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    Plenarprotokoll 8/191 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 191. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Inhalt: Zusätzliche Überweisung eines Gesetzentwurfs an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 15045A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 15045 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) — Drucksachen 8/3100, 8/3354 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt -- Drucksache 8/3374 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/3375 — in Verbindung mit Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 8/3384 — Schröder (Luneburg) CDU/CSU 15046A, 15047A Löffler SPD 15048A Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 15049B, 15120C Wehner SPD 15064 B Genscher, Bundesminister AA 15071 B Dr. Barzel CDU/CSU 15077 A Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 15086A Dr. Ehmke SPD 15087A Hoppe FDP 15097A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 15103A, 15120B Dr. Kohl CDU/CSU 15111 D, 15128 D Mischnick FDP . 15129B Dr. Blüm CDU/CSU 15132 C Rohde SPD 15141A Cronenberg FDP 15147 C Dr. Marx CDU/CSU 15151A Dr. Corterier SPD 15154 C II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Möllemann FDP 15156D Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 15159B Würtz SPD 15162B Zywietz FDP 15164D Haase (Kassel) CDU/CSU 15167A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 15169B Picard CDU/CSU 15170D Namentliche Abstimmung 15172A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/3395 — 15174A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/3390 — 15174 C Nächste Sitzung 15174 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . .15175* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15045 191. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 190. Sitzung, Seite 15019* A, Zeile 10: Statt „Bundesrechtsrahmengesetz" ist „Beamtenrechtsrahmengesetz" zu lesen. Zwei Zeilen weiter muß es statt „Bundesbesoldungsgesetz" „Bundesbeamtengesetz heißen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 14. 12. Dr. Aigner* 14. 12. Alber* 14. 12. Dr. Bangemann* 14. 12. Blumenfeld* 14. 12. Brandt 11. 12. Egert 14. 12. Fellermaier* 14. 12. Frau Dr. Focke* 14. 12. Friedrich (Würzburg) * 14. 12. Dr. Früh* 14. 12. Dr. Fuchs* 14. 12. von Hassel* 14. 12. Katzer 14. 12. Dr. h. c. Kiesinger 12. 12. Dr. Klepsch* 14. 12. Lange* 14. 12. Lüker* 14. 12. Luster* 14. 12. Milz 14. 12. Dr. Müller-Hermann* 14. 12. Peiter 11. 12. Dr. Pfennig* 14. 12. Frau Schleicher* 14. 12. Dr. Schwarz-Schilling 13. 12. Dr. Schwencke (Nienburg) * 14. 12. Seefeld* 14. 12. Sieglerschmidt* 14. 12. Frau Tübler 14. 12. Frau Dr. Walz* 14. 12. Wawrzik* 14. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu dem außenpolitischen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß.
    Der Kollege Strauß hat mit Recht auf die große Herausforderung hingewiesen, der wir und, wie ich hinzufüge — alle diejenigen Afrikaner, die auf unabhängige und selbständige Entwicklung bedacht sind, in Afrika ausgesetzt sind. Das macht es notwendig, daß die Staaten der westlichen Welt in einer übereinstimmenden und vorwärtsweisenden Konzeption dazu beitragen, daß Afrika nicht in den Vorherrschaftsbereich der Sowjetunion fällt, sondern daß Afrika seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit entwickeln kann. Dazu ist aber auch notwendig, daß wir dort eine klare Position beziehen, wo entscheidende Fragen der Überwindung des Kolonialismus und des Rassismus zur Diskussion stehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    In diesen Wochen und Tagen bemüht sich die konservative englische Regierung mit großem Nachdruck um eine Friedenslösung unter Teilnahme aller Streitparteien in Rhodesien. Ich möchte von dieser Stelle aus sagen: Die Bundesregierung unterstützt diese britischen Bemühungen ohne jeden Vorbehalt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das tun wir alle!)

