Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am Vorabend der Entscheidung in Brüssel hat eine Reihe Kollegen der Regierungskoalition — z. B. Sie, Herr Kollege Mischnick — wiederholt Fragen an uns gerichtet, wie wir eigentlich zu dem Thema der Nachrüstung in der NATO stünden und wie wir die Vorschläge zu Abrüstungsverhandlungen oder einer Abrüstungskonferenz aufnähmen.
Ich möchte in aller Kürze darauf antworten, obwohl ich mich, Herr Kollege Mischnick, ein wenig darüber wundere. Denn im Gegensatz zu anderen Fraktionen in diesem Hause können Sie bei uns doch davon ausgehen, daß wir vom ersten Tage an hinsichtlich der Verteidigungsfähigkeit, hinsichtlich der Bereitstellung eigener Truppen und Waffen, hinsichtlich unserer eigenen Bündnispolitik ohne Schwanken eine klare Linie durchgehalten haben. Gehen Sie bitte davon aus, daß diese Linie auch heute unsere Überlegungen leitet. Wir haben — der Herr Kollege Barzel hat es zu Beginn seiner Rede getan — der Regierung für die morgigen Verhandlungen, die, wenn wir in andere NATO-Länder sehen, ja einigermaßen diffizil sein werden, Erfolg gewünscht, nicht daß allein die Regierung einen Erfolg hat, sondern einen Erfolg für uns alle, für das gemeinsame Bündnis, daß wir nämlich in der Lage sein werden, die notwendigen Nachrüstungen in Europa auch tatsächlich durchzuführen.
Meine Damen und Herren, es war und ist die Politik der Union, darauf hinzuwirken, daß das militärische Gleichgewicht in Europa gehalten oder, wenn sich, wie es gegenwärtig der Fall ist, dieses Gleichgewicht zum Nachteil des Westens verändert hat, wiederhergestellt wird. Deshalb werden wir natürlich jetzt auch, wenn wir aufgefordert sind, versuchen, in aller Kürze die Frage zu beantworten: Warum ist eigentlich Nachrüstung notwendig?
Der Bundesverteidigungsminister hat ja bei einer bestimmten Gelegenheit erklärt — wir kennen das alle —, wir hätten hinsichtlich der Fähigkeit, Waffen, die jetzt produziert werden sollen, nach Europa zu bringen, eine gewisse Lücke, eine Hungerstrecke zu überwinden. ;,Hungerstrecke" ist mein Ausdruck. Lassen Sie mich bitte, Herr Verteidigungsminister, doch auch die Frage stellen — und ich wäre dankbar, daß Sie sie beantworten, wenn Sie nachher sprechen —: Was ist eigentlich diese Lücke? Wer trägt die Verantwortung dafür, daß es diese Lücke in der westlichen Verteidigungsbereitschaft gibt? Wer hat untätig seit 1973 zugesehen, daß z. B. neue Raketenwaffen, Raketen ohne Beispiel, von großer Fähigkeit, die das Gleichgewicht in Europa bedeutend verändert haben, eingeführt werden? Wer hat eigentlich auf Anträge, auf Bemerkungen meiner Fraktion, auf Forderungen, doch darauf zu achten, und dieses sehr zerbrechliche Gleichgewicht nicht kaputtgehen zu lassen, immer wieder geantwortet, dies sei eben typisch CDU/CSU, die immer nur darauf bedacht sei, bei uns selbst weiter und weiter zu rüsten? Wer hat uns immer wieder vorgeworfen, wir seien eigentlich isoliert, in keinem anderen NATO-Land denke man daran, Nachrüstungen vorzunehmen?
Jetzt hören wir seit etwa einem Jahr von vielen Stellen der NATO, aus den NATO-Staaten selbst, sorgenvolle Stimmen, die auf das wachsende Übergewicht des Ostens hinweisen und die mahnen, man sollte endlich aus vielen Träumen und Hoffnungen — falschen Hoffnungen, wie ich sage — erwachen und dafür sorgen, daß der Westen das Notwendige zu seiner eigenen Verteidigung tut.
Ich muß hier, meine Damen und Herren, für die Union sagen, daß die Verantwortung für die Lücke, die festgestellt wird, der Bundesregierung zuzumessen ist. Sie hat, obwohl sie die Dinge ja noch besser kennen muß als die Opposition, bisher in all den Jahren nicht für die Erfüllung der zusätzlichen notwendigen militärischen Aufgaben gesorgt, sondern. sie verharrte unter der Überschrift „Stört uns die Entspannungspolitik nicht!" in der Fiktion, daß beide Seiten unter Entspannung das gleiche verstünden.
— Herr Löffler, damit das klar ist: Wir müssen uns darüber sicher noch weiter unterhalten. Wenn wir, der Westen, von Entspannung gesprochen haben, dann haben wir tatsächlich immer eine Minderung der Spannungsursachen gemeint und gewollt. Aber Sie können nicht abstreiten, daß wir, die Union, zur gleichen Zeit darauf hingewiesen haben, daß die Sowjetunion die Formulierung „Entspannung" immer ganz anders versteht, nämlich als eine neue Möglichkeit, einen weiten Schritt in Richtung auf die Erreichung ihrer eigenen Ziele zu machen.