Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kol-legen, ich darf Sie bitten, von Ihren Plätzen erhoben zubleiben .Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Noch am Abend unseres letzten Sitzungstageswurde Paris von einer brutalen Serie von Terroranschlä-gen heimgesucht – zum zweiten Mal in diesem Jahr . Nochimmer kämpfen Menschen, die feiernd ins Wochenendestarten wollten, um ihr Leben . Der Deutsche Bundestagtrauert mit allen Franzosen um die vielen Opfer diesermörderischen Attacke auf ihre Hauptstadt . Unseren Kol-leginnen und Kollegen in der Nationalversammlung habeich bereits am Morgen nach den Anschlägen unser Mit-gefühl übermittelt .Seit diesen Ereignissen haben sich manche politischePrioritäten verschoben, nicht nur in Frankreich, sondernauch in unserem Land . Der Terror betrifft uns alle, under kennt keine Grenzen . Wir denken nicht nur an die Op-fer in Paris, sondern ebenso an die über 200 russischenPassagiere, die auf dem Rückflug von ihrem UrlaubsortÄgypten waren, an die Hotelgäste in Bamako und Mo-gadischu, an die Menschen in Sarajevo, in Bagdad undBeirut, die alle in den vergangenen drei Wochen bei Ter-roranschlägen jäh aus ihrem Leben gerissen wurden .Die Zahl unschuldiger Opfer fanatischer Terroristenhat weltweit einen erschreckenden Höchststand erreicht:Im Verlauf des letzten Jahres hat es über 32 000 Opfergegeben . Weit über die Hälfte aller Terrorangriffe undfast 80 Prozent aller Todesfälle konzentrierten sich dabeiauf fünf Länder: Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan undSyrien . Zehn der elf am stärksten vom Terrorismus be-troffenen Länder weisen auch die höchsten Flüchtlings-zahlen auf .Der Terror ist uns sehr nahe gerückt, seine Bedrohungist real . Ihre blutigste Spur ziehen die Islamisten vorallem in den Staaten, in denen die meisten ihrer Glau-bensbrüder leben – dort, wo vielerorts Krieg herrscht,der dem Terrorismus wiederum als Nährboden dient unddem Menschen entfliehen wollen, die zu uns strömen, umunseren Schutz zu suchen .Wir bekennen uns – auch und gerade unter dem Ein-druck menschenverachtender, brutaler Mordanschläge –zur Humanität als Leitlinie politischen Handelns . Aberwir werden Humanität nicht mit Naivität verwechseln .Wir werden Muslimen wie Christen und Juden mit Res-pekt begegnen – und religiösen Fanatikern mit der gebo-tenen Härte .Es gibt nichts, was die terroristische Barbarei recht-fertigen könnte – keine politische Idee, kein Glaube undkeine Religion . Weil dies im Namen Allahs trotzdem ge-schieht, wiederhole ich, was ich im Januar dieses Jahreshier im Bundestag gesagt habe:Unser Gegner ist nicht der Islam, sondern der Fana-tismus, nicht Religion, sondern Fundamentalismus .Aber es reicht eben auch nicht, zu sagen, dass die Ge-walt nichts mit dem Islam zu tun habe . Zitat: „In dem Au-genblick, da sich Terroristen auf den Islam berufen, hatder Terror auch etwas mit dem Islam zu tun“, hat NavidKermani im Januar in Köln gesagt, und er hat alle Musli-me dazu aufgerufen – Zitat –, „die Fratze abzureißen, diedas Gesicht unserer Religion entstellt“ .Im Selbstverständnis einer jeden freien Gesellschaftbegründet sich auch unsere Pflicht, diese Freiheit vor de-nen zu schützen, die sie angreifen . Wir wissen um dieVerwundbarkeit der Freiheit: Das Spannungsverhältniszwischen Freiheit und Sicherheit ist nicht kostenlos auf-zulösen . Wir stehen immer wieder vor schwierigen Ab-wägungsprozessen – und wir werden Entscheidungentreffen müssen, damit wir auch unter den gegenwärtigenBedingungen größtmögliche Freiheit und Sicherheit ge-währleisten können .Helmut Schmidt, den wir gestern in Hamburg zu Grabegetragen haben, hat am Ende des sogenannten DeutschenHerbstes, im Oktober 1977, über politisches Handeln imZeichen des Terrorismus hier im Bundestag gesagt:Wer weiß, daß er so oder so, trotz allen Bemühens,mit Versäumnis und Schuld belastet sein wird, wieimmer er handelt, der wird von sich selbst nicht sa-gen wollen, er habe alles getan und alles sei richtiggewesen . Er wird nicht versuchen, Schuld und Ver-säumnis den anderen zuzuschieben; denn er weiß:
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Die anderen stehen vor der gleichen unausweich-lichen Verstrickung . Wohl aber wird er sagen dür-fen: Dieses und dieses haben wir entschieden, jenesund jenes haben wir aus diesen oder jenen Gründenunterlassen . Alles dies haben wir zu verantworten . . . . Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zu-kunft .Zu dieser Verantwortung wollen auch wir stehen,wenn wir im Anschluss in unserer Haushaltsdebatte mitden dort vorgenommenen Prioritäten für unsere politi-schen Aktivitäten eintreten .Ausdrücklich danken will ich zuvor aber allen Sicher-heitskräften und -behörden, die seit den Anschlägen vonParis in erhöhter Alarmbereitschaft ihren Dienst leisten .Die Notwendigkeit und die Bedeutung ihrer Arbeit – dashaben uns die letzten Tage gezeigt – sind nicht hoch ge-nug einzuschätzen .Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Angehörigen der Ge-töteten und den vielen Verletzten .Ich danke Ihnen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-ordnungspunkte I a und b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2016
Drucksachen 18/5500, 18/5502b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2015 bis 2019Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwarzunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Ausspra-che vorgesehen ist .Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .1 auf:Einzelplan 01Bundespräsident und BundespräsidialamtDrucksachen 18/6124, 18/6125Berichterstatter sind die Abgeordneten KerstinRadomski, Steffen-Claudio Lemme, Dietmar Bartschund Ekin Deligöz .Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01in der Ausschussfassung . Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieserEinzelplan einstimmig angenommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .2 auf:Einzelplan 02Deutscher BundestagDrucksachen 18/6102, 18/6124Berichterstatter sind die Kolleginnen und KollegenJohannes Kahrs, Bernhard Schulte-Drüggelte, RolandClaus und Anja Hajduk .Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 02in der Ausschussfassung . Wer stimmt dieser Beschluss-empfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist auch dieser Einzelplan einstimmig an-genommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .3 auf:Einzelplan 03BundesratDrucksachen 18/6124, 18/6125Berichterstatter sind die Abgeordneten Ulrich Freese,Kerstin Radomski, Heidrun Bluhm und Tobias Lindner .Über den Einzelplan 03 stimmen wir jetzt in derAusschussfassung ab . Wer stimmt dieser Beschluss-empfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist auch der Einzelplan des Bundesrateseinstimmig angenommen .Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I .4 auf:a) Einzelplan 08Bundesministerium der FinanzenDrucksachen 18/6108, 18/6124b) Einzelplan 20BundesrechnungshofDrucksachen 18/6124, 18/6125Berichterstatter zum Einzelplan 08 sind die Abgeord-neten André Berghegger, Hans-Ulrich Krüger, GesineLötzsch und Tobias Lindner .Berichterstatter zum Einzelplan 20 sind MichaelLeutert, Carsten Körber, Bettina Hagedorn und TobiasLindner .Zum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Nach den eindringlichen Worten desPräsidenten zu Beginn unserer Sitzung fragt man sich na-türlich: Wird diese Bundesregierung ihren Aufgaben ge-recht? Wir als Linke müssen diese Frage leider mit Neinbeantworten . Diese Bundesregierung wird ihren Aufga-ben überhaupt nicht gerecht .
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Die Bundesregierung und die Koalition aus Union undSPD stellen sich in der Öffentlichkeit als Panikorchesterdar .
Die Dirigentin Merkel wird vom Orchester ignoriert,und der CSU-Vorsitzende Seehofer gibt unaufgefordertein schräges Solo nach dem anderen . FinanzministerSchäuble hat den Taktstock schon fest in der Hand undgibt den Schattenkanzler . Es vergeht keine Woche, HerrSchäuble, in der Sie nicht mit boshaften Formulierungendie Stimmung gegen die Flüchtlinge anheizen . Sie habenvon „Lawinen“ gesprochen, als es um Flüchtlinge, alsoMenschen, ging. Ich finde, das ist mit einem christlichenMenschenbild nicht vereinbar, meine Damen und Herren .
Sie, Herr Schäuble, haben verfassungswidrige Vor-schläge unterbreitet; zum Beispiel haben Sie den Einsatzder Bundeswehr im Innern gefordert . Mindestens einmalin der Woche ruft Herr Seehofer den Notstand aus undsieht die Belastungsgrenze erreicht . Meine Damen undHerren, ich bitte Sie, ich fordere Sie auf: Reden Sie lie-ber über die Ursachen der Flucht! Reden Sie über Krieg,über Elend, und lassen Sie uns gemeinsam daran arbei-ten, dass es in dieser Welt keinen Krieg mehr gibt .
Wer nun den Haushalt liest, muss relativ unaufgeregtfeststellen, dass im Haushalt von Notstand keine Redesein kann . Die Unterbringung und die Versorgung vonFlüchtlingen führen nicht dazu, dass der Finanzministerneue Schulden aufnehmen muss .
Er kann das alles aus den laufenden Einnahmen finan-zieren .
Das sah 2008, in der Finanzkrise, ganz anders aus:Innerhalb einer Woche wurden 480 Milliarden Euro zurRettung von maroden Banken bereitgestellt . Die Steu-erzahler wurden für die Kasinokosten der Banken zurKasse gebeten, und die Staatsverschuldung schoss in dieHöhe . Das war ein echter Notstand;
aber damals haben weder Seehofer noch Schäuble diesesWort in den Mund genommen, und sie waren nicht derMeinung, dass bei 480 Milliarden Euro eine Belastungs-grenze erreicht sei . Damals hätte man von einem Not-stand sprechen müssen!
Die Koalitionsfraktionen sagen nun, dass sie für 2016circa 7,5 bis 8 Milliarden Euro für die Flüchtlinge bereit-gestellt hätten . Ich sage Ihnen: Das ist nicht ganz richtig;denn die neuen Stellen für die Bundespolizei zum Bei-spiel sind ja nicht in erster Linie für die psychologischeBetreuung der Flüchtlinge gedacht . Die Bundespolizistensollen auch dafür sorgen, dass Flüchtlinge abgeschobenund die Grenzen dichtgemacht werden. Ich finde, das istnicht die richtige Priorität . Die richtigen Prioritäten fürmehr Sicherheit in unserem Land sind Integration unddie Beendigung einer nicht friedlichen Außenpolitik .
Besonders die Auseinandersetzung um die Sprachkur-se für Flüchtlinge finde ich sehr bezeichnend. Finanz-minister Schäuble meinte, dass die Flüchtlinge nichtnur 1,39 Euro pro Monat für die Sprachkurse zahlensollen, sondern 36 Euro . Die Begründung, die aus demFinanzministerium zu hören war, hieß – ich zitiere –: DerSprach erwerb schaffe erst „die elementare Vorausset-zung dafür . . . im späteren Verlauf auch andere Angebotein Anspruch zu nehmen“ . Was ist denn das für eine Be-gründung?Herr Schäuble, ich frage Sie: Wie viel Geld haben Sievon den Bankvorständen zurückgefordert, als wir dieschlimmste Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg er-lebten? Wenn es um Hartz IV, Kindergeld, Flüchtlingeund Alleinerziehende geht, werden Sie zum Pfennigfuch-ser . Wenn es aber um Ihre CDU-Klientel geht, die Vermö-genden, dann kennt Ihre Großzügigkeit keine Grenzen .Wann wollen wir endlich für eine gerechte Besteuerungder Vermögenden in unserem Land sorgen? Ich finde, dasist die Aufgabe der Stunde .
Die von der SPD eingeführte Abgeltungsteuer warein Geschenk an die, die hohe Kapitaleinkünfte haben .Allein die Dividendenkönigin des Jahres 2015, FrauSchaeffler und ihre Familie, haben nach Berechnungender Wirtschaftswoche 549 Millionen Euro an Ausschüt-tungen eingestrichen .
Es ist doch nicht gerecht, dass Kapitaleinkünfte steuer-lich besser behandelt werden als Arbeitseinkünfte . Wirals Linke fordern die sofortige Abschaffung der Abgel-tungsteuer . Dann hätten wir wesentlich mehr Geld in derKasse .
Mit dem Bundeshaushalt versucht die Bundesregie-rung nur die allernötigsten Aufgaben abzusichern . Doches wäre jetzt an der Zeit, einen Haushalt zu beschließen,der unsere Zukunft absichert . Die Linke hat deshalb einInvestitionsprogramm für die Zukunft vorgeschlagen .Ein solches Programm würde die Erfüllung von zweiAufgaben gleichzeitig möglich machen: Modernisierungunserer Gesellschaft und Integration von Flüchtlingen .Sie alle wissen: Wir haben in Deutschland einen rie-sigen Investitionsstau . Investitionen in Wohnungen,Dr. Gesine Lötzsch
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Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Theater undSchwimmhallen sind für alle gut . Sie schaffen Arbeits-plätze für die Menschen, die schon hier sind, und für die,die als Flüchtlinge zu uns kommen . Für solch ein Pro-gramm – das kann ich nur noch einmal unterstreichen –müsste man keine neuen Schulden aufnehmen, wennman Vermögen gerecht besteuern würde .
Ihre Angst, meine Damen und Herren, insbesonderevon der Union, vor der Macht der Vermögenden setzt dieZukunft unserer Gesellschaft aufs Spiel . Gerechtigkeitgeht anders .Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Eckhardt Rehberg für
die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kommen wir zum Bundeshaushalt, zu in Zahlen gegos-sener Politik .
Frau Lötzsch, wir als Regierungsfraktionen nehmengerne das Lob entgegen, dass wir die Herausforderungendes Jahres 2016 und der nächsten Jahre ohne neue Schul-den meistern . Das ist Politik, die CDU, CSU und SPDam 12 . und 13 . November gemeinsam im Haushaltsaus-schuss beschlossen haben . Wir haben in wichtigen Poli-tikbereichen die Grundlage der Bundesregierung durchAufschläge verstärkt .Wir werden im Jahr 2016 8 Milliarden Euro für dasThema „Herausforderung Flüchtlinge/Asylbewerber“ausgeben . Davon geht fast die Hälfte an Länder undKommunen . Hier ist die Herausforderung nicht mehr dieHöhe der Mittel, die der Bund bereitstellt, sondern dieHerausforderung ist in vielen Ländern – nicht in Bayern,nicht im Saarland und nicht in Mecklenburg-Vorpom-mern –, dass das Geld, das wir als Bund an die Länderausreichen, auch bei den Kommunen ankommt . Das seheich als gemeinsame große Herausforderung an .
Wir geben mehr als jeden zweiten Euro des Bundes-haushalts für Soziales aus . Im Jahr 2015 sind es 153 Mil-liarden Euro . Dieser Betrag wird im Jahr 2019 auf172 Milliarden Euro aufwachsen . Gleichzeitig, Frau Kol-legin Lötzsch, investieren wir in die Zukunft . Ich machedas nur an zwei Beispielen klar: Im Bereich Bildung undForschung steigern wir die Ausgaben des Jahres 2014 biszum nächsten Jahr von 14 Milliarden Euro auf 16,4 Mil-liarden Euro – plus 2,4 Milliarden Euro –, und im Ver-kehrsbereich erhöhen wir die Mittel von 10,2 MilliardenEuro auf 12,3 Milliarden Euro . Das heißt, in den letztendrei Jahren wurden keine neuen Schulden aufgenommen,sondern es wurden Investitionen in Wachstum und Be-schäftigung, Bildung und Forschung und in die Verkehrs-infrastruktur getätigt . Wir haben, liebe Frau Lötzsch,überhaupt keinen Nachholbedarf – weder die CDU nochdie CSU noch die SPD –, wenn es um die Sicherstellungder Zukunft in Deutschland geht .
Ja, wir meistern die Herausforderungen . Schon imJahr 2015, in diesem Jahr, geben wir 5 Milliarden Euromehr aus . Es werden 2 Milliarden Euro für Flüchtlin-ge und zusätzliche Mittel für den Energie- und Klima-fonds bereitgestellt . Wir entlasten Familien – Stichworte:Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag – dieses Jahr um750 Millionen Euro . Im nächsten Jahr wird die Entlas-tung der Familien gesamtstaatlich 5,5 Milliarden Eurokosten, den Bund 2,5 Milliarden Euro . Da kann mannun wahrlich nicht davon reden, dass sich die Regie-rungsfraktionen nicht den Herausforderungen stellen,sondern – ganz im Gegenteil – das ist Ausgewogenheit:zwischen investieren, Wachstum und Beschäftigung ge-nerieren und dabei die soziale Balance nicht aus den Au-gen verlieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagenjährte sich die Kanzlerschaft von Angela Merkel zumzehnten Mal . In der Zeit der Regierung Merkel – das giltsowohl für die Große Koalition von 2005 bis 2009 alsauch für die Koalition von 2009 bis 2013 und für dieseGroße Koalition – hat der Bund Länder und Kommunenmehr unterstützt als je zuvor, und das bei Aufgaben, fürdie der Bund eigentlich nicht zuständig ist; der Bundes-rechnungshof kritisiert uns dafür .
Trotz der Herausforderung durch die Flüchtlinge wer-den wir das Zugesagte in den Jahren 2015 bis 2018 ein-halten . Das heißt, wir werden an Länder und Kommu-nen insgesamt Mittel in Höhe von 13 Milliarden Euroüberweisen . Das kommunale Investitionsprogramm hatein Volumen von 3,5 Milliarden Euro . Zusätzlich werdenden Ländern – ungebunden über die Verteilung der Um-satzsteuerpunkte – weitere Mittel in Höhe von 9,5 Milli-arden Euro zur Verfügung gestellt .Hinzu kommen 18,5 Milliarden Euro im Rahmen derZuweisungen . Dabei geht es um Leistungen der Grund-sicherung im Alter, Entflechtungsmittel, BAföG usw.usf . Auch hier wieder ein Appell an uns alle – über alleFraktionsgrenzen hinweg –: Achten wir in den Ländern –dort, wo wir Verantwortung tragen, aber auch dort, wowir in der Opposition sind – darauf, dass diese Mittelwirklich dort ankommen, wo sie hingehören! Von diesen18,5 Milliarden Euro gehören nämlich 11,5 MilliardenEuro eigentlich den Kommunen . Dieses Geld darf nichtzur Sanierung von Länderhaushalten zweckentfremdetwerden .
Dr. Gesine Lötzsch
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das, glaube ich,muss einmal gesagt werden: Für die Jahre 2014 bis 2020wird ein Aufwuchs der Steuereinnahmen um 152 Milli-arden Euro prognostiziert . Davon entfallen 64 Milliar-den Euro auf den Bund, gute 60 Milliarden Euro auf dieLänder und 21,4 Milliarden Euro auf die Kommunen .Das heißt, von 1 Euro Steuermehreinnahmen bekommtder Bund 44 Cent, Länder und Kommunen aber 56 Cent .Wenn jetzt schon wieder neue Forderungen von den Län-dern an den Bund herangetragen werden – Stichwort:Unterbringung von Asylbewerbern –, muss klar unddeutlich gesagt werden: Wahr ist, dass der Bund in sei-nen Liegenschaften 125 000 Flüchtlinge untergebrachthat, und auch die Herrichtungskosten für diese Liegen-schaften hat der Bund getragen . Das führt bei der BImAzu Mindereinnahmen von rund 315 Millionen Euro . Des-wegen: Wenn die Länder die Herausforderung der Un-terbringung und Integration der Flüchtlinge als nationaleAufgabe betrachten – so haben sie sie ja bezeichnet –,dann erwarte ich von den Ländern, dass sie auch ihrenBeitrag zur Erfüllung dieser nationalen Aufgabe leistenund nicht immer auf den Bund zeigen . Hier ist auch einStückchen Eigenverantwortung gefragt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in derKoalition gemeinsam vereinbart – das war 36 Stundenvor den Terroranschlägen in Paris –, dass wir die Nach-richtendienste personell und materiell massiv unterstüt-zen werden . Ich glaube, das war ein guter, wichtiger undrichtiger Schritt zur Bekämpfung des Rechtsextremismusund zur Bekämpfung des Islamismus, wofür zusätzlichesPersonal und zusätzliche Technik eingesetzt werden sol-len . Ich will jetzt aber nicht näher darauf eingehen . Ichglaube, hier hat die Koalition vorausschauend gehandelt,ohne einen situationsbezogenen Anlass gehabt zu haben .Frau Lötzsch, Sie werden den Terrorismus nicht mitirgendwelchen Friedensstiftungen bekämpfen können .
Wir werden die Bundespolizei und das Bundeskrimi-nalamt massiv weiter aufbauen . Deshalb stellen wir imEinzelplan des Innenministeriums fast 1 Milliarde Eurozusätzlich für die innere Sicherheit zur Verfügung . Ichglaube, auch hier haben wir vorausschauend gehandelt,ohne dass es dafür einen Anlass gegeben hat .Ich denke, dass dies nicht nur deutlich macht, wiewichtig der Regierungskoalition die innere Sicherheit ist,sondern das ist auch eine Wertschätzung unserer Sicher-heitsbehörden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf mich andieser Stelle wirklich ganz herzlich beim Koalitionspart-ner bedanken. Ich glaube, Johannes Kahrs, jeder findetsich in dem, was wir am 13 . November gemeinsam be-schlossen haben, wieder .Ich will nur einige wenige Punkte nennen, die für dieUnionsfraktion wichtig waren . Ich glaube, es war einwichtiges Zeichen, dass wir die schwierige Situation derLandwirte etwas abmildern . Wir werden 78 MillionenEuro an zusätzlichen Mitteln für die landwirtschaftlicheUnfallversicherung bereitstellen . Das ist nicht nur, wiemanche suggerieren, eine Hilfe für die Landwirte in Bay-ern, sondern das ist eine Hilfe von Kap Arkona bis nachGarmisch-Partenkirchen . Zusätzlich werden wir 30 Mil-lionen Euro für ein Programm für die ländlichen Räumebereitstellen . Ich glaube, gerade mit Blick auf die ländli-chen Räume, auf die strukturschwachen Räume ist dieseine gute Hilfe, um auch dem demografischen Wandelentgegenzutreten .
Lassen Sie mich ein Letztes sagen, was nicht nur mirpersönlich, sondern auch vielen Kolleginnen und Kolle-gen in der Unionsfraktion seit vielen Jahren ein Anliegenist: Ich stehe dazu – und das gilt auch für unsere Frakti-on –, dass wir 70 Jahre nach Kriegsende eine symboli-sche Anerkennung für sowjetische Kriegsgefangene imBundeshaushalt festgelegt haben . Ich glaube aber, ge-nauso richtig ist es, dass wir auch den zivilen deutschenZwangsarbeitern, die während des Zweiten Weltkrie-ges und danach zwangsverschleppt worden sind – egalwohin –, eine symbolische Anerkennung zuteilwerdenlassen . Ich glaube, 70 Jahre nach Kriegsende ist beidesrichtig gewesen: eine symbolische Anerkennung fürsow jetische Kriegsgefangene und eine symbolische An-erkennung für das Leiden der zivilen deutschen Zwangs-arbeiter .Herzlichen Dank .
Anja Hajduk ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Die Beratungen für den Haushalt 2016 waren sicher-lich ganz besondere Haushaltsberatungen . Sie standenvon der ersten Lesung im September an bis heute unterdem Megathema und der Herausforderung der großenFlüchtlingsbewegungen und fanden unter den Gesichts-punkten der daraus folgenden Aufnahmebereitschaft un-seres Landes und der Integration statt .Ich will hier sagen: Die Bundesregierung und die Gro-ße Koalition haben hier, anders als in den Vorjahren – dasdarf man leider nicht vergessen –, endlich reagiert: ImBundesamt für Migration und Flüchtlinge werden deut-lich mehr Stellen – es sind mehrere Tausend – bereit-gestellt, und Integrationsmaßnahmen werden in einemdeutlich erhöhten Ausmaß finanziert. Viele verschiedeneProjekte sind bereits angepackt worden . Das heißt, Siehaben sich bewegt . Sie haben sich auch dahin gehend be-wegt, Länder und Kommunen strukturell zu unterstützen .Eckhardt Rehberg
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Aber – das muss man ebenfalls ganz nüchtern sehen –:Sie kommen nicht aus dem Modus heraus, nur auf Sichtzu fahren . Da Sie nur auf Sicht fahren, werden wir, wennes so weitergeht, die Aufgaben nicht lösen . Auf Sicht fah-ren, das führt zum Scheitern .
