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    Plenarprotokoll 8/191 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 191. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Inhalt: Zusätzliche Überweisung eines Gesetzentwurfs an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 15045A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 15045 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) — Drucksachen 8/3100, 8/3354 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt -- Drucksache 8/3374 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/3375 — in Verbindung mit Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 8/3384 — Schröder (Luneburg) CDU/CSU 15046A, 15047A Löffler SPD 15048A Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 15049B, 15120C Wehner SPD 15064 B Genscher, Bundesminister AA 15071 B Dr. Barzel CDU/CSU 15077 A Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 15086A Dr. Ehmke SPD 15087A Hoppe FDP 15097A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 15103A, 15120B Dr. Kohl CDU/CSU 15111 D, 15128 D Mischnick FDP . 15129B Dr. Blüm CDU/CSU 15132 C Rohde SPD 15141A Cronenberg FDP 15147 C Dr. Marx CDU/CSU 15151A Dr. Corterier SPD 15154 C II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Möllemann FDP 15156D Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 15159B Würtz SPD 15162B Zywietz FDP 15164D Haase (Kassel) CDU/CSU 15167A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 15169B Picard CDU/CSU 15170D Namentliche Abstimmung 15172A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/3395 — 15174A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/3390 — 15174 C Nächste Sitzung 15174 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . .15175* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15045 191. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 190. Sitzung, Seite 15019* A, Zeile 10: Statt „Bundesrechtsrahmengesetz" ist „Beamtenrechtsrahmengesetz" zu lesen. Zwei Zeilen weiter muß es statt „Bundesbesoldungsgesetz" „Bundesbeamtengesetz heißen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 14. 12. Dr. Aigner* 14. 12. Alber* 14. 12. Dr. Bangemann* 14. 12. Blumenfeld* 14. 12. Brandt 11. 12. Egert 14. 12. Fellermaier* 14. 12. Frau Dr. Focke* 14. 12. Friedrich (Würzburg) * 14. 12. Dr. Früh* 14. 12. Dr. Fuchs* 14. 12. von Hassel* 14. 12. Katzer 14. 12. Dr. h. c. Kiesinger 12. 12. Dr. Klepsch* 14. 12. Lange* 14. 12. Lüker* 14. 12. Luster* 14. 12. Milz 14. 12. Dr. Müller-Hermann* 14. 12. Peiter 11. 12. Dr. Pfennig* 14. 12. Frau Schleicher* 14. 12. Dr. Schwarz-Schilling 13. 12. Dr. Schwencke (Nienburg) * 14. 12. Seefeld* 14. 12. Sieglerschmidt* 14. 12. Frau Tübler 14. 12. Frau Dr. Walz* 14. 12. Wawrzik* 14. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Wir haben dieses Problem im Kreis der Regierungschefs des Bundes und der Länder besprochen. Wir haben eine gemeinsame Lösung nach harten Verhandlungen erarbeitet. Die bayerische Staatsregierung wird sich an die Gemeinschaftslösung des Bundes und der Länder halten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Penner [SPD])

    Sie hat durch ihre Form der Lösung der Zwischenlagerprobleme die Voraussetzungen dafür geschaffen. Alles andere ist doch nur Polemik oder Irreführung der Offentlichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch ein Widersinn, wenn man gleichzeitig für und gegen dieselbe Sache ist.

