Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetzes
– Drucksache 16/45 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/227 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
schleunigung von Planungsverfahren für In-
frastrukturvorhaben
– Drucksache 16/54 –
Überweisungsvorschlag:
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Redet
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang
Tiefensee.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister fü
Bau und Stadtentwicklung:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Dame
ren! Wir beraten heute zwei Gesetzesvorhaben
ir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, wissen
ber auch, dass wir das Bundesverwaltungsgericht nicht
ext
überlasten dürfen. Aus diesem Grund werden im Gesetz
86 Vorhaben benannt – für Schienenwege, Straßenwege
sowie Wasserwege –, die speziell unter diese Regelung
fallen sollen.
Wir haben eine ganze Reihe von Anregungen mit den
Ländern diskutiert und in den Gesetzentwurf übernom-
men. Ich greife einige kurz heraus: Wir wollen be-
stimmte Vorarbeiten zur Bauvorbereitung im Verfahren
ermöglichen. Mit anderen Worten: Wir werden Vorberei-
tungen nicht nur auf die Planung, sondern auch auf den
Bau bezogen vorantreiben können. In bestimmten Fällen
werden wir keine Erörterungstermine mehr brauchen; sie
sollen beispielsweise dann entfallen, wenn keine Ein-
Bürgern vorliegen und keine Stellung-
m Tisch liegen. Wir wollen reagieren,
dstücksfragen die entsprechenden Eigen-
ansässig sind: Die Ermittlungszeiträume
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n und Her-
mit langen
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tümer nicht orts
570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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Bundesminister Wolfgang Tiefensee
sollen verkürzt werden bzw. solche Ermittlungen sollen
nicht mehr notwendig sein – um nur einige Beispiele zu
nennen.
Mit dem neuen Gesetz werden wir aber auch die Um-
weltbelange im Blick behalten: Wir werden alle Stan-
dards – sowohl bei den FFH-Gebieten als auch bei der
Umweltverträglichkeitsprüfung – einhalten, wie das auch
im Osten gang und gäbe war; es hat den Verfahren in die-
ser Beziehung nicht geschadet.
Darüber hinaus setzen wir einen Akzent bei der Bür-
gerbeteiligung. Das ist wichtig auch für Bürgervereine
und Bürgerinitiativen.
Die Naturschutzverbände werden im Rahmen der so
genannten Präklusion, beim Anhörungsrecht, was die
Fristen angeht, den Bürgerinnen und Bürgern gleichge-
stellt. Das könnte ein Wermutstropfen sein. Ich denke,
das ist zumutbar und führt zu einer weiteren Verkürzung.
Summa summarum: Durch die Umsetzung dieser bei-
den Vorhaben können wir erreichen, dass die Dauer be-
stimmter Verfahren in ganz Deutschland, so wie das
schon jetzt im Osten der Fall ist, um bis zu zwei Jahre
verkürzt werden kann. Das ist ein Anreiz für Investo-
ren, ist gut für Investitionen und gibt einen Impuls für
die Wirtschaft.
Es gibt darüber hinaus vonseiten der Länder noch Er-
gänzungen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-
rens natürlich eingebracht werden können und diskutiert
werden. Wir haben schon eine Reihe von Vorschlägen
aufgenommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich emp-
fehle Ihnen heute die Annahme des Verkehrswegepla-
nungsbeschleunigungsgesetzes. Dieses wird bis zum
31. Dezember 2006 verlängert, damit das Verfahren im
Osten nicht abbricht; das neue Gesetz wird parallel dazu
eingeführt, aber bitte nicht mit einer Frist von zwölf Mo-
naten, sondern möglichst mit einer kürzeren Frist. Damit
wollen wir ein deutliches Signal für einen wirtschaftli-
chen Aufschwung setzen. Dieser kommt den Menschen,
der Baubranche, der Wirtschaft und damit unserem Land
insgesamt zugute.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Jan Mücke, FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die beiden
Gesetzesvorhaben, die heute zur Beratung auf dem Tisch
liegen. Der Bereich der Verkehrsplanung ist ganz klar
ein Feld für Bürokratieabbau. Wir als FDP stehen für
Bürokratieabbau.
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Diese Planungsvorhaben sind deutlich älter als ich
elber. Es kann doch nicht der Normalzustand sein, dass
ir in Deutschland für eine Planung 37 Jahre benötigen.
ier wird die Zukunft unseres Landes verschenkt.
Als Land in der Mitte Europas sind wir ein Transit-
and. Wir sind ein Land mit großer wirtschaftlicher Be-
eutung. Deswegen und weil damit auch Ansiedlungs-
ntscheidungen von Unternehmen verbunden sind,
ind wir auf vernünftige Verkehrswege angewiesen. Es
st also ganz wichtig, dass wir durch gestraffte Verfahren
chneller zu Entscheidungen kommen. Das ist der über-
agende politische Aspekt bei diesen beiden Vorhaben,
ie heute auf dem Tisch liegen.
Es gibt aber noch einen persönlichen Aspekt, der uns
olitikern wichtig sein sollte. Es ist den Planern durch-
us zu gönnen, dass sie die Umsetzung ihrer Planungen
uch persönlich noch erleben können.
Herr Minister Tiefensee, ich finde es deshalb sehr
chön, dass auch Sie als Mitglied der Sozialdemokrati-
chen Partei Deutschlands das Verkehrswegeplanungs-
eschleunigungsgesetz jetzt für ein gutes Projekt halten;
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 571
)
)
Jan Mücke
denn wenn ich richtig informiert bin, hat die SPD-Bun-
destagsfraktion dem damaligen gemeinsamen Vorhaben
der FDP-Bundestagsfraktion und der CDU/CSU-Frak-
tion, also dem der alten Koalition, 1991 nicht zuge-
stimmt.
Herr Minister, wir freuen uns sehr, dass Sie nun gemein-
sam mit Ihrer Fraktion zu einer höheren Einsicht gelangt
sind. Vielleicht können Sie ja auch ein Einsichtsbe-
schleunigungsgesetz machen. Dadurch könnten hier
vielleicht viele Prozesse deutlich gestrafft werden.
Wir stimmen heute der nochmaligen Verlängerung
der Geltungsdauer des Verkehrswegeplanungsbeschleu-
nigungsgesetzes für die neuen Länder zu, wie wir das in
den vergangenen Jahren auch schon getan haben, damit
die begonnenen Planungsprozesse in den neuen Ländern
nicht künstlich verlängert werden. Für uns ist es aber
wichtig, dass wir ein einheitliches Planungsrecht für
ganz Deutschland bekommen.
Ich betone, dass das Niveau dieses einheitlichen Pla-
nungsrechts so sein muss, das es wirklich möglich sein
wird, schneller zu Entscheidungen zu kommen. Dabei
gelten für uns einige wichtige Grundsätze.
Ein wichtiger Grundsatz für uns ist, dass es für die Bür-
gerinnen und Bürger möglich sein muss, einen effektiven
Rechtsschutz zu erlangen. Es macht gar keinen Sinn,
dass das Bundesverwaltungsgericht Erstinstanz für Pro-
jekte mit einer so genannten überragenden verkehrlichen
Bedeutung ist, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Ich komme später noch zur Definition der überragenden
verkehrlichen Bedeutung. Es wäre wünschenswert, wenn
wir hier zu einem effektiven Rechtsschutz kommen wür-
den, das heißt, die Oberverwaltungsgerichte sollten
Erstinstanz sein. Es ist eigentlich regelwidrig, dass das
Bundesverwaltungsgericht Tatsacheninstanz ist. Das gibt
es in keinem anderen Bereich in der Gerichtsorganisation.
Die Bundesgerichte sind dafür zuständig, Rechtsfehler zu
beheben, und sie sind nicht dazu da, Tatsachen zu erhe-
ben.
Deshalb sind wir dafür, dass die Oberverwaltungsge-
richte bei diesen Projekten Erstinstanz sind.
Das führt auch nicht zu einer Verlängerung der Ver-
fahrensdauer. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die
Oberverwaltungsgerichte sehr schnell arbeiten können,
da sie sehr viel einfacher als das Bundesverwaltungsge-
richt einen Termin machen können. Die Zahlen in der
Statistik zeigen auch, dass bisher nur circa 2 Prozent al-
ler Fälle beim Bundesverwaltungsgericht gelandet sind.
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Ich komme zu den letzten zwei Aspekten, dann bin
ch am Ende meiner Rede. Wir wollen nicht, dass man
ie Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen bis
n alle Ewigkeit verlängern kann, und wir wollen auch
icht, dass man Vorratsplanung betreibt, wie das in den
etzten Jahren bedauerlicherweise Einzug gehalten hat.
ir wollen, dass ein Planfeststellungsbeschluss zehn
ahre lang gilt und dann verfällt und dass keine Verlän-
erungsmöglichkeit besteht. Einen entsprechenden Än-
erungsantrag werden wir in das Gesetzgebungsverfah-
en einbringen. Wer nach zehn Jahren nicht gebaut hat,
er hat keine wirklich ernsthafte Bauabsicht. Deshalb ist
s nicht zumutbar, dass wir Planungsverfahren über
ahrzehnte hinweg fortführen. Es muss erreicht werden,
ass man schnell plant, dann aber auch schnell umsetzt.
Herr Bundesminister, ich komme zum letzten Aspekt.
as beste Baurecht und die schönsten Planfeststellungs-
eschlüsse nützen gar nichts, wenn kein Geld vorhanden
st, um die Planfeststellungsbeschlüsse umzusetzen.
eshalb wünschen wir Ihnen viel Spaß und vor allen
ingen viel Erfolg dabei, wenn Sie mit Ihrem Kollegen
inanzminister über die Finanzierung dieser Bundespro-
ekte reden. Wir sind gespannt, ob es dann wirklich zu
iner Beschleunigung bei den Planungsverfahren und
or allen Dingen bei der Umsetzung dieser Planung
ommt.
Ihnen persönlich wünschen wir alles Gute und Ihnen,
eine Damen und Herren, herzlichen Dank für die unge-
eilte Aufmerksamkeit.
572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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)
Kollege Mücke, dies war Ihre erste Rede. Herzliche
Gratulation und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus
Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die heute geltenden Vorschriften zur Pla-
nung des Baus und der Veränderung von Verkehrswegen
werden den Anforderungen, die man an zügige Entschei-
dungsprozesse und an eine zügige Umsetzung stellen
muss, in keiner Weise mehr gerecht. Sie entsprechen ins-
besondere vor dem Hintergrund, dass wir uns als Bun-
desrepublik Deutschland in der Mitte Europas befinden,
die EU-Osterweiterung unsere zentrale Position noch ge-
stärkt hat, neue Verkehrsströme auf uns zukommen,
nicht mehr den europäischen Anforderungen, weder in
Bezug auf Transparenz noch auf die nötige Schnellig-
keit. Deshalb ist es ein guter Ansatz, dass wir hier und
heute anfangen, daran etwas zu ändern.
Das ist die Voraussetzung dafür, um mit einem funk-
tionierenden Logistikmarkt zusätzliche Arbeitsplätze in
der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Unsere
zentrale Lage in Europa bedingt geradezu, dass wir diese
Chance ergreifen und sie nicht verstreichen lassen. Hier
muss Wachstum entstehen. Das können wir dann errei-
chen, wenn wir die Entscheidungsprozesse stark be-
schleunigen. Dazu haben wir heute den entsprechenden
Einstieg vorbereitet.
Ich will aber auch deutlich machen, dass Infrastruktur
mehr als nur Straße ist. Wir werden den Energiebereich
in den nächsten Jahren neu ordnen müssen. Das ist für
die Bundesrepublik von ganz entscheidender Bedeutung.
Ein Nachholbedarf in der Größenordnung von mehr-
stelligen Milliardensummen Euro an Investitionen in
Großprojekte ist vorhanden. Diese Großprojekte müssen
zügig angegangen werden.
Wenn wir diese Großprojekte angehen, werden sich
natürlich für den Leitungsbau neue Anforderungen und
Herausforderungen ergeben. Auch das müssen wir ge-
stalten können. Das werden wir zügig umsetzen müssen.
Ein Kraftwerk, das nicht an den Ballungsraum ange-
schlossen ist, den es mit Strom beliefern soll, macht
schlechthin keinen Sinn. Wenn wir, was wir ja vorhaben,
zum Beispiel im Offshorebereich neue Anlagen bauen
und in diesem Bereich in andere Dimensionen vorstoßen
wollen, dann bedingt das natürlich auch, dass wir an den
Leitungsbau denken, um vom Offshorebereich hin zu
den Ballungszentren in unserem Land eine entspre-
chende Stromversorgung zu gewährleisten.
Ich will auf den Gasbereich gar nicht mehr eingehen.
Diese Positionen sind unabweisbar notwendig.
Wir können – Minister Tiefensee hat dies angespro-
chen – auf einen Erfolg in den neuen Bundesländern
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Wir sollten dabei Vorstellungen, Vorschläge, Anre-
ungen und Ideen einbeziehen, die aus den Bundeslän-
ern, etwa aus Hessen und Schleswig-Holstein, kom-
en. Ich glaube, das ist wichtig. Die Effizienz des
esetzgebungsvorhabens könnte durch das, was wir hier
iteinander sorgfältig diskutieren und prüfen werden,
estärkt werden. Ich sehe gute Ansätze darin, in einem
emeinsamen Denkprozess konstruktive Lösungen für
nser Land zu finden. Wir sollten das aufgreifen und ent-
prechend umsetzen.
Zu einem späteren Zeitpunkt sollten wir vielleicht
uch darüber nachdenken, Herr Minister, unsererseits
nitiativen in die Europäische Union einzubringen, um
uch auf dieser Ebene einen Beschleunigungsprozess
inzuleiten und den Bürokratieabbau voranzutreiben.
ir können heute unser Land nicht mehr isoliert be-
rachten. Wenn wir uns nicht damit befassen, was auf eu-
opäischer Ebene passiert, werden wir in der Bundesre-
ublik nicht weiterkommen. Wir werden dies frühzeitig
un müssen. Das sollten wir auch in dieser Debatte be-
ücksichtigen.
Herr Kollege Mücke, Sie haben zu Recht festgestellt,
ass allein die Schaffung von Planungsrecht nicht aus-
eicht. Ich glaube deshalb, dass der Ansatz der Koalition
u begrüßen ist, trotz der schwierigen Haushaltslage die
ittel für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zu er-
öhen. Wir werden diesen Ansatz nach Kräften unter-
tützen, weil das der Komplementärbereich zur Umset-
ung des Planungsrechts ist.
Wir wollen mehr Maßnahmen realisieren – sei es im
ereich der Straße, sei es im Bereich der Bahn –, aber
ir sollten sie gemeinschaftlich angehen und umsetzen.
ir sollten nicht nur den Bestand erhalten, sondern auch
en Neubau forcieren. Der Ansatz der Koalition ist gut
nd wir sollten ihn gemeinschaftlich tragen.
Damit werden auch über die Bundesrepublik
eutschland hinaus Zeichen gesetzt. Wer jetzt von außen
ach Deutschland blickt, erkennt, dass wir den Bürokra-
ieabbau angehen und etwas für konjunkturelle Entwick-
ung, Wachstum und Arbeitsplätze tun wollen. Ich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 573
)
)
Dr. Klaus W. Lippold
glaube, das ist auch für ausländische Investoren ein ent-
scheidender Anreiz, sich für die Bundesrepublik
Deutschland zu entscheiden. Wir sollten in diesen Pro-
zess auch neue Finanzierungsinstrumente einbringen
und nach Möglichkeiten suchen, um die öffentlich-priva-
ten Partnerschaften noch stärker als bisher für unseren
Part der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu nutzen
und die Umsetzung mit neuen Managementgesellschaf-
ten zu begleiten.
Alles in allem sehe ich einen positiven Gesamtansatz.
Es handelt sich nicht um eine enge Beschränkung auf
scheibchenweise Maßnahmen; wir denken vielmehr im
System. Damit werden wir weiterkommen. Das wird der
Bundesrepublik Deutschland und der Schaffung von Ar-
beitsplätzen zugute kommen. Deshalb sollten wir das ge-
meinsam anpacken. Wir sind dabei für neue Ideen offen.
Da dies die letzte Sitzung vor Weihnachten ist, darf
ich all denjenigen, die ich bis dahin nicht mehr sehen
werde, ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und
einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen.
Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Kollege Lippold, für die freundli-
chen Wünsche.
Ich erteile der Kollegin Dorothee Menzner, Fraktion
Die Linke, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf auf Drucksache 16/45
soll ein stets umstrittenes Gesetz nochmals – diesmal um
ein Jahr – in seiner Geltungsdauer verlängert werden.
Bildlich gesehen geht es darum, im Advent schnell noch
ein paar Türchen zu öffnen, damit noch mehr Beton in
die Landschaft gepumpt werden kann,
getreu der Devise: mehr Infrastruktur gleich mehr Wett-
bewerb gleich mehr Arbeit. Dem ist aber nicht so.
Die bestens ausgebauten Verkehrswege stärken längst
die Kerngebiete und weniger die ländlichen Regionen.
Die schnellen Verbindungen tragen längst mit dazu bei,
die Regionen buchstäblich auszuwaschen. Immer mehr
Menschen müssen der Arbeit hinterherfahren, immer öf-
ter und über immer weitere Entfernungen. Welch ein Ar-
mutszeugnis der Verkehrspolitik!
Der Kurzschluss zwischen Infrastruktur und Arbeit
führt in die falsche Richtung. Er wird noch fragwür-
diger, wenn er zulasten der Lebensräume oder der
Rechte der Anwohner geht. Genau dies steckt hinter
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Damals ist die Entscheidung getroffen worden, den
Instanzenweg auf eine Instanz, das Bundesverwal-
tungsgericht, zu verengen. Das war eine Sondersitua-
tion. Besondere Situationen erfordern besondere Maß-
nahmen. Wir Grüne hatten zwar immer Probleme mit der
Einschränkung der Bürgerrechte in diesem Fall. Aber
wir waren der Meinung, dass man damit leben kann.
Heute, 15 Jahre danach, kann von einer Sondersitua-
tion keine Rede mehr sein. Ganz im Gegenteil: In Ost-
deutschland sind genau diese Instanzen bestens ausge-
baut.
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Wir haben schon am Mittwoch im Verkehrsausschuss
arüber debattiert. Der Kollege Friedrich hat darauf hin-
ewiesen – da sind wir einer Meinung gewesen –, dass
ie großen Verkehrsprojekte in Ostdeutschland schon alle
ebaut bzw. im Bau oder planfestgestellt sind. Schauen
ir uns die Planvorrangliste aus dem Infrastrukturpla-
ungsbeschleunigungsgesetz an. Da finde ich keine ein-
ige Autobahn mehr in Ostdeutschland, sondern nur noch
undesstraßen oder Ortsumfahrungen. Da finden sich
urchaus auch wichtige Projekte – das ist keine Frage und
as will ich nicht bestreiten –, aber eines ist doch klar:
ie großen Projekte in Ostdeutschland sind gebaut. Da-
ür brauchen wir kein Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
ungsgesetz. Sie liefern uns mit genau diesem Entwurf
ines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfah-
en für Infrastrukturvorhaben und der Projektvorrangliste
en Beweis.
Um es deutlich zu machen: Wir sind nicht gegen eine
lanungsbeschleunigung. Das anzunehmen wäre ein
roßer Irrtum. Ich sage aber auch: Die Planung muss
ransparent, nachvollziehbar und demokratisch sein. An
iesem Grundsatz werden wir festhalten. Für mich ist
ie Qualität der Planung wichtig, nicht die Beschleuni-
ung. Ich frage hier in die Runde und werde auch in den
ächsten Jahren immer wieder im Ministerium bei Män-
eln nachfragen. Verzögerungen bei Projekten wie der
38 sind zum Teil – aus meiner Sicht jedenfalls – auch
it Planungsmängeln zu erklären.
er ein Tagebaugebiet durchquert, muss wissen, dass er
ei Gründungsmaßnahmen auf Probleme stößt. Ich frage
ich: Hat die Beschleunigung der Planung möglicher-
eise dort zu Planungsmängeln geführt? Die Kosten, die
ort entstehen – übrigens auch bei der A 17 –, bedeuten
ichts anderes, als dass dieses Geld später anderen Ver-
ehrsprojekten, beispielsweise in Sachsen, nicht mehr
ur Verfügung steht. Das können wir nicht dulden und
as können wir nicht akzeptieren. Da verkehrt sich Pla-
ungsbeschleunigung in ihr Gegenteil.
Ein weiteres Problem sind aus meiner Sicht weniger
ie planfestgestellten Projekte – das hat eben auch der
ollege Mücke gesagt –, sondern die Tatsache, dass wir
eine Prioritäten setzen. Welche Projekte sind eigent-
ich für uns wichtig und welche sind für uns weniger
ichtig? Geht man nach den Wünschen, die aus den
ahlkreisen bzw. Landkreisen kommen, dann sind alle
rojekte gleich wichtig. Deswegen wird alles in gleicher
eise geplant. Dadurch kommt es zu einem erheblichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 575
)
)
Peter Hettlich
Planungsüberhang. Das ist in Ostdeutschland vielleicht
nicht so ausgeprägt, aber in Baden-Württemberg gibt es
nach Auskunft meines Kollegen Winfried Hermann
planfestgestellte Projekte mit einem Volumen von
2 Milliarden Euro, in Bayern beläuft sich das Volumen
der planfestgestellten Projekte auf 750 Millionen Euro.
Das zeigt ganz deutlich, dass das Problem nicht die Pla-
nungsbeschleunigung ist, sondern dass die finanziellen
Mittel nicht zur Verfügung stehen und dass keine Priori-
täten gesetzt werden.
Kurz und gut: Aus unserer Sicht hat das Verkehrswe-
geplanungsbeschleunigungsgesetz seine Schuldigkeit
getan. Es sollte ins Haus der Geschichte überwiesen
werden.
Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz
weist viele Parallelen zu dem Gesetz auf, das wir eben
besprochen haben. Die Beschränkung auf eine Instanz
ist für uns wirklich ein Problem. Der Präsident des Bun-
desverwaltungsgerichtes, Professor Hien, hat immer
wieder deutlich gesagt, dass die Kapazitäten seines Ge-
richts bei weitem nicht ausreichen, um sich mit den
möglichen Klagen auseinander zu setzen. Er will entwe-
der einen zweiten Senat, vielleicht sogar einen dritten
Senat, oder er kann diese Arbeit nach eigener Aussage
nicht mehr leisten. Es wäre ein Treppenwitz, wenn wir
das Bundesverwaltungsgericht zum Flaschenhals einer
Planungsbeschleunigung machen würden. Wenn es diese
Vielzahl von neuen Projekten gäbe, würden wir im Bun-
desverwaltungsgericht diesen Flaschenhals produzieren.
Lieber Kollege Mücke, ich finde Ihren Hinweis auf
das Oberverwaltungsgericht gut. Aber auch die Oberver-
waltungsgerichte haben nur begrenzte Kapazitäten. Wir
müssen uns schon überlegen, worauf wir das Augen-
merk legen. Nur 5 Prozent der Projekte, die beklagt wer-
den, gehen tatsächlich in die nächste Instanz. Wir sind
der Meinung, dass die Eininstanzlichkeit entbehrlich ist.
Ein FDP-Kollege aus dem hessischen Landtag, der ehe-
malige Staatsminister Posch, hat eine sehr bemerkens-
werte Rede gehalten. Ich zitiere: Ganz abgesehen davon,
dass ich persönlich es für problematisch halte, den
Rechtsweg so drastisch zu verkürzen, ist dies der völlig
falsche Ansatz; denn die Verfahrensdauer bei Gericht ist
nicht das Problem, sondern die Dauer der Verfahren
selbst einschließlich der vorbereitenden Aufgaben und
Arbeiten. – Dem kann ich nichts hinzufügen. Wir sollten
uns daher intensiv mit diesem Gesetz auseinander setzen
und es kritisch anschauen.
Zum Schluss möchte ich auf die Verlängerung der
Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen zu spre-
chen kommen. Herr Mücke hat bereits darauf hingewie-
sen: Fünf plus fünf ist zehn; wir wollten immer an der
bisherigen Regelung festhalten. Da kann man sich eini-
gen. Folgendes zeigt sich ganz deutlich: Wenn wir mit
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Ich hatte erwartet, dass sich die PDS wenigstens heute
positiv zu der Ostseeautobahn erklärt. Ich kenne die Wi-
derstände aus den 90er-Jahren, als es darum ging, diese
Autobahn zu planen und zu bauen. Ich kenne die Wider-
stände gegen die A 14 zwischen Schwerin und Magde-
burg. Das alles ist bekannt. Ich hatte erwartet, dass Sie
heute wenigstens so clever sind, sich wie andere Kritiker
auch zu Müttern und Vätern dieses guten Projekts zu er-
klären; denn in der Regel ist es so, dass bei Erfolg eines
Projekts alle Mütter und Väter dieses Projekts sein wol-
len. Es ist für mich schon etwas ernüchternd, dass Sie
diese Verkehrsprojekte für die neuen Länder auch heute
in einer derartigen Weise infrage stellen.
Wir haben mit der A 20, die die Region Lübeck mit
dem Land Mecklenburg-Vorpommern und mit dem pol-
nischen Stettin verbindet, eine ganz wichtige Infrastruk-
turmaßnahme für die neuen Länder realisiert.
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ir schaffen dort Wirtschaftsansiedlungen. Jeder, der
urch die neuen Länder fährt, sieht, dass dort an Ver-
ehrsadern Betriebe entstehen. Frau Kollegin, Sie kom-
en aus Niedersachsen. Fahren Sie nach Wittenburg, ei-
er ganz kleinen, verschlafenen Kleinbürgerstadt zu
DR-Zeiten! Das ist ein Ort, in dem vier oder fünf mit-
elgroße Unternehmen und Hunderte neuer Arbeitsplätze
ntstanden sind. Auch so etwas kann durch Infrastruk-
urmaßnahmen in den neuen Ländern geschehen.
Denken Sie gerade bezogen auf die Ostseeautobahn
uch an Folgendes: Über Jahre, insbesondere nach der
aueröffnung, haben sich PKW- und LKW-Kolonnen
urch die Kleinstädte an der Ostsee gequält.
er Bau der A 20 ist dort nicht nur für die Kraftfahrer
ine Erleichterung; der Bau der A 20 ist auch für die
enschen, die in diesen Ortschaften leben, eine Erleich-
erung. Das hat doch etwas mit Lebensqualität zu tun.
wischen dem Spatenstich für die Ostseeautobahn im
ahr 1992 und der Freigabe des letzten Teilstücks dieser
utobahn vor wenigen Tagen liegen weniger als
3 Jahre Bauzeit. Rund 330 Kilometer Autobahntrasse
ind gebaut worden, gleichzeitig 19 Brücken und ein
unnel.
Die guten Erfahrungen aus der Planung von Verkehrs-
nlagen werden wir in ein kompaktes Infrastrukturgesetz
infließen lassen. Wir beginnen die Diskussion heute mit
er ersten Lesung. Herr Hettlich, ich will nur noch ein-
al daran erinnern, dass wir genug Zeit haben, das im
usschuss zu diskutieren. Wir sind für Diskussion offen.
ber für Stagnation und rückwärts gewandtes Denken,
ie das heute von der PDS vorgetragen worden ist, sind
ir nicht zu haben.
Die Bürgerinnen und Bürger fordern zu Recht Büro-
ratieabbau und Stärkung der Demokratie. Das sichern
ir mit diesem Gesetz. Bauwirtschaft und Transportge-
erbe fordern Impulse zur Beschleunigung bei der Um-
etzung von Baumaßnahmen der öffentlichen Hand. Die-
es Gesetz ist eine Antwort darauf.
Herr Kollege Hacker, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Ramelow?
Bitte schön.
Nachdem Sie ständig von der schon gebauten Auto-
ahn an der Ostsee gesprochen haben, die keine Be-
chleunigung mehr braucht und die hier auch nicht mehr
achdiskutiert werden muss, möchte ich Sie gern fragen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 577
)
)
Bodo Ramelow
– Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich das Wort
„Schwachsinn“ kommentieren muss; diese Kommentie-
rung von der linken Seite, die sich nicht mehr links
nennt, finde ich etwas unangemessen –,
ob unter das Gesetz, über das wir reden, auch die zu pla-
nenden Stromtrassen fallen, wie Sie es bewerten, dass
mithilfe genau des Beschleunigungsgesetzes, von dem
Sie reden, eine Stromtrasse quer durch den Thüringer
Wald gezogen werden soll, wie Sie da den wirtschaftli-
chen Effekt bewerten wollen und ob Sie glauben, dass
neben dieser Hochspannungstrasse, die durch den Thü-
ringer Wald gebaut werden soll, deren ökologischer Sinn
etwas zweifelhaft ist, ebenfalls die Ausweisung von Ge-
werbegebieten zu erwarten ist.
Herr Ramelow, Sie konstruieren hier wieder einen
Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie. Die
Stromtrasse im Thüringer Wald wird von dem vorgeleg-
ten Gesetzentwurf, glaube ich, gar nicht erfasst.
– Ich meine, das ist nicht der Fall. Das können wir im
Ausschuss noch einmal prüfen. – Dieser Widerspruch
zwischen Ökonomie und Ökologie hat etwas mit Ideolo-
gie zu tun.
Wir müssen bei Verkehrsvorhaben, bei Projekten im Be-
reich der Infrastruktur natürlich auch Maßgaben der
Ökologie beachten. Deswegen haben wir die Mitbestim-
mungsrechte vorgesehen. Deswegen haben wir – der Mi-
nister hat darauf verwiesen – in diesem Gesetzentwurf
die erweiterte Mitwirkungsmöglichkeit für Bürgerinnen
und Bürger verankert. Gehen Sie davon aus: Wir werden
die Bürgerrechte mit diesem Gesetz nicht beschneiden. –
Schönen Dank.
Wir stärken mit den beabsichtigten Regelungen den
Standort Deutschland als einen wichtigen Logistik-
standort in Europa. Eine leistungsfähige Infrastruktur
wird gefördert. Wir geben konkrete, praktische Antwor-
ten auf das brennende Thema der Arbeitslosigkeit in
Deutschland. Die Arbeitslosigkeit kann nur bekämpft
werden, wenn wir Rahmenbedingungen für mehr Arbeit
schaffen bzw. verbessern. Das Planungsbeschleuni-
gungsgesetz für Infrastrukturvorhaben ist darauf eine
Antwort.
Ein zentraler Gedanke des Koalitionsvertrages zwi-
schen Union und SPD ist die Schaffung von mehr Chan-
cen für Innovation und Arbeit, für Wohlstand und Teil-
habe. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein
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as leugnen Sie heute
nd fordern auch noch mehr Geld. Die große Koalition
ird in den nächsten vier Jahren 4,3 Milliarden Euro zu-
ätzlich zur Verfügung stellen. Ich glaube, das ist ganz
ichtig. Man sollte über das Verkehrswegeplanungsbe-
chleunigungsgesetz positiv reden. Sie hätten durchaus
nerkennen können, dass durch dieses Gesetz etwas be-
egt worden ist. Aber wenn man immer dagegen war
die Widerstände Anfang der 90er-Jahre haben das ge-
eigt –, kann man das natürlich nicht positiv finden.
ber das ist Ihr und nicht unser Problem.
Wir sind überzeugt, dass – mein Vorredner hat es
chon gesagt – dieses Gesetz zum Beispiel enorm zu
em schnellen Bau der A 20 beigetragen hat. Das gilt
uch für andere Projekte; ich denke da an die A 9 von
erlin nach Nürnberg, die wir noch nicht hätten, wenn
ieses Gesetz im Jahr 1991 nicht trotz aller Widerstände
urchgesetzt worden wäre, und zwar von der damaligen
oalition, bestehend aus uns, der Union, und der FDP.
as ist positiv und man kann auch einmal positiv da-
über reden.
Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, der nun in
ie parlamentarischen Beratungen geht, wollen wir die
uten Erfahrungen auch auf die alten Bundesländer
bertragen. Ich denke, das ist ganz wichtig. Ich verhehle
icht, dass es in der letzten Zeit leider nicht gelungen ist,
iesen Vorgang zu beschleunigen. Im Frühjahr dieses
ahres hätte es so weit sein können; da gab es einen
esetzentwurf im Kabinett. Aber in der damaligen Ko-
lition haben die Grünen verhindert, dass dieser in die
arlamentarischen Beratungen ging, weil sie Einschrän-
ungen bei der Verbandsklage nicht hinnehmen wollten.
578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Renate Blank
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn
ein Eigentümer weniger Rechte an seinem Grundstück
hat als ein Verband, zum Beispiel der BUND, dann
stimmt in den bisherigen Gesetzen etwas nicht und dann
müssen wir das dringend ändern.
Es kann nicht sein, dass die Rechte der Eigentümer bei
einer Klage gegenüber denen der Verbände beschnitten
werden.
Ganz offensichtlich nimmt der Faktor Zeit im inter-
nationalen Wettbewerb in einer Gesellschaft, die auf
Knopfdruck Milliarden an Geldern in Sekundenbruchtei-
len rund um den Globus schicken kann, an Bedeutung
stetig zu. Deshalb wollen wir verkrustete Strukturen ge-
rade im Planungsrecht, die ein Investitionshemmnis ers-
ter Kategorie darstellen, aufbrechen. Wir wollen einen
bedarfsgerechten und vor allem einen zeitnahen Ausbau
der Infrastruktur.
Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zu Recht nicht
mehr bereit zu akzeptieren, dass eventuell erst ihre Enkel
in den Genuss einer heute benötigten und von der Politik
zugesagten Ortsumgehung oder schnellen Verbindung
von A nach B kommen. Wir beobachten doch mit Sorge,
dass die gesellschaftliche Entwicklung in der Verkehrs-
politik und der Infrastrukturplanung zunehmend in einer
Blockade endet. Dabei ist es nicht nur das Umweltbe-
wusstsein, das die Wege versperrt, sondern es sind oft
Ideologen oder Bürger, die ihre Individualinteressen
über das Gemeinwohl stellen und damit wichtige Ent-
scheidungen verzögern bzw. zu Fall bringen.
Das Gemeinwohl droht angesichts wachsender Par-
tikularinteressen zunehmend ins Hintertreffen zu gera-
ten. Ich kann es wirklich nicht mehr einsehen, warum
2 Prozent der Bevölkerung ein Projekt über Jahre, ja so-
gar über Jahrzehnte verschleppen können, obwohl die
anderen 98 Prozent beispielsweise die Straße wollen,
aber lange auf die Fertigstellung warten müssen.
Kollegin Blank, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Menzner?
Nein.
Mit anderen Worten: Wir brauchen eine schnellere
Planung und vor allen Dingen eine schnellere Durchfüh-
rung. Jeder von uns hat in seinem Wahlkreis Projekte,
die über 30 Jahre geplant werden und deren Planungen
oft hinfällig werden, weil aus ideologischen Gründen im
Bundesverkehrswegeplan bestimmte Projekte gestrichen
werden.
– Richtig.
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Ich erteile das Wort dem sächsischen Staatsminister
eert Mackenroth.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich
öchte Sie noch einmal für ein dem Freistaat Sachsen
nd auch den anderen neuen Ländern besonders wichti-
es Anliegen sensibilisieren.
Das Gesetz mit dem rekordverdächtig langen Namen
erkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz hat in den
ergangenen 14 Jahren die Planungszeiträume für Ver-
ehrswege in den fünf neuen Ländern in der Tat rekord-
erdächtig verkürzt. Es hat entscheidend dazu beigetra-
en, die marode DDR-Verkehrsinfrastruktur in den
stdeutschen Bundesländern in weiten Teilen zügig zu
anieren. Dank dieses Gesetzes konnten wir einen gro-
en Teil der Infrastrukturlücke bereits schließen. Es ist
amit zugleich ein Baustein zur Angleichung der
ebensverhältnisse in Ost und West.
Neue Verkehrswege konnten wir auf der Grundlage
ieses Gesetzes in wenigen Jahren von den ersten Ent-
ürfen bis zur Baureife führen. Allein die Begrenzung
es Rechtsweges auf eine Instanz ersparte im Schnitt
wei Jahre. Zwischen dem Antrag auf Planfeststellung
nd dessen Unanfechtbarkeit vergingen beispielsweise
m Freistaat Sachsen oft nur ein bis zwei Jahre. Selbst
ei großen Projekten wie dem Neubau der Autobahn
17 zwischen Dresden und der tschechischen Grenze
aren es trotz mehr als 2 500 Einwendungen pro Ab-
chnitt nur etwas mehr als drei Jahre.
Wie wurde das erreicht? Durch die Beschleunigung
ei den Genehmigungs- und Gerichtsverfahren. Bei-
pielhaft sind dort vor allem zwei Dinge zu nennen: zum
inen das vereinfachte Plangenehmigungsverfahren und
um anderen der bereits mehrfach angesprochene ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 579
)
)
Staatsminister Geert Mackenroth
kürzte Instanzenzug mit dem Bundesverwaltungsgericht
als erster und letzter Instanz.
Dieses Gesetz ist ein gutes Beispiel sowohl für Büro-
kratieabbau – der Abgeordnete Lippold hat dies zu Recht
betont – als auch für den Erfolg von Experimentierklau-
seln. Es schafft eben die notwendigen Freiräume. Die
Plangenehmigung und die Fristenregelungen wurden be-
reits nach wenigen Jahren positiver Erfahrung in das
Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und in die
Fachgesetze übernommen. Die erstinstanzliche Zustän-
digkeit des Bundesverwaltungsgerichts dagegen ist bis-
her allein in unserem Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetz verblieben.
Meine Damen und Herren, für die neuen Länder ist es
unabdingbar, das Gesetz um ein weiteres Jahr zu verlän-
gern. Nur so können wir den nach wie vor erforderlichen
besonderen Anreiz für unsere Investoren erhalten.
Die so auch im Freistaat Sachsen schnell geschaffene
gute Infrastruktur zog Investoren ins Land, brachte Ar-
beitsplätze. Beispiele dafür sind die Ansiedlungen von
BMW, Porsche und DHL im Leipziger Raum und der
Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle. Wenn der Ausbau
des Flughafens, der Autobahnen und des Güterverkehrs-
zentrums so lange wie in Westdeutschland gedauert hätte
– die Planung und der Bau des neuen Flughafens in
München dauerten weit mehr als 20 Jahre –,
dann wären die genannten Unternehmen jetzt woanders
und dann gäbe es in Leipzig über 15 000 Arbeitsplätze
weniger.
