Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich . Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Ta-
gesordnungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2017
Drucksachen 18/9200, 18/9202
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020
Drucksachen 18/9201, 18/9202, 18/9827
Am Mittwoch der Haushaltswoche rufe ich wie immer
Tagesordnungspunkt I .9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger Kruse,
Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs, Gesine
Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk .
Über diesen Einzelplan 04 werden wir später nament-
lich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen . Das sollte aus-
kömmlich sein, auch wenn dabei nicht jede Einzelheit des
Bundeshaushaltes vorgetragen werden kann und muss .
Ich bitte schon jetzt darum, dieses vereinbarte Zeitmaß
im Auge zu behalten . – Jedenfalls sehe ich gegen diese
Vereinbarung keinen Widerspruch . Also können wir so
verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! FrauBundeskanzlerin! Es ist schon verblüffend, wie Politikmanchmal funktioniert .
– Ich weiß gar nicht, was Sie daran so lustig finden. – In Deutschland wachsen soziale Ungleichheit und Verunsi-cherung und mit ihnen die Zahl der Wählerstimmen derAfD .
In Europa ist die deutsche Regierung so isoliert wie langenicht mehr .
Als bevorzugten Partner hat sich die Kanzlerin ausge-rechnet einen türkischen Diktator ausgesucht, der Jour-nalisten und Oppositionelle ins Gefängnis werfen lässtund die Todesstrafe großartig findet.
Trotz allem scheint sich die CDU/CSU – das zeigt Ihrewunderbare Stimmung heute – auf ein Weiter-so mit die-ser Kanzlerin, mit Frau Merkel, allen Ernstes zu freuen .
Ich kann nur sagen: Die Menschen in diesem Land kön-nen sich darauf nicht freuen . Ich sage Ihnen deswegenauch: Dazu wird es nicht kommen .
Angesichts Ihres Verhaltens fällt einem wirklich nurnoch der Satz von Albert Einstein ein:Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beimAlten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sichetwas ändert .
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Am Ende ändert sich dann doch meistens etwas, abervielleicht anders als erhofft .
In den USA hat die Führung der Demokraten denHoffnungsträger Bernie Sanders verhindert,
um dann mit einer Kandidatin des Establishments, die imGrunde all das verkörpert,
was die Menschen an der Demokratie verzweifeln lässt,Donald Trump den Weg ins Weiße Haus zu ebnen . Dassollte nicht nur der SPD zu denken geben, sondern na-türlich auch der CDU, die immerhin auch schon Kanzlerhatte, die den Unterschied zwischen einer Demokratieund einer Oligarchie, einer Reichtumsherrschaft, nochganz gut kannten .
Wohlstand für alle, Frau Merkel – es wäre nett, wennSie mir zuhören könnten –: Damit war anderes gemeintals die marktkonforme Verwaltung eines globalisiertenRaubtierkapitalismus, der die Mittelschicht zerstört unddiese Gesellschaft immer tiefer sozial spaltet .
In der alten CDU übrigens wäre eine Situation, in derman sogar gemeinsam mit der SPD nicht einmal mehrdie Hälfte der Wählerinnen und Wähler erreicht, nochkomplett unvorstellbar gewesen .
Aber damals wusste auch die SPD noch, dass Arbei-terparteien nicht dafür gegründet worden waren, ihreMinister an zahlungskräftige Wirtschaftslobbyisten zuvermieten und denen dann die Wünsche von den Augenabzulesen,
mögen sie nun Senkung der Lohnkosten oder CETA hei-ßen .Und Sie machen weiter, als wäre nichts passiert . Alsuntrügliches Signal des großkoalitionären Weiter-soschlagen Sie uns jetzt also gemeinsam Frank-WalterSteinmeier für das Amt des nächsten Bundespräsidentenvor .
Hätten wir mit der Kandidatur des profilierten Agen-da-Kritikers Christoph Butterwegge nicht noch ein biss-chen Frischluft in Ihren muffigen Konsens gebracht, dann hätten Sie die Bundesversammlung auch gleichganz absagen können .
Es sind doch genau solche Wahlen, bei denen es nichtsmehr zu entscheiden gibt, die die Menschen an der De-mokratie verzweifeln lassen und
die auch demokratische Entscheidungen zu einer Farcemachen .Als die Briten im Juni für den Ausstieg aus der EU vo-tierten, waren Sie alle geschockt, um dann mit doppelterEnergie das Konzernschutzabkommen CETA in der EUdurchzuboxen . Klasse gemacht! Beim nächsten Exit-Re-ferendum haben die Befürworter ein Argument mehr aufihrer Seite .
Als vor zwei Wochen die US-Bürger für Trump stattfür Ihre gemeinsame Favoritin Clinton stimmten, warenSie wieder alle geschockt .
Aber Ihre einzige Schlussfolgerung scheint zu sein, jetzteinen europäischen Hochrüstungswettlauf zu starten .Glauben Sie wirklich, das ist es, worauf die MillionenAbstiegsgefährdeten in Europa und die verlorene Gene-ration in den Krisenländern gewartet haben? Offenbarhat selbst ein Donald Trump wirtschaftspolitisch mehrdrauf als Sie .
Denn immerhin hat der Mann begriffen,
dass staatliche Industriepolitik besser ist als billigeDienstleistungsjobs und dass gegen Krise und marode In-frastruktur nicht Kürzungspolitik hilft, sondern ein großangelegtes öffentliches Investitionsprogramm .
Weil schon die Ankündigung dieses Programms zuhöheren Zinsen in den USA geführt hat, wird Europa un-ter Ihrer Führung wohl lieber mit seinem Geld neue Brü-cken und moderne Netze in den USA finanzieren, statt den Niedergang der europäischen Infrastruktur endlichzu stoppen und Industriearbeitsplätze auch in Frankreichund Italien zu verteidigen und zu retten . Aber merken Siedenn gar nicht, dass es genau diese fatale Politik ist, dieEuropa spaltet und immer mehr kaputtgehen lässt?Dr. Sahra Wagenknecht
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Sollte im nächsten Jahr tatsächlich Marine Le Penfranzösische Präsidentin werden, dann werden Sie wie-der alle geschockt sein, und wahrscheinlich beklagen Siedann wieder die Verführungsmacht geschickter Popu-listen und das Zeitalter des Postfaktischen . Aber wennetwas postfaktisch ist, dann sind das nicht die Emotio-nen der Menschen, die sich von Ihrer Politik im Stich ge-lassen fühlen, sondern die Lügenmärchen, die Sie ihnenerzählen, um zu begründen, dass diese Politik angeblichalternativlos ist .
Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen? DieUS-Bürger haben doch gar nicht in erster Linie den Mil-liardär Donald Trump gewählt .
Sie haben das Weiter-so abgewählt, und dafür hatten siein einem Land, wo die mittleren Löhne heute unter demNiveau der 80er-Jahre liegen, natürlich allen Grund .
Auch in Deutschland haben immer mehr Menschen guteGründe, enttäuscht und wütend zu sein: über eine groß-koalitionäre Einheitspolitik, die sich für ihre elementarenLebensinteressen und Zukunftsängste überhaupt nichtmehr interessiert,
sondern gleichgültig und emotionslos immer wieder Ent-scheidungen fällt, die die Reichen noch reicher, die Kon-zerne noch unverschämter und das Leben der arbeitendenMitte und der Ärmeren noch unsicherer und prekärer ma-chen. Ich finde, eine solche Politik ist unglaublich und sie ist verantwortungslos .
Gucken Sie sich doch an, wie sich dieses Land in denletzten 20 Jahren verändert hat! Trotz boomender Export-wirtschaft und trotz Wirtschaftswachstum lebt heute inDeutschland jeder sechste Rentner in Armut und musssich um seine Lebensleistung betrogen fühlen .
Immer mehr Kinder beginnen ihr Leben mit der Grund-erfahrung, dass sie von der schönen bunten Welt ausge-schlossen sind und dass ihnen das Leben viel wenigerbieten wird als anderen . Millionen Arbeitnehmer werdenin Leiharbeit, Werkverträgen und Dauerbefristungen zuBeschäftigten zweiter Klasse degradiert . Diejenigen,deren Löhne kein Tarifvertrag mehr regelt – das ist in-zwischen jeder zweite –, verdienen heute 18 Prozent we-niger als im Jahr 2000 . Diesen Menschen erzählen Sie,Deutschland gehe es gut, und sie sollen sich freuen überIhre erfolgreiche Politik . Das ist doch der blanke Hohn,was Sie da machen .
Sie erzählen ihnen, die Agenda 2010 habe ein Jobwun-der ausgelöst . Ja, wir hatten in Deutschland einmal5 Millionen Arbeitslose . Heute bekommen nur noch800 000 Menschen Arbeitslosengeld . Aber dafür gibt es4,3 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger, diealle arbeiten möchten, teilweise sogar Arbeit haben, teil-weise sogar Vollzeit arbeiten und trotzdem von staatli-chen Lohnersatzleistungen abhängig bleiben . Das machtin der Summe noch immer 5,1 Millionen Menschen . Wasist das denn für ein Fortschritt?
Die CDU einschließlich der Kanzlerin sollte aufhö-ren, die Agenda 2010 als Erfolgsmodell zu preisen,und sollte endlich wieder ein humanes Arbeitsrechtin Deutschland durchsetzen, wenn sie einen deut-schen Donald Trump verhindern will .
Diesen weisen Satz hat Ihnen in der letzten Woche Ihrehemaliger Generalsekretär Heiner Geißler zugerufen .Wenn diese Mahnung schon bei der CDU/CSU auf taubeOhren stößt: Müssen Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der SPD, nicht zumindest in Ihren Stühlen ver-sinken, wenn Sie merken, dass ein ehemaliger CDU-Ge-neralsekretär, der sich treu geblieben ist, inzwischen weitlinks von Ihnen steht? Gleichen Lohn für gleiche Arbeithat die SPD bei der letzten Wahl versprochen . Und washaben Sie gemacht? Ein Gesetz, das es Daimler, BMWund Co . in Zukunft sogar erleichtert, reguläre Jobs dauer-haft durch Leiharbeit zu ersetzen oder an Werkvertrags-unternehmen auszulagern . Das ist doch schäbig . Ihnenglaubt doch niemand irgendetwas, wenn Sie solche Po-litik machen .
Wie viele selbst von denjenigen in Deutschland, diesich all das noch leisten können, was für andere bereitszum unerschwinglichen Luxus geworden ist – eine guteAusbildung der Kinder, private Vorsorge für das Alter,Urlaubsreisen, Wohneigentum –, leben in der ständigenAngst, nach der nächsten Betriebsverlagerung auch zuden Verlierern zu gehören oder eiskalt aussortiert zu wer-den, wenn sie krank werden oder wenn sie nicht mehrständig Höchstleistungen erbringen können? Der Ameri-can Dream ist längst auch bei uns ausgeträumt . Wer au-ßerhalb der Oberschicht glaubt denn heute noch, dass esden Kindern einmal besser gehen wird als ihren Eltern?Die meisten erleben das Gegenteil . Das ist nicht Ergeb-nis einer Naturgewalt namens Globalisierung, sondernErgebnis politischer Entscheidungen .Auch Ihre Legende, rabiate Rentenkürzungen seiennotwendig, um die junge Generation vor zu hohen Be-lastungen zu bewahren, passt bestens in das Zeitalter desPostfaktischen .
Dr. Sahra Wagenknecht
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Rechnen wir doch einmal nach . Der aktuelle Beitrags-satz in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt bei18,7 Prozent, hälftig gezahlt von Unternehmen und Be-schäftigten . Zusätzlich sollen die Beschäftigten 4 Prozentihres Einkommens in einen jener sinnlosen Riester-Ver-träge versenken, von denen inzwischen jeder weiß, dasssie nur Banken und Versicherungen reich machen . Aberwer glaubte, die Maschmeyer-Kumpel Schröder undRiester seien schon der Tiefpunkt gewesen, dem beweistFrau Nahles, dass es noch schlimmer geht .
Ich rede von ihren Plänen für eine sogenannte Betriebs-rente, die genauso wie die Riester-Rente allein von denBeschäftigten gezahlt werden soll und die sich von denunsäglichen Riester-Produkten eigentlich nur in einemeinzigen Punkt unterscheidet: Bei Riester mussten dieAnbieter zumindest noch den Erhalt der eingezahltenBeiträge garantieren . Die Betriebsrente subventioniertder Staat auch dann, wenn das volle Verlustrisiko auf denkünftigen Rentner abgewälzt wird .Wenn wir zusammenzählen, dann laufen die Renten-pläne der Großen Koalition darauf hinaus, dass Arbeit-nehmer in Zukunft bis zu 20 Prozent ihres Einkommensfür die Altersvorsorge aufwenden sollen, um damit Ren-tenansprüche zu erwerben, die sich, anders als die Um-lagerente, bei der nächsten großen Finanzkrise in heißeLuft auflösen können. Das dann noch als Entlastung der jungen Generation zu verkaufen – darauf muss manwirklich erst einmal kommen .
Dabei brauchen Sie nur über die bayerischen Alpenhinauszuschauen, um zu sehen, wie es vielleicht bessergeht und wie man eine Rentenreform vernünftig machenkann . Nachdem in Österreich Rentenkürzungen à la Ries-ter am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert sind,
hat man eben die gesetzliche Rente zukunftsfest ge-macht . Das heißt, es gibt heute einen einheitlichen Topf,in den alle einzahlen, auch Selbstständige und Beamte .Der Beitragssatz liegt bei 22,8 Prozent, allerdings zah-len die Unternehmen mehr als die Beschäftigten . Die-ses System finanziert für langjährig Versicherte Renten von 1 800 Euro im Monat; die Mindestrente beträgt1 030 Euro .Und Sie muten Menschen, die ihr Leben lang hart ge-arbeitet haben, Armutsrenten von 1 000 Euro und weni-ger zu . Das sind 800 Euro weniger als in Österreich . Dasist doch unglaublich . Stoppen Sie endlich diese verant-wortungslose Rentenpolitik, die millionenfache Altersar-mut produziert!
Bei der Krankenversicherung ist es genau das Glei-che . Seit Ende der hälftigen Finanzierung steigt der Zu-satzbeitrag der Arbeitnehmer . Er steigt auch deshalb,weil der Pauschalbeitrag, den der Bund an die Kassenfür Hartz-IV-Bezieher überweist, die realen Kosten nichtdeckt . Das heißt, je mehr Hartz-IV-Empfänger – Sie wis-sen, dass die meisten Flüchtlinge ab dem nächsten JahrHartz IV bekommen werden –, desto teurer wird es fürden Postzusteller und die Aldi-Kassiererin, während derprivat versicherte Chef von ihnen und natürlich auch dieKonzerne, bei denen sie arbeiten, von der Finanzierungvon solchen gesellschaftlichen Aufgaben komplett ver-schont werden . Das ist doch ein Skandal . Wenn man sichdiese Politik anschaut, dann muss man fast schon denVerdacht haben, dass Sie einen geheimen Werbevertragmit der AfD abgeschlossen haben . Es ist doch unglaub-lich, was Sie machen .
Es ging also bei den Krankenkassen wie bei der Zer-schlagung der Rente nie um etwas anderes als um dieSenkung der Lohnkosten und die Steigerung der Unter-nehmensgewinne . Von wegen, mit den Gewinnen stei-gen auch die Investitionen . Wissen Sie, wie hoch dieReinvestitionsquote deutscher Industrieunternehmen imInland heute ist? 5 Prozent . Das heißt, 95 Prozent derGewinne, die sie durch Ihre Politik so erfolgreich erhöhthaben, werden an die Eigentümer ausgeschüttet, in Fi-nanzanlagen geparkt oder eben für Investitionen im Aus-land genutzt . Trotzdem verzichten Sie bis heute darauf,wieder einen größeren Teil der Unternehmensgewinnezur Finanzierung des Sozialstaates heranzuziehen . Wirhalten das für völlig unverantwortlich .
Aus allen wichtigen Bereichen, in denen er früher demLeben der Menschen Stabilität und Sicherheit gegebenhat, hat sich der Staat zurückgezogen . Nicht nur die So-zialversicherungen wurden demoliert, auch kommunaleWohnungen wurden privaten Renditejägern auf dem Sil-bertablett serviert, genau wie Krankenhäuser und Pflege-einrichtungen . Weil es sich nicht rechnet, fährt zu kleinenOrten kein Bus mehr, und der nächste Arzt ist meilenweitentfernt .Auch der jahrelange Personalabbau bei der Polizeihat ganze Wohnviertel zu nächtlichen No-go-Areas ge-macht . In den baufälligen Schulen dieser Viertel werdenvon überlasteten Lehrern auch nicht die hochqualifizier-ten Fachkräfte der Zukunft ausgebildet, sondern jungeMenschen, von denen viele im Leben nie eine Chancebekommen werden, weil das chronisch unterfinanzierte Bildungssystem dieses reichen Landes noch nicht einmalin der Lage ist, ihnen elementare Lese-, Schreib- undRechenfähigkeiten beizubringen . 21 Milliarden Euroweniger als der Durchschnitt der OECD-Staaten gibtDeutschland jährlich für seine Schulen und Universitätenaus . Was für ein Armutszeugnis, Frau Merkel .
Sagen Sie jetzt nicht: Bildung ist doch Ländersa-che . – Es ist Ihr steuerpolitisches Wohlfühlprogramm fürKonzerne und Superreiche, das die Verantwortung dafürträgt, dass viele Länder und Kommunen ihre Aufgabenüberhaupt nicht mehr erfüllen können . Sie feiern sichDr. Sahra Wagenknecht
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für Ihre schwarze Null . – Wissen Sie überhaupt, wie dieRealität in vielen armen Städten und Gemeinden diesesLandes aussieht?
Dort hat Ihre Kombination aus staatlicher Reichtumspfle-ge und „Wir schaffen das!“ dramatische Folgen . Wegender zusätzlichen Aufgaben ist die Verschuldung vielerStädte und Gemeinden im letzten Jahr weiter gewachsen,gerade auch in Nordrhein-Westfalen .
Überschuldete Gemeinden können ihren Bürgern immerweniger bieten: keine ordentlichen Kitas, keine Biblio-thek, kein Zuschuss zum Kulturverein oder auch zumSportverein . In Gelsenkirchen, wo 40 Prozent aller Kin-der in Hartz-IV-Familien aufwachsen, werden gerademehrere Schwimmbäder geschlossen . Im überschuldetenDuisburg muss in den nächsten Jahren jede achte Stel-le gestrichen werden, also noch weniger Erzieherinnen,noch weniger Personal an Krankenhäusern .Ihre tollkühnen Privatisierungspläne gehen immerweiter . Jetzt sollen sogar die Autobahnen, die die Men-schen mit ihren Steuern bezahlt haben, über sogenannteöffentlich-private Partnerschaften an Finanzinvestorenverscherbelt werden . Sind Sie denn von allen guten Geis-tern verlassen?
„Der einfache Bürger kämpft um das Überleben,
während die Profiteure, die reiche Oberschicht, sich nicht um uns kümmern“,
schrieb mir vor kurzem eine 31-jährige Hochschulabsol-ventin, die heute bei Air Berlin als Flugbegleiterin arbei-tet und selbst um diesen Job jetzt bangen muss .
„Wo ist denn die Lebensqualität geblieben, die jedemMenschen zusteht?“, fragt sie in ihrer Mail . „Anstattdas Leben zu genießen, ist man ständig darauf bedacht,seine Arbeit nicht zu verlieren, denn in diesem heutigenDeutschland gibt es keine Garantien und keine Sicher-heiten mehr .“ So weit eine junge, 31-jährige Frau, die einHochschulstudium absolviert hat .Ein mittelständischer Unternehmer schildert mir in ei-ner Mail, wie ihm große Konzerne unter Ausnutzung ih-rer Marktmacht die Luft zum Atmen nehmen . Er schreibt:„Als Kind italienischer Einwanderer bin ich hier geborenund aufgewachsen, habe also Deutschland in einer Zeiterlebt, als noch alles möglich war mit ehrlicher Arbeit .Heute ist das anders .
In einem konzerngesteuerten Land, wie wir es heute ha-ben, gibt es keine Demokratie .“
– Das ist das Zitat aus der Mail eines Bürgers . Ich musssagen: Wie Sie reagieren, wenn man hier Stimmen vonBürgerinnen und Bürgern vorträgt, das zeigt die ganzeArroganz Ihrer Politik .
Da müssen Sie sich nicht wundern, dass Ihnen immer dieWähler weglaufen .Ich muss auch sagen: Wie erklären Sie einem umsÜberleben kämpfenden Mittelständler, dass er für je-den Euro Gewinn mindestens 30 Prozent Steuern zahlenmuss,
während Konzerne wie Google, Apple und Facebook inEuropa mit Steuersätzen von 0,005 Prozent verwöhntwerden? Oder wie erklären Sie einem hart arbeitendenBeschäftigten, dass schon ab einem Einkommen von1 140 Euro ein Steuersatz von 24 Prozent fällig wird,während es die schwerreichen Erben von Milliardenver-mögen nach Auffassung der Großen Koalition offenbarkomplett überfordern würde, auch nur einen einzigenEuro Erbschaftsteuer zu zahlen?
Oder wie erklären Sie es einem Kleinsparer, der seinmühsam Erspartes durch Bankgebühren und Niedrig-zinsen wegschmelzen sieht, dass das Vermögen der500 Reichsten in Deutschland jedes Jahr um 9 bis 10 Pro-zent steigt und inzwischen den irren Betrag von 723 Mil-liarden Euro erreicht hat? Oder wie erklären Sie einer al-leinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin, dass von ihr beisogenanntem sozialwidrigem Verhalten – das liegt schonvor, wenn sie ein kleines Geldgeschenk für ihr Kind nichtangemeldet hat – neuerdings drei Jahre rückwirkend alleLeistungen zurückgefordert werden können, währendzum Beispiel das Management der Deutschen Bank, dasallein seit 2009 Boni in Höhe von 24 Milliarden Euroeingestrichen hat, nie Gefahr läuft, auch nur einen Eurozurückgeben zu müssen, egal wie sozialwidrig oder auchkriminell das Geschäftsmodell dieser Bank ist oder ob siedadurch irgendwann wieder in so viele Schwierigkeitenkommt, dass sie beim Staat wieder die Hand aufhaltenmuss? Sie können das alles gar nicht erklären, weil esdafür keine objektiven Gründe gibt . Die einzige Erklä-rung ist Ihr fehlender Mut, sich mit den wirtschaftlichMächtigen anzulegen .
Natürlich ist das alles nicht alternativlos . Natürlichkann man auch die Riesenvermögen der MultimillionäreDr. Sahra Wagenknecht
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besteuern, statt Städte und Gemeinden am langen Armverhungern zu lassen . Natürlich kann man Patent- undLizenzgebühren, die nur dazu dienen, Konzerngewinnein Steueroasen zu verschieben, einfach nicht mehr alsgewinnmindernd anerkennen, und dann sind die ganzenSteuertricks der Multis erledigt . Das können Sie hier inDeutschland beschließen . Dafür brauchen Sie noch nichteinmal die EU .
Natürlich kann man den Sozialstaat wiederherstel-len und ein ordentliches Arbeitsrecht schaffen, das dieBeschäftigten schützt und die Verhandlungsmacht derGewerkschaften stärkt . Natürlich kann man schlicht po-litisches Rückgrat haben und sich den eiskalten Rendite-kalkülen globaler Konzerne entgegenstellen, statt ihnendie Beschäftigten schutzlos und wehrlos auszuliefern .Aber wer das alles nicht tut, der sollte dann auch auf-hören, sich den Trumps und Le Pens dieser Welt mora-lisch überlegen zu fühlen .
Das sind Sie nicht .
Denn es ist Ihre gemeinsame Politik, die die Rechte in-zwischen auch in Deutschland stark gemacht hat .Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben Herrn Trump nachseiner Wahl zur Anerkennung von Demokratie, Freiheitund Respekt vor dem Recht und der Würde des Men-schen aufgefordert . Ganz abgesehen davon, dass wir unsähnlich deutliche Worte an die Adresse Ihres türkischenFreundes Erdogan auch einmal gewünscht hätten:
Bedurfte es wirklich eines Donald Trump, um zu verste-hen, dass es um Demokratie, Freiheit und Menschenwür-de in der westlichen Welt nicht mehr gut bestellt ist?Der frühere US-Präsident Jimmy Carter hat die USAschon vor Jahren eine „Oligarchie mit unbegrenzter po-litischer Korruption“ genannt . Dass eine Supermacht,die mit ihren völkerrechtswidrigen Ölkriegen und ihrenDrohnenmorden ganze Regionen dieser Welt chaotisiertund islamistische Terrorbanden damit so gestärkt hat,dass die als Vorkämpferin für Demokratie und Freiheitausfällt, das hätte man, glaube ich, auch vor Trump schonbegreifen können .
Aber der entfesselte Globalkapitalismus ist überallmit Demokratie und Menschenwürde unvereinbar, auchin Europa . Auch die Kriege, an denen sich europäischeStaaten beteiligt haben, haben noch keinem Land De-mokratie und Freiheit gebracht . Im Gegenteil: Sie habenHunderttausenden Zivilisten den Tod gebracht und Milli-onen aus ihrer Heimat vertrieben .Es war wirklich ein Fortschritt, als mit Blick auf dierussischen Bombardements in Aleppo plötzlich sogardie Bundesregierung anfing, von den Verbrechen des Krieges, von zerstörten Krankenhäusern und Schulen zusprechen . Aber was ist mit all den zerstörten Kranken-häusern und Schulen dort, wo sich Deutschland und sei-ne Verbündeten an Kriegen beteiligt haben? Glauben Siewirklich, dass es für das von einer Bombe zerfetzte Kindeinen Unterschied macht, ob diese Bombe von einemrussischen Flieger oder im Namen der westlichen Werte-gemeinschaft abgeworfen wurde? Wir glauben das nicht .
Deshalb fordern wir Sie auf: Geben Sie nicht nochmehr Geld für Rüstung aus . Bereiten Sie nicht noch mehrKrieg vor, sondern treten Sie aus der militärischen Infra-struktur der US-dominierten NATO aus, und holen Siedie Bundeswehr aus ihren Einsätzen zurück .
Deutschland wird nicht in Afghanistan, nicht in Syrienund auch nicht in Mali verteidigt . All diese Kriege ha-ben den islamistischen Terror doch nur gestärkt und ihnletztlich sogar nach Deutschland geholt . Ein Ende dieserKriegsbeteiligungen wäre wirklich das Beste, was Siefür die Sicherheit der Menschen, auch hier im Land, tunkönnten .
Ein Wort noch zur CSU . Die CSU hat auf ihrem letz-ten Parteitag den erfrischenden Vorschlag gemacht, dassman den radikalisierten politischen Islam bekämpfensollte. Auch wir finden es überfällig, dass dschihadisti-sche Rekrutierungsvereine in Deutschland endlich ver-boten werden . Aber wo hat denn der politische Islamseine wichtigste Basis? Das sind doch die islamistischenKopf-ab-Diktaturen am Golf, die terroristische Mörder-banden weltweit finanzieren und hochrüsten. Es ist nach eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung auch dieTürkei, die eine Schlüsselrolle bei der Organisierung undBewaffnung von Terrormilizen spielt. Da finden wir es schon erstaunlich, dass es die christlich-sozialen Antiis-lamkämpfer aus Bayern offenbar überhaupt nicht stört,dass ausgerechnet die Türkei im ersten Halbjahr 2016von Platz 25 auf Platz 8 der Bestimmungsländer deut-scher Rüstungsexporte hochgerückt ist und dass auchSaudi-Arabien und Katar heute mit mehr deutschen Waf-fen beliefert werden als je zuvor . Was ist denn das füreine wahnwitzige Politik?
Da muss ich Ihnen sagen: Wenn Sie den politischen Is-lam bekämpfen wollen – hier ist ein lohnendes Betäti-gungsfeld –, dann setzen Sie sich endlich gemeinsam mituns dafür ein, Rüstungsexporte in islamistische Diktatu-ren sowie in Kriegs- und Spannungsgebiete zu verbieten .Das wäre überfällig . Damit würden Sie sich tatsächlichdarum verdient machen .
In seinem Buch Rückkehr nach Reims schreibt derfranzösische Schriftsteller Didier Eribon über die Ursa-chen für den Aufstieg der französischen Rechten etwas,was sich meines Erachtens eins zu eins auf Deutschlandübertragen lässt . Ich zitiere ihn:Dr. Sahra Wagenknecht
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So widersprüchlich es klingen mag, bin ich mir dochsicher, dass man die Zustimmung zum Front Natio-nal . . . als eine Art politische Notwehr der unterenSchichten interpretieren muss . Sie versuchten, ihrekollektive Identität zu verteidigen, oder jedenfallseine Würde, die seit je mit Füßen getreten wordenist und . . . sogar von denen missachtet wurde, die siezuvor repräsentiert und verteidigt hatten .
– Wenn Sie Eribon in die Nähe der AfD rücken, beweisenSie damit wirklich Ihr Bildungsniveau; es tut mir leid .Das ist wirklich unglaublich .
Sehr geehrte Damen und Herren, auch bei uns wird dieDemokratie nur eine Zukunft haben, wenn die Menschenwieder das Gefühl bekommen, dass ihre Würde und ihreelementaren Lebensbedürfnisse von der Politik geach-tet und anerkannt werden und sie wichtiger sind als dieWunschlisten irgendwelcher Wirtschaftslobbyisten . Neh-men Sie das endlich ernst, wenn Sie nicht irgendwann da-für verantwortlich sein wollen, einem deutschen DonaldTrump den Weg ins Kanzleramt geebnet zu haben .
Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr . Merkel .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! 2014 hat auf demLindauer Treffen der Wirtschaftsnobelpreisträger MarioVargas Llosa vor jungen Menschen gesagt:Die Bereitschaft, mit denen zusammenzuleben, dieanders sind, war vielleicht der außergewöhnlichsteSchritt auf dem Weg des Menschen zur Zivilisation,ein Schritt, welcher der Demokratie vorausging undsie überhaupt erst möglich gemacht hat .Mich hat diese Aussage berührt, weil sie noch einmalauf das zurückkommt, was uns ausmacht, was wir ver-treten: dass diese Bereitschaft Voraussetzung dafür ist,dass Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Achtung derMenschenwürde für jeden und jede gelten und damit dieVoraussetzungen für Frieden da sind .Viele Menschen machen sich in diesen Tagen Sor-gen um die Stabilität unserer so gewohnten Ordnung .Ich glaube, etwas mehr als ein Vierteljahrhundert nach-dem wir alle den Fall der Mauer erlebt haben, nachdemDeutschland wiedervereint wurde, nachdem wir allediese Werte leben konnten, nachdem die europäischeEinigung mit den mittel- und osteuropäischen Ländernvollendet werden konnte, stellt sich plötzlich heraus, dassdas, was wir für selbstverständlich gehalten haben, soselbstverständlich nicht ist, dass der freiheitliche demo-kratische Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft, dasGewaltmonopol des Staates und die Bereitschaft, jedenund jede, jeden Bürger und jede Bürgerin, als Teil desVolkes zu begreifen, nicht mehr so da sind, wie das eineWeile lang ganz selbstverständlich zu sein schien .Was heißt das für uns? Das heißt für uns, noch einmalzu schauen: In welchem Umfeld findet diese Diskussion statt? Da hat sich etwas verändert . Neben der fortschrei-tenden Globalisierung findet diese Diskussion auch in einem völlig anderen medialen Umfeld statt .Ich glaube, wir dürfen das, was da im Zusammenhangmit dem Internet, mit der Digitalisierung passiert – unddas ist Teil unserer Realität –, nicht unterschätzen . Wirhaben Regelungen für alles, was Pressefreiheit ausmacht:die Sorgfaltspflicht der Journalisten und vieles andere mehr . Zugleich haben wir heute viele, die Medien wahr-nehmen, die auf ganz anderen Grundlagen basieren, dieweniger kontrolliert sind . Ich will darin nicht die einzigeUrsache sehen, ich will nur darauf aufmerksam machen,dass Meinungsbildung heute grundsätzlich anders erfolgtals vor 25 Jahren, dass heute Fake-Seiten, Bots, Trol-le Meinungsbilder verfälschen können, dass heute sichselbst regenerierende Meinungsverstärkungen durch be-stimmte Algorithmen stattfinden. Wir müssen lernen, uns damit auseinanderzusetzen .Ich glaube, dies könnte auch eine spannende Frage fürdieses Haus sein . Ich kann diese Debatte heute natürlichnicht führen, aber wir müssen wissen: Um Menschen zuerreichen, um Menschen zu begeistern, müssen wir mitdiesen Phänomenen umgehen und, wo notwendig, sieauch regeln . Deshalb unterstütze ich auch die Ansätzevon Justizminister Maas, von Innenminister de Maizière,Hassreden, Hasskommentare, vernichtende und mit derAchtung der Menschenwürde nicht in Übereinstimmungzu bringende Dinge anzusprechen und alles zu unterneh-men, um das zu unterbinden, weil das unseren Grundsät-zen widerspricht .
Diese Sorge um Stabilität wird natürlich auch verstärktdurch das, was um uns herum passiert . Populismus undpolitische Extreme nehmen in westlichen Demokratienzu . Demokratische Streitkultur, die wir brauchen, die wirauch in diesem Hause praktizieren – wir haben ja geradeeben ein Stück davon gehört –,
muss selbstverständlich sein, damit müssen wir uns aus-einandersetzen .
Dr. Sahra Wagenknecht
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Aber es muss im Geiste des Respekts vor der Würde desjeweils anderen stattfinden. Das ist das Wesentliche, und das passiert eben an vielen Stellen nicht mehr .
Wir haben besorgniserregende, ja alarmierende Ereig-nisse in der Türkei . Ich will hier ganz offen sagen: DerPutschversuch ist zu verurteilen – das hat die Bundes-regierung gemacht, das hat die Europäische Union ge-macht –, und gegen jede Form von Terrorismus ist vor-zugehen; und das macht die Bundesregierung . Wir habenin über 4 000 Fällen Verfahren gegen PKK-Angehörigeeingeleitet; aber unser Rechtsstaat kommt eben zu Urtei-len, die die Politik nicht zu beeinflussen hat. Und diese rechtsstaatlichen Urteile sind dann auch zu akzeptieren .Die Bundesregierung ist jedenfalls genauso wie jeder inEuropa dem Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet, meine Damen und Herren .
Dieser Kampf rechtfertigt aber nicht die Einschrän-kung der Pressefreiheit, die Verhaftung von Tausendenund Abertausenden von Menschen . Insofern müssen wirdas deutlich kritisieren und gleichzeitig – dafür werbeich allerdings auch – den Gesprächsfaden mit der Tür-kei aufrechterhalten . Ich begrüße außerordentlich die janicht einfache Reise des Bundesaußenministers . Auchich werde den Gesprächsfaden mit der Türkei natürlichaufrechterhalten; denn auch wir haben ein Interesse da-ran, mit der Türkei in einer vernünftigen Art und Weisezu kooperieren . Das schließt aber nicht aus, dass das, wasdort an alarmierenden Entwicklungen zu sehen ist, klarangesprochen wird, meine Damen und Herren .
Wir haben im Zusammenhang mit der Krim und derUkraine den Bruch des Völkerrechts und die Verletzungder territorialen Integrität eines Landes zu konstatieren .Leider sind unsere Gespräche über die Umsetzung derMinsker Vereinbarungen noch nicht so weit gediehen,wie ich mir das wünschen würde . Die Situation in Sy-rien, insbesondere wenn man das sieht, was in Aleppopassiert, macht uns jeden Tag beklommen . Ich muss ganzehrlich sagen: Es gibt sehr viele Indizien dafür, dass hierbewusst Krankenhäuser und medizinische Einrichtungenbombardiert werden .
Mit Verlaub: Das ist international verboten . Das ist straf-rechtlich zu verfolgen .
Das muss das Assad-Regime auch wissen . Und es ist sehrbedauerlich, dass Russland dieses Regime unterstützt,meine Damen und Herren .
Dennoch werden wir natürlich auch hier immer wiederalle Versuche unternehmen, um politische Lösungen zufinden, auch wenn es noch so aussichtlos erscheint wie im Augenblick .Und wir haben den internationalen Terrorismus: diegroße Bedrohung, neue Bedrohung, asymmetrische Be-drohung, gegen die wir ankämpfen müssen . Dieser Ter-ror richtet sich ja nicht nur in anderen Ländern gegen dieBürgerinnen und Bürger . Vielmehr haben auch wir mitdieser terroristischen Herausforderung zu kämpfen . Er istTeil des Alltags unserer Städte . Gegen ihn zu kämpfen,ist Teil unseres Kampfes für Freiheit .Meine Damen und Herren, in dieser Situation, die jetztdoch sehr viel unübersichtlicher und komplizierter ist, alssie es viele Jahre lang war, gibt es natürlich zwei Mög-lichkeiten, darauf zu reagieren . Diese Reaktionen sehenwir überall auf der Welt . Entweder ziehe ich mich aufmich und mein Land zurück, schotte mich ab und versu-che, einfache Antworten auf das zu finden, was so kom-pliziert erscheint . Oder aber wir treten ein dafür, dass wirunsere Werte, die wir für richtig und wichtig halten, nichtnur bei uns zu Hause stärken, sondern versuchen, sie ge-meinsam mit unseren europäischen Partnern, gemeinsammit den Vereinigten Staaten von Amerika, gemeinsammit Verbündeten auf der ganzen Welt in die Welt zu tra-gen .
Ich glaube, dass wir heute bei der voranschreiten-den Globalisierung darauf setzen sollten, gemeinsam zuhandeln . Als Bundesrepublik Deutschland können wirselbstverständlich nicht alle Probleme lösen . Wir könnenweder den gesamten Hunger der Welt bekämpfen, nochkönnen wir für 65 Millionen Flüchtlinge die Probleme lö-sen, noch können wir überall die politischen Ordnungenso verändern, wie wir uns das wünschen . Aber sind wirdazu bereit, mit unserer Erfahrungsgeschichte der sozi-alen Marktwirtschaft, einer gesellschaftlichen Ordnung,von der ich nach wie vor glaube, dass sie ein Höchstmaßan wirtschaftlicher Stärke und sozialer Gerechtigkeit mitsich bringt, in diesem Sinne für eine Schärfung, für eineGestaltung der Globalisierung einzutreten? Oder sind wirdazu nicht bereit und ziehen uns auf uns selbst zurück?Vor dieser Frage stehen wir . Diese Frage müssen wirbeantworten . Ich sage, dass wir auf Gemeinsamkeit, aufMultilateralismus, auf Gestaltung der Globalisierung zu-sammen mit anderen setzen sollten . Das ist das, wofürich werbe .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir unsnoch einmal daran, was nach der Katastrophe des Ho-locaust und des Zweiten Weltkriegs die großartige Ant-wort der internationalen Staatengemeinschaft war . Eswar die Gründung der Vereinten Nationen . Es war dieAllgemeine Erklärung der Menschenrechte, der sich über190 Staaten angeschlossen haben . Sie ist leider auch heu-te noch nicht vollständig umgesetzt . Angesichts dieserunglaublichen Bedrohung dieser Welt, die am AbgrundBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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stand, hat sich die Staatengemeinschaft aber dafür ent-schlossen . Ich halte diese Antwort auch nach wie vor fürrichtig .Bei allem, was wir zu leisten haben, hat es im ver-gangenen Jahr zwei Dinge gegeben, die uns Hoffnungmachen . Ich nenne hier die Agenda 2030 für nachhaltigeEntwicklung dieser Welt und das Pariser Klimaschutz-abkommen .Deutschland wird ab dem 1 . Dezember dieses Jahresdie Präsidentschaft der G 20 übernehmen . Die G 20 sindauch der Versuch, mit den größten und wichtigsten Wirt-schaftsländern dieser Erde Globalisierung menschlich zugestalten und gleichzeitig für eine vernünftige Finanz-und Wirtschaftsordnung zu sorgen .Meine Damen und Herren, es gibt flagrante Steuerun-gerechtigkeiten . Aber wir haben dem doch nicht tatenloszugesehen. Die Transparenzinitiative des Bundesfinanz-ministers, die von den 20 wichtigsten Finanzministerndieser Welt gemeinsam beschlossen wurde, ist doch einSchritt in die richtige Richtung . Lassen Sie uns das dochwenigstens sagen .
Die Tatsache, dass die Europäische Union sich mit derFrage der Steuerzahlungen von Apple und Google be-schäftigt, ist doch ein Schritt in die richtige Richtung .Wenn wir nie aussprechen, wo wir mal einen Schrittgemacht haben, werden die Menschen auch den Mut fürden nächsten und übernächsten Schritt verlieren . Damitist nicht eine ideale Welt geschaffen worden, aber es sindSchritte gemacht worden, die in die richtige Richtung ge-hen. Ich finde, es gehört zur Redlichkeit, das den Men-schen in Deutschland auch zu sagen .
Ein besonderer Schwerpunkt während unsererG-20-Präsidentschaft wird auch das Thema Afrikasein . Afrika ist der Kontinent, der von der wirtschaftli-chen Entwicklung der gesamten Menschheit bislang amstärksten abgekoppelt ist . Wir werden gerade mit Blickauf die Migration viele Partnerschaften unternehmen, sowie wir das jetzt für Mali und Niger seitens der Bundes-republik Deutschland zusammen mit Frankreich, Italienund der Europäischen Kommission praktizieren . Aber esdarf sich nicht auf Migration beschränken, sondern dieeigentliche Frage ist: Wie kommen wir von der klassi-schen Entwicklungshilfe zu einer wirklichen wirtschaft-lichen – und auf eigenen Füßen stehenden – Entwicklungafrikanischer Staaten? Ich glaube, hier lohnt sich jedeZusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und jederVersuch, neue Wege zu gehen, neben dem, was wir bisherrichtigerweise und guterweise gemacht haben, was abernoch keine ausreichenden Resultate gezeigt hat .
In unserem Haushalt zeigen sich diese Prioritäten .Zum Beispiel ist allein in dieser Legislaturperiode derHaushalt des Entwicklungsministeriums um 2 Milli-arden Euro gestiegen . Wenn wir uns die Ausgaben fürdie humanitäre Hilfe anschauen: Zu Beginn dieser Le-gislaturperiode waren es 438 Millionen Euro, heute sindes 1,3 Milliarden Euro . Damit haben wir Menschen inFlüchtlingslagern in Jordanien, Libanon und anderswodie Möglichkeit gegeben, menschenwürdig zu leben . Esist richtig eingesetztes Geld, um Menschen in der Näheihrer Heimat Chancen zu geben . Deshalb sind diese An-stiege nicht nur zu rechtfertigen, sondern auch die richti-ge Antwort auf die Herausforderungen dieser Welt .
Natürlich kann Deutschland das nicht alleine schaffen,nicht alleine lösen, sondern wir müssen sehen, dass dieseFragen – Fragen der Migration, Fragen der politischenLösungen – internationaler Lösungen bedürfen . Dazukönnen wir einen Beitrag leisten . Wir haben dazu als Ers-tes unsere europäischen Partner . Deutschland als Teil derEuropäischen Union muss seinen Beitrag leisten, aberdie Europäische Union muss es insgesamt machen . Ja,wir hatten in diesem Jahr durch das Ergebnis des Refe-rendums von Großbritannien einen schweren Einschnittin der Geschichte der Europäischen Union . Deshalb ha-ben wir 27 Mitgliedstaaten uns im Herbst in Bratislavagetroffen und haben überlegt: Was müssen wir andersmachen? Was fehlt den Menschen nicht nur in Großbri-tannien, sondern auch den Menschen in anderen Ländernder Europäischen Union? Oder: Was läuft nicht so, wiewir es uns eigentlich wünschen?Für mich sind das Dinge, die als Erstes mit der Fra-ge zu tun haben: Was sind unsere Prioritäten? Ich glau-be, hier wird im Augenblick Europa als Ganzes seinemWohlstandsversprechen durch die soziale Marktwirt-schaft, das wir für uns zu Hause durch eine gute Arbeits-marktlage einlösen können, nicht gerecht . Deshalb gehtes um die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung derZukunft . Hier haben wir insbesondere das Thema der Di-gitalisierung als ein zentrales Thema identifiziert. Wei-tere Themen sind die öffentlich-privaten Investitionendurch den Juncker’schen Investitionsfonds, wenn ich dasso einmal lax sagen darf, der Kampf gegen die Jugendar-beitslosigkeit, aber nicht allein durch staatliche Interven-tionen, sondern durch mehr Wettbewerbsfähigkeit auchder europäischen Länder . Ohne Reformen – das habenwir auch in Deutschland mit der Agenda 2010 gesehen –kann man die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen . Das al-les muss zusammengehen: staatliche Unterstützung mitwirtschaftlichen Reformen . Dann hat Europa eine Chan-ce, seinem Wohlstandsversprechen zu entsprechen, mei-ne Damen und Herren .
Dann geht es um die Frage der Glaubwürdigkeit . Eu-ropa hat sich oft viel vorgenommen und sehr oft das nichteingelöst, was es sich vorgenommen hat . Europa hat oftsehr langsame Entscheidungsmechanismen . Wenn wiruns einmal überlegen, in welcher Zeit technologischerUmwälzungen wir leben, und wenn wir daran denken,dass es manchmal Jahre gedauert hat, bis sehr einfacheThemen, zum Beispiel das Thema Netzneutralität, in Eu-ropa gelöst wurden, dann kann man nur sagen: Europahält mit den Entwicklungen der Zeit manchmal nichtSchritt . Das heißt, es muss schneller entschieden werden,Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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und das, was entschieden wird, muss umgesetzt werden,und darüber muss Bericht erstattet werden . Das ist das,was wir in Bratislava besprochen haben und was jetztauch eingelöst werden muss . Ansonsten leidet die Glaub-würdigkeit europäischen Handelns sehr, und das wird dieBürgerinnen und Bürger nicht überzeugen .
Das Zweite sind die Fragen der Sicherheit – Sicherheitim Inneren, Sicherheit im Sinne einer äußeren Sicherheit .Meine Damen und Herren, hier bin ich sehr froh, dasssowohl die Innenminister als auch die Verteidigungs-minister in den letzten Wochen und Monaten wichtigeBeschlüsse gefasst haben . Auch wir, die BundesrepublikDeutschland, mussten über unseren Schatten springen .Wir waren nicht immer für eine einheitliche europäischeGrenzschutzpolizei – jetzt ist sie da . Wir waren auchnicht in der Lage, durchzusetzen, dass es ein einheitli-ches Einreise- und Ausreiseregister gibt . Die Idee bestehtseit zehn Jahren – jetzt kommt es endlich dazu, dass dieVorschläge auf dem Tisch liegen . Ich kann nur hoffen,dass die Innenminister das sehr schnell beraten und in dieTat umsetzen; denn das ist etwas, was Sicherheit für dieBürgerinnen und Bürger gibt und einer der besten Schrit-te im Kampf gegen den Terrorismus ist .
Und ja, auch die Kooperation im Verteidigungsbereichmuss gestärkt werden . Der Lissabon-Vertrag lässt diesim Übrigen in Form einer strukturierten Zusammenarbeitzu . Aber auch hier gab es immer wieder Sorgen: Gehtdenn das zusammen mit der NATO? Meine Damen undHerren, warum soll es eigentlich nicht in Kameradschaftund Kooperation mit der NATO gehen? Es gibt doch ge-nügend Gründe, dass die vielen – auch nicht so großen –europäischen Staaten Kompetenzen und Möglichkeitenbündeln und diese dann der NATO anbieten . Ich kannüberhaupt nicht erkennen, dass es da Grund für großeDiskussionen gibt. Deshalb finde ich diesen Schritt, den unsere Verteidigungsministerin ja auch sehr vorangetrie-ben hat, absolut richtig .
Dann kommen wir zu dem Thema: Wie werden wirdas zu Hause mit entsprechenden finanziellen Ressour-cen unterlegen? Da bin ich einerseits sehr froh, dass imBereich der inneren Sicherheit erhebliche Anstrengungengemacht wurden . Es wurde gestern schon darüber gespro-chen: Tausende von neuen Stellen bei den Behörden derinneren Sicherheit . Ich glaube und kann nur hoffen, dassdie Angebote so attraktiv sind, dass sich auch genügendMenschen dafür entscheiden, sie wahrzunehmen; denndas ist für uns natürlich von allergrößter Wichtigkeit .Es spiegelt sich andererseits im Verteidigungsetat wi-der, dass wir noch nicht da sind, wo wir in der Erwar-tung unserer NATO-Partner sein müssten . Es gibt eineVielzahl von kleineren europäischen Ländern, die dieZielvorgabe eines Anteils des Verteidigungsetats amBruttoinlandsprodukt von 2,0 Prozent erfüllen und die inziemlich wenigen Jahren ihren Verteidigungsetat so ge-steigert haben . Ich weiß, dass wir ein ganzes Stück davonentfernt sind, ich will es auch nicht für die nahe Zukunftsagen, aber die Richtung muss klar sein: dass wir unsdem nähern, was wir alle miteinander übrigens – nichtnur Christdemokraten, auch Sozialdemokraten –
als Beitrag zur NATO versprochen haben, und das auchdurchsetzen, meine Damen und Herren .
Ich bin der festen Überzeugung, dass all das, worüberich jetzt gesprochen habe, zutiefst im Interesse der Bür-gerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschlandist . Es gibt heute nicht mehr „Hier ist Außenpolitik, undda ist Innenpolitik“ . Die Welt ist viel zu verwoben, alsdass die Sicherheit, der Wohlstand, die Prosperität unse-rer Bürgerinnen und Bürger nicht von all dem abhängt,was wir in den internationalen Beziehungen tun, was dortstattfindet.Deshalb haben wir uns ja auch – insbesondere, wennich das sagen darf, die Sozialdemokraten – die Sachenicht ganz leicht gemacht, als es um den internationalenund fairen Handel ging . Ich sage ganz offen: Ich habeallergrößten Respekt davor. Ich finde es richtig und gut, dass zum Schluss der Weg gefunden wurde, dass dasCETA-Abkommen, dieses Freihandelsabkommen mitKanada, von der Europäischen Union jetzt unterzeichnetwerden konnte und dann auch ratifiziert werden kann. Was steckt dahinter? Dahinter steckt doch im Grundedie Frage: Wie wird Globalisierung gestaltet? Diese Fra-ge ist jahrelang so beantwortet worden, dass wir einfachmal Freihandelsabkommen geschlossen haben, bei denenes um die Absenkung von Zöllen ging . Als ich noch Um-weltministerin war, ist immer wieder die Frage gestelltworden – bei der WTO zum Beispiel –: Was sind denndas für Freihandelsabkommen, die die Frage des Um-weltschutzes, die die Frage der Produktionsbedingungenin der Landwirtschaft, die die Frage von Kinderarbeit, diesolche Fragen wie Ausbeutung der natürlichen Ressour-cen überhaupt nicht berücksichtigen? Und für jemanden,der soziale Marktwirtschaft als gesellschaftliches Modelldenkt, konnte die Antwort nur unbefriedigend sein . Daswaren keine Handelsabkommen, die uns wirklich gleicheChancen, gleiche Möglichkeiten gegeben haben und diemenschliche Gestaltung der Globalisierung auch in ande-ren Teilen der Welt möglich gemacht haben .Und weil wir diese Kritik aufgenommen haben, gibtes heute Handelsabkommen, die eine völlig neue Qua-lität haben . CETA ist das erste dieser Qualität, und einFreihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten vonAmerika kann es auch nur auf der gleichen Qualitätsstufegeben .
Dieses Abkommen entspricht nun in vielen Teilen – ichmeine: was ist ideal? – und in einer völlig neuen Qualitätall den Anforderungen, die wir an Globalisierung stellen .Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Das setzt Standards, die auch auf andere Auswirkungenhaben . Und just da sind diejenigen, die damals gegen dieeinfachen Zollabkommen waren – von denen wir gelernthaben –, nun mindestens so entschieden gegen diesesAbkommen wie gegen die, die vorher abgeschlossenwurden, und das kann ich nicht verstehen . Ich bitte da-rum, die ganze Sache noch einmal zu überdenken .
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin nicht froh, dassdas transpazifische Abkommen jetzt wahrscheinlich nicht Realität wird. Ich weiß nicht, wer davon profitie-ren wird – ich will mich heute hier mit meinen Progno-sen zurückhalten –, ich weiß nur eines: Es wird weitereHandelsabkommen geben, und die werden dann nicht dieStandards haben wie dieses Abkommen und auch das an-gedachte TTIP-Abkommen . Meine Damen und Herren,das hat etwas zu tun mit Arbeitsplätzen in der Globali-sierung, mit fairen Wettbewerbsbedingungen und mitmenschlicher Gestaltung der Globalisierung .Wir sind in Deutschland im Augenblick in einer rela-tiv guten Lage; das ist vielfach gesagt worden . Allein inden letzten fünf Jahren sind 2,7 Millionen Arbeitsplätzeentstanden . Interessant ist, sich einmal anzuschauen: Werhat mehr Beschäftigung gefunden? Das sind zu etwa ei-nem Drittel Frauen, die stärker ins Erwerbsleben gehen,das sind zu einem weiteren Drittel Menschen, die län-ger arbeiten können – die Lebensarbeitszeit verlängertsich; das ist richtig und von uns gewünscht –, und zueinem dritten Drittel sind es Menschen aus der Europäi-schen Union, die in Deutschland Arbeit suchen, weil siezu Hause keine finden. Auch das ist in einem Binnen-markt eine positive Wirkung und im Übrigen ein BeitragDeutschlands zur Lösung mancher Probleme in der Eu-ropäischen Union .
Der Bund nimmt seit 2014 keine neuen Schuldenmehr auf, die Reallöhne und die Renten steigen . Aber beiallem, was es noch zu kritisieren gibt – und ich weiß,dass viele Menschen Not haben, und ich halte die Zahlder Menschen, die von Arbeitslosengeld II, von Hartz IVabhängig sind, auch für viel zu hoch; daran müssen wirarbeiten –, dürfen wir sagen: Den Menschen in Deutsch-land ging es noch nie so gut wie im Augenblick . Auchdas muss einmal festgehalten werden .
Der Bundeshaushalt 2017 setzt den Kurs fort, nicht aufKosten der jungen Generation zu leben, sondern in siezu investieren . Eckhardt Rehberg hat es gestern gesagt:Die Investitionsquote ist so hoch wie seit langem nicht .Mit 11 Prozent ist sie immer noch überschaubar, würdeich sagen, wenn wir an über 50 Prozent Sozialquote desHaushalts denken . Aber diese Sozialquote zeigt doch,dass es nun wirklich ein Haushalt der sozialen Markt-wirtschaft ist und kein Haushalt, der sich rein auf Inves-titionen und die schwarze Null konzentriert . Vielmehr istes ein Haushalt, der auch für soziale Gerechtigkeit sorgt,meine Damen und Herren .
Der Haushalt für Forschung und Bildung hat sich inden letzten zehn Jahren verdoppelt . Er steigt auch indiesem Jahr wieder um 7 Prozent . Der Bund engagiertsich inzwischen bei Ländern und Kommunen weit überseine Kompetenzen hinaus: sei es durch den Hochschul-pakt, sei es durch Initiativen zur Lehrerausbildung, seies durch Hilfe für kommunale Infrastruktur . Wir habenalleine für finanzschwache Kommunen ein Programm in Höhe von inzwischen 7 Milliarden Euro aufgelegt .Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ein Punkt, der mich bei all den Verhandlungenmit den Ländern umtreibt, ist: Wie können wir eigentlichpunktgenau helfen? Wir haben als Hilfsmöglichkeitendie Mehrwertsteueranteile, wir haben den KönigsteinerSchlüssel, und da geht es nicht immer nach Bedürftigkeit,sondern es geht sehr oft nach Stärke . Und das führt dann,wenn wir nicht gerade den KdU-Schlüssel nehmen, deraber auch nur begrenzt sinnvoll ist in diesem Zusammen-hang, immer dazu, dass wir sozusagen doch mehr mit derGießkanne helfen als punktuell dort, wo es geboten ist .
– Mit Herrn Oppermann habe ich mich im kleinen Kreisschon des Öfteren darüber auseinandergesetzt . Damit dasjetzt auch öffentlich wird: Herr Oppermann findet die Verteilung der Mittel für die Kommunen nicht ausrei-chend zielführend .
Er hat deshalb gesagt, dass die 5 Milliarden Euro, umdie im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe dieKommunen entlastet werden, anders verteilt werdenmüssen, als das jetzt festgelegt wurde .
Nun habe ich – ich glaube, das sagt die ganze Bun-desregierung – einfach gesagt, nachdem wir Stunden undAberstunden und noch mehr Stunden mit den Minister-präsidenten der Länder und den kommunalen Spitzen-verbänden gesprochen haben: Wenn Sie mir einen ande-ren und aus Ihrer Sicht – vielleicht bzw . wahrscheinlichdann sogar auch aus meiner Sicht – gerechteren Vertei-lungsschlüssel vorlegen und die Ministerpräsidenten da-mit einverstanden sind: Chapeau! Dann wird es andersgemacht .
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Aber, meine Damen und Herren, die Wahrscheinlich-keit, dass Herr Oppermann, den ich schätze und der vie-les bewirken kann, dies schafft, erscheint mir sehr gering .
– Ich meine das ganz freundschaftlich . – Den Kommunennun gar nichts zu geben,
weil man das, was einem vorschwebt, noch nicht erreichthat, halte ich für die schlechtere Lösung . Deshalb müs-sen wir weiter daran arbeiten und vielleicht andere Ver-teilungsmechanismen ausprobieren .
Es gibt einen Punkt, bei dem ich noch nicht überzeugtbin, dass wir ausreichend über ihn sprechen, und der fürdie Arbeit der Bundesregierung in dieser Legislaturperi-ode aber ein wirklicher Schwerpunkt war . Ich meine dieFrage: Wie gehen wir mit der Digitalisierung um, undwas bedeutet Digitalisierung? Ich habe dies schon amAnfang meiner Rede als Auswirkung auf unsere gesell-schaftlichen Diskussionen angesprochen, aber ich willes auch jetzt noch einmal als Auswirkung auf unsere Ar-beitsplätze, unsere öffentliche Daseinsvorsorge und vie-les andere mehr nennen: Wir werden nicht klarkommen,wenn wir bestimmte Dinge einfach verbieten und unsden neuen Möglichkeiten nicht öffnen .Ich kann gut verstehen, warum man Uber nicht ha-ben will und warum die Taxifahrer sagen, das wollen sienicht . Aber bitte glauben Sie nicht, dass wir den Mög-lichkeiten der Digitalisierung entgehen können . Auchhier müssen wir es wieder schaffen, sie in das, was wiröffentliche Daseinsvorsorge nennen, vernünftig einzu-beziehen . Es wird vielleicht Möglichkeiten geben, denöffentlichen Personennahverkehr im ländlichen Raumviel besser zu gestalten als mit den klassischen Bus- undZugstrukturen .
Es wird Möglichkeiten geben, die viele Menschen wie-der beruhigen werden . Es wird Möglichkeiten geben, wiewir unsere Städte umweltfreundlicher gestalten . LassenSie uns das offen angehen . Die Veränderungen werdenschneller kommen, als wir denken .Wir haben uns neulich in kleinerem Kreise damit be-schäftigt, welche disruptiven Veränderungen es allein inder Automobilindustrie gibt . Es werden nicht mehr alleMenschen ein Auto besitzen wollen, das Auto wird auto-nom fahren können, und die Antriebstechnologien wer-den sich dramatisch verändern . Entweder reagieren wirdarauf – unsere Automobilindustrie ist dazu in der Lage,das Rahmenwerk dafür wird gestaltet, und der Bundes-verkehrsminister hat hier wichtige Schritte eingeleitet –,oder wir sind zu langsam, und andere werden uns über-trumpfen . Meiner Meinung nach steht in einer von unsvielleicht noch nicht voll erfassten Tragweite – ich be-ziehe mich da mit ein – die Frage unserer industriellenWertschöpfung auf dem Prüfstand, mit allen Möglichkei-ten, die wir haben, als Gewinner aus dem Wettbewerbherauszukommen .
Dazu gehört eine ehrliche Analyse, wo wir stehen . Ichbin sehr froh, dass wir den anderen bei der Standardi-sierung, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Indus-trie 4 .0, nach Maßgabe aller ein bis zwei Jahre voraussind; daran haben der Wirtschaftsminister, aber auch dieForschungsministerin erheblichen Anteil . Da haben wirvieles geschafft, da sind wir international spitze, und dageben wir den Ton an – aber eben nicht bei der Batte-rieherstellung und auch noch nicht bei der künstlichenIntelligenz . Da müssen wir nachholen . Ich glaube, wiralle sollten uns intensiv mit diesen Themen beschäftigen .
Weiter haben wir den großen Bereich des Umbausunserer Energieversorgung . Es ist ja nun viel Kritischesüber den Klimaschutzplan gesagt worden . Aber, liebeKolleginnen und Kollegen, wir als Regierung müssenuns schon damit beschäftigen – ich verstehe eine vorpre-schende Umweltministerin natürlich in vollem Maße –,wie Klimaschutz, Arbeitsplätze und die Sorgen der Men-schen in einen vernünftigen Einklang gebracht werdenkönnen . Ich glaube, Frau Hendricks war fast die Einzi-ge, die auf der Marrakesch-Konferenz einen detailliertenKlimaschutzplan vorlegen konnte . Nun kann man nati-onal viel streiten und sagen: Das alles ist nicht genug . –Aber Fakt ist erst einmal, dass wir das Land waren, dasnach der Pariser Klimaschutzkonferenz schon etwas vor-weisen konnte, wie wir die nächsten Schritte angehenwollen . Deshalb sollen wir unser Licht da nicht unter denScheffel stellen, meine Damen und Herren .
Wir haben ja hier im Eingangsstatement von der lin-ken Seite etwas über den Zustand unserer sozialen Si-cherungssysteme gehört . Wissen Sie, ich glaube: DieRentenversicherung kann angesichts des demografischen Wandels nicht solide bleiben, wenn wir nicht neben dergesetzlichen Rentenversicherung auch andere Formender Absicherung weiterentwickeln und fortentwickeln .
Dass man nun auch noch die staatlichen Zuschüsse zurbetrieblichen Rente infrage stellt, halte ich für absolutfalsch . Wir sollten Betriebe bzw . Arbeitgeber ermutigen,hier etwas zu machen .
Und der Bundesfinanzminister sowie die Bundesarbeits-ministerin haben das getan . Nun können wir ja über dieInhalte streiten . Ich halte die Fortentwicklung der betrieb-lichen Versorgung für richtig, ich halte die Verbesserungder Erwerbsunfähigkeitsrente für richtig, ich halte auchdie private Vorsorge für richtig . Man muss sie verbessernBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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und vereinheitlichen . Es muss klarer werden, was dortstattzufinden hat. Aber erzählen Sie den Menschen bitte nicht, dass bei veränderter Demografie alles so bleiben kann, wie es ist, ohne dass die Lohnzusatzkosten so stei-gen, dass es kein Mensch bezahlen kann .
Wenn diese Große Koalition etwas geschafft hat, dannist es der Riesenfortschritt im Bereich der Pflegeversi-cherung . Wir haben in dieser Legislaturperiode alleindrei Pflegestärkungsgesetze verabschiedet oder werden sie verabschieden. Wir haben den Pflegebegriff – „end-lich“, würde Ulla Schmidt sagen – so umgestellt, dass erauch Demenzkrankheiten vernünftig miteinbezieht . Wirhaben die ambulante Pflege gestärkt, wir haben die sta-tionäre Pflege gestärkt. Wir haben die Stellung derer, die Pflegearbeiten verrichten, verbessert.
Ich weiß, dass das alles immer noch ein Riesenproblembleibt – im Übrigen ein Problem, das fast in jeder Familieauf der Tagesordnung steht . Darüber wird politisch vielzu selten gesprochen, und wenn, dann vielleicht nur vonden Fachministern . Aber auch hier ist es doch so: Wirhaben die finanziellen Leistungen im Bereich der Pflege um 20 Prozent erhöht. Ich finde, das sollte man den Men-schen auch sagen, damit sie nicht den Eindruck haben, eswird schlechter . Damit können wir deutlich machen, wasuns wichtig ist, wofür wir einstehen und was wir voran-bringen wollen .
Meine Damen und Herren, angesichts der großenHerausforderungen des letzten Jahres im Zusammen-hang mit den vielen bei uns ankommenden Flüchtlingenmöchte ich – im Rückblick auf das vergangene Jahr undauch auf den vergangenen Teil dieses Jahres – sagen: Beiallen kritischen Diskussionen, die wir auch im föderalenBetrieb zwischen Bund, Ländern und Gemeinden haben,hat sich im letzten Jahr ein großartiges Maß an Zusam-menarbeit und Zusammenhalt der Hauptamtlichen undder vielen, vielen Ehrenamtlichen gezeigt, auf das unserLand wirklich stolz sein kann, meine Damen und Herren .
Wir haben die Dinge geordnet und gesteuert . Wir ha-ben das EU-Türkei-Abkommen abgeschlossen .
– Ja,
ganz vorsichtig! Das ist Ihre Möglichkeit, sich frei zuäußern . – Ich halte die Bekämpfung der illegalen Migra-tion, die Tatsache, den Schleusern das Handwerk zu le-gen, wenn sie übelste Geschäfte mit Menschen machen,sowie die Tatsache, etwas dagegen zu tun, dass wiederMenschen – in diesem Jahr waren es bisher 4 500 odermehr – ertrinken, für eines der notwendigsten Gebote po-litischen Handelns .
Wer auf Schlepper und Schleuser setzen muss, weil ernicht politisch gestalten kann, der macht seine Arbeitnicht in dem Sinne, wie ich mir das vorstelle . Deshalbmüssen wir schauen, wo wir auch mit anderen Ländern –insbesondere mit Blick auf den Norden Afrikas, aber auchauf Afrika insgesamt – Partnerschaften eingehen könnenund wie wir die Lebensbedingungen dort verbessern undlegale Möglichkeiten der Migration schaffen können .
– Hier haben wir noch Arbeit – das ist richtig – und auchnoch eine ganze Menge Streit vor uns .Wir haben ein Integrationsgesetz verabschiedet unddamit ein jahrzehntelanges Versäumnis wiedergutge-macht und für die Zukunft eine bessere Regelung –Fordern und Fördern – gefunden . Wir haben klare An-forderungen formuliert und gesagt, was wir von denenerwarten, die bei uns zu Hause sein wollen oder eine be-stimmte Zeit bei uns verleben . Dazu gehört das Erlernender Sprache, dazu gehört die Akzeptanz unserer gesell-schaftlichen Ordnung . Das ist ganz selbstverständlich .Angesichts der negativen Beispiele, die es natürlichgibt und die man auch nicht unter den Tisch kehren soll-te, will ich ganz deutlich sagen: Es ist gut, dass sich dieüberwiegende Mehrheit der Flüchtlinge der Integrationstellt und mit viel Eifer, mit viel Fleiß und viel Kraft ver-sucht, gerade in den Integrationskursen erfolgreich zusein .Aber die Menschen erwarten, dass das, was von un-serem Rechtsstaat als gerichtliche Urteile ausgesprochenwird, vom Staat auch umgesetzt wird . Und das heißt, dassdiejenigen, die kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bei unsbekommen, die nicht als Asylbewerber anerkannt werdenund die keinen subsidiären oder Flüchtlingsschutz nachder Genfer Konvention bei uns erhalten, unser Land auchwieder verlassen müssen .
Ich finde, diese Erwartung der Bürgerinnen und Bürger ist gerechtfertigt . Dadurch wird auch die Bereitschaft er-höht, denjenigen zu helfen, die Hilfe brauchen .Auch hier unternehmen wir viele Anstrengungen, umdas gemeinsam mit den Ländern – das sage ich ausdrück-lich – zu verbessern . Ich muss allerdings sagen: Ich habein einer Koalitionsvereinbarung, die nicht weit von hiergetroffen wurde, gelesen, dass das Winterabschiebever-bot wieder eingeführt werden soll .