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen .Im Einzelplan 06 des Innenministeriums finden sich Mit-tel für Integration und Sprachkurse . Sie sagen: Wir ma-chen da eine ganze Menge . Wir erhöhen die Mittel um250 Millionen Euro und landen damit bei über 550 Mil-lionen Euro . – Aber man muss ganz nüchtern sehen: DerInnenminister selber hat uns dargelegt, sein eigentlicherBedarf liege bei zusätzlich 570 Millionen Euro . Sie wis-sen selber, dass Sie nur die Hälfte von dem einstellen,was nötig ist. Dieses Auf-Sicht-Fahren ist ein Blindflug.Hier brauchen wir eine ehrliche Weitsicht .
Ein anderes Beispiel . Die Mittel für den sozialen Woh-nungsbau werden erhöht . Das ist eine richtige Maßnah-me und auch ein wichtiges Thema mit Blick auf die Ak-zeptanz in der Gesellschaft . Wir schaffen Wohnraum fürFlüchtlinge, aber auch für die Menschen in der Gesell-schaft, die Unterstützung brauchen . Sie stellen dafür zu-sätzlich 500 Millionen Euro ein . Damit kommen wir aufeinen Betrag von 1 Milliarde Euro . Wir wissen aber: Wirbrauchen im kommunalen Wohnungsbau ein Programm,das 2 Milliarden Euro umfasst . Auch dies ist wieder einBeispiel dafür, dass Sie auf Sicht fahren . Dieser Betragwird nicht reichen .
Das dritte Beispiel, das ich hier nennen muss, ist derBereich Kita und Bildung . Auch hier brauchen wir einbesser ausgestattetes Programm . Ich sage Ihnen: WirGrünen legen Ihnen zu diesem Haushalt ein Paket inHöhe von 5,2 Milliarden Euro vor, um die Herausforde-rungen im Zusammenhang mit Flucht und Integration zubewältigen, aber auch um die gesellschaftliche Akzep-tanz im Bereich Wohnungsbau und Bildung zu schaffen .So ein Programm kann man solide gegenfinanzieren. Wirwollen, dass Sie uns hier folgen .
Ein anderer Punkt . Es wird viel über Fluchtursachendiskutiert . Da muss ich Sie fragen, Herr Schäuble: Wann,wenn nicht jetzt, da wir über Fluchtursachen und interna-tionale Verantwortung reden, wäre es Zeit für eine am-bitionierte Klimapolitik und eine glaubwürdige globaleEntwicklungszusammenarbeit? Das würde für Deutsch-land bedeuten, einen Aufholplan zu entwerfen, bis 2020das ODA-Ziel von 0,7 Prozent zu erreichen und einigeTage vor Paris gleichzeitig das Versprechen einzulösen,die internationale Finanzierung des Klimaschutzes durcheinen Beitrag der Geberländer in Höhe von 100 Milliar-den Euro zu verstetigen .
Wir Grünen legen Ihnen einen Plan vor, wie wir bis2020 die ODA-Quote von 0,7 Prozent und einen deut-schen Beitrag von 7 bis 8 Milliarden Euro für den Kli-maschutz erreichen können . Das ist alles mit unseremHaushalt finanzierbar. Die Zahlen in Ihrem Haushaltstagnieren aber . Sie bleiben bei einer ODA-Quote von0,4 Prozent . Sie brechen dieses wichtige internationaleVersprechen .Ich sage Ihnen: Sie wissen doch, wir müssen die an-deren Geberländer mitnehmen . Wir mussten zur Kennt-nis nehmen – darüber haben wir gesprochen –, dass dienötige Finanzierung der Flüchtlingscamps in den Nach-barländern der von Flucht betroffenen Regionen, alsoim Libanon und in Jordanien, durch den internationalenGeberkreis nicht geleistet wird . Deswegen spreche ichdiesen Punkt an . Deutschland muss hier glaubwürdig vo-rangehen und die anderen Länder mitnehmen . Wir kön-nen das .
Wir dürfen darüber aber nicht nur reden, sondern dasmuss sich im Haushalt 2016 und im Finanzplan abbilden .Noch ein weiterer Blick auf den Haushalt . Wir müssendoch die Frage stellen, ob diese Haushaltspolitik die rich-tige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft ist .Herr Rehberg, Sie haben gesagt: Hier haben wir keinenNachholbedarf .
Das kann nur daran liegen, dass Sie die dem Haushaltzugrunde liegende Situation nicht wirklich ehrlich ana-lysieren . Wir haben sehr gute Rahmenbedingungen – daswissen wir –: Die Beschäftigungslage ist wegen der de-mografischen Situation gut. Die Zinsen sind niedrig. Dasaktuelle Wachstum beschert uns hohe Steuereinnahmen .Aber richtig ist auch, dass wir seit über 20 Jahren aufKosten unserer Substanz leben . Von 1992 bis 2012 hatsich das private Nettovermögen auf mehr als 10 Billio-nen Euro verdoppelt . Gleichzeitig ist das staatliche Net-tovermögen um 800 Milliarden Euro auf nahezu null ge-schrumpft . Das liegt daran, dass wir zu wenig investierenund zu wenig analysieren, welch ständigen Wertverzehres im Haushalt gibt .
Wir brauchen mit Blick auf den Haushalt endlich eineehrliche Vermögensbilanz . Zusätzlich zur Schulden-bremse brauchen wir eine Investitionsregel, die das Ab-schmelzen des öffentlichen Vermögens verbietet .
Einen entsprechenden Antrag legen wir Ihnen ebenfallsvor . Und wir brauchen eine wirkliche Investitionsoffen-sive in Deutschland .Mein Fazit ist: Sie haben keinen verlässlichen Plan inder Integrationspolitik . Sie haben kein Herz für die glo-bale internationale Zusammenarbeit, und Sie haben über-haupt keinen Mut für die notwendige Investitionsoffensi-ve, die unser Land braucht . So wird das nichts! SchauenSie auf unsere Anträge . Die können Sie bis Freitag nochbeschließen . Dann würde es nach vorne gehen .Anja Hajduk
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Schönen Dank .
Das Wort erhält jetzt der Kollege Johannes Kahrs für
die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben jetzt von zwei Oppositionsrednerngehört, was man sich alles wünschen kann .
– Ganz entspannt bleiben! – Kollege Rehberg hat gesagt,was geht . Was die Opposition hier aufgezeigt hat, hat,so finde ich, weder Perspektive, noch ist es finanzierbaroder mit eigenem Handeln unterlegt . Deswegen sage ich:Nett gesprochen, wenig Substanz .Wir Sozialdemokraten zeichnen uns in dieser Koaliti-on mit der CDU/CSU dadurch aus, dass wir hier substan-zielle Vorschläge vorlegen und diese dann so finanzieren,dass am Ende keine neuen Schulden dabei herauskom-men .
Ich glaube, mehr kann man kaum machen . Dem Kolle-gen Rehberg möchte ich für die gute und fruchtbare Zu-sammenarbeit danken . Gleichzeitig glaube ich, dass das,was wir vorgelegt haben, ein guter Haushalt ist . Es ist einHaushalt, der die Realitäten und nicht jedes „Wünsch-dir-was“ abbildet .
Es weiß doch ein jeder, dass wir nur mit den vorhan-denen Zahlen planen und rechnen können . Das heißt zumBeispiel, dass wir von 800 000 Flüchtlingen ausgehen .Dafür haben wir entsprechende Vorkehrungen getroffen .Wir werden uns vornehmen, die Zahl der Flüchtlinge imnächsten Jahr deutlich zu senken . Es ist, glaube ich, je-dermann klar, dass es in den Jahren 2016 und 2017 nichtso weitergehen kann wie in diesem Jahr . Auch ist jedemklar, dass wir dafür gemeinschaftlich arbeiten müssen .Wir wissen aber gleichzeitig, dass wir den Menschen,die eine Bleibeperspektive haben, Integrationsmaßnah-men bieten müssen, damit sie hier ankommen und wirmit ihnen nicht die Probleme bekommen, die es in ande-ren Ländern gibt . Dazu ist es wichtig, dass sie eine Per-spektive haben und sich hier wohlfühlen .Wir müssen beides tun: Auf der einen Seite muss dieZahl der Flüchtlinge deutlich gesenkt werden, und aufder anderen Seite müssen wir denjenigen, die hierblei-ben, eine Integrationsperspektive bieten . Das ist gutePolitik . Das ist die Aufgabe in den nächsten Monaten .Wenn wir das nicht schaffen, werden wir – übrigens auchmit diesem Haushalt; das muss man ehrlich sagen – eindeutliches Problem haben . Deswegen hoffen wir, dassdie Bundesregierung das, was sie plant, vernünftig hin-bekommt . Dazu müssen die Vorschläge aber auch ausge-wogen und umsetzbar sein . Nur wenn das funktioniert,steht dieser Haushalt .Wir haben im letzten Jahr gezeigt, dass wir flexibelsind und entsprechend reagieren können . Im Notfall kön-nen wir über Nachtragshaushalte nachsteuern . Deswe-gen muss man jetzt kein Kaffeesatzlesen betreiben . Manmuss auch nicht darüber reden, was vielleicht noch alleskommen könnte und was man vorausschauend machenkönnte . Jeder weiß doch, dass das nicht zielführend ist .Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit heißt, dasswir hier Zahlen vorlegen, von denen wir glauben, dasssie auch noch im nächsten Jahr richtig sind . Wenn es an-ders kommen sollte, werden wir reagieren . Nichts ist inBronze gegossen, und nichts fällt einfach vom Himmel .Vielmehr geht es hier darum, praktische Politik zu ma-chen, die auch finanzierbar ist. Wir müssen im Großenhelfen, und zwar ganz konkret, und gleichzeitig die ver-sprochenen Maßnahmen umsetzen .Eine solide Finanzpolitik – das haben wir ja gesehen –zahlt sich aus . Von den beiden Rednern der Oppositionhaben wir gehört, dass die Umstände gut sind . Sie sindaber nur deshalb gut, weil wir etwas dafür getan haben .Die erfolgreiche Arbeit von Rot-Grün unter GerhardSchröder ist eine der Grundlagen, von denen wir heutenoch zehren . Aber auch andere positive Entwicklungenhaben zu den jetzigen Haushaltszahlen geführt .
Gleichzeitig müssen wir aber im Blick behalten, dassdie Gelder, die wir investieren, auch an der richtigenStelle ankommen . Deshalb reagieren wir, wo nötig, mitNachtragshaushalten . Das haben wir 2015 gezeigt . Wirhaben die Länder und die Kommunen entlastet . Der Kol-lege Rehberg hat recht: Das, was wir den Ländern undKommunen geben, muss aber am Ende auch da ankom-men, wo es nach unser aller Überzeugung ankommenmuss . Das muss man sich dann im Ergebnis ganz genauansehen .
Anfang nächsten Jahres werden wir darüber diskutie-ren müssen, wie sich die Maßnahmen der letzten Koaliti-onsregierungen in Bezug auf die Unterstützung von Län-dern und Kommunen strategisch und grundsätzlich aufden Bundeshaushalt auswirken . Die Prognosen zeigennämlich, dass die Steuereinnahmen steigen, zumindestbei den Ländern . Auch bei den Kommunen steigen sieleicht . Beim Bund sinken sie . Das heißt, in Zukunft wirdes auch darum gehen, den Bundeshaushalt zu stärken,statt davon auszugehen, dass der Bund nur zur Finanzie-rung von Ländern und Kommunen da ist .
Auch das ist nämlich ein Teil der Wahrheit . Der Bund istnicht unbegrenzt belastbar, und wir müssen dafür sorgen,Anja Hajduk
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dass der Bundeshaushalt weiter solide bleibt . Auch dasgehört zu einer vernünftigen Finanzplanung .Der Kollege Rehberg und ich haben uns in dieser Gro-ßen Koalition vorgenommen, dass wir das Anfang nächs-ten Jahres mit dem Bundesfinanzminister einmal durch-deklinieren, um zu sehen, wie groß der Spielraum desBundes in den nächsten Jahren überhaupt noch ist, unddas bei diesen guten Voraussetzungen . Wenn die Voraus-setzungen sich verschlechtern, weil vielleicht die Zinsenund der Ölpreis wieder steigen und die wirtschaftlicheEntwicklung in eine andere Richtung geht, dann wirdman vielleicht zu ganz anderen Maßnahmen kommenmüssen .Auch das gehört zur Wahrheit: Wir können nicht wiedie Opposition einfach sagen: „Wir verteilen auf ewig,und es wird schon weiterhin so gut bleiben“, sondern wirmüssen in guten wie in schlechten Zeiten entsprechendreagieren . Wir müssen einen Haushalt vorlegen, der bei-dem gerecht wird .Ein Blick in den Haushalt zeigt, dass wir zum Beispielim Etat des Bundesaußenministers 400 Millionen Eurozusätzlich zur Bekämpfung der Fluchtursachen vorgese-hen haben . Ich halte das für vernünftig, und ich möchtemich insbesondere bei den Berichterstattern für den Etatfür wirtschaftliche Zusammenarbeit bedanken . Es sindviele Hundert Millionen Euro für die Bekämpfung derFluchtursachen umgeschichtet worden .Das heißt, wir haben Schwerpunkte gesetzt und dasGeld konzentriert und vernünftig eingesetzt . Ich glaube,dass das eine gute Sache ist, die uns gemeinschaftlichgelungen ist . In allen Haushalten ist es notwendig, da-rauf zu achten, dass das Geld gezielt dort eingesetzt wird,wo es gebraucht wird . Vielleicht kann man auch die eineoder andere liebgewonnene Ausgabe darauf überprüfen,ob sie weiterhin sinnvoll und zeitgemäß ist .Gleichzeitig haben wir alles dafür getan, damit insbe-sondere diejenigen in diesem Land, die helfen und Arbeitleisten, unterstützt werden . Wir haben viel dafür getan,dass die Arbeit von Freiwilligen und Ehrenamtlichenkoordiniert und unterstützt wird . Ich möchte mich ganzherzlich dafür bedanken, dass wir das mit allen Fraktio-nen so vernünftig und im Konsens hinbekommen haben .
Ich glaube aber auch, dass es wirklich wichtig ist, dasswir etwas für die Bundespolizei getan haben . Die Bun-despolizei ist bei Einsätzen vor Ort ständig gefordert:vom Fußballspiel am Wochenende bis hin zu irgendwel-chen Demonstrationen . Teilweise werden die Polizistenin Hundertschaften durch die ganze Republik gefahren .Weil wir der Meinung sind, dass in diesem Bereich etwasgetan werden muss, wollen wir hier investieren, insbe-sondere in die Anschaffung von drei neuen Schiffen fürdie Bundespolizei . Dem Kollegen Rehberg und der Kol-legin Hagedorn sei Dank . Ich halte das als Zeichen derAnerkennung für notwendig .Gleichzeitig haben wir auch das THW unterstützt . Wirhaben 200 neue Stellen für das THW und eine Erhöhungder Selbstbewirtschaftungsmittel um 8 Millionen Eurofür dieses Jahr und die nächsten beiden Jahre vorgesehen .
Wir haben gleichzeitig die Erstattung der Verdienstaus-fälle der ehrenamtlichen Helfer vorgesehen . Ich glaube,dass diese Hilfe bei denjenigen, die vor Ort helfen, an-kommt. Das ist doch praktische Politik. Diese Politik fin-det sich im Haushalt wieder .Wir wollen den Bundesfreiwilligendienst mit 10 000neuen Stellen ausbauen . Ich glaube, dass man das garnicht hoch genug einschätzen kann, weil man dadurchflexibel reagieren kann. Wir hoffen, dass das auch ent-sprechend ankommt . Wir haben aber auch für den sozia-len Wohnungsbau und für viele andere Dinge Geld vor-gesehen .Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir müssen aberaufpassen, dass auch die Dinge, die wir uns außerdemvorgenommen haben, wie die Neuordnung des Arbeits-markts oder die Einführung des Bundesteilhabegesetzes,umgesetzt werden . Die Menschen in diesem Land wür-den es nicht verstehen, wenn wir uns nur um Flüchtlingeund Integration kümmerten, aber die wesentlichen ande-ren Aufgaben in diesem Land liegen blieben .Vielen Dank .
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Axel
Troost das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFlüchtlingsströme haben vieles, aber nicht alles verän-dert . Wir haben nach wie vor viele alte Probleme, die sichjetzt aber dramatisch zuspitzen .Wir haben seit Jahren kaputtgesparte Verwaltungen,die nun mit der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen erstrecht überfordert sind . Wir haben ausgeblutete Kommu-nen, die schon seit Jahren ihre Infrastruktur vernachlässi-gen und jetzt vor einer Fülle neuer Bedarfe stehen .
Wir haben uns nicht nur um die Flüchtlinge zu kümmern,die ab dem nächsten Jahr auf den Arbeitsmarkt kommen,sondern wir müssen uns auch um die Millionen Lang-zeitarbeitslosen und Niedriglöhner kümmern, weil dieseMenschen es erstens verdient haben und weil wir zwei-tens keine zunehmende Anzahl an Rechtsradikalen aufunseren Straßen und in unseren Parlamenten haben wol-len .
Für Soforthilfen an die Kommunen, für sozialenWohnungsbau, für Bildung, Berufsqualifikation und Ar-Johannes Kahrs
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beitsmarktprogramme brauchen wir kurzfristig Gelder,und zwar wesentlich mehr als bisher vorgesehen . Diestaatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, hateinen wunderbaren Bericht fertiggestellt, in dem sie dieBedarfe im Einzelnen beschreibt . Es ist faktisch notwen-dig, diese Gelder wahrscheinlich ab dem nächsten Jahrüber Kredite zu finanzieren. Ob dabei die schwarze Nulleingehalten wird oder nicht, ist aus unserer Sicht völliguninteressant .
Denn diese Investitionen werden sich, wenn sie halbwegsvernünftig durchgeführt werden, politisch und finanziellauszahlen . Wenn wir jetzt anfangen, keine Ausgaben zutätigen, um die sinnlose Symbolpolitik der schwarzenNull zu verteidigen, wird sich das bitter rächen .
Noch mehr zur Finanzierung: Die Flüchtlingsfrage isteine gesamtdeutsche Aufgabe, für welche der Bund inder Pflicht ist. Wir haben für diese Aufgabe ein aus un-serer Sicht optimales Finanzierungsinstrument, nämlichden Solidaritätszuschlag . Angesichts der neuen und deralten Aufgaben wäre es aus unserer Sicht grundlegendfalsch, den Soli abzuschaffen oder auslaufen zu lassen .Wir haben auch den grundgesetzlichen Auftrag zu erfül-len, die wirtschaftliche Abkopplung strukturschwacherGebiete in Ost und West zu verhindern .
Wir haben einige Kommunen, denen es einigermaßengut geht. Aber die Mehrzahl der Kommunen ist finanziellwirklich schlecht dran . Schon seit 14 Jahren leben unsereKommunen bei Schulen, Straßen, Turnhallen und vielemanderen aus Finanznot auf Verschleiß, sind Abschreibun-gen auf kommunaler Ebene größer als die Investitionen .Deswegen brauchen wir zusätzliche Gelder .Damit bin ich bei der Steuerpolitik . Unser Steuersys-tem ist in den letzten 20 Jahren immer ungerechter unddefizitärer geworden. Das bringt mich zur Erbschaftsteu-er; denn hier erwarten wir in den nächsten Monaten ent-sprechende Veränderungen . Liebe Kolleginnen und Kol-legen von der SPD, insbesondere lieber Kollege Kahrs,euer Parteivorsitzender Sigmar Gabriel
hat im Bundeskabinett dem Entwurf eines Gesetzes zurReform der Erbschaftsteuer zugestimmt . Weil dieserEntwurf schlecht gemacht ist, wird er jetzt im parlamen-tarischen Verfahren neu aufgerollt . Er ist aber nicht nurhandwerklich, sondern auch politisch schlecht gemacht .
Seit der Reform unter Peer Steinbrück ist die Erbschaft-steuer für wirklich Reiche zu einer „Dummensteuer“verkommen . Nur wer einen schlechten Steuerberater hat,muss überhaupt noch zahlen .
Ab zweistelligen Millionenbeträgen sind Erbschaftenund Schenkungen nahezu steuerfrei, weil sie als Be-triebsvermögen fast immer verschont werden . Ihr Ge-setzentwurf wird daran nichts ändern .
– Das können wir gerne einmal ausdiskutieren, Kollegen .
Über 99 Prozent der Erbschaften mit Betriebsvermö-gen wären quasi automatisch steuerbefreit . Wenn dasnicht automatisch geht, dann ist das mit einem kreativenAnwalt durchaus so gestaltbar . Damit können weiter wiebisher gigantische Vermögen steuerfrei in die nächsteGeneration übertragen werden – Kollege Kauder, auchIhre Aufregung wird an den Fakten nichts ändern –, umdann zur Erwirtschaftung von Renditen und damit zurweiteren Vermögenskonzentration genutzt zu werden .Im Ergebnis wird die Schere zwischen Arm und Reichimmer weiter aufgehen . Der Gesetzentwurf, der bishervorliegt, ist daher völliger Murks .
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD: Wenn ihr jetzt nicht versucht, ein Gesetz mit einerlinken Handschrift zu machen – was wollt ihr denn dannüberhaupt in der Regierung? Es geht nicht nur darum,dass mit diesem Gesetzentwurf Milliarden Euro an Steu-ereinnahmen für die Länder verschenkt werden,
es geht darum, dass ihr an der ungleichen Vermögensver-teilung nichts verändert und der weiteren Konzentrationvon Reichtum sogar noch Vorschub leistet .
Ein kleiner Geldadel von 1 Prozent der Bevölkerungbesitzt schon jetzt mehr als ein Drittel des gesamten Ver-mögens in der Bundesrepublik .
Ein Gesetzentwurf, der dieses Problem jetzt nicht angeht,ist eine Kapitulation . Deswegen, liebe Kolleginnen undKollegen von der SPD, gerade in dieser Frage: Wenn ihrkämpft, dann könnt ihr verlieren, aber wenn ihr nichtkämpft, dann habt ihr schon verloren, und das geht zulas-ten der Länder und Kommunen .
Wir müssen versuchen, eine wirkliche Veränderungbei der Erbschaftsteuer herbeizuführen . All denen, diehier so herumschreien, sage ich: Es hat in der letztenWoche – unter anderem vom DIW und dem Wirtschafts-dienst organisiert – einen Kongress zur Frage der Reich-tumsentwicklung und der Reichtumsbesteuerung hier inDr. Axel Troost
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Berlin gegeben . Leider war von Ihnen keiner anwesend .Sonst hätten Sie Fakten bekommen, die belegen, dass dieSchere zwischen Arm und Reich in der BundesrepublikDeutschland immer weiter auseinandergeht .
Danke schön .
