Ich möchte Sie erstens bitten, hier in diesem Hause einmal zu erklären, warum Sie die Dinge in der Vergangenheit falsch beurteilt und — wahlkampfbezogen — die deutsche Offentlichkeit falsch informiert haben und sich hernach dann auf Unkenntnis der Tatsachen hinausgeredet haben. Ich möchte Sie zweitens bitten, gerade die Bevölkerungsschicht, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist, die Bevölkerungsschicht, die in den nächsten zehn Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheidet und deshalb ein legitimes Interesse hat, mit einer kalkulierbaren Rente rechnen zu können, über die Pläne der Regierung — Sie haben die Mehrheit, Sie sind in erster Linie in der Verantwortung, Sie sind aufgerufen, hier vor der Offentlichkeit darzulegen, was Sie vorhaben — zu informieren.
Ich bin hier nicht in der Lage, die einzelnen Vorschläge zu bewerten. Man hört aus dem Regierungslager: Die Renten müssen besteuert werden. Dann hört man: Nein, eine Besteuerung der Renten kommt nicht in Betracht. Dafür hört man dann: Es muß ein Krankenkassenbeitrag eingeführt werden, ein Vorschlag, der im übrigen schon einmal in der Großen Koalition verwirklicht, dann aber leider rückgängig gemacht worden ist — sogar mit einer Rückzahlung —, um zu zeigen, wie böse doch die CDU/CSU war und wie groß das Heil der neuen Zeit ist. Jetzt fehlt Ihnen das Geld an allen Ecken und Enden, auch wenn es im ersten Teil der 80er Jahre sicherlich eine gewisse Liquidität geben wird. Aber auch diese Prophezeiung ist auf wirtschaftlichen Annahmen aufgebaut, auf Wachstum, auf einem entsprechenden Beschäftigungsstand und einer Bevölkerungsentwicklung, die erst durch eine bessere Politik gewährleistet sein müssen. Deshalb bitten wir Sie, daß Sie sich über diese Probleme klipp und klar äußern
Ein besonderes Hätschel-, aber auch Stiefkind ist noch immer der Bereich der Vermögensbildungspolitik gewesen. Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der Vermögensbildung bisher jegliche Initiative vermissen lassen. Die SPD sperrt sich aus ideologischen Gründen gegen den weiteren Ausbau von individuellen betrieblichen Beteiligungen. In Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, heißt es noch: „Der Anlagekatalog des Dritten Vermögensbildungsgesetzes soll erweitert werden, um verstärkt auch Beteiligungen in Unternehmen zu ermöglichen. Die bei Anwendung dieses Gesetzes auf Beteiligungsformen entstehenden steuerlichen Hemmnisse sollen beseitigt werden." Nun, Initiativen zur Förderung der Vermögensbeteiligung in Arbeitnehmerhand — ich weiß, wie prekär und brisant das Thema ist — sind bisher lediglich von zwei Gesetzentwürfen der CDU/CSU im Bundesrat und im Bundestag ausgegangen. Schwerpunkt ist es, die Arbeitnehmer am Produktivvermögen stärker zu beteiligen, besonders steuerliche Hemmnisse abzubauen. Beide Gesetzentwürfe werden von der Koalition abgelehnt. Deutlicher kann doch, Herr Bundeskanzler, Ihre Unfähigkeit, auf diesem Gebiet Ihr Wort einzuhalten, nicht bewiesen werden.
Deutlicher kann doch bei Ihnen der Unterschied zwischen Wort und Wahrheit, zwischen Versprechen und Erfüllung nicht unter Beweis gestellt werden. Hier wird er dem Bürger geradezu schlaglichtartig deutlich.
Es war sowohl auf Ihrem Parteitag als auch vorher in diesem Hohen Hause die Rede von der Energiepolitik. Stichwort: Kernenergie. 1973 noch hieß das Ziel: optimaler Ausbau der Kernenergie; 1974: maßvoller, aber verstetigter Ausbau; 1977: begrenzter Ausbau. Sind Sie sich darüber im klaren, daß alle diese Formeln nichts anderes als auf Publikumstäuschung angelegter Unsinn sind, daß alle diese Formeln in der Wirklichkeit überhaupt nichts bedeuten? Sind Sie sich darüber im klaren, daß der Versuch, das heute bereits bestehende Defizit an Kernkraftwerken durch Kohlekraftwerke auszugleichen, unerträgliche Umweltschutzprobleme bedeutet, daß es unmöglich ist, die einheimische Kohleförderung in dem notwendigen Umfange zu erhöhen, daß es unmöglich ist, Importkohle in dem benötigten Umfang zu bekommen? Auch das, was Sie heute vertreten, ist doch nur Augenauswischerei. Ich glaube Ihnen zwar, daß Sie die Probleme kennen, aber Sie haben nicht den Mut und die Offenheit vor Ihrer eigenen Partei, Ihre politische Existenz mit der Lösung der Lebensfragen des deutschen Volkes und der Bundesrepublik zu verbinden; das werfen wir Ihnen vor.
Selbst in dem Leitantrag heißt es:
Beim derzeitigen Stand der Diskussion ist die definitive Entscheidung für oder gegen die weitere Nutzung von Kernenergie nicht reif. Beide Optionen, die weitere Nutzung von Kernenergie wie der Verzicht auf Kernenergie, müssen noch für eine gewisse Zeit nebeneinander bestehen bleiben.
Wie lang ist denn die „gewisse Zeit"? Wann ist denn die „gewisse Zeit" abgeschlossen? Die Zeit ist doch längst abgelaufen. Sie ist Ihnen doch unter den Fingern zerronnen.
Und immer wenn Sie nicht in der Lage sind, sich zu entscheiden,
reden Sie davon, daß Sie über die Probleme nachdenken müssen,
15062 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den i 1. Dezember 1979
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
um damit weiterer Entscheidungen enthoben zu sein.