    Wir appellieren an alle Beteiligten, daß sie nicht diese Lösung verzögern, sondern durch konstruktive Mitwirkung dieser Lösung nicht nur zustimmen, sondern diese Lösung auch in ihrer praktischen Durchführung unterstützen.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich glaube aber, daß es gut wäre, wenn die Kollegen der CDU/CSU diese Debatte nutzen würden, um ihre Position zu dieser Form der Lösung des Rhodesienkonflikts neu zu überdenken und neu zu formulieren. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, daß die Bundesregierung schärfsten Attacken aus den Reihen der Opposition ausgesetzt war. Der Kollege Graf Huyn hat am 25. April dieses Jahres erklärt: Die Bundesregierung muß die schwarze Mehrheitsregierung — das war die Regierung Muzorewa, die eben nicht von den Engländern anerkannt worden ist, weil man der Meinung war, daß die damals abgehaltenen Wahlen nicht eine Grundlage für eine dauerhafte und friedliche Lösung sind — anerkennen und zusammen mit den westlichen Regierungen die Aufhebung aller wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen gegen Rhodesien durchsetzen. Kurz danach hat die Fraktion der CDU/CSU erklärt, sie halte es für erforderlich, daß diese Wahl und die Entscheidung des Volkes von Zimbabwe-Rhodesien international respektiert und die neue Regierung von allen Nationen anerkannt wird; deshalb werde sie sich auch dafür einsetzen, daß auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland diesen Schritt unternimmt. Der Herr Kollege Todenhöfer hat noch in den Tagen, in denen sich die britische Regierung in Lusaka mit ihren Commenwealthstaaten darum bemühte, die Zustimmung auch der Frontstaaten zu dieser Rhodesienlösung zu finden, am 5. August, einen Tag, bevor die Einigung dort zustande kam, erklärt: Die Union fordert die Bundesregierung auf, die neue Regierung in Rhodesien anzuerkennen und die Sanktionen gegen das Land aufzuheben, deren Hauptgründe durch die freien Wahlen und den Abbau der Rassendiskriminierung entfallen sind. Er sagte dann noch hinzu: Und ich würde unseren Freunden mehr finanzielle Hilfe gewähren als unseren Feinden, also Kenia mehr als etwa Tansania.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir damals Ihrem Ratschlag gefolgt wären, wären wir den Bemühungen unserer britischen Freunde in den Rücken gefallen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich denke, es wäre gut, wenn heute klar würde, daß die Unionsparteien diese Bemühungen, die von allen westlichen Staaten unterstützt werden, auch unterstützen.
    Ich denke, Herr Kollege Todenhöfer, daß wir auch nicht leichtfertig über Staatsoberhäupter afrikanischer Staaten sprechen sollten. Wissen Sie eigentlich nicht, daß der Präsident von Tansania, Herr Nyerere, einer der hauptsächlichen Unterstützer und Befürworter der britischen Bemühungen um eine friedliche Lösung gewesen ist? Ohne ihn wäre die Einigung in London nicht soweit gelangt, wie sie heute ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich bin völlig der Meinung des Kollegen Strauß: Wir müssen diejenigen Staaten in Afrika unterstützen, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollen, die eine Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten wollen. Aber ich frage Sie: Wer war es denn, der auf dem Gipfel der Blockfreien in Havanna die Unabhängigkeit der Bewegung der Blockfreien bewahrt hat, wer sie gegen den Versuch der Sowjetunion, Einfluß in dieser Bewegung zu gewinnen, verteidigt hat? Präsident Nyerere von Tansania, den Sie hier als einen Feind unseres Landes bezeichnen, war einer der Hauptsprecher für die
    15074 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Bundesminister Genscher
    Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt gegen sowjetische Bevormundung! Ich bitte Sie: Gehen Sie nicht so mit den Staatsoberhäuptern von Staaten um, die mit unserem Land befreundet sind!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte, bevor ich zu den wichtigen Entscheidungen, die vor uns stehen, komme, noch ein Wort zu der Frage sagen, die Herr Kollege Strauß hier angeschnitten hat, wie der Bundeskanzler und die Bundesregierung es mit der Einheit der Nation halten. Diese Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den Verträgen den Brief zur deutschen Einheit zum Bestandteil dieser Verträge gemacht. In diesem Brief heißt es: „Unser Ziel bleibt es, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt." Dazu stehen wir. Ich denke, niemand sollte uns diese Absicht, diesen Willen bestreiten.
    Im Gegenteil: Ich finde, daß die Politik, die wir betreiben — Entspannung, Sicherheit, Abrüstung —, darauf gerichtet ist, eben diesen Zustand des Friedens in Europa zu schaffen. Das sind die Herausforderungen, die uns außenpolitisch in dieser Zeit und an der Schwelle des neuen Jahrzehnts gestellt sind. Ich bin der Überzeugung: Der Westen wird diese Herausforderungen nur bestehen, wenn es ihm gelingt, in der internationalen Diskussion, aber auch in der internationalen Politik die wirklichen Alternativen herauszustellen. Sie lauten: Sicherheit auf einem niedrigeren Niveau der Rüstungen durch Gleichgewicht auf einem niedrigen Niveau der Rüstungen und nicht mehr Aufrüstung und Drehen an der Rüstungsschraube.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wer dreht denn an der Schraube?)