Das Wort erhält nun der BundesfinanzministerWolfgang Schäuble .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieBemerkungen des Kollegen Troost veranlassen mich,zunächst einen Hinweis darauf zu geben, dass wir in ei-nem nicht einfachen weltwirtschaftlichen Umfeld sindund dass die grundlegende Herausforderung, vor der wirbei allen politischen Entscheidungen stehen, ist, dass wirunter den Bedingungen dieser immer enger werdendenweltweiten Verflechtung, die wir Globalisierung nennen,eine solide, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ge-währleisten müssen . Wir müssen dafür sorgen, dass unse-re wirtschaftliche und finanzpolitische Linie so ist, dasswir uns die soziale Absicherung, den sozialen Standardund unser Lebenshaltungsniveau erwirtschaften können .Das ist unter den Bedingungen der Globalisierung außer-gewöhnlich anspruchsvoll und kompliziert .Wir stehen im Wettbewerb um nahezu jeden Arbeits-platz, auch auf globaler Ebene . Die Globalisierung isteine große Herausforderung an unsere Wettbewerbsfä-higkeit . Darum geht es auch in innereuropäischen Debat-ten . Deswegen ist es auch so kompliziert, bei der Frageder Besteuerung von Substanz nationale Regelungen zutreffen; denn diese können dazu führen, dass das Steuer-substrat nicht mehr vollständig im Inland ist, die Arbeits-plätze verlagert werden und die Wirtschaftsleistung nichtmehr hier erbracht wird . Wir sind daher bei der Substanz-besteuerung auf die Regeln der Klugheit angewiesen, de-nen zu folgen auch sonst gar nicht falsch ist . Was Sie ge-sagt haben, würde vielleicht zu mehr Gleichheit führen,aber auf der Grundlage, dass alle gleich arm sind . Das istnicht die Politik, mit der wir unsere Herausforderungenbewältigen können .
Sie haben vielleicht heute Morgen, um ein aktuellesBeispiel zu nennen, von den Überlegungen eines großenamerikanischen pharmazeutischen Unternehmens gele-sen, ein anderes pharmazeutisches Unternehmen für ei-nen Milliardenbetrag – da wird auch den Linken schum-merig – zu übernehmen und gleichzeitig den Firmensitznach Irland zu verlegen, aus Gründen, die absehbar sind .Das zeigt, wie unendlich wichtig und zugleich schwieriges ist, in den globalen Bemühungen nicht nachzulassen .Wir haben im Rahmen der OECD und beim G-20-Gipfelin Antalya mit der Verabschiedung der BEPS-Grundsätzewichtige Ergebnisse erreicht . Aber wir sind erst am An-fang . Wir müssen darauf achten, dass unsere Steuerbasisnicht erodiert und dass unsere wirtschaftliche Leistungs-kraft, die die Voraussetzung dafür ist, dass wir unsereAufgaben bewältigen können, nicht nachlässt .
Das müssen wir bei der Erbschaftsteuer wie bei allensteuerlichen Fragen berücksichtigen .Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, ist:Das weltwirtschaftliche Umfeld ist nicht ganz so schön .Ja, Frau Hajduk, wir sind noch in einer ganz guten Lage .Es ist übrigens eigentlich nicht so schlecht, dass die Glo-balisierung gerade angesichts dieser außergewöhnlichenHerausforderung, die wir vor ein paar Monaten in die-ser Geschwindigkeit, in diesem Ausmaß nicht vorherge-sehen haben, in einem solchen Maße konkret wird . DieGeschwindigkeit haben wir alle miteinander noch vor einpaar Monaten nicht vorhergesehen . Die Kritik, dass wirdoch den finanzpolitischen Handlungsspielraum hätten,darauf zu reagieren, akzeptiere ich gern. Ich finde nochimmer, es ist gar nicht schlecht, dass wir dazu in der Lagesind .Wir können übrigens im kommenden Jahr diese Auf-gabe ohne neue Schulden erfüllen; das habe ich schon beider Einbringung des Bundeshaushaltes Anfang Septem-ber – damals habe ich von „wenn möglich“ gesprochen –gesagt . Ich habe Anfang September ebenfalls gesagt – ichwill es wiederholen –, dass ich nach wie vor der Meinungbin – ich glaube, ich bin darin mit den Kolleginnen undKollegen der Koalitionsfraktionen völlig einig –, dassdie Frage, was zur Bewältigung dieser Herausforderungnotwendig ist, erste Priorität hat und dass die Frage, obwir das nur mit Schulden oder ohne schaffen, die zweitePriorität hat . Das heißt aber nicht, dass wir uns in allenanderen Bereichen ebenfalls alles leisten können . So sindPrioritäten nicht zu verstehen . Das spiegelt dieser Haus-halt wider, und deswegen ist es ein guter Haushalt .Ich verweise auf die Überschüsse, die wir in diesemJahr durch die von Ihnen beschriebene Entwicklung ha-ben . Lassen Sie mich mit allem Respekt, kurz bevor dieKommunen und die Länder völlig verarmt sind, daraufhinweisen: Wenn die Steuereinnahmen für den Bundsprudeln, müssen sie denknotwendig – die Prozentrech-nung ist so – in paralleler Weise auch für Länder und Ge-meinden steigen . Wer das bestreitet, hat wenig Ahnung .
Wenn wir es im kommenden Jahr ohne ein neues De-fizit schaffen, dann schaffen wir dies nur – auch das mussklar sein –, weil wir die Überschüsse aus diesem Jahrim Bundeshaushalt des kommenden Jahres verwenden .Dass unsere Handlungsspielräume deswegen nicht grö-ßer werden, ist richtig . Insofern ist es gut, dass wir indiesem Haushalt rund 8 Milliarden Euro zusätzlich fürdie Bewältigung dieser großen Herausforderung einset-zen . Die Hälfte dieser Summe geht an die Länder . SieDr. Axel Troost
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erhalten als Vorabzahlung 3,637 Milliarden Euro . Spitzabgerechnet wird am Ende des Jahres . Die endgültigeSumme hängt von der Antragsdauer und vom Umfangdes weiteren Zugangs ab, den keiner kennt . Wir hoffen,dass er zurückgeht, Herr Kahrs; aber noch wissen wir esnicht .Auch deswegen müssen wir ein bisschen auf Sichtfahren . Daran ist nichts Schlechtes . Diejenigen, die sa-gen: „Egal was passiert: Wir haben unseren Plan“, sindin der Geschichte immer gescheitert . Diejenigen, die aufSicht fahren, haben der Menschheit sehr viel mehr Gutesermöglicht .
Auch daran muss man gelegentlich erinnern . Daher hatmich Ihr Vorwurf, Frau Hajduk, dass wir auf Sicht fah-ren, wirklich überrascht. Ich finde, es ist eher ein Kom-pliment . Wir sind in der Lage, auf die Realität zu reagie-ren, und sagen nicht: Was kümmert uns die Realität? Wirhaben doch unseren Plan . – Das ist lange versucht wor-den, mit desaströsen Ergebnissen . So zu handeln, dazurate ich nicht .
Herr Minister, darf Frau Hajduk Ihnen eine Zwischen-
frage stellen?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:
Aber bitte . Natürlich .
Herr Minister, nachdem Sie dankenswerterweise aufeine meiner Bemerkungen eingegangen sind, möchte ichsie erläutern . Mein Vorwurf ist so zu verstehen, dass Sievor dem Hintergrund Ihrer eigenen Analyse, die uns zumBeispiel der Innenminister vorgelegt hat, auf Sicht fah-ren, obwohl Sie andere Erwartungen haben . Sie haben,bezogen auf das Anwachsen der Flüchtlingszahl, die Er-wartung eines ganz anderen Integrationsbedarfes . DiesenBedarf habe ich auch mit knapp 600 Millionen Euro be-ziffert . Sie haben in diesem Haushalt aber nur die Hälftedieser Summe veranschlagt . Ich glaube, dass diese Artdes Auf-Sicht-Fahrens, mit der Sie innerhalb eines Jahreshinter dem Bedarf zurückbleiben, falsche und mangel-hafte Vorbereitungen auslöst . Wir haben es beim BAMFerlebt: Wir waren zu spät dran, sind deswegen zu lang-sam und haben in Teilen große Probleme . Das habe ichjetzt ein bisschen vereinfacht beschrieben .Das Risiko, nicht angemessen zu reagieren, ergibtsich, wenn man hinter dem Bedarf, der sich für ein Jahrabzeichnet – ich behaupte nicht, dass ich weiß, was infünf Jahren ist –, zurückbleibt . Daher halte ich Ihr Auf-Sicht-Fahren für verantwortungslos, für etwas, was Frustproduzieren und auch dazu führen kann, dass man derAufgabe nicht gerecht wird .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Erstens, Frau Kollegin Hajduk, ich finde, es ist eigent-lich das Wesen parlamentarischer Debatten, dass man aufArgumente eingeht und antwortet . Es soll ja Rede undGegenrede sein . Der Präsident ermahnt uns gelegentlichdazu .Zweitens glaube ich, dass auch Sie nicht wissen, sowenig wie ich und so wenig wie der Kollege Kahrs, wieviele Zugänge an Migranten wir im kommenden Jahr ha-ben werden . Sie wissen, dass auch die Berechnung imHinblick auf die Länder auf der Annahme beruht, dass eseine bestimmte Verfahrensdauer beim BAMF und einebestimmte Zahl gibt . Wir haben gesagt: Wir werden amEnde des Jahres sehen, wie viele es denn werden . Davonhängt übrigens auch ab, wie viele Mittel wir für Integra-tionskurse brauchen .Wenn Sie mir auch die Bemerkung noch erlauben: Ichglaube, die Frage, warum die Verfahren bei uns so langedauern, hat wenig mit Geldausstattung zu tun und vielmit der Komplexität unserer rechtlichen Regelung . Wirhaben uns endlich darangemacht, das ein Stück weit sozu beschleunigen, dass die Verfahren nicht viel perfek-tionistischer und komplizierter sind als in allen anderenLändern Europas und der Welt; das ist doch der entschei-dende Punkt .
Da haben Sie als Partei der Grünen noch ein bisschenGelegenheit, auf Sicht zu fahren .Weil wir den Haushalt insgesamt oder jetzt den Ein-zelplan des Bundesfinanzministeriums bereden, wür-de ich gern noch eine Bemerkung machen – neben denThemen der Migration, der inneren Sicherheit und denvielen Stellen, die die Polizei und die Sicherheitsdiens-te dringend brauchen und die sie auch in einem hohenMaße bekommen –: Das Problem werden auch da, wiebeim BAMF, nicht die Stellen sein – das habe ich immergesagt –, sondern die Menschen, die die Stellen besetzen;denn die müssen erst dafür ausgebildet werden . Deswe-gen haben wir beispielsweise mit Blick auf die Kontrolleder Schwarzarbeit gesagt: Wir müssen die Geschwin-digkeit des weiteren Ausbaus reduzieren . Wir haben dieZöllner gebeten, auf freiwilliger Basis zum BAMF zugehen . – Die haben das auch in einem hohen Maß und inflexibler Weise getan. Wir brauchen also nicht nur Stellenund Geld; wir brauchen auch die Leute, und wir brauchensolche Vorschriften, dass man effizient arbeiten kann. Dahaben wir Spielraum .Ich will aber noch darauf hinweisen, dass wir anunserem Kurs, den wir zu Beginn des Jahres schoneingeschlagen haben, nämlich Investitionen in die In-frastruktur, in die Verkehrsinfrastruktur, in die digitaleInfrastruktur, zu verstärken, konsequent festhalten, dasswir das Programm zur Förderung von Investitionen inBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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finanzschwächeren Kommunen konsequent fortsetzen,dass das 10-Milliarden-Zukunftsinvestitionsprogrammkonsequent fortgeführt wird . Darüber hinaus haben wirim Zuge dessen jetzt auch noch die Mittel für den sozia-len Wohnungsbau – eine Aufgabe, die nach dem Grund-gesetz den Ländern zusteht – von 500 Millionen Euroauf 1 Milliarde Euro jährlich erhöht . Darüber hinaus sindwir seit der letzten Besprechung der Bundeskanzlerin mitden Ministerpräsidenten mit den Ländern im Gespräch,ob wir für den Mietwohnungsbau auch noch Steueran-reize setzen . Bisher hat der Bundesrat immer gesagt,er sei nicht bereit, irgendeiner Steuermaßnahme, die zueiner Minderung der Einnahmen führt, zuzustimmen .Nachdem diese Position aufgegeben worden ist, habenwir vereinbart: Wir führen jetzt zwischen Bund und Län-dern Gespräche, ob wir auch noch begrenzte steuerlicheAnreize zur Förderung des Mietwohnungsbaus setzenkönnen . – Das heißt, wir arbeiten an allen Stellen daran,auch die Investitionstätigkeit zu verstärken . Es geht da-rum, dass wir bei begrenzten Mitteln – damit hat es dieHaushaltspolitik immer zu tun – unsere Aufgaben erfül-len können .Im Übrigen will ich daran erinnern, dass wir bei derAufstellung des Bundeshaushalts, schon bei den Eckwer-ten im Frühjahr, und bei der mittelfristigen Finanzpla-nung, die mit dem Regierungsentwurf zum Bundeshaus-halt durch das Kabinett beschlossen wird, die Mittel fürdie Entwicklungszusammenarbeit in einem Maße erhöhthaben, das alle Beteiligten überrascht hat . Wir erhöhendiese Mittel konsequent . Das war in den abschließendenBeratungen nicht mehr der zentrale Schwerpunkt, weildas vorher schon enthalten war .Was die Finanzierung der Klimaschutzmaßnahmenangeht: Zur Vorbereitung auf den Pariser Gipfel habenwir gerade in Antalya und zuvor in Peru beraten . Wir ha-ben einen Bericht bekommen, der zeigt, dass wir, wasdie Einhaltung der Zusage dieser 100 Milliarden Euro ab2020 betrifft, auf einem guten Weg sind, dass die Bun-desrepublik bei dieser Entwicklung Vorreiter ist und dassder Anteil der öffentlichen Mittel dabei besonders hochist . Natürlich haben wir begrenzte Mittel, aber wir setzensie zielgerichtet ein, und wir handeln konsequent .Dann will ich eine Bemerkung machen – wir fahreninsofern auf Sicht, ich habe das im Haushaltsausschussschon erwähnt, als mein Einzelplan dort abschließend be-raten worden ist –: Ich weiß gar nicht, ob die Mittel, dieim EU-Haushalt für 2016, der ja erfreulicherweise ver-gangene Woche zum ersten Mal einstimmig verabschie-det worden ist, für die Zusammenarbeit mit den Nach-barländern und mit den Ländern aus der Region, aus derdie Flüchtlinge kommen, zur Verfügung gestellt wordensind, ausreichend sind; ich habe da meine Zweifel . Aberauch da muss ich auf Sicht fahren . Es kann sein, dass dereuropäische Haushalt im kommenden Jahr zusätzlicheMittel braucht, die – das habe ich im Haushaltausschusserläutert – nicht aus dem mittelfristigen Finanzrahmender EU erwirtschaftet werden können . Das kann dann be-deuten, dass wir auch dafür zusätzliche Mittel in unserernationalen Finanzpolitik unterbringen müssen .Dass wir die Mittel für den UNHCR enorm aufge-stockt haben, dient ja genau dem Ziel, dass wir in einerglobalen Zusammenarbeit – das kann Europa nur ge-meinsam meistern – in einer besseren Lage sind, mit denMigrations-, den Wanderungsbewegungen weltweit soumzugehen – man muss ja vorsichtig formulieren –, dassdaraus nicht andauernde und sich vergrößernde Stabili-tätsrisiken entstehen . Das ist die eigentliche Herausfor-derung . Dem dient unsere Politik, und dem dient auchunsere Finanzpolitik .Dazu will ich dann doch die Bemerkung machen: Vo-raussetzung dafür ist, dass wir wirtschaftlich leistungsfä-hig sind, dass wir die finanziellen Voraussetzungen habenund die Instrumente bewahren, um auch in der Zukunfthandlungsfähig zu sein, und dass wir diese Politik auchwieder und wieder in Europa durchsetzen; denn wennEuropa insgesamt nicht mehr Solidarität, mehr Wettbe-werbsfähigkeit und mehr Leistungsstärke entwickelt,dann wird Europa angesichts dieser globalen Herausfor-derungen seine Aufgabe nicht erfüllen können . Die Bun-desregierung tut alles, um Europa zu stärken . Wir zeigeneuropäische Solidarität . Aber wir fordern sie auch vonanderen ein .
Wir müssen es bei der Umsetzung der Regeln zuminternationalen Steuerrecht – BEPS habe ich erwähnt –machen . Wir müssen es genauso machen bei der Finanz-marktregulierung; wir müssen darauf achten, dass dieFinanzmarktregulierung weitergeht .Aber wir müssen auch darauf achten, dass jedes Mit-gliedsland in Europa seine Verpflichtungen erfüllt. Dasneue Beispiel haben wir jetzt mit dem Thema Einlagensi-cherung . Wenn wir über das Thema Bankenunion reden,dann muss klar sein, dass die europäischen Systeme sogemacht werden, dass die Mitgliedstaaten in ihrer Ent-schlossenheit, das umzusetzen, wozu sie sich verpflich-tet haben, nicht geschwächt werden . Sonst schafft manordnungspolitisch die falschen Anreize . Was geschieht,wenn man Ländern die Möglichkeit bietet, sich auf dasRisiko anderer zu verschulden, das haben wir in der Eu-ro-Krise zu lange erlebt .Im Übrigen haben wir gerade am Montag die nächsteTranche für Griechenland in Höhe von – wenn Sie es zu-sammenrechnen – 12 Milliarden Euro freigegeben . Also:Der Kampf für ein leistungsfähiges Europa, das in dieserglobalen Herausforderung unsere Aufgaben mit leistenkann, bleibt eine Herausforderung . Wir leisten mit unse-rer Finanzpolitik dazu einen wesentlichen Beitrag . Auchdafür bitte ich das Hohe Haus weiterhin um Unterstüt-zung .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Tobias Lindner für
die Fraktion der Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wir haben vor gut zehn Wochen,Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Anfang September, diese Haushaltsberatungen mit derersten Lesung hier im Hohen Hause begonnen . Viele vonuns standen damals noch unter dem Eindruck der Bil-der, die wir unter anderem aus München gesehen haben,wo an einem Wochenende mehr als 10 000 Menschenin unserem Land Zuflucht gesucht haben und freund-lich empfangen worden sind . Am 9 . September hat dieBundeskanzlerin hier an diesem Platz gesagt – ich zitierewörtlich –:Ich bin überzeugt, dass wir es nicht nur können, son-dern dass wir, wenn wir es gut machen, wenn wir esmutig angehen, wenn wir nicht verzagt sind, son-dern Ideen suchen, wenn wir kreativ sind, letztlichnur gewinnen können .Meine Damen und Herren, ich stimme der Bundeskanz-lerin an dieser Stelle zu .
Wenn wir dann an diesen Haushaltsplan, den wir heuteberaten, diesen von Ihnen selbst gewählten Anspruch le-gen, wenn wir uns diesen Haushaltsplan anschauen, dannmüssen wir leider feststellen:
Sie sind nicht mutig gewesen,
Sie waren nicht vorausschauend,
Sie waren verzagt, und Sie treten auf der Stelle .
Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist ein Haus-halt der verpassten Chancen, und ich sage: Es ist leiderein Haushalt der verpassten Chancen .
Lieber Johannes Kahrs, du hast ja über Nachtrags-haushalte gesprochen und meintest: Na ja, wenn dannetwas anfällt bei dem Auf-Sicht-Fahren, dann korrigie-ren wir das . – Das hat aber nicht nur nichts mit Haus-haltsklarheit und Haushaltswahrheit zu tun, sondern dasnimmt den vielen Ehrenamtlichen in diesem Land, dasnimmt den Hilfsorganisationen, die Fluchtursachen be-kämpfen sollen, das nimmt den Ländern und Kommunendie Planungssicherheit, die sie jetzt bräuchten angesichtsder großen mittel- und langfristigen Aufgabe, die Inte-gration in unserem Land erfolgreich zu bewältigen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, bevor Sie sich jetzt hier gegenseitig irgendetwaszurufen müssen:
Wir geben ja durchaus zu, dass Sie nicht nichts gemachthaben . 3 Milliarden obendrauf zum Entwurf – das istnicht nichts . Aber Sie haben die Arbeit eingestellt, wennes darum geht, zu bedenken: Was kommt denn nach derUnterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung? Washeißt denn erfolgreiche Integration, Spracherwerb, Bil-dung, Integration in den Arbeitsmarkt?
Da können Sie eben heute schon sehen, liebe Kollegin-nen und Kollegen, dass die vorgesehenen Mittel nichtausreichen werden . Unter anderem deshalb schlagen wirein Programm für sozialen Wohnungsbau in einem Um-fang von 2 Milliarden Euro vor, weil wir wissen, dass wirheute das Geld in die Hand nehmen müssen, damit wirmorgen und übermorgen die Wohnungen haben, die wirin diesem Land brauchen .
Sie investieren in diesem Haushalt, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Großen Koalition, nicht nur zu we-nig, nein, Sie investieren leider auch falsch . Sie hechelnder schwarzen Null hinterher und fahren dabei diesesLand auf Verschleiß, und Sie geben das Geld der Steu-erzahlerinnen und Steuerzahler dabei nicht gut aus . Ja,es ist richtig: Sie haben die humanitäre Hilfe erhöht; daserkennen wir an . Aber wenn Sie wahrnehmen, wie großdie Herausforderung ist, wenn Sie wahrnehmen, dassweltweit über 60 Millionen Menschen auf der Fluchtsind – so viel wie nach dem Zweiten Weltkrieg nichtmehr –, wenn Sie wahrnehmen, dass Deutschland in derVergangenheit immer etwa 9 bis 10 Prozent der humani-tären Hilfe gestemmt hat, und wenn Sie dann den Bedarfsehen, der weltweit besteht, dann ist klar, liebe Kollegin-nen und Kollegen: Es ist eben nicht genug, was Sie indiesen Haushaltsplan einstellen . Und wenn wir über denUNHCR reden: 25 oder 30 US-Dollar, die ein Flüchtlingim Nahen Osten im Monat für die Lebensmittelversor-gung hat, werden niemanden davon abhalten, sein Landzu verlassen und sich auf den Weg nach Europa zu ma-chen . Das ist ein Versagen vor den Herausforderungenunserer Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Jetzt reden wir einmal darüber, was es heißt, Geld derBürgerinnen und Bürger gut auszugeben . Herr Schäuble,der Bundesrechnungshof hat Ihnen letzte Woche mit sei-nen Bemerkungen eine ganze Menge ins Stammbuch ge-schrieben . Er hat nicht nur festgestellt, dass der Bund beider Besteuerung von Körperschaften jährlich auf mehrals 600 Millionen Euro an Steuereinnahmen verzichtet,die ihm eigentlich zustehen, nein, er hat auch festgestellt,dass Sie überhaupt kein Konzept haben, wenn es um On-lineeinkäufe bei ausländischen Unternehmen geht .An dieser Stelle sollten vielleicht auch Sie, HerrDobrindt, Ihre Ohren spitzen . Ihrem Haus wirft er unterDr. Tobias Lindner
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anderem vor, dass Sie Neubauprojekte beginnen, obwohles keine abgeschlossenen Wirtschaftlichkeitsuntersu-chungen gibt . Statt das Geld in die Hand zu nehmen undunsere öffentliche Infrastruktur zu erhalten, statt Schie-nenstrecken zu reparieren, statt Schlaglöcher zu stopfen,beginnen Sie Bauprojekte, von denen Sie noch nicht ein-mal wissen, ob sie wirtschaftlich sind . Nein, so geht mannicht ordentlich mit dem Geld der Steuerzahlerinnen undSteuerzahler um, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir Grüne haben Ihnen in diesen Haushaltsberatun-gen gezeigt, wie ein Haushalt aussehen würde, der vor-ausschauend und gerecht ist . Wir haben über 400 Ände-rungsanträge zu diesem Haushalt gestellt . Wir wollten,dass umweltschädliche Subventionen gestrichen undneue Prioritäten gesetzt werden . Auch wir wären dabeiohne Schulden ausgekommen und hätten die Weichen indiesem Haushalt Richtung Zukunft gestellt .Sie haben uns heute einen Haushalt der verpasstenChancen vorgelegt . Wir werden Ihnen in dieser Wochezeigen, wie ein Haushalt, der vorausschauend, gerecht,mutig und zukunftsorientiert ist, aussehen könnte .Ich danke Ihnen .
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Carsten Schneider .
– Herr Kahrs, Sie wollten doch damit nicht andeuten,
dass Ihre nicht in diesen Kreis gehört?
