Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der Deutsche Bundestag besteht, habe ich jede Haushaltsplanberatung miterlebt. Die diesjährige wird schwer einzureihen sein in die bisherigen Haushaltsplanberatungen des Deutschen Bundestages.
Sie wurde eröffnet mit einer Art närrischem Vorspiel.
— Nein, bitte sehr, ich meine ja Herrn Schröder und
Herrn Lothar Löffler. Weil der Herr Ministerpräsident noch nicht da sein konnte, stiegen die ein, und so ist das auch von ihnen beiden begriffen worden.
— Wenn Sie sich nicht anders hörbar machen können als durch die Bloßlegung Ihrer inneren Unruhe, tun Sie mir auch leid!
Es geschah erstmals, daß ein Mitglied des Bundesrats als sozusagen erster politischer Redner der parlamentarischen Opposition das Wort nahm. Das hat es in 30 Jahren nicht gegeben. Ich registriere das nur, denn die Rede selbst wird vielen Deutungen unterworfen sein. Meine Sache ist es nicht, Zensuren auszuteilen.
— Das hätten Sie gern, nicht?
Ich werde mir einige Bemerkungen zu einigen Bestandteilen des Erlebnisses dieser Rede erlauben, und zwar zu sachlichen Bestandteilen, denn die gibt es ja in dieser Rede auch.
Der Herr Ministerpräsident hatte zwar gesagt, er wolle sowohl Rückschau als auch Vorausschau in seiner Rede "zu bieten bemüht sein, aber das, was er zunächst unter „Rückschau" geboten hat, war wenig. Es kann sein, daß das eben etwas durcheinanderkam. Es waren ein paar Angaben über die Forschungspolitik enthalten, auf die jedenfalls nicht nur die Kollegen meiner Fraktion, sondern sicher auch andere im Verlauf der Haushaltsdebatte noch werden zurückkommen müssen, die uns bis Freitag hier zusammen erleben wird.
— Seien Sie nicht so unvorsichtig, das kommt sonst in das Protokoll! Dann wird man hinterher sehen: So schlau waren Sie auch nicht.
Der Herr Ministerpräsident hat zunächst einiges zu dem gesagt, was er vom Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der vorigen Woche zu sagen für wichtig gehalten hat. Das ging natürlich gleich los mit dem Sich-Reiben an dem Motto „Sicherheit für die 80er Jahre". Das hatte ich damals geahnt: Das tut Ihnen allen wenn nicht weh., so juckt es Sie doch. Sicherheit, das ist ja ganz einfach eine Verpflichtung, die jemand übernimmt, in diesem Fall jedenfalls die Sozialdemokratische Partei, was sie zu tun bemüht sein wird, soweit das Sterblichen möglich ist, so lange, wie ihre Kräfte dazu reichen.
Dann kam das Thema der Mittelstreckenraketen. Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben, wie ich gemerkt habe, den Schlußtext, der angenommen worden ist. Das ist auch ganz in Ordnung. Ich wollte zu diesem Schlußtext, und zwar zu den Teilbereichen, die Sie ein wenig aus dem Zusammen-
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hang gerissen zitiert haben, auch noch folgendes wörtlich zitieren. Es ist Auffassung der Sozialdemokraten:
Friedenspolitik, die Politik der sozialen und politischen Entspannung, bleibt vom Rüstungswettlauf in der Welt bedroht. Sozialdemokratische Politik sieht, wie es im Godesberger Programm heißt, die Grundsätze der Landesverteidigung in der Schaffung von Voraussetzungen für eine internationale Entspannung und für eine wirksame kontrollierte Abrüstung. Dieser Auftrag des Godesberger Programms besteht unverändert fort.
Entspannung und Abrüstung setzen Gleichgewicht voraus. Das globale Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aufrüstung gefährdet werden. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität.