Diese höchst erfreuliche Entwicklung liegt natürlich
auch im Interesse der westdeutschen Länder. Den Men-
schen in den neuen Ländern ist klar: Ostdeutschland
muss stärker wachsen, wenn es aufholen will und wenn
die westdeutschen Länder nachhaltig von Transferzah-
lungen entlastet werden sollen. Noch sind durchaus nicht
alle erforderlichen Infrastrukturvorhaben in Ostdeutsch-
land verwirklicht. Allein im Freistaat Sachsen stehen
50 Vorhaben im vordringlichen Bedarf des Bundesver-
kehrswegeplans – dessen Lektüre lege ich Ihnen drin-
gend ans Herz –, die nach derzeitigem Planungsstand
nicht unter die Überleitungsregelungen des Verkehrs-
wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes fallen. Wenn das
Gesetz ohne Folgeregelung ausliefe, riskieren wir, dass
die Verwirklichung gerade dieser Vorhaben deutlich ver-
zögert wird. Neue Projekte würden um Jahre hinausge-
schoben, wenn Klagen wieder mehrere Instanzen durch-
laufen müssten, und die Planung dieser Projekte würde
schließlich schlicht und ergreifend erheblich teurer.
Ich freue mich deshalb, dass der Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Beschleunigung von Planungs-
verfahren für Infrastrukturvorhaben in zahlreichen kon-
kreten Fällen die erstinstanzliche Zuständigkeit des
Bundesverwaltungsgerichts vorsieht. Die Verabschie-
dung dieses Gesetzentwurfes, dessen erste Beratung
heute auf Ihrer Tagesordnung steht, wird allerdings noch
etwas Zeit beanspruchen. Der Westen jedenfalls kann in
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Ich erteile das Wort Kollegen Marko Mühlstein, SPD-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Zunächst freue ich mich, dass ich als Mitglied
es Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
icherheit die Möglichkeit erhalten habe, zu diesem
ichtigen verkehrspolitischen Thema reden zu dürfen.
ch möchte daher die Gelegenheit nutzen, zu den beiden
esetzentwürfen, die heute hier behandelt werden, aus
mweltpolitischer Sicht kurz Stellung zu nehmen.
Die Arbeitsgruppe Umwelt der SPD-Bundestagsfrak-
ion hat am vergangenen Mittwoch im Ausschuss für
mwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der einjähri-
en Verlängerung des Verkehrswegeplanungsbeschleu-
igungsgesetzes zugestimmt, auch wenn wir die Not-
endigkeit der Verkürzung des Rechtsweges auf eine
nstanz für diskussionswürdig halten.
iese ursprünglich als Sonderfall für die neuen Bundes-
änder vorgesehene Regelung entspricht in dieser Form
icht mehr dem Stand der Dinge. So haben die neuen
undesländer bereits seit einigen Jahren leistungsfähige
berverwaltungsgerichte, die als Tatsacheninstanz zur
rüfung von Planungsentscheidungen besser geeignet
ind als das Bundesverwaltungsgericht.
Des Weiteren möchte ich zu bedenken geben, dass die
undesregierung in ihrem Erfahrungsbericht vom 2. Ja-
uar 2004 darauf hinweist, dass die beschleunigenden
erfahrensschritte des Verkehrswegeplanungsbeschleu-
igungsgesetzes bereits in die bundesweit geltenden
orschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die
eweiligen Fachgesetze übernommen worden sind.
Dass wir der einjährigen Verlängerung des
erkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes heute in
bschließender Lesung dennoch zustimmen werden,
iegt darin begründet, dass wir hierin einen Zeitvorteil
ehen, um in Ruhe und mit der gebotenen Gründlichkeit
580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Marko Mühlstein
den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von
Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben zu bera-
ten. Wir sehen hier noch einen beachtlichen Beratungs-
bedarf und hoffen deshalb sehr, in einem intensiven Ab-
stimmungsprozess mit den beteiligten Häusern,
innerhalb der Fraktionen sowie mit dem Koalitionspart-
ner zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu kom-
men.
Inhaltlich sehen wir hauptsächlich bei der geplanten
bundesweiten Eininstanzlichkeit sowie bei den Forde-
rungen des Bundesrates nach einer längeren Geltungs-
dauer von Planungsentscheidungen und dem Sofortvoll-
zug beim Ausbau von Bundeswasserstraßen und kleinen
Flugplätzen Diskussionsbedarf.
Weiterhin sollten wir darauf achten, dass die Regelungen
zur Öffentlichkeitsbeteiligung von Verbänden denen der
Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie entsprechen. Auch
hinsichtlich der geplanten Regelungen bezüglich Erdka-
belverlegungen besteht aus unserer Sicht Beratungsbe-
darf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aus-
drücklich darauf hinweisen, dass wir Umweltpolitiker
das Ziel der Beschleunigung von Planungsverfahren un-
terstützen möchten. Wir stehen lediglich einigen Punk-
ten kritisch gegenüber. Ich gehe aber davon aus, dass wir
es gemeinsam in guter parlamentarischer Manier schaf-
fen werden, bei den strittigen Punkten eine einvernehm-
liche Lösung zu finden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Kollege Mühlstein, dies war Ihre erste Rede in
diesem Hause. Gratulation und alles Gute für Ihre wei-
tere politische Arbeit!
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes auf
Drucksache 16/45. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/227, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP
gegen die Stimmen von der Linken und dem Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
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van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/118 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg
van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes
– Drucksache 16/117 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
iderspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle-
innen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilneh-
en wollen, den Saal ohne allzu viele Geräusche zu ver-
assen, damit wir in eine ruhige Debatte eintreten
önnen, die dieses Thema auch verdient.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
ollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ibt in unserem Land kaum ein größeres Aufregerthema
ls die Diäten der Abgeordneten. Ich bin sehr dankbar,
ass der Präsident darauf hingewiesen hat, dass Ruhe
nd Vernunft dieser Diskussion außerordentlich gut tun.
eshalb darf ich schon ankündigen: Ich werde all denen,
ie diese Diskussion mit grüner Gesichtsfarbe bestreiten
ollen, heute keine Munition geben,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 581
)
)
Jörg van Essen
schon deshalb, weil ich das Gefühl habe, dass wir als
Parlament in Deutschland mit dem Geld des Steuerzah-
lers grundsätzlich sorgfältig umgehen.
Der Steuerzahler hat auch Anspruch darauf.
Demokratie darf nie ein Billigmodell werden. Demo-
kratie kostet. Die Aufstellungen, die ich mehrfach beim
Bundestagspräsidenten angefordert habe, haben aber ge-
zeigt, dass wir sorgfältig mit dem Geld umgehen. Sie ha-
ben beispielsweise gezeigt, dass der Deutsche Bundes-
tag nach dem Kongress der Vereinigten Staaten das
zweitkleinste Parlament ist. Es wird immer übersehen,
dass es nicht auf die schiere Zahl der Abgeordneten, son-
dern auf die Zahl pro Einwohner ankommt. Demnach ist
der Bundestag das zweitkleinste Parlament. Ganz wich-
tig finde ich auch: Wenn man sich die Kosten der Parla-
mente für den Steuerzahler anschaut, dann sieht man,
dass der Bundestag auch dort ganz weit hinten, auf dem
zweitletzten Platz, liegt. Ich finde, das sind gute Bot-
schaften, die wir leider nie in den Medien lesen können.
Trotzdem ist es – ich habe es gesagt – ein Aufreger-
thema. Deswegen müssen wir uns damit befassen. Wir
müssen uns auch deshalb damit befassen, weil der Bun-
destagspräsident in den letzten Wochen Vorschläge auf-
gegriffen hat, die die FDP-Bundestagsfraktion seit nun-
mehr zehn Jahren immer wieder in das Parlament
einbringt. Grundlage unserer Vorschläge sind die Über-
legungen, die wir im Jahre 1995 angestellt haben.
– Ja, in diesem Fall bin ich gern Wiederholungstäter,
Herr Kollege Wiefelspütz. – Damals, im Jahre 1995, hat-
ten sich die beiden großen Fraktionen – in vorwegge-
nommener großer Koalition – dazu entschlossen, die
Rechtsverhältnisse der Abgeordneten weitgehend an die
der Beamten anzulehnen. Für uns war vollkommen klar:
Abgeordnete sind keine Beamten und haben auch keine
beamtenähnliche Tätigkeit.
Das muss sich auch bei der Gestaltung der Rechtsver-
hältnisse ganz eindeutig zeigen.
Der wichtigste Punkt, bei dem sich das zeigen muss,
ist aus unserer Sicht die Altersversorgung. Wir haben
im Augenblick eine beamtenähnliche Pension. Wir sind
schon deshalb nicht mit den Beamten zu vergleichen,
weil unsere verfassungsrechtliche Stellung klar und ein-
deutig besagt: Abgeordnete sind unabhängig.
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Sie haben keinen Chef. Deshalb, denke ich, sind wir
ut beraten, uns bei der Altersversorgung an den Model-
n zu orientieren, die es bei den freien Berufen, beispiels-
eise bei den Journalisten, Ärzten und Rechtsanwälten,
ibt: Sie zahlen eigene Mittel in die Altersversorgung
in – sie haben Altersversorgungswerke –, mit denen
chließlich die Pension bezahlt wird. Mit unserem Vor-
chlag orientieren wir uns klar und eindeutig daran.
In den letzten zehn Jahren haben wir immer wieder
ören müssen: Das lässt sich nicht machen, das ist nicht
msetzbar; da wird es einen Sturm der Entrüstung in den
edien, beim Bund der Steuerzahler geben.
s gibt inzwischen ein Beispiel, das zeigt, dass es geht:
ordrhein-Westfalen hat es umgesetzt.
ie Medien haben deutlich gemacht, dass es vernünftig
ar. Auch der Bund der Steuerzahler hat zugestimmt.
as Allerwichtigste ist: Die Lösung, die gefunden wor-
en ist, hat unter dem Strich erhebliche Einsparungen für
en Steuerzahler gebracht. Auch das ist uns in der Situa-
ion, in der sich im Augenblick unsere öffentlichen
aushalte befinden, wichtig.
Der zweite Vorschlag, den wir machen, ist, die Be-
timmung der Höhe der Diäten aus dem Parlament he-
auszuverlagern. Die Bestimmung der Höhe ist nicht
eshalb unsere Aufgabe, weil wir es uns wünschen, son-
ern weil das Bundesverfassungsgericht klar und deut-
ich gesagt hat: Die Abgeordnetenbezüge müssen durch
in Gesetz und damit durch die Abgeordneten selbst
estgelegt werden. Wer aber die Chance hat, die Höhe
einer Bezüge selbst festzulegen, der ist natürlich sofort
m Verdacht, dass er das nicht zu seinem Nachteil tut.
eshalb werden wir uns immer wieder mit dem Vorwurf
er Selbstbedienung konfrontiert sehen.
Genau, das kann man dem Bundestag nicht vorwerfen.
ie gesagt: Wir sind durch das Bundesverfassungsge-
icht dazu gezwungen worden.
Wir machen Ihnen deshalb erneut den Vorschlag, dies
us dem Parlament auf eine unabhängige Kommission
erauszuverlagern, die die Höhe der Diäten festsetzt.
amit gar nicht erst der Vorwurf entsteht, die Zusam-
ensetzung dieser Kommission werde so gesteuert, dass
s für die Abgeordneten günstig sei, ist unser Vorschlag
n Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese
582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Jörg van Essen
Kommission vom Bundespräsidenten als neutrale Insti-
tution eingesetzt wird.
Auch dafür, wer in diese Kommission gehört, zeigt
Nordrhein-Westfalen Beispiele: Kollegen, die im Parla-
ment Erfahrung gesammelt haben, aber auch Kritiker
wie beispielsweise der Bund der Steuerzahler, der sich
mit Gehältern im eigenen Bereich sehr gut auskennt, wie
man kürzlich hören könnte, als es um die Höhe der Ein-
künfte des Präsidenten des Bundes der Steuerzahler
ging.
– Der Bund der Steuerzahler kennt sich offensichtlich
aus, Herr Kollege Wiefelspütz. Deshalb soll er sich aus-
drücklich als Kritiker in dieser Kommission wiederfin-
den.
Ich glaube, dass das kein Verstoß gegen das Demo-
kratieprinzip ist. Wir kennen solche Verlagerungen aus
dem Parlament heraus – beispielsweise an das Bundes-
verfassungsgericht – durchaus auch aus anderen Berei-
chen. Wir müssen natürlich im Abgeordnetengesetz den
Rahmen vorgeben, in dem sich die Kommission zu be-
wegen hat. Von daher ist das aus meiner Sicht kein Ver-
stoß gegen das Demokratieprinzip.
Eine letzte Bemerkung. Aufregerthema ist auch im-
mer wieder die Kostenpauschale der Abgeordneten.
Auch das soll selbstverständlich von der Kommission
geprüft und entschieden werden. Trotzdem rate ich auch
da zu einer sachlichen Diskussion. Wer mit Freunden in
der Wirtschaft spricht, der stellt fest, dass die Wirtschaft
sehr oft zu dem Mittel der Pauschale greift, weil es die
für die Wirtschaft günstigere Lösung ist. Ich habe das
Gefühl, dass die Kostenpauschale, die wir jetzt als Abge-
ordnete bekommen, ebenfalls für den Steuerzahler – das
ist für die FDP-Bundestagsfraktion das Entscheidende –
die kostengünstigere Lösung ist.
Wenn wir eine Einzelabrechnung haben, bedeutet das,
dass wir eine entsprechende Verwaltung im Bundestag
oder auch in der Finanzverwaltung brauchen, die das
Ganze nachprüfen muss. Das kostet Geld. Deshalb,
denke ich, sind wir gut beraten, auch hier sachlich zu
bleiben. Wir sind in der Verpflichtung gegenüber dem
Steuerzahler, die für ihn günstigste Lösung zu wählen.
Aus unserer Sicht ist, wie gesagt, die Pauschale die für
den Steuerzahler günstigere Lösung.
Ich freue mich sehr, dass wir jetzt endlich sachlich
diskutieren können, auch aufgrund der Vorschläge, die
der Bundestagspräsident gemacht hat; wir werden ja im
Januar zusammenkommen. Damit wir das auf einer
guten Grundlage tun können, bringen wir unseren Ge-
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Gröhe,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu-
ige erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe der FDP,
nderungen des Grundgesetzes und des Abgeordneten-
esetzes betreffend, finden einen Monat vor jenem Ge-
präch im Januar statt, zu dem der Bundestagspräsident
ie Bundestagsfraktionen eingeladen hat und bei dem es
m die Fragen der Abgeordnetenentschädigung und der
bgeordnetenversorgung gehen soll.
Geht es um die Prüfung dieser Vergütung und Versor-
ung, etwaigen Reformbedarf und konkrete Reformvor-
chläge, darf ich Ihnen für die CDU/CSU-Bundestags-
raktion zusagen, dass wir alle Vorschläge in diesem
ereich sachlich und unvoreingenommen prüfen wer-
en. Dabei lassen wir uns bei allen Fragen, die den Ab-
eordnetenstatus betreffen, auch von dem Bemühen lei-
en, nach Möglichkeit zu einer gemeinsamen Auffassung
ier im Haus zu gelangen; denn angesichts der verständ-
ichen Fragen in diesem Bereich, aber auch mancher
ereinfachung und zum Teil auch inakzeptabler Verächt-
ichmachung des Parlaments wäre ein Konsens hier im
arlament ein erstrebenswertes Ziel.
In diesem Sinne werden wir die heute in erster Le-
ung zu beratenden Vorschläge der FDP intensiv prüfen,
uch wenn diese Vorschläge bereits in der 14. und
5. Wahlperiode eingebracht wurden und seinerzeit
eine Mehrheit fanden.
Im Kern zielt der FDP-Vorschlag darauf, die Festle-
ung der Höhe der Abgeordnetenentschädigung einer
nabhängigen, vom Bundespräsidenten zu berufenden
ommission zu übertragen. Zugleich soll diese Kom-
ission damit beauftragt werden, Vorschläge für eine
eränderung der Altersversorgung zu erarbeiten. Damit,
o die FDP-Bundestagsfraktion, soll dem in der Öffent-
ichkeit immer wieder erhobenen Vorwurf der Selbstbe-
ienung entgegengewirkt werden.
Das ist sicherlich ein überaus sympathisches Anlie-
en. Auch Ihr Lösungsvorschlag wirkt zunächst sehr
lausibel; er hat bestimmt einiges für sich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 583
)
)
Hermann Gröhe
– Ich habe von einem sympathischen Anliegen gespro-
chen. Sympathische Kolleginnen und Kollegen gibt es
doch in allen Bundestagsfraktionen.
Bevor ich nun einige Ausführungen zum konkreten
Vorschlag der FDP und damit zu den Themen der vor
uns liegenden Ausschussberatungen mache, möchte ich
etwas zum in der Tat sehr häufig erhobenen Vorwurf
der Selbstbedienung sagen. Wir diskutieren die Frage
der Abgeordnetenentschädigung – das gehört sich so für
ein Parlament – in öffentlicher Debatte. Also ist Klartext
gefragt. Deshalb weise ich für die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion den Vorwurf, im Deutschen Bundestag herr-
sche eine Selbstbedienungsmentalität, mit Entschieden-
heit zurück.
Die Zurückweisung dieses Vorwurfs ist auch dann gebo-
ten, wenn ihn keine Fraktion hier im Hause erhebt; denn
er spielt in der öffentlichen Debatte in der Tat eine große
Rolle.
Nun zu den Fakten: Die Abgeordnetenentschädi-
gung wurde zuletzt am 1. Januar 2003 erhöht. Bereits im
Januar 2003 stellte der damalige Bundestagspräsident,
Wolfgang Thierse, fest, dass die Abgeordnetenentschä-
digung seit In-Kraft-Treten des Abgeordnetengesetzes
im Jahr 1977 jährlich um durchschnittlich 2,5 Prozent
stieg, während die Beamtenbezüge um 2,95 Prozent pro
Jahr stiegen, die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst
um 3,12 Prozent, die Einkommen in der Gesamtwirt-
schaft um 3,1 Prozent und die Renten um 3,31 Prozent.
Zu dieser vergleichsweise geringeren Steigerungsrate
der Diäten haben zehn Nullrunden maßgeblich beigetra-
gen. Vom Ziel, das seinerzeit eine unabhängige Exper-
tenkommission vorgeschlagen hatte und das in § 11
Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes ausdrücklich genannt
wird – der Angleichung der Abgeordnetenbezüge an das
Gehalt eines Richters an einem obersten Bundesgericht
oder an das Gehalt eines hauptamtlichen Bürgermeisters
einer Stadt mit mehr als 100 000 Einwohnern –, entfern-
ten wir uns mehr und mehr. Ich will ausdrücklich beto-
nen, dass wir an diesem Vergleichsmaßstab – man
könnte auch das Gehalt eines Abteilungsleiters in einem
Ministerium heranziehen – festhalten und ihn für grund-
sätzlich angemessen halten.
Faktisch nahm die Entwicklung der Abgeordnetenbe-
züge aber einen anderen Weg. Von einer inakzeptablen,
überzogenen Großzügigkeit in eigener Sache kann also
keine Rede sein. Wir haben daher allen Anlass – ja, das
ist sogar ein Gebot der Selbstachtung –, den billigen
Vorwurf, im Bundestag herrsche eine Selbstbedienungs-
mentalität, gemeinsam und entschieden zurückzuweisen.
Ich habe sogar die umgekehrte Vermutung: Gerade
weil wir Abgeordnete über die Höhe unserer Entschädi-
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olitikerinnen und Politiker müssen unabhängig vom
erfahren in der Öffentlichkeit für die Höhe ihrer Vergü-
ung geradestehen.
as zeigen auch da und dort zu erlebende Debatten über
ie Gehaltshöhe von Bürgermeistern und Landräten, die
ekanntlich nicht über die Höhe ihres Gehaltes selbst
ntscheiden müssen. Ein solcher Rechtfertigungszwang
st auch gar nichts Falsches – wenn er nicht oft mit billi-
en Verzerrungen verbunden wäre.
Glauben Sie, die Entscheidung einer unabhängigen
achverständigenkommission, die Diäten zu erhöhen,
leibe lange ohne die öffentlich und öffentlichkeitswirk-
am erhobene Aufforderung an uns, gleichwohl auf eine
rhöhung zu verzichten? Bisherige Empfehlungen unab-
ängiger Kommissionen – die es in der Vergangenheit
iederholt gab – hatten kaum Auswirkungen auf das
usmaß und die Form öffentlicher Kritik; darauf
584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Hermann Gröhe
verweist die FDP-Fraktion selbst in der Begründung ih-
res Gesetzentwurfs. Warum sollte es der Entscheidung
einer Kommission anders gehen? Welchem Druck wären
die Mitglieder dieser Kommission ausgesetzt, wenn erst
in großen Lettern über die Gehaltshöhe jener spekuliert
würde, die die Diäten festlegen! All diese Fragen werden
wir gemeinsam zu erwägen haben.
Mir liegt aber noch etwas anderes am Herzen: Öffent-
liche Akzeptanz für die Höhe unserer Aufwandsentschä-
digung und die Transparenz unseres Handelns hängen
eng zusammen. Die Bevölkerung wird ein Parlament,
dem sie die Lösung der sie bedrängenden Probleme nicht
zutraut, immer für überbezahlt halten. Was immer wir
also tun können, um das argumentative Ringen um men-
schengerechte Lösungen für anstehende Probleme trans-
parenter werden zu lassen – übrigens auch die mit der
Abgeordnetentätigkeit verbundene Belastung –, sollten
wir tun. Als kleines Beispiel sei in diesem Zusammen-
hang nur die Wanderausstellung des Deutschen Bundes-
tages genannt. Letztlich werden wir alle aber nicht an
den Freuden und Belastungen unserer Arbeit gemessen,
sondern an deren Ergebnissen. Überzeugende Arbeit ist
die beste Antwort auf billigen Populismus.
Das leider nicht unerheblich erschütterte Vertrauen in
unsere parlamentarische Demokratie und die in ihr Han-
delnden – damit auch in uns als Abgeordnete – wird in
dem Maße wiederhergestellt werden können, in dem es
uns gelingt, die Probleme unseres Landes zu lösen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Enkelmann,
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist
allerhöchste Zeit, dass sich das Hohe Haus mit den Be-
zügen der Abgeordneten befasst. Ungerechtfertigte Pri-
vilegien gehören endlich auf den Prüfstand.
„Frontal 21“ hat Recht: Wir sind in manchen Fragen,
was die Entschädigung anbetrifft, Wesen einer anderen
Finanzwelt. Da man in eigener Sache ungern zum eige-
nen Nachteil entscheidet, ist die Einrichtung einer unab-
hängigen Kommission beim Bundespräsidenten sinn-
voll; dem kann meine Fraktion durchaus zustimmen. Wir
gehen allerdings davon aus, dass in dieser Kommission
auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände und natürlich des
Bundes der Steuerzahler sitzen sollten. Dennoch sollte
bei dieser Kommission nicht die alleinige Entscheidung
über die Abgeordnetenbezüge liegen. Wir sollten in den
Ausschüssen über eine angemessene Beteiligung des
Parlaments sprechen. Wir können uns da auch gar nicht
herausnehmen – immerhin sind wir diejenigen, die über
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eigen eigentlich deutlich, wie nahe Nebentätigkeiten
nd Korruption liegen können.
Die Vergabe des Aufsichtsratspostens an den Ex-Bun-
eskanzler und Ex-Bundestagsabgeordneten Gerhard
chröder hat mehr als ein unangenehmes Geschmäckle.
ie ist Ausdruck einer moralischen Verkommenheit
nd erschüttert ein weiteres Mal die Glaubwürdigkeit
on Politikern. Wir dürfen uns nicht wundern, dass Poli-
iker, was die Frage der Glaubwürdigkeit und der morali-
chen Integrität betrifft, weit unten in der Rangliste ste-
en. Gerhard Schröder hat seinen Beitrag dazu auf alle
älle geleistet. Ich finde, die Aufstellung eines Ehrenko-
ex ist eindeutig zu wenig.
Die unabhängige Kommission sollte sich auch mit
en Regelungen befassen, mit denen bezüglich der Ne-
entätigkeiten bzw. Nebeneinkommen von Abgeordne-
en Transparenz geschaffen werden kann, ohne dass In-
eressen Dritter verletzt werden. Das ist völlig klar.
Ihnen ist sehr gut bekannt, dass diese Regelungen ge-
enwärtig noch nicht in Kraft gesetzt sind. Wir tun uns
ffenkundig schwer damit, sie in Kraft zu setzen.
Wenn wir eine solche Kommission einsetzen, dann
ollte sie sich, wie ich denke, mit diesen Fragen durch-
us befassen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 585
)
)
Dr. Dagmar Enkelmann
Wer aber von vornherein ausschließt, dass eine solche
Regelung möglich ist, der will im Grunde genommen
nicht wirklich Transparenz. Beispiele aus anderen Län-
dern zeigen, dass wesentlich mehr möglich ist, ohne dass
Demokratie leidet oder dass allzu private Dinge an die
Öffentlichkeit gezerrt werden.
Zum Abgeordnetenleben gehört, wie wir alle wissen,
finanziell mehr als die zu versteuernde Grunddiät. So
darf aus unserer Sicht bei einer Neuregelung die steuer-
freie Kostenpauschale keineswegs außer Acht gelassen
werden. Sonst setzen wir uns erneut dem Vorwurf aus, es
gehe uns lediglich darum, unsere Privilegien zu sichern.
Wir sollten uns fragen, ob die Pauschale noch ihren ur-
sprünglichen Zweck erfüllt, nämlich die politische Ar-
beit auf praktikable Weise zu finanzieren, oder ob sie
nicht für den einen oder anderen inzwischen zu einem
angenehmen Zusatzeinkommen geworden ist.
Natürlich gehören auch die Leistungen für die Mit-
glieder der Bundesregierung, die gleichzeitig Abgeord-
nete sind, mit auf den Prüfstand. Das betrifft auch die
Leistungen für Staatssekretäre, deren Zahl sich wunder-
sam vermehrt hat. Man muss sich fragen, ob es noch
zeitgemäß ist, nach wenigen Jahren Tätigkeit einen le-
benslangen Anspruch auf Bezüge zu erhalten.
Derjenige, der drei Jahre ein Amt in der Bundesregie-
rung bekleidet hat, bekommt ab 55 Jahren immerhin
schon 20 Prozent der Bezüge. Das halte ich für zutiefst
ungerecht.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird sich
vor allem dafür einsetzen, dass die Zeiten einer beitrags-
freien Altersversorgung für Abgeordnete vorbei sind.
Man muss sich einmal die Relationen vor Augen führen:
Den so genannten statistischen Eckrentner erwartet nach
45 Beitragsjahren monatlich eine Rente von knapp über
1 000 Euro. Ein Abgeordneter dieses Hauses dagegen
kann sich nach zwölf Jahren Mitgliedschaft im Bundestag
bereits über 36 Prozent seiner Bezüge freuen. Das sind
rund 2 400 Euro. Dieses Einkommen ist zwar zu versteu-
ern; dennoch stimmt das Verhältnis nicht. Auch Abgeord-
nete haben für ihre Altersversorgung einzuzahlen.
Es ist nicht länger hinzunehmen, dass Abgeordnete dafür
keinen Cent aufbringen müssen.
Auch wir müssen unseren Beitrag zur Solidargemein-
schaft leisten.
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Es ist schon darauf hingewiesen worden: Sie haben
ieses Gesetz und sämtliche damit verbundenen Gedan-
en und Begründungen schon zweimal in den Deutschen
undestag eingebracht. Dreimal schadet ja auch nicht.
ch glaube allerdings, dass hier einer der Fälle vorliegt,
u denen man sagen kann: Dadurch, dass man es wieder-
olt, wird es nicht viel durchdachter.
586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Olaf Scholz
Insofern ist es richtig, sich mit dem auseinander zu set-
zen, was Sie uns hier vorlegen, und dass man über die
Dinge, um die es hier geht, debattiert.
Sie haben ein Gesetz eingebracht, in dem eigentlich
nur steht, dass über die Erhöhung der Diäten eine unab-
hängige Kommission entscheiden soll. Bei der öffentli-
chen Debatte geht es aber nicht um die einzelne Ent-
scheidung, sie zu erhöhen, sondern um die Fragen, wie
es mit der Abgeordnetenentschädigung, der Regelung
der Altersversorgung und der Kostenpauschale über-
haupt aussieht. All das hat mit dem Thema, das Sie hier
verhandeln wollen, nur wenig zu tun.
Letztendlich haben Sie wahrscheinlich gedacht – viel-
leicht hatte Ihre Presseabteilung die Idee zu diesem An-
trag –: Es wird gerade wieder über Diäten diskutiert, also
nehmen wir doch diesen Antrag, sodass alle annehmen
können, dass wir über die Sache reden.
Die Sache, über die man sich verständigen soll, hat aber
eine ganz andere Dimension.
Ich sage für mich: Es ist nicht wirklich problematisch,
dass wir bei bestimmten Gelegenheiten über eine Erhö-
hung der Abgeordnetenentschädigung entscheiden
müssen. Das kann man auch anders tun, man kann es
aber auch so machen. Wir müssen in dieser Diskussion
darüber sprechen, wie die Struktur dessen, über das wir
hier verhandeln, überhaupt aussehen soll.
Zunächst geht es um die Entschädigung selbst. Ich bin
mit Ihnen einig darin: Es ist völlig richtig, dass der Deut-
sche Bundestag im Hinblick auf die Höhe der Abgeord-
netenentschädigung bisher vernünftig vorgegangen ist.
Ich finde auch, dass es richtig ist, in solchen Debatten
nicht immer nur mit abstrakten Begriffen zu arbeiten,
sondern zu sagen – das tue ich auch in jedem Brief an ei-
nen Bürger –, wie die gegenwärtige gesetzliche Lage
aussieht. Ein Abgeordneter erhält 7 009 Euro.
– Brutto. – Die Bürgerinnen und Bürger können sich Ge-
danken darüber machen, ob sie das für zu viel oder zu
wenig halten.
Die Abgeordneten müssen wissen, dass das aus der
Perspektive fast aller Wählerinnen und Wähler ein hoher
Betrag ist. Jeder Abgeordnete wird von sehr vielen Men-
schen gewählt – jedenfalls gilt das für meine Partei –, die
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Was mir bei der Debatte auch nicht gefällt, ist, dass
elegentlich Vergleiche darüber angestellt werden, ob je-
and, der außerhalb der Politik arbeitet, mehr verdient.
s gibt in der Tat eine ganze Reihe von Menschen, über
ie mancher Abgeordnete denkt: Ich kann doch viel
ehr und trotzdem erhält er ein höheres Gehalt.
as kommt vor und das ist im übrigen Leben auch ver-
reitet. Insofern sollte uns die Angemessenheit als Maß-
tab leiten. Es geht um die Frage, ob das, was wir erhal-
en, für das Parlament der Bundesrepublik Deutschland
nd für etwas mehr als 600 Abgeordnete, die dieses
and vertreten, die im Schnitt über 200 000 Bürgerinnen
nd Bürger aus ihrem Wahlkreis zu vertreten haben, die
arüber zu entscheiden haben, ob am Irakkrieg teilge-
ommen wird oder nicht – so haben wir entschieden –,
ie über den Einsatz im Kosovo und in Afghanistan zu
ntscheiden haben und die darüber entscheiden, wie es
it den Steuern aussieht und wie es mit der Renten- und
rankenversicherung weitergeht, angemessen ist. Ich
abe anhand der Antworten auf diese Frage festgestellt:
n der Öffentlichkeit gibt es nur wenig Kritik an der
öhe der Entschädigung.
Wer seine Bürgerinnen und Bürger, ohne ihnen den
etrag vorher zu nennen, direkt fragt, welche Entschädi-
ung jemand erhalten soll, der eine solche Aufgabe
ahrnimmt und der ein sehr ehrenvolles Amt in der De-
okratie ausübt, der erhält als Antwort eine Angabe, die
eist oberhalb der aktuell gezahlten Entschädigung
iegt.
nsofern müssen wir uns vor einer öffentlichen Debatte
icht verstecken. Deshalb halte ich auch nichts von dem
orschlag, die Verantwortung dafür auf andere zu dele-
ieren. Wir können offen für das, was wir richtig finden,
intreten.
Komplizierter ist die Diskussion über die Abgeord-
etenversorgung. Die Altersversorgung ist in der Dis-
ussion. Es ist darüber geredet worden, dies sorgfältig
eu zu betrachten. Das halte ich für richtig. Über den
inweis, den Sie gegeben haben, Herr van Essen, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 587
)
)
Olaf Scholz
sich die Abgeordnetenversorgung ursprünglich am Mo-
dell der Beamtenaltersversorgung orientiert hat, kann
man sorgfältig diskutieren. Wer Beamter ist, tritt – das
ist jedenfalls die Idee – früh in den Dienst für die Demo-
kratie und den Staat ein und beendet diesen Dienst, wenn
er in Pension geht.
Abgeordnete weisen selten eine so lange Berufsbio-
grafie für den Bundestag auf. Im Abgeordnetenhand-
buch entdeckt man zwar einige mit einer langen Sternen-
liste, wobei die Zahl der Sterne anzeigt, wie viele
Legislaturperioden der Abgeordnete schon dabei ist.
Diejenigen Abgeordneten, die dem Bundestag am längs-
ten angehören, haben 1972 begonnen. Wenn ich mich
richtig erinnere, sind das Frau Däubler-Gmelin und Herr
Schäuble. Die meisten von uns sind aber eine kürzere
Zeit dabei.
Insofern ist es vernünftig, zu überlegen, ob die bisherige
Organisation richtig ist. Ich begrüße daher die Tatsache,
dass wir solche Diskussionen angefangen haben.
Ich komme zum Schluss. Wenn das Recycling eines
abgelegten Gedankens ein Bestandteil einer insgesamt
notwendigen Debatte ist, dann soll das in Ordnung sein.
Die Überweisung an die Ausschüsse schadet nicht wei-
ter.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ange-
sichts der öffentlichen Debatte über die Versorgung der
Abgeordneten und ihre Entschädigung sollte man sich
noch einmal daran erinnern, dass die Bezahlung der Ab-
geordneten historisch ein Fortschritt für unsere Demo-
kratie war.
Noch 1871 las man in der Reichsverfassung:
Die Mitglieder des Reichstages
– also das historische Vorgängerparlament –
dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädi-
gung beziehen.
Das bedeutete damals: Wer es sich leisten konnte, wer
genügend Geld hatte, konnte sich ins Parlament wählen
lassen. Der damalige Bundesrat hat gesagt, diese Rege-
lung sei ein Korrektiv gegen das allgemeine Wahlrecht.
Wenn also schon jeder wählen konnte, sollte wenigstens
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Max Weber hat in seinem berühmten Vortrag „Politik
ls Beruf“ darauf hingewiesen – ich zitiere –:
daß eine nicht plutokratische Rekrutierung der poli-
tischen Interessenten, der Führerschaft und ihrer
Gefolgschaft, an die selbstverständliche Vorausset-
zung gebunden ist, daß diesen Interessenten aus
dem Betrieb der Politik regelmäßige und verläßli-
che Einnahmen zufließen. Die Politik kann entwe-
der „ehrenamtlich“ und dann von, wie man zu sa-
gen pflegt, „unabhängigen“, d. h. vermögenden
Leuten, Rentnern vor allem,
damals sagte man das zumindest –
geführt werden. Oder aber ihre Führung wird Ver-
mögenslosen zugänglich gemacht, und dann muß
sie entgolten werden.
ngesichts der öffentlichen Debatte muss man an diese
usammenhänge durchaus erinnern.
Das Grundgesetz bestimmt in Art. 48 Abs. 3, dass
bgeordnete „Anspruch auf eine angemessene, ihre Un-
bhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben. Das
undesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil zu
en Diäten noch einmal umfangreich hervorgehoben und
arauf aufmerksam gemacht, dass die Entschädigung so
usgestaltet werden muss, dass sie die Unabhängigkeit
ichert und der Tatsache Rechnung trägt, dass der Abge-
rdnete Vertreter des ganzen Volkes ist.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht übrigens 1975
rklärt. Damals war die Abgeordnetenentschädigung mit
500 DM ungefähr auf der Höhe eines Mitglieds eines
bersten Gerichts des Bundes mit der Besoldungsgruppe
6. Seitdem hat der Bundestag angesichts der Gesetze,
ie er beschließen musste und mit denen er den Bürgern
iel zugemutet hat, wiederholt festgestellt, dass eine Er-
öhung der Diäten nicht angemessen sei. Deswegen ha-
en wir uns von diesem Level, das auch das Abgeordne-
engesetz als Zielvorgabe vorsieht, immer weiter
ntfernt. Die Diäten sind nachweislich hinter der allge-
einen Einkommensentwicklung zurückgeblieben.
Ich denke, auch das muss der Öffentlichkeit mitgeteilt
erden. Denn immer, wenn wir bei den Abgeordneten
ürzungen vorgenommen oder die Diäten nicht erhöht
aben, war dies der „Bild“-Zeitung nicht einmal eine
eile auf der letzten Seite wert.
588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Volker Beck
Es wird aber immer wieder darüber berichtet, was die
Abgeordneten bzw. die Politiker im Allgemeinen be-
kommen.
Als rot-grüne Koalition in der letzten Wahlperiode
sind wir davon ausgegangen, dass wir das, was wir den
Bürgerinnen und Bürgern durch die Sozialreformen bei
der Rente, dem Sterbegeld, der Bezahlung der Kranken-
versicherungsbeiträge und der Pflegeversicherung zu-
muten, auch uns selbst zumuten müssen. Das haben wir
nach und nach in sehr vielen Gesetzen eins zu eins um-
gesetzt.
Auch daran will ich an dieser Stelle erinnern.
Trotzdem kommen wir nicht um die Frage herum,
welche Entschädigung und welche Altersversorgung der
Abgeordneten angemessen sind. Angesichts des öffentli-
chen Drucks wünschte man sich manchmal – insofern
verstehe ich den Vorschlag der FDP gut –, man müsste
diese Debatte nicht durchstehen, sondern könnte sie an
eine höhere Instanz delegieren.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag der FDP zu
verstehen, im Grundgesetz eine Kommission festzu-
schreiben – obwohl die FDP, wie ich zumindest in der
letzten Wahlperiode öfter gehört habe, Kommissionen
eigentlich nicht besonders schätzt –, den ich aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht eher für bizarr halte.
– Der Wissenschaftliche Dienst meint, dass der Vor-
schlag nicht bizarr ist? Wie gut, dass Sie den Wissen-
schaftlichen Dienst für dieses Urteil in Anspruch neh-
men konnten.