Sie müssen einmal zur zuständigen Ausländerbehördegehen und sich anhören, was die Menschen darüber sa-gen . Das ist genau das gegenteilige Signal von dem, waswir brauchen, und das führt Menschen zum Schluss inBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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mehr Not, als wenn sie wüssten, dass sie bei uns keineChance haben, und es hilft ihnen nicht . Das ist meine tie-fe Überzeugung .
Meine Damen und Herren, wir leben in Zeiten rasan-ter globaler Veränderungen . Wir haben die Möglichkei-ten, Veränderungen schrittweise menschlich zu gestal-ten . Das setzt Offenheit voraus . Ich bin zutiefst davonüberzeugt: Offenheit wird uns mehr Sicherheit bringenals Abschottung – mehr Sicherheit im Blick auf diewirtschaftliche Situation, mehr Sicherheit im Blick aufSoziales und mehr Sicherheit im Blick auf Frieden undFreiheit .Deshalb, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns andieser Arbeit weiter dranbleiben . Wir haben als Bundes-regierung in den letzten eineinhalb Jahren einen Bürger-dialog durchgeführt . In diesem Bürgerdialog sind Friedenund Sicherheit noch einmal als die zentralen Bedürfnisseder Menschen in Deutschland genannt worden . Deshalbist es aller Mühe wert, im Geiste dieses Haushaltes wei-terzuarbeiten und da, wo es Probleme gibt – und sie gibtes –, sie natürlich zu lösen .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Frau Merkel! Die Wahl vonTrump zum nächsten US-Präsidenten war ein Schub fürmehr Nationalismus und Ressentiments . Aber es gibtüberhaupt keinen Grund, dass wir in Deutschland oderin Europa abfällig auf die USA blicken . Auch hier in Eu-ropa feiern Rechtsextreme und Rechtspopulisten Erfol-ge, auch hier in Deutschland sitzen Rechtspopulisten inimmer mehr Landesparlamenten, auch hier glauben sie,dass ihre Stunde gekommen ist .All denjenigen, denen die liberale Demokratie amHerzen liegt, muss das große Sorgen machen .
Vieles, was wir sicher glaubten, steht infrage . Vieles, wasselbstverständlich erschien und vielleicht viel zu vielennoch immer selbstverständlich erscheint, steht infrage:der demokratische Umgang, eine rationale, kooperativeAußenpolitik, Verlässlichkeit internationaler Verträge,der Schutz von Minderheiten, die Herrschaft des Rech-tes, der Respekt voreinander . Bei allen Meinungsver-schiedenheiten, bei allen unterschiedlichen Positionen,die wir hier im Deutschen Bundestag haben: Wir müssenuns gemeinsam den Demagogen, den Nationalisten undden Autoritären entgegenstellen .
Freiheit, Solidarität und Humanismus stehen auf demSpiel, für alle .Für mich ist auch eines klar: Keine soziale Not undkeine gefühlte Identitätsverunsicherung rechtfertigenoder entschuldigen gar im Geringsten rassistische, frau-enfeindliche oder homophobe Handlungen .
Wer andere Menschen angreift oder herabsetzt, in Wortoder Tat, nur weil er einer echten oder gefühlten Gruppeangehört, die einem selbst nicht so zu passen scheint, derhat von uns eine ganz glasklare Antwort verdient: KeinFußbreit der Gewalt, kein Fußbreit dem Hass!
Aber der Kampf gegen rechts kann nicht nur aus kla-ren Worten bestehen . Denn was heißt denn „kämpfen“im Geschäft der demokratischen Politik? Das heißt über-zeugen, das heißt Menschen mitnehmen, das heißt dafürsorgen, dass aggressive Stimmungen am Ende nicht zuParalleluniversen in rechtsradikalen Echokammern füh-ren, es heißt, Menschen zu überzeugen, die noch nichtüberzeugt sind . Ich glaube, da können wir alle besserwerden, da müssen wir alle besser werden, da müssenwir Grüne auch besser werden .Wenn wir vom ökologischen Umbau reden, dann müs-sen wir auch die Sorgen derjenigen berücksichtigen, dieAngst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren .
Das ist eine Aufgabe, die auch wir Grüne haben, und ichglaube, wenn ich mir den nächsten Wahlkampf anschaue,dann haben alle demokratischen Parteien die Aufgabe,eine Sprache zu finden, die die Menschen überzeugt, mit-nimmt und für diese Demokratie wieder begeistert .
Klar erscheint auch, dass dieses Wahlergebnis in denUSA – insbesondere wenn man sich die Wahlergebnis-se in den ehemaligen Industriegebieten, im sogenanntenRust Belt, anschaut – auch ein Protest war – auf hässlicheund destruktive Art und Weise – gegen eine ungeregelteGlobalisierung und ein Protest gegen den sozialen Ab-stieg .Viele kämpfen seit Jahren gegen die ungeregelte Glo-balisierung, die nur wenigen kurzfristig Gewinne bringt .Politische Entscheidungen haben diese ökonomischeGlobalisierung ermöglicht; politische Entscheidungenkönnten auch eine Globalisierung ermöglichen, die so-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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zial und ökologisch gerechter ist . Das ist nicht einfach,aber es ist möglich, und es gilt, diese optimistische Hal-tung gegen die scheinbare Alternativlosigkeit des Beste-henden zu setzen .
Umso schlimmer ist es, dass die Kritik an der Globa-lisierung nur von rechts außen kommt, und dies nach denhistorischen Irrtümern des 19 . und 20 . Jahrhunderts . Wirlehnen die nationalistische Kritik an der Globalisierungaufs Schärfste ab . Nationalismus kann keine Lösungsein; er ist ein historisch gefährlicher Irrweg .
Aber wir müssen auch verstehen, was passiert, warumdie Menschen für den Brexit gestimmt haben, warum dieMenschen für Trump gestimmt haben . Den Nationalis-ten, den Rechtspopulisten und den Rechtsradikalen ge-lingt es zu gut, den Unmut der Menschen, ihre Angst undihre Frustration auf ihre Mühlen zu leiten .Der Unmut entsteht gar nicht automatisch gegen Min-derheiten. Der Unmut entsteht häufig aus Alltagserfah-rungen: dass in ländlichen Regionen die Infrastrukturnicht mehr funktioniert; aus Angst vor sozialem Abstieg;aus Frust darüber, dass der Lohn trotz Vollzeitarbeit nichtfür eine bezahlbare Wohnung reicht; aus dem Ärger deskleinen Kaffeehausbesitzers darüber, dass er voll Steuernzahlt, während sein Konkurrent von Starbucks nur einenminimalen Steuersatz zahlt . Wir müssen darauf achtenund dürfen nicht zulassen, dass dieser Ärger und dieserFrust am Ende an Minderheiten ausgelassen werden,dass die Schwächsten der Schwachen zu Sündenböckenerklärt werden .
Wir müssen verhindern, dass es den Rechtspopulistenund den Rechtsradikalen in Europa weiter gelingt, einBündnis zu schmieden, das zum Brexit geführt hat, einBündnis zu schmieden, das am Ende die Wahl von Trumpermöglicht hat, ein Bündnis zu schmieden aus Rassistenund Homophoben, mit sozial Verunsicherten, mit Men-schen, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben .Dafür brauchen wir eine Politik, die dafür sorgt, dassdie Infrastruktur auch in den ländlichen Regionen wie-der ankommt und funktioniert, eine Politik, die dafürsorgt, dass die sozialen Sicherungssysteme wirklich füralle sicher sind und die Zweiklassenmedizin abgeschafftwird, eine Politik, die dafür sorgt, dass ausreichend Geldfür bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung gestellt wird,eine Politik, die dafür sorgt, dass der Arbeitsmarkt wie-der für alle Menschen funktioniert, eine Politik, die eineBildungsoffensive ermöglicht, damit wieder jedes Kindeine Chance auf sozialen Aufstieg hat, und eine Politik,die ermöglicht, dass jeder, der Arbeit hat, ausreichendverdient, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zukönnen .
Sehr geehrte Frau Merkel, in diesen schwierigen Zei-ten haben Sie angekündigt, für die CDU wieder als Kanz-lerin kandidieren zu wollen .
Wieder einmal ist unklar geblieben, wohin Sie mit demLand eigentlich wollen und was Sie mit Ihrer Kanzler-schaft anstellen wollen . Im letzten Wahlkampf war IhrMotto: Sie kennen mich ja! – In diesem Wahlkampf wirddas nicht reichen . Es wird auch nicht reichen, zu erklä-ren: Wir machen einfach weiter so .
Was hat Ihre Regierung in den letzten acht oder zehnJahren denn getan gegen das Auseinanderfallen der Eu-ropäischen Union? Was hat Ihre Regierung denn getangegen die weitere Spaltung unserer Gesellschaft? Washat Ihre Regierung denn getan, um die Fluchtursachenwirklich zu bekämpfen und sich für einen fairen Welt-handel einzusetzen? Was hat Ihre Regierung getan in denletzten Monaten und Jahren, um den Klimaschutz durch-zusetzen?Schauen wir uns die einzelnen Punkte einmal an .Die Europäische Union ist seit fast acht Jahren in derDauerkrise, seit der verkorksten Bankenrettung nach derFinanzmarktkrise . Dieser Zustand ist in den letzten Mo-naten und Jahren nicht besser, sondern eher schlimmergeworden .Wir haben gesehen: Großbritannien hat sich für denAustritt aus der Europäischen Union entschieden . Wirmüssen befürchten, dass in Frankreich Frau Le Pen Prä-sidentin wird . In Italien sind die Zustände nicht bessergeworden, und es besteht die Gefahr, dass dort Rechtspo-pulisten an die Macht kommen . In Griechenland herrschtHoffnungslosigkeit und das Gefühl, Europa lässt sie mitden vielen Geflüchteten, die kommen, im Stich.In all diesen Jahren waren Sie Kanzlerin des mäch-tigsten Landes innerhalb der Europäischen Union . Jetztrechtfertigen Sie sich immer damit – und es wird damitgerechtfertigt –, Ihnen hätten die Partner gefehlt und Siehätten alles richtig gemacht . Sie haben immer stur undbrav auf das Einhalten von Regeln gepocht und immerstur und brav darauf gepocht, dass die Sparvorschlägeumgesetzt werden .Man hätte vor sieben oder acht Jahren noch darüberstreiten können, ob diese Politik erfolgreich ist . Abernach acht Jahren nicht erfolgreicher Politik könnte dieseBundesregierung überlegen, ob das wirklich die richtigePolitik war .
Nach acht Jahren, in denen innerhalb der EuropäischenUnion weiterhin 20 Millionen Menschen arbeitslos sind,könnte die SPD überlegen, ob sie nicht ihr ganzes Ge-wicht dafür einsetzen könnte, innerhalb der Europäi-schen Union zu einer Investitionsoffensive zu kommen .
Die SPD könnte sich dafür einsetzen, dass endlich ausrei-chend Geld für eine soziale und ökologische Transforma-Dr. Anton Hofreiter
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tion innerhalb der Europäischen Union ausgegeben wird,damit die Menschen wieder den Glauben haben, dass daswunderbare Projekt der Europäischen Union nicht nurfür Frieden, sondern auch für Wohlstand für sie persön-lich steht .Wo bleibt da die SPD? Setzen Sie sich endlich dafürein, dass wir eine offensive Investitionspolitik auf eu-ropäischer Ebene bekommen . Denn sonst haben viel zuviele das Gefühl, Europa lässt sie im Stich .
Schauen wir uns die Spaltung unserer Gesellschaftan . Sie haben davon gesprochen, Frau Merkel, dass esden Menschen in Deutschland so gut geht wie noch nie .Ja, der Durchschnitt kann allerdings vieles verdecken .Hinter „den Menschen“ verbergen sich nämlich ganz un-terschiedliche Schicksale . Es gibt die Reichsten der Rei-chen, die in den letzten Jahren deutlich reicher gewordensind, und wir hatten noch nie so viele Milliardäre undMillionäre in Deutschland .Aber es gibt auch die anderen Gruppen, die sich hin-ter diesem Durchschnitt verstecken . Inzwischen ist jederzehnte Arbeitnehmer bzw . jede zehnte Arbeitnehmerinvon Armut bedroht, obwohl sie Arbeit haben . Das istdoppelt so viel wie noch vor zehn Jahren, doppelt so vielwie zu Beginn Ihrer Kanzlerschaft .Oder wenn man sich anschaut, wie sich das Aufstiegs-versprechen entwickelt hat: Für viel zu viele ist das Auf-stiegsversprechen immer noch ein Versprechen, das fürsie nicht gilt, weil sie aus bildungsfernen Haushaltenbzw . aus Arbeiterhaushalten kommen und weil für sieeben nicht gilt, dass sie die gleichen Chancen haben, einGymnasium oder eine Universität zu besuchen . Das liegtnicht daran, dass sie weniger können, sondern daran, dasssie eine andere Herkunft haben .All das versteckt sich hinter dem Durchschnitt, und alldas ist politisch änderbar .
Denn es ist politisch durchsetzbar, ein faireres Steuersys-tem zu haben . Es ist politisch durchsetzbar, eine bessereAusstattung der Infrastruktur, zum Beispiel einen besse-ren Breitbandausbau, zu haben, damit abgehängte länd-liche Regionen an die boomenden Städte angeschlossenwerden . Es ist möglich, ausreichend Geld zur Verfügungzu stellen, damit es auch in München, Frankfurt, Berlin,Stuttgart und anderen Metropolen wieder ausreichendbezahlbaren Wohnraum auch für die Menschen mit nied-rigerem Einkommen gibt . Es ist möglich, eine andereArbeitsmarktpolitik zu machen und wieder mehr Geldzur Verfügung zu stellen, damit die Langzeitarbeitslosenwieder eine Chance haben, einen guten sozialversiche-rungspflichtigen Job zu bekommen. All das ist möglich . Sie hatten zehn Jahre Zeit . FangenSie doch wenigstens jetzt damit an!
Frau Merkel, Sie haben von der gerechten Gestaltungder Globalisierung gesprochen . Sie haben davon gespro-chen, dass die neuen Freihandelsabkommen besser sind,weil sie Standards festlegen . Das klang alles gut . DasProblem ist nur: Dem ist nicht so . Wenn Sie sich näm-lich die Verträge genau ansehen, dann finden Sie zwar zum Beispiel das Vorsorgeprinzip im Vertrag zu CETAerwähnt, aber nur im Vorwort. Im Vertrag selbst finden Sie die von Ihnen selbst hochgelobten Standards nicht .Im Vertrag finden Sie stattdessen eine Konzernjustiz außerhalb unserer öffentlichen Gerichtsbarkeit. Sie fin-den im Vertrag stattdessen eine Bedrohung der Verbrau-cherschutz- und Umweltschutzstandards, und Sie finden im Vertrag stattdessen die Möglichkeit und dementspre-chend den Druck auf die Kommunen, ihre kommunaleDaseinsvorsorge zu privatisieren .Das, was Sie zur Regelung der Globalisierung vorge-stellt haben, wäre zwar schön . Bloß, die Verträge machenleider genau das Gegenteil . Deshalb lehnen wir dieseVerträge ab .
Wir reden sehr viel von CETA und TTIP . Bei diesenVerträgen sollte man aber nie die EPAs vergessen, die mitden Ländern Westafrikas und Zentralafrikas abgeschlos-sen werden sollen .
Wenn man sich mit den EPAs befasst, dann kommt manzu Ihren Aussagen zur Bekämpfung der Fluchtursachen .Ich will Ihnen überhaupt nicht vorwerfen, FrauMerkel, dass auch Sie keine gute Lösung für die Schre-cken des Bürgerkriegs in Syrien haben, dass Sie keinegute Lösung dafür haben, wie wir den Bürgerkrieg imIrak oder in Afghanistan beenden können . Das wirft Ih-nen niemand vor . Wir würden uns sehr wünschen, dass esdafür eine Lösung gäbe . Es gibt aber nur kleine, schwie-rige, tastende Schritte in Richtung Lösung, und die Rolle,die Russland dabei spielt, ist mehr als kontraproduktiv .Denn das, was in Aleppo passiert, sind schlicht Kriegs-verbrechen, und das kann man auch genau so nennen: Essind Kriegsverbrechen .
Dazu würde ich mir auch von dem einen oder anderenhier im Haus eine klare Aussage wünschen .Was man aber dieser Regierung vorwerfen kann, istdie Aussetzung des Familiennachzugs .
Da hatten wir eine Lösung . Glauben Sie wirklich, dassdie Mütter, die Väter und die minderjährigen Kinder,wenn sie hier bei uns sind, ruhig schlafen und sich ver-nünftig in unsere Gesellschaft integrieren können, wennder Familiennachzug ausgesetzt bleibt? Das könnten Sieändern; das könnten Sie anpacken . Deshalb appelliere ichan Sie: Lassen Sie den Familiennachzug wieder zu, sei esaus christlichen oder sei es aus humanitären Gründen!
Dr. Anton Hofreiter
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Was man Ihnen vorwerfen kann, ist, dass bei denFluchtursachen, die wir verändern könnten, nichts pas-siert . Ich sehe keine Initiative der Bundesregierung, end-lich dafür zu sorgen, dass die hoch subventionierten euro-päischen Fischerflotten aufhören, die Gewässer vor den Küsten Afrikas, insbesondere vor denen Westafrikas undZentralafrikas, leerzufischen, sodass die einheimischen Fischer zu Schleppern werden und Menschen – weil sieselbst keine Nahrungsgrundlage mehr haben – hierher-transportieren . Das wäre zu ändern und wäre eine echteBekämpfung der Fluchtursachen .
Ich sehe auch keine Initiative, die endlich einen fai-ren Umgang mit den Kleinbauern Afrikas zum Ziel hat .Zehntausende Kleinbauern sind in den Ruin getriebenworden durch den zunehmenden Export von gefrorenemGeflügelfleisch, Milchpulver und anderen Landwirt-schaftsprodukten aus der Europäischen Union . Von 2001bis 2014 hat der Export von gefrorenem Geflügelfleisch um 300 Prozent zugenommen und hat Tausende undAbertausende Bäuerinnen und Bauern in den Ruin ge-trieben. Deren Söhne haben nun teilweise als Geflüchtete Schutz bei uns gefunden . Sie wurden von ihren Familiengeschickt in der verzweifelten Hoffnung, etwas Geld fürdie Ernährung der Familie zu beschaffen . Das könntenSie verändern . Deshalb: Verändern Sie es endlich, undsprechen Sie nicht immer nur abstrakt von Fluchtursa-chenbekämpfung!
Schauen wir uns den Klimaschutz an . Frau Merkel,Sie haben gesagt, es sei Ihnen immerhin gelungen, FrauHendricks mit einem Klimaschutzplan nach Marrakeschzu schicken; nun wisse man, was die nächsten Schritteseien, die in Deutschland zu gehen seien . Sie haben recht:Es ist Ihnen gelungen, Frau Hendricks mit einem Kli-maschutzplan nach Marrakesch zu schicken . Aber manweiß deshalb nicht, welches die nächsten Schritte sind,die in Deutschland zu gehen sind . Von Maßnahmen stehtnämlich nichts im Klimaschutzplan . Sie haben zugelas-sen, dass dieser Klimaschutzplan von allen Maßnahmenentkernt worden ist .
Herr Gabriel hat damit begonnen und hat den Plan zumKohleausstieg aus dem Klimaschutzplan herausgestri-chen . Herr Dobrindt hat dann weitergemacht und hat alleMaßnahmen, die dazu gedacht waren, die Autoindustriezu modernisieren, aus dem Klimaschutzplan heraus-gestrichen . Geendet hat es mit Herrn Schmidt, der alleMaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft herausgestri-chen hat . Deshalb: Es genügt nicht, nur einen Plan zu ha-ben, in dem nichts steht . Klimaschutz muss konkret seinund bedeuten, dass wir beginnen, in Deutschland aus derKohle auszusteigen und die erneuerbaren Energien wie-der flottzumachen, und das nicht nur aus Klimaschutz- und Umweltschutzgründen, sondern auch aus industrie-politischen Gründen; denn die Zukunft wird die moderneEnergieversorgung sein . Dort werden die Arbeitsplätzeder Zukunft entstehen . Hier besteht die Möglichkeit,Menschen Hoffnung zu geben . Wenn Sie es schon nichtaus Klimaschutzgründen machen, dann sollten Sie we-nigstens aus industriepolitischen Gründen aufhören, aufdie alten Technologien des 18 . und 19 . Jahrhunderts zusetzen . Setzen Sie stattdessen auf die Technologien des21 . Jahrhunderts .
Das würde bedeuten, die Chancen, die in der Digi-talisierung und Elektrifizierung der Mobilitätssparte bestehen, zu nutzen . Die Frage, ob Arbeitsplätze im Be-reich des Verbrennungsmotors erhalten bleiben oder obArbeitsplätze im Bereich der emissionsfreien Fahrzeugegeschaffen werden, stellt sich nicht . Die Gefahr bestehtdoch, dass Arbeitsplätze im Bereich des Verbrennungs-motors verloren gehen und neue Arbeitsplätze nicht inDeutschland, sondern in den USA bei Tesla, in Japan beiToyota und in Südkorea bei Hyundai entstehen . Deshalbist es an der Zeit, endlich die Chancen der Moderne zunutzen und auf die Digitalisierung und die Elektrifizie-rung zu setzen .
Das sagen nicht nur wir . 40 große deutsche Unternehmenhaben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass sie vonder Bundesregierung sowohl aus Klimaschutzgründenals auch aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung mehrKlimaschutz erwarten . Selbst die IG Metall fordert in-zwischen einen Umbau der Autoindustrie, auch aus Ar-beitsplatzgründen . Ich erwarte von Ihnen, dass Sie end-lich für einen Klimaschutzplan sorgen, der den Namenauch verdient .Ich glaube, wir brauchen für die ganz großen Heraus-forderungen, vor denen wir stehen, und vor dem Hin-tergrund der großen Unsicherheiten eine Politik, die diewirklichen Probleme angeht . Deshalb lassen Sie uns da-für sorgen, dass wir eine Politik gestalten, die sozial ist,die gerecht ist, die ökologisch ist und die die Menschenin diesem Land mitnimmt . Dann haben wir alle Chancen,dass es auch in Zukunft den Menschen in diesem Landgut geht .Vielen Dank .
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Frau Wagenknecht, ich habe Ihrer Rede auch dies-mal aufmerksam zugehört und bin erstaunt: Währendüberall in der Welt der Schrecken über den Ausgang derWahl in den Vereinigten Staaten immer noch groß ist,bekommen wir mit Donald Trump jetzt offenbar einenPräsidenten, dem Sie etwas abgewinnen können .
Dr. Anton Hofreiter
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Ich habe mich gewundert, wie Sie die ökonomischeKompetenz von Donald Trump bewundert haben undgleichzeitig über die politischen Eliten in Europa gewet-tert haben, die angeblich nur den Mächtigen dienen . Frü-her hieß es: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“;heute heißt es: Populisten aller Länder, vereinigt euch!
Ihre Antwort auf den Populismus von rechts
ist mehr Populismus von links . Sie wollen Frauke Petryim Deutschen Bundestag überflüssig machen. Aber mit Ihren Reden tragen Sie dazu bei, die AfD zu stärken .
Es gibt gar keinen Zweifel: Der Ausgang der Wahlenin den Vereinigten Staaten wird die Rahmenbedingungenfür die Politik auch in Deutschland verändern . In denamerikanischen Städten gehen die jungen Leute auf dieStraße – wie nach dem Brexit in London – und sagen:Not my President . Die Trump-Wahl hat in der Tat diewestliche Welt erschüttert . Aber demokratische Wahlensind auch dann richtig, wenn sie nicht das gewünschteErgebnis bringen .
Wir müssen den Ausgang der Wahl selbstverständlichres pektieren; aber was nicht akzeptiert werden kann, dasist die schmutzige Art, in der dieser Wahlkampf geführtwurde .
Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbstnicht herstellen bzw . garantieren kann . Dazu gehören An-stand und der Respekt vor der Würde anderer Menschen .Der Rassismus von Donald Trump, seine respektloseAbwertung von Menschen, war schon im Wahlkampfunerträglich, aber ist, wenn es an der Spitze des Staa-tes praktiziert wird, eine Gefahr für die Demokratie . DieZerstörung der Demokratie dürfen wir nicht zulassen .
Ich finde es schlimm, dass in Großbritannien nach dem Brexit und jetzt auch in den USA in den Schulklas-sen Kinder von Einwanderern beschimpft werden, dassLeute gegeneinander aufgewiegelt werden und am Endeder Hass regiert . Das führt dazu, dass unsere Demokratievergiftet wird, und das dürfen wir nicht zulassen .
Was unter Barack Obama noch selbstverständlich zusein schien, nämlich dass der Kern des westlichen Bünd-nisses darin besteht, unsere liberale Demokratie, unserefreie und offene Gesellschaft zu verteidigen,
das erscheint unter einem Präsidenten Donald Trumpnicht mehr selbstverständlich . Bei ihm stehen Abschot-tung und nationalstaatliche Politik im Vordergrund . Des-halb ist es kein Zufall, dass der erste europäische Poli-tiker, den Trump empfangen hat, Nigel Farage war, derdie Spaltung Europas durch den Brexit vorangetriebenhat . Die Botschaft, die von solchen Treffen ausgeht, isteindeutig: Trump ist offenbar nicht an einem vereintenEuropa interessiert . Dabei sind ein geeintes Europa undeine funktionierende transatlantische Partnerschaft dasFundament des Westens; denn nur gemeinsam könnenwir unsere Werte verteidigen .
Es bereitet mir große Sorge, dass jetzt auf beiden Sei-ten des Atlantiks die Populisten ihre Lautsprecher auf-gestellt haben . Der Brexit in England, Le Pen in Frank-reich – auch in Europa sehen immer mehr Menschen ihrHeil in der Abschottung . Donald Trump hat sich nicht nurgegen TTIP und TPP, sondern auch für die Einführungvon Schutzzöllen ausgesprochen . Das wäre das Ende desfreien Handels, wie wir ihn kennen . Deutschland expor-tiert jedes Jahr Güter im Wert von 114 Milliarden Euroin die USA . Eine Abschottung der Märkte betrifft alleinin diesem Bereich 1 Million Arbeitsplätze . Deshalb binich, welche Schwierigkeiten es im Einzelnen auch immergeben mag, ob in Sicherheitsfragen oder beim Handel,zutiefst davon überzeugt: Nationalismus und Protektio-nismus sind die falsche Antwort .
Wir sollten uns jetzt aber auch davor hüten, auf dieWähler von populistischen Parteien herabzuschauen .Wählerbeschimpfung steht einer Demokratie schlechtzu Gesicht genauso wie die herablassende Aussage: Wirmüssen euch das nur besser erklären . – Toni Hofreiter,ich fand es übrigens gut, dass auf dem Parteitag der Grü-nen dazu eine nachdenkliche Diskussion geführt wurde;sie ist ja hier weitergeführt worden . Ich fand es gut, dassder Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Wa-shington treffend gesagt hat: Wir müssen den „Duktusder moralischen Überlegenheit“ in der öffentlichen De-batte ablegen . – Denn genau dieser moralische Zeige-finger schweißt die Wähler populistischer Parteien erst richtig zusammen .Statt die Wähler zu beschimpfen, sollte diese Wahl einWeckruf für alle Demokraten sein, um sich auf die Fra-ge zu konzentrieren, was die Menschen in ihrem Alltagwirklich beschäftigt und interessiert . Ich sehe hier zweiErwartungen: Erstens . Die Menschen wollen – das istganz klar – einen handlungsfähigen Staat, einen Staat,der Regeln setzt und auch durchsetzt, einen Staat, derdie Menschen vor Kriminalität und Gewalt beschützenThomas Oppermann
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kann . Zweitens . Die Menschen wollen einen Staat, dersoziale Sicherheit bietet, der Menschen auffängt, wennsie aufgrund von wirtschaftlichen Entwicklungen ihrenArbeitsplatz verloren haben, und verhindert, dass sie so-zial abrutschen .
Wenn Unsicherheit und Angst in der Gesellschaft zu-nehmen, dann müssen wir für Solidarität, für Verlässlich-keit und für Sicherheit sorgen .
Aber wir brauchen auch klare Spielregeln für die Demo-kratie . Die Demokratie lebt vom Streit, sie lebt von Redeund Gegenrede; aber sie lebt nicht von Falschmeldun-gen und Hassbotschaften . Deshalb haben wir in der Tat –auch die Bundeskanzlerin hat darüber gesprochen – einriesiges Problem beim Umgang mit der Wahrheit in densozialen Medien . Immer mehr offene Hetze, Falschmel-dungen und Meinungsroboter sind dort unterwegs . Des-halb ist es absolut richtig, jetzt auf Facebook und andereAnbieter massiv Druck zu machen, damit die Persönlich-keitsrechte von betroffenen Bürgerinnen und Bürgerndurchgesetzt werden können .
Ich finde, wer eine solche Plattform betreibt, um Geld zu verdienen, der muss auch verpflichtet werden, das gel-tende Recht durchzusetzen . Diese Unternehmen habenhier ihre Niederlassungen, um Werbung zu verkaufen;aber sie haben keine Kontaktstellen, an die sich Ermittlerwenden können, um Auskunft zu bekommen, wer sichhinter einer strafbaren Äußerung verbirgt . Lieber VolkerKauder, ich finde, wir sollten mit vereinten Kräften, ge-meinsam mit dem Justizminister und allen in diesemHaus etwas dagegen tun . Das wäre ein guter Schritt .
Die Zukunft der Demokratie steht in diesen Wochenaber auch in der Türkei auf dem Spiel . Präsident Erdoganhat einen zerstörerischen Prozess in Gang gesetzt . Fast140 000 Staatsbedienstete sind seit dem Putschversuchentlassen . Eine Verhaftungswelle geht durch das Land .Ich sage: Wer Richter, Staatsanwälte, Journalisten undAbgeordnete verhaftet, wer die Opposition ins Gefängnissteckt, der zerstört die Demokratie, und dazu darf Europanicht schweigen .
Ich finde es gut, dass Abgeordnete aus allen Fraktionen im Deutschen Bundestag Patenschaften für verhafteteParlamentsabgeordnete in der Türkei übernommen ha-ben . Wir müssen ein wachsames Auge auf das haben,was dort passiert .Was da passiert, ist für viele Menschen eine großeEnttäuschung, insbesondere für die Menschen, die sichjahrelang für die Türkei eingesetzt haben . Erdogan hatseit seinem Amtseintritt 2003 die Türkei aufgebaut . Erwar es, der sie von einem Entwicklungsland zu einemSchwellenland gemacht hat, der die Lebensumstände vonMillionen Türken verbessert hat, der sein Land für dieWelt geöffnet hat, und wir haben ihn dabei unterstützt .Jetzt reißt er alles wieder ein . Er zerstört nicht nur seinLebenswerk, sondern auch die moderne Türkei . Wenn erjetzt, wie geplant, die Todesstrafe einführt, dann wäre dasdas automatische Ende der EU-Beitrittsverhandlungen .Da kann es kein Vertun geben .
Vor dem Hintergrund kann ich gut nachvollziehen, dassdas Europäische Parlament die Verhandlungen zunächstauf Eis legen will . Auch wenn wir über die Entwicklungin der Türkei enttäuscht sind, wenden wir uns nicht vomtürkischen Volk ab . Es gibt dort Millionen Bürger, dieeine demokratische Türkei in einem freien Europa wol-len, und diese Bürger haben unsere volle Solidarität .
Meine Damen und Herren, auch wenn der Flüchtlings-strom nach Deutschland in den letzten Monaten deutlichabgenommen hat, träumen weiterhin viele junge Men-schen davon, nach Europa zu kommen . Ich konnte mirkürzlich in Marokko persönlich ein Bild davon machen,wie viele Menschen, vor allem junge Männer aus Nord-afrika, dort auf ihre Chance warten . Sie wollen Arbeitund ein besseres Leben, und sie wollen irgendwie überdas Mittelmeer kommen . Es muss ihnen ganz klar gesagtwerden: Das ist nicht der richtige Weg nach Europa . –Dieser Weg ist lebensgefährlich, und er wird für viele zueiner bitteren Enttäuschung führen, weil ihr Asylgesuchnicht anerkannt wird. Umso wichtiger finde ich es, dass wir diesen Menschen eine Möglichkeit aufzeigen, unterwelchen Voraussetzungen sie legal nach Deutschlandkommen können . Dazu müssen wir zwischen Asyl undArbeitseinwanderung besser unterscheiden . Unser Asyl-system ist auch deshalb so überlaufen, weil wir diese Un-terscheidung nach außen hin faktisch nicht mehr machen .Deshalb haben wir ein Einwanderungsgesetz vorgelegt .Die meisten Menschen in Deutschland haben verstan-den, dass wir spätestens dann, wenn die geburtenstarkenJahrgänge in Rente gehen, auf die Einwanderung vongut qualifizierten Fachkräften angewiesen sind, und sie wollen auch, dass wir das in kontrollierter Form erlaubenund vernünftig regeln . Wir brauchen Regeln für die Ein-wanderung, Regeln, die jeder versteht und die am bestenin diesem Hause erarbeitet werden sollten .
Eine der wichtigsten Gerechtigkeitsfragen unsererZeit bezieht sich auf die wachsende Kluft zwischen denRegionen . Es gibt zu viele Regionen in Deutschland, indenen sich die Menschen von der Zukunft keine Verbes-serung ihrer Versorgung erwarten . Arztpraxen schließen,Buslinien werden gestrichen und Schulen nicht saniert,die Jungen ziehen weg, die Alten bleiben – diesen Pro-zess können wir natürlich nicht von heute auf morgenaufhalten; aber wir können etwas tun: Wir wollen gleich-Thomas Oppermann
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wertige Lebensverhältnisse, damit unser Land zusam-menhält und nicht weiter auseinanderdriftet .
Deshalb ist es gut, dass sich Bund und Länder auf dieNeuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs geei-nigt haben . Das war am Ende nur möglich, weil der Bundab 2020 10 Milliarden Euro zur Verfügung stellt und da-mit faktisch eine Garantenstellung für gleichwertige Le-bensverhältnisse in Deutschland übernommen hat .Noch nie zuvor hat der Bund finanzschwache Länder und Kommunen so stark entlastet wie in dieser Wahlpe-riode . Der Bund hat die Kosten der Flüchtlingsaufnah-me getragen und sich auch an den Integrationskostenbeteiligt . Der Bund hat ein 3,5-Milliarden-Programmfür finanzschwache Kommunen auf den Weg gebracht. Wir haben die Mittel für den sozialen Wohnungsbau von500 Millionen Euro auf 2 Milliarden Euro vervierfacht .Zudem haben wir 5 Milliarden Euro für die Kommunenbereitgestellt, um sie finanziell zu stärken. Die Bundeskanzlerin hat den Streit über den Vertei-lungsschlüssel angesprochen . In der Tat begünstigt derVerteilungsschlüssel die finanzkräftigen Kommunen, weil er dort zu einem höheren Pro-Kopf-Aufkommenführt als bei den finanzschwachen. Das halte ich nicht für angemessen .
Frau Bundeskanzlerin, wir haben darüber gestritten . Ichhabe einen besseren Verteilungsschlüssel . Dem stimmendie 16 Ministerpräsidenten aber nicht zu .
Der Unterschied ist: Ich hätte das auch gegen die Minis-terpräsidenten im Bundestag entschieden .
Mir hätte die Zustimmung von Volker Kauder gereicht .Ich finde, der Bundestag kann seine Entscheidungen sel-ber treffen .
Wenn wir uns einmal ansehen, was wir zur Entlastungder Länder alles gemacht haben – wir haben das BAföGübernommen und viele andere Dinge gemacht – und waswir zur Entlastung der Kommunen alles auf den Weg ge-bracht haben, dann können wir, wie ich finde, damit zu-frieden sein; denn das sind gezielte Investitionen in densozialen Zusammenhalt unseres Landes .Meine Damen und Herren, eines liegt meiner Fraktionganz besonders am Herzen, nämlich dass der Bund end-lich die Schulen in besonders finanzschwachen Kommu-nen unterstützen kann. Ich finde, es ist ein Unding, dass in unserem Land Schulen teilweise in einem miserablenZustand sind, weil Städte und Gemeinden nicht genugGeld haben, um eine anständige Schule für unsere Kinderbereitzustellen, während der Bund Haushaltsüberschüs-se hat, das Grundgesetz aber verbietet, einen Teil davonfür die Modernisierung der Schulen einzusetzen . Ich binfroh, dass wir diesen absurden Zustand endlich beenden .
Wir werden das Grundgesetz ändern und dem Bund inZukunft erlauben,
Bildungsinfrastruktur in den Kommunen mitzufinanzie-ren . Wir ändern aber nicht nur das Grundgesetz, sondernlegen auch ein 3,5-Milliarden-Programm für finanz-schwache Kommunen auf, damit Schulen saniert undmodern ausgestattet werden können .Ich wundere mich dann doch, was der Ministerpräsi-dent aus Baden-Württemberg dazu sagt .
Er sagt – ich möchte ihn mal zitieren –: Bei der Bildungverläuft die rote Linie für mich . Ein solcher Zugriff desBundes wäre ein massives Einfallstor in den Kernbereichder föderalen Landeshoheit .
Also, liebe Grüne, ich denke, ihr seid eine progressivePartei . Was lasst ihr euch von Kretschmann eigentlichalles bieten? Der ist ja konservativer, als die Polizei er-laubt .
Man hat in Baden-Württemberg den Eindruck: Das ist garnicht Schwarz-Grün, sondern eher Schwarz-Schwarz –mit leichtem Farbunterschied .
Ich glaube, ich spreche einigen Grünen dabei aus derSeele .
In der Sache machen wir, glaube ich, etwas Gutes . Ichbin überzeugt davon, dass der Bund hiermit – neben demBAföG – ein zweites Instrument für mehr Chancenge-rechtigkeit in die Hand bekommt . Wir wollen Bildungs-chancen für alle, unabhängig davon, aus welchen El-ternhäusern die Kinder kommen, oder auch unabhängigdavon, welche Finanzkraft ihre Heimatgemeinde hat .
Dass wir all das finanzieren können, liegt an der guten wirtschaftlichen Situation . Wir haben stabiles Wachs-tum, wir haben immer mehr sozialversicherungspflich-tige Arbeitsplätze . Wir beschließen am Freitag den vier-ten Haushalt in Folge, der ausgeglichen sein wird – dieletzten beiden wiesen sogar Überschüsse auf –, die Ren-Thomas Oppermann
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ten steigen – in diesem Jahr um 4 Prozent, im nächstenJahr werden sie um 2 Prozent steigen –, und nächstesJahr steigt auch zum ersten Mal der Mindestlohn . Die-se wirtschaftliche Prosperität kam nicht von selbst, undsie bleibt auch nicht automatisch so . Sie ist das Ergebnisharter Arbeit . Deshalb müssen wir massiv investieren ineine moderne Infrastruktur, in den sozialen Zusammen-halt unserer Gesellschaft, aber auch in Forschung undEntwicklung .Gleichzeitig bietet diese wirtschaftliche Stärke auchdie Chance, soziale Defizite in dieser Gesellschaft zu beseitigen; denn der Wohlstand kommt nicht bei allenMenschen gleichermaßen an . Armut, Abstiegsängste undArbeitslosigkeit gibt es weiterhin . Deshalb ist es gut,dass wir ab dem nächsten Jahr den Unterhaltsvorschussfür Alleinerziehende deutlich ausweiten, meine Damenund Herren .
Ministerin Manuela Schwesig hat sich darum intensivgekümmert . Damit stärken wir die Alleinerziehenden,aber vor allen Dingen ihre Kinder, die von der Trennungihrer Eltern betroffen sind . Deren Schicksal darf nicht da-von abhängig sein, ob Unterhalt gezahlt wird oder nicht .
Es gibt auch viele, die einen Job haben, aber trotzdemein großes Gefühl der Unsicherheit haben, zum Beispieldie 15 000 Angestellten bei Kaiser’s Tengelmann, dieseit Monaten um ihre Arbeitsplätze bangen . Ich dankeSigmar Gabriel dafür, dass er gegen massive Widerstän-de für den Erhalt dieser Arbeitsplätze am Ende mit Erfolggekämpft hat .
Es ist unsere Aufgabe, für Sicherheit zu sorgen . Wirinvestieren in diesem Haushalt massiv in Personal undAusstattung der Polizei . Der Etat des Innenministerswächst um mehr als 1 Milliarde auf fast 9 MilliardenEuro . Bis 2020 schaffen wir 4 300 neue Stellen bei denSicherheitsbehörden; es gibt allein 1 000 Stellenanhe-bungen bei der Polizei . Und wir werden dafür sorgen,dass Einbruchskriminalität in Deutschland härter bestraftwird und dass Polizeibeamte besser geschützt werden .
Wer Polizeibeamte, Rettungskräfte oder Feuerwehrleuteangreift, der greift uns alle an und der wird künftig härterbestraft werden .
Es ist unsere Aufgabe, das Vertrauen in die Rente wie-derherzustellen . Wir brauchen eine doppelte Haltelinie:Das Rentenniveau darf nicht ins Bodenlose sinken – dasschulden wir den Älteren –, und die Beiträge dürfen nichtastronomisch steigen; das schulden wir den Jüngeren .Wir brauchen einen ausbalancierten Kompromiss . Ichhoffe, dass wir am Donnerstag im Koalitionsausschussdiesbezüglich etwas zustande bringen .Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, fürGerechtigkeit in diesem Land zu sorgen; denn nur mit so-zialer Gerechtigkeit wird es auch eine stabile Demokratiegeben . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Ja, was heute mehrfach angesprochen wurde, stimmt:Deutschland steht gut da . – Und was Thomas Oppermanngesagt hat, stimmt auch: Das ist nicht vom Himmel gefal-len, sondern Ergebnis einer großen Gemeinschaftsarbeitvon fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von risikofreudigen Unternehmern, vor allem unserenmittelständischen Familienbetrieben in diesem Land,und einer richtigen Politik der letzten Jahre . Für dieserichtige Politik der letzten Jahre steht natürlich AngelaMerkel als Bundeskanzlerin .
Deshalb haben wir mit der Erklärung der Bundeskanzle-rin, für weitere vier Jahre zur Verfügung zu stehen, alleChancen, diese gute Position für unser Land auszubauen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das wird nicht ein-fach werden; denn wir stehen vor großen Herausforde-rungen und müssen das den Menschen in unserem Landauch sagen – nicht um sie zu belehren, sondern um ihnenmitzuteilen, welche Herausforderungen wir sehen undwas wir glauben tun zu können, um diese Herausforde-rungen zu meistern .Die erste große Herausforderung ist die demografi-sche Entwicklung . Wir stehen nicht unmittelbar davor,sondern sind mittendrin in diesem Prozess . Die demo-grafische Entwicklung hat dramatische Konsequenzen – nicht nur für die Frage, wie viele Arbeitskräfte in Zukunftin unserem Land zur Verfügung stehen, sondern auch fürdie Frage, welche Infrastruktur wir in den nächsten Jah-ren brauchen, und vor allem für die Frage, welche Infra-struktur wir uns leisten können und uns auch zu leistenbereit sind . Sind wir beispielsweise bereit, den in unserenländlichen Räumen lebenden Menschen, auch wenn ihreZahl dort zurückgeht, zu sagen: „Wir werden in den länd-lichen Räumen auch dieselbe Qualität wie in den Bal-lungsgebieten zur Verfügung stellen“?Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wirdies nicht machen, hat dies Folgen . Das Ergebnis könnenwir in Frankreich besichtigen . Dort gibt es kilometerwei-se ländliche Räume, in denen sich nichts mehr bewegt,Thomas Oppermann
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weil dort genau dieser Weg nicht gegangen wurde . Des-wegen brauchen wir nicht nur Geld für Kommunen, de-nen es schlechter geht, sondern Investitionen in unsereländlichen Regionen, dass sie nicht den Eindruck haben,sie würden abgehängt, wie es in Amerika der Fall gewe-sen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Dafür bietet dieser Haushalt auch alles .Dass die Grünen an dieser Stelle nicht klatschen,hängt damit zusammen, dass sie nicht die Partei der länd-lichen Räume, sondern der Universitäts- und Großstädtesind . Das ist natürlich etwas ganz anderes, um das einmaldeutlich zu machen
– Lieber Herr Hofreiter, das ist wahrscheinlich auch dereinzige Punkt, an dem ich Sie jetzt attackiere . Ich könn-te auch sagen: Sie sind nicht einmal bereit, Ihren einzi-gen Ministerpräsidenten zu verteidigen . Das ist mir eineschöne Truppe hier, die das nicht tut .
Das kann ich auch nur sagen . Aber damit will es bleibenlassen .Dafür bietet dieser Haushalt auch eine ganze Menge .Da geht es nicht nur – Sie haben es zu Recht angespro-chen – um die Infrastruktur für ein schnelles Internet, alsodie Leitungen . Im ländlichen Raum sind wir auch daraufangewiesen, Güter, die dort produziert werden, schnellwoandershin zu transportieren . Der ländliche Raum lebtnatürlich vom schnellen Internet . Er lebt aber auch da-von, dass in diesen Regionen nach wie vor Produktionstattfindet. Und von dort, wo Produktion stattfindet, müs-sen die Güter, wenn sie nicht am Verwendungsort ausdem 3D-Drucker fallen, irgendwohin gefahren werden .Deswegen ist eine gute Straßen- und Eisenbahnverbin-dung etwas Zentrales .Dafür schafft dieser Haushalt die geeigneten Voraus-setzungen . Ich bin jetzt über 20 Jahre Mitglied des Deut-schen Bundestages und kann mich nicht erinnern, dassjemals so viel Geld für Verkehrsinfrastruktur zur Verfü-gung gestellt worden wäre wie in dieser Legislaturperi-ode, liebe Kollegen . Das ist eine gute Botschaft für dasLand .
Die Demografie ist also eine der ganz großen Heraus-forderungen . Hier sind jetzt schnell Antworten fällig . ZurDemografie gehört auch: Ein älter werdendes Land birgt immer die Gefahr, dass Innovationen nicht mehr so ernstgenommen werden . Aber auch ein älter werdendes Landkann dann ein modernes Land sein und bleiben, wenn essich die Freude am Neuen erhält, am Entdecken, liebeKolleginnen und Kollegen . Damit dieses auch in Zukunftmöglich ist und vor allem in einer immer schneller wer-denden Zeit möglich ist, müssen wir uns einmal ernsthaftdarüber unterhalten – „ernsthaft“ sage ich und nicht imschnellen Vorbeireden –: Welche Veränderungen müs-sen wir vornehmen, dass das Entdecken und dass dieFreude am Neuen möglich werden? Ich erkenne manchebürokratische Hürde, die es den Leuten erschwert, dasNeue zu entdecken und Freude am Neuen zu haben, liebeKolleginnen und Kollegen . Darüber müssen wir einmalreden .
Dann geht es natürlich auch darum, Start-up-Unter-nehmen zu unterstützen . Es geht nicht nur darum, dassGeld zur Verfügung gestellt wird, sondern auch darum,dass Möglichkeiten geschaffen werden, ohne dass Bü-rokratie alles gleich mit Mehltau belegt und die jungenLeute die Freude daran verlieren .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir sagen:„Die Demografie ist eine der großen Herausforderun-gen“, dann müssen wir klar und deutlich sagen, dasswir in unserer politischen Arbeit einen Schwerpunkt aufdie junge Generation legen müssen . Ich weiß natürlich,dass wir das, was an Ansprüchen erworben wurde, auchschützen und sichern werden . Aber wenn wir in diesenTagen über die Zukunft unserer Sozialversicherungssys-teme und über die Rente diskutieren, dann ist der Hin-weis von Thomas Oppermann richtig, dass wir sowohlauf das Rentenniveau achten müssen als auch auf die Be-lastbarkeit der jungen Generation. Ich finde sogar, dass wir noch deutlicher machen müssen: Eine alternde Ge-sellschaft braucht fitte junge Menschen, und zwar nicht nur körperlich fitte, sondern mental fitte junge Menschen, Menschen, die den Eindruck haben, dass man sie unter-stützt und nicht belastet, wenn sie in diesem Land bereitsind, Verantwortung zu übernehmen . Das gehört bei derRentendiskussion in den Vordergrund . Darauf werdenwir auch achten .
So richtig es ist, was wir gemacht haben, dass wirfür die Pflege einiges getan haben – nicht nur einiges, sondern eine ganze Menge –, so richtig war es auch –darüber ist schon gar nicht mehr gesprochen worden –,dass wir auch für Kinder und junge Familien mit unse-ren Betreuungsmöglichkeiten, die wir geschaffen haben,eine Menge getan haben . Das Traurige an der ganzen Ge-schichte ist nur, dass sowohl bei der Ganztagesbetreuungwie auch in der Schule die Länder in vielen Bereichennicht in der Lage waren, das anzustoßen, sondern immernur der Bund eingreifen muss, obwohl er dafür eigent-lich gar nicht zuständig ist . Ich muss sagen: Ich bin lei-denschaftlicher Verfechter des Föderalismus . Aber dannmuss der Föderalismus auch seine Aufgaben erfüllen,liebe Kolleginnen und Kollegen,
und darf nicht immer nur im Deutschen Bundestag nachGeld rufen .Wir haben jetzt noch einmal ein Programm für finanziell notleidende Kommunen aufgelegt, mit dem auch in derSchulpolitik einiges getan wird . Das machen wir . Aberich habe grundsätzlich Verständnis für den baden-würt-Volker Kauder
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tembergischen Ministerpräsidenten, der sagt: Wir müs-sen aufpassen, dass die Kompetenzen, die zwischenBund und Ländern föderal getrennt worden sind, auch inZukunft so erhalten bleiben . – Hier kommt der entschei-dende Punkt, Kollege Oppermann: Wir haben keinenUmverteilungsföderalismus, sondern wir haben einenWettbewerbsföderalismus, und bei dem muss auch deut-lich werden, wer seine Aufgaben besser macht und wersie weniger gut macht . Ich erkenne relativ wenig Freudean einer solchen Diskussion .
Wenn wir sagen: „Wir müssen gerade für die jungeGeneration mehr tun“, dann betrifft das natürlich die Bil-dung . Da ist natürlich klar, dass wir entsprechende Bil-dungseinrichtungen haben müssen . Das können wir vomBund unterstützen . Aber ich sehe mit großer Sorge, wiein einigen Bundesländern die Qualität in der Schulaus-bildung dramatisch zurückgeht . Da kann ich nur sagen:Die Bildungspolitik darf von ihren Ergebnissen her nichtTeil einer Sozialpolitik sein . Wenn wir nicht bereit sind,den Leistungsgedanken in der Bildung zu fördern, wer-den wir unser blaues Wunder erleben, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Ich kann mich darüber nur wundern: Wenn hier inBerlin die Frage gestellt wird: „Frau Schulsenatorin, sa-gen Sie uns doch mal, wie es denn möglich war, dass dieErgebnisse beim Abitur wieder wesentlich besser warenals im letzten Jahr“, dann sagt die Dame mit einem Lä-cheln auf den Lippen, das sei ganz einfach, man habe dieAnforderungen nach unten genommen . – Da kann ich nursagen: So werden wir den immer schwerer werdendenWettbewerb in unserer Welt nicht gewinnen . Wenn wirdie Besten sein wollen, mit den besten Löhnen, mit denbesten Ergebnissen, dann brauchen wir in unserem Landauch die beste Ausbildung, liebe Kolleginnen und Kol-legen, und die sehe ich in manchem Bundesland nichtmehr .
Wenn wir unsere jungen Menschen qualifiziert ausbil-den, dann brauchen sie auch, damit sie in unserem Landbleiben und zu unserem Wohlstand beitragen, qualifizier-te Arbeitsplätze . Es ist schon bemerkenswert, wie da inden einzelnen Reden über das Soziale gesprochen wurde,aber so wenig darüber, dass zunächst einmal in der Wirt-schaft das erwirtschaftet werden muss, was wir nachherim sozialen Bereich einsetzen können .
Da würde ich mir schon ein bisschen mehr Verständnisauch für die Fragen und die Sorgen in der Wirtschaftwünschen . Es ist nicht nur richtig, dass wir auf das hören,was die Menschen bewegt, sondern es ist auch richtig,dass wir auf die hören, die in der Wirtschaft Arbeitsplätzezur Verfügung stellen .Wir haben in dieser Legislaturperiode ein Gesetz fürweniger Bürokratie gemacht, mit dem schönen deutschenGrundsatz „One in, one out“: Wenn durch eine Maßnah-me mehr Bürokratie beschlossen wird, muss sie woan-ders zurückgenommen werden . – Wir haben jetzt nochein paar Gesetzgebungsvorhaben vor uns, die für dieWirtschaft nicht ganz einfach sind . Da erwarte ich dannaber auch – darauf werden wir großen Wert legen –, dassjede zusätzliche bürokratische Belastung woanders zu-rückgenommen wird . Wir sind nicht glaubwürdig, wennwir ein solches Gesetz machen und dann sagen: Das biss-chen Bürokratie nehmen wir auch noch mit . – Nein, damuss nun konsequent gehandelt werden . Ich bitte auchdie Bundesregierung, uns dabei zu helfen und es nichteinfach zu verniedlichen .
Die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, KollegeHofreiter auch – mit unterschiedlichem Akzent, was be-merkenswert ist, aber nicht verwundert –, dass es natür-lich große Herausforderungen in unserer Wirtschaft gibt .Da spielt die Automobilindustrie eine große Rolle . Auchda dürfen wir die Dinge nicht verniedlichen . Es ist völ-lig unstreitig, dass die notwendige Entwicklung hin zumElektroauto dazu führen wird, dass die Wertschöpfung inden großen Automobilwerken auf 40 Prozent dessen zu-rückgehen wird, was wir bisher haben; das ist von Daim-ler-Benz, von VW und auch von anderen so gekommen .Das heißt, dass wir uns, lieber Kollege Oppermann,jetzt in erster Linie nicht darüber Gedanken machenmüssen, von wo Fachkräfte hierherkommen könnten,sondern darüber, wo diejenigen, die ihren Arbeitsplatzin diesem Bereich in Zukunft nicht mehr haben werden,Arbeitsplätze finden. Das wird das zentrale Thema sein.
Das erwarten die Menschen als Antwort – nicht, dass wirpauschal auf Zuwanderung setzen .Im Übrigen haben wir in Europa als einzige großeWirtschaftsregion in der Welt ein unglaubliches Potenzi-al . Es wird schon einiges getan . Aber ich würde mir wün-schen, dass wir noch viel mehr Wert darauf legen, dassjunge Menschen aus dem gesamten europäischen Raum,wo sie keine Arbeit haben, zu uns kommen und hier Ar-beit finden können. Ich muss nicht nach Asien oder sonst wohin schauen, um Arbeitskräfte für unsere Wirtschaftzu erhalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir,dass sich vor allem die großen Aktiengesellschaften einbisschen sensibler in der Öffentlichkeit bewegen; dennsie sind es, die erheblich zur Irritation in unserer Gesell-schaft beitragen, und es sind nicht die Familienbetriebe .Das, was wir in diesen Tagen bei VW erlebt haben –23 000 Stellen streichen und den Bonus für Leute zu er-höhen, die sich wirklich nicht verdient gemacht haben,und das mit Zustimmung des Aufsichtsrates, in dem dieLandesregierung von Niedersachsen sitzt –, ist kein gutesBeispiel für Kultur in unserem Land, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Oder wenn ich an die Diskussion über die DeutscheBank denke . Heute Morgen war zu lesen, was WolfgangVolker Kauder
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Schäuble dazu in einem Satz gesagt hat . Wenn dort Leu-te sagen, sie können den Bonus nicht zurückbezahlen –obwohl sie wirklich nicht erfolgreich waren –, weil dasschlecht für andere wäre, dann kann ich nur den Satz vonWolfgang Schäuble wiederholen: Das hat etwas mit Fast-nacht und Karneval, aber nicht mit ernsthafter Wirtschaftin unserem Land zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis ge-ben . Wir wollen nicht nur auf andere schauen, sondernauch auf uns . Auch wir, der Deutsche Bundestag, hatnoch eine Aufgabe vor sich, die Norbert Lammert völligzu Recht angemahnt hat . Es geht darum, ein Wahlrechtvielleicht doch noch hinzubekommen, das den 19 . und20 . Deutschen Bundestag arbeitsfähig hält . Wir müssendiese Frage klären, und zwar nicht nur, weil Populistendann fragen: Warum sitzen hier 750 Abgeordnete? – DasProblem ist doch vielmehr, dass in Ausschüssen in derGrößenordnung von 50 oder noch mehr Kolleginnen undKollegen eine sinnvolle politische und parlamentarischeArbeit nicht mehr möglich ist . Deswegen unterstütze ich,dass wir zu einem Ergebnis kommen müssen . Wir sinduns alle einig, dass da etwas geschehen soll . Und wennwir uns alle einig sind, dann sollten wir doch auch etwashinbekommen . Es ist immer schlecht, wenn man selberein Problem hat und es nicht lösen kann, aber mit demFinger auf andere zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Deswegen ermuntere ich alle, hier mitzumachen .Herzlichen Dank .
Der Kollege Thomas Jurk hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Vor drei Jahren wurde der Koaliti-onsvertrag unterzeichnet . Ein zentrales Versprechen die-ser Vereinbarung war, die Neuverschuldung dauerhaft zustoppen, die Schuldenstandsquote zu senken und dabeidie Investitionskraft von Bund, Ländern und Kommu-nen sicherzustellen . Mit Blick auf den letzten regulärenHaushalt dieser Wahlperiode stelle ich fest: Wir habenWort gehalten .
Der Bund macht in dieser Wahlperiode nicht eineneinzigen Euro neue Schulden . Die Schuldenstandsquo-te sinkt in dieser Wahlperiode um mehr als 10 Prozentund wird voraussichtlich 2020 die im Maastricht-Vertragvereinbarte Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes unterschreiten .Und – was für mich am wichtigsten ist –: Wir stellendie Investitionskraft von Bund, Ländern und Kommunennicht nur sicher, wie es im Koalitionsvertrag heißt, son-dern stärken sie in nie dagewesener Weise .
So haben wir die Ausgaben für Investitionen in den par-lamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2017um 2,8 Milliarden Euro auf mehr als 36 Milliarden Euroerhöht . Im Vergleich zum Jahre 2013 haben wir damitohne Berücksichtigung der Einzahlungen in den ESMdie Investitionen des Bundes von 24,8 Milliarden Euroauf 36 Milliarden Euro, das heißt um rund 45 Prozent,gesteigert .
Die Investitionsquote im Bundeshaushalt erhöht sichdadurch von 8,1 Prozent 2013 auf 11 Prozent im kom-menden Jahr. Ich finde, das kann sich mehr als nur sehen lassen .
Die Entlastungen des Bundes für die Länder und Ge-meinden sind inzwischen kaum noch zu überblicken,wie uns kürzlich auch der Bundesrechnungshof wiederbestätigt hat . Einige Highlights möchte ich dennoch er-wähnen .Der Bund erstattet den Kommunen die Kosten derGrundsicherung im Alter seit 2014 vollständig . ImJahr 2017 werden dies voraussichtlich rund 7 MilliardenEuro sein. Von dieser Entlastung profitieren insbesonde-re finanzschwache Kommunen, was uns Sozialdemokra-tinnen und Sozialdemokraten besonders wichtig ist . DerBund investiert seit Jahren auch massiv in den Kitaaus-bau und beteiligt sich an den Betriebskosten mit inzwi-schen rund 1 Milliarde Euro jährlich . 2017 legen wirbeim Kitaausbau noch einmal mehr als 200 MillionenEuro drauf . Außerdem werden die Mittel für das Bun-desprogramm „Sprach-Kitas“ auf 278 Millionen Euroerhöht, das heißt mehr als verdoppelt .
Der Bund beteiligt sich auch immer stärker an denKosten der Unterkunft bei der Grundsicherung für Ar-beitsuchende und lässt den Gemeinden einen immerhöheren Anteil an der Umsatzsteuer zukommen . Alleindurch den erst gestern im Haushaltsausschuss abschlie-ßend beratenen Gesetzentwurf zur weiteren Entlastungvon Ländern und Kommunen werden diese bis zum Jah-re 2019 um weitere 20 Milliarden Euro entlastet . Das istdoch eine gute Botschaft für unsere Kommunen .
Nicht zuletzt haben wir im Jahre 2015 einen Kom-munalinvestitionsförderungsfonds eingerichtet und mitMitteln in Höhe von 3,5 Milliarden Euro ausgestattet .Wir wollen diesen Fonds mit einem NachtragshaushaltVolker Kauder
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demnächst auf 7 Milliarden Euro aufstocken . Mit denFondsmitteln werden Investitionen finanzschwacher Kommunen mit einem Fördersatz von bis zu 90 Prozentbezuschusst. Der Kofinanzierungsanteil der Kommunen von mindestens 10 Prozent kann auch von den Ländernübernommen werden .
Damit gezielt die finanzschwachen Kommunen profitie-ren, muss dies aber auch ermöglicht werden . Ich forde-re daher die Länder auf, ihrer Verantwortung gerecht zuwerden .
Obwohl wir in dieser Woche den letzten regulärenBundeshaushalt dieser Wahlperiode beschließen werden,sind wir Haushälter in den kommenden Monaten ja nichtganz beschäftigungslos;
denn wir müssen noch die Neuordnung der Bund-Län-der-Finanzbeziehungen unter Dach und Fach bringen .Ich erwähne das, weil diese Reform die Länder um wei-tere rund 10 Milliarden Euro reicher und den Bund ent-sprechend ärmer macht .
– Ja, Johannes, da hast du völlig recht . Denn in der Sum-me ist das alles nicht unproblematisch, werden damitdoch die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundes zuneh-mend eingeschränkt . – Ich will auch nicht verhehlen,dass ich die einmütige Entscheidung der Ministerprä-sidenten, auf die dritte Stufe des Finanzausgleichs, deneigentlichen Länderfinanzausgleich, zu verzichten, sehr kritisch sehe .
Trotzdem ist unser Kurs richtig . Denn wir müssenganz zweifellos mehr für den Zusammenhalt unserer Ge-sellschaft tun . Gerade hierbei sind nicht nur der Bund,sondern auch die Länder in der Pflicht, die insbesondere ihre Verantwortung für eine den Aufgaben angemesse-ne finanzielle Ausstattung der Kommunen wahrnehmen müssen .
Gerade in den strukturschwachen Regionen unseresLandes fühlen sich viele Menschen abgehängt . Sie mer-ken, dass sich der Staat in den letzten Jahren zurückge-zogen hat, sei es bei der Gesundheitsversorgung, demöffentlichen Nahverkehr oder der inneren Sicherheit .Ebenso ist vom Ausbau der digitalen Infrastruktur invielen Regionen noch nichts zu sehen . Das sind einigejener Gründe für Verunsicherung und Enttäuschung imLand, die sicherlich auch wir Abgeordneten alle spüren .Deshalb brauchen wir einen starken und handlungsfä-higen Staat, und zwar auf allen staatlichen Ebenen . Wirwollen nicht, dass Bürgerwehren für die öffentliche Ord-nung und Sicherheit sorgen müssen . Deshalb stärken wirmit diesem Haushalt die deutschen Sicherheitsbehördenmassiv; meine Vorredner sind darauf eingegangen . DerEtat des Bundesinnenministers wächst um rund 1 Milli-arde Euro – ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung derinneren Sicherheit bei uns im Land . Damit nehmen wirauch die Sorgen der Menschen in Deutschland auf .
Wir tun auch etwas für den öffentlichen Personennah-verkehr, indem wir den Ländern zusätzlich noch einmalmehr als 200 Millionen Euro Regionalisierungsmittel zu-schieben . Damit soll das Leistungsangebot im Schienen-personennahverkehr gesichert und auch weiter ausgebautwerden . Außerdem erhöhen wir das Eigenkapital derDeutschen Bahn um 1 Milliarde Euro und verzichten inden kommenden vier Jahren auf Dividenden in Höhe voninsgesamt 1,4 Milliarden Euro . Damit wird die Finanzie-rung der Wachstums- und Qualitätsoffensive der Bahn si-chergestellt, welche die Bahnanbindung vieler Regionenin Deutschland verbessern soll . Wir werden sehr daraufachten, dass das auch tatsächlich geschieht .
Wir verstärken erneut die Mittel für den sozialenWohnungsbau . Denn intakte Stadtquartiere sind gelebterZusammenhalt . Wir tun auch mehr für die digitale Infra-struktur, insbesondere für den Breitbandausbau im länd-lichen Raum, indem wir die Mittel dafür jetzt erneut ummehr als 1,3 Milliarden Euro erhöhen . Das sind dann seit2014 insgesamt 4 Milliarden Euro für Breitbandausbau .Wenn ich davon sprach, dass sich viele Menschen ab-gehängt fühlen, so trifft das teilweise auch auf die Stra-ßeninfrastruktur zu . Die Straßen auf dem Lande nichtmehr zu asphaltieren, sondern nur noch zu schottern, wiekürzlich in einer Studie für Sachsen vorgeschlagen, ver-stärkt allerdings die Spaltung in unserem Land .
Deshalb bin ich froh, dass wir auf Bundesebene in die-ser Wahlperiode deutlich mehr Geld für den Straßenbaueinsetzen . Deshalb ist es so wichtig, die Länder und Ge-meinden finanziell so auszustatten, dass sie auch in die Straßenerhaltung investieren können .
Wir müssen uns auch noch stärker darüber Gedan-ken machen, wie wir die Infrastruktur unter anderembei Schiene und Straße in strukturschwachen Räumenerhalten und ausbauen können – Herr Kauder ist daraufja eingegangen –; denn ohne eine adäquate Verkehrsan-bindung wird ein entsprechender Strukturwandel wohlkaum gelingen . Das heißt, die Bedarfsplanung mussschwerpunktgerecht angepasst werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hattenim Koalitionsvertrag die Umsetzung prioritärer Maßnah-men in Höhe von rund 23 Milliarden Euro vereinbart .Dieses Ziel haben wir nicht nur erreicht, sondern wirsind weit darüber hinausgegangen . Wir haben mehr inBildung, Forschung und Infrastruktur investiert . So stär-ken wir den Zusammenhalt bei uns im Land . Die Men-Thomas Jurk
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schen müssen im Alltag erfahren, dass wir niemandenvergessen . Dabei bleibt auch weiterhin viel zu tun – beiInvestitionen in Bildung und sozial abgehängte Stadttei-le sowie strukturschwache Regionen ebenso wie bei derwirtschaftlichen Modernisierung unseres Landes . Daranwollen und werden wir weiter arbeiten .
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei manchen Reden der Opposition von gestern und heu-te – insbesondere von der ersten heute Morgen – habeich den Eindruck gewonnen: Da fehlt jeder Sinn für dieRealität im Land .
Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nun ein-mal, dass wir seit zehn Jahren eine steigende Zahl vonErwerbstätigen haben . Realität ist, dass wir den tiefstenStand der Arbeitslosigkeit haben . Bei den Erwerbstätigenhaben wir übrigens eine wesentliche Zunahme gerade beiden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das ist Fakt, meine Damen und Herren!
Zur Realität gehört, dass die Löhne und Einkommensowie die Renten gestiegen sind und weiter steigen . Dasist genauso Realität wie die Tatsache, dass unsere Wirt-schaft auf gesunden, kräftigen Beinen steht, sowohl wasdie Binnennachfrage als auch den Export betrifft, meineDamen und Herren .
Das alles ermöglicht, dass wir den sozial Schwachen –denjenigen, die sich entweder zeitweise oder längere Zeitselber nicht helfen können – Leistungen gewähren kön-nen, wie sie andere mit uns vergleichbare Staaten ebennicht gewähren können . Auch das gehört zur Realität indiesem Land .
Ich finde, das erste und allerwichtigste Gebot für die Politiker ist, dass man den Leuten wenigstens ehrlichsagt, wie die Lage ist und wo Probleme liegen .
Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, die Dinge und die Situ-ation aber auch nicht schlechter zu reden, als sie tatsäch-lich sind .
Zur politischen Verantwortung gehört natürlich auch,dass wir das Erreichte nicht mutwillig gefährden dürfen .Damit komme ich zu einem Thema, das gerade in denletzten Tagen wieder eine Rolle gespielt hat, nämlich derVorschlag der Grünen, die Vermögensteuer wieder ein-zuführen .
Mit diesem Vorschlag machen Sie genau das, was Sienicht machen dürfen . Dadurch würden nämlich dieStruktur und die Substanz unserer Wirtschaft – insbe-sondere der mittelständischen Wirtschaft – und damitArbeitsplätze gefährdet . Das ist der völlig falsche Weg .
In diesen Tagen war mehrfach die Rede davon, dasswir auch in diesem Jahr wieder einen Haushalt ohne neueSchulden vorlegen . Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren in die-sem Haus und glaube, wir sollten uns wirklich immerwieder bewusst machen, dass es bis jetzt noch in keinerLegislaturperiode gelungen ist, vier Jahre hintereinanderHaushalte ohne neue Schulden vorzulegen . Das ist einegrandiose Leistung, die man gar nicht hoch genug ein-schätzen kann .
Ein Haushalt ohne Schulden ist auch kein Selbst-zweck, sondern macht auf verschiedenen Ebenen und ausverschiedenen Gründen Sinn . Es zeigt: Auf diese Regie-rung ist Verlass . Das, was am Anfang der Regierungszeitversprochen wurde, ist eingehalten worden, und zwargegen viele Versuchungen; auch das muss man in Redestellen .
Nicht alles, was wir in dieser Legislaturperiode finanzi-ell zu schultern hatten, war am Anfang vorauszusehen .Es war eine großartige Leistung, das durchzuhalten . Daszeigt unsere Verlässlichkeit .Durch diese Stabilitätspolitik wird außerdem auch derGrundstein dafür gelegt, dass für die notwendigen Maß-nahmen auch die entsprechenden Mittel vorhanden sindund dass für Investitionen – auch für Zukunftsinvestiti-onen – Spielraum ist . Das Allerwichtigste ist: Es wirddeutlich, dass wir verantwortungsvolle Politik nicht füruns und die ältere Generation, sondern für unsere KinderThomas Jurk
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und Enkelkinder machen . Sie brauchen diese Chancen indiesem Land .
Es ist uns gelungen, den Ländern die entsprechendenMittel für die Kommunen an die Hand zu geben, damitdiese ihre Aufgaben gut bewältigen können . Noch nie hates eine Bundesregierung und ein Parlament gegeben, dieso viel für die Kommunen und auch die Länderhaushal-te gegeben haben wie diese Bundesregierung und diesesParlament in dieser Legislaturperiode .
Das ist wirklich einmalig und war auch notwendig; dasist richtig .Ich will aber auch darauf hinweisen: Es kommt jetztschon darauf an, dass diese Gelder, die den Ländern undden Kommunen in einer Größenordnung wie nie zuvorgegeben wurden, auch richtig und für den Zweck ausge-geben werden, für den sie vorgesehen sind, beispielswei-se für den sozialen Wohnungsbau . Es macht wenig Sinn,die Mittel im sozialen Wohnungsbau zu verdreifachen,wie wir es mittlerweile getan haben, wenn diese Mittelvon den Ländern nicht entsprechend ausgegeben werden,sondern im allgemeinen Haushalt untergehen und für ir-gendetwas anderes verwendet werden . Und auf der ande-ren Seite schimpft man dann darüber, dass es zu wenigeWohnungen gibt . Nein, hier müssen auch die Länder unddie Kommunen ihre Verantwortung wahrnehmen .
Das Gleiche gilt übrigens auch für die Integrations-pauschale . Auch diese Mittel erhalten die Kommunenund die Länder, um ihre Aufgaben im Zusammenhangmit der Integration von Flüchtlingen erfüllen zu können .Sie dürfen nicht im allgemeinen Haushalt verschwinden .Zweitens aber gehört neben dieser zielgerichteten Ver-wendung auch dazu, dass die Länder ihre Aufgabe undihre Verantwortung wirklich wahrnehmen . Da stellt sichmir schon die Frage, warum zum Beispiel die Schulenin Bayern in einem wesentlich besseren Zustand sind alsdie Schulen in Nordrhein-Westfalen . Das liegt doch nichtan uns .
Es stellt sich auch die Frage, warum die Kriminali-tät in manchen Ländern größer oder kleiner ist, warumdie Aufklärungsquote in der Kriminalitätsbekämpfungin Bayern wesentlich höher ist als in anderen Ländern .Man kann sich auch die Frage stellen, warum in Bayernbeispielsweise die Arbeitslosenquote in ländlichen Regi-onen teilweise sogar niedriger ist als in Ballungsgebie-ten . Das, meine Damen und Herren, hängt alles mit einerrichtigen Politik in den jeweiligen Ländern zusammen .
Das muss auch einmal gesagt werden .
Defizite in der Schulausstattung, Defizite in der Poli-zeiausstattung, Defizite in der regionalen Wirtschaftsför-derung können nicht allein vom Bund beseitigt werden,weil der Bund dafür gar nicht verantwortlich ist, sondernsie müssen vor Ort in den Ländern beseitigt werden . Daist die Verantwortung der Bundesländer, der Länderre-gierungen .
Eine gemeinsame Aufgabe ist zweifellos der Umgangmit den Flüchtlingen . Es ist völlig richtig, dass dieserHaushalt einen großen Schwerpunkt auf die Bekämpfungder Fluchtursachen legt, mit einer deutlichen Steigerungder Mittel beim Auswärtigen Amt und beim Bundesmi-nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit . Das istder richtige Ansatz; denn da wird dafür gesorgt, dass sichdie Menschen erst gar nicht auf den lebensgefährlichenWeg machen, sondern dass sich die Bedingungen in ihrenHeimatregionen verbessern . Trotzdem wissen wir, dasswir da noch eine gewaltige Aufgabe vor uns haben, unddie Krisen und Kriege in der Welt zeigen uns dies ja auchjeden Tag .Für uns ist ein Dreiklang wichtig, der erstens Huma-nität, zweitens Integration und drittens Begrenzung be-deutet, und diese drei Punkte gehören zusammen . ZurHumanität gehört die Bekämpfung der Fluchtursachen;zur Humanität gehören aber auch die Betreuung und dieVersorgung der Flüchtlinge, die zu uns kamen und kom-men . Da haben wir alle miteinander in diesem Land, ha-ben die Menschen in diesem Land, die hauptamtlich undehrenamtlich Tätigen in den vergangenen Monaten einehervorragende Visitenkarte der Humanität abgegeben .Dafür herzlichen Dank!
Bei der Integration lassen wir die Länder und Kom-munen nicht im Stich . Wir haben gerade jetzt wieder diefür die Integration an die Länder und Kommunen aus-zureichenden Mittel erhöht . Wir haben uns große Mühedabei gegeben .Klar ist aber auch: Mit Geld allein geht das nicht – In-tegration in die Sprache, in die Arbeitswelt, aber auch In-tegration in die Gesellschaft . An dieser Stelle, liebe Kol-leginnen und Kollegen, müssen wir schon immer wiederdarauf hinweisen: Es gilt unsere Werteordnung, es giltdie Art und Weise, wie wir miteinander leben, miteinan-der umgehen, uns begegnen, miteinander reden, die Wer-teordnung, die im Grundgesetz verankert ist . Das mussdas Maß dessen sein, woran sich Integration in diesesLand zu orientieren hat .
Das Dritte ist dann: Wir können diese Aufgabe des hu-manitären Umgangs, der Versorgung und Betreuung derFlüchtlinge und die Integrationsarbeit nur gemeinsamleisten, wenn wir auch eine Begrenzung dabei haben .Gerda Hasselfeldt
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Daran arbeiten wir, daran haben wir auch gemeinsam ge-arbeitet, mit internationalen Abkommen – das wurde be-sprochen –, so mit der Türkei, aber auch mit Maßnahmenauf europäischer Ebene zur Sicherung der EU-Außen-grenzen . Die Schließung der Balkanroute hat dazu beige-tragen, und auch unsere nationalen Entscheidungen ha-ben dazu beigetragen, die Zahl zu begrenzen . Wenn wirdann auch noch die Blockade der Grünen im Bundesratin Bezug auf die sicheren Herkunftsstaaten in Nordafri-ka auflösen könnten, dann wären wir auch hier ein Stück weiter, meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
Eine weitere Herausforderung ist natürlich die Si-cherheit unseres Landes . Die Terrorgefahren – das wur-de mehrfach angesprochen – sind nicht irgendwo in derWelt, sondern auch bei uns . Die Kriminalitätsbekämp-fung ist eine Aufgabe, der wir uns immer wieder zustellen haben . Deshalb ist auch hier der richtige Ansatz,im Haushalt das deutliche Signal zu setzen: Das ist einSchwerpunkt . Es geht um Personal, es geht um Ausstat-tung, und es geht um Befugnisse . Bei Letzterem habensich die Sicherheitspolitiker der Koalition gerade in denletzten Tagen auf einige Maßnahmen verständigt . Ich bindafür sehr dankbar; denn es macht deutlich: Nicht allesist mit Geld zu leisten . Es geht auch darum, die Befugnis-se zu verbessern und alle Möglichkeiten auszuschöpfen,um Kriminalität zu bekämpfen und für die Sicherheit derBürger das Bestmögliche zu tun .
Ich habe gehört, dass in Niedersachsen den Polizistenauf eine Initiative der Grünen hin vorgeschrieben wer-den soll, zu dokumentieren, wann und warum der Einsatzvon Pfefferspray notwendig war . Dazu muss ich sagen:Das ist nicht mein Verständnis einer Unterstützung vonPolizeibeamten . Ich danke den Polizeibeamten und allenSicherheitskräften bei uns im Land für ihren Einsatz fürunsere Sicherheit . Dahinter müssen wir auch politischstehen .
Politische Verantwortung in dieser Zeit bedeutet aberauch, die Weichen für die Zukunft zu stellen . Ein ganzwesentlicher Punkt ist dabei das, was wir unseren Kin-dern und Jugendlichen mitgeben können . Wenn wir überInvestitionen sprechen, dann haben die meisten von unszunächst einmal im Kopf: Investitionen in Straße, inSchiene, in Breitband . All das ist richtig . Auch das gehörtdazu . Auch dafür setzt dieser Haushalt deutliche Akzen-te . Aber daneben geht es auch um Investitionen in dieKöpfe . Die Kinder und Jugendlichen sind das eigentli-che Kapital in unserem Land . Für sie darf uns nichts zuschade und nichts zu viel sein . Wir müssen immer wiederdanach trachten: Sind sie gut erzogen?
Sind sie gut ausgebildet? Sind sie fit für das, was auf sie im Leben zukommt?Deshalb haben wir schon in den letzten Jahren einenso großen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung ge-legt . In den letzten zehn Jahren sind die Mittel dafür indem entsprechenden Haushalt verdoppelt worden . DieserTrend ist in diesem Jahr fortgesetzt worden . Das ist einwichtiger Schwerpunkt in der Zukunftsgestaltung, meinelieben Kolleginnen und Kollegen .
Nun wissen wir bei all den positiven Entwicklungen inunserem Land um die Sorgen der Menschen, um die Be-findlichkeit und die zum Ausdruck gebrachte Unsicher-heit . Ich habe Verständnis für so manches: Unsicherheitaufgrund der rasant veränderten Arbeitswelt – das wurdevorhin angesprochen –, Unsicherheit aufgrund der Krisenund Kriege in der Welt und der Konsequenzen daraus .Was antworten wir darauf? Ich sage Ihnen, meineDamen und Herren: Unsere Antwort ist eine realistischeund ehrliche Politik . Wir wollen den Leuten nichts vor-machen, sondern ganz offen diskutieren . Unsere Antwortist aber auch Stabilität und Verlässlichkeit . Wir haben inden letzten Jahren unter der Führung von Angela Merkelmit dieser Bundesregierung und den Mehrheiten im Par-lament gezeigt, dass wir das Land auch in schwierigenSituationen gut regieren, dass wir die vielen schwierigenSituationen, ja Krisen hervorragend gemeistert haben:mit Stabilität und Verlässlichkeit, mit einem klaren Wer-tekompass . Das ist unsere Antwort . Darauf können sichdie Menschen auch künftig verlassen .
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Für uns Haushälter sind zwei lange, arbeitsreiche Monatezu Ende gegangen, die sehr erfolgreich waren, wie wirübereinstimmend finden und was auch schon viele Male gesagt worden ist . Es ist aber auch der letzte Haushalt indieser Legislatur, den wir gemeinsam machen .Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, einmal die gro-ßen Linien zu betrachten, die wir gemeinsam vertretenhaben . Dabei will ich den Bereich der inneren Sicherheitund vor allen Dingen die Menschen, die in diesem Be-reich tätig sind, nach vorne stellen .Über 40 000 Bundespolizisten haben nämlich genauwie die vielen, vielen Ehrenamtler in diesem Land einenHammerjob gemacht und machen ihn bis heute . Schonim März hieß es, dass diese Bundespolizisten unter über3 Millionen Überstunden ächzen . Darum ist es eine guteund überzeugende Antwort des Haushaltsausschussesund des Bundestages, dass wir, nachdem wir schon imGerda Hasselfeldt
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letzten Jahr Tausende von neuen Stellen für die Bun-despolizei geschaffen haben, die Zahl jetzt noch ein-mal auf insgesamt über 7 000 Bundespolizisten bis zumJahr 2020 erhöhen .
Das ist das Signal an die Bundespolizei: Wir schätzeneure Arbeit nicht nur enorm wert, sondern wir unterstüt-zen sie auch . Das tun wir nachhaltig; denn es sind ja allesBeamte, die uns erhalten bleiben werden . Für diejenigen,die diese vielen, vielen Überstunden geschoben haben,ist es auch das deutliche Signal, dass sie die Wahlfreiheitzwischen der Auszahlung ihrer Überstunden oder Frei-zeitausgleich haben . Das sind wir ihrer Lebensqualitätund der ihrer Familien schuldig, und da wollen wir Worthalten .
Dazu gehört auch, dass wir die Mittel für die Sach- undPersonalausstattung für die Bundespolizisten im Umfangvon zusätzlich ungefähr 880 Millionen Euro erhöht ha-ben . Wir legen den Bereich der inneren Sicherheit auchein bisschen weiter aus, weil noch viele andere Behördendazugehören . Wir haben zum Beispiel den Zoll, das Bun-deskriminalamt, die Dienste und den Verfassungsschutzmassiv gestärkt . Wir haben auch die Justiz und derenAusstattung massiv gestärkt .Wir haben nicht nur drei neue Bundespolizeischiffemöglich gemacht – ich komme von der Küste; man mögees mir nachsehen –, für die 165 Millionen Euro vorgese-hen sind, sondern auch drei neue Zollboote
und Hubschrauber . Herr de Maizière ist leider geradenicht anwesend . Aber die Transporthubschrauber warenein wichtiger Punkt, und auch davon wird es vier geben,die aus- oder umgerüstet werden und zusätzlich zur Ver-fügung stehen .
Diese Große Koalition hält also in diesem wichtigen FeldWort .
Das hat in der Tat auch sehr viel mit der inneren Si-cherheit nicht nur in unserem Land zu tun, sondern esgeht auch um die Stärkung der Außengrenzen des Schen-gen-Raumes und um unsere Verantwortung innerhalbvon Frontex, wo wir ja mehr Verantwortung übernehmenwollen und müssen . Das Ganze hat etwas damit zu tun,dass die Stabilität in Europa nur dann auf Dauer erhaltenbleiben kann, wenn die Außengrenzen auch mit unserermassiven Unterstützung gesichert sind und gesichertbleiben . Darum ist das, was wir hier machen, richtig .
Aber auch das THW gehört nach unserer Auffassungzur inneren Sicherheit .
Das THW ist die größte Ehrenamtsorganisation mit80 000 ehrenamtlich Tätigen, die in vielen Situationen inunserem Land hilfreich sind . Sie sind aber auch gute Bot-schafter Deutschlands in der ganzen Welt und machenauch in vielen Krisengebieten und Flüchtlingslagern ei-nen hervorragenden Job .
Man muss wissen, dass das THW mit seinen mehr als80 000 Ehrenamtlern über 800 hauptamtliche Kräfte ver-fügt hat, als diese Große Koalition ihre Arbeit aufgenom-men hat . Wir haben im letzten Jahr gut 200 neue Stellengeschaffen, und jetzt kommen noch einmal 150 neuedazu . Das heißt, die Zahl der hauptamtlichen Stellenist bei deutlich über 1 100 . Darauf sind wir gemeinsamstolz . Das ist genau das, was das Ehrenamt und das THWzur langfristigen Stärkung brauchen . Vielen Dank, dassdas geklappt hat .
Wichtig ist auch, dass 375 Stellen beim THW gehobenwerden; denn es handelt sich um eine anspruchsvolle Ar-beit, die entsprechend entlohnt werden muss . Wir habenim Haushaltsauschuss schon in den letzten beiden Jahrenein Bauprogramm mit einem Volumen von fast 30 Milli-onen Euro für die Liegenschaften des THW auf den Weggebracht und zeigen nun mit einem Programm mit einemVolumen von 100 Millionen Euro für die Erneuerung desFuhrparks bis 2023: Liebe Freunde vom THW, es ist unswichtig, dass ihr richtig gut ausgestattet seid . – Natürlichsoll es auch ein Motivationsschub sein, um weitere Mit-streiter für das THW langfristig zu gewinnen .
Zum Haushalt von Herrn de Maizière gehört natür-lich auch das wichtige Thema Integration . Hier hat dieGroße Koalition im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als siegestartet ist, die Mittel zur Deckung der Kosten der Inte-grationskurse mehr als verdoppelt . Das haben wir nichterst gemacht, als im letzten Jahr die Flüchtlinge in gro-ßer Zahl zu uns gekommen sind . Vielmehr haben wir dasin mehreren Stufen gemacht . Was ich besonders schönfinde und woran ich noch einmal erinnern will, ist, dass wir es waren, die Haushälter der Großen Koalition, diedie Initiative ergriffen haben, dass der Stundensatz fürdie Lehrkräfte, die in den Integrationskursen unterrichtenund einen absoluten Hammerjob machen und von derenQualität es abhängt, ob Integration in Deutschland ge-lingt oder nicht, von 23 Euro – das war beschämend – auf35 Euro angehoben wird; das ist ein gutes und richtigesSignal .
Die Integrationskurse helfen aber nur den Menschen,die eine gute Bleibeperspektive in unserem Land haben .Das sind aktuell Syrer, Iraker, Iraner, Eritreer und Soma-Bettina Hagedorn
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lier . Viele Menschen, die ehrenamtlich in der Flüchtlings-hilfe engagiert sind, schreiben uns immer wieder Briefeund sagen: Es ist nicht in Ordnung, dass die Afghanenkeinen Zugang haben . – Mit ungefähr 47 Prozent liegtdie Anerkennungsquote bei den Afghanen nur knapp un-ter 50 Prozent . Wenn man bedenkt, dass viele Afghanen,die bei uns nicht bleiben können, nicht nach Afghanistanzurückgehen, sondern in andere europäische Länder nachdem Dublin-II-Verfahren gehen, in denen sie anerkanntwerden, dann stellt man fest, dass die Anerkennungsquo-te in Wahrheit höher ist . Wir versündigen uns an ihnen,wenn wir ihnen nicht die Chance bieten, sich hier zu in-tegrieren . Dazu gehört zuallererst der Erwerb der deut-schen Sprache .
Darum bin ich besonders froh, dass es im Rahmen desIntegrationspaktes der Großen Koalition gelungen ist,Orientierungskurse zu bilden . Diese werden in diesemHaushalt finanziell ausgestattet. Für sie werden wir bis 2020 100 Millionen Euro in die Hand nehmen . DieseKurse werden auch denjenigen offenstehen, die keinesichere Bleibeperspektive haben . Das sind vorrangigdie Afghanen . Ich bin fest davon überzeugt: Wenn diesejungen Menschen unsere Sprache erlernen – unabhängigdavon, ob sie bleiben oder nicht –, beschäftigt und qua-lifiziert werden, dann ist das ein wichtiger Beitrag, um sie von Dingen abzuhalten, die wir uns nicht wünschenkönnen, und ihnen die Chance zu bieten, in ihrem Lebeneigenes Geld zu verdienen und ihre Familien selbst zuernähren, ob in Deutschland oder woanders .
Im Haushalt der Arbeitsministerin haben wir sehr vielgetan, um die Jobcenter zu stärken . Wir haben sie mitmehr Mitteln ausgestattet, damit sie in der Lage sind, zuverhindern, dass die vielen Flüchtlinge, die in absehbarerZeit nach Abschluss ihres Asylverfahrens zu ihnen kom-men werden, zulasten der Langzeitarbeitslosen gehen,und den Flüchtlingen die gleichen Chancen zu bieten .Vor Ort wurden bereits sehr viele Menschen zusätzlicheingestellt . Wir haben zudem die Mittel im Rechtskreisdes SGB II noch einmal um 300 Millionen Euro erhöht .Die Mittel für die Sprachförderung der Bundesagen-tur für Arbeit werden von 410 Millionen Euro 2017 auf470 Millionen Euro 2018 erhöht . Das ist der richtigeWeg; denn nur wenn die Menschen gut bei uns integriertwerden, sind sie auch ein großer Gewinn für uns und fürunsere Gesellschaft . Dann haben sie auch die Chance,selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, was sie auch wollen .100 000 1-Euro-Jobs sind für Asylbewerber geschaf-fen worden, die noch nicht anerkannt sind, die aber einegute Bleibeperspektive haben . Für die soziale Teilhabeam Arbeitsmarkt haben wir die Mittel verdoppelt . DieseMittel sind mit europäischen Geldern verstärkt worden,damit entsprechende Angebote von den Jobcentern ge-macht werden können .Abschließend möchte ich sagen: Wir sind stolz aufdas, was wir gemeinsam gemacht haben . Wir sind festdavon überzeugt, dass wir damit einen Beitrag zur so-zialen Stabilität in unserem Land leisten und geleistethaben . Insofern bin ich dankbar dafür, dass das so gutfunktioniert hat .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer! Wir blicken aufein anstrengendes, aber für die Menschen in Deutschlanderfolgreiches Jahr zurück . Mein Fraktionsvorsitzenderhat eben gesagt, diese Situation sei nicht vom Himmelgefallen, sondern das Resultat gemeinsamer Arbeit . Lie-ber Volker Kauder, ich bin mir sicher, dass wir uns einigsind, dass auch ein bisschen vom Himmel gefallen ist .Es ist die Zeit des kommenden Advents, die unsvielleicht dazu bringt, innezuhalten und auch dankbarfür diese Situation zu sein, dankbar dafür, dass wir inDeutschland leben können, dass unsere Kinder nicht inKrisenregionen dieser Welt groß werden, sondern dasswir dieses Land aufbauen und gemeinsam gestalten kön-nen . Dass wir das überwiegend in Frieden und in sozialerRuhe tun können, ist schon ein bisschen vom Himmelgefallen . Aber ich weiß, Volker, da sind wir gar nicht weitauseinander .Aber es schadet auch nicht, dem Himmel ein bisschennachzuhelfen . Deshalb haben wir auch in diesem Haus-halt Maßnahmen ergriffen, die die Situation in unseremLand noch besser machen . Ich glaube, es ist ganz pas-send, dass ich nach Bettina Hagedorn spreche, die sichauf Flüchtlinge konzentriert hat . Ich will auf die deut-schen Familien zurückkommen und klarmachen, dassniemand in Deutschland darunter leidet, dass wir Flücht-linge integrieren . Wir legen die gleichen Programmeauf – da bist du ja sehr aktiv –, und niemand hat dadurchweniger, dass wir in die Integration von Flüchtlingsfami-lien Geld investieren .Ganz im Gegenteil: Auch Familien in Deutschlandfördern wir mit diesem Haushalt in großem Umfang .Wir fördern sie zum Beispiel durch das Kindergeld,das bis 2018 um 10 Euro pro Monat erhöht wird . DerKinderfreibetrag wird erheblich auf 4 788 Euro erhöht .Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird erhöht,der Kinderzuschlag für Geringverdiener ebenfalls . Seit2015 haben wir Familien in Deutschland gezielt mit rund7 Milliarden Euro Barleistungen unterstützt .Dazu kommt, dass Familien insbesondere unter derWohnsituation leiden und dass erhöhte Mietpreise geradedenjenigen zu schaffen machen, die für viele MenschenWohnraum suchen . Die Situation auf dem Zinsmarkt,die uns sonst sehr große Probleme bereitet, ist hier eineChance für junge Familien, sich eine selbstgenutzte Im-mobilie zuzulegen . Wir unterstützen diese Familien mitBettina Hagedorn
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KfW-Programmen; bis zu 50 000 Euro gibt es für eineselbstgenutzte Immobilie . Wir wollen das Baukindergeldfür Familien einführen, damit sich auch die Eigenkapi-talquote von Familien angemessen erhöht und sich mehrMenschen eine eigene Wohnung oder ein eigenes Hausleisten können .Das konterkarieren Maßnahmen der Länder, die beijeder schwierigen Haushaltssituation die Grunderwerb-steuer erhöhen . Alles das, was wir steuerlich begünsti-gen, wird durch die erhöhte Grunderwerbsteuer aufge-fressen . Ich kann nur an die Länder appellieren, dass siedie Familien mehr in den Blick nehmen und zum Bei-spiel durch Freibeträge für Familien diese Situation ver-bessern .Unser Justizminister Maas hat versucht, mit demEntwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnim-mobilienkreditrichtlinie diesen Markt zu beruhigen undSchwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt in den Griff zubekommen . Diesen Versuch unterstütze ich dem Grundenach, aber leider schießt der Gesetzentwurf über das Zielhinaus, sodass es gerade junge Familien jetzt schwer ha-ben, Kredite zu bekommen . Da müssen wir nachsteuern .Ich bin froh, dass mein Kollege Lothar Binding mit miram gleichen Strang zieht . Wir wollen, dass junge Fami-lien diese Kredite bekommen, um sich Wohneigentumzuzulegen . Wir werden – Lothar nickt – dieses Problemauch lösen . Ich hoffe sehr, dass wir das in diesem Jahr tunkönnen, damit diese Familien tatsächlich ihre Kredite indem Umfang bekommen können, wie es verträglich undfür sie notwendig ist .
Bei einem weiteren Gesetzentwurf droht ein bisschenUnbill . Die BaFin soll im Bereich des Immobilienmark-tes zusätzliche Eingriffsrechte bekommen . Wir disku-tieren heftig darüber, um sicherzustellen, dass wir hiernicht wieder überschießen . Denn es kann nicht sein, dassAnschlussfinanzierungen oder sozialer Wohnungsbau beeinträchtigt werden, weil die BaFin verhindert, dassKredite ausgereicht werden . Da müssen wir mit Augen-maß vorgehen . Ich hoffe, dass wir da auf einem gutenWeg sind .Neben den 7 Milliarden Euro, um die wir Familienseit 2015 entlasten, haben wir zahlreiche Infrastruktur-maßnahmen durchgeführt, die für Familien gut sind . Icherwähne das Programm zum Ausbau der Kinderbetreu-ung, das ein Volumen von 9,3 Milliarden Euro hat . Aufdiese Weise wurde die Zahl der Kindergartenplätze inden letzten Jahren verdoppelt . Die Qualität verbessernwir zum Beispiel dadurch, dass wir in speziellen Sprach-kindergärten benachteiligte Kinder stärker fördern . El-tern können sich dank des Programms „KitaPlus“ auflängere Öffnungszeiten verlassen . Diese Maßnahmenzeigen, dass wir für Familien unterwegs sind .Das Schulsanierungsprogramm ist schon erwähntworden . 7 Milliarden Euro können in die Sanierungvon Schulen gesteckt werden . Ich sage ganz offen: Eskann nicht sein, dass durch den Verteilungsschlüssel dieLänder begünstigt werden, die ihre Kommunen bisherkurzgehalten haben . Auch die Verschuldungssituationder Kommunen ist nicht vom Himmel gefallen . Es musseinen anderen Verteilungsschlüssel geben, damit auchdie Länder von diesen Mitteln profitieren können, die mit ihren Kommunen vernünftig umgegangen sind .
Insgesamt können sich Familien auf uns verlassen . Dadiese Programme überwiegend aus Steuermitteln bezahltwerden, müssen wir uns natürlich auch um die Steuer-zahlerinnen und Steuerzahler kümmern, die das wirt-schaftliche Wachstum in Deutschland aufrechterhalten,die die Leistungsfähigkeit des Staates aufrechterhalten .Auch da haben wir unser Wahlversprechen eingehalten .Wir haben versprochen, die kalte Progression in den Griffzu bekommen . Maßnahmen dazu haben wir in dieser Le-gislaturperiode schon einmal ergriffen; das werden wirEnde des Jahres wieder tun . Wir entlasten die Bürgerin-nen und Bürger im kommenden Jahr um 7,3 MilliardenEuro und in 2018 sogar um 11 Milliarden Euro . In dergesamten Legislaturperiode standen Steuerentlastungenvon 25 Milliarden Euro auf dem Programm . Ich glaube,das ist eine Zahl, die sich sehen lassen kann . Ich dankeHerrn Finanzminister Schäuble, der gesagt hat, dass derin der nächsten Legislaturperiode vorhandene Spielraumzu einem ganz entscheidenden Teil dazu genutzt werdensoll, denen, die diese Leistungen erarbeitet haben, etwaszurückzugeben . Wir stehen dahinter . Leistungsträger indiesem Land müssen sehen, dass wir nicht nur gut mit ih-ren Geldern umgehen, sondern sie auch einen Teil davonzurückbekommen .
Neben den Maßnahmen für Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die diese Leistungen erbringen, müssenwir dafür sorgen, dass die Unternehmen dauerhaft Steu-ern zahlen können . In diesem Sinne fördern wir zumBeispiel mittelständische Unternehmen . Darum habenwir Vereinfachungen beim Investitionsabzugsbetrag vor-genommen – das Thema Bürokratieabbau ist eben schonangesprochen worden –: Wirtschaftsgüter können dem-nächst steuerbegünstigt angeschafft werden, ohne dassim Einzelfall klar sein muss, für welches Produkt diesesWirtschaftsgut tatsächlich genutzt wird .Für Start-ups ist Wagniskapital von erheblicher Be-deutung . Deshalb haben wir den INVEST-Zuschuss er-höht .Die Mittel für die Gemeinschaftsforschung im Bereichder Industrie haben wir erhöht, und auch die ZIM-Pro-gramme, die Investitionsprogramme für die neuen Län-der, haben wir mit zusätzlichem Geld ausgestattet .Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich der Ent-wurf eines Gesetzes für verbesserte Verlustnutzungenbei Start-ups, damit Ideen, die in Deutschland entstandensind, auch tatsächlich in Deutschland umgesetzt werdenkönnen . Auch das wird zu zusätzlichen Steuereinnahmenführen, die wir im Haushalt gut gebrauchen können .Der Kampf gegen Steuerhinterziehung wird fortge-führt . Auch das ist eine Maßnahme zum Schutz der mit-telständischen Unternehmen; denn diese Unternehmenleiden am meisten unter Konkurrenten, die internationalAntje Tillmann
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unterwegs sind und an ihrem Unternehmensstandort dieentsprechenden Steuern nicht zu zahlen haben .
Von Haushaltskonsolidierung über den Abbau derkalten Progression, von Familienentlastung und Verbes-serung der Infrastruktur bis zur Förderung von jungen,innovativen Unternehmen: Was wir in dieser Legisla-turperiode versprochen haben, haben wir getan . Wir tunes mit diesem Haushalt einmal mehr, damit dieses Landwirtschaftlich gut aufgestellt ist und die Probleme, dievon außerhalb auf uns zukommen, gut meistern kann .Ich bitte Sie, diesen Haushalt mit zu unterstützen .
Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir hören in dieser Woche viel darüber,was die einzelnen Fraktionen im Bundeshaushalt 2017erreicht haben, was sie gerne erreicht hätten, wo siesich durchgesetzt haben oder vielleicht auch nicht . Ichfinde aber, wir müssen bei allem, was wir machen, ne-ben den konkreten haushaltspolitischen Entscheidungenauch ganz grundsätzlich die Frage beantworten, welcheForm des Zusammenlebens und der gesellschaftlichenOrdnung wir uns eigentlich vorstellen . Ich glaube, zweiFragen hängen da ganz eng zusammen . Die eine Frageist: Wie soll unser Land eigentlich in 10, 20 oder 30 Jah-ren aussehen? Die andere Frage lautet: Was ist eigentlichdas große Ganze, für das wir in diesem Bundeshaushalt329 Milliarden Euro ausgeben?Gerade in Zeiten gefühlter Unsicherheit ist es wichtig,eine klare Vorstellung von gesellschaftlichem Miteinan-der zu formulieren . Das bedeutet für uns alle, sich derSorgen der Menschen anzunehmen, zu versuchen, ihreUnsicherheiten und Ängste zu verstehen, statt sie abzu-tun, und die Menschen erst recht nicht für ihr Wahlver-halten zu beschimpfen .
Es sind ja grundsätzliche Fragen, die uns erreichen:Kann ich in Deutschland noch sicher leben? Ist meineRente und ist die Rente meiner Kinder und Enkelkindernoch sicher? Schaffen wir die Integration von Schutzsu-chenden, und wie schaffen wir sie? Was ist unsere Ant-wort auf die Verrohung der Sprache und die zum Teil wü-tende Vehemenz der Auseinandersetzung? Oder – ganzgrundsätzlich –: Kann ich es eigentlich verantworten,Kinder in diese Welt zu setzen? Kann ich mich zeitlichum sie kümmern und ihnen ein gesichertes Zuhausebieten? Das sind einige der grundsätzlichen Fragen, diemich in den letzten Wochen und Monaten in Bürgerge-sprächen und Veranstaltungen erreicht haben . Ich glaube,sie betreffen uns alle und wir alle haben sie so oder soähnlich bereits gestellt bekommen .Ich glaube, man muss oder man sollte als Abgeordne-ter Ideale haben, an denen man sich orientiert . Gleich-zeitig müssen wir aber auch auf diese konkreten Fragenkonkrete Antworten finden. Wir müssen die Frage beant-worten: Wie soll eigentlich unsere Zukunft, wie soll dieZukunft unseres Landes aussehen? Meine Vorstellung istdie einer freien Gesellschaft, die Solidarität, Gerechtig-keit und das Miteinander lebt und auch verteidigt, einerGesellschaft, in der Respekt, Freiheit und Sicherheit imZentrum der Wertvorstellungen stehen . Dabei ist miraber wichtig: Sicherheit meint nicht nur Sicherheit vorTerror oder Gewalt, sondern auch Sicherheit bei der Ren-te, Sicherheit im Krankheitsfall, bei der Kinderbetreuungoder beim Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes .Das Ganze hat zentral etwas mit Respekt zu tun . Dennwenn wir richtigerweise von den Menschen, die hier le-ben, von den Menschen, die zu uns kommen, erwarten,dass sie unsere Verfassung, unsere demokratische Grund-ordnung, unsere Gesetze respektieren, dann müssen wirgleichzeitig als Abgeordnete die Leistungen und die Sor-gen der Menschen in unserem Land respektieren .
Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode beispiels-weise den Mindestlohn eingeführt . Denn wir schätzennicht nur die Leistung gut bezahlter Führungskräfte, son-dern jede Arbeitsleistung in unserem Land, und deshalbist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass niemand indiesem Land weniger verdient, als der Mindestlohn esvorgibt; das gebietet uns der Respekt vor der Leistungder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
Respekt bedeutet für mich auch, dass Männer undFrauen in Deutschland für die gleiche Arbeit den glei-chen Lohn bekommen .
Ich finde, es ist schlichtweg eine Schande für ein fort-schrittliches Land wie unseres, dass Frauen bei uns fürdie gleiche Arbeit weniger bekommen als Männer . EinLand, das die Gleichberechtigung als Staatsziel in derVerfassung hat, muss auch den Respekt für die Arbeits-leistung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt herstellen . Inmeiner Vorstellung verdienen Männer und Frauen dasgleiche Geld für die gleiche Arbeit .
Es hat auch etwas mit fehlendem Respekt zu tun, dassArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere jun-ge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, oftmals voneiner Befristung in die andere geschickt werden, dassihr Arbeitsplatz immer nur auf Zeit besteht, dass mancheiner als Leiharbeitnehmer gar schlechtere Bedingun-Antje Tillmann
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gen vorfindet als andere, die denselben Job machen. Ich finde, es ist inakzeptabel und respektlos, wenn Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer voll in den Arbeitsbe-trieb integriert werden, während durch abenteuerlicheWerkvertragskonstruktionen die Verletzung sämtlicherSchutzrechte hingenommen wird . Das ist nicht meineVorstellung von einem respektvollen Miteinander .
Hier wurde gerade um eine Lösung gerungen . Hierwird es Verbesserungen geben . Aber unser Konzeptbleibt klar „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ers-ten Tag“, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir reden über Altersarmut . Wir reden darüber, objemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, mit seinerRente auch auskommt, ob er davon seine Miete bezahlenkann, ob er seinen Einkauf erledigen kann, ob er seineverdiente Freizeit würdig und nach seinen Wünschenverbringen kann . Wir haben auf dem Weg dahin einigeFortschritte in dieser Legislatur gemacht . Wir haben einRentenpaket verabschiedet . Wir haben die Mütterrenteund die Erwerbsminderungsrente verbessert, auch wennich mir wünschen würde, dass wir die Mütterrente künf-tig aus dem Steueraufkommen und nicht zulasten derBeitragszahlerinnen und Beitragszahler finanzieren.
Wir investieren in Mehrgenerationenhäuser . Wir ha-ben die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ um300 Millionen Euro erhöht . Wir haben im parlamenta-rischen Verfahren das Programm „Altersgerecht Um-bauen“ mit 75 Millionen Euro verlängert . Das alles sindwichtige Etappen auf dem Weg zu einer Gesellschaft, inder der Lebensleistung Respekt entgegengebracht wird .
Für mich gehört zu Deutschland aber auch dazu, dasswir bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Ernstmachen . Das gilt für Familien mit zwei Elternteilen wieauch für Alleinerziehende . Die Flexibilität von Arbeits-verhältnissen darf nicht zulasten derjenigen gehen, diedie Leistung erbringen und trotzdem eine Familie grün-den wollen . Deshalb sage ich: Die 750 Millionen Eurofür den Bau und Betrieb von Kindertagesstätten, das El-terngeld Plus und insbesondere die Verbesserungen beimUnterhaltsvorschuss kommen zur rechten Zeit . Wir wer-den noch weitere Anstrengungen unternehmen müssen,um in die Zukunft Deutschlands zu investieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mireine kurze Zusatzbemerkung . Kinderrechte haben esbei uns bedauerlicherweise noch nicht in die Verfassunggeschafft . Es sollte uns trotzdem oder gerade deswegenbewusst sein, dass insbesondere die Jüngsten in unsererGesellschaft die Wehrlosesten sind und dementsprechendbesonderer Aufmerksamkeit und des besonderen Schut-zes von uns allen bedürfen .
Der Grundstein für einen guten Start ins Leben liegt inder Kommune . Er liegt in unseren Gemeinden und Städ-ten . Er liegt bei uns vor der Haustür . Finanziell schlechtausgestattete Kommunen bedeuten auch schlechte Start-voraussetzungen für die Jüngsten . Eine arme Kommunekann zwangsläufig weniger Kindertagesstätten vorhal-ten, oder sie muss sie schlechter ausstatten . Eine armeKommune kann nicht so viel Geld für die Ausstattungund die Renovierung von Schulen in die Hand nehmen .Eine arme Kommune muss zwangsläufig über die Ein-schränkung von freiwilligen Leistungen, die Schließungvon Bibliotheken oder Schwimmbädern diskutieren . Ge-rade darunter leiden besonders die Jüngsten in unsererGesellschaft .Daher, ganz egal ob wir selbst kommunalpolitisch ak-tiv sind: Wir haben den hohen Stellenwert unserer Städteund Gemeinden zu respektieren . Wer Kommunen aus-bluten lässt, der trifft damit besonders die Schwächstenin unserer Gesellschaft . Von daher war es richtig, dassdiese Koalition die Kommunen so stark entlastet hat wienie jemand zuvor . Wir respektieren die Leistung, die vorOrt erbracht wird . Diesen Weg sollten wir beibehalten,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir müssen auch wollen, dass diese Leistung, das,was Städte anbieten, auch weiterhin allen zugutekommt .Ich beobachte mit großer Sorge, was sich momentan inden Ballungsräumen, in unseren Städten abspielt . WennMietpreise Dimensionen erreichen, die sich nur nochgutsituierte Mieterinnen und Mieter leisten können, danndürfen wir das nicht ignorieren . Unsere Städte gehörenallen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht,um die Entwicklung zumindest etwas zu dämpfen . Unsist klar: Wenn das nicht so funktioniert, wie wir es unsvorgestellt haben, dann werden wir dort nachbessernmüssen. Ich finde, dort, wo mehr Menschen hinziehen, muss auch mehr gebaut werden, aber nicht nur im Luxus-bereich, sondern bezahlbar für alle .Es war daher richtig, dass wir die Mittel für den sozi-alen Wohnungsbau, für den sozialen Städtebau zunächstverdoppelt und jetzt verdreifacht haben . Eine Rechnungsollten wir alle aufmachen können: Wenn die Mietpreiseweiter in die eine Richtung gehen und das Rentenniveauweiter in die andere Richtung geht, dann nehmen wir un-seren künftigen Rentnerinnen und Rentnern ihre Heimat .Innenstädte zu verwaisten Luxusgegenden umzugestal-ten, gehört ausgesprochen nicht zu meinem Verständnisvon Respekt und Anstand, liebe Kolleginnen und Kolle-gen .
Dennis Rohde
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In meiner Vorstellung von unserer Gesellschaft muss nie-mand aus der Stadt wegziehen, weil er sich die Mietennicht mehr leisten kann oder weil es zu wenig Wohnraumgibt .Wir haben in den vier Haushalten dieser Legislatur ei-niges auf den Weg gebracht . Einiges liegt aber noch voruns . Nicht alles kann man dabei rein mit Geld lösen . Un-sere Aufgabe ist dabei klar: Wir wollen die Gesellschaftzusammenhalten . Wir wollen keine Gesellschaft derer,die dazugehören, und derer, die außen vor bleiben müs-sen. Alle müssen dieselben Chancen, Pflichten, aber auch Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten haben . Lassen Sieuns daran arbeiten – überall und jeden Tag .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Streng genommen haben nicht so viele zumThema geredet. Wir befinden uns ja bei den Beratungen zum Einzelplan 04. Zu ihm findet inzwischen eine Ge-neraldebatte statt; das macht es ja auch spannend . Abereigentlich könnten wir über das Bundespresseamt, überIntegration, auch über die Nachhaltigkeit und, ja, überKultur reden . Deswegen kommt bei dieser Debatte auchimmer der Hinweis aus der kulturell interessierten Szene,man möge doch die Kultur endlich einmal vom Appen-dixcharakter befreien und ihr ein eigenes Ministeriumschenken . Ist gut gemeint und klingt nach Höherwertung .Ich glaube, das Gegenteil wäre der Fall .Es gäbe dann ein weiteres Ministerium, das allerdingsnicht das größte wäre und damit auch nicht den Platz indieser Aussprache hätte . Das wäre dann nur noch höchstselten der Fall, zum Beispiel wenn wir es schaffen, einenKulturskandal in Deutschland hinzulegen; aber ansons-ten wäre es in dieser Generaldebatte nicht präsent . So istes immer dabei .Dann kann man sich überlegen: Würde es besserdastehen? Würde es mehr Geld bekommen? Über dieletzten zehn Jahre ist der Etat von gut 1 Milliarde auf1,6 Milliarden Euro in 2017 angewachsen . Das schafftnicht jedes Ministerium; das würde auch der Bundesfi-nanzminister nicht mitmachen .Damit sind wir natürlich bei einem anderen Thema:Es muss immer so sein, dass die Zuständigen, hier dieChefin des Bundeskanzleramtes und auch der Bundesfi-nanzminister, eine Affinität zum Thema haben. Nur dann kann das funktionieren . In Berlin kann man ja sehen, wiepersonenabhängig das Thema Kultur ist: In einer Senats-kanzlei kann man es unterbringen, wenn der Chef selberes für ein wichtiges Thema hält . Hat man einen Chef,der mit Kultur nicht so viel anfangen kann, reüssiert dasThema auch nicht . Aber da müssen wir uns in dieser Ko-alition keine Sorgen machen . Bei uns hat es einen hohenStellenwert .Hat es denn auch die Sichtbarkeit? Da braucht mansich nur anzuschauen, wer die zuständige Staatsminis-terin ist, und dann ist die Antwort gegeben: Es hat einehohe Sichtbarkeit . – Eigentlich können wir ja auch zu-frieden sein, dass das fast das einzige Thema ist, mit demwir uns jetzt auseinandersetzen .Außerdem gibt es noch ein kleines Thema: Die Linkebeantragt kostenlosen Eintritt in die Museen . Das ist abernichts anderes als ein Hase-und-Igel-Spiel . Der Igel istdabei die Staatsministerin, weil sie dieses Thema aufge-worfen hat . Sie hat das für das Humboldt Forum angeregtund gesagt: Wo wir jetzt schon dieses Museum bauen,wollen wir einmal den britischen Weg gehen und kosten-losen Eintritt für die Dauerausstellung anbieten . – Darü-ber kann man diskutieren, muss man diskutieren; aber esist auch ein Luxus, dass wir darüber diskutieren können .Denn bei einer anderen Ausstellung wären wir jetzteigentlich im Vorfeld der Eröffnung, nämlich bei derAusstellung der Bilder aus dem Teheraner Museum fürmoderne Kunst . Diese sind 1979 – da gab es dort die Re-volution – immerhin nicht verbrannt worden . Es handeltsich um die größte Sammlung der westlichen Moderneaußerhalb der westlichen Welt, zusammengetragen vonder Ehefrau des Schahs von Persien, die nicht klassischer-weise wie andere Diktatorenfrauen Schuhe gesammelthat, sondern moderne Kunst . Immerhin sind diese Bildernicht verbrannt worden, aber sie werden seit 1979 – miteiner Unterbrechung – im Keller verwahrt . Die sollten dajetzt einmal heraus . Im Moment gestaltet sich das aberschwierig . Wir können es uns in unserer Welt gar nichtvorstellen, dass solche Bilder nicht gezeigt werden kön-nen und welcher Aufwand es ist, darüber zu verhandeln .Wir wollten diese Bilder gerne zusammen mit denen vonheutigen Künstlern aus dem Iran zeigen . Dieses Beispielzeigt aber auch, in welch einer guten Situation wir sind .Natürlich leben wir nicht im Paradies, übrigensauch deswegen nicht, weil eine der Vorbedingungenfür das Paradies ist, dass man tot ist . Wenn Sie, FrauWagenknecht, aber auf den Normalbürger abstellen – ichwürde einmal sagen: Normalbürger sind 90 Prozent derMenschen – und behaupten, dass der Normalbürger indiesem Land ums Überleben kämpfe, dann ist das jen-seits von aller Wirklichkeit, und es ist auch eine absolutkindische Selbstbetrachtung, wenn ich mir den Rest derWelt anschaue .
– Ja, ich mache Bürgersprechstunden . Da sind Sie über-rascht, oder?
Dennis Rohde
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Wissen Sie eigentlich, wodurch man Volkspartei wird?Dadurch, dass man sehr viel mit Bürgern zu tun hat . Dasmüssen Sie uns also nicht erklären .
Sie sagen, die Normalbürger, 90 Prozent der Men-schen, kämpfen ums Überleben . Ich kenne Länder aufdieser Welt – Sie auch –, in denen das wirklich der Fallist . Hier ist das nicht so . Das heißt nicht, dass wir allesschön und rosig und fertig hätten . Sonst bräuchte manuns ja auch nicht .Aber diese Argumentation ist gefährlich; denn Sierichten damit etwas an . Stellen Sie sich einmal vor, dieseNormalbürger, diese 90 Prozent, würden Ihnen das ir-gendwann glauben, weil sie es ständig hören . Seien Siemal nicht so sicher, dass dieser Populismus mit Ihnennach Hause geht; aber es wird jemand kommen, der daseinsammelt, und dann haben wir alle den Schaden .
Es ist immer so, dass die Solidarität der Gemeinschaftund die Demokratie von den Rändern her bedroht wer-den . Entschieden wird es aber in der Mitte . Wenn dieMenschen aus der Mitte anfangen, die Argumentations-modelle von extrem links oder extrem rechts zu überneh-men, dann ist das Schiff verloren; dann sind wir in Not .Das ist hier glücklicherweise nicht der Fall .In dieser Debatte ist es auch um die Frage gegangen,mit wem man etwas umsetzen kann . Wenn eine Regie-rung handelt, ist es tatsächlich so, dass einem nicht allessofort gelingt .Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum die Grü-nen nicht in der Regierung sind . Herr Hofreiter, Sie ha-ben ja die Gelegenheit gehabt, die Energiewende mituns umzugestalten und weiterzuentwickeln . Das wärevielleicht ein sehr spannendes Modell gewesen . Aber Siehaben nicht den nötigen Pragmatismus gehabt, sondernsind damals nach der Wahl, die nicht so ausgegangen ist,wie Sie sich das gewünscht hatten – es gab auch andere,die sich etwas anderes gewünscht hatten –, lieber in dieTeestube verschwunden und haben sich mit sich selberbeschäftigt . Das hat Konsequenzen .Ich würde schon sagen, dass es vielleicht spannenderwäre, gewisse Themen einmal mit Ihnen zu entwickeln .Aber verlässlicher für dieses Land ist es, wenn wir dasmit den Sozialdemokraten machen . Noch lieber wäre esmir natürlich, wenn wir das alleine tun könnten .
Dazu müssen wir auch den Mut haben . Wir müssenschon unsere Politik verfolgen . Das werden wir auch imguten Dialog in diesem Wahlkampf machen . Man musssich schon so darstellen, dass man deutlich macht: Wirwollen alleine regieren; die zweitbeste Lösung ist einegute Koalition .Um wieder zum Kulturbereich zu kommen: Die Er-gebnisse dessen, was wir als Bund auf die Beine gestellthaben, wirken im ganzen Land . Es ist zwar nicht die Auf-gabe des Bundes, überall etwas zu tun . Aber inzwischentut er überall etwas . Wir tun das zusätzlich; denn wir wis-sen, dass wir gar nicht die Leistungen der Kommunenersetzen können .Auch da gibt es unterschiedliche Reaktionen . Ichgreife ein Beispiel heraus: In Berlin haben wir sehr vielgemacht, weil es ja auch unsere Hauptstadt ist . Wir ha-ben die Staatsbibliothek mit einem Ankaufsetat versehenund stellen ihr Geld für längere Öffnungszeiten und denVerzicht auf Nutzungsgebühren zur Verfügung . Letzte-res liegt eigentlich nicht im großen nationalen Interesse .Aber es hilft den Menschen in Berlin und ist ein Angebot,Bildungschancen anzunehmen . Wenn dann die neue Kul-turverwaltung von Berlin sagt: „Das Erste, was wir tunwollen, ist, die Zuschüsse für die Stiftung PreußischerKulturbesitz, die Trägerin dieser Bibliothek ist, zu de-ckeln und nicht mehr mitzuziehen“, finde ich das unmög-lich . Das ist nicht im Interesse dieser Stadt und nicht imInteresse dieses Landes .
Danke .
Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal 267 Mil-lionen Euro mehr im Kulturetat – dafür gilt Ihnen, sehrgeehrte Frau Grütters, und auch den Haushältern unserDank .
Jeder Euro mehr für Kultur ist gut und richtig inves-tiert . Das gilt erst recht, wenn Musik, Tanz und Sozio-kultur gefördert werden oder wenn die kulturpolitischeForschung, der Erhalt des schriftlichen Kulturguts, derErhalt von denkmalgeschützten Gebäuden, auch derBauhaus-Tradition abseits der Orte Dessau, Berlin undWeimar gefördert werden oder wenn der Ankauf der kul-turhistorisch so bedeutsamen Thomas-Mann-Villa damitermöglicht wird . Auch dafür sagen wir ausdrücklich un-seren Dank .
Schaut man sich aber an, wofür der Aufwuchs im De-tail verwendet wird, fällt auf, dass die Hauptstadt Berlinam meisten profitiert, gefolgt von Hamburg. Auch die Rüdiger Kruse
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Baubranche kann guter Dinge sein; denn Sie planen einprestigeträchtiges Bauprojekt nach dem anderen . Wieaber der spätere Betrieb zu finanzieren ist, dazu schweigt der Haushalt .Der Kulturausschuss hat sich darauf verständigt,ein Fachgespräch zum Wie und Weiter mit dem Frei-heits- und Einheitsdenkmal durchzuführen . Wieso aberbeschließen Sie einen Tag danach 18,5 Millionen Eurofür den Wiederaufbau der preußischen Kolonnaden amselben Standort, nicht nur ohne Rücksprache, sondernauch unter Missachtung des Kulturausschusses? Es är-gert mich, dass hier wieder einmal Tatsachen geschaffenwerden, ohne dass es zuvor eine fachpolitische oder garöffentliche Debatte gegeben hat . Welches Politik- oderDemokratieverständnis steht dahinter?Ich finde, wir sollten gemeinsam über Fraktionsgren-zen hinweg darüber streiten, was wir für eine funktionie-rende Kulturförderung brauchen .
Diese nämlich müsste sowohl die Zentren als auch dieabseitigen Regionen im Blick haben . Sie müsste dieKünste und die kulturelle Bildung fördern . Sie müssteneue interkulturelle Impulse setzen und das vielfältigekulturelle Erbe pflegen. Sie müsste zwischen Bund, Län-dern und Kommunen abgestimmt werden und den Insti-tutionen wie der freien Szene eine langfristige Planungermöglichen .Dafür lassen sich die Weichen auch im Haushalt stel-len . Sie aber beschränken sich auf ein Klein-Klein, mitdem Sie sicher so manchen MdB und seinen Wahlkreisbeglücken . Aber für die wirklichen Weichenstellungenfehlt Ihnen der Wille .Wie das gehen würde, haben wir mit unseren Ände-rungsanträgen zum Kulturetat deutlich gemacht . VierBeispiele will ich nennen:Erstens: die Rettung des filmischen Erbes. Der drin-gende Handlungsbedarf ist von allen Fachleuten öffent-lich und mit Nachdruck unterstrichen worden . Gehandeltwerden muss jetzt sofort, nicht irgendwann, wenn dasmeiste Filmmaterial verfallen ist .
Was aber machen Sie? Sie beschränken sich darauf, denEtat der Kinemathek auf das Vorjahresniveau zu heben,was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, und Sieverdoppeln die Mittel für die Digitalisierung des Filmer-bes auf 2 Millionen Euro, auf die das Bundesarchiv eben-falls zugreifen kann, wenn seine eigenen, wohlgemerktkonstant gebliebenen, Mittel verbraucht sind . Dass sichhier überhaupt etwas getan hat, fassen wir auch als Erfolgunseres Antrages zum Filmerbe auf .
Angesichts der bekannten Bedarfe ist das aber wieder nurder bekannte Tropfen auf den heißen Stein .Zweitens: die Arbeit der Kulturförderfonds . Sie hateinen großen gesellschaftlichen Nutzen, der zudem auchin die ländlichen Räume und abgehängten Regionen aus-strahlt . Sie mit 2 Millionen Euro mehr bedarfsgerechtauszustatten oder wenigstens die Sondermittel für dieinterkulturellen Projekte in Höhe von 1 Million Euro zuverstetigen, wäre eigentlich eine Kleinigkeit, die Sie abernicht angehen .Drittens: die KZ-Gedenkstätten. Ich finde es beschä-mend, dass zum Teil jede zweite Anfrage für Führungenoder Projektarbeit abgewiesen werden muss, weil an denGedenkstätten in den vergangenen Jahren so sehr gespartwurde, dass sie viel zu wenig Personal haben, um denwachsenden Besucherzahlen und auch den vielfältigerwerdenden Anforderungen gerecht werden zu können .Dass nun 500 000 Euro mehr für das gedenkstättenpä-dagogische Personal eingestellt wurden, ist ein ersterSchritt und auch unserem Druck zu verdanken . Ausrei-chend ist das aber nicht .
Viertens . Bildung – davon bin ich überzeugt – ist eineder wichtigsten Ressourcen, die wir haben . Vor diesemHintergrund haben wir auch vorgeschlagen, den Ein-tritt in die Dauerausstellungen der vom Bund geförder-ten Museen in Berlin kostenfrei zu gestalten, weil diesewichtigen Kultureinrichtungen auch Orte der Bildung,Orte des Dialogs und der Verständigung sind . Schon da-her sollten sie möglichst allen offenstehen .
Dazu gehören natürlich auch die Stärkung und damit dieAnerkennung der so wertvollen museumspädagogischenArbeit .Mir geht es nicht darum, Posten gegeneinander auszu-spielen . Aber von der Kulturförderung des Bundes kannman doch erwarten, dass sie getragen wird von einerkonzeptionellen Idee und einer Vision, was die gesamteGesellschaft braucht .
Trotz aller Aufwüchse beträgt der Kulturhaushalt nurkleine 0,5 Prozent vom gesamten Etat . Kultur ist aberDaseinsvorsorge, nicht nur Beiwerk .
Ein eigenes Kulturministerium wäre da eigentlich dielogische Konsequenz und ein wichtiges Zeichen für dieSelbstverständlichkeit der Bundeskulturpolitik einerKulturnation, von der Sie immer reden .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gleich vorab, Frau Kollegin Hupach: Unsere Wahrneh-Sigrid Hupach
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mung der kultur- und medienpolitischen Welt, in der wirleben, scheint verschieden zu sein . Ich will mal die ande-re skizzieren .Bei Haushaltsberatungen liegt es ja auf der Hand, dassman über Zahlen spricht . Deswegen beginne ich mal mitZahlen . 2005 – das war nach sieben Jahren Rot-Grün –betrug der Kultur- und Medienhaushalt des Bundes950 Millionen Euro; im Regierungsentwurf standen da-mals 914 Millionen Euro . 2017 beträgt der Haushalt nunstolze 1,63 Milliarden Euro . Das ist ein Plus von mehrals 700 Millionen Euro, also gut 77 Prozent, binnen elfJahren, in denen es unionsgeführte Bundesregierungenund zwei CDU-Staatsminister im Bundeskanzleramt alsBeauftragte für Kultur und Medien gab, und das ist einErfolg .
Prioritätensetzung hin oder her – wenn ich mir dieÄnderungsanträge im Kultur- und Medienausschussanschaue und die letzten Jahre Revue passieren lasse,dann erkenne ich, dass sie mittlerweile den Charakterhomöopathischer Dosen haben, sprich: sie sehen eherMinimalkorrekturen vor . Auch das ist für mich ein Belegdafür, dass wir mit unserer Kultur- und Medienpolitik soschlecht nicht liegen können .Geld allein ist sicherlich nicht alles, aber ohne Geldist alles sehr schwierig, gerade auch im Kultur- und Me-dienbereich . Deswegen will ich sagen: Es ist eine Leis-tung, dass das so geschafft worden ist, vor allen Dingenauch eine Leistung unserer Kulturstaatsministerin, diees seit 2014 wie ihr Vorgänger Jahr für Jahr geschaffthat, die Mittel im Entwurf ihres Haushalts zu erhöhen .Sprich: Im Zusammenspiel mit der Bundesregierungwaren dieses Jahr im Regierungsentwurf 74 MillionenEuro zusätzlich vorgesehen . Es ist also auch ein Zeichender Regierung und nicht nur des Parlaments . Die Mit-tel kommen beispielsweise dem Humboldt Forum, derkulturellen Filmförderung oder der Stiftung PreußischerKulturbesitz zugute .Mein Dank gilt an dieser Stelle auch unseren Haus-hältern . Wir Fachpolitiker tun ja immer gut daran, ab undan einmal Danke zu sagen . Ich will das den Haushälterngegenüber an dieser Stelle deutlich tun . Das gilt im Spe-ziellen für den zuständigen Haushälter meiner Fraktion,Rüdiger Kruse . Starke Leistung, was ihr dieses Jahr wie-der hinbekommen habt!
Es ist schon schön, dass es offensichtlich bei den Haus-hältern zum guten Ton gehört, dass im Kultur- und Me-dienbereich eher etwas draufgelegt wird, als dass überSparen geredet wird .Wenn ich meinen Fraktionsvorsitzenden vor mir sit-zen sehe,
dann will ich auch erwähnen
– er hört das schon, alles gut –, dass auch Volker Kauderein Überzeugungstäter ist, was Kultur und Medien an-geht . Wir wissen es sehr zu schätzen, dass wir, wenn wirdich brauchen, jederzeit auf deine Unterstützung zählenkönnen .
Nun sind dieses Jahr in den parlamentarischen Be-ratungen 280 Millionen Euro zusätzlich für Kultur undMedien herausgekommen . 280 Millionen Euro – das istein ordentliches Pfund . Um hier jetzt all die zahlreichenProjekte, die dahinterstecken, aufzuführen, würde wedermeine Redezeit noch die meiner Vor- und Nachrednerreichen . Ich will aber doch einige herausgreifen .Da ist zunächst einmal das von uns, dem Parla-ment, vor einigen Jahren ins Leben gerufene Denkmal-schutz-Sonderprogramm, mit dem viele Tausende vonkulturhistorisch wertvollen Gebäuden und Ensemblesin Deutschland in der Fläche erhalten werden konnten .Es ist eine Art kulturelle Wertanlage auch für künftigeGenerationen . Dafür stehen im Jahr 2017 70 MillionenEuro bereit . Das ist noch mal wesentlich mehr als in denJahren zuvor, und jeder einzelne Baustein, jedes einzelneProjekt ist ein wichtiges .Zur Kulturpolitik gehört auch die Erinnerungspolitik .Da möchte ich nur stichpunktartig einige wichtige ge-setzte Signale nennen . So ist es gelungen, die Bundesstif-tung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit einem Plusvon 4 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren zu-sätzlich zu fördern . Das ist eine Förderstiftung, die vieleeinzelne Projekte im Land unterstützt . Es gab sehr vielÜberhang, viel mehr Anträge, als es geförderte Projektegab . Es ist gerade in Zeiten, in denen wir immer wiederdarüber diskutieren müssen, dass die Menschen den Wertder Freiheit und die Problematik der Unfreiheit und Dik-tatur aus den Augen verlieren, ein wichtiges Signal, dasswir an dieser Stelle mehr Geld ausgeben .
Zugleich haben wir die Finanzierung der Union derOpferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft aufsolidere eigene Füße gestellt . Sie wird jetzt also nichtmehr teilweise über die Stiftung Aufarbeitung geför-dert, sondern mit einem eigenen Titel im Bundeshaus-halt . Das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig erhält für dieneue Dauerausstellung und die politische Bildungsarbeit4 Millionen Euro extra, und die tolle, wichtige Arbeitder Robert-Havemann-Gesellschaft – auch das ist mei-ner Fraktion ganz wichtig – kommt in die institutionel-le Förderung und erhält fortan vom Bund jährlich eineViertelmillion Euro . All das hat viele Jahre gedauert undviel Kraft gekostet, aber das war es wert . Insbesonderewas die Mitarbeiter dort in den letzten Jahren geleistethaben, ist eine ganz tolle Sache . Schön, dass sie jetzt einelangfristige Perspektive haben .
Wir haben auch, nicht im Haushalt für Kultur undMedien, sondern im Haushalt des BMBF, einen neuenForschungsverbund zum Thema SED-Unrecht ins LebenMarco Wanderwitz
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gerufen, um uns zukünftig noch breiter gefächert wissen-schaftlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen . Dasist für uns auch Ausfluss aus den Debatten, die wir in den letzten Monaten, im letzten Jahr geführt haben zum The-ma: Wie geht es weiter mit der Stasiunterlagenbehörde?Auch das war eine sehr gute Entscheidung .Die zusätzliche halbe Million Euro für die pädago-gische Arbeit der KZ-Gedenkstätten wurde bereits er-wähnt . Auch sie ist richtig . Das ist allerdings ein deutli-cher Fingerzeig an die Länder, bei denen die eigentlicheZuständigkeit für dieses Thema liegt .Einen Punkt möchte ich noch in aller Kürze anspre-chen, nämlich die Deutsche Welle . Ich möchte in die-sem Zusammenhang Martin Dörmann herzlich für dieZusammenarbeit im Verwaltungs- und Rundfunkrat derDeutschen Welle danken . Wir haben vieles geschafftin dieser Legislaturperiode . Die Deutsche Welle, unserAuslandsrundfunk, unser Schaufenster in die Welt, ist einweltweit geschätzter Auslandssender, weil er eben andersist als viele andere, weil er freiheitlich ist und weil ereine andere Form der Qualitätsberichterstattung liefertals beispielsweise russische oder chinesische Auslands-sender . Deswegen ist es gut, dass wir die Finanzierungder Deutschen Welle auf solidere Füße stellen konnten .Es werden weitere 17 Millionen Euro bereitgestellt . Dasist eine ganz wichtige Sache, und wir arbeiten weiter da-ran, irgendwann einmal den ganz großen Wurf hinzube-kommen, um mit russischen und chinesischen Medienzahlenmäßig konkurrieren zu können .
Für eine abschließende Bilanz ist heute nicht der rich-tige Zeitpunkt . Wenn man eine Zwischenbilanz ziehtund sich anschaut, wie es um die Kulturlandschaft inDeutschland bestellt ist, dann stellt man fest: Sehr gut .
Kollege Wanderwitz .
Mein letzter Satz ist schon angelegt, Frau Präsiden-
tin . – Deshalb glaube ich: Man kann und sollte der Kul-
tur- und Medienpolitik unserer Staatsministerin und der
CDU/CSU in den nächsten Jahren weiterhin Vertrauen
schenken .
Die Kollegin Tabea Rößner hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! ImMoment wird täglich und allerorts das Hohelied auf diePressefreiheit angestimmt, wie wichtig eine freie Pressefür unsere Demokratie sei, und viele – auch Mitgliederdieses Hauses – äußern ihre Sorge . Das begrüße ich . Esist gut, wenn wir uns unserer Grundwerte immer wiedervergewissern .
Aber die internationale und nationale Presse- undMeinungsfreiheit steht unter massivem Druck . In einigenLändern gibt es sie nicht einmal mehr, und das nicht erstseit heute, nicht erst seit diesem Sommer in der Türkei .Diese Entwicklung ist schon seit Jahren zu beklagen .Dass dies zu ernsthaften Konsequenzen geführt hätte,habe ich aber nicht wahrgenommen . Meine Damen undHerren, wir sind über das Sich-Sorgen-Machen längst hi-naus .
Es sind übrigens nicht nur die üblichen Verdächtigenwie Nordkorea, China oder Syrien, auch in Europa, inPolen und Ungarn, beschneiden neue Mediengesetzedie Pressefreiheit – ohne Konsequenzen . Fassungslosschauen wir gerade in die Türkei . Die SchriftstellerinAsli Erdogan sitzt in Haft, ebenso die JournalistenbrüderAhmet und Mehmet Altan oder Akin Atalay, dem Her-ausgeber von Cumhuriyet. Das sind nur einige bekannteNamen, aber mit ihnen sind zurzeit mindestens 140 Jour-nalistinnen und Journalisten in Haft, 140 Medien wurdengeschlossen .Zögerliche Mahnungen bewirken da gar nichts . Diesogenannten Säuberungsaktionen werden unbeirrt undunerbittlich per Notstandsdekret fortgesetzt, ja sogar dieTodesstrafe wird wieder ins Spiel gebracht . Dies erinnertan ganz düstere Zeiten . Ich kann daher nicht verstehen,dass NATO-Generalsekretär Stoltenberg Erdogans Vor-gehen auch noch verteidigt .