    Die Alternative lautet: Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, nicht Vorherrschaft. Die Alternative lautet: Entwicklung der Dritten Welt durch partnerschaftliche Zusammenarbeit und nicht durch Fortsetzung einer Politik, in der die Industriestaaten nicht in der Lage sind, den Staaten der Dritten Welt ausreichende Hilfe zu geben. Die Alternative lautet schließlich: Entwicklung der Industriestaaten durch Einsparen von Energie und durch Schaffung von Energieunabhängigkeit und Entwicklung aller Energiemöglichkeiten einschließlich der begrenzten Nutzung der Kernenergie oder Energieabhängigkeit.
    Die Völker dieser Welt ächzen unter den Lasten der Rüstung. Das müssen wir den Menschen in allen Teilen dieser Welt immer wieder ins Bewußtsein rufen. Ich möchte einmal ein paar Zahlen vortragen, um diese Last deutlich zu machen, aber auch um zu zeigen, wer seinen Völkern die größere Last aufbürdet. Für Rüstung wurden in der NATO im Jahre 1978 4,3 % des Bruttosozialprodukts ausgegeben, im Warschauer Pakt 11,8 % des Bruttosozialprodukts; für Entwicklungshilfe im Bereich der NATO 0,37% des Bruttosozialprodukts, im Bereich des Warschauer Pakts 0,04 %. Das bedeutet: Im Bereich der NATO sind die Aufwendungen für Rüstung das 11,4 fache der Aufwendungen für Entwicklungshilfe; im Bereich des Warschauer Pakts sind die Aufwendungen für Rüstung das 280fache der Aufwendungen für die öffentliche Entwicklungshilfe.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Ich erwähne das, um zu zeigen, daß unsere Bemühungen um Abrüstung in Europa nicht nur eine Möglichkeit sind, den Frieden sicherer zu machen, sondern daß sie vor allem auch die Chance bieten sollen, daß sich auch die Staaten des Warschauer Pakts verstärkt und wir uns noch stärker an der Entwicklung der Dritten Welt beteiligen können.
    Vor welchen Entscheidungen steht nun das westliche Verteidigungsbündnis in dieser Woche? Ich mache zu meinem Bedauern die Beobachtung, daß eine bemerkenswerte Übereinstimmung in zwei verschiedenen Lagern in der Bewertung der vorstehenden Entscheidungen vorhanden ist, nämlich in der Überbetonung der Nachrüstung. Die einen sehen nur die Komponente der Nachrüstung, weil sie sie ablehnen, während die anderen die Komponente der Nachrüstung betonen, weil sie sie bejahen. In Wahrheit muß der Doppelcharakter dieser Entscheidung gesehen und betont werden. Es geht darum, im Bereich der Nachrüstung die durch Vorrüstung entstandenen Gefährdungen und Belastungen für das Gleichgewicht abzubauen. Wir sind der Meinung, daß die in diesem Beschluß liegende Doppelstrategie die konsequente Anwendung der Grundsätze des Harmel-Berichts ist: Verbindung zwischen Verteidigungsfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft.
    Wir sind überzeugt, daß beides nur möglich ist unter Fortsetzung einer konstruktiven Entspannungspolitik. Wir haben es als ein positives Signal aufgenommen, daß die langfristige Fortsetzung dieser Politik sowohl in der Rede des sowjetischen Generalsekretärs, die er am 6. Oktober 1979 in Berlin gehalten hat, wie in dem gemeinsamen Kommuniqué, das wir in Bonn abgegeben haben, und auch in dem Kommuniqué der Außenminister des War- schauer Pakts unterstrichen worden ist.
    Die notwendige Modernisierungsentscheidung des Westens ist die Konsequenz aus — ich wiederhole es — den Vorrüstungsentscheidungen des Ostens. Der Westen hat die Erfahrung machen müssen, daß ein einseitiger Verzicht auf westlicher Seite, so z. B. der Verzicht der Vereinigten Staaten auf den Bau des Bombers B i, aber auch die Zurückstellung der Entscheidung über die Neutronenwaffe, ohne Gegenleistungen geblieben ist. Unsere Verbindung der Doppelentscheidung ist die Möglichkeit, die Rüstungsspirale anzuhalten und ihre Bewegung in das Gegenteil zu bewirken. Die Sowjetunion würde uns die Verhandlungen, die wir wollen und die bevorstehen, erleichtern, wenn sie sich bereiterklären könnte, schon jetzt den weiteren Aufwuchs ihrer Mittelstreckenraketen zu stoppen, nicht neue Mittelstreckenraketen zu stationieren, nicht neue zu produzieren. Das würde die Verhandlungen über diese komplexe Frage erheblich erleichtern und damit kürzere Verhandlungen möglich machen.
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15075
    Bundesminister Genscher
    Wir bieten den Partnern im Sicherheitsdialog, also den Partnern im Osten, als westliche Staaten ein zusätzliches Maß an Sicherheit, weil wir alle, auch Rüstungsentscheidungen in unseren transparenten Gesellschaften und Staaten öffentlich diskutieren, weil wir unsere Politik durch die öffentliche Diskussion berechenbar machen, und zwar nicht nur für uns selbst, nicht nur für unsere Bürger, sondern für alle, die es angeht, vor allen Dingen für diejenigen, die uns auf der anderen Seite, ebenfalls in einem Pakt zusammengeschlossen, gegenüberstehen.
    Wir sind der Überzeugung, daß die Entscheidung, die in dieser Woche in Brüssel zu fällen ist, eine Entscheidung darstellt, deren Bedeutung über die militärische Komponente der Nachrüstung und Vorschläge zur Abrüstung weit hinausgeht. Diese Entscheidung wird Auskunft darüber geben — und das ist ihre politische Bedeutung —, ob die westlichen Demokratien, die im westlichen Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen sind, in der Lage sind, als notwendig erkannte, für richtig gehaltene Entscheidungen auch wirklich zu treffen und politisch durchzusetzen.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Bundesregierung ist entschlossen, um der Solidarität des Bündnisses willen ihre Verantwortung bei dieser Entscheidung zu tragen, um damit den Weg für konstruktive Abrüstungsverhandlungen freizumachen, die wir anbieten werden. Allein die Entscheidung über Nachrüstung, die ja erst in frühestens drei bis vier Jahren zur ersten Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa führen wird, allein schon diese politische Entscheidung wird mit dem Angebot und der Absicht der Vereinigten Staaten verbunden werden, 1000 Sprengköpfe aus Europa zurückzuziehen. Das macht deutlich, daß wir nicht etwa ein atomares Superlager in Westeuropa haben wollen, sondern daß wir uns auch in diesem Bereich der Verteidigung an dem orientieren wollen, was zu unserer Sicherheit unbedingt notwendig ist. Der Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß das Ausmaß der Nachrüstungsentscheidung und das Ausmaß der Nachrüstung tatsächlich sich an dem orientieren kann, was bei konkreten Abrüstungsverhandlungen an konkreten Ergebnissen erzielt wird.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird jetzt darauf ankommen, daß wir die Möglichkeiten des Abrüstungsdialogs deutlich sehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden im SALT-IIIRahmen mit der Sowjetunion über die Mittelstrekkenwaffen verhandeln. Wir werden bei allen NATO-Ratstagungen eine Bewertung der Verhandlungsergebnisse vorzunehmen haben. Eine begleitende Arbeitsgruppe wird sicherstellen, daß die Interessen der Europäer dabei nicht zu kurz kommen.
    Wir werden darüber hinaus dafür sorgen, daß die Vertrauensbildung in Europa gestärkt werden kann. Die Bundesregierung war es, die bei den Verhandlungen vor der Helsinki-Konferenz Wert darauf gelegt hat und schließlich durchgesetzt hat, daß vertrauensbildende Maßnahmen Bestandteil des
    Schlußdokuments von Helsinki geworden sind. Das war notwendig, weil wir wissen, daß erste Voraussetzung von Sicherheit der Abbau von Mißtrauen ist und daß Maßnahmen zur Vertrauensbildung eine gute Voraussetzung für tatsächliche Abrüstungsentscheidungen sein können.
    Wir waren damals recht allein und mußten lange um Unterstützung ringen. Ich denke, daß es auch an dieser Stelle gut wäre, wenn die Kollegen der Opposition, die heute zu Recht unser Bemühen um die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen unterstützen, sagten, daß sie nicht nur, weil das Schlußdokument von Helsinki unterzeichnet wurde, zu diesem Schlußdokument stehen, also nicht nur unter dem Gesichtspunkt „pacta sunt servanda , sondern weil es auch richtig war, dieses Schlußdokument zu unterzeichnen. Gäbe es das nicht, würden wir heute nicht über weitere vertrauensbildende Maßnahmen verhandeln können.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir sehen es als ein positives Zeichen an, daß die sowjetische Regierung ebenfalls vertrauensbildende Maßnahmen zum Verhandlungsgegenstand machen will.