Ich glaube, es ist eine politische Frage, ob wir als Par-
lamentarier den Mut aufbringen, selbst zu definieren,
was für die Tätigkeit eines Abgeordneten angemessen
ist. Wir sollten auch klar machen, dafür werben und uns
der Diskussion argumentativ stellen – darin waren wir,
das gebe ich gerne zu, in der Vergangenheit nicht immer
gut –,
as der Abgeordnete braucht, um seine Unabhängigkeit
ahren zu können. Viele Aspekte der Abgeordnetenver-
orgung tragen dem Spezifikum dieses Amtes Rech-
ung. Wir werden für maximal vier Jahre gewählt
wie wir jüngst erfahren haben, kann dieser Zeitraum
uch kürzer sein – und wir haben anders als Beamte kei-
en Anspruch auf eine Anschlussversorgung.
Insofern ist es zwar richtig, dass die Abgeordneten
eine Beamten sind. Sie sind aber auch keine Selbststän-
igen, Freiberufler oder Unternehmer. Sie sind keine
ngestellten, sondern
ie sind eine Kategorie sui generis. Deshalb müssen wir
ns mit der Frage befassen, in welcher Art und Weise
ir bei der Versorgung der Abgeordneten dem Umstand
echnung tragen können, dass sie unabhängig sein müs-
en.
Das Thema ist meines Erachtens von zwei Seiten zu
etrachten – darüber haben wir diese Woche bereits dis-
utiert –: Ein Teil der Abgeordnetenversorgung – zum
eispiel die Übergangsgelder – ist dem Umstand ge-
chuldet, dass nach dem Ausscheiden aus dem Bundes-
ag kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Die Übergangs-
elder für die Regierungsmitglieder sind wesentlich
ppiger. Sie haben – wenn auch nicht im rechtlichen
inne, aber zumindest in politischer Hinsicht – die Auf-
abe, uns davor zu schützen, politische Entscheidungen
m Amt unter der Perspektive zu treffen, was sich im
nschluss an das Mandat ergeben und wer sich eventuell
ankbar erweisen könnte. Insofern meine ich, dass das
erhalten des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder dem
nsehen der politischen Klasse und der Akzeptanz der
ersorgungssysteme für Abgeordnete wie für Regie-
ungsmitglieder enormen Schaden zugefügt hat.
Einerseits sollten wir für eine angemessene Versor-
ung streiten. Andererseits sollten wir uns Regeln geben,
ie transparent sind und den Bürgern deutlich machen,
ass unsere Entschädigung bzw. Besoldung angemessen
st. Aber dann sollten wir uns bei den Nebentätigkeiten
urückhalten und dürfen nicht jeden Job annehmen, ins-
esondere dann nicht, wenn bestimmte Dinge anrüchig
ind.
Kollege Beck, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ein letzter Satz.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 589
)
)
Volker Beck
Wir müssen den Verhaltenskodex betreffend die Ne-
bentätigkeiten von Abgeordneten umsetzen. Er verbietet
keinem Abgeordneten, einer wirtschaftlichen Tätigkeit
nachzugehen. Aber er verpflichtet uns zur Transparenz,
sodass die Bürgerinnen und Bürger wissen, was wir
sonst noch tun. Ich finde, darauf haben sie einen An-
spruch.
Ich erteile das Wort Kollegin Christine Lambrecht,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin versucht, zu sagen:
Alle Jahre wieder – tatsächlich ist es nur jede Legislatur-
periode – kommt der FDP-Antrag zu diesem Thema. Er
begleitet zumindest mich in den drei Legislaturperioden,
in denen ich diesem Hause angehöre. Ich kann aber dem
Vorschlag, eine Kommission einzuberufen, noch immer
nichts abgewinnen.
Ich habe noch immer meine Probleme – ich denke, diese
teilen sehr viele Kollegen mit mir – damit. Ich möchte
Ihnen gerne darlegen, warum.
Ich habe ein Problem damit, dass eine Kommission
– egal wie sie besetzt ist – in irgendeinem Hinterzimmer
darüber berät, welche Entschädigung für die Tätigkeit
eines Abgeordneten angemessen ist; denn ich glaube,
dass die Beratungen einer solchen Kommission nicht öf-
fentlich sein werden. Genau das wird nicht zu mehr, son-
dern zu weniger Transparenz führen.
Wenn wir hier darüber debattieren, ob es eine Diäten-
erhöhung geben soll oder nicht, wie es in den letzten
Jahren häufig der Fall war – das wird auch in den kom-
menden Jahren so sein –, dann geschieht das öffentlich.
In unseren Debatten wird das Für und Wider abgewogen.
Jeder kann teilnehmen, zuhören, nachvollziehen und
sich eine Meinung bilden. Wenn aber eine Kommission
hinter verschlossenen Türen tagt, dann ist das nicht mög-
lich. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Lösung
ablehne.
Ein weiterer Grund, warum ich der Meinung bin, dass
eine solche Lösung nicht sinnvoll ist, ist die mangelnde
Unabhängigkeit einer solchen Kommission. Es sind
Verbände genannt worden, die zwar immer den An-
schein erwecken, unabhängig zu sein. Aber ich glaube,
dass wir alle in der Realität leben und wissen, dass Ver-
bände ihre Interessen vertreten. Dafür sind sie da.
Schließlich sind sie Interessenvertretungen.
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Darüber hinaus wird eine solche Kommission Kosten
erursachen; das ist doch klar. Diese werden sicherlich
icht dramatisch hoch sein; das gebe ich zu. Aber dieser
unkt ist nicht von der Hand zu weisen. Zudem bin ich
er Meinung, dass die Kommissionen, die es bisher in
nderen politischen Bereichen gab, entgegen der ur-
prünglichen Meinung nicht zu mehr Akzeptanz geführt
aben, weil irgendwer irgendwo etwas beraten und ent-
chieden hat, was man dann nicht nachvollziehen
onnte. Das ist das beste Beispiel dafür, dass dies in ei-
em solch sensiblen Bereich nicht der beste Weg ist.
Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns selbstkritisch
ein! Das waren wir in den letzten Jahren bereits; denn
onst wäre es nicht zu so vielen Einschnitten gekommen.
ir haben uns sehr wohl in die eigene Tasche gelangt.
s ist nicht so, dass hier ständig draufgepackt worden
äre. Ich habe als Abgeordnete mehrere Nullrunden er-
ebt. Das wird wohl auch in Zukunft so sein. Das ist rich-
ig; denn wir muten auch den Bürgerinnen und Bürgern
inschnitte zu. Wir haben also die Änderungen, die bei
en Bürgerinnen und Bürgern für Einschnitte gesorgt ha-
en – Herr Beck hat das schon erwähnt –, auf uns selbst
bertragen. Darüber muss ich nicht diskutieren. Das ist
ine Selbstverständlichkeit.
Lassen Sie uns selbstkritisch, aber auch selbstbewusst
ber diese Angelegenheit hier diskutieren und hier bera-
en. Hier haben wir den Sachverstand und die Öffent-
ichkeit, die das bewerten kann. Dann kommen wir auch
u akzeptablen Ergebnissen. Deswegen sage ich: Keine
erlagerung in Hinterzimmer auf irgendwelche Vertre-
er. Das ist vielmehr Angelegenheit des Parlaments. Herr
an Essen, das ist keine verfassungsrechtliche oder juris-
ische Einschätzung, sondern das ist eine politische Ein-
chätzung, die ich hier abgebe.
590 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Christine Lambrecht
Es wird im Januar ein Gespräch der Fraktionsvorsit-
zenden geben, in dem sie sich über diese Fragen austau-
schen. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich gehe davon
aus, dass die Vorschläge nicht in Richtung einer Kom-
mission gehen werden, sondern dass man andere Wege
einschlägt. Ich persönlich – da rede ich aber nur für mich
und nicht für die SPD-Fraktion – kann mir durchaus vor-
stellen, die Diäten an die Entwicklung der Gehälter be-
stimmter Berufsgruppen im öffentlichen Dienst zu kop-
peln. Aber das ist alles offen. Darüber muss man ohne
Scheuklappen miteinander diskutieren.
Was die Altersversorgung betrifft, ist es wirklich
angebracht, sich vielleicht einmal das Düsseldorfer Mo-
dell genau anzuschauen und zu prüfen, ob das ein gang-
barer Weg ist.
Ich kann es momentan noch nicht einschätzen. Wir soll-
ten aber auch diese Entscheidung selbst treffen und sie
nicht an irgendjemanden delegieren. Diesen Mut sollten
wir haben. Dazu kann ich Sie alle nur auffordern.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Götzer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon angesprochen worden, dass uns die beiden
heute vorliegenden Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion
nicht gänzlich unbekannt sind. Sie wurden bereits in der
letzten und in der vorletzten Wahlperiode eingebracht
und diskutiert. Sehr viel Neues kann man deshalb dazu
wahrlich nicht sagen. Es geht um die Rechtsstellung der
Mitglieder des Deutschen Bundestages und dabei letzt-
lich um die Frage, wie die Mitglieder des Bundestages
ausgestattet sein müssen, um ihren Aufgaben als Gesetz-
gebungsorgan und Kontrollorgan der Bundesregierung
sachgerecht nachkommen zu können. Dabei dürfen wir
uns von der Polemik, mit der dieses Thema regelmäßig
von einem nicht geringen Teil der öffentlichen und der
veröffentlichten Meinung begleitet wird, nicht irre-
machen lassen. Es ist nun einmal so und es bleibt so,
dass nur ein guter Bundestag gute Arbeit leisten kann.
Gute und engagierte Arbeit verdient auch eine sachge-
mäße Ausstattung und eine finanzielle Absicherung der
Abgeordneten. Nicht zuletzt geht es auch um die Aus-
führung eines Verfassungsgebotes, nämlich des Art. 48
Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach die Abgeordneten
„eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Ent-
schädigung“ haben müssen.
Kommen wir nun konkret zu den vorliegenden Ge-
setzentwürfen der FDP. Wesentlicher Teil der Gesetzent-
würfe ist die Übertragung der Entscheidung über eine
angemessene Abgeordnetenentschädigung auf eine vom
Bundespräsidenten zu berufende unabhängige Kom-
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Ich verhehle nicht ein gewisses Verständnis für die
rundintention, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
er FDP, die hinter den Anträgen steht, weil Sie damit
er öffentlichen Kritik und dem Vorwurf der Selbst-
edienung, der heute schon wiederholt angesprochen
orden ist, begegnen wollen. Wir alle wissen, dass die-
er Vorwurf nicht nur polemisch und unsachlich, son-
ern schlicht falsch ist.
Vielen Dank für den Applaus. Wir müssen das immer
ieder sagen, Herr Kollege Stünker. Deshalb bin ich Ih-
en dafür dankbar.
In der Öffentlichkeit wird mit diesem falschen Vor-
urf immer wieder operiert. Vor allem die selbst ernann-
en Experten, die ihn immer wieder erheben, müssten ei-
entlich wissen – ich glaube, sie wissen es auch –, dass
ieser Vorwurf nicht zutreffend ist. Aber er ist so schön
riffig, er setzt sich in den Köpfen fest und niemand re-
et davon – deswegen müssen wir es immer wieder
un –, dass wir die Entscheidung nicht an uns gezogen
aben, sondern dass wir durch die Diätenentscheidung
es Bundesverfassungsgerichts dazu verpflichtet worden
ind, über die Höhe der Entschädigung selbst zu ent-
cheiden. Folgerichtig sehen die Gesetzentwürfe der
DP die Änderung des Grundgesetzes vor.
Wie ich schon gesagt habe, habe ich durchaus eine
ewisse Sympathie für die Position der FDP. Man be-
enke, dass die Öffentlichkeit Selbstbeschränkungen,
ie wir seit Jahren beschließen, kaum wahrnimmt. Wie
ar denn das Echo in der Öffentlichkeit, als wir in der
etzten Wahlperiode die Rückführung unserer Altersver-
orgung beschlossen haben? Wie war das öffentliche
cho auf zehn Nullrunden, die schon angesprochen wor-
en sind? Dazu gab es vielleicht eine Randnotiz, mehr
icht. Ich behaupte sogar, dass fast niemand in unserem
and davon Kenntnis genommen hat. Das erleben wir
einahe täglich in Diskussionen und in unseren Veran-
taltungen.
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass ich gegenüber
en Gesetzentwürfen der FDP-Kollegen verfassungs-
echtliche und vor allem verfassungspolitische Beden-
en habe. Eine unabhängige Kommission beim Bundes-
räsidenten mit eigener Entscheidungsbefugnis ist
erfassungsrechtlich bedenklich.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bun-
esverfassungsgericht 1975 in dem schon zitierten Diä-
enurteil dargelegt hat, wird vielfach ein umfassender
arlamentsvorbehalt angenommen. Ob die Übertra-
ung bei Änderung von Art. 48 Abs. 3 Grundgesetz
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 591
)
)
Dr. Wolfgang Götzer
– wie die FDP es vorschlägt – möglich ist, wird in Fach-
kreisen sehr unterschiedlich beurteilt. Als Maßstab wird
hier von vielen die Unantastbarkeitsgarantie aus Art. 79
Abs. 3 Grundgesetz wegen Berührung des Rechtsstaats-
und Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 Grundge-
setz herangezogen.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist,
mit dieser Kommission möglicherweise ein weiteres
Verfassungsorgan zu schaffen, dessen einzige Aufgabe
es ist, die Höhe der Abgeordnetenentschädigung festzu-
setzen.
Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen und
verfassungspolitischen Fragen bleibt weiterer wichtiger
Erörterungsbedarf. Ist denn wirklich sicher, dass die von
der FDP angestrebte Übertragung der Entscheidungsbe-
fugnis ihr Ziel erreicht, nämlich eine politische Entlas-
tung der Abgeordneten? Wird eine solche Kommission
auch in der Öffentlichkeit die erforderliche Anerken-
nung finden?
Dies wird von der FDP zwar als Konsequenz angenom-
men, bleibt für mich aber zweifelhaft.
Ich sehe auch bei einer Neuregelung, wie sie die FDP
vorsieht, gleichwohl politischen Druck auf das Parla-
ment zukommen, eine von der Kommission etwa getrof-
fene Entscheidung für eine Diätenerhöhung durch Parla-
mentsbeschluss aufzuheben und auf diese Erhöhung
letztlich doch zu verzichten. Deshalb bin ich nach wie
vor der Meinung, dass wir uns dem Thema Diäten auch
künftig selbst stellen müssen – mit Verantwortungsbe-
wusstsein, aber auch mit Selbstbewusstsein. Hier im Par-
lament gibt es keine Selbstbedienung. Hier gibt es nur
die Erfüllung eines Verfassungsauftrages mit Augenmaß
und politischem Einfühlungsvermögen.
Nun möchte ich noch zum zweiten Teil des FDP-Ge-
setzentwurfs kommen, zum Prüfauftrag zur Änderung
der Altersversorgung. Dabei geht es um die grundsätz-
liche Umstellung des Systems hin zu einer stärkeren
Eigenverantwortung. Darüber kann man diskutieren. Ich
halte aber nichts von einer voreiligen Festlegung darauf;
vielmehr bin ich für eine ergebnisoffene Prüfung. Das
gilt insbesondere für das jetzt immer wieder zitierte
Nordrhein-Westfalen-Modell, das die Schaffung eines
eigenen Versorgungswerkes vorsieht. Dies bedarf einer
eingehenden kritischen Prüfung, auch unter Einbezie-
hung der dortigen Erfahrungen.
Jedenfalls sehe ich erhebliche Probleme auf uns zu-
kommen, wenn als Konsequenz einer solchen Umstel-
lung eine massive Diätenerhöhung für erforderlich ge-
halten würde, was ja viele Experten tun. Dies wäre
politisch kaum vermittelbar, obwohl es zur Gewährleis-
tung einer angemessenen Altersvorsorge nach Meinung
vieler Sachverständiger unumgänglich wäre.
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Völlig inakzeptabel wäre aber, wenn dann schließlich
ur die Abschaffung des bisherigen Systems der Alters-
ersorgung beschlossen würde, nicht aber der dazugehö-
ende zweite Teil, nämlich eine entsprechende angemes-
ene Erhöhung der Diäten. Deswegen plädiere ich für
ine ruhige und sachliche Diskussion, die mit den Ge-
prächen zu Beginn des neuen Jahres ohnehin stattfinden
ird. In diese Diskussion werden die heute vorliegenden
DP-Gesetzentwürfe natürlich wiederum einbezogen.
Ich erteile das Wort Kollegen Dieter Wiefelspütz,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Es gibt in Sachen Abgeordnetenentschädigung
nd Abgeordnetenversorgung vielfältige Vorschläge.
ber es gibt einen besonders unsinnigen Vorschlag. Das
st der der FDP, eine Kommissionslösung zu wählen.
ie müssen sich das einmal vorstellen: Die Höhe der
bgeordnetenentschädigung soll in Zukunft durch eine
ommission verbindlich festgelegt werden.
Nun räume ich ein: In eigener Sache die Bezahlung
nd auch die Versorgung festzulegen ist keine besonders
ngenehme Entscheidung. Wer drängt sich schon da-
ach? Wir werden von der Öffentlichkeit in dieser An-
elegenheit in vielfältiger Weise sehr kritisch beobach-
et. Ich will nun nicht wiederholen, was hier schon
utreffend gesagt worden ist, aber unterstreichen: So un-
ngenehm das ist – sollen wir in Zukunft auch in ande-
en Bereichen unangenehme Entscheidungen aus dem
arlament hinausverlagern? Ist das Ihr Weg, um verant-
ortlich Politik zu machen, Herr van Essen? Es kann
och wohl nicht gemeint sein, dass wir uns drücken sol-
en! Sie wollen Verantwortlichkeit aus dem Parlament
n nicht kontrollierbare Kommissionen verlagern. Über-
egen Sie sich doch einmal die Konsequenz! Ist das, was
ie uns hier vortragen, das Modell für verantwortliche
olitikgestaltung? Das ist nicht zu Ende gedacht.
Das ist übrigens weniger eine verfassungsrechtliche
rage. Sie wollen das per Verfassungsänderung machen.
as ist ungewöhnlich, aber so etwas kann man – da
ürde ich dem Wissenschaftlichen Dienst durchaus
echt geben – verfassungsrechtlich tun.
ch glaube nicht, dass der neue Satz 2 in Art. 48 Abs. 3
rundgesetz sozusagen verfassungswidriges Verfas-
ungsrecht wäre. Aber politisch ist das, was Sie da vor-
chlagen, unsinnig.
592 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Dieter Wiefelspütz
Wir müssen nach der Verfassung als Gesetzgeber
selbst entscheiden, vor den Augen der Öffentlichkeit. Ich
kenne kein Verfahren, das transparenter ist, das klarer
ist, das auch disziplinierender ist als das, bei dem der Öf-
fentlichkeit gesagt wird: Das wollen wir, und das wollen
wir nicht. – Sie wollen das in ein vertraulich oder ge-
heim tagendes Gremium verlagern,
das verbindlich entscheidet. Überlegen Sie sich doch
einmal, welche verfassungspolitischen Folgen das hat!
Was Sie da vorschlagen, ist nicht zu Ende gedacht. Dem-
nächst kommen Sie auch noch auf die Idee, die Entschei-
dung über Auslandseinsätze der Bundeswehr in
irgendeine unabhängige Kommission zu verlagern.
– Herr van Essen, ich bitte Sie! In Ihrem Antrag steht,
dass diese Kommission verbindlich, mit Rechtsverbind-
lichkeit entscheidet.
Das ist nicht in Ordnung. Dieser Vorschlag wird in die-
sem Deutschen Bundestag zum Glück nicht den Hauch
einer Chance haben. Er ist nicht zu Ende gedacht. Er ist
verfassungspolitisch ein Irrweg, der uns keinen Millime-
ter weiterbringt.
Zu dem zweiten Vorschlag, den Sie unterbreiten, nach
dem die Kommission Vorschläge erarbeiten soll, muss
ich sagen: Wir können natürlich auch externen Sach-
verstand heranziehen; überhaupt kein Problem.
Ich rate aber sehr dazu, dass wir – Sie, wir alle – in die-
ser Angelegenheit unsere Verantwortung wahrnehmen.
– Das schließt das nicht aus; richtig. Aber ich bin schon
der Auffassung, dass wir an dieser Stelle diese Kommis-
sionitis nicht fortsetzen
und eher den Weg gehen sollten, unsere Vorschläge of-
fen zu diskutieren, sie mit der Öffentlichkeit zu diskutie-
ren und dann in eigener Verantwortung eine Entschei-
dung zu treffen. Ich bin jedenfalls sehr froh darüber, dass
es hier im Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit
gibt, die das, was Sie vorschlagen, nicht nur kritisch
sieht, sondern ablehnt. Dabei soll es auch bleiben.
Schönen Dank fürs Zuhören.
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richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte zur Unterstützung der
Überwachungsmission AMIS der Afrikani-
schen Union in Darfur/Sudan auf
Grundlage der Resolutionen 1556 und
1564 des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September
2004
– Drucksachen 16/100, 16/268 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer
Brunhilde Irber
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 16/269 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
entlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Ursula Mogg, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Darfur ist die „Hölle auf Erden“ – so hat es
er Generalsekretär der Vereinten Nationen im Februar
ieses Jahres formuliert. Lassen Sie mich versuchen, ei-
en kurzen Einblick in diese Hölle zu wagen.
Die Konkurrenz um knappe Ressourcen zwischen
frikanischstämmigen Bauern und arabischstämmigen
omaden wurde durch Dürrekatastrophen und die fort-
chreitende Ausbreitung von Wüsten weiter verschärft.
raditionelle Konfliktlösungsmechanismen brachen zu-
ammen. Milizen und Banden übernahmen, geschützt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 593
)
)
Ursula Mogg
durch staatliche Gewalt, das Kommando. Sie haben sich
schwerste Menschenrechtsverletzungen gegenüber der
Zivilbevölkerung zuschulden kommen lassen. Die Folge
ist eine humanitäre Katastrophe.
300 Dörfer wurden zerstört. Hunderttausende sind als
Folge des Konfliktes ums Leben gekommen; die Schät-
zungen schwanken zwischen 180 000 und
300 000 Menschen. 2 Millionen Menschen wurden ver-
trieben. Nach einem aktuellen Bericht der Vereinten Na-
tionen brauchen 3,5 Millionen Menschen humanitäre
Hilfe. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf terroristi-
sche Aktivitäten. Rebellen entführen Angestellte von
Entwicklungshilfeorganisationen. Banditen überfallen
Nahrungsmittelkonvois. Das Minenrisiko ist nicht zu
vernachlässigen.
Der Afrikakorrespondent der „Neuen Zürcher Zei-
tung“ Kurt Pelda schrieb vor wenigen Wochen, am
3. November, im „Rheinischen Merkur“:
In ... Darfur hat die humanitäre Krise ein bislang
nie da gewesenes Maß an Brutalität angenommen.
Eine EKD-Delegation unter Leitung von Bischof
Huber bereiste kürzlich eine Woche lang den Sudan und
nannte nach ihrer Rückkehr die alltägliche Situation
schlicht „deprimierend“. Ursache sind die ethnischen
Probleme zwischen Arabern und Afrikanern, die zu-
gleich Probleme zwischen Reich und Arm sowie zwi-
schen Moslems und Christen sind.
Vor diesem Hintergrund hatten alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages im Mai des vergangenen Jahres
einen umfassenden Forderungskatalog zusammenge-
stellt, zu dem auch die militärische Flankierung der
vielfältigen politischen Aktivitäten gehört. Unser Bei-
trag im Rahmen des AMIS-Mandates, das wir heute zum
zweiten Mal verlängern wollen, um die Gewalt in Darfur
im Zaum zu halten, kann nicht mehr und nicht weniger
als ein kleiner, vielleicht nur symbolischer, Beitrag sein.
Denn eine zentrale Erkenntnis ist: Die Sicherheitslage
ist zum größten Problem bei der Versorgung der Bevöl-
kerung geworden. Selbst die Flüchtlingslager werden
angegriffen.
Wir, die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bun-
destagsfraktion, werden deshalb dem Antrag der Bun-
desregierung zustimmen. Ich sage es frei heraus: Ich
wünschte mir, wir wären in der Lage, mehr zu tun. Aber
angesichts der Situation in Darfur würde auch eine um-
fassendere Beteiligung der Bundeswehr derzeit keine
substanziellen Verbesserungen bringen können.
Dennoch steht außer Zweifel, dass die Verlängerung
des bestehenden Mandates aus humanitären und aus
politischen Gründen eine Verpflichtung ist. Die Anwe-
senheit deutscher und anderer europäischer Kräfte zur
Unterstützung von Soldaten und Polizisten der Afrikani-
schen Union schafft eine Öffentlichkeit über den afrika-
nischen Kontinent hinaus, die die marodierenden Ban-
den und vor allem ihre Anstifter scheuen. Dies belegen
die Diskussionen im internationalen Rahmen.
Deutschland leistet logistische Hilfe, damit zunächst
die afrikanischen Nachbarn selbst den bedrohten Men-
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Es ist nach Meinung des Bischofs auch im Interesse Eu-
ropas, dass der Sudan und mit ihm ganz Afrika „Zukunft
hat“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns mit
dem notwendigen Blick auf die Realitäten und einem
großen Maß an Zuversicht weiter dazu beitragen, dass
die Menschen in Darfur eine Zukunft haben. Die Verlän-
gerung des AMIS-Mandats ist dafür eine wichtige Vo-
raussetzung.
Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Anfang Mai 2004 wurde hier im Deut-
schen Bundestag ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem
Titel „Völkermord im Sudan verhindern“ debattiert. Zur
selben Zeit tobte in Darfur im Westen des Sudan bereits
ein Konflikt, der zu einer der größten menschenrechtli-
chen und humanitären Krisen weltweit führte. Frau Kol-
legin Mogg hat eben schon sehr anschaulich die Situa-
tion geschildert und sie zutreffend beschrieben. Das
muss nicht wiederholt werden.
Am 30. Juli 2004 beschloss der UN-Sicherheitsrat
den Einsatz einer militärischen Überwachungsmission
der Afrikanischen Union, das AMIS-Mandat. Im Rah-
men einer Ausweitung wurde auf internationaler Ebene
darum gebeten, diese Mission finanziell und logistisch
zu unterstützen.
Dem hat sich die Bundesrepublik Deutschland ange-
schlossen. Neben bereits geleisteten erheblichen finan-
ziellen Hilfen haben wir zugestimmt, der Mission AMIS
logistische Unterstützung zu gewähren. Dazu hat der
Deutsche Bundestag am 3. Dezember des letzten Jahres
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Wir kämen darüber hinaus – das ist der letzte Punkt –
mit einem solchen Ausschuss zu einem schnelleren Han-
deln des Parlaments. Ich glaube, auch das wäre ange-
bracht.
Unbenommen davon danke ich allen Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr, die auch in diesem Auslands-
einsatz durch ihr hohes Engagement und ihren vorbild-
lichen Leistungswillen daran mitwirken, eine humani-
täre Katastrophe einzudämmen.
Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Mandat zu.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bitte Sie namens der Bundesregierung um
Zustimmung zur Verlängerung des Einsatzes der Bun-
deswehr in Darfur für weitere sechs Monate bis zum
2. Juni 2006.
Meine Vorrednerinnen haben schon in überzeugender
Weise den Grund für die Verlängerung dieses Einsatzes
vorgetragen. Ich glaube aber, noch einmal unterstreichen
zu sollen, dass wir uns im Sudan deshalb so stark enga-
gieren, weil wir die Vereinten Nationen und die Afrikani-
sche Union darin unterstützen möchten, das von Krisen
und humanitären Notlagen geschüttelte Land und die ge-
samte Region zu stabilisieren. Hier hat – das ist wahr –
eine humanitäre Katastrophe in größtem Ausmaß stattge-
funden. Mehr als 200 000 Menschen sind dort ums Le-
ben gekommen. Ich denke, wir können uns unserer inter-
nationalen Verpflichtung im Hinblick auf Humanität
und Friedenssicherung nicht entziehen. Deshalb müs-
sen wir dieses Mandat wahrnehmen.
Im Rahmen dieses Mandates wollen wir die Grund-
lage für den Aufbau von Strukturen schaffen, die den
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Es ist zutreffend – das wurde bereits angesprochen –,
ass die Lage in Darfur weiterhin besorgniserregend ist.
eshalb ist eine Fortsetzung des internationalen En-
agements seitens der NATO und der Europäischen
nion für die VN-mandatierte Operation AMIS zwin-
end erforderlich. Leider gibt es weiterhin Vertreibun-
en, Tötungen und Plünderungen. Aber dort, wo AMIS
räsent und aktiv ist, ist eine spürbare Verringerung der
ewalt zu beobachten. Das zeigt, dass AMIS positive
rgebnisse zu verzeichnen hat. Dies muss auch weiter-
in so sein.
Ich denke, dass eine weitere Unterstützung durch
ransportmaßnahmen notwendig ist. Wir arbeiten sehr
ng mit unseren französischen Partnern zusammen, um
ie Voraussetzungen dafür zu gewährleisten, dass eine
tabilisierung der Situation im Sudan erreicht wird.
Deshalb bitte ich Sie im Interesse von Humanität und
riedenssicherung, aber auch im Interesse der Stabilisie-
ung in der Region und der Hilfe zur Selbsthilfe um ein
lares Votum dieses Hauses für die Fortsetzung des
andats.
Besten Dank.
596 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Das Wort hat nun der Kollege Norman Paech, Frak-
tion Die Linke.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir haben den Antrag zur heutigen Debatte ge-
stellt, weil wir grundsätzlich der Ansicht sind, dass jeder
außenpolitisch relevante Einsatz der Bundeswehr hier
diskutiert werden muss. Wir wollen keine Vorratsbe-
schlüsse.
Wir stehen heute vor einer nicht leichten Entschei-
dung. Ich bekenne ganz offen, dass wir in der Linkspar-
tei eine sehr intensive und aufklärende Diskussion da-
rüber geführt haben. Alle Fakten und Gründe für eine
Fortsetzung des Einsatzes der deutschen Streitkräfte im
Sudan sind von den Vorrednern genannt worden: das
völkerrechtliche Mandant durch die UNO, die Führung
der Mission durch die afrikanischen Staaten und die un-
verändert dramatische Situation der Flüchtlinge, die Ver-
treibungen und die massiven Menschenrechtsverletzun-
gen. Nichts hieran hat sich seit der Einrichtung des
Mandats verändert. Das ist wichtig: Nichts hat sich ver-
ändert!
Wir müssen uns also fragen: Warum brauchen wir die
Erneuerung und Erweiterung dieses Mandats? Als die
Linkspartei noch PDS hieß, hat sie – es war vor fast ge-
nau einem Jahr, am 3. Dezember 2004 – das Bundes-
wehrmandat abgelehnt, und zwar vor allem deswegen,
weil sie einen derartigen militärischen Einsatz für un-
tauglich hielt, sowohl die ökonomischen und die sozia-
len Ursachen als auch deren furchtbare Auswirkungen in
den Griff zu bekommen und zu beheben.
Nach einem Jahr können wir nur eines sicher feststel-
len: Es hat sich im Grunde nichts geändert.
Wir haben nicht einmal eine Evaluation über den Nutzen
des Einsatzes vor Ort; sie findet zwar statt, aber ihre Er-
gebnisse liegen uns noch nicht vor.
Die schon lange bestehenden skeptischen Einschätzun-
gen, ob ein solcher Einsatz überhaupt Erfolg haben kann,
die die ehemalige Staatsministerin Kerstin Müller da-
mals vortrug, haben sich verdichtet.
Wir haben uns also zu fragen: Bewahrheitet sich hier
vielleicht schon bald das, wovon die International Crisis
Group, eine unverdächtige Organisation, bereits heute
ausgeht: die Ausdehnung des Mandats, die massive Auf-
stockung der Truppen und die Führungsübernahme
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ir haben sogar die Befürchtung, dass das absehbare
cheitern zur Eskalation des Militäreinsatzes auch in
ieser Region benutzt werden wird.
Der Sicherheitsrat hat bereits ein Mandat für militäri-
che Zwangsmaßnahmen nach dem VII. Kapitel der
NO-Charta mit seinen Resolutionen ausgestellt, ob-
ohl das für die gegenwärtige AMIS-Überwachungs-
ission überhaupt nicht notwendig ist.
er aktuelle Einsatz ähnelt eher einem Blauhelmeinsatz.
ir haben es also hier schon mit einem Vorratsbeschluss
u tun, der ohne Schwierigkeit – wir kennen das, das
eispiel der USA lehrt uns das – so interpretiert werden
ann, wie es die International Crisis Group heute schon
aben will: Erweiterung und Eskalation, Einsatz von
U und NATO.
Sie mögen das alles für sehr weit hergeholt halten.
Herr Struck, nehmen Sie Ihre eigenen Äußerungen als
erteidigungsminister – heute sind Sie Fraktionsvorsit-
ender – ernst. Sie kündigten im Juni dieses Jahres an,
ass die Bundeswehr bald auch in Afrika präsent sein
üsse.
Den Hintergrund und die Motivation für eine solche
frikastrategie der Bundeswehr hat offensichtlich be-
eits ein Jahr vorher Herr Pflüger geliefert. Herr Pflüger,
enn Sie sich dieses Artikels nicht mehr erinnern kön-
en, kann ich Ihnen den Artikel gern zeigen. Ich zitiere
ber erst einmal daraus.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Meckel, SPD-Fraktion?
Gerne.
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben hier eben deut-
ich gemacht, wie schwierig die Situation in Afrika ist
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 597
)
)
Markus Meckel
und dass nicht genügend geschehen ist, um den Terror
gegenüber der Zivilbevölkerung zu beenden. Sie haben
auch den Vorschlag der International Crisis Group ange-
führt, die sagt: Die Afrikaner werden auch mit der Hilfe,
die geleistet wird, nicht mit den Problemen fertig. Das
heißt, die EU oder die NATO sollten etwas tun; wir soll-
ten uns also stärker engagieren – ich persönlich bin übri-
gens dafür. Müssten Sie nicht sagen: „Um den Konflikt,
das Sterben und das Leid zu beenden, müssen wir auf je-
den Fall fortsetzen, was wir bisher getan haben, und
müssen eher noch mehr tun, dürfen aber auf keinen Fall
Hilfsgesuche ablehnen“?
Herr Meckel, das ist Ihre Logik. Unsere Logik funk-
tioniert andersherum. Wir sagen: In solchen Konflikten,
die ökonomische, soziale Ursachen haben, müssen wir
ganz anders reagieren.
Wir kennen das zu lange, als dass wir dann sagen wür-
den: Rein mit dem Militär!
Darf ich jetzt zitieren? Ich habe Herrn Pflüger noch
nicht zitiert; auf dieses Zitat kommt es an. Er sagte:
Weil Europa ... zunehmend Energie aus anderen
Regionen importieren muss, müssen wir dem afri-
kanischen Ölreichtum als Potenzial zur Diversifi-
zierung unserer Bezugsquellen mehr Aufmerksam-
keit schenken. ... Anders als wir haben die USA die
Bedeutung des afrikanischen Öls bereits erkannt
und werden 2015 ein Viertel ihrer Öleinfuhren aus
Westafrika bestreiten.
Er erwähnt dann in dem Artikel in aller Offenheit, dass
zur Sicherung dieser Ressourcen auch militärischer Ein-
satz notwendig werden könne. Herr Pflüger, ich werde
Ihnen den Artikel geben.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie
ist zu Ende.
Darf ich das noch kurz zu Ende führen?
Bitte.
Herr Pflüger, Sie sind ja kein einsamer Professor, son-
dern Sie sind jetzt Staatssekretär im Verteidigungsminis-
terium. Das hat Gewicht.
Wir erkennen schon all die Probleme an. Wir wissen
aber auch, dass ein seit einem Jahr erfolgloser Weg auch
in der Zukunft nicht mehr Erfolg haben wird. Wir be-
fürchten, dass das der Ansatz für eine Afrikastrategie ist,
gegen die wir immer sein werden. Deswegen können wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen.
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Herr Kollege Paech, ich verstehe viele Ihrer Argu-
ente, auch das mit dem Öl. Aber geben Sie mir Recht,
ass es ein ganz wichtiges Anliegen von uns Europäern
ein muss, dass die afrikanischen Völker, die afrikani-
chen Staaten ihre Angelegenheiten selbst in die Hand
ehmen und solche schrecklichen Konflikte mit so vielen
oten selber regeln? Die Afrikanische Union tritt zum
rsten Mal – soweit ich mich erinnere – derart gemein-
chaftlich auf, um in diesem Konflikt Frieden zu garan-
ieren, und hat um unsere Hilfe im logistischen Bereich
ebeten, weil sie ohne unsere Hilfe – nicht nur Deutsch-
ands, sondern auch der Europäischen Union – ihre Auf-
abe dort nicht wahrnehmen kann. Stimmen Sie mir zu,
ass es deshalb in diesem Falle völlig unverantwortlich
äre, die Afrikanische Union in dieser wichtigen Mis-
ion allein zu lassen, und dass die Selbstbestimmung der
frikaner und die Selbstregulierung afrikanischer Pro-
leme durch die Afrikaner selber unterlaufen würden,
enn wir hier dem Antrag heute nicht folgen würden?
Herr Ströbele, es ist ja richtig, dass der Ansatz, die
frikanischen Staaten das selbst machen zu lassen und
ie dabei zu unterstützen, von uns akzeptiert werden
uss.
as Problem ist allerdings die Frage: Mit welchen Mit-
eln? Die Mittel sind entscheidend.
Im Auswärtigen Amt gibt es ein Referat, das sich mit
onfliktprävention und Mediation beschäftigt. Es gibt
ehr viele Mittel zur Friedensförderung, die ohne militä-
ische Einsätze auskommen. Diese Instrumente müssen
ir nutzen.
598 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Norman Paech
Durch den Einsatz dieser Mittel haben wir in den ver-
gangenen 20, 30 Jahren Reputation erworben, auch in
Afrika. Der Einsatz der Bundeswehr bzw. militärischer
Mittel wird zu einer Eskalation und zu immer größeren
Problemen führen bis hin zu der Situation, die wir in
Afghanistan haben: dass der Terror zu uns kommt.
Deswegen sagen wir zur militärischen Unterstützung
Nein.
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag.
Dazu herzlichen Glückwunsch und weiterhin alles Gute!
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Friedbert Pflüger, CDU/CSU-Fraktion.
Es tut mir sehr Leid, dass ich am heutigen Freitag
noch eine Kurzintervention machen muss. Aber da Sie,
Herr Kollege Paech, heute eine Behauptung wiederholt
haben, die Sie bereits gestern im Auswärtigen Ausschuss
und auch in der „Frankfurter Rundschau“ aufgestellt ha-
ben, die allerdings nicht wahr ist, muss ich dazu ein paar
klärende Worte sagen.
Ich habe im Jahr 2004 in der Zeitschrift „Die Politi-
sche Meinung“ einen Artikel geschrieben, den ich inzwi-
schen auch noch einmal gelesen habe. Auf Seite 5 dieses
Artikels habe ich in der Tat ausgeführt, dass es zur
Diversifizierung unserer Energiequellen notwendig ist,
auch das Öl in Afrika nicht aus den Augen zu verlieren.