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" stellt mit Recht fest: „Die Energiepolitik der SPD muß auf Grund solcher Beschlüsse noch mehr aus dem Lot kommen.
    Ich erspare es Ihnen aus Gründen der Nächstenliebe, die Haltung der bayerischen SPD zu dem Thema Zwischenlager hier darzustellen. Eine Schilderung des Kölner Karnevalszugs wäre im Vergleich damit noch eine nützliche Angelegenheit.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich muß diesen Oberblick mit der kurzen Behandlung eines Problems abschließen, das mit den bisherigen Maßnahmen nicht einmal teilgelöst ist, nämlich des Problems — neben der Versorgung mit Energie zu bezahlbaren Preisen und in ausreichender Menge — der Sicherstellung der Rohstoffversorgung unserer Wirtschaft ebenfalls zu bezahlbaren Preisen und in dem benötigten Umfang.
    Weite Teile unserer Wirtschaft sind nur dann existenzfähig, wenn die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen gesichert ist. Schlüsselrohstoffe wie Aluminium, Kupfer, Zink, Blei, Zinn und Nickel gehen in nahezu alle Industriezweige ein, die Wachstum, Export und Beschäftigungsstand tragen. Die Importabhängigkeit der Bundesrepublik ist nahezu total. Die Versorgungsrisiken haben sich angesichts der labilen politischen Lage in vielen Rohstofflieferländern stark vergrößert.
    Es ist besorgniserregend, wie schleppend die längerfristige Planung für eine ausreichende Rohstoffversorgung der Wirtschaft von der Bundesregierung betrieben wird, und wie sorglos sie auf die Ereignisse der jüngsten Zeit reagiert. Die Verhandlungen über die Ausgestaltung der Rohstofflager bei sogenannten sensiblen Rohstoffen und ihre Finanzierung sind leider nicht von der Stelle gekommen. Für einen 30%igen Importausfall an wichtigen Rohstoffen haben die Rohstoffexperten erschreckende Rückwirkungen auf die Gesamtproduktion in unserem Land errechnet. Bei den zehn wichtigsten Rohstoffen gerieten j e Rohstoff mehrere Millionen Arbeitsplätze in Gefahr. Allein eine Verknappung der Jahreseinfuhren an Chrom um 30 % würde einen Rückgang der gesamten bundesdeutschen Produktion um mehr als 25 % auslösen.
    In diesem Zusammenhang ist festzustellen — ich sage es nicht, um Probleme an die Wand zu malen, die wir in der Offentlichkeit nicht gern besprechen —: Der Zugriff der Sowjetunion auf die afrikanischen Rohstoffreserven, die Umklammerung und Einschließung des wichtigsten afrikanischen Rohstofflands Zaire mit Rohstoffreserven, die für Europa von lebenswichtiger Bedeutung sind, hätten die wirtschaftliche Abhängigkeit Westeuropas von Moskau zur Folge. Wir können, auch wenn wir Weltmacht weder sind noch jemals werden, die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen, daß die Europäer hier eine gemeinsame Aufgabe haben, sie aber aller Voraussicht nach nur gemeinsam mit den Amerikanern lösen können. Erlauben Sie mir nur die Stichworte: Afghanistan, wo ein treuer Satellit durch einen 150%igen ersetzt worden ist. Südjemen, wo ein treuer Satellit durch einen noch treueren ersetzt wurde, Iran, von wo die Auflösung der internationalen Ordnung droht, für die USA eine Herausforderung von tragödienhafter Größe. Der sowjetische Botschafter hat die Resolution des Sicherheitsrates unterstützt, aber gleichzeitig das wachsende Verständnis der Sowjetunion für die revolutionären Vorgänge im Iran bekundet. In der Weltpresse ist von einer zunehmenden Hinneigung Khomeinis zur Sowjetunion die Rede.
    Die labile Lage in den anderen erdölerzeugenden Ländern der arabischen Welt und um sie herum hält an und wird eher noch stärker. Siehe die Vorgänge in Saudi-Arabien, der langjährige Sicherheitspakt zwischen der Sowjetunion und Südjemen, vor wenigen Tagen geschlossen, dort, wo sich mindestens 6 000 Russen, Kubaner und DDR-Deutsche als militärische und polizeiliche Hilfskräfte befinden, mit Stoßrichtung gegen Kuweit, Katar, Oman, Bahrein, Vereinigte Emirate, Saudi-Arabien; der feste sowjetische Zugriff auf Äthiopien mit 12 000 Russen, Kubanern und DDR-Deutschen mit Addis Abeba als Hauptquartier für ganz Afrika; der Zugriff auf Sambia mit 6 000 Kubanern und 200 DDR-Deutschen, auf Mozambique mit 2 000 Kubanern und DDR-Deutschen, Angola mit mindestens 25 000 Kubanern und Lieferung modernster sowjetischer Waffen in gro-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den i 1. Dezember 1979 15063
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    ßer Menge, dazu Waffenlieferungen und Waffendepots in anderen afrikanischen Ländern.
    Das Ganze ist eine große strategische Offensive. Gründe: Mitte der 80er Jahre wird die Sowjetunion ein erdölimportierendes Land werden und aufhören, ein erdölexportierendes Land zu sein. Damit kommt ein Druck auf die Europäer und deren Südflanke sowohl militärstrategisch wie auch rohstoffpolitisch und energiepolitisch in immer größerem Maße zustande. Die Kontrolle der Erdöltransportwege um Afrika herum, auch durch die neuen Stützpunkte in Vietnam, die die Reichweite der sowjetischen Pazifikflotte um 4 500 km erhöht haben, nämlich durch Verlegung in diesem Umfange nach dem Süden. Die Nähe zum Indischen Ozean, zum Horn von Afrika. Gewinnung von Einfluß und Abhängigkeit in Westafrika zur Kontrolle des Südatlantik. Isolierung der USA in Verbindung mit dem anderen Krisenherd Lateinamerika, Abhängigkeit der Europäer bei Erdöl und Rohstoffen aus Afrika.
    Ich warne — aus eigener Kenntnis der Dinge und vieler führender Persönlichkeiten — vor der wachsenden Einschüchterung der zu den westlichen Demokratien neigenden schwarzen Präsidenten, und das in Verbindung mit der Zerschlagung des Widerstandes, der Widerstandsbewegungen gegen den kommunistischen Zwangsstaat. Was heute in Angola sich vollzieht, wo 40 % des rohstoffreichen Landes sich in den Häden der UNITAD, einer Widerstandsbewegung, befinden, die von Dr. Jonathan Sawimbi geleitet wird, ist doch eine große Tragödie, ein echtes Drama und ist für den Westen ein Armutszeugnis ohnegleichen: seine Freunde im Stich zu lassen und seine Feinde zu honorieren und zu unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich warne davor, bei den schwarzen Staatsmännern die Überzeugung geradezu systematisch zu züchten, daß Hinneigung zum Westen, Zusammenarbeit mit. Amerika und Europa den sicheren Untergang bedeute, daß Zusammenarbeit mit Moskau Überleben, Sieg und Macht bedeute. Das Ganze wird einen epidemischen Effekt haben. Wir Europäer werden in den 80er Jahren aufhören, über diese Vorgänge zu lachen, wenn wir dann an die Trauerspiele der 70er Jahre denken, wo diese unheilvolle Entwicklung eingeleitet worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da sollen wir mit einem Kanzler in die 80er Jahre gehen, der von diesen Dingen entweder nichts versteht oder gar nichts verstehen will, weil er darüber nichts auszusagen wagt und nichts aussagen kann, weil die Ideologievorurteile seiner Partei und seine eigene Unkenntnis der Probleme ihn daran hindern, mit anderen europäischen Freunden und mit Amerika diese Probleme so rechtzeitig aufzugreifen, daß ihr verhängnisvolles Endergebnis uns erspart bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

    Warum klären Sie denn das Volk nicht über die Vorgänge in der Welt und ihren Wetterecken auf?
    Warum sagen Sie nicht öffentlich, was Sie gelegentlich denken? Welche Ratschläge haben Sie denn Präsident Carter in Guadeloupe oder bei Ihren Telefongesprächen in der jüngsten Zeit gegeben?