Dann wird betont:
Die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müssen von der Friedensbereitschaft des anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. Verteidigungspolitische Maßnahmen dürfen nicht Überreaktionen sein, die aus Mißtrauen und Angst entstehen. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der jeweils anderen Seite muß in Rechnung gestellt werden. Die Art des innenpolitischen Schlagabtausches über die Begriffe „defensiv" und „offensiv' hat gezeigt, wie gering bisher Fähigkeit und Wille sind, in diese schwierigen Zusammenhänge einzudringen.
Sie werden noch manche — auch für Sie, Herr Ministerpräsident, und auch für Ihre Mitwirkenden — interessante Stelle aus diesem Beschluß zur Friedenssicherung, zur Sicherheitspolitik, zur Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle finden, wenn Sie anordnen, daß sich Ihre Mitwirkenden Mühe geben.
Jetzt komme ich zu der Stelle, die Sie, wenn auch nicht ganz im Zusammenhang, ebenfalls zitiert haben. Deutlich, Satz für Satz gelesen, heißt das, was da wirklich steht:
Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren. Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden. Deshalb darf es keine Automatismen geben. Der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren.
Aus diesen Gründen soll — so beschloß der Parteikongreß der Sozialdemokraten —
die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung zu entwikkelnden Mittelstreckenwaffen in Europa nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
Ziel der Verhandlungen ist es, durch eine Verringerung der sowjetischen und eine für Ost und West in Europa insgesamt vereinbarte gemeinsame Begrenzung der Mittelstreckenwaffen die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen.
Da haben Sie jene Sätze aus dem Beschluß des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der in der vergangenen Woche durchgeführt worden ist, genau wiedergegeben, von denen Sie, Herr Ministerpräsident, einige zitiert haben.
Herr Ministerpräsident, worum es den Sozialdemokraten geht und worauf Sie wohl auch hinzielen — Sie haben ja genau an dem Tag, der der Tag vor den NATO-Erörterungen in Brüssel ist, hier das Wort genommen, was auch Ihr gutes Recht ist —, ist das Folgende. Die Entscheidung, die von der NATO im Dezember getroffen wird, und gleichzeitig Verhandlungen mit der UdSSR, dem Warschauer Pakt sind untrennbar verbunden. Dies ist die Voraussetzung für das, was in der unmittelbar vor uns stehenden Zeit von uns, der Bundesrepublik Deutschland, als Bestandteil dieses Bündnisses, aus zu tun ist, zugleich durch die Verträge mit den Nachbarn im Osten, die zwar nicht wesensgleich mit den Verträgen sind, die uns in die westliche Verteidigungsgemeinschaft NATO und in die Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Gemeinschaft integrieren, die man aber, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen kann, als zweites Bein braucht, um an die Tische gehen zu können, an denen von Gleichberechtigten, wenn auch nicht Gleichmächtigen, über das, was auch unser Interesse ist, verhandelt wird: Sicherung des Friedens.
Das ist es, was wir mit unserem Beschluß wollen.
Da muß ich sagen, Herr Ministerpräsident: Uns Sozialdemokraten erscheint es als im Lebensinteresse unseres Volkes liegend, daß es auch im Zustand der staatlichen Trennung von uns nicht nur angesehen, sondern miterlebt wird als dennoch eine Nation.
Ich komme in dem Zusammenhang wieder darauf zurück: Die Verträge — dazu gehört auch der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland — sind Verträge, mit deren Hilfe wir, soviel es geht und so durchgreifend es geht, den Menschen,
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die in beiden Teilen des staatlich getrennten Deutschland leben, nicht nur das Gefühl, eine Nation zu sein, zu erhalten suchen, sondern auch die Möglichkeiten zur Begegnung der Menschen in diesen getrennten Staaten, soweit es in unseren Kräften steht, zu verbessern trachten. Das alles muß dabei mit bedacht werden. Darüber zu reden — nehme ich an — ist keine Schande.
Herr Ministerpräsident, Sie haben ein paarmal angespielt auf zwanzig Jahre, zehn Jahre und darauf, worauf diejenigen, die seit zehn Jahren in der Form der Koalition zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten regieren, eigentlich fußen und woraus sie schöpfen. Herr Ministerpräsident, für mich ist — ich gestehe es ganz offen, auch ein wenig abseits von den Feiern meiner eigenen Parteifreunde — entscheidend: In 30 Jahren Bundesrepublik Deutschland haben die Sozialdemokraten 17 Jahre als Opposition zugebracht, ausgehalten und dies zu einer konstruktiven Opposition entwickelt. Und Sie — Herr Ministerpräsident, Sie sind ja der Kanzlerkandidat für die nächstfällige Bundeskanzlerwahl — halten es noch nicht einmal aus — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, sondern ich meine die Kombination CDU/CSU zehn Jahre konstruktive Opposition zu sein.
Es ist kein fremder Text, den ich jetzt zu zitieren mir erlaube. Da wir jetzt am Beginn der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsplans 1980 stehen, darf ich wohl in Erinnerung bringen, was Sie im November 1974, vor also etwas wenig mehr als fünf Jahren gesagt haben:
Wir müssen Sie — d. h. uns —
so weit treiben, daß Sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen.
Es wird Ihnen allmählich klar, Herr Ministerpräsident, daß das nicht reicht, was Sie an Dampf dafür machen und aufbringen können. Das ist das eine
Sie haben damals weiter gesagt:
Ich möchte zur Außenpolitik nur eine Bemerkung machen. Wir müssen sicherlich die europäische Idee am Leben halten, aber wir sind heute von jeder Möglichkeit einer europäischen Union, auch einer echten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weiter weg, als wir im Jahre 1950 gewesen sind.
Hier schalte ich einmal eine Bemerkung ein, die eine indirekte Frage ist, Herr Ministerpräsident. Da haben Sie sich wirklich geirrt. Ich nehme an, das wissen Sie auch; Sie sind ja intelligent genug, das auch einzusehen. Ob Sie das auch öffentlich sagen werden, ist wieder eine andere Frage. Ich dränge auch nicht darauf, daß Sie es tun. Wir Sozialdemokraten haben doch aber auch als Opposition in jenen 17 Jahren, ehrlich und aufrichtig, wenn auch mit nicht verdeckten kritischen Anmerkungen, Stellung bezogen. Ich denke z. B. an die Zeit, als ich zusammen mit meinem Freund und Bruder 011enhauer Mitglied der — es nannte sich damals nicht Parlament; so anspruchsvoll waren wir nicht — ersten Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war. Damals war mein Kontrahent der von mir verehrte und bis zu seinem Tode als ein Lehrer und Freund geschätzte Jean Monnet. Sie haben ja auch eine Vorstellung von ihm gehabt, wenn auch Ihre Begegnungen nicht so häufig waren, was ich Ihnen nicht vorwerfe; dies ergab sich vielmehr aus den verschiedenen Verpflichtungen. Ich war nie so sehr verpflichtet wie Sie oder auch wie er. Ich war eben immer ein Abgeordneter.
Ihre damalige Aussage — damit komme ich auf das früher Gesagte zurück —, daß man in der Entwicklung einer europäischen Union weiter zurück sei als im Jahre 1950, ist doch einfach falsch gewesen.
Im Jahre 1955,
— so haben Sie damals betont —
im Jahre 1960, im Jahre 1965 oder wann auch immer ist man in einem fast hoffnungslosen Zustand angelangt, wobei der moralische Zustand Europas schlimmer ist als der materielle oder der politische oder der militärische. Die Europäer sind total degeneriert.
— ich muß schon sagen, Sie waren unvorsichtig, Herr Ministerpräsident —
Sie sind ausgetreten aus der Geschichte, erwarten, daß die Amerikaner wenigstens für sie noch Wache halten, verschließen die Augen vor der sowjetischen Gefahr, begreifen nicht, daß das Kooperationsangebot der Sowjetunion einen Hegemonieanspruch bedeutet. Deutschen Kraftwerken an der Wolga oder in Ostpreußen, die den Strom von den Arabern zu uns hineinbringen — ich kann nur sagen
— haben Sie, Herr Ministerpräsident, damals betont —
man weiß schon bald nicht mehr, welches Land auf der Welt man zur Emigration empfehlen soll.