Es muss ganz klar und deutlich sein: Ein Land, das dieGrundwerte der EU nicht teilt, kann nicht Mitglied dieserGemeinschaft werden . Die Türkei muss den Weg zurückzu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie finden. Die dau-erhafte Missachtung europäischer Werte und von Men-schenrechten kann und darf nicht ohne Folgen bleiben .
Zum Schutz der internationalen Pressefreiheit brauchtes einen UN-Sonderbeauftragten, der Rechtsverstößeauch konsequent verfolgen kann . Wir müssen Projektewie das der Deutschen Welle unterstützen, die türkischeBürgerinnen und Bürger via Internet-TV mit Informatio-nen, die ihnen vorenthalten werden, versorgt .Auch in Deutschland und anderen westlichen De-mokratien gerät die Pressefreiheit immer öfter unter dieRäder . Durch Sicherheitsgesetze wird zum Beispiel derInformantenschutz mehr und mehr aufgeweicht, zuletztübrigens beim BND-Gesetz, das ich schon deswegenMarco Wanderwitz
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für rechtswidrig halte . Es ist eine schwierige Gratwan-derung, aber wir dürfen unsere Freiheit nicht für unsereSicherheit opfern .
Ungemach droht auch von anderer Seite . Das Erstar-ken von Rechtspopulisten und die Abkehr von Werten,die für demokratische Gemeinschaften selbstverständ-lich erschienen – auch diese Entwicklung hat längst dasStadium des Sich-Sorgen-Machens überschritten . Jour-nalistinnen und Journalisten werden bei ihrer Arbeit tät-lich angegriffen, bedroht und beleidigt . „Lügenpresse“ –ein Unwort der Nationalsozialisten – wird heute wiederskandiert und bleibt nahezu unwidersprochen .Jeder von uns muss sich fragen: Wie konnte das pas-sieren? Und vor allem: Was können wir dagegen tun?Ich glaube, wir müssen entschiedener für unsere Werteeintreten, Falschmeldungen müssen wir aufdecken undrichtigstellen, und wir müssen raus aus unserer Wohl-fühlblase und mehr mit den Menschen reden . Das heißtnicht, sich den Rechtspopulisten anzubiedern, sonderndas heißt, denjenigen, die zum Dialog bereit sind, unserePolitik mehr zu erklären .Angesichts der immensen Veränderungen im Infor-mations- und Kommunikationsverhalten, angesichts vonFilter Bubbles und des rasanten technologischen Fort-schritts frage ich mich: Wie kann dieser Dialog in Zu-kunft überhaupt noch geführt werden? Die Algorithmenvon Facebook, Twitter & Co . – heute wurden sie mehr-fach angesprochen – führen dazu, dass wir immer tieferin unsere Blasen versinken . Gewinnorientierte Unterneh-men sammeln nicht nur sensible Daten, sondern verstär-ken mit passgenauen Angeboten die digitale Isolation derMenschen . Menschliches Verhalten wird vorhersagbarund manipulierbar .Der US-Wahlkampf hat es gezeigt: Mit Social Botswerden Meinungen beeinflusst. Minderheitenmeinungen werden zu Mehrheitsmeinungen aufgeblasen . KünstlicheIntelligenz zieht Debatten auf ein Stammtischniveau unddominiert sie . „Niemand ist hoffnungsloser versklavtals der, der fälschlicherweise glaubt, frei zu sein“, hatJohann Wolfgang von Goethe fast schon prophetisch vor-hergesagt . Wie wahr!Wenn ich jetzt hin und wieder Rufe höre, dass mandie Unternehmen an die Kandare nehmen sollte, mussich sagen: Allein der Wille fehlt . Machen wir uns dochnichts vor: Wenn wir unsere Hände in den Schoß legen,wenn wir also nicht regulieren, heißt das ja nicht, dassnicht reguliert werden würde . Es sind dann nur die Unter-nehmen, die das tun . Darüber kann Bundesminister Maaseine Hate Speech halten .
Die Entwicklung darf uns nicht aus den Händen gleiten .Vielmehr muss auch in Zukunft gesichert werden, dassallen Menschen ein vielfältiges Bild von gesellschaftli-chen Themen und Ansichten geboten wird .
Die Medienvielfalt zu sichern und gleichzeitig denVorteilen der neuen Technik gerecht zu werden, daraufkommt es an . Datenschutz und umfassende Transpa-renz sind ein Mindestmaß, das wir einhalten sollten . DieUnternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, Manipulationen entgegenzuwirken . Sicher, Bots könnenpositiv eingesetzt werden . Aber die Grenze ist dann über-schritten, wenn künstliche Intelligenz Stimmung machtund Einfluss auf die Meinungsbildung nimmt. Ich begrü-ße es außerordentlich, dass die in diesem Haus vertrete-nen Parteien erklärt haben, im Wahlkampf nächstes Jahrauf dieses Mittel zu verzichten .
Kollegin Rößner, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men .
Ich komme zum Schluss . – 2016, meine Damen und
Herren, war ein außergewöhnliches Jahr . Wir stehen an
einem Wendepunkt in unserer Gesellschaft . Wir brau-
chen keine Lippenbekenntnisse mehr . Wir müssen jetzt
national und international, digital und analog für die
Pressefreiheit kämpfen . Für Sorge ist es zu spät, für Ta-
ten nicht .
Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Tat geht es uns, glaube ich, allen so: Schaut manauf die internationalen Entwicklungen, dann wird einemnoch einmal besonders deutlich, welchen Stellenwert ei-gentlich Kultur und Medien für eine freie demokratischeGesellschaft haben . Es ist auch nicht selbstverständlich,dass wir hier in Deutschland und in weiten Teilen Euro-pas eine solche kulturelle Vielfalt sowie Meinungs- undPressefreiheit haben . Wir müssen stets aufs Neue für siekämpfen, sie bewahren und fördern . Deshalb ist es gut,dass dieser Haushalt für Kultur und Medien hier klareSignale setzt .Ich freue mich sehr, dass es nun zum vierten Mal inFolge gelungen ist, den bereits erhöhten Etatansatz derBeauftragten für Kultur und Medien noch einmal deut-lich zu steigern . Ich will mich an dieser Stelle bei allenKolleginnen und Kollegen sehr herzlich bedanken, diedaran mitgewirkt haben . Und weil Kollege Wanderwitzden Kollegen Kruse schon erwähnt hat, muss ich hierTabea Rößner
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natürlich an vorderster Stelle Johannes Kahrs, den haus-haltspolitischen Sprecher meiner Fraktion, erwähnen .
Ich glaube, Johannes – ich spreche in diesem Zusam-menhang aber auch Rüdiger Kruse an –, dass wir das imTeam insgesamt sehr gut hinbekommen haben . Und sodarf es weitergehen .Der Aufwuchs für den Haushalt 2017, über den wirheute reden, beträgt immerhin 270 Millionen Euro . Inden nächsten Jahren sind weitere 400 Millionen Euroeingeplant . Damit können wir sehr wichtige Projekte för-dern oder neue auf den Weg bringen . Ich will nur einigebeispielhaft erwähnen, etwa das wiederaufgelegte Denk-malschutz-Sonderprogramm und das Beethoven-Jubilä-um 2020 . Wir erhöhen auch die Mittel für die Kultur-politikforschung . Wir investieren in die Digitalisierungdes Filmerbes und in eine digitale Strategie für deutscheMuseen .Den Musikstandort Deutschland stärken wir durchein neues Programm „Exzellente Orchesterlandschaft“ .Und wir erhöhen die Förderung für drei herausragendeJugendmusikfestivals, die internationales Renommeehaben: das Reeperbahn-Festival in Hamburg, das c/opop-Festival in Köln und Pop-Kultur in Berlin .Man kann also insgesamt sagen: Mit diesem Haus-halt stärken wir die Kultur in Deutschland nachhaltig .Gleichzeitig setzen wir aber auch im Bereich der Medieneinen wichtigen Akzent . Denn: Wie im Koalitionsver-trag versprochen, stärken wir auch in diesem Haushaltunseren Auslandssender, die Deutsche Welle, nachhaltig .Ich will mich auch an dieser Stelle bei den Kollegen derKoalitionsfraktionen sowie im Speziellen beim Kolle-gen Wanderwitz bedanken . Ich glaube, dass wir hier vonAnfang an – das war im Koalitionsvertrag angelegt – je-des Jahr dafür gesorgt haben, dass die Deutsche Wellegestärkt wird . Das ist ein wesentlicher Beitrag auch fürMeinungs- und Pressevielfalt in der Welt . Auf diesemWeg müssen wir unbedingt weitergehen .
Es ist keine Kleinigkeit, über die wir reden . Wir ha-ben in dem Haushalt 2017 – ich nehme die verschiedenenTöpfe zusammen – für die Deutsche Welle einen Auf-wuchs von 26,3 Millionen Euro . Das ist der höchste Zu-wachs seit 20 Jahren . Und ich sage an die Kollegin TabeaRößner gerichtet, die ja auch die Türkei in besondererWeise erwähnt hat: Von diesen zusätzlichen Mitteln wirdes eben auch ermöglicht, zusätzliche Programmangeboteauf Türkisch zu machen . Wir wollen diesen Weg weiter-gehen, und wir alle sind stolz, dass die Deutsche Welleauch wirklich unabhängig berichtet . Zuletzt haben wiruns darüber unterhalten, dass dort ein Video – es bein-haltete ein Interview mit dem Jugendminister der Tür-kei – konfisziert wurde. Das zeigt: Die Deutsche Welle ist bei den Mächtigen dieser Welt gefürchtet . Und so solles bleiben .
Ich will noch einmal daran erinnern, dass es in denJahren vor dieser Legislatur eher eine ständige Mittel-kürzung bei der Deutschen Welle gab . Es ist gut, dasswir jetzt endlich diese Trendwende hinbekommen haben .Jetzt geht es darum, dass wir in der Zukunft vielleichtsogar noch einen Quantensprung hinbekommen . Dennwir alle wissen, dass internationale Krisen und ihre me-diale Wahrnehmung immer stärker zusammenhängenund dass das Auswirkungen auf die internationale Poli-tik hat . Deshalb kommt es sehr darauf an, dass wir mitunserem Auslandssender auch bei der globalen Kommu-nikation präsent sind . Zugleich zeigt die aktuelle Rang-liste der Pressefreiheit, die „Reporter ohne Grenzen“immer herausgibt, dass wir in vielen Weltregionen einebesorgniserregende Entwicklung haben, dass die Unab-hängigkeit von Medien in vielen Ländern immer stärkereingeschränkt wird und dass Journalisten dort unter zu-nehmenden Druck kommen .Gerade vor diesem Hintergrund ist es so wichtig, dasswir die Deutsche Welle auch über das Jahr 2017 hinausdeutlich stärken . Sie ist die Botschafterin sowohl für un-ser Land als auch für unsere Werte . Von vielen Menschenvor Ort wird sie eben auch als Stimme der Freiheit aner-kannt . Ich will daran erinnern, dass die Deutsche Welle –das wissen viele nicht – nicht nur in Deutsch – das natür-lich auch –, sondern in insgesamt 30 Sprachen weltweitsendet . Gerade diese Sprachenvielfalt und die journalis-tische Qualität und Unabhängigkeit haben in der ganzenWelt zu der hohen Glaubwürdigkeit und Anerkennungder Deutschen Welle geführt .Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle besondersbei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DeutschenWelle bedanken, die nicht nur im Inland, sondern auchim Ausland – dort manchmal auch unter schwierigen Be-dingungen – recherchieren, produzieren und berichten .Ich glaube, das ist wirklich ein Markenzeichen, und ichdenke, dieser Haushalt ist auch eine Anerkennung für dieArbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deut-schen Welle vor Ort .
Im Vergleich zu anderen Auslandssendern – insbeson-dere denen der Franzosen, der Briten, der Russen undder Chinesen – liegt die Deutsche Welle mit ihren finan-ziellen Mitteln immer noch im unteren Feld, das heißt,es ist noch reichlich Luft nach oben . Deshalb freue ichmich, dass die Haushälter die Bundesregierung in ihremBeschluss ausdrücklich aufgefordert haben, dafür Sorgezu tragen, dass der Etatansatz der Bundesregierung inden Folgejahren auf das französische Niveau angehobenwird . Dann hätten wir auch Spielraum für zusätzlicheMittel, dann wäre die Deutsche Welle konkurrenzfähig,dann könnte sie die zusätzlichen technischen und Lizenz-kosten tragen und dann könnte sie mit neuen Program-men gerade in die Länder der Welt senden, in der diePressefreiheit massiv bedroht ist . Ich glaube, diesen Wegmüssen wir weitergehen .Es zeigt sich ja auch, dass die Deutsche Welle mit demGeld gut umgeht; denn die Nutzerzahlen haben sich inden letzten Jahren sehr positiv entwickelt . 135 MillionenMenschen rufen jede Woche Angebote der DeutschenWelle ab – sei es per TV, Radio oder anderen Medien .Martin Dörmann
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Die Deutsche Welle wird zudem mit Preisen über-häuft . Besonders hervorheben will ich ein Angebot, näm-lich Shababtalk. Das ist eine Sendung, die gerade als diebeste Jugendtalkshow für den arabischen Raum ausge-zeichnet worden ist . Dass gerade die Deutsche Welle dortso präsent ist, ist vorbildlich .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auchin Zukunft gemeinsam Kultur und unabhängigen Jour-nalismus in Deutschland, in Europa, aber auch weltweitstärken . Ich glaube, die aktuellen Entwicklungen in derWelt rufen geradezu danach . Deshalb bin ich froh, dasswir hier ein deutliches Zeichen setzen .Herzlichen Dank .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier vor-
ne einen sehr guten Überblick und haben uns davon über-
zeugt, dass für jeden Kollegen und für jede Kollegin ein
Sitzplatz hier im Plenarsaal vorhanden ist . Ich bitte Sie
also, Platz zu nehmen und den letzten beiden Rednerin-
nen in dieser Debatte auch noch zu folgen .
Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es gibt tatsächlich einen Grund zur Freude:Die Koalition hat eine wichtige grüne Haushaltsinitiativeaufgegriffen . Zum ersten Mal fördert der Bund queereFilmfestivals, und zwar bundesweit . Das ist ein Riesener-folg für die lesbisch-schwule Filmszene in Deutschland .
Ich freue mich sehr – dafür sage ich in Richtung desHaushaltsausschusses auch noch einmal Dank –, dassdiese Mittel so beschlossen wurden; denn diese oft span-nenden Filmfestivals sind wichtig für die Sichtbarkeit al-ler LGBT-Lebensentwürfe . Sie schaffen Zugang zu einerFilmkultur, die in deutschen Kinos sonst kaum Widerhallfinden würde. Queere Filmfestivals tragen entscheidend zur Vielfalt und zur Bandbreite unserer Filmlandschaftbei . Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmendenHomo- und Transphobie ist diese Bundesförderung eingutes Zeichen der Stärkung für eine tolerante und offeneGesellschaft .
Carolin Emcke, die Trägerin des diesjährigen Frie-denspreises des Deutschen Buchhandels, hat etwas ge-sagt, was ich für elementar halte:Die Kunst ist ein nicht zu unterschätzendes Gegen-gift zu jenen gefährlichen Denkmustern, die ein sehrbegrenztes Weltbild propagieren .Und aus ihrer viel beachteten Rede in Frankfurt stammtder Satz – ich zitiere –:Diese demokratische Geschichte eines offenen, plu-ralen Wir braucht Bilder und Vorbilder, auf den Äm-tern und Behörden ebenso wie in den Theatern undFilmen – damit sie uns zeigen und erinnern, was undwer wir sein können .Ich finde, Carolin Emcke hat sehr recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für eine offene unddemokratische Gesellschaft sind es auch diese kleinenStellschrauben im Haushalt, die am Ende einen großenUnterschied machen . Der Umgang mit unserer Geschich-te und ebenso die Erinnerungskultur spielen hierbei eineganz entscheidende Rolle . Historische und politische Bil-dung bilden eine Einheit; das eine ist ohne das anderenicht zu haben . Aus diesem Grund hat meine Fraktioneinen Haushaltsantrag zur Stärkung der pädagogischenArbeit der NS-Gedenkstätten eingebracht; denn Gedenk-stätten müssen ausreichend Finanzierung und Personalerhalten, damit sie als autonome Lernorte neue Erinne-rungskonzepte entwickeln können . Die jetzt noch imLaufe des Verfahrens eingestellten 500 000 Euro zurStärkung der pädagogischen Arbeit der KZ-Gedenkstät-ten sind daher ein längst überfälliger Schritt .
Angesichts des geplanten Kulturhaushalts 2017 von1,63 Milliarden Euro sind die benannten Förderprojek-te gefühlt jedoch eine Randnotiz . Offensichtlich gibt esauf der Regierungsbank eine Leidenschaft für kulturelleGroßprojekte und preußische Herrschaftsbauten; dennansonsten lässt sich nicht erklären, dass an anderer Stel-le ohne Wenn und Aber Millionenbeträge fließen, zum Beispiel für den Wiederaufbau der Kolonnaden des Na-tionaldenkmals für Kaiser Wilhelm I hier in Berlin . Ichkritisiere das an dieser Stelle ganz explizit, auch wenndie Kosten im Bauetat verankert sind, weil es hier ebennicht nur um eine reine Bauentscheidung geht, sondernauch um eine kulturpolitische .
Die Stelle, an der die Kolonnaden entstehen sollen,ist genau jener Ort, an dem eigentlich das Freiheits- undEinheitsdenkmal stehen sollte, ein Denkmal, für dessenEntstehung sich das Parlament 2007 ausgesprochen hatund für das im Rahmen eines legitimierten Wettbewerbsein Gewinner ausgewählt wurde . Diese Entscheidungen,die das Parlament und die Jury getroffen haben, tretenSie, meine Damen und Herren von der Koalition, mitdem aktuellen Haushaltsbeschluss mit Füßen .
Martin Dörmann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 202 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 23 . November 201620200
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Über das Freiheits- und Einheitsdenkmal und speziellden Entwurf von Milla & Partner ist in der Vergangen-heit viel gestritten worden, und den Stopp des Denkmalsdurch den Haushaltsausschuss im April mögen vielleichtviele als befriedigend empfunden haben . Auch wir Grü-ne haben den Prozess um den aktuellen Entwurf immersachlich und kritisch begleitet, und ich stehe jetzt hiernicht als Verfechterin dieses einen Entwurfs; verstehenSie mich da bitte nicht falsch . Aber das aktuelle politi-sche Verfahren um diesen Entwurf ist skandalös .
Dass der Haushaltsausschuss den Bau des Freiheits-und Einheitsdenkmals wegen Kostensteigerungen von5 Millionen Euro stoppt, über die man im Übrigen strei-ten kann, das ist das eine . Das andere ist, dass die Haus-hälterinnen und Haushälter der Koalition einfach mal ei-nen eigenen Vorschlag zur Gestaltung des Schlossplatzesaus dem Hut zaubern, und zwar mit Kosten in Höhe vonüber 18 Millionen Euro, und dies, Kolleginnen und Kol-legen, ohne eine kulturpolitische Debatte, geschweigedenn eine breite öffentliche Debatte . Da frage ich Sie,Frau Grütters: Wo bleibt Ihr Zwischenruf, wo bleibt IhreForderung nach einer öffentlichen kulturpolitischen De-batte hierzu? Sie schweigen .
Wie Sie von der Koalition hier mit der Öffentlichkeitumgehen, ist Politik nach Gutsherrenart, und das kritisie-ren wir ganz klar .
Hinsichtlich dessen, wie es im Verfahren um das Frei-heits- und Einheitsdenkmal weitergehen soll, sind Siejetzt am Zuge . Wir Grünen appellieren an Sie: Halten Siedemokratische Maßstäbe ein! Missachten Sie sie nichtweiter!Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst eine An-
merkung an die Adresse von Herrn Kollegen Wanderwitz .
Herr Wanderwitz, Sie haben ja zu Recht gelobt, dass der
Etat der BKM aufwächst . Dass es aber überhaupt eine
Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gibt, das ist
der SPD zu verdanken .
Diese Funktion wurde 1998 von der Regierung Schröder
überhaupt erst eingeführt, und der erste Amtsinhaber war
Michael Naumann . – Das nur einmal zur Vervollständi-
gung der Debatte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kunst und Kultur
sind mehr als schmückendes Beiwerk; sie sind wichtig
für jeden einzelnen Menschen und für uns als Gesell-
schaft insgesamt . Deswegen ist es gut, dass dieser Etat
aufwächst . Ich danke auch noch einmal ausdrücklich
unseren beiden Haushaltspolitikern Johannes Kahrs und
Rüdiger Kruse, dass sie sich mit uns gemeinsam dafür
eingesetzt haben .
Ich greife drei Punkte heraus, die im Bereich der Kul-
tur wichtig sind, weil sie für die Bewusstseinsbildung
unserer Gesellschaft identitätsstiftend sind .
Erstens: das Sonderprogramm zum Schutz unserer
Denkmäler . Es gibt in der Bundesrepublik 1,3 Millionen
Denkmäler, ein Teil davon ist in seiner Substanz gefähr-
det . Mit den Mitteln in Höhe von 70,5 Millionen Euro,
die jetzt in den Topf kamen, können sie erhalten und ge-
sichert werden .
Zweitens: die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur . Sie erhält in den nächsten Jahren 1,3 Mil-
lionen Euro mehr und kann damit ihre wichtige und
hervorragende Arbeit sowie die bundesweiten Projekte
finanziell abgesichert fortsetzen.
Frau Lotze, Entschuldigung . – Darf ich die Kollegen
und Kolleginnen bitten, der letzten Rednerin in der gro-
ßen Debatte zuzuhören? Sie wollen gleich abstimmen,
und Sie müssen wissen, worüber Sie abstimmen .
Sie können bei der Frau Lotze noch einiges dazulernen;
also bitte, hören Sie zu, und setzen Sie sich hin .
Das gilt für alle .
Vielen Dank . – Drittens: die Gedenkstätten, die andie Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus und andie SED-Diktatur erinnern und damit auch mahnen . Esist ungeheuer wichtig, dass Menschen, besonders jungeMenschen, sich an diesen authentischen Orten wie denGedenkstätten mit unserer Geschichte auseinandersetzenkönnen .Die jungen Menschen wollen das auch . Ich habe daserst neulich wieder in einem Schulprojekt erfahren, alsUlle Schauws
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ich mit Schülerinnen und Schülern einer zehnten Klasseam Gymnasium Lüchow in meinem Wahlkreis zur Erin-nerungspolitik gearbeitet habe . Die Forderung der Schü-ler ist: Jede Schulklasse muss mindestens einmal eineGedenkstätte besuchen, und dieser Besuch sollte öffent-lich gefördert werden .
Dafür brauchen die Gedenkstätten Geld für pädago-gisches Personal, besonders vor dem Hintergrund, dasseben immer mehr Menschen dort hinkommen . Das ist einErfolg . Die Besuchergruppen, die dort hinkommen, wer-den immer bunter: Es gibt Menschen mit unterschiedli-chen Nationalitäten, mit unterschiedlichen Religionenund mit unterschiedlichen Geschichtsbildern . Deswegenist es wichtig, dass die Gedenkstätten über ausreichendfinanzielle Mittel verfügen.Es ist uns gelungen, einige personell besser auszustat-ten, zum Beispiel die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg .
Andere Gedenkstätten sind leider leer ausgegangen, zumBeispiel die Gedenkstätte Bergen-Belsen . Sie macht einehervorragende internationale Arbeit . Ich weiß, dass auchhier zu wenig Geld vorhanden ist, um die Arbeit so aus-führen zu können, wie es die Besucherströme eigentlicherfordern .Das Wichtige an dieser Erinnerungsarbeit ist dochnicht nur, dass wir zurückschauen . Erinnerungsarbeitist immer auch zukunftsgewandt; denn die Arbeit in denGedenkstätten ist im besten Sinne Demokratie- und Men-schenrechtsbildung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines fehlt aber imBundeshaushalt: Das sind die Mittel für das Freiheits-und Einheitsdenkmal . Der Haushaltsausschuss hat denBau aufgrund der Kostensteigerungen gestoppt . DieseEntscheidung akzeptieren wir SPD-Kulturpolitikerin-nen und -Kulturpolitiker . Wir sind uns aber einig, dassdadurch die Idee eines Freiheits- und Einheitsdenkmals,dessen Errichtung auf einem Bundestagsbeschluss be-ruht, nicht gestorben sein darf .
Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, vor vol-lem Haus zu sprechen . Worum geht es? Es geht darum,ein Denkmal zu errichten, das an die friedliche Revolu-tion von 1989 erinnert . Mutige Menschen haben damalsdie Mauer von innen niedergerissen . Sie haben gezeigt,dass die Kraft der Freiheit, der Demokratie und der Ver-antwortung stärker ist als die Kraft der Unterdrückung .Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns alle hier mehrheit-lich darin einig sind: Es ist uns etwas wert, dieses positiveund schöne Ereignis der deutschen Demokratiegeschich-te mit einem eigenen und neuen Denkmal zu würdigen .
Freiheit und Einheit – das ist uns allen klar – sind nichtselbstverständlich . Auch deswegen ist dieses Denkmalein in die Zukunft gerichtetes Denkmal . Ich würde michalso sehr darüber freuen und setze mich dafür ein, dasswir im nächsten Haushaltsentwurf für dieses Freiheits-und Einheitsdenkmal wieder Mittel einstellen werden .
Damit danke ich für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Hiltrud Lotze . – Ich schließe die Aus-
sprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in
der Ausschussfassung . Wir stimmen namentlich ab . Dazu
bitte ich jetzt die Schriftführer und Schriftführerinnen,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –Jetzt kommt die
Frage, die Sie schon kennen: Sind alle Plätze an den Ur-
nen besetzt? – Gut . Dann eröffne ich die Abstimmung
über den Einzelplan 04 .
Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die noch
nicht abgestimmt haben? – Das ist nicht der Fall . Damit
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben .1)
Ich bitte jetzt diejenigen, die an der nächsten Debatte
teilnehmen wollen, Platz zu nehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .10 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
Drucksachen 18/9805, 18/9824
Berichterstatter beim Einzelplan 05 sind die Abge-
ordneten Doris Barnett, Alois Karl, Michael Leutert und
Dr . Tobias Lindner .
Zum Einzelplan 05 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir dann am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch .
Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort
Michael Leutert für die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Minister, wir sprechen jetzt über 5,2 Milliar-den Euro für das Auswärtige Amt . Das sind immerhin630 Millionen Euro mehr, als Sie in der ersten Lesung1) Ergebnis Seite 20203 CHiltrud Lotze
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beantragt hatten . Während der Verhandlungen wurden475 Millionen Euro mehr für humanitäre Hilfe, genausowie wir das gefordert haben – Links wirkt also –,
und 75 Millionen Euro mehr für die Krisenbewältigungbereitgestellt . Trotzdem muss ich Ihnen sagen: Gemessenan den Aufgaben und Problemen, vor denen wir stehen –diese sind nicht geringer geworden –, langt das Geldnicht .
Ich habe zumindest noch nicht gehört, dass die Bürger-kriege in Syrien und im Irak beendet wurden, dass sichdie Situation in der Ukraine oder in Afghanistan beruhigthat oder dass die Fluchtursachen in Afrika verschwundensind . Im Gegenteil: Mit der Wahl von Trump in Ame-rika und der katastrophalen Entwicklung in der Türkeiverschärft sich der Handlungsdruck . Am Sonntag, den4 . Dezember, gibt es in Europa zwei wichtige Abstim-mungen: das Verfassungsreferendum in Italien und diePräsidentschaftswahl in Österreich . Die Ergebnissekönnten Europa wieder vor neue Herausforderungenstellen . All das zeigt, dass wir uns in einer sehr schwieri-gen außenpolitischen Situation befinden. Ich glaube, das ist unstrittig und allen bewusst .Um dem zu begegnen, wird viel davon geredet, dasswir auf internationaler Ebene mehr Verantwortung über-nehmen müssen . Aber was heißt das eigentlich? Das rei-ne Beschwören dieser Formel verdeckt eigentlich einenFakt: Die Außenpolitik steckt derzeit fest . Im Kern istdeutsche Außenpolitik derzeit nicht handlungsfähig . Mitdem Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat sich die Bundes-regierung erpressbar gemacht . Nicht bloß das: Sie hatGlaubwürdigkeit massiv verspielt . Ich frage Sie: Wiesoll denn Trump etwas ernsthaft und moralisch begrün-det entgegengesetzt werden, wenn gleichzeitig Erdoganfinanziell unterstützt wird, und zwar nur aus dem Grund, dass er dafür sorgt, dass keine Flüchtlinge bei uns an-kommen,
und wir die ganze Zeit dazu schweigen, dass in der Tür-kei eine Entwicklung eingesetzt hat, die immer mehr inRichtung Diktatur geht, und dass Säuberungen, Massen-entlassungen und Massenverhaftungen durchgeführtwerden . Amnesty International spricht bereits von Folter .Der richtige Weg wäre jetzt, die Beitrittsverhandlungenauf Eis zu legen .
Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen der Mauer,die Trump an der Grenze zu Mexiko bauen will, und derMauer, die mit dem Flüchtlingsdeal in Europa hochgezo-gen wurde? Der einzige Unterschied ist, dass die Mauerbei uns nicht sichtbar ist .
– Genau darauf will ich hinaus . – Wir in Deutschlandsollten es doch besser wissen und darauf hinweisen, dassMauern keine Probleme lösen, sondern sie zementieren .Mauern verschärfen Konflikte nur.
Im Übrigen glaube ich, dass viele Menschen in unse-rem Land eine solche Politik nicht wollen . Viele Men-schen merken, dass hier mit zweierlei Maß gemessenwird . Viele hören nicht mehr zu, wenn sie an Werte wieDemokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschen-rechte erinnert werden, wenn im gleichen Atemzug mitLeuten wie Erdogan, die die Rechte mit Füßen treten,zusammengearbeitet wird . Deshalb gewinnen derzeitRechtspopulisten, glaube ich, eine Abstimmung nach deranderen, auch in Europa .
International mehr Verantwortung übernehmen, wür-de bedeuten, dass wir zuallererst etwas dafür tun, dassEuropa wieder funktioniert . Das heißt insbesondere, dasswir die südlichen Länder in Europa, Griechenland, Itali-en, nicht alleine lassen .
Wir brauchen europäische Regelungen und europäischeInstitutionen, die europaeinheitlich und durch Europa fi-nanziert die Aufgaben von Asyl, von Flüchtlingsschutz,von Flüchtlingsrettung im Mittelmeer, von Migrationganz allgemein übernehmen .International mehr Verantwortung übernehmen, be-deutet auch, endlich die internationalen Organisationenwieder zu stärken . Wir brauchen wieder eine UNO, diedie Rolle spielen kann, für die sie eigentlich vorgesehenist .
Und wir brauchen eine Finanzierung von Programmenauf internationaler Ebene . Es kann doch nicht sein, dassdas Welternährungsprogramm jedes Jahr auf Betteltourgehen muss, um die Euros zusammenzubekommen, dienötig sind, um sich um die Menschen in den Krisenge-bieten kümmern zu können .
Wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung, eineplanungssichere Finanzierung . Das Geld, das wir dafürbenötigen, finde ich in diesem Haushalt nicht. Die Kanzlerin hat heute in ihrer Rede die 2 Prozentdes Bruttoinlandsproduktes angesprochen, die für Vertei-digung ausgegeben werden sollen . Wenn wir über dieseZahl sprechen – das wären ungefähr 70 Milliarden Euroim Jahr –, dann sollten wir auch darüber sprechen, dasswir vielleicht 2 Prozent des Gesamthaushalts für das Aus-wärtige Amt zur Verfügung stellen . Das wären 7 Milliar-den Euro . Das wäre ein politisches Umsteuern, das denAufgaben wirklich gerecht würde . Dafür könnten auchMichael Leutert
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wir Linke uns erwärmen . So können wir dem Haushaltnicht zustimmen .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Michael Leutert .Bevor die nächste Rednerin kommt, möchte ich Ih-nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungüber den Einzelplan 04 – Geschäftsbereich der Bundes-kanzlerin und des Bundeskanzleramts – bekannt geben:abgegebene Stimmen 599 . Mit Ja haben gestimmt 479 .Mit Nein haben gestimmt 120 Kolleginnen und Kolle-gen . Keine Enthaltungen . Damit ist der Einzelplan 04angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 599;davonja: 479nein: 120enthalten: 0JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr . Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinMichael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnRainer HajekDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeAnsgar HevelingChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Dr . h .c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtStephan Mayer
Michael Leutert
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Reiner MeierDr . Michael MeisterDr . Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Nadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerDr . h .c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrBettina Bähr-LosseHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h .c . Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr . Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr . Hans-Ulrich Krüger
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Helga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr . Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenDr . Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle Schauws
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Nächste Rednerin: Doris Barnett für die SPD-Frakti-on .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal meinen ganz herzlichen Dankan den Minister und seine Mitarbeiter im ganzen Haus,aber vor allem an die in den Botschaften in den Krisenre-gionen, die hervorragende Arbeit leisten . Ich glaube, dasmuss man an dieser Stelle unbedingt einmal sagen .
Deutsche Außenpolitik ist handlungsfähig, lieber Kol-lege Leutert, und sie führt oft gerade im europäischenKontext die Linie an . Ich möchte auch meinen KollegenAlois Karl, Dr . Lindner und Michael Leutert für die guteZusammenarbeit bei der Erstellung des Haushaltsplansdanken . Da waren wir uns eigentlich meistens doch ei-nig . Mein Dank gilt aber auch den Kollegen JohannesKahrs und Eckhardt Rehberg für die großartige Unter-stützung vor und in der Bereinigungssitzung; denn dahaben wir noch einmal ein Schippchen drauflegen dürfen und können .Auf den ersten Blick könnte man vor Freude über denmassiv angestiegenen Haushalt jubeln . Lag er 2014, alsozu Beginn der Wahlperiode, noch bei 3,633 MilliardenEuro, so beträgt er jetzt für das Jahr 2017 5,23 Milliar-den Euro; das ist eine Steigerung um 1,6 Milliarden Eurooder 44 Prozent . Aber die Ursachen für diese Steigerungerzeugen mit Sicherheit keine Freude; denn die Steige-rung liegt in Krieg, Flucht, Vertreibung und massivenMenschenrechtsverletzungen begründet . Oft sind es die„falsche“ Religion mancherorts oder die „falschen“ po-litischen Überzeugungen, die zu Flucht und Vertreibungführen . Stichworte dazu sind Syrien, Libyen, Irak, Af-ghanistan und vielleicht – ich hoffe es nicht – zukünftigsogar Türkei .Für das nächste Jahr packen wir auf die 930 Millio-nen Euro für humanitäre Hilfe nochmals 476 MillionenEuro obendrauf, und für die Krisenprävention packen wirnochmals 76 Millionen Euro obendrauf, sodass uns imnächsten Jahr 1,522 Milliarden Euro oder 1 522 Millio-nen Euro dafür zur Verfügung stehen . Das macht knapp30 Prozent des ganzen Haushalts des Auswärtigen Amtsaus .Die Opposition könnte also mehr als zufrieden sein,weil wir mehr als die geforderten überplanmäßigen Leis-tungen von 400 Millionen Euro in diesem Jahr nochmalsobendrauf gelegt haben . Aber es ist Ihr Schicksal: Siedürfen nicht zufrieden sein, wenigstens offiziell nicht. Für unser Engagement gibt es auch viel Lob seitens derUNO und anderer Staaten, und dem sollte sich die Oppo-sition ruhig einmal anschließen .Ich möchte an dieser Stelle nochmals auf MinisterSteinmeier zurückkommen und ihm für seinen Einsatzbei der Sammlung für die Flüchtlingshilfe im Septem-ber 2015 danken, als in den Lagern fast eine Hungersnotausgebrochen ist, weil die notwendigen Geldsummen garnicht eingegangen waren . Da sind Sie, Herr Steinmeier,vorangegangen . Sie waren derjenige, der dafür gesorgthat, dass es genug Geld gibt . Auch der Kanzlerin darfman danken; denn sie hat bei der Geberkonferenz in Lon-don noch einmal für einen kräftigen Schub bei den Geld-mitteln gesorgt .Aber entgegen Ihrer Meinung, Herr Leutert, kannDeutschland nicht die ganze Welt retten oder für alleFlüchtlinge auf der Welt sorgen . Das können wir nicht .Wir müssen uns darauf verlassen, dass die anderen, dieHilfe zugesagt haben, diese Hilfe auch endlich leistenund somit dafür sorgen, dass die Situation in den Flücht-lingslagern erträglich wird und dass sich nicht wiederZig tausende auf den Weg nach Europa machen .Es ist auch an der Zeit, dass sich Europa nicht nur alsHort der Menschenrechte und Solidarität versteht, son-dern das auch unter Beweis stellt, also eine gemeinsameStrategie für Hilfe entwickelt und sich nicht nur in Ab-schottung ergeht . Vielmehr sollte es zukünftig eine wirk-liche Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitikentwickeln und nicht warten, bis uns die USA und ihrneuer Präsident dazu zwingen . Mit Alois Karl und Vertre-tern des Auswärtigen Amtes habe ich mir das Camp Saa-tari in Jordanien angesehen, wo über 80 000 Flüchtlingeauf blankem Boden in der Trockenheit untergebrachtsind . Da war zu sorgen für Unterkunft, für ärztliche Ver-sorgung, für sanitäre Anlagen .Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal demTHW ausdrücklich danken, das dort nämlich für die Was-serversorgung gesorgt hat .
Auch deswegen ist es so wichtig, dass wir das THW nichtausdörren, sondern dass wir es immer auskömmlich aus-statten, dass es die Mannkraft, aber auch die Maschinenund das Werkzeug dazu hat, seine Leistungen zu erbrin-gen . Da haben wir Deutsche tatsächlich ein Aushänge-schild für unser Land .Es wäre schon schön, wenn die Flüchtlinge dort, wosie jetzt angekommen sind, Arbeit finden könnten. Aber wir haben auch lernen müssen, dass ausgerechnet in die-sen Ländern – in Jordanien, im Libanon – ArbeitsplätzeDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsAbgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste derentschuldigten Abgeordneten aufgeführt.
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selbst für die Einheimischen nicht allzu üppig vorhandensind . Auch darum müssen wir uns kümmern, indem wirden Aufnahmeländern helfen .Aber ich möchte an dieser Stelle auch den vielen deut-schen Nichtregierungsorganisationen danken, die sichdort und in Deutschland einsetzen und engagieren . Wir,die Bundesrepublik, gehen verschiedene Wege in derWelt, um Frieden zu sichern, Flucht zu vermeiden undDemokratie zu stärken und zu erhalten, weil wir inter-nationale Verantwortung übernehmen, Herr Leutert, undnicht wegsehen .Ich bin froh, dass die Ausstattungshilfe für ausge-wählte afrikanische Staaten erhalten bleibt, und ich hätteauch nichts dagegen, wenn wir dafür noch etwas mehrbereitstellten; denn sie dient der Stabilität und dem De-mokratisierungsprozess in den Ländern, und sie sichertder Bevölkerung eine Zukunftsperspektive – im eigenenLand – und kann so auch als Vorbild für andere Länderdienen .Eine solche Stabilisierungsmaßnahme ist die neueFachhochschule in Ostafrika; sie wird wahrscheinlich inKenia angesiedelt . Wir haben dafür auch einen potentenPartner, nämlich das DAAD . Außerdem unterstützen wirweiterhin aktiv den Friedensprozess in Kolumbien . Da-rüber hinaus unterstützen wir die friedliche Lösung desKonflikts im Kaukasus, indem wir in Armenien und in Aserbaidschan jeweils ein Goethe-Zentrum einrichten .Allerdings können wir schon erwarten, dass Russland,das praktisch Schlüsselhalter in der ganzen Krise ist,seinen Teil dazu beiträgt und mithilft, dass jetzt endlichFrieden kommt .Es ist wichtig, die Zivilbevölkerung einzubeziehen .Deswegen ist ein weiterer Ausbau der Zusammenarbeitmit den Ländern der Östlichen Partnerschaft und mitRussland vonnöten . Ich hätte mir gewünscht, dass wirschon dieses Mal etwas mehr als 14 Millionen Euro be-reitstellen – vielleicht glückt uns das beim kommendenHaushalt –; denn damit stabilisieren wir auch die Ländervor Ort und zeigen der Zivilgesellschaft, wie man zumBeispiel einen offenen Kanal gestalten kann . So helfenwir ihnen praktisch, über die verkrusteten Strukturen imeigenen Land hinwegzukommen .Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, mitden Menschen vor Ort, dient der Verständigung und demgegenseitigen Verständnis . Es kommt jetzt wieder welt-weit Abschottung auf, und auch Nationalismus erstarkt,selbst in einem Land wie den USA; da kann man sicheigentlich nur warm anziehen .Aber: Wir tun etwas dagegen . Dafür stehen Einrich-tungen wie das Goethe-Institut, dem wir mit weiteren8 Millionen Euro helfen, oder der DAAD, den wir mitzusätzlich 16 Millionen Euro unterstützen . Auch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung ist jetzt mit ihrer Philipp-Schwartz-Initiative gefordert . Wir werden vonWissenschaftlern aus der Türkei, die sich verfolgt fühlenund nach Deutschland kommen wollen, fast überrannt .Wir sorgen für den transatlantischen Dialog . Wir ha-ben unser Haus in der Fifth Avenue . Wir haben vor we-nigen Tagen das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles ander Westküste übernehmen können . Ich hoffe und wün-sche, dass wir dort einen breiten gesellschaftlichen, aberauch gesellschaftspolitischen Dialog mit den ansässigenIntellektuellen, aber auch mit der Bevölkerung anstoßenund führen können, um uns auch darstellen zu könnenund um für einen gemeinsamen Weg zu sorgen .Aber vergessen wir an dieser Stelle nicht unsere po-litischen Stiftungen . Sie tragen einen großen Teil zurVerständigung bei . Es ist nicht immer einfach in den ver-schiedenen Ländern; es ist sogar manchmal gefährlichfür die Mitarbeiter dort . Deswegen war es auch richtigund wichtig, die Mittel zu erhöhen: 5 Millionen Euro fürdie Stiftungen und noch einmal 2 Millionen Euro extra,damit sie ihr Stipendiatenprogramm weiterführen kön-nen .Auf das Auswärtige Amt sind viele zusätzliche Aufga-ben zugekommen, hier und in den Auslandsvertretungen .Die Herausforderungen sind massiv gestiegen . Stich-worte sind „Flucht und Vertreibung“, „Brexit“, „Wirt-schaftslage in der Welt“ und „Menschenrechte“ . Da wirdschnelles Handeln erwartet . Aber dazu braucht es auchausreichendes Personal, zum Beispiel bei der Betreuungder Nichtregierungsorganisationen, die aus der Titelgrup-pe „Humanitäre Hilfe“ finanziert werden; die brauchen auch Ansprechpartner im Auswärtigen Amt .Das Auswärtige Amt hat 50 Stellen beantragt . Auf-grund der Ereignisse ist es uns gelungen, 42 Stellenobendrauf zu packen, sodass insgesamt 92 neue Stellengeschaffen werden konnten .
68 Stellen hatten einen kw-Vermerk für 2018 . Denkw-Vermerk konnten wir zwar nicht streichen, aber we-nigstens die Wirkung nach hinten schieben, auf 2020 .Wir brauchen die Leute, weil sich die Probleme dieserWelt nicht in Luft auflösen.Nicht zuletzt: Deutschland ist und bleibt offensicht-lich ein attraktiver Standort, auch für die UN . Wir wol-len Bonn weiterhin stärken, damit Bonn neben Genf undNew York einen guten Platz unter den UN-Stützpunkteneinnimmt .
Das alles muss korrekt sein; wir wissen das sehr ge-nau . Wir wissen auch, dass die Haushälter im Auswär-tigen Amt darauf achten, dass die Mittel entsprechendeingesetzt werden; denn der Bundesrechnungshof sitzt jajedem im Nacken .Wir legen hiermit einen guten Einzelplan vor, demman eigentlich nur zustimmen kann . Ich fordere Sie auf,das zu tun .Vielen Dank .
Vielen Dank, Doris Barnett . – Nächster Redner fürBündnis 90/Die Grünen: Omid Nouripour .Doris Barnett
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieseHaushaltsdebatte ist auch deswegen besonders spannend,weil man sich anschauen kann, welche Lernkurve dieBundesregierung in dreieinhalb Jahren durchlaufen hat .Und ich muss feststellen, dass es einen großen Lernfort-schritt bei den Kolleginnen und Kollegen im Haushalts-ausschuss gegeben hat . Bei Ihnen möchte ich mich herz-lich bedanken . Sie haben tatsächlich in beeindruckenderArt und Weise die Fehler der Bundesregierung, vor allemim Bereich der humanitären Hilfe, und die Kürzungen,die es dort gegeben hat, revidiert . Wir hätten uns einenTacken mehr gewünscht, aber das, was jetzt geleistetworden ist, macht mich, ehrlich gesagt, sehr froh undstolz auf unseren Parlamentarismus . Herzlichen Dankdafür!
Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber mir geht esseit zwei Wochen so: Ich habe das Gefühl, ich lebe mitt-lerweile auf einem anderen Planeten – bei all dem, wasman sich dazu ausmalen kann, was ein Präsident Trumpalles anders machen wird und wie viel Diskontinuität esjetzt geben wird . Wir wissen es nicht genau . Es gibt soviele Widersprüche aus dem Wahlkampf, dass man nichtgenau weiß, worauf man sich einstellen muss . Wir habenes mit einer Wundertüte zu tun . Ich fürchte nur: In dieserWundertüte ist nicht besonders viel Gutes . – Wir werdenes erleben . Und natürlich müssen wir schauen, dass wiruns darauf vorbereiten .Richtig ist auch, dass gerade in diesen Zeiten demtransatlantischen Verhältnis eine besondere Bedeutungzukommt und dass wir uns jetzt auch darauf besinnenmüssen, dass es eine tiefe Freundschaft gerade zwischenden Menschen in den USA und bei uns in Europa gibt .Und auf diese Freundschaft müssen wir bauen. Ich finde es völlig richtig, dass die Frau Bundeskanzlerin eine engeZusammenarbeit auf Basis – Zitat – „gemeinsamer Wer-te“ angeboten hat . Das ist vollkommen richtig, und genauso muss es auch gesagt werden . Nur – Johannesevangeli-um –: An ihren Taten sollst du sie messen .Wir hatten vor fünfeinhalb Jahren den Beginn des-sen, was wir Arabischen Frühling nennen . Wir warenuns damals alle einig, dass wir die Lehre daraus ziehenmüssen, dass Friedhofsruhe kein Ausdruck von Stabili-tät ist, sondern Stabilität nur dann vorhanden ist, wennRechtsstaatlichkeit und Demokratie vorherrschen, wenndie Menschen das Gefühl haben, dass ihre Belange ernstgenommen werden und dass sie sich tatsächlich auf ihrenStaat verlassen können .
Frau Merkel hat auf der Münchener Sicherheitskonfe-renz 2011 dazu auch eine beeindruckende Rede gehalten .Fünfeinhalb Jahre danach, wenn wir die Bundesregie-rung an ihren Taten messen, müssen wir feststellen: Daswaren warme Worte, mehr nicht . Wir haben eine Bundes-regierung, die mittlerweile in großer Panik vor Flüchtlin-gen in vielen Bereichen all die Werte, über die es damalsKonsens gegeben hat, über Bord geworfen hat .Beispiel Türkei . Das ist relativ bekannt, man mussdazu nicht viel sagen . Die Tatsache aber, dass wir zurzeiteinen Präsidenten in der Türkei haben, der als Reaktionauf einen illegitimen Putsch das Land wirklich mit gro-ßer Zielstrebigkeit Richtung Diktatur fährt, ist ziemlichbeängstigend . Übrigens hatte er noch in der Woche, be-vor er gewählt wurde, Besuch und quasi Wahlkampfhilfevon unserer Bundeskanzlerin, die sich davon erhoffte,einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei zu erzielen . Dasist natürlich etwas, was in diesen Zeiten ganz besondersbitter schmeckt und zeigt, wie weit sich die Bundesregie-rung im Umgang mit der Türkei aus Angst vor Flüchtlin-gen von den eigenen, damals noch proklamierten Wertenentfernt hat .
Besonders dramatisch ist es, wenn man sieht, dass allesich geradezu beeilen, einen solchen Deal noch einmalmit Ägypten zu wiederholen, einem Land mit 40 000 undmehr politischen Flüchtlingen, einem Land, in dem einemittlere zweistellige Anzahl an Gefängnissen genau des-wegen in den letzten drei Jahren gebaut worden sind .Aber wir wollen ja in erster Linie Flüchtlingspolitik ma-chen und nicht mehr eine wertegebundene Außenpolitik .Das ist ausgesprochen bitter .Beispiel Eritrea, ein Land, das nun wirklich ein mi-serables Menschenrechtsregister hat . Die UN-Berichtezu Eritrea sind katastrophal, was man feststellen kann,wenn man sie sich anschaut . Was macht aber diese Bun-desregierung? Gerd Müller fährt hin, schüttelt dem Dik-tator dort die Hand und verspricht ihm ein wenig Geld .Hauptsache, er hält uns die Flüchtlinge vom Hals . Jetztist Afewerki, der finsterste Diktator Afrikas, hoffähig ge-worden . Auch das war ein Beitrag dieser Bundesregie-rung .Beispiel Afghanistan . Ich erinnere mich noch, dass es,als Gabriel gesagt hat, dass Marokko und Tunesien nurnoch dann weiterhin Mittel zur Entwicklungszusammen-arbeit bekommen, wenn sie die Leute zurücknehmen,die wir abschieben wollen, Empörung gab, auch in derUnion . Der Herr Außenminister hat nun am Rande derletzten Afghanistan-Konferenz genau das gesagt . Er hatgesagt: Das Rückführungsabkommen mit Afghanistan istdie Bedingung dafür, dass wir weiterhin den Afghanin-nen und Afghanen beistehen . Ich glaube nicht, dass dasein Beitrag zur Stabilität Afghanistans ist, solche Dingezu sagen .Beispiel Saudi-Arabien . Die „legitimen Sicherheitsin-teressen Saudi-Arabiens im Jemen“ – so wortwörtlich derAußenminister – wirken sich so aus, dass Jemen mittler-weile zum ärmsten Land der arabischen Welt gewordenist, dass Jemen mittlerweile komplett zerstört worden ist .Die gesamte zivile Infrastruktur ist zerstört .Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir mit demPopulismus ernsthaft umgehen wollen, wenn wir ihn zu-rückweisen wollen, dann müssen wir zu unseren Stärkenstehen . Das sind unsere Werte, das sind Rechtsstaatlich-
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keit, Demokratie und Menschenrechte . Dahin müssenwir mit unserer Politik zurückkehren,
vor allem auch deswegen, weil die großen Prüfungen jamöglicherweise noch bevorstehen . Wenn beispielswei-se eine Testosteronachse zwischen Trump, Putin undErdogan entsteht, dann ist es umso wichtiger, dass dieBundesrepublik Deutschland innerhalb Europas – Euro-pa ist die Antwort auch auf diese Fragen und nicht eineRenationalisierung – die treibende Kraft und Vorreiter istbei der Einhaltung unserer Werte, der Rechtsstaatlich-keit, der Demokratie und der Menschenrechte . Nur miteinem geraden Rückgrat, nur wenn wir zu uns selbst undzu unseren Werten stehen, nur mit Haltung werden wirdiese Krisen meistern .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Omid Nouripour . – Nächster Redner:
Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen desDeutschen Bundestages! Eine Haushaltsdebatte bietet jaimmer Gelegenheit, sich nicht nur auf den einzelnen Etatselbst zu konzentrieren, sondern die Politik und das Poli-tikgeschäft insgesamt zu betrachten .Opposition und Regierung stellen natürlich die Erfol-ge oder Misserfolge, die Pläne und die Absichten in un-terschiedlicher Weise dar . Das ist gar nichts Neues . EineKostprobe haben wir heute Vormittag beim Haushalt derBundeskanzlerin erlebt . Bei dieser Generaldebatte habendie Oppositionsparteien den untauglichen Versuch unter-nommen, die erstaunenswert guten Zahlen dieser Regie-rung etwas ins Zwielicht zu stellen . Das ist ihnen abernicht gelungen . Wir machen eine sehr gute Politik .So heftig wie beim Etat der Bundeskanzlerin wird esbeim Etat des Außenministers ganz gewiss nicht zuge-hen . Erstens ist die Politik sehr gut . Zweitens sind dieZahlen noch viel besser .
Vor etlicher Zeit hätte man noch meinen können, dassman die Außenpolitik fast einstampfen könnte, weil sieihre Aufgaben verloren hätte . Heute hat die Außenpolitikaber in der Tat Hochkonjunktur, weil – Sie haben das sogesagt, Herr Außenminister – die Welt aus den Fugen ge-raten zu sein scheint .Vor etlicher Zeit war das anders . Wir haben in unse-rer Zeit eine Entwicklung miterleben können, die wirgeradezu als goldene Ära bezeichnen können . Wünschesind in Erfüllung gegangen, Dinge die sich andere poli-tische Generationen auch gewünscht haben . Wir habendie deutsche Wiedervereinigung, den Fall des EisernenVorhangs und den Niedergang des Ostblocks erlebt . Wirhaben miterlebt, dass der Warschauer Pakt aufgelöstworden ist und die KPdSU in der Sowjetunion verbotenworden ist .Der Kalte Krieg war zu Ende, und Deutschland hat-te keinen einzigen äußeren Feind mehr . Geradezu stau-nend haben wir diese revolutionäre Entwicklung in den1990er-Jahren zur Kenntnis genommen .Die Länder Mittel- und Osteuropas haben ihr Glückin dem Anschluss an Westeuropa gesehen . Für sie hat dieEU eine Faszination ausgeübt . Zehn Länder – unter ande-rem die Balten, die Ungarn und die Polen – sind Anfangder 2000er-Jahre zur EU dazugekommen . Die Bulgarenund die Rumänen sind dann etwas später der EU beige-treten . „Wir … sind zu unserem Glück vereint“, hat FrauMerkel richtigerweise sagen können, als vor zehn Jahrenhier das 50-jährige Jubiläum der Römischen Verträge ge-feiert worden ist .Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Eupho-rie, diese Hochstimmung hat die letzten Jahre nicht über-dauert . Heute sehen wir, dass eher ein Auseinandergehen,ein Auseinanderklaffen stattfindet. In Europa sind fast schon auseinandertreibende Kräfte auf dem Vormarsch .Der Brexit ist ein Beispiel dafür . Tendenzen in Ungarnund in Polen sind weitere Beispiele . Ich könnte nochmanches andere nennen .
Die Konflikte sind auch nicht gelöst, weder in Afghanis-tan noch in Syrien, im Irak oder anderswo .Die Außenpolitik ist in der Tat gefordert . Wir habenkeine militärischen Mittel, um hier helfend, um verän-dernd eingreifen zu können . Wir haben ausschließlich di-plomatische und finanzielle Mittel, die wir auch zur Ver-fügung stellen . Auf die humanitäre Hilfe ist eingegangenworden . Diese haben wir eingesetzt und die Mittel nachKräften – Herr Nouripour, Sie haben das angesprochen –erhöht .In der ersten Lesung gab es etliche Kritik daran, dassdie Mittel für 2017 deutlich unter denen für 2016 lagen .Ich selbst habe damals im September gesagt, dass wir mitunseren Anstrengungen für 2017 nicht gegenüber unse-ren Ausgaben von 2016 zurückfallen werden .Heute melden wir Vollzug .
Wir haben im Haushaltsausschuss gute Arbeit geleistet .Wir können ein gutes Zeugnis ausstellen .
Ich danke auch Herrn Schäuble und den Kollegen desHaushaltsausschusses, insbesondere den Berichterstat-tern . Frau Barnett, ich gebe das Lob gern zurück . WirOmid Nouripour
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spielen uns die Bälle hier schön zu: Du lobst mich, ichlobe dich . Das sieht hier gut aus .
Unser erster Ansatz sah Ausgaben für humanitäreHilfen in Höhe von lediglich 730 Millionen Euro vor .Wir haben diese um 475 Millionen Euro auf jetzt circa1,2 Milliarden Euro erhöht . Eines möchte ich noch sa-gen: Wir behandeln die Haushalte nicht nach dem Motto„Vogel friss oder stirb“, indem der Finanzminister demKabinett etwas vorlegt . Wir ändern die Haushalte auchganz gewaltig . Mehr als 40 Veränderungen haben wirvorgenommen, mehr als 628 Millionen Euro haben wirunserem Etat des Auswärtigen Amtes hinzugefügt . Wirstehen heute – Doris Barnett hat es gesagt – bei 5,23 Mil-liarden Euro – ein Maximum, ein Höchstmaß, das wirbisher noch nicht hatten . Wir haben die Mittel für die hu-manitäre Hilfe vervierfacht, und wir haben die Mittel fürdie Hilfen bei der Krisenprävention verdreifacht .Lieber Herr Nouripour, Sie haben gesagt: „An ihrenTaten sollst du sie messen .“ Ich muss sagen, der heiligeJohannes hätte seine Freude an uns, wenn er diese Zahlenhören würde .
Der heilige Johannes hätte seine Freude, weil diese Tatenvon uns so niedergeschrieben und in den Haushalt ein-gebracht worden sind, die Sie gerade fälschlicherweisebezweifelt haben .
– Sie haben von den Früchten gesprochen . Sie müssensich einmal selber Ihre Früchtchen bei den Grünen vor-nehmen, dann werden Sie sehen, dass es noch unendlichviel Arbeit gibt .Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir habenfür die humanitäre Hilfe viel machen können . Wir sindauch im Einklang – um dieses Beispiel noch einmal auf-zugreifen – mit Papst Franziskus . Er hat das Jahr derBarmherzigkeit ausgerufen . Auch wenn vorgestern dieHeilige Pforte in Rom geschlossen worden ist, ist es eineDaueraufgabe für uns, an der wir dranbleiben werden,weil wir sehen, dass die Not auf der Welt nicht geringergeworden ist und dass wir hier durchaus helfen können .Frau Barnett und ich waren im letzten Jahr in der Be-kaa-Ebene im Libanon . Wir waren im Lager Saatari inJordanien . Wir wissen, dass wir mit unserem Geld un-endlich viel leisten und Barmherzigkeit – so heißt es inder alten Sprache – zeigen können .
Wir wissen auch, dass dieses Geld, das wir ausgeben, umdie Menschen dort zu halten, ökonomisch gut angelegtesGeld ist . Wenn wir die Leute dort nicht halten, dann wer-den neue Flüchtlingsströme nach Europa kommen, undes wird uns sehr viel mehr Geld kosten . Deshalb bitte ich,dass hier über das Klein-Klein hinweggesehen wird unddie großen Ziele, die wir haben und verfolgen, gesehenwerden . Ich bin sehr dankbar, dass wir das so geschaffthaben .Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind auchnoch andere Punkte angesprochen worden . Ich möch-te unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik kurzansprechen . Auch hier haben wir tolle Erfolge erzielt,zum Beispiel mit der Philipp-Schwartz-Initiative . Indiesem Jahr haben wir schon 23 Forscher aus Syrien inDeutschland beherbergt und mit Stipendien ausgestattet .Ab 1 . Januar 2017 kommen 24 weitere hinzu . Wir habennoch einen Spielraum in Höhe von 5 Millionen Euro, so-dass wir auch dort noch Gutes tun können .Ein weiterer Punkt, der mir auch sehr am Herzen lag,war die finanzielle Ausstattung des Volksbundes Deut-sche Kriegsgräberfürsorge . Wir haben in den letztenJahren etwa 13 Millionen Euro im Haushalt gehabt . Indiesem Jahr stocken wir um 3 Millionen Euro auf dann16 Millionen Euro auf . Warum? Weil wir auch darin eineVerpflichtung sehen, in ganz vornehmer und würdevoller Weise die Kriegsgräber und Kriegsgräberstätten in vie-len Ländern Europas und darüber hinaus zu pflegen und die Erinnerungen an diese unsägliche Zeit in würdevol-ler Weise aufrechtzuerhalten . Die Aufgaben nehmen zu .Die Bundesregierung weist dem Volksbund immer wie-der neue Länder zu, die betreut werden sollen, in denenKriegsgräber angelegt werden sollen . Die Einnahmensinken, weil immer weniger Geld eingesammelt wird,immer weniger Vermächtnisse gemacht werden . Hiersteigen wir ein . Wir danken auch der neuen Führung undhoffen, dass der Volksbund auf einen guten Weg kommtund die inneren Streitigkeiten aufhören . Ich danke alsodem Vorsitzenden, Herrn Schneiderhan, und auch seinemStellvertreter, dem Landrat Richard Reisinger .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe amAnfang die letzten 25 Jahre kurz beleuchtet . Dazu istauch zu sagen: In den letzten 25 Jahren gab es vier Au-ßenminister: Guido Westerwelle war vier Jahre im Amt,Klaus Kinkel fast sieben Jahre, Joschka Fischer gut sie-ben Jahre, und Frank-Walter Steinmeier jetzt auch siebenJahre . Da kommt einem, Herr Nouripour, die Assoziationmit dem Alten Testament; „sieben fette Jahre“ und „sie-ben magere Jahre“ habe ich mir da herausgeschrieben .
– „Sieben magere Jahre“ würde ich am ehesten mitJoschka Fischer in Verbindung bringen;
aber das möchte ich jetzt nicht vertiefen . – Die Zeit vonFrank-Walter Steinmeier, meine sehr geehrten DamenAlois Karl
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und Herren, war doch davon geprägt, dass es sieben tur-bulente Jahre waren
– das Ergebnis kommt erst am Schluss, Herr Minister –,dass wir in keine neuen Konflikte hineingezogen wor-den sind, dass der Prozess der Minsker Vereinbarungenauch dank Ihres Beitrags so fortentwickelt werden konn-te, dass das schlimme Blutvergießen dort beendet wer-den konnte . Ein Hochpunkt Ihrer Arbeit war ganz gewissauch, den Konflikt mit dem Iran durch ein Atomabkom-men zu beenden und den Iran wieder auf die Weltbühnezurückzubringen .
Ich könnte vieles andere mehr nennen; die humanitäreHilfe habe ich genannt, die Kulturförderung müsste ichnennen .
Nein .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine lie-
be Frau Präsidentin, die sieben Jahre von Frank-Walter
Steinmeier möchte ich zu den sieben fetten Jahren – zu
den sieben guten Jahren, heißt das übersetzt – zählen .
Ich danke Ihnen, Herr Steinmeier, sehr herzlich . Es ist
ja heute der letzte Haushalt, den Sie mit uns zusammen
gestalten . Ich danke für die faire, kollegiale und freund-
schaftliche Zusammenarbeit . Die Ergebnisse können sich
sehen lassen . Für Ihre neue Aufgabe wünsche ich Ihnen
alles Gute, viel Glück und Gottes Segen . In der Ober-
pfalz, in meiner Heimatsprache, sagt man: „Pfiat di!“,
also: „Behüte dich Gott!“ Alles Gute!
Vielen Dank, Alois Karl . Für die Würdigung habenSie jetzt noch ein paar Sekunden mehr Redezeit bekom-men . – Jetzt hat der turbulente Außenminister das Wort,Außenminister Dr . Frank-Walter Steinmeier .
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Doris Barnett und Alois Karl haben es gesagt: Wirleben in Zeiten der Umbrüche, in Zeiten der Veränderun-gen . Manche haben geschrieben oder gesagt, es handelesich um Erdbeben, deren Schockwellen uns noch nichtsämtlich hier in Deutschland erreicht haben . Wenn maneinen Blick darauf wirft, dann denkt man, dass es eigent-lich reicht: die Brexit-Entscheidung, von der wir heuteMorgen gesprochen haben, die Gewalt in der Ostukraine,der tobende Krieg in Syrien und – Sie haben es in dervergangenen Woche an den Fernsehern gesehen – die In-stabilität in der Türkei; ich bin von dem Besuch dort mitmehr Sorgen zurückgekommen, als ich hingefahren bin .Und natürlich wird auch die Wahl von Donald Trump alsneuem US-Präsidenten Veränderungen mit sich bringen,deren Richtung und Tragweite wir jetzt hier miteinandernoch nicht absehen können .Veränderungen und Umbrüche können Sorgen ma-chen, sie können lähmen . Doch das, liebe Kolleginnenund Kollegen, wäre genau die falsche Antwort . Klar istfür mich: Wir dürfen jetzt gerade nicht wie das Kanin-chen auf die Schlange starren, wir dürfen uns nicht vondem Erdbeben erschüttern lassen, sondern wir müssenHaltung zeigen und jetzt umso fester für Demokratie undFreiheit, für die offene Gesellschaft stehen, sie geradejetzt verteidigen, wenn sie von anderen infrage gestelltwerden, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir müssen uns mit Blick auf die Umbrüche unserereigenen internationalen Verantwortung vergewissernund, wenn möglich, danach handeln . Es kommt jetztumso mehr auf verlässliche und verantwortliche deut-sche Außenpolitik an . Sie braucht – ja, natürlich – klareAnalyse, sie braucht Richtung und Orientierung, aber siebraucht eben – und darum sind wir heute hier – auch einefinanzielle Basis. Wenn ich auf die letzten drei Jahre zurückschaue, wieAlois Karl es eben auch gemacht hat, und sehe, wie wirin diesen drei Jahren in vielen Bereichen der Außenpoli-tik neue und größere Verantwortung haben übernehmenmüssen, dann zeigt sich, dass der Deutsche Bundestag –Michael Leutert, deshalb verstehe ich den Kleinmut garnicht; Sie haben ja an vielen Entscheidungen mitge-wirkt – uns überhaupt erst die Spielräume eröffnet hat,um zu gestalten, um diese wachsende Verantwortung zuübernehmen und ihr gerecht zu werden . Dafür, liebe Kol-leginnen und Kollegen, Ihnen allen hier im DeutschenBundestag vorab meinen herzlichen Dank!
Ruhiger, fürchte ich, wird es auch in der nächsten Zeitnicht werden . Und deshalb ist klar: Solange die Gewalt,das Morden und das Sterben nicht aufhören – ob in Syri-en, in Libyen, im Irak oder im Jemen –, so lange dürfenauch unsere Bemühungen um politische Lösungen nichtaufhören, gerade jetzt nicht, in diesen unsicheren Zeiten .So verzweifelt die Lage in Syrien, in Libyen und imJemen ist: Wir dürfen uns der Ohnmacht nicht hingeben .Ja, viel zu viele Versuche mögen in der Vergangenheitgescheitert sein und viele sagen: „alles sinnlos“, aber ichfinde, unsere Haltung muss sein – und sie muss es vor allen Dingen bleiben –: Aufgeben, liebe Kolleginnen undKollegen, ist keine Option .
