Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
zehn Jahren beendete das Friedensabkommen von Day-
ton den blutigsten und verlustreichsten der vier Balkan-
kriege der 90er-Jahre. In der Tat: Am 21. November
dieses Jahres, genau am zehnten Jahrestag der Unter-
zeichnung des Dayton-Abkommens, hat die EU die
Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina aufgenom-
men und damit, was den Prozess der Integration dieses
Landes in Europa betrifft, ein neues Kapitel aufgeschla-
gen.
Zwischen der Tragödie des Krieges, der von 1992 bis
1995 andauerte, und heute liegen zehn Jahre intensivsten
Engagements der internationalen Gemeinschaft: für ei-
nen Friedensprozess und ein Nation Building, das es in
diesem Umfang bisher noch nicht gegeben hat. Dieser
Prozess erforderte den Einsatz von vielen Soldaten, Poli-
zisten, Helfern, Experten und auch von sehr viel Geld.
Dieser Einsatz hat sich gelohnt. Ich habe erfreut zur
Kenntnis genommen, dass der regionalkundige Kollege
Dr. Stinner das genauso sieht.
Für die Menschen in Bosnien-Herzegowina ist der
Krieg heute eine schlimme Erinnerung. Das Land selbst
ist weitgehend stabil. Zieht man eine politische Zwi-
schenbilanz, wird man auf Licht und Schatten stoßen;
aber allmählich überwiegt das Licht. Die Mehrheit der
Flüchtlinge ist zurückgekehrt und das, was im Krieg an
Gut, Boden und Häusern requiriert worden war, wurde
zurückgegeben.
Leider hat sich die Mehrheit der Binnenflüchtlinge
nicht dazu entschließen können, in die ehemaligen Sied-
lungsorte zurückzukehren. Aber bei der Demokratisie-
rung gibt es erhebliche Fortschritte. Heute sind freie und
faire Wahlen in Bosnien-Herzegowina an der Tagesord-
nung. Der Gesamtstaat mit seinen beiden unterschiedli-
chen Entitäten – auf der einen Seite die Serbische Repu-
blik, auf der anderen Seite die Bosnisch-Kroatische
Föderation – wächst Schritt für Schritt zusammen. Ein-
geleitet ist zum Beispiel die Bildung einer gesamtstaatli-
chen Armee mit einem gemeinsamen Verteidigungs-
m
g
z
e
z
s
G
b
s
s
b
f
H
S
A
h
s
t
t
K
S
v
N
l
A
d
d
w
i
D
f
D
k
g
S
B
z
T
1
d
j
m
h
z
H
g
B
t
N
f
K
v
Vor zwei Tagen, am 14. Dezember 2005, hat der Day-
on-Implementierungsrat beschlossen, unseren früheren
ollegen und ehemaligen Bundesminister Dr. Christian
chwarz-Schilling, der als Mediator und Streitschlichter
iel Erfahrung in exakt diesem Land hat, zu seinem
achfolger zu ernennen. Dazu gratulieren wir ihm herz-
ich. Diese Ernennung drückt die Anerkennung seiner
rbeit aus, aber auch ein wenig die Anerkennung und
en Respekt für das, was Deutschland in diesem Frie-
ens- und Stabilisierungsprozess geleistet hat.
Althea ist in diesem Kontext tatsächlich ein sehr
ichtiger Teil, aber nicht der einzige. Deutschland hat
m Rahmen von Projekten zur Flüchtlingsrückkehr, zur
emokratisierung, zur Medienhilfe und zur Wirtschafts-
örderung mehr als 100 Millionen Euro beigesteuert.
arüber hinaus stellt Deutschland das größte Truppen-
ontingent, nämlich annähernd 1 000 der bei Althea ein-
esetzten 6 200 Soldaten.
Nirgendwo kann man die ESVP, die Europäische
icherheits- und Verteidigungspolitik, besser als in
osnien-Herzegowina in der Praxis beobachten, und
war sowohl ihren zivilen als auch ihren militärischen
eil. Auf den EU-Gipfeln in Köln und Helsinki im Jahre
999, also unmittelbar nach dem Kosovokrieg, wurde
ie Bildung europäischer Fähigkeiten beschlossen, die
etzt und auch in Zukunft in Bosnien zum Einsatz kom-
en. Mit der EUPM, der europäischen Polizeimission,
at es 2003 begonnen. Noch heute versuchen 170 Poli-
eiberater, eine eigene, wirksame Polizei in Bosnien-
erzegowina auszubilden. Mit Althea ist es weiterge-
angen, diesem in der Tat umfangreichsten europäischen
eitrag zur Friedenskonsolidierung. Wie Bundesminis-
er Jung schon gesagt hat: Hier ist der Übergang von der
ATO zur EU und auch die Zusammenarbeit gut verlau-
en.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
ollegen, der weitere Weg Bosnien-Herzegowinas ist
orgezeichnet. Wir wollen, dass das Land mehr und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005 629
)
)
Staatsminister Gernot Erler
mehr Eigenverantwortung übernimmt. Dabei werden
die für Oktober nächsten Jahres vorgesehenen Wahlen
eine wichtige Rolle spielen, sie werden einen Meilen-
stein darstellen. Herr Kollege Dr. Stinner, wenn der
demokratische Transformations- und Stabilisierungspro-
zess in Bosnien-Herzegowina bis Ende 2006 ausrei-
chende Fortschritte gemacht haben wird, dann soll die
Eigenverantwortung deutlich ausgeweitet werden,
auch dadurch, dass dann der Hohe Repräsentant einem
Sonderbeauftragten der EU – den werden wir weiter
brauchen – weichen kann, der aber, so viel ist klar, ver-
ringerte Einwirkungsrechte auf die bosnische Politik ha-
ben wird; ich glaube, in diesem Punkt liegen wir nicht
weit auseinander.
Entscheidend für eine gute Zukunft des Landes wird
aber auch sein, dass die EU bei ihrer Westbalkanpolitik
bleibt, wie sie auf dem Europäischen Rat von Thessalo-
niki formuliert und beschlossen worden ist: die EU-
Perspektive für Bosnien-Herzegowina und die Westbal-
kanregion muss eindeutig bestehen bleiben. Gerade ist,
wie gesagt, mit der Aufnahme von Verhandlungen über
ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ein
neues Kapitel eröffnet worden. Ich will an dieser Stelle
noch einmal festhalten: Die neue Bundesregierung hat
sich in ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005
eindeutig zur Aufrechterhaltung der europäischen Per-
spektive für die Westbalkanstaaten – auch aus friedens-
politischen Gründen – entschlossen. Wir werden bei die-
sem Prozess ein guter Partner sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.