Ich sage Ihnen — Sie wissen es genau —: Sie brauchen nicht zu emigrieren; wir brauchen alle nicht zu emigrieren.
Aber es macht sich so gut, wenn man auch tragisch sprechen kann. Ich verlange nie, daß einer besonders fröhlich tun muß. Den Mitlebenden, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern aber jedenfalls Zuversicht zu vermitteln, sollte man eigentlich auf sich nehmen.
Zwischenzeitlich
um mit dieser Emigrationsphilosophie fortzufahren —
kann man Neuseeland, Australien oder Kanada
vielleicht noch nennen, auch Palästina. Das sind
aber auch nur Übergangsstationen. Summa
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summarum, für uns heißt die Summe: Dieses Europa kann nicht gesund werden, wenn die Bundesrepublik nicht wieder wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch, militärisch ein Stabilitätsfaktor erster Ordnung wird, wenn das von der Bundesrepublik wieder ausgeht. Das kann aber nur ausgehen — da bin ich jetzt wirklich am Ende —,
— so haben Sie damals gesagt; Sie sind es ja heute noch nicht —
wenn die Krise so stark wird, daß aus der Krise ein heilsamer Schock erwächst und damit die Bereitschaft, die Konsequenzen aus dieser Zeit auch tatsächlich auf sich zu nehmen. Sonst läuft sich
— das haben Sie damals schon so gesagt — jeder Kanzlerkandidat tot.
Deshalb hat es auch gar keinen Sinn, wenn wir uns in den nächsten Monaten nun überlegen: Wer ist am telegensten? Wer wirkt am besten? Wer hat nach der Umfrage von Wickert oder Infas — oder wie sie alle heißen — die meisten Chancen?
Es ist alles belanglos oder Cura posterior. Zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet, diese Maßnahme glaubhaft an der Spitze einer aktionsfähigen Regierung und Parlamentsgruppe dann auch tatsächlich durchzuführen? Damit wird dann das Karussell der Eitelkeit für eine Zeitlang gestoppt sein.
–Das haben Sie damals im November 1974 so gesehen, und vieles von dem, was Sie damals gesehen, vorausgesehen und geschätzt haben, ist nicht ganz so gekommen. Aber mit dem, was Sie am Ende schließlich gesagt haben, haben Sie selbst einen Fehler gemacht, Herr Ministerpräsident. Sie haben damals gesagt:
... zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet ...
Sie haben jetzt schon geraume Zeit vorher darüber abstimmen lassen, wer geeignet ist, und das sind nun Sie. Ich bitte Sie um Entschuldigung: Sie tun mir fast leid;
denn Sie müssen jetzt fortgesetzt treten — ich meine Pedale treten —, obwohl Sie Motore lieber hätten.
Aber da Sie selber einer sind, werden Sie das schon versuchen hinzukriegen. So ist das, Herr Ministerpräsident.
Was die Kernkraftkritik — ich meine Ihre Kritik an dem Verhalten der Sozialdemokraten während ihres Parteikongresses gegenüber der Kernenergieproblematik — betrifft, muß ich einiges wenige hinzufügen. Es ist eine Tatsache, daß für Sozialdemokraten die Problematik der Kernenergie kein Spielmaterial ist.
— Ja, sicher ist das so. Entschuldigen Sie, bei Ihnen ist das anders. Da lacht der mit der seltsamen Nase. Den sehe ich sonst nur in Fragestunden. Er ist einer Ihrer Experten für Fragestunden.
Was soll denn das? Natürlich ist es schwer für eine Partei, wenn sie sowohl so viele Mitglieder hat als auch so viele, die sie ansprechen möchten und die umgekehrt auch die Partei ansprechen möchte, daß sie sich mit vieler Leute Auffassungen befassen und auseinandersetzen muß.
