Rede von
Dr.
Helmut
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Bundeskanzler, Sie haben mich unmittelbar vor der Rede des Kollegen Strauß in einer kurzen persönlichen Intervention angesprochen; ich will ebenso kurz darauf antworten.
Ich finde es bemerkenswert, daß Sie bei der Diskussion darüber, ob Sie der geeignete Moderator für eine Sendung zum 20. Juli sind, das Wort „Ehrabschneidung" verwenden. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler: Wieweit haben Sie eigentlich jedes Gefühl für die Gefühle anderer verloren, wenn Sie in dieser Debatte so auf diese Frage reagieren? Haben Sie nicht den Eindruck, daß an diesem Abend bei dem Vorspann zu diesem bemerkenswerten Film einer der Akteure des 20. Juli oder jemand aus der Familie der unmittelbar Betroffenen die richtige Ein-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15129
Dr. Kohl
leitung hätte geben können und geben müssen? Das war nicht nur mein Eindruck, das war der Eindruck vieler, vieler Mitbürger.
Was ich Ihnen nicht vorwerfe - insofern ist das, was Sie hier gesagt haben, wiederum am Thema vorbei —, ist das Schicksal Ihrer Generation. Herr Bundeskanzler, ich war derjenige, der von dieser Stelle und anderswo seine und die nachgeborene Generation immer zum Frieden zwischen den Generationen aufgerufen hat.
Ich war derjenige, der immer warnend darauf hingewiesen hat, wohin es führen muß, wenn die Enkelgeneration, schlecht ausgerüstet mit Kenntnissen und Erfahrungen aus jener Zeit, über die Generation ihrer Großväter womöglich letztendlich zu Gericht sitzt. Ich war derjenige, der darauf hingewiesen hat, daß wir im geteilten deutschen Vaterland aus den Erfahrungen jener Zeit sorglich mit unserem Urteil gegenüber dem umgehen müssen, was manche unserer Mitbürger im anderen Teil Deutschlands tun, um dort zu überleben.
Alle diese Argumente habe ich Ihnen und anderen immer wieder vorgetragen. Sie haben nichts davon zur Kenntnis genommen. Sie und Ihre Freunde — das muß festgestellt werden — haben diese gänzlich unnötige, schädliche Debatte über die jüngste deutsche Geschichte in Form einer Abrechnung, einer Belastungskampagne gegen einzelne aus dem Lager der CDU/CSU vom Zaum gebrochen. Sie haben dies fahrlässig getan, weil Sie dabei sich selbst und das Schicksal derer, die mit Ihnen auf der Regierungsbank sitzen, vielleicht zuwenig bedacht haben. Das habe ich vorhin deutlich machen wollen. Ich denke gar nicht daran, hier etwas anderes zu sagen.
Wir wollen gemeinsam aus der Geschichte lernen, Herr Bundeskanzler. Aber dazu gehört auch Redlichkeit, und zur Redlichkeit gehört, daß Sie nicht am Abend des 20. Juli — nicht in gesprochener Form, aber in dem, wie Sie es darstellten — einen Eindruck erweckten, der Ihnen an diesem Abend nicht zukam.