Sehen Sie, Herr Kollege Kohl, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß nicht eine unnötige Kluft zwischen den Generationen entstehen darf. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Aber glauben Sie wirklich, daß — ganz gleich von welcher Seite das geschieht —, wenn hier immer wieder versucht wird, personenbezogen Verdächtigungen auszusprechen, das überzeugend für die junge Generation ist? Ich glaube es nicht. Es wäre deshalb besser, wenn wir uns in diesen Fragen in der Sache richtig und sorgfältig auseinandersetzen. Die Zeit dazu ist jetzt nicht gegeben.
Ich will jetzt ein paar Bemerkungen zu den verschiedenen Reden machen, die — wenn ich so sagen darf — von Kanzlerkandidaten gehalten worden sind, von Kanzlerkandidaten, die im Ausstand oder — wie es in anderen Landesteilen heißt — auf dem Altenteil sitzen. Deren Darstellung war interessanterweise oft etwas pointierter und überzeugender als die, die jeweils von den Kanzlerkandidaten im Wartestand gegeben worden ist.
Ich hatte bei der zweiten Rede des Kollegen Strauß den Eindruck: Er bereitet sich in der Art, wie er reagierte, schon darauf vor, ab 1981 ebenfalls als Kanzlerkandidat im Ausstand hier tätig zu werden.
Herr Kollege Strauß hat mehrfach beklagt, daß der Herr Bundeskanzler oft nicht die volle Unterstützung seiner Partei habe, und hat daran politische Schlußfolgerungen geknüpft. Eines ist doch wohl unbestreitbar — und die zehn Jahre der sozialliberalen Zusammenarbeit haben das bewiesen —: Abstimmungen in diesem Hause hat dieser Bundeskanzler zu keinem Zeitpunkt verloren — weil eben die Koalition geschlossen hinter ihm stand.
Daß es einem gewordenen Kanzlerkandidaten Strauß genauso gelänge, möchte ich bezweifeln. Das Experiment deshalb zu machen, um den Nachweis zu führen, daß es ihm nicht gelingt, halte ich allerdings nicht für richtig.
Denn schon in den Sachfragen, die in dieser Diskussion eigentlich eine Rolle spielen sollten, haben wir erlebt, daß wie in dem Slalomlauf, der vor wenigen Minuten übertragen worden ist, die Redner der Opposition um die Sachpunkte herumgefahren sind, um sich mit ihnen gar nicht erst auseinandersetzen
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Mischnick
zu müssen. Das zeigt, wie wenig Übereinstimmung hier besteht.
Ich will nur einige wenige Beispiele herausnehmen.
Herr Strauß sprach davon, daß der Schleier gelüftet werden müsse. Ich will einmal den Schleier von der Steuerpolitik der Opposition des Spitzenkandidaten der Union ein wenig hinwegziehen. Wenn ich daran denke, wie wir in diesem Hause gemeinsam um die letzten Steuerbeschlüsse gerungen haben, wie wir gemeinsam beschlossen haben, daß die Lohnsummensteuer abgeschafft wird, und wenn ich nun sehe, wie wenig Durchsetzungsvermögen der bayerische Ministerpräsident als Landesvorsitzender der CSU hat, in seinem Land durchzusetzen, dort, wo es keine Lohnsummensteuer gab, die Gewerbesteuer zu senken, dann habe ich damit ein Beispiel dafür, wie wenig Durchsetzungsvermögen er auch hier hätte, wenn er Kanzler wäre.
Deshalb wollen wir das lieber erst gar nicht probieren. Hier wird beklagt, daß die Wirtschaft nicht entlastet wird, dort ist er nicht fähig, diese Wirtschaftsentlastung in seinem eigenen Bereich durchzusetzen.
Ich denke auch daran, daß von anderen Rednern der Union davon gesprochen worden ist, im Steuerpaket seien Vorschläge der Freien Demokraten für die Besserstellung der Kinder, der Familien enthalten, die dem entsprächen, was die Union vorschlage. Dazu kann ich nur feststellen: Dies ist schlicht falsch. Das Familiengeld der Opposition setzt ganz anders an als das, was mein Freund Hans-Dietrich Genscher gesagt hat. Auch hier hat sich gezeigt, wie unterschiedlich die Meinungen in den Unionsparteien waren und wie der Kandidat der Union gegen seine eigenen Freunde finanzpolitische Bedenken vorbringen mußte.
Wenn ich nun höre, daß wir von der Union in einem Papier Entbürokratisierungsvorschläge serviert bekommen — was ich für ein verdienstvolles Unternehmen halte —, dann bin ich einmal sehr gespannt, wie die Union nicht nur hier im Deutschen Bundestag, sondern auch im Bundesrat reagieren wird, wenn wir die leider vom Bundesrat aufgezwungene Kindergeldlösung über die Arbeitsämter in die Finanzamtslösung umwandeln wollen, die ja entbürokratisierend wirken würde.