Alois Karl
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Das gilt auch für die Ostukraine . Erst vor weni-gen Wochen fand hier in Berlin das Spitzentreffen imNormandie-Format – Ukraine, Frankreich, Russlandund Deutschland – statt . Für einige Tage, für vielleichtzwei Wochen hat sich die Situation deutlich verbessert,aber inzwischen ist die Sicherheitslage vor Ort wiederschlechter. Der Waffenstillstand wird wieder häufiger ge-brochen, und die Leidtragenden – das wissen wir alle –sind die Menschen in der Region, für die Gewalt undUnsicherheit schon viel zu lange zum grausamen Alltaggehören .Abwarten, Nichtstun, das ist keine Haltung, so über-nimmt man keine Verantwortung . Deshalb haben meinfranzösischer Kollege Ayrault und ich unseren russischenund ukrainischen Kollegen in der letzten Woche vorge-schlagen, uns in der nächsten Woche erneut in Minsk zutreffen . „Das wievielte Mal?“, mögen manche fragen;ich habe aufgehört, zu zählen . Aber selbst wenn uns diegroße Lösung in diesen Tagen nicht gelingt: Solche Tref-fen, solche Gespräche sind einfach notwendig, um einesolche Situation – es wurde eben gesagt – nicht außerKontrolle geraten zu lassen .Selbst wenn es schwierig ist und selbst wenn es ganzlangsam geht, quälend langsam: Wir dürfen unsere Be-mühungen nicht abbrechen, das Minsker AbkommenSchritt für Schritt umzusetzen. Die Truppenentflechtung, die wir begonnen haben, muss fortgesetzt werden . Dieschweren Waffen, die schon abgezogen waren, aber dannzurückgeführt worden sind, müssen abgezogen werden,und zwar dauerhaft . Wir brauchen vor allen Dingen auchdort dringend Fortschritte in humanitären und wirtschaft-lichen Fragen .Alles das werden wir, so hoffe ich, am nächstenDienstag besprechen . Ich hoffe, dass unsere russischenund ukrainischen Kollegen den Ernst der Lage ähnlichbeurteilen wie wir . Beide Seiten sind gefordert, endlichsichtbare Beiträge zu einer dauerhaften Entspannung inder Ukraine zu liefern .
Kolleginnen und Kollegen, wer versucht, die Um-brüche und Unsicherheiten dieser Wochen auszunutzen,um Geländegewinne einzustreichen, der handelt verant-wortungslos und macht die Lage noch schlimmer . Dassage ich vor allen Dingen mit Blick auf die Situation inSyrien dieser Tage . Dort geht das Morden weiter, jedenTag . Im Osten Aleppos wurde jetzt auch das letzte funk-tionierende Krankenhaus – das übrigens mit deutscherHilfe operierte – in Schutt und Asche gebombt . Für dieMenschen in Ost-Aleppo heißt das, sie haben keinerleiZugang mehr zu medizinischer Versorgung, gleichzeitigkommen täglich neue Verwundete hinzu .Das Regime in Damaskus geht mit Zynismus gegen-über dem eigenen Volk vor, militärisch unterstützt vonIran und Russland, angeblich um IS und al-Nusra zubekämpfen, aber den Kampf gegen den IS gibt es ausunserer Sicht nicht, jedenfalls nicht vonseiten des Regi-mes . Im Übrigen – das lassen Sie mich hinzufügen –: DerKampf gegen terroristische Gruppierungen – so notwen-dig er ist – kann niemals eine Rechtfertigung dafür sein,ganz Aleppo in Schutt und Asche zu legen .
Mit jedem weiteren Opfer, mit jeder Schule, die ge-troffen wird, mit jedem Krankenhaus, das zerstört wird,verstärkt sich die Logik der Gewalt immer noch mehr,ohne dass ein Ende dieses Wahnsinns auch nur ein Stücknäher rücken würde . Vielleicht ganz im Gegenteil: Vielzu viele setzen im Augenblick auf das Machtvakuumnach den amerikanischen Wahlen und auf die militäri-sche Karte . Der Irrglaube, mit kleinsten militärischenVorteilen in eine nächste Verhandlungsrunde mit einemneuen amerikanischen Präsidenten gehen zu müssen, istleider weit verbreitet . Wenn das die Logik der Akteureist, liebe Freunde, dann wird die Zeit bis Februar nächs-ten Jahres, bis eine neue amerikanische Administrationim Weißen Haus sitzt, für die Menschen in Syrien ganzfürchterlich werden . Diese Logik müssen wir durchbre-chen . Die Gespräche über Waffenpausen und humanitä-re Hilfen dürfen auch jetzt, in dieser Übergangsphase inWashington, nicht zu Ende gehen . Sie haben gesehen:Gestern war der Sondergesandte der Vereinten Natio-nen, Staffan de Mistura, hier in Berlin . Er hat sich beiuns leidenschaftlich für die Fortsetzung dieser Gesprächeeingesetzt . Ich habe ihm die Unterstützung der Bundes-regierung versichert . Aber ich bin mir sicher: Er hat auchdie Unterstützung dieses gesamten Hohen Hauses .
Es ist gut, dass wir über Waffenpausen und humanitä-re Hilfen reden . Aber das wird am Ende nicht ausreichen .Worauf es ankommt, ist, dass wir schon jetzt darübernachdenken, wie wir den Menschen in der Region nachdem Ende der Kämpfe eine Perspektive geben können .Ich sage Ihnen – im Augenblick weniger mit Blick aufSyrien, sondern mit umso mehr Berechtigung mit Blickauf den Irak –: Ich hatte diese Woche auch meinen iraki-schen Außenministerkollegen mit seiner Delegation hierin Berlin zu Gast . Wir haben ausführlich über die militä-rische Lage in Mosul, der letzten Hochburg des IS, gere-det . Natürlich geht es jetzt zunächst einmal darum, denKampf gegen den IS möglichst schnell und unter Vermei-dung so vieler ziviler Opfer wie möglich zu führen . Wirhaben aber vor allen Dingen darüber gesprochen, wie esin Mosul weitergehen soll, wenn die Stadt – hoffentlichin einigen Wochen – vom IS befreit sein wird .Wie wichtig diese Stabilisierungsarbeit ist und warumwir uns so sehr darauf konzentrieren, haben unsere Er-fahrungen in Ramadi, Falludscha, aber vor allen Dingenin Tikrit gezeigt, wo wir sehr schnell nach der Befreiungdie Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschenhaben sicherstellen können . Mit geringen Mitteln wurdenWasser- und Stromleitungen wieder in Gang gesetzt bzw .wiederhergestellt, und es wurde ein Mindestmaß an Ge-sundheitsversorgung ermöglicht . Man sah auch Erfolge .Nach Tikrit, in eine Stadt, die ebenso vom IS besetzt warwie Mosul, sind 90 Prozent der Zivilbevölkerung zurück-Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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gekehrt . Das ist die Erfahrung, die uns leitet . Deshalb istdie Stabilisierung heute ein Kern unserer außenpoliti-schen Arbeit .
Sie ist – lassen Sie mich das noch sagen – aber nicht des-halb ein Kern unserer außenpolitischen Arbeit, weil ichallein das für wichtig halte, sondern deshalb, weil wirda etwas tun können . Wir können das dank der Unter-stützung des Deutschen Bundestages tun, auch durch dieVerbesserung der entsprechenden Möglichkeiten in denbeiden letzten Haushalten . Ganz herzlichen Dank dafür!
Zum Schluss, meine Damen und Herren . Ich habe ge-sagt: Wir leben in einer Zeit der Veränderungen . – MitBlick auf die USA können wir zum heutigen Zeitpunktnoch nicht genau sagen, wie sich diese Veränderun-gen politisch auswirken werden . Eines können wir mitGewissheit sagen: dass der Dialog, die politischen Ge-sprächskanäle und die menschlichen Verbindungen überden Atlantik auch in Zukunft eine entscheidende Rollespielen müssen und – da bin ich sicher – werden . Wirwerben im Augenblick in Washington dafür, die trans-atlantischen Beziehungen, wie ich immer sage, als Fun-dament des Westens wertzuschätzen und zu pflegen. Wir werden trotzdem abwarten müssen, wie sich die neueAdministration dazu positioniert .Umso mehr freue ich mich, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir gerade in diesen Tagen – DorisBarnett hat es erwähnt – menschlich und kulturell neueBande über den Atlantik haben knüpfen können . Nur mitder Unterstützung des Deutschen Bundestages konnte esam Ende gelingen, das Thomas-Mann-Haus in Kalifor-nien zu erwerben und es vor dem befürchteten Abriss zubewahren . Dafür – für die Bereitstellung von Finanzmit-teln, aber vor allen Dingen für die schnelle Entscheidung,die es gegeben hat – sage ich meinen ganz herzlichenDank .Das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles war wäh-rend der NS-Herrschaft so etwas wie das Weiße Haus desExils . Es war die Heimat für viele Deutsche, die gemein-sam für eine bessere Zukunft unseres Landes gestrittenhaben . Wenn damals in Thomas Manns Villa Künstlerund Intellektuelle zusammenkamen, dann wurde, wiewir wissen, leidenschaftlich diskutiert: über Deutsch-land, über Amerika, über die Wege zu einer offenen Ge-sellschaft und – das kann man heute vielleicht gar nichtgenug betonen – über das, was uns zusammenhält: dasgemeinsame transatlantische Wertefundament .Ich bin davon überzeugt: In einer konfliktbeladenen Welt brauchen wir genau solche Räume für den Dialog –erst recht auch wieder mit den USA . Mit solchen Räumenmeine ich eben keine Echokammern, in denen wir unsselbst bestätigen . Ich meine Räume, die Platz schaffenfür eine ehrliche Auseinandersetzung, für Austausch undStreitgespräch . Solche Räume zu schaffen, in denen wirVerschiedenheiten nicht ignorieren, sondern zum Gegen-stand des Gespräches – direkt miteinander und möglichstohne mediale Verzerrungen und Zuspitzungen – machen,darum geht es, das ist Ziel unserer Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik . Auch dafür, dass Sie auch diesedritte, immer wichtiger werdende Säule der Außenpolitikunterstützen, sage ich abschließend meinen herzlichenDank .Vielen Dank .
Vielen herzlichen Dank, Frank-Walter Steinmeier . –
Nächster Redner: Stefan Liebich für die Linke .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Steinmeier, dies ist wohl der letzte Haushalt, denSie als Außenminister hier zu vertreten haben . Wir hattenin den letzten Jahren eine ganze Menge Differenzen, hinund wieder auch Gemeinsamkeiten . Aber wenn es nachmir geht – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen –, hoffeich auch, dass es der letzte Haushalt einer Großen Koa-lition ist; denn es muss sich endlich etwas ändern hier inDeutschland .
Viele Menschen machen sich Sorgen über die Ent-wicklung in der Welt und haben wieder Angst . Ich kanndas auch sehr gut verstehen . Die Welt ist ja nicht durchirgendwelche Naturgewalten aus den Fugen geraten, son-dern sie wurde durch eine falsche Politik auch der Bun-desrepublik Deutschland aus den Fugen geworfen .
Das muss nicht so sein . Es geht anders . Es gibt Alter-nativen, und ich will hier einige beschreiben . Deutsch-land kann sofort und direkt dazu beitragen, dass wenigerMenschen getötet und in die Flucht getrieben werden .Herr Karl hat hier das Stichwort „Barmherzigkeit“ insSpiel gebracht . Niemand hat die Bundesregierung ge-zwungen, allein im ersten Halbjahr 2016 Waffenlieferun-gen im Wert von über 4 Milliarden Euro zu genehmigen .Sie, Herr Steinmeier, sind Teil des Bundessicherheitsratsund tragen dafür mit die politische Verantwortung . Daswar eine halbe Milliarde Euro mehr als im gleichen Zeit-raum des Jahres 2015 . Wo steht, dass Sie zehnmal so vielMunition für Kleinwaffen, mit denen die meisten Men-schen getötet werden, genehmigen mussten? Was mei-nen Sie, was mit dieser Munition passieren wird? Damitwerden Menschen in Kriegen weit weg von uns getötetund verletzt . Und irgendwann werden sich Mütter undVäter fragen, ob sie ihren Kindern das weiter zumutenwollen, und machen sich dann vielleicht auf den Weg ineine Gegend der Erde, die friedlicher ist, zum Beispielnach Oberndorf am Neckar, wo die Firma Heckler &Koch ihren Sitz hat .Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Sie müssen keine Panzerlieferungen nach Katar ge-nehmigen oder U-Boot-Lieferungen nach Ägypten er-lauben, mit denen Saudi-Arabien in seinem schmutzigenKrieg im Jemen unterstützt wird . Was hat das mit Barm-herzigkeit zu tun?
Dass Sie das trotzdem tun, wird hin und wieder mit Ent-scheidungen der Vorgängerregierung begründet . Aberwas nützen Wahlen – das fragt man sich dann –, wennein SPD-Minister das Gleiche tun muss wie ein FDP-Mi-nister? Das muss doch anders gehen .
Auch bei einem zweiten Thema hat die Außenpolitikder Bundesrepublik Deutschland eine Menge Fehler ge-macht . Ich war in der vergangenen Woche in Kairo . Dorthaben mir Vertreter der ägyptischen Regierung gesagt,wie konstruktiv sie mit der Bundesregierung darüberverhandeln, dass ihre nördlichen Grenzen für Flüchtlin-ge geschlossen werden . Ich bin fast im Boden versun-ken vor Scham . Wissen Sie, was derzeit in Ägypten losist? Das ägyptische Pfund ist, weil sein Wechselkursfreigegeben wurde, im Wert halbiert worden . Die Sub-ventionen für Grundnahrungsmittel und Benzin werdenabgeschafft . Und täglich kommen Tausende Flüchtlingenach Ägypten: aus Syrien, aus Libyen, aus noch ärmerenafrikanischen Ländern . Und wir verhandeln darüber, dassniemand hierher zu uns in die Europäische Union durch-gelassen wird .Wenn man früher über Grenzen, über sichere Gren-zen gesprochen hat, dann ging es um Schutz vor Fein-den . Heute geht es um Schutz vor Hilfesuchenden . Dasist eine Schande und das Gegenteil von Barmherzigkeit .
Ich habe vor wenigen Wochen in einer thüringischenFlüchtlingsunterkunft mit einer jungen Frau aus Afgha-nistan gesprochen . Sie hatte ihr wenige Monate altesKind auf dem Arm und erzählte mir, wie und warum sievor den Taliban geflohen ist. Und Sie geben Afghanistan nur Geld – Omid Nouripour wies darauf hin –, wenn dieafghanische Regierung die Flüchtlinge – traumatisierteFrauen, Kinder und alte Menschen – zurücknimmt . Fürso ein Abkommen sollte man sich schämen .
Ich werbe ja nun seit langem dafür, dass wir eine po-litische Alternative für unser Land vorstellbar machen .Natürlich sind die Hürden dafür riesig, gerade auch inder Außenpolitik . Aber gehen wir einmal davon aus, dassim kommenden Bundestag, wie in diesem, eine rot-rot-grüne Mehrheit sitzt .
Ist es dann unvorstellbar, gemeinsam anzuerkennen, dassdie Kriege im Irak, in Libyen und in Afghanistan kei-ne Beiträge zu einer sichereren Welt waren und dass esSyrien nicht geholfen hat, dass vier von fünf ständigenMitgliedern des UN-Sicherheitsrates dort versuchen, dieunterschiedlichen Konflikte militärisch zu entscheiden?Wer Außenpolitik nur auf ein Bekenntnis zu Kampf-oder Kriegseinsätzen reduzieren will, der nimmt ihr ih-ren Kern . Zu entscheiden, wie lange wie viele Soldatenin welches Land geschickt werden, wenn sowieso schonalles zu spät ist, hat doch mit Außenpolitik nichts zu tun .
Stattdessen sollte sich eine rot-rot-grüne Bundesregie-rung für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzenund nicht mit ungerechten Freihandelsabkommen denMenschen im Süden die Lebensgrundlagen rauben . Siesollte den Klimawandel als Bedrohung für den Weltfrie-den und Ursache für Flucht ernst nehmen und anpacken .Wenn wir sehen, dass die Bedarfe für Krisen- undKatastrophenhilfe steigen, dann muss man sich dochjetzt nicht beim Bundestag dafür bedanken, dass er die-sen Fehler der Bundesregierung wiedergutgemacht hat .Es ist doch ein Fehler der Bundesregierung, dass Sie zuwenig Geld eingestellt haben, und kein Anlass, dass wiruns jetzt gegenseitig bejubeln . Es war doch klar, dass dasGeld nicht reichen wird .Wir müssen uns mehr Sorgen darüber machen, die0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungs-hilfe zu erreichen, als darüber, die 2 Prozent Verteidi-gungsausgaben zu schaffen, die sich die NATO von unswünscht .
Gregor Gysi hat einmal, wie ich finde, ganz treffend gesagt: Wenn wir nicht anfangen, die Probleme der Weltzu lösen, dann kommen diese Probleme zu uns . – Ichfinde, gerade in Zeiten, in denen rechte Populisten und Demagogen diesseits und jenseits des Atlantiks auf demVormarsch sind, müssen progressive Kräfte Hoffnung,dass es auch anders geht, und nicht Angst machen .Niemand sagt, dass das leicht wird, aber ich glaubefest daran, dass eine Außenpolitik für Nachhaltigkeit, fürGerechtigkeit und für Frieden möglich ist .
Vielen Dank, Stefan Liebich . – Nächster Redner:
Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist rich-tig: Wir erleben eine Außenpolitik in Zeiten der Unge-wissheit und der Unklarheit . Dafür – das zeigt diese De-batte – brauchen wir einen klaren Kompass .Herr Kollege Liebich, es ist äußerst unredlich, dass Siehier Ihre eigenen Absichten sehr stark kaschieren . Wirhaben sehr wohl Ihren Aufsatz zur Kenntnis genommen,in dem Sie sagen, die deutsche Außenpolitik konzentrie-re sich ausschließlich auf Militäreinsätze . Sie kaschierenStefan Liebich
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eine ganz andere Absicht: Ihre Fraktionsvorsitzende hatvergangenen Sonntag im Bericht aus Berlin sehr deutlichgemacht, worum es ihr eigentlich geht . Ihr geht es, wiesie sehr klar gesagt hat, um einen Interessenausgleich mitRussland . Uns geht es um die Rückkehr des Rechts undum die Regelung der internationalen Ordnung . Wir wol-len keine Deals – schon gar nicht mit Russland .
Wir wollen die Rückkehr des Rechts . Dafür steht deut-sche Außenpolitik .
Alois Karl und andere haben heute schon Johannes zi-tiert . Mit Blick auf die Linke gehört auch Johannes 3, 21dazu:Wer . . . die Wahrheit tut, der kommt an das Licht,daß seine Werke offenbar werden . . .Zum Licht gehört eben auch, dass unsere Außenpolitikkonsequent Rechtsbrüche aufzeigt, dass unsere Außen-politik sich sehr stark dafür einsetzt, dass der Völker-rechtsbruch auf der Krim nicht ungesühnt bleibt, unddass wir uns sehr stark für die Rückkehr des Rechts ein-setzen, was auch zu einer Stärkung der internationalenOrganisationen führt .Ich möchte hier an dieser Stelle der Bundesregie-rung – insbesondere Ihnen, Herr Außenminister – fürdie OSZE-Präsidentschaft und für die Vorbereitung derG-20-Präsidentschaft danken, wo wir uns genau dafüreinsetzen bzw . einsetzen werden .
Es kommt noch etwas dazu: Wenn wir einfach einmalin das Jahr 2013 zurückschauen, dann sehen wir, dasswir uns damals auch um Sicherheit gekümmert haben,nämlich um die soziale Sicherheit . Wir haben in dieserZeit zwar wahrgenommen, was sich im Schengen-Raumabspielt, aber nach 25 Jahren deutscher Einheit haben wiruns als ein Land umgeben von Freunden und Partnerngesehen; wir haben Nabelschau betrieben .Das hat sich seit 2014 intensiv geändert . Wir ha-ben den Review-Prozess im Auswärtigen Amt mit denSchwerpunkten Krisenfrühwarnung und Krisenstabili-sierung und ferner – vernetzt mit dem Bundesministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit – die Ausrich-tung auf die strategischen Entwicklungsziele, wobei sehrklar Nachhaltigkeit, Öffnung von Märkten, Hilfe zurSelbsthilfe sowie Partnerschaften angesprochen werden .Frieden muss gesichert werden, und wirtschaftlicheEntwicklung braucht auch eine militärische Absicherung .Dazu haben wir mit dem Weißbuch ein übergreifendesDokument der Bundesregierung, das sehr klar deutschesicherheitspolitische Interessen formuliert und klar-macht, dass wir um das begrenzte Maß unserer eigenenMöglichkeiten wissen und das Beste daraus entwickeln,nämlich: unseren Partnern im Umfeld der EuropäischenUnion deutlich zu machen, dass wir Hilfe zur Selbsthil-fe leisten, dass wir gemeinsam Interessen wahrnehmenwollen und dass wir sie ermutigen wollen, Verantwor-tung selbst wahrzunehmen, wie wir das auf dem Afri-ka-Gipfel in La Valetta im letzten Jahr, aber eben auchauf dem letzten Europäischen Rat in Bratislava klarge-macht haben und wie es auch nächste Woche in Brüsselwieder deutlich gemacht werden wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung hat in diesen drei Bereichen der Außen-, der Ent-wicklungs- und der Sicherheitspolitik sehr klar in einemganzheitlichen Ansatz auch unserer Bevölkerung vorAugen geführt, dass wir es nicht auf Deals oder auf Ach-sen starker Männer ankommen lassen können . An dieserStelle will ich zwei Punkte ganz ausdrücklich erwähnen .Wir haben ganz hohe Erwartungen an die künftigeamerikanische Administration . Nach den Geschehnissenvom 11 . September stand Europa an der Seite der Ver-einigten Staaten von Amerika, wie zuvor Jahrzehnte dieUSA an der Seite Europas standen . Es darf keine Zonenunterschiedlicher Sicherheit im Nordatlantik, auf euro-päischem Boden und auf nordamerikanischem Boden,geben .
Wir müssen den USA deutlich machen, was sie davonhaben, in einer engen Kooperation, in einer Sicherheits-,Wirtschafts- und auch Kulturpartnerschaft mit Europa zustehen . Wir haben Erwartungen; die Bundeskanzlerin hatsie an Trump formuliert .Genauso klar müssen wir uns als Parlament positio-nieren – wir haben das mit der Armenien-Resolution ge-macht –, was den Umgang der Türkei mit der dortigeninnenpolitischen Situation angeht . Die Türkei steht aufder Kippe; aber sie ist geopolitisch an der Südostflanke der NATO von größter Wichtigkeit . Ich glaube, wir Eu-ropäer sollten, auch wenn wir große Schwierigkeiten mitder innenpolitischen Situation in der Türkei haben, allestun, damit die zivilgesellschaftlichen Kräfte in der Türkeigestärkt werden, sodass diejenigen, die für eine weltoffe-ne Türkei stehen, nicht das Land verlassen, sondern imeigenen Land durch unsere Besuche und unsere Ermuti-gung Unterstützung finden.In diesem Zusammenhang sollten wir auch anerken-nen, dass die Türkei 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenom-men hat . Nur rund 400 000 davon sind in Flüchtlingsla-gern; alle anderen sind in der türkischen Zivilgesellschaftuntergebracht . Das sollten wir auf der einen Seite aner-kennen und genauso auf der anderen Seite anprangern,wie mit unseren Abgeordnetenkollegen dort umgegangenwird und dass die Pressefreiheit und andere bürgerlicheFreiheiten zerstört werden . Das darf nicht die Zukunftsein .Das Europaparlament hat heute sehr klar formuliert,welche Bedeutung die Wiedereinführung der Todesstrafehaben könnte . Das wäre die Aussetzung des Beitrittspro-zesses und bedeutete meines Erachtens sowieso schondas Ende aller möglichen Visaliberalisierungen . Aber wirmüssen den Kontakt halten .Deshalb ist es mir auch so wichtig, das herauszustel-len, was gerade von sehr linker Seite angesprochen wur-de . Eine rot-rot-grüne Außenpolitik kann keine Alterna-tive sein, weil sie auf Interessenausgleich mit RusslandRoderich Kiesewetter
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setzt, weil sie akzeptieren würde, dass die Ostukraineweiterhin destabilisiert wird, weil sie akzeptieren würde,dass die Krim auf Jahrzehnte völkerrechtswidrig besetztwäre, weil sie akzeptieren würde, dass der Völkerrechts-bruch in Syrien nicht nur durch eine dauerhafte PräsenzRusslands, sondern auch durch eine Stabilisierung vonAssad zementiert würde .Auch hier gilt es herauszustellen, Herr Außenminister,was in den Verhandlungen in Genf durch deutsche Be-teiligung erreicht wurde, nämlich dass es nach Friedens-schluss einen Prozess gibt, an dem sowohl Saudi-Arabi-en als auch der Iran mitgewirkt haben und der anderthalbJahre nach Friedensschluss zu Wahlen führen kann .Auch das Nuklearabkommen mit dem Iran gilt es an-zusprechen . Aber an dieser Stelle gehört es zur Redlich-keit der deutschen Außenpolitik, klarzumachen, dass wirdurchaus merken, dass der Iran drei Dinge weiterhin ver-folgt: die Nichtanerkennung Israels, die Fortsetzung derEntwicklung ballistischer Raketentechnologie – hoch-präzise, mit extremen Reichweiten – und Auslandsak-tivitäten im nuklearen Bereich, die wir nicht gutheißenkönnen . Das bedeutet für die deutsche Außenpolitik, die-ses direkt anzusprechen und auf der anderen Seite mitzu-helfen, dass das Umfeld Israels stabilisiert wird .Hierzu ein ganz klares Wort zu nichtmilitärischerUnterstützung: THW, Entwicklungszusammenarbeit,das Deutsche Rote Kreuz und viele andere helfen, dassin den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanoneinigermaßen menschenwürdige Zustände herrschen .Wir müssen dort viel mehr investieren . Wir müssen vieldeutlicher machen, was es bedeutet, diesen Staaten zurSeite zu stehen . Gleichzeitig müssen wir auch klarma-chen: Deutsche Außenpolitik hat nichts mit Deals zu tun,sondern mit Verrechtlichung, mit vernetzter Sicherheit,mit der Art und Weise, wie wir mit unseren Partnern um-gehen, nämlich ihnen ihre Werte zu lassen .Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließendnoch ein Gedanke, der uns als Parlamentarier betrifft: Wirerleben, wie sich die Regierung durch eine deutlich stär-ker fokussierte Zusammenarbeit der Ressorts – auch dasWeißbuch zeigt das – in der Außen-, in der Sicherheits-und in der Entwicklungszusammenarbeit neu aufgestellthat . Der Bundessicherheitsrat wird den Weißbuchprozessfortsetzen, wie er auch immer organisiert sein wird . DieBundesregierung nimmt die sicherheitspolitischen He-rausforderungen an und entwickelt sie weiter .Wir selbst sind in 23 Ausschüssen organisiert . Ichglaube, wir sollten darüber nachdenken – im Jahr 2011gab es dazu Ansätze –, wie wir diese Versäulung überbrü-cken können und gerade in den Bereichen der Außen-,Entwicklungs-, Sicherheits-, Wirtschafts- und auch derInnenpolitik enger zusammenarbeiten . Ich denke, daswird eine Herausforderung sein, der wir uns in der nächs-ten Legislaturperiode stellen müssen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Roderich Kiesewetter . – Nächster Red-
ner: Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen .
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnenund Kollegen! Ich glaube, es ist relativ klar, dass wir inden nächsten Monaten und im nächsten Jahr an die deut-sche Außenpolitik einen hohen Anspruch stellen müssen .Kollege Karl, Ihre „Abschiedsrede“ mit Blick auf denBundesaußenminister in allen Ehren, aber ich muss sa-gen: Hoffentlich passiert bis dahin nichts mehr; da binich mir nämlich nicht so sicher . Ich glaube, wir werdenHerrn Steinmeier bis Februar nächsten Jahres in ver-schiedenen Konflikten brauchen. Deswegen möchte ich hier keinen Abgesang anstimmen .Es ist klar, dass Deutschland in den nächsten Mona-ten für unsere Partner in Europa der Stabilitätsanker seinwird . Da hat diese Bundesregierung eine Lernkurve vorsich . Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie die Ne-benaußenpolitik von Herrn Gabriel oder Herrn Seehoferin Moskau bei unseren Partnern angekommen ist . Jetztbesteht nach der Verunsicherung im transatlantischenVerhältnis die Chance, über neue Möglichkeiten der Zu-sammenarbeit und der Vernunft, vielleicht in Warschau,vielleicht sogar ein bisschen in Budapest, zu reden .Ich erinnere mich sehr gut daran, dass das deutsch-fran-zösische Tandem seit Jahren nicht mehr in der Lage ist,essenzielle Fortschritte zu machen, und dass man sichin ganz vielen Politikfeldern zerstritten hat, anstatt ge-meinsame Lösungen zu finden. Le Pen, Trump, das ita-lienische Referendum, Brexit: Vielleicht, wenn Le Pengewinnen und das angekündigte Frexit-Referendumwahrmachen würde, gäbe es in 2020 eine EU ohne Veto-macht im Sicherheitsrat und ohne Atomwaffen .Wir sollten uns dessen sehr bewusst sein, dassDeutschland der Stabilitätsanker in Europa sein mussund dass deswegen die deutsche Außenpolitik mit derEuropapolitik Hand in Hand gehen muss, wodurchFrankreich, die kleinen Länder im Osten, Angebote fürden Süden und eine Unterstützung für die europäischenInstitutionen wieder in das Zentrum gestellt würden . Daswäre tatsächlich eine Veränderung der Politik der Bun-desregierung von Frau Merkel und sicherlich auch derGroßen Koalition .
Das andere, das uns klar sein muss, ist, dass wir unse-re Nachbarschaft stabilisieren müssen . Das müssen wirzwar im europäischen Konzert machen, aber Deutsch-land wird dabei eine wesentliche Rolle spielen . Stabili-sieren werden wir sie sicherlich mit Werten .Ich nenne in diesem Zusammenhang die Situation inder Türkei, die in ihrem Ausgang meiner Ansicht nachoffen ist . Deswegen wäre es falsch, bei den Beitrittsver-handlungen nun den Stecker zu ziehen . Wir müssen imGespräch bleiben . Klar ist aber auch, dass wir in den Ge-sprächen unsere Werte deutlich machen müssen und derso verhängnisvolle Vorwurf von doppelten Standards dieRoderich Kiesewetter
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eigene Position und die eigene Glaubwürdigkeit unter-miniert .Wir haben die Situation auf Zypern, wo vorgestern dieVerhandlungen vorläufig abgebrochen worden sind. Ich bin sehr froh, dass sich die deutsche Bundesregierungund auch der Bundesaußenminister seit langer Zeit sehraktiv in die Zypern-Verhandlungen eingebracht haben .Wir haben die Situation auf dem westlichen Balkan .Uns ist doch klar, dass vor dem Hintergrund, dass dieamerikanische Rolle infrage steht, auch die wichtigeRolle der Amerikaner bei der Heranführung der Balkan-staaten an die Europäische Union vielleicht nicht unver-ändert bleibt und dass wir mit unseren Werten – statt mitanderen Dingen – in diese Lücke hineingehen müssen .Wir müssen die Ukraine reformieren, um sie zu sta-bilisieren, und dürfen dabei keinen Zweifel aufkommenlassen, dass die territoriale Integrität der Ukraine für unsgenauso undiskutierbar ist wie die Notwendigkeit vonReformen, um dieses Land zu verändern . Wir müssenklarmachen, dass unsere Solidarität in Zentraleuropanicht in Zweifel gezogen werden kann, weder durch Gas-pipelines noch – ich sage einmal – durch Nebenstimmender deutschen Außenpolitik, die ich gerade zitiert habe .Wir dürfen auch nicht vergessen, dass auch die Ent-wicklung in der MENA-Region sehr, sehr wichtig füruns ist . Dazu hat Herr Nouripour schon sehr deutlich ge-macht, dass es nicht allein darum geht, Abschiebeabkom-men auszuhandeln; vielmehr wird die Stabilität in dieserRegion eine der großen Herausforderungen für uns wer-den, gerade wenn die Zeiten schlechter werden sollten .
Das Ganze muss damit einhergehen, dass wir, wieHerr Steinmeier richtig gesagt hat – auch wenn vielleichtmit einer Wahl in Frankreich alles ein bisschen perdusein könnte –, die Politikfelder, in denen die EuropäischeUnion mehr liefern und vorankommen muss, vorantrei-ben müssen: die Wirtschafts- und Währungsunion, dendigitalen Binnenmarkt, die Sicherheitszusammenarbeit,das soziale Europa, die Umsetzung des Pariser Klima-abkommens, die Flucht- und Migrationspolitik und na-türlich auch den Austausch zwischen den Menschen inEuropa .Deswegen gilt es, jetzt klarzumachen: Deutschland istder Stabilitätsanker in Europa und versucht damit, Euro-pa als den Anker zu bewahren, den es jetzt gerade nachder Wahl Trumps darstellen muss . Das geht nur, wennwir zusammenhalten und Europa stärken . Das alles stehtmeiner Ansicht nach am Ende unter einem Begriff; dasist der alte Begriff Schumans: die Solidarität der Tat .Vielleicht ist das die europäische Übersetzung des Bi-belzitats, das hier die Runde gemacht hat . Wenn es daraufankommt: Liefern und nicht in irgendwelchen innenpoli-tisch orientierten Debatten verharren und auf die nächsteWahl blicken!
Das ist ein Appell an alle . Auch wir haben nächstesJahr eine Bundestagswahl . Wir können es uns nicht leis-ten, die Politikfelder der Europäischen Union nächstesJahr in irgendwelche populistischen Debatten hineinzu-ziehen .Ich möchte in diesem Zusammenhang an andere Irr-wege dieser Bundesregierung erinnern: Wenn man ange-sichts der Debatten, die wir hier führen, bedenkt, dass voranderthalb Jahren von der deutschen Bundesregierungder Vorschlag kam, Griechenland gegen seinen Willenaus dem Euro rauszuschmeißen, dann merken wir doch,welche Irrwege Ihre Regierung in den letzten Jahren hin-ter sich gebracht hat .
Ich möchte mit Blick auf die aktuelle Lage sagen: Kei-ne Griechenland-Eskapaden von CDU/CSU im nächstenJahr bis zur Bundestagswahl! Bitte, bitte nicht! DieseZeiten sind hoffentlich vorbei .
Ich komme zum Schluss . Deutschland auf Kurs hal-ten heißt: für ein starkes Europa reden und nicht einfachnachplappern: Ein halbstarkes Deutschland wäre gut . –Das sagt die AfD . Ich will das nicht aus Ihren Reihenhören . Ich möchte es auch nicht von Frau Wagenknechthören . Populismus ist keine Lösung, auch nicht im Um-gang mit Populisten .Danke .
Vielen Dank, Manuel Sarrazin . – Nächste Rednerin:
Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir leben erkennbar in einer Welt, die sich zunehmendim Umbruch befindet, und das, was viele über Jahrzehnte kennengelernt hatten – die Übersichtlichkeit einer Welt-ordnung in zwei Kraftzentren –, ist nach dem Ende desKalten Krieges einer immer komplexer werdenden bipo-laren und inzwischen multipolaren Welt gewichen .Diese Unübersichtlichkeit mündet erkennbar in im-mer zahlreichere und immer verwobenere Konfliktherde innerhalb und außerhalb Europas . Das verunsichert dieMenschen, und es destabilisiert ganze Regionen auf un-serem Erdball .Aktuell erfahren die Menschen in den wohlhabenden,stabilen Industriestaaten durch die anschwellenden welt-weiten Flucht- und Migrationsbewegungen sehr plas-tisch, wie eng Innen- und Außenpolitik im Zeitalter derGlobalisierung miteinander verwoben sind . Wir erleben,dass immer mehr Menschen in stabilere Regionen strö-men, in denen sie sich als Flüchtlinge Schutz oder alsManuel Sarrazin
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Migranten bessere wirtschaftliche Perspektiven für sichund ihre Familien erhoffen .Infolge dieser Entwicklungen müssen wir als Gesell-schaft verstärkt Antworten auf neue Herausforderungenfinden. Leicht ist das durchaus nicht. Seit Jahren zeich-nete sich ab, was zu viele erst mit den Migrationsströmender letzten Monate registrierten . Wissenschaftler wie derbritische Ökonomieforscher der Universität Oxford PaulCollier oder der deutsche BevölkerungswissenschaftlerGunnar Heinsohn haben schon lange prognostiziert undgewarnt, was uns erwarten könnte . Viel zu wenige habenhingehört . Erst als die Probleme sozusagen vor der eige-nen Haustür in Deutschland und in Europa leibhaftig inForm von Menschen und deren Schicksalen zu erlebenwaren, ist mancher aufgewacht .Das UN-Flüchtlingshilfswerk muss jedes Jahr neue,sehr traurige Rekordzahlen vermelden . Das kann nie-manden zufriedenstellen . So sind aktuell über 65 Milli-onen Menschen auf der Flucht . 65 Millionen! Zusätzlichwächst vor allem in den afrikanischen Staaten die Be-völkerung noch immer unvermindert weiter, von heute1 Milliarde Menschen auf geschätzt rund 2 Milliardenbereits im Jahr 2050 . Das dahinter zurückbleibende Wirt-schaftswachstum macht es zu einer großen Herausfor-derung, die doppelte Bevölkerung zu ernähren und denMenschen Perspektiven in ihren jeweiligen Heimatlän-dern zu ermöglichen .Die zentrale Frage, die sich aus diesen Entwicklungenableitet, lautet für uns: Welchen Beitrag kann Deutsch-land leisten, damit der Wanderungsdruck eingedämmtwerden kann? Ein Blick auf den Globus zeigt uns er-hellend deutlich, wie klein unser Land im Verhältnis zurgesamten Erde ist . Man kann erkennen, dass das Elenddieser Welt nicht in Deutschland und auch nicht in derEuropäischen Union zu lösen sein wird . Das bedeutet:Deutschland und die Europäische Union müssen ihreHilfen vor Ort, am Ursprung der Wanderungsbewegun-gen, platzieren . Dazu ist es nötig, mit den Ländern derAfrikanischen Union und der Arabischen Liga vernünfti-ge Verträge zu vereinbaren . Die Bundesregierung ist aufdem Weg dazu . Die Europäische Union versucht eben-falls einiges, damit Hilfen zur Selbsthilfe die Richtigenerreichen und Gelder nicht in die Taschen korrupter Re-gime fließen. Die Mittel müssen so eingesetzt werden, dass die Menschen in den instabilen Regionen auch indie Lage versetzt werden können, Verantwortung für sichselbst – das gehört ein Stück weit zur eigenen Würde –und für ihr Land zu übernehmen . Das bedeutet elemen-tar, dass die Regierungen der afrikanischen Staaten unddie Afrikanische Union insgesamt endlich stärker in diePflicht genommen werden müssen, um ihrer eigenen Verantwortung gerecht zu werden . Sie dürfen sich nichtdauerhaft auf die Hilfe anderer Staaten verlassen müssen .Zurzeit bleibt ihnen nichts anderes übrig .Jeder Euro, der dort vor Ort angelegt wird, erreichtein Vielfaches mehr an Menschen als unsere innerdeut-sche Migrationshilfe, die wir hier im Land leisten . DerBundesrechnungshof hat die finanziellen Risiken der Bewältigung der Flüchtlingskrise hier in Deutschland fürden Bundeshaushalt als nur schwer kalkulierbar bewer-tet . Die Bundesregierung geht bis 2020 von Integrations-kosten in Höhe von 80 Milliarden Euro aus . Sehr vielehalten diesen Ansatz jedoch für zu niedrig . Der weltweiteBedarf an humanitärer Hilfe liegt in diesem Jahr laut UNbei 20,3 Milliarden Dollar . Was bedeutet das? Das be-deutet, dass wir mit der gleichen Summe, die wir derzeitim Inneren aufwenden, um 1,5 Millionen Zuwanderer inDeutschland zu versorgen, den weltweiten humanitärenBedarf von 125 Millionen Menschen komplett abdeckenkönnten .Wenn man diese Zahlen miteinander vergleicht, wirdklar, dass die Strategien zur Hilfeleistung verändertwerden müssen . Deshalb ist es richtig, dass der Haus-haltsausschuss – ich bedanke mich ausdrücklich bei denHaushaltskollegen – in der NachtbereinigungssitzungGeld draufgelegt hat, sowohl für das Auswärtige Amtals auch für das BMZ, und die Haushaltsmittel für daskommende Jahr um jeweils mehr als 500 Millionen Euroaufgestockt hat . Was uns als Fachausschuss nicht gelun-gen ist, ist dem Haushaltsausschuss gelungen . Danke denHaushältern; sie haben uns unterstützt .
Damit werden wir im kommenden Jahr 1,3 MilliardenEuro allein für humanitäre Hilfe in Krisengebieten aus-geben können, um vor allem auch die Folgen der Kämp-fe in Syrien und dem Irak abzumildern . Somit wirdDeutschland seiner humanitären Verantwortung bessergerecht werden, als wenn wir weitere HunderttausendeMigranten hier im Lande aufnehmen, die es schwer ha-ben, überhaupt Wurzeln schlagen zu können .Danke schön .
Vielen Dank, Erika Steinbach . – Nächster Redner:
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die gute Zahl von 1,206 Milliarden Euro ist schon mehr-fach genannt worden . Das ist – ich glaube, das muss mansich einmal klarmachen – mehr als eine Verdreifachungder Mittel für die humanitäre Hilfe in dieser Legisla-turperiode . Damit sind wir in Sachen humanitäre Hilfemittlerweile weltweit auf Platz 3 der Geberländer; dasist vielfach gewürdigt worden . Das ist dadurch möglichgeworden, dass alle Fraktionen – ich empfinde das nicht als Schande; das ist etwas, wofür man sich durchaus lo-ben kann – dahinterstanden und Druck gemacht haben .Es gab unterschiedlichste Akteure, und am Ende ist esgelungen . Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis dieserHaushaltsberatungen .Bei allem berechtigten Eigenlob muss man aber auchdie andere Zahl nennen, und das ist in der Tat, wie ichfinde, eine unvorstellbare Schande. Wir haben bei der hu-manitären Hilfe weltweit einen Bedarf von 20 MilliardenUS-Dollar im Jahr . Davon haben wir dieses Jahr – StandMitte November – aber nur knapp 50 Prozent gedeckt .Erika Steinbach
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Das heißt, es fehlen 10 Milliarden US-Dollar . Wenn mansieht, dass allein Herr Zuckerberg ein Vermögen vonüber 30 Milliarden US-Dollar hat, dann wird klar, dassein Drittel dieses Vermögens ausreichen würde, um denMenschen auf der Welt, die von Krieg betroffen sind undflüchten müssen, zu helfen. Dass uns das auf der Welt nicht gelingt, finde ich wirklich beschämend.Was darüber hinaus eine Schande ist, ist, dass wirimmer mehr Kriegsverbrechen erleben . Die Bombar-dierungen von humanitären Einrichtungen sind Kriegs-verbrechen . Jetzt können wir über die ganze Welt redenund benennen, wer alles für was verantwortlich ist . Das,was in Aleppo passiert, wird durch Assad verursacht,und Russland assistiert dabei. Ich finde, man muss das klar benennen: Das ist ein Kriegsverbrechen, und es istschlimm, dass wir so weit auf der Welt gekommen sind . –Auch die Kanzlerin hat das heute Morgen benannt . Des-wegen will ich an dieser Stelle den Koalitionspartnerbitten: Wir haben einen Antrag in der Pipeline, der schonfertig ist. Ich finde, es stünde diesem Hohen Hause gut an, sich über alle Fraktionen hinweg klar zu positionierenund solche Kriegsverbrechen zu verurteilen .
Außenpolitik – der Kollege Liebich hat eben daraufhingewiesen – ist mehr als das Ja oder Nein zu Auslands-einsätzen . Außenpolitik ist mittlerweile Weltinnenpoli-tik . Wenn wir verstehen, dass Wanderungsbewegungendie andere Seite von Globalisierung sind, dann wissenwir auch, dass es um eine andere Form von Handelspoli-tik geht, um eine andere Form von Zusammenarbeit, dienicht mehr so funktionieren kann, dass wir Almosen oderBrosamen geben . Vielmehr müssen wir die Welt gerech-ter organisieren, sodass andere Menschen, zum Beispielin Afrika, an dem Reichtum der Welt teilhaben können .Deutschland muss sich dazu verpflichten. Wir müs-sen aber auch deutsche und europäische Unternehmendazu verpflichten. Die deutsche Bundesregierung wird in Kürze einen nationalen Aktionsplan „Wirtschaft undMenschenrechte“ vorlegen . Ich will hier meiner Hoff-nung Ausdruck geben, dass das ein konsensualer Plander Bundesregierung ist und dass die Bedenken, die esim Finanzministerium noch gegeben hat, beseitigt wer-den können .Es ist vielfach deutlich gemacht worden, dass geradein der schwierigen Zeit, in der wir leben, unsere Wer-te Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtediejenigen Werte sind, die wir hochhalten müssen . Des-wegen ist es hoch problematisch, dass die Hälfte der Staa-ten auf der Welt mittlerweile eine Gesetzgebung hat, diees ermöglicht, die Zivilgesellschaft zu drangsalieren –bekannt durch den Begriff „shrinking space“ . Man kannfast den Eindruck haben, dass es eine weltweit agierendeSchule gäbe, in der Länder unterschiedlichster religiöserund ideologischer Ausrichtung voneinander lernen, wieman die Zivilgesellschaft drangsaliert . Dagegen vorzu-gehen, ist eine riesige Aufgabe für die EU, aber auch fürden Europarat . Ich bin skeptisch, ob es am Ende Sankti-onsregime sind, mit denen man dem begegnen kann . Ichbin aber dafür, dass eine klare Sprache gesprochen wirdund dass es keine Bonuspunkte gibt und jemand nichtmehr geschont wird, wenn er einer bestimmten Partei-enfamilie angehört. Deswegen, finde ich, muss man sich klar zu dem positionieren, was Herr Orban in Ungarnmacht, aber auch zu dem, was Herr Fico so veranstal-tet . Da sind alle Parteienfamilien, die hier im DeutschenBundestag vertreten sind, entsprechend gefordert .
Ich will zum Schluss die Gelegenheit nutzen, fürdas parlamentarische Programm „Parlamentarier schüt-zen Parlamentarier“ zu werben . Es ist seit 13 Jahren imDeutschen Bundestag in Kraft . Viele Kolleginnen undKollegen beteiligen sich daran . Wir haben es zuletzt be-sonders wegen des Umgangs in der Türkei in Anspruchgenommen, weil das einfach geboten ist . Was soll mananderes machen? Wenn es dieses Programm gibt, schreitdie Lage der Türkei geradezu danach, sich ihr mit die-sem Programm zu widmen . Es gibt eine Reihe von Kol-leginnen und Kollegen – mittlerweile 70 bis 80 –, diebei diesem Programm mitmachen . Ich habe mit HerrnBrand, dem Vorsitzenden des Menschenrechtsausschus-ses, vereinbart, dass wir nächste Woche eine Informati-onsveranstaltung durchführen, damit man weiß, was manganz konkret tun kann . Ich will noch einmal herzlich da-für werben, sich an diesem Programm zu beteiligen . Wirkönnen für Personen auch doppelt und dreifach Paten-schaften vergeben; das ist möglich . Es ist eine besonderehistorische Situation, in der auch wir als Bundestag mitdiesem Programm gefordert sind .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frank Schwabe . – Ich danke, dass Sie
auf dieses Programm hingewiesen haben . Wir haben es
auf internationaler Ebene bei der Interparlamentarischen
Union vorgestellt . Ein solches Programm gibt es sonst
nirgends auf der Welt . Kollegen aus anderen Parlamenten
haben sich sehr interessiert gezeigt, es auf ihre Parlamen-
te zu übertragen .
Dazu passt der nächste Redner . Das Wort hat Dr . Bernd
Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wer schon einmal vom Paul-Löbe-Haus zumHauptbahnhof gegangen ist, der kennt vielleicht den klei-nen Trampelpfad zur Fußgängerbrücke über die Spree .Mit der Zeit haben die Berliner und Gäste dieser Stadteine Schneise in die Grünfläche getreten, um den etwas längeren gepflasterten Weg zur Brücke abzukürzen. Vor kurzem hatte irgendein mutiger Mitarbeiter des Ber-liner Grünflächenamtes ein Einsehen: Der Trampelpfad ist verbreitert und mit Begrenzungen und Schotterbelagversehen worden . – In vielerlei Hinsicht sind dieses freieFinden von Wegen und die helfende Hand der Politik,Frank Schwabe
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wenn es darum geht, aus sich bildenden Trampelpfadengepflegte Trottoirs zu schaffen, sinnbildlich für die Her-angehensweise im Großen, auch in der Auswärtigen Kul-tur- und Bildungspolitik, die ich nach dem bisher schonGesagten im Besonderen hervorheben möchte .Viele Initiativen, die im Bereich der AKBP gefördertwerden, hatten ihren Ursprung in der Zivilgesellschaft,in den vielfältigen Künstlerszenen und Vereinen, oderentstanden aus dem Wunsch der Menschen heraus, überGrenzen hinweg einen Zugang zueinander zu finden. Oft sind Mut und Entschlossenheit erforderlich . Im kreativenwie gleichsam sensiblen Bereich der AKBP kann es fürdie Politik auch ratsam sein, gelegentlich Zurückhaltungzu üben, Kultur einfach um der Kultur willen zu fördernund den vorher beispielhaft genannten Trampelpfad ei-nen Trampelpfad sein zu lassen . Die AKBP ist kein In-strument der starren Richtlinien und Vorgaben, sondernlebt von der Kreativität ihrer Akteure .Im Haushalt 2017 wird uns für diesen Politikbereichallein im Kapitel zur Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland die Rekordsumme von 923 Millionen Euro zurVerfügung stehen .
Mein ganz herzlicher Dank geht an Alois Karl als zu-ständigen Berichterstatter der Unionsfraktion im Haus-haltsausschuss, an seine Kolleginnen und Kollegen deranderen Fraktionen, an Außenminister Steinmeier, anStaatsministerin Böhmer sowie an die zuständigen Mit-arbeiter im Auswärtigen Amt . Ich danke insbesondereauch den Mitgliedern des Unterausschusses AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik für die gute Zusammenarbeitund den gemeinsamen Einsatz für unsere Anliegen – einEinsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, der sich wirk-lich gelohnt hat .Die zusätzlichen 552 Millionen Euro für humanitäreHilfe und Krisenprävention sind von meinen Vorrednernbereits genannt worden . In Übereinstimmung mit dendamit verbundenen Zielen hat der Unterausschuss fürAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik einen Aufwuchsim Titel der Regionalen Programmarbeit mit einem Fo-kus auf Krisenregionen eingebracht . Ein Plus von rund7 Millionen Euro kommt diesem Bereich zugute .Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung erhält für dieAusweitung der 2015 gestarteten Philipp-Schwartz-Ini-tiative eine Erhöhung ihrer Fördermittel um 15 Millio-nen Euro . Das Programm, das Sie, Herr Kollege Karl,zu Recht bereits angesprochen haben, ermöglicht Hoch-schulen in Deutschland die Aufnahme verfolgter Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler – eine sehr wichtigeInitiative .Wir stärken das deutsche Auslandsschulwesen . Zu-sätzlich 5 Millionen Euro sind für den Ausbau derPASCH-Initiative vorgesehen . Mehr Schulen mit einemSchwerpunkt auf der Vermittlung der deutschen Spra-che in der weiten Welt bedeuten eine größere Zahl vonBildungsbiografien mit Deutschlandbezug als Ausgangs-punkt grenzüberschreitender Vernetzung . Ein weiteresPlus von 250 000 Euro und damit eine Erhöhung auf ins-gesamt 1,25 Millionen Euro stärkt etwa das Programmzur Förderung des deutschsprachigen Schulwesens inRumänien .1,2 Millionen Euro zusätzlich kommen dem Kulturer-halt zugute . Die Zerstörung antiker Stätten und andererKulturgüter im Zuge von Konflikten hat ein erschre-ckendes Ausmaß angenommen . Mit diesen Mitteln kön-nen unter anderem das Engagement von Staatministe-rin Böhmer als Beauftragte des Auswärtigen Amtes für UNESCO-Welterbefragen und die Arbeit des DeutschenArchäologischen Instituts gestärkt werden .Um bei meinem eingangs verwendeten Bild des Fin-dens von Wegen zu bleiben: Es ist auch Aufgabe derAKBP, Brücken zu bauen . Ich freue mich sehr, dass imEinzelplan 05 zusätzliche 8 Millionen Euro für neue Goethe-Zentren in Armenien und Aserbaidschan zur Ver-fügung stehen . Die in beiden Ländern große Nachfragean Deutschkursen ist hervorragend . Ich freue mich, dasswir darauf eine gute Antwort finden konnten. Kulturelle Angebote in diesen Ländern sind sicher ein guter Beitragfür eine Annäherung und Verständigung . Immer wiederflammt der Konflikt zwischen beiden Ländern auf. Das ist sicher auch fehlenden Zugängen von Gesellschaftzu Gesellschaft geschuldet . Ich wäre froh, wenn durchdas Wirken der Goethe-Institute in diesen Ländern Ver-ständnis gebildet und gefördert würde . Die Wirkung derAKBP als konflikt- und krisenpräventives Politikmittel macht einen beherzten Einsatz in Zeiten der Unsicherheitganz besonders wichtig .Meine Damen und Herren, es wäre eigentlich die Zeitder AKBP in der Türkei! Leider stehen hinter vielen Pro-jekten dort nunmehr Fragezeichen . Ein solches Frage-zeichen steht hinter der Türkisch-Deutschen Universitätin Istanbul . Sie ist das Leuchtturmprojekt der Wissen-schaftskooperation unter Federführung des DAAD . An-fang November wurden sechs Mitglieder des Lehrper-sonals Ziel der Entlassungs- und Verhaftungswellen dertürkischen Regierung .Während die türkische Künstler- und Kulturszene sichmehr und mehr in ihrer Existenz bedroht fühlen muss,läuft unser Stipendienprogramm in der Künstleraka-demie Tarabya zum Glück weiter . „Wie lange noch?“,könnte man sich sorgenvoll fragen . Im Oktober kündigtedie Türkei das EU-Kulturprogramm „Kreatives Europa“einseitig auf . Es wird nicht einfach sein, jeden Zentime-ter Freiraum, der durch die deutsche AKBP in der Türkeiermöglicht wird, zu verteidigen . Im Interesse einer frei-en Künstler- und Kulturszene sollten wir allerdings jedeMühe auf uns nehmen .Meine Damen und Herren, die AKBP findet nicht nur Wege, baut nicht nur Brücken, sondern auch Häuser . Ichbin sehr froh, dass es noch kurz vor Abschluss der Haus-haltsverhandlungen gelungen ist, die notwendigen Mittelfür die Renovierung und Modernisierung des Hauses inder Fifth Avenue in New York und der kürzlich erworbe-nen Thomas-Mann-Villa in Los Angeles bereitzustellen .Gerade über das New Yorker Projekt, das nun schon vieleJahre geplant, mit wechselnden Konzepten ausgestattetund dann doch immer wieder verschoben wurde, freueich mich ganz besonders . Es kommt mir fast wie Bestim-mung vor, dass der Haushaltsausschuss diesem ProjektDr. Bernd Fabritius
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ausgerechnet zwei Tage nach einer US-Präsidentschafts-wahl zugestimmt hat, die zumindest einige Fragezeichenhinter die Zukunft und Ausrichtung der deutsch-ameri-kanischen Beziehungen setzt . In dem zukünftig GermanAcademy genannten Haus werden Ausstellungs- undVeranstaltungsflächen für Beiträge aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Politik undGesellschaft geschaffen . Auch Künstlerresidenzen wer-den ein möglichst vielfältiges Angebot ergänzen . DieGerman Academy in New York wie auch das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles sollen dem Zweck dienen,Vertrauen zwischen Deutschland und den USA zu för-dern und das gegenseitige Verständnis zu stärken – gera-de dieser Tage ganz besonders wichtige Aufgaben .Meine Damen und Herren, die AKBP findet Wege, öffnet Türen und ermöglicht Zugänge zueinander, bautBrücken und schafft in ihren Häusern, Akademien, Schu-len, Universitäten und Instituten, Schutz- und Freiräume .Der Haushalt 2017 bietet dafür bessere Voraussetzungenals je zuvor .Danke .
Vielen Dank, Bernd Fabritius . – Der letzte Red-
ner in der Debatte ist Karl-Heinz Wange für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, dass ichauch die Besucher und Besucherinnen auf den Tribünenbegrüße, vor allen Dingen eine kleine Gruppe aus Pader-born, die heute bei meiner ersten Rede dabei sein möchte .
Momentan befinden wir uns in politisch schwierigen Zeiten . Zum einen werden rechte politische Ideologien inder westlichen Welt stärker . Der amerikanische Wahlaus-gang mit dem überraschenden Sieg von Trump hat unsgezeigt, dass populistische Strömungen von einer breitenMasse der Bevölkerung gehört werden . Zum anderen er-reichen uns täglich neue Schreckensmeldungen aus denKrisengebieten des Nahen Ostens, aus Afrika und derSubsahara . Menschen auf der Flucht vor Krieg und Elend,aufgebrochen in der Hoffnung auf ein sicheres Leben inEuropa, ertrinken auf der Überfahrt im Mittelmeer, vongeldgierigen Schleppern in den sicheren Tod geschickt .Die Zivilbevölkerung in Aleppo – das haben wir heuteschon des Öfteren gehört –, pausenlos von syrischen Re-gierungstruppen und ihren russischen Helfern bombar-diert, erleidet Unvorstellbares . Die Menschen dort sindabgeschnitten von der Außenwelt und verhungern unterden Augen der scheinbar machtlosen Welt . – Ich weiß,ich sage Ihnen mit diesen kurzen Beschreibungen desElends und der Not nichts Neues . Aber wir müssen unsdie Ursachen für die Flucht und das Elend von MillionenMenschen eben immer wieder in Erinnerung rufen . Wirmüssen und wollen helfen .
Bei allen Herausforderungen und Krisen dürfen wiraber unsere eigenen Werte und Prinzipien nicht verges-sen; denn nur als geeintes und dadurch auch im Handelneiniges Europa sind wir stark genug, Hilfe leisten zukönnen . So ist es unerlässlich, die Beziehung zu unserenengsten Verbündeten zu stärken . Genauso wichtig ist esaber, in Krisengebieten durch weitsichtige Diplomatieund durch Unterstützung diverser Hilfsorganisationendie Lage für die Bevölkerung zu verbessern und auf einenwie auch immer gearteten und noch immer nicht wirklichgreifbaren Frieden hinzuarbeiten; denn nur als allerletzteOption dürfen wir Europäer uns tiefer in einen militäri-schen Konflikt hineinziehen lassen. Gemeinsam mit der Europäischen Union ist es deshalb nötiger denn je, einenumfassenden Plan weiterzuentwickeln, um möglichst ef-fektiv unsere Hilfen in Krisengebieten zu platzieren .Seit 2015 kamen fast 1,5 Millionen Flüchtlinge al-lein nach Deutschland; die Anzahl der ankommendenSchutzsuchenden in diesem Jahr konnte durch gezielteMaßnahmen verringert werden . Ein Beispiel dafür istdas Abkommen der EU mit der Türkei . Dieses Abkom-men ist wichtig . Jedoch sind wir in politisch instabilenZeiten in der Türkei mit ihrem Präsidenten Erdogan undangesichts der Unsicherheit über das Weiterbestehen desabgeschlossenen Abkommens gleichzeitig dazu aufge-fordert, zukünftig die Rücknahmeabkommen mit dennordafrikanischen Staaten und im Speziellen auch – wirhaben es vorhin schon gehört – mit Ägypten zu forcieren .Die Europäische Kommission arbeitet genau an diesenAbkommen; denn dies führt dazu, dass Menschleben ge-rettet werden können, wenngleich es die Fluchtursachenselbst nicht ansatzweise berührt .Wir dürfen uns nicht nur auf diplomatische Kunst ver-lassen . Vielmehr müssen wir dort, wo noch oder schonwieder Frieden herrscht, Aufbauhilfe durch Investitionenvor Ort leisten . Eine Möglichkeit der nachhaltigen In-vestitionen ist die Gründung von Wissenschaftspartner-schaften in Transformationsländern wie beispielsweisein Nordafrika und dem Nahen Osten . Dadurch eröffnenwir den Menschen in ihren Heimatregionen oder zumin-dest heimatnah endlich Hoffnung und fördern gezielt denAufbau von wirtschaftlichen Strukturen im Sinne der so-zialen Marktwirtschaft . Stabilität in Krisenregionen kön-nen wir nicht alleine schaffen .
Nur ein geeintes, starkes Europa ist dazu in der Lage .Ein weiteres Beispiel für den gezielten Einsatz vonInvestitionsmitteln ist der momentan diskutierte Eu-ropäische Fonds für nachhaltige Entwicklung . Der Eu-ropäische Rat beabsichtigt, mit diesem Fonds Anreizefür private Investitionen in Afrika und in der südlichensowie östlichen Nachbarschaft zu schaffen . Ein wichti-ges Signal werden wir durch unsere Präsidentschaft imRahmen der G-20-Mitgliedschaft ab Juli 2017 setzen .Im Fokus stehen nämlich die Afrika-Initiativen und dieDr. Bernd Fabritius
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damit verbundenen Verbesserungen der Bedingungen fürInvestitionen in Afrika .Auch für den Schutz der europäischen Außengren-zen – hier nenne ich das Stichwort „Frontex“ – wird imkommenden Jahr deutlich mehr Geld zur Verfügung ste-hen . Eine Ende letzter Woche in Brüssel getroffene Eini-gung zum EU-Gemeinschaftshaushalt für 2017 sieht vor,die Mittel für den Budgetbereich Sicherheit um 25 Pro-zent auf 3,8 Milliarden Euro zu erhöhen .Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .Bei all den Krisen und Herausforderungen, die uns diekommende Zeit bringen wird, dürfen wir nicht verges-sen, dass Herausforderungen auch immer Chancen sind .Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass wir in all den po-litisch turbulenten Zeiten die Chancen genutzt haben undgestärkt daraus hervorgegangen sind . In diesem Sinne istes wichtig, dass wir unseren Blick auf unsere europäi-schen Stärken legen . Das ist das Streben nach Frieden,Freiheit und Zusammengehörigkeit .Lassen Sie mich noch Ihnen, Herr Dr . Steinmeier, aufIhrem Weg aus dem alten Amt in das neue Amt alles Gutewünschen .Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen herzlichen Dank, Karl-Heinz Wange . Wir alle
gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede .
Dass es Ihre erste Rede war, zeigt sich schon daran, dass
Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft haben . Ich befürch-
te, dass sich das ändern wird .
Ein Hinweis: Dem von Ihnen angesprochenen neuen
Amt von Herrn Steinmeier geht noch eine Wahl voraus .
Der Weg wird also noch ein bisschen dauern . – Vielen
Dank und viel Erfolg hier im Deutschen Bundestag!
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung .
Wer stimmt für den Einzelplan 05? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Niemand . Der Einzelplan 05
ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU und
die SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
Drucksachen 18/9813, 18/9824
Die Berichterstatter und Berichterstatterinnen sind
Bartholomäus Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael Leutert
und Dr . Tobias Lindner .
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke einen
Entschließungsantrag eingebracht, über den wir, wie in
den anderen Fällen auch, am Freitag nach der Schlussab-
stimmung abstimmen werden .
Nach interfraktioneller Vereinbarung sind auch für die
Aussprache zu diesem Haushaltsplan 96 Minuten vorge-
sehen . – Sie sind einverstanden .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat ein weiteres
Mal Michael Leutert für die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Frau Ministerin, ich gehe fest davon aus,dass dies der letzte Haushalt ist, den Sie als Verteidi-gungsministerin zu verantworten haben . Ich muss sagen:Damit setzen Sie sich kein Denkmal . Sie kapitulieren vorIhren eigenen Ansprüchen und sind damit auch geschei-tert . Sie sind angetreten, den Rüstungsbereich aufzuräu-men . Sie wollten die Kosten unter Kontrolle bringen . Siewollten mehr Transparenz bei den Beschaffungsvorgän-gen . Sie wollten mehr Parlamentsbeteiligung durchset-zen .
Nichts davon hat geklappt .
Fest steht: Nicht nur die Kosten bei Großbeschaffungs-projekten wurden nicht unter Kontrolle gebracht; derganze Etat ist außer Kontrolle geraten . Bis zum Jahr 2030wollen Sie 130 Milliarden Euro mehr investieren . Alleinim nächsten Jahr soll es eine Steigerung in Höhe von2,3 Milliarden Euro geben, die größte Steigerung, die esin den letzten Jahren gegeben hat .
Ich nenne nur zwei Großprojekte, die unter der Ägideder Ministerin auf den Weg gebracht worden sind . Daserste Projekt ist die Beschaffung neuer Drohnen . Hier hatnicht einmal die Ausschreibung funktioniert . Der Mitbe-werber General Atomics klagt . Deshalb liegt das Projektauf Eis .
Das zweite Projekt sind die fünf neuen Korvetten . Wiesieht es hier mit der Transparenz aus?
– TanDEM-X kommt noch .
Wir bekommen von Ihnen regelmäßig Rüstungsbe-richte mit Bedarfsplänen . Im März wurde uns gesagt, diefünf Korvetten der Marine seien ausreichend . MehrereMonate später war das alles null und nichtig, weil in ei-ner Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossen wurde, die An-zahl der Korvetten zu verdoppeln und fünf neue zu be-stellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat nichtsKarl-Heinz Wange
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mit Transparenz und Parlamentsbeteiligung zu tun . Dasist das Gegenteil .
Sie sind angetreten und haben gesagt, Sie würden ander Struktur der Bundeswehr nichts verändern . Die Neu-ausrichtung der Bundeswehr war die größte Reform, diedie Bundeswehr erlebt hat; dort sind Obergrenzen festge-legt, zum Beispiel beim Personal . Sie haben gesagt, Siehielten daran fest, und haben trotzdem Reformen durch-geführt; Sie nennen es nur einfach anders . Sie nennen esTrendwende: Trendwende Personal, Trendwende Mate-rial usw . usf . Zu guter Letzt wird mit diesem Haushaltbeschlossen, eine neue Teilstreitkraft einzurichten, undzwar die Teilstreitkraft Cyberabwehr,
um Angriffe über das Netz abwehren zu können . Das istzweifellos eine wichtige Aufgabe; das wird niemand be-streiten . Aber auch da frage ich mich, wie es mit der Par-lamentsbeteiligung und der Transparenz aussieht .Fakt ist, dass diese Maßnahmen in ein allgemeinesKonzept der Bundesregierung unter Federführung desBMI eingebunden werden sollen . Dieses Konzept liegtuns aber noch nicht vor . Weil es das Konzept noch nichtgibt, ist auch völlig unklar: Wer übernimmt welche Auf-gaben? Wie ist die Kompetenzverteilung? Was folgt da-raus für eine Struktur? Und damit einhergehend: Wiehoch sind die Gesamtkosten, um dieses Konzept umzu-setzen? – Da das nicht vorliegt, können wir bestimmteDinge, die die Bundeswehr betreffen und die uns allesehr viel angehen, nicht beurteilen, beispielsweise dieFrage: Wie wird zwischen Auslandseinsatz und Nicht-einsatz im Inneren bei Cyberabwehr unterschieden? Wieist die Parlamentsbeteiligung bei Mandatierung dieserTruppen? – Das alles ist nicht geklärt . Trotzdem wer-den Planstellen ausgebracht, wird Geld eingestellt, wirdeine neue Teilstreitkraft aufgebaut . Das, liebe Ministerin,liebe Kolleginnen und Kollegen, hat nichts mit Transpa-renz, Planungssicherheit und Kostenkontrolle zu tun .
Wie sieht es bei den Auslandseinsätzen aus? Einmalabgesehen davon, dass wir Linken prinzipiell gegenKampfeinsätze sind: Wenn die Mehrheit des Hauses Sol-datinnen und Soldaten ins Ausland schickt, dann sollteman doch wenigstens davon ausgehen, dass es dafür einemoralisch glaubwürdige Grundlage gibt . Was ich damitmeine, möchte ich gerne jetzt zitieren:
Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen …, mit al-len Völkern und Regierungen in Frieden zu leben .Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsa-me Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die aufden Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit derPerson und der Herrschaft des Rechts beruhen, zugewährleisten .Dass das hier ein Linker zitieren muss! Es ist die Präam-bel des NATO-Vertrages .Ich frage Sie jetzt: Wenn das gilt, warum sind dannBundeswehrsoldatinnen und -soldaten in der Türkei sta-tioniert? Wenn das gilt, warum soll dann mit 58 Millio-nen Euro der Bundeswehrstützpunkt in der Türkei ausge-baut werden? Was hat die Politik der Türkei derzeit mitdiesen Werten, mit Frieden, Freiheit, Demokratie undHerrschaft des Rechts, zu tun? Nichts .