    Die Bundesregierung unterstützt mit großem Nachdruck die Vorschläge der französischen Regierung für eine europäische Abrüstungskonferenz, weil diese europäische Abrüstungskonferenz in ihrer ersten Phase die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen zum Hauptgegenstand machen will. Diese Vorschläge der französischen Regierung beheben einen zugegebenermaßen vorhandenen Mangel des Schlußdokuments von Helsinki. Bekanntlich erstrecken sich dort bestimmte vertrauensbildende Maßnahmen nur auf einen Streifen 250 km östlich der sowjetischen Westgrenze. Der Vorschlag der französischen Regierung will aber das Gebiet für alle vertrauensbildenden Maßnahmen vom Atlantik bis zum Ural erstrecken. Das heißt durch ein Geflecht vertrauensbildender Maßnahmen soll auf dieser großen Kontinentalmasse ein Maß an Vertrauen und Sicherheit vor Überraschungsangriffen, vor Angriffen aus dem Stand geschaffen werden, das es den Beteiligten leichter möglich machen sollte, zu Reduzierungen, z. B. auch im Rahmen der MBFR-Verhandlungen in Wien, zu kommen.
    Diese Verhandlungen in Wien wiederum wollen wir durch einen deutschen Vorschlag fördern, bei dem ich davon ausgehe, daß er morgen oder übermorgen beschlossen werden wird. Es handelt sich um den Vorschlag, durch ein Interimsabkommen zunächst eine Reduzierung der amerikanischen und sowjetischen Streitkräfte in Mitteleuropa vorzusehen — eine ungleichgewichtige, um damit dem Ziel gleicher Stärken näher zukommen, allerdings unter der Voraussetzung der Daten-Einigung.
    Es geht also bei der Entscheidung, vor der das Bündnis steht, um die Frage, ob die westlichen Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, die für notwendig erkannten rüstungspolitischen und abrüstungspolitischen Entscheidungen in ihren Staaten durchzusetzen und gemeinsam im Bündnis zu ver-
    15076 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den i 1. Dezember 1979
    Bundesminister Genscher
    wirklichen. Das ist eine Bewährungsprobe auch der Solidarität zwischen den europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten von Amerika.
    Alle diejenigen, die sich im Schirm amerikanischer Interkontinentalraketen sicher fühlen, aber der Meinung sind, Westeuropa müsse sich hier heraushalten, sollten erkennen: Man kann Sicherheit nicht kaufen, man kann sich Sicherheit nicht schenken lassen; man muß vielmehr bereit sein, selbst dafür einzustehen, wenn man dauerhaft Sicherheit haben will.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich denke, daß wir dies unseren amerikanischen Partnern schuldig sind und daß die Bundesrepublik Deutschland, der auf Grund ihrer geographischen Lage und auch auf Grund ihrer wirtschaftlichen und politischen Stabilität und ihres Gewichtes im Bündnis von West und Ost eine wichtige Rolle bei der militärischen Verteidigung eingeräumt wird, diese wichtige Rolle gleichzeitig auch mit ihren Bemühungen um eine konstruktive, breit angelegte Abrüstungspolitik erfüllt. Das heißt Unterstützung der Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen mit dem Ziel, Sicherheit auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstung zu gewährleisten.
    Das bedeutet aktives Betreiben der Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen in Vorbereitung der Konferenz von Madrid. Hier werden wir alle Begegnungen mit Vertretern osteuropäischer Staaten nutzen, um den Boden für ein gutes Ergebnis in Madrid vorzubereiten: den Besuch des polnischen Außenministers in der nächsten Woche hier, meinen Besuch in Prag, den Besuch des ungarischen Außenministers, die Gespräche des Bundeskanzlers mit der sowjetischen Führungsspitze, die Begegnung des Bundeskanzlers mit Herrn Honekker. Wir dürfen niemanden bei dem Meinungsaustausch zur Vorbereitung der Verhandlungen, die wir im Rahmen des Bündnisses führen, aussparen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich denke, daß man hier die Bedenken gegen Diskussionen über diese Frage auch mit der DDR zurückstellen sollte angesichts der Notwendigkeit, daß wir keinen Gesprächspartner im Osten aus seiner Verpflichtung entlassen, mit uns über die notwendigen Abrüstungsmaßnahmen zu diskutieren.
    Ich habe eingangs über die Lasten der Rüstung auf den Schultern der europäischen Staaten gesprochen. Der hohe Anteil am Bruttosozialprodukt in den Staaten Osteuropas ist einer der Gründe für die schwerwiegenden wirtschaftlichen Lasten, die auf diesen Ländern liegen, und für die schwerwiegenden Probleme. Es liegt also sowohl im Interesse des Friedens wie auch im Interesse einer Erleichterung der wirtschaftlichen Lage in den Staaten des Warschauer Pakts wie im Interesse der Förderung der Fähigkeiten der Staaten des Warschauer Pakts, der Dritten Welt zu helfen, wenn sie auch bereit sind, in einem konstruktiven Abrüstungsdialog mit uns dafür zu sorgen, daß wir zu einem Gleichgewicht auf einem niedrigeren Niveau der Rüstungen in Europa kommen. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, und unsere Verbündeten sind dazu bereit.
    Dieses Gleichgewicht wird unsere Sicherheit hier in Europa garantieren. Es wird aber, wenn es auf dem niedrigeren Niveau erzielt werden kann, auch unsere eigene Fähigkeit erhöhen, den Staaten der Dritten Welt zu helfen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Nur eine gesunde wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern wird ihren Willen zur Unabhängigkeit stärken und wird Instabilitäten überwinden, die sie gegenüber Versuchen, sie unter Vorherrschaft anderer zu bringen, anfällig macht. Wir stellen einem Konzept der Vorherrschaft das klare Ziel der partnerschaftlichen, gleichberechtigten Zusammenarbeit von Industriestaaten und Staaten der Dritten Welt gegenüber. So haben wir uns für eine Sicherheitspolitik entschieden, die Gleichgewicht verlangt.
    Wir sind entschlossen, unsere Sicherheit durch die notwendigen Verteidigungsanstrengungen zu wahren. Wir sind aber ebenso entschlossen, alles zu tun, damit diese Verteidigungsanstrengungen so gering wie möglich sein können: durch Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie durch vertrauensbildende Maßnahmen. Wir sind entschlossen, auch weltpolitisch unsere Verpflichtungen zu erfüllen, nicht indem wir anderen aufdrängen wollen, wie sie zu leben haben, wie sie ihren Staat, ihre Gesellschaft zu organisieren haben, sondern indem wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Selbstbestimmung auf ihre Weise zu verwirklichen, durch gleichberechtigte Zusammenarbeit, durch Hilfe bei ihrer Entwicklung.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir bringen in dieser Politik den Vereinten Nationen ein hohes Maß an Verantwortung, Aufgaben und Vertrauen entgegen. Wir gehören nicht zu denjenigen, die sich in einem modischen Skeptizismus und einer modischen Kritik an den Vereinten Nationen erschöpfen. Die Vereinten Nationen sind zunehmend zu einem Forum der politischen Auseinandersetzung über Fragen geworden, die man früher militärisch zu lösen versuchte. Daß sie noch nicht alle Probleme haben lösen können, liegt wahrlich nicht an den Vereinten Nationen, sondern an mangelnder Einsicht vieler Beteiligter. Das gilt auch für die Ignorierung von Entscheidungen des Sicherheitsrates zur Lage im Iran.
    Wir haben auf der anderen Seite positive Entwicklungen zu verzeichnen. Wir müssen dankbar anerkennen, daß wir eine weltweite Unterstützung für unsere Initiative gegen die Geiselnahme gewonnen haben. Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, daß sich Staaten, wie der Irak, Jordanien und Libyen, in den letzten Tagen und Wochen mit großem Nachdruck für unsere Initiative eingesetzt haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Wir wünschen, daß sich diese Einsicht bei allen Nationen durchsetzen möge und daß das Plenum dieser Initiative zustimmt, damit sich in dieser Welt der Respekt vor dem Völkerrecht und vor der Men-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15077
    Bundesminister Genscher
    schenwürde durchsetzt, den wir bei der Behandlung der Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran vermissen müssen.
    Was dort geschieht, ist ein offener Bruch des Völkerrechts