Hier haben Sie Gelegenheit, zu beweisen, daß Sie nicht nur in Broschüren von Entbürokratisierung reden, sondern sich auch in der praktischen Politik dafür einsetzen. Nichts war darüber vom bayerischen Ministerpräsidenten zu hören.
Ich darf auch daran erinnern, daß wir seit langer Zeit den Gedanken verfolgen, die Kraftfahrzeugsteuer in die Mineralölsteuer zu überführen, um auch hier für die Zukunft entbürokratisierend zu wirken. Da gab es keine positive Reaktion aus dem Lager der Union. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie hier praktische Politik und Versprechungen weit auseinanderklaffen.
Der Ministerpräsident Strauß hat in seiner Rede auch davon gesprochen — ich kann es leider nicht im Wortlaut zitieren, weil es in der schriftlich verteilten Rede nicht enthalten war; aber dem Sinn nach —, daß man eigentlich dem Bundeskanzler, so hat er es formuliert, die politische Befähigung absprechen müsse. Das war interessanterweise wenige Sätze nach seiner Bemerkung, daß eigentlich die Union in bestimmten Fragen zu 100 % hinter ihm ' stehe. Merkt er denn gar nicht, wie er hier mit seinem eigenen Formulieren sich selber ständig widerspricht? Genau das ist es doch, was wir als das politische Risiko ansehen: wenn ein Mann Kanzler wird, der sich selber ständig widerspricht und in der Sachpolitik nicht zu klaren Aussagen kommt, sondern nur ständig Vergangenheit bewältigen will.
Von mehreren Rednern ist über die Schulpolitik einiges gesagt und dabei der Eindruck erweckt worden, als sei da, wo die Gesamtschule errichtet wurde — hier gab es ja einige Zwischenfragen dazu —, die Möglichkeit des gegliederten Schulsystems beseitigt worden. Dies ist schlicht falsch. Wogegen wir uns allerdings wehren, ist, daß man sagt: Da, wo eine Minderheit Gymnasien will, muß das zugestanden werden, aber da, wo eine Minderheit Gesamtschulen will, darf das natürlich nicht zugestanden werden. Diese unterschiedliche Behandlung lehnen wir ab. Die Gleichberechtigung beider Möglichkeiten wollen wir im ganzen Bundesgebiet sichergestellt wissen. Dafür setzen wir uns ein.
Dies wollen wir durchgesetzt wissen.
Wenn man dann hört, da sei von Bayern aus überhaupt nichts passiert, da habe der Ministerpräsident überhaupt keinen Einfluß genommen, dann frage ich mich, ob etwa der Kollege Remmers einem Phantom erlegen ist, als er den Vorsitz niedergelegt hat. Der muß sich doch völlig getäuscht haben. Nur, soweit ich den Kollegen Remmers kenne, ist er ein sehr realitätsbezogener Mensch. Das beweist mir, daß das jetzt billige Ausflüchte sind, um nachträglich von der Verantwortung dafür loszukommen, hier Unruhe in die Eltern durch diese Erklärung getragen zu haben, ab 1981 die Abschlüsse nicht mehr gemeinsam anerkennen zu wollen.
Von verschiedenen Rednern der Union sind ein paar Bemerkungen zur Rentenversicherung gemacht worden. Vielleicht wird es der nachfolgende Redner, der Kollege Blüm, etwas konkreter tun.
Es sind dabei auch nur Klagen vorgebracht worden, aber es ist nicht gesagt worden, wie man konstruktiv die Probleme der nächsten vier Jahre lösen will. Ich finde es allerdings schon an der Grenze des Erträglichen, wenn aus den Reihen der Opposition immer davon gesprochen wird, diese 10-%-Zusage vor der Bundestagswahl 1976 sei ein Wahlbetrug gewesen, ohne sich dabei daran zu erinnern, daß der erste, der
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von der Erhöhung um 10 % sprach, der damalige Kanzlerkandidat im Wartestand Kohl gewesen ist, niemand anders. Wenn man dies damals trotz Kenntnis der Zahlen, wie es der Kollege Franke hier gesagt hat, für richtig hielt, dann wäre es doch mal an der Zeit, nun genau zu sagen, wie man sich die Finanzierungsgestaltung wenigstens für die Zukunft vorstellt, nachdem man schon nicht nachweisen konnte, wie man die Erfüllung der damaligen Versprechungen finanzieren wollte.
Der Ministerpräsident Strauß sprach von dem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner von 2 % und beklagte, daß das wieder abgeschafft worden ist. Dazu kann ich doch nur sagen, daß dieser Krankenversicherungsbeitrag von 2 % bei den Rentnern doch ein Etikettenschwindel war; das war doch kein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, sondern war ein Abzug von der Rente um 2 %, die bei der Rentenversicherung blieben, sonst gar nichts.