Andere Länder, zum Beispiel die Vereinigten Staaten
von Amerika, tun das seit langem.
Daraufhin habe ich mich in diesem Artikel allen mög-
lichen Problemen, die es in Afrika gibt, zugewandt: zum
Beispiel Aids, der Benachteiligung von Frauen und der
Bekämpfung von Seuchen.
Auf Seite 8 habe ich mich – allerdings in einem völlig
anderen Zusammenhang – zu dem geäußert, was eben
auch der Minister gesagt hat: dass wir NEPAD unterstüt-
zen und der Afrikanischen Union dabei helfen, selbst
militärisch einzugreifen. Diese Ausführungen hatten mit
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Herr Kollege, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Herr Pflüger, ich finde es entlastend, wenn Sie sich
etzt von dem Inhalt Ihres Artikels distanzieren.
r trägt ja die Überschrift „Unsere Interessen in Afrika“.
enn in diesem Kontext die militärische Karte gezeigt
ird, dann betrifft das ja nicht nur die Probleme Aids
nd Armut,
ondern auch Rohstoffe; denn das sind unsere Interes-
en.
Da Sie in diesem Bereich arbeiten, werde ich Sie in
ukunft daran erinnern, dass Sie sich in diesem Kontext
egen jegliche militärische Intervention und gegen jegli-
hes Engagement in Afrika ausgesprochen haben.
Ich danke Ihnen.
Bevor wir die Beratungen fortsetzen, liebe Kollegin-
en und Kollegen, möchte ich Sie bitten, Ihre Unterhal-
ungen nach Möglichkeit einzustellen und Ihre Aufmerk-
amkeit den beiden letzten Rednern zu geben.
Das Wort hat nun die Kollegin Uschi Eid, Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 599
)
)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Abgeordneter Paech, ich bin tief erschüt-
tert von den Argumenten, die Sie hier geliefert haben.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Meine Partei ist vor
elf Jahren nicht auf die Straße gegangen, um dafür zu de-
monstrieren, dass man in Ruanda militärisch interve-
niert, um einen Völkermord zu verhindern.
Ich schäme mich dafür noch heute! Gott sei Dank haben
sich meine Partei und meine Fraktion von dieser funda-
mentalistischen Haltung abgewandt,
aber ohne den Pazifismus als Prinzip unserer Außenpoli-
tik über Bord zu werfen. Ich finde, davon können Sie ler-
nen!
Ich möchte Ihnen einen ersten Grund nennen, warum
man das Mandat unterstützen sollte. Ich lade Sie alle ein,
mit mir den Film „Hotel Ruanda“ anzusehen.
Darin wird nämlich sehr deutlich, was es bedeutet, wenn
die Blauhelme kein robustes Mandat haben:
Dann können sie die Gefangenen, die Flüchtlinge, die
Männer und die Frauen nicht schützen.
Denken Sie doch nur an Ihre Freunde aus der Zeit der in-
ternationalen Solidarität,
etwa Thabo Mbeki, den Vorsitzenden des ANC. Sie ha-
ben diese Organisationen damals unterstützt, als sie den
militärischen Kampf geführt haben.
Damals haben weder Sie noch ich danach gefragt, ob die
Probleme dadurch eskalieren. Sie müssen in Ihrer Argu-
mentation schon stringent sein!
Joaquim Chissano, der Vorsitzende der Frelimo, einer
Partei, die den Befreiungskampf geführt hat, sagt uns
heute: Wir brauchen die Unterstützung der Europäer.
Was sagen Sie denn Chissano oder dem von Ihnen im-
mer sehr geachteten Linken Dr. Salim Achmed Salim,
der OAE-Generalsekretär war? Sie sind es doch, die uns
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Dass ich feige wäre, muss ich mir von Ihnen nicht vor-
erfen lassen!
ch weiß nämlich, was es bedeutet, in dieser Frage eine
anz klare Meinung zu haben: In den 80er-, 90er-Jahren
aben nämlich Freunde in meiner Partei Ausschlussan-
räge gegen mich gestellt: weil ich immer für eine huma-
itär begründete militärische Intervention war. Da war
ch alles andere als feige; das kann ich Ihnen sagen!
Ich will noch einen zweiten Grund nennen: In diesem
onflikt stehen auf der einen Seite die Regierung in
hartoum – eine ganz elitäre politische Klasse, die nur
as Interesse hat, das Land für sich, für die eigene Ta-
che auszuplündern –, die Reitermilizen und die Rebel-
enorganisationen – die auch immer mehr zu Tätern wer-
en – und auf der anderen Seite das Volk: Frauen,
änner, Kinder, die vertrieben werden, die ermordet
erden, die vergewaltigt werden. Dann frage ich Sie:
uf wessen Seite stehen Sie denn als Linke?
ls Linker steht man doch auf Seite der Opfer und nicht
uf der Seite der Täter! Doch auf der Seite der Täter
teht man, wenn man sich raushält. Durch Wegschauen
acht man sich schuldig!
Der dritte Grund, weshalb es gut ist, diesen Antrag zu
nterstützen: Es ist die Afrikanische Union – der Kol-
ege Ströbele ist sehr ausführlich darauf eingegangen –,
ie eigene Verantwortung übernehmen will. Sie versucht
ies seit zehn Jahren, nachdem Gott sei Dank das OAE-
rinzip der Nichtintervention über Bord geworfen wor-
en ist und die Afrikaner sich selber eine neue Friedens-
nd Sicherheitsarchitektur gegeben und damit eine völ-
errechtliche Grundlage für solche Interventionen ge-
chaffen haben. Diese AU bittet uns, sie zu unterstützen.
ie aber stellen sich hier hin und sagen: Nein, nicht mit
ns. – So geht das nicht.
600 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Uschi Eid
Frau Präsidentin, dies ist meine erste Rede in dieser
Legislaturperiode, aber zugleich meine letzte Rede in
diesem Jahr. Ich wünsche Ihnen allen schöne Feiertage,
in die wir gehen können, nachdem wir diesen Antrag un-
terstützt haben.
Wir sind noch nicht am Ende dieser Debatte. Das
Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Heike
Hänsel von der Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
Liebe Uschi Eid, ich komme aus der Friedensbewe-
gung in Baden-Württemberg. In den letzten 20 Jahren
war ich sehr viel auf der Straße. Die Grünen habe ich in
Jugoslawien nie erlebt. Ich habe nicht erlebt, dass die
Grünen im Vorfeld der Ereignisse in Ruanda Aktionen
entwickelt haben. Wir haben Entwürfe für eine alterna-
tive Politik entwickelt. Wir haben vorgeschlagen, alter-
native Medien zu unterstützen. Ich habe die Grünen nir-
gends gesehen, auch Sie nicht, liebe Uschi Eid. Ich habe
die Grünen in Belgrad nicht gesehen, als Kriegsgegner
die Grünen gefragt haben, wo sie bei der Unterstützung
gegen Milosevic sind.
Sie haben keine friedenspolitische Praxis entwickelt.
Das Militär ist für Sie Ersatz. Deswegen sind Sie in dieser
Form gegen neue Ansätze, wie wir sie hier einbringen.
Wir haben eine politische Praxis, weil wir uns über Kon-
flikte vor Ort informieren. Wer von Ihnen war im Sudan?
Wer von Ihnen weiß, was die Menschen dort brauchen?
Wir müssen uns über Konflikte konkret kundig machen
und dürfen andere nicht propagandistisch und emotional
in die Ecke stellen. Das erwarte ich von Ihnen.
Wir müssen über das Parlament hinaus aktiv werden
und uns konkret anschauen, was Militär vor Ort bedeu-
tet. Sie betreiben hier reine Demagogie.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Anke Eymer, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte von
dieser Stelle aus Uschi Eid sehr herzlich zu ihren Worten
gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen,
ass im Sudan ein brutaler Bürgerkrieg herrscht. Mili-
en töten und marodieren. Millionen sind auf der Flucht
n andere Regionen und in das Nachbarland Tschad. Wir
issen, wie schrecklich die Auswirkungen sind. Der Mi-
ister hat detailliert von der humanitären Katastrophe
esprochen.
Es besteht weiterhin die Gefahr der Destabilisierung
owohl des Sudans als auch der Region insgesamt. In ei-
er Zeit des internationalen Terrorismus muss die Staa-
engemeinschaft alles unternehmen, um dies zu verhin-
ern. Ein Land wie der Sudan darf nicht zu einem
nkontrollierbaren Rückzugsbecken für verschiedene
erroristische Gruppen werden. Ein internationales Ein-
reifen zum Schutze der bedrohten Bevölkerung auf der
rundlage der UN-Resolution 1556 aus dem vergange-
en Jahr war und ist unerlässlich.
Ich bin Uschi Eid sehr dankbar dafür, dass sie die
olle der Afrikanischen Union hier noch einmal deut-
ich herausgestellt hat. Die Afrikanische Union hat sich
n dieser Frage entscheidend engagiert. Wir sprechen
eute über die Verlängerung unserer Unterstützung der
MIS-Mission und stimmen darüber ab. Ziel der AMIS-
ission der Afrikanischen Union ist es, die Einhaltung
ines Waffenstillstands zwischen den Konfliktparteien
urch eine erhöhte Präsenz von Beobachtern zu überwa-
hen. Sie trägt zur Stabilisierung der Lage bei und er-
öglicht humanitäre Hilfeleistungen sowie den Schutz
nmittelbar betroffener Bevölkerungsteile.
Die AMIS-Mission der AU war und ist dabei unver-
ichtbar auf die Unterstützung der Vereinten Nationen
nd der EU angewiesen. Deutschland hat seine Unter-
tützung als Ausdruck seiner internationalen Solidarität
nd humanitären Verpflichtung zugesagt. Die internatio-
alen Bemühungen haben partiell zu mehr Sicherheit für
ie Bevölkerung und auch zu einer Verbesserung der hu-
anitären Hilfe geführt. Angesichts der herrschenden
ewalt ist dies alles aber nur Stückwerk.
Die im Jahr 2004 in diesem Haus getroffene Entschei-
ung, den Einsatz der Afrikanischen Union zur Lösung
es Konflikts durch den Einsatz der Bundeswehr zu un-
erstützen, war richtig. Es ist eine logische Konsequenz
nd eine humanitäre Unumgänglichkeit, in dem begon-
enen Bemühen nicht nachzulassen. Das heißt: Zur Ver-
ängerung der Unterstützung von AMIS durch die Bun-
eswehr kann und darf es keine Alternative geben.
Der vorliegende Antrag der Bundesregierung verdient
aher eine breite Zustimmung, damit eine Verlängerung
es Einsatzes der Bundeswehr ermöglicht werden kann.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 601
)
)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung auf Drucksache 16/100 zur Fortset-
zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte
zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der
Afrikanischen Union in Darfur im Sudan. Dazu liegt
eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Kol-
legen Jürgen Koppelin1) vor. Der Ausschuss empfiehlt
auf Drucksache 16/268, den Antrag anzunehmen. Es ist
namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Wie mir gerade ge-
sagt wurde, fehlt links oben von meiner Seite aus noch
ein Schriftführer der FDP-Fraktion. Ich bitte, auch die-
sen Platz einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf kurz um
Ihre Aufmerksamkeit bitten. Die Stimmkarten des Kol-
legen Dr. Ramsauer sind seinem Fach entnommen wor-
den, aber von jemandem, dem sie wohl nicht gehören,
also nicht vom Kollegen Ramsauer.
Weiß jemand, wo sie sein könnten? Wir kümmern uns
sofort um Ersatz und werden kurzfristig klären, wie wir
das mit der laufenden Abstimmung regeln. Einen klei-
nen Moment.
Jetzt hat auch der Kollege Ramsauer seine Karte ab-
gegeben. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend,
das seine Stimme nicht abgeben hat? – Offensichtlich ist
das nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)
Wir können die Beratungen nun fortsetzen. Bevor wir
dies tun, bitte ich sehr herzlich darum, dass diejenigen,
die den weiteren Beratungen folgen wollen, Platz neh-
men und die anderen ihre Gespräche außerhalb des Ple-
narsaals führen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b so-
wie die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf:
19 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Siebter Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik in den auswärtigen
Beziehungen und in anderen Politikbereichen
– Drucksache 15/5800 –
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1) Siehe Stenografischer Bericht 10. Sitzung, Anlage 3
2) Ergebnis Seite 603
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll Nr. 14 vom 13. Mai 2004 zur Konven-
tion zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten über die Änderung des Kon-
trollsystems der Konvention
– Drucksache 16/42 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
P 10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflich-
tung
– Drucksache 16/197 –
P 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Burkhardt Müller-Sönksen, Florian Toncar,
Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
– Drucksache 16/225 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
P 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für die mandatsgebundene Begleitung VN-
mandatierter Friedensmissionen durch Men-
schenrechtsbeobachter
– Drucksache 16/226 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer von der
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der siebte
602 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Christoph Strässer
Menschenrechtsbericht der Bundesregierung bescheinigt
dem Iran nur wenige Fortschritte im Bereich der Men-
schenrechte in den letzten Jahren. Dennoch bestand in
den letzten Jahren die Hoffnung, dass reformorientierte
Kräfte im Iran mehr erreichen könnten. Diese Hoffnung
ist seit der Entwicklung der letzten Woche verflogen. In
diesen Tagen erreichen uns fast täglich neue erschre-
ckende Nachrichten aus dem Land.
Nachdem der ehemalige Präsident Chatami men-
schenrechtsrelevante Reformen – wenn auch mit kleinen
Schritten – auf den Weg gebracht hat und in seiner Ära
die Zivilgesellschaft gestärkt wurde, wurde weltweit die
Wahl von Ahmadinedschad zum neuen Präsidenten des
Iran sehr kritisch beobachtet. Heute wissen wir: Unsere
schlimmsten Befürchtungen werden noch übertroffen.
Der Aufruf des iranischen Präsidenten zur „Auslö-
schung“ der staatlichen Existenz Israels und zur Leug-
nung des Holocaust ist nicht nur inakzeptabel, sondern
er ist unfassbar und schockierend.
Diese Äußerungen lassen jeden zivilisierten Anstand
vermissen. Sie verletzen in ihrer Substanz jegliches Wer-
tegefühl der Völkergemeinschaft und rufen nicht nur im
Westen, sondern bis weit in die arabische Welt hinein zu
Recht tiefe Empörung hervor. Deshalb ist es zwar eine
Selbstverständlichkeit, die aber an diesem Tag und von
dieser Stelle aus gegebenem Anlass unmissverständlich
wiederholt werden muss: Das Recht Israels auf seine
staatliche Existenz, auf ein Leben in international aner-
kannten Grenzen, frei von Angst, Terror und Gewalt
– ich füge hinzu: das gilt auch für das Selbstbestim-
mungsrecht des palästinensischen Volkes –, aber auch
die historische Wahrheit des Holocaust als organisierter
Völkermord und die daraus resultierende Verantwortung
waren, sind und bleiben konstitutive Bestandteile deut-
scher Politik nach innen und außen, gerade auch im Be-
reich der Menschenrechtspolitik.
Den Äußerungen des iranischen Präsidenten kann ich
nur eines entgegenhalten: Das ist eine Verhöhnung von
mindestens sechs Millionen Opfern der Schoah. Wir
Deutschen stehen national wie auch international zu die-
ser Verantwortung und wir sollten die Bundesregierung
bitten, dies auch vor den zuständigen Gremien der Ver-
einten Nationen zur Sprache zu bringen. Ich halte das für
notwendig.
Der siebte Menschenrechtsbericht der Bundesregie-
rung ist nach unserer Auffassung ein hervorragendes
Kompendium sowohl in den großen Leitlinien als auch
in den Einzelheiten und der institutionellen Absicherung
deutscher Menschenrechtspolitik der letzten Jahre. Ich
danke allen, die an der Erstellung mitgewirkt haben –
insbesondere unserer Vorgängerregierung; Sie haben si-
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Wir begrüßen auch – aus gutem Grund –, dass die
enschenrechtspolitik in unserem Land Schritt für
chritt stärker institutionell verankert worden ist. Wir
egrüßen außerordentlich und bewerten sehr positiv die
rbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der
enschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt und
m Bundesministerium der Justiz wie auch die institutio-
elle Verankerung im Forum Menschenrechte in dem
ialog mit den NGOs, die bei der Umsetzung der Men-
chenrechtspolitik weltweit unverzichtbar sind.
Ich füge hinzu: Wir sind auch sehr dankbar dafür,
ass die Bundesregierung dem Auftrag des Parlaments
achgekommen ist und einen nationalen Aktionsplan
ur Umsetzung der Menschenrechtspolitik als integralen
estandteil in den Bericht aufgenommen und als Hand-
ungslinie für die Politik und damit auch für uns vorge-
eben hat.
Ich möchte noch zu einigen Punkten in materieller
insicht Stellung nehmen, die im siebten Menschen-
echtsbericht der Bundesregierung eine gewisse Rolle
pielen. Ich möchte mit einem Punkt beginnen, der sehr
eutlich macht, wie sich die Bundesregierung und die in-
ernationale Politik, die von uns betrieben wird, zur
odesstrafe verhalten. Wir haben durch die gerade statt-
efundenen Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten
ieder erlebt, dass auch in Ländern der westlichen He-
isphäre das Thema Todesstrafe noch zu diskutieren ist.
ir erinnern an dieser Stelle die Regierung der Vereinig-
en Staaten an ihre internationalen Verpflichtungen aus
en entsprechenden VN-Konventionen. Wir erwarten,
ass hier Klartext gesprochen wird. Die Todesstrafe ist
nmenschlich und darf kein Mittel der Repression in ei-
er staatlichen Gemeinschaft sein.
m Jahr 2004 wurden 3 800 Todesurteile in 25 Staaten
ollstreckt. lch erwähne dabei ausdrücklich, dass davon
ach unseren Kenntnissen 3 400 allein in China vollzo-
en wurden. Die klare Botschaft lautet deshalb: Dies
uss ständig ein Thema aller Gespräche sein, die wir
it unseren internationalen Partnern führen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 603
)
)
Christoph Strässer
abzuschieben, die in Deutschland geboren und aufge-
Land ihrer Eltern nie gesehen haben und deren Sprache
nicht oder nur kaum sprechen, die sich hier bei uns inte-
griert haben? Welchen Sinn macht es, Menschen, die
hier seit langem leben, arbeiten und Steuern und Sozial-
abgaben zahlen, plötzlich die Arbeitserlaubnis zu ver-
weigern und sie damit in die Abhängigkeit von staatli-
chen Transferleistungen zu bringen, die wir doch – zu
Recht – reduzieren wollen? Die Innenministerkonferenz
hat sich gerade wieder einmal mit diesem Thema ohne
Ergebnis befasst. Wir werden einfordern, dass dieses
Thema auf der Tagesordnung bleibt und dass eine ent-
sprechende Regelung kommt. Es geht um „nur“
200 000 Menschen.
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 542;
davon
ja: 487
nein: 39
enthalten: 16
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
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erbert Frankenhauser
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r. Jürgen Gehb
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r. Reinhard Göhner
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r. Wolfgang Götzer
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Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
wachsen sind, deren Muttersprache Deutsch ist, die das Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Meinung, jedenfalls was
en Punkt ansprechen, der
hwerpunkt der Innenpoli-
cht der Bundesregierung
tik festgelegt. Wir haben
derem festgehalten, dass
as wir, die alte Koalition,
endungspraxis überprüft
esondere um eine befrie-
er so genannten Ketten-
nünftige Altfallregelung
richt, wird einem schon
dringend geboten,
neten der SPD)
z die Erwartungen hier
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sunami und die Erdbeben in P
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enz bangen. Ich möchte desha
anken, die im Auftrag der in
einschaft, von Regierungsorg
ierungsorganisationen, in den
esetzt sind, insbesondere den
er Bundeswehr – ich betone da
ie wir gerade geführt haben; i
icht dafür entschuldigen, das
esehen habe, was dort passie
enschenrechte in der ganzen
che ihnen allen ein friedliches
henfreies Jahr sowie der Me
ute Zukunft.
Herzlichen Dank.
604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Stephan Mayer
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
Stefan Müller
Bernward Müller
Bernd Neumann
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Dr. Joachim Pfeiffer
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r. Michael Bürsch
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r. Peter Danckert
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r. Carl-Christian Dressel
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olfgang Gunkel
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r. Barbara Hendricks
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sollten die heutige Parlamentsdebatte über
den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung dazu
nutzen, eine Standortbestimmung der deutschen
Menschenrechtspolitik vorzunehmen, und zwar sowohl
im Hinblick auf die Situation in anderen Staaten als auch
im Hinblick auf die Menschenrechtssituation hier bei
uns in Deutschland. Im Hinblick auf die anderen Staaten
wird es nicht immer streitig sein, ob die Menschen-
rechtssituation in dem jeweiligen Land für uns befriedi-
gend ist. Das sehen wir oft ähnlich. Viel eher erwarte ich
Diskussionen mit der neuen Bundesregierung darüber,
ob die Bundesregierung dem Thema Menschenrechte in
Konkurrenz zu anderen wichtigen außen- oder wirt-
schaftspolitischen Interessen oder Zielen ein angemesse-
nes Gewicht beimisst.
Ich habe eine angemessene Gewichtung der Men-
schenrechte beim Auftreten anderen Ländern gegenüber
in der Vergangenheit nicht selten vermisst. Ganz gleich,
ob es um die massiven Menschenrechtsverletzungen in
China oder um den schrittweisen Abbau des Rechtsstaa-
tes in Russland ging – in beiden Fragen hat der ehema-
lige Bundeskanzler die allen bekannten sehr eigenen Ak-
zente gesetzt. Der ehemalige Bundesaußenminister hat
sich ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in
Menschenrechtsfragen schrittweise zu einem Leisetreter
entwickelt. Leider.
Auf die Kritik an einer oft allzu kumpeligen, Schat-
tenseiten ausblendenden Russland- oder Chinapolitik
wurde oft entgegnet, denjenigen, die das vortrügen, gehe
es in Wahrheit doch nur darum, die Partnerschaft zu die-
sen Ländern zu diskreditieren. Das wurde zum Teil auch
gestern wieder angedeutet. Dazu kann ich nur eines sa-
gen: Es ist doch das russische Volk, das darunter leidet,
dass Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt, dass
Demokratie und Rechtsstaat beschnitten werden. Von
Tschetschenien reden wir gar nicht erst.
Wir akzeptieren auch nicht, dass in China Dissidenten
unterdrückt werden, dass in Gefängnissen gefoltert wird,
dass Minderheiten ihre kulturelle Identität preisgeben
sollen oder dass gegenüber Taiwan mit dem Säbel geras-
selt wird. All das ist es doch, was die Menschen bewegt
und worunter die Menschen in diesen Ländern am meis-
ten leiden. Wir verstehen Freundschaft zu diesen Län-
dern auch und gerade als Freundschaft zu den Menschen
und nicht zu einer bestimmten Staatsführung.
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ch denke, dass es unzweifelhaft ist, dass der Zwang,
ber mehrere Stunden oder vielleicht sogar Tage stehen
u bleiben, oder gar die Praxis, diese Menschen durch
ie Simulation von Ertrinken in Todesangst zu verset-
en,
enschenunwürdig ist und von uns nicht akzeptiert wer-
en kann.
eshalb muss man den USA mit aller Klarheit sagen:
er im Kampf für die Freiheit und die offene Gesell-
chaft Menschenrechte selbst massiv verletzt, der sägt an
em Ast, auf dem er selber sitzt. Das müssen die Ameri-
aner begreifen.
Letztendlich geht es bei aller Repression gegen die
erroristen, die schreckliche Verbrecher sind, um eine
ndere Frage. Der Terrorismus ist wesentlich durch die
useinandersetzung in vielen islamischen Staaten ge-
rägt. Es geht um die Frage, ob wir einen Gottesstaat
der eine islamische offene Gesellschaft, eine demokra-
ische Gesellschaft wollen. Wenn wir unser eigenes Ge-
ellschaftsmodell diskreditieren, indem wir unsere eige-
en Werte selbst nicht vorleben, dann schwächen wir
och die Menschen in den islamischen Ländern, die wir
igentlich als Unterstützer brauchen, damit sich auch in
iesen Ländern Menschenrechte und Demokratie durch-
etzen können.
as ist der Grund, warum Menschenrechtsverletzungen
m Kampf gegen den Terror nicht allein illegitim, son-
ern auch schlicht und ergreifend dumm sind.
Wenn sich bewahrheiten sollte, dass deutsche BKA-
eamte an Verhören in Syrien oder anderswo teilge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 607
)
)
Florian Toncar
nommen haben, und zwar in Gefängnissen, in denen be-
kanntermaßen regelmäßig gefoltert worden ist,
dann stellen sich auch an das Innenministerium weitere
drängende Fragen. Die werden Ihnen nicht erspart blei-
ben.
Auch die überzogenen Sicherheitsgesetze, die in
Deutschland in den letzten Jahren verabschiedet wurden
– der neue Bundesinnenminister will Berichten zufolge
auf diesem Gebiet fleißig weitermachen –, werden wir
kritisch bewerten. Wo Bürger unter Generalverdacht ge-
stellt werden – das geschieht auch hier in Deutschland –,
wo die Beweislast plötzlich beim Bürger liegt, da wird
das Menschenbild unserer Verfassung ins Gegenteil ver-
kehrt. Die FDP hält diese Tendenz für ausgesprochen ge-
fährlich.
Wir wünschen uns auch in Deutschland wirksame
Präventionsinstrumente gegen Menschenrechtsverlet-
zungen. Ein Antrag, der Ihnen vorliegt, enthält den Vor-
schlag, zu UN-mandatierten Militäreinsätzen Menschen-
rechtsbeobachter zu schicken. Darüber hinaus sprechen
wir uns auch dafür aus, dass Deutschland das Zusatzpro-
tokoll zur Folterkonvention zügig unterzeichnet. Dieses
Protokoll enthält wichtige Präventionsinstrumente zur
Verhinderung von unmenschlichen Behandlungen.
Der Prototyp eines fundamentalistischen Gottesstaa-
tes hat im Übrigen jüngst mehrfach sein wahres Gesicht
gezeigt; ich meine den Iran. Was dort abläuft, sind nicht
verquere Fehltritte eines unerfahrenen Provinzpolitikers,
sondern mehrfach vorgetragene, gezielte, wiederholte,
unerträgliche und geradezu widerliche Attacken, die wir
strikt zurückweisen.
Wer so redet, der stellt sich selbst weit fernab der Grund-
sätze der Vereinten Nationen und der friedlichen Völker-
gemeinschaft. Ich freue mich, dass wir als Bundestag
heute eine entsprechende Resolution verabschieden kön-
nen.
Die FDP wünscht sich eine Bundesregierung, die die
deutsche Menschenrechtspolitik aufwertet, die begreift,
dass der Einsatz für Menschenrechte mehr ist als nur
eine Notwendigkeit. Der Einsatz für Menschenrechte ist
gerade nach den deutschen Erfahrungen vom letzten
Jahrhundert schlicht und ergreifend unsere Pflicht.
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede in diesem
Hause.
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Wenn dieser Präsident tatsächlich glaubt – ich glaube
hm wiederum nicht, dass er das wirklich glaubt –, dass
er Holocaust ein Märchen sei, empfehle ich ihm einen
608 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Erika Steinbach
Besuch in Auschwitz; dann wird er wohl eines Besseren
belehrt werden.
Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Paul
Spiegel, hat völlig Recht mit seiner Feststellung, dass die
Äußerungen des iranischen Präsidenten ungeheuerlich,
widerwärtig und abscheulich sind.
In einem aber muss ich Paul Spiegel wirklich widerspre-
chen: Das jüdische Volk wird nicht allein gelassen, wie
er meint. Die Bundesrepublik Deutschland, alle ihre Re-
gierungen und der Deutsche Bundestag standen und ste-
hen an der Seite Israels und seiner Menschen. Das ist
kein Lippenbekenntnis, sondern das ist Gott sei Dank
tagtäglich gelebte Politik und das wird so bleiben.
Der interfraktionelle Antrag zum Existenzrecht des Staa-
tes Israels, der heute mit auf der Tagesordnung steht, be-
legt diesen Willen ganz nachdrücklich.
Einsteins Mahnung, nicht zu erlahmen im Kampf um
Menschenrechte, gilt auch gegenüber dem Terrorismus.
Terrorismus ist menschenrechtsfeindlich. Unschuldige
Bürger sind täglich die Zielscheibe von Mördern. Die
Terroranschläge des Jahres 2005 in London, in Bali, in
Jordanien, im Irak und in Israel – nur beispielhaft – ha-
ben erneut auf grausamste Weise das teuflische Gesicht
des Terrorismus gezeigt.
Wir dürfen auch nicht erlahmen in unserem Engage-
ment für die universelle Ächtung und Abschaffung der
Todesstrafe und in unserem Eintreten gegen Folter. Ob-
wohl 140 Staaten das Antifolterabkommen der Vereinten
Nationen ratifiziert haben oder diesem auch beigetreten
sind, sind Misshandlungen und Folterungen in vielen
Ländern heute immer noch an der Tagesordnung. Das
Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe gilt absolut; es
gilt ohne Ausnahme. Ich begrüße, dass sich der amerika-
nische Kongress und das Weiße Haus gestern endlich auf
ein Antifoltergesetz geeinigt haben. Das ist ein guter
Schritt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen des Wei-
teren auch nicht erlahmen im Kampf gegen Fluchtursa-
chen und Vertreibung. Nach Schätzungen des Flücht-
lingskommissars der Vereinten Nationen betrug die Zahl
aller Flüchtlinge und Menschen in flüchtlingsähnlichen
Situationen im letzten Jahr 44 Millionen, 10 Prozent
mehr noch als im Jahr davor. Das sind 44 Millionen
menschliche Schicksale und menschliche Tragödien. Es
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Wir dürfen auch nicht erlahmen in unserem Einsatz
ür die Prävention, um Menschenrechtsverletzungen zu
erhindern. Die Verhinderung von Menschenrechtsver-
etzungen ist ein zentrales Anliegen unserer Menschen-
echtspolitik. Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, die
ewähr, dass Menschenrechtsverletzungen nicht straflos
leiben, sondern geahndet werden, sowie Menschen-
echtsbildung sind für eine wirkungsvolle Prävention
esentlich.
Unverzichtbar für ein weltweites Menschenrechtsbe-
usstsein sind aber Sanktionen. Es gibt zu wenig Sank-
ionen. Wenn es sie gibt, kommen sie häufig genug zu
pät. Es darf sich niemals lohnen, Menschen zu quälen,
u foltern, zu morden oder zu vertreiben. Das geht häu-
ig nur mit Sanktionen.
olange es keine ausreichenden international abgesi-
herten Strafen gibt, ist in vielen Staaten der Welt die
erlockung groß, sich über Menschenrechte einfach hin-
egzusetzen; das ist für manche Staaten sehr bequem.
eutsche Politik kann und muss in ihrem Handeln dazu
eitragen, dass das Bewusstsein dafür international deut-
ich geschärft wird.
Auch das will ich hinzufügen: In den vergangenen
ahren wurden aus meiner Sicht zu oft in bilateralen
esprächen Menschenrechtsprobleme aus wirtschaftli-
hen Erwägungen – da kann ich dem Kollegen von der
DP nur zustimmen – einfach ausgeklammert. Russland
nd China sind Beispiele dafür. Das muss sich ändern.
an muss auch in befreundeten Ländern und in Län-
ern, mit denen man Wirtschaftsabkommen trifft, deut-
ich auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen.
Unser Ziel ist es, für eine Kultur der Menschen-
echte weltweit zu werben und die Herzen dafür zu öff-
en. Dazu braucht es ein glühendes Engagement für
enschenrechte, damit die Welt sich endlich bessert.
Ein friedvolles Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Michael Leutert von
er Fraktion Die Linke.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 609
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über den vorliegenden Bericht ist meines
Erachtens nicht von den aktuellen Ereignissen zu tren-
nen. Ein Ex-Außenminister, der sich gerade sehr zurück-
gezogen hat, hinterließ folgendes schöne Zitat:
Menschenrechte sind kein Luxusgut, kein Orchi-
deenthema, das in den Hintergrund rücken kann,
wenn die Stunde der Sicherheitspolitik wieder
schlägt. Das Gegenteil ist wahr: Die Förderung von
Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit ist auf Dauer die verlässlichste Grundlage für
Stabilität und Frieden. … Es wäre ein fataler Rück-
schlag, wenn die Terroristen uns dazu bringen wür-
den, unsere eigenen Werte in Frage zu stellen. Un-
ter keinen Umständen darf es zu einer Aushebelung
von menschenrechtlichen Grundnormen unter dem
Deckmantel von Terrorismusbekämpfung kommen.
– Da kann man ruhig applaudieren; es war immerhin der
ehemalige Außenminister Joschka Fischer, der das vor
der UN-Menschenrechtskommission gesagt hat, wie im
vorliegenden Bericht nachzulesen.
Aber kann mir vielleicht irgendjemand erklären, wie
dies mit den Vorkommnissen und bisherigen Erkenntnis-
sen im Zusammenhang mit den CIA-Gefangenentrans-
porten und Entführungen deutscher Staatsbürger
durch amerikanische Geheimdienste zusammengeht?
Immerhin hat Herr Fischer zu jener Zeit eine hohe Ver-
antwortung getragen.
Minister Schäuble hat diese Woche hier im Plenum
gesagt, dass Mitarbeiter deutscher Behörden Gefangene
in Guantánamo und Syrien vernommen haben. Das
heißt, wir arbeiten mit ausländischen Geheimdiensten
zusammen, die die elementaren Menschenrechte mit Fü-
ßen treten. Das muss man sich einmal vorstellen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Genau das untergräbt letzt-
endlich unsere Glaubwürdigkeit und leistet denjenigen
Vorschub, die eigentlich bekämpft werden sollen. Ich
finde das unglaublich; das ist unter gar keinen Umstän-
den hinnehmbar.
Der jetzige Außenminister, Herr Steinmeier, betonte
ebenfalls hier im Plenum gebetsmühlenartig, dass es
zwecks Terrorabwehr notwendig sei, dass Geheim-
dienste zusammenarbeiten. Wer dies nicht einsehen
würde, sei unverantwortlich. Die Gegenfrage lautet: Ist
es denn verantwortlich, mit Diensten zusammenzuarbei-
ten, die Lizenzen zum Foltern ausstellen? Ist es verant-
wortlich, mit Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, die
Staatsbürger anderer Länder entführen? Ich denke, nein.
Und wie verhält sich dies alles nun zu folgender Aus-
sage aus dem Bericht – ich zitiere –:
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Ich glaube, wir müssen unseren amerikanischen
Freunden deutlich sagen, dass der Kampf gegen den Ter-
ror nicht gewonnen werden kann, wenn wir beim Kampf
gegen den Terror nicht Rechtsstaatlichkeit und Men-
schenrechtsschutz zu seiner Grundlage machen.
Wir zerstören die Glaubwürdigkeit und wir bestätigen
die Vorurteile in dem kulturellen Raum, aus dem sich die
Terroristen zum großen Teil rekrutieren.
Deshalb appelliere ich an die amerikanische Regie-
rung: Lassen Sie davon ab! Machen Sie Schluss mit
Guantanamo! Stellen Sie bedingungslos ab, dass ameri-
kanische Behörden direkt oder indirekt Folter zu verant-
worten haben! Nur so können wir die Menschen über-
zeugen, dass Terrorismus der falsche Weg ist und
Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie
unser gemeinsames Anliegen sein müssen.
Bei Menschenrechtsverletzungen darf man nicht weg-
schauen. Man muss handeln. Das gilt im Sudan; das gilt
bei CIA-Gefängnissen. Da darf man nicht mit unter-
schiedlichen Maßen messen; damit muss man sich aus-
einander setzen.
Ich will aber eines ganz klar sagen: Bei einer Koope-
ration im Bereich der Sicherheitspolitik zur Vermeidung
von Anschlägen in unserem Land oder anderswo kom-
men wir selbstverständlich auch nicht um eine Koopera-
tion mit Sicherheitsdiensten, Geheimdiensten oder der
Polizei aus Ländern herum, die sich bislang nicht an un-
sere Standards halten. Entscheidend ist natürlich, dass
wir, wenn wir Informationen bekommen, sie zur Vermei-
dung eines Anschlags nutzen müssen. Kein Mensch
würde es verstehen, wenn wir das anders machten.
Aber wir müssen eine klare Linie ziehen. Wir dürfen
nicht durch unser Verhalten den Eindruck erwecken, wir
würden bei Folter und Verschleppung wegschauen und
indirekt von deren Früchten profitieren wollen. Deshalb
ist es falsch, wenn deutsche Polizisten in Gefängnissen
Menschen vernehmen oder anhören, von denen sie wis-
sen, dass in ihnen gefoltert wird. Im Fall Zammar ist
eine rote Linie überschritten worden. Das muss abge-
stellt werden.
Wir müssen im Bundestag noch eine intensive De-
batte darüber führen, wo im Sicherheitsbereich die Gren-
zen der Kooperation mit solch problematischen Staaten
sind. Diese Debatte kann nicht naiv geführt werden. Es
muss aber eine klare ethische Grundorientierung in die-
sem Bereich geben. Ansonsten verlieren wir unsere
Glaubwürdigkeit als menschenrechtsorientiertes Land.
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Zur Glaubwürdigkeit gehört selbstverständlich auch,
ass wir das Zusatzprotokoll zum UN-Antifolterab-
ommen unterzeichnen. Hier kann ich nur an Sie appel-
ieren.
Nein, bislang scheiterte das am Widerstand einiger
nionsgeführter Bundesländer. Ich sage gar nicht, dass
s an der Unionsfraktion liegt. Aber sorgen Sie dafür,
ass diese Landesregierungen ihren Widerstand aufge-
en, damit wir als Bundesrepublik Deutschland in die-
em Bereich glaubwürdig sind; denn glaubwürdige Men-
chenrechtspolitik beginnt, wie bereits gesagt, immer
or der eigenen Haustür.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir Ihren Koali-
ionsvertrag zum Thema Menschenrechte anschaue, ma-
he ich mir ein bisschen Sorgen, ob es wirklich eine
ontinuität – von der vergangenen Wahlperiode in die
ukunft – in der Menschenrechtspolitik gibt.
enn mir fällt auf, was benannt wird und was fehlt. In
en lateinamerikanischen Ländern will die Koalition
apfer gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen.
elarus wird immerhin noch angesprochen. China
ommt schon nur noch im Zusammenhang mit dem
echtsstaatsdialog vor.
as will uns diese so in der Koalitionsvereinbarung fest-
elegte Gewichtung sagen? Was bedeutet es, wenn Men-
chenrechte für die Koalition im Zusammenhang mit der
errorismusbekämpfung offenbar kein Thema sind?
ieses Problem taucht überhaupt nicht auf. Dabei sehen
ir in diesen Tagen, welch massives Problem das ist.
arum fehlen zumindest Absichtserklärungen, interna-
ionale Menschenrechtsabkommen wie die ILO-
onvention 169 zu unterzeichnen oder endlich die Vor-
ehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention zu-
ückzunehmen? Ich wünsche mir, dass wir hier gemein-
am weiterkommen und diese Leerstellen nicht auf
auer zu Lücken in der Menschenrechtspolitik Deutsch-
ands werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei-
en Problemfall ansprechen, der in einem Antrag abge-
andelt wird, und zwar zum Thema Usbekistan. Auch
ier geht es um eine glaubwürdige Menschenrechtspoli-
ik unserer Regierung. Das Massaker von Andischan ist
ns allen noch präsent ebenso wie die Verweigerung ei-
er unabhängigen Untersuchung zu diesen Vorfällen und
ie Schauprozesse gegen die Opfer. Ich denke, dass wir
lle dies verurteilen und uns dies zutiefst bestürzt hat.
