Rede von
Dr.
Horst
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Also, Herr Kollege Mertes, dies war so schief, daß ich darauf nicht anworten will.
— Dies war ganz schief, Herr Barzel, sich hier hinstellen und auf die Einhaltung einer Akte pochen, die man in diesem Hause abgelehnt hat, das ist nicht sehr überzeugend für mich.
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Frage der deutschen Nation sagen. Ich bin ja der Meinung, wir können uns darin noch einig werden. Unser zentrales Anliegen bei der Diskussion über den Begriff der „Wiedervereinigung" — der Bundeskanzler hat das am 17. Mai in der Debatte über den Bericht zur Lage der Nation sehr eingehend vorgetragen — ist der Zusammenhalt der Nation, der wie jeder anderen Nation das Selbstbestimmungsrecht zusteht. Dann müssen wir aber aufhören, diese Frage mit territorialen Forderungen oder mit juristischen Konstruktionen zu belasten, die nur eines bewirken werden: daß nämlich unsere Nachbarn im Osten wie im Westen nicht bereit sein werden, mit uns für Fortschritte in der deutschen Frage einzutreten. Soweit die deutsche Teilung überhaupt überwunden wer- den kann, kann sie nur in dem Maße überwunden werden, in dem die europäische Teilung überwunden werden kann. Dazu brauchen wir unsere Nachbarn in Ost und West. Es wäre sehr gut, im Interesse des Zusammenhalts unserer Nation darüber noch ein bißchen länger und unpolemischer nachzudenken.
Lassen Sie mich damit zu dem innenpolitischen Thema kommen, das für die Sicherheit der 80er Jahre, für Wirtschaft, Arbeitsplätze, Lebensstandard — der nicht unabhängig von der Lebensqualität gesehen werden darf —. wichtig ist, zur Frage der Energieversorgung. Herr Barzel, ich kann nur lachen,
wenn Sie uns hier vorhalten, was 1973 gesagt worden ist. Dann sehen Sie doch mal an, was 1973 die anderen Regierungen gesagt haben, was Sie selbst gesagt haben, was die Wissenschaft gesagt hat. Sie sind offenbar keine lernfähigen Leute.
— Sie sind offenbar keine lernfähigen Leute, die bereit sind, neue Tatsachen und neue Erkenntnisse in ihrer Politik zu verarbeiten. .
In den letzten zwei Jahren hat sich die Ölversorgung drastisch verschlechtert. Keiner von uns hat 1977 gewußt, wie das im Iran aussehen würde.
Dabei ist folgendes interessant: Sie reden viel über Kernenergie. Aber ich glaube, von Harrisburg haben Sie überhaupt noch nichts gehört.
Ich höre das nie in Ihren Diskussionen. Auch Gorleben nicht.
Das heißt, Sie haben noch nichts davon gehört, daß sich auch in dieser Beziehung — Entsorgungsfrage — die Situation erschwert hat.
Daß es bei der Kohle mehr Probleme gibt, das haben Sie gehört, das haben Sie gesagt und das ist auch richtig.
Ich denke immer, das kann doch nicht sein: Da gibt es eine Partei, die spiegelt nicht in einem Millimeter die Diskussion wider, die im Augenblick uns und andere Industriegesellschaften am stärksten schüttelt, nämlich die Kernenergiediskussion. Die gibt es bei Ihnen gar nicht.
— Es gibt sie bei Ihnen überhaupt nicht. Das letzte bißchen schlechtes Gewissen, das Sie dabei hatten, haben Sie in der Person von Herrn Gruhl inzwischen ausgeschieden.
Lassen Sie uns doch einmal überlegen! Sie behandeln immer nur eine Seite. Sie behandeln immer nur die Frage der Sicherheit der Versorgung; dazu komme ich auch gleich. Aber ich möchte doch einmal von Ihnen wissen — und die Leute draußen wollen es wissen —, ob Sie es eigentlich ernst meinen,
15094 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Dr. Ehmke
wenn Sie von dem Grundsatz sprechen, daß Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit geht, oder ob das nur eine Phrase ist, aus der Sie keine Folgen ziehen. Sehen Sie, wir sagen: weg vom 01. Darin sind wir uns sicher einig. Wir sagen zweitens: Energie sparen. Da sind wir uns schon nicht mehr einig.
— Ich habe ja gelesen, was Herr Narjes gesagt hat: Energie sparen, aber bitte alles nur über den Markt; nicht einmal der Geräteindustrie soll vorgeschrieben werden können — Herr Narjes nickt mir zu —, daß keine energievergeudenden Geräte gebaut werden.
