Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ange-
sichts der öffentlichen Debatte über die Versorgung der
Abgeordneten und ihre Entschädigung sollte man sich
noch einmal daran erinnern, dass die Bezahlung der Ab-
geordneten historisch ein Fortschritt für unsere Demo-
kratie war.
Noch 1871 las man in der Reichsverfassung:
Die Mitglieder des Reichstages
– also das historische Vorgängerparlament –
dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädi-
gung beziehen.
Das bedeutete damals: Wer es sich leisten konnte, wer
genügend Geld hatte, konnte sich ins Parlament wählen
lassen. Der damalige Bundesrat hat gesagt, diese Rege-
lung sei ein Korrektiv gegen das allgemeine Wahlrecht.
Wenn also schon jeder wählen konnte, sollte wenigstens
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Max Weber hat in seinem berühmten Vortrag „Politik
ls Beruf“ darauf hingewiesen – ich zitiere –:
daß eine nicht plutokratische Rekrutierung der poli-
tischen Interessenten, der Führerschaft und ihrer
Gefolgschaft, an die selbstverständliche Vorausset-
zung gebunden ist, daß diesen Interessenten aus
dem Betrieb der Politik regelmäßige und verläßli-
che Einnahmen zufließen. Die Politik kann entwe-
der „ehrenamtlich“ und dann von, wie man zu sa-
gen pflegt, „unabhängigen“, d. h. vermögenden
Leuten, Rentnern vor allem,
damals sagte man das zumindest –
geführt werden. Oder aber ihre Führung wird Ver-
mögenslosen zugänglich gemacht, und dann muß
sie entgolten werden.
ngesichts der öffentlichen Debatte muss man an diese
usammenhänge durchaus erinnern.
Das Grundgesetz bestimmt in Art. 48 Abs. 3, dass
bgeordnete „Anspruch auf eine angemessene, ihre Un-
bhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben. Das
undesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil zu
en Diäten noch einmal umfangreich hervorgehoben und
arauf aufmerksam gemacht, dass die Entschädigung so
usgestaltet werden muss, dass sie die Unabhängigkeit
ichert und der Tatsache Rechnung trägt, dass der Abge-
rdnete Vertreter des ganzen Volkes ist.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht übrigens 1975
rklärt. Damals war die Abgeordnetenentschädigung mit
500 DM ungefähr auf der Höhe eines Mitglieds eines
bersten Gerichts des Bundes mit der Besoldungsgruppe
6. Seitdem hat der Bundestag angesichts der Gesetze,
ie er beschließen musste und mit denen er den Bürgern
iel zugemutet hat, wiederholt festgestellt, dass eine Er-
öhung der Diäten nicht angemessen sei. Deswegen ha-
en wir uns von diesem Level, das auch das Abgeordne-
engesetz als Zielvorgabe vorsieht, immer weiter
ntfernt. Die Diäten sind nachweislich hinter der allge-
einen Einkommensentwicklung zurückgeblieben.
Ich denke, auch das muss der Öffentlichkeit mitgeteilt
erden. Denn immer, wenn wir bei den Abgeordneten
ürzungen vorgenommen oder die Diäten nicht erhöht
aben, war dies der „Bild“-Zeitung nicht einmal eine
eile auf der letzten Seite wert.
588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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Volker Beck
Es wird aber immer wieder darüber berichtet, was die
Abgeordneten bzw. die Politiker im Allgemeinen be-
kommen.
Als rot-grüne Koalition in der letzten Wahlperiode
sind wir davon ausgegangen, dass wir das, was wir den
Bürgerinnen und Bürgern durch die Sozialreformen bei
der Rente, dem Sterbegeld, der Bezahlung der Kranken-
versicherungsbeiträge und der Pflegeversicherung zu-
muten, auch uns selbst zumuten müssen. Das haben wir
nach und nach in sehr vielen Gesetzen eins zu eins um-
gesetzt.
Auch daran will ich an dieser Stelle erinnern.
Trotzdem kommen wir nicht um die Frage herum,
welche Entschädigung und welche Altersversorgung der
Abgeordneten angemessen sind. Angesichts des öffentli-
chen Drucks wünschte man sich manchmal – insofern
verstehe ich den Vorschlag der FDP gut –, man müsste
diese Debatte nicht durchstehen, sondern könnte sie an
eine höhere Instanz delegieren.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag der FDP zu
verstehen, im Grundgesetz eine Kommission festzu-
schreiben – obwohl die FDP, wie ich zumindest in der
letzten Wahlperiode öfter gehört habe, Kommissionen
eigentlich nicht besonders schätzt –, den ich aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht eher für bizarr halte.
– Der Wissenschaftliche Dienst meint, dass der Vor-
schlag nicht bizarr ist? Wie gut, dass Sie den Wissen-
schaftlichen Dienst für dieses Urteil in Anspruch neh-
men konnten.
Ich glaube, es ist eine politische Frage, ob wir als Par-
lamentarier den Mut aufbringen, selbst zu definieren,
was für die Tätigkeit eines Abgeordneten angemessen
ist. Wir sollten auch klar machen, dafür werben und uns
der Diskussion argumentativ stellen – darin waren wir,
das gebe ich gerne zu, in der Vergangenheit nicht immer
gut –,
as der Abgeordnete braucht, um seine Unabhängigkeit
ahren zu können. Viele Aspekte der Abgeordnetenver-
orgung tragen dem Spezifikum dieses Amtes Rech-
ung. Wir werden für maximal vier Jahre gewählt
wie wir jüngst erfahren haben, kann dieser Zeitraum
uch kürzer sein – und wir haben anders als Beamte kei-
en Anspruch auf eine Anschlussversorgung.
Insofern ist es zwar richtig, dass die Abgeordneten
eine Beamten sind. Sie sind aber auch keine Selbststän-
igen, Freiberufler oder Unternehmer. Sie sind keine
ngestellten, sondern
ie sind eine Kategorie sui generis. Deshalb müssen wir
ns mit der Frage befassen, in welcher Art und Weise
ir bei der Versorgung der Abgeordneten dem Umstand
echnung tragen können, dass sie unabhängig sein müs-
en.
Das Thema ist meines Erachtens von zwei Seiten zu
etrachten – darüber haben wir diese Woche bereits dis-
utiert –: Ein Teil der Abgeordnetenversorgung – zum
eispiel die Übergangsgelder – ist dem Umstand ge-
chuldet, dass nach dem Ausscheiden aus dem Bundes-
ag kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Die Übergangs-
elder für die Regierungsmitglieder sind wesentlich
ppiger. Sie haben – wenn auch nicht im rechtlichen
inne, aber zumindest in politischer Hinsicht – die Auf-
abe, uns davor zu schützen, politische Entscheidungen
m Amt unter der Perspektive zu treffen, was sich im
nschluss an das Mandat ergeben und wer sich eventuell
ankbar erweisen könnte. Insofern meine ich, dass das
erhalten des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder dem
nsehen der politischen Klasse und der Akzeptanz der
ersorgungssysteme für Abgeordnete wie für Regie-
ungsmitglieder enormen Schaden zugefügt hat.
Einerseits sollten wir für eine angemessene Versor-
ung streiten. Andererseits sollten wir uns Regeln geben,
ie transparent sind und den Bürgern deutlich machen,
ass unsere Entschädigung bzw. Besoldung angemessen
st. Aber dann sollten wir uns bei den Nebentätigkeiten
urückhalten und dürfen nicht jeden Job annehmen, ins-
esondere dann nicht, wenn bestimmte Dinge anrüchig
ind.