Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich verstehe Ihre Empfindungen.
Der Kollege Blüm hat — damit komme ich zur Sozialpolitik — ein Bild von der sozialen Sicherung in den 70er Jahren gezeichnet, das, wenn ich meine Erfahrung zugrunde lege — ich darf wohl in Anspruch nehmen, auf diesem Felde Erfahrungen gemacht zu haben —, im völligen Widerspruch zu der tatsächlichen Entwicklung dieses Jahrzehnts steht. Er hat den Eindruck vermittelt, als ob alles auf die schiefe Ebene geraten sei. Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei dieser Bilanz über ein Jahrzehnt zunächst einmal den Eröffnungszug zu machen, sich die Frage vorzulegen, wie es denn am Anfang dieses Jahrzehnts — konkret: im November 1969 — ausgesehen hat.
— Darauf komme ich zu sprechen.
Ich werde nicht vergessen, welchen Eindruck wir hatten, als wir uns damals im Bundesarbeitsministerium mit dem vertraut machten, was von den vorher Regierenden als „Konzept" für die 70er Jahre hinterlassen worden war. Darin befand sich kein Wort über die Reform der Betriebsverfassung, kein Wort über die Mitbestimmung,
nichts über die Reform des Jugendarbeitsschutzes, kein Betriebsärtzegesetz als sozialpolitische Aufgabe im Hinblick auf die Gesundheit am Arbeitsplatz. Bezogen auf die soziale Sicherung lasen wir damals den bemerkenswerten Satz, es bestehe kein „besonderer Handlungsbedarf". Hinsichtlich der flexiblen Altersgrenze wurde an Hand von scheinbar unumstößlichen Zahlen erklärt, sie sei zwar wünschenswert, aber nicht durchzuführen, weil einfach nicht zu finanzieren. Und mit den damals noch restriktiven Bedingungen in der Krankenversicherung hatte man sich vollends abgefunden. Man muß sich einmal vorstellen, daß damals, als wir unsere Arbeit begannen, über die Hälfte der deutschen Angestellten keinen vollen Schutz in der Krankenversicherung gehabt haben. Dann wird sofort klar, was das für die 70er Jahre bedeutet hätte. So also war die Ausgangsposition, die wir vorgefunden haben.