Wenn man das wieder will, dann soll man den Mut haben zu sagen: Wir wollen unter der Firma „Krankenversicherungsbeitrag" die Renten kürzen. Gut, in Ordnung, darüber kann man diskutieren. Aber dann soll man nicht so tun, als wenn dieser Krankenversicherungsbeitrag etwas anderes wäre als ein Abzug von den Renten, der damals geschehen und von uns verändert worden ist.
— Ja, wenn Sie etwas von Renten verstünden, wäre ich sehr froh; dann wundert es mich aber, daß Sie immer so bedenkenlos solchen Erklärungen zustimmen. Wenn Sie was davon verstünden, hätten Sie sich dagegen gewehrt.
Von Herrn Strauß ist davon gesprochen worden, nicht jeden Punkt, der auf einem Parteitag im Zusammenhang mit der Frage CDU /Gewerkschaft gebracht wird, könne man der gesamten Partei anlasten. Da kann ich nur eines sagen: Eben! Nur das ist der wahre Stil: Dann, wenn in der FDP oder in der SPD irgend jemand einen Antrag stellt, der gar keine Mehrheit findet, ziehen Sie durch die Lande und unterstellen, das sei die Meinung der Partei. Aber wenn es bei Ihnen passiert, muß natürlich Generalpardon erteilt werden und ist es selbstverständlich, daß das von den anderen eben als eine Nebenerscheinung betrachtet wird.
Sehen Sie, dieses Messen mit zweierlei Maß ist es, was wir nicht für gut halten und was dann mit dazu führt, daß am Ende das aufkommt, was wir gemeinsam beklagen, nämlich Staatsverdrossenheit.
Von dem Kollegen Strauß ist auch beklagt worden, daß oft ein Absolutheitsdenken vorhanden sei. Er meinte, daß man nicht von einem absoluten Feindbild ausgehen sollte. Ich teile diese Meinung. Wir Freien Demokraten haben uns ja oft in diesem Hause bemüht, wenn hier gegeseitig absolute Feindbilder aufgestellt worden sind, dies eben nicht zum Maßstab des politischen Handelns zu machen.
Nur, Herr Strauß, wenn Sie dieser Meinung sind, daß man nicht vom absoluten Feindbild ausgehen sollte — ich unterstelle, daß es so ist —, dann, bitte, halten auch Sie sich endlich an Ihre eigene Maxime und verlangen Sie das nicht immer nur von anderen, wie das geschehen ist!
Herr Kollege Barzel hat die Rede von Herrn Professor Jens angesprochen. Ich verschweige hier nicht, daß ich viele Schlußfolgerungen, die er gezogen hat, in ihrer Pauschalität für falsch halte. Die Grundrechte als solche in ihrer Gesamtheit sind in dieser Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdet.
Es ist richtig, daß wir immer wieder prüfen müssen: Ist ihre Wirkung für den einzelnen durch gesetzgeberische Maßnahmen, die wir getroffen haben oder treffen wollen, gefährdet? Müssen wir nicht immer aufpassen, daß für den einzelnen daraus nicht ein Schaden entstehen kann? So verstanden ist es eine ständige, für uns alle gültige Bewährungsprobe und eine ständige Überprüfung unseres eigenen Handelns.
Herr Kollege Kohl — um dies noch aufzugreifen — hat in seinen Bemerkungen noch einmal ein paar außenpolitische Fragen aufgegriffen. Herr Kollege Mertes, Sie haben sich vorhin über eine Bemerkung des Kollegen Hoppe alteriert.
— Ich kann es auch so sagen: Sie sind wütend gewesen. Ich kann es auch so sagen.
— Nein, er hat gar nicht die Unwahrheit gesagt. Herr Kollege Hoppe hat davon gesprochen, daß zu den Bemühungen der Bundesregierung und zu den Vorschlägen bei MBFR und im Zusammenhang mit dem französischen Vorschlag hier heute nicht Stellung genommen worden ist. Möglicherweise tun Sie das noch. Er hat Ihnen nicht unterstellt, daß Sie etwa gegen die Abrüstung seien, sondern er hat bemängelt, daß zu den konkreten Punkten, die von der Bundesregierung eingebracht worden sind, nicht Stellung genommen wurde. Nun, wir müssen uns daran gewöhnen, daß zu dem, was wir an konkreter Politik treiben, von Ihnen kaum Stellung genommen wird, weil es dazu eben keine Alternativen gibt.
Deshalb ist es möglicherweise verständlich, daß dazu nichts gesagt wurde. Deswegen braucht man darüber nicht wütend zu sein, wenn er dies anmahnt. Vielleicht geschieht es in einer der nächsten Reden, die noch kommen.