    (Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen)

    und eine flagrante Verletzung aller Gesetze der Menschlichkeit. Wir bestreiten dem iranischen Volk nicht, ohne Einfluß von außen in eigener Zuständigkeit und Verantwortung sein künftiges Schicksal zu entscheiden; aber wir fordern mit Nachdruck, daß nicht Menschen eines anderen Landes in diesem Prozeß der Auseinandersetzung zu willkürlichen Opfern gemacht werden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich denke, daß wir uns in diesem Haus auch alle darüber einig sind, daß die Bundesregierung heute dem amerikanischen Außenminister, wenn er zu uns kommt, sagen kann: Die Vereinigten Staaten, die amerikanische Nation, die Menschen, die dort um ihr Leben bangen, können auf die Bundesrepublik Deutschland, sie können auf die Deutschen rechnen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir verstehen sehr gut, daß sich der Herr Kollege Genscher wegen seiner Verpflichtungen heute, morgen und übermorgen in Brüssel jetzt in die Debatte eingeschaltet hat. Ich nehme an, er wird verstehen, daß wir heute nicht das Bedürfnis haben, auf das Thema, das er in Brüssel verhandelt, jetzt öffentlich einzugehen. Was die Opposition vor Ihrer Reise, die sie mit guten Wünschen begleitet, öffentlich und intern zu sagen hatte, ist bekannt. Ich nehme an, daß die amtliche deutsche Politik dies als hilfreich einstuft. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich das auch bis zum Herrn Kollegen Wehner herumsprechen würde, damit er endlich merkt, daß hier eine konstruktive Opposition tätig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen sprechen wir am Freitag, wenn Sie zurückkehren.
    Ich möchte mich nun gern dem Haushalt des Bundeskanzlers zuwenden und mit einer Frage an ihn beginnen. Ich will nicht rügen, daß er im Augenblick nicht hier ist; er wird schon kommen, und er wird es ja hören. In Bonn ist eine Menge zu tun, und er wird es schon hören, keine Sorge.
    Ich möchte beginnen mit einer Frage, die zugleich eine persönliche Bemerkung ist. Die Frage: Wie fühlt sich ein Bundeskanzler, der den Eid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Grundgesetzes geleistet hat, der sich als Sozialdemokrat für diesen Staat ein Leben lang abgerackert hat, der, wie ich weiß, mit uns glaubt, dies sei der beste, der menschenwürdigste, der sozialste und freieste Staat unserer Geschichte, wie fühlt sich der, und wie fühlen sich seine Minister, wenn seine Genossen auf dem Parteitag zu Berlin nach Worten, die ich jetzt zitieren werde, in frenetisch-befreienden Jubel ausbrechen? Hier die Worte, gesprochen auf dem SPD-Parteitag, quittiert mit dem größten Jubel des Parteitags:
    In einem Augenblick, da die Grundrechte des einzelnen in diesem Land gefährdet sind wie niemals zuvor seit der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft, gefährdet durch die Folgen offener und geheimer Zensur und durch bürokratische Einschüchterung: ein „Kursbuch" im Gepäck an der Grenze, ein Amnesty-International-Plakat im Spind, ein Marx-Zitat in der Klausur, ein aufmüpfiges Gedicht im Lesebuch, einerlei ob von Grass oder von Goethe, eine Annonce zugunsten eines entlassenen Kollegen in der örtlichen Zeitung: wie leicht verstößt heute einer gegen jene
    — und jetzt kommt das Hämische —
    FDGO, die für einen Großteil der kritischen Generation längst zu einer Panzerfaust des Staates geworden ist ...
    So sprach Professor Jens unter dem lebhaftesten Beifall der Genossen.
    Ob wohl, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einer von den dort Wortberauschten daran gedacht hat, diese unsere Ordnung, diese Sozialdemokratie, diesen Kanzler gegen diese Schmähung unseres Staates und seiner Beamten und Institutionen in Schutz zu nehmen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ob wohl einer den Mut hat, den Herrn Rhetorikprofessor zu fragen, ob es unter seinem wissenschaftlichen Rang ist, hier Roß und Reiter zu nennen? Denn die Vorwürfe sind ungeheuerlich.