612 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Volker Beck
Die EU hat im Zuge dieser Entwicklung Sanktionen
gegen Usbekistan verhängt; das ist richtig. Der deut-
schen Bundesregierung kommt angesichts des deutschen
Bundeswehrstützpunktes in Termes – wir sind die einzi-
gen, die dort einen Stützpunkt unterhalten – eine beson-
dere Verantwortung zu, die Menchenrechtslage in Usbe-
kistan nicht nur kritisch zu beobachten, sondern der
usbekischen Regierung gegenüber diese Probleme auch
mit Nachdruck anzusprechen und sich für eine unabhän-
gige Untersuchung zu den Vorfällen in Andischan einzu-
setzen.
Herr Kollege!
Deshalb reicht die von der Regierungsseite angekün-
digte „Belebung des Dialogs“ nicht aus. Vielmehr muss
mit deutlichen und offenen Worten thematisiert werden,
welche Probleme aus unserer Sicht bestehen. Der usbe-
kischen Seite muss klar gemacht werden, dass wir auf ei-
ner Verbesserung der Menschenrechtslage bestehen. An-
sonsten müssen wir Konsequenzen ziehen.
Vielen Dank.
Herr Kollege, würden Sie noch eine Zwischenfrage
gestatten?
– Die Wortmeldung erfolgte zum Ende seiner Redezeit;
die Frage war angemeldet. Ich wollte ihn nur nicht unter-
brechen.
Ja.
Herr Kollege Beck, ich teile voll, was Sie zum Thema
„Massaker in Andischan“ gesagt haben. Ich hätte aber
von Ihnen gerne noch einige Worte dazu gehört, was der
vorherige Außenminister in dieser Angelegenheit getan
hat. Das ist ja schon viele Monate her; Herr Fischer war
also noch viele Monate im Amt. Sicher können Sie uns
darüber aufklären, was er in dieser Sache unternommen
hat.
Erstens bin ich nicht der Pressesprecher des vorheri-
gen Außenministers. Zweitens hat der Außenminister in
diesen Fragen die Menschenrechtspolitik immer beson-
ders hervorgehoben. Lassen Sie uns die Debatte doch
nicht auf diesem parteipolitischen Niveau führen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 7. Menschen-
rechtsbericht gibt in detaillierter Weise Auskunft über
das Engagement der rot-grünen Bundesregierung in den
Jahren 2002 bis 2005. Die neue Bundesregierung wird
dieses Engagement fortsetzen; darauf können Sie sich
verlassen.
Im Koalitionsvertrag vom 11. November dieses Jah-
res heißt es dazu wörtlich – das will ich jetzt doch ein-
mal vorlesen; es wäre mir besonders angenehm, wenn
mir dabei der Kollege Beck sein Ohr leiht, weil er hier
eben Zweifel geäußert hat, ob es diese Kontinuität geben
wird –:
Menschenrechtspolitik ist ein wichtiger Bestandteil
unserer Friedens- und Sicherheitspolitik. Systemati-
sche Menschenrechtsverletzungen können auch
eine Bedrohung für den Frieden und die internatio-
nale Sicherheit sein. Menschenrechte sind unteilbar.
Unsere Außen- und Entwicklungspolitik wird nicht
schweigen, wenn Demokratie, Freiheit, Rechts-
staatlichkeit und Minderheitenrechte in Gefahr
sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen uns bei
dieser Verbindung von Menschenrechts- und Friedens-
politik in voller Übereinstimmung mit Kofi Annan, der
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ch möchte dabei ausdrücklich betonen – auch im Hin-
lick auf einige Tagesmeldungen von heute –, dass der
echsel von der Menschenrechtskommission zu einem
enschenrechtsrat auf keinen Fall ein Minus an Einwir-
ungsmöglichkeiten bringen darf; es muss zu einem
ehr kommen. Das ist auch wichtiger als die Einhaltung
on bestimmten Zeitvorgaben.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
ollegen, Gegenstand dieser Beratung ist auch ein ge-
einsamer Antrag aller Fraktionen des Deutschen Bun-
estages unter der Überschrift „Existenzrecht Israels ist
eutsche Verpflichtung“. Anlass dazu sind die wieder-
olten menschenrechtswidrigen und menschenverach-
enden Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten
hmadinedschad, die das Existenzrecht des Staates
srael infrage stellen, die den Holocaust in provozieren-
er Weise leugnen und damit das tragische Schicksal
on Millionen von Menschen regelrecht verhöhnen. Die
undesregierung verurteilt diese Äußerungen auf das
chärfste.
Für uns bleibt das bedingungslose Bekenntnis zum
xistenzrecht des Staates Israel einer der Grundpfeiler
er deutschen Außenpolitik. Die Bundesregierung be-
ennt sich vorbehaltlos zu dem Recht der Bürgerinnen
614 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Staatsminister Gernot Erler
und Bürger Israels, in sicheren Grenzen in Frieden mit
ihren Nachbarn und frei von Angst vor Terror und Ge-
walt zu leben.
Gemeinsam mit ihren europäischen Partnern ruft die
Bundesregierung Iran dazu auf, sich dem internationalen
Konsens im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Zwei-
staatenlösung des Nahostkonflikts anzuschließen, die
Bemühungen um Frieden zwischen Israel und seinen
Nachbarn zu unterstützen und seine Unterstützung von
Gruppierungen, die Gewalt ausüben oder dazu aufrufen,
umgehend zu beenden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Burkhardt Müller-
Sönksen, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Staatsminister Erler, ich darf Ihnen für Ih-
ren Bericht sehr herzlich danken und Ihnen für Ihren zu-
künftigen Einsatz für die Menschenrechte die Unterstüt-
zung der Oppositionsfraktion der FDP zusagen. Wir
werden Sie immer konstruktiv unterstützen, insbeson-
dere wenn es um Zielkonflikte mit anderen Ressorts,
beispielsweise mit dem Wirtschaftsministerium oder
dem Innenministerium, gehen sollte. Wir wünschen Ih-
nen von dieser Stelle alles Gute und hoffen auf eine gute
Zusammenarbeit.
An die Kollegen Beck und Leutert gerichtet möchte
ich feststellen, dass ich von Ihnen – wir Liberale denken:
zu Recht – zwar Bemerkungen über die Wertegemein-
samkeiten mit den Vereinigten Staaten und die aktuellen
Vorkommnisse gehört habe; auch wir prangern die dorti-
gen Vorgänge an. Aber interessant ist, was Sie in Ihren
Redebeiträgen nicht erwähnt haben: die derzeitigen
Menschenrechtsverletzungen in Russland. Das scheint
bereits ein kleiner Teil eines linken Schaulaufens zu
sein. Denn auch dieses Thema gehört in eine Rede, wenn
wir in diesem Hause über die Menschenrechte sprechen.
Gemeinsam tragen wir Abgeordnete nicht nur für un-
ser Land und unsere Mitbürger Verantwortung. Jedes
Mitglied dieses Hauses trägt auch Verantwortung für die
Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland und in
der ganzen Welt. Solange es für diesen Bereich keinen
eigenen Bundesminister gibt und sich kein eigenständi-
ges Ministerium zuständig fühlt, haben wir, das Parla-
ment, als erste Gewalt eine ganz besondere Verantwor-
tung. Mit dem Menschenrechtsausschuss haben wir ein
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Menschenrechte sind nicht verkäuflich. Sie sind un-
erkäuflich. Auch für politisch befreundete Länder darf
s keinen Rabatt geben. An jedes Land der Erde muss
in und derselbe Maßstab angelegt werden. Die letzte
undesregierung hat das im Umgang mit wichtigen Part-
ern leider nicht immer beherzigt. Von der neuen Bun-
esregierung werden wir das aus der Opposition heraus
it Nachdruck einfordern. Das gilt insbesondere für die
ichtigen Partnerländer Deutschlands auf dem Gebiet
er ehemaligen Sowjetunion. Ich schließe mich Ihrer
ritik an der Menschenrechtsverletzung der Vereinigten
taaten ausdrücklich an, werde dieses Thema aber nicht
och einmal aufgreifen.
Die heute Situation der Menschenrechte in Russland
st bedenklich. Als Stichpunkte nenne ich nur die mas-
ive Beschränkung bzw. Beeinträchtigung der Presse-
reiheit, die rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren
egen Oligarchen, die Beschneidung der Rechte der
arlamentarischen und der außerparlamentarischen Op-
osition und die dauernden schlimmen Menschenrechts-
erletzungen durch russische Sicherheitsorgane in
schetschenien. Hinzu kommt das nun drohende Gesetz
ur Beschränkung der Arbeitsmöglichkeiten von in- und
usländischen Nichtregierungsorganisationen.
Auch an dieser Stelle schließe ich mich im Namen der
iberalen den Ausführungen der Kollegen von der SPD
n: Als Parlamentarier sind wir auf die Nichtregierungs-
rganisationen, die Non-Governmental Organizations,
lementar angewiesen. Das bedeutet auch: Diese Organi-
ationen müssen mit unserem Schutz und mit unserer
ilfe weltweit völlig diskriminierungsfrei agieren kön-
en. Sie sind die Sensoren, mit denen wir hier im Hause
m Vorfeld arbeiten können. Deswegen müssen wir uns
m sie kümmern und sie besonders betreuen.
Ich denke, wir haben einen Antrag zu Usbekistan ein-
ebracht, der zustimmungsfähig ist. Dass der ehemalige
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 615
)
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Burkhardt Müller-Sönksen
Außenminister heute bei dieser Debatte nicht da ist und
dass er auch sonst nicht viel dazu beigetragen hat, dass
dieser Antrag überflüssig geworden ist, brauche ich
nicht weiter zu betonen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede in diesem
Haus. Wir gratulieren herzlich dazu und wünschen Ihnen
alles Gute!
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Leutert.
Herr Kollege Müller-Sönksen, ich möchte darauf hin-
weisen – Sie können es gern nachlesen –, dass ich in
meiner Rede ausdrücklich China und Russland genannt
habe, und zwar als ich gefragt habe: Wie wollen wir
ernsthaft und glaubwürdig auf internationaler Ebene ei-
nen Dialog über die Menschenrechte führen – explizit
mit China und Russland –, wenn wir uns selber an be-
stimmte Dinge nicht halten? Meine Fraktion ist der Auf-
fassung, die Menschenrechte sind universell und unteil-
bar. Sie müssen in jedem Land gelten: in Russland wie in
China, hier bei uns in Deutschland und genauso in den
USA.
Herr Müller-Sönksen, wollen Sie darauf reagieren? –
Nein.
Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Holger
Haibach, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Menschenrechtsdebatte ist ja traditionell eine,
in der eher überparteilich gesprochen wird. Ich bin ei-
gentlich auch froh, dass das so ist; aber ich erlaube mir,
weil es nun einmal so gekommen ist, wie es gekommen
ist, schon noch ein paar Worte zu dem, was der Kollege
Beck und der Kollege Leutert gesagt haben.
Herr Kollege Beck, ich bin immer wieder fasziniert,
mit welcher Geschwindigkeit sich die Grünen aus der
Regierungsverantwortung verabschiedet haben.
Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung trägt
das Datum 17. Juni 2005; da war, wenn ich es richtig
sehe, Herr Fischer noch Außenminister.
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Ich komme gleich darauf.
Es ist gesagt worden, dass in Sachen Usbekistan zu
enig getan worden ist. Einverstanden. Aber ich weise
och einmal darauf hin: Er war Ihr Außenminister; bei
hm hätten Sie Druck machen können.
Nun sind sowohl der Kollege Beck als auch der Kol-
ege Leutert Mitglied des Menschenrechtsausschusses.
amit werden Sie sicher die Gelegenheit bekommen,
it nach Genf zur Menschenrechtskommission zu rei-
en. Ich lade Sie ein, mit viel Freude – wie das der Kol-
ege Strässer, die Kollegin Graf oder auch die Kollegin
ickels, die jetzt nicht mehr mit dabei ist, und der Kol-
ege Funke von der FDP und ich getan haben – das Ge-
präch mit der amerikanischen Delegation zu suchen,
as Gespräch mit der chinesischen Delegation zu su-
hen, das Gespräch mit der russischen Delegation zu su-
hen. Wenn wir alle so gut sind, wie wir immer behaup-
en, dann werden wir gemeinsam etwas erreichen; das
äre ein konstruktiver Beitrag zu dieser Debatte.
Ansonsten diskutieren wir im Zusammenhang mit
em Tag der Menschenrechte wieder darüber, was sich
n Bezug auf die Menschenrechte in den letzten Jahren
reignet hat. Ich will an dieser Stelle für meine Fraktion
eutlich machen: Folter kann niemals und nirgendwo
in Mittel von Politik und schon gar nicht von rechts-
taatlichem Handeln sein. Das gilt für Deutschland und
ür den Rest der Welt.
enn deutsche Behörden oder auch ausländische Behör-
en in dieser Hinsicht etwas falsch gemacht haben, dann
uss das geklärt werden, dann müssen wir in aller Ruhe
arüber reden. Aber das machen wir dann, wenn die
akten auf dem Tisch liegen, und nicht jetzt, wo wir nur
albwissen und Vermutungen haben. Nur so können wir
ernünftig Aufklärungsarbeit leisten und so etwas für die
ukunft verhindern.
Es gibt einige Themen, die uns in diesem Jahr bewegt
aben und die uns schon seit vielen Jahren bewegen – ei-
es hat Staatsminister Erler schon angesprochen –, zum
eispiel die UN-Reform. Ich bin noch vor wenigen
ochen ein gutes Stück optimistischer gewesen, als ich
s heute bin. Ich sage Ihnen auch, warum: Im Grunde ge-
ommen läuft es jetzt darauf hinaus, dass die Menschen-
echtskommission – vielleicht 2006, auf jeden Fall aber
007 – von einem Menschenrechtsrat abgelöst wird.
och was ist das für ein Rat, der da eingerichtet wird?
enn das nur die Menschenrechtskommission unter
euem Namen ist, haben wir dadurch nichts gewonnen;
616 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Holger Haibach
dann werden wir immer wieder nur die gleichen Blocka-
den bekommen, wie wir sie schon die ganzen Jahre hat-
ten, und immer wieder die gleichen Probleme. Es muss
also etwas Substanzielles verändert werden. Deswegen
ist richtig: Hier geht Sorgfalt vor Eile. Dabei müssen wir
die Bundesregierung, die übrigens eine Position über-
nimmt, die die CDU/CSU-Fraktion Anfang des Jahres
schon einmal in einem Antrag dokumentiert hat
– der Antrag der SPD sah ein bisschen anders aus! –, in
dieser Angelegenheit nachhaltig und mit Kräften unter-
stützen.
Das ist ganz wichtig. Im Rahmen der Reformdebatte
kann man nämlich deutlich erkennen, wo das eigentliche
Problem liegt. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Es
sind nicht nur die Bremserländer, sozusagen die großen
Bösen, die sowohl bei der jetzigen MRK als auch bei der
Reform auf die Bremse treten und sagen: Das alles wol-
len wir so nicht haben. Auch die Länder, die uns durch-
aus wohl gesonnen sind und die bei den Menschenrech-
ten etwas erreichen wollen, sagen inzwischen, dass das
Ganze langsam, aber sicher zu einer Veranstaltung wird,
bei der die westlichen Industriestaaten gegen den Rest
der Welt einen Block bilden und umgekehrt.
Es kann nicht im Sinne der allgemeinen Förderung
der Menschenrechte sein, wenn wir nicht mehr die Mög-
lichkeit haben, klar in den Grundsätzen, aber flexibel
und vernünftig hinsichtlich der Umsetzung zusammen-
zuarbeiten. Ich glaube, das ist symptomatisch für das in-
ternationale Klima, das momentan herrscht, wenn es um
Menschenrechte geht. Es ist eine Moraldebatte gewor-
den. Eine solche darf es aber nicht geben; sonst werden
wir auf diesem Gebiet niemals vernünftige internationale
Mechanismen bekommen.
Ich will auf einige weitere Punkte hinweisen, die mir
in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind. Diese
kann man nicht nur an der Reformdebatte festmachen,
sondern auch an einem ganz anderen Thema. Vor weni-
gen Wochen ist der Weltinformationsgipfel in Tunis zu
Ende gegangen. Dass man sich ausgerechnet in einem
Staat, der die Presse- und Meinungsfreiheit aufs Äu-
ßerste einschränkt, zusammengefunden hat, um die
Presse- und Meinungsfreiheit hochzuhalten, kann man
so oder so bewerten. Dort ging es insbesondere um die
Frage der Zukunft des Internets. Man hat sich aber nicht
nur mit Fragen der Kontrolle beschäftigt, sondern auch
damit, wie wir es schaffen können, dass Menschen in
Entwicklungsländern Zugang zum Internet bekommen.
Weiteres Thema war die Presse- und Meinungsfreiheit
im Internet.
Ich glaube, das Ergebnis fällt ambivalent aus: Bei der
Frage, wie man das Internet kontrolliert, ist man ein gu-
tes Stück vorangekommen; dazu wurde sicherlich etwas
erreicht. Auch bei der Frage, wie wir erreichen können,
dass mehr Menschen aus Entwicklungsländern die
Möglichkeit zum Zugang zu digitalen Medien haben, ist
ein Anfang gemacht worden. Enttäuscht hat mich auf der
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Richtig ist: Es ist ganz wichtig, dass man die Mög-
ichkeit hat, schon vorher durch Beschluss Menschen-
echtsbeobachter hinzuzuziehen. Das, was wir vorhin
ber AMIS gehört und beschlossen haben, kann stilbil-
end sein. Die Europäische Union und Deutschland sind
aran beteiligt. Wir können, ohne dass wir einen formel-
en Beschluss haben, die Möglichkeit finden, dort mitzu-
elfen.
Meine Damen und Herren, ich hätte in dieser Debatte
erne noch einige Punkte mehr angesprochen. Mit Blick
uf meine Redezeit kann ich diese aber nicht mehr an-
ringen. Abschließend will ich nur noch Folgendes sa-
en: Ich hoffe, dass wir den hehren Vorsatz zu den Men-
chenrechten, den wir in der Koalitionsvereinbarung
ormuliert haben – er ist schon erwähnt worden –, ge-
einsam über die gesamte Breite der Fraktionen dieses
auses in die Wirklichkeit umsetzen werden.
Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes
eues Jahr!
Danke sehr.
Ich erteile das Wort Kollegin Herta Däubler-Gmelin,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
laube, es ist gut – die Diskussion hat das ja auch ge-
eigt –, dass wir uns heute ausführlicher mit Menschen-
echtsfragen beschäftigen und auseinander setzen. Die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 617
)
)
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Diskussion hat deutlich gemacht, dass wir uns über die
Parteigrenzen hinweg in ganz vielen Punkten einig sind.
Diese Gemeinsamkeit sollten wir bitte nicht untergehen
lassen, auch dann nicht, wenn wir die Schwerpunkte
fraktions- oder parteibedingt möglicherweise anders set-
zen.
Die Diskussion hat aber auch gezeigt, dass es eine
Reihe von Problemen gibt, mit denen wir uns im Aus-
schuss und dann auch im Plenum beschäftigen müssen.
Diese Punkte haben natürlich auch mit der deutschen
Politik – mit der Innenpolitik ebenso wie mit der Außen-
politik – zu tun.
Den Anlass unserer jährlichen Debatte zu diesem
Zeitpunkt möchte ich gerne noch einmal erwähnen. Das
ist nämlich der Tag der Menschenrechte. Es ist gut, dass
es ihn gibt. Er soll uns daran erinnern, dass eigentlich je-
des Land darauf achten muss, dass die Verpflichtungen,
die es zum Schutz der Menschenrechte eingegangen ist,
in der Praxis auch im Einzelnen erfüllt werden. Ich
glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich das
darf, möchte ich im Namen des ganzen Bundestages sa-
gen: Es ist ein guter Anlass, den vielen tausenden Men-
schen – hauptsächlich jungen Menschen – zu danken,
die sich bei uns und international für Menschenrechte in
der Praxis einsetzen.
Das sind Menschenrechtsgruppierungen kirchlicher
und nichtkirchlicher Art. Sie bringen sich dabei durch-
aus in Gefahr – nicht bei uns, aber in anderen Ländern.
Wir wissen ganz genau: Ohne deren Arbeit könnten wir
nicht so deutlich machen, dass wir etwas zur Erhaltung
und Verbesserung der Menschenrechtssituation tun. Des-
wegen sollten wir ihnen hier danken. Ich möchte auch
sehr deutlich sagen, dass wir unsere Zusammenarbeit ge-
rade mit diesen Organisationen der Zivilgesellschaft sehr
gerne intensivieren.
Herr Staatsminister, zum Menschenrechtsbericht ist
viel gesagt worden. Ich bedanke mich ebenfalls dafür.
Ich glaube, das ist ein guter Bericht. Man kann nicht alle
Berichte lesen; aber es lohnt sich, diesen zu lesen.
Wenn also der eine oder die andere über Weihnachten
noch ein wenig Zeit hat, dann empfehle ich, dort hinein-
zuschauen. Dieser Bericht ist eine wirklich außerordent-
lich gute Grundlage für die Menschenrechtsarbeit in al-
len Bereichen. Ich bin deswegen auch sehr dankbar, dass
Sie ihn in einer solchen Breite veröffentlichen und
streuen, Herr Staatsminister. Er hilft uns bei der Arbeit
im Bundestag sehr. In ihm werden die Schwerpunkte be-
nannt. Ich denke, die Auswahl der Brennpunkte, auf die
in ihm mit dem Finger gedeutet wird – die Finger wer-
den in die jeweiligen Wunden gelegt –, ist korrekt.
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Über all diese Dinge wollen wir nicht mehr diskutie-
ren. Aber es ist abzusehen, dass wir die Argumente noch
brauchen. Ich teile die Auffassung des Kollegen Haibach
zur Umwandlung der Menschenrechtskommission in ei-
nen Menschenrechtsrat. Ich teile auch die Auffassung
zur frühzeitigen Entsendung der Menschenrechtsbeauf-
tragten. Aber Sie wissen vielleicht nicht, dass dies in der
Sache ein abgesprochener Antrag war. Deswegen wird
uns die Zustimmung nicht besonders schwer fallen.
Lassen Sie mich noch einmal sagen: Es geht auch da-
rum, dass wir jetzt unsere Aufgaben erfüllen. Das ist
schon im Zusammenhang mit dem Zusatzprotokoll zur
Antifolterkonvention angesprochen worden. Hier sollten
Bund und Länder, zumal es hier keine inhaltlichen Diffe-
renzen gibt, endlich zum Ende kommen. Das sollten wir
wirklich angehen.
Ein anderer Punkt ist das 14. Protokoll zur Europäi-
schen Menschenrechtskonvention. Es ist klar, worum
es geht. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ge-
nießt überall in den 46 Staaten des Europarats großes
Vertrauen. Das schlägt sich in den unglaublich vielen
Klagen nieder, die das Gericht zu ersticken drohen. Hier
muss man dem Gericht die Möglichkeit geben, Abhilfe
zu schaffen. Ich glaube, der vorgeschlagene Weg ist da-
für geeignet.
Sie sehen, wir haben eine Menge zu tun. Ich freue
mich darüber, dass wir das in einem konstruktiven Geist
machen können. Ich bedanke mich ausdrücklich für die
Kontinuität in der Menschenrechtspolitik und für den
Bericht der Bundesregierung.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/5800, 16/42, 16/225 und 16/226
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Zusatzpunkt 10: Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP,
der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/197 mit dem Titel „Existenzrecht Israels
ist deutsche Verpflichtung“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 20:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck , Grietje
Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
ir haben heute, kurz vor Weihnachten, noch einmal
ine Geheimdienstaktion als Thema einer Plenardebatte,
achdem wir uns in den letzten Tagen vor allen Dingen
it ausländischen Geheimdiensten intensiv befasst ha-
en.
Vor etwa zwei Wochen kam eine Kollegin aus dem
undestag zu mir und erzählte, sie habe in einem wichti-
en Fall aus ihrem Wahlkreis Kontakt mit einem be-
annten Journalisten. Sie fragte mich anschließend ganz
eheimnisvoll, ob ich ihr zuverlässig sagen könne, ob
ieser Journalist vom deutschen Geheimdienst beobach-
et werde oder sogar auf der Gehaltsliste eines deutschen
eheimdienstes stehe.
Dieses Beispiel zeigt, dass es bei der Diskussion über
ie Beobachtung von Journalisten durch einen deutschen
eheimdienst nicht nur darum geht, dass vielleicht die
rundrechte einzelner Journalisten verletzt worden sind,
ass in ihr Recht auf informationelle Selbstbestim-
ung eingegriffen worden ist, sondern um sehr viel
ehr, nämlich um die allgemeine Frage, inwieweit das
ertrauen der Bevölkerung in den unabhängigen Journa-
ismus und damit in die Pressefreiheit infrage gestellt ist.
as ist das grundsätzliche Thema, das wir hier behan-
eln, unabhängig davon, dass wir uns natürlich auch da-
um kümmern, wenn die Rechte einzelner Journalisten
erletzt sind.
Wenn dem so ist und wir wissen, wie wichtig ein un-
bhängiger, insbesondere ein investigativer Journalismus
st, das heißt ein Journalismus, der bei seinen Recherchen
uf Informationen aus der Bevölkerung und ihr Vertrauen
ngewiesen ist, und dass gerade ein solcher Journalismus
onstitutiv für die Pressefreiheit und unsere Demokratie
st, dann müssen wir allen Gefährdungen der Pressefrei-
eit und insbesondere dieses Journalismus entschieden
ntgegentreten, wo immer es notwendig ist.
620 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Hans-Christian Ströbele
Das ist kein theoretischer Fall, über den wir hier dis-
kutieren. Vielmehr hat das Misstrauen der Kollegin aus
dem Bundestag – wie weit wird das dann erst in der Be-
völkerung verbreitet sein? – eine tatsächliche Grundlage.
Es gibt Meldungen, dass Anfang der 90er-Jahre – mögli-
cherweise auch sehr viel später – in Deutschland Journa-
listen von einem deutschen Nachrichtendienst observiert
worden sind, und zwar bis weit in ihren privaten Be-
reich, und dass darüber hinaus – möglicherweise sogar
bekannte – Journalisten auf den Gehaltslisten deut-
scher Geheimdienste stehen. Hier ist Misstrauen ange-
bracht. Wenn wir aber das Vertrauen der Bevölkerung
wiederherstellen wollen, dann müssen wir alle Fakten
auf den Tisch legen, und zwar nicht nur in einem geheim
tagenden parlamentarischen Gremium, sondern in der
Öffentlichkeit, hier im Deutschen Bundestag. Ich hoffe,
dass sich dann, wenn die Recherchen dazu abgeschlos-
sen sind, Herr Hanning, der ehemalige Chef des Bundes-
nachrichtendienstes und heutige Staatssekretär beim
Bundesminister des Innern, hierhin stellt, die Fakten auf
den Tisch legt, sich bei den Journalisten entschuldigt, die
davon betroffen waren und darunter gelitten haben,
und damit der Öffentlichkeit kundtut, erstens dass wir so
etwas nicht dulden, zweitens dass solche Sachen immer
herauskommen und drittens dass solche Aktionen Kon-
sequenzen haben.
Nur auf diese Art und Weise können wir das Ver-
trauen wiederherstellen. Wir müssen uns darüber hinaus
weitere Schlussfolgerungen überlegen: Wie können die
Bundesregierung und das Parlament in Zukunft sicher-
stellen, dass Journalisten in Deutschland nicht observiert
werden und nicht auf die Gehaltslisten von Geheim-
diensten kommen? Wie kann man da gesetzgeberisch
und kontrollierend tätig werden?
Ich will mit einem letzten, ganz kurzen Beispiel en-
den. Einer der betroffenen Journalisten hat mich, als er
vor wenigen Tagen um ein Gespräch mit mir gebeten
hatte, angerufen und gefragt, wo wir das Gespräch füh-
ren könnten. Er hat darum gebeten, mich hier im Deut-
schen Bundestag aufsuchen zu können und hier das Ge-
spräch zu führen, weil er nicht sicher sei, ob er nicht
observiert werde, wenn wir das Gespräch außerhalb der
Gebäude des Deutschen Bundestages führten. Er sagte,
er hätte es nicht so gerne, wenn er mit dem Abgeordne-
ten Ströbele abgelichtet würde. Auch daraus wird deut-
lich, welche Gefahren alleine in der Observation beste-
hen. Abgeordnete könnten daran gehindert werden, dass
sie von Skandalen Kenntnis erlangen. Wir sollten des-
halb eine Idee des ehemaligen SPD-Abgeordneten
Neumann aufgreifen und ein Recht der Mitarbeiter des
Bundesnachrichtendienstes schaffen, –
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Sie ha-
ben weit überzogen.
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– letzter Satz – sich direkt an die Abgeordneten, die
m PKGr sind, zu wenden, weil es nicht sein kann, dass
as nur über Journalisten läuft. Sie müssen zu Abgeord-
eten kommen und diese über solche Skandale aufklären
önnen, damit diese rechtzeitig dafür sorgen können,
ass solche in Zukunft verhindert werden.
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Kollege Ströbele, es hat Fehlentwicklungen gege-
en, über die wir aus Anlass Ihres Antrages reden wer-
en. Aber ich finde, Sie sollten es jetzt nicht übertreiben.
ir sollten nicht gegenüber der Öffentlichkeit den Ein-
ruck erwecken, als ob Journalisten reihenweise auf den
ehaltslisten des BND oder des Verfassungsschutzes
tünden.
as ist auch eine Unterstellung den Journalisten gegen-
ber. Ich habe den Eindruck, dass investigativ arbeitende
ournalisten sehr wohl wissen, wie sie ihr Verhältnis zu
en Geheimdiensten zu definieren haben, und dass sie
ich nicht mit Geheimdiensten gemein machen. Man
ollte nicht mit solchen Unterstellungen arbeiten. Nach
einem Eindruck ist bei der übergroßen Mehrheit der
ournalisten in unserem Land die Gefahr, dass die Unab-
ängigkeit verloren gehen würde, wirklich nicht gege-
en; vielmehr macht die große Zahl der Journalisten ei-
en guten Job. Das sollte man nicht infrage stellen.
Ich finde, dass diese Debatte überhaupt keinen Anlass
ür einen parteipolitischen Schlagabtausch bietet. Das
arlamentarische Kontrollgremium hat einvernehm-
ich festgestellt, dass der BND bei seiner Vorgehens-
eise gegen einzelne Journalisten teilweise die ihm ein-
eräumten Befugnisse überschritten hat. Das PKGr hat
inen Sachverständigen mit der weiteren Untersuchung
er Angelegenheit beauftragt.
Überwachungsmaßnahmen gegen Journalisten, Herr
ollege Ströbele – das sollten Sie zur Kenntnis
ehmen –, gab es nicht nur in den 90er-Jahren, sondern
s gab sie bis ins Jahr 2003 unter der Verantwortung von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 621
)
)
Reinhard Grindel
Rot-Grün. Da sollte jeder vor seiner eigenen Haustür
kehren.
Ich finde, dieser Fall bietet Anlass zu einem grund-
sätzlichen Nachdenken über das Verhältnis von Presse
einerseits und Justizbehörden oder Nachrichtendiensten
andererseits. Ob es die „Cicero“-Affäre war, in der Re-
daktions- und Privaträume durchsucht und Material be-
schlagnahmt wurde, das ersichtlich mit dem eigentlichen
Ermittlungsverfahren nichts zu tun hatte, oder die Obser-
vation von Journalisten durch Mitarbeiter des BND: Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist beim Kampf
gegen undichte Stellen in den Sicherheitsbehörden von
den Verantwortlichen nicht immer hinreichend beachtet
worden.
Es ist daran zu erinnern – man soll seine eigene beruf-
liche Erfahrung in die Arbeit des Bundestags
einbringen –: Das Grundrecht der Pressefreiheit ist
nicht irgendein Verfassungsgrundrecht.
Dieser Verfassungsgrundsatz ist für unsere freiheitlich-
demokratische Grundordnung schlechthin konstituie-
rend. Wer glaubt, unseren freiheitlichen Rechtsstaat da-
durch stärken zu können, dass er Journalisten einfach
einmal so und ohne wasserdichte rechtliche Vorprüfung
observiert oder Redaktionsräume durchsucht, der wird
unseren Rechtsstaat in Wahrheit schwächen. Davon bin
ich zutiefst überzeugt.
Aber auch Journalisten – warum wollen wir aus An-
lass dieser Debatte darüber nicht reden? – sind dafür ver-
antwortlich, die Konsequenzen ihrer Veröffentlichungen
zu bedenken. Es ist unstreitig, dass Journalisten Leib und
Leben von Quellen oder zumindest für unsere Sicherheit
wichtige BND-Operationen gefährdet haben. Das ge-
schah beispielsweise durch das Buch von Herrn
Schmidt-Eenboom. Ein anderes Beispiel aus jüngerer
Zeit: Die Veröffentlichung von Handynummern von al-
Qaida-Führern in dem von mir angesprochenen
„Cicero“-Artikel war journalistisch nicht zwingend, hat
unseren Sicherheitsbehörden aber massiv geschadet. Ich
finde, journalistische Ethik verlangt auch, dass man die
Folgen seines Tuns selbstkritisch prüft und dazu sind
Journalisten aufgerufen. Das gehört zu dieser Debatte.
Eines ist aber auch wahr: Das eigentliche Problem der
undichten Stellen in Sicherheitsbehörden sind nicht die
Journalisten, sondern Mitarbeiter, die unserem Staat
durch ihre Indiskretionen schweren Schaden zufügen.
Das sind keine Kavaliersdelikte, sondern Straftaten, die
mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden müs-
sen. Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, dass in
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Nur: Ich finde, wir dürfen die roten Linien nicht über-
chreiten. Überwachungskameras haben vor Redaktio-
en oder Wohnräumen von Journalisten nichts zu su-
hen.
Etwas anderes wäre es natürlich – das darf nicht ver-
engt werden; Herr Kollege Wieland, ich hoffe, dass Sie
ir auch da zustimmen werden –, wenn diese Kameras
or Wohnungen von verdächtigen Mitarbeitern, etwa des
ND, ständen. Im Rahmen solcher Operationen zur
igensicherung würden dann selbstverständlich auch
reffen verdächtiger Mitarbeiter von Nachrichtendiens-
en mit Journalisten festgehalten. Um es klar zu sagen:
agegen ist nichts einzuwenden. Investigativ arbeitende
ournalisten wissen das auch.
Der entscheidende Unterschied ist: Ausgangspunkt
er Observation muss der verdächtige Mitarbeiter sein
nd es darf natürlich nicht der Journalist sein.
Im Ausland kann der BND auf Quellen, die unter der
egende eines Journalisten auftreten, natürlich nicht ver-
ichten. Das gilt gerade angesichts der neuartigen Be-
rohung durch islamistische Terroristen. Wichtig ist
uch hier eine klare Trennung: Journalisten können
elbstverständlich im Ausland zur Informationsgewin-
ung im Rahmen des Auftrags des BND eingesetzt wer-
en, aber nicht als Quelle zum Aufspüren undichter Stel-
en im BND selbst oder um im Inland im Sinne des
ienstes zu wirken. Auch auf diesen Unterschied müs-
en wir großen Wert legen.
Ein großer Teil der Aufklärung, die die Grünen in ih-
em Antrag fordern, findet bereits statt. Ich finde es er-
ähnenswert – Herr Kollege Ströbele, Sie hätten es hier
nsprechen können; denn es ist öffentlich gemacht
orden –, dass Herr Schmidt-Eenboom nach seinem Ge-
präch mit Herrn Hanning vor kurzem in der „Süddeut-
chen Zeitung“ erklärt hat, der BND sei ernsthaft be-
üht, die Wahrheit zu ermitteln. Wenn ich es richtig
itbekommen habe, hat sich Herr Hanning bei Herrn
622 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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)
Reinhard Grindel
Schmidt-Eenboom für die Überschreitung des dem BND
rechtlich Möglichen entschuldigt.
Es ist nun Aufgabe des neuen BND-Präsidenten und
des Koordinators im Kanzleramt, dafür zu sorgen, dass
sich der Dienst bei Operationen zur Eigensicherung in
seinem gesetzlichen Rahmen bewegt. Es ist zu hören,
dass die entsprechende Dienstanweisung mit diesem
Ziel überarbeitet wird und dass es künftig zeitlich befris-
tete Maßnahmen geben wird, ergänzt durch klare Be-
richtspflichten. Das alles geht in die richtige Richtung.
Dass der Altbundeskanzler Gerhard Schröder jetzt
ausgerechnet Berater des Verlages ist, in dem der
„Cicero“ erscheint, dessen Durchsuchung wiederum der
Schröder-Freund und Altinnenminister Otto Schily gut-
geheißen hat, lässt ebenso allgemeine Besserung erwar-
ten. Insofern denke ich, dass sich die „Cicero“-Affäre so
nicht wiederholen würde. Es wäre dann fast eine Altbun-
deskanzleraffäre. Das werden wir wohl nicht erleben.
Die Pressefreiheit auf der einen Seite und die Eigen-
sicherung der Nachrichtendienste und Sicherheitsbehör-
den auf der anderen Seite müssen ins richtige Lot ge-
bracht werden. Wenn der Antrag der Grünen ein Anlass
ist, um in dieser Debatte deutlich zu machen, dass wir
das ins Lot bringen wollen, dann hätte Ihr Antrag sogar
noch etwas Positives.
Auch ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachts-
fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Spätestens seit der berühmten „Spiegel“-Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts ist der hohe Wert
der Pressefreiheit für unsere Demokratie eigentlich ge-
klärt.
