Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Entschuldigung, ich bin schon beim nächsten Thema. Ich bin schon bei der Ostpolitik und nicht mehr bei der Energiepolitik.
Herr Strauß, wenn Sie Ihre Bereitschaft erklären, Verträge einzuhalten, so ist dies für mich nicht nur selbstverständlich, sondern meines Erachtens noch zu wenig. Daß Sie Verträge einhalten wollen, habe ich unterstellt, genauso wie ich unterstelle, daß jeder von uns sich Mühe gibt, das Grundgesetz und die Gesetze einzuhalten. Gleiches hat für Verträge zu gelten. Darum bemühen wir uns alle.
— Man kann damit einmal hereinfallen. Ich erinnere mich an das Fernsehurteil gegenüber dem Bundeskanzler Adenauer heute vor 18 Jahren.
Das kann vorkommen.
Was die Verträge angeht, so kommt es darauf an, sie mit innerem Leben zu erfüllen, auf ihnen aufzubauen und mehr daraus zu machen, als dem bloßen Buchstaben, der im Gesetzblatt steht, zu entnehmen ist.
Der Herr Ministerpräsident hat in diesem Zusammenhang auf einen Brief abgehoben, den er mir ge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15107
Bundeskanzler Schmidt
schrieben hat. Ich gebe Ihnen recht, Herr Ministerpräsident: Ich hatte diesen Brief bisher nicht beantwortet, weil Ihr Brief eine Antwort auf meinen Brief gewesen ist. Ich wußte nicht, daß Sie den Briefwechsel noch fortsetzen wollten. Ich gebe die Antwort aber gern jetzt.
— Ja, diese Fragen will ich gern beantworten.
— Wenn Sie so gut sind, mir das Wort zu lassen, will ich die Frage jetzt gern beantworten. Der Briefwechsel bezog sich übrigens auf die Umsatzsteuerreform, auf den Inlands- und Auslandsbegriff und nicht auf anderes. Herr Strauß hat heute vormittag die in jenem Brief enthaltenen Fragen so wiederholt, als sei an mich die Frage zu richten, ob ich mit einer östlichen Interpretation übereinstimme, nach der jemand, der den Grundlagenvertrag oder den Warschauer Vertrag oder den Moskauer Vertrag bejaht, damit gleichzeitig auch bejahe, daß es zwei deutsche Nationen gebe. Herr Strauß weiß ganz genau, daß diese Frage ganz eindeutig mit Nein zu beantworten ist. Dazu braucht er keine schriftliche Antwort.
Er kann im Ernst jedenfalls nicht jemandem wie mir, den er seit 20 oder 25 Jahren kennt, der hier viele Male in Debatten zur Lage der Nation — doch nicht der beiden Nationen, Herr Strauß, sondern der einen deutschen Nation — mitgeredet hat,
unterstellen, und sei es auch nur in Form einer rhetorischen Frage, daß er bereit sei, in Zukunft von zwei deutschen Nationen zu reden. Ich finde diese Art der Debattenführung ausschließlich polemisch und ohne jede gedankliche Substanz, Herr Ministerpräsident.
In dem gleichen Zusammenhang hat der Ministerpräsident mir die Frage vorgelegt, ob ich mit Äußerungen, die er aus dem Zusammenhang gerissen hat, gemeint habe, daß Preußen nicht zur deutschen Geschichte gehöre.
Er hat die Bayern aufmarschieren lassen, um Preußen gegen Schmidt in Schutz zu nehmen.
Preußen ist nicht nur hinsichtlich des ehemaligen preußischen Staats und der Geschichte dieses Staates politisch-historisch ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte, ein wichtiger Teil des deutschen Erbes. Preußen ist auch geistig — ich denke zum Beispiel an Immanuel Kant — ein ganz wichtiger Bestandteil des deutschen geistigen Erbes.
Die Äußerung, die Ihnen wahrscheinlich mißverständlich übermittelt worden war, bezog sich auf die Pruzzen oder auf die Prußen, die ursprünglich in dem Gebiet gesessen haben, das bis 1945 Ostpreußen genannt worden ist.
— Ganz früher hieß es nicht Ostpreußen, sondern Preußen, wenn ich Ihre Geschichtskenntnisse auffrischen darf. Das ist doch der eigentliche Kern Preußens gewesen.
Herr Barzel ist in der Frage der deutschen Nation dem bayerischen Ministerpräsidenten etwas zur Hilfe gekommen. Er hat ihn noch übertroffen und eine Reihe von Fragen gestellt.