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    Warum haben Sie den chinesischen Ministerpräsidenten unterhalb der Schwelle der internationalen Höflichkeit behandelt?
    Warum geben Sie auf Briefe keine ausreichende Antwort, wie auf meinen Brief vom 11. Oktober 1979? Mit der Frage, die in diesem Brief gestellt ist, Herr Bundeskanzler, möchte ich Sie hier in den letzten Sätzen meiner Ausführungen konfrontieren. Ich habe in diesem Hohen Hause im Januar 1973 als erster Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU mit ihrer vollen Ermächtigung das Wort „pacta sunt servanda" als die Haltung der Union gegenüber rechtmäßig zustande gekommenen, wenn auch von ihr nicht begrüßten, in der Formulierung weitgehend von ihr abgelehnten Verträgen verkündet. Ich habe dies bei meinem Besuch in Budapest im Gespräch mit Herrn Kadar wiederholt. Ich habe das nachher auch in der Offentlichkeit in einer Fernsehsendung getan. Daraufhin hat mir die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti vorgehalten, daß mein Bekenntnis „pacta sunt servanda nicht glaubwürdig sei, weil ich die Schlußfolgerung, daß mit diesen Verträgen die Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Nationen automatisch verbunden sei, abgelehnt hätte. Wer ja sage zu diesen Verträgen, der müsse auch ja sagen zur Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands nicht nur in zwei Staaten, sondern in zwei Nationen.
    Ich vertrete die Auffassung, daß nicht die vertragschließenden Partner das deutsche Verfassungsrecht verändern können, sondern daß die Verträge nur innerhalb der Grenzen des geltenden Verfassungsrechts ausgelegt werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel daran, daß nach unserem Grundgesetz — dargelegt in den beiden Urteilen von 1973 und 1975 — jede Erklärung, mit den Verträgen sei auch die Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands in zwei Nationen verbunden, einen glatten Verfassungsbruch darstellen würde. Ich habe deshalb sowohl in der Offentlichkeit wie im Gespräch mit sowjetischen und anderen Partnern aus diesem Bereich klargelegt, daß sich „pacta sunt servanda” auf die Erfüllung dieser Verträge bezieht, daß aber daraus nicht weitergehende Schlußfolgerungen für die ewige Teilung Deutschlands oder für die Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Nationen gezogen werden dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe gegenüber Herrn Jury Schukow oder vor wenigen Tagen Kodriaschow und anderen erklärt, daß der Herr Bundeskanzler hier genauso denkt wie wir und daß jeder Versuch, etwa hier die Deutschen in schlechte Deutsche und gute Deutsche, Entspannungsdeutsche und Gegenentspannungsdeutsche, friedliebende Deutsche und nichtfriedliebende
    15064 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Deutsche einzuteilen, zum Scheitern verurteilt sei. Aber ich erwarte von Ihnen, daß Sie mir auf diesen Brief antworten, Herr Bundeskanzler, in dem ich Ihnen vor sechs Wochen die Frage gestellt habe: Sind Sie der Meinung, daß das Bekenntnis „pacta sunt servanda" auch die Anerkennung der Teilung unseres Volkes in zwei Nationen einschließe, oder sind Sie mit mir der gegenteiligen Meinung? Warum antworten Sie denn nicht in der Offentlichkeit? Warum geben Sie mir denn keine Antwort darauf? Sagen Sie es doch einmal, damit dieser ewige Auslegungsschwindel ein Ende nimmt, mit dem man den einen gegen den anderen ausspielen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Und was haben Sie denn in Budapest gesagt, als Sie davon sprachen — ich bin ja hier nur auf Zeitungsmeldungen angewiesen —, die Preußen seien keine Deutschen gewesen, sondern ein Volk, die Boruzzen, die eher litauisch gesprochen hätten? Was hat denn das für einen Sinn? Natürlich gehört Preußen zu Deutschland, gehört Preußen zur deutschen Geschichte. Das darf ich als Bayer sagen, als einer, der sich immer zum Zusammenhalt der deutschen Nation bekannt hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum sagen Sie denn, Sie hören das Wort Wiedervereinigung nicht gerne? Das ist doch aus dem Munde eines Kanzlers eine Belastung. Wir alle wollen den Zusammenschluß der Deutschen in einer freiheitlichen gesamtstaatlichen Ordnung, wie immer man ihn bezeichnet. Hier muß eben langatmige geschichtliche Strategie auf unserer Seite gegenüber hartnäckigem zähem Machtwillen auf der anderen Seite stehen. Wenn wir nicht mehr den Tag erleben, dann dürfen wir nichts, aber nichts verspielen, damit unsere Kinder oder unsere Enkel diesen Tag erleben. Das ist doch deutsche Politik und ist auch langfristige deutsche Politik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Auf diese Fragen, Herr Bundeskanzler, können nur Sie die Antwort geben. Geben Sie eine Antwort in der Klarheit der Sprache, wie es der Ernst der Sache verlangt!

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der Deutsche Bundestag besteht, habe ich jede Haushaltsplanberatung miterlebt. Die diesjährige wird schwer einzureihen sein in die bisherigen Haushaltsplanberatungen des Deutschen Bundestages.
    Sie wurde eröffnet mit einer Art närrischem Vorspiel.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU — Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämt!)

    — Nein, bitte sehr, ich meine ja Herrn Schröder und
    Herrn Lothar Löffler. Weil der Herr Ministerpräsident noch nicht da sein konnte, stiegen die ein, und so ist das auch von ihnen beiden begriffen worden.