Bitte schön .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alswir im September mit den Haushaltsberatungen begon-nen haben, hatten wir drei Ziele: erstens, die nachhaltigeFinanzpolitik fortzusetzen und die Herausforderungen,die vor uns liegen, möglichst ohne neue Schulden zu be-wältigen; zweitens, die humanitären Katastrophen, diedazu geführt haben, dass sich viele Flüchtlinge zu uns aufden Weg gemacht haben, zu bewältigen, ihnen Obdach zugeben und vor allen Dingen sie – langfristig – nicht nurunterzubringen, sondern auch zu integrieren; drittens, derInvestitionsschwäche des Staates, die von Frau Hajdukangesprochen wurde, zu begegnen . Ich stelle fest: Mitdem Vorschlag, den wir Ihnen hier präsentieren können,werden wir all diesen drei Punkten gerecht .Ich will mich bei den Kolleginnen und Kollegen desHaushaltsausschusses ganz herzlich bedanken . Es warschwere und harte Arbeit, aber sie ist gelungen . Ich sageder Koalition, aber auch der Opposition: Es ist in soschwierigen Zeiten, wo man sich auch in einer Koalitiondas eine oder andere Mal streitet – in manchen Parteifa-milien etwas intensiver –, gut gewesen, dass ihr solidewart und einen Haushalt vorgelegt habt, dem man unbe-dingt zustimmen kann .Wir haben – Kollege Rehberg ist darauf eingegangen –noch einen vierten Punkt eingearbeitet, und das war vorden Anschlägen in Paris . Uns war klar, dass 1 MillionFlüchtlinge in diesem Land eine besondere Stresssituati-on für die Bevölkerung und damit auch für die Frage dergesellschaftlichen Sicherheit darstellen . Wir haben ausdiesem Grund Mittel sowohl für Maßnahmen der Repres-sion als auch für solche der Prävention verstärkt, sowohlbei den Nachrichtendiensten als auch bei den Program-men, die auf Demokratie und Toleranz zielen . Ich glaube,dass das kluge Entscheidungen in einer nicht einfachenSituation waren .Wir haben die Investitionen noch einmal deutlich ver-stärkt . Das können wir nur, weil wir in einer sehr gutenwirtschaftlichen Lage sind . Ich habe mir heute die Zahlendes Statistischen Bundesamtes noch einmal angesehen .Woher kommt das Wachstum eigentlich? Es ist zum ganzgroßen Teil binnenmarktgetrieben . Die Binnennachfragesteigt: der private Konsum um 0,6 Prozent, der staatli-che Konsum um 1,3 Prozent . Die Ursachen hierfür liegenin höheren Tarifabschlüssen und in der Einführung desMindestlohns, den wir Sozialdemokraten durchgesetzthaben . Ich warne alle davor, die Frage des Mindestlohnsmit der Frage der Flüchtlinge zu verknüpfen;
das wäre ein Spaltpilz für die Gesellschaft . Das Wachs-tum hat ferner damit zu tun, dass wir die Steuern dort, woes zu zusätzlichen Belastungen durch die kalte Progres-sion kam, gesenkt haben und dass wir die steuerlichenFreibeträge erhöht haben . Wir haben insbesondere auchdie Freibeträge für die Alleinerziehenden, die seit 2004nicht mehr angepasst worden waren, auf über 1 800 Eurodeutlich erhöht. Auch hier finden sich die Leitlinien derSozialdemokraten wieder .
Wir werden in diesem Jahr eine Rentenerhöhung von4 bis 5 Prozent haben; auch sie ist dank der guten wirt-schaftlichen Lage möglich . Das sind im Schnitt monat-lich 60 Euro mehr, die bei den Rentnerinnen und Rent-nern ankommen .Natürlich werden wir in den nächsten Jahren vor fi-nanziellen Belastungen stehen . Es gibt Kollegen, die zumir kommen und sagen: Die fetten Jahre sind vorbei . –Das mag sein . Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wirdas Geld, die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stel-len, die notwendig sind, um die Flüchtlinge zu integrie-ren und zu befähigen, nicht Leistungsempfänger, sondernLeistungsträger zu werden . Dann haben wir eine Rendite,die nicht nur humanitär, sondern auch gesellschaftspoli-tisch sinnvoll ist .
Da gibt es natürlich immer die Frage: Wo kommt dasGeld eigentlich her? Kollege Troost hat die Frage dergerechten Verteilung angesprochen . Das ist natürlich fürDr. Tobias Lindner
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Sozialdemokraten immer zentral: Wer zahlt hier eigent-lich wie viel? Es gibt da auch Unterschiede in der Koali-tion; das ist ganz klar . Aber wir haben zwei wahnsinniggroße Schritte gemacht, die ich mir nicht hätte träumenlassen .Der erste Schritt ist der automatische Informations-austausch über Banknoten und Vermögen . Da will ichmich bei Bundesfinanzminister Schäuble ausdrücklichbedanken . Der automatische Informationsaustausch führtdazu, dass Privatvermögen nicht mehr versteckt werdenkann . Über 90 Länder auf der Welt haben das Abkom-men unterzeichnet . Es gab in Deutschland prominenteFälle, in denen die Betreffenden ihr Geld in der Schweizgeparkt haben und auf die Zinsen keine Steuern zahlenwollten . Wenn man so viel Geld hat, dass man Zinsenerhält, und dann nicht mal hier die Steuern zahlt, ist dasasozial . Dem haben wir jetzt einen Riegel vorgeschoben;dieses Geld muss künftig versteuert werden .Jetzt sind wir bei der Frage des Steuersatzes . Ich sageIhnen für die Sozialdemokraten ganz klar: Die Abgel-tungsteuer bringt – anders, als Frau Lötzsch es gesagthat – nicht bei den Dividenden einen Vorteil, aber bei denZinserträgen, weil ein Steuersatz von nur 25 Prozent vor-gesehen ist, während die Einkommensteuer im Zweifelhöher sein kann . Das müssen wir so schnell wie möglichbeseitigen .
Wir wollen, dass die Einkommen aus Zinsen und Kapital-erträgen genauso besteuert werden wie die Einkommenaus Arbeit .
– Frau Kollegin Andreae, wir sind da ja sofort dabei .Die Frage ist: Wieso ist es eigentlich dazu gekommen?Der erste Grund war eine Initiative der oftmals von vie-len Leuten geschmähten Vereinigten Staaten von Ame-rika . Sie haben mit dem FATCA-Abkommen sehr hartdafür gesorgt, dass die Banken ihre Bücher offenlegen;auch andere Länder haben dann zugestimmt .Der zweite Grund war eine politische Entscheidung inDeutschland .
Mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen hät-ten wir den Ablasshandel für ewig festgeschrieben, undes hätte niemals einen automatischen Informationsaus-tausch gegeben .
Ich will auch sagen: Da war Norbert Walter-Borjansals Finanzminister von NRW derjenige, der am meistengetrieben hat . Ich bin froh, dass er sich an dieser Stelledurchgesetzt hat und wir dieses Abkommen verhinderthaben . Damit haben wir jetzt bei allen Einkommen diegleiche Grundlage der Besteuerung und keine Versteckemehr .Der zweite Meilenstein, den wir erreichen werden, be-trifft BEPS. Wir hatten Schlupflöcher bei den privatenVermögen, und wir haben sie immer noch bei internatio-nalen Konzernen, die ihre Steuerlast mehr oder wenigerin die Länder schieben, in denen die geringsten Steuer-sätze gelten . Es ist erstens asozial gegenüber der Gesell-schaft – ich sage das ganz klar –, wenn Unternehmen dielegale Möglichkeit nutzen, Absprachen mit Staaten zutreffen, um ihre Steuerlast auf 1 oder 2 Prozent zu redu-zieren .
Es führt zweitens zu einer Wettbewerbsverzerrung .Nehmen wir nur Amazon . Es ist nicht nur ein Buch-händler, aber wir nehmen mal das Beispiel Bücher . MeinBuchhändler in Erfurt oder in Weimar zahlt vor Ort nichtnur Miete für die Räume in Innenstadtlage – das ist nichtbillig –, sondern auch den vollen Satz der Körperschaft-steuer . Er zahlt den vollen Satz, weil er keine Absprachenmit dem Finanzminister oder den Beamten in Luxemburgdarüber treffen kann, wie viel Steuern er zu zahlen hat .Amazon kann das, Amazon konnte das .Ich bin dem Europäischen Parlament sehr dankbar,dass es das Thema der legalen Steuergestaltung innerhalbder Europäischen Union ganz oben auf die Agenda ge-setzt hat, es transparent gemacht hat . Wir brauchen jetztdie politischen Mehrheiten im Europäischen Parlament,aber auch im Bundestag, um es internationalen Konzer-nen so schwer wie möglich zu machen, ihre Steuerlast inNiedrigsteuerländer zu verschieben . Dieses Steuerdum-ping werden wir Sozialdemokraten immer bekämpfen .Ich hoffe, wir haben den Bundestag da auch an unsererSeite .
Ich erteile dem Kollegen Ralph Brinkhaus für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdemdie Haushaltsdebatte irgendwie zur Steuerdebatte mutiertist,
muss man vielleicht mal eines klarstellen: Es hat keineBundesregierung, kein Finanzminister so viel gegen in-ternationale Steuerhinterziehung und -verkürzung getanwie unser Finanzminister Wolfgang Schäuble . Das ge-hört auch zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren .
Ich würde gerne über den Haushalt reden und möchtemeine Ausführungen unter drei Überschriften subsumie-Carsten Schneider
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ren . Die erste Überschrift ist „Lob und Dank“, dann kom-men „Vorsicht“ und „Zuversicht“ .Fangen wir mit Lob und Dank an . Wir nehmen es mitt-lerweile als Selbstverständlichkeit hin, dass wir wiedereinmal trotz aller Fährnisse und Gefahren einen Haus-haltsplan mit einer schwarzen Null vorgelegt haben . Dashaben Generationen unserer Vorgänger nicht hingekriegt .Das ist etwas Besonderes . Dass etwas Besonderes gelun-gen ist, liegt nicht nur an der guten Wirtschaftsleistung,die wir in diesem Land haben, liegt nicht nur an den nied-rigen Zinsen, sondern liegt auch an der vorausschauen-den und guten Haushaltspolitik .Wenn man sich überlegt, welche Rucksäcke wir unsdabei noch aufgeladen haben: Wir haben diese schwarzeNull nämlich geschafft ohne Steuererhöhung, ohne neueSteuern, und – Sie haben darauf hingewiesen – wir habendie Steuern durch den Abbau der kalten Progression unddurch die Erhöhung der Freibeträge sogar gesenkt . Wirhaben sehr viel Geld an die Kommunen und Länder gege-ben; Kollege Rehberg hat darauf hingewiesen . Wir habendie Investitionen erhöht, auch für die Kommunen . Wirgeben mehr Geld für Bildung und Forschung aus . Undwir tragen als einziges Land in Europa, vielleicht nebenSchweden, eine unglaubliche Last infolge der Menschen,die zu uns kommen . Allein im nächsten Jahr wird die Zu-satzbelastung des Bundeshaushaltes – je nachdem, wieman es rechnet – 8 bis 9 Milliarden Euro betragen .Für all das gilt allen Beteiligten mein großes Danke-schön; denn das war nicht einfach . Unsere Haushältermussten kurzfristig improvisieren, sie mussten priori-sieren, sie mussten umschichten . Sie mussten vor allenDingen ganz viel Nein sagen . Das muss man den Haus-hältern hoch anrechnen; denn die Kunst, Nein zu sagen,ist nicht ganz einfach . Dafür braucht man ein dickes Fellund einen breiten Rücken, und beides haben sie . Dafürganz herzlichen Dank .
Die zweite Überschrift lautet „Vorsicht“ . Wir müs-sen in der Tat vorsichtig sein, weil in diesem Haushaltnatürlich Risiken enthalten sind, und zwar nicht nur aufder Ausgabenseite – Thema Migration, Thema innere Si-cherheit, Thema äußere Sicherheit –, sondern auch aufder Einnahmenseite . Es ist nicht selbstverständlich, dassdie Steuereinnahmen so gut sind . Deswegen müssen wirviel Kraft darauf verwenden, dass das so bleibt und dasswir unseren Wirtschaftsstandort stärken .
Wir müssen aber auch vorsichtig sein, dass wir unsinsgesamt nicht übernehmen . Ich hatte in den letzten Wo-chen ein Gespräch mit einem ausländischen Kollegen . Erfragte mich: Was packt ihr Deutschen euch eigentlichalles in euren Rucksack hinein? Im weiteren Verlauf die-ses Gespräches wurde klar, was er meinte: Wir sind dergrößte Nettozahler innerhalb der Europäischen Union,wir stabilisieren mit unseren Garantien maßgeblich dieEuro-Zone, wir haben eine sehr ehrgeizige Energiewen-de, die viel kostet, auf den Weg gebracht, und wir ha-ben umfangreiche Sozialpakete in den Bereichen Rente,Krankenhaus und Pflege auf den Weg gebracht. Wir sindnicht nur dabei, der Einwanderungsströme in irgendei-ner Art und Weise, auch mit finanziellen Mitteln, Herrzu werden und eine vernünftige Finanzausstattung zugewährleisten, sondern wir investieren auch in innereSicherheit .Da stellt sich schon die Frage: Was können wir eigent-lich noch tragen? Was kann man noch draufpacken? Derausländische Kollege hat mir dann gesagt: Das könntihr so lange stemmen, solange eure Wirtschaftsleistunggut ist . Aber was macht ihr eigentlich, wenn es mit derWirtschaft bergab geht? Und er sagte noch etwas – unddas ist ganz entscheidend –: Das ist dann nicht nur euerProblem, sondern das ist auch unser Problem, weil ihrmit eurer Wirtschaft die Lokomotive in Europa seid . Ihrzieht den Karren in Europa . Wir im Rest von Europasind darauf angewiesen, dass eure Wirtschaft und euerLand funktionieren . – Das sollten wir immer beachten,wenn wir uns wieder etwas Neues in unseren Rucksackhi neinpacken .
Wir müssen auch vorsichtig sein, weil die erstenStimmen laut werden, die fordern, dass die nationaleSchuldenbremse oder die europäische Schuldenbremse,der Fiskalpakt, wegen der Migration, wegen der inne-ren Sicherheit und wegen der äußeren Sicherheit gelo-ckert oder ausgesetzt werden sollen . Meine Damen undHerren, es ist die Entscheidung dieser Generation, zusagen: Wir nehmen in unserem Land Einwanderer undFlüchtlinge auf . Es ist die Herausforderung dieser Ge-neration, dass wir Probleme mit der inneren und äußerenSicherheit haben . Andere Generationen treffen neue Ent-scheidungen . Sie werden vor neuen Herausforderungenstehen: Klimawandel, Rohstoffknappheit und was sonstnoch kommen mag . Deswegen ist es meines Erachtensnicht legitim, die Belastungen, die wir heute haben, aufdie nächste Generation zu verschieben . Wir sollten dahernicht darüber nachdenken, an der Schuldenbremse oderam Fiskalpakt zu rütteln .
Wir müssen aber auch vorsichtig sein, weil – der Bun-desrechnungshof hat es uns schriftlich gegeben – mittler-weile eine große Unwucht bei den Bund-Länder-Finanz-beziehungen entstanden ist .
Worum geht es? Wir geben sehr viel Geld aus – EckhardtRehberg hat es ausgerechnet: von 2010 bis 2018 mehr als125 Milliarden Euro –, um Länder und die Kommunenseitens des Bundes zu unterstützen . Bei den Regiona-lisierungsmitteln, also den Mitteln für den öffentlichenSchienenpersonennahverkehr, haben wir noch einmalkräftig etwas draufgelegt . Meine Damen und Herren, daskann nicht so weitergehen . Wir müssen da wieder Klar-heit reinbringen . Wir müssen klare Verhältnisse schaffen .Deswegen müssen wir die Bund-Länder-Finanzbezie-Ralph Brinkhaus
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hungen neu ordnen . Das ist auch im Sinne unseres Bun-deshaushaltes eine ganz wichtige Aufgabe .Wir müssen vorsichtig sein, weil es in der Politik eineungünstige Entwicklung gibt . Natürlich ist es wichtig,dass wir im Moment sehr viel über Migration reden . Wirhaben aber die Tendenz – das gilt auch für die Medien –,eine serielle Ein-Thema-Politik zu betreiben . Im Augusthaben wir nur über Griechenland gesprochen, jetzt spre-chen wir nur über Migration und demnächst vielleicht –leider – nur über innere Sicherheit . Wir dürfen bei allden Herausforderungen nicht vergessen, das Ganze imBlick zu behalten – nicht nur die Haushaltskonsolidie-rung, sondern auch die anderen großen Projekte –: dieEuro-Stabilisierung, die geplante Energiewende, die so-ziale Gerechtigkeit in diesem Land . Vor allem aber müs-sen wir dafür sorgen, dass wir diesen Wirtschaftsstandortzukunftsfähig halten . Deswegen müssen wir über denTellerrand hinausschauen .Die dritte Überschrift lautet „Zuversicht“ . Wir könneneigentlich zuversichtlich sein, weil wir auch in diesemHaushalt noch Reserven haben . Damit meine ich nicht,dass wir irgendwo kürzen sollten, sondern ich meine,dass wir anfangen sollten, jeden Euro effektiver und effi-zienter auszugeben, damit wir für jeden Euro mehr Auto-bahn bekommen, damit wir für jeden Euro, den wir in dasSystem stecken, eine bessere Integration der Langzeit-arbeitslosen bekommen, damit wir mit jedem Euro, denwir investieren, mehr gegen den Klimawandel und fürdie Energiewende tun und, und, und . Ich glaube, das sindgroße Aufgaben . Da haben wir noch einiges zu erledigen .
Ich bin auch deswegen zuversichtlich, weil ich an un-sere starke Wirtschaft glaube . Wir haben eine gesundeWirtschaft, bestehend aus familiengeführten mittelständi-schen Unternehmen, großen Unternehmen, kapitalmarkt-orientierten Unternehmen . Das Thema Erbschaftsteuerist schon angesprochen worden, lieber Axel Troost . Wirmüssen aufpassen, dass wir diese Struktur nicht kaputt-machen; denn diese Struktur ist die Basis für unserenwirtschaftlichen Erfolg, für hohe Steuereinnahmen undfür gute Haushaltsergebnisse .
Ich bin zuversichtlich, dass wir im Bereich Migrationgute Entscheidungen treffen werden . In den vergange-nen fast 70 Jahren haben wir es immer geschafft, guteEntscheidungen zu treffen . Ich bin davon überzeugt,dass wir die Balance finden werden zwischen unseremberechtigten Anspruch auf Menschlichkeit, Humanitätund Nächstenliebe auf der einen Seite und dem genau-so berechtigten Anspruch darauf, das Ganze zu ordnen,zu steuern, zu reduzieren und zu begrenzen . Das ist einegroße Aufgabe, der wir uns im nächsten Jahr stellen müs-sen .Letztlich bin ich zuversichtlich, wenn ich mir an-schaue, was dieses Land in den letzten sieben Jahrengeleistet hat: Wir hatten 2008 eine Bankenkrise, danacheine Wirtschaftskrise, danach eine Euro-Krise und eineStaatsverschuldungskrise . Das, was Angela Merkel inihren Regierungserklärungen immer wieder gesagt hat,ist richtig: Wir gehen aus diesen Krisen stärker hervor,als wir hineingegangen sind . Das ist eine großartige Ge-meinschaftsleistung der Menschen in diesem Land .Erst recht stolz bin ich auf das, was wir in den letztensieben Monaten geleistet haben, in denen viele Menschensich aus ganz unterschiedlichen Gründen entschieden ha-ben, zu uns zu kommen . Wann hat es das in der Weltge-schichte schon einmal gegeben, dass binnen eines halbenJahres fast 1 Million Menschen aufgenommen wurden,die noch dazu nicht aus der unmittelbaren Nachbarschaftkommen – sie kommen nicht aus Holland, Frankreichoder so –, sondern aus anderen Erdteilen mit einer ande-ren Kultur, mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen? Wiralle zusammen, die Politiker, die Hauptamtlichen und dieEhrenamtlichen, haben es geschafft, dass jeder von ihnenein Dach über dem Kopf hat, dass er genug zu essen hat,dass er Bekleidung und eine medizinische Versorgunghat . Ich glaube, das ist etwas, worauf wir stolz sein kön-nen . Das sollten wir nicht immer wieder kleinreden .Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wirdiese Zuversicht bei aller Vorsicht und allen berechtigtenZweifeln bezüglich dessen, was in den nächsten Jahrenpassieren wird, mit in das kommende Haushaltsjahr neh-men; denn Zuversicht ist das, was wir am dringendstenbrauchen .
Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Ulrich Krüger
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Das dritte Jahr in Folge wird ein Bundeshaushalts-plan – für das Jahr 2016 ist ein Etat von 317 MilliardenEuro vorgesehen – ohne neue Schulden vorgelegt . Stetigwachsende Steuereinnahmen, ein guter, hoffnungsvollerArbeitsmarkt, aber auch die niedrigen Zinsen sind einewesentliche Grundlage für die von uns zum dritten Malzu Recht selbstbewusst zu feiernde schwarze Null . Mirist dabei allerdings auch bewusst – Kollege Kahrs spraches schon an –: Die Herausforderungen für den Bund wer-den nicht weniger, sondern mehr werden . Die Kosten fürdie Unterbringung und Integration der Flüchtlinge alsfundamentale Aufgabe sind hier zu nennen . Es ist richtig,wenn der Bund die Länder und Kommunen in Milliar-denhöhe bei der Aufnahme und Unterbringung kostende-ckend unterstützt . Es ist ebenso richtig und wichtig, dassdiese Mittel vollständig bei denen ankommen, für die wirsie aus dem Bundeshaushalt bereitstellen, nämlich beiden Asylbewerberinnen und Asylbewerbern vor Ort .
Darüber hinaus gibt es allerdings auch ambitionierte Her-ausforderungen im Rahmen unserer demografischen Ent-wicklung . So werden beispielsweise die Leistungen desBundes an die gesetzliche Rentenversicherung von der-Ralph Brinkhaus
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zeit 84 Milliarden Euro auf 98 Milliarden Euro im Jahr2019 steigen . Sie sehen also: Die schwarze Null ist auchvor diesem Hintergrund eine beeindruckende Leistung .Lassen Sie mich nun noch einige Ergebnisse vortra-gen, die wir in den abschließenden Haushaltsausschuss-sitzungen erzielt haben .Besonders gefreut hat mich, dass wir uns auf zusätz-liche 10 000 Stellen beim Bundesfreiwilligendienst ver-ständigt haben .
Hierfür sind 50 Millionen Euro bereitgestellt worden .Das Angebot an Frauen und Männer, sich außerhalb vonBeruf und Schule für die Allgemeinheit zu engagieren,lohnt sich. Junge Menschen, häufig vor Beruf und Stu-dium, sammeln praktische Erfahrungen und Kenntnisse .Eine weitere Erfolgsstory ist das Elterngeld . Die Ge-burtenrate in unserem Land geht wieder nach oben .
Das ist sicherlich auch ein Erfolg des Elterngeldes, des-sen Bedarf wir mittlerweile – auch das ist Teil unseresHaushalts – mit 6 Milliarden Euro prognostizieren .Lassen Sie mich noch ein Wort über das TechnischeHilfswerk verlieren . Mit über 80 000 ehrenamtlichenHelfern hat uns diese Organisation in den letzten Wo-chen und Monaten effektiv unter die Arme gegriffen .Kaum eine Hilfsorganisation hat sich derart große Ver-dienste erworben . Das ist eine herausragende Leistung .Wir konnten dafür sorgen, dass die 668 Ortsverbändedes THW über die bloße Aufwandsentschädigung hinaus8 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für ihre Arbeitvor Ort erhalten .
Ferner konnten 208 neue Planstellen geschaffen werden;denn eine solche Struktur kann nicht nur ehrenamtlichgeführt werden . In diesem Sinne gebührt unser großerDank dem THW mit seiner beeindruckenden Leistung .