Eine Frage möchte ich nicht beantworten, Herr Barzel. Es ist die Frage, welche Vorkehrungen der Westen — Sie haben gesagt: einschließlich unserer japanischen Freunde — gegenüber der Möglichkeit treffe, als Staaten durch andere erpreßt zu werden. Ich denke nicht, daß das im Augenblick angesichts der Krise, mit der wir es — die Amerikaner noch mehr als wir, aber wir mit ihnen — zu tun haben, geschehen sollte.
— Einverstanden. Ich glaube nicht, daß das im Augenblick öffentlich geschehen sollte.
Ich habe mit Befriedigung gesehen, daß das ganze Haus ohne Unterschied der Fraktionen Herrn Kollegen Genscher zugestimmt hat, als er, für die Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland als Ganze sprechend, unseren amerikanischen Freunden unsere Solidarität bekundet hat. Sie wissen, daß der amerikanische Außenminister wegen dieser Dinge heute hier zu Besuch ist, und ich benutze die Gelegenheit, um das Haus um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich heute nachmittag wegen dieses amerikanischen Besuchs ein oder zwei Stunden weggehen muß.
Eine andere Frage will ich gern beantworten; sie bezog sich auf die Sitzung des Europäischen Rates in Dublin vor knapp 14 Tagen. Wenn der Abgeordnete Barzel das Ergebnis beklagt, so stimme ich ihm ausdrücklich zu. Aber das Ergebnis hätte noch schlechter sein können. Das konnte vermieden werden.
Ich möchte dem Hause sagen, was Ihnen, Herr Kollege Barzel, bei Ihren Ausführungen offenbar nicht ganz klar gewesen ist. Die Bundesregierung ist zu dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs nicht ohne sehr sorgfältige Vorbereitung gefahren. In diese Vorbereitung waren die Spitzenpolitiker aller drei Bundestagsfraktionen eingeschlossen. Wir haben unsere Kollegen im Bundestag, einschließlich der Opposition, ausdrücklich gefragt, ob sie meinten, daß wir weitergehende Ange-
Bundeskanzler Schmidt
bote machen sollten. Das war zu dem Zeitpunkt nicht der Fall.
Ich glaube auch, daß unser Angebot sehr großzügig war. Die Bundesrepublik Deutschland hat es nach Vorverständigung mit den drei Bundestagsfraktionen auf sich genommen, in Zukunft pro Jahr über 600 Millionen DM zusätzlich zu zahlen, damit England entlastet werden kann — jedes Jahr. Das ist kein Pappenstiel.
Die entsprechenden Beschlüsse hätten anschließend noch hier im Bundestag gefaßt werden müssen. Vielleicht müssen sie noch gefaßt werden, weil in dieser Verhandlung noch nicht aller Tage Abend ist.
Ich will deutlich sagen, daß ich allerdings überzeugt bin, daß das Vereinigte Königreich, daß England durch seine wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung einerseits und andererseits durch die Verträge, so wie England sie ausgehandelt hat — es ist einmal Anfang der 60er Jahre verhandelt worden, dann am Anfang der 70er Jahre ein zweites Mal, dann ist Mitte der 70er Jahre nachverhandelt worden —, gegenwärtig in eine finanzwirtschaftlich sehr unglückliche Lage geraten ist. Ich bin der Meinung, Großbritannien müßte entlastet werden. Deswegen die deutsche Bereitschaft, über 600 Millionen DM jedes Jahr dazu beizutragen.
Dies hat der englischen Ministerpräsidentin in keiner Weise ausgereicht. Ihr hat auch nicht gereicht, was andere EG-Partner ihrerseits dazulegen wollten. Wir waren Gott sei Dank in der Lage, uns am Schluß in der allseits bekundeten Auffassung zu vertagen, daß ein Kompromiß gefunden werden muß.
Ich bitte dies Haus, davon auszugehen, daß die deutsche Bundesregierung in dieser Frage kompromißbereit und kompromißwillig ist. Ich bitte aber, sich auch vorzustellen, daß vermutlich ein die englischen finanzwirtschaftlichen Nöte ausreichend befriedigender Kompromiß nicht ohne einen erheblichen und wahrscheinlich für alle Beteiligten sehr empfindlichen Schnitt in die Ausgabenpolitik der gemeinsamen Agrarpolitik möglich sein wird.
Das ist nicht einfach. Das wird für alle sehr empfindlichund sehr schwierig sein, für die deutschen Landwirte, für die Franzosen ohnehin — ich glaube, Herr Barzel hatte angedeutet, daß es für Frankreich noch empfindlicher wäre als für uns —, aber für Holland auch, für Dänemark auch. Auf dem Felde hat sich einiges entwickelt, was in absehbarer Zukunft vielleicht sowieso redressiert werden müßte. Wenn man jedenfalls, stärker als bisher von uns angeboten, den englischen Entlastungswünschen entgegenkommen will, dann geht das wohl nur so, daß man gleichzeitig in die großen Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft hineinschneidet. Das könnte zu einem Konflikt mit dem Europäischen Parlament führen, bei dem ich die Tendenz erkenne, auf dem Felde der Agrarausgaben zurückhaltender zu sein,
insgesamt aber mehr Geld auszugeben als im letzten Jahre.
Alles das macht die Sache überaus kompliziert. Vielleicht wäre es innerhalb der EG für die Kollegialität mit den anderen acht Staaten ganz gut, wenn der eine oder andere — die Debatte dauert ja heute noch lange -- noch eine konstruktive Bemerkung machen könnte, die über das hinausgeht, was wir uns bisher ausgedacht haben. Die Regierung jedenfalls ist interessiert daran, daß eine Lösung zustande kommt, mit der sich auch Großbritannien zufrieden erklären kann.
Herr Kollege Barzel hat eine Reihe von Anregungen für die Stoffe gegeben, die zu besprechen sein werden, wenn der Staatsratsvorsitzende Honecker und ich zusammentreffen. Ich nehme das gerne auf. Ich glaube nicht, daß irgendeines dieser Themen ausgeklammert werden könnte.
Man darf allerdings, Herr Kollege Barzel, ein solches Gespräch in seiner Bedeutung auch nicht von vornherein mit überhöhten Erwartungen belasten. Ich kann mich nicht erinnern, daß bei Gesprächen, wie sie der bayerische Ministerpräsident mit dem Ersten Sekretär Kadar in Budapest geführt hat oder wie ich sie mit Herrn Kadar oder mit Herrn Gierek oder mit anderen geführt habe, im Vorwege große Bedingungs- oder Erwartungsgebäude aufgebaut worden wären. Das nützte einem solchen Gespräch nichts.
Wenn es Ihnen mit dem Zehnjahresplan mit fünf Stufen ernst sein sollte, wäre die Regierung gern bereit, diesen Plan kennenzulernen, ihn zu studieren und mit Ihnen darüber zu sprechen.
Der bayerische Ministerpräsident hat nicht viel Zeit auf die Frage verwandt, die im Augenblick die westeuropäische öffentliche Meinung, aber auch die osteuropäische veröffentlichte Meinung außerordentlich beschäftigt. Ich rede von dem in dieser Woche bevorstehenden Doppelbeschluß des nordatlantischen Bündnisses. Wir gehören dem nordatlantischen Bündnis an. Wir wollen ihm angehören. Wir wissen, daß unsere eigene Sicherheit und unsere zukünftige Politik der Zusammenarbeit z. B. mit der Deutschen Demokratischen Republik, z. B. mit der Volksrepublik Polen, z. B. mit der Sowjetunion und mit anderen Staaten in Osteuropa nur dann möglich gemacht werden kann, wenn sie auf die Solidität dieses Bündnisses und auf die Solidarität dieses Bündnisses gestützt ist.
Ich will in diesem Zusammenhang eine Bemerkung nicht unterdrücken, die sich an die Adresse des Kollegen Wörner richtet, nicht an die des Herrn Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern. Herr Wörner ist, wenn die „Stuttgarter Zeitung" vom 8. Dezember sorgfältig berichtet, zu einer Meinung zurückgekehrt, die er Anfang dieses Jahres in einem Vortrag — ich glaube, in Kalifornien — schon einmal öffentlich geäußert hat. Der entscheidende Satz lautet ausweislich der „Stuttgarter Zeitung":
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15109
Bundeskanzler Schmidt
Obwohl wir
— das ist wohl für die CDU/CSU gesagt —
wie die Regierung wünschen, daß sich andere Staaten daran beteiligen, wären wir auch notfalls bereit, allein auf deutschem Boden solche Waffen zu stationieren.
Ich habe ähnliches, Herr Ministerpräsident, auch aus Ihrem Munde schon gehört und will hier deutlich sagen: Dies ist nicht die Meinung der Bundesregierung; es wird auch nicht die Meinung der Bundesregierung sein.