Rede von
Jürgen W.
Möllemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige kurze Ausführungen zu den außen- und sicherheitspolitischen Themen, die hier bislang angesprochen worden sind. Ich möchte zunächst der Aufforderung des jetzt nicht mehr anwesenden — verständlicherweise bei hohen Würdenträgern — bayerischen Ministerpräsidenten folgen, der gesagt hat: „Erklären Sie mal, was halten Sie von Marx?" Dem will ich jetzt folgen, Kollege Marx, und mich zu Ihren Bemerkungen äußern.
— Nun hören Sie erst einmal zu.
Sie, Herr Kollege Marx, haben sich auf die Bitte meines Fraktionsvorsitzenden Mischnick hin erneut nur zu einem Teilaspekt der bevorstehenden Entscheidungen geäußert. Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie Teil 1 des geplanten Beschlusses, betreffend die Nachrüstung im Mittelstreckenbereich, unterstützen. Sie haben, vielleicht aus Zeitmangel oder warum auch immer, vermieden, genauso eindeutig zu erklären, daß Sie auch Teil 2 des Beschlusses, der ein ausdrückliches rüstungskon-
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trollpolitisches Angebot beinhalten wird, unterstützen,
ein Angebot, das besagen wird, daß man in dem gleichen Umfang wie die Gegenseite bereit ist, ihrerseits Reduzierungen in Richtung auf eine annähernde Parität vorzunehmen, bereit sein wird, unsere geplanten und jetzt zu produzierenden Systeme zu reduzieren.
— Nein, ich habe sehr sorgfältig zugehört.
— Herr Kollege Czaja, vielleicht lassen Sie sich das von Ihren Experten in der Fraktion erläutern. Wir verwenden den Begriff „annähernde Parität" einvernehmlich unter allen Kollegen, die in diesem Bereich tätig sind, weil wir nicht anfangen wollen, etwa auf eine einzelne Zahl hin aufzurechnen, sondern einen ungefähren Kräftegleichstand erreichen wollen. Wollten wir nämlich diese engen Definitionen praktizieren, wie manche sie von uns verlangen, wäre jede Rüstungskontrollpolitik zum Scheitern verurteilt.
Herr Kollege Marx, ich wollte zweitens auf eine Frage antworten, die Sie fast in Gestalt eines Vorwurfs geäußert haben. Sie haben gefragt: Konnten die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht eigentlich schon frühzeitiger reagieren?
Mein Kollege Jung hat in einer kurzen Intervention deutlich gemacht, daß nicht nur formal, sondern auch faktisch für Entscheidungen betreffend die Aufrüstung oder die Zusatzausstattung mit Atomwaffen wirklich nicht die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist. Dies ist, ob Sie es wollen oder nicht, ein Vorwurf an die Vereinigten Staaten von Amerika.
— Sie haben ihn ja erhoben.
Aber man muß noch ein zweites sagen. Wir haben doch mehrfach deutlich gemacht — darüber gab es einen Konsens —, daß sich die Notwendigkeit einer Nachrüstung in diesem Bereich erst neuerlich zeigt, da das frühere Übergewicht im strategischen Bereich durch den SALT-II-Vertrag abgebaut worden ist. Damit werden Ungleichgewichte in anderen Bereichen destabilisierend und gefährlich. Das ist doch der Hauptgrund für die jetzige Entscheidung oder jedenfalls einer der Hauptgründe neben den Überlegungen hinsichtlich der Abkopplung.
Eine dritte Bemerkung, Herr Kollege Marx, betrifft die Verträge. Hierzu möchte ich auch auf das eingehen, was einige der übrigen Kollegen gesagt haben. Wir bestreiten es Ihnen überhaupt nicht, daß Sie es ernst meinen, wenn Sie sagen, Sie hätten zwar alle Ostverträge bekämpft, stellten sich aber nunmehr auf den Boden dieser Verträge. Man wundert sich bei Ihren offiziellen Einlassungen nur — das sage ich jetzt an die Adresse der Kollegen der Union ganz allgemein —, daß sich bei allem, was Sie in Richtung Entspannungspolitik, in Richtung Kooperation, in Richtung Sicherheit durch Zusammenarbeit sagen, das, was wir als Geist der Verträge empfinden, bei Ihnen überhaupt nicht artikuliert. Man kann nicht sagen, man sei für diese Verträge, aber im übrigen so handeln, als gäbe es die Vereinbarungen nicht.
Sie haben dies im übrigen an einem besonderen Beispiel plastisch gemacht. Im Blick auf die MBFRVerhandlungen erklären Sie zwar, insbesondere durch den Kollegen Mertes, Sie stünden hinter unserer Verhandlungsstrategie, aber Sie haben sowohl im Auswärtigen wie im Verteidigungsausschuß eine Forderung eingebracht, die dem entgegensteht. Sie haben verlangt, wir sollten die existierenden Betriebskampfgruppen in der DDR in die Verhandlungen in Wien faktisch stärker einbeziehen, als das bisher geschehen ist.
— Herr Kollege Damm, Sie wissen, daß ich recht habe; deswegen haben Sie den Antrag ja nicht unterschrieben. — Was ist das anderes als der Versuch, die jetzt laufenden, sich ohnehin schon schwierig genug gestaltenden Verhandlungen zu gefährden?
— Sie werden verstehen, Herr Kollege Damm, daß ich hier meine Art der Argumentation praktiziere. Ihre Bewertung, sie sei billig, möchte ich zurückweisen.
Ich möchte nun zu einigen außenpolitischen Überlegungen kommen, die insbesondere der Kollege Marx, aber auch einige andere Kollegen angesprochen haben. Ich habe nicht ganz verstanden, Herr Kollege Marx, was der Unterton der Kritik sollte, als Sie unsere Reaktion auf die Vorgänge in Teheran ansprachen. Der Kollege Weizsäcker und ich waren gerade in den Vereinigten Staaten und haben dort gemeinsam deutlich gemacht, daß wir, d. h. die Bundesregierung und alle im Parlament vertretenen Parteien, die Vorgänge in Teheran mit allem Nachdruck schärfstens verurteilen und mit allem Nachdruck unsere Solidarität mit unserem Bündnispartner bekunden. Daß wir bei einem bewußt vorsichtigen und umsichtigen Vorgehen des amerikanischen Präsidenten nun nicht päpstlicher sein werden als der Papst — in einer Art Verbalradikalismus oder was auch immer —, ist doch vernünftig. Ich glaube, es wird in der Tat darauf ankommen, auch bei einer Zuspitzung die jetzt proklamierte, sich in Resolutionen niederschlagende und in stiller Hilfe in Teheran praktizierte Solidarität vielleicht tatkräftiger zu beweisen. Aber dies sollte kein Streitpunkt sein.
Sie haben, was den Nahen Osten angeht, den eigentlich engeren Nahostkonflikt nicht angesprochen. Ich möchte diese Gelegenheit nur nutzen, eine
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Verlautbarung anzusprechen, die ich für ein hoffnungsvolles Zeichen halte für diese Region, in der ja ein viel breiter angelegter Konflikt als der, den wir gerade vorher angesprochen haben, den Frieden nicht nur dieser Region, sondern vielleicht der ganzen Welt gefährdet. Über die hier schon des öfteren angesprochenen Ticker lief die Meldung, die ich einfach einmal zitieren darf:
Für ein neutrales Israel in den Vorkriegsgrenzen von 1967 hat sich der frühere Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, ausgesprochen. Die Grenzen sollten von den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und von UNO-Truppen garantiert werden, schreibt Goldmann in einem Buch, das jetzt in der Schriftenreihe der amerikanischen Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden erschienen ist. Nach den Vorstellungen Goldmanns sollte Jerusalem von einer einheitlichen Behörde — unter voller Mitwirkung der arabischen Bevölkerung im Ostteil der Stadt — verwaltet werden. Die Stadt sollte einen Sonderstatus erhalten, der dem des Vatikans in Rom gleichen könnte.
Da auch ich diese Meldung erst neuerlich kennengelernt habe, weiß ich nicht, ob dies in vollem Umfang eine Schlüssellösung sein kann. Aber ich möchte die Hoffnung ausdrücken, daß ein solcher Beitrag aus dem Munde eines israelischen Diskussionsteilnehmers hilft, die Tabus abzubauen, die alle am Nahost-Konflikt Beteiligten bisher ganz offenkundig hindern, die tatsächlichen Konfliktursachen auszuräumen.
Eine weitere Bemerkung zur Arbeit in den Vereinten Nationen. Hier möchte ich der Bundesregierung für die erfolgreiche Initiative zur Ächtung der Geiselnahme ausdrücklich danken. Ich weiß noch sehr genau, wie skeptisch wir alle waren, als diese Initiative vor drei Jahren ergriffen wurde. Wir haben gesagt: Das läßt sich niemals durchsetzen. Heute haben sich die in den Vereinten Nationen organisierten Staaten gemeinsam — gemeinsam mit den arabischen Partnerstaaten — durchgerungen und beschlossen, Geiselnahme künftig zu ahnden. Daß dies in der Situation, von der wir vorhin sprachen, eine politische Aussage ist, die vielleicht auch insoweit — sicherlich aber für den Umgang der Völker miteinander — sehr hilfreich ist, ist, glaube ich, unbestritten.