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwäh-nen, dass wir weitere 5 Millionen Euro für den Erwerbvon Feuerwehrfahrzeugen für Zwecke des Zivilschutzesbereitgestellt und im Haushalt verankert haben .Nun noch ein Wort zum Personal . Das Bundesamtfür Migration und Flüchtlinge, das BAMF, erhält 4 000neue Stellen . Diese gibt es zusätzlich zu den 3 000 neuenStellen bei der Bundespolizei und zusätzlich zu den 300neuen Stellen beim BKA . Das alles ist richtig und gut .Jetzt geht es nur um eine einzige Frage – das ist natürlichauch eine Frage der Administration –: Wie schaffen wires – bildlich gesprochen –, diese PS, die wir im Bun-deshaushalt bereitstellen, auf die Straße zu bringen? Wiekönnen wir dies umsetzen, damit die Bürgerinnen undBürger vor Ort sehr schnell sehen, dass sich das, was derBundestag hier verabschiedet, in diesem und jenem be-merkbar macht?Es ist in den Haushaltsberatungen mehrfach angespro-chen worden: Sprache ist ein Schlüssel zur erfolgreichenIntegration . Das ist richtig . Wie man kleinreden kann,dass wir die Mittel für Sprach- und Integrationskurse um250 Millionen Euro auf insgesamt 559 Millionen Euroerhöhen, erschließt sich mir nicht; denn all diese Maß-nahmen – auch die 559 Millionen Euro – dienen dazu,eine entsprechende Antwort auf die aktuelle Situation zugeben .Lassen Sie mich zum Abschluss noch kurz zwei Din-ge erwähnen, die unmittelbar im Haushalt des Bundesfi-nanzministers angesiedelt sind .Zum einen wurde in diesem Haushalt 2016 nach vie-len Bundesratsinitiativen vermerkt: Der Bund nimmtsich bei der Mitfinanzierung der Beseitigung alliierterWeltkriegsmunition selbst in die Pflicht. – Bisher war esso, dass der Bund lediglich die Kosten der sogenanntenreichseigenen Munition zu tragen hatte . Das ändern wir .Insgesamt stehen 60 Millionen Euro für die Jahre 2016bis 2019 zur Verfügung, 60 Millionen Euro, die geradeLändern wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Nord-rhein-Westfalen und Hamburg, wo noch viele Bomben-blindgänger festgestellt bzw . vermutet werden, zugute-kommen werden .
Zum anderen haben wir in den Haushaltsberatungen2016 Haushaltsvermerke fortgeschrieben – der KollegeRehberg erwähnte die entsprechende Zahl ganz kurz –,deren Grundlage wir schon im Nachtrag 2015 gelegt hat-ten, und zwar bezüglich der Änderung der BImA-Richt-linie zum verbilligten Erwerb von Liegenschaften . Mitt-lerweile ist es so: Kommunen können von der BImAverbilligt, also mit bestimmten Abschlägen, Konversi-onsflächen kaufen. Der Abschlag beträgt 350 000 Europro Vertrag . Sofern dort Flüchtlinge untergebracht wer-den, kommen weitere 150 000 Euro hinzu . Eine Kom-mune, die sich der Herausforderung der Aufnahme vonFlüchtlingen stellt bzw . stellen muss, hat diese Möglich-keit . Alternativ hat sie die Möglichkeit, die entsprechen-den Objekte nach Herrichtung durch die BImA mietzins-frei anzumieten . Last, not least kann sie im Falle vonGeschosswohnungsbau einen Zuschuss von 25 000 Europro neu geschaffener Wohnung erhalten, wenn sie sichdieser Aufgabe, dieser zusätzlichen Aufgabe, widmet .
Herr Kollege .
Insgesamt entspricht das allein für das kommendeHaushaltsjahr einer Entlastung in Höhe von 315 Millio-nen Euro . Ich denke, das kann sich sehen lassen .Ich danke Ihnen .
Dr. Hans-Ulrich Krüger
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Bartholomäus Kalb ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inmeinem Beitrag in der ersten Lesung dieses Bundes-haushalts habe ich unter anderem ausgeführt, dass derWohlstand in Europa ganz wesentlich davon abhängt,ob Europa zusammenhält, ob die europäischen Län-der zusammenhalten . In den letzten Wochen kam es zuEreignissen, die noch sehr viel deutlicher machen, wienotwendig es ist, dass die Europäische Union und die eu-ropäischen Länder in dieser schwierigen Zeit zusammen-halten, dass allen Tendenzen des Auseinanderdriftensentgegengewirkt werden muss und Europa noch engerzusammenrücken muss .Leider haben wir in der Frage der Bewältigung derFlüchtlingskrise noch längst keine Einigkeit in Europa .Hier werden wir noch stärker darauf angewiesen sein,dass sich Europa als Solidargemeinschaft versteht . So-lidarität ist nun einmal keine Einbahnstraße, sondern hatzwei Richtungen . Alle stehen gemeinsam in der Verant-wortung, und alle sollten sich dessen bewusst sein .
Auch wir in Deutschland sehen uns auf Bundesebenein der Verantwortung, auch gegenüber den Ländern undGemeinden, nicht nur mit Blick auf die Interessen desBundes . Deswegen haben wir im Bundeshaushalt dafürSorge getragen – es ist schon erwähnt worden –, dass dieLänder und Gemeinden bei der Bewältigung der enor-men Flüchtlingsströme unterstützt werden . Wir treffenauch Vorsorge dafür, dass wir die Herausforderungen,die sich sowohl für den Bundeshaushalt als auch für dieHaushalte von Ländern und Gemeinden ergeben, auchim kommenden Haushaltsjahr, im Haushaltsjahr 2016,bewältigen können .Wir stehen zweifellos vor großen Herausforderungen .Wir unterstützen, wie gesagt, die Länder und Gemein-den . Wir leisten gleichzeitig auch eine verstärkte hu-manitäre Hilfe . Ich bin sehr froh darüber, dass wir dienotwendigen Entscheidungen – der Kollege Rehberg hatdas ausgeführt – unabhängig von den zwischenzeitlicheingetretenen Ereignissen in Frankreich und rechtzeitiggetroffen haben . Sie geben unseren Sicherheitsdienstenmehr Möglichkeiten und sorgen letztlich dafür, dass fürdie Bürger mehr Sicherheit gewährleistet werden kann .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenim Bundeshaushalt Vorsorge getroffen, sowohl finan-ziell als auch von der Stellenausstattung her, dass denNotwendigkeiten, die es beim Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge, bei der Bundespolizei und beim THW –Kollege Krüger hat gerade darüber gesprochen – gibt,entsprochen und für die erforderlichen Ausstattungen,auch in personeller Hinsicht, gesorgt werden kann . Wirtun mehr für die Integration und auch mehr für die sozi-ale Absicherung .Dieser Bundeshaushalt ist aber nicht nur durch die ho-hen Flüchtlings- und Zuwanderungszahlen gekennzeich-net . Es soll nicht übersehen werden, dass dieser Haushaltauch ein Investitionshaushalt ist und dass er zum Aus-druck bringt, wie sehr die Regierungskoalition den Fami-lien und den Leistungsträgern in unserer Gesellschaft ge-recht wird . Das haben wir auch dadurch erreicht, dass imSommer ein großes Paket familienpolitischer Leistungenund steuerlicher Entlastungen beschlossen wurde, dasjetzt natürlich umzusetzen ist .Aus unserer wirtschaftsfreundlichen Haushaltspolitikhat sich ergeben, dass wir heute insgesamt gut dastehen .Wir haben so viele versicherungspflichtige Beschäfti-gungsverhältnisse wie nie zuvor in der Geschichte derBundesrepublik Deutschland .
Über 43 Millionen Menschen erwirtschaften bei uns imLande das Bruttoinlandsprodukt . Sie garantieren damitWohlstand und soziale Sicherheit und sorgen selbst fürsich und ihre Angehörigen .
Demzufolge haben auch alle öffentlichen Kassen einegute Einnahmesituation . Das hängt ja eng und unmittel-bar damit zusammen .Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang einmalsagen: Diese guten Ergebnisse sind auch ein Ergebnisder hervorragenden und erfolgreichen Kanzlerschaft vonAngela Merkel in den letzten zehn Jahren . Das dürfenwir voller Dank und Anerkennung sagen .
Es ist ja nicht die erste große Herausforderung, vor derwir stehen . Auch in der ersten Großen Koalition gab esenorme Herausforderungen und Ereignisse, die sozusa-gen über Nacht auf uns hereingestürzt sind . Ich denkedabei zum Beispiel an die Bankenkrise und an die Fi-nanzkrise .Ich habe vorhin davon gesprochen, dass es sich beidiesem Bundeshaushalt um einen Investitionshaushalthandelt . Wir haben das 10-Milliarden-Euro-Investitions-programm aufgelegt und werden die Umsetzung kon-sequent fortführen . Das sind wichtige Voraussetzungendafür, dass sich unsere wirtschaftliche Situation auch inden nächsten Jahren gut darstellen wird . Wir waren bei-spielsweise auch in der Lage, die Zuschüsse für die land-wirtschaftliche Unfallversicherung zu erhöhen . Es waruns sehr wichtig, der Landwirtschaft in einer schwieri-gen Zeit unter die Arme zu greifen, wie wir das für ande-re Branchen in anderen Zeiten und anderen Situationenebenfalls getan haben . Das ist gelungen, und darüberfreuen wir uns .
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allenzuwanderungsbedingten Akzenten, die zu setzen waren,wollen wir natürlich weiterhin sicherstellen, dass sichunsere Wirtschaft gut entwickeln kann . Deswegen mussich den Steuerplänen, die Herr Troost zum Ausdruck ge-bracht hat, natürlich eine klare Absage erteilen .
Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute, die bei uns ar-beiten und bei uns etwas unternehmen, es in Deutschlandso gut finden, dass sie sagen: Hier ist es gut. Hier wollenwir unsere Fähigkeiten entwickeln . Hier wollen wir auchzur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen .Wenn uns gelingt, was wir in den letzten Jahren zu-stande gebracht haben – ein Haushalt ohne neue Schul-den, ohne Steuererhöhungen –, dann setzen wir für dieZukunft ein richtiges und gutes Zeichen .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt sehrviel über die Aufstellung des Haushalts und die geplan-ten Ausgaben gehört . Für 2016, denke ich, ist das auchsehr gut gelungen . Dafür kann man der Arbeitsgruppe fürHaushalt der SPD und der Arbeitsgruppe der CDU/CSUnur danken .Ich spreche hier über die Einnahmen . Dafür brauchenwir eine langfristige Strukturpolitik . Ihr habt im Rahmender Möglichkeiten gute Arbeit gemacht . Unsere Aufgabeist aber, diese Möglichkeiten zu erweitern . Steuerpolitikist eben die unverzichtbare Grundlage für einen solidenHaushalt .
Wir sind allen Bürgerinnen und Bürgern und auch denUnternehmen dankbar, die sich an der finanziellenGrundlage mit fast 300 Milliarden Euro beteiligen; dennsie erbringen die eigentliche Leistung . Wir kümmern unsdann nur noch um eine faire Verteilung .Kurzfristig sind wir in einer wirklich sehr guten Lage .Die Frage ist aber, ob wir langfristig auf der Einnahme-seite strukturell gut aufgestellt sind . Dahinter muss mandoch ein paar Fragezeichen setzen . Meine Kollegen ha-ben schon darauf hingewiesen, welche Bedeutung derniedrige Ölpreis für unsere Entwicklung, der Euro fürden Export, die niedrigen Zinsen und die hohe Beschäfti-gungsquote haben . Wir sehen: Vieles stabilisiert unserenHaushalt für das kommende Jahr . Aber es gibt hohe Zu-kunftsrisiken, auf die es zu achten gilt .Wenn man die Leute fragt, was den größten Anteil anden Steuereinnahmen ausmacht, dann ist manchen garnicht klar, dass das die Lohn- und Einkommensteuer unddie Mehrwertsteuer sind . Man muss aber einmal schauen,wer den größten Anteil an der Lohn- und Einkommen-steuer und der Mehrwertsteuer trägt . Das sind jedenfallsnicht die ganz Reichen .
Insofern gibt es auf der Einnahmeseite verschiedene Din-ge, um die wir uns besonders kümmern .Eine Sache ist die Bekämpfung von Steuerhinterzie-hung und -vermeidung; dazu haben wir schon viel ge-hört . Carsten Schneider hat vorhin die Bekämpfung vonBEPS, Base Erosion and Profit Shifting, angesprochen.Das ist sicherlich ein ganz großes Problem . Er hat auchvom automatischen Austausch von Informationen überFinanzkonten gesprochen . Auch dadurch wird Steuerhin-terziehung bekämpft . Wir haben auch schon Erfolge beider Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs .Wir wollen die Finanztransaktionsteuer einführen .Hier sind wir dem Bundesminister dankbar, der auf ei-nem guten Weg ist, die Einführung dieser Steuer im Rah-men der verstärkten Zusammenarbeit mit den Europäernzu erreichen . Ein Wermutstropfen dabei: Aktien werdenmöglicherweise nur mit 80 Prozent, Derivate nur mit90 Prozent, und Anleihen nur mit null Prozent berück-sichtigt . Daran müssen wir arbeiten .
Trotzdem ist mein Dank ernst gemeint; denn wir wissen,wie schwer die Verhandlungen in Europa sind .
Insgesamt meinen wir, dass es ein Fehler ist, den Steu-ertopf zu durchlöchern . Ich will einige Beispiele nennen,die zeigen, dass einzelne Branchen durchaus Sonderrege-lungen in Anspruch nehmen und viele Begehrlichkeitenentwickeln, die mir nicht so gut gefallen . Auch die Süd-deutsche Zeitung hat mich nach ein paar sehr merkwür-digen Regelungen gefragt .Stellen wir uns einmal vor, dieser Pappbecher wäreder Steuertopf . Er ist noch leer für das nächste Jahr . Dasist verständlich; denn die Steuereinnahmen kommen jaerst im Laufe des nächsten Jahres hinein . Wenn das Gelddann hineinkommt und der Steuertopf gefüllt ist, habendie Haushälter eine gute Chance, ihre Ausgaben zu reali-sieren . Jetzt kommen aber Leute, die in diesen Steuertopfein Loch machen, so wie ich jetzt mit diesem Schrauben-zieher .
Nehmen wir einmal die maritime Wirtschaft . Die Ver-treter der maritimen Wirtschaft hatten die Idee, zu sagen:Die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer wird an den Ar-beitgeber gezahlt .Bartholomäus Kalb
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Herr Kollege, ich hoffe, Sie haben keinen kompletten
Werkzeugkoffer dabei, sonst müsste ich aus Sicherheits-
gründen eingreifen .
Nein, nein . Das hätte man ja gesehen . Ich habe zwar
einen blauen Werkzeugkoffer; aber das hier ist nur ein
Schraubenzieher, der mir hilft, in diesen Becher Steuer-
schlupflöcher zu machen.
Also: Ein Arbeitgeber muss ja Lohnsteuer für sei-
nen Arbeitnehmer abführen . An wen? Natürlich an den
Fiskus, also konkret an den Kämmerer bzw . an Herrn
Schäuble im Bund . Bei der maritimen Wirtschaft ist es
aber so: Die Lohnsteuer, die ein Arbeitnehmer zu zahlen
hat, bekommt nicht Herr Schäuble, sondern der Arbeit-
geber . Das ist ein total verrücktes System . Die Frage ist
jetzt nicht, ob die Arbeitgeber das Geld auch bekommen .
Die Antwort habe ich ja schon gegeben: Sie bekommen
es . Die Frage ist: Warum bekommen das eigentlich die
Bäcker, die Klempner und die Arbeitgeber in anderen
Branchen nicht? Das interessiert mich; denn da spielt das
Moment der Gerechtigkeit eine große Rolle . Ja, ich weiß,
dem maritimen Kollegen gefällt das nicht . Aber ich glau-
be, darüber müssen wir reden .
Ich komme zur Tourismusbranche .
Nachdem für die Hotels bereits die Mehrwertsteuer ge-
senkt wurde, gibt es dort nun die Idee, auch noch die Hin-
zurechnungen bei der Gewerbesteuer entfallen zu lassen .
Das würde zulasten der Kommunen gehen .
Ich will das Problem einmal beschreiben: Ein Touris-
musunternehmen, das eine Pauschalreise für 1 000 Euro
anbietet, muss eine Zusatzlast von 17,50 Euro aushalten .
Natürlich ist klar, dass die komplette Tourismusbranche
in Konkurs geraten würde und Deutschland deshalb ver-
lassen muss . Ich bin mir nicht ganz sicher, ob nicht jeder
Bürger mit einer fairen Besteuerung – das wären bei ei-
ner 1 000-Euro-Reise 17,50 Euro mehr – einverstanden
wäre . Ich glaube, das wäre kein Problem . Auch dieses
Schlupfloch ist nicht gut.
Sie merken, was ich damit sagen will: Der Steuertopf
wird gefüllt, indem Unternehmen und Bürger ihre Steu-
ern zahlen; aber unten läuft das Geld durch die Schlupf-
löcher wieder heraus . Dann kann der Haushaltsausschuss
seine Aufgaben nicht mehr so erledigen, wie er es tun
müsste .
Insofern bin ich dafür, Steuerschlupflöcher zu stopfen.
Es gibt andere Ideen, zum Beispiel im Hinblick auf
die Kfz-Besteuerung für landwirtschaftliche Fahrzeuge,
die für die Pflege von Streuobstwiesen eingesetzt wer-
den . Ich frage mich: Braucht man da wirklich eine Ent-
lastung? Oder schaffen wir die Pflege der Wiesen nicht
auch, wenn für diese landwirtschaftlichen Maschinen ein
wenig Kfz-Steuer gezahlt wird?
Es gibt noch viele andere Ideen, zum Beispiel hin-
sichtlich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung .
Die können Sie jetzt aber leider nicht mehr alle vor-
tragen .
Nur noch ganz kurz . – Da wollen die Unternehmen
den Arbeitnehmern etwas schenken, sind dabei aber nicht
so ganz ehrlich . Sie wollen nämlich, dass wir uns an die-
sen Geschenken beteiligen .
Ich bin der Meinung: Die Steuerschlupflöcher müssen
abgeschafft werden . Bei der Erhebung von Steuern muss
es fair zugehen .
Dann wird der Haushaltsausschuss seine Arbeit wirklich
gut machen, nicht nur was die Ausgabenseite angeht,
sondern auch was die Einnahmeseite anbelangt .
Schönen Dank .
Kollege Binding, wenn Sie sich nach Rückkehr ins
Büro einen verdienten Becher Kaffee einschenken las-
sen, denken Sie bitte daran, dass Sie in diesen ein Loch
gebohrt haben .
Nun hat der Kollege Carsten Körber für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ei-nen Werkzeugkoffer habe ich leider nicht hier vorne .
Ich hatte auch nicht vor, meine handwerklichen Fähig-keiten unter Beweis zu stellen,
was in der Tat so besser ist .Der Haushalt 2016 steht . Die Zahlen und Fakten wur-den in dieser Debatte bereits mehrfach und ausführlich
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genannt . Sie zeigen eines: Wir sind für das Haushalts-jahr 2016 gut gewappnet . Das sage ich auch und geradevor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage inDeutschland und Europa. Wir befinden uns in einer Situ-ation, wie wir sie in ihrer Dramatik seit Jahren nicht erle-ben mussten . Hunderttausende von Flüchtlingen kommenin unser Land . Diese Menschen zeigen uns, dass Frieden,Freiheit und Sicherheit nicht selbstverständlich sind . DieFlüchtlinge kommen zu uns, weil sie all das, was für unsselbstverständlich ist, hier zu finden hoffen und weil esFrieden, Freiheit und Sicherheit in ihren Heimatländernnicht gibt . Auch wenn nach notwendiger und sorgfälti-ger Prüfung nicht jeder Flüchtling wird bei uns bleibenkönnen, so stellt uns diese Situation doch vor gewaltigeHerausforderungen; denn solange diese Menschen beiuns zu Gast sind, tragen wir für sie Verantwortung . Die-ser Verantwortung kommen wir nach . Die notwendigenMittel stehen bereit .Die Asyl- und Flüchtlingskrise war in den Haushalts-beratungen der vergangenen Wochen stets Thema . Weilaber die Bundesregierungen unter Führung der Union inden letzten zehn Jahren solide und klug gewirtschaftethaben, hat diese Krise unsere Beratungen nicht domi-niert .
So halten wir an unserem Ziel fest, die schwarze Nullauch 2016 beizubehalten . Dem Mann, der dafür ganzmaßgeblich Verantwortung trägt, nämlich unser Finanz-minister Wolfgang Schäuble, möchte ich von dieser Stel-le aus einmal herzlich Dank sagen .
Deutschland ist finanziell und wirtschaftlich solideaufgestellt . Wir stehen so gut da, dass viele andere frohwären, wenn sie unsere Probleme hätten . Diese solideBasis versetzt uns in die Lage, auf die Flüchtlinge, dieaus Syrien, Nahost und Afrika zu uns kommen, anders zureagieren, als die meisten unserer Nachbarn es tun . Wirlassen diese Menschen in ihrer Not nicht vor einem Zaunan der Grenze stehen . Wir helfen, und darauf können wirstolz sein .Aber auch wir, das wohlhabende und reiche Deutsch-land, haben keine unbegrenzten Möglichkeiten und Ka-pazitäten .
Wir werden auf Dauer nicht umhinkommen, die Masseder Flüchtlinge in bestimmte Bahnen zu lenken . Dennkein Staat der Welt kann auf Dauer 10 000 Flüchtlingepro Tag aufnehmen .
Und ja, wir haben bereits reagiert . In einem ersten Schritthaben wir neulich mit dem Asylpaket nichts weniger alsdie größte Reform des Asylrechts seit den 90er-Jahrenauf den Weg gebracht – ein Erfolg, der noch im Sommerdieses Jahres undenkbar erschien .Doch warum wollen so viele Menschen ausgerechnetnach Deutschland? Sicher nicht, weil es sich in unseremLand so schlecht leben lässt oder weil es hier so unge-recht zugeht . Diesen Eindruck versucht die Opposition inihren Beiträgen regelmäßig zu erwecken .
Nein, dieses Land mit seinem Grundgesetz, seiner sozi-alen Marktwirtschaft und seiner offenen und freiheitli-chen Gesellschaft ist für viele in der Welt zum Vorbildgeworden .Wir haben im Haushalt 2016 klare Prioritäten gesetzt .Auch in turbulenten Zeiten hat die Koalition angemessenreagiert und für die aktuelle Flüchtlingskrise Vorsorgegetroffen .
Ja, meine Damen und Herren, und dass wir das können,ist das Ergebnis unserer wachstumsorientierten Konsoli-dierungspolitik . Wir haben in guten Zeiten das Geld nichtzum Fenster hinausgeworfen, wie andere es getan haben .Wir haben Maß gehalten und gespart . Und wir haben un-sere Haushalte in Ordnung gebracht . Das war nicht im-mer leicht, aber es zahlt sich aus .Die Gastfreundschaft gegenüber Bedürftigen sollteim Europa des 21 . Jahrhunderts selbstverständlich sein .Aber man muss auch der Realität ins Auge sehen . Sonachvollziehbar der Wunsch nach einem besseren Lebenist, so richtig ist auch, dass Armut kein Asylgrund ist unddies auch nicht sein kann. Wirtschaftsflüchtlinge werdenwieder gehen müssen .Auch so werden nicht wenige bleiben . Auch wennnicht jedes Land in der Lage ist, kurzfristig Hunderttau-sende aufzunehmen: Deutschland kann das, und das istnicht selbstverständlich .
Aber manche unserer Landsleute blicken gerade mitAngst und Sorge in die Zukunft . Wir dürfen nicht denFehler machen, all diese Menschen vorschnell als Ext-remisten, Querulanten und rechte Spinner abzutun . Wirmüssen diese Sorgen ernst nehmen . Und allen Extremis-ten, die hieraus für sich Kapital schlagen wollen, gilt es,harte Kante zu zeigen .
Vielen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, darf icheine Delegation von Parlamentariern aus UsbekistanCarsten Körber
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unter Vorsitz von Herrn Shadmanov herzlich begrüßen .Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!
Jetzt kommen wir zur Abstimmung, und zwar zu-nächst über den Einzelplan 08 des Bundesministeriumsder Finanzen in der Ausschussfassung . Hierzu liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-che 18/6764 vor . Wer stimmt für diesen Änderungsan-trag? Ich bitte um ein Handzeichen . – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag istdamit abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 08 in der Aus-schussfassung ab . Wer stimmt dafür? Den bitte ich umdas Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DieLinke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 20 – Bundesrechnungshof – in der Ausschussfas-sung . Wer stimmt dafür? Den bitte ich um das Handzei-chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 20 ist mit den Stimmen des gesamten Hausesangenommen .Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I .5 auf:Einzelplan 16Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und ReaktorsicherheitDrucksachen 18/6115, 18/6124Die Berichterstatter sind die Kollegen Steffen-ClaudioLemme, Christian Hirte, Josef Rief, die Kollegin HeidrunBluhm und der Kollege Sven-Christian Kindler .Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Des Weiteren lie-gen drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linkevor, über die wir nicht heute, sondern am Freitag nach derSchlussabstimmung abstimmen werden .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Widersprucherhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion DieLinke das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bereits in der ersten Lesung zum Einzel-plan 16 am 11 . September dieses Jahres war viel davondie Rede, welche Chancen die Zusammenlegung desUmwelt- und des Bauressorts eröffnet . Leider sind dieseChancen aus unserer Sicht ungenutzt geblieben . Ich sage:Wenn man sich die Haushaltsansätze des Einzelplans 16ansieht, dann stellt man fest, dass sie auch in Zukunftungenutzt bleiben . Das will ich Ihnen am Etat für Bauenund Wohnen einmal erklären .Die Bundesregierung hält an ihren Klimaschutzzielenim Gebäudebereich fest . Das ist gut, aber ohne weiterehaushalterische Untersetzung bleiben diese Ziele leiderromantische Wünsche .
Mittlerweile brauchen wir eine Sanierungsquote von3 Prozent jährlich, um dem selbst verordneten CO2-Ein-sparungsziel näherzukommen . Derzeit liegen wir beiknapp 1 Prozent . Aber das fällt wahrscheinlich unter unsFachpolitikern fast keinem mehr auf, weil die Aufgabezusammen mit dem EKF mittlerweile in das Ressort desVizekanzlers fällt und so aus dem Blickfeld der Fachpo-litiker – zumindest aus dem Blickfeld der Fachpolitikerder Koalition – verschwunden ist . Diese Mittel gehörenzurück in den Einzelplan 16, damit man sich damit imfachpolitischen Zusammenhang befassen kann .
Verglichen mit der wohnungspolitischen Agonie ver-gangener Regierungen waren die letzten Wochen dieserRegierung geradezu atemberaubend in ihrem Aktionis-mus: Ausschussberatungen, mehrere Expertengespräche,das Bündnis für bezahlbares Wohnen, die Baukosten-senkungskommission und vieles mehr . Alle Expertenin diesen Fachgesprächen waren sich darin einig, dassalle unsere Probleme hausgemacht sind und auch ohnedie Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbernlange vorhanden waren . Es gab wohnungspolitischeVereinbarungen der Bundeskanzlerin mit den Ländern .Eine Bauministerkonferenz hat zwischenzeitlich statt-gefunden . Schließlich hat uns das Bauministerium einThesenpapier, ein Zukunftspapier, eine neue wohnungs-politische Agenda mit dem vielversprechenden Titel„Neues Zusammenleben in der Stadt“ vorgelegt . Wasdarin einleitend gesagt wird, könnte ich fast alles sofortunterschreiben . Die Linke hat vieles davon schon in ihreparlamentarischen Anträge geschrieben . Deshalb kommtuns zum Beispiel bekannt vor – ich zitiere –:Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland stelltuns vor neue Herausforderungen in der Stadtent-wicklung .Das ist richtig . Dann heißt es:Neben den Wanderungsbewegungen innerhalb desLandes kommen in diesen Monaten viele Menschenzu uns, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt einfriedliches Leben suchen . Wir wollen und könnendiesen Menschen eine neue Heimat bieten .Auch das ist sehr begrüßenswert . Weiter heißt es:Für alle Menschen . . . muss Wohnraum geschaffenwerden . . . . Unsere Städte müssen in jeder Hinsichtdurchmischt sein: in den Nutzungen, in den sozialenMilieus und in der städtebaulichen Struktur .Beifall . All das könnte auch von der Linken sein .
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Dann kommt der Satz:Für die Städte haben wir jetzt die Gelegenheit, dasLeitbild der kompakten, integrierten und umwelt-freundlichen Stadt schrittweise in die Realität um-zusetzen:Jetzt kommt der Lackmustest . Wenn man diesen Satzmit dem Haushalt 2016 abgleicht, bleibt einem nichtsanderes übrig, als zu sagen: Die Gelegenheit haben Sieverpasst, wieder einmal; denn dieser, wenn auch aufge-stockte Haushalt ist kein Haushalt eines Aufbruchs zueiner wohnungspolitischen Offensive . Ich sage Ihnen:Damit gibt es keinen Neustart des sozialen Wohnungs-baus . Es gibt kaum Impulse für den Erhalt gemischterQuartiere etwa durch ein bedarfsgerechtes dynamisiertesWohngeld, keine Offensive für die energetische Gebäu-desanierung . Es gibt nur ein Weiter-so mit leicht nachoben gesetzten Haushaltsansätzen . Meine Damen undHerren, es ist hier schon mehrfach heute gesagt worden:Sie fahren auf Sicht .Ja, die Kompensationszahlungen an die Länder fürdie soziale Wohnraumförderung werden fast verdoppelt .Viel ist auch nicht mehr von den einmal vorhandenen5 Millionen Sozialwohnungen übrig geblieben, die esvor der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit inDeutschland gab . 4 Millionen davon sind inzwischenaus der Sozialbindung herausgefallen . Aber es gibt heuteschon wieder mindestens 7 Millionen Mieterhaushalte,die Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten . Es fehlenin Deutschland rund 2 Millionen altersgerechte Wohnun-gen, und es herrscht geradezu Notstand bei der Versor-gung von Studierenden mit Wohnheimplätzen und be-zahlbaren Studentenwohnungen .
Von den vielen Zuwanderern, die auch wohnen müs-sen und wohnen sollen, rede ich hier noch gar nicht .Was unternimmt die Bundesregierung? Das StatistischeBundesamt zählt seit 2003 weniger als 10 000 neu ge-baute Sozialwohnungen pro Jahr in ganz Deutschland .Mit der Aufstockung um 500 Millionen Euro hofft FrauHendricks nun, die Zahl neu gebauter Sozialwohnungenjährlich auf 60 000 erhöhen zu können .
Damit hätten wir es in 100 Jahren fast geschafft,
den heutigen Bedarf zu decken, aber das Programm, dasSie aufgelegt haben, läuft nur bis 2019 . Also, wer rech-nen kann, ist klar im Vorteil .
Auf Initiativen aus der Privatwirtschaft für den sozi-alen Wohnungsbau würde ich auch nicht setzen . Die hatnämlich andere Prioritäten, zum Beispiel steuerliche An-reize durch höhere Abschreibungen . Klar, das kann manmachen, auch die Linke verweigert sich da grundsätzlichnicht . Aber die greifen erst, wenn die Wohnungen ge-baut sind, und sie würden den Steuerzahler nach seriösenSchätzungen, zum Beispiel von Pestel, circa 3,5 Milliar-den Euro kosten . Sie gelten darüber hinaus für alle Woh-nungen, auch für Luxuswohnungen . Also, je teurer wirbauen, desto mehr kann abgeschrieben werden . Wennschon, warum nicht gleich dieses Steuergeld direkt in diesoziale Wohnraumförderung stecken, anstatt öffentlicheGelder in die privaten Taschen in der vagen Hoffnungumzuleiten, dass dabei auch soziale oder wohnungspoli-tische Effekte entstehen?
Diese als Steuervergünstigung gedachten 3,5 Milliar-den Euro, dazu die von uns in unserem Haushaltsantraggeforderten 1,5 Milliarden Euro und die von den Länderneins zu eins kofinanzierten Mittel, dann wären wir schonbei 6,5 Milliarden Euro . Das wären ein echter Neustartund vielleicht auch ein Ansatz für die Haushaltsdebatteim Jahr 2017 .
Und das wäre eine planbare Ansage für die Bau- undWohnungswirtschaft, die sich dann verlässlich daraufeinrichten kann .Sie sagen jetzt: Das überfordert den Bundeshaus-halt . – Da lachen unsere Nachbarn in Österreich oder inden Niederlanden . Die geben nämlich pro Jahr 1 Prozentihres Bruttoinlandsproduktes für den sozialen, gemein-nützigen Wohnungsbau aus . Rechnen wir das auf bun-desdeutsche Verhältnisse um, dann wären das bei unsim Jahr 40 Milliarden Euro – nur für den sozialen, ge-meinnützigen Wohnungsbau . Wir aber geben gerade ein-mal 0,3 Prozent unseres Bundeshaushalts für die sozialeWohnraumförderung aus, und zwar einschließlich derErhöhung um 500 Millionen Euro, die Frau Hendricksjetzt durchgeboxt hat .Wir fordern bescheidene 1,5 Milliarden Euro für diesoziale Wohnraumförderung im Haushalt 2016 . Wir be-finden uns damit in Übereinstimmung mit den Bauminis-tern der Bundesländer, die genau das auf ihrer Konferenzim Oktober in Dresden vorgetragen haben . Aber auch daswäre nur ein Zeichen, eine Problemlösung ist das nochnicht . Das wissen wir; denn ein wirklicher Neustart imsozialen Wohnungsbau kann nur gelingen, wenn öffent-liches Geld dauerhaft der öffentlichen Daseinsvorsorgezugutekommt .
Was wir als Korrektiv zum maroden Marktlibera-lismus wirklich brauchen, ist eine starke, an den Woh-nungsbedürfnissen der Menschen orientierte, neue ge-meinnützige Wohnungswirtschaft .Danke schön .
Für die SPD hat jetzt das Wort der KollegeSteffen-Claudio Lemme .
Heidrun Bluhm
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Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wie wir alle wissen, stand in diesen Haus-haltsberatungen natürlich das Flüchtlingsthema im Mit-telpunkt unserer Debatten . Angesichts der großen He-rausforderungen, die wir aktuell und in den kommendenJahren vor uns haben, um unseren neuen Mitbürgern In-tegration und Aufnahme zu gewährleisten, ist das auchnormal .Wir müssen unser Augenmerk aber nicht nur auf dieMaßnahmen zur Integration von Flüchtlingen richten,sondern auch auf die Bekämpfung von Fluchtursachen .Allein im Etat des Auswärtigen Amtes haben wir deshalb450 Millionen Euro für humanitäre Hilfen in Flüchtlings-lagern und als Krisenprävention im Ausland eingestellt .An dieser Stelle möchte ich den Bogen zum Bundesum-welt- und -bauministerium spannen . Denken wir nämlichan die Bekämpfung von Fluchtursachen, dürfen wir denKlimaschutz nicht aus dem Auge verlieren .
Denn wenn der Klimawandel nicht bekämpft wird, wer-den sogenannte Klimaflüchtlinge eines Tages das beherr-schende Thema sein . Klimawandel ist ein Sicherheitsri-siko des 21 . Jahrhunderts .In sechs Tagen startet in Paris der Klimagipfel . Erstkürzlich ging ein Foto um die Welt; ich zeige es Ihnen .Auf diesem Foto der Fotografin Kerstin Langenbergerist ein Eisbär in der Arktis zu sehen, dürr, mit schmut-zigem Fell. Die Fotografin schrieb dazu, besondersweibliche Eisbären hätten es immer schwerer, Futter zufinden. Wenn sie keine ausreichend großen Eisschollenmehr vorfänden, auf denen sie ihre Jungen unterbrin-gen könnten, hätten sie praktisch keine Chancen mehr,zu überleben . Binnen Tagen war dieses Bild über sozia-le Netzwerke einmal um den Globus gereist und wurdezum Sinnbild des Klimawandels; denn der Bestand anEisbären könnte in den nächsten 40 Jahren um rund einDrittel schrumpfen .Die Eisbären sind aber nur eines von vielen Beispielen,die die Notwendigkeit unterstreichen, in Paris ein globa-les Klimaabkommen zur Einhaltung der 2-Grad-Ober-grenze zu verabschieden . Wir haben im Bundeshaushalt2016 2,4 Milliarden Euro für die internationale Klima-schutzfinanzierung eingestellt. Darunter befinden sich400 Millionen Euro im Haushalt des Bundesumwelt-ministeriums . Ab 2020 soll diese Summe auf insgesamt4 Milliarden Euro nahezu verdoppelt werden .Insgesamt möchte Deutschland jährlich rund 10 Pro-zent der Entwicklungs- und Schwellenländern zugesag-ten 100 Milliarden US-Dollar tragen . Mit diesem fairenAnteil wird Deutschland seiner Verantwortung gerecht .
Ich danke hier vor allem unserer Bundesumweltministe-rin, die in zähen Verhandlungen im Vorfeld des Treffensin Paris zu einem großen Durchbruch beitragen wird,sodass die Klimaverhandlungen zu einem guten Erfolggeführt werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als zweiten Punktmöchte ich darauf eingehen, welche Erfolge wir in die-sen Haushaltsberatungen im Bereich der Wohnungsbau-politik erzielen konnten . Wir wissen: Wir brauchen mehrbezahlbaren Wohnraum für alle . Dem folgen wir mit ei-ner Aufstockung der sozialen Wohnraumförderung um500 Millionen Euro jährlich, und das im Zeitraum 2016bis 2019, wie es bereits der Bund-Länder-Gipfel am24 . September 2015 beschlossen hat . Vor allem in denBallungszentren wird der Bedarf an sozialem Wohnraumgewaltig sein . Mindestens 350 000 neue Wohnungenwerden jährlich vor allem im preisgünstigen Segment be-nötigt . Wichtig ist, dass wir nicht speziell für Flüchtlingeneu bauen wollen; dies würde dem Integrationsgedan-ken zuwiderlaufen . Nein, wir benötigen in angespanntenWohnungsmärkten generell preisgünstigen Wohnraumfür Familien mit geringem Einkommen, für Alleinerzie-hende, aber auch für Rentnerinnen und Rentner sowie na-türlich für Flüchtlinge, von denen sich viele in Deutsch-land eine neue Heimat aufbauen werden .Nicht nur für die Beseitigung des Mangels an Wohn-raum, sondern auch mit Blick auf die Auswirkungendes demografischen Wandels auf dem Wohnungsmarktbringt der Haushalt 2016 mehr Geld auf . Im Jahr 2016stehen nun 50 Millionen Euro für Maßnahmen zum al-tersgerechten und behindertengerechten Umbau zur Ver-fügung . Bislang standen hierfür 27 Millionen Euro zurVerfügung . Wir haben gerade für den altersgerechtenUmbau die Summe um 23 Millionen Euro aufgestockt,und das ist gutangelegtes Geld .
Wir setzen uns dafür ein, dass ältere Menschen mög-lichst lange und selbstbestimmt in ihrem Zuhause bleibenkönnen . Deshalb ist die Erhöhung der Mittel ein großerErfolg, meine Damen und Herren . Wir brauchen mehrsozialen und altersgerechten Wohnraum sowie bezahlba-ren Wohnraum für alle . Hierfür macht sich die SPD stark .Sie kann in dieser Wahlperiode im Vergleich zur Vorgän-gerregierung ersichtliche Erfolge vorweisen .
Wir haben in dieser Hinsicht bereits vieles angepackt undumgesetzt . Darauf können wir stolz sein, und das sindwir auch .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Woche gingzu unser aller Freude endlich das neue Investitionspro-gramm des Bundes zum Einbruchschutz, für das 30 Mil-lionen Euro zur Verfügung gestellt werden, an den Start .Das Interesse an dem Programm hat alle unsere Erwar-tungen übertroffen . Das Bedürfnis der Bürgerinnen undBürger, Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, ist sehrhoch . Grund dafür ist der starke Anstieg der Zahl derWohnungseinbrüche in den letzten Jahren . Im Jahr 2014verzeichneten wir bundesweit 150 000 Einbrüche dieser
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Art und damit den höchsten Wert seit 16 Jahren . MeineFraktion hat daher an einer Fördermöglichkeit gearbeitet,die möglichst vielen Menschen zugutekommt . Es gehtdarum, bereits durch geringe Investitionen, zum BeispielNachrüstungen bei Fenstern und Türen, das Sicherheits-gefühl der Bürgerinnen und Bürger zu steigern .Mein Fazit: Mit diesen Haushaltsberatungen habenwir einen guten und sehr soliden Weg beschritten . Wirhaben die Bedarfe der gesamten Gesellschaft in denBlick genommen und nicht nur einzelne herausgegriffen .Ich glaube, der Haushalt für das Jahr 2016 im Bereich derUmwelt- und Baupolitik unseres Landes kann als sehrvernünftig und gelungen bezeichnet werden .Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn, Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Lemme hat eben schon darauf hingewiesen: In we-nigen Tagen startet die Klimakonferenz . – Auf dieser Kli-makonferenz wird es darum gehen, dass wir einen Ver-trag schließen, der dafür sorgt, dass auch unsere Kinderund Enkelkinder noch auf diesem Planeten leben können .Dass wir ihnen die Lebensgrundlage bewahren, darumgeht es bei diesem Vertrag .
Wenn wir das nicht machen, wenn wir nicht dafür sor-gen, dass zum Beispiel die Menschen im Tschad, wo dieTemperaturen schon jetzt 50 Grad betragen, nicht nochmehr in Probleme kommen, wenn wir nicht dafür sorgen,dass die Menschen auf den Philippinen nicht noch mehrmit Überschwemmungen konfrontiert werden, dann wer-den diese Menschen zu uns kommen . Was das bedeutet,haben uns die Flüchtlinge, die in den letzten Monaten ge-kommen sind, deutlich gemacht . Das heißt, es geht hierauch um vorbeugende Politik . Es geht darum, dass wirhier in Deutschland Klimaschutz machen . Es geht darum,dass wir auf dieser Erde dieses Problem gemeinsam an-gehen . Wir dürfen nicht sagen: Die anderen sollen mehrtun als wir .
Dass wir als Delegation des Deutschen Bundestageszu dieser Klimakonferenz fahren und dort auch mit denanderen Kollegen diskutieren können – es ist übrigensTradition bei den Klimapolitikern, die Ziele, die wir inDeutschland beschlossen haben, etwa den Ausstieg ausder Atomkraft, die Energiewende, CO2-Reduktion um40 Prozent bis 2020, gemeinsam, in großer Geschlos-senheit auf den Klimakonferenzen zu vertreten –, habenwir nicht dem Parlament zu verdanken, nicht dem Bun-destagspräsidenten, sondern der Umweltministerin . Sienimmt uns mit in ihrer Delegation . Dafür bedanke ichmich gerade auch als Ausschussvorsitzende sehr herz-lich; denn ich glaube, dass wir für Deutschland damiteiniges erreichen können .
Nun ist Politik immer auch Symbolpolitik . Symbolesind ein ganz wichtiger Teil der Politik . Deshalb hat micheines geärgert, nämlich: Wir haben als Umweltausschussin der Gemeinsamkeit, die ich beschrieben habe, im Rah-men der Großen Koalition von 2005 vorgeschlagen, dassdie Flugreisen und die Fahrten mit dem Fuhrpark, diewir machen, CO2-kompensiert werden . Das ist damalsgeschehen, und das war eine gute Sache . Schwarz-Gelbhat die Kompensation abgeschafft, deshalb haben wirvor anderthalb Jahren erneut einen Vorstoß gemacht . DieUmweltministerin hat ihn umgesetzt . Die Bundesregie-rung wird – das ist der Ansatz in diesem Haushalt – ihreFlugreisen und Fahrten kompensieren . Die Haushälterder Großen Koalition haben das ihren Klimapolitikern je-doch versagt . In diesem Jahr wie im letzten Jahr werdenwir die absurde Situation haben, dass wir beschließen:Die Bundesregierung darf kompensieren, aber die Abge-ordneten dürfen es nicht. Das finde ich wirklich kleinlich,peinlich und auch sehr provinziell .
Warum sage ich das? Weil das aus meiner Sicht dasschlechte Ende eines verlorenen Jahres für den Klima-schutz ist . Im letzten Jahr ist hier von der Umweltminis-terin ein Plan vorgestellt worden,
CO2 zu reduzieren . Jeder muss seinen Beitrag erbringen,auch die Energiewirtschaft, die 40 Prozent des CO2-Aus-stoßes verursacht . Und was ist passiert? Am Ende gabes keine Abgabe für Braunkohlenkraftwerke, weil geradeCDUler sich an die Spitze der Bewegung für die Braun-kohle gestellt haben . Das war wirklich peinlich, meineDamen und Herren . Jetzt haben wir eine Subvention fürBraunkohle und eine Blockade bei der Photovoltaik .
Das ist wirklich das Gegenteil von Klimaschutz .Gehen wir doch einmal andere Bereiche durch . Wirwaren in der Vergangenheit nicht nur Vorreiter beim Kli-maschutz, sondern wir waren es auch im Umweltbereich .Betrachten wir einmal die Sustainable Development Goals, bei denen wir in der Gesamtheit als Deutsche garnicht so schlecht dastehen . In den Umweltpunkten stehenwir mittlerweile aber ganz weit hinten . Da sind wir unterden letzten 15 Prozent der OECD-Länder, gleichauf mitUngarn . Herzlichen Glückwunsch!
: Was soll denn
das heißen?)Steffen-Claudio Lemme
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Wo sind die Defizite? Sie zeigen sich bei der Luftqua-lität in den Städten . Sie zeigen sich beim Verlust von Ar-tenvielfalt . Sie zeigen sich bei der schlechten Qualität desWassers, bei der Lebensmittelverschwendung und beimAbfall . In diesen Punkten werden die Umweltziele geris-sen . Und woran liegt das im Wesentlichen? Es liegt dar-an, dass diese Bundesregierung zwei wesentliche Fehlermacht . Sie macht eine falsche Landwirtschaftspolitik,und sie macht eine falsche Verkehrspolitik, und das musssich ändern .
Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren beider Nitrat-Richtlinie . Wir haben ein Vertragsverlet-zungsverfahren beim Feinstaub, bei NO2 und auch beider FFH-Richtlinie . NO2 ist ja jetzt gerade durch denVW-Skandal wirklich in den Mittelpunkt gerückt:7 000 Tote allein durch den Ausstoß von NO2 im Diesel –7 000 Tote! –, das leisten wir uns mal . Umweltschutz istGesundheitsschutz, meine Damen und Herren . Auch ausdiesem Grund müssen wir mehr Umweltschutz machen .
Aber auch, was den Klimaschutz angeht, ist der Ver-kehrsbereich weit hintendran . Mittlerweile ist das auchVerbrauchertäuschung . Wenn ein Auto, das man sichheute neu kauft, 40 Prozent mehr Sprit verbraucht, alsauf dem Papier steht, dann ist das Verbrauchertäuschung,und dann ist das auch gegen den Klimaschutz . Das gehtso nicht weiter .
In den letzten fünf Jahren hat es bei den Neuwagenkeine Reduktion von CO2 und keine Steigerung der Ener-gieeffizienz mehr gegeben. Es kann nicht sein, dass dieKreativität der Ingenieure mittlerweile darauf gerichtetist, legal und illegal zu schummeln, und nicht mehr da-rauf, die Energieeffizienz zu verbessern. Das darf in ei-nem Autoland wie Deutschland nicht sein .
Ansonsten gefährden Sie nämlich die Arbeitsplätze ingenau dieser Branche .Ihre eigenen Experten haben Ihnen übrigens in diesemJahr bescheinigt, dass die Erreichung des Ziels, bis 2020den CO2-Ausstoß um 40 Prozent zu reduzieren, erheblichgefährdet ist . Das tun also nicht nur wir, sondern mittler-weile auch Ihre eigenen Experten . Sie unternehmen hiereinfach zu wenig .Das gilt auch für den Gebäudebereich . Wir könn-ten endlich loslegen bei der Gebäudesanierung, indemwir nicht nur die Hülle oder die Dämmung betrachten,sondern reingehen mit erneuerbaren Energien und mitKraft-Wärme-Kopplung und gemeinsame Konzepte fürdie Quartiere entwickeln . Und da wird viel zu wenig ge-tan . Da muss die Große Koalition ran . Es muss auch indiesem Bereich endlich etwas für den Klimaschutz getanwerden .