Herr Ministerpräsident, Sie sind sehr unvorsichtig gewesen, als Sie diese Mischung hier darbrachten: Pyrrhussieg heißt Helmut-Schmidt-Sieg. Sie werden das noch erleben. Sie wissen es im Grunde auch, daß es mit dieser Ihrer Prophezeiung so fest nicht ist.
Sie sagen das so in dem Sinne: Man muß mit den eigenen Leuten, jedenfalls denen, auf die man angewiesen ist, in dieser Ihrer Kombination CSU /CDU mit dem Schrägstrich durch die Mitte, wenn auch umgekehrt in der Buchstabierung, natürlich versuchen, das zuwege zu bringen.
Warum haben Sie eigentlich den Bundeskanzler so konzentriert sozusagen unter Feuer genommen, Herr Ministerpräsident? Ich hatte bei dieser Gelegenheit den Eindruck, ich verstünde nun erst ganz richtig, was Sie kürzlich gesagt haben. Ich nehme die Textangabe einer sicher auch für Sie völlig unverdächtigen Zeitung — es ist die „Frankfurter Allgemeine" mit dem Untertitel: „Zeitung für Deutschland" —, und darin steht:
Vor der Fraktion sagte Strauß dann, die CDU befinde sich 1980 in einer historischen Situation.
Sie wissen es besser; die Gefahr kommt nämlich gleich hinterher.
Dies rechtfertige aller Anstrengungen. Falls man 1980 eine Wahlniederlage erleiden sollte, wäre die Union für lange Zeit von der politischen Verantwortung ausgeschlossen. Deshalb müssen sich beide Parteien
— Sie meinen diese CSU /CDU-Parteien —
zu einer Kampfgemeinschaft zusammenfinden.
Meine Damen und Herren, ich habe damals, als ich das las, gedacht: Das ist eine mehrschichtige Begründung. Natürlich will der Mann Impulse geben, natürlich will er vorantreiben — die anderen —, und natürlich tut er auch so, als ziehe er sie mit. Das mag alles sein, ist menschlich ganz verständlich. Nur, das alles unter ständigem Feuer gegen den Bundeskanz-
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ler Helmut Schmidt muß irgendwo einmal zu Asche werden, Herr Ministerpräsident.
Das kann man nicht beliebig perpetuieren. Das kann man nicht!
Noch einmal zurück zu der Kernernergiemäkelei. Ich bin, was dieses Kapitel betrifft, einer, der sagt: Es wäre weder richtig zu sagen „Kernenergie um jeden Preis"
— ich bitte Sie, ich sage doch, was ich denke — noch „Kernenergie um keinen Preis".
— Ich bitte Sie, nehmen Sie sich doch zusammen, falls Sie das können. Irgend etwas bubbelt in Ihnen, und Sie müssen heraus aus der Öffnung mit dem, was bei Ihnen bubbelt.
Es ist sehr einfach: Wir haben zwei Texte, auf die wir uns berufen können. Der eine ist die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt von 1976 mit den Punkten 23 bis 31. Jede Mitbürgerin und jeder Mitbürger können sich darauf berufen, und wo sie finden, daß da etwa in Beziehung auf Sicherheit etwas nicht eingehalten werde, können sie darauf pochen, daß diese Erklärungen eingehalten werden. Ich finde, es tut selbst einer parlamentarischen Opposition auch im außerparlamentarischen Getriebe und Gehabe nicht gut, wenn sie von vornherein davon ausgeht oder so tut, als sei eine Regierungserklärung nichts anderes als ein Stück Papier, das man ganz einfach zurückweisen kann.
Da muß eine Opposition die Regierung, zu der sie in Opposition steht, jeweils darauf ansprechen und festlegen und von ihr Rechenschaft verlangen.