Diese Politik ist unglaubwürdig, und deshalb wendensich viele Menschen von den etablierten Parteien ab .Glaubwürdig wäre es, die Soldaten abzuziehen, denStützpunkt nicht auszubauen
und der Türkei deutlich zu machen, dass ihre Politiknichts mit diesen Werten zu tun hat und deshalb auf die-sem Gebiet auch keine Kooperation stattfinden kann.
Unterm Strich bleibt festzustellen: Sie haben Ihre Zie-le im Kern nicht erreicht . Das Verteidigungsministeriumhat zu viel Geld – Geld, das wir an anderer Stelle drin-gend benötigen . Hätten wir nämlich zum Beispiel mehrGeld für die Fluchtursachenbekämpfung oder hätten wirmehr Geld für Stabilisierungsmaßnahmen, zum Beispielin Tunesien, oder hätten wir mehr Geld für Konfliktma-nagement, zum Beispiel im Südsudan, könnten wir damitviel sinnvoller und nachhaltiger für Sicherheit sorgen .
Vielen Dank, Michael Leutert . – Nächster Redner:
Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich gehöre dem Bundestag ja schoneine Weile an, habe Zeiten erlebt, insbesondere nach demFall des Eisernen Vorhangs, nach dem Fall der Mauer, indenen in Europa ein Gefühl aufkam, Verteidigung wärenicht mehr so wichtig . Es gab selbst in bürgerlichen Krei-sen viele Leute, die meinten, auf die Bundeswehr könneman verzichten
und Verteidigungsausgaben wären hinausgeschmissenesGeld . – Nur langsam! – Wenn Sie heute in die Bevölke-rung hineinhören, dann hören Sie, dass sich die Bürgersehr bewusst darüber sind, dass wir eine gute Verteidi-gungspolitik machen müssen und dass unsere Bundes-wehr gut ausgestattet sein muss . Die Wichtigkeit und Be-Michael Leutert
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deutung der Bundeswehr ist heute dem allergrößten Teilder Bevölkerung sehr bewusst; sie ist ihnen sehr wichtig .
Die Menschen wissen und spüren, dass sich die Weltdramatisch verändert und dass die Bedrohungen drama-tisch zugenommen haben . Zugleich erkennen sie, dassdie Bedrohungslagen viel komplexer geworden sind . Wirmüssen auch sehen, dass wir uns nicht mehr nur auf un-sere Partner verlassen können, vielleicht in Zukunft nochweniger als bisher – da müssen wir auch erst sehen, wiesich die Politik so mancher Administration entwickelt .Wir tragen Verantwortung für Frieden, für Freiheit,für Menschlichkeit, sowohl für die Menschen in unseremLand als auch in der Welt . Der Krisenbogen spannt sichmittlerweile von der östlichen Ukraine über Afghanistanbis weit in den arabischen und nordafrikanischen Raum .Wir glaubten in der Vergangenheit, dass wir zumindestnicht mehr von symmetrischen Bedrohungslagen ausge-hen müssten . Heute müssen wir erkennen: Auch dieserBereich muss wieder in die Überlegungen einbezogenwerden . Hinzu kommen natürlich die sogenannten asym-metrischen Bedrohungen durch den Terrorismus, die unsvor neue, wesentlich größere Herausforderungen stellen .Das Thema der Angriffe aus dem Cyberraum ist vorhinbereits angesprochen worden . Auf all diese Fragen undin all diesen Situationen müssen wir entsprechende Ant-worten geben .Der Haushalt für das Jahr 2017, den wir heute beraten,gibt Antworten auf die neuen Herausforderungen . Mit37 Milliarden Euro ist er der größte Verteidigungshaus-halt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland .Wir haben Schwerpunkte gesetzt, die uns sehr wichtigsind: im Bereich Materialerhalt, im Bereich Forschungund Entwicklung, aber auch, was die Einrichtung neuerStudiengänge in Hamburg und in München betrifft, ins-besondere für den Bereich Cybersicherheit . Wir habenauch beim Personal eine Trendwende eingeleitet . Wir ha-ben die Stellen für Reservistendienstleistende von 2 500auf 3 000 erhöht . Wir treffen Vorsorge im Bereich Cy-bersicherheit, im Bereich Aufklärung, in den BereichenLuftraumüberwachung und Luftverteidigung und vielesandere mehr .Aber wir haben auch Vorsorge getroffen, um die Auf-gaben, die innerhalb der NATO vereinbart und uns zuge-wiesen sind, zu erfüllen; ich denke an Lufttransport undauch an Einsatzfelder zur See . Weil es Kollege Leuterteben angesprochen hat: Mit dem zusätzlich von uns be-schlossenen und mit Verpflichtungsermächtigungen aus-gestatteten Ansatz sollen fünf neue Korvetten beschafftwerden . Diese werden wir nicht etwa zur Bekämpfungvon „Seeungeheuern“ verwenden, wie Sie es, lieber Kol-lege Dr . Lindner,
in einer Ihrer Anfragen bezeichnet haben . Vielmehr ver-wenden wir sie, um die Anforderungen, die sich aus un-seren Aufgaben ergeben, erfüllen zu können . Wenn es füreine solche Maßnahme sowohl vonseiten der NATO alsauch vonseiten des Ministeriums, des Parlaments, desVerteidigungsausschusses und des Haushaltsausschus-ses, Impulse gibt und man sich auf ein entsprechendesVorgehen verständigt, dann sollten wir als Parlamentari-er selbstbewusst genug sein und sagen: Das ist eine ausunserer Sicht richtige und notwendige Entscheidung . Ichbedanke mich dafür bei den zuständigen Kollegen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willein kleines Thema, aber für die Betroffenen sehr bedeu-tendes, noch ansprechen . Ich möchte die Stiftung fürunverschuldet in Not geratene Soldaten ansprechen –Hintergrund waren die Radargeschädigten –, die wireingerichtet haben . Wenn es auch kleine Beiträge sind:Für die Betroffenen ist es eine ganz wichtige Sache . Ichwill aber auch betonen: Das war immer ein besonde-res Anliegen des Haushaltsausschusses . Ich stehe nichtan, dem früheren Kollegen und meinem Vorgänger alsHauptberichterstatter Jürgen Koppelin und auch demjetzigen Agrarminister – damals in anderer Funktion –Christian Schmidt für die seinerzeitigen Anstrengungenund kreativen Beratungen zu danken . Wir haben die Vor-schläge gerne aufgenommen und sehen darin auch unserAnliegen aufgenommen, wenn ich das für meine zustim-menden Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattersagen darf .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau-chen heute auch eine Antwort auf die Frage, wie wirFachkräfte für die Bundeswehr gewinnen können . Wirbrauchen eine Personalpolitik, die dafür sorgt, dass wirauch in sich verändernden Zeiten, insbesondere in Zeitendemografischer Veränderungen, hochqualifiziertes Per-sonal bekommen . Die Bundeswehr benötigt Mitarbeiter,die bestens ausgebildet sind, die äußerst zuverlässig undloyal sind und die wissen, welch große Verantwortung sieübernehmen . Deswegen sind wir all jenen sehr dankbar,die sich zum Dienst in der Bundeswehr bereit erklärenund damit dafür eintreten, dass unsere Werte verteidigtund geschützt werden können .
Wir haben in wichtigen Bereichen eine Trendwen-de eingeleitet . Generalinspekteur Wieker hat es bei denPetersberger Gesprächen nochmals zum Ausdruck ge-bracht – ich darf zitieren –:Es liegt auf der Hand, dass die drei Trendwendenin den Bereichen Finanzen, Personal und Materialganz wesentliche Voraussetzungen zum Erreichender notwendigen Streitkräftestrukturen sind .Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem jetztvorliegenden Verteidigungshaushalt nehmen wir eineWeichenstellung vor . Diese Weichenstellung ist richtig .Die Trendwende muss natürlich verstärkt werden .Zum Schluss darf ich mich ganz herzlich bedankenbei meiner lieben Kollegin Mitberichterstatterin KarinBartholomäus Kalb
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Evers-Meyer, beim Kollegen Dr . Lindner und beim Kol-legen Leutert . Auch wenn wir hier Diskussionen mit viel-leicht etwas schärferer Klinge führen: In der Sache kön-nen wir sehr gut zusammenarbeiten . Dafür möchte ichmich ganz herzlich bedanken . Ich wünsche der Frau Mi-nisterin alles Gute bei der Umsetzung dieses Haushalts .Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie natürlichauch den Angehörigen der Bundeswehr und den Solda-ten ebenfalls ganz herzlichen Dank und viel Glück beider Erfüllung ihrer Aufgaben!
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Ich möchte zuerst an den Dank des Kollegen Kalb an-knüpfen, und zwar vor allem aus dem Grund, weil es jader letzte Haushalt ist, den der Kollege Kalb als Haupt-berichterstatter für den Einzelplan 14 zu verantwortenhat . Du, lieber Bartholomäus, hast diesem Hohen Hauseschon angehört, da bin ich noch in den Kindergarten ge-gangen .
Wie lange mir dies beschieden sein wird, weiß ich nicht .Aber ich will sagen: Ich finde, dass wir in der Bericht-erstattergruppe immer produktiv waren und mit diesemEinzelplan angesichts seines Finanzvolumens angemes-sen umgegangen sind, auch wenn unserer Fraktion amEnde des Tages das Ergebnis der Beratungen nicht passt .Auch das ist kein Geheimnis .
Liebe Frau von der Leyen, Sie sind 2013 mit großenAmbitionen und noch viel größeren Ankündigungen an-getreten . Sie haben versprochen, in Ihrem Haus aufzu-räumen, Dinge anders und vor allen Dingen besser zumachen . Am Anfang sind Köpfe gerollt, Sie haben ei-niges umorganisiert und vor allem eine Menge Berichtegeschrieben . Ja, im Beschaffungswesen der Bundeswehrist manches transparenter geworden . Aber ich will hinzu-fügen: Es ist nach der Ära von Thomas de Maizière auchnicht unbedingt schwer, Dinge transparenter zu machen .
Die Probleme, die vorhanden sind, liegen nun klarerund deutlicher auf dem Tisch, und sie sind sichtbarer;auch das wollen wir als Opposition durchaus eingeste-hen . Nur, Frau Ministerin: Dadurch, dass Probleme sicht-bar sind, sind sie noch lange nicht gelöst . Da sieht IhreBilanz tatsächlich sehr dürftig aus . Die Große Koalitionfeiert sich in diesen Tagen ja gern für die schwarze Null .Ich muss sagen: Das Milliardengrab Einzelplan 14, derVerteidigungsetat, hat nichts mit einer schwarzen Null zutun . Es ist eher ein schwarzes Loch für Steuergeld, meineDamen und Herren .
Wenn man sich die Etatsteigerungen ansieht – dieBundesregierung redet ja gerne und viel über die neueVerantwortung Deutschlands in der Welt –, dann stelltman fest: Es passt nicht zusammen, dass der Verteidi-gungsetat in diesem Jahr um eine Summe aufwächst, die50 Prozent des ganzen Geldes, das für das AuswärtigeAmt zur Verfügung steht, ausmacht . Während wir nochin der Bereinigungsnacht in den Bereichen Entwick-lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe Geld habenzusammenkratzen müssen, gab es hier Mittel in Hülleund Fülle . Das ist eine völlig falsche Prioritätensetzung,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Die Sinnhaftigkeit ist vor allem deshalb fraglich, Kol-lege Otte, weil die Probleme im Einzelplan 14 nach wievor nicht gelöst sind . Allein im letzten Jahr wurden imVerteidigungsetat 1,7 Milliarden Euro anders verwandt,als es der Haushaltsgesetzgeber vorgesehen hat . Ja, dasist haushaltsrechtlich möglich; aber das ist alles andereals Sinn und Zweck der Übung . Jetzt mögen Sie, Frauvon der Leyen, vielleicht einräumen: Na ja, wir müssenflexibel sein. Wir können nicht alles im Voraus planen; manches verändert sich .
Aber dann frage ich Sie: Warum sind in Ihrer ganzenAmtszeit immer wieder, Jahr für Jahr, Gelder im Be-schaffungsbereich übrig, und warum ist der Bereich Per-sonal Jahr für Jahr unterfinanziert? Ich persönlich und meine Fraktion halten es für unverantwortlich, über mehrPersonal bei der Bundeswehr zu reden, wenn es dort eineUnterfinanzierung gibt, und gleichzeitig neue Ausgaben für Rüstung zu fordern, wenn Sie das Geld an dieser Stel-le überhaupt nicht ausgeben, Frau Ministerin . Das ist al-les andere als gute Haushaltsführung .
Sie haben gesagt: Wir machen bei der Beschaffungeiniges anders; wir wollen aus dem Auftrag der Bundes-wehr herleiten, welche Fähigkeiten benötigt werden . –In Gegenwart des Kollegen Otte und von mir habenSie neulich in Celle gesagt: Die Bundeswehr will dasbeschaffen, was gebraucht wird, und nicht das, was ihrangeboten wird . – Schön wär’s . Diese Ansätze und dieganzen Dokumente, die Sie geschrieben haben, habenSie sprichwörtlich über Bord geworfen . Damit Sie nochein Bord haben, über das Sie sie werfen können, habenSie sich extra dafür von zwei Haushaltskollegen von derKüste fünf neue Korvetten ins Programm schreiben las-sen . All das, was Sie sich in Sachen Transparenz in denBartholomäus Kalb
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letzten Jahren vorgenommen haben, Frau Ministerin,können Sie jetzt in die Tonne treten .
Vielleicht bezweifeln ja manche, dass es um Partikularin-teressen gehen könnte .
Ich habe nachgefragt, lieber Ingo Gädechens . Ein Ergeb-nis war: Es gibt keine haushaltsbegründenden Dokumen-te für diese fünf neuen Korvetten . Das ist zwar konformmit der Bundeshaushaltsordnung, aber darauf, dass eswirklich geplant ist, weist es nicht hin .Agnieszka Brugger und ich haben uns am 8 . Novem-ber dieses Jahres mit mehreren Fragen in Form einerKleinen Anfrage an die Bundesregierung gewandt . IhrParlamentarischer Staatssekretär hat gestern Mittag um16 .35 Uhr – nach zwei Wochen – den geschätzten HerrnBundestagspräsidenten um Fristverlängerung gebeten,weil einige Fragen noch nicht beantwortet werden kön-nen . Es mag ja sein, dass Sie einiges nicht beantwortenkönnen, aber dann frage ich Sie: Warum wollen Sie heuteGeld dafür haben, wenn Sie noch nicht einmal wissen,wie genau der Bedarf für diese Korvetten hergeleitet ist?Nein, hier haben Sie alte Zeiten im Haushalt .
Johannes Kahrs hat sich anscheinend nicht in die De-batte getraut . Ich habe den Eindruck, dass es, solangediese Schiffe gebaut werden, völlig unerheblich ist, fürwas man sie braucht . Johannes Kahrs hätte ich zugetraut,dass er die Korvetten auch bestellt hätte, wenn man damitdie Spargelfahrt des Seeheimer Kreises hätte unterneh-men können .
– Die CDU weist mich darauf hin, dass er anscheinendgebucht ist . Okay, das werden wir überprüfen .Ich komme zum vorletzten Punkt . Sie haben ja vielüber Personalgewinnung geredet . Es gibt in diesen Tageneine entsprechende YouTube-Serie, die ich persönlichsehr vorsichtig bewerte . Dabei kommt aber der ganze Be-reich der zivilen Wehrverwaltung der Bundeswehr unterdie Räder . Warum machen Sie eigentlich dafür nichts?Beim Beschaffungsamt in Koblenz, wo man eigentlichdie Probleme angehen müsste, gibt es eine Unzahl un-besetzter Stellen im gehobenen technischen Dienst . Diesind nach wie vor offen . Statt das anzugehen, bauen Siejetzt quasi eine Parallelarmee von Unternehmensberaternauf . Sie wollen 200 Millionen Euro in die Hand nehmen,um mit Unternehmensberatern in Koblenz diese Pro-bleme irgendwie zu kaschieren . Selbst der Bundesrech-nungshof warnt Sie und sagt: Die Neutralität, die Unab-hängigkeit des Verwaltungshandelns ist in Gefahr, wennman wichtige Entscheidungen in die Hand von einigenwenigen Beratungsunternehmen gibt . – Nein, Frau vonder Leyen, diese 200 Millionen Euro sind an dieser Stellenicht gut eingesetzt . Die sollten Sie lieber in die Handnehmen, um die Personalprobleme, die Sie im zivilenBereich haben, tatsächlich zu lösen .
Nun zum letzten Punkt . Dabei geht es darum, ob Siees ernst damit meinen, hart mit der Rüstungsindustrieumzugehen und das Beschaffungswesen neu zu ordnen .Es bleibt Ihr Geheimnis, warum Sie bis heute nicht dieSchadensersatzansprüche eintreiben, die Deutschlandwegen der verspäteten und mangelhaften Lieferung desTransportflugzeugs A400M gegenüber Airbus hat. Ich kann verstehen, dass solche Gespräche schwierig sind .Diese Probleme aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,gibt es ja wirklich nicht erst seit gestern . Wir wissen seitüber einem Jahr, dass sich die Lieferungen verzögern unddass das zu erheblichen Mehrkosten führen wird, weilman die Transall länger betreiben muss . Der Schadenser-satz wird diese Kosten bei weitem nicht aufwiegen .Wenn ich zusammenrechne, was Sie mir in Bezugauf einzelne Zahlungen für die ersten fünf Maschinengeantwortet haben, die einfache mathematische Operati-on einer Multiplikation mache, wenn ich in dem Vertraglese, dass uns Geld für jeden Tag zusteht, den ein Fliegerverspätet geliefert wird, dann ist mein Eindruck, dass Siehier ohne Not Millionen und Abermillionen – ich würdesagen, einen höheren dreistelligen Millionenbetrag – beidiesem Unternehmen liegen lassen, statt ihn im Sinne derSteuerzahlerinnen und Steuerzahler einzutreiben . Wirfordern Sie auf: Legen Sie da endlich harte Hand vor!Machen Sie da endlich einmal ernst mit Ihren Ankündi-gungen!Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Verteidi-gungsetat löst nicht die Probleme, vor denen die Bundes-wehr steht . Er ist die falsche Antwort auf die sicherheits-und außenpolitischen Herausforderungen, vor denenunser Land und vor denen Europa steht .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die SPD-Frakti-
on ist jetzt die Kollegin Karin Evers-Meyer .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Im Verteidigungsetat stehen im kommendenJahr rund 37 Milliarden Euro zur Verfügung . Das sindimmerhin 2,7 Milliarden Euro mehr als im laufendenJahr . Auch für die kommenden Jahre ist ein Aufwuchsvorgesehen . Nach NATO-Kriterien entsprechen diese37 Milliarden Euro einem Anteil von gut 1,2 Prozent desBruttoinlandsproduktes, also etwas mehr als die Hälf-te von dem, was aus Sicht der NATO wünschenswertwäre . Auf NATO-Ebene wurden nämlich 2 Prozent desBruttoinlandsprodukts als Zielmarke festgeschrieben .Deutschland hätte es dann – unterstellt, dass sich dasDr. Tobias Lindner
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Bruttoinlandsprodukt nicht ändert – mit einem Wehretatvon 64 Milliarden Euro zu tun . Ich denke, diese 64 Mil-liarden Euro sind heute nicht nur für Sozialdemokrateneine schwer vorstellbare Größenordnung .Am Ende geht es in der Politik aber eben nicht darum,was wir uns vorstellen können . Der Kollege Kalb hat dasja eben auch erwähnt . Unsere heutigen Reden hätte ichmir vor drei, vier Jahren noch nicht vorstellen können .Damals haben wir immer noch die Friedensdividendeeinfordern müssen und eingefordert . Heute geht es, wiegesagt, nicht darum, sondern es muss darum gehen, wasaus unserer Sicht für die nächsten Jahre und Jahrzehntenotwendig ist .Die Frage ist also nicht, ob wir uns eine Verdoppelungdes Wehretats vorstellen können, sondern ob ein solcherAnstieg notwendig ist . Über diese Frage – das müssteinzwischen wirklich auch der letzte Abschottungsfanati-ker verstanden haben – entscheiden wir nicht allein indiesem Saal und auch nicht allein in Deutschland . DieFrage, was wir in die Instrumente der äußeren Sicherheitinvestieren müssen, wird zum einen anhand der sicher-heitspolitischen Lage um uns herum und auf der gesam-ten Welt und zum anderen dadurch beantwortet, wer un-sere Partner sind, mit denen wir die finanzielle Last für die gemeinsamen Sicherheitsinteressen teilen können,und vor allen Dingen, ob sie es auch weiterhin sind . Bei-de Entscheidungsgrundlagen – die internationale Sicher-heitslage und die Partnerschaften – haben derzeit eineTendenz, die natürlich Anlass zur Beunruhigung gibt .Das muss uns veranlassen, über die notwendigen Inves-titionen in die Bundeswehr zu diskutieren . Wohlgemerkt:Ich spreche hier von Diskussion, nicht von Aktionismus .Europa und damit auch Deutschland sind von Ame-rika sicherheitspolitisch abhängig . Die USA überneh-men nicht nur den größten Anteil des NATO-Budgets,sondern sie stellen auch 50 Prozent der konventionellenFähigkeiten dieses Bündnisses – 50 Prozent! Ungeachtetder Frage, ob wir all das, was die USA sicherheitspoli-tisch unternehmen, gut finden, ist eines doch wohl klar: Wenn die Vereinigten Staaten ihren Beitrag in der NATOtatsächlich senken sollten, wie angekündigt, wenn alsoTrumps Wahlkampfversprechen an dieser Stelle wahrwerden sollten, dann hat das Auswirkungen auf unsersicherheitspolitisches Grundgerüst, und das können wirunter gar keinen Umständen ignorieren . Das gilt natür-lich erst recht vor dem Hintergrund, dass sich die sicher-heitspolitische Lage in den vergangenen Jahres alles an-dere als verbessert hat .Deutschland und Europa werden in Zukunft also wei-ter mehr internationale Verantwortung übernehmen müs-sen, und das sollten wir auf unsere Weise tun .
– Warten Sie es ab; ich erzähle das noch . – Mit „unsereWeise“ meine ich natürlich nicht nur Aufrüstung; dennechte Sicherheit lässt sich ganz bestimmt mit Geld alleinnicht kaufen – nicht einmal mit 64 Milliarden Euro . Ichmeine das geübte Zusammenspiel aus Diplomatie, Ver-antwortungsbewusstsein und Wehrhaftigkeit . Der leichtsteigende Verteidigungsetat, den wir heute verabschie-den,
ist eine Säule dieses Dreiklangs und damit Ausdruck ei-ner besonnenen, aber klaren Politik .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwasdazu sagen, wo das Geld, das wir heute für 2017 und da-rüber hinaus bereitstellen, hinfließen wird. Ein wichtiger Kostenpunkt ist natürlich die schon viel diskutierte Ver-pflichtungsermächtigung zum Kauf von fünf Korvetten K130 . Wir haben ja ausführlich darüber gesprochen, undauch in den Zeitungen ist darüber berichtet worden . Ichspreche hier die Korvetten noch einmal an, um dem inTeilen der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck entge-genzuwirken, dass die Beschaffung dieser Korvetten auseiner Laune heraus beschlossen wurde . Das ist nicht derFall .
Grund für den Entschluss ist die wirklich extrem ange-spannte Situation bei der Marine;
der Wehrbeauftragte hat eindrücklich darauf hingewie-sen . Ich glaube, ich weiß, wovon ich rede; Wilhelmsha-ven ist meine Heimatstadt . Und ich möchte auch nocheinmal sagen: Mein Wahlkreis profitiert nicht davon.Aufgrund der Vielzahl internationaler Einsätze stehtden Soldatinnen und Soldaten der Marine das Wasserbuchstäblich bis zum Hals . Es fehlt an Personal, und esfehlt eben auch an Schiffen . Als klar war, dass sich dieAuftragsvergabe für das dringend benötigte neue Mehr-kampfschiff 180 verzögern würde, boten die Korvettendie Möglichkeit, hier kurzfristig die dringend notwendi-ge Abhilfe zu schaffen .Als Frau von der Küste bin ich, wie gesagt, eng mitder Marine verbunden und stehe selbstverständlich hinterdieser Entscheidung . Die Korvetten K130 sind ein be-reits funktionierendes System, das schnellstmöglich inden bisherigen Flottenverband integriert werden kann .Die mit jeder Kleinserie von neu- und weiterentwickeltenSchiffen auftretenden Kinderkrankheiten entfallen, da siemeistens beseitigt sind . All das entfällt durch die jetzt be-schlossene Ergänzungsbeschaffung . Es war daher in derSache die richtige Entscheidung, auch wenn ich die Kri-tik an dem Entscheidungsprozess, was Transparenz undNachvollziehbarkeit angeht, natürlich verstehe . Den wei-teren Verlauf dieses Beschaffungsvorhabens sollten wirnun allerdings positiv begleiten und besonders daraufachten, dass wir keine Diskussion auf dem Rücken derSoldatinnen und Soldaten austragen .Überhaupt darf man an dieser Stelle einen Dank an dieSoldatinnen und Soldaten aller Streitkräfte unserer Bun-deswehr weitergeben . Sie haben nach wie vor einen ganzherausragenden Job zu erledigen .
Karin Evers-Meyer
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Korvet-ten, die wir im Haushalt 2017 abbilden, wird es auchin anderen Aufgabenbereichen mehr Spielraum für In-vestitionen geben . Auch beim Personal – das ist gesagtworden – konnte der Trend umgekehrt werden . Mit den12 Milliarden Euro für Personalausgaben wird nicht nurein nummerisches Plus, zum Beispiel bei den zusätzli-chen Reservisten, möglich, sondern wir können endlichauch im Tarifgefüge – gerade bei den unteren Tarifgrup-pen – etwas für die Soldatinnen und Soldaten tun . Bei-spielsweise werden allein 3 000 Planstellen der GruppeA 7 durch rund 2 000 neue Stellen für Stabsfeldwebel A 9ersetzt . Ich denke, darauf wartet man bei der Bundeswehrschon lange .Bei den rüstungsintensiven Ausgaben verzeichnen wirmit rund 6 Milliarden Euro einen deutlichen Zuwachs,nämlich von 10 Prozent . Dieses zusätzliche Geld sollendie Ministerin und ihr Ministerium bei dem eingeschla-genen Weg der Trendwende Material unterstützen . Siesehen, Frau Ministerin, wir, der Haushaltsausschuss,haben geliefert . Jetzt sind Sie natürlich dran . Mit demjetzigen Haushalt haben wir auch einen Vertrauensvor-schuss gegeben . Ich bleibe bei dem, was ich hier schonoft gesagt habe: Bevor wir über weitere Aufstockungendes Verteidigungsetats sprechen, muss in Sachen effizi-enter Beschaffung noch etwas mehr getan werden . Wirsehen und wir schätzen Ihr Engagement und das IhresTeams in Sachen Beschaffungswesen . Ich schätze auchIhren Einsatz für grenzübergreifende europäische Be-schaffungsinitiativen sehr, aber wir beide wissen auch:Papier ist geduldig . Das Netzwerk aus Bundeswehr undZulieferern kränkelt nach wie vor, und nationale Egois-men erleben in Teilen sogar eine Art Renaissance .Es bleibt also noch viel Arbeit zu tun – auch 2017 .Die Verspätungen beim MKS hatte ich erwähnt . Mit demLuftverteidigungssystem MEADS verspätet sich ein wei-teres großes Rüstungsprojekt; vom A400M will ich garnicht reden . Und auch beim Vorhaben Mobile TaktischeKommunikation – wir nennen es MoTaKo – kommt eszu einer ungeplanten Verspätung . Wenn wir nicht wollen,dass unsere Soldatinnen und Soldaten ohne funktionie-rende Kommunikation – eventuell sogar mit ihren Pri-vathandys – in den Einsatz gehen, muss diesem Beschaf-fungsvorhaben dringend eine höhere Priorität eingeräumtwerden . Dazu gehört auch, dass das BAAINBw endlichdie dafür notwendige Zahl von qualifizierten Mitarbei-tern zur Verfügung stellt .Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt zei-gen wir, dass wir die Bemühungen des Ministeriumsanerkennen und unterstützen . Wir sind bereit, mit Au-genmaß Verantwortung zu übernehmen, und sind auch inder Lage, dem gerecht zu werden . Was wir jetzt und inZukunft brauchen, sind Vertrauen und Kontinuität .Wir jedenfalls, der Haushaltsausschuss hat seine Ar-beit gemacht . Wir haben den Teil der Abmachung erfüllt,die benötigten Gelder bereitzustellen . Frau Ministerin,jetzt ist es an Ihnen, das Heft des Handelns in die Handzu nehmen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Die Ministerin bekommt sofort dieGelegenheit, hier zu antworten . Für die Bundesregierungspricht jetzt Frau Bundesministerin Dr . Ursula von derLeyen .
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! 37 004 839 000 Euro: Diese Summe steht imEntwurf für den Einzelplan 14, den wir hoffentlich amEnde dieser Woche so in toto beschließen werden . In derTat – das ist schon häufig erwähnt worden –: 2,7 Milliar-den Euro mehr, ein Aufwuchs von 8 Prozent, das ist be-achtlich . Dafür danke ich . Das ist aber vor allen Dingenein Beweis für das große Vertrauen in die Bundeswehr .Vor allen Dingen dafür geht mein Dank an dieses HoheHaus .
Ich möchte mich auch bei den Berichterstattern be-danken, vor allen Dingen – damit darf ich anfangen – beidem Hauptberichterstatter . Lieber Herr Kalb, in der Tatist das der letzte Haushalt, den Sie mitbegleiten . Nach30 langen Jahren hier im Parlament ist das eine giganti-sche Lebensleistung . Ich möchte sogar sagen, wenn ichmir das erlauben darf: Das ist eine außergewöhnlichehaushaltspolitische Lebensleistung, die Sie erbracht ha-ben . Also: Chapeau!
Vielen Dank auch an Sie, liebe Frau Evers-Meyer, an Sie,Herr Lindner, an Sie, Herr Leutert, für die sehr konstruk-tive Zusammenarbeit . Das sage ich vor allen Dingen imNamen meines Hauses und der gesamten Bundeswehr .Heute Morgen bei der Debatte ist schon relativ vielüber die Auswirkungen der Wahl in den Vereinigten Staa-ten gesprochen worden . Ich möchte vor diesem Hinter-grund einen Blick auf unser Ressort werfen . Bei all dem,was wir in diesem Wahlkampf auch an Widersprüchli-chem gehört haben, unabhängig vom Ausgang der Wahl,ist uns allen klar, dass die Forderungen an Europa, mehrLasten und mehr Verantwortung auf seine Schultern zunehmen, von den USA gekommen wären – unabhängigvom Wahlausgang .Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren die NATOerheblich modernisiert . Deutschland selber hat ein gerüt-telt Maß dazu beigetragen und ist damit ein ganz starkerMitgestalter gewesen . Das spiegelt übrigens auch dieserHaushalt wider; denn es ist uns gelungen, die Ausgabenfür Verteidigung auf 1,22 Prozent des BIP zu erhöhen .Jeder, der diese Zahlen kennt, weiß, wie mühsam das ist .Wir sind bei 1,18 Prozent gestartet . Diese 1,22 ProzentKarin Evers-Meyer
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sind ein Schritt in die richtige Richtung . Wir wissen aberalle, dass sich das noch weiter verstetigen muss .Weil wir aber investieren und vor allen Dingen dieNATO modernisiert haben, bin ich der festen Überzeu-gung, dass nach dem Jahr, das wir erlebt haben und dasauch durch das Referendum in Großbritannien geprägtwar, die Europäische Union in der Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik unbedingt nachziehen muss .Ich sage das so explizit, weil die Menschen zum Teileinen enormen Europafrust, eine Europaskepsis haben,vor allem dann, wenn sie das Gefühl haben, dass Euro-pa sie im Kleinen gängelt und im Kleinen in ihr Lebenreindirigiert, was vor Ort eigentlich besser gelöst werdenkönnte . Aber in den großen Fragen erwarten die Men-schen, dass Europa reagiert . Wenn Europa dann nichthandelt, ist die Kritik berechtigt . Es liegt an uns, Europatatsächlich in die Lage zu versetzen, dort besser zu wer-den, meine Damen und Herren .
Ich möchte das noch mehr entfalten . Das ist nicht nureine Frage des Ungleichgewichtes innerhalb der Allianz,sondern wir müssen das aus eigenem Interesse machen .Es ist völlig klar, dass nach Artikel 5 des NATO-Vertra-ges die NATO für die Verteidigung des Territoriums zu-ständig ist . Sie macht eine unverzichtbare Arbeit . Aberum uns herum sind die Probleme vielfältiger und größer;das sage ich insbesondere mit dem Blick auf Afrika . Ichsehe dort nicht primär die NATO . Ich sehe aber auf unse-rem Nachbarkontinent – das ist unser direkter Nachbar –vor allem die Europäische Union, die in der Tat – Siehaben es angesprochen – mit ihrem einzigartigen Instru-mentarium, über das sie verfügt, also mit ihrer eigenenFarbe, mit ihrer eigenen Art, zu sein, in der Pflicht ist, zu handeln .Dieses einzigartige Instrumentarium ist eben die Mi-schung aus zivilen und militärischen Elementen . Nur mitdem vernetzten Ansatz, den wir in Deutschland so gutkennen, werden wir gemeinsam mit den afrikanischenStaaten den Erfolg haben, den wir uns dort mühsamerarbeiten müssen . Aber dafür müssen wir die Europäi-sche Union erst einmal richtig aufstellen . Das sage ichvor allen Dingen mit Blick auf Effizienz. 28 Staaten in der Europäischen Union: Das heißt 1,5 Millionen Solda-tinnen und Soldaten . Das sind mehr, als die VereinigtenStaaten von Amerika haben . – Das Jahresbudget beträgtetwa 200 Milliarden Euro . Wir leisten uns 37 verschiede-ne Typen von Transportpanzern, 12 verschiedene Tank-flugzeuge – auf diesem kleinen Kontinent, wenn man das einmal so sagen darf – und 19 verschiedene Kampfjets .Meine Damen und Herren, wir sind in Europa – dasmuss man so sagen – eklatant ineffizient. Alleine das – denn ich bin ja hier unter Haushältern – wäre schon einGrund, da Effizienz hineinzubringen. Denn ich muss auch sagen: Wir können es uns nicht mehr leisten, so in-effizient zu sein. Das Geld, das wir haben, müssen wir besser einsetzen, damit wir die Aufgaben vor Ort tatsäch-lich leisten können .
Wir reden nicht von einer europäischen Armee – auchdas sage ich noch einmal sehr deutlich –, sondern esgeht um Fähigkeiten wie zum Beispiel ein europäischesSanitätskommando oder eine europäische Logistikdreh-scheibe . Wir wissen, was SKB ist . Die SKB ist in Europaeinzigartig . Das heißt, wir haben auch ein Vorbild, umzu zeigen, wie wir es gemeinsam machen können . Dasgeht auch innerhalb des Vertrages von Lissabon, nämlichdurch die Bildung einer Ständigen Strukturierten Zusam-menarbeit . Das sind die Aufgaben der nächsten Wochenund Monate .Aus all dem, was meine Vorrednerinnen und Vorrednerund auch ich gesagt haben, wird deutlich: Verteidigungwird mehr Investitionen brauchen . Der Anlass ist bitter,ganz ohne Zweifel, aber es liegt unausweichlich als Auf-gabe vor uns . Das spiegelt der Haushalt wider, nicht nurdurch die 8 Prozent Steigerung, sondern auch bei denrüstungsinvestiven Ausgaben, die mit rund 6 MilliardenEuro veranschlagt werden . Das sind gut 10 Prozent mehrals dieses Jahr .Wir machen auch in der Umsetzung Strecke . SeitBeginn der Legislaturperiode haben wir 33 25-Mil-lionen-Vorlagen mit einem Gesamtvolumen von rund15 Milliarden Euro vorgelegt . Wir werden den Bestandan Leopard-2-Panzern auf 320 erhöhen und circa einDrittel davon auf den modernsten Stand bringen . Wirhaben in den vergangenen Wochen ein paarmal im Aus-schuss darüber gesprochen .Ich möchte hier noch einmal sagen: Das Verteidi-gungsministerium hat jetzt seine Hausaufgaben gemacht .Wir sind bereit, den Vertrag zu schließen . Deshalb hof-fe ich sehr, dass jetzt auch die Industrie ihre internenHausaufgaben gemacht hat, damit wir jetzt gemeinsamvorankommen können . Es ist Zeit, dass wir jetzt diesenVertrag tatsächlich schließen . Aber die Bringschuld liegtnicht mehr bei uns, sondern inzwischen auf der Seite derIndustrie .Weil wir gerade bei diesen Themen sind, HerrLindner – denn Sie haben zu Recht gesagt, da müsse manhinterher sein –, will ich auch etwas zum A400M sagen .30 Millionen Euro sind bereits zu uns geflossen, für die Flugzeuge, die wir haben . Das muss man dazusagen;man kann nicht mehr verlangen als das, was dem Liefer-umfang entspricht .
Genauso – in genau diesem Tempo – wird es auch mitden Forderungen an die Industrie weitergehen .Wir haben die ersten acht leichten Mehrzweckhub-schrauber an unsere Spezialkräfte übergeben . Die Marinehat ihr fünftes und sechstes U-Boot der Baureihe „212 A“übernommen .Wir setzen aber auch viele kleine Projekte um, diedirekt in der Truppe ankommen, zum Beispiel dieBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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6 000 Sätze der neuen Kampfbekleidung, die bereits imIrak, in Mali und in Afghanistan im Einsatz sind . DieBwFuhrpark erhält bis 2017 insgesamt 1 800 neue Fahr-zeuge, vom Pkw bis zum Fünfzehntonner .Das heißt, es geht voran, in vielen Schritten, die icheben nur ansatzweise gezeichnet habe, und wir sindschon tief in unser 130-Milliarden-Euro-Programm ein-gestiegen .
– Nein, das ist das Richtige . Denn wir müssen unsereSoldatinnen und Soldaten, wenn wir bzw . das Parlamentsie in Auslandseinsätze schicken, auch korrekt ausrüstenund ausstatten . Sonst können sie diese Aufgaben nichtwahrnehmen .
Neben der Beschaffung von neuem Material müssenwir auch in Systeme investieren, die wir bereits nutzen .Auch hier lässt der Haushalt 2017 mehr Spielraum . Wirhaben den Ansatz für Materialerhalt um rund 360 Millio-nen Euro erhöht . Auch für das Personal danke ich für dieGesamtsumme .Ich freue mich vor allen Dingen, dass die Personal-verstärkungsmittel von jetzt knapp 400 Millionen Eurogeklärt sind, die dem Einzelplan 14 zugewiesen werden .Auch das ist der richtige Weg in der Trendwende beimPersonal .Erlauben Sie mir, dass ich noch ein Thema anspreche,das mir für die Zukunft wichtig ist, und zwar die Digita-lisierung . Für mich ist es das Megathema der Moderni-sierung in der nächsten Dekade, das wir mit großer Kraftangehen müssen . Es hat uns querschnittlich schon langeleise begleitet . Wir müssen dieses Thema sehr viel kon-zentrierter angehen .Die Ausgaben für IT – für Hardware, Software, Schu-lungen usw . – werden beinahe verdoppelt, auf knapp400 Millionen Euro . Ich danke dafür . Dennoch: Ange-sichts der Größe dieser Aufgabe sind wir uns, glaube ich,alle darüber klar, dass es das Mindeste an Steigerung istfür diese Riesenaufgabe, die vor uns liegt . Wir müssenvor allen Dingen aufpassen; denn die technologischeEntwicklung ist rasant und verläuft exponentiell . Wirsind auf dem guten Weg des Nachholens . Aber das Nach-holen muss schnell genug gehen . Sonst läuft uns die tech-nologische Entwicklung noch sehr viel schneller davon,und die Lücke würde immer größer .Wir haben viel über das Thema Cyberschutz gespro-chen; dazu möchte ich heute nicht mehr viel sagen . Wiralle wissen, dass es sich gewissermaßen um fliegende, schwimmende und rollende Software handelt . Die De-batte heute Morgen über den Cyberinforaum mit SocialBots, Trollen und über strategische Kommunikation warsehr interessant . Ich möchte noch einmal einen Blick indas Innere der Bundeswehr werfen und klarmachen, wasDigitalisierung für uns eigentlich bedeutet, Stichworte„Digitalisierung der Verwaltung“, „datengetriebene Steu-erung“ und „vernetzte Operationsführung“ . Wir müssenbei der digitalen Verwaltung vor allen Dingen unsereHausaufgaben machen . Wir haben nach der Einführungvon SAP über Jahre Terabytes logistischer Daten in ei-ner großen SAP-Lösung hinterlegt . Was wir jetzt machenmüssen, ist, die vorhandenen Daten – hier sieht es auswie Kraut und Rüben, um es vereinfacht auszudrücken –allmählich systematisch aufzuarbeiten und so zu einemdigital gesteuerten Controlling und einem auf digital er-hobenen Daten der Lebenswirklichkeit der Bundeswehrbasierenden Nachvorneplan zu kommen .Ich nenne Ihnen ein Beispiel . Wenn wir wissen, wel-che der Millionen Ersatzteile am häufigsten für die War-tung benötigt werden, dann können diese Teile mehr be-vorratet werden, als das nach der üblichen Methode derBevorratung möglich ist . Mit den richtigen Daten weißich, welche Elemente wann abgenutzt sind, und kann dieWartung zum richtigen Zeitpunkt durchführen . Wir müs-sen dann nicht mehr nach dem starren Schema vorgehen,das sich an der Anzahl der Flugstunden oder an bestimm-ten Monaten orientiert, wie das bei Schiffen der Fall ist,die nach einer bestimmten Zeit – unabhängig davon, wiees tatsächlich um den Abnutzungsstand bestellt ist – indie Werft müssen . Digitalisiert können wir uns hier sehrviel besser aufstellen . Das spart Zeit und Geld und erhöhtdie Einsatzbereitschaft .Ein anderes Beispiel ist die Sanität . Wir haben alles:die gesunde Klientel, die Kranken, die ambulante Ver-sorgung, die Krankenhäuser und die Rehabilitation . Wirsind zudem der Versicherer und stellen die Ärztinnen undÄrzte . Im Gegensatz zum sonstigen Gesundheitswesensind hier DRG kein Thema . Wir verfügen aber nicht überdie Daten, die sich in dieser Kette auftun, weil noch vie-les auf Papier aufgeschrieben wird . Wenn wir alles digi-talisiert hätten, könnten wir sehr gut erkennen: Machenwir beim Auftreten einer Krankheit das Richtige, sodasszum Beispiel bei der Rehabilitation tatsächlich das ge-wünschte Ergebnis erzielt wird? Das nennt man Versor-gungsforschung . Auch das wäre für die Soldatinnen undSoldaten sowie für die gesamte Bundeswehr wichtig .Das alles steckt hinter der Digitalisierung . Deshalblohnt es sich, die Bundeswehr auch nach innen besseraufzustellen .Um den Nachwuchs kümmern wir uns ebenfalls . Wirwerden an der UniBw München einen neuen internatio-nalen Studiengang Cybersicherheit einrichten . Hier wer-den 13 neue Professorenstellen geschaffen . Dafür dankeich dem Hohen Haus . Das ist keine Selbstverständlich-keit . Auch an der UniBw Hamburg wird es neue Stellenfür das Kompetenzcluster „Sicherheitsforschung und Lo-gistik“ sowie einen neuen Studiengang Bauingenieurwe-sen geben . Insgesamt sind für die Universitäten 140 neueStellen geplant . Genau das ist der richtige Weg; denn dieInvestition in die jungen Menschen ist das Nachhaltigsteund das Beste, was wir überhaupt für die Zukunft derBundeswehr tun können . Dafür danke ich ausdrücklich .
Modernisierung gelingt nicht per Erlass . Modernisie-rung braucht Kraft, sie braucht Ausdauer, auch über daskommende Haushaltsjahr hinaus . Ich möchte heute aberBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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vor allen Dingen für die große Summe danken, die unsanvertraut ist und die wir gemeinsam auf den Weg brin-gen werden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Christine Buchholz, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nirgend-wo zeigen sich die Unterschiede zwischen den Fraktio-nen so deutlich wie beim Rüstungshaushalt .
CDU/CSU und SPD wollen heute den größten Rüstungs-haushalt seit dem Zweiten Weltkrieg verabschieden . Dassind mehr als 37 Milliarden Euro, ein Plus von 8 Prozent .Die Linke sagt: Darauf kann man nicht stolz sein; dafürsollte man sich schämen .
Die Linke hat demgegenüber unmittelbar umsetzba-re Vorschläge zur Kürzung des Rüstungshaushalts um6 Milliarden Euro vorgestellt . Sie wollen zusätzlicheMilliarden für Aufrüstung und Krieg . Wir wollen zusätz-liche Milliarden für Soziales und zivile Hilfe . Das ist derfundamentale Unterschied zwischen der Großen Koaliti-on und der Linken .
Was heißt das konkret? Sie investieren in Hightech-waffen wie die Entwicklung einer europäischen Kampf-drohne . Die Bundeswehr erhält auch eine ganze Cyber-streitmacht mit der explizit geäußerten Absicht, offensivdie Netze anderer Staaten angreifen zu können . Dasmacht die Welt nicht sicherer – und auch nicht Deutsch-land . Stattdessen heizen Sie den internationalen Rüs-tungswettlauf an . Da machen wir nicht mit .
Über die zukünftigen Kosten dieser ganzen Kriegs-projekte schweigt sich die Bundesregierung aus . Aberder Mechanismus dahinter ist interessant . Ministerin vonder Leyen meldete Anfang des Jahres 1 600 militärischeNeuinvestitionen bis 2030 an; dafür forderte sie 130 Mil-liarden Euro . Ein halbes Jahr später schlagen im Allein-gang zwei einzelne Abgeordnete der SPD und der Unionmit besonders gutem Draht zur Rüstungsindustrie denBau von fünf Korvetten vor . Kein Problem, Ministerinvon der Leyen und die gesamte Bundesregierung nehmenauch die gleich mit auf die Liste der Beschaffungsvor-haben . So versenken Sie im Handumdrehen immer neueRiesensummen für Ihre Rüstungsvorhaben . Die Bevöl-kerung bezahlt das mit ihren Steuern, die Rüstungsin-dustrie reibt sich die Hände . Das ist das Programm derKoalition . Dagegen steht die Linke ganz eindeutig .
Um diesen Aufrüstungskurs zu rechtfertigen, be-gründet Frau von der Leyen das nun mit der Wahl vonDonald Trump zum US-Präsidenten . Nun soll die EU alsMilitärmacht gestärkt werden . Erst diese Woche wurdeauf Druck der Bundesregierung ein zusätzliches europä-isches militärisches Forschungsprogramm für eine halbeMilliarde Euro jährlich beschlossen . Auch von einem mi-litärischen EU-Hauptquartier ist die Rede . Es kann nichtsein, dass Sie, Frau von der Leyen, Deutschland zu einemder Antreiber der Militarisierung Europas machen .
Aber die SPD legt dann gleich noch einen drauf: HerrArnold von der SPD fordert nun auch ein europäischesMarinehauptquartier .
Übersetzt heißt das: Als Rahmennation soll Deutschlandnun dauerhaft die Führung im militärischen Konflikt mit Russland übernehmen . Ich sage Ihnen: Auf der Ostseetummeln sich schon genug Kriegsschiffe . Wer den Frie-den mit Russland will, muss sich für eine Entmilitarisie-rung der Ostsee einsetzen .
In ihrer Rede hat Angela Merkel heute Morgen be-tont, dass beide Parteien der Großen Koalition am 2-Pro-zent-Ziel der NATO festhalten . Frau Evers-Meyer hatdas eben noch einmal bestätigt . Das würde eine weitereSteigerung des Militärhaushalts um 25 Milliarden Euroauf weit über 60 Milliarden Euro bedeuten . Ich sage Ih-nen: Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein .
Für uns ist das ein weiteres Argument für den Aus-tritt aus der NATO . Was wir wirklich brauchen, ist eineTrendwende hin zu zivilen und sozialen Maßnahmen .
Ich will Ihnen das einmal vorrechnen . Das StatistischeBundesamt hat ausgerechnet, dass in Krankenhäusernund Pflegeeinrichtungen 110 000 Pflegekräfte fehlen. Wenn jährlich 6 Milliarden Euro bei der Rüstung ge-strichen oder umgeschichtet werden, wie die Linke esvorschlägt, dann könnten tarifliche Gehälter für diese zusätzlich benötigten Pflegekräfte bezahlt werden. Ich finde, dafür brauchen wir das Geld, nicht für neue Mili-tärsatelliten, Kriegsschiffe oder Kampfdrohnen .
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Die Bundesregierung will aufrüsten, um die Bun-deswehr in immer neue Auslandseinsätze schicken zukönnen . Jetzt sind es 16 an der Zahl . Das kostet . Es gibtaber noch ein weiteres Problem: Diese Auslandseinsätzeentfalten ihre eigene eskalierende Dynamik . Das Bei-spiel Afghanistan zeigt auf tragische Art und Weise inden letzten Wochen, wohin diese Auslandseinsätze füh-ren . Die Taliban sind so stark wie seit 2001 nicht mehr .Letzte Woche hat es der blutige Überfall auf das deutscheKonsulat in Masar-i-Scharif gezeigt . Immer wieder gibtes Nachrichten über zivile Opfer durch die VerbündetenDeutschlands in Afghanistan .Die Bundeswehr wird auch zunehmend in sogenannteZwischenfälle verstrickt . Nichts, meine Damen und Her-ren, was die Bundesregierung vor 15 Jahren versprochenhat, wurde durch diesen Bundeswehreinsatz eingelöst .Dafür brauchen wir auch nicht noch mehr Geld auszu-geben .
Statt sich dieser Realität zu stellen, hat das Verteidi-gungsministerium unter dem Titel Die Rekruten eine Do-kusoap produzieren lassen, um junge Menschen für dieBundeswehr zu gewinnen . Bei 1,7 Millionen Euro liegendie Produktionskosten . Weitere 6,2 Millionen Euro kos-tet die Werbung . Ich sage Ihnen: Statt jährlich insgesamt35 Millionen Euro in Werbefilme und Plakatkampagnen zu stecken, sollten Sie den jungen Menschen reinen Weineinschenken . Krieg ist keine Seifenoper . Es ist Zeit, diedeutschen Soldaten aus Afghanistan und aus allen ande-ren Auslandseinsätzen zurückzuziehen . Es ist Zeit, end-lich abzurüsten .Vielen Dank, meine Damen und Herren .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist jetzt der Kollege
Rainer Arnold, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Fast auf den Tag genau ist es zwei Jahre her, dasssozialdemokratische Verteidigungspolitiker ein Positi-onspapier zur Europäisierung der Streitkräfte vorgelegthaben . Das wurde damals medial als Utopie bezeichnet .Von manchen Kollegen im Parlament wurde es mit Hämebegleitet . Auch die Bundeskanzlerin hat in der Diskussi-on im Verteidigungsausschuss keinerlei Interesse an derEuropäisierung der Sicherheitspolitik gezeigt .Heute, zwei Jahre später, sind es teilweise dieselbenPolitiker, die von einer europäischen Armee reden . DamitSie mich nicht falsch verstehen, Frau Ministerin: Sie sindnicht gemeint . Wir wissen, dass Sie dieses Thema sehrfrüh aufgegriffen haben und dass Sie auch Ihren Kolle-ginnen und Kollegen von der CSU weit voraus waren .Manchmal klingt es, als ob Sie aus unserem Papierzitierten .
Das macht uns überhaupt nicht traurig, sondern wir sinddarüber froh, weil es in diesem Bereich gut und richtigist . Natürlich ist eine europäische Armee nicht das, wo-rüber wir jetzt als Erstes eine Debatte zu führen haben;aber sie als Fernziel immer im Blick zu haben, damit dieSchritte in die richtige Richtung gehen, ist notwendig .Der Wind hat sich hier in Europa und auch in Deutsch-land insgesamt gedreht, und dafür gibt es gute Gründe .Vielleicht liegt ja sogar im Schlechten manchmal auchetwas Gutes . Dieser schlechte Brexit kann ja mithelfen,dass die Briten nicht mehr im Bremserhäuschen der eu-ropäischen Sicherheitspolitik sitzen und alles ablehnenkönnen, sobald das Wort „gemeinsam“ auf dem Etikettsteht . Vielleicht hilft auch die Wahl von Herrn Trump,dass zumindest manche osteuropäischen Partner jetztnochmals darüber nachdenken, ob es klug ist, sich sostark auf die NATO und die USA zu verlassen, ob es nichtvielmehr noch besser wäre, wenn Europa auch eigenstän-dige Fähigkeiten in das NATO-Bündnis einbringt .
Dieses Misstrauen, Europäisierung sei etwas gegendie NATO Gerichtetes, ist lange tot . Auch unter Obamamussten wir schon darüber diskutieren, dass wir Euro-päer bereit sein müssen, mehr für unsere eigene Sicher-heit im europäischen Haus zu tun . Natürlich ist es nichtgut, was die 28 Staaten in Europa leisten . Die Hälfte der1,5 Millionen Soldaten in Europa ist nicht auf Divisions-ebene für Einsätze vorgesehen – das muss man sich ein-mal vorstellen; so kopflastig ist Europa –, sondern sitzt in Ämtern, führt, managt und organisiert . Das zeigt das gan-ze Dilemma, dass wir Europäer das Geld einfach nichtklug und effizient ausgeben.Ich finde, zehn Jahre nach dem Vertrag von Lissa-bon ist die Zeit reif und überfällig . Das Instrument derStändigen Strukturierten Zusammenarbeit ist im Vertragvon Lissabon definiert und organisatorisch und politisch vorgegeben . Es kann auch dazu führen, dass es durchauszwei unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Europä-isierung der Sicherheitspolitik gibt . Wir Sozialdemokra-ten wollen diesen Weg schon lange und werden ihn auchsehr stark unterstützen .
Dazu müssen allerdings auch bei uns in DeutschlandVoraussetzungen erfüllt sein . Natürlich gibt es auch beider Bundeswehr – bei allen Stärken, die da sind – offen-sichtliche Defizite, die wir nicht übersehen können. Es gab und gibt hohle Strukturen . Sie führen auch dazu, dassosteuropäische Partner nicht von vornherein das notwen-dige Vertrauen in die deutsche Bereitschaft, Europa ge-meinsam zu verteidigen, haben . Deshalb ist es wichtig,dass wir die Bundeswehr so strukturieren, dass die Fä-higkeiten, die wir in der NATO angemeldet haben, auchtatsächlich und nicht nur in Papierform vorhanden sind .Christine Buchholz
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Dazu gehört natürlich auch, dass das Geld, das wirbrauchen, fließt. Hier wurde heute schon viel gesagt; von 37 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben war die Rede .Das ist eine Trendwende . Sie ist richtig und notwendig .Ich sage ausdrücklich auch unserer Haushälterin FrauEvers-Meyer Danke für ihr Engagement in diesem Be-reich .
Zu dieser Trendwende gehört allerdings aus sozial-demokratischer Sicht nicht, dass wir die Hürde ständig,jedes Jahr aufs Neue so hoch legen – 2 Prozent vomBruttoinlandsprodukt – und Jahr für Jahr bequem darun-ter durchlaufen. Ich würde es besser finden, wenn wir uns ehrlich machen und sagen: Unsere Ambition muss dasschon sein . Das, was Großbritannien und Frankreich indie Bündnisse einbringen, entspricht in etwa auch unse-ren Fähigkeiten . Da reden wir nicht nur über Geld, son-dern auch über Fähigkeiten . Um dies zu erreichen, mussin Deutschland noch einiges geleistet werden .Unser derzeitiger Eindruck ist: Es ist manchmal fasteinfacher, mehr Geld zu bekommen, als die strukturellenAnpassungen bei der Bundeswehr zügig durchzusetzen,die notwendig sind, um das zusätzliche Geld sachgerechtso einzusetzen, dass es bei den Soldaten ankommt . Dadauert manches – wir wissen das gemeinsam – einfachimmer noch zu lange .Um es an dieser Stelle loszuwerden: An besserenStrukturen arbeiten – das ist schon ein bisschen eineKritik; ich bitte Sie, Frau Ministerin, das nochmals zuüberdenken – ist etwas anderes, als Kraft für einen pseu-domodernistischen Verhaltenskodex einzusetzen, der imGrunde genommen formuliert, dass Soldaten nicht mehrinformelle Kontakte zum Parlament und zu anderenpflegen sollen. Das ist eigentlich unnötig. Die Kraft ist vertan . Es sind Staatsbürger in Uniform, und die Prinzi-pien der Inneren Führung sagen eindeutig: Wir könnenunseren Soldaten vertrauen . Sie sind klug genug, mit ih-rer Verantwortung eigenverantwortlich umzugehen, undbrauchen keinen vorgegebenen Verhaltenskodex .
Wir müssen die Kraft besonders in zwei Bereicheneinsetzen: natürlich bei der Trendwende beim Material .Wir brauchen einen Investitionsanteil von 20 Prozent; imAugenblick sind es 16 Prozent . Aber wir haben ja auchdie Versorgungsleistungen im Etat . Die 37 MilliardenEuro fließen nicht nur aktuell in die Bundeswehr, son-dern auch in die Versorgung ehemaliger Soldaten .Die Ministerin hat eines schon geschafft: Die Trans-parenz im Beschaffungswesen ist dramatisch besser ge-worden . Das ist in der Tat ihr Verdienst . Es ist allerdingsnicht erreicht worden, dass die Prozesse schneller gehen .Es ist nicht so, dass die notwendigen Ausrüstungsgegen-stände, manchmal auch nur die Dinge, die die Soldatenim Alltag brauchen, also auch die kleinen Dinge, zurVerfügung stehen . Das ist beschwerlich . Das funktioniertnicht verlässlich . Frau Ministerin, wir sind skeptisch, obdie Heerscharen von Beratern für viele Millionen Eurostrukturell die richtige Antwort auf diese Herausforde-rung sind .
Ich habe schon den Eindruck, dass es richtig ist, dieFehler der Vergangenheit auszumerzen und zu gewähr-leisten, dass die Wirtschaft, wenn sie nicht korrekt liefert,Verantwortung übernimmt und regresspflichtig ist. Aber eines kann nicht sein: dass die Prozesse jetzt so langedauern, weil von der Wirtschaft verlangt wird, dass siemit ihrer Unterschrift Risiken übernimmt, die man beider Unterschrift vielleicht noch gar nicht kennt . Wer dasverlangt, wird Monate und Jahre verhandeln .Unsere Erwartung ist, dass das große Amt in Kob-lenz mit 9 700 Mitarbeitern in die Lage versetzt wird,die Geräte für die Soldatinnen und Soldaten in qualitativhochwertiger Form und zeitnah zu beschaffen . Dies istdie eigentliche Herausforderung .
Es ist nicht einfach; ich weiß das .Wir brauchen dazu den Dreiklang von Amt in Kob-lenz, Ministerium, das vorgibt, und leistungsfähiger Rüs-tungswirtschaft, zu der wir Sozialdemokraten uns aus-drücklich bekennen . Sie ist kein Selbstzweck . Dabei gehtes auch nicht um Volkswirtschaft, wie manche von denLinken meinen . Eine Rüstungswirtschaft ist eine Voraus-setzung dafür, dass wir als Land unsere Beiträge verläss-lich in die internationalen Bündnisse einbringen können .Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Noch wich-tiger als das Gerät ist das Personal . Wir wünschen uns,dass der Aufwuchs, der angedacht ist, schnell erfolgt . Ermuss in den Bereichen erfolgen, wo Fähigkeitslückensind, wo hohle Strukturen sind . Insbesondere muss er dasZiel haben, die Belastung vieler Soldaten, insbesonderein Mangelverwendungsreihen, zu senken . Diese Belas-tungen können wir auf Dauer nicht verantworten .Wir stehen sieben, acht Monate vor einer Wahl undsagen hier ausdrücklich: Die Herausforderung bei derBundeswehr ist zu wichtig und zu groß, als dass wir imVerteidigungsausschuss jetzt sieben, acht Monate Wahl-kampf machen können . Wir wollen bis nächsten Sommerdaran arbeiten, dass die Bundeswehr weiterhin auf demWeg der Verbesserung ist .
Herr Kollege Arnold .
Unsere Unterstützung haben Sie dabei .
Jetzt nicht noch sieben, acht Monate weiterreden .Rainer Arnold
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Herzlichen Dank .
Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-
ben Sie mir, mit einem Thema anzufangen, bei dem es
um einen Bereich geht, wo wir uns ausnahmsweise mehr
von der Bundesregierung wünschen und nicht weniger .
Es gab Anfang 2014 diverse Diskussions- und Redebei-
träge von Teilen der Bundesregierung, in denen gesagt
wurde, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der
Welt übernehmen . Wir haben das nicht bei allen Reden
immer nur auf das Militärische gemünzt gesehen . Es gibt
tatsächlich diverse Bereiche, wo wir uns mehr wünschen .
Zwei Jahre danach muss man feststellen, dass Deutsch-
land bei der Unterstützung der Missionen der Vereinten
Nationen auf der Welt immer noch auf Platz 58 liegt .
Wir haben, Polizistinnen und Polizisten sowie Soldatin-
nen und Soldaten zusammengezählt, unter 200 Personen
draußen in UN-Missionen . Das ist, wenn man bedenkt,
was Deutschland kann, wie viel Reichtum in diesem
Land existiert und wie viele deutlich ärmere Länder vor
uns sind, einfach viel zu wenig .
Kolleginnen und Kollegen, es ist offenkundig, dass
sich in den nächsten Wochen und Monaten vieles ändern
wird . Wohin genau die Reise geht, wissen wir nicht . Wir
werden sehen, was das neue Staatsoberhaupt im wich-
tigsten, größten und potentesten NATO-Partnerstaat, in
den USA, tun wird . Es ist aber schon jetzt klar, dass man
sich auf einige Dinge einstellen muss und auch einige
Dinge umdrehen und verändern muss .
Der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg,
hat dieser Tage wieder einmal gesagt, dass Demokra-
tie und Rechtsstaatlichkeit Kernwerte der NATO seien .
Er hat theoretisch eigentlich recht, und das ist ja auch
in den letzten Jahren immer wieder gesagt worden . Er
hat das auf der Parlamentarierversammlung der NATO
gesagt; einige aus diesem Raum waren dabei . Dann ist
er aufgefordert worden, dass er, wenn Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit Kernwerte der NATO seien, doch
auch einmal etwas sagen möge zur Situation in der Tür-
kei und zu der Tatsache, dass in der Türkei mittlerwei-
le mehr Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis
sind als in China . Daraufhin hat er einfach nur gesagt,
dass die Türkei jedes Recht habe, gegen die Putschis-
ten vorzugehen . – Das ist das Gegenteil von dem, was
er selbst eingefordert hat, nämlich dass Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit Kernwerte der NATO sein müssen .
Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung – und sei es
in leisen Gesprächen – darauf hinweist, dass er so die ge-
samte Glaubwürdigkeit des Bündnisses aufs Spiel setzt .
Ein zweites Thema betrifft das 2-Grad-Ziel; das ist ja
jetzt mehrfach thematisiert worden .
– Entschuldigung, falsche Debatte, ich meine das 2-Pro-
zent-Ziel . Wir Grüne können machen, was wir wollen,
wir sind Ökos . – Das 2-Prozent-Ziel, also 2 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben aufzuwen-
den, bedeutete – das hat die Kollegin ja gerade vorge-
rechnet – ein Plus von 27 Milliarden Euro mehr im Jahr .
Das geht – das ist völlig zu Recht gesagt worden – nur
durch zwei Maßnahmen .
Die erste betrifft Effizienzsteigerung und Reformen.
Reformen sollten aber eben nicht in der Form umgesetzt
werden, dass man die Bundeswehr mit Geld überschüttet
und Defizite dadurch überdeckt, wie es in diesem Haus-
halt ja passiert . Das hat der Kollege Lindner gerade aus-
führlich beschrieben .
Die zweite betrifft das Thema Europäisierung . Frau
Ministerin, Sie haben vorhin sehr eindrücklich erklärt,
wie viele verschiedene, nicht miteinander kompatible
Formen von Waffensystemen es gibt . Sie haben ja recht .
Es ist völlig richtig, dass die Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union unglaublich viel dadurch verschenken,
dass sie nicht ausreichend miteinander reden . Aber wenn
wir wirklich ernsthaft in die Europäisierung einstei-
gen wollen, statt immer nur – manchmal auch sinnvol-
le – Leuchtturmprojekte durchzuführen, dann wäre der
Beginn, dass Sie sich hierhinstellen und das Ende des
Prinzips „Breite vor Tiefe“ verkünden . Solange jeder
Mitgliedstaat, auch die Bundesrepublik, laut und heftig
sagt: „Wir wollen einfach einmal alles haben“, wird es
keine Europäisierung geben . Das ist der Grund, warum
die Europäisierung nicht vorankommt . Es ist leicht, da-
rüber zu sprechen, aber Sie müssen auch etwas dafür tun;
ansonsten kommen wir bei dieser Thematik nicht voran .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Bevor ich jetzt dem Kollegen Henning
Otte für die CDU/CSU-Fraktion das Wort gebe, möchte
ich gerne Mitglieder des Feldwebel-/Unteroffizieranwär-
terbataillons 2 aus Celle hier oben auf der Tribüne begrü-
ßen . Herzlich willkommen zur Debatte!
Herr Kollege Otte, Sie haben das Wort .
Ich darf mich diesem Gruß anschließen . – Sehr ge-ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den USAwurde mit Donald Trump ein neuer Präsident gewählt,über dessen außenpolitische Orientierung wir noch nichtsehr viel wissen . Es zeichnet sich jedoch schon seit län-
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gerem ab, dass wir uns künftig weniger darauf verlassenkönnen, dass die USA sich in den Krisengebieten so starkeinbringen wie bisher . Es kommt viel stärker auch aufunser Engagement an . Wenn wir die Amerikaner dazu er-mutigen wollen, weiterhin Engagement für die Sicherheitzu zeigen, dann müssen wir selbst auch bereit sein, unseinzubringen .Für uns sind Partnerschaft und Verantwortung keineEinbahnstraße . Das sagen wir ganz klar auch in Richtungder USA . Wir sind da ein verlässlicher Partner . Gemein-sam werden wir in der NATO dafür weiterhin einstehen .Deutschland ist auch dazu bereit, mehr einzubringen .Das ist ebenfalls Ausdruck unserer Verantwortung .Genauso klar ist auch ein Bekenntnis für Europa .Unser langfristiger Weg ist eine europäische Verteidi-gungsunion; unsere Verteidigungsministerin hat dies sehrdeutlich dargestellt . Es geht darum, dass wir alle unsereFähigkeiten einbringen . Das ist nicht im Sinne einer eu-ropäischen Verteidigungsarmee nach dem Vorbild der in-ternationalen sozialistischen Bewegung zu sehen, lieberKollege Arnold .
Verteidigungsunion bedeutet vielmehr, dass wir die Ko-operation von unten immer weiter stärken . Das ist auchunser europäischer Gedanke .Wir sind bereit, hier als Rahmennation zu agieren undvoranzugehen . Insbesondere gilt dies nach dem Brexit .Wir sind der festen Überzeugung, dass wir die europä-ische Säule innerhalb der NATO weiter stärken wollen .Auch das ist für uns Ausdruck von Verantwortung, meinesehr verehrten Damen und Herren .
Diejenigen, die Europa schwachreden wollen und ver-suchen, mit dem Gift des Nationalismus die europäischeIdee zu untergraben, stellen die Grundlage des Friedensund der Freiheit in Europa infrage . Nur gemeinsam sindwir stark – in der Wirtschaft, in Fragen der Migration undauch in Fragen der Sicherheit .Deswegen kann ich nur noch einmal die Schwerpunk-te hervorheben, die unsere Frau Ministerin dargestellthat, nämlich Digitalisierung, eine europäische Verteidi-gungsunion und ein wachsender Verteidigungshaushalt .Frau Ministerin, mit Ihrer Trendwende bei Personal,Material und Haushalt haben Sie schnell und weitbli-ckend die Lage erkannt und darauf reagiert . Das stärktdie Sicherheit und die Stabilität . Es ist auch ein Ausdruckdes Schutzes unserer Bürgerinnen und Bürger . Dafürdanken wir Ihnen sehr herzlich . Dabei haben Sie auchunsere volle Unterstützung .
Es war Konrad Adenauer, der einmal sagte: „Machtund Verantwortung sind untrennbar miteinander verbun-den .“ Damit hat der erste Bundeskanzler in der damals sojungen Bundesrepublik eine ebenso trockene wie klugeFeststellung getroffen, die nicht an Aktualität verlorenhat, gerade im Zusammenhang mit der zurückliegendenWahl in den USA, aber auch bei klarer Betrachtung dersicherheitspolitischen Herausforderungen .Was bedeutet Macht in dieser Zeit, und was bedeutetes, verantwortlich zu handeln? In der Sicherheitspolitiksehen wir uns drei großen Herausforderungen gegenüber:Die erste Herausforderung ist ein offensiv agierendesRussland mit der völkerrechtswidrigen Annexion derKrim, mit der Einflussnahme in der Ukraine, aber auch mit dem Agieren in Syrien, mit hybriden Provokatio-nen, mit kurzfristigen militärischen Alarmierungen, so-genannten „snap exercises“, um die Nachbarn bewussteinzuschüchtern . Mit der Aufstellung von drei neuen Di-visionen an der NATO-Grenze wird ganz bewusst eineBeunruhigung erzeugt . Dies ist beileibe kein neuer kalterKrieg. Aber es soll eine Einflusssphäre geltend gemacht werden . Und ich sage ganz deutlich: Wir sind Mitgliedder NATO . Für uns ist der Artikel 5 des Nordatlantikver-trags unumstößlich . Für uns sind Souveränität, Freiheitund Rechtsstaatlichkeit unverrückbare Grundwerte .
Das sollte jeder wissen . Im Übrigen bedeutet das auch füruns Stabilität und Schutz nach innen . Und das ist auchAusdruck der Verantwortung der Union, meine Damenund Herren .
Die zweite Herausforderung ist der international agie-rende Terrorismus: IS, al-Qaida, Boko Haram . Die Weltist dadurch bedroht . Zonen der Instabilität werden ge-schaffen, auch in direkter Nachbarschaft zu Europa . DieAnschläge in Brüssel und Paris haben gezeigt, dass auchEuropa im Kern bedroht ist . Es geht auch um die Be-drohung in den Heimatregionen der Menschen, die vorGräueltaten fliehen müssen und bei uns Schutz suchen. Wir dürfen den Fluchtursachen nicht tatenlos gegenüber-stehen . Wir müssen dem Terror und der Gewalt dort ent-gegentreten, wo sie entstehen, nicht nur militärisch, abereben auch militärisch .Die dritte Herausforderung ist die Verschiebung ininternationalen Machtgefügen . Neue Akteure und Hand-lungsfelder verlangen nach Aufmerksamkeit: im Cyber-raum, auf hoher See, am Nord- und Südpol, im Welt-raum . Dies wird zunehmend auch in den Fokus unsererBetrachtung kommen müssen . Die Digitalisierung ist einrichtiges Stichwort . Aber auch hier gilt es, Chancen undRisiken zu sehen . Die Globalisierung birgt Chancen undRisiken, und auch der Klimawandel stellt eine große He-rausforderung dar . Das sind rasante Veränderungen, diefür Deutschland als Exportnation, als internationalenVerantwortungsträger von strategischer Bedeutung sind .Ungehinderter Zugang zu Handelsrouten, Kommuni-kationslinien, Rohstoffen: Wir dürfen uns hier nicht ab-hängig machen . Die Herausforderung ist, dass wir weiterfür Frieden und Freiheit eintreten, dass wir unser Landweiter wirksam schützen, dass wir die Sicherheitspolitikgestalten, dass wir den Koalitionsvertrag dahin gehendumsetzen, dass wir sagen: Wir lassen uns von den Inte-ressen und Werten unseres Landes leiten .Henning Otte
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Dazu leistet der Verteidigungshaushalt einen ganzwichtigen Beitrag . Frau Kollegin Buchholz, wenn Siesagen, es handelt sich hier ausschließlich um einen Rüs-tungshaushalt, dann verkennen Sie, dass es sich hierbeiauch um Personalkosten handelt, dass es sich um Ver-sorgungskosten handelt, dass es sich um Einsatzkostenhandelt, um in Ländern Stabilität zu erzeugen,
auch damit die Menschen dort nicht fliehen. Das sollten Sie in Anbetracht der Wahrheiten zur Kenntnis nehmenund den Leuten nicht etwas Falsches vorgaukeln .
Unser Anspruch ist weiterhin, dass wir auf jede sicher-heitspolitische Frage auch eine Antwort geben können .Das machen wir bewusst mit einem breiten Fähigkeits-spektrum . Die Bündnisverteidigung steht dabei wiederim Fokus . Der NATO-Gipfel jüngst in Warschau hatdeutlich gemacht, dass wir mit einer Vorne-Präsenz eineStabilität im Baltikum erzeugen wollen,
dass wir rotierend stationieren, dass wir in Litauen ei-nen Beitrag leisten, damit man weiß: Wenn im Balti-kum ein Angriff erfolgen soll, dann würde hiermit jedesNATO-Land getroffen werden, und wir würden uns zurWehr setzen müssen . – Das ist beileibe kein Säbelrasseln,das ist wie eine Haftpflichtversicherung.
Wir sagen auch deutlich: Wir wollen einen Beitrag zurVJTF im Jahr 2019 leisten .Unser Antrieb ist es, Krisen dort zu besänftigen, wosie entstehen . Wir wollen sie mit 64 Nationen auch beider Anti-IS-Mission entschärfen . Es zeigt sich, dass derIS besiegbar ist, dass er zurückgedrängt wird . Deswegenwar es auch wichtig und richtig, dass wir unseren Beitragleisten: mit Aufklärungstornados, mit Tankflugzeugen, mit einer Fregatte als Schutzfregatte, und vor allem, in-dem wir die AWACS-Fähigkeiten zur Verfügung stellen .Ich sage allen: Dieser Einsatz wird aus der Türkei he-raus geflogen, nicht für die Türkei geflogen, weil es uns darum geht, dass wir den Menschen wieder eine sichereHeimat in Syrien ermöglichen wollen .Meine Damen und Herren, das bedeutet nicht zwangs-läufig, dass wir überallhin Soldaten entsenden wollen. Nein, ganz im Gegenteil; das wollen wir nicht . Wir wol-len stattdessen im Rahmen einer Ertüchtigungsstrategie,so wie es unsere Bundeskanzlerin einmal deutlich gesagthat, Länder in die Lage versetzen, selbst für Sicherheitund Stabilität zu sorgen . Mit einem eigenen Titel, der2016 erstmals mit 100 Millionen Euro, jetzt mit 130 Mil-lionen Euro auf unseren Antrag hin ausgestattet ist, wol-len wir genau diese Ertüchtigung weiter voranbringen,für Länder, die einen guten Weg gehen wollen, aber unterDruck stehen, Länder wie Mali, Tunesien, Nigeria, Jor-danien und auch Irak . Ich sage einmal in Richtung Op-position, vielleicht mehr in Richtung der Grünen: Es hießeinmal: Du musst dazu beitragen, die Menschen das An-geln zu lehren, anstatt ihnen Fische zu geben . – In diesemSinne sagen wir: Wir ziehen es vor, Länder in die Lage zuversetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität zu sorgen .Dazu kann auch der Export von Ausrüstungsgütern einwichtiger Beitrag sein, meine Damen und Herren .
Der Verteidigungshaushalt 2017 umfasst circa 37 Mil-liarden Euro . Das sind notwendige Investitionen in undfür die Sicherheit Deutschlands . In Ergänzung der bisheraufgeführten Maßnahmen sage ich: Wir beschaffen neueBrückenlegepanzer Leguan, um Hindernisse überwindenzu können und damit die Landes- und Bündnisverteidi-gung zu gewährleisten . Wir ertüchtigen den Transport-panzer Fuchs, weil die Unversehrtheit der Soldatinnenund Soldaten für uns oberstes Gebot ist . Wir verbes-sern die Luftabwehrfähigkeit von Fregatten . Wir bauendie sanitätsdienstliche Versorgung aus . Wir stärken denEurofighter in den Bereichen Radar, Selbstschutz und Bewaffnung . Vor allem ertüchtigen wir Rettungshub-schrauber und beschaffen neue Rettungshubschrauberwie den NH90 Forward Air MedEvac . Das macht unshandlungsfähiger . Das gibt uns die Möglichkeit, Verant-wortung zu übernehmen, ganz im Sinne und Verständnisvon Adenauer, als er sagte, was Macht bedeutet . Machtbedeutet, dass wir Einfluss nehmen können, dass wir unsere Werte weiter voranbringen können und dass wirMenschen helfen können, die in Not sind .Deutschland ist ein verlässlicher Partner, ein wirt-schaftlich starkes Land, in die internationale Gemein-schaft fest eingebunden . Wir wollen Gestaltungsmög-lichkeiten wahrnehmen und uns nicht hinter Partnernverstecken . Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dassdie NATO als Verteidigungsbündnis eine 360-Grad-Ver-teidigung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger zujeder Zeit gewährleisten kann . Es geht um die Sicherheitder Bürgerinnen und Bürger, und es geht um den Schutzder Einsatzkräfte . Sie sind verantwortungsbewussteStaatsbürger in Uniform, auch in Zivil, die jeden Tag be-reit sind, im Einsatz zu sein und eine gute Zukunft unse-res Landes zu gewährleisten – sicher, frei und vielfältig .Darum danke ich allen Soldatinnen und Soldaten, auchallen Polizeikräften und Rettungskräften, die im Einsatzund im Heimatbetrieb für die Sicherheit Deutschlandsund unserer Partnerländer einstehen .Diesen Männern und Frauen die bestmögliche Ausrüs-tung zu geben, gute politische Rahmenbedingungen zugeben, vor allem auch moralische Rückendeckung zu ge-ben – das ist unsere Aufgabe, und das ist Ausdruck diesesHaushaltes . Es geht um nicht weniger als die Sicherheitunseres Landes für die Bürgerinnen und Bürger . Deswe-gen ist dieser Verteidigungshaushalt richtig, und deswe-gen stimmen wir ihm auch aus voller Überzeugung zu .
Henning Otte
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Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt die
Kollegin Gabi Weber das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Ich freue mich für die zivilen undmilitärischen Beschäftigten der Bundeswehr, dass derEinzelplan 14 noch einmal 400 Millionen Euro mehr um-fasst, als zunächst geplant . Die Planung für die kommen-den Jahre sieht zudem jährlich etwa 2 Milliarden Euromehr vor; darauf ist vorhin schon hingewiesen worden .Allerdings geht es dabei nicht darum, wer im Kabinettden größten Haushalt hat, sondern es geht darum, wasmit dem Geld der Steuerzahler passiert . Diese möchteneine effektive Bundeswehr, keinen Papiertiger, der zwarGeld verschlingt, aber nichts zur Sicherheit der Bürgerund Bürgerinnen beiträgt .Eine effektive Bundeswehr ist auf eines besondersangewiesen: ausreichendes, gut ausgebildetes und moti-viertes Personal. Denn ohne Pilot fliegt kein Flugzeug, ohne Besatzung fährt kein Schiff und ohne Fahrer keinPanzer . Zugegeben: Auch mit Personal funktioniert zur-zeit nicht alles. Daher fließt ein größerer Anteil der zu-sätzlichen Mittel in den Erhalt von Material und ebensoverstärkt in die Beschaffung .Frau Ministerin, endlich geben Sie, wie von uns schonlange gefordert, deutlich mehr Geld für Personal und fürneue Stellen aus . Insbesondere an die Linke richte ichden Hinweis: Dieser Haushalt ist kein Rüstungshaushalt .
Fast ein Drittel der Ausgaben wird für gutes Personalaufgewendet, das nicht nur dazu da ist, Maschinen zubedienen, sondern das auch Frieden in vielen Teilen derWelt sichert .
Die Bundeswehr steht allerdings beim Werben umden Nachwuchs in ständiger Konkurrenz zur freien Wirt-schaft . Dabei sind neue und kreative Wege nötig, um dasrichtige Personal zu finden. Ebenso durchdacht sollten die Anreize sein, bei der Bundeswehr zu bleiben . Hiergeht es beispielsweise um Beteiligungsrechte . Wir habenin diesem Jahr ein neues Soldatinnen- und Soldatenbe-teiligungsgesetz verabschiedet, mit dem die Vertrauens-personen eine Stärkung ihrer Position erfahren haben .Mittlerweile werden die Vorgesetzten bereits geschult,was die Anwendung dieses Gesetzes angeht . Ein Pro-blem gibt es zurzeit allerdings, weil nicht genügend oderüberhaupt kein Geld eingestellt worden ist, um die Ver-trauenspersonen, die diese Aufgaben übernehmen sollen,im Zuge ihrer neuen Möglichkeiten zu qualifizieren. Da ist Nachsteuerung notwendig .
Das gleiche Bild haben wir bei den Personalräten . Indiesem Jahr wurden sehr viele neue Personalräte gewählt .Auch hier ist eine entsprechende Qualifizierung notwen-dig . Lassen Sie mich als langjährige Gewerkschafterinsagen: Eine Beteiligung der Belegschaft an Entscheidun-gen der Führung trägt deutlich zur Zufriedenheit der An-gestellten bei, und dafür muss eben ausreichend Geld zurVerfügung gestellt werden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das StabselementChancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion, das diesesJahr eingerichtet wurde, ist, neben dem bereits existie-renden Gleichstellungbeauftragten, ein weiterer sinnvol-ler Schritt, um sich auf eine veränderte Bewerberlageeinzustellen .Frauen werden in der Bundeswehr trotz gegenteili-ger Bekundungen weiterhin nicht so gut behandelt wieihre Kollegen, sei es bei den Bewertungen durch Vor-gesetzte, im Zusammenhang mit Beförderungen, beider Aufgabenzuweisung oder im täglichen Umgang ineiner männlich dominierten Arbeitsumgebung . Wenn indiesen Bereichen eine größere Akzeptanz deutlich wür-de, wenn unterschiedliche Familienhintergründe undLebensentwürfe nicht diskriminiert und verurteilt, son-dern anerkannt und gefördert würden, dann hätte sich dieStabsstelle, die ebenfalls aus den Mitteln des Personal-haushalts bestritten wird, bereits bezahlt gemacht . Dennim Werben um qualifizierten Nachwuchs kann es sich die Bundeswehr nicht leisten, die Hälfte der Bevölkerung zuignorieren .Frau Ministerin, zum Ende meines kurzen Beitragsist es mir ein Anliegen, die Wichtigkeit des informellenAustauschs zwischen Soldaten und Parlamentariern zubetonen . Derzeit wird ein neuer Verhaltenskodex für denBereich des Verteidigungsministeriums erarbeitet, der anmanchen Stellen über das sicher gut gemeinte Ziel hin-ausschießt . Die eigentliche Absicht dieses Kodex solltenicht aus den Augen verloren werden . Aber in einem de-mokratischen Rechtsstaat mit gewählten Abgeordnetenmüssen offene Gespräche möglich bleiben, zum Beispielbei Empfängen, bei Mandatsbesuchen oder auch beimBesuch der Kasernen im Wahlkreis, wie bei mir in Diezoder in Rennerod . Frau Ministerin, ein gewisses Vertrau-en ins eigene Personal und die Übertragung von Verant-wortung sollten heutzutage selbstverständlich sein .
Noch ein Hinweis zum vernetzten Ansatz . Der Ver-teidigungshaushalt wächst an den richtigen Stellen auf .Gutes Personal ist teuer . Wir stehen dazu, unseren An-teil in Höhe von 1,2 Prozent des BIP zu leisten, wie esdie NATO-Kriterien vorsehen . Wir können in diesemZusammenhang aber nicht nur über Verteidigung re-Henning Otte
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den, sondern der vernetzte Ansatz weist uns auch in dieRichtung des Haushalts des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Hierhaben wir nach wie vor noch lange nicht die vereinbarteODA-Quote von 0,7 Prozent erreicht; da haben wir alsonoch unsere Hausaufgaben zu machen . Nur wenn wir einGleichgewicht zwischen diesen beiden Haushalten hin-bekommen, haben wir einen sehr guten Haushalt . Jetzthaben wir einen guten Haushalt für das Verteidigungsmi-nisterium, dem wir zustimmen werden .Danke .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat Ingo Gädechens,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach fast anderthalb Stunden Debattenzeit zum Verteidi-gungsetat, zum Einzelplan 14,
hat man es, wenn man der elfte Redner ist, nicht leicht,zu vermeiden, dass man Argumente wiederholt . Aber ichwill an der einen oder anderen Stelle die guten Argumen-te der CDU/CSU-Fraktion noch einmal verstärken .Ich möchte an dieser Stelle gerne der Kollegin KarinEvers-Meyer danken . Denn nicht nur Barthl Kalb hatzum letzten Mal den Einzelplan 14 beackert und bear-beitet, auch die Kollegin Evers-Meyer hat ihren letztenBericht zu diesem Einzelplan abgegeben . Ihr hat in derletzten Wahlperiode die Lehrzeit im Verteidigungsaus-schuss so gut getan, dass sie im Haushaltsausschuss einegute Arbeit für den Einzelplan 14 hat leisten können . Wirin Schleswig-Holstein pflegen immer zu sagen: Es ist un-glaublich, wie viel Lob ein Mensch ertragen kann, bevorer an der Seele Schaden nimmt . – Also: Ein Lob den bei-den Berichterstattern im Haushaltsausschuss, liebe Kol-leginnen und Kollegen .
Mein Lob richte ich auch an die Ministerin und vorallen Dingen an das Team in ihrem Haus . Es ist solidegearbeitet worden . Da ja ein Mangel an Transparenz be-klagt worden ist, sage ich: Ich erkenne Transparenz anallen Ecken und Enden . Meine Fraktion ist wirklich froh,dass wir die Erhöhung des Plafonds tatsächlich in diesemUmfang haben erreichen können . Denn – das ist jetzt dieWiederholung der politischen Diskussion – die Sicher-heitslage in der Welt ist wirklich instabiler geworden .Deshalb ist die Erhöhung auch zu rechtfertigen .Wir leben in unsicheren Zeiten . Unsicherheit entstehtauch aus Ungewissheit . Einige meiner Vorrednerinnenund Vorredner haben schon gesagt: Wir können mit Blickauf unseren transatlantischen Partner und das, was jetzt inden USA passiert, nur schwer abschätzen, was im Detailauf uns zukommt . Unsere Außen- und Sicherheitspolitikwar bislang geprägt von einer tief verankerten transat-lantischen Partnerschaft . Diese Partnerschaft basierte aufVertrauen, gekennzeichnet von politischer Vernunft undsicherheitspolitischer Zuverlässigkeit . Sowohl politischeVernunft als auch sicherheitspolitische Zuverlässigkeithabe ich bislang, jedenfalls in den Wahlkampfaussagendes gewählten und designierten zukünftigen Präsidentender Vereinigten Staaten, nicht gehört . Deshalb richte ichaus diesem Haus an die US-Administration die Bitte, siemöge sich schnell sortieren und Positionen für eine trag-bare Außenpolitik beschreiben .Wir können leider nicht mehr davon ausgehen, dassunsere Wertegemeinschaft allein ausreicht, um ein kraft-volles transatlantisches Bündnis zu begründen . Wirmüssen erneut alle gemeinsam dafür werben, uns aberzeitgleich darauf einstellen, dass sich Amerika seinerVerantwortung zu einem guten Stück entziehen wird .Das bedeutet, dass Europa und insbesondere Deutsch-land deutlich mehr für die eigene Sicherheitsvorsorgewerden leisten müssen .Hier gibt es verschiedene Wege . Es geht etwa ummehr Effizienz. Die verschiedenen Waffensysteme und die unterschiedlichen Fernmeldegeräte innerhalb derNATO wurden angesprochen; hier wünschen wir uns allemehr Effizienz. Aber, lieber Kollege Arnold, wenn Sie das SPD-Papier von vor zwei Jahren zitieren, muss ichsagen: Es ist doch ein erheblicher Unterschied in der Be-grifflichkeit, ob man eine europäische Armee oder eine Europäisierung der Armeen will .
Ich sage es einmal so: Was die Kooperation betrifft, sindwir deutlich erkennbar auf einem guten Weg . Man denkezum Beispiel an die Niederlande oder im Hinblick aufdie Fähigkeiten, etwa U-Boote, an Norwegen . Hier sindwir, wie gesagt, auf einem wirklich guten Weg, liebeKolleginnen und Kollegen .Das sicherheitspolitische Umfeld ist noch komplexer,volatiler, dynamischer und damit schwieriger vorher-sehbar geworden . Die Krisenherde in und um Europamit den Konflikten im Osten und Südosten werden alle Bündnispartner und in ganz besonderer Weise uns for-dern .Wir haben aktuell 3 500 Soldatinnen und Soldaten inzwölf höchst unterschiedlichen Missionen im Einsatz .Aber, lieber Kollege Nouripour, wenn Sie sich als Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen ein größeres Engagementauf dem Kontinent Afrika wünschen und hier mit derZahl 200, die Sie in den Raum geworfen haben, agieren,dann will ich Ihnen gerne sagen: Die Zahl der Soldatenalleine im MINUSMA-Mandat soll von 500 auf 1 000aufwachsen, damit wir gemeinsam mit den Bündnispart-nern unseren Aufgaben und unserer Verantwortung ge-recht werden können . Bei UNMISS und UNAMID er-kennt man ja schon an den Namen, dass es UN-Mandatesind, weil sie mit „UN“ beginnen . Aber auch MINUSMAist ein UN-Mandat . Auch im Rahmen dieses Mandatsentsenden wir Soldatinnen und Soldaten .Gabi Weber
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vielzahl un-serer Einsätze zeigt auch die Komplexität . Herr Kolle-ge Lamers, wir waren ja in Incirlik, um zu sehen, wasunsere deutschen Soldatinnen und Soldaten dort leisten .Aber es ist egal, wohin man fährt und wo man die Truppebesucht: Ich persönlich bin immer wieder zutiefst beein-druckt von der Professionalität der Soldatinnen und Sol-daten und davon, wie überzeugt die Männer und Frauenvon ihrem Tun und Handeln sind . Unser Bestreben hierin diesem Haus muss doch sein, diesen Soldatinnen undSoldaten nicht nur Anerkennung zu zollen, sondern ihnenden Rücken zu stärken und sie entsprechend mit vernünf-tigem Material auszustatten, verehrte Kolleginnen undKollegen .
Ich habe jetzt bestimmte Themenfelder selektiert, willaber doch noch ein paar Worte zum Thema Korvettensagen . Ich bin Berichterstatter meiner Fraktion für dieMarine, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Korvettensind nicht vom Himmel gefallen . Das war auch keineIdee, die irgendwo im Haushaltsausschuss plötzlich auf-gekommen ist .
– Nein, lieber Kollege Lindner, wir haben uns darüber jaauch schon einmal bilateral unterhalten .Wer einmal genau in die Haushalte hineinschaut – gu-cken Sie auch in den geheimen Teil –, sieht, dass eineStrategie verfolgt wurde . Vor wenigen Tagen haben wirdie Schnellboote der Klasse 143A außer Dienst gestellt .Diese Schnellboote sollten von weiteren fünf Korvettenersetzt werden . Dann drehte sich die Welt weiter, unddie Idee war eigentlich, ein Mehrzweckkampfschiff –MKS 180 – zu entwickeln . Als wir aber erkannten, dasswir, bedingt durch die Ausschreibungsmodalitäten, indieser Wahlperiode zu keiner Auftragsvergabe mehrkommen konnten,
haben wir gesagt: Wir setzen auf ein eingeführtes Gerät,wir setzen auf diese Korvette, um nämlich das zu bewir-ken, was, glaube ich, alle hier im Raum, die sich intensivmit dem Thema befassen, wollen: nämlich die Marine zuentlasten . Deshalb setzen wir auf eine schnelle Beschaf-fung dieser Korvette .
Liebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen undKollegen, wer das nicht glaubt, der soll sich bitte einmalmit dem Inspekteur der Marine zusammensetzen . Dannwird er erfahren, was für eine Einsatzbelastung dieseTeilstreitkraft in Kauf nehmen muss . Jetzt kehrt geradeeine Fregatte mit 280 Seetagen in den Heimathafen zu-rück . Was das für die Kameradinnen und Kameraden anBord bedeutet, muss ich vielleicht gar nicht ausmalen .Ich bin der Meinung, dass diese Beschaffung richtig ist,und Sie können mir sicherlich glauben, dass ich all de-nen, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar bin .Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ich glaube, mit dem Einzelplan 14sind wir nicht nur auf einem richtigen, sondern auf ei-nem sehr guten Weg, das zu erreichen, was das gemein-same Ziel aller sein sollte, nämlich für die Sicherheit derMenschen in der Bundesrepublik Deutschland zu sorgen .Deshalb werden wir dem Einzelplan zustimmen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Einzelplan
ist jetzt die Kollegin Heidtrud Henn, SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir habenjetzt viele Zahlen gehört, und alle hier im Hohen Hausewissen nun, dass sich der Verteidigungshaushalt für daskommende Jahr auf rund 37 Milliarden Euro beläuft . Dasist viel Geld, und wir werden in Zukunft noch mehr Geldfür unsere Sicherheit zur Verfügung stellen müssen .Hier müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern gegen-über ehrlich sein: Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif .Und auch an der Sicherheit unserer Soldatinnen und Sol-daten darf nicht gespart werden . Das verstehen die Bür-gerinnen und Bürger übrigens auch, wenn wir nicht umden heißen Brei herumreden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten von Ih-nen werden einen Autoführerschein haben . Sie haben dasAutofahren mit einem Auto gelernt . Das ist ja wohl ganznormal, werden Sie jetzt sagen. Ich finde das auch. Aber dann sollte es auch für unsere Soldatinnen und Solda-ten normal sein, beim Üben und Lernen das Material zunutzen bzw . am Leib zu tragen, mit dem sie auch im Ein-satz zurechtkommen müssen . Das kostet Geld . Wir sinddas unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig, die mitunserem Mandat in Einsätze gehen und sich darauf vor-bereiten müssen . Gutes Üben muss mit der Realität über-einstimmen . Das ist auch eine Frage der Sicherheit, undSicherheit sollte für unsere Soldaten gewährleistet sein .Die Ausstattung mit leistungsfähigen Großgerätenund ein moderner IT-Bereich sind sehr wichtig . Ich wer-de aber nicht müde, immer wieder auch zu sagen: Ge-nauso wichtig ist die Ausstattung am Leibe . Hierfür mussnoch mehr Geld fließen.
Die Einsätze werden nicht weniger und erst recht nichteinfacher . Ich frage mich in die Zukunft blickend, ob esnicht sinnvoll wäre, wenn jede Soldatin und jeder Soldatüber eine eigene Ausrüstung verfügen würde . Vielleichtkönnen wir uns darüber Gedanken machen .Ingo Gädechens
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Viele Gedanken gemacht haben wir uns auch über dasThema Unterbringung . Wer sagt, das sei ein alter Hut,der hat sich schon lange nicht mehr mit den Bundes-wehrangehörigen unterhalten . Uns Politiker sollte nichtinteressieren, was in Papieren steht und was man unsverspricht, sondern was wir bei unseren Besuchen derTruppe vorfinden, nämlich fehlende Betreuungseinrich-tungen, marode Sporthallen und von Schließung bedroh-te Mannschaftskantinen, weil sie nicht mehr den Vor-schriften entsprechen . Es gibt jetzt zwar mehr Geld fürden Einzelplan 14; damit werden wir aber nur reparierenkönnen . Einer modernen Bundeswehr, die gut ausbildetauch gute Arbeit leisten soll, muss man mehr bieten, alsdas bisher der Fall war .An der Sicherheit dürfen wir nicht sparen – erst rechtnicht an der Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten,die für unsere Sicherheit sorgen . Auch die Seele brauchtSicherheit . Wird sie krank, leiden darunter die im Ein-satz Geschädigten, aber auch ihre Familien . Wir müssenalso Geld für gemeinsame Therapien der Betroffenen mitihren Familien aufwenden und entsprechendes Personaleinsetzen . Wirtschaftliches Handeln ist wichtig und rich-tig; an der falschen Stelle zu sparen, ist gefährlich .Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch kei-nem andern zu . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die-sen guten Rat haben wir alle mitbekommen . Man kannden Rat auch umkehren: Was du willst, das man dir tu,das füg auch allen andern zu .Wir Politiker wollen unsere Arbeit gut ausgestatteterledigen . Für die Angehörigen der Bundeswehr, diemit unserem Mandat ihre Aufgaben erledigen, sollte dasebenso gelten . Wertschätzung beginnt mit Worten, diein Taten umgesetzt werden müssen, und dafür brauchtman Geld . Sicherheit und Frieden: Darum geht es bei derBundeswehr – und auch um gute Arbeit .In diesem Sinne danke ich unseren Haushältern undallen, die dienen . Dazu gehören auch die Angehörigender Angehörigen der Bundeswehr . Ich wünsche IhnenGottes Segen .Danke .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der
Ausschussfassung . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 14 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Oppo-
sition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .12 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter zu diesem Einzelplan sind die Abge-
ordneten Volkmar Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert
und Anja Hajduk .
Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke vor . Über die
Entschließungsanträge werden wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Michael Leutert, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, im September haben Sie uns einen Ent-wurf vorgelegt, der knapp 8 Milliarden Euro umfasste,und heute sprechen wir über einen Etat von 8,5 Milli-arden Euro, der zur Abstimmung steht . Das heißt, wirhaben in den Haushaltsverhandlungen noch einmal nach-gesteuert, nachgebessert und etwas über 500 MillionenEuro draufgepackt .Diese Gelder werden insbesondere für die Krisen-bewältigung – 100 Millionen Euro –, aber auch für diebilaterale Zusammenarbeit eingesetzt . Das heißt, dieseGelder werden genutzt, damit die KfW und die GIZ ord-nungsgemäß ausgestattet sind, um die Zusammenarbeitbei den Projekten, die wir hier beschließen, auch tech-nisch und finanziell durchführen zu können. Ich hoffe, dass wir an dem Punkt besser ausgestattet sind als diesesJahr und nicht wieder eine solch peinliche Situation wieim Herbst dieses Jahres im Haushaltsausschuss erleben,wo zwischen Auswärtigem Amt und GIZ über die über-planmäßigen Ausgaben gestritten wurde, bis das Kanz-leramt eingeschaltet werden musste .50 Millionen Euro mehr werden für die „Sonderini-tiative Fluchtursachen bekämpfen“ ausgegeben . All dasfindet unsere Zustimmung.
Allerdings bleiben mindestens zwei große Baustellen,und es hilft nichts, dass man, wenn nichts getan wird, aufKritik verzichtet, sondern wir müssen sie immer wiederanbringen .Die erste Baustelle ist das Ziel, 0,7 Prozent vomBruttoinlandsprodukt für Entwicklungszusammenarbeitauszugeben . Es ist einfach bitter und traurig, dass wir dasnoch immer nicht geschafft haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute früh hat dieKanzlerin hier allgemein zum Haushalt 2017 Stellunggenommen . Wer aufmerksam zugehört hat, konnte fest-stellen: Es gab freundliche Worte in Richtung Entwick-lungszusammenarbeit – die Zahl 0,7 hat sie aber nichtin den Mund genommen –, und es gab eine ausführlicheHeidtrud Henn
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Würdigung des Verteidigungsetats, wobei sich die Kanz-lerin sehr dafür starkgemacht hat, dass in Zukunft 2 Pro-zent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung ausge-geben werden . Um einmal klarzumachen, um wie vielGeld es da geht: Im Entwicklungsbereich bräuchten wir25 Milliarden Euro – knapp 10 Milliarden Euro habenwir schon –, also 15 Milliarden Euro mehr . Im Verteidi-gungsbereich geht es um 65 bis 70 Milliarden Euro, alsoum ein Mehr von ungefähr 30 Milliarden Euro .Ich will das einmal von einer anderen Seite aus be-leuchten: Ich glaube, uns alle in diesem Hause eint, dasswir dafür sind, dass überall Frieden herrscht . Ich glaube,uns eint, dass wir überall Sicherheit für die Menschenhaben wollen . Uns eint wahrscheinlich auch, dass wir fürsoziale Gerechtigkeit einstehen wollen . Vielleicht gibt esda ein paar unterschiedliche Interpretationen, aber wei-testgehend sind wir uns einig .Ich glaube, wir sind uns auch darüber einig, wo dieUrsachen dafür zu suchen sind, dass nicht überall Frie-den herrscht, dass nicht überall Gerechtigkeit herrschtund die Menschen nicht überall in Sicherheit leben . DieUrsachen sind Krieg, Umweltzerstörung, Klimawandelund damit einhergehende Klimakatastrophen . Ursachensind auch der ungerechte Welthandel und ungerechteWeltwirtschaftsbeziehungen .Das heißt, wenn wir die Ziele Frieden, Sicherheit,Gerechtigkeit erreichen wollen, müssen diese Ursachenbekämpft werden, und dafür sind die Sonderinitiativenein geeignetes Instrument . Das bedeutet: Jeder Euro, denwir in Entwicklungszusammenarbeit stecken, jeder Euro,den wir in das Engagement gegen den Klimawandel ste-cken, jeder Euro, den wir in die Hand nehmen, um Hun-ger und Armut zu bekämpfen oder Bildungskapazitätenund medizinische Betreuung aufzubauen, ist ein Euro füreffektive Verteidigungspolitik . Wenn wir das verstandenhaben, können wir in Zukunft vielleicht auch darüber re-den, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit 2 Pro-zent des Bruttoinlandproduktes in die Hand zu nehmen,um damit zu arbeiten .
Dann bräuchte man vielleicht nur noch 0,7 Prozent fürdas Militär . Das wäre das richtige Verhältnis, das wärendie richtigen Maßnahmen . Ich glaube, wir würden damitmehr Sicherheit bewirken und das auch noch nachhaltig .Nun wissen wir alle aber auch: Geld allein genügtnicht, um die Probleme zu lösen . Und ob wir 0,7 oder2 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben:Wir werden damit nicht alle Probleme lösen können .Deshalb brauchen wir Partner . Das ist die zweite großeBaustelle . Wir müssen uns erstens darum bemühen, dortin Zukunft – es gibt zwei Andockstellen für Partner; eineist die europäische Ebene – zu einer stärkeren Koordi-nierung und Abstimmung zu kommen, und wir müssenzweitens internationale Organisationen einbinden undinternationale Programme umsetzen . Es wird sehr vielGeld in die Hand genommen, um bilaterale Entwick-lungszusammenarbeit auf den Weg zu bringen . Viel zuwenig Geld wird in die Hand genommen, um multila-terale Entwicklungszusammenarbeit abgestimmt auf denWeg zu bringen .
– Ja, weil wir mit unseren begrenzten Mitteln und Res-sourcen allein die Probleme nicht lösen können .Die Europäische Union ist derzeit nicht in der bestenVerfassung . Wäre es nicht ein lohnender Gedanke – eswürde allen helfen, und ich glaube, dass alle Mitglieds-länder der Europäischen Union ein Interesse daran ha-ben, die Fluchtursachen und Krisen zu beseitigen –, sichin diesem Punkt abzustimmen? Um diese Sache könntensich die europäischen Staaten gemeinsam kümmern undsie so zu einem guten Ergebnis führen . Vielleicht könn-ten wir da zu größeren Fortschritten kommen, als wennjedes Land seine eigenen Pläne macht und seine eigenenInitiativen entwickelt .Die zweite Art von Partnern – das habe ich schonvorhin in meiner Rede zum Haushalt des AuswärtigenAmtes gesagt – sind auf internationaler Ebene Organi-sationen wie das Kinderhilfswerk und das UN-Flücht-lingshilfswerk . Daneben gibt es auch Programme wiedas Welternährungsprogramm . Jedes Jahr müssen dieseInstitutionen und diese Programme – das ist einfach einebeschämende Situation – um Geld betteln, damit sie aus-kömmlich ausgestattet sind, um die Aufgaben zu erledi-gen, um die wir sie bitten .Es kann nicht sein, dass Deutschland jedes Jahr knapp300 Millionen Euro an das Flüchtlingshilfswerk zahltund Russland nur 2 Millionen Euro. Ich finde, wir brau-chen einen internationalen Mechanismus – dafür ist jetztdie Zeit gekommen –, der an bestimmte Wirtschaftsdatengekoppelt ist, um festzulegen, wie hoch der Pflichtbeitrag ist, der an diese Organisationen gezahlt werden muss, da-mit wir auf internationaler Ebene bei den Themen „Be-kämpfung der Fluchtursachen“ sowie „Friedenssiche-rung“ vorankommen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Volkmar Klein .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es liegt in der Natur der Sache, dass in die Rededes Oppositionsvertreters eine gewisse Kritik einge-flochten wurde. Aber auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass wir uns am Ende dieser Debatte auf eineziemlich positive Gesamtbetrachtung des Einzelplansdes Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung verständigen können .
Michael Leutert
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Ich als Hauptberichterstatter im Haushaltsausschussfür diesen Bereich möchte mich zu Beginn als Ersteseinmal bei den Mitberichterstatterinnen und Mitbericht-erstattern für die wirklich gute Zusammenarbeit und Be-ratung herzlich bedanken . Da ich schon beim Dank bin,möchte ich noch sagen: Während der Beratungen habenwir viele Berichte von und über Menschen bekommen,die in unserem Namen in schwierigen Regionen undLändern wie Nordirak und Afghanistan oder anderswo inder Welt arbeiten und helfen . Diesen Menschen möchteich in unser aller Namen herzlich danken . Sie leisten einewirklich wichtige Arbeit im Interesse Deutschlands undunserer Werte .
Ich möchte mit dem Danken fortfahren . Diese Hil-fe wäre ohne die Haushaltsbeschlussfassung sicherlichnicht möglich . Sie wäre aber auch ohne die Arbeit desMinisters und seiner Mannschaft nicht möglich . Insofernmöchte ich Gerd Müller für seine Arbeit in den vergange-nen Monaten – ich bin sicher, er wird die Mittel, die wirgleich beschließen werden, gut verwenden – ganz herz-lich danken . Lieber Gerd Müller, wir sehen, dass du guteArbeit machst .
Das gibt uns die Gewissheit, dass das viele Geld guteingesetzt wird und dass es verantwortbar ist, eine wirk-lich beispiellose Erhöhung des Budgets des Ministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zubeschließen . 8,5 Milliarden Euro für das nächste Jahrist – ich wiederhole es – eine beispiellose Steigerung,nämlich um 1,1 Milliarden Euro gegenüber dem Haus-halt dieses Jahres . Zu Beginn der Kanzlerschaft vonAngela Merkel 2005 betrug der Haushalt des BMZ noch3,8 Milliarden Euro . Diese 8,5 Milliarden Euro sind da-her mehr als eine Verdoppelung, nämlich eine Steigerungum 120 Prozent . Das ist ein gutes Ergebnis . Das verdientallerseits Zustimmung .
Natürlich gibt es auch viel mehr Aufgaben als 2005 .Durch Bürgerkrieg zerbrechen Lebenschancen rund umSyrien und anderswo . Helfen, dem Nächsten zur Seitestehen, ist da ethisch geboten, aber es ist auch in unse-rem eigenen Interesse . Denn sonst machen sich noch vielmehr Menschen auf den Weg, um ihre Lebenschancenwoanders zu suchen . Ich denke, dass unser Haushalt einegute Antwort darauf gibt und unsere Bundesregierung indie Lage versetzt, anzupacken .Dass wir rund die Hälfte des Gesamtbudgets desWelternährungsprogramms bezahlen – knapp 750 Milli-onen Euro aus den Haushalten des BMZ und des Aus-wärtigen Amtes –, dass unser Cash for Work inzwischen40 000 Jobs und damit Existenzen und Chancen geschaf-fen hat, die die Menschen dort wieder wahrnehmen kön-nen, und dass wir mit vielen Diskussionen im Vorfeld –oder auch nicht – alleine aus dem BMZ 260 MillionenEuro für UNICEF bezahlen, damit die gute Arbeit dortfortgesetzt werden kann: Das ist alles gut .
Beim Titel „Krisenbewältigung und Wiederaufbau,Infrastruktur“, aus dem die Hilfe hauptsächlich finanziert wird, wird der Ansatz von 400 Millionen auf 500 Milli-onen Euro erhöht . Und es wirkt . Die Menschen machentatsächlich die Erfahrung, dass sie wieder Chancen ha-ben . Es machen sich weniger auf den Weg .Natürlich gibt es irgendwelche ständig herumkritisie-renden Leute, die dann auch noch behaupten, die Tatsa-che, dass weniger Flüchtlinge hierherkommen, habe nuretwas mit der Schließung der Balkanroute zu tun . So einUnfug! Sie haben nicht einmal geografische Kenntnisse. Denn rein geografisch betrachtet liegt Griechenland vor den Balkanländern; dort müssten demnach besondersviele Flüchtlinge ankommen . Das ist aber nicht der Fall .All das trägt dazu bei, dass die Menschen in ihren Hei-matländern oder in den Lagern in der Nähe ihrer Hei-matländer tatsächlich den Eindruck haben, dass sie dortHilfe bekommen und dass ihnen dort Chancen gebotenwerden .
Wir mussten natürlich auch noch ein bisschen lernen,allein was die Bewältigung des Programms angeht . DasGeld fließt schneller ab als bei den üblichen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, die wir aus der Ver-gangenheit kennen . Deshalb gab es in diesem Jahr einenEngpass an Barmitteln, und es zeichnet sich bereits auchfür nächstes Jahr ein möglicher Engpass ab . Das ist einGrund, die Beträge deutlich zu erhöhen, aber verbundenmit der Erwartung an das Ministerium, in Zukunft etwasbesser zu prognostizieren, wie schnell das Geld abfließt. Darauf haben wir als Haushaltsausschuss auch deutlichgedrungen .Wir müssen den Aufbau von Doppelstrukturen ver-meiden. Die Liste der vom Auswärtigen Amt finanzierten Projekte umfasst eine ganze Menge langfristiger Projek-te, die ganz bestimmt nichts mit humanitärer Soforthilfezu tun haben . Da werden derzeit im Auswärtigen Amt of-fensichtlich Doppelstrukturen zu dem aufgebaut, was imBMZ schon vorhanden ist . Wir müssen aufpassen, dassdas nicht am Ende zu Ineffizienz und zu einem Problem für Deutschland führt .
Wir müssen sicherstellen, dass die Sonderinitiativen –das wollen wir ja – auch privaten Trägern offenstehen .Diese beklagen sich nämlich weiterhin darüber, dass sieeinen deutlich schwereren Zugang zu den Sonderinitiati-ven haben .Deswegen müssen wir, glaube ich, an der einen oderanderen Stelle sicherlich noch besser werden . Aber dieBotschaft bleibt: Deutschland ist ein verlässlicher Part-ner, vielleicht sogar der verlässliche Partner bei der Hilferund um Syrien .Aber wir dürfen über die aktuellen Krisen nicht ver-gessen, dass es auch eine – in Anführungszeichen – „nor-male“ Arbeit des Ministeriums für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung gibt . Wir dürfen nichtVolkmar Klein
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unsere direkte Nachbarschaft vergessen . Die Menschenin Afrika, jenseits der Kriegswirren im Nahen Osten,brauchen Chancen . Auch das ist am Ende in unserem ei-genen Interesse .
Der äthiopisch-deutsche Vordenker Asfa-Wossen As-serate schreibt im Titel seines neuen Buches: „Wer Eu-ropa bewahren will, muss Afrika retten“ . Das ist ein sehrwichtiges und gutes Motto .Ein Weiter-so, mehr GIZ-Projekte und der Versuch,mit ODA-Mitteln alle Probleme zu lösen, reichen sicher-lich nicht . Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen nocheinmal darauf hingewiesen, dass es um mehr Investitio-nen, mehr Jobs und mehr Chancen gerade für die Men-schen in Afrika geht . Wenn es in Afrika mehr Jobs undmehr Steuerzahler gibt, dann sorgt das für eine bessereGovernance; denn wer Steuern zahlt, fragt seine Regie-rung auch, was sie mit seinem Geld macht . Diese Fragewird bislang in Afrika erschreckend selten gestellt .
Der Haushalt des BMZ stellt eine sehr gute Grundlagefür die weitere Arbeit dar . Die Botschaft lautet: Wir wer-den unserer Verantwortung gerecht . Wir sind der wich-tigste Pfeiler der Hilfe rund um Syrien . Auf uns könnensich auch in Zukunft die Menschen in Afrika verlassen .Abschließend: Wir sorgen dafür – das ist ganz wich-tig –, dass wir auch in Zukunft helfen können; denn eininsgesamt ausgeglichener Bundeshaushalt lässt uns inZukunft weiterhin die Stärke haben, die Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, zu erfüllen . Dafür wünsche ichuns weiterhin viel Erfolg .
Vielen Dank . – Für die Grünen spricht jetzt der Kolle-
ge Uwe Kekeritz .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Herr Klein, Sie haben mir manchmal so richtig aus derSeele gesprochen . Es ist richtig, dass sich die Mittel die-ses Haushalts um 1,1 Milliarden Euro erhöhen . Das istdie eine Seite der Medaille . Die andere Seite der Medail-le ist: Wie setzt man diese Finanzen in konkrete Politikum?Hier haben Sie schon einen wesentlichen Kritikpunktgenannt, nämlich die Doppelstrukturen . Sie haben dabeiauf das BMZ und das AA hingewiesen . Wir können die-se Liste aber fortsetzen . Sie haben die Doppelstrukturenbedingenden Sonderinitiativen genannt . Sie sollten dasLandwirtschaftsministerium nicht vergessen . Haben Sieeinmal überprüft, wo sich dort Doppelstrukturen entwi-ckeln? Ähnliches gilt auch für das Umweltministerium .Wir müssen noch genauer hinschauen, um zu erkennen,wo überall Doppel-, Fünffach- oder Achtfachstrukturenaufgebaut werden, die allesamt zu Ineffizienzen führen.
Der Aufwuchsplan, also die Quote von 0,7 Prozent,wird – das wurde schon erwähnt – wieder nicht erreicht .Vielmehr wurden Verpflichtungsermächtigungen zuerst gekürzt, dann wieder erhöht, aber am Schluss gesperrt .Das erschwert die Planbarkeit von Projekten enorm undmacht deren Umsetzung unter Umständen rechtlich un-möglich . Das ist sicherlich keine vorausschauende Ent-wicklungspolitik und vor allen Dingen kein klares Signalfür einen kontinuierlichen Aufwuchs .Völlig blind ist die Regierung auf dem Auge der Kli-mafinanzierung. Statt wie angekündigt die Klimamittel zu verdoppeln, setzt diese Bundesregierung lieber aufdoppelte Anrechnung . Mit Rechentricks, Herr Minister,kann man allerdings keine globalen Herausforderungenlösen . Der Klimawandel braucht wirkliche Mittel und ei-nen echten Klimaschutz .Der Klimawandel hat reichlich mit Entwicklungschan-cen, aber auch mit Fluchtursachen zu tun . Es ist einfachbeschämend, zu sehen, wie diverse Regierungen unterder Kanzlerin Merkel dafür gesorgt haben, dass der eins-tige Musterknabe Deutschland in Bezug auf Maßnahmengegen den Klimawandel hinter Ägypten, Indonesien undIndien auf Platz 29 zurückgefallen ist . Sie haben das po-sitive Erbe von Rot-Grün einfach verspielt .Diese Regierung meint es nicht wirklich ernst mit demKampf gegen Fluchtursachen . Da gibt es zum Beispieldie Handelsverträge – die sogenannten EPAs –, die einepositive wirtschaftliche und soziale Entwicklung eherbehindern . Das sind Verträge, die 15 Jahre lang ver-handelt worden sind und weder in Westafrika noch inOstafrika durchgesetzt werden konnten . Diese Verträgewill die EU nun mit massiven Drohungen durchdrücken .Anstatt hier Pflöcke für eine positive Entwicklung via faire Handelsverträge zu setzen, schweigt Herr MinisterMüller, obwohl er in diesem Bereich federführend ist .Laut vernehmbar sind aber des Ministers Sonntagsreden,in denen er leidenschaftlich vom fairen Handel spricht .Herr Minister, das reicht nicht . Es geht nicht um Worte,sondern um Taten, und das meinen wir sehr ernst .Diese Regierung und die EU meinen es nicht wirklichernst mit der Fluchtursachenbekämpfung . Das zeigenauch die Valletta-Beschlüsse, die den Fluchtdruck nochdeutlich erhöhen . Statt auf Good Governance setzenSie zusammen mit der EU lieber auf autoritäre Regime .Plötzlich wird der wegen schwerer Menschenrechtsver-letzungen angeklagte Diktator al-Baschir aus dem Sudanzu einem hochgeschätzten Partner .
Al-Baschir lässt Dörfer bombardieren, verwendet da-bei vermutlich chemische Kampfstoffe und Phosphorin Darfur und in den Nuba-Bergen und kann sich sichersein, dass Europa und Deutschland dies nicht kritischaufgreifen . Al-Baschir hat allein in den letzten zehn Mo-naten 160 000 Menschen zur Flucht gezwungen . In denletzten Jahren hat er den Tod von über 200 000 Men-schen zu verantworten . 2,5 Millionen Menschen sindinsgesamt geflohen. Die Zusammenarbeit mit Diktatoren Volkmar Klein
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ist eigentlich genau das Gegenteil von Fluchtursachen-bekämpfung .
Das ist also die wertegeleitete Außenpolitik . SolangeDiktatoren Flüchtlinge in ihrem Land einfangen, zurück-nehmen und zurückschicken, spielen Menschenrechteimmer weniger eine Rolle, und das, obwohl die Kanzle-rin nicht müde wird, von den europäischen Werten, vonder wertegeleiteten Politik zu sprechen . Kann mir in die-sem Haus jemand einmal diese Werte erklären?Eines muss ich Ihnen, Herr Minister, lassen: Sie be-herrschen das PR-Geschäft . Dieser Satz ist komischer-weise in fast all meinen Reden . Ihr neuester Einfall heißtMarshallplan . Der soll es jetzt richten . Ein Marshallplanbedeutet Investitionen in Milliardenhöhe . Sie glaubenoffensichtlich wirklich, dass man Afrika nur mit Geldzuschütten muss, um Entwicklungen voranzutreiben . Siehaben auch eine interessante These: von Billions to Tril-lions . Ich kann das kaum fassen . Ich halte das schlicht fürnaiv und für gefährlich zugleich .Welchen Plan gibt es? Welche Investitionen sind un-ter welchen Bedingungen wo und wie zu tätigen? Woherkommen die Milliarden? Wer haftet dafür? Das sind Fra-gen, die geklärt sein sollten, bevor man damit die Öffent-lichkeit überrascht .
Es kann heute doch nicht mehr nur um naive Wachs-tumsfantasien gehen, Herr Müller . Es geht um die Fra-ge, wie Entwicklung inklusiv wird, wie gesellschaftlicheEntwicklung im Sinne der SDGs, aber auch der PariserErklärung ermöglicht wird . Da erwarten wir ganz kon-krete Konzepte von Ihnen, die Bezug zu den SDGs undauch zu der Pariser Erklärung herstellen . Was bekommenwir stattdessen? Sonntagsreden .Wir müssen gewaltig umdenken, wenn wir den Men-schen gerecht werden wollen, den 2 Milliarden, die hun-gern oder mangelernährt sind, den Millionen Menschen,die auf der Flucht sind, den Millionen Menschen in denTextilfabriken, Bergwerken, Plantagen und im Fischerei-bereich, Menschen, die keinerlei soziale Rechte kennen .Herr Minister, Sie könnten tatsächlich viele Schrittegehen . Sie könnten Einspruch im Bundessicherheitsratbei Waffenexporten in Krisengebiete erheben, Sie könn-ten sich für einen fairen Handel einsetzen und die EPAstoppen . Sie könnten sich für Verbindlichkeiten in denLieferketten starkmachen .
Und Sie könnten bitte an die Redezeit denken .
Ich bin beim letzten Satz . – Sie könnten Finanzminis-
ter Schäuble bei seinem Versuch widersprechen, den na-
tionalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte
zu einem Bittstellerbrief an die Konzerne verkommen zu
lassen . Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Uwe Kekeritz . – Nächster Redner für die
SPD-Fraktion: Axel Schäfer .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei Haushaltsdebatten ist es selbstverständlich, dass dieRegierungsfraktionen die Regierung und damit auch ih-ren Minister loben, und genauso selbstverständlich, dassdie Oppositionsfraktionen selbige kritisch beurteilen .Es ist bei unserer Debatte, auch im Vergleich zu ande-ren in diesem Hause, nicht nur heute eigentlich sehr gut,dass wir auf der einen Seite auch von Oppositionsseitein einzelnen Punkten oder zu gelungenen Projekten Zu-stimmung bekommen, andererseits aber auch innerhalbder Regierungskoalition Kritisches und Selbstkritischesgeäußert wird . Ich glaube, das bringt unsere gemeinsameSache voran . Ich will mich genau auch in diese Richtungbewegen . Denn wir alle mussten in den letzten Jahrendurch schlechte Erfahrungen in unserem Land, in Euro-pa und weltweit erfahren, wie notwendig Intensivierung,Verbesserung und auch Veränderung von Entwicklungs-zusammenarbeit sind, was sich sowohl in Haltungen alsauch in Entscheidungen und zum Schluss auch in Finan-zen ausdrückt . Deshalb ist der Aufwuchs des Haushaltesauf 8,5 Milliarden Euro natürlich ein ganz großer Erfolgfür die Bemühungen dieses Hauses über Jahre und Jahr-zehnte hinweg .
Deshalb Gratulation, ein Stück weit auch an den Minis-ter!Das Ganze ist natürlich auch dem geschuldet, dasssich alle hier vertretenen Parteien in ihren Programmenund wichtigen Beschlüssen dazu verpflichtet haben, das mit der ODA-Quote festgelegte Ziel, 0,7 Prozent desBruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusam-menarbeit zur Verfügung zu stellen, zu erreichen, waswir aber immer noch nicht geschafft haben . Auch derheutige Beschluss des Haushalts bedeutet, dass wir unsverpflichten, in den nächsten Jahren auf diesem Weg wei-terzugehen . Der Weg ist zwar immer auch das Ziel, aberdas 0,7-Prozent-Ziel steht fest, und wir müssen uns hieroffen ins Gesicht sagen: Jawohl, wir wollen dahin kom-men, trotz unterschiedlicher Positionen en détail . Aberinsgesamt ist das die Verpflichtung dieses Hauses, dieser Bundesrepublik Deutschland .
Weil wir bei internationalen Fragen natürlich auchin internationalen Verflechtungen stecken – es ist ange-sprochen worden –, ist Europa ein ganz zentraler Akteur .Auch da wird es für uns darum gehen, dass nationale undeuropäische Politik – unsere Parteifamilien sind ja alleeuropäisch vernetzt – tatsächlich auch zusammenpassen .Uwe Kekeritz
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Deshalb ist es wichtig, dass wir auf europäischer Ebeneden Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika haben, der überEU-Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden Euro verfügt . Aufder anderen Seite ist es richtig und kritikwürdig, dass dieMitgliedstaaten bisher nur einen Beitrag von 100 Milli-onen Euro leisten. Auch hier gibt es ganz klare Defizite, die benannt werden müssen . Position der SPD-Fraktionebenso wie der deutschen Gruppe im Europäischen Par-lament und der S&D: Wir könnten uns die 90 MillionenEuro, die im EU-Haushalt für Rüstungsforschung vorge-sehen sind, besser im Bereich Entwicklung vorstellen .Ich glaube, da wären sie gerade in der heutigen Situationsinnvoller eingesetzt .
Das heißt aber zugleich: Wir müssen zueinander ehr-lich sein . Wir können hier nicht sagen: „Jawohl, wir er-höhen die Haushaltsmittel“, und auf europäischer Ebenesagen: „Da muss an bestimmten Stellen gespart werden“,oder – noch schöner –: Die Europäische Union soll dasinsgesamt leisten . – Die Europäische Union sind ebenin besonderer Weise auch die Mitgliedstaaten . Deshalbwird es wichtig sein, dass wir uns im Rat dafür einsetzen,dass es in diesem Bereich eben keine Kürzung gibt . DieMid-Term Review steht ja an – das europäische Haus-haltsrecht ist ein bisschen anders als das nationale –, undda wird es wichtig sein, dass wir in der EU nicht wenigerMittel fordern, während wir hier sagen: Wir brauchen damehr Mittel . – Das muss schon stimmig sein . Dement-sprechend zu handeln, das erwarten meine Fraktion undich auch ganz persönlich von der Regierungspolitik die-ser Koalition .Für die internationale Zusammenarbeit ist es deshalbnatürlich auch für uns wichtig, dass wir das im Dialogmit unseren Partnerinnen und Partnern, unseren Part-eifreundinnen und Parteifreunden im EP möglichst enggestalten . Deshalb bitte ich Sie alle noch einmal, egalwelcher Fraktion Sie angehören: Nutzen Sie die Mög-lichkeit, dies in Brüssel tatsächlich zu diskutieren: mitdem zuständigen Ausschuss, mit dem zuständigen Kom-missar, der schon öfter hier in Berlin gewesen ist . Ver-suchen Sie, deutlich zu machen: Bei der Entwicklungs-zusammenarbeit geht es tatsächlich nicht nur allgemeinum eine globale Herausforderung, sondern auch um eineganz konkrete Gestaltung, die wir im Alltag in unsererArbeit zwischen Berlin und Brüssel, zwischen der nati-onalen und der europäischen Ebene Tag für Tag leisten .Wir müssen immer wieder aufs Neue ansetzen, uns im-mer wieder ein Stück bewegen .Warum sind die internationale Zusammenarbeit undderen Organisation – das ist hier von einigen Kolle-ginnen und Kollegen aus der Opposition angesprochenworden – so wichtig? Schauen wir ganz genau hin: Dasheutige Hauptproblem, das der Lösung internationalerSchwierigkeiten und Konflikte im Wege steht, ist der wachsende Nationalismus in vielen Ländern . Nationa-lismus – das wissen wir –, das ist Fremdenfeindlichkeit .Nationalismus, das ist auch Bekämpfung, Ablehnungoder Schlechtreden von internationalen Institutionen . Eswird für uns wichtig sein, dass wir unsere Arbeit immerauch in dem Bewusstsein machen, dass wir internationaleingebettet sind, warum es nötig ist, dass wir Teil der Eu-ropäischen Union sind, warum es nötig ist, dass wir dieUNO mit all ihren einzelnen Organisationen haben undstärken, und dass wir auch verbalisieren: Jawohl, es kannuns in Deutschland, es kann auch dem Kontinent Europanur dann gut gehen, wenn es den anderen, speziell Afri-ka, nicht schlecht geht . – Das gehört untrennbar zusam-men, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Deshalb meine große Bitte: Führen wir diese Debatteso fort, wie wir sie im Haushaltsbereich geführt haben!Ändern wir auch Regierungsvorschläge, wie es ja gelun-gen ist! Denn ich glaube, wir sind auf einem richtigenWeg . Es gelingt aber nur, wenn wir kritisch und selbst-kritisch, aber auch entschlossen bleiben .Vielen Dank .
Vielen Dank, Axel Schäfer . – Das Wort hat jetzt derBundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, Dr . Gerd Müller .
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! So viel Wertschätzung für unsere Politik undAufmerksamkeit gab es selten . Es wurde gesagt: Seit2013 ist der Haushalt unseres Ministeriums von 6,3 Mil-liarden Euro auf 8,5 Milliarden Euro gestiegen . Die Stei-gerungsrate ist historisch . Gegenüber 2005, dem Beginnder Kanzlerschaft von Frau Dr . Merkel, haben wir eineVerdoppelung dieses Etats . Meine Damen und Herren,Herr Kekeritz, wenn wir so weitermachen, dann errei-chen wir spätestens 2018 die 0,7 Prozent, und ich habeden Ehrgeiz, dies als Minister umzusetzen .
– „Da machen wir mit“, sagen meine Freunde und Freun-dinnen von der Koalition, von SPD und Union . Ich dankeIhnen allen, den Haushalts- und Fachpolitikern; denn nurmit Ihrer Unterstützung konnten wir diese Entwicklungeinleiten .Aber ich danke auch der Bundeskanzlerin und unse-rem Bundesfinanzminister. Wenn Sie heute früh die Rede der Bundeskanzlerin gehört haben, dann wissen Sie: Siehat als Erstes auf die große Herausforderung der Ent-wicklungspolitik hingewiesen, auf die Notwendigkeitenda, und auf die große Herausforderung Afrika . Damit imZusammenhang muss man natürlich die Steigerung desEtats sehen . Es sind große Herausforderungen, auf diewir wirksam reagieren müssen, und dazu gehören viele,Herr Schäfer, liebe Kolleginnen und Kollegen .Axel Schäfer
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Ich möchte auch unsere Durchführungsorganisationenmit einbeziehen . Es sind Tausende, 14 000, 15 000 Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter, in der GIZ, in der KfW,aber natürlich auch meine Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter im Ministerium – wir leisten dies fast ohne Perso-nalaufwuchs; ein bisschen Aufwuchs gibt es schon; dasist eine enorme Belastung – und ebenso meine Staatsse-kretäre, die kräftig mitarbeiten: Herr Kitschelt, ThomasSilberhorn und Joachim Fuchtel . Erfolg gibt es nur imTeam .
Die Herausforderungen sind gewaltig, aber zu be-wältigen . Eine Herausforderung ist die Bevölkerungs-entwicklung . Im Jahr 2050 werden fast 10 MilliardenMenschen auf der Erde leben . Die Anzahl der Menschenauf dem afrikanischen Kontinent wird sich bereits bis2035/40 verdoppeln – verdoppeln! Alle diese Menschenbrauchen täglich Nahrung, Wasser, Energie .Herr Kekeritz, eine weitere große Herausforderungist der Klimaschutz . Klimaschutz ist eine Überlebensfra-ge für die Menschheit . Wir gehen voran, beispielhaft inMarrakesch . Unser Ministerium ist der Klimafinanzierer. Wir haben in Marrakesch eine beispielhafte neue Initiati-ve gestartet . Mit jetzt 42 Partnerländern bringen wir ge-meinsame Programme zur Umsetzung des Pariser Vertra-ges auf den Weg . Das ist wirklich ein großartiger Ansatz .
Meine Damen und Herren, bei den großen Herausfor-derungen nenne ich natürlich auch die Weltkrisen unddie Flüchtlingslage . Das können wir in der ganzen Breitejetzt gar nicht besprechen . Es gibt nicht nur die drama-tischen Situationen in und um Syrien . Auch Jemen undden Südsudan, um einige andere Krisenregionen zu nen-nen, wollen wir nicht vergessen . 65 Millionen Menschensind auf der Flucht . 90 Prozent der Menschen, die auf derFlucht sind, finden Unterkunft, Hilfe und Unterstützung in Entwicklungsländern – bei den Ärmsten! Das mussman auch unserer Bevölkerung sagen .
Dramatisch ist die Lage – wir wollen das heute schonauch erwähnen, nachdem die letzten Tage wiederum einVersuch gescheitert ist und es wiederum Bomben geha-gelt hat in Aleppo – für die Menschen in Aleppo . Dasletzte Krankenhaus wurde jetzt zerstört . Das letzte Kran-kenhaus! Russische und Assad-Truppen werfen Bombenauf Krankenhäuser . Das humanitäre Völkerrecht wirdhier mit Füßen getreten . Das ist dramatisch .Wir können auch etwas tun, meine Damen und Her-ren, und wir tun etwas . Es ist sicherlich wenig, aber wirtun etwas, zum Beispiel über Cross-Border-Maßnahmen .Ich war in Gaziantep, und ich habe dort mutige Männerund Frauen getroffen, die zwischen den Bomben überdie Frontlinien hinweg medizinische Ausrüstung trans-portieren und im Untergrund von Aleppo Erstversorgungvon Kindern leisten . Wir und damit die deutsche Bevöl-kerung unterstützen diese Menschen in Syrien im Au-genblick mit Steuergeld in Höhe von 70 Millionen Euro .Ich weiß, das ist zu wenig; aber wir lassen die Menschennicht alleine .Meine Damen und Herren, wir haben die Mittel fürMaßnahmen in der Krisenregion in und um Syrien in denletzten zwei Jahren verdreifacht . Das ist dringend not-wendig . Um die Krisenregionen zu stabilisieren, schaffenwir Bleibeperspektiven vor Ort . Im Libanon sind 1,2 Mil-lionen Flüchtlinge; das Land hat etwa die Größe vonHessen . 1 Million Flüchtlinge in Deutschland bei einerBevölkerung von 80 Millionen – 1,2 Millionen Flücht-linge im Libanon bei einer Bevölkerung von 4 Millionen .Man muss sich einmal vorstellen, welche Situation dortherrscht . Die Menschen liegen auf dem Acker, stehen derBevölkerung in den Kommunen eins zu eins gegenüber,in den Schulen kommen auf 1 000 libanesische Kinder1 000 Flüchtlingskinder . Ähnlich ist die Situation in Jor-danien, im Irak und in der Türkei . Der wirksamste Bei-trag, um den Menschen dort zu helfen, ist, ihnen vor Ortzu helfen, Hilfe zu leisten ganz nah bei den Menschenvor Ort . Und das tun wir .
Wie dringend notwendig das ist, sehen Sie alleineschon an den vielen Kindern . Dank Ihrer Beschlüsse kön-nen jetzt mit unserem Geld 1 Million Kinder in Syrienund in den Nachbarländern beschult werden . Ich konntein Gaziantep in der Türkei ein Programm starten, durchdas wir 8 000 geflüchtete syrische Lehrerinnen und Leh-rer in der Türkei so geschult haben, dass sie jetzt über100 000 syrische Flüchtlingskinder in der Türkei beschu-len können . Wir verhindern damit, dass es eine verloreneGeneration gibt .Einer der Kollegen hat unser Programm „Cash forWork“ angesprochen . Im Übrigen könnte man das auchin Deutschland umsetzen, zum Beispiel in Berlin . Wirgeben den Menschen im Libanon und in Jordanien Geld,damit sie selber mit der Schaufel – ich war vor Ort – ihreOrte wieder aufbauen . Menschen bauen ihre Dörfer wie-der auf . 50 000 Menschen kommen so wieder in Arbeit .
Dieses Programm können wir jetzt ausbauen, und wirwerden es ausbauen; denn es gibt ja auch positive Nach-richten, zum Beispiel aus dem Irak, wo 70, 80 Prozentder vom IS terrorisierten Gebiete wieder befreit sind .Auch dafür Dank an unsere Bundeswehr, an die Pesch-merga, an viele, die dort vor Ort arbeiten .In die befreiten Gebiete konnten, auch mit unserenGeldern, bereits 130 000 Menschen wieder zurückge-führt werden . Ich sage Ihnen und auch der deutschenÖffentlichkeit: Wenn ich in diesen Regionen unterwegsbin, erfahre ich, dass die Menschen, die aus Syrien in denLibanon oder nach Jordanien geflohen sind, die dort zum Teil seit fünf Jahren in Ziegenställen oder Garagen unter-gebracht sind, notdürftigst überleben, trotz allem vor Ortbleiben und dort überleben wollen . Sie wollen, dass ihreKinder vor Ort Schulen besuchen, und wollen, sobald dieDörfer befreit sind, schnellstmöglich wieder zurück inihre Heimat . Sie wollen nicht nach Deutschland . Sie wol-len nur dann nach Deutschland, wenn es überhaupt keineBundesminister Dr. Gerd Müller
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andere Chance mehr gibt, weil wir ihnen die Nahrungs-mittel vorenthalten und die Welternährungsprogrammestreichen . So etwas darf nie mehr passieren .