Wir sehen, dass es zunehmend wieder eine Zuwen-dung zu fossilen Energien gibt . Wir sehen, dass damit dieZukunft der Arbeitsplätze gerade auch im Bereich derErneuerbaren gefährdet wird . Wir sagen auch deshalb:Wir sehen bei der Großen Koalition keinen Mut, sich fürdie Zukunft zu entscheiden . Wir sehen keinen Plan, wieman es schaffen kann, wirklich CO2 zu reduzieren unddie Ziele zu erreichen, die man sich vorgenommen hat .Wir sehen auch kein Herz für die Menschen zum Bei-spiel in Bangladesch, in Afrika und auf den Philippinen,die jetzt schon Opfer des Klimawandels sind und derenLeben und Existenz durch Dürren und Überschwem-mungen gefährdet sind . Haben Sie also mehr Mut, mehrPlan und mehr Herz!Vielen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Josef Rief .
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich darf auch einmal dieSchriftführer und Stenografen begrüßen .
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf derTribüne! Wir müssen, wie ich glaube, wieder zum wich-tigen Thema des heutigen Tages und der ganzen Wochekommen, und das ist der Haushalt für 2016 . Der Haushaltfür 2016 steht . Wir haben es geschafft, ohne Steuerer-höhungen und ohne neue Steuern die schwarze Null zuhalten, und dies trotz der großen Herausforderungen, vordie uns der Flüchtlingsstrom zusätzlich stellt .Keine Neuverschuldung, meine sehr geehrten Damenund Herren, ist kein Selbstzweck . Nur ohne neue Schul-den sind wir gut aufgestellt für die Zukunft und leistenunseren dringend notwendigen Beitrag auch für die Sta-bilität in Europa und in der Welt . Es ist wichtig, dass wirauch in den nächsten Jahren handlungsfähig bleiben .Es ist allen klar, dass die öffentlichen Haushalte auchin den kommenden Jahren bei der Bewältigung der Auf-gaben, die die Flüchtlingskrise mit sich bringen wird,viel zu stemmen haben werden . Ich begrüße es dahersehr, dass wir jetzt Maßnahmen umsetzen, um den Zu-strom und den Familiennachzug zu begrenzen, und auchnachhaltig mit der Zurückführung von Menschen ohneBleibeperspektive begonnen haben . Zuwanderung in diePerspektivlosigkeit löst keine Probleme, sondern ver-stärkt Probleme!In meinem Heimatland Baden-Württemberg läuftdie Rückführung nur sehr schleppend . Man kann diegrün-rote Landesregierung nur immer wieder auffordern,Bärbel Höhn
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sich in Sachen Rückführung ein Beispiel etwa am Saar-land zu nehmen .
In meinem Wahlkreis wurden in den ersten neun Mona-ten dieses Jahres trotz eines hohen Anteils von Flücht-lingen aus dem Balkan gerade einmal 14 Abschiebungendurchgeführt . Das ist einfach nicht akzeptabel .
Der Platz wird für die nach dem Asylrecht hilfebedürfti-gen Bürgerkriegsflüchtlinge gebraucht.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit, speziell der Baubereich,trägt einen ordentlichen Anteil der Bemühungen, mit derFlüchtlingsunterbringung fertigzuwerden . Wir investie-ren über 1 Milliarde Euro in den sozialen Wohnungsbau .Wir verdoppeln einfach einmal die Summe, die wir denBundesländern dafür geben .
Wir müssen damit einerseits Unterstützung leisten beider Unterbringung der Menschen, die zu uns kommen,aber auch dafür sorgen – das wurde vorhin schon ange-sprochen –, dass unsere Bevölkerung weiter bezahlbarenWohnraum findet, und zwar dort, wo sie ihn wünscht.Ansonsten vervielfältigen sich unsere Probleme .Ein wichtiger Punkt bei den Ausgaben für den sozi-alen Wohnungsbau ist aber die Verwendung der Mitteldurch die Länder . Ich hatte es schon in meiner Rede zuBeginn dieser Haushaltsberatungen gesagt: Was wir alsBund an die Länder sozusagen zweckgebunden überwei-sen, muss auch für den sozialen Wohnungsbau eingesetztwerden und darf nicht in anderen Projekten oder im all-gemeinen Haushalt der Länder versickern . Da haben wirin der Vergangenheit schon öfter klebrige Finger erlebt .
In dieser Situation aber wird für den sozialen Wohnungs-bau, wie ich glaube, jeder Euro gebraucht .Meine Damen und Herren, der Druck auf den Woh-nungsmarkt in beliebten Gebieten ist da . Ich hätte mirgewünscht, dass wir auch wieder mehr für Bürgerinnenund Bürger tun, die sich mit ihrer Familie eigenen Wohn-raum schaffen wollen . Wir sollten in der Zukunft übereine Förderung für Erwerber von Eigentumswohnungenund Häuslebauer mit Kindern nachdenken .
Das würde auch zur Entspannung auf dem Wohnungs-markt beitragen und würde den Familien in unseremLand helfen, die Unterstützung dringend nötig haben .Der Baubereich des Einzelplans 16 wird im kommen-den Jahr eine deutliche Erhöhung erfahren . Insgesamtwerden wir hier etwas mehr als 2,8 Milliarden Euroausgeben . Neben der genannten Erhöhung der Kompen-sationszahlungen an die Länder für den sozialen Woh-nungsbau ist auch die Wohngeldreform einer der Gründefür die deutliche Erhöhung des Budgets . 2016 werdenwir immerhin – Kollege Lemme hat es schon gesagt –730 Millionen Euro für das Wohngeld ausgeben . Wirhaben im Koalitionsvertrag die Reform des Wohngeldesbeschlossen . Wir haben Wort gehalten und stellen jetztdie entsprechenden Mittel zur Verfügung . Wir wollen da-mit für eine wirtschaftliche Absicherung von angemesse-nem, familiengerechtem und besserem Wohnen sorgen,gerade auch für Menschen mit geringerem Einkommen .Aber auch der Programmhaushalt erfährt einen deut-lichen Aufwuchs . Beim Bundesförderprogramm „Alters-gerecht umbauen“ haben wir wegen der starken Nach-frage die Mittel für dieses und die kommenden Jahre um23,5 Millionen Euro auf insgesamt 37,5 Millionen Euroerhöht . Altersgerechter Wohnraum gewinnt in Anbe-tracht unserer derzeitigen demografischen Entwicklungimmer mehr an Bedeutung . Wir sollten es unterstützen,dass Menschen ein Leben in den eigenen vier Wändenermöglicht wird, solange es geht . Heimat geben und er-halten ist für das Wohlfühlen gerade älterer Menschenwichtig .Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit demgerade gestarteten Programm zur Kriminalitätsbekämp-fung durch Einbruchschutz wollen wir dem gestiegenenBedarf am Schutz vor Einbrüchen Rechnung tragen . Da-für haben wir für die Jahre 2015, 2016 und 2017 jeweils10 Millionen Euro bereitgestellt . Die 30 Millionen Euro,die Eigentümern und Mietern zur Verfügung stehen, wer-den einen vernünftigen Beitrag leisten, bestehende Ge-bäude sicherer zu machen, wobei – das darf ich mir her-ausnehmen – ich mir eine noch detailliertere Förderunggewünscht hätte . Ich hoffe, die Förderung kommt bei denMenschen an . Ich erbitte rechtzeitig einen Bericht überdas Antragsaufkommen, damit wir gegebenenfalls nach-steuern können .Auch 2016 fördern wir wieder Städtebauprojekte mitbesonderer nationaler Wahrnehmbarkeit und Qualität .Dabei nehmen wir uns in der Fläche viele Projekte vor,die einerseits durch ihre Bedeutung oder andererseitsdurch ihr überdurchschnittliches Investitionsvolumenund hohes Innovationspotenzial auffallen .Beim Berliner Stadtschloss hält die Koalition Wortund wird weiter den vereinbarten Beitrag leisten . Imkommenden Jahr werden 91 Millionen Euro des Bun-desanteils verplant, damit die Baustelle weiter so gutim Zeitplan vorankommt und es bei den veranschlagtenBaukosten bleibt .
Josef Rief
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Wir alle wissen: Es ist in Berlin und Umgebung nichtimmer so, dass man bei den Baukosten und Zeitplänenbleibt .
Neben den genannten Programmen gibt es viele wei-tere Titel zur Städtebauförderung, die ich nicht im Ein-zelnen aufzählen will . Auch mit diesem Haushalt bleibtder Städtebau einer der bedeutendsten Eckpfeiler unsererStadtentwicklungspolitik . Städtebauförderung ist immerauch ein kleines Konjunkturprogramm für Handwerk undDienstleistung vor Ort . Sie wirkt sich in jeder Gemeinde,in jeder Stadt und in jedem Landkreis aus . Ohne sie wä-ren so manche Vorhaben nicht zu realisieren . Ich glaube,das ist eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben,die wir als Bund in Zukunft leisten können und leistenmüssen . Darum heißt es für die Koalition, weiter in die-sem Bereich zu investieren, um das Leben und Wohnenin Deutschland noch bedarfsgerechter, umweltfreundli-cher, ja noch schöner werden zu lassen . Dem trägt dieserHaushalt Rechnung .Zum Schluss möchte ich mich noch bei sehr vielen be-danken: erst einmal bei Ihnen, Frau Ministerin Hendricks,und Ihrem Haus für die gute und vertrauensvolle Zusam-menarbeit bei der Bearbeitung dieses Einzelplans, eben-falls bei den Berichterstattern aller Fraktionen, auch beiden Mitarbeitern der Fraktionen und des Haushaltsaus-schusses dafür, dass sie die schnelle Abarbeitung in denlangen Sitzungen erst möglich gemacht haben,
nicht zuletzt aber auch beim Bundesfinanzministerium,bei Minister Wolfgang Schäuble und den Staatssekretä-ren Jens Spahn und Michael Meister, für ihre Arbeit .Nun steht das Gemeinschaftswerk – mit einer schwar-zen Null, ohne neue Steuern, ohne neue Schulden und mitvielen Maßnahmen, die unser Land nach vorne bringen .Herzlichen Dank .
Für die Bundesregierung spricht jetzt die Bundesmi-nisterin Dr . Barbara Hendricks .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn wir über den Bundeshaushalt sprechen, dann gehtes natürlich um Geld; aber es geht eben auch nicht aus-schließlich um Geld . Nach den unmenschlichen Terro-rakten in Paris wissen wir umso mehr, dass es auch umden Schutz unserer freiheitlichen und toleranten Gesell-schaft geht . Es geht um die Sicherheit, den Schutz unddie Würde der Menschen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, in wenigen Tagenwerden die Delegationen aus buchstäblich allen Län-dern der Welt zur Weltklimakonferenz nach Paris fahren .Für mich ist das, gerade nach den Anschlägen, aus zweiGründen ein ganz besonderes Ereignis: erstens, weil wirmit der ganzen Solidarität der Staatengemeinschaft nachFrankreich kommen werden: Wir werden zeigen, dasswir nicht gewillt sind, wegen des Terrors zurückzuwei-chen und auf diese wichtige internationale Konferenz zuverzichten .
Zweitens wird die Konferenz zeigen, dass die Staaten-gemeinschaft entschlossen ist, den Klimawandel zu be-grenzen und unsere Welt als einen lebenswerten Ort fürkünftige Generationen zu gestalten . Ja, Klimapolitik istFriedenspolitik . Sie, Frau Kollegin Höhn, haben ganzzu Recht darauf hingewiesen, welche Dimension dieKlimapolitik über den engeren naturwissenschaftlichenAnsatz hinaus hat .Das muss also die Botschaft sein, die von der Kli-makonferenz ausgeht, und es ist noch ein Grund mehr,warum wir erfolgreich sein müssen . Ich werde mit derdeutschen Delegation am Samstag mit dem Zug nach Pa-ris fahren, und in der kommenden Woche habe ich danndie Freude und Ehre, dem Deutschen Bundestag in einerRegierungserklärung die Position der Bundesregierungausführlich darzulegen .Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund jetzt zu demanderen Schwerpunkt der Verantwortlichkeiten meinesHauses kommen . Die auffälligste Veränderung im Ein-zelplan 16 für die Bereiche Umwelt, Naturschutz, Bauund Reaktorsicherheit sind die zusätzlichen 500 Mil-lionen Euro, die der Bund den Ländern für die sozialeWohnraumförderung zur Verfügung stellt . Praktisch istdas der Wiedereinstieg des Bundes in den sozialen Woh-nungsbau . Nach vielen Jahren, in denen das Engagementund die Finanzmittel zurückgefahren wurden, ist dieseVerdopplung der sogenannten Kompensationsmittel dererste große Schritt hin zu einer Trendwende .
Es gab in der Vergangenheit sicherlich durchaus Grün-de dafür, dass der Wohnungsbau in Deutschland an Be-deutung verloren hatte. Die demografische Entwicklungund der in manchen Regionen erhebliche Leerstand sindnur zwei dieser Gründe . Daraus hat die Föderalismus-kommission 2006 die Konsequenz gezogen, die Zustän-digkeit für den Wohnungsbau vollständig auf die Länderzu übertragen . Das ist die Rechtslage, mit der wir es auchheute noch zu tun haben .
Der Bund hat sich damals für eine Übergangszeit zuKompensationszahlungen verpflichtet.Josef Rief
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Nicht einmal zehn Jahre nach dieser Entscheidungzeigt sich, wie wir sehen, ein völlig anderes Bild: DieGroßstädte, Universitätsstädte und Ballungsräume er-leben einen boomenden Zuzug . Forscher sprechen vonSchwarmstädten, die mit ihrer Attraktivität viele Men-schen anziehen, obgleich dort der Wohnraum knapp ist .Gleichzeitig steigt der Pro-Kopf-Anspruch an die Wohn-fläche. Die Folgen sind rasant steigende Mieten und Prei-se .Die demografische Entwicklung wirkt auch, aber aufandere Weise als erwartet: Sie steigert die Nachfragenach altersgerechten, barrierefreien Wohnungen . Davongibt es noch eindeutig zu wenig . Es ist in den vergange-nen Jahren ein massiver Nachholbedarf entstanden, ins-besondere im sozialen, bezahlbaren Wohnungsbau . DieseWohnungslücke ist nicht auf einzelne Städte oder Regio-nen beschränkt, sondern sie ist bundesweit sichtbar . Des-halb besteht für den Bund hier Handlungsbedarf . Dieserwird in den kommenden Jahren noch weiter anwachsen,wenn neben vielen anderen eine bezahlbare WohnungSuchenden auch viele Flüchtlinge und Asylbewerber mitBleiberecht eine Wohnung suchen werden .Nach den aktuellen Prognosen benötigen wir deutsch-landweit jährlich insgesamt mindestens 350 000 neueWohnungen . Hier sind auch jene Wohnungen miteinge-rechnet, die sich Menschen als Eigenheime oder Eigen-tumswohnungen errichten . Die Aufstockung der Kom-pensationsmittel kann deshalb nur ein erster Schritt sein .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will deutlich ma-chen, dass der Bund nicht nur mehr für den Wohnungsbautun muss, sondern auch tun will . Die Bundesregierungund das Bundesbauministerium haben in dieser Legis-laturperiode bereits viele Initiativen zur Stärkung desWohnungsbaus unternommen . Ich habe das Bündnis fürbezahlbares Wohnen und Bauen initiiert, das neben denvielen Bündnissen auf Länder- und kommunaler Ebeneeinen entsprechenden Beitrag leistet . Am Freitag dieserWoche findet ein sogenanntes Spitzengespräch im Rah-men dieses Bündnisses statt, bei dem wir die Ergebnisseder Kommission und den Abschlussbericht beraten .Allein die Baukostensenkungskommission hat über60 Vorschläge für kostengünstiges Bauen erarbeitet .Denn auch das ist wichtig: Wir müssen nicht nur mehrbauen, sondern auch darüber entscheiden, in welcherQualität und zu welchen Kosten gebaut werden soll . Da-für hat das Bündnis eine ganz wichtige Arbeit geleistet .Bund, Länder und Kommunen müssen prüfen, welcheAnforderungen vereinheitlicht werden können und obvielleicht die eine oder andere Vorschrift auch verzicht-bar ist .
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Claus?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ja, gern .
Frau Ministerin, da Sie gerade auf die vielen Verän-derungen in Ihrem Etat hinweisen, die wir im Haushalts-ausschuss weitgehend unterstützt haben: Haben Sie eineErklärung dafür, warum die Spitze des Finanzministeri-ums dieser Debatte gegenwärtig nicht folgt?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege, ich bin zuversichtlich, dass die Spitzedes Finanzministeriums multitaskingfähig ist, also imBüro sitzt und zugleich Fernsehen guckt .
Im Zusammenhang mit der Errichtung von Erst- undNotunterkünften für Flüchtlinge haben wir im Baurechtbereits viele Erleichterungen geschaffen und damitHandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wohnungsbauin Deutschland ist in Bewegung gekommen . Wir lassendie Menschen, die auf bezahlbaren Wohnraum ange-wiesen sind, nicht allein . Mein Ziel ist, dass genügendWohnraum zur Verfügung gestellt werden kann . Wir ha-ben mit Mietpreisbremse und Wohngelderhöhung bereitswichtige flankierende Maßnahmen umgesetzt. Der Woh-nungsbau ist wieder zu einem zentralen gesellschaftspo-litischen Thema geworden .
Mit den gesellschaftlichen Veränderungen verändernsich natürlich auch unsere Städte . Wir investieren mitden Programmen der Städtebauförderung in benachtei-ligte Quartiere und in deren bauliche Infrastruktur . Mitder deutlichen Aufstockung der Mittel für die Städte-bauförderung und das Programm „Soziale Stadt“ in die-ser Legislaturperiode unterstützen wir den sozialen Zu-sammenhalt, die Nachbarschaften und die Integration inden Quartieren, und zwar für alle dort Lebenden .Mit dem Programm „Bildung, Wirtschaft, Arbeit imQuartier“, BIWAQ, haben wir bereits ein Programm, dasden sozialen Zusammenhalt und die Integration in den„Soziale Stadt“-Gebieten fördert . Wir sind damit auf diewachsenden Integrationsaufgaben infolge des Flücht-lingszuzugs eingestellt; freilich ohne heute schon sagenzu können, ob die Mittel langfristig dafür ausreichenwerden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Klimakonferenzin Paris und der Wohnungsbau sind Themen, die derzeitzu Recht große Aufmerksamkeit erfahren . Dieser aktuel-le Fokus soll den Stellenwert der vielen anderen Themendes Einzelplans 16 aber nicht schmälern . Ein Beispielsind die zusätzlichen Mittel für das BundesprogrammBiologische Vielfalt . Ich habe vor wenigen Wochen mitBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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der Naturschutz-Offensive 2020 ein Maßnahmenpa-ket vorgestellt, mit dem Deutschland seine Ziele beimSchutz der biologischen Vielfalt noch erreichen kann;denn wenn die bisherige Entwicklung anhielte, würdenwir unsere Ziele verfehlen .Von Professor Michael Succow, den wir kürzlich alseinen der „Väter“ des DDR-Nationalparkprogramms eh-ren konnten, stammt der Befund – ich zitiere –: „Tag für Tag verliert diese unsere Erde ein Stück ihrerSchönheit, ein Stück ihrer Mannigfaltigkeit . Tag für Tagverliert sie aber auch ein Stück ihrer Tragfähigkeit füruns Menschen .“ Zitat Ende .Mit der Naturschutz-Offensive 2020 stemmen wir unsaktiv gegen den weiteren Verlust .
Ich habe in diesem Zusammenhang die Abschaffung derAgrarsubventionen in ihrer bisherigen Form gefordert .Sie stehen einem erfolgreichen Naturschutz in Deutsch-land und in Europa im Weg .
Stattdessen sollten wir den Landwirten die Leistungenvergüten, die sie für die Natur, für den Naturschutz undfür die Kulturlandschaft erbringen .
– Werben wird schon helfen .
Wir werden das in Europa sowieso frühestens nach 2020grundlegend ändern können .
Aber wir werden den Anpassungsmechanismus imJahr 2016 nutzen, um Finanzmittel von der ersten Säulein die zweite Säule zu verschieben .
Ich bitte schon jetzt alle Kolleginnen und Kollegen dafürum Unterstützung .
– Europa wird den Rahmen in der Tat erst nach 2020grundsätzlich ändern . Das kann ich leider nicht verhin-dern .Wir haben bekanntlich nur diese eine Erde . Deshalbmüssen wir uns auf ihren Erhalt und ihren Schutz kon-zentrieren . Das ist natürlich kein Schritt zurück, son-dern ein Schritt nach vorne . Viele Umwelttechnologienund Innovationen kommen aus unserem Land . Mit demHaushalt 2016 wollen wir zum Beispiel eine neue Expor-tinitiative starten, um grüne und nachhaltige Infrastruk-turen besser zu verbreiten . Das ist gut für die Einsatzorteund gut für unsere Wirtschaft . In jedem Fall sind Ökono-mie und Ökologie – das haben wir längst nachgewiesen –keine Gegensätze, sondern sie können nur zusammen er-folgreich sein .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchtemich bei allen Mitgliedern des Ausschusses und bei denBerichterstatterinnen und Berichterstattern bedanken .Der Einzelplan 16 wird seinem Anspruch, zum Wohl al-ler Menschen in Deutschland beizutragen, gerecht .Herzlichen Dank .
Als Nächster spricht der Kollege Hubertus Zdebel von
der Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! FrauMinisterin Hendricks, Sie haben in einer langen Redezwei Themen meines Erachtens überhaupt nicht erwähnt .Zum einen haben Sie das ganze Thema Fracking-Gesetz-gebung, das aus der öffentlichen Wahrnehmung fast ver-schwunden ist, nicht angesprochen . Es hat mich verwun-dert, dass Sie darauf jetzt überhaupt nicht eingegangensind . Das zweite Thema, das ich schmerzhaft vermissthabe, ist die Atompolitik . Insbesondere verwundert esmich, dass Sie die Auseinandersetzungen über die soge-nannten Atomrückstellungen, die uns alle sehr stark be-wegen, nicht angesprochen haben .Jahrzehntelang wurde der Atomstrom als Billigstromangepriesen . Das war damals schon eine Lüge . Heuteblickt man auf die wachsenden Atommüllberge und dieenormen Risiken für Mensch und Umwelt, die für 1 Mil-lion Jahre mit dieser größenwahnsinnigen Technologieverbunden sind . Einst nutzte die Atomindustrie die Gru-be Asse im Südosten Niedersachsens als billige Müllkip-pe . Die dort vor Jahrzehnten eingelagerten rund 126 000Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll rostenin der einsturzgefährdeten Anlage vor sich hin . Weil derSalzstock Asse zudem mit Wasser vollzulaufen droht,wird seit einigen Jahren versucht, den Atommüll zu ber-gen . Ob das gelingt, weiß im Moment niemand .Allein die Asse und die ebenfalls marode MüllkippeMorsleben bei Magdeburg kosten die Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler nach derzeitiger Schätzung rund7,5 Milliarden Euro .
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Dieser Betrag wird derzeit auch für das AtommülllagerSchacht Konrad eingeplant, ein Lager, bei dem fraglichist, ob es je in Betrieb gehen wird . Ich war vor einigenWochen in Salzgitter und habe mich dort mit dem Ober-bürgermeister der Stadt, Herrn Klingebiel von der CDU,unterhalten . Er würde sich sicherlich sehr freuen, wennauch Angehörige der anderen Fraktionen in diesem Hau-se, insbesondere der CDU/CSU-Fraktion, einmal nachSalzgitter fahren würden, um sich mit ihm darüber zu un-terhalten, was genau mit Schacht Konrad los ist .
Für den ebenfalls völlig ungeeigneten und verbrann-ten Standort Gorleben waren einmal rund 7,7 MilliardenEuro geplant . Bis ein Ersatzstandort gefunden ist, wirdman für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle sicherbei mindestens 10 Milliarden Euro angekommen sein .Die Linke fordert, die schwer konflikt- und mängelbe-lasteten Projekte Schacht Konrad und Gorleben endlichaufzugeben und die Mittel für diese Projekte sowie fürden Salzgitter-Fonds ersatzlos zu streichen .
