Rede von
Eva-Maria
Bulling-Schröter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von
rund 30 000 relevanten chemischen Stoffen wurden bis-
lang nur etwa 4 000 darauf geprüft, ob sie Gesundheit
oder Ökosysteme schädigen. Mit dem Rest, den so ge-
nannten Altstoffen, die vor 1981 auf den Markt kamen,
läuft faktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt.
Allergien sowie Brustkrebs- und Atemwegserkrankun-
gen haben drastisch zugenommen. Giftcocktails lassen
sich sogar noch in der Muttermilch nachweisen, ebenso
weitab der Chemiefabriken im Fettgewebe von Eisbären
und Walen.
Die EU-Kommission wollte diesen unhaltbaren Zu-
stand mit ihrem Entwurf einer REACH-Verordnung be-
enden. Für Alt- und Neustoffe ab einer Tonne Jahrespro-
duktion sollte nun gleichermaßen gelten: keine Daten –
kein Markt. Mengenabhängig hätten die Chemikalien
getestet und registriert werden müssen. Vor allem aber
sollten besonders gefährliche Stoffe identifiziert und
schrittweise ersetzt werden; denn genau das muss der
Kern einer verantwortlichen Chemikalienpolitik sein.
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Doch dieser Kommissionsentwurf wurde vor vier
ochen vom EU-Parlament gnadenlos verwässert; das
urde hier schon gelobt. In dieser Form hat ihn der
inisterrat am Dienstag leider auch weitgehend bestä-
igt. Die Chemiekonzerne, die eine gewaltige Desinfor-
ationskampagne losgetreten haben, können einen
tappensieg verbuchen: Nunmehr sind die Daten- und
estanforderungen drastisch gesunken. Von den 30 000
elevanten Chemikalien bleiben nur noch 12 000 übrig,
ie halbwegs vernünftig überprüft werden sollen. Es be-
teht zwar die Möglichkeit, von den Firmen Daten nach-
ufordern. Das wird jedoch enorm bürokratisch. So viel
um Thema Bürokratie. Zudem wandert die Beweislast
ieder von den Herstellern zu den Behörden; genau das
ollte durch REACH umgekehrt werden. Die geschei-
erte Altstoffverordnung, unter der in 24 Jahren gerade
inmal 65 Stoffe bewertet wurden, lässt schon jetzt grü-
en.
Insgesamt ist das Rollback in der europäischen Che-
ikalienpolitik nicht nur ein dreister Frontalangriff auf
ie Gesundheit der Menschen. Das Ganze ist außerdem
konomischer Unsinn. Schließlich verleiht eine saubere
egistrierung und Bewertung den Firmen Rechtssicher-
eit in Haftungsfragen, was sehr wichtig ist.
lt- und Neuchemikalien könnten zudem in einen ge-
echten Wettbewerb miteinander treten – und die Schaf-
ung von Wettbewerb ist doch immer Ihr Anliegen. Nun
ber werden Intransparenz und Ungleichbehandlung
ortgeführt. Innovationsfeindlicher geht es kaum.
In seiner ersten Lesung vor vier Wochen hat sich das
U-Parlament wenigstens dafür ausgesprochen, gefähr-
iche Chemikalien nur für fünf Jahre befristet zuzulas-
en. Danach hätten sie von den Unternehmen ersetzt
erden müssen, sofern dann unbedenkliche Alternativen
xistieren. Genau darum geht es doch; wir wollen doch
toffe, die unbedenklich sind.
ber selbst diese einzige positive Veränderung am Kom-
issionsentwurf wurde vom Rat kassiert.
640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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Eva Bulling-Schröter
Insgesamt stellt sich damit die Frage, ob ein solches
Chemikalienrecht nicht hinter das bisherige zurückfällt.
Schließlich gelten die weich gespülten Registrierungs-
und Zulassungskriterien nun ebenfalls für die Neustoffe
und diese unterliegen gegenwärtig noch einem vorbildli-
chen Registrierungsverfahren.
Der BUND hat in dieser Woche analysiert, wer in
Europa die Interessen der Chemiekonzerne gegen den
Verbraucherschutz besonders eifrig vertreten hat. Das
Papier ist wirklich lesenswert: Die deutschen Abgeord-
neten im Europaparlament haben – mit Ausnahme der
Linken und der Grünen – bei allen Änderungsanträgen
mehrheitlich für einen Abbau des Gesundheitsschutzes
gestimmt.
Im Falle von SPD und FDP geschah das sogar gegen die
jeweilige eigene Fraktion im Europaparlament. Auf-
grund der Abgeordnetenanzahl haben deutsche EU-Par-
lamentarier somit ein fortschrittliches europäisches Che-
mikalienrecht verhindert.
Dass die Bundesregierung im Rat und in der EU-
Kommission als Repräsentantin des VCI auftrat, weiß
inzwischen ganz Brüssel. Kommissionsvizepräsidentin
Margot Wallström hat öffentlich gegen einen besonders
dreisten Vorstoß Günter Verheugens protestiert. Auch
das ist bekannt.
REACH ist aus unserer Sicht ein trauriges Beispiel
dafür, wie Konzerne die Gesetzgebung nach ihren Profit-
interessen zurechtbiegen können, wenn sie dafür nur
mächtig und frech genug sind.
Dies geschieht leider mithilfe von Politikern aus der
Bundesrepublik Deutschland, einem Land, welches sich
so gern als Weltmeister im Umweltschutz ausgibt.
Noch ein Wort zu den Grünen: