Rede von
Helmut
Rohde
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, in die heutige Debatte einzugreifen. Was jedoch der Herr Kollege Blüm hier erklärt hat, bleibt nicht ohne Antwort.
Nun will ich mich nicht seinem familienpolitischen „Imperialismus auf Filzsohlen" zuwenden. Ich will es dem Haus überlassen, was daran Marx oder Murks ist. Aber ich sage in allem Ernst: Das, was heute vom Kollegen Blüm zu den Erfahrungen, zur Geschichte und zu den Empfindungen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gesagt worden ist — auch in der Art, in der es erklärt worden ist —, haben wir bisher nur aus der rechten Ecke der deutschen Politik gehört.
Da kann ich nur sagen: Strauß färbt ab! Der Beitrag von Blüm hat das deutlich gemacht.
So respektlos und so ohne jedes Verständnis ist bisher noch niemand, der für sich in Anspruch nahm, ein Arbeiterfunktionär zu sein, mit der Geschichte der Arbeiterbewegung umgegangen.
Sie können, Herr Blüm, anderer Meinung sein, aber sich nicht so gehen lassen.
Wenn er von Kinderliedern und der Familie gesprochen hat, dann können wir ja vielleicht auch darüber sprechen, welche Lieder in diesem Lande und in anderen Industrieländern gesungen worden sind, als noch Kinderarbeit geleistet werden mußte.
Damals hat die Arbeiterbewegung begonnen, den Staat auf seine Verantwortung zu stoßen. Die Arbeiter haben sich solidarisch zusammengeschlossen und sich auch an den Staat gewandt, nicht um die Familie und den Menschen zu verstaatlichen — nein! —, sondern um Staat und Gesellschaft zu vermenschlichen, weil sie die Erfahrung gemacht hatten, daß sie allein mit Familienphilosophie nicht aus ihrer bedrückenden Lage herausfinden konnten.
Was die Berufstätigkeit angeht, so hat Bebel das in einer Zeit geschrieben, in der es das Los der arbeitenden Frauen gewesen ist, auf den Feldern als Landarbeiterinnen und in den Fabriksälen als Textilarbeiterinnen zu arbeiten. Bebel hatte eine Vision davon, daß auch die Frau ein Recht auf Bildung und berufliche Entfaltung in dieser Gesellschaft hat.
Damit komme ich zu einer Bemerkung von Herrn Kohl in seinem Debattebeitrag. Ich finde es herausfordernd und bedrückend, wie in den Reden der Opposition mit den Rechten, den Erwartungen und der Lage der berufstätigen Frauen umgegangen wird. Da wird immer wieder der Eindruck erweckt, als sei das, was wir hier beschlossen haben, nämlich das Mutterschaftsgeld für die berufstätigen Frauen eine Sache, die man nur als eine Art ungerechtfertigter Sonderregelung einordnen könnte, so, als hätten sie das nicht verdient. Sie haben das verdient.
Sie haben gearbeitet. Die arbeitenden Frauen haben Beiträge und Steuern gezahlt. Aus dem gesellschaftlichen Ertrag ihrer Berufsarbeit den Frauen wenigstens zu ermöglichen, daß sie sechs Monate nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben können und nicht zur Arbeitsstelle brauchen, ist nicht mehr als recht und billig.
— Nein, hier werde ich jetzt keine Zwischenfrage gestatten, weil ich die Absicht habe, diesen Gedankengang zu Ende zu führen; dann gebe ich Ihnen das Wort.
— Die Art und Weise, wie Sie mit den berufstätigen Frauen umgegangen sind, finde ich nicht korrekt und verantwortungsbewußt. Herr Kohl sagt, Berufsarbeit ist Privatsache.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich an eine Zeit, an die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen fast kein Monat vergangen ist, keine große Debatte in diesem Hause stattgefunden hat, in der nicht der Anspruch zum Ausdruck kam, daß auch die Frauen ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau leisten müßten. Es gab eine Zeit, in der auch von diesem Pult anerkannt worden ist, wie die Frauen zum Aufbau unseres Landes nach dem Kriege beigetragen haben. Das einfach unter dem dünnen Begriff der Privatsache abzubuchen, ist für mein Empfinden unerträglich.