    (Conradi [SPD]: Dummes Zeug!)

    Oder sprach er nur so daher, weil es ihm gerade so paßte, als l'art pour l'art sozusagen?
    Ich möchte sagen: Wir machen uns ausdrücklich diesen Vorwurf nicht zu eigen. Ich sage, Herr Bundeskanzler: der Mann im Mond ist ein Zeitzeuge, verglichen mit diesem selbsternannten Mini-Danton, der irgendwo in einem selbsternannten Getto lebt, und diese Kapsel wird ja wohl bald zu röteren Horizonten ins Ungewisse abheben, meine Damen, meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Sagen Sie doch gleich „Pinscher"!)

    — Kollege Ehmke, kommen Sie her, sagen Sie, was Sie davon denken,

    (Dr. Ehmke [SPD]: Das werde ich tun! Sie sind wieder bei „Pinscher"! Sie haben nichts gelernt!)

    sonst treten Sie ab, denn aus diesem Geist sollte die Mehrheit, die Deutschland regiert, nicht bestimmt sein.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!)

    15078 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Dr. Barzel
    Meine Damen und Herren, die Wählerinnen und Wähler, die uns hierher entsandt haben, erwarten — das schließt an einen anderen Punkt vom Kollegen Genscher an, und ich hoffe, daß der Bundeskanzler darauf zurückkommt —, daß wir — —

    (Zurufe von der SPD)

    — Natürlich, ich habe doch gesagt, er kommt schon.

    (Conradi [SPD]: Das lohnte sich bis jetzt nicht, daß er kommt!)

    — Für Sie nicht, Herr Conradi? Sie machen sich also das zu eigen, was Herr Jens gesagt hat? Sie selbst verantworten, Herr Kollege Conradi, als nur Ihrem Gewissen verantwortlicher Abgeordneter, daß hier die Grundrechte verletzt werden? Daß es hier Zensur gibt? Und die bürokratische Einstellung? — Das verantworten Sie dann selbst!
    Meine Damen, meine Herren, ich hoffe, daß wir etwas zu den weltpolitischen Erschütterungen hören werden, die unser Volk, die uns alle erschüttern. Da stellen sich natürlich an uns alle Fragen; aber zuerst an die Bundesregierung, die über die Informationen wie über die Instrumente zum Handeln verfügt. Ich will deshalb einige Fragen stellen. Es wäre ja wohl blamabel, wenn sie im Laufe dieser langen Debatte nicht beantwortet würden.
    Erstens. Welche Vorkehrungen treffen EG und NATO, der Westen und Japan insgesamt, um uns vor künftiger Erpressung durch Staaten zu sichern? Wir wissen, daß ein Teil der Antwort hierauf nicht wird hier gegeben werden können, aber den allgemeinen und öffentlich möglichen Teil wollen wir, Herr Bundeskanzler, doch schon gerne hier hören; den sollte nicht nur der amerikanische Außenminister hinter verschlossenen Türen hören.
    Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, das, was heute Teheran und Öl und Washington betrifft, sei auf andere Themen nicht übertragbar. Das kann morgen andere Orte, andere Themen, andere Länder betreffen. Wenn der Westen mit der Schläue, jeder solle sein Schäfchen ins Trockene bringen, arbeiten wollte, würden bald wir alle, jeder für sich, in steigender Flut ertrinken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube nicht, daß Ayatollah Khomeini all das, was er in die Auseinandersetzung gebracht hat, gewagt hätte, wenn es eine Politik und ein Instrumentarium westlicher Solidarität gäbe.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Wir haben in den Ost-West-Fragen aus Erfahrung eine Politik und ein Instrumentarium der Solidarität gelernt. Dieses Instrumentarium reicht von politischen und diplomatischen Schritten über rechtliche Maßnahmen bis hin zu ökonomischen und militärischen Konsequenzen. Dies alles wird so direkt nicht zu übertragen sein. Wenn es etwa um Fragen des Handels geht, haben wir Deutschen dazu, was geht und was nicht geht, etwas beizutragen; wir haben das in den 60er und in den 50er Jahren doch erfahren. Nur ist eines, verehrte Damen und Herren, sicher: Das Zwergenhafte allein nationaler Politik ist hier auch dem einfältigsten Geist unübersehbar.
    Die Notwendigkeit der Stunde ist Solidarität. Mir war nicht wohl, als ich im Fernsehen sehen mußte, wie dieselben Männer, die vor der amerikanischen Botschaft in Teheran das tun, was jeder weiß, und dann, auch von ihren Geistlichen geleitet, mit freundlichen Gesichtern Blumen zu anderen westlichen Botschaften brachten. Da war mir nicht wohl, und ich hoffe, es wird in diesen Tagen ganz deutlich: Ohne Solidarität wird dies nicht gehen. Ich hoffe, wir hören etwas dazu.
    Das zweite — und das schließt an die letzte Debatte über den Haushalt des Kanzlers an —: Ende Januar habe ich hier für meine Freunde darauf hinweisen dürfen, daß wir glauben, ein Stück der westlichen Politik sei zu oberflächlich und zu materialistisch, und zwar insofern, als wir unsere säkularisierten Erfahrungen auf Länder übertragen, in denen das Geistige, das Geistliche und die entsprechenden eigenen Wertvorstellungen, Erfahrungen und Traditionen eine große Rolle spielen. Wir haben auf den Erfolg hingewiesen, den wir in Deutschland mit dem Gespräch der Konfessionen miteinander hatten. Dieses Gespräch hat nichts abgeschliffen, aber wir wissen nun, was wir aneinander haben. Wir haben auf das Gespräch zwischen Christen und Juden hingewiesen, wir haben angeregt, das zu einem Gespräch zwischen Christen, Juden und dem Islam zu erweitern, und haben gesagt, die Politik möge daran bitte Anteil nehmen.
    Diese sicher wichtige Anregung ist — ich sage das zu meiner Freude — auf Ihrer Seite positiv aufgenommen worden. Es gab ein Seminar, und es gibt dazu alle möglichen Planungen, die wir kennen. Nur, Herr Außenminister, nachdem Sie das dankenswerterweise in die Hand genommen haben — notwendig wären ein bißchen mehr Tempo und ein bißchen mehr Elan in diesen Fragen; nicht die Vertröstung auf die Gründung eines Zentrums übermorgen, sondern die Schaffung von Möglichkeiten, wie wir sie im Januar vorgetragen haben, morgen wäre das Wichtige.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir müssen eben einfach erkennen, daß man oft mit vollen Taschen zugleich leere Hände hat, weil der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Die Dimension „Geist" in die Politik einzuführen, war der Sinn dieser Initiative christlicher Demokraten. Ich meine, es stünde dem ganzen Hause gut an, dies zu unterstützen.
    Das dritte: Ausgerechnet in dieser weltpolitischen Lage leistete sich Europa — es tut mir leid, dies sagen zu müssen — den Luxus der Ratstagung von Dublin. Wäre es nicht an der Zeit — aber das wollen Sie ja nicht, Sie wollen da ja nicht ,,Schrittmacher" werden, Herr Bundeskanzler, obwohl das, wie wir jetzt an der Frage, die morgen in Brüssel behandelt wird, sehen, unser eigenes Interesse wäre —, hier in Europa zu neuen Wirklichkeiten, zu einer anderen Dimenion vorzustoßen? Natürlich wissen wir alle — und wir haben dies doch damals, als es um die Senkung des Getreidepreises ging, getragen —, daß