    (Kolb [CDU/CSU]: Löffler ist „närrisch"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wenn Sie sich nicht anders hörbar machen können als durch die Bloßlegung Ihrer inneren Unruhe, tun Sie mir auch leid!
    Es geschah erstmals, daß ein Mitglied des Bundesrats als sozusagen erster politischer Redner der parlamentarischen Opposition das Wort nahm. Das hat es in 30 Jahren nicht gegeben. Ich registriere das nur, denn die Rede selbst wird vielen Deutungen unterworfen sein. Meine Sache ist es nicht, Zensuren auszuteilen.

    (Zurufe von der CDU/CSU) — Das hätten Sie gern, nicht?

    Ich werde mir einige Bemerkungen zu einigen Bestandteilen des Erlebnisses dieser Rede erlauben, und zwar zu sachlichen Bestandteilen, denn die gibt es ja in dieser Rede auch.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wie gütig!)

    Der Herr Ministerpräsident hatte zwar gesagt, er wolle sowohl Rückschau als auch Vorausschau in seiner Rede "zu bieten bemüht sein, aber das, was er zunächst unter „Rückschau" geboten hat, war wenig. Es kann sein, daß das eben etwas durcheinanderkam. Es waren ein paar Angaben über die Forschungspolitik enthalten, auf die jedenfalls nicht nur die Kollegen meiner Fraktion, sondern sicher auch andere im Verlauf der Haushaltsdebatte noch werden zurückkommen müssen, die uns bis Freitag hier zusammen erleben wird.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Was Strauß gesagt hat, war alles zutreffend!)

    — Seien Sie nicht so unvorsichtig, das kommt sonst in das Protokoll! Dann wird man hinterher sehen: So schlau waren Sie auch nicht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Der Herr Ministerpräsident hat zunächst einiges zu dem gesagt, was er vom Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der vorigen Woche zu sagen für wichtig gehalten hat. Das ging natürlich gleich los mit dem Sich-Reiben an dem Motto „Sicherheit für die 80er Jahre". Das hatte ich damals geahnt: Das tut Ihnen allen wenn nicht weh., so juckt es Sie doch. Sicherheit, das ist ja ganz einfach eine Verpflichtung, die jemand übernimmt, in diesem Fall jedenfalls die Sozialdemokratische Partei, was sie zu tun bemüht sein wird, soweit das Sterblichen möglich ist, so lange, wie ihre Kräfte dazu reichen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dann kam das Thema der Mittelstreckenraketen. Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben, wie ich gemerkt habe, den Schlußtext, der angenommen worden ist. Das ist auch ganz in Ordnung. Ich wollte zu diesem Schlußtext, und zwar zu den Teilbereichen, die Sie ein wenig aus dem Zusammen-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Wehner
    hang gerissen zitiert haben, auch noch folgendes wörtlich zitieren. Es ist Auffassung der Sozialdemokraten:
    Friedenspolitik, die Politik der sozialen und politischen Entspannung, bleibt vom Rüstungswettlauf in der Welt bedroht. Sozialdemokratische Politik sieht, wie es im Godesberger Programm heißt, die Grundsätze der Landesverteidigung in der Schaffung von Voraussetzungen für eine internationale Entspannung und für eine wirksame kontrollierte Abrüstung. Dieser Auftrag des Godesberger Programms besteht unverändert fort.
    Entspannung und Abrüstung setzen Gleichgewicht voraus. Das globale Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aufrüstung gefährdet werden. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität.
    Dann wird betont:
    Die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müssen von der Friedensbereitschaft des anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. Verteidigungspolitische Maßnahmen dürfen nicht Überreaktionen sein, die aus Mißtrauen und Angst entstehen. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der jeweils anderen Seite muß in Rechnung gestellt werden. Die Art des innenpolitischen Schlagabtausches über die Begriffe „defensiv" und „offensiv' hat gezeigt, wie gering bisher Fähigkeit und Wille sind, in diese schwierigen Zusammenhänge einzudringen.
    Sie werden noch manche — auch für Sie, Herr Ministerpräsident, und auch für Ihre Mitwirkenden — interessante Stelle aus diesem Beschluß zur Friedenssicherung, zur Sicherheitspolitik, zur Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle finden, wenn Sie anordnen, daß sich Ihre Mitwirkenden Mühe geben.
    Jetzt komme ich zu der Stelle, die Sie, wenn auch nicht ganz im Zusammenhang, ebenfalls zitiert haben. Deutlich, Satz für Satz gelesen, heißt das, was da wirklich steht:
    Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren. Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden. Deshalb darf es keine Automatismen geben. Der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Aus diesen Gründen soll — so beschloß der Parteikongreß der Sozialdemokraten —
    die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung zu entwikkelnden Mittelstreckenwaffen in Europa (die frühestens 1983 möglich ist) nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
    Ziel der Verhandlungen ist es, durch eine Verringerung der sowjetischen und eine für Ost und West in Europa insgesamt vereinbarte gemeinsame Begrenzung der Mittelstreckenwaffen die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen.
    Da haben Sie jene Sätze aus dem Beschluß des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der in der vergangenen Woche durchgeführt worden ist, genau wiedergegeben, von denen Sie, Herr Ministerpräsident, einige zitiert haben.
    Herr Ministerpräsident, worum es den Sozialdemokraten geht und worauf Sie wohl auch hinzielen — Sie haben ja genau an dem Tag, der der Tag vor den NATO-Erörterungen in Brüssel ist, hier das Wort genommen, was auch Ihr gutes Recht ist —, ist das Folgende. Die Entscheidung, die von der NATO im Dezember getroffen wird, und gleichzeitig Verhandlungen mit der UdSSR, dem Warschauer Pakt sind untrennbar verbunden. Dies ist die Voraussetzung für das, was in der unmittelbar vor uns stehenden Zeit von uns, der Bundesrepublik Deutschland, als Bestandteil dieses Bündnisses, aus zu tun ist, zugleich durch die Verträge mit den Nachbarn im Osten, die zwar nicht wesensgleich mit den Verträgen sind, die uns in die westliche Verteidigungsgemeinschaft NATO und in die Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Gemeinschaft integrieren, die man aber, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen kann, als zweites Bein braucht, um an die Tische gehen zu können, an denen von Gleichberechtigten, wenn auch nicht Gleichmächtigen, über das, was auch unser Interesse ist, verhandelt wird: Sicherung des Friedens.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist es, was wir mit unserem Beschluß wollen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Darüber gibt es keinen Streit!)