Sie brauchen auch nicht in Richtung zum Wirtschaftsminister zu gucken. Wir sind da auch verschiedener Meinung. Ich sage Ihnen, Herr Narjes, zu diesem ganzen Thema eins:
Wenn wir in den 50er und 60er Jahren den sogenannten Lehren der sogenannten reinen Marktwirtschaft gefolgt wären, dann hätte dieses Land gar keine Energiealternative, weil wir keine Kohle mehr hätten.
Das hat Herr Kollege Barzel vergessen zu sagen. Wenn wir heute keine Kohle mehr hätten, würde es uns wenig trösten,
daß wir sie dem billigen Importöl nach „streng marktwirtschaftlichen" Grundsätzen unter Anführung von Ludwig Erhard geopfert hätten.
Also: Energie sparen, aber in sehr viel drastischerer Weise, als das bisher geschehen ist, weil nämlich auch bei den Alternativenergien wie beim Energiesparen die Zeithorizonte viel länger sind, als das die Kritiker unseres Beschlusses in der eigenen Partei sehen. Das wird als Jahrzehnte dauern, bis wir so weit sind.
Nun komme ich zur Kohle und zur Entsorgung der Kernenergie. Das hängt nämlich miteinander zusammen. Ich muß immer lachen: Bei Ihnen ist Kernenergie so eine Art Mutprobe. Ich habe nachgelesen. Schon vor zwei Jahren hat mir Herr Kohl in der Haushaltsdebatte zugerufen: Nun sagen Sie doch „ja" zur Kernenergie. Das ist so eine bekennerhafte Art, mit Technik umzugehen: Mutprobe.
— Ja, lieber Herr Kohl, die Frage, die Sie beantworten müssen, ist, daß wir heute in der Welt — und da würde ich es doch sehr gerne sehen, daß Sie wenigstens den Eindruck nach draußen zu vermitteln suchen, daß Sie die Sorgen der Bürger ernst nehmen
— über 200 Kernkraftwerke haben und keiner weiß, wo am Ende der Atommüll bleibt. Diesen Kritikpunkt der Umweltschützer und der Kernkraftgegner
hat man ernst zu nehmen, wenn man selbst ernst genommen werden will.
Wir hatten gehofft, das mit dem integrierten Entsorgungszentrum Gorleben schnell über die Bühne zu kriegen.
— Ach, ich bitte Sie doch, verteidigen Sie doch nicht Herrn Albrecht. Ich verstehe ja Herrn Albrecht sehr gut; der schiebt das zwar auf die anderen Parteien ab, aber er hat ein bißchen Angst gekriegt, als da 80 000 Demonstranten in Hannover waren.
— Ich tadle das noch nicht einmal, weil wir doch am Ende Kernenergie nur dann werden bauen können, wenn wir die große Mehrheit unserer Bevölkerung davon überzeugt haben, daß das notwendig ist
und daß alles zur Sicherheit getan worden ist, was geht.
Und was machen Sie? Sie klammern heute hier die Frage der Entsorgung völlig aus. Was heißt denn das, der Parteitag soll „grünes Licht" geben für Atomkraftwerke? „Grünes Licht", das ist eine Frage von Zwischenlagern, das ist eine Frage von Bearbeitung oder Wiederaufbereitung, das ist eine Frage vom Endlager. Sie können doch nicht so tun, als sei das eine reine Frage von „Die Welt als Wille und Vorstellung", Sie wollen, und dann geht das. Das wäre nicht verantwortlich gegenüber den Menschen und gegenüber den Sicherheitsproblemen, die es gibt.
Darum sagen wir folgendes: Wir teilen die Meinung
— und das steht bei uns klipp und klar drin —: weder Energiesparen noch Alternativenergien noch verstärkter Kohleeinsatz — ich stimme darin Herrn Strauß zu — werden in den nächsten Jahrzehnten unseren Bedarf im Strombereich decken können, wir werden auf Kernenergie nicht verzichten können. Das war die Kampfabstimmung in Berlin. Nehmen Sie das Ergebnis zur Kenntnis. Aber bevor wir jetzt einen weiteren Zubau machen, wollen wir doch sehr sorgfältig — die Landesregierungen und die Bundesregierung werden bei der Fortschreibung der Reaktorsicherheits-Richtlinien ja bald vor der Aufgabe stehen — diesen Zubau, wenn er nötig wird, an bestimmte, stufenweise Bedingungen binden. Und um Zeit für die Entsorgung zu gewinnen, befürworten wir nicht generell, sondern — wenn Sie richtig gelesen hätten, würden Sie das wissen — für die nächsten zehn Jahre den Vorrang der Kohle. Wenn Sie sich mal ansehen, wie viele Kohlekraftwerke genehmigt sind und nicht gebaut werden oder im Genehmigungsverfahren sind, dann merken Sie, da ist eine ganze Menge Luft drin. Wir sagen das, obgleich wir die Umweltschutzprobleme der Kohle kennen. Wir sagen: Vorrang der Kohle, die
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15095
Dr. Ehmke
Zeit nutzen, um in der Entsorgung praktisch weiterzukommen, damit auch Herr Albrecht weniger Sorgen haben muß. Wenn es aber notwendig ist, doch schon zu einem bestimmten Zeitpunkt Kernkraftwerke zuzubauen, dann bitte mit Entsorgungsmaßnahmen, die den Grundsatz „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit" nicht zur Farce werden lassen.
Wir fordern bestimmte Bedingungen für den Bau, der zehn Jahre dauert. Für die Inbetriebnahme fordern wir noch viel härtere Bedingungen, um den Menschen glaubwürdig sagen zu können: Jawohl, hier geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit.
Ich finde es wirklich unerhört, wie Sie in dieser Frage mit den Gefühlen und den Ängsten von Menschen umgehen, sich hier in Pose stellen, ohne ein Wort zu den Schwierigkeiten zu sagen, die noch vor uns stehen. Das ist nicht in Ordnung. So kann man nicht mit den Sorgen von Menschen umgehen, auch nicht mit Sorgen, die man selbst nicht teilt.
Ich sage in diesem Zusammenhang aber auch etwas, bei dem Sie mir nun wieder zustimmen werden, aber manche meiner Freunde nicht. Ich bin der Meinung, daß vom Bedarf her die Frage für die Bundesrepublik dahin zu beantworten ist, daß man für die nächsten Jahrzehnte auf Kernenergie nicht verzichten kann. Dieses Argument wird noch wesentlich stärker, wenn man die weltweite Entwicklung sieht. Es ist kein Zufall, daß die Nord-Süd-Kommission von Willy Brandt unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit, vom Sozialisten Olof Palme über den früheren Chef der britischen Konservativen, Ted Heath, bis hin zu den Vertretern der Entwicklungsländer, gemeinsam zu der Erkenntnis gekommen ist, daß gerade im Interesse der Dritten Welt, wo die Bevölkerung sich explosiv vermehrt und darum der Energieverbrauch besonders drastisch steigt, weltwirtschaftlich in den nächsten Jahrzehnten auf Kernenergie nicht verzichtet werden kann. Aber diese Tatsache heißt nicht, daß wir unsererseits auf das MaB an Sicherheit verzichten könnten, das wir in einem bestimmten zeitlichen Ablauf mit unserer Kapazität, mit unserer Technik, mit unserem Know how auch wirklich erreichen können.
Ich will, weil die Zeit fortgeschritten ist, nicht noch einmal auf den auf dem Parteitag diskutierten Vorschlag für die größte gesellschaftspolitische Reform eingehen, die wir in der nächsten Legislaturperiode zu bewältigen haben werden, nämlich die Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Sozialversicherung. Ich bin nur der Meinung: Auch wenn man am Ende anderer Meinung ist als wir, Norbert Blüm, sollte man eigentlich anerkennen können, daß hier die SPD-Arbeitsgruppe „Sozialpolitisches Programm" unter Herbert Wehner eine phantastische Diskussionsgrundlage vorgelegt hat.
— Aber, Kollege Blüm, was heißt denn „Für jeden etwas"? Wir haben, weil Millionen von Menschen davon betroffen sind, statt zu sagen „So ist es, friß, Vogel, oder stirb!", Alternativen aufgezeigt. Bevor
entschieden wird, wollen wir eine breite Diskussion mit den Betroffenen, daß sie nicht das Gefühl haben: Das wird von oben gemacht.
Ich will hier im einzelnen nicht darauf eingehen. Ich habe nur eine Bitte: Ich fände es außerordentlich gut, Herr Kohl, wenn wir dafür sorgen könnten, daß diese Debatte der Rentenreform möglichst nicht — auch aus Ihren Reihen nicht — begleitet wird mit irgendwelchen Forderungen, die Bundestagsdiäten schon wieder zu erhöhen. Das paßt schlecht zueinander.
Ich sage das, weil ich Zeitungsmeldungen gelesen habe und ich der Meinung bin — —
— Augenblick! Ich habe Zeitungsmeldungen gelesen.
— Wenn Sie statt zu schreien zuhören könnten, Herr Jenninger, stünde Ihnen das sehr gut an.
Ich habe Zeitungsmeldungen gelesen, daß aus Ihren Kreisen die Frage aufgeworfen worden ist.
Wenn das falsch ist, dann können Sie das hier richtigstellen. Stellen Sie sich hier nicht an wie so ein Rumpelstilzchen!