    Dr. Barzel
    für Frankreich der gemeinsame Agrarmarkt die Geschäftsgrundlage ist. Aber selbst dann, wenn wir sa- gen, dies muß so bleiben, und dies soll so bleiben, weil wir verläßliche Leute sind, muß doch unter Politikern, die in einem Boot sitzen, die Frage erlaubt sein: Schön, kann man das nicht auch billiger und effektvoller machen?
    Ebenso darf dann, wenn für die Briten offenbar bestimmte Dinge — Importe aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft. — wichtig sind, dadurch doch nicht die Frage verboten werden: Kann man hier nicht gemeinsam etwas Besseres finden? Ich meine, wir Deutschen sollten in diesem Zusammenhang auch einiges einsehen: nämlich daß es für uns in der EG doch von wachsendem Vorteil ist, dort gleichberechtigt mit zwei Mächten zu arbeiten, die ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates sind und zugleich über die modernsten Waffen verfügen.
    Ich glaube, diese drei Punkte gehören in eine Perspektive für die 80er Jahre, denn es geht ja nicht nur um Geld, es geht um die Politik für die 80er Jahre, die dann in Geld ihren Ausdruck findet. Das ist doch die Lage in Europa.
    Und das vierte: Die innerdeutschen Fortschritte sind gering, sind sehr teuer — wie ich glaube, zu teuer. Noch schlimmer ist: Sie stellen nicht Normalität her, sondern betonen mehr und mehr das ganz und gar Unnormale, wie gerade das jüngste Abkommen über die Pauschalierung der Straßengebühr zeigt. Oder hält jemand hier Straßenzoll in Deutschland für normal?
    Von einem relativ freizügigen Austausch zwischen Polen und Schweden kann man lesen; auch von den Problemen, die das schafft. Auch zwischen der DDR und Polen wie zwischen der DDR und der Tschechoslowakei gibt es, wie zu hören ist, einen visafreien Nachbarschaftsverkehr. Das ist heute normal. Und ich frage: warum gibt es das nicht zwischen beiden Staaten in Deutschland, also von Dresden nach Köln? — Wenn Sie da lachen, verehrter Herr Kollege, möchte ich Sie doch herzlich einladen, einmal zu prüfen, ob die Regierung, die Sie tragen, diese fundamentale Frage des frei von Dresden nach Köln sowie von Dresden nach Warschau und Prag Reisens einmal konkret und nachdrücklich vorgetragen hat. Wenn ja, mit welcher Antwort — das wird das ganze Haus und die Offentlichkeit interessieren —, wenn nein, würde das gegen Sie selber sprechen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich erinnere daran, gerade den künftigen Kandidaten von Bonn — ich weiß nicht, ob er schon aufgestellt ist —, Herrn Kollegen Ehmke, der immer so sagt, es sei früher gar nichts gewesen, daß es schon vor den Ostverträgen — der Bundeskanzler weiß das sehr gut, wie seine Einlassung neulich zeigt — quantitativ und qualitativ bemerkenswerte innerdeutsche Begegnungen gab. Wenn Sie sich die Zahlenreihen einmal ansehen, finden Sie mehr als eine Million Reisen in die DDR und Besuchsreisen in derselben Größenordnung aus der DDR. Das war in den 60er Jahren. 1955 und 1956 kamen mehr als 2 Millionen Besucher aus der DDR hierher, und davon waren viele Tausende Künstler, Wissenschaftler,
    Ärzte, z. B. bei gesamtdeutschen Veranstaltungen, die der Bund damals gefördert hat.
    Herr Bundeskanzler, ich erinnere an dies beides, an den Nachbarschaftsverkehr aus der DDR, etwa in die Tschechoslowakei und nach Polen, und an die höheren Zahlen von früher, weil Sie sich ja entschlossen haben, erneut zu Herrn Honecker zu fahren. Ich meine, diese Erfahrungen gehören in Ihr Reisegepäck. Denn diese Reise hat doch nur dann einen guten Sinn, wenn sie hilft zur Normalität. Normalität aber ist nicht, daß Sie beide auf dem Fernsehschirm sind, sondern die Normalität ist, daß die Menschen in Deutschland, daß Deutsche in Deutschland normal miteinander umgehen können,.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    sich treffen können usw. Es kann doch nicht der Sinn dieser Politik sein, das Unnormale zu zementieren und obendrein noch zu teuer zu bezahlen. Ich habe Ihnen im Januar doch die verschenkte Milliarde vorgerechnet.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Wann ist denn die Mauer gekommen?)

    Wenn es darum geht, die neueste Abmachung zu erörtern, werden wir Ihnen vorrechnen, welche Beträge da wieder drinstecken, von denen wir glauben, daß sie überflüssigerweise, bezahlt werden.

    (Wehner [SPD]: Da haben Sie wenigstens etwas zu tun!)

    — Herr Kollege Wehner, warum wollen Sie dem, was jetzt kommt, nicht zustimmen? Sie kennen unsere Konzeption und unsere Vorliebe auf dem Gebiet für Stufenpläne, die wir brauchen, damit man Leistung und Gegenleistung abfragen kann; Stufe zwei tritt in Kraft, wenn Stufe eins erfüllt ist.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, war nicht mal die Stufe null in Kraft!)

    Warum, verehrter Herr Bundeskanzler, nehmen Sie in ihrem Reisegepäck nicht etwa einen Zehnjahresplan mit Stufen mit, nach dem innerhalb von jeweils zwei Jahren weitere Jahrgänge von drüben nach hier kommen können?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Das wäre etwas ganz Konkretes, Nachprüfbares. Sie haben ja immer gern konkrete Hinweise von uns.