Ich will hier gar nicht zitieren, was mein Lehrmeister — er war es weiß Gott — Kurt Schumacher in der ersten Rede, die hier von einem Oppositionsführer — — Da feixen Sie. Auch ein Gegner von Kurt Schumacher wird angesichts der Nennung seines Namens nicht feixen. Aber über Geschmack läßt sich mit Ihnen nicht streiten. Das ist mir klar. —
Lesen Sie das bitte — das ist ja im Bundestagsprotokoll —, die erste Rede des Oppositionsführers damals gegen den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer über die Rolle der Opposition. An diese haben wir uns dann auch, soweit wir bei Kräften waren, auch gehalten.
Nochmals zurück zur Kernenergie. Wir haben am 14. Dezember vorigen Jahres — das jährt sich demnächst — mit einer knappen Mehrheit, zugegeben, aber mit einer Mehrheit eine Entschließung gefaßt, die genau die Möglichkeiten — —
— Wenn Sie das wollen: „erzwungen". Im Parlament, Herr Jenninger, ist es üblich: Wer eine Mehrheit
hat, bringt etwas zustande. Wenn dann der Unterlegene sagt: „Erzwungen", dann tut er mir leid, weil er nicht einsieht oder vergessen machen will, daß er nicht gezwungen worden ist, sondern daß er in der Minderheit war. Dort, wo wir Minderheit waren, haben wir auch nicht behauptet, die anderen hätten uns etwas aufgezwungen.
Da gibt es wohl Wesensunterschiede. Befassen Sie sich damit. Über die Feiertage haben Sie genug Gelegenheit dazu, wenn Sie sie nicht nur verfeiern und verfeuern. Befassen Sie sich auch einmal mit solchen Gedanken. Ich verlange ja gar nicht, daß Sie meine Gedanken übernehmen.
Gehen Sie einmal in diese Dinge hinein, dann werden Sie manches finden.
In dieser Entschließung ist die Einsetzung einer Enquetekommission beschlossen worden. Es hat leider lange gedauert, bis sie eingesetzt worden ist, für meinen Geschmack zu lange; sie hätte in Ausführung des Beschlusses schon einige Zeit früher eingesetzt werden können. Aber es ist in Ordnung; sie ist eingesetzt. Wenn wir auf das hinweisen, was diese Enquetekommission prüfen, feststellen und schließlich auch darlegen soll, ist das zusätzlich zu der Regierungserklärung von 1976 die Gewährleistung dessen, daß niemand meinen muß, er sei sozusagen einer Wiederholung von Harrisburg — oder was es sonst noch an Ähnlichem geben kann — einfach hilflos ausgeliefert. Soweit es in den menschlichen Kräften, im menschlichen Ermessen und in den menschlichen Möglichkeiten liegt, sind in dieser Kommission alle vertreten, die Sicherheit vor bloße Wirtschaftlichkeit stellen, und das gehört zu dem, was wir im Zusammenhang mit der Kernenergie sagen wollen.
Nun haben Sie, Herr Ministerpräsident, sich ein wenig mit den Sozialdemokraten und ihrem Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft befaßt. Da haben Ihre Vorbereiter Ihnen einiges nicht gezeigt, was nicht völlig außer acht gelassen werden darf, wenn es sich darum handelt, diese Erörterungen und Auseinandersetzungen um Wirtschaft, um soziale Marktwirtschaft usw. zu entwickeln.
Natürlich gibt es in der Sozialdemokratischen Partei manche unterschiedliche Bewertungen und auch manche gegensätzliche Bewertungen. Aber in unserem Grundsatzprogramm gibt es klare Festlegungen zu stetigem Wirtschaftsaufschwung, zu Eigentum und Macht, zur Einkommens- und Vermögensverteilung, zur Agrarwirtschaft, zu den Gewerkschaften in der Wirtschaft, zur sozialen Verantwortung usw. Da finden wir, daß es z. B. heißt:
Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. Die Autonomie der Arbeitneh-
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mer- und Arbeitgeberverbände bei Abschluß von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Bestandteil freiheitlicher Ordnung. Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die Freiheit. Deshalb bejaht die Sozialdemokratische Partei den freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter die Vorherrschaft von einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die Freiheit in der Wirtschaft zu erhalten. Wettbewerb so weit wie möglich — Planung so weit wie nötig!