Wir haben jetzt zusammen mit dem Bundesinnenmi-nister ein neues Rückkehrerprogramm entwickelt – die-ses Programm ist so neu, dass ich es heute zum erstenMal kurz vorstelle –, das sich nicht an Rückkehrer ausdem Libanon nach Syrien oder Jordanien richtet, sondernan Rückkehrer, die sich hier in Deutschland aufhalten .Es geht also um eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlin-gen von hier in befreite oder befriedete Gebiete in ihrenHeimatregionen und -ländern . Wir wollen aus Menschenohne Bleibeperspektive in Deutschland Menschen mitZukunftsperspektive in ihrer Heimat machen .
Ich habe mein Heimatdorf Kempten-Durach vor Au-gen . Dort sind sowohl Senegalesen als auch Eritreer un-tergebracht . Sie werden großartig betreut . Das Problemist aber – darüber müssen wir uns auch mit Arbeits- undSozialpolitikern und anderen unterhalten –: Die Eritreerbekommen Integrationskurse, Sprachkurse, Arbeit undGeld . Die Senegalesen bekommen das nicht . Sie sitzenseit zwei Jahren auf der Bank und schauen in die Luft .Sie dürfen nicht arbeiten und bekommen weder einenSprachkurs noch einen Integrationskurs . Man sagt, siewürden aufs Verfahren warten . Sie sind registriert undwarten seit zwei Jahren auf die Entscheidung im Verfah-ren . Die Zwischenzeit ist nicht nur öde, sondern auchdeprimierend .Diesen Menschen können und müssen wir – damit ha-ben wir auch Erfolg, glaube ich – eine Perspektive bieten,freiwillig in den Senegal zurückzugehen . Sie dürfen aberdort nicht als Loser ankommen, also nicht als Verlierer inihren Dörfern dastehen . Deshalb werden sie mit einemGutschein kommen, mit einem Voucher, mit einem An-gebot, mit dem wir sie dort in Ausbildungs- und Beschäf-tigungsprogramme im Handwerk vor Ort integrieren .
Nachdem ich die europäische Ebene in den letztenzwei Jahren doch heftig gefordert und auch kritisierthabe, Herr Kollege Schäfer, freue ich mich sehr darü-ber, dass sich die Europäische Union nun in die richtigeRichtung bewegt . Es sind auch Mittel gefunden worden .Die von mir immer wieder geforderten 10 MilliardenEuro sind fast zusammengekommen . Daran sieht man:Es geht, wenn man entsprechend Druck ausübt und Vor-schläge macht .
Das will ich positiv hervorheben . Die EU hat jetztMigrationspartnerschaften auf den Weg gebracht, in de-ren Rahmen wir gerne kooperieren . Die Zusammenarbeitmit Mali und Niger ist erst der Anfang . Man kann undmuss in der gemeinsamen Kooperation noch mehr tun .Diese großen Herausforderungen waren und bleibenauch einer meiner Schwerpunkte . Denn alle diese Kri-sen und Kriege, auch in Syrien, haben Ursachen: Hunger,Elend, Not und Ungerechtigkeit .Eine Welt ohne Hunger ist aber möglich . Wir habenseit 2014 in Afrika und Asien 14 grüne Innovations- undDemonstrationsbetriebe aufgebaut . Selbst Herr Kekeritz,mein in Wertach im grünen Allgäu gebürtiger Kollege,bezeichnet das als eine gute Initiative . Wir werden dieseZentren zu Ausbildungs- und Technologiezentren weiter-entwickeln .
Meine Damen und Herren, ich habe noch viele Ideenund Impulse . Dafür brauchen wir Partner . Wir werdennoch stärker und noch wirksamer, wenn wir Partner anunserer Seite haben . Deshalb setzen wir auf die Partner-schaft mit der Zivilgesellschaft .Mein herzlicher Dank gilt Tausenden von Ehrenamtli-chen, von Freiwilligen in den Organisationen, aber auchPrivatinitiativen . Ein herzlicher Dank geht auch an dieKirchen . Sie alle leisten einen hervorragenden Dienstund sind humanitäre Botschafter im Auftrage Deutsch-lands .
Ich möchte aber auch – das ist ganz wichtig – dieKommunen als Projektpartner gewinnen . Wir haben einneues Programm für Kommunalpartnerschaften – wegvon der Rotweinpartnerschaft hin zur Entwicklungs- undKrisenpartnerschaft mit Ländern der Entwicklungszu-sammenarbeit . Kommunen können alles, was wir dort inSachen Infrastruktur brauchen: Abfallbeseitigung, Kran-kenhäuser, Schulen . Dieses Programm läuft ebenso wiedas Programm für Klinikpartnerschaften positiv an . Wirbringen Wirtschaft und Entwicklung zusammen . Mit derAgentur für Wirtschaft und Entwicklung haben wir eineneue Anlaufstelle geschaffen; denn nur mit stärkeremEngagement der Privatwirtschaft werden wir die großenHerausforderungen bewältigen .Meine Damen und Herren, bei Gründung des Bünd-nisses für nachhaltige Textilien vor zwei Jahren hattenwir 30 Mitglieder . Jetzt haben wir 190 Mitglieder unddecken damit 55 Prozent des deutschen Textileinzelhan-delsmarktes ab .
Dieses Beispiel steht für die dritte Komponente: öffentli-ches Geld und private Investitionen . Den größten Erfolgaber erzielen wir durch fairen Handel, Wertschöpfungvor Ort . Globalisierung gerecht gestalten ist moderneEntwicklungspolitik .Frau Präsidentin, Afrika braucht 20 Millionen Jobs fürjunge Menschen – jedes Jahr . Deshalb ist Afrika die gro-ße Herausforderung der Zukunft, unser Partnerkontinent .Deshalb brauchen wir einen Zukunftsvertrag . Ich arbeitean Eckpunkten für einen Marshallplan für Afrika, den ichBundesminister Dr. Gerd Müller
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in den nächsten Wochen mit Ihnen zusammen entwickelnwerde . Es gibt nicht den einen Plan, das eine Dokumentfür einen Kontinent, aber wir werden einen Anstoß ge-ben, und zwar morgen mit den afrikanischen Botschaf-tern . Ich lade aber auch die Politik, die Wissenschaft unddie Wirtschaft ein, sich an diesem Dialog zu beteiligen .Wir werden Afrika auch bei der Europäischen Union undbei G 20 zum Schwerpunkt machen . Die Kanzlerin hatdies heute angesprochen . Ziele des Marshallplanes fürAfrika – wenn Sie mir noch 40 Sekunden geben – sind:mehr private Investitionen, mehr Entwicklung durch fai-ren Handel –
– ich habe mir heute EPAs bei einer Besprechung ganzgenau angeschaut –, mehr Wertschöpfung in Afrika, we-niger Ausbeutung von Mensch und Natur, mehr unter-nehmerische Entfaltung .Meine Damen und Herren, hier knüpfen wir an dieAfrika-Strategie 2063 der Afrikanischen Union an . DieAfrikaner fordern und fördern, sie dort abzuholen, wosie sich selber sehen . Dafür steht mein Ministerium .Wir sind das Afrika-Ministerium . Auch unsere Zukunftwird sich in Afrika entscheiden . Die Bundeskanzlerin hatrecht, wenn sie sagt: Das Wohl Afrikas liegt im InteresseDeutschlands . Entwicklungspolitik ist Investition in dieZukunft und den Frieden .Vielen herzlichen Dank für den Rückenwind und dieUnterstützung aus dem ganzen Haus, die ich in den ver-gangenen drei Jahren bekam .Danke schön .
Vielen Dank, Gerd Müller . – Nächster Redner: Niema
Movassat für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister Müller, Sie haben kürzlich bei einer Konferenzin Bonn eine verstörende Rede gehalten . Sie haben af-rikanischen Männern attestiert, sie würden das Haus-haltsgeld – ich zitiere –, vor allem für „Alkohol, Suff,Drogen und Frauen natürlich“, auf den Kopf hauen . Siebedienten damit schlimmste rassistische Vorurteile . Dasist eines Entwicklungsministers wirklich unwürdig .
Sie entschuldigten sich später damit, dass Sie die Be-deutung der Rolle von Frauen betonen wollten . Aber wohaben Sie das in der Rede getan? Sie haben pauschal undausschließlich afrikanischen Männern einen übermäßi-gen Hang zu Sex, Alkohol und Drogen unterstellt .Im Übrigen sind Sie in der Entwicklungspolitik auchkein Vorkämpfer von Frauenrechten . Nehmen wir alsBeispiel die Grünen Zentren, die Sie in Afrika und Asi-en im Kampf gegen den Hunger einrichten . Die Nicht-regierungsorganisation Oxfam kommt in einer Studie zudem Schluss, dass die Rolle von Frauen in diesen Zentrenvöllig unterbelichtet ist . Also bevor Sie das nächste MalStammtischparolen loslassen, wäre es gut, wenn Sie da-für sorgten, dass die große vorhandene Frauenpower inIhren Entwicklungsprojekten auch zum Tragen kommt .
Herr Müller, das ist die letzte Haushaltsdebatte die-ser Legislatur . Ich will diese nutzen, um auf ein zentralesProblem Ihrer Politik hinzuweisen . Sie sind der Ministerder warmen Worte: fairen Handel etablieren, den globa-len Hunger besiegen, weltweite Gerechtigkeit schaffen .Vieles, was Sie sagen, klingt gut . Aber als Christsozia-ler kennen Sie sicher den Spruch aus der Bibel: Nichtan ihren Worten, sondern an ihren Taten sollt ihr sie er-kennen . – Deshalb will ich heute über Ihre tatsächlichePolitik sprechen .Erstens: der faire Handel . Sie predigen ständig, dasses faire Wirtschaftsbeziehungen mit den Entwicklungs-ländern bräuchte . Aber schon, als Sie ParlamentarischerStaatssekretär im Landwirtschaftsministerium waren, ha-ben Sie als Exportbeauftragter mit dafür gesorgt, dass diesüdafrikanischen Geflügelzüchter mit Dumpingpreisen systematisch in den Ruin getrieben wurden .
Zwischen 2008 und 2014 haben sich die deutschen Ge-flügelexporte nach Südafrika mehr als 15 000-fach er-höht . Allein im September 2016 haben die EU-LänderAgrarprodukte im Wert von 11,5 Milliarden Euro expor-tiert – ein neuer Rekordwert . Sie haben diese Entwick-lung mit vorangetrieben, statt sie zu bekämpfen, und das,obwohl diese Exporte mehr zerstören, als Entwicklungs-zusammenarbeit jemals aufbauen kann .Und wo bleibt Ihre scharfe Kritik an den Wirtschafts-partnerschaftsabkommen der EU mit afrikanischen Län-dern, den EPAs? Diese Freihandelsverträge zwingen zunoch mehr Marktöffnung; noch mehr Geflügelreste und Milchpulver aus der EU werden Afrikas Märkte über-schwemmen . Ein Entwicklungsminister, der es mit fai-rem Handel ernst meint, muss alles tun, um diese Ab-kommen zu stoppen .
Kommen wir zum zweiten Punkt . Sie haben verspro-chen, Kleinbauern in Entwicklungsländern zu unterstüt-zen und so den globalen Hunger zu bekämpfen . VieleIhrer Projekte dienen aber in Wahrheit dem Profithunger von Bayer, BASF und Co . Diese mächtigen Agrarkon-zerne treiben eine Industrialisierung der afrikanischenLandwirtschaft voran, der Millionen Kleinbauern zumOpfer fallen . Und die Agrarkonzerne wollen natürlichihre Produkte verkaufen: Saatgut, Dünger, Chemiecock-tails – Produkte, die Bauern wirtschaftlich abhängig ma-chen oder gar ihre Gesundheit zerstören . Wenn Sie wirk-Bundesminister Dr. Gerd Müller
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lich die Kleinbauern unterstützen wollen, dann beendenSie Ihren unsäglichen Pakt mit der Agroindustrie .
Zum dritten Punkt . Nach dem schrecklichen Einsturzder Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit über1 100 Toten haben Sie gesagt, so etwas dürfe sich nichtwiederholen . Sie riefen das Textilbündnis aus . Zusam-men mit den Unternehmen wollten Sie die Produktions-bedingungen verbessern . Aber zum einen machen vierder zehn größten Textileinzelhändler bei diesem Bündnisgar nicht mit . Zum anderen sind die ersten Ergebnisseernüchternd: Jedes Unternehmen wird sich freiwillig in-dividuellen Pflichten unterwerfen, aber es gibt keine all-gemeinen Standards für alle Unternehmen – jeder macht,was er will . Bisher gibt es auch keine Sanktionen, wennman sich nicht an die selbst auferlegten Pflichten hält. Sie wollen zwar noch Sanktionen erarbeiten, aber ichbin wirklich gespannt, wo da das scharfe Schwert seinsoll. Vermutlich fliegt man im schlimmsten Fall aus dem Textilbündnis . Die Unternehmen zittern ja schon förm-lich . Herr Müller, der richtige Weg wäre gewesen, das zutun, was Sie am Anfang mal angedacht haben, nämlichklare gesetzliche Regeln und soziale und ökologischeMindeststandards, ja Sorgfaltspflichten für Konzerne zu schaffen . Das hätten wir gebraucht .
Zum letzten Punkt . Sie haben gesagt, Sie wolltenFluchtursachen bekämpfen . Natürlich führen Sie Projek-te durch – Sie haben einige vorgestellt –, die das Leid derFlüchtlinge mildern . Aber gleichzeitig forciert Deutsch-land ganz massiv sogenannte Migrationspartnerschaf-ten mit afrikanischen Ländern . Sie sollen Flüchtlingezurücknehmen, sonst droht eine Kürzung von Entwick-lungsgeldern . Es wird noch schlimmer: Im Sudan, einemLand, das Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft,arbeitet die zu 100 Prozent staatliche deutsche GIZ aneinem Projekt zum besseren Migrationsmanagement .
Im Ergebnis läuft es darauf hinaus, mit sudanesischenSicherheitskräften, die Menschenrechte verletzen undMenschen in die Flucht treiben, zusammenzuarbeiten .Das Ziel: Flüchtlinge stoppen, die nach Europa wollen .Wenn afrikanische Despoten der EU Flüchtlinge vomHals halten, werden sie nun belohnt . Das ist ein Skandal .
Und, Herr Minister, auch Fluchtursachen werden damitnicht bekämpft, sondern neue geschaffen .Mein Fazit nach drei Jahren Müller: Hätten Sie nur dieHälfte dessen, was Sie gesagt haben, auch verwirklicht,wäre die Welt ein Stück weit besser . So aber sind Sie derHeißluftminister: nette Worte, keine Taten .Danke schön .
Vielen Dank, Niema Movassat . – Nächste Rednerin:
Sonja Steffen für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller, Sie wer-den mir gestatten, dass ich heute, weil es die letzte Run-de ist, in der wir uns als Haushaltspolitiker mit diesemHaushalt beschäftigen werden und ihn dann auch ver-abschieden werden, ein Resümee ziehe . Mein Resümee,Herr Movassat, sieht ein wenig anders aus als das Ihre .Ich sehe den Etat wesentlich positiver als Sie .
Zum Aufwuchs des Etats ist schon einiges gesagt wor-den . Ich habe mir vor dieser Debatte noch einmal ange-schaut, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben .Im Koalitionsvertrag heißt es: Wir wollen Deutschlandweiter auf einem Finanzierungspfad zum „0,7-Pro-zent-Ziel“ der Mittel der Entwicklungszusammenarbeitam BNE, ODA-Quote, führen und stellen deshalb in derLegislaturperiode zwei 2 Euro bereit . Liebe Kolleginnenund Kollegen, mehr als 2 Milliarden Euro Aufwuchs: Ichdenke, das kann sich sehen lassen .
Gestatten Sie mir ein paar Worte zur ODA-Quote . Sieist jetzt schon kritisiert worden . Ich habe mich gefreut,Herr Müller, dass Sie gesagt haben: Wir wollen weiterdaran arbeiten, die ODA-Quote von 0,7 Prozent auchwirklich zu erreichen . Wir sind auf einem guten Weg .Wir haben in diesem Haushalt bereits eine Quote von cir-ca 0,6 Prozent erreicht .Wir wissen auch, dass es Kritik gibt hinsichtlich derFrage, wie man die ODA-Quote berechnet . Denn bei derBerechnung der ODA-Quote spielen auch die Inlands-kosten der Flüchtlinge im ersten Jahr ihres Aufenthaltshier eine Rolle . Darüber kann man streiten . Aber letzt-endlich müssen wir zum einen dafür sorgen, dass die Be-rechnungen international die gleichen sind . Zum anderenist es so: Wenn wir einmal die rote Linie erreicht haben,dann können wir davon nicht mehr abrücken . Das heißtalso, wir – nicht nur wir Fachpolitiker und die Haushalts-politiker, sondern alle, die in der Entwicklungszusam-menarbeit tätig sind – fordern an dieser Stelle gemein-sam, dass wir die 0,7 Prozent erreichen und diese roteLinie in Zukunft nicht mehr unterschreiten .
Die Kehrseite des Aufwuchses von mehr als 2 Milli-arden Euro haben wir in den letzten Jahren, vor allem imletzten Jahr, erlebt . Natürlich hat der Aufwuchs auch mitder aktuellen Situation der Flüchtlinge zu tun . Ich weißehrlich gesagt nicht, ob wir diesen Aufwuchs erreichthätten, wenn wir nicht auch in Deutschland ein wirk-lich sehr schwieriges Jahr 2015 erlebt hätten, in dem wirletztendlich aber alles gut gemeistert haben .Sei es drum: Ich finde, ein sehr positiver Effekt der Flüchtlingsbewegungen im letzten Jahr ist der, dass wirNiema Movassat
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nicht nur einen Aufwuchs von 2 Milliarden Euro im Etathaben, sondern dass darüber hinaus, insbesondere dankder Fachpolitiker, der Blick für die Entwicklungszusam-menarbeit geschärft worden ist . Dies gilt nicht nur fürden Haushaltsausschuss – dort hat sie bisher aus meinerSicht ein Schattendasein geführt –, vielmehr ist es auchbei den Menschen in den Wahlkreisen angekommen,dass wir unbedingt eine wirksame Entwicklungszusam-menarbeit brauchen . Denn nur so können wir den Men-schen helfen, sodass sie sich nicht auf den schwierigenWeg der Flucht machen müssen . In der Tat ist es wohl so:Die meisten Menschen wollen dort leben, wo sie geborensind, wo ihre Heimat ist .
In meiner ersten Rede zum Haushalt 2014 habe ichgesagt: Meine Aufgabe als Haushälterin sehe ich da-rin, dafür zu sorgen, dass das Geld in diesem Etat nichtmit der Gießkanne ausgeschüttet wird . Vielmehr geht esdarum, ein gesundes Verhältnis zwischen vernünftigerHaushaltspolitik auf der einen Seite und den finanziellen Verpflichtungen und Verantwortungen unseres Staates im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auf der ande-ren Seite zu finden. Aufgrund der aktuellen Verhältnisse, vor allem aufgrund der Situation im letzten Jahr, hat sichdas Verhältnis zwischen der vernünftigen Haushaltspo-litik auf der einen Seite und der Verantwortung auf deranderen Seite natürlich in Richtung Verantwortung ver-schoben .Seit 2015 befinden sich 65 Millionen Menschen auf der Flucht . 65 Millionen! Besonders traurig ist, dass seit2013 mehr als 10 000 Menschen ihren Tod auf dem Mit-telmeer gefunden haben, weil sie es nicht geschafft ha-ben, Europa zu erreichen . Deshalb ist jeder Cent, den wirin die Entwicklungszusammenarbeit investieren, nichtnur eine Investition in die Menschen vor Ort, sondern erhilft, die schlimmen Fluchtschicksale, die uns verfolgen,zu verhindern und zukünftig dafür zu sorgen, dass dieMenschen weiterhin in ihrer Heimat leben können .Vernünftige Haushaltspolitik in der Entwicklungszu-sammenarbeit heißt aber auch, vernünftige Schwerpunk-te zu setzen . Gerade die SPD-Fraktion hat zwei wichtigeSchwerpunkte, die man im Haushalt auch wiederfindet, gesetzt:Der erste Schwerpunkt ist Gesundheit . Denn nur ge-sunde Menschen können vor Ort dafür sorgen, dass sieselber und auch ihre Familie leben können . Deshalb ha-ben wir in diesem Etat insgesamt 650 Millionen Euroin Gesundheit investiert, davon übrigens 250 Millio-nen Euro bilateral, also über die GIZ und die KfW, und330 Millionen Euro multilateral .Es kam vorhin schon kurz zur Sprache: Wir werfenden Blick zu selten auf den multilateralen Bereich, alsodorthin, wo wir in Fonds einzahlen . Ich habe mich heu-te Morgen sehr gefreut, als selbst die Kanzlerin in ihrerRede gesagt hat, dass sie auf die multilaterale Hilfe setzt,und zwar insbesondere deshalb, um die gemeinsame Ver-antwortung der Industriestaaten zu stärken . Das ist auchmit diesem Haushalt ein Stück weit gelungen . Das freutvor allem mich und meine Kollegen von der SPD-Frak-tion .
Der zweite Schwerpunkt ist Bildung . Auch hier habenwir eine Menge erreicht . Herr Minister, Sie haben immerwieder gesagt: Wir wollen mindestens 400 MillionenEuro im Jahr in die Bildung investieren . – Auch das istmit diesem Etat gelungen . 250 Millionen Euro werdenbilateral investiert, der Rest teilweise multilateral . Ichfreue mich, dass auch der GPE-Fund für die Zukunft ei-nen Aufwuchs erhalten konnte .Zu dem weiteren Schwerpunkt der humanitären Hilfehaben wir schon einiges gehört . Das Programm „Cash forWork“ ist gut . Das Rückkehrprogramm, das Sie vorhinerwähnten, finde ich hervorragend. Es ist ganz furchtbar, dass viele Flüchtlinge, die hier keine Bleibeperspektivehaben, immer noch in Nacht-und-Nebel-Aktionen abge-holt und in die Ungewissheit zurückgeführt werden . Ichdenke, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet, kann manvernünftige Wege finden, um in ihren Heimatländern die Entwicklungszusammenarbeit zu fördern .Jetzt bin ich leider schon fast am Ende meiner Rede-zeit angekommen .
Nein, Sie sind am Ende .
Ja . – Ein letzter Satz . Ich habe die Hoffnung – sie ist
heute an verschiedenen Stellen bestätigt worden –, dass
der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit auch zu-
künftig die finanzielle, mediale, soziale und humanitäre
Aufmerksamkeit erhält, die er verdient .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Sonja Steffen . – Nächste Rednerin: Anja
Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, es ist wichtig, dass wir einen kriti-schen Blick auf diesen Etat und die Haushaltsberatun-gen werfen . Es ist richtig: Wir haben in den Haushalts-beratungen eine Steigerung um mehr als 550 MillionenEuro erzielt . Wenn ich mir die Zahlen nüchtern anschaue,stelle ich fest: 80 Prozent dieser Summe sind eigentlicheine Korrektur Ihrer Fehler aus dem Vorjahr . Da habenSie nämlich bei der finanziellen und technischen Zusam-menarbeit erheblich gekürzt, und zwar in einem Umfangvon über 300 Millionen Euro . Jetzt mussten Sie das kor-rigieren, weil im Laufe des Jahres eine ganze Menge Pro-bleme entstanden sind . Man kann also sagen: 80 Prozentsind eine Korrektur – zum Glück wurde sie jetzt vorge-nommen –, und die restlichen 20 Prozent haben Sie nurdeswegen obendrauf gelegt, weil Sie im Herbst 2016 dieSonja Steffen
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ganze Zeit die Bewilligung notwendiger Gelder verzö-gert haben .Es war im Übrigen die SPD . Die SPD hatte ein Kon-kurrenzproblem . Es ging um die Finanzierung der hu-manitären Hilfe im Auswärtigen Amt, dem Ressort vonHerrn Steinmeier . Es sind also für 2017 130 MillionenEuro hinzugekommen, die 2016 gefehlt haben, weil Siesich kleinkariert gestritten haben . Das ist die Wahrheitüber die Haushaltsberatungen . Die 0,5 Milliarden Euro,die obendrauf gelegt wurden, waren eine Fehlerkorrek-tur . Diese Korrektur war überfällig . Darauf sollten Siealso gar nicht so stolz sein . Das war eher peinlich .
Ich möchte Ihnen sagen, was ich riskant finde. Es ist richtig: Die außenpolitische Lage insgesamt macht es er-forderlich, dass wir mehr Geld in die Hand nehmen . Aufgewisse Weise kommen Sie dem auch nach . Aber für dieKrisenbewältigung und den Wiederaufbau, also für dieMittel, die wir bei der Krisenreaktion unmittelbar brau-chen, haben wir im Jahr 2016 mehrfach Nachschläge be-antragt . Bei nüchterner Betrachtung komme ich zu demSchluss, dass wir in 2017 weniger Geld zur Verfügunghaben werden, als wir dieses Jahr gebraucht haben . Ist esdenn so, dass wir auf eine entspannte Situation in 2017gucken und uns auf dem 2016 Erreichten ausruhen kön-nen? Es geht um eine Differenz von 100 Millionen Euro .Wir haben vorgeschlagen: Lassen Sie uns das jetztaufstocken . Lassen Sie uns nicht wieder nachbessern;denn die Risiken des Nachbesserns, Herr Müller, sinduns doch bekannt . An dieser Stelle – bei der Krisenbe-wältigung – machen wir jetzt sehenden Auges wieder zuwenig . Das hätten wir besser machen können .
Ich komme auf den Punkt Klimagipfel und Marra-kesch, Herr Minister . Ja, es ist gut, dass Sie eine neueInitiative gestartet haben .
Es fällt uns kein Zacken aus der Krone, das als Oppo-sition zu sagen. Aber die finanziellen Zusagen im Bun-deshaushalt für die Klimafinanzierung aus Deutschland sind mager . Sie haben die Mittel für die multilateralenKlimafonds gekürzt. Und Sie haben für Verpflichtungs-ermächtigungen, die Sie für nächstes Jahr – also für dieZukunft bzw . für langfristige Klimapolitik – eingehenkönnen, erheblich weniger im Etat als im letzten Jahr .Die Verpflichtungsermächtigungen sind in Höhe von sage und schreibe mehr als 440 Millionen Euro gerin-ger geworden . Und knapp die Hälfte davon ist gesperrt .Wir müssen also – auch das muss man einmal ehrlichfeststellen – befürchten, dass die Neuzusagen in der Kli-mafinanzierung geringer sein werden als jetzt. Das ist ein Schwachpunkt, und es ist gerade mit Blick auch auf dieKonferenz in Marrakesch, was Ihren Haushalt anbelangt,eine verpasste Chance .
Deswegen finde ich es schön, Herr Müller, wenn Sie sagen, dass die Steigerungen, die Sie in den letzten Jah-ren erlebt haben, Sie zuversichtlich machen, dass Sie imJahr 2018 das 0,7-Prozent-Ziel erreichen werden . Dazusage ich Ihnen: Da haben Sie uns Grüne an Ihrer Seite .Aber wir legen hier heute einen Antrag vor, der einen sol-chen Aufwuchsplan in der mittelfristigen Finanzplanungverlässlich vorsieht .Die Wahrheit ist doch, dass Sie zwar im Haushalt 2017einige Steigerungen vorgenommen haben, dass aber für2018, 2019 und 2020 keinerlei Steigerungen vorgesehensind . Deswegen ist das wirklich ein ziemlich leeres Ver-sprechen und nur eine Hoffnung, die Sie hier zum Aus-druck gebracht haben .Wenn die Fraktionen unserem Aufwuchsplan zustim-men, dann hätte das wenigstens einen Kern und wirklichBestand . Das sage ich auch in Richtung der KolleginSteffen, die ja diese Hoffnung teilt . Eigentlich aber müss-ten Sie das dann auch mit Fakten unterlegen . Sie wollenja schließlich nicht zu den Leuten gehören, die in diesemZeitalter auf sehr fragwürdige Weise postfaktisch argu-mentieren . Also, an der Stelle sind Klarheit, Transparenzund Verantwortung geboten .Ich komme zum letzten Punkt, zu Afrika. Ich finde es gut, dass Finanzminister Schäuble, die Kanzlerin undauch Sie, Herr Müller, gesagt haben, dass Sie – in unse-rem eigenen Interesse und auch aus vielerlei humanitä-ren Gründen – die große Verantwortung von Europa fürdiesen Kontinent sehen . Sie wollen einen Zukunftsplanvorlegen. Ich finde, da muss dann aber auch eine wirkli-che Selbstkorrektur unserer eigenen Politik und auch dereuropäischen Politik dazukommen .Der Kollege von den Linken hat das angesprochen:Es kann nicht sein, dass wir eine Landwirtschaftspoli-tik bzw . eine europäische Subventionspolitik betreiben,bei der Geflügelprodukte aus Europa billig im dortigen Markt untergebracht werden . Das ist eine Fluchtursache .Damit werden die Lebens- und Arbeitsperspektiven vonBauern in Afrika geschmälert . Gehen wir noch zum The-ma „Fischtrawler“ über . Aufgrund von europäischen Ab-kommen werden Unmengen von Fischen gefangen . DieMeere dort aber werden leergefischt. Die Fische werden dort nicht verarbeitet, und insofern werden keine lokalenArbeitsplätze geschaffen .Mit dieser europäischen Landwirtschaftspolitik – dakennen Sie sich aus; dabei geht es auch um die deut-sche Beteiligung daran – können wir keinen erfolgrei-chen Afri ka-Plan machen . Das geht nicht nur mit Geld,sondern dafür brauchen wir auch eine Selbstkorrektur .Deswegen brauchen wir nicht nur ein Afrika-Ministeri-um, sondern eine kohärente Afrika-Politik, an der sichauch der Finanzminister – dabei geht es um eine faireinternationale Steuerpolitik – beteiligt . Sie müssen auchden Herrn Schmidt an die Kandare nehmen . Und dannmüssen Sie mit der Frau Bundeskanzlerin noch einmaleine ganz andere Finanzierungszusage geben . Sonst istdas heiße Luft .Wir werden Sie gerne bei der Erstellung eines gutenAfrika-Planes beraten . Der soll ja noch vorgestellt wer-Anja Hajduk
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den . Dafür werden Sie sicherlich länger brauchen, als Sieheute noch denken .Schönen Dank .
Vielen Dank, Anja Hajduk . – Nächster Redner: Jürgen
Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Movassat, Sie haben dem Minister vorgeworfen,dass er netten Worten keine Taten folgen lassen würde .Anja Hajduk sagte, man müsse kritische Blicke auf denHaushalt werfen . Halten wir drei Punkte doch noch ein-mal fest:Erstens . Der Einzelplan 23 wächst in 2017 um insge-samt 1,1 Milliarden Euro .Zweitens . Der Haushalt für Entwicklungspolitik über-schreitet die Grenze von 8 Milliarden Euro .Drittens. Die Steigerung der finanziellen Mittel für Entwicklungspolitik beträgt in dieser Legislaturperiode35 Prozent .Das müssen wir hier festhalten . Das ist Ihr Erfolg,Herr Minister, und der Erfolg der Koalition, und daraufsind wir auch ein bisschen stolz .
Lassen Sie mich als Außen- und Entwicklungspoli-tiker an dieser Stelle einen Blick auf die multilateralenAnstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeitwerfen; denn angesichts weltweiter Herausforderungen –wir haben das ja immer wieder gesagt – in den BereichenMigration, Ernährung und Umwelt können wir nur durcheine internationale Kooperation, Zusammenarbeit, nach-haltige Entwicklungserfolge erzielen .Ich erinnere daran, dass die Zahl der Flüchtlinge65 Millionen beträgt . 41 Millionen von ihnen sind inihrem Heimatland geblieben . Ohne intensive Bemühun-gen und ohne gemeinsame internationale Lösungsansät-ze – das ist das Entscheidende – voranzubringen, wirdes keine Verbesserung dieser Lage geben . Deswegenbegrüße ich es ausdrücklich, dass im aktuellen Haushaltdie Aufstockung der Verpflichtungsermächtigung für die Afrikanische Entwicklungsbank um 45 Millionen Euroerreicht werden konnte, und auch die Aufstockung derBarmittel für die Vereinten Nationen und internationaleOrganisationen ist ein positives Signal .Erst gestern saß ich mit einem hochrangigen Ge-sprächspartner des UNDP, des Entwicklungsprogrammsder Vereinten Nationen, zusammen . Gleich zu Beginnsagte er mir, dass es eine super Lösung und eine sehr guteNachricht ist, dass Deutschland mit 25 Millionen Euroeinen essenziellen Beitrag für die Arbeit der Organisationleisten wird .Ein zentrales Anliegen der deutschen Entwicklungs-politik ist die Steigerung der Effizienz und der Wirkung internationaler Maßnahmen . Mit Fokussierung auf leis-tungsstarke Geber, also zum Beispiel auf die UN oder dieWeltbank, trägt Deutschland dazu bei, die Fragmentie-rung der Geberlandschaft zu begrenzen . Dieses Vorhabenwird in den kommenden Jahren nicht einfacher . So bleibteben natürlich auch abzuwarten, welche Schwerpunkteder neue amerikanische Präsident in der internationalenZusammenarbeit setzen wird . Auch dahinter, wie hintervielen anderen Punkten, sind Fragezeichen .Auch ein Blick auf unsere europäischen Nachbarnwirft Fragen auf . Was bedeutet der Brexit für die europä-ische Außen- und Entwicklungspolitik? Großbritannienhat die internationale Entwicklungspolitik in den vergan-genen Jahren sehr maßgeblich mit beeinflusst. Das Verei-nigte Königreich ist der zweitgrößte Geber weltweit unddamit ein Schwergewicht und tonangebender Staat beider strategischen Ausrichtung der Entwicklungszusam-menarbeit .Meine Damen und Herren, Deutschlands Position inder multilateralen Entwicklungszusammenarbeit und inder Koordinierung mit der EU – untereinander, miteinan-der – wird sich verändern müssen . Wir müssen uns da-rauf einstellen, dass wir als verlässlicher Partner in derEntwicklungszusammenarbeit künftig noch intensivergebraucht und nachgefragt werden .Als Entwicklungspolitiker in Deutschland haben wires in der Vergangenheit oft schwer gehabt, Gehör fürunsere Themen zu finden. Im Gegensatz zu den großen Fragen der Außen-, der Innen- und der Wirtschaftspolitikstanden Fragen der Entwicklungspolitik eben nur seltenim Mittelpunkt der Schlagzeilen und der öffentlichenAufmerksamkeit . Manchmal braucht es leider eben eineKrise, um tatsächlich ein Umdenken deutlich werden zulassen .Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Trotz unseresstarken Engagements im Bereich „Flucht und Migrati-on“ verliert die Koalition auch andere Herausforderun-gen nicht aus ihren Augen . Ich nenne hier – Sie habenes auch heute Abend noch einmal deutlich gesagt, HerrMinister – das Textilbündnis, die Umsetzung der Nach-haltigkeitsagenda 2030 und die Energiepartnerschaftenin Afrika . Deutschland übernimmt mit den aufgezähltenBeispielen internationale Verantwortung und ist bereit,gemeinsam mit seinen Partnern zum Erfolg beizutragen .Meine Damen und Herren, mit dem aktuellen Haus-haltsplan liefert die Bundesregierung den Beweis dafür,dass wir – die Regierung, das Parlament; jedenfalls dieMehrheit – die Herausforderungen verstanden haben .Und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder –auch heute – deutlich gemacht, dass sie sich mit starkerStimme für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzt,und dafür sind wir ihr dankbar .
Wer Hunger leidet, von Bürgerkrieg oder der eigenenRegierung bedroht ist, wer keine Perspektive für seineKinder sieht, wird niemanden fragen, ob er seine Hei-mat verlassen darf, um in Europa eine bessere ZukunftAnja Hajduk
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zu suchen . Mit den eingeplanten Haushaltsmitteln wirdDeutschland auch im kommenden Jahr seinen Beitragleisten, um diesen Menschen eine Perspektive in ihrerHeimat zu geben und weniger die Flucht zu unterstützen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Jürgen Klimke . – Nächste Rednerin:
Gabi Weber für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorrednersind bereits darauf eingegangen, dass wir zum zweitenMal in Folge einen Rekordhaushalt für das BMZ auf denWeg bringen .Kleiner Rückblick: Damit ist die Niebel-Delle, mitder wir 2014 angefangen haben, Vergangenheit, und wirhaben die Möglichkeit, diesen Haushalt so weiterzuent-wickeln, dass wir das 0,7-Prozent-Ziel erreichen, undzwar am besten, indem die Kosten für die Flüchtlingeim Inland und der Haushalt ohne die Kosten für dieseFlüchtlinge getrennt ausgewiesen werden, damit wir ei-nen vernünftigen Überblick haben .
Insgesamt kann man betonen: Jeder Euro, den wir zurSchaffung von guten Lebensperspektiven für die Men-schen in den Entwicklungsländern einsetzen, ist gut an-gelegt . Das gilt übrigens auch für die Bekämpfung vonFluchtursachen . Schaut man sich die Welt an, bedarfes keiner großen Vorhersagekunst, um zu erahnen, dassFlucht und deren Folgen auch im nächsten Jahr eines derzentralen Themen der Entwicklungszusammenarbeit seinwerden . Aus diesem Grund wird der Bereich Krisenbe-wältigung und Wiederaufbau sowie Infrastruktur zusam-men mit der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämp-fen – Flüchtlinge reintegrieren“ um 150 Millionen Euroaufgestockt . Darüber hinaus wird vor allem die bilateralestaatliche Entwicklungszusammenarbeit mit einem Plusvon über 500 Millionen Euro deutlich gestärkt; das warüberfällig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Blick auf dieWeltkarte der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzensehe ich einen betrüblichen Trend zu einem Mehr anZensur, Verfolgung von Medienschaffenden und der Ein-schränkung freier Debatten in vielen Ländern der Erde .Gerade deshalb brauchen wir jetzt Einrichtungen, die dementgegenwirken . Ohne eine lebendige Medienlandschaftkann Demokratie nicht gedeihen und wird Entwicklungbehindert . Die Liste der unrühmlichen Gegenbeispielewird leider immer länger . Eines der jüngsten Beispiele istleider die Türkei, die aber kein Entwicklungsland, son-dern ein Schwellenland ist .Bezogen auf den jetzigen Haushalt freue ich michsehr, dass die Forderung der SPD aus der ersten Le-sung, im Bereich der Medien mehr Geld zur Verfügungzu stellen und die Förderung nicht um 3 Millionen Eurozu kürzen, erhört worden ist . Wir haben die Kürzung zu-rückgenommen und eine Aufstockung um 800 000 Eurovorgenommen . Das ist ein wichtiges Signal und kommtEinrichtungen wie der Deutschen Welle bei ihrer wichti-gen Arbeit unmittelbar zugute .
Ein weiterer Bereich, der mir und meiner Fraktionsehr am Herzen liegt, ist der Zivile Friedensdienst . Auchhier konnte ein Aufwuchs des entsprechenden Titels um3 Millionen Euro erreicht werden . Danke . Das war eben-falls eine unserer Forderungen. Dass die Verpflichtungs-ermächtigungen in diesem Bereich ebenfalls um 3 Milli-onen Euro angehoben worden sind, ist ein gutes Signalund verlässliche Zusage an diejenigen, die in diesem Be-reich weiter arbeiten . Insgesamt werden wir den ZivilenFriedensdienst bei der unsicheren Weltlage sicher weiterstärken müssen .
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Entwicklungbraucht Zeit; Konfliktprävention und Nachsorge auch. Gerade deshalb müssen wir darauf achten, Gelder vor al-lem mittel- bis langfristig bereitzustellen . Bis zum Erfolgbraucht es einen langen Atem . Viele Projekte im Bereichder Entwicklungszusammenarbeit oder Konfliktpräven-tion und Nachsorge werden oftmals von kleinen Trä-gern umgesetzt . Ihre Partner, meist kleine und lokaleOrganisationen, die das Gelingen der Arbeit durch eineenge Vertrauensbeziehung mit den Menschen vor Ortsicherstellen, arbeiten oft mit Projekten von geringeremVolumen und kürzerer Laufzeit als etwa große Organi-sationen . Aber wir brauchen beide, und wir brauchen fürbeide Planungssicherheit und Transparenz im Vergabe-verfahren .Daher sind Verpflichtungsermächtigungen wichtig; denn sie geben für kommende Haushaltsaufstellungenbereits gewisse Leitplanken vor . So haben wir sie auchin diesem Haushalt um 158 Millionen Euro angehoben .Ein Wermutstropfen an dieser Stelle . Beim Titel fürdie Arbeit privater Träger haben wir am Ende 8 Milli-onen Euro mehr für Verpflichtungsermächtigungen ein-gestellt und den Barmittelansatz um 4 Millionen Euroerhöht . Allerdings erreichen mich zurzeit Hinweise vonkleinen Organisationen, die einerseits das Signal erhaltenhaben, dass es diesen Haushaltsaufwuchs gibt, aber ande-rerseits befürchten, dass das, was an Haushaltsaufwuchskommt, nicht bei ihnen, den kleinen Trägern, landet,sondern bei großen Trägern und dass die kleinen Trägerdadurch keine Chance haben, ihre Projekte zu verwirk-lichen . Das sollte, Herr Minister, genau beobachtet wer-den, und es sollte sichergestellt werden, dass sowohl diegroßen Träger mit guten Projekten als auch die kleinenTräger wirklich zum Zuge kommen .
Wie bei mir üblich kommt jetzt der Blick zum Platzdes Finanzministers . Ich möchte das wichtige Thema Fi-Jürgen Klimke
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nanztransaktionsteuer nicht links liegen lassen und nocheinmal dafür werben, dass wir die Signale, die im Ok-tober dieses Jahres von der EU-Finanzministerkonferenzgekommen sind, nutzen und dass von unserer Seite ausdie Initiative weitergetragen wird, die Finanztransakti-onsteuer auf europäischer Ebene tatsächlich noch 2018einzuführen .Liebe Kollegen und Kolleginnen, abschließend möch-te ich allen danken, die in Parlament und Regierung ander Aufstellung des Haushalts mitgewirkt haben . Insbe-sondere den verschiedenen Akteuren vonseiten der Zivil-gesellschaft möchte ich für die kritische Begleitung unddie wichtigen Hinweise an uns Parlamentarier danken .Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Haushalt .
Vielen Dank, Gabi Weber . – Nächster Redner:
Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirkönnen heute einen signifikanten Aufwuchs der Mittel einhellig begrüßen . Ich will dem Minister Müller für diesehr gute und emotional überzeugende Arbeit, die er ge-leistet hat, ausdrücklich danken .
Wir haben es heute früh von der Bundeskanzlerin ge-hört, aber auch beim Finanzminister bis hin zu den Kol-legen hat sich die Erkenntnis verfestigt: Dieses Geld istnotwendig; denn die Not in der Welt ist groß und wächst .Wir spüren das in Deutschland in verschiedener Weiseund erleben hitzige Debatten . Für Millionen Menschenaber bedeuten Konflikte und Wetterkatastrophen Armut, Hunger, Krankheit und zunehmend Flucht .Aber nicht nur im Haushalt des BMZ sind die Mittelgegen die Not in dieser Welt gestiegen . Das ist ebenfallsim Haushalt des Auswärtigen Amtes bei den Stabilisie-rungs- und Präventionsmaßnahmen der Fall . Wir habenimmer wieder Kohärenz eingefordert und sollten aufpas-sen – bei aller Freude –, dass hier keine Doppelungenentstehen . Dabei könnte uns die Expertise des DeutschenEvaluierungsinstitutes der Entwicklungszusammenarbeithelfen, das dies zum Thema machen will . Die Ergebnissesollten wir dann in die nächste Haushaltsdebatte einbe-ziehen .Mit diesem Haushalt drücken wir Verantwortung aus .Wir tun das nicht nur, um die Zahl der Fluchtgründe zuverringern, sondern wir nehmen auch die Agenda 2030für nachhaltige Entwicklung sehr ernst .
Es gehört zu den Höhepunkten der menschlichen Zi-vilisation, dass endlich die Nationen der Not auf der Weltden Kampf ansagen . Deutschland hat sich durch Staats-sekretär Silberhorn auf dem High-level Political Forumder Vereinten Nationen zu einer Vorreiterrolle bekannt .Die SDGs sind jetzt unser Leitmotiv, und das ist richtig .Wir bekennen uns zu einer ökonomischen, ökologi-schen und sozialen Gestaltung der Globalisierung . Eineso verstandene Entwicklungspolitik ist zugleich Frie-denspolitik und globale Zukunftspolitik .Ich möchte einen besonderen Haushaltstitel erwäh-nen, bei dem es um die Förderung von Medien und denfreien Zugang zu Informationen in Entwicklungsländerngeht . Hier konnte auch mit den Kollegen der Koalitionaus dem Haushaltsausschuss der Ansatz auf 20 MillionenEuro angehoben werden . Das Recht auf freie Meinungs-äußerung und der freie Zugang zu Informationen, dienicht von einem Konfliktpartner beeinflusst werden, sind nicht zu überschätzen .Informationen, die Verständnis und Versöhnungs-bereitschaft fördern und die Chancen einer friedlichenZukunft durch Unterstützung der internationalen Ge-meinschaft darlegen und damit Hoffnung geben, sind inKrisenregionen selten und dringend nötig .
Wir können mit dem erweiterten Titel die notwendigeAusbildung von Medienschaffenden fortsetzen . Es gibtdankenswerterweise Interesse, und es ist auch zuneh-mend notwendig, die Identität der Medienschaffenden zuschützen, zum Beispiel im Südsudan, wo wir tätig sind .Auch die Vermittlung dieser Technologien ist dringendnotwendig .Inzwischen sind bereits Projekte realisiert worden, dieziemlich überzeugend und wirkungsvoll sind . Der VereinWeltfilme hat mit Nachwuchsfilmemachern aus Sierra Leone Workshops durchgeführt. Neun Kurzfilme sind entstanden, die sich mit dem Thema Ebola während undnach der Epidemie auseinandersetzen . Viele der jungenMenschen haben ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnis-se in den Filmen verarbeitet .Es ist jetzt genau ein Jahr her, seit Sierra Leone fürebolafrei erklärt wurde . Die Filme wurden im Fernsehenausgestrahlt und ausschnittweise in Radio- und TV-Bei-trägen vorgestellt . Es hat die Menschen aufgeklärt undgeholfen, nach dem schrecklichen Abwenden von infi-zierten Familien wieder miteinander zu leben . Es hilftaußerdem, einprägsam und schnell die geeignete Präven-tion zu erklären, damit eine Ebolaepidemie verhindertwerden kann . Daran wird deutlich, wie wirkungsvoll wirtätig werden können, und das kann jetzt fortgesetzt wer-den .
Ich möchte auch noch die Arbeit in der Deutsch-Grie-chischen Versammlung würdigen, die unter einem klei-nen Titel geleistet wird. Auch dieser Titel befindet sich im Einzelplan 23 . Hier wird auf unserem Kontinentdurch Staatssekretär Fuchtel eine wichtige Arbeit geleis-tet . Dadurch entstehen Perspektiven für die Menschen,die notwendig sind .
Gabi Weber
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Die Herausforderungen an die Entwicklungspolitikwerden nicht weniger werden . Wir haben erkannt, dasswir jetzt mit der richtigen Strategie signifikante Fort-schritte für die Menschen erreichen und den Planetenschützen können, dass es nicht nur um Geldausgebengeht und dass sogar soziale und ökologische Geschäfts-modelle möglich sind . Das können wir, und das solltenwir auch tun .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Johannes Selle . – Nächster Redner:
Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alsvorletztem Redner in dieser Haushaltsdebatte zum Ein-zelplan 23 ist es mir ein Anliegen, noch einmal deutlichzu machen – wir haben es schon mehrfach gehört –: Wirdebattieren heute über einen Rekordetat des BMZ . Wiralle haben die Zahlen gehört . Wir beraten über einenEtat, der annähernd die großen Herausforderungen wi-derspiegelt, vor denen wir stehen . Wir stehen vor enormgroßen Herausforderungen nicht nur bei Flucht undFluchtursachenbekämpfung, sondern auch beim Klima-wandel und im Gesundheitsbereich. Ich finde, wir dürfen uns über diesen Haushalt freuen . Mir ist es bei all denZahlen wichtig, deutlich zu machen: Seitdem die Sozi-aldemokraten mit an der Regierung sind, sind die Mittelin diesem Haushalt um 35 Prozent gestiegen . Ich würdemich freuen, wenn wir künftig die Einnahmen aus ei-ner Finanztransaktionsteuer unter anderem dazu nutzenkönnten, unseren Entwicklungsetat weiter aufzustocken .
Der Aufwuchs ist gut und notwendig; denn wir ste-hen vor großen Herausforderungen . Heute Morgen hatdie Frau Bundeskanzlerin darauf hingewiesen, dass wirmit diesem Etat unseren Beitrag dazu leisten, den großenKontinent Afrika, der noch vieler Unterstützung bedarf,voranzubringen und dem enormen Migrationsdruck, derauf diesem ganzen Kontinent herrscht, etwas entgegen-zusetzen, indem wir Entwicklung fördern, den Menscheneine Zukunftsperspektive geben und für eine nachhaltigeWirtschaftsentwicklung in den afrikanischen Ländernsorgen .In dieser Debatte wurde schon mehrfach auf dieODA-Quote hingewiesen; das will ich aufgreifen . Ja, wirhaben erst 0,47 Prozent erreicht, und zwar ohne Berück-sichtigung der Flüchtlingskosten im Inland . Wenn wiraber die halbe Milliarde Euro, die wir überplanmäßigausgegeben haben, und die 1,1 Milliarden Euro, die sichnach der Bereinigungssitzung ergeben haben, hinzurech-nen, dann stellen wir fest, dass wir uns auf 0,6 Prozentzubewegen . Das verdeutlicht noch einmal, wie wichtiguns das 0,7-Prozent-Ziel ist und dass wir uns auf einemguten Weg befinden. Als Berichterstatter für den Gesundheitsbereich freutes mich außerordentlich, dass wir einen Schwerpunkt aufdiesen Bereich gelegt haben . Neben der Bekämpfungvon armutsassoziierten Krankheiten und den Mitteln fürGAVI haben wir es geschafft, die Gelder für den Globa-len Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose undMalaria um 20 Millionen Euro aufzustocken . Wir habenbei der Wiederauffüllungskonferenz in Montreal die Zu-sagen gegeben, die von uns zu Recht erwartet wurden .Auch die NGOs, die unmittelbar mit Flucht undFluchtursachenbekämpfung befasst sind, brauchen mehrMittel . Sie brauchen unsere Unterstützung . Deshalb ist esrichtig, dass wir die halbe Milliarde Euro, die wir über-planmäßig nachgeschoben haben, im Haushalt 2017 ent-sprechend darstellen . Das ist eine logische Konsequenz .Der Haushalt setzt den Schwerpunkt auf langfristigeund effiziente Projekte sowie auf eine Entwicklungs-politik, die den Menschen in den Entwicklungsländerntatsächlich Zukunftsperspektiven gibt und Chancen er-öffnet . Wir haben den Grundbetrag für UNICEF und dieWelthungerhilfe erhöht . Wir geben damit diesen beidenOrganisationen, die in den Krisenregionen wichtige Ar-beit leisten, Planungssicherheit . Wir haben zudem imBildungsbereich durchgesetzt, dass Flüchtlingskindernder Schulbesuch ermöglicht wird . Die Kolleginnen undKollegen haben darauf hingewiesen, dass wir auch denBereich der Krisenprävention gestärkt haben . Wir habenbei den Mitteln für Beschäftigungsinitiativen für syrischeFlüchtlinge ebenfalls draufgesattelt . Wir haben zudemdie Mittel für den Medienbereich erhöht, um die Presse-freiheit zu stärken .
Mir ist es noch wichtig, auf Folgendes hinzuweisen:Der Einzelplan 23 hat einen Anstieg zu verzeichnen . Wirbrauchen künftig einen weiteren Anstieg . Die Nagelpro-be wird kommen, wenn wieder einmal Sparen angesagtist . Dann wird sich zeigen, ob sich die Erkenntnis durch-gesetzt hat, dass sich jeder Euro, den wir für die Entwick-lungspolitik ausgeben, doppelt und dreifach rechnet .Ich will noch einen Satz zum Entschließungsantragder Linken sagen . Ihr habt einen Entschließungsantragzum Thema Hunger vorgelegt . Wer sich ein klein wenigauskennt, der weiß: Die Bill & Melinda Gates Founda-tion gibt mehrere Hundert Millionen US-Dollar, wennnicht sogar über 1 Milliarde US-Dollar, für den BereichGesundheit aus und investiert hier enorm . In dem Ent-schließungsantrag der Linken steht, dass die Bundesre-gierung aufgefordert werden soll – ich zitiere –:jegliche direkte oder indirekte Kooperation mit derMelinda-and-Bill-Gates-Stiftung im Rahmen derEntwicklungszusammenarbeit zu beenden bzw . aufderen Beendigung hinzuwirken …Ich finde – ich habe euren Entschließungsantrag ge-lesen –, das geht nicht . Man kann das unterschiedlichbewerten . Aber diese Stiftung macht bei GAVI, bei denImpfkampagnen eine hervorragende Arbeit . DeshalbJohannes Selle
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geht es nicht, einfach zu sagen: Wir streichen das; wirbeenden das .Wir haben heute Morgen Frau Wagenknecht gehört,die gesagt hat, in Deutschland kämpften die Menschenums Überleben . Erstens . Ich würde Frau Wagenknechtgerne einmal einladen, eine Reise mit uns zu machen .Zweitens . Wenn vorhin schon die Bibel zitiert worden ist,so möchte ich sie auch in leichter Abwandlung zitieren;Paulus-Brief an die Epheser: Ziehet an die Rüstung desGlaubens; denn die Angriffe der Linken sind hinterlistig .
Ein letzter, nicht ganz ernstgemeinter Hinweis an dieGrünen zu ihrem Änderungsantrag . Darin steht viel Sym-pathisches, aber wir bewerten das anders . Mein Hinweiserfolgt, um von euch Schaden abzuwenden . Ihr schreibtin eurem Antrag – deshalb werde ich auch nicht zustim-men –:Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünenstellt deshalb insgesamt 800 Millionen Euro zusätz-lich im BMUB und BMZ für den internationalenKlimaschutz bereit .Ich wiederhole: die Bundestagsfraktion . Ich weißnicht, wie viel Geld ihr in eurer Fraktionskasse habt .Aber um Schaden von euch abzuwenden, werde ich denAntrag ablehnen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Stefan Rebmann . – Heute zieht sich den
ganzen Tag die Bibel durch die Plenardebatte . Ich würde
darum bitten, hier ein Belegexemplar zu hinterlegen .
– Ich glaube das; aber heute wurden Paulus, Johannes
und andere erwähnt .
– Auch im christlichen Abendland kein Wunder, unter
anderem . – Es wäre ganz gut, wenn wir hier eine Bibel
hätten . Wir haben uns nämlich den ganzen Nachmittag
schon gefragt, ob auch wirklich korrekt zitiert wird .
Letzte Rednerin in der Debatte zur Entwicklungszu-
sammenarbeit: Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Da wir gerade bei der Bibel sind: Da steht auch drin: „Dusollst nicht lügen“ oder: „Sage nicht die Unwahrheit“ .
– Das ist inhaltlich, glaube ich, alles dasselbe .Da muss ich jetzt zwei Dinge richtigstellen, nicht dasseine Lüge hier im Raum stehen bleibt oder eine Unwahr-heit oder ein falsches Zeugnis, lieber Niema Movassat .Ich war bei der Veranstaltung in Bonn . Ich habe dichnicht gesehen .
Aber ich weiß, dass der Minister gesagt hat, dass dieFrauen über 90 Prozent ihrer Einkommen mit nach Hausebringen . In diesem Zusammenhang ist die Bemerkunggekommen . Dann die große Rassismuskeule herauszuho-len, ist fürchterlich überzogen . Wenn wir über Rassismusreden, dann reden wir von ganz anderen Sachen als vondem, was der Minister gesagt hat .
Dann zu Uwe Kekeritz . Lieber Uwe Kekeritz, dassel-be gilt für dich .
Jetzt wird es nämlich spannend . Al-Baschir ist gewählterPräsident – Punkt eins .
Punkt zwei . Wir haben mit ihm keine Migrationspart-nerschaft . Es wird also auch nicht mit ihm zusammen-gearbeitet . Ich wollte das nur einmal klarstellen . Dennwas hier gesagt wird, wird durchaus auch veröffentlicht .Wenn so ein Mist im Protokoll steht, meint unter Um-ständen der eine oder andere, das sei die Wahrheit . Dasist sie aber nicht .
Dann will ich dem Kollegen Movassat und dem Kolle-gen Kekeritz noch Folgendes zum Thema EPAs und zumThema Handel sagen – ich kenne noch einen, der darumeinen Riesenpopanz macht; er kommt aus der SPD –:Was bedeutet Handel eigentlich? Handel hat Deutschlandreichgemacht .
Stefan Rebmann
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Deutschland lebt heute davon, dass wir Handel getriebenhaben . Handel generiert per se Wohlstand . Deshalb frageich mich: Warum fangen wir eigentlich an, zu behaupten,dass Handel etwas Schlechtes ist?
Wir müssen uns überlegen: Wie gestalten wir Handel?Wir müssen darauf achten, dass alle Regeln eingehaltenwerden, dass der Handel WTO-konform ist, dass alle So-zialstandards eingehalten sind . Und daher weiß ich nicht,warum wir hier einen Popanz machen; denn Handel istetwas Wichtiges .
Ich komme darauf nachher noch zurück .Leider kann ich Stefan Rebmann jetzt etwas nicht er-sparen, so leid mir das tut .
Frau Präsidentin, ich möchte gerne zitieren .
Darf ich Sie fragen, ob Sie Herrn Movassat eine Zwi-
schenfrage genehmigen?
Nein . – Es folgt jetzt etwas ganz Schönes .
Gut . – Dann kommt jetzt Ihr Zitat .
Genau . – Stefan Rebmann hat gesagt, dass die SPDdaran schuld ist, dass unser Haushalt einen so wunderba-ren Aufwuchs erfahren hat . Ich zitiere wörtlich:Ich weiß, dass unsere Forderung nach deutlich mehrGeld für die Entwicklungszusammenarbeit in Wirk-lichkeit nicht an Angela Merkel, sondern an derSPD gescheitert ist .Die Kanzlerin sei, so geht es weiter, „sehr aufgeschlos-sen gegenüber der Forderung nach deutlich mehr Geldfür die Entwicklungszusammenarbeit gewesen“ . In derSPD-Gruppe sei aber mehrheitlich die Auffassung ver-treten worden, dann zulasten „unserer Projekte“, sprich:SPD-Projekte, doch vielleicht besser kein zusätzlichesGeld für die Entwicklungspolitik festzuschreiben . – Ichkann euch das leider nicht ersparen . Ich habe es nur mit-gebracht und wollte es eigentlich gar nicht so vorlesen .Ihr wisst, wer es gesagt hat . Es war nämlich ein teilweisedurchaus komischer und liebenswerter Kollege aus derSPD .
Dies ist der letzte Haushalt, den ich für die Union mitverantworten darf . Insofern wage ich zu behaupten, dasses wirklich ein toller Haushalt ist . Ich will ihn jetzt nichtin Einzelheiten darstellen . Jeder hat erzählt, wie toll erist und was da alles drinsteht . Ich möchte gern noch einpaar Minuten darauf verwenden, mir über die Zukunftein paar Gedanken zu machen . Mir ist das, was wir hierüber die Zukunft sagen, eigentlich zu wenig . Denn wirwerden künftig über vier große Themen reden müssen .Ein Thema ist natürlich das unglaubliche Bevölke-rungswachstum, das wir haben werden . Wir wissen, dass2030, 2040, 2045 über 2 Milliarden Menschen in Afrikaleben werden . Da geht es sofort um die Ernährung: Wieernähren wir eigentlich diese Menschen? Schon sind wirbei der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, lieber KollegeMovassat und lieber Kollege Kekeritz . Natürlich könnenwir die kleinbäuerliche Landwirtschaft unterstützen, undnatürlich können die drei Gurken, die ein Bauer dort viel-leicht mehr anbaut, auf dem Markt verkauft werden . Dassind regionale Produkte, das sind regionale Märkte, unddas ist regionale Versorgung .Was machen wir mit den Millionenstädten? Was ma-chen wir mit diesen fürchterlichen Slums? Wo sollendenn deren Bewohner ihre Gurken anbauen?
Sie brauchen doch eine Landwirtschaft, die ganz andersals die Subsistenzlandwirtschaft ist . Da müssen wir tat-sächlich über Märkte reden, und wir müssen auch darü-ber reden, was man dort eigentlich heute schon braucht,weil man nicht in der Lage ist, die Menschen zu ernäh-ren. Einfach nur zu sagen: „Das Geflügel ist daran schuld, dass es den Menschen dort schlecht geht“, ist definitiv zu einfach . So einfach ist das Leben nicht .
Was brauchen die vielen Menschen, die dort lebenwerden? Neben der Ernährung brauchen sie noch zweiwichtige Sachen, damit sie sich wirtschaftlich entwickelnkönnen .
– Ihr solltet einmal zuhören, weil ihr noch etwas lernenkönnt . –
Um sich wirtschaftlich zu entwickeln, braucht man Wirt-schaftswachstum . Wirtschaftswachstum in diesen Län-dern ist das, was auch wir als Bundesrepublik Deutsch-Sibylle Pfeiffer
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land sehr gut unterstützen können . Das ist die künftigeWirtschaftspartnerschaft mit den afrikanischen Ländern .Da sind wir auf einem guten Weg . Das muss aber nochviel stärker werden . Die Wirtschaft muss sich selber ent-wickeln . Wir können sie nicht für sich entwickeln, son-dern sie muss sich selber entwickeln .
Die Menschen vor Ort müssen sich entwickeln . Wenn esdieses wahnwitzige Bevölkerungswachstum gibt, dannbraucht es vor allen Dingen Arbeitsplätze für die jungenMenschen; denn sonst können sie vor Ort nicht existie-ren .Wenn wir über wirtschaftliche Entwicklung, überLandwirtschaft, über Industrialisierung in diesen Län-dern reden, sind wir sofort beim Thema .
Frau Pfeiffer, erlauben Sie eine Frage von Herrn
Leutert?
Ei du liebes bisschen! Es ist doch jetzt Feierabend,
Jungs . Lasst es doch stecken! Ich bin anderer Meinung
als ihr .
Ich bin anderer Meinung .
Sie wissen ja nicht, was er Sie fragen wollte . Aber Sie
entscheiden das natürlich .
Nein, das brauchen wir jetzt nicht .
– Nein, ich lasse keine Frage zu .
– Keine Verlängerung des Dramas; da bin ich auch sehr
dafür .
Langfristig brauchen wir vor allen Dingen Entwick-
lung in diesen Ländern . Da reden wir nicht von morgen
oder von übermorgen; es geht um die nächsten Genera-
tionen . Da gibt es viel zu tun, viel Arbeit . Wir können
da unterstützend tätig sein . Wir haben auch eine Idee,
wie man das machen kann . Wir haben die Möglichkeit,
partnerschaftlich auf neue Ideen zu kommen, wie sie sich
entwickeln können . Aber sie müssen es selber tun . Sie
haben selber die Verantwortung, und wir werden unter-
stützend tätig sein .
Das ist wunderbar, Frau Präsidentin; das ist nämlich
eine Punktlandung .
Herzlichen Dank .
Danke schön, Frau Kollegin Pfeiffer .
Ich wollte um eines bitten . Sie haben ein Zitat ge-
bracht . Wenn Sie zitieren, wäre es für uns natürlich schon
gut, die Quelle zu wissen, die Sie zitiert haben .
– Das weiß ich schon . Ich weiß auch, wer es war . Aber
das wissen andere möglicherweise nicht . – Deswegen
bitte ich Sie schon, wenn Sie zitieren, zu benennen, wen
Sie zitieren . Das haben Sie nicht getan . Ich bitte die Kol-
leginnen und Kollegen, sich daran zu halten .
Wenn Sie Herrn Raabe zitieren, dann sagen Sie doch bit-
te, dass es Herr Raabe war .
Jetzt hat der Kollege Movassat das Wort zu einer
Kurzintervention .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich will zu einem Punktganz kurz etwas sagen, Frau Pfeiffer, weil man das, wasSie hier über den Sudan und Baschir gesagt haben, finde ich, so nicht stehen lassen kann . Sie haben gesagt: Er istein gewählter Präsident . – Wollen Sie sagen, dass im Su-dan freie, gleiche Wahlen stattfinden? Das wäre wirklich, muss ich sagen, eine neue Botschaft, die ich aus den Ko-alitionsfraktionen höre .
– Wirklich völlig falsch, natürlich; eine völlig falscheBotschaft .Der Sudan ist eine Diktatur: massive Unterdrückungder Opposition, massive Verletzung der Menschenrech-te, Fassbomben, möglicherweise Chemiewaffeneinsätze .Wenn das hier relativiert wird, dann, muss ich wirklichsagen, entsetzt mich das . Das halte ich wirklich für un-erträglich .
Zweitens . Sie haben hier gesagt: Es gibt keine Migra-tionspartnerschaft mit dem Sudan . – Also wirklich, hierfalsche Dinge zu behaupten! Die EU hat ein Länderpaketmit dem Sudan auf den Weg gebracht . Es gibt die Ini-tiative „Better Migration Management“ mit 46 MillionenEuro, an der die GIZ beteiligt ist . Es gibt Papiere, dieganz klar die Kooperation im Bereich der Ausrüstung,Sibylle Pfeiffer
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der Ausbildung von Grenzpolizisten suggerieren und of-fenlegen .
Also wirklich! Das alles hier zu bestreiten und so zu tun:„Das gibt es nicht“, das ist wirklich eine Falschaussagehier im Parlament .
Frau Pfeiffer, Sie haben die Möglichkeit, zu antwor-
ten .
Vielen Dank für die Frage . Ich kann es dann noch ein-
mal zusätzlich erläutern . – Die GIZ arbeitet nicht mehr
mit dem Sudan zusammen .
Es ist wunderbar, dass wir das jetzt klargestellt haben .
Gut . – Das zum Zweiten .
Die erste Frage weiß ich schon gar nicht mehr . Die
erste Frage war – –
– Jetzt können wir ganz lange darüber diskutieren . Wo
bitte gibt es freie, unabhängige Wahlen? Heute steht in
Spiegel Online: Die USA müssen die Wahl überprüfen .
– Nein, das will ich nicht . Das will ich natürlich nicht . Ich
will nur sagen: Gewählt ist gewählt . Dabei können Leute
herauskommen, die uns nicht gefallen .
– Mit der DDR – um das aufzugreifen, lieber Kollege
Kekeritz; auch das greife ich gern auf – haben wir trotz-
dem verhandelt . Wir haben trotzdem mit ihnen gespro-
chen .
Insofern – das wissen Sie – kann man das machen, aber
das ist nicht das Thema .
Vielen Dank . – Dann schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag – von Herrn Rebmann
ja schon gewürdigt – der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/10390? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen
waren CDU/CSU und SPD .
Wir stimmen nun über den Einzelplan 23 – Bundesmi-
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung – in der Ausschussfassung ab . Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es dann
nicht . Der Einzelplan 23 ist angenommen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 24 . November 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .