Rede von
Dr.
Norman
Paech
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weni-
gen Wochen, die wir uns jetzt im neuen Bundestag mit
der Außenpolitik beschäftigt haben, sind ganz vom Mili-
tär und vom Geheimdienst bestimmt worden. Sie kennen
ja nun allmählich unsere Allergie gegen diese Themen,
sodass es Sie nicht überrascht haben wird, dass wir auch
den Abzug der deutschen Truppen aus Bosnien und Her-
zegowina fordern.
Wir halten Militärmissionen zur Befriedung und zum
Aufbau eines Staates trotz dessen, was Herr Erler und
Herr Stinner hier an Erfolgen der bisherigen Missionen
genannt haben, für überhaupt nicht mehr zeitgemäß.
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Ja, genau darum geht es; darauf werde ich eingehen. –
ie wirtschaftliche und soziale Situation der Mehrheit
er Bevölkerung ist nach wie vor äußerst miserabel.
osnien-Herzegowina ist immer noch, trotz aller Er-
olge, weit von dem entfernt, was wir ein friedliches und
emokratisches Land nennen können. Doch in einer
insicht hat sich die Lage in Bosnien-Herzegowina seit
em Daytoner Friedensabkommen von 1995 in der Tat
ntscheidend verändert: Gefahr für den Friedensprozess
eht heute nicht mehr von militärischen Konfrontationen
nd bewaffneten Strukturen aus. Im Rahmen des Althea-
andats wurde die Bundeswehr aber noch damit beauf-
ragt – ich zitiere –,
die ehemaligen Kriegsgegner und andere bewaff-
nete Gruppen von der Aufnahme erneuter Feind-
seligkeiten und Gewalttaten
bzuschrecken. Es geht aber nicht mehr um die Tren-
ung solcher bewaffneter Kriegsparteien. Das Althea-
andat hat nichts mehr mit dem zu tun, was das Land
raucht.
Die Sicherheit der Menschen dort ist zuallererst durch
as gefährdet, was wir als mafiöse Strukturen und orga-
isiertes Verbrechen bezeichnen: Zwangsprostitution,
enschen-, Drogen- und Waffenhandel. Das sind die
ealen Gefahren, die die Menschenrechte und die demo-
ratische Entwicklung in diesem Land heute bedrohen.
Diese Probleme lassen sich aber nicht durch Militär-
räsenz lösen.
ie haben während der Feiern zum 10. Jahrestag das
urch die Straßen Sarajewos flanierende Militär gese-
en. Das hat nichts mehr damit zu tun, dieses Land zu
tabilisieren. Das Militär gerät höchstens selber in die
efahr, in diesem mafiösen Sumpf mit zu versinken.
an braucht andere Waffen als Panzer.
Das organisierte Verbrechen ist immer so stark, wie
ie zivile Gesellschaft schwach und die wirtschaftliche
age katastrophal ist; denn dann sind auch die staatli-
hen Institutionen schwach. Das ist das Problem Bos-
ien-Herzegowinas. Die katastrophale wirtschaftliche
nd soziale Situation in diesem Land schürt Konflikte,
ie dann immer wieder ausbrechen. Diese werden – das
ei nur nebenbei bemerkt – nicht durch die liberalen
630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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Dr. Norman Paech
Konzepte von Deregulierung, Privatisierung und Ent-
staatlichung behoben, wie sie die EU aktuell vorschlägt.
Diese Einschätzung der Situation entspricht übrigens
den Analysen renommierter internationaler Organisatio-
nen wie auch der Lageeinschätzung des Bundesverteidi-
gungsministeriums. Das Internationale Institut für Stra-
tegische Studien in London hat Bosnien bereits aus
seiner Armed Conflict Database herausgenommen.
Was die Situation in Bosnien-Herzegowina wirklich
so instabil macht, ist die Tatsache, dass die staatlichen
Institutionen weitgehend zerstört oder geschwächt sind.
Deshalb ist es notwendig – darauf haben Sie sehr richtig
hingewiesen, Herr Stinner –, dass die staatlichen Institu-
tionen für eine absehbare Übergangszeit von außen ge-
stützt und ergänzt werden.
Dafür ist das Militär vollkommen ungeeignet.
Wir schlagen deshalb vor, mit dem eingesparten Geld
eine internationale Polizeimission aufzubauen, eine
Mission mit weit gehenden kriminalpolizeilichen Befug-
nissen, die – das steht im Gegensatz zu den unlängst ge-
äußerten Überlegungen des damaligen Verteidigungs-
ministers Struck – außerhalb militärischer Strukturen
organisiert ist. Es ist doch vollkommen absurd: Wir sen-
den ein paar Polizisten nach Bosnien, die nicht einmal
Dienstpistolen tragen dürfen und nicht in die korrupten
Strukturen der bosnischen Polizei eingreifen dürfen.
Gleichzeitig fordert uns die Bundesregierung auf, der
Stationierung einer völlig überrüsteten militärischen
Truppe zuzustimmen.