Das ist doch wohl diskutabel, meine Damen und Herren,
oder wollen Sie das einfach verbieten? Dazu wäre noch manches zu sagen, denn Sie haben das, was Sie damit eigentlich gemeint haben, nur etwas schief angeleuchtet.
Sie haben dann übergeleitet — inzwischen ist mir dann der geschriebene, der vorgeschriebene Teil Ihrer Rede auch noch in die Hände geraten, und zwar nicht illegitim, sondern durch den Pressesprecher; die Presseleute hatten ja die Rede vorher — und haben sich dann an des Bundeskanzlers — nicht zitierte, sondern von Ihnen oder, sagen wir besser, von Ihren Mitwirkenden gegebene — Auslegungen der Rentenentwicklung gehalten. Das war nicht nur mit Fehlern behaftet; es war auch müßig, dies noch einmal aufkochen zu wollen. Sie haben ja die Regierungserklärung von 1976. Damals hat der Bundeskanzler ein — wie er sich ausgedrückt hat — Wort zu Beginn gesagt, nämlich:
Der Regierungserklärung soll ein Wort zum Rententhema vorangestellt werden, das in der vorigen Woche die Diskussion beherrscht hat. Kein Zweifel: Es hat zu einer ernsthaften Beunruhigung und zu einer Belastung des Vertrauens in die sozialliberale Koalition und in die Bundesregierung geführt.
Die Verhandlungsdelegationen beider Koalitionsparteien hatten sich an Hand des Gutachtens des Sozialbeirats vom 15. Oktober der ja seit 20 Jahren die Maßstäbe für den Rentengesetzgeber gesetzt hat, und anderer neuerer wirtschaftlicher Daten mit der Gesamtheit der gesetzgeberisch notwendigen Schritte zur finanziellen Konsolidierung der Rentenversicherung und der Krankenversicherung in tiefgreifender Weise befaßt. Sie hatten dabei — unter anderem — auch eine Verschiebung der für den Juli 1977 vorgesehenen Rentenanpassung um sechs Monate ernsthaft in Erwägung gezogen. Ich will dies vor dem Bürger nicht verschleiern, sondern ich will es bestätigen. Wir hatten es uns damit allerdings sehr schwer gemacht.
Die Reaktionen vieler Bundestagsabgeordneter, vieler Bürger und der öffentlichen Meinung waren heftig. So heftig hatten wir diese Ablehnung nicht erwartet,
— das Protokoll verzeichnet hier „Lachen bei der CDU/CSU" —
obwohl klar war, daß es große Kraft brauchen würde, eine solche Entscheidung, wenn wir sie für unausweichlich gehalten hätten, glaubhaft zu machen und sie im Bundestag, in seinen Parteien, Fraktionen und Ausschüssen, zur Annahme zu bringen.
Und dann kommt das, was weiter gesagt wurde, nachdem er erklärte:
Ich will das offen zugeben. Aber ich darf hinzufügen: Eine Regierung ist nicht unfehlbar. Dies behaupten nur totalitäre Regierungen von sich.
Meine Damen und Herren, es wird ja wieder mit diesem Begriff „Rentenbetrug" jongliert. Ich sehe da ziemlich dicht vor mir einen Herrn Kollegen, dessen kürzlich in einer Tageszeitung unter diesem Thema veröffentlichte philosophische Betrachtungen ich bedaure; ich hoffe, es wird einmal Gelegenheit geben, dies zu klären.
— Sagen Sie mal, Sie melden sich ja selber! Ich hatte Sie gar nicht genannt, Herr Blüm.
— Sie haben mir nur leid getan, als ich das las. Denn bei aller politischen Gegnerschaft finde ich immer, Sie treten zwar manchmal daneben bei einem Versuch, nach vorn zu treten, aber Sie sind jedenfalls aufrichtig. Aber da fand ich, da ist irgend etwas nicht ganz in Ordnung, und das wollte ich einmal mit Ihnen besprechen.