Wer hätte gedacht, dass wir uns heute, im Jahr 2005,
noch einmal mit Gefährdungen der Pressefreiheit aus-
einander setzen müssen, die teils schon länger zurücklie-
gen, teils durchaus aktuell sind und eben in den letzten
Wochen bekannt geworden sind?
Es ging in allen Fällen um ein Grundproblem: Staatli-
che Stellen haben geltend gemacht, sie hätten das Be-
dürfnis, undichte Stellen im eigenen Apparat herauszu-
finden. Um dies zu erreichen, sind Journalisten unter
Beobachtung genommen worden, sind Redaktionsräume
durchsucht worden und ist selbst recherchiertes Material
beschlagnahmt worden. Dem muss das deutsche Parla-
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Ich bin wirklich der Meinung, dass die Vorgänge, die
m Verhältnis des Bundesnachrichtendienstes zu dem
ournalisten Schmidt-Eenboom und anderen bekannt ge-
orden sind, dem Ansehen des BND ungeheuer gescha-
et haben. Da kann man nur durch rückhaltlose Aufklä-
ung Abhilfe schaffen.
Das wird jetzt durch einen Sonderermittler, einen
hemaligen Richter des Bundesgerichtshofs, versucht.
ch bin der Überzeugung, dass das Parlamentarische
ontrollgremium dann, wenn der Bericht vorliegt – hof-
entlich möglichst bald –, geeignete Wege finden wird,
m das, was nicht geheimdienstrelevant und nicht ge-
eimhaltungsbedürftig ist, der Öffentlichkeit zugänglich
u machen.
Wir warten auch darauf, dass uns der Sonderermittler
inweise zu der Frage gibt, ob es erforderlich ist, das
ND-Gesetz zu ändern. Es fällt auf, dass hier eine
chwachstelle in rechtsstaatlicher Hinsicht besteht. Dem
undesnachrichtendienst ist es erlaubt, zur Eigensiche-
ung im Inland tätig zu werden. In den Fällen, über die
ir sprechen, in denen Journalisten und Publizisten ob-
erviert worden sind, war aber immer schon der Ver-
acht des Geheimnisverrates durch Mitarbeiter des BND
egeben. Also hätte rechtmäßigerweise zu einem be-
timmten Zeitpunkt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet
erden müssen. Das ist wichtig; denn dann sind wir in
inem geordneten Verfahren nach der Strafprozessord-
ung und dann werden solche Maßnahmen richterlich
ngeordnet und überprüft.
as ist im Normalfall eine Garantie dafür, dass nicht so
ber das Ziel hinausgeschossen wird, wie das durch den
ND selbst geschehen ist.
Wir haben am Fall „Cicero“ und an vielen anderen
ällen, die der Deutsche Journalisten-Verband dokumen-
iert hat, gesehen, dass in der Rechtspraxis die bisher be-
tehenden Vorschriften des Strafrechts und des Strafpro-
essrechts leider keinen hinreichenden Schutz davor
ieten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
issachtet wird. Das geschieht leider. Daher hat die
DP-Fraktion eine Initiative ergriffen und eine frak-
ionsinterne Sachverständigenanhörung durchgeführt.
abei ist deutlich geworden, dass wir wahrscheinlich
ehr radikal – im Sinne von: an der Wurzel des Problems –
nsetzen müssen.
Niemand versteht, warum sich ein Journalist, der eine
hm mitgeteilte Information verwendet und veröffent-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 623
)
)
Dr. Max Stadler
licht, der Beihilfe zum Geheimnisverrat schuldig
macht, wenn doch der Geheimnisverrat bei den Mit-
arbeitern von Behörden liegt, die solche Informationen
unzulässigerweise herausgeben. Trotzdem existiert eine
solche Rechtsprechung. Wir werden gemeinsam überle-
gen müssen, ob wir als Gesetzgeber klarstellen, dass
diese Strafbarkeit des Verhaltens der Journalisten auszu-
schließen ist. Strafbar ist das Verhalten der Mitarbeiter
von Behörden, die gegen ihre Vorschriften handeln und
solche Informationen herausgeben. In diese Richtung
müssen wir gehen.
Wir werden darüber hinaus erörtern müssen, ob man
nicht auch in der Strafprozessordnung das Redaktions-
geheimnis klarer als bisher schützt, indem recherchier-
tes Material schlechthin beschlagnahmefrei gestellt
wird. Damit entfallen auch Durchsuchungen in Redak-
tionsräumen sowie in Arbeits- und Wohnräumen der ein-
zelnen Journalisten, wie sie, wie gesagt, nicht nur im
Fall „Cicero“, sondern leider in einer Vielzahl von Fäl-
len vorgekommen sind.
Wir sollten daher all diese Fälle zum Anlass nehmen,
nach der Weihnachtspause als Gesetzgeber initiativ zu
werden. Die FDP jedenfalls wird in Auswertung der von
uns durchgeführten Anhörung hier bald Vorschläge un-
terbreiten. Ich lade Sie ein, diesen Vorschlägen zu fol-
gen; denn sie haben das gemeinsame Ziel, einen besse-
ren Schutz des Redaktionsgeheimnisses sicherzustellen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus-Uwe Benneter,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Kollege Stadler, so blauäugig
können selbst Sie nicht sein, dass Sie meinen, nach der
„Spiegel“-Entscheidung gebe es keine Probleme mehr
zwischen journalistischer Tätigkeit auf der einen Seite
und den Strafverfolgungsbehörden auf der anderen Seite.
– Der Wert der Pressefreiheit ist nicht erst seither ge-
klärt; er war auch vorher schon geklärt. Deshalb haben
die Väter und Mütter des Grundgesetzes der Pressefrei-
heit in Art. 5 durch institutionelle Garantie auch einen
besonderen Stellenwert verschafft.
Es geht in dieser Debatte um den Antrag der Grünen-
fraktion „Überwachung von Journalisten durch den Bun-
desnachrichtendienst“. Ich habe nicht so richtig verstan-
den, warum er gerade zu diesem Zeitpunkt gestellt wird.
Das Parlamentarische Kontrollgremium ist einstim-
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Wir sind uns, weil es hier um das hohe Gut der Pres-
efreiheit geht, sicher alle einig, dass die Erkenntnisse
icht dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorbe-
alten bleiben, sondern auch uns zur Verfügung gestellt
erden, soweit diese – da stimme ich mit dem Kollegen
tadler überein – nicht geheimhaltungsbedürftig sind.
ch gehe davon aus, dass der jetzige Innenminister, ge-
au wie der vorherige Innenminister, und sein Staatsse-
retär das nicht zu eng sehen werden, sondern bereit sein
erden, das, was notwendig ist, um Erkenntnisse zu ge-
innen – anhand deren wir dann beispielsweise auch
ber Ihre Vorschläge, inwieweit den Strafverfolgungsbe-
örden in einer gesetzlichen Vorschrift eine Grenze ge-
etzt werden sollte, genauer nachdenken könnten –, zu
rmöglichen.
Sie haben vorgeschlagen, dass wir Schlussfolgerun-
en in diesem Antrag jetzt positiv zur Kenntnis nehmen
ollen. Ich sehe diese Schlussfolgerungen nicht.
ir können den Beschluss zustimmend zur Kenntnis
ehmen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium
ier eine weitere Aufklärung für erforderlich hält und die
rgebnisse dann dem Plenum vorträgt.
Wirklich wichtig ist – auch das ist vom Parlamenta-
ischen Kontrollgremium so zum Ausdruck gebracht
orden –, dass ausdrücklich gefordert wird, dass sofort
aßnahmen ergriffen werden, um Derartiges jedenfalls
ür die Zukunft auszuschließen.
Wir alle wissen ja noch nicht, wie lange diese Vor-
änge andauerten und auf welchen Wegen bzw. mit wel-
hen Mitteln solche Beobachtungen stattgefunden ha-
en. Deshalb denke ich, dass diese Forderung sicherlich
on uns übernommen werden kann. Aber hinsichtlich
er anderen Forderungen sollten wir abwarten, bis das
arlamentarische Kontrollgremium eine entsprechende
ufklärung gegeben hat.
Diese Auseinandersetzung gibt Gelegenheit, noch
inmal grundsätzlich zum Wert der Pressefreiheit Stel-
ung zu nehmen. Kollege Stadler hat darauf hingewie-
en, dass die Pressefreiheit für jede moderne Demokratie
onstitutiv und unentbehrlich ist. Für die freie Mei-
ungsbildung ist unabdingbar, dass Informationen ge-
onnen und zur Verfügung gestellt werden können.
624 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Klaus Uwe Benneter
Diese Meinungsbildung ist die Grundlage für die politi-
sche Auseinandersetzung. All dies ist grundlegend für
demokratische Werte schlechthin. Ich denke, dem Staat
ist es grundsätzlich immer verwehrt, unmittelbar bei der
Presse einzugreifen. Deshalb gibt es ein Zensurverbot
und deshalb ist es wichtig, dass sich der Staat in diesem
Bereich sehr zurückhalten muss.
Es sind Beispiele angesprochen worden, die offen-
sichtlich zeigen, dass der Staat versucht, mittelbar auf
Presseorgane Einfluss zu nehmen, indem einschüchternd
auf Journalisten eingewirkt werden soll. Zumindest soll
es den Journalisten erschwert werden, die Informations-
beschaffung so frei zu handhaben, wie es für eine freie
Presse notwendig ist.
Zur verfassungsrechtlich verbürgten Pressefreiheit
gehört der Schutz der Informationsbeschaffung, auch
der Schutz der Vertraulichkeit der gesamten Redaktions-
arbeit. Das Verhältnis zwischen Journalisten und den In-
formanten muss von jeglicher staatlichen Gewalt grund-
sätzlich respektiert werden. Denn die Presse kann nicht
auf private Mitteilungen verzichten.
Herr Ströbele, Sie übertreiben natürlich ein wenig,
wenn Sie davon sprechen, dass sich nun alle Menschen
an Sie wenden, weil sie Angst haben, sie würden unter
Beobachtung stehen,
und dass sie sich mit Ihnen nur noch in diesem Hause
treffen wollen. Der Punkt ist, dass hier wahrscheinlich
ein seriöseres Ambiente gegeben ist als in Ihrem Wahl-
kreisbüro.
– Ich wusste, dass Sie das sagen.
Jedenfalls muss uns klar sein, dass sich die Informa-
tionsquelle, die auf privaten Mitteilungen beruht, auf die
Wahrung dieser Vertraulichkeit in unserem Staate ver-
lassen können muss. Auch das gehört zum Grundrecht
der Pressefreiheit. Eine Voraussetzung für die Pressefrei-
heit ist nämlich, gründliche Recherchen durchzuführen
und eine entsprechende Informationsbeschaffung vor-
nehmen zu können. Diese Rechte sind konstitutiv für die
Demokratie.
Wir alle wissen aber, dass die Pressefreiheit keinen
absoluten Vorrang gegenüber anderen sehr wichtigen
Grundrechten genießt. Auch die Strafverfolgung und ein
geordnetes rechtsstaatliches Verfahren sind ein hohes
Gut. Ein hohes Maß an Gerechtigkeit erfordert eben,
dass wir beispielsweise geordnete Strafverfahren durch-
führen können, damit der Wahrheit letztendlich zum
Durchbruch verholfen werden kann. Insofern können
Grundrechte in Konkurrenz zueinander treten.
Es geht hier nicht um irgendwelche Privilegien von
einzelnen Journalisten, sondern es geht hier grundsätz-
lich darum, sicherzustellen, dass die Presse ihre Aufga-
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ondern offensichtlich in Wahrnehmung eigener Rechte
ehandelt hat. Das sollte uns schon zu denken geben.
ies alles sollten wir uns bei der Beratung dieses Antra-
es in den zuständigen Ausschüssen im Einzelnen vor
ugen führen und daraus gegebenenfalls die notwendi-
en Schlussfolgerungen ziehen.
Auch ich wünsche Ihnen allen geruhsame Tage.
Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion
ie Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
ntrag der Grünen ist ein erster Schritt in die richtige
ichtung,
en die Linksfraktion auf jeden Fall unterstützen wird.
ahrelang haben Agenten des Bundesnachrichtendiens-
es Journalisten bespitzelt, sie gefilmt und sie in Super-
ärkte verfolgt. Es soll sogar dazu gekommen sein, dass
an ihnen in die Sauna nachgestiegen ist.
uch dem Leiter des Friedensforschungsinstituts in
eilheim, Erich Schmidt-Eenboom, sind sie offenbar zu
inem Termin mit Politikern nachgereist.
Der BND hat Journalisten als informelle Mitarbei-
er angeworben, die dem Dienst über andere Journalis-
en berichten. Er hat Journalisten – um ein Wort des
euen BND-Chefs Ernst Uhrlau zu zitieren – als „Flie-
enfänger“ eingesetzt.
Von der Pressefreiheit hält man beim Bundesnach-
ichtendienst offensichtlich nicht viel. Der Geheimdienst
flegt ein Freund-Feind-Denken, in dem Journalisten
ntweder willige Instrumente sind oder aber Gegner, ge-
en die operative Maßnahmen eingesetzt werden. Die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 625
)
)
Ulla Jelpke
Linksfraktion warnt schon lange davor, dass Geheim-
dienste nicht dem Schutz der Demokratie dienen, son-
dern eine Gefährdung darstellen. Wir haben leider, wie
sich jetzt zeigt, wieder einmal Recht behalten.
Anstatt nun endlich alle Fakten auf den Tisch zu le-
gen, setzt die Bundesregierung weiter auf Konspiration.
Sie gibt höchstens das preis, was wir sowieso in den Me-
dien nachlesen können. Herr Uhrlau hat uns Obleute
heute zwar dankenswerterweise informiert;
aber wir sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und dür-
fen hier nichts sagen.
– Herr Grindel, das wissen auch Sie. Auch Sie waren da-
bei.
Ich denke, dass mit dieser Geheimniskrämerei gegen-
über der Öffentlichkeit endlich Schluss gemacht werden
muss; denn sie hat ein Recht darauf, informiert zu wer-
den.
Dass der Skandal mehr als zehn Jahre lang unentdeckt
blieb, zeigt überdeutlich, dass es keine effektive Kon-
trolle der Geheimdienste gibt. Die Öffentlichkeit weiß
bis heute nicht, wer diese Aktionen damals angeordnet
hat. Die Öffentlichkeit weiß auch nicht, mit welchen
Methoden der BND gearbeitet hat.
Es gab Lauschangriffe, Briefe wurden geöffnet; wir ken-
nen das ganze Repertoire.
Die Öffentlichkeit weiß bis heute auch nicht, ob Ab-
geordnete betroffen sind und von Fahndern ins Visier ge-
nommen worden sind. Hinweise darauf gibt es nur in der
Presse. Ebenso wenig weiß die Öffentlichkeit, ob der
BND-Präsident oder sogar das Kanzleramt Bescheid
wusste. Wenn ja, dann hätten höchste Regierungsstellen
rechtswidrige Aktionen geduldet. Wenn nein, dann wäre
das wieder ein Beleg dafür, dass wir keine wirkliche
Kontrolle von Geheimdiensten haben.
Das Wenige, was wir überhaupt wissen, wissen wir,
wie gesagt, aus den Medien. Die Bundesregierung,
meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, hält
sich hartnäckig weiter daran, keine lückenlose Aufklä-
rung vorzulegen. Das ist wirklich ein Armutszeugnis für
Ihr Verständnis von Pressefreiheit und Demokratie.
Was nun den Antrag der Grünen angeht: Es reicht
meines Erachtens nicht aus, zu fordern, dass über diesen
Skandal berichtet wird.
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Im Antrag steht dazu nichts, Herr Kollege.
Die Fraktion der Linken hat auch kein Verständnis da-
ür, dass gemäß dem Antrag der Zwischenbericht des
arlamentarischen Kontrollgremiums nur in einer zen-
ierten Fassung vorgelegt werden soll. Wir fordern, Ross
nd Reiter zu nennen. Wir fordern, Schluss mit dieser
eheimpolitik zu machen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/85 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Vereinbarte Debatte
Entwicklung des Friedensprozesses in Bosnien
und Herzegowina
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
inister Franz Josef Jung das Wort.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
ung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren, am
4. Dezember 1995, wurde das Dayton-Abkommen un-
erzeichnet. Seit diesem Zeitpunkt wird die Umsetzung
es Friedensabkommens von einer multinationalen Frie-
enstruppe abgesichert.
Wenn man diese zehn Jahre Revue passieren lässt, ist
ier, wie ich meine, eine vom Grundsatz her mehr als
ositive Entwicklung eingeleitet worden. Ich sage Ihnen
anz offen, dass ich mir in der Zeit, als der Eiserne Vor-
ang fiel, nicht vorstellen konnte, dass wir mitten in
uropa wieder Massenvergewaltigungen und Massen-
ertreibungen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Aus-
inandersetzungen haben würden. Man kann also froh
arüber sein, dass diese Entwicklung zu einer Stabilisie-
ung der Situation im Balkan geführt hat.
626 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Die multinationale Friedenstruppe gewährleistet den
Rahmen für den Prozess der politischen Normalisierung
und den gesellschaftlichen Wiederaufbau des Landes.
Nach der erfolgreichen Beendigung der unter NATO-
Führung stehenden Operation SFOR hat die Europäische
Union vor einem Jahr die Verantwortung für den frie-
denssichernden Einsatz in Bosnien-Herzegowina über-
nommen. Derzeit sind rund 6 200 Soldaten aus mehr als
30 Nationen, auch aus Nicht-EU-Staaten, bei EUFOR
eingesetzt. Dazu gehören etwas mehr als 1 000 Solda-
tinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Die Operation Althea ist die bislang größte militäri-
sche Operation im Rahmen der Europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik. Sie ist eine sinnvolle Er-
gänzung des zivilen Engagements der EU. Es bedarf
einer militärischen Komponente. Die Europäische Union
hat hier gezeigt, dass sie auch im Hinblick auf die Frie-
denssicherung im militärischen Bereich umfassend
handlungsfähig ist. Das ist im Zusammenhang mit dieser
Debatte positiv festzuhalten.
Ich glaube, die Ergebnisse können sich sehen lassen.
Auch der Übergang der Verantwortung von der NATO
zur EU hat nicht zu einem Sicherheitsvakuum geführt.
Althea vermittelt der Bevölkerung in Bosnien-Herzego-
wina das gleiche Gefühl von Sicherheit wie die vorheri-
gen Operationen IFOR und SFOR unter NATO-Füh-
rung. Diese Erfahrung zeigt, dass sich der zivil-
militärische Ansatz der EU im Bereich des Krisenma-
nagements bewährt hat.
Es ist festzustellen, dass in Bosnien-Herzegowina bis
heute große Fortschritte erzielt worden sind. Das Land
ist auf seinem Weg zu einem stabilen und lebensfähigen
multiethnischen Staat weit vorangekommen. Die Emp-
fehlung der EU-Kommission für den Beginn von Ver-
handlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungs-
abkommen ist der jüngste Beweis dafür.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,
Sie stimmen mir zu, wenn ich sage, dass mit der Ent-
scheidung für den neuen Repräsentanten in Person un-
seres ehemaligen Kollegen Dr. Christian Schwarz-
Schilling eine gute Entscheidung getroffen worden ist,
die diesen Prozess positiv unterstützt.
Meine Damen und Herren, auch die Einigung der bos-
nischen Teilrepubliken und des Zentralparlamentes auf
gesamtbosnische Verteidigungsstrukturen ist ein Meilen-
stein auf dem Weg des Landes in die euroatlantischen
Strukturen. Dort rechnet man mit einer baldigen Einla-
dung zum Partnership-for-Peace-Programm der NATO.
Ich habe meinem bosnischen Amtskollegen bei sei-
nem Besuch vor zwei Wochen in Berlin deutlich ge-
macht, dass Bosnien-Herzegowina den Prozess seiner
Westintegration ein Stück weit selbst bestimmt. Denn
vom Erfolg der Fortschritte bei der Stabilisierung und
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Es kommt darauf an, die eingeleiteten Reformen posi-
iv weiterzuentwickeln. Die bisherige positive Entwick-
ung wäre aber ohne die Unterstützung durch die interna-
ionale Gemeinschaft und die militärische Absicherung
es Friedensprozesses nicht möglich gewesen. Deshalb
öchte ich bei dieser Gelegenheit all unseren Soldatin-
en und Soldaten, die dort im Einsatz waren und noch
ind, herzlich für ihren Einsatz für die Friedenssicherung
nd die Stabilisierung dieses Landes danken. Sie leisten
inen großartigen Beitrag, der Anerkennung findet. Des-
alb möchte ich ihnen von hier aus meinen Dank aus-
prechen.
Zur Fortsetzung des begonnenen Prozesses bleibt die
nterstützung durch die internationale Staatengemein-
chaft und die Fortführung der militärischen Sicherheits-
räsenz weiterhin notwendig; denn trotz der erzielten Er-
olge gibt es derzeit noch keine dauerhafte, sich selbst
ragende Stabilität in Bosnien-Herzegowina. Auch aus
iesem Grund müssen wir dort weiterhin unseren Bei-
rag leisten.
Wir können aber zuversichtlich sein, dass sich bei ei-
er weiterhin positiven Entwicklung des Landes mittel-
ristig Perspektiven für die Reduzierung der internatio-
alen Streitkräftepräsenz ergeben. Derzeit ist es aber
och notwendig – so wurde es auch gemeinsam verein-
art –, dass wir dort unseren Beitrag leisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-
and handelt in Solidarität mit seinen Verbündeten und
artnern auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicher-
eitsrates der Vereinten Nationen. Deshalb ist unser En-
agement in Bosnien-Herzegowina weiterhin notwen-
ig. Es dient der Sicherheit und dem Wohl der Menschen
ort, aber es dient letztlich auch der Sicherheit unseres
igenen Landes und entspricht unserer Verantwortung in
en Vereinten Nationen. Deshalb halte ich es weiterhin
ür notwendig, dass wir dort unseren Beitrag leisten. Ich
itte daher um die weitere Unterstützung des Parlamen-
es für die friedenssichernden Maßnahmen.
Besten Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Stinner,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Nach meinem Dafürhalten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 627
)
)
Dr. Rainer Stinner
ist der militärische Einsatz, auch der Einsatz der Bundes-
wehr, in Bosnien-Herzegowina über die Zeit hinweg
ohne jeden Zweifel ein großer Erfolg gewesen. Es ist ein
großer Erfolg für das Land Bosnien-Herzegowina, weil
in der Tat ausschließlich durch den Schutz der internatio-
nalen Truppen gewährleistet wurde, dass sich überhaupt
ein gesellschaftlicher und politischer Prozess entwickeln
konnte. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Militär
friedenserhaltend und friedenssichernd eingesetzt wer-
den kann.
Es ist aber auch ein Erfolg für Europa. Europa hat
sich hier erstmals selbst und der Welt gezeigt, dass es in
der Lage ist, ein größeres militärisches Engagement in
Eigenverantwortung durchzuführen. Wir erinnern uns
daran, dass wir alle durchaus Bedenken hatten, ob SFOR
wirklich abgelöst werden kann. Die vergangenen Mo-
nate haben gezeigt, dass es möglich ist. Das ist ein wei-
terer Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Außen-
und Sicherheitspolitik; und das ist gut so.
Deutsche Soldaten haben bei diesem Prozess eine
große Rolle gespielt. Wir stellen nach wie vor mit über
1 000 Soldaten ein großes Truppenkontingent. Ich
glaube – Herr Minister Sie haben es angesprochen –, wir
alle können stolz darauf sein, dass und wie unsere
Soldaten auch in diesem Falle Dienst leisten für den
Frieden, für die Friedenserhaltung. Wir sind stolz darauf
und bedanken uns bei den Soldaten für ihren Einsatz.
Am 25. November, an einem symbolischen Tag, hat
die Europäische Union beschlossen, den Prozess der
Verhandlung über ein Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina anzugehen –
ein wichtiger Schritt auf dem gemeinsam verabredeten
Weg nach Europa. Wir alle wissen, dass die Europäische
Union im Jahre 2003 in Thessaloniki ein sehr starkes
politisches Signal für diese Richtung gegeben hat. Das
SAA ist hier sicherlich ein ganz wichtiger Schritt.
Wir müssen zehn Jahre nach Dayton erkennen: Ja-
wohl, es gibt eine ganze Menge an Erfolgen. Mit der
Mehrwertsteuer gibt es ab dem 1. Januar 2006 erstmals
– längst überfällig – zentrale Steuern. Es gibt eine Poli-
zeireform. Das Zollregime wurde vereinheitlicht. Das al-
les sind Schritte in die richtige Richtung.
Auch ich bin froh – genau wie es der Herr Minister
gesagt hat –, dass wir mit Herrn Schwarz-Schilling ei-
nen neuen Hohen Repräsentanten haben, der tatsächlich
wie kein Zweiter für dieses Amt geeignet ist;
denn unser ehemaliger Kollege Schwarz-Schilling bringt
Eigenschaften mit, die gerade jetzt in diesem Lande
dringend notwendig sind. Durch seine jahrelange Tätig-
keit als Streitschlichter bringt er die Fähigkeit zum Kom-
promiss, zum Ausgleich und zu Verhandlungen mit. Ge-
nau das ist in Bosnien-Herzegowina in den kommenden
Monaten und Jahren wichtig. In Richtung auf dieses
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Ich erteile das Wort dem Staatsminister Gernot Erler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
zehn Jahren beendete das Friedensabkommen von Day-
ton den blutigsten und verlustreichsten der vier Balkan-
kriege der 90er-Jahre. In der Tat: Am 21. November
dieses Jahres, genau am zehnten Jahrestag der Unter-
zeichnung des Dayton-Abkommens, hat die EU die
Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina aufgenom-
men und damit, was den Prozess der Integration dieses
Landes in Europa betrifft, ein neues Kapitel aufgeschla-
gen.
Zwischen der Tragödie des Krieges, der von 1992 bis
1995 andauerte, und heute liegen zehn Jahre intensivsten
Engagements der internationalen Gemeinschaft: für ei-
nen Friedensprozess und ein Nation Building, das es in
diesem Umfang bisher noch nicht gegeben hat. Dieser
Prozess erforderte den Einsatz von vielen Soldaten, Poli-
zisten, Helfern, Experten und auch von sehr viel Geld.
Dieser Einsatz hat sich gelohnt. Ich habe erfreut zur
Kenntnis genommen, dass der regionalkundige Kollege
Dr. Stinner das genauso sieht.
Für die Menschen in Bosnien-Herzegowina ist der
Krieg heute eine schlimme Erinnerung. Das Land selbst
ist weitgehend stabil. Zieht man eine politische Zwi-
schenbilanz, wird man auf Licht und Schatten stoßen;
aber allmählich überwiegt das Licht. Die Mehrheit der
Flüchtlinge ist zurückgekehrt und das, was im Krieg an
Gut, Boden und Häusern requiriert worden war, wurde
zurückgegeben.
Leider hat sich die Mehrheit der Binnenflüchtlinge
nicht dazu entschließen können, in die ehemaligen Sied-
lungsorte zurückzukehren. Aber bei der Demokratisie-
rung gibt es erhebliche Fortschritte. Heute sind freie und
faire Wahlen in Bosnien-Herzegowina an der Tagesord-
nung. Der Gesamtstaat mit seinen beiden unterschiedli-
chen Entitäten – auf der einen Seite die Serbische Repu-
blik, auf der anderen Seite die Bosnisch-Kroatische
Föderation – wächst Schritt für Schritt zusammen. Ein-
geleitet ist zum Beispiel die Bildung einer gesamtstaatli-
chen Armee mit einem gemeinsamen Verteidigungs-
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Vor zwei Tagen, am 14. Dezember 2005, hat der Day-
on-Implementierungsrat beschlossen, unseren früheren
ollegen und ehemaligen Bundesminister Dr. Christian
chwarz-Schilling, der als Mediator und Streitschlichter
iel Erfahrung in exakt diesem Land hat, zu seinem
achfolger zu ernennen. Dazu gratulieren wir ihm herz-
ich. Diese Ernennung drückt die Anerkennung seiner
rbeit aus, aber auch ein wenig die Anerkennung und
en Respekt für das, was Deutschland in diesem Frie-
ens- und Stabilisierungsprozess geleistet hat.
Althea ist in diesem Kontext tatsächlich ein sehr
ichtiger Teil, aber nicht der einzige. Deutschland hat
m Rahmen von Projekten zur Flüchtlingsrückkehr, zur
emokratisierung, zur Medienhilfe und zur Wirtschafts-
örderung mehr als 100 Millionen Euro beigesteuert.
arüber hinaus stellt Deutschland das größte Truppen-
ontingent, nämlich annähernd 1 000 der bei Althea ein-
esetzten 6 200 Soldaten.
Nirgendwo kann man die ESVP, die Europäische
icherheits- und Verteidigungspolitik, besser als in
osnien-Herzegowina in der Praxis beobachten, und
war sowohl ihren zivilen als auch ihren militärischen
eil. Auf den EU-Gipfeln in Köln und Helsinki im Jahre
999, also unmittelbar nach dem Kosovokrieg, wurde
ie Bildung europäischer Fähigkeiten beschlossen, die
etzt und auch in Zukunft in Bosnien zum Einsatz kom-
en. Mit der EUPM, der europäischen Polizeimission,
at es 2003 begonnen. Noch heute versuchen 170 Poli-
eiberater, eine eigene, wirksame Polizei in Bosnien-
erzegowina auszubilden. Mit Althea ist es weiterge-
angen, diesem in der Tat umfangreichsten europäischen
eitrag zur Friedenskonsolidierung. Wie Bundesminis-
er Jung schon gesagt hat: Hier ist der Übergang von der
ATO zur EU und auch die Zusammenarbeit gut verlau-
en.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
ollegen, der weitere Weg Bosnien-Herzegowinas ist
orgezeichnet. Wir wollen, dass das Land mehr und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 629
)
)
Staatsminister Gernot Erler
mehr Eigenverantwortung übernimmt. Dabei werden
die für Oktober nächsten Jahres vorgesehenen Wahlen
eine wichtige Rolle spielen, sie werden einen Meilen-
stein darstellen. Herr Kollege Dr. Stinner, wenn der
demokratische Transformations- und Stabilisierungspro-
zess in Bosnien-Herzegowina bis Ende 2006 ausrei-
chende Fortschritte gemacht haben wird, dann soll die
Eigenverantwortung deutlich ausgeweitet werden,
auch dadurch, dass dann der Hohe Repräsentant einem
Sonderbeauftragten der EU – den werden wir weiter
brauchen – weichen kann, der aber, so viel ist klar, ver-
ringerte Einwirkungsrechte auf die bosnische Politik ha-
ben wird; ich glaube, in diesem Punkt liegen wir nicht
weit auseinander.
Entscheidend für eine gute Zukunft des Landes wird
aber auch sein, dass die EU bei ihrer Westbalkanpolitik
bleibt, wie sie auf dem Europäischen Rat von Thessalo-
niki formuliert und beschlossen worden ist: die EU-
Perspektive für Bosnien-Herzegowina und die Westbal-
kanregion muss eindeutig bestehen bleiben. Gerade ist,
wie gesagt, mit der Aufnahme von Verhandlungen über
ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ein
neues Kapitel eröffnet worden. Ich will an dieser Stelle
noch einmal festhalten: Die neue Bundesregierung hat
sich in ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005
eindeutig zur Aufrechterhaltung der europäischen Per-
spektive für die Westbalkanstaaten – auch aus friedens-
politischen Gründen – entschlossen. Wir werden bei die-
sem Prozess ein guter Partner sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Norman Paech, Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weni-
gen Wochen, die wir uns jetzt im neuen Bundestag mit
der Außenpolitik beschäftigt haben, sind ganz vom Mili-
tär und vom Geheimdienst bestimmt worden. Sie kennen
ja nun allmählich unsere Allergie gegen diese Themen,
sodass es Sie nicht überrascht haben wird, dass wir auch
den Abzug der deutschen Truppen aus Bosnien und Her-
zegowina fordern.
Wir halten Militärmissionen zur Befriedung und zum
Aufbau eines Staates trotz dessen, was Herr Erler und
Herr Stinner hier an Erfolgen der bisherigen Missionen
genannt haben, für überhaupt nicht mehr zeitgemäß.
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Ja, genau darum geht es; darauf werde ich eingehen. –
ie wirtschaftliche und soziale Situation der Mehrheit
er Bevölkerung ist nach wie vor äußerst miserabel.
osnien-Herzegowina ist immer noch, trotz aller Er-
olge, weit von dem entfernt, was wir ein friedliches und
emokratisches Land nennen können. Doch in einer
insicht hat sich die Lage in Bosnien-Herzegowina seit
em Daytoner Friedensabkommen von 1995 in der Tat
ntscheidend verändert: Gefahr für den Friedensprozess
eht heute nicht mehr von militärischen Konfrontationen
nd bewaffneten Strukturen aus. Im Rahmen des Althea-
andats wurde die Bundeswehr aber noch damit beauf-
ragt – ich zitiere –,
die ehemaligen Kriegsgegner und andere bewaff-
nete Gruppen von der Aufnahme erneuter Feind-
seligkeiten und Gewalttaten
bzuschrecken. Es geht aber nicht mehr um die Tren-
ung solcher bewaffneter Kriegsparteien. Das Althea-
andat hat nichts mehr mit dem zu tun, was das Land
raucht.
Die Sicherheit der Menschen dort ist zuallererst durch
as gefährdet, was wir als mafiöse Strukturen und orga-
isiertes Verbrechen bezeichnen: Zwangsprostitution,
enschen-, Drogen- und Waffenhandel. Das sind die
ealen Gefahren, die die Menschenrechte und die demo-
ratische Entwicklung in diesem Land heute bedrohen.
Diese Probleme lassen sich aber nicht durch Militär-
räsenz lösen.
ie haben während der Feiern zum 10. Jahrestag das
urch die Straßen Sarajewos flanierende Militär gese-
en. Das hat nichts mehr damit zu tun, dieses Land zu
tabilisieren. Das Militär gerät höchstens selber in die
efahr, in diesem mafiösen Sumpf mit zu versinken.
an braucht andere Waffen als Panzer.
Das organisierte Verbrechen ist immer so stark, wie
ie zivile Gesellschaft schwach und die wirtschaftliche
age katastrophal ist; denn dann sind auch die staatli-
hen Institutionen schwach. Das ist das Problem Bos-
ien-Herzegowinas. Die katastrophale wirtschaftliche
nd soziale Situation in diesem Land schürt Konflikte,
ie dann immer wieder ausbrechen. Diese werden – das
ei nur nebenbei bemerkt – nicht durch die liberalen
630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Norman Paech
Konzepte von Deregulierung, Privatisierung und Ent-
staatlichung behoben, wie sie die EU aktuell vorschlägt.
Diese Einschätzung der Situation entspricht übrigens
den Analysen renommierter internationaler Organisatio-
nen wie auch der Lageeinschätzung des Bundesverteidi-
gungsministeriums. Das Internationale Institut für Stra-
tegische Studien in London hat Bosnien bereits aus
seiner Armed Conflict Database herausgenommen.
Was die Situation in Bosnien-Herzegowina wirklich
so instabil macht, ist die Tatsache, dass die staatlichen
Institutionen weitgehend zerstört oder geschwächt sind.
Deshalb ist es notwendig – darauf haben Sie sehr richtig
hingewiesen, Herr Stinner –, dass die staatlichen Institu-
tionen für eine absehbare Übergangszeit von außen ge-
stützt und ergänzt werden.
Dafür ist das Militär vollkommen ungeeignet.
Wir schlagen deshalb vor, mit dem eingesparten Geld
eine internationale Polizeimission aufzubauen, eine
Mission mit weit gehenden kriminalpolizeilichen Befug-
nissen, die – das steht im Gegensatz zu den unlängst ge-
äußerten Überlegungen des damaligen Verteidigungs-
ministers Struck – außerhalb militärischer Strukturen
organisiert ist. Es ist doch vollkommen absurd: Wir sen-
den ein paar Polizisten nach Bosnien, die nicht einmal
Dienstpistolen tragen dürfen und nicht in die korrupten
Strukturen der bosnischen Polizei eingreifen dürfen.
Gleichzeitig fordert uns die Bundesregierung auf, der
Stationierung einer völlig überrüsteten militärischen
Truppe zuzustimmen.
Kollege Paech, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
Bosnien-Herzegowina ist nicht mehr irgendein Hort
des Terrors. Dort ist nicht mehr das Heim von Bin Laden
und al-Qaida. Herr Minister Jung, Sie haben am
27. November im „Deutschlandfunk“ gefordert, dass die
Bundeswehr nicht
für Maßnahmen eingesetzt wird, für die sie gerade
nicht ausgebildet ist.
Im Fall Bosnien-Herzegowinas sollten Sie Ihre Überle-
gungen wahr machen.
Gestatten Sie mir – –
Nein, ich gestatte es nicht. Kommen Sie bitte sofort
zum Ende. Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Dann sage ich nur noch: Wir werden diesem Antrag
nicht zustimmen. Es ist unser Credo und wird es immer
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Herr Paech, bei allem Respekt: Sie haben naht-
os an die außenpolitische Talfahrt von heute Morgen an-
eschlossen.
as darf an dieser Stelle einmal gesagt werden. Leider
chmückt die Kollegin Eid bereits ihren Christbaum;
onst hätte ich ihr meine Redezeit übertragen, weil man
ieles von heute Morgen in diesen Beitrag hätte ein-
auen können. Es wäre aber vergebene Liebesmüh.
Bevor ich den Blick auf Bosnien-Herzegowina richte,
öchte ich noch einen Blick über die Grenze hinaus
erfen. In diesen Tagen diskutieren wir darüber, ob
azedonien der Status eines Beitrittskandidaten ver-
iehen werden soll und kann. Die CDU/CSU würde die-
en Schritt gerade auch vor dem Hintergrund der stabili-
ierenden Wirkung der Anreize, die damit entfaltet
ürden, begrüßen. Es erscheint uns allerdings auch
ichtig, dass mit einem solchen Schritt kein starres Da-
um verbunden wird und dass die Aufnahmefähigkeit der
uropäischen Union vielleicht unter der österreichischen
atspräsidentschaft im nächsten Jahr noch einmal einer
irklichen Debatte im Gesamtkontext unterzogen wird.
Die EU hat mit Althea vor einem Jahr noch einmal
in deutliches Zeichen dafür gesetzt, dass man mehr Ver-
ntwortung auf dem Balkan übernehmen will; Herr
taatsminister Erler, Sie haben es angesprochen. Herr
taatsminister Erler, Sie haben auch angedeutet, dass das
atsächlich Ausdruck eines gelungenen Zusammenwir-
ens der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
olitik und der NATO ist, deren Verhältnis nicht immer
eicht und spannungsfrei ist. Das zeigt, dass dieses Ver-
ältnis auch zielführend ausgestaltet und auf Komple-
entarität aufgebaut werden kann. Von daher glaube ich,
ass man sagen kann, dass hier ein gelungenes Beispiel
ür eine notwendige Sicherheitsstruktur geschaffen wor-
en ist.
