Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Bitte, ich habe nur noch fünf Minuten Zeit.
— Haben Sie Verständnis dafür, daß ich diesen Gedankengang zusammenhängend darstellen will
Die Selbstfinanzierung des sozialen Fortschritts nimmt in der Form zu, daß die Beschenkten ihre Geschenke selber bezahlen. Das ist so nach dem Motto organisiert: Absender und Empfänger sind die gleichen. Nur, im Unterschied zum Briefträger spielt der Staat dann auch noch den Spender. Und das wäre eine Tat von Umverteilungsillusion, die auch auf Kosten der Arbeiter geht. Die Arbeiter sind an diesem Umverteilungskarussell überproportional beteiligt Sie erhalten Leistungen im Gesamtwert von 31,5 Milliarden, und sie leisten für diese Umverteilungsmaschine 135,4 Milliarden DM. Sie sehen, daß wir auf dem Weg sind, eine Umverteilung — —
— Ich kann darüber nicht lachen. Ich kann darüber nicht lachen, daß die Arbeitnehmer weniger aus diesem System erhalten, als sie hineingeben, und zwar durch die ganz einfache Form, daß wir den Teil der Begünstigten, die Hilfe erfahren, so groß gefaßt haben, daß alle, die Hilfe erfahren, diese Hilfe auch
selbst finanzieren. 26 % der verfügbaren Einkommen privater Haushalte stammen inzwischen aus der staatlichen Umverteilung Da wird man doch fragen dürfen, wer die denn finanziert. Natürlich die Steuerzahler selber, die Begünstigten selber.
Darüber nachzudenken, heißt nicht, soziale Gerechtigkeit abzubauen, sondern heißt, sie treffsicher zu machen.
Ich verbinde das doch zunächst einmal gar nicht mit Vorwürfen, sondern mit dem Appell, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir unsere soziale Politik effizient und gerecht erhalten können.
Lassen Sie mich abschließen. Sie können das Thema ja auch noch mal an Hand der Einkommensgrenze im Sozialrecht prüfen. Das ist ja inzwischen eine Geheimwissenschaft geworden. So kann es ja passieren, daß ein höheres Bruttoeinkommen zu einem niedrigeren Nettoeinkommen führt. Der Fall ist bekannt, wo ein Vier-Personen-Haushalt mit 26 000 DM Bruttoeinkommen am Schluß weniger hatte als der Vier-Personen-Haushalt mit 14 000 DM Bruttoeinkommen.
Meinen Sie, das wäre der Staat, der Leistung honoriert? Im Sinne eines solchen Systems liegt, daß der Arbeitnehmer zu seinem Chef geht und ihn bittet, auf die nächste Lohnerhöhung zu verzichten, weil er nach der Lohnerhöhung weniger im Portemonnaie hat als vorher. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Wenn das einmal Allgemeingut wird, dann ist unsere Gesellschaft endgültig übergeschnappt; dann können wir unsere Gesellschaft mit Bezugsscheinen organisieren.
Ich wollte noch ein paar Sätze zur Wirtschaftsordnung sagen. Die Zeit steht mir dafür nicht zur Verfügung. Deshalb sage ich: Die Produktion von Gerechtigkeit mit Hilfe von Bürokratie erweist sich auch hier als Illusion. Ich bin und bleibe Anhänger der Mitbestimmungsidee, aber ebenso energischer Gegner aller planwirtschaftlichen Ziele. Wo Investitionszentralen entscheiden, entscheiden auch bald Preis- und Lohnzentralen. Investitionslenkung und Lohnlenkung sind Geschwister und bedeuten einen Angriff auf die Tarifautonomie und auf die Mitbestimmung. Wo Strukturräte entscheiden, haben Aufsichtsräte nichts mehr zu sagen, und dort hat auch die Mitbestimmung den Boden unter den Füßen verloren.
Meine Damen und Herren, es war der Anspruch dieser Koalition, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu versöhnen, Bürgertum und Arbeiterschaft in eine Koalition zu bringen. Das war der große historische Atem, von dem das sozialliberale Bündnis getragen schien. Zehn Jahre sind genug. Wir können prüfen, ob die Erwartungen eingeholt werden. Ich zitiere:
In der säkularen Dialektik von Freiheit und Gleichheit ist die Stunde der Freiheit, nämlich die ihrer Bedrohung, durch falschen Egalitarismus gekommen. Die Allianz von Liberalismus
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15141
Dr. Blüm
und Sozialismus hat insoweit ihren Sinn erschöpft.
Derjenige, der dies gesagt hat, war ein Vordenker des sozialliberalen Bündnisses: Ralf Dahrendorf. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.