Weil dies für viele von uns überraschend, aber doch positiv verlaufen ist, möchte ich die Bundesregierung bitten, in einem anderen Bereich, in dem es ebenfalls schwierig sein wird, in dem es aber genauso dringlich ist, ebenso eine UNO-Initiative einzubringen. Ich meine einen Vorstoß gegen die Todesstrafe. Wir erleben — Amnesty International belegt es in seinem neuesten Jahresbericht erneut —die zunehmende Verwendung der Todesstrafe als bewußt willkürliches Mittel bei der Bereinigung politischer Auseinandersetzungen. Ich meine, wir dürften uns mit dieser Provokation nicht abfinden. Von daher sollten wir diese — von Bundesaußenminister Genscher in Bremen im übrigen bereits angekündigte — Initiative unterstützen. Ich weiß, wie schwierig das ist, da es ja noch nicht einmal in Europa einen völligen Konsens hierüber gibt.
— Ich weiß das, aber wir sollten dennoch versuchen, aus unserer — wenn ich das richtig sehe — ja wohl gemeinsamen Überzeugung hier eine Initiative abzuleiten.
— Mir ist das Thema zu ernst, um hier in Albernheiten zu machen; das bleibt Ihnen vorbehalten.
Eine weitere Bemerkung zu einem Thema, das ähnlich ernst ist, bei dem wir uns im übrigen ebenfalls in allen Fraktionen gemeinsam bemühen, der Lage in Kambodscha. Wir haben uns mit der Tatsache konfrontiert gesehen, daß das öffentliche Gewissen oder Bewußtsein offenbar immer nur ein Thema schwerpunktmäßig aufnehmen kann. Wir haben mehrere Wochen lang den sich dort abspielenden Massenmord diskutiert. Im übrigen: Wo sich ein Massenmord abspielt, gibt es immer auch Massenmörder;
und die sind ja wohl auch klar beim Namen zu nennen. Das heißt: Es ist gerechtfertigt, die UdSSR und China aufzufordern, auf ihre dortigen Freunde und Partner einzuwirken, diesem Massensterben ein Ende zu bereiten. Wir reden neuerlich über 50 oder 60 Geiseln, wobei wir wissen, daß in Kambodscha jeden Tag Tausende von Menschen sterben. Irgenwo verschieben sich da plötzlich eigenartigerweise die Relationen!
— Es ist ganz gleich, Herr Kollege Marx, ob Sie jetzt die Verantwortung der Sowjetunion und ihrer Freunde bei den Vietnamesen in der Unterstützung des Henk-Samrin-Regimes oder die Verantwortung der Chinesen in der Unterstützung von Pol Pot sehen. Beide jedenfalls verhindern, daß die von den westlichen Staaten — auch von der Bundesregierung — sehr massiv gegebene Hilfe zu den Betroffenen, zu den Opfern kommen kann, und das ist Massenmord; das können wir nicht — bagatellisierend
— anders bezeichnen.
Eine letzte Bemerkung, Herr Kollege Marx, zu Ihren Ausführungen zur Afrika-Politik. Ich verstehe ja, daß Sie den Kollegen Todenhöfer, ohne den Namen zu erwähnen, sozusagen pflichtübungsmäßig verteidigen, nachdem Sie ihn zuvor in einer Strafaktion aus Ihrem Landesverband abgeschoben haben.
Nur, ich möchte hier nachdrücklich unterstreichen, daß das, was an Äußerungen vom Kollegen Todenhöfer, zum Teil auch vom Kollegen Graf Huyn zu bestimmten Schwerpunkten der Afrika-Politik bisher gekommen ist, unsere Aktionsmöglichkeiten, die
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deutschen Aktionsmöglichkeiten in Afrika, insbesondere in Schwarzafrika, massiv beeinträchtigt hat.
Es muß doch für Sie beschämend sein, daß niemand anders als die von Ihnen ansonsten ja sicherlich verehrte Frau Thatcher Ihren Parteivorsitzenden faktisch widerlegt hat. Ihr Parteivorsitzender hat in einem Brief an den Bischof Musorewa geschrieben — ich zitiere aus Ihrem eigenen Pressedienst —:
Ich halte es für erforderlich, daß diese Wahl — das war die frühere Wahl —
und die Entscheidung international respektiert und eine neue Regierung von allen Nationen anerkannt wird.
Ich bin froh darüber, daß sich die Europäische Gemeinschaft zu diesem Trugschluß nicht hat verleiten lassen. Dies hätte das Verhältnis zu den übrigen Staaten, insbesondere zu den Frontstaaten, in Afrika erheblich belastet.
— Nein, nein. Ich meine, daß alle Überlegungen, die wir unter Abwägung der Interessen sowohl der Menschen in Rhodesien wie der in den übrigen schwarzafrikanischen Staaten angestellt haben, zu der berechtigten Schlußfolgerung geführt haben, hier müßten faire Wahlen unter Beteiligung aller dort Beteiligten stattfinden. Lassen Sie sich, wenn schon nicht von mir — was ich verstehe —, so doch von Ihrer konservativen britischen Parteifreundin überzeugen.