Gerade in Zeiten, in denen das transatlantische Ver-
ältnis wie derzeit einmal mehr in der Diskussion steht,
arf man sich auch noch einmal Folgendes in Erinnerung
ufen: Ohne die Sicherheitspräsenz der transatlantischen
llianz und damit auch der Vereinigten Staaten hätte
osnien-Herzegowina nicht aus den Schreckensszena-
ien entkommen können. Von daher sollten wir diesen
ezug immer wieder herstellen. Auch angesichts dessen,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 631
)
)
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
was wir gerade vonseiten der Linkspartei zur Gesamt-
struktur hören durften, verdient dieser Ansatz sicherlich
auch eine gewisse Dankbarkeit.
Wir haben heute bereits die besondere Verantwortung
der Europäischen Union hervorgehoben. Dieses Haus
hat auch eine besondere Verantwortung gegenüber unse-
ren Soldaten, denen ich vonseiten der CDU/CSU noch
einmal herzlich danken will. Dies gilt auch für die zivi-
len Kräfte, die vor Ort sind. Sie leisten eine großartige
Arbeit für uns. Von unserer Seite noch einmal herzlichen
Dank dafür.
Es kann allerdings auch nicht oft genug darauf hinge-
wiesen werden – das haben wir in den vergangenen Jah-
ren deshalb immer wieder getan –, dass der Verdienst
unserer Soldaten vor Ort nicht politikersetzend ist. In
diesem Gesamtkontext haben wir auf Fortschritte hinge-
wiesen und die Probleme immer wieder hervorgehoben.
Es ist richtig: Zehn Jahren nach Dayton ist ein positives
Fazit zu ziehen. Nach vielen kleinen Schritten, die ge-
gangen wurden, wird eine Gesamtstruktur erkennbar, die
insgesamt erfreulich ist.
Es scheint sich langsam eine Schwelle aufzutun. Aus-
gehend vom Krisenmanagement kommt man jetzt über
einen gesellschaftlichen Bereich, der sich in einer Phase
des Postkonflikts befindet, langsam dazu, vom Aufbau
einer staatlichen Struktur sprechen zu können. Das ist
einmal ein erfreulicher Tatbestand, den man in diesem
Kontext nennen sollte.
Gerade im Jahr 2005, das Jahr, auf das wir jetzt zu-
rückblicken dürfen, gab es einige sehr erfreuliche und
sehr positive Entwicklungen. Es wurde eine Reform der
Armee auf den Weg gebracht und es gibt gerade im ge-
samtstaatlichen Kontext – die Schwierigkeiten dort müs-
sen wir sehen – bemerkenswerte Reformansätze im Hin-
blick auf die Polizei. Im Justizbereich gibt es ebenfalls
entsprechende Fortschritte. Selbst im Bereich der Steuer-
gesetzgebung sind einige Ansätze erkennbar, etwa bei
der Mehrwertsteuer. Dieses Thema ist uns ja nicht gänz-
lich fremd.
Der entscheidende Ansatz aber – das wurde immer
wieder benannt – ist die europäische Perspektive. Das
muss mit aller Nüchternheit und Klarheit angesprochen
werden. Es kann aber nicht allein auf die europäische
Perspektive ankommen. Das ist nicht das allein entschei-
dende Merkmal. Wir müssen gerade auch die politischen
Verantwortungsträger vor Ort in Bosnien-Herzegowina
immer wieder darauf hinweisen, was Eigenverantwor-
tung eigentlich heißt und was ein wirkliches Engage-
ment bedeutet. Es muss zu einer entsprechenden Dyna-
mik in der Sache kommen. Das dürfen wir von unserer
Seite vehement einfordern. Sich nur auf die europäische
Perspektive zu berufen wäre in diesem Gesamtzusam-
menhang etwas dünn.
Dem Hohen Repräsentanten – Herr Kollege Stinner,
Sie haben es angesprochen – wächst hierbei eine beson-
dere Rolle zu. Auch die CDU/CSU-Fraktion begrüßt mit
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Ich erteile das Wort Kollegin Marieluise Beck, Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
en und Kollegen! Auch ich möchte gerne von diesem
latz dem Kollegen Schwarz-Schilling alles Gute und
iel Kraft wünschen. Es gibt kaum jemanden, der wie er
azu berufen ist, dieses Amt für die nächsten Jahre aus-
ufüllen. Er hat mit einer Herzenswärme und mit einer
eharrlichkeit viele Jahre lang, als Europa nicht den Mut
atte, sich den Morden einig entgegenzustellen, für die
ntervention in Bosnien gestritten. Er ist wirklich der
ichtige, um vielleicht das Land an den Punkt zu führen,
n dem es eines solchen Amtes nicht mehr bedarf.
632 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Marieluise Beck
Hier ist von der Linkspartei schlichtweg in Verken-
nung der Realitäten in Bosnien so getan worden, als ob
auf Militär verzichtet werden könnte. Was es für eine
Katastrophe bedeutet hat, dass viel zu lange nicht gese-
hen worden ist, dass es aus humanitären Gründen not-
wendig gewesen wäre, Militär einzusetzen, wissen wir
alle. Das haben wir erleben müssen, bis dem endlich
1995 nach dem Massaker von Srebrenica durch ein ent-
schiedenes militärisches Eingreifen ein Ende gesetzt
worden ist.
Aber all das, was danach entstanden ist, ist fragil geblie-
ben. Wir sollten uns klar machen: Bei den Verhandlun-
gen in Dayton haben die Kriegsverbrecher mit am Tisch
gesessen. Entsprechend unzulänglich ist der Vertrag von
Dayton geworden.
Wer im Juli dieses Jahres nach Srebrenica zu den Fei-
ern anlässlich des zehnjährigen Gedenktages der Ermor-
dung der Menschen von Podgorica gefahren ist, der
konnte, wenn er wollte, zur Kenntnis nehmen, dass der
jetzige Polizeipräsident der Republik Srpska namens
Andan derjenige ist, der zusammen mit Mladić an die-
sem 10./11. Juli 1995 in Podgorica einmarschiert ist und
dort die Männer und Jungen entführt und ermordet hat.
Das ist auch ein Teil der Realität, wie sie in Bosnien
nach wie vor gegeben ist. Ich glaube, auch aus symboli-
schen Gründen ist eines unendlich wichtig: Solange
Mladić und Karadzic noch frei herumlaufen, wird dieses
Land fragil bleiben.
Denn Wahrheit und Gerechtigkeit sind unabdingbar für
ein Land, das zu sich selber finden will. Wir alle wissen,
dass es auch um die Frage einer staatlichen Identität die-
ses Landes geht, das nach wie vor sehr zerrissen ist.
Das Land ist deshalb so zerrissen, weil in Dayton
nicht nur die Kriegsverbrecher am Verhandlungstisch
gesessen haben, sondern auch diejenigen, die die natio-
nalistischen Parteien der ethnischen Zuordnung ange-
führt haben. Damit ist ein Gebilde entstanden, das kaum
als Staat bezeichnet werden kann; es ist zweigeteilt und
von äußerst unzureichenden Strukturen geprägt. Bei-
spielsweise gibt es 180 Minister. Dieses Gebilde ist in
eine Phase hineingeraten, die von einer Parallelität zwi-
schen einem Quasiprotektorat einerseits und einem ge-
wählten Parlament andererseits bestimmt war. Das hat
faktisch zu einer Art organisierter Verantwortungslosig-
keit geführt.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass der Demokra-
tisierungsprozess in dem Land von innen heraus in Fahrt
kommen muss. Das bedeutet, dass das Dayton-Abkom-
men in den Punkten überwunden werden muss, durch
die die Zweiteilung des Landes festgeschrieben wurde.
Schließlich ist uns bekannt, dass sich viele Kroaten in
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Die EU muss nicht nur um des Landes willen, son-
ern auch um ihrer selbst willen auf diesen Bedingungen
estehen. Wir alle wissen, was sich vor zehn Jahren als
ichtig erwiesen hat: Mit Bosnien stirbt Europa. Heute
ann vielleicht im Umkehrschluss festgestellt werden:
it Bosnien kann Europa den nächsten Schritt in die Zu-
unft gehen.
Schönen Dank.
Ich erteile Kollegen Detlef Dzembritzki, SPD-Frak-
ion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich an die Dis-
ussion, die wir zur Operation Althea vor einem Jahr in
iesem Hause geführt haben. Schon damals zeichnete
ich ab, dass wir mit Optimismus davon ausgehen wür-
en, dass sie zu einem gemeinsamen und erfolgreichen
uropäischen Projekt werden würde.
Heute kann man in einer Rückschau feststellen, dass
ir uns dabei nicht übernommen haben. Das ist eine
ohltuende Erkenntnis. Ich finde es im Übrigen sehr an-
enehm, dass das Haus bis auf eine kleine Ausnahme ge-
einsam die Politik, die von uns und der Europäischen
nion in Bosnien-Herzegowina verfolgt wird, akzeptiert
nd unterstützt. Das ist ein gutes Zeichen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 633
)
)
Detlef Dzembritzki
Es wäre verlockend, die Diskussion, an der die Kolle-
gen Eid beteiligt war, an dieser Stelle noch einmal aufzu-
greifen. Ich will aber nur eine Bemerkung dazu machen.
Ich bin kurz nach den kriegerischen Ereignissen nach
Bosnien-Herzegowina gefahren und habe mir das Land
angeschaut; denn allein bei uns in Berlin waren über
30 000 Flüchtlinge und wir mussten uns ständig die
Frage stellen, wann diese Menschen endlich wieder zu-
rückkehren können. Was ich damals in Bosnien-Herze-
gowina erlebt und gesehen habe – die zerstörten Häuser
und die zerstörte Infrastruktur –, hielt ich in Europa für
nicht vorstellbar. Verehrte Kolleginnen und Kollegen
von den Linken, Ihre Vorstellung, dass dies alles aus-
schließlich mit Diskussionen und Goodwill zu beenden
gewesen wäre, ist so naiv,
dass Ihre Argumente und Vorschläge betreffend den zivi-
len Bereich – darüber hätte man ruhig einmal im Detail
diskutieren und das eine oder andere aufgreifen können;
Sie haben ja zum Teil Recht; das ist unbestreitbar – un-
glaubwürdig werden. Das gilt auch für die Vorwürfe, die
Sie uns gemacht haben, als wir die Mühen des militäri-
schen Einsatzes auf uns genommen haben.
Man kann den Soldatinnen und Soldaten für die dort
übernommenen Aufgaben nur dankbar sein.
Man begegnet ihnen dort übrigens nicht mit Vorurteilen
gegenüber dem Militär, sondern man verbindet mit ihrer
Anwesenheit Sicherheit. Das Kennzeichen, die Qualität
des Einsatzes der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina
ist gerade, dass sie in der Bevölkerung Anerkennung fin-
det. Das habe ich persönlich gespürt. Es war beinahe be-
schämend, als sich die Menschen bei mir, einem Zivilis-
ten, für den Einsatz der Bundeswehr bedankt haben.
Ich möchte an die Ausführungen von Frau Kollegin
Beck anschließen. Der zehnte Jahrestag von Dayton
zwingt uns quasi, zu schauen, was bewegt worden ist,
und darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Es
gibt ja durchaus positive Aspekte: die Aufnahme der
Verhandlungen zur Stabilisierung des EU-Assoziie-
rungsabkommens und – da dies heute noch nicht ange-
sprochen worden ist, möchte ich es erwähnen – das Be-
kenntnis der Vorsitzenden aller relevanten bosnischen
Parteien zur Notwendigkeit einer Verfassungsreform.
Die entsprechende Zusage ist auf der Dayton-plus-Zehn-
Konferenz gegeben worden. Es ist wirklich bemerkens-
wert, dass sich diese gesellschaftlichen Gruppen zu der
Notwendigkeit eines Veränderungsprozesses bekennen.
Ein weiteres positives Signal – das haben schon fast
alle angesprochen – ist die Wahl des Kollegen Schwarz-
Schilling zum Nachfolger des Hohen Repräsentanten
Paddy Ashdown. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie
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ch hätte gedacht, dass er nach dem, was er schon alles
ingebracht hat, ein bisschen zögern würde, dieses Amt
u übernehmen. Kollege Guttenberg hat ja auf sympathi-
che Weise gesagt, dass Herr Schwarz-Schilling einige
ahre nach der Pensionierung offenbar schauen müsse,
as er noch tun könne. Mein Respekt und die Dankbar-
eit meiner Fraktion, dass er sich dieser Herausforde-
ung stellt!
Die Ereignisse in Bosnien-Herzegowina zeigen aber
in Stück weit auch, dass all das, was sich dort entwi-
kelt hat, nur unter äußerem Druck möglich war. Es ist
icht so, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort das,
as wir nun begrüßen, eigenverantwortlich auf den Weg
ebracht hätten. Es war immer notwendig, von außen
ruck auszuüben. Ich erinnere in diesem Zusammen-
ang nur daran, wie die Verantwortlichen der Republik
rpska quasi gezwungen werden mussten, der Polizei-
eform als notwendiger Voraussetzung für den Stabilisie-
ungs- und Anpassungsprozess der EU zuzustimmen.
Ich glaube, dass man die Bonn Powers differenzierter
etrachten muss. Wir alle sind damit nicht glücklich.
addy Ashdown ist sicherlich manchmal ein kleiner
izekönig gewesen; das ist nicht wegzudiskutieren. Die
onn Powers, die so stark sind, bieten den Verantwortli-
hen vor Ort auch die Möglichkeit – das räumen zum
eil die Kollegen in Bosnien-Herzegowina selber ein;
iele von außen bestätigen das –, sich zu verstecken, die
nliebsamen, möglicherweise mit Kritik behafteten Ent-
cheidungen vom Hohen Repräsentanten treffen zu las-
en und sich so der eigenen Verantwortung zu entziehen.
Deswegen, Kollege Stinner, haben Sie völlig Recht.
ir haben mit dem Kollegen Schwarz-Schilling jeman-
en, der es – ich sage das als Sozialpädagoge – wirklich
n den Fingerspitzen hat, diesen Prozess so zu gestalten,
ass er sich selbst überflüssig macht. Ich wünsche ihm
rfolg und viel Glück.
Es muss aber auch erkennbar werden, dass die Ak-
eure in Bosnien-Herzegowina das Wohlergehen des Ge-
amtstaates und aller Bürgerinnen und Bürger wollen.
as muss in den Prozess einer neuen Verfassung einflie-
en. Es gibt heute schon Möglichkeiten, ohne dass diese
erfassung schon vollendet ist, identitätsstiftende
esamtstaatliche Projekte durchzuführen. Wir haben
on der Verteidigungsreform gehört. Aber solange die
epublik Srpska ihre Soldaten noch in Serbien ausbildet
nd die anderen ihre Soldaten in Kroatien ausbilden und
ie nicht zu einer gemeinsamen Philosophie kommen,
ird da nichts Gesamtstaatsbildendes sein. Man muss
lso schauen, dass etwas mehr geschieht, als auf dem
634 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Detlef Dzembritzki
Papier Freundlichkeiten zu bereiten. Ich glaube, dass wir
da auf einem ganz guten Weg sind.
Ich will abschließend sagen: Wir dürfen nie den Ein-
druck entstehen lassen, dass die gute Entwicklung, die
wir in den zurückliegenden Jahren in Bosnien-Herzego-
wina erlebt haben, selbstverständlich war. Der Kollege
Erler hat das angesprochen. Wer weiß, was die Men-
schen dort einander angetan haben, und wer weiß, wie
dicht das Erlebte noch ist, der wird seinen Respekt und
seine Anerkennung dafür aussprechen, dass diese Men-
schen aufeinander zugegangen sind und der Hass doch
überwunden worden ist.
Die gute Weihnachtsbotschaft ist doch, dass Frieden
in dieser Welt möglich ist und dass Hass überwunden
werden kann. Wenn wir als Deutscher Bundestag dabei
ein bisschen helfen konnten, dann haben wir gemeinsam
fröhliche Weihnachten verdient.
Alles Gute.
Der so oft erwähnte und mit allen guten Wünschen
begleitete Kollege Schwarz-Schilling sitzt dort oben auf
der Tribüne. Ich begrüße Sie herzlich.
Sie haben es gehört, aber ich will es noch einmal sagen:
Alle unsere guten Wünsche für Ihre so wichtige Frie-
densaufgabe, die Sie in Bosnien-Herzegowina übernom-
men haben! Gott befohlen auf Ihrem Weg!
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur europäi-
schen Chemikalienpolitik
Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kol-
legin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, eine Ihrer ersten
Aussagen im Umweltausschuss war: Wir brauchen eine
innovative Umweltpolitik. Niemand stimmt Ihnen, lieber
Herr Minister, da mehr zu als die Grünen. Solange das
Umweltministerium in grüner Hand war, ist dieser An-
spruch auch ein gutes Stück eingelöst worden. Ich hoffe
sehr, dass Sie in der Umweltpolitik da weitermachen, wo
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Lassen Sie uns auch über das originäre Ziel von
EACH reden, das jetzt, nachdem der Ministerrat seine
puren hinterlassen hat, völlig verfehlt wird. Dieses Ziel
st der bessere Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor
efährlichen Chemikalien. Die Bundesregierung hat
azu beigetragen, die Datenanforderungen für den Pro-
uktionsbereich von eine bis zehn Tonnen pro Jahr ge-
enüber dem Kommissionsentwurf gravierend abzu-
chwächen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 635
)
)
Sylvia Kotting-Uhl
Von den bislang 100 000 Altstoffen bleiben so weiterhin
mindestens 90 000 ungeprüft. Es stellt sich die
Frage – zumindest für uns Grüne –, ob der Preis für die
Datenanforderung bei Altstoffen, nämlich die weit ge-
hende Deregulierung bei Neustoffen, vor diesem Hinter-
grund nicht zu hoch ist.
Herr Minister Gabriel, Sie verteidigen den Einsatz der
Bundesregierung gegen die befristete Zulassung gefähr-
licher Stoffe damit, dass Sie „nicht viele Unternehmen
kennen, die sich mit einer fünfjährigen Befristung in
Forschungsvorhaben stürzen“. Dazu sage ich Ihnen: Von
einem Umweltminister erwarte ich die Unterstützung an-
derer Forschungsvorhaben. In diesem Fall erwarte ich
die Unterstützung von Forschung und Entwicklung in
Bezug auf für Mensch und Umwelt ungefährliche Stoffe.
Die befristete Zulassung gefährlicher Stoffe wäre ein
Schritt in genau diese Richtung gewesen.
Wir alle kennen das beliebte Bild von etwas, was als
Tiger losspringt und als Bettvorleger landet. REACH
hätte ein Tiger sein können. Der Ministerrat hat daraus
einen Bettvorleger gemacht. Wenn wir uns vergegenwär-
tigen, was REACH bedeutet – Registrierung, Evaluie-
rung, Autorisierung von Chemikalien –, dann stellen wir
fest, dass außer Autorisierung nicht viel übrig geblieben
ist und damit von einem ambitionierten REACH nicht
mehr als ein leises Ach.
Als ein Erzengel Gabriel der Umweltpolitik haben Sie
sich, Herr Minister, in diesem ersten Akt noch nicht er-
wiesen und das ist mehr als schade.
Im Sinne des Gesundheitsschutzes von Bürgerinnen und
Bürgern, im Sinne einer innovativen Umweltpolitik ist
die Erlegung des Tigers REACH, zu der Sie beigetragen
haben, fatal. Wir schließen daraus, dass innovative Um-
weltpolitik wohl weiterhin zuallererst eine Aufgabe der
Grünen bleiben wird. Wir widmen uns dieser Aufgabe
mit Freuden und geben die Hoffnung noch nicht auf,
dass diese Freude auch auf Sie ansteckend wirken wird.
Vielen Dank.
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Bundes-
tag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre wei-
tere Arbeit bei uns!
Nun erteile ich das Wort dem Bundesminister Sigmar
Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Kollegin Kotting-Uhl, einer Ihrer Hauptvorwürfe
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un müssen Sie klären und entscheiden, ob schon
ürgen Trittin ein Bettvorleger gewesen ist.
as ist eine Debatte, an der ich viel Freude habe. Ich
inde übrigens, dass er ein engagierter Umweltminister
ar.
Sie müssen nicht gleich von Ihrer früheren Meinung
brücken. – In dieser Frage hat er die richtige Linie ver-
reten. Diese Linie, Frau Kollegin, haben wir exakt ein-
ehalten. Wir haben uns an das gehalten, gerade in der
rage der Substituierung, was vorher besprochen wor-
en ist, und zwar einvernehmlich zwischen Bundesre-
ierung, VCI und IG BCE.
Es ist auch vernünftig, dass man den Versuch unter-
immt, mit den betroffenen Unternehmen sowie den Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmern über die Frage zu
eden, wie man Verbraucher- und Gesundheitsschutz und
as Interesse an der Erhaltung von Arbeitsplätzen in
bereinstimmung bekommt. Das haben wir getan.
Bei REACH steht für die Verbraucher das Verbrau-
her- und Gesundheitsschutzinteresse im Mittelpunkt.
abei geht es um die rund 30 000 Altstoffe, die bislang,
nders als Neustoffe, in der EU großenteils keinerlei Re-
istrierungs-, Evaluierungs- oder Zulassungsverfahren
nterworfen sind. Ihre Gefährlichkeit ist bislang in völ-
ig unzureichendem Maß untersucht worden. Gelegent-
ich wird dabei eingewandt – das hat meine Vorrednerin
636 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
auch getan –, dass es rund 100 000 Altstoffe gibt. Das ist
richtig, allerdings sind rund 70 000 dieser Altstoffe ent-
weder überhaupt nicht oder in einem so geringen Maß
im Markt vertreten, dass ein Verzicht auf die Überprü-
fung dieser Stoffe mehr als sinnvoll erscheint. Auch dies
war übrigens eine Position, die schon die vorherige Bun-
desregierung eingenommen hat.
In dieser Woche konnte nun ein aus Sicht der Bundes-
regierung wirklich guter Kompromiss erreicht werden,
der einerseits den Gesundheits- und Verbraucherschutz
deutlich stärkt, ihn in den Mittelpunkt stellt, andererseits
die technische Umsetzung der Verordnung so gestaltet,
dass die dadurch entstehenden Kosten für die Industrie
nicht wettbewerbsgefährdend sind. Dies gilt insbeson-
dere für die kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Alle 25 Mitgliedstaaten und auch die Kommission haben
diesem Kompromissvorschlag der britischen Ratspräsi-
dentschaft zugestimmt.
Was sind die zentralen Bestandteile der Verordnung?
Die Altstoffe werden endlich einem Registrierungsver-
fahren unterworfen. Die dafür erforderlichen Daten und
Unterlagen müssen die Hersteller der Chemikalien lie-
fern. Es trifft also nicht zu, was öffentlich manchmal be-
hauptet wird, auch in Pressemitteilungen Ihrer Fraktion,
besser gesagt: der grünen Fraktion im EP, dass diese Ver-
antwortung auf die Chemikalienagentur verlagert wor-
den ist. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verantwortung
bleibt bei den Herstellern.
Der Vorschlag einiger Teile der Industrie, diese Ver-
antwortung auf die europäische Chemikalienagentur ab-
zuwälzen, hat sich nicht durchsetzen können. Die Agen-
tur hätte diese Arbeit überhaupt nicht bewältigen
können, sondern wäre vermutlich an Herzinfarkt gestor-
ben.
Deutschland hat bei den Stoffen mit einem Produk-
tionsvolumen zwischen einer Tonne und zehn Tonnen
pro Jahr in diesem Registrierungsverfahren übrigens
zwei weitere Tests durchsetzen können, die insbesondere
für einen besseren Arbeitsschutz von Bedeutung sind.
Bei höheren Tonnagen sind Langzeittests vorge-
schrieben, von denen nur dann abgewichen werden
kann, wenn die betroffenen Chemikalien weder die Ar-
beitnehmer noch die Verbraucher, noch die Umwelt er-
reichen. Dieses so genannte Waving-Verfahren in der
Registrierung führt zu erheblichen Kostenentlastungen
und ist aus meiner Sicht mehr als sinnvoll; denn es geht
um die Stoffe, die die Biosphäre, den Menschen oder
speziell den Arbeitnehmer erreichen, nicht um diejeni-
gen, die in Stoffkreisläufen oder in der Matrix von Pro-
dukten gebunden bleiben.
Sollten sich in der Datenerhebung Gefahren bei einer
betroffenen Chemikalie abzeichnen, wird diese einem
Evaluierungsprozess unterworfen. Ergibt sich bei diesem
Evaluierungsprozess der Hinweis auf eine besondere
Gefährlichkeit, so wird diese Chemikalie einem beson-
deren Zulassungsverfahren unterworfen.
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nd übrigens auch ökologisch fragwürdig, weil das Zu-
assungsverfahren selbst schon sehr lange dauert. Wir
aben jetzt ein Verfahren gefunden, bei dem dann, wenn
nformationen darauf hindeuten, dass eine Gefährlich-
eit für die Umwelt besteht, die Genehmigung jederzeit
iderrufen werden kann, und zwar unabhängig von der
rage, für welchen Zeitraum eine Genehmigung vor-
iegt. Permanente Kontrolle, Frau Kollegin, ist besser als
ine unrealistische Annahme von Zeitspannen.
Vielleicht kann Jürgen Trittin herkommen; dann müs-
en Sie nicht mit ihm telefonieren. Ich kann Ihnen versi-
hern, dass das Zitat, das ich vorgelesen habe, echt war.
Der aus umweltpolitischer Sicht – das will ich offen
agen – viel schwierigere Kompromiss musste nicht bei
er Zulassungsfrist oder der Substitution geschlossen
erden, sondern – da haben Sie Recht – bei der Regis-
rierung. Das räume ich ausdrücklich ein. Wir mussten
ustimmen, dass bei der Registrierung der Stoffe zwi-
chen einer und zehn Tonnen pro Jahr nur die bereits ver-
ügbaren Daten abgegeben werden müssen. Ich konnte
iesem Kompromiss aber auch aus umweltpolitischer
icht zustimmen, weil diese Daten in der deutschen che-
ischen Industrie bereits in einem großen Umfang vor-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 637
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
handen sind. Das sollten Sie wissen. Denn nach den
Hoechst-Unfällen in den 90er-Jahren hat es dazu eine
sehr umfangreiche Selbstverpflichtung der chemischen
Industrie gegeben, die auch eingehalten wird. Sie ist üb-
rigens von der damaligen Umweltministerin Angela
Merkel durchgesetzt und später von Umweltminister
Jürgen Trittin stichprobenartig überprüft worden. Das
heißt, wir haben diese Daten. Deswegen ist dieser Kom-
promiss aus deutscher Sicht verantwortbar gewesen.
Noch nie war ein umweltpolitisches Vorhaben so um-
stritten. Wo die einen den Ausverkauf des Gesundheits-
und Umweltschutzes an die Industrie sehen, beschwören
die anderen den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit auf
den internationalen Märkten. Mit REACH verbindet sich
aber tatsächlich eine Pionierleistung bei der Folgenab-
schätzung bezüglich europäischer Vorhaben. Der heftige
Streit um die Verordnung führte zum Beispiel dazu, dass
unter Einbeziehung der Industrie und übrigens auch der
Umweltverbände erstmals eine breit angelegte systema-
tische Folgenabschätzung vorgenommen wurde.
In Deutschland wurde die Diskussion um REACH
streckenweise ideologisch geführt. Wenn man die Lob-
byisten hörte, gab es nur die Wahl zwischen dem Verrat
an der Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik und
der Verlagerung der chemischen Industrie ins Ausland.
Ich glaube, dass eine derart verengte Sichtweise den
Blick auf die wirkliche Kernfrage verstellt. Sie lautet:
Wie kann ein hohes Niveau für den Schutz von Mensch
und Umwelt, auf den es keinen Rabatt geben kann, mit
möglichst kostengünstigen und unbürokratischen Rege-
lungen erreicht werden, um die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen und der europäischen Industrie zu erhal-
ten?
Darauf, meine Damen und Herren, hat REACH die
angemessene Antwort gegeben. Das private Chemikali-
enlager, das uns alle zu Hause umgibt, wird keine Black-
box mehr sein. Bei Farben, Lacken, Klebstoffen, Imprä-
gniersprays, Putzmitteln und Bastelprodukten – Dingen,
die man auch unter dem Weihnachtsbaum finden kann –
werden wir jetzt endlich das Vertrauen gewinnen kön-
nen, dass deren Inhaltstoffe auf die grundlegenden Si-
cherheitseigenschaften überprüft worden sind und dass
ihr Einsatz zu dem gewünschten Zweck vertretbar ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kauch, FDP-
Fraktion.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Frau
Kotting-Uhl, egal was der Rat beschlossen hätte, Sie hät-
ten es kritisiert, weil Sie ein parteipolitisches Interesse
daran haben, darzustellen, dass nur grüne Umweltminis-
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ie Einigung enthält wesentliche Verbesserungen und
erwirklicht langjährige Forderungen der FDP, die die
ot-grüne Bundesregierung immer abgelehnt hat. Ich be-
one das hier, weil es auch die SPD im Deutschen Bun-
estag und vor allen Dingen die SPD im Europäischen
arlament war, die hier den Zug jahrelang in die falsche
ichtung hat fahren lassen.
Positiv an der jetzigen Einigung ist vor allem die un-
efristete Zulassung von Stoffen. Eine Befristung hätte
us unserer Sicht vor allem für die weiterverarbeitende
ndustrie Planungsunsicherheit bedeutet. Nehmen wir
inmal das Beispiel Automobilproduktion: Wenn es für
ine Chemikalie, die in der Produktion eines PKWs ver-
endet wird, mitten in der Modellreihe nach fünf Jahren
lötzlich keine Zulassung mehr gibt, dann müsste es ein
e-Engineering geben. Jeder Hersteller müsste sich
ann fragen, ob das gute Voraussetzungen für die Indus-
rieproduktion am Standort Deutschland und am Stand-
rt Europa sind. Deshalb ist es ein kluger Weg, den der
inisterrat hier geht.
Die jetzt gefundene Risikobewertung des Einzelfalls
st eine gute Lösung. Noch besser wäre es gewesen, ex-
lizit auf Produktionszyklen in der weiterverarbeitenden
ndustrie abzustellen.
638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Michael Kauch
Neben den Zulassungsverbesserungen begrüßen wir
vor allem die Verbesserungen im Registrierungsverfah-
ren, die mit breiter schwarz-rot-gelber Mehrheit im Eu-
ropaparlament durchgesetzt worden sind. Es ist absolut
richtig, dass in den unteren Tonnagenbereichen stärker
auf die Risiken und weniger auf die Mengen abgestellt
wird. Auch das wurde im Deutschen Bundestag von Rot-
Grün bisher immer abgelehnt. Die SPD scheint hier zu-
mindest lernfähig zu sein.
Beim Registrierungsverfahren muss man jedoch ei-
nige Punkte kritisch anmerken, beispielsweise was die
Testverfahren im Tonnagebereich zwischen zehn und
100 Tonnen angeht. Das sind Mengen, die auch kleine
und mittlere Unternehmen betreffen können. Das Ver-
fahren wird nun für diese Unternehmen teuer und büro-
kratisch. Die Folge wird sein, dass man eher auf einen
Stoff verzichtet, als ein aufwendiges Testverfahren
durchzuführen. Das geht letztendlich zulasten der Inno-
vationsfähigkeit in der Chemiewirtschaft.
Alles in allem sind wir aber der Meinung, dass der
Kompromiss, der im EU-Ministerrat gefunden worden
ist, ein guter Schritt ist, der zu einer ausgewogenen Lö-
sung zwischen Arbeitsplatzsicherheit auf der einen Seite
und Gesundheitsschutz für die Bürger auf der anderen
Seite führt. Nun sind Rat und Europaparlament gefor-
dert, entlang dieser Linie voranzugehen und zum Ab-
schluss zu kommen, damit am Ende im Jahr 2007, mög-
licherweise nach einem Vermittlungsverfahren, die neue
Verordnung für die Bürgerinnen und Bürger und für die
Arbeitnehmer in der Chemieindustrie tatsächlich eine
sinnvolle Lösung ist.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Marie-Luise Dött, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bun-
desumweltminister Sigmar Gabriel hat am 13. Dezember
in Brüssel ein Ausrufezeichen gesetzt, ein Ausrufezei-
chen für die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung.
Dem Bundesumweltminister ist gelungen, was vorher
viele für nur schwer möglich gehalten haben: Er hat den
Verhandlungen zu REACH im Wettbewerbsfähigkeitsrat
eine entscheidende Wendung gegeben.
Die neue deutsche Handschrift wird damit im Europäi-
schen Rat zum ersten Mal deutlich sichtbar.
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Auch in anderen Punkten hatte der Minister den
ückhalt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, so im Falle
er in Forschung und Entwicklung eingesetzten Stoffe.
ie CDU/CSU hat bereits in der letzten Legislaturpe-
iode die Förderung eines innovationsfreundlichen Kli-
as in den Mittelpunkt der REACH-Diskussion gerückt.
enn Innovation schafft Wirtschaftskraft und sichert die
rbeitsplätze, die wir in Deutschland brauchen.
Innovation lebt von Flexibilität und einer Vielfalt an
öglichkeiten. Deswegen wollen wir, dass Stoffe, die in
er produktbezogenen Forschung und Entwicklung ein-
esetzt werden, von der Registrierung ausgenommen
erden, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass
iese Stoffe nicht an Verbraucher abgegeben werden.
m Dienstag wurde nun dementsprechend von den Mit-
liedstaaten beschlossen, dass die Notifizierungspflich-
en für in der Forschung und Entwicklung eingesetzte
toffe erheblich vereinfacht werden.
Im Bereich der Registrierung wurde erreicht, dass der
mwelt- und Gesundheitsschutz im Vordergrund steht.
as System knüpft nicht mehr ausschließlich an die
enge eines Stoffes an, sondern berücksichtigt auch die
efährlichkeit. So sollen sich die Informationspflichten
n der Lieferkette an der Verwendung des Stoffes und an
einer Exposition orientieren. Es werden verschiedene
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 639
)
)
Marie-Luise Dött
Kategorien eingeführt, um diese Pflichten einfacher
handhabbar zu machen.
Für die Registrierung von Stoffen in Produktionsmen-
gen von jährlich zehn bis 100 Tonnen konnten keine we-
sentlichen Erleichterungen der Testanforderungen er-
reicht werden; auch Herr Kauch hat das angesprochen.
Das ist ein Punkt, der vor allem die mittelständische
Wirtschaft betrifft. Hier werden Zeit- und Finanzbudgets
unnötig gebunden. Oft verfügen die kleinen und mittle-
ren Unternehmen nicht über die notwendige Zeit und die
Personalkompetenz, um umfangreiche bürokratische
Anforderungen zu erfüllen. Es gilt also nach wie vor:
Die Registrierungskosten für kleinvolumige Stoffe müs-
sen eingedämmt werden, damit sie in einem angemesse-
nen Verhältnis zum Umsatz eines mittelständischen Un-
ternehmens stehen.
Hierin sehe ich die Hauptaufgabe für die zweite Lesung
im Europäischen Parlament.
Unter dem Strich ziehen wir eine positive Bilanz der
Abstimmung im Wettbewerbsfähigkeitsrat. Bei 25 wi-
derstrebenden Interessen in Europa erfordert es schon ei-
niges Verhandlungsgeschick, die eigenen Wünsche
durchzubringen. Die Bundesregierung hat es geschafft,
in den Beratungen viele wichtige Kernanliegen der
Union durchzusetzen, was ein großer Erfolg ist. Noch-
mals vielen Dank, Herr Gabriel, dass Sie sich da so ein-
gesetzt haben!
Ich erteile das Wort der Kollegin Eva Bulling-
Schröter von der Fraktion der Linken.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von
rund 30 000 relevanten chemischen Stoffen wurden bis-
lang nur etwa 4 000 darauf geprüft, ob sie Gesundheit
oder Ökosysteme schädigen. Mit dem Rest, den so ge-
nannten Altstoffen, die vor 1981 auf den Markt kamen,
läuft faktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt.
Allergien sowie Brustkrebs- und Atemwegserkrankun-
gen haben drastisch zugenommen. Giftcocktails lassen
sich sogar noch in der Muttermilch nachweisen, ebenso
weitab der Chemiefabriken im Fettgewebe von Eisbären
und Walen.
Die EU-Kommission wollte diesen unhaltbaren Zu-
stand mit ihrem Entwurf einer REACH-Verordnung be-
enden. Für Alt- und Neustoffe ab einer Tonne Jahrespro-
duktion sollte nun gleichermaßen gelten: keine Daten –
kein Markt. Mengenabhängig hätten die Chemikalien
getestet und registriert werden müssen. Vor allem aber
sollten besonders gefährliche Stoffe identifiziert und
schrittweise ersetzt werden; denn genau das muss der
Kern einer verantwortlichen Chemikalienpolitik sein.
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Doch dieser Kommissionsentwurf wurde vor vier
ochen vom EU-Parlament gnadenlos verwässert; das
urde hier schon gelobt. In dieser Form hat ihn der
inisterrat am Dienstag leider auch weitgehend bestä-
igt. Die Chemiekonzerne, die eine gewaltige Desinfor-
ationskampagne losgetreten haben, können einen
tappensieg verbuchen: Nunmehr sind die Daten- und
estanforderungen drastisch gesunken. Von den 30 000
elevanten Chemikalien bleiben nur noch 12 000 übrig,
ie halbwegs vernünftig überprüft werden sollen. Es be-
teht zwar die Möglichkeit, von den Firmen Daten nach-
ufordern. Das wird jedoch enorm bürokratisch. So viel
um Thema Bürokratie. Zudem wandert die Beweislast
ieder von den Herstellern zu den Behörden; genau das
ollte durch REACH umgekehrt werden. Die geschei-
erte Altstoffverordnung, unter der in 24 Jahren gerade
inmal 65 Stoffe bewertet wurden, lässt schon jetzt grü-
en.
Insgesamt ist das Rollback in der europäischen Che-
ikalienpolitik nicht nur ein dreister Frontalangriff auf
ie Gesundheit der Menschen. Das Ganze ist außerdem
konomischer Unsinn. Schließlich verleiht eine saubere
egistrierung und Bewertung den Firmen Rechtssicher-
eit in Haftungsfragen, was sehr wichtig ist.
lt- und Neuchemikalien könnten zudem in einen ge-
echten Wettbewerb miteinander treten – und die Schaf-
ung von Wettbewerb ist doch immer Ihr Anliegen. Nun
ber werden Intransparenz und Ungleichbehandlung
ortgeführt. Innovationsfeindlicher geht es kaum.
In seiner ersten Lesung vor vier Wochen hat sich das
U-Parlament wenigstens dafür ausgesprochen, gefähr-
iche Chemikalien nur für fünf Jahre befristet zuzulas-
en. Danach hätten sie von den Unternehmen ersetzt
erden müssen, sofern dann unbedenkliche Alternativen
xistieren. Genau darum geht es doch; wir wollen doch
toffe, die unbedenklich sind.
ber selbst diese einzige positive Veränderung am Kom-
issionsentwurf wurde vom Rat kassiert.
640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Eva Bulling-Schröter
Insgesamt stellt sich damit die Frage, ob ein solches
Chemikalienrecht nicht hinter das bisherige zurückfällt.
Schließlich gelten die weich gespülten Registrierungs-
und Zulassungskriterien nun ebenfalls für die Neustoffe
und diese unterliegen gegenwärtig noch einem vorbildli-
chen Registrierungsverfahren.
Der BUND hat in dieser Woche analysiert, wer in
Europa die Interessen der Chemiekonzerne gegen den
Verbraucherschutz besonders eifrig vertreten hat. Das
Papier ist wirklich lesenswert: Die deutschen Abgeord-
neten im Europaparlament haben – mit Ausnahme der
Linken und der Grünen – bei allen Änderungsanträgen
mehrheitlich für einen Abbau des Gesundheitsschutzes
gestimmt.
Im Falle von SPD und FDP geschah das sogar gegen die
jeweilige eigene Fraktion im Europaparlament. Auf-
grund der Abgeordnetenanzahl haben deutsche EU-Par-
lamentarier somit ein fortschrittliches europäisches Che-
mikalienrecht verhindert.
Dass die Bundesregierung im Rat und in der EU-
Kommission als Repräsentantin des VCI auftrat, weiß
inzwischen ganz Brüssel. Kommissionsvizepräsidentin
Margot Wallström hat öffentlich gegen einen besonders
dreisten Vorstoß Günter Verheugens protestiert. Auch
das ist bekannt.
REACH ist aus unserer Sicht ein trauriges Beispiel
dafür, wie Konzerne die Gesetzgebung nach ihren Profit-
interessen zurechtbiegen können, wenn sie dafür nur
mächtig und frech genug sind.
Dies geschieht leider mithilfe von Politikern aus der
Bundesrepublik Deutschland, einem Land, welches sich
so gern als Weltmeister im Umweltschutz ausgibt.
Noch ein Wort zu den Grünen:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen, Sie
sind weit über Ihre Redezeit hinaus.
Ja, mein letzter Satz: Ein grüner Baum wächst nur auf
rotem Grund.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Schmitt,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der europäische Rat für Wettbewerbsfähig-
keit hat in dieser Woche eine Einigung über die künftige
europäische Chemieverordnung REACH erzielt. Das
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Ein besonderer Vorteil für kleine und mittlere Unter-
ehmen: Es wird einen Mechanismus geben, dass ein
toff nur einmal registriert werden muss. Das Prinzip
ein Stoff, eine Registrierung“ – für die Spezialisten:
SOR, das ist die Abkürzung für „one substance, one
egistration“ – soll so ausgestaltet sein, dass zum Bei-
piel notwendige Tierversuche an Wirbeltieren auch tat-
ächlich nur einmal durchgeführt werden müssen und
ürfen.
amit wird – Frau Flachsbarth, Sie als Tierärztin werden
ustimmen – auch dem Tierschutz weitgehend Rech-
ung getragen. Meiner Meinung nach sind das alles be-
eutende Fortschritte.
Aber natürlich gibt es auch Bereiche, in denen man
ich als Umweltpolitiker mehr gewünscht hätte. Ich hätte
ir für Chemikalien mit einer Produktionsmenge von ei-
er Tonne bis zehn Tonnen pro Jahr strengere Anforde-
ungen für die Registrierung vorstellen können. Hier hat
an den Anforderungen der Industrie ein Stück weit
echnung getragen. Für mich ist es nicht nachvollzieh-
ar, warum gerade von der deutschen Chemieindustrie
is zuletzt gegen eine umfangreichere Lieferung von Da-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 641
)
)
Heinz Schmitt
ten gekämpft wurde. Es geht dabei doch um Daten, die
ohnehin fast vollständig vorliegen.
Es gibt in Deutschland schon seit Jahren die so ge-
nannte Selbstverpflichtung der Unternehmen im Ver-
band der Chemischen Industrie, die das Ziel verfolgt, ei-
nen sicheren Umgang mit chemischen Stoffen zu
gewährleisten.
Danach werden genau die Daten für Stoffe mit niedri-
gen Produktionsmengen pro Jahr erzeugt, deren Liefe-
rung jetzt auf EU-Ebene quasi freiwillig sein wird.
REACH wäre von Anfang an noch ein Stück solider und
effektiver ausgefallen, hätte man hier ein bisschen mehr
guten Willen gezeigt.
Auch wenn es also Konzessionen gab, so erwarten
wir von den deutschen Chemieunternehmen, dass sie
auch in Zukunft ihre heutigen hohen Standards beibehal-
ten. Wir erwarten ferner, dass die großen Unternehmen
ihre Zusage einhalten, gerade kleinen und mittleren Un-
ternehmen die notwendigen Daten zur Verfügung zu
stellen;
denn gerade für ein mittelständisches Unternehmen ist es
natürlich aufwendiger, bestimmte Tests durchzuführen
und bestimmte Daten bereitzustellen. Hier gibt es die
Zusage, dass die Großen den Kleinen unter die Arme
greifen werden.
Mit REACH wird also ein System eingeführt, das Eu-
ropa weltweit zum Vorbild für einen sicheren Umgang
mit chemischen Stoffen und Produkten machen wird.
Weil wir Wettbewerbsnachteile für unsere Industrie ver-
meiden wollen, muss dieses System – das ist eine wei-
tere Aufgabe, die vor uns liegt – auch für importierte
Stoffe gelten. Dies ist wichtig, damit kein Ungleichge-
wicht entsteht zwischen Stoffen, die hier produziert wer-
den, und Stoffen, die aus Nicht-EU-Staaten kommen.
Die Politik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Jetzt
muss die europäische Chemieindustrie und jetzt müssen
nicht zuletzt die deutschen Unternehmen ihren Beitrag
leisten. Die deutsche Chemieindustrie hat sich grund-
sätzlich zu einem sicheren Umgang mit chemischen
Stoffen und zur Notwendigkeit von REACH bekannt –
für einen besseren Gesundheitsschutz, für einen besseren
Umweltschutz und für einen besseren Verbraucher-
schutz. Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Un-
ternehmen REACH in diesem Sinne nutzen und damit
ihrer besonderen Verantwortung gerecht werden.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Loske, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Minister! Wir sind hier eben Zeugen eines bemer-
enswerten Widerspruches geworden, den man – wenn
ch das so sagen darf – wohl nur unter einem großkoali-
ionären Klima als stimmig bezeichnen kann. Auf der ei-
en Seite hat der Herr Minister es in seinem Vortrag so
argestellt, als hätten wir es bei REACH mit einer Kon-
inuitätslinie rot-grüner Politik zu tun. Auf der anderen
eite hat Frau Dött dem Herrn Minister dafür gedankt,
ass er in Brüssel im Wettbewerbsrat die entscheidende
ende im Sinne der CDU/CSU herbeigeführt habe. Ich
uss leider sagen: Frau Dött hat Recht; der Entwurf ist
um Schlechteren hin verändert worden, ganz eindeutig.
Der Herr Minister ist heute ja schon als alles Mögli-
he tituliert worden: als Erzengel, als Tiger, als Bettvor-
eger. Das würde ich nie sagen,
ber eines kann man ihm heute definitiv zuschreiben,
ämlich die Rolle des Rosinenpickers – das ist er eindeu-
ig. Es ist in der Tat gut, dass wir hier ein Telefon haben;
ch habe mir nämlich noch einmal von meinem Mitarbei-
er die gemeinsame Stellungnahme von VCI, IG BCE
nd Bundesregierung vom März 2002 heraussuchen las-
en. Da werden verschiedene Positionen ausgeführt und
ine hat sich der Minister herausgesucht – das stimmt;
as war damals von Hubertus Schmoldt und von
ambrecht mit Nachdruck vorgetragen worden –: Auf
ar keinen Fall zeitliche Befristungen. Es ist natürlich
ine ganze Reihe anderer Forderungen enthalten, für die
ie sich dann leider nicht eingesetzt haben und die Sie in
rüssel nicht durchgesetzt haben, zum Beispiel die For-
erung, dass wir für Stoffe mit Produktionsmengen zwi-
chen eine und zehn Jahrestonnen wesentlich weiter ge-
ende Datensätze brauchen. Das geht wesentlich über
as hinaus, was die Kommission vorgeschlagen hat.
ass für Zwischenprodukte aussagekräftigere Mindest-
atensätze verpflichtend gemacht werden sollen, haben
ie ebenfalls nicht durchgesetzt.
So gesehen ist das in der Tat ein deutliches Abwei-
hen von dem, was die alte Regierung gemacht hat; da
eißt die Maus keinen Faden ab. So leicht es mir gefal-
en ist, Herr Minister, Sie vor wenigen Tagen öffentlich
ür Ihren guten Auftritt auf der Klimaschutzkonferenz in
ontreal zu loben, so muss ich doch in dieser Sache ein-
eutig sagen: Das, was Sie da in Brüssel abgeliefert ha-
en, ist absolut schlecht und inakzeptabel.
ie haben dort nicht, wie das für einen Umweltminister
ngemessen wäre, vorrangig Umwelt-, Verbraucher- und
esundheitsinteressen vertreten, sondern vor allen Din-
en eben die vermeintlichen – ich komme gleich dazu –
nteressen der Chemieindustrie. Die Verbraucherver-
ände und die Umweltverbände haben dazu das Notwen-
ige gesagt.
642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Reinhard Loske
Wir halten es auch innovationspolitisch für falsch,
wenn es schwieriger ist, neue Chemikalien in den
Markt zu bringen, die aufwendige Test-, Genehmigungs-
und Registrierungsverfahren durchlaufen müssen, als
alte Chemikalien, die möglicherweise unbekannte Ne-
benwirkungen haben, im Markt zu lassen. Das ist keine
Innovationsförderung, sondern es ist Innovationsbehin-
derung, ganz eindeutig.
Der entscheidende Punkt, den ich ansprechen möchte,
ist – es ist ja schon viel anderes gesagt worden –:
REACH reiht sich ein in eine Liste von verbraucherpoli-
tisch äußerst fragwürdigen Entscheidungen, die in den
letzten Tagen getroffen wurden.
Schauen wir doch einmal zurück: Gestern hat Minis-
ter Seehofer drei Bt-Maissorten, also gentechnisch ver-
änderte Maissorten, genehmigt, die wir nicht brauchen
und die äußerst fragwürdig sind. Heute kündigt er an,
dass er das Gentechnikgesetz ändern will. Durch die ge-
planten Änderungen würden das Verursacherprinzip fak-
tisch ausgehebelt und die Haftungsregelungen des jetzi-
gen Gentechnikgesetzes so geändert werden, dass
jemand, der kontaminiert ist, nicht mehr geschützt ist,
sondern vielmehr nachweisen muss, wer ihn kontami-
niert hat. Darüber hinaus will Herr Seehofer die im Ver-
braucherinformationsgesetz enthaltene Informations-
pflicht der Unternehmen komplett streichen.
In diese Liste reiht sich REACH ein. An den Kontu-
ren Ihrer Politik, die hier erkennbar werden, sieht man,
dass Sie einen Kniefall vor der Chemieindustrie machen,
aber die Verbraucherinteressen ignorieren. Das halten
wir für völlig falsch.
– Das ist kein dummes Zeug, sondern leider die Wahr-
heit.
Eines will ich Ihnen noch sagen: Bevor ich gerade
hierher kam, habe ich einen Brief an die Bayer AG ge-
schrieben, der in Montreal ein Preis – der „Low Carbon
Leaders Award“ – verliehen wurde. Bayer wurde damit
als eines der Unternehmen ausgezeichnet, die sich welt-
weit am meisten für den Klimaschutz einsetzen. Dazu
sage ich nur: Chapeau! Weil mein Wahlkreis in Leverku-
sen ist, habe ich dem Unternehmen geschrieben; denn
ich finde das, was Bayer in diesem Bereich tut, prima.
Aber für viele andere Bereiche gilt ganz eindeutig: Es
ist gefährlich, wenn sich die Politik bzw. eine Bundesre-
gierung die Positionen der Chemieindustrie, die wett-
bewerbspolitisch natürlich legitim sind, zu einseitig zu
Eigen macht.
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er in dieser Form ganz eindeutig nicht nötig gewesen
äre.
Danke schön und frohe Weihnachten.
Nun hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
err Dr. Loske, Ihre Rede war wieder einmal ein Beweis
afür, dass Ihre Grünen-Fraktion absolut unfähig ist, In-
ovationen und moderne Entwicklungen in der Bundes-
epublik Deutschland ausgewogen zu bewerten.
Durch die Politik, die Sie in den vergangenen Jahren
emacht haben, hat sich die deutsche Wirtschaft immer
tranguliert gefühlt. Ob es nun so war oder nicht, lasse
ch einmal dahingestellt. Aber man hatte nicht das Ge-
ühl, dass die Wirtschaft die Unterstützung der Politik
atte, wenn es um die Weiterentwicklung von Unterneh-
en, die Sicherung bestehender Arbeitsplätze oder die
chaffung neuer Arbeitsplätze ging. Sie haben immer
en Eindruck vermittelt, als seien die Unternehmen und
ie Vorhaben, die sie in Deutschland umsetzen wollen,
igentlich gar nicht erwünscht.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihren Ein-
assungen über die kleinen Unternehmen machen. Ge-
ade die kleinen Unternehmen wären vom ursprüngli-
hen REACH-Entwurf massiv betroffen gewesen.
err Minister, weil wir wissen, dass neue Arbeitsplätze
n der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich in den
leinen und mittelständischen und nicht in den großen
nternehmen geschaffen werden, sind wir über die Ent-
cheidung, die im Europäischen Rat in Brüssel gelungen
st, froh. Ich jedenfalls freue mich darüber. Denn durch
iese Entscheidung wird die Wettbewerbsfähigkeit der
uropäischen chemischen Wirtschaft weit weniger be-
inträchtigt, als es ursprünglich der Fall gewesen wäre.
iese Entscheidung als Kniefall zu bezeichnen ist schon
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 643
)
)
Franz Obermeier
ziemlich weit hergeholt, meine Damen und Herren von
den Grünen. Vielmehr bedeutet die jetzt getroffene Ent-
scheidung tatsächlich ein Mehr an Verbraucherschutz, da
nun der Großteil der hunderttausend am Markt befindli-
chen Chemikalien auf ihre Risiken getestet wird.
Gleichwohl möchte ich nicht verschweigen, dass ich
den Eindruck habe, als müsste noch an einigen Stellen
nachgearbeitet werden:
Erstens. An den Kosten für die nötigen Testreihen
sollten alle Hersteller und Verarbeiter beteiligt werden –
auch jene aus Nicht-EU-Staaten.
Zweitens. Bei der Registrierung von Stoffen – dem
für die Wirtschaft bedeutsamsten Bereich – hat der Rat
die Testanforderungen im Gegensatz zum Parlaments-
kompromiss spürbar erhöht, ohne damit irgendeinen
zusätzlichen Gewinn für Umwelt oder Gesundheit zu er-
zielen. Das gilt besonders für den Bereich der Jahrespro-
duktion von zehn bis 100 Tonnen und damit für die klei-
nen und mittleren Unternehmen. Somit besteht die große
Gefahr, dass Stoffe lediglich aus Kostengründen vom
Markt verschwinden werden, nicht aber weil sie beson-
ders gefährlich wären. Dieser vom Rat zu verantwor-
tende Effekt gefährdet Arbeitsplätze in Deutschland und
läuft der erklärten Zielsetzung der neuen Stoffpolitik
eklatant zuwider.
Drittens. Herr Minister, ich sehe Bedarf für einen um-
fassenden Datenschutz. Es ist ein berechtigtes Anliegen
der Hersteller, dass Zusammensetzung, Herstellung und
Verarbeitung ihrer Produkte Geschäftsgeheimnisse blei-
ben. Es muss gewährleistet sein, dass nicht mehr Daten
als unbedingt notwenig nach außen bekannt werden.
Sonst könnte weltweit jeder Konkurrent von den
REACH-Erhebungen profitieren und die chemischen
Rezepte einfach „nachkochen“.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein Fazit ziehen: Es
ist anzuerkennen, dass der Rat den ursprünglichen Ent-
wurf der Kommission – nicht zuletzt auf Betreiben unse-
rer neuen Bundesregierung – für die Wirtschaft deutlich
praktikabler gestaltet hat – und das bei Aufrechterhal-
tung der gesundheits- und umweltpolitischen Ziele. Ins-
gesamt liegt nun ein akzeptables Paket für das REACH-
System vor. Allerdings ist der Ratskompromiss zu
REACH in einigen Punkten noch verbesserungsbedürf-
tig. Im weiteren Verfahren müssen wir getreu unserer
Koalitionsvereinbarung zu REACH vorgehen: Ziel von
CDU/CSU und SPD ist es, dass die Herstellung von
Chemikalien durch REACH im Ergebnis nicht verteuert
werden darf. Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie
Wettbewerbsfähigkeit müssen in diesem Rahmen sorg-
fältig ausbalanciert werden.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, ich wün-
sche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
EACH hat eine lange Geschichte. Diese Geschichte ist
och nicht zu Ende, aber wir haben eine wichtige Etappe
rreicht. Es hat jahrelange Verhandlungen gegeben, es
at Proteste der Industrie gegeben, der Umweltverbände,
er Tierschützer. Viele Studien wurden angefertigt, unter
nderem von Nordrhein-Westfalen. Jetzt haben wir einen
ehrheitsbeschluss des Rates und nun ist die zweite Le-
ung im Europäischen Parlament abzuwarten.
In diesem ganzen Verfahren wurde der ursprüngliche
ntwurf der Kommission mehrfach verändert: durch das
uropäische Parlament und auch durch den Rat. Das
iel – den Umgang mit 30 000 Altstoffen sicherer zu
achen – teilen wir alle. Umwelt-, Verbraucher-, Ge-
undheits- und Arbeitsschutz stehen dabei im Mittel-
unkt. Es ist schon gesagt worden: Besonders wichtig ist
er Ausschluss von kanzerogenen und erbgutverändern-
en Stoffen in verbrauchernahen Produkten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viele Lobbyisten
ie im Zusammenhang mit dieser gesetzlichen Rege-
ung – auf allen politischen Ebenen – sind noch nie tätig
eworden. Aber – Frau Kotting-Uhl ist nicht mehr da –
ch finde, man kann an dieser Stelle nun wirklich nicht
on Erpressung reden. Ich glaube, sowohl Umweltver-
ände als auch die Industrielobby und die Gewerkschaf-
en haben legitime Interessen vertreten
nd es gehört zu einem demokratischen Prozess, dass
iese Interessen in einer ernsthaften Auseinandersetzung
orgetragen und Konflikte ausgetragen werden.
Mit dem Ergebnis, das auf dieser Etappe erreicht wor-
en ist, sind noch immer nicht alle zufrieden: Die Um-
eltschutz- und Verbraucherverbände hätten sich ande-
es und mehr gewünscht; die Wirtschaft und die
ndustrielobby sind auch nicht zufrieden. Das haben wir
erade aus dem Mund der Kollegen gehört. Es wird ge-
agt, die Kosten seien noch immer nicht tragbar. Es wird
orgetragen, dass kleine und mittlere Unternehmen, die
ft nur geringe Mengen herstellen, über Gebühr belastet
ürden. Auch wurde die Frage der internationalen Wett-
ewerbssituation aufgeworfen, wobei ich glaube, dass
as dadurch geregelt ist, dass auch die Importeure in das
erfahren mit einbezogen werden.
Ja, es ist richtig, dass der Verordnungsentwurf ur-
prünglich rigoroser war. In ihm waren mehr Tests und
ine größere Testtiefe vorgesehen, es wurden mehr Da-
en auch bei kleineren Produktionsmengen verlangt.
ber, Frau Bulling-Schröter, der jetzige Entwurf führt
icht dazu, dass die Umwelt- und Verbraucherschutzin-
eressen vernachlässigt werden und ein fortschrittliches
644 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Dr. Angelica Schwall-Düren
EU-Chemikalienrecht verhindert wird. Selbstverständ-
lich ging das Bestreben der Kommissarin, die den ur-
sprünglichen Entwurf eingebracht hat – sie kommt aus
einem Land, das keine bedeutende chemische Industrie
hat –, dahin, dass möglichst wenig Veränderungen an ih-
rem Entwurf vorgenommen werden.
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das
Ergebnis, das nun erreicht worden ist, sowohl die Wün-
sche aus den Chemiestandorten als auch die Forderung
nach mehr Umweltschutz erfüllt. In der Chemiepolitik
gibt es gegenüber der bisherigen Situation kein Roll-
back. Es wird verhindert, dass nicht registrierte Altstoffe
unkontrolliert weiter verwendet werden. Das ist ein rie-
sengroßer Fortschritt, vor allem in den Bereichen der
Massenprodukte und der verbrauchernahen Produkte.
Dennoch ist die Belastung für die Wirtschaft in Grenzen
geblieben.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei Punkte
ansprechen:
Erstens. Herr Loske hat im Zusammenhang mit der
Frage der Innovationen Schwarz-Weiß-Malerei betrie-
ben. Ich bin davon überzeugt, dass diese Verordnung ei-
nen Innovationsschub bringen wird, weil gefährliche
und schädliche Stoffe ersetzt werden. Aber allein die
bessere Kenntnis von Stoffen kann dazu beitragen, dass
eine Produktoptimierung durchgeführt wird. Das alte
Stoffrecht dagegen hat genau diese Innovationen behin-
dert. Dass die Opposition Schwarz-Weiß-Malerei be-
treibt, kann ich nachvollziehen. Die Koalitionsfraktionen
dagegen müssen eine Balance finden und das Machbare
durchsetzen.
Zweitens – das ist mir als Europapolitikerin wichtig –:
Solche Regelungen hätten national keinerlei Sinn ge-
macht. In diesem Fall bringt die EU konkrete Fort-
schritte für die Menschen. Sie können in Zukunft mehr
darauf vertrauen, dass sich die Stoffe, die sich in Kosme-
tika befinden, nicht in ihren Körpern anreichern, dass in
Spielzeugen keine giftigen Substanzen sind, die heraus-
gelöst werden können, oder dass Lacke keine giftigen
Dämpfe absondern. Die Menschen können die EU in
diesem konkreten Fall positiv erfahren. Die Mitglied-
staaten haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, sich zu
einigen. Das ist wichtig, gerade vor dem Hintergrund des
heute stattfindenden schwierigen Gipfels. Ich freue
mich, dass unser Umweltminister dazu beigetragen hat,
dass die britische Ratspräsidentschaft wenigstens diesen
Erfolg in der Tasche hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
ein frohes Weihnachtsfest. Passen Sie auf, dass Sie sich
nicht an den Wunderkerzen verbrennen.
Ich erteile das Wort Kollegen Ingbert Liebing, CDU/
CSU-Fraktion.
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ffensichtlich liegt Ihnen an pressewirksamen Showef-
ekten doch mehr als an der Sachdiskussion hier im Ple-
um.
Dabei bin ich den Grünen eigentlich ausgesprochen
ankbar für diese Aktuelle Stunde zum Thema REACH,
ibt mir die Debatte doch Gelegenheit, der deutschen
ffentlichkeit den Unterschied zwischen einer pragmati-
chen, lösungsorientierten und ausgewogenen Politik,
ie sich jetzt im EU-Rat durchgesetzt hat, und Ihrer
berzogenen Regulierungswut deutlich vor Augen zu
ühren; denn darum geht es im Ergebnis ja.
Es geht darum, dass nach einem mehrjährigen Streit
n Europa eine Verständigung über die künftige Chemi-
alienpolitik endlich nahezu erreicht ist. Dies war vor
llem auch deshalb möglich, weil Deutschland mit unse-
er neuen Kanzlerin an der Spitze endlich wieder mit ei-
er klaren Stimme und mit einem klaren Kurs in der EU
ufgetreten ist. Mit diesem Kurs werden beide Interessen
erücksichtigt, nämlich die Interessen des Verbraucher-
nd Umweltschutzes genauso wie das legitime Interesse
dieses sollten wir alle achten – an einer funktionsfähi-
en Wirtschaft, an einer funktionsfähigen Chemieindus-
rie und an der Lebensfähigkeit der vielen kleinen und
ittelständischen Unternehmen, die mit chemischen
toffen umgehen.
eides ist wichtig. Dies findet jetzt in der Entscheidung
es EU-Wettbewerbsrates seinen Niederschlag.
Wir haben erlebt, wie die Grünen heute Sturm dage-
en gelaufen sind.
Genau, es war ein laues Lüftchen. – Das verwundert ja
uch nicht; denn letztlich ist genau das Ihr Problem: Sie
ekommen diesen Interessenausgleich eben nicht hin.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 645
)
)
Ingbert Liebing
Sie wollen – das hat die Debatte wieder gezeigt – alles
bis ins Letzte reglementieren, koste es, was es wolle, und
koste es auch viele Betriebe die Existenz und viele Ar-
beitsplätze. Damit ist jetzt endlich Schluss.
Als Sie noch mit Ihrem Minister die Verantwortung
hatten, wollten Sie wieder nach Ihrem alten bekannten
Strickmuster verfahren: Was Sie in Deutschland national
nicht erreichen können, versuchen Sie uns über Bande
– über Europa – aufzudrücken. Auch damit ist jetzt
Schluss.
Deutschland hat nämlich wieder eine handlungsfähige
Regierung, eine Regierung, die ihre Gesamtverantwor-
tung ernst nimmt und unterschiedliche Interessen aus-
gleicht. Damit ist Deutschlands Position in Europa deut-
lich gestärkt worden. Nur so ist es unserer neuen
Regierung möglich geworden, den Kompromiss im EU-
Rat deutlich zu befördern.
Mit Jürgen Trittin am Kabinettstisch und im Rat wäre
dies sicherlich nicht möglich gewesen. Denn was hätten
Sie mit Ihrer Position erreicht? Sie haben doch nur er-
reicht, dass es eben keine Verständigung gegeben hat.
Diente das denn den Interessen der Verbraucher mehr?
Haben Sie durchgesetzt, dass das Thema Altstoffe – es
geht um die Stoffe von vor 1981 – jetzt wirklich ange-
packt wird?
Nein, Ihre Position hätte eine Verständigung in weite
Ferne gerückt und es wäre alles beim Alten geblieben.
Deshalb ist es gerade das Verdienst der neuen Bundesre-
gierung, dass jetzt der Durchbruch erreicht wurde und
dass 30 000 Altstoffe in angemessener Form aufgearbei-
tet werden.
Schon jetzt ist davon auszugehen, dass diese Aufar-
beitung elf Jahre dauern wird. Mit Ihrer Regulierungs-
wut würde es wohl noch länger dauern. Wenn alle Stoffe
nahezu gleich behandelt werden, können Schwerpunkte
nicht gesetzt werden. Da ist es doch wohl allemal sinn-
voller, dort zu beginnen, wo besondere Risiken bestehen.
Dort, wo das eben nicht der Fall ist, kann mit viel weni-
ger Aufwand viel schneller ein vernünftiges Ergebnis er-
zielt werden. Ich denke, das dient doch allemal mehr den
Interessen des Umwelt- und Verbraucherschutzes als
Ihre Position.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir wissen: Noch ist REACH nicht am Ende.
Wir wissen auch, dass es noch immer unterschiedliche
Auffassungen zwischen dem EU-Parlament und dem Rat
gibt. Meine Fraktion unterstützt die Regierung und Um-
weltminister Gabriel ausdrücklich darin, den jetzt einge-
schlagenen Kurs fortzusetzen. Wir ermuntern Sie, kon-
sequent zu bleiben und keine weiteren Verschärfungen
zuzulassen, durch die das jetzt gefundene austarierte
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nter der Deutschland so lange zu leiden hatte.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollege Liebing, das war Ihre erste Rede im Deut-
chen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten
ünsche für Sie.
Nun hat Kollegin Doris Barnett, SPD-Fraktion, das
ort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
EACH ist mittlerweile ein „reach out“, ein Griff nach
en Sternen am europäischen Richtlinienhimmel. Der
eg dahin ist mehr als beschwerlich gewesen.
Lassen Sie mich rekapitulieren: REACH ist ein sehr
hrgeiziges Programm, das in einer Richtlinie über
0 verschiedene bestehende Vorschriften ersetzt und
leichzeitig wichtige Ziele für eine europäische Chemi-
alienpolitik verfolgt. Es geht um den Schutz der mensch-
ichen Gesundheit und der Umwelt, den Erhalt bzw. die
erbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Chemieun-
ernehmen, die Verhinderung der Aufsplitterung des ge-
einsamen Binnenmarktes, die verbesserte Information
ber Chemikalien, die Integration der EU-Politik in inter-
ationale Programme, die Einhaltung bzw. Übereinstim-
ung mit WTO-Regelungen, die Förderung von Prüfme-
hoden ohne Tierversuche und nicht zuletzt um die
ubstitution gefährlicher Stoffe durch ungefährlichere. Es
eht also praktisch um die Quadratur des Kreises.
Seit 1999 arbeiten wir alle an dieser Richtlinie: unsere
ollegen vom Europäischen Parlament, die Kommis-
ion, der Ministerrat und auch wir. Selbst die Landespar-
amente haben sich damit intensiv befasst und sogar im
ahmen eines Planspieles die Auswirkungen der seiner-
eitigen Regelungen auf Mensch und Wirtschaft durch-
erechnet, also eine Gesetzesfolgenabschätzung ge-
acht und damit auch Veränderungen auf den Weg
ebracht.
Schließlich kommt der chemischen Industrie in Eu-
opa und natürlich auch in Deutschland große ökonomi-
che Bedeutung zu. Über 34 000 Unternehmen mit über
646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
)
)
Doris Barnett
1,7 Millionen direkt Beschäftigten gehören zur Chemie-
industrie. Wie wir aus Veröffentlichungen wissen, ist
dieser Wirtschaftszweig nach wie vor bestens aufge-
stellt, hochinnovativ und produktiv. Diese Branche gibt
auch etwas zurück: Entgegen dem Trend hat sie ihr Aus-
bildungsplatzangebot um über 2,5 Prozent gesteigert.
15 Prozent der Wertschöpfung in unserem Land kom-
men aus der Chemieindustrie.
Aus diesem Grund liegt uns allen die europäische Che-
miepolitik am Herzen. Ich gebe zu: mit unterschiedli-
chen Schwerpunktsetzungen.
Nach all den vielen Konsultationen, Verhandlungen
und Abstimmungen konnte vor drei Tagen im Minister-
rat eine Einigung über die Chemikalienverordnung
REACH erzielt werden, auch wenn keine Seite ihre ge-
wünschten Lösungen im Detail erreicht hat. Deshalb
kann von einem Kniefall kaum die Rede sein. Mit der
jetzt vorliegenden Entscheidung ist es weitestgehend ge-
lungen, ökonomische, ökologische und soziale Belange
ausgewogen zusammenzubringen, und zwar – das stelle
man sich vor – unter 25 Mitgliedstaaten.
Der Ministerrat – damit auch unser Minister – konnte
sich dabei auf einen Verordnungsvorschlag des Parla-
ments stützen und übernahm zum großen Teil die Vor-
lage, zum Beispiel beim Registrierungsverfahren. Hier
wird bei Altstoffen, also denen, die vor 1981 in Verkehr
gebracht wurden, in Mengen von ein bis zehn Jahreston-
nen regelmäßig nur ein Grunddatensatz gefordert, der
aber je nach Gefährdungspotenzial durch zusätzliche
Tests ausgeweitet werden kann. Für Neustoffe erfolgt die
Registrierung aber strikt nach dem Mengenansatz.
Beim Zulassungsverfahren hat sich der Rat darauf
geeinigt, bürokratische Hürden zu verringern. Deshalb
soll jetzt die Zulassung grundsätzlich unbefristet erfol-
gen, statt, wie vom Europäischen Parlament vorgesehen,
nach fünf Jahren auszulaufen. Eine derartige Einschrän-
kung hätte den Unternehmen wenig Rechtssicherheit ge-
bracht und Innovationen nicht unbedingt befördert, wes-
halb auch unsere SPD-Abgeordneten im Europäischen
Parlament über diese Fristenlösung nicht besonders
glücklich waren.
Auch wenn die Frist jetzt wohl vom Tisch ist, kann
die Agentur von Fall zu Fall periodische Überprüfungen
vornehmen. Man wird sehen, ob die Aufgabe des
Zwangs zur Substitution – ob sie nun wirklich eine Ver-
besserung gebracht hätte, steht dahin – tatsächlich zu der
befürchteten Konsequenz führt, dass damit der Anreiz
für Alternativprodukte entfällt. Ich bin überzeugt, dass
ein eingespielter Markt zu ständigen Verbesserungen
bzw. Alternativen drängen wird.
Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
konnte im Sinne der Industrie erheblich verbessert wer-
den. Das ist von großer Bedeutung, weil unsere Industrie
kein Interesse daran haben kann, aufgrund der weitrei-
chenden Offenlegungspflichten außereuropäische Wett-
bewerber zu begünstigen, was uns als Verbraucher aber
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Ich erteile nun als letztem Redner dem Kollegen
ndreas Jung, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Ich möchte eine kurze Bemerkung voranstel-
en. Ich finde es wichtig, dass nach jahrelangen Diskus-
ionen REACH jetzt so schnell wie möglich umgesetzt
ird.
enn ich glaube, dass damit das Wissen über die ver-
endeten Stoffe erhöht wird; dies bedeutet eine Verbes-
erung für Umwelt und Gesundheit und damit für die
erbraucher.
Weil ich mich auch heute wieder darüber geärgert
abe, dass vonseiten der Grünen immer wieder so getan
ird, als hätten sie den Umweltschutz gepachtet, möchte
ch darauf hinweisen, dass das Thema auch für uns wich-
ig ist.
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang von einer
egegnung berichten, die ich vor zwei Wochen hatte.
in Biobauer vom Bodensee kam zu mir und berichtete,
r habe gerade ein längeres Gespräch mit einem Auszu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 647
(C)
)
Andreas Jung
bildenden geführt, der ihm gesagt habe, er wolle zu den
Grünen gehen. Darauf hat der Biobauer erwidert: Du
darfst zwar ein grünes Herz haben und etwas für Um-
welt- und Naturschutz übrig haben, aber du musst in ei-
ner gescheiten Partei sein. – Es wird Sie nicht überra-
schen, dass er damit unsere Partei gemeint hat.
Für uns ist Umweltschutz genauso wichtig wie für an-
durch diese sehr schwer belastet wurden und manchmal
sogar überfordert waren. Hier muss es Änderungen ge-
ben, die gerade für die kleinen und mittleren Unterneh-
men zielführend sind.
Wir sind auf einem guten Weg. Es muss allerdings
noch verhandelt werden, um weitere Fortschritte zu er-
reichen. Verschwinden sollen mit REACH die Stoffe, die
gesundheitsgefährdend sind, nicht aber Unternehmen,
dere. Die große Koalition will, kann und wird eine gute
Umweltpolitik gestalten.
Ich begrüße REACH auch aus einem weiteren Grund.
Derzeit gibt es 40 Richtlinien, die den Bereich der Che-
mikalienpolitik regeln. Wenn man es richtig macht, dann
bietet REACH die Möglichkeit, das zu erreichen, was
die Union immer wieder gefordert hat, nämlich die Ver-
einfachung von Gesetzen und den Abbau von Bürokra-
tie.
Wenn es darum geht, den gefundenen Kompromiss zu
bewerten, dann meine ich, dass er uns voranbringen
wird. Er bringt uns voran, weil auf der einen Seite die
Ziele – die Verbesserung des Umweltschutzes, des Ver-
braucherschutzes und der Gesundheit – erreicht werden
und auf der anderen Seite die Rahmenbedingungen für
diejenigen, die mit diesen Regelungen arbeiten müssen
– ich meine die Unternehmen –, verbessert werden.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der schon mehr-
fach genannt wurde, nämlich den Wegfall der Befristung
für Zulassungen. Ich glaube, dass dies ein wichtiger
Schritt ist.
Ich meine zwar, dass uns der Kompromiss voran-
bringt, aber ich möchte in diesem Zusammenhang einen
Punkt ansprechen, in dem meines Erachtens noch weiter
verhandelt werden muss: die Zulassung von Stoffen für
Testverfahren im Bereich einer Jahresproduktion zwi-
schen 10 und 100 Tonnen. In diesem Punkt sind noch
Änderungen notwendig, weil die vorgesehenen Regelun-
gen die kleinen und mittelständischen Unternehmen be-
sonders treffen, da deren Umsetzung mit erheblichen
Kosten verbunden ist.
Ich meine, wir sollten etwas lassen, das in der Vergan-
genheit immer wieder vorgekommen ist. Durch gesetzli-
che Regelungen wurden Normen geschaffen, die große
Unternehmen – wenn auch nicht gerne – erfüllen und
verkraften konnten, mit denen sich aber kleine und mitt-
lere Unternehmen sehr viel schwerer taten, weil sie
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nsbesondere nicht die kleinen und mittleren. Denn diese
rauchen wir für all das, was wir uns in diesem Land
orgenommen haben: mehr Innovationen, Ausbildungs-
lätze und Arbeitsplätze.
Gestatten Sie mir am Schluss eine persönliche Be-
erkung. Die Letzte wird die Erste sein. So ähnlich steht
s in der Bibel. Ich komme aus dem Wahlkreis Kon-
tanz. Zu Beginn dieses Jahres glaubte ich wie jeder an-
ere, dass unser Bundestagsabgeordneter Hans-Peter
epnik noch über ein Jahr sein Mandat ausüben würde.
ch hätte nicht gedacht, dass die letzte Rede, die in die-
em Jahr im Deutschen Bundestag gehalten wird, meine
rste sein würde. Ich habe mich gefreut, dass ich heute
ier sprechen konnte.
Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit und wün-
che Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Kollege Jung, meinen herzlichen Glück-
unsch zu Ihrer ersten Bundestagsrede. Alles Gute für
hre Arbeit!
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
chluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 18. Januar 2006, 13 Uhr, ein.
Ich schließe mich meinerseits den guten Wünschen
ür eine frohe Weihnachtszeit und einen heiteren Jahres-
echsel an. Alles Gute! Wir sehen uns hoffentlich wohl-
ehalten und bester Laune im neuen Jahr wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.