    Da muß ich sagen, Herr Ministerpräsident: Uns Sozialdemokraten erscheint es als im Lebensinteresse unseres Volkes liegend, daß es auch im Zustand der staatlichen Trennung von uns nicht nur angesehen, sondern miterlebt wird als dennoch eine Nation.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Schreien Sie doch nicht so!)

    Ich komme in dem Zusammenhang wieder darauf zurück: Die Verträge — dazu gehört auch der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland — sind Verträge, mit deren Hilfe wir, soviel es geht und so durchgreifend es geht, den Menschen,
    15066 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Wehner
    die in beiden Teilen des staatlich getrennten Deutschland leben, nicht nur das Gefühl, eine Nation zu sein, zu erhalten suchen, sondern auch die Möglichkeiten zur Begegnung der Menschen in diesen getrennten Staaten, soweit es in unseren Kräften steht, zu verbessern trachten. Das alles muß dabei mit bedacht werden. Darüber zu reden — nehme ich an — ist keine Schande.
    Herr Ministerpräsident, Sie haben ein paarmal angespielt auf zwanzig Jahre, zehn Jahre und darauf, worauf diejenigen, die seit zehn Jahren in der Form der Koalition zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten regieren, eigentlich fußen und woraus sie schöpfen. Herr Ministerpräsident, für mich ist — ich gestehe es ganz offen, auch ein wenig abseits von den Feiern meiner eigenen Parteifreunde — entscheidend: In 30 Jahren Bundesrepublik Deutschland haben die Sozialdemokraten 17 Jahre als Opposition zugebracht, ausgehalten und dies zu einer konstruktiven Opposition entwickelt. Und Sie — Herr Ministerpräsident, Sie sind ja der Kanzlerkandidat für die nächstfällige Bundeskanzlerwahl — halten es noch nicht einmal aus — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, sondern ich meine die Kombination CDU/CSU zehn Jahre konstruktive Opposition zu sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    Es ist kein fremder Text, den ich jetzt zu zitieren mir erlaube. Da wir jetzt am Beginn der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsplans 1980 stehen, darf ich wohl in Erinnerung bringen, was Sie im November 1974, vor also etwas wenig mehr als fünf Jahren gesagt haben:
    Wir müssen Sie — d. h. uns —
    so weit treiben, daß Sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen.
    Es wird Ihnen allmählich klar, Herr Ministerpräsident, daß das nicht reicht, was Sie an Dampf dafür machen und aufbringen können. Das ist das eine

    (Beifall bei der SPD und der FDP) Sie haben damals weiter gesagt:

    Ich möchte zur Außenpolitik nur eine Bemerkung machen. Wir müssen sicherlich die europäische Idee am Leben halten, aber wir sind heute von jeder Möglichkeit einer europäischen Union, auch einer echten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weiter weg, als wir im Jahre 1950 gewesen sind.
    Hier schalte ich einmal eine Bemerkung ein, die eine indirekte Frage ist, Herr Ministerpräsident. Da haben Sie sich wirklich geirrt. Ich nehme an, das wissen Sie auch; Sie sind ja intelligent genug, das auch einzusehen. Ob Sie das auch öffentlich sagen werden, ist wieder eine andere Frage. Ich dränge auch nicht darauf, daß Sie es tun. Wir Sozialdemokraten haben doch aber auch als Opposition in jenen 17 Jahren, ehrlich und aufrichtig, wenn auch mit nicht verdeckten kritischen Anmerkungen, Stellung bezogen. Ich denke z. B. an die Zeit, als ich zusammen mit meinem Freund und Bruder 011enhauer Mitglied der — es nannte sich damals nicht Parlament; so anspruchsvoll waren wir nicht — ersten Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war. Damals war mein Kontrahent der von mir verehrte und bis zu seinem Tode als ein Lehrer und Freund geschätzte Jean Monnet. Sie haben ja auch eine Vorstellung von ihm gehabt, wenn auch Ihre Begegnungen nicht so häufig waren, was ich Ihnen nicht vorwerfe; dies ergab sich vielmehr aus den verschiedenen Verpflichtungen. Ich war nie so sehr verpflichtet wie Sie oder auch wie er. Ich war eben immer ein Abgeordneter.
    Ihre damalige Aussage — damit komme ich auf das früher Gesagte zurück —, daß man in der Entwicklung einer europäischen Union weiter zurück sei als im Jahre 1950, ist doch einfach falsch gewesen.
    Im Jahre 1955,
    — so haben Sie damals betont —
    im Jahre 1960, im Jahre 1965 oder wann auch immer ist man in einem fast hoffnungslosen Zustand angelangt, wobei der moralische Zustand Europas schlimmer ist als der materielle oder der politische oder der militärische. Die Europäer sind total degeneriert.
    — ich muß schon sagen, Sie waren unvorsichtig, Herr Ministerpräsident —
    Sie sind ausgetreten aus der Geschichte, erwarten, daß die Amerikaner wenigstens für sie noch Wache halten, verschließen die Augen vor der sowjetischen Gefahr, begreifen nicht, daß das Kooperationsangebot der Sowjetunion einen Hegemonieanspruch bedeutet. Deutschen Kraftwerken an der Wolga oder in Ostpreußen, die den Strom von den Arabern zu uns hineinbringen — ich kann nur sagen
    — haben Sie, Herr Ministerpräsident, damals betont —
    man weiß schon bald nicht mehr, welches Land auf der Welt man zur Emigration empfehlen soll.

    (Lachen bei der SPD)

    Ich sage Ihnen — Sie wissen es genau —: Sie brauchen nicht zu emigrieren; wir brauchen alle nicht zu emigrieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber es macht sich so gut, wenn man auch tragisch sprechen kann. Ich verlange nie, daß einer besonders fröhlich tun muß. Den Mitlebenden, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern aber jedenfalls Zuversicht zu vermitteln, sollte man eigentlich auf sich nehmen.
    Zwischenzeitlich
    um mit dieser Emigrationsphilosophie fortzufahren —
    kann man Neuseeland, Australien oder Kanada
    vielleicht noch nennen, auch Palästina. Das sind
    aber auch nur Übergangsstationen. Summa
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den i 1. Dezember 1979 15067
    Wehner
    summarum, für uns heißt die Summe: Dieses Europa kann nicht gesund werden, wenn die Bundesrepublik nicht wieder wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch, militärisch ein Stabilitätsfaktor erster Ordnung wird, wenn das von der Bundesrepublik wieder ausgeht. Das kann aber nur ausgehen — da bin ich jetzt wirklich am Ende —,
    — so haben Sie damals gesagt; Sie sind es ja heute noch nicht —
    wenn die Krise so stark wird, daß aus der Krise ein heilsamer Schock erwächst und damit die Bereitschaft, die Konsequenzen aus dieser Zeit auch tatsächlich auf sich zu nehmen. Sonst läuft sich
    — das haben Sie damals schon so gesagt — jeder Kanzlerkandidat tot.
    Deshalb hat es auch gar keinen Sinn, wenn wir uns in den nächsten Monaten nun überlegen: Wer ist am telegensten? Wer wirkt am besten? Wer hat nach der Umfrage von Wickert oder Infas — oder wie sie alle heißen — die meisten Chancen?
    Es ist alles belanglos oder Cura posterior. Zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet, diese Maßnahme glaubhaft an der Spitze einer aktionsfähigen Regierung und Parlamentsgruppe dann auch tatsächlich durchzuführen? Damit wird dann das Karussell der Eitelkeit für eine Zeitlang gestoppt sein.
    –Das haben Sie damals im November 1974 so gesehen, und vieles von dem, was Sie damals gesehen, vorausgesehen und geschätzt haben, ist nicht ganz so gekommen. Aber mit dem, was Sie am Ende schließlich gesagt haben, haben Sie selbst einen Fehler gemacht, Herr Ministerpräsident. Sie haben damals gesagt:
    ... zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet ...
    Sie haben jetzt schon geraume Zeit vorher darüber abstimmen lassen, wer geeignet ist, und das sind nun Sie. Ich bitte Sie um Entschuldigung: Sie tun mir fast leid;

    (Beifall bei der SPD)

    denn Sie müssen jetzt fortgesetzt treten — ich meine Pedale treten —, obwohl Sie Motore lieber hätten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber da Sie selber einer sind, werden Sie das schon versuchen hinzukriegen. So ist das, Herr Ministerpräsident.
    Was die Kernkraftkritik — ich meine Ihre Kritik an dem Verhalten der Sozialdemokraten während ihres Parteikongresses gegenüber der Kernenergieproblematik — betrifft, muß ich einiges wenige hinzufügen. Es ist eine Tatsache, daß für Sozialdemokraten die Problematik der Kernenergie kein Spielmaterial ist.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU)

    — Ja, sicher ist das so. Entschuldigen Sie, bei Ihnen ist das anders. Da lacht der mit der seltsamen Nase. Den sehe ich sonst nur in Fragestunden. Er ist einer Ihrer Experten für Fragestunden.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Was soll denn das? Natürlich ist es schwer für eine Partei, wenn sie sowohl so viele Mitglieder hat als auch so viele, die sie ansprechen möchten und die umgekehrt auch die Partei ansprechen möchte, daß sie sich mit vieler Leute Auffassungen befassen und auseinandersetzen muß.
    Herr Ministerpräsident, Sie sind sehr unvorsichtig gewesen, als Sie diese Mischung hier darbrachten: Pyrrhussieg heißt Helmut-Schmidt-Sieg. Sie werden das noch erleben. Sie wissen es im Grunde auch, daß es mit dieser Ihrer Prophezeiung so fest nicht ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie sagen das so in dem Sinne: Man muß mit den eigenen Leuten, jedenfalls denen, auf die man angewiesen ist, in dieser Ihrer Kombination CSU /CDU mit dem Schrägstrich durch die Mitte, wenn auch umgekehrt in der Buchstabierung, natürlich versuchen, das zuwege zu bringen.
    Warum haben Sie eigentlich den Bundeskanzler so konzentriert sozusagen unter Feuer genommen, Herr Ministerpräsident? Ich hatte bei dieser Gelegenheit den Eindruck, ich verstünde nun erst ganz richtig, was Sie kürzlich gesagt haben. Ich nehme die Textangabe einer sicher auch für Sie völlig unverdächtigen Zeitung — es ist die „Frankfurter Allgemeine" mit dem Untertitel: „Zeitung für Deutschland" —, und darin steht:
    Vor der Fraktion sagte Strauß dann, die CDU befinde sich 1980 in einer historischen Situation.
    Sie wissen es besser; die Gefahr kommt nämlich gleich hinterher.
    Dies rechtfertige aller Anstrengungen. Falls man 1980 eine Wahlniederlage erleiden sollte, wäre die Union für lange Zeit von der politischen Verantwortung ausgeschlossen. Deshalb müssen sich beide Parteien
    — Sie meinen diese CSU /CDU-Parteien —
    zu einer Kampfgemeinschaft zusammenfinden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich habe damals, als ich das las, gedacht: Das ist eine mehrschichtige Begründung. Natürlich will der Mann Impulse geben, natürlich will er vorantreiben — die anderen —, und natürlich tut er auch so, als ziehe er sie mit. Das mag alles sein, ist menschlich ganz verständlich. Nur, das alles unter ständigem Feuer gegen den Bundeskanz-
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    ler Helmut Schmidt muß irgendwo einmal zu Asche werden, Herr Ministerpräsident.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das kann man nicht beliebig perpetuieren. Das kann man nicht!
    Noch einmal zurück zu der Kernernergiemäkelei. Ich bin, was dieses Kapitel betrifft, einer, der sagt: Es wäre weder richtig zu sagen „Kernenergie um jeden Preis"

    (Oh-Rufe bei der CDU/CSU)

    — ich bitte Sie, ich sage doch, was ich denke — noch „Kernenergie um keinen Preis".

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Soviel Plattheit!)

    — Ich bitte Sie, nehmen Sie sich doch zusammen, falls Sie das können. Irgend etwas bubbelt in Ihnen, und Sie müssen heraus aus der Öffnung mit dem, was bei Ihnen bubbelt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist sehr einfach: Wir haben zwei Texte, auf die wir uns berufen können. Der eine ist die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt von 1976 mit den Punkten 23 bis 31. Jede Mitbürgerin und jeder Mitbürger können sich darauf berufen, und wo sie finden, daß da etwa in Beziehung auf Sicherheit etwas nicht eingehalten werde, können sie darauf pochen, daß diese Erklärungen eingehalten werden. Ich finde, es tut selbst einer parlamentarischen Opposition auch im außerparlamentarischen Getriebe und Gehabe nicht gut, wenn sie von vornherein davon ausgeht oder so tut, als sei eine Regierungserklärung nichts anderes als ein Stück Papier, das man ganz einfach zurückweisen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Da muß eine Opposition die Regierung, zu der sie in Opposition steht, jeweils darauf ansprechen und festlegen und von ihr Rechenschaft verlangen.
    Ich will hier gar nicht zitieren, was mein Lehrmeister — er war es weiß Gott — Kurt Schumacher in der ersten Rede, die hier von einem Oppositionsführer — — Da feixen Sie. Auch ein Gegner von Kurt Schumacher wird angesichts der Nennung seines Namens nicht feixen. Aber über Geschmack läßt sich mit Ihnen nicht streiten. Das ist mir klar. —

    (Beifall bei der SPD)

    Lesen Sie das bitte — das ist ja im Bundestagsprotokoll —, die erste Rede des Oppositionsführers damals gegen den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer über die Rolle der Opposition. An diese haben wir uns dann auch, soweit wir bei Kräften waren, auch gehalten.
    Nochmals zurück zur Kernenergie. Wir haben am 14. Dezember vorigen Jahres — das jährt sich demnächst — mit einer knappen Mehrheit, zugegeben, aber mit einer Mehrheit eine Entschließung gefaßt, die genau die Möglichkeiten — —

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Erzwungen!)

    — Wenn Sie das wollen: „erzwungen". Im Parlament, Herr Jenninger, ist es üblich: Wer eine Mehrheit
    hat, bringt etwas zustande. Wenn dann der Unterlegene sagt: „Erzwungen", dann tut er mir leid, weil er nicht einsieht oder vergessen machen will, daß er nicht gezwungen worden ist, sondern daß er in der Minderheit war. Dort, wo wir Minderheit waren, haben wir auch nicht behauptet, die anderen hätten uns etwas aufgezwungen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Da gibt es wohl Wesensunterschiede. Befassen Sie sich damit. Über die Feiertage haben Sie genug Gelegenheit dazu, wenn Sie sie nicht nur verfeiern und verfeuern. Befassen Sie sich auch einmal mit solchen Gedanken. Ich verlange ja gar nicht, daß Sie meine Gedanken übernehmen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Gott bewahre uns!)

    Gehen Sie einmal in diese Dinge hinein, dann werden Sie manches finden.
    In dieser Entschließung ist die Einsetzung einer Enquetekommission beschlossen worden. Es hat leider lange gedauert, bis sie eingesetzt worden ist, für meinen Geschmack zu lange; sie hätte in Ausführung des Beschlusses schon einige Zeit früher eingesetzt werden können. Aber es ist in Ordnung; sie ist eingesetzt. Wenn wir auf das hinweisen, was diese Enquetekommission prüfen, feststellen und schließlich auch darlegen soll, ist das zusätzlich zu der Regierungserklärung von 1976 die Gewährleistung dessen, daß niemand meinen muß, er sei sozusagen einer Wiederholung von Harrisburg — oder was es sonst noch an Ähnlichem geben kann — einfach hilflos ausgeliefert. Soweit es in den menschlichen Kräften, im menschlichen Ermessen und in den menschlichen Möglichkeiten liegt, sind in dieser Kommission alle vertreten, die Sicherheit vor bloße Wirtschaftlichkeit stellen, und das gehört zu dem, was wir im Zusammenhang mit der Kernenergie sagen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun haben Sie, Herr Ministerpräsident, sich ein wenig mit den Sozialdemokraten und ihrem Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft befaßt. Da haben Ihre Vorbereiter Ihnen einiges nicht gezeigt, was nicht völlig außer acht gelassen werden darf, wenn es sich darum handelt, diese Erörterungen und Auseinandersetzungen um Wirtschaft, um soziale Marktwirtschaft usw. zu entwickeln.
    Natürlich gibt es in der Sozialdemokratischen Partei manche unterschiedliche Bewertungen und auch manche gegensätzliche Bewertungen. Aber in unserem Grundsatzprogramm gibt es klare Festlegungen zu stetigem Wirtschaftsaufschwung, zu Eigentum und Macht, zur Einkommens- und Vermögensverteilung, zur Agrarwirtschaft, zu den Gewerkschaften in der Wirtschaft, zur sozialen Verantwortung usw. Da finden wir, daß es z. B. heißt:
    Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. Die Autonomie der Arbeitneh-
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    mer- und Arbeitgeberverbände bei Abschluß von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Bestandteil freiheitlicher Ordnung. Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die Freiheit. Deshalb bejaht die Sozialdemokratische Partei den freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter die Vorherrschaft von einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die Freiheit in der Wirtschaft zu erhalten. Wettbewerb so weit wie möglich — Planung so weit wie nötig!
    Das ist doch wohl diskutabel, meine Damen und Herren,

    (Beifall bei der SPD)

    oder wollen Sie das einfach verbieten? Dazu wäre noch manches zu sagen, denn Sie haben das, was Sie damit eigentlich gemeint haben, nur etwas schief angeleuchtet.
    Sie haben dann übergeleitet — inzwischen ist mir dann der geschriebene, der vorgeschriebene Teil Ihrer Rede auch noch in die Hände geraten, und zwar nicht illegitim, sondern durch den Pressesprecher; die Presseleute hatten ja die Rede vorher — und haben sich dann an des Bundeskanzlers — nicht zitierte, sondern von Ihnen oder, sagen wir besser, von Ihren Mitwirkenden gegebene — Auslegungen der Rentenentwicklung gehalten. Das war nicht nur mit Fehlern behaftet; es war auch müßig, dies noch einmal aufkochen zu wollen. Sie haben ja die Regierungserklärung von 1976. Damals hat der Bundeskanzler ein — wie er sich ausgedrückt hat — Wort zu Beginn gesagt, nämlich:
    Der Regierungserklärung soll ein Wort zum Rententhema vorangestellt werden, das in der vorigen Woche die Diskussion beherrscht hat. Kein Zweifel: Es hat zu einer ernsthaften Beunruhigung und zu einer Belastung des Vertrauens in die sozialliberale Koalition und in die Bundesregierung geführt.
    Die Verhandlungsdelegationen beider Koalitionsparteien hatten sich an Hand des Gutachtens des Sozialbeirats vom 15. Oktober der ja seit 20 Jahren die Maßstäbe für den Rentengesetzgeber gesetzt hat, und anderer neuerer wirtschaftlicher Daten mit der Gesamtheit der gesetzgeberisch notwendigen Schritte zur finanziellen Konsolidierung der Rentenversicherung und der Krankenversicherung in tiefgreifender Weise befaßt. Sie hatten dabei — unter anderem — auch eine Verschiebung der für den Juli 1977 vorgesehenen Rentenanpassung um sechs Monate ernsthaft in Erwägung gezogen. Ich will dies vor dem Bürger nicht verschleiern, sondern ich will es bestätigen. Wir hatten es uns damit allerdings sehr schwer gemacht.
    Die Reaktionen vieler Bundestagsabgeordneter, vieler Bürger und der öffentlichen Meinung waren heftig. So heftig hatten wir diese Ablehnung nicht erwartet,
    — das Protokoll verzeichnet hier „Lachen bei der CDU/CSU" —
    obwohl klar war, daß es große Kraft brauchen würde, eine solche Entscheidung, wenn wir sie für unausweichlich gehalten hätten, glaubhaft zu machen und sie im Bundestag, in seinen Parteien, Fraktionen und Ausschüssen, zur Annahme zu bringen.
    Und dann kommt das, was weiter gesagt wurde, nachdem er erklärte:
    Ich will das offen zugeben. Aber ich darf hinzufügen: Eine Regierung ist nicht unfehlbar. Dies behaupten nur totalitäre Regierungen von sich.
    Meine Damen und Herren, es wird ja wieder mit diesem Begriff „Rentenbetrug" jongliert. Ich sehe da ziemlich dicht vor mir einen Herrn Kollegen, dessen kürzlich in einer Tageszeitung unter diesem Thema veröffentlichte philosophische Betrachtungen ich bedaure; ich hoffe, es wird einmal Gelegenheit geben, dies zu klären.

    (Dr. Blühm [CDU/CSU]: Heute noch!)

    — Sagen Sie mal, Sie melden sich ja selber! Ich hatte Sie gar nicht genannt, Herr Blüm.

    (Heiterkeit bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/ CSU]: Ich brauche mich nicht zu verstekken!)

    — Sie haben mir nur leid getan, als ich das las. Denn bei aller politischen Gegnerschaft finde ich immer, Sie treten zwar manchmal daneben bei einem Versuch, nach vorn zu treten, aber Sie sind jedenfalls aufrichtig. Aber da fand ich, da ist irgend etwas nicht ganz in Ordnung, und das wollte ich einmal mit Ihnen besprechen.