Rede von
Dr. h.c.
Wolfgang
Thierse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Loske, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Minister! Wir sind hier eben Zeugen eines bemer-
enswerten Widerspruches geworden, den man – wenn
ch das so sagen darf – wohl nur unter einem großkoali-
ionären Klima als stimmig bezeichnen kann. Auf der ei-
en Seite hat der Herr Minister es in seinem Vortrag so
argestellt, als hätten wir es bei REACH mit einer Kon-
inuitätslinie rot-grüner Politik zu tun. Auf der anderen
eite hat Frau Dött dem Herrn Minister dafür gedankt,
ass er in Brüssel im Wettbewerbsrat die entscheidende
ende im Sinne der CDU/CSU herbeigeführt habe. Ich
uss leider sagen: Frau Dött hat Recht; der Entwurf ist
um Schlechteren hin verändert worden, ganz eindeutig.
Der Herr Minister ist heute ja schon als alles Mögli-
he tituliert worden: als Erzengel, als Tiger, als Bettvor-
eger. Das würde ich nie sagen,
ber eines kann man ihm heute definitiv zuschreiben,
ämlich die Rolle des Rosinenpickers – das ist er eindeu-
ig. Es ist in der Tat gut, dass wir hier ein Telefon haben;
ch habe mir nämlich noch einmal von meinem Mitarbei-
er die gemeinsame Stellungnahme von VCI, IG BCE
nd Bundesregierung vom März 2002 heraussuchen las-
en. Da werden verschiedene Positionen ausgeführt und
ine hat sich der Minister herausgesucht – das stimmt;
as war damals von Hubertus Schmoldt und von
ambrecht mit Nachdruck vorgetragen worden –: Auf
ar keinen Fall zeitliche Befristungen. Es ist natürlich
ine ganze Reihe anderer Forderungen enthalten, für die
ie sich dann leider nicht eingesetzt haben und die Sie in
rüssel nicht durchgesetzt haben, zum Beispiel die For-
erung, dass wir für Stoffe mit Produktionsmengen zwi-
chen eine und zehn Jahrestonnen wesentlich weiter ge-
ende Datensätze brauchen. Das geht wesentlich über
as hinaus, was die Kommission vorgeschlagen hat.
ass für Zwischenprodukte aussagekräftigere Mindest-
atensätze verpflichtend gemacht werden sollen, haben
ie ebenfalls nicht durchgesetzt.
So gesehen ist das in der Tat ein deutliches Abwei-
hen von dem, was die alte Regierung gemacht hat; da
eißt die Maus keinen Faden ab. So leicht es mir gefal-
en ist, Herr Minister, Sie vor wenigen Tagen öffentlich
ür Ihren guten Auftritt auf der Klimaschutzkonferenz in
ontreal zu loben, so muss ich doch in dieser Sache ein-
eutig sagen: Das, was Sie da in Brüssel abgeliefert ha-
en, ist absolut schlecht und inakzeptabel.
ie haben dort nicht, wie das für einen Umweltminister
ngemessen wäre, vorrangig Umwelt-, Verbraucher- und
esundheitsinteressen vertreten, sondern vor allen Din-
en eben die vermeintlichen – ich komme gleich dazu –
nteressen der Chemieindustrie. Die Verbraucherver-
ände und die Umweltverbände haben dazu das Notwen-
ige gesagt.
642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005
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Dr. Reinhard Loske
Wir halten es auch innovationspolitisch für falsch,
wenn es schwieriger ist, neue Chemikalien in den
Markt zu bringen, die aufwendige Test-, Genehmigungs-
und Registrierungsverfahren durchlaufen müssen, als
alte Chemikalien, die möglicherweise unbekannte Ne-
benwirkungen haben, im Markt zu lassen. Das ist keine
Innovationsförderung, sondern es ist Innovationsbehin-
derung, ganz eindeutig.
Der entscheidende Punkt, den ich ansprechen möchte,
ist – es ist ja schon viel anderes gesagt worden –:
REACH reiht sich ein in eine Liste von verbraucherpoli-
tisch äußerst fragwürdigen Entscheidungen, die in den
letzten Tagen getroffen wurden.
Schauen wir doch einmal zurück: Gestern hat Minis-
ter Seehofer drei Bt-Maissorten, also gentechnisch ver-
änderte Maissorten, genehmigt, die wir nicht brauchen
und die äußerst fragwürdig sind. Heute kündigt er an,
dass er das Gentechnikgesetz ändern will. Durch die ge-
planten Änderungen würden das Verursacherprinzip fak-
tisch ausgehebelt und die Haftungsregelungen des jetzi-
gen Gentechnikgesetzes so geändert werden, dass
jemand, der kontaminiert ist, nicht mehr geschützt ist,
sondern vielmehr nachweisen muss, wer ihn kontami-
niert hat. Darüber hinaus will Herr Seehofer die im Ver-
braucherinformationsgesetz enthaltene Informations-
pflicht der Unternehmen komplett streichen.
In diese Liste reiht sich REACH ein. An den Kontu-
ren Ihrer Politik, die hier erkennbar werden, sieht man,
dass Sie einen Kniefall vor der Chemieindustrie machen,
aber die Verbraucherinteressen ignorieren. Das halten
wir für völlig falsch.
– Das ist kein dummes Zeug, sondern leider die Wahr-
heit.
Eines will ich Ihnen noch sagen: Bevor ich gerade
hierher kam, habe ich einen Brief an die Bayer AG ge-
schrieben, der in Montreal ein Preis – der „Low Carbon
Leaders Award“ – verliehen wurde. Bayer wurde damit
als eines der Unternehmen ausgezeichnet, die sich welt-
weit am meisten für den Klimaschutz einsetzen. Dazu
sage ich nur: Chapeau! Weil mein Wahlkreis in Leverku-
sen ist, habe ich dem Unternehmen geschrieben; denn
ich finde das, was Bayer in diesem Bereich tut, prima.
Aber für viele andere Bereiche gilt ganz eindeutig: Es
ist gefährlich, wenn sich die Politik bzw. eine Bundesre-
gierung die Positionen der Chemieindustrie, die wett-
bewerbspolitisch natürlich legitim sind, zu einseitig zu
Eigen macht.
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er in dieser Form ganz eindeutig nicht nötig gewesen
äre.
Danke schön und frohe Weihnachten.