Die Endlagersuche für Atommüll läuft, wie Sie wis-sen, im Moment in der Endlagersuchkommission . DieLinke fordert eine finanzielle Stärkung des Standortaus-wahlverfahrens für die dauerhafte Lagerung des Atom-mülls .38 Milliarden Euro sollen die Atomkonzerne für Rück-bau und Lagerung von Atommüll zurückgestellt haben .Selbst die Gutachter der Bundesregierung warnen aber,dass keinesfalls sicher ist, dass dieses Geld tatsächlichzur Verfügung steht . Selbst wenn es zur Verfügung stün-de, würde es wohl nicht ausreichen . Die Kosten werden jaschon heute auf 70 bis 80 Milliarden Euro geschätzt . DieAtomkonzerne, die lange Jahre fette Gewinne gemachthaben, versuchen mit allen Tricks, sich aus der Kosten-verantwortung für ihre strahlenden Hinterlassenschaftenzu verabschieden. Wir wollen die Schlupflöcher schlie-ßen, mit denen sich die Konzerne durch Abspaltungenoder Bad-Bank-Ausgliederungen vor der Finanzierungder Atommüllkosten drücken wollen .
Deshalb fordern wir, dass noch in diesem Jahr der vonder Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Rück-bau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetzes ver-abschiedet wird .
Danach sieht es aber im Moment nicht aus . Das könntefür die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler noch richtigteuer werden .Gestern fand im Wirtschaftsausschuss die Anhörungzum Gesetzentwurf der Bundesregierung statt . Was dortablief, war schon sehr skurril . Ich hatte die ganze Zeitden Eindruck, die Opposition, also Linke und Grüne,verteidigt den Gesetzentwurf der Bundesregierung mehr,als es insbesondere die CDU/CSU gestern getan hat .
Ich hatte den Eindruck, Sie wollen dieses Gesetz diesesJahr nicht mehr verabschieden, obwohl die Bundesregie-rung ausdrücklich vor den Risiken gewarnt hat, die damitHand in Hand gehen . Wir fordern Sie auf, hier endlicheinmal klar Stellung zu der Frage zu beziehen, ob daswirklich so ist . Wir sind der Meinung: Der Gesetzent-wurf muss noch dieses Jahr verabschiedet werden, umdie Risiken für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerzu minimieren .
Ich sage bewusst „minimieren“; denn die Bundes-regierung hat immer wieder demonstriert, dass sie denStromkonzernen zum Schaden der Umwelt und derBürgerinnen und Bürger unter die Arme greift, wenn eseng wird . Wir haben das ja auch gerade im Bereich derBraunkohle erlebt. Für klimaschädliche und überflüssigeUraltkraftwerke bekommen die Konzerne auf Kosten derprivaten Stromkunden eine Abwrackprämie in Höhe von1,6 Milliarden Euro . Das ist in unseren Augen eine uner-laubte Subvention .Ähnlich kreative Modelle der Kostenverlagerung wer-den wir dann vermutlich im Frühjahr hier zu behandelnhaben, wenn die neue Kommission zur Überprüfung derFinanzierung des Kernenergieausstiegs ihren Berichtvorlegen wird . Dass die Bundesregierung diese Kom-mission, in der die Linke nicht einmal vertreten ist, ein-gesetzt hat, spottet jedes Demokratieverständnisses undist kein Zufall . Mit uns ist eine Verlagerung der Kostenfür den Atommüll auf die Bürgerinnen und Bürger nichtzu machen .Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die CDU/CSU spricht jetzt Kollege Dr . Georg
Nüßlein .
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! LiebeKollegen! Sie erwarten jetzt wahrscheinlich, dass ichzunächst etwas zu dem sage, was die Bundesumweltmi-nisterin hinsichtlich der Agrarsubventionen angeregt hat .
Frau Ministerin, das ist ein diskutabler Ansatz . Auch wirwollen, dass unsere Landwirte für das, was sie im Be-Hubertus Zdebel
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reich des Natur- und Umweltschutzes leisten, zusätzlichvergütet werden .
Das ist ein entscheidendes Thema, das wir gemeinsam soverfolgen werden . Das darf aber nicht zulasten unsererLandwirtschaft gehen .
Vielmehr müssen wir den Landwirten die Möglichkeitgeben, sinnvoll und kostenorientiert Lebensmittel zu pro-duzieren, die wir alle benötigen .
– Seien Sie doch ganz friedlich .Ich komme kurz zu dem, was Herr Zdebel gesagt hat .Ich hätte ja nicht gedacht, Herr Kollege, dass Sie ange-sichts dessen, was die Bundesregierung in dem Bereichalles macht, hier versuchen, eine Debatte über Kernener-gie aufzumachen . Sie sind genau informiert – jedenfallsvermute ich das angesichts Ihrer Ausführungen –, welcheKommissionen momentan eingesetzt sind, nämlich so-wohl eine Endlagersuchkommission als auch eine Kom-mission, die Sorge dafür tragen soll, dass die Kosten, diefür die Endlagerung entstehen, am Ende auch von denKonzernen getragen werden . Darum geht es . Das wirddiese Kommission vorbereiten . Die Kommission mussman ernst nehmen, meine Damen und Herren .
Deshalb kann man auch das Ergebnis, das im Übrigenbereits im Februar nächsten Jahres vorliegen wird, wennalles glattläuft, abwarten .Ansonsten war diese Debatte bis jetzt sehr stark andem Thema Wohnungsbau orientiert . Ich halte das fürrichtig . Das ist ein aktuelles, ein wichtiges Thema, dasuns alle umtreibt, auch, aber nicht nur angesichts derFlüchtlingsthematik . Wir werden an der Wohnungspro-blematik relativ schnell erkennen, wo bei der Zuwande-rung die Grenzen des Machbaren sind . Wir werden erle-ben, wo an dieser Stelle die Obergrenze liegt .Es muss uns gelingen, zusätzlichen Wohnraum zuschaffen, nicht nur, wie ich gesagt habe, wegen derFlüchtlinge, sondern auch deshalb, weil Wohnrauman sich in diesem Land schon knapp ist . Einen neuenSchwung beim Wohnungsneubau wünsche ich mir in derTat . Es geht um eine Belebung des Neubaus, nicht nurbei Mietwohnungen – da möchte ich dem Kollegen Riefausdrücklich recht geben –, sondern es geht auch darum,Eigentum zu schaffen . Wir sind da in Deutschland ganzweit hintendran, meine Damen und Herren .
Es muss uns gelingen, den Menschen wieder die Mög-lichkeit zu verschaffen, eigenen Wohnraum zu besitzen .Im Übrigen geht es darum, bezahlbaren Wohnraum zuschaffen . Ich weiß, dass der Spagat im Umweltministe-rium da ein großer sein muss, weil man auf der einenSeite die Umweltthemen – Flächenverbrauch, Energie,Klimaschutz – im Auge haben muss und auf der anderenSeite natürlich den Anspruch hat, so zu bauen, dass esauch rentabel ist . Das ist eine schwierige Aufgabe . Ichglaube aber, wie die Ministerin, dass wir diese Dinge zu-sammenbringen .Ich will ausdrücklich sagen: Es geht eben nicht nur umsozialen Wohnungsbau, aber auch . Dafür hat der Bunddas Notwendige getan . Jetzt sind die Länder am Zug . Icherwarte und hoffe, dass sie mit dem Geld diesmal nichtwieder ihre Haushalte ausgleichen, sondern tatsächlichWohnraum schaffen .
– Die Bayerische Staatsregierung hat das Ihre getan,Herr Kollege Bartol . Sie wissen ganz präzise, dass Siean dieser Stelle gerade die Falschen angreifen . Ich wolltees nicht explizit sagen, weil es nicht nur zu Verzückungführt, wenn man als Bayer die Bayern lobt; das ist ja et-was Eigenlob .
Aber es ist nicht notwendig, hier auf die Bayern einzu-schlagen . Die sind es nicht gewesen, die bisher das Geldfür andere Dinge veruntreut haben .
Wenn man schon über die Kosten und die Länder dis-kutiert, meine Damen und Herren, schauen Sie sich ein-mal die Liste der Länder an, die in letzter Zeit die Grun-derwerbsteuer erhöht haben .
Die sollen nicht zu uns kommen und sagen, sie möchten,dass der Bund einen Beitrag dazu leistet, dass kosten-günstig gebaut werden kann .
Sie sollen selber schauen, wo sie die Kosten dramatischerhöht haben, beispielsweise bei der Grunderwerbsteuer .Auch da sind nicht die Bayern und auch nicht die Sach-sen gemeint, sondern alle die Länder, die das in dieserAusprägung getan haben .Ich habe mich gefreut, dass der Finanzminister heuteMorgen in der Debatte über die Möglichkeiten der steu-erlichen Förderung von Wohnungsbau gesprochen unddeutlich gemacht hat, dass er im Dialog ist, auch mit denLändern . Auch da sind sie aufgerufen, ihren Beitrag zuleisten . Ich sage Ihnen ganz offen: Uns geht es nicht da-Dr. Georg Nüßlein
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rum, nur in Brennpunkten etwas zu tun . Ich halte das füreinen falschen Ansatz .Wir haben in der Tat die Situation – die Ministerinhat sie vorhin beschrieben –, dass sich die Verdichtungin den Ballungsräumen abspielt, dass wir Schwarmstädteund Zuzug bekommen . Das sind ganz schwierige Situa-tionen . Ich glaube, es ist an der Politik, diese Entwick-lung durch politische Beschlüsse nicht noch zu verstär-ken . Vielmehr sollten wir uns vor Augen halten, dass dieAbschreibung in diesem Bereich derzeitig nicht wirklichkostenadäquat ist . Der Wertverlust eines Gebäudes, dasheute viel techniklastiger ist als früher, geht dramatischschneller vonstatten, als es noch vor 30, 40 Jahren derFall war . Deshalb muss man die Abschreibungssätze ausmeiner Sicht der wirtschaftlichen Realität anpassen unddabei auch darauf setzen, dass die Investoren am Schlusswissen, wo es Sinn macht, Wohnungen zu bauen .
Ich gehe davon aus, dass das mehrfach angesprocheneBündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen in seinemAbschlussbericht zu ähnlichen Empfehlungen kommenwird und es uns gelingen wird, die Baukosten in denGriff zu bekommen . Aber auch hier ist nicht nur der Staatgefordert . Auch die Bauherren und Architekten müssensich einmal gemeinsam Gedanken darüber machen, wieman ein bisschen preiswerter bauen kann . Es geht hiereben nicht nur um unsere Auflagen.Ich sage Ihnen auch: Ich habe jetzt verstanden, dasswir das Baurecht mit Blick auf die Flüchtlingssituationändern mussten . Das sind aber Ausnahmeregeln . Ichwäre sehr skeptisch – auch als Umweltpolitiker –, wennwir das zum Generalprinzip erheben würden .Auch ein qualitativ guter und ein etwas exklusivererWohnungsbau schafft am Ende Wohnraum im unterenBereich, weil die Menschen natürlich umziehen und da-durch andere Wohnungen frei werden, wodurch man einegewisse Öffnung erzielt . Ich glaube, das sollten wir be-achten, und wir sollten jetzt nicht von dem einen Extrem,alles zu regeln, was typisch deutsch ist, in das andere Ex-trem verfallen und sagen: Jetzt wird alles offen, die ener-getische Sanierung und der Klimaschutz spielen plötz-lich keine Rolle mehr . – Das würde ich für fatal halten .
Ich habe es angesprochen: Es geht nicht nur um denMietwohnungsbau, sondern auch um das Thema Eigen-tum – Stichwort: Wohnungsbauprämie . Ich bin ganz of-fen für eine Diskussion darüber, ob die Uraltwerte, diehierfür bei der Einkommensgrenze nach wie vor gelten,noch angemessen sind .
Diese wurden im Jahr 1996, also noch im letzten Jahr-tausend, festgelegt . Auch darüber sollte und wird mandiskutieren .Das, was wir im Bereich des altersgerechten Bauensgemacht haben, halte ich für einen guten Ansatz . Es istganz wichtig, hier zu Umstrukturierungen zu kommen .Das passt in der Tat auch in das Gesamtkonzept dieserBundesregierung . Schauen Sie sich an, was im Gesund-heitsbereich gemacht wurde . Dort gab es eine großeReform der Pflegeversicherung, bei der der Grundsatz„Ambulant vor stationär“ nach ganz vorne gestellt wur-de . Nach diesem Ansatz sollen die Leute möglichst langeselbstständig in ihren Wohnungen leben können, auchwenn sie etwas beeinträchtigt sind . Dabei ist natürlichdie Frage, wie man eine solche Wohnung altersgerechtumbauen kann, ganz entscheidend . Ich glaube, dies ist ei-nes der besten Programme, die wir auf der Seite der KfWverankert haben . Es ist richtig, lieber Herr Bartol, dasswir dieses Programm deutlich, nämlich um 23,5 Millio-nen Euro, aufgestockt haben .
Lassen Sie mich etwas zum Thema Klimaschutz sa-gen, das vor der UN-Klimakonferenz in Paris natürlicheine entscheidende Rolle spielt: Ich will ganz klar sagen,dass aus Sicht unserer Fraktion der internationale Klima-schutz entscheidend ist . Die Frage, ob es hier zu einemErfolg oder zu einem Misserfolg kommt, wird internati-onal und nicht national, Frau Höhn, und schon gar nichtdurch Symbolpolitik entschieden .
Wir müssen jetzt endlich einmal haltbare, transparente,umsetzbare und wirklich robuste Regeln bekommen, andie sich am Schluss alle halten . Das halte ich für ganzentscheidend .
Ich würde mich freuen, wenn Sie das auch so sagen wür-den .Wir, die CDU/CSU-Fraktion, setzen jedenfalls auf dieWirksamkeit der Instrumente auf der einen Seite und aufdie Kosteneffizienz auf der anderen Seite. Es geht amSchluss nämlich auch darum, zu zeigen, dass sich Klima-schutz und Wirtschaft nicht widersprechen müssen, son-dern dass beides geht, ökologischer und ökonomischerErfolg, wenn man es richtig macht und nicht so, wie esdie Grünen gerne hätten .
Natürlich komme ich jetzt auch auf den Zusammen-hang zwischen den beiden Themen Bauen und Klima –das haben Sie erwartet – und auf die steuerliche Förde-rung der energetischen Gebäudesanierung zu sprechen .Das ist ein altes Ziel, das immer wieder hart umkämpftund leider Gottes nie erreicht wurde, was in der Tat amWiderstand der Länder liegt . Sie haben nur Reden, aberkein Geld für dieses Thema übrig . Das halte ich fürfalsch .
Dr. Georg Nüßlein
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 138 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 24 . November 2015 13531
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– Ich habe Sie nicht verstanden, aber ich weiß wahr-scheinlich, was Sie zugerufen haben, nämlich „Bayern“ .Wir haben uns damals dagegen eingesetzt,
als ein Tauschgeschäft gemacht werden sollte .
Es wurde nämlich gesagt: Wir fördern die energetischeGebäudesanierung, nehmen dafür aber dem Handwerkbeim Handwerksbonus gegen Schwarzarbeit etwasweg . – Diesen hatten wir vorher sinnvollerweise einge-führt . Er ist präzise berechnet . Hier kann man nichts kür-zen . Das ist ein intelligenter Ansatz, über den man nach-denken muss . Das ist ein bisschen komplizierter .
Wir sagen: Wir machen die Dinge absetzbar, und zwarin dem Ausmaß, dass es keinen Sinn macht und nichtsbringt, dem Kunden die Mehrwertsteuer zu schenken unddafür keine Rechnung zu schreiben . Dieser Bonus ist prä-zise berechnet . Deshalb kann man dieses Tauschgeschäftnicht machen .Wir wollen kein solches Tauschgeschäft, sondern wirwollen, dass sich die Länder zu ihrer Verantwortung be-kennen, nicht nur verbal, sondern auch finanziell.
Man muss auch einmal etwas auf den Tisch legen, wenneinem das Thema sehr wichtig ist, statt zu sagen, manhabe dafür außer guten Worten nichts übrig . Meine Da-men und Herren, das ist erheblich zu wenig .
Anstatt hier so einen Radau zu machen, liebe Damen undHerren von den Grünen,
wäre es sinnvoll, mit den Vertretern der Länder zu reden,in denen Sie Regierungsverantwortung tragen – leiderGottes sind das ein paar –, und denen mitteilen,
dass sie uns bei der Erreichung unserer Klimaschutzzie-le in Schwierigkeiten bringen, wenn sie bei einem derwichtigsten Projekte – ich bleibe dabei: von der Größen-ordnung her ist die energetische Gebäudesanierung einesder wichtigsten Projekte – einfach Nein sagen . Das halteich für falsch .Vielen Dank fürs Zuhören .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die
Kollegin Steffi Lemke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Nüßlein, ich freue mich immer, wenn Siein einer Umweltdebatte reden . Dabei wird nämlich klar,dass es Ihnen nicht um Umweltpolitik oder gar Klima-schutz geht, sondern um ein paar billige Schenkelklopfer .Das sei Ihnen gegönnt . Aber das ist nicht unser Ansatzeiner seriösen und verantwortlichen Politik .
Ich will mit einem Lob an die Bundesministerin an-fangen; das geht relativ schnell .
Zum einen ist es gut, dass zum zweiten Mal in Folge3 Millionen Euro für die Bekämpfung von Wilderei inden Umwelthaushalt eingestellt worden sind . Das gehtauf eine grüne Initiative bzw . auf einen interfraktionel-len Antrag zurück . Dafür möchte ich mich ausdrücklichbedanken .Zum anderen – ich glaube, das ist strategisch wich-tiger – ist es gut, dass die Bundesregierung und dieBundesumweltministerin gegenüber dem Ansinnen derKommission in Brüssel klare Kante gezeigt haben, dieNaturschutz- und Umweltgesetzgebung in einem so-genannten Fitness-Check an Wirtschaftsinteressen an-zupassen . Für die klaren Worte Ihrer Kollegin aus demUmweltministerium am vergangenen Freitag möchte ichmich bedanken . Ich möchte aber gleichzeitig einfordern,dass Sie diese Linie stringent fortsetzen, weil ich nichtglaube, dass in dieser Angelegenheit abschließend ent-schieden ist und die Naturschutzrichtlinien der EU unan-getastet bleiben sollen . – Das war das Lob .Ich will zu den großen Herausforderungen oder auchKrisen kommen: erstens die Klimakrise, zweitens dasArtensterben und drittens das Thema Fluchtursachen .Wir haben aus ausreichend vielen Studien Belege dafür,dass vier von neun planetaren Grenzen bereits überschrit-ten worden sind . Der erste Punkt ist die Klimakrise . InParis werden wir über das 2-Grad-Ziel verhandeln .Ich finde es gut, dass es heute Morgen für diese Kli-maverhandlungen ein sehr positives Zeichen gegebenhat . Hier wird in die Tat umgesetzt, was Herr Nüßleinnur verbal einfordert: Die Allianz-Versicherung hat er-klärt, dass sie sich aus dem Kohleinvestment zurückzie-hen wird .
Das ist zwar nicht ganz die reine Lehre, aber immerhin .Damit geht die Allianz-Versicherung weit über das hi-naus, was die Bundesregierung an ökologischem undökonomischem Sachverstand an den Tag legt . Die Bun-desregierung schafft es nicht einmal, bei der KfW-Finan-zierung wenigstens etwas Ähnliches zu beschließen .
Dr. Georg Nüßlein
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Ich will mich zunächst auf die zweite große Krisekonzentrieren, von der ich finde, dass die Naturschutz-ministerin sie wirklich unterbeleuchtet, nämlich dasArtensterben . Wir wissen auch wiederum aus vielenStudien Ihres Hauses, vom Bundesamt für Naturschutzund vom Umweltbundesamt, dass ein Drittel unserer Ar-ten gefährdet oder bereits ausgestorben ist . Ein Drittel!Etwa 30 Prozent der Arten sind weg oder fast weg . FrauHendricks, Ihre Antwort auf diese riesengroße Aufgabeist eine Naturschutzoffensive in Form einer Hochglanz-broschüre . Sie ist zwar auf Ökopapier gedruckt; das istgut . Aber es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie sichhierhinstellen und sagen: Werbung wird schon helfen . –Das ist hanebüchen .
Wir erwarten von Ihnen klare Maßnahmen und nichtnur ein Versprechen für die Zeit nach Ihrer Amtszeit . Sieschlagen für die nächsten Verhandlungen für die Gemein-same Agrarpolitik vor, die Agrarsubventionen zu redu-zieren . Das ist lange nach 2020 . Ihre Aufgabe ist es, dieBiodiversitätsstrategie, die unter Herrn Gabriel beschlos-sen worden ist, umzusetzen . Das heißt, das Artensterbenbis 2020 zu stoppen . Dafür haben Sie noch genau zweiJahre Zeit, bis die Legislaturperiode zu Ende ist . Dannwerden die Karten, wie bekannt, neu gemischt . Mit einerBroschüre werden Sie da definitiv nicht weiterkommenDer WDR hat heute Morgen berichtet, dass dieEU-Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfah-ren wegen Nichtumsetzung der Wasserrahmenrichtlinieeinleiten will, weil viel zu viel Nitratdünger auf unse-re Felder kommt, was dazu führt, dass zu viel Nitrat inunserem Wasser ist . Dadurch wird die Natur vernichtetbzw . das Artensterben massiv befördert . Bei der Dün-gegesetzgebung jedoch haben Sie nichts, aber auch garnichts erreicht . Darum wird die Broschüre schlicht undeinfach nicht helfen, sondern nur eine traurige Bilanzhinterlassen .
Ich komme zum zweiten Punkt beim Naturschutz,zum Abbau umweltschädlicher Subventionen . WiederumIhr eigenes Haus, das Umweltbundesamt, beziffert dieumweltschädlichen Investitionen in Deutschland auf biszu 50 Milliarden Euro . Sie aber haben alle unsere An-träge während der Haushaltsberatungen – in ihnen ginges darum, mit einem ersten Schritt wenigstens einen Teilder Subventionen zu kürzen – schlichtweg abgelehnt,obwohl Sie durch das CBD-Übereinkommen völker-rechtlich dazu verpflichtet sind. Dabei geht es nicht nurum das grüne Parteiprogramm; auch was darin steht, istwichtig und würde ausreichen . Die Bundesregierung hatsich aber völkerrechtlich auch dazu verpflichtet, umwelt-schädliche Subventionen abzubauen . Dazu ist wiedereine Fehlanzeige in Ihren Haushaltsberatungen zu ver-melden .
Sie laufen im Bereich „Naturschutz und Stoppen desArtensterbens“ unter der Messlatte hindurch, die SigmarGabriel aufgelegt hat . Wenn Sie, Frau Hendricks, damitwirklich aus dem Amt scheiden wollten, fände ich dasextrem schade . Sie haben jedenfalls unsere volle Unter-stützung, wenn Sie daran noch etwas ändern wollen .
Das zweite große Thema haben Sie selbst mit der Aus-sage „Deutschland wird in Zukunft Klimaflüchtlinge auf-nehmen müssen“ in die öffentliche Debatte eingespeist .Das ist erst einmal richtig . Sie sind aber jetzt schon mitder Bewältigung der aktuellen Herausforderungen – mitden jetzt zu uns kommenden Flüchtlingen; das betrifftKommunen, Länder und den Bund – beschäftigt undgefordert . Wenn Sie nun den nächsten großen Problem-reigen im Hinblick auf Flüchtlinge eröffnen, erwartenwir von Ihnen – das wäre das Allermindeste –, dass Siejetzt energisch in den sozialen Wohnungsbau investieren .Auch da bleiben Sie mit den 500 Millionen Euro, die Siein den Haushalt eingestellt haben, weit hinter allen He-rausforderungen bzw . Notwendigkeiten zurück .
Sie wissen das, Frau Hendricks . In Ihrer Rede haben siean zwei Stellen durchblicken lassen, dass Ihnen absolutklar ist, dass das Geld nicht ausreichen wird . Deshalbist zu fragen, warum Sie jetzt, da in den Kommunen dieProbleme auch mit Rechtsextremismus und Ausländer-feindlichkeit kumulieren, nicht aufstocken . Das spieltsich nicht hier im Deutschen Bundestag, sondern in denStädten und Gemeinden ab . Wenn Sie denen jetzt nichtein klares Signal geben, indem Sie sagen „Ihr bekommtausreichend Geld für Investitionen in den sozialen Woh-nungsbau“, haben Sie eine Mitverantwortung für die Pro-bleme auf kommunaler Ebene .
Ein guter Haushalt muss vorausschauend sein . Mitihm muss über den Tellerrand hinausgeblickt werden .Er muss gerecht sein . All dies wird auch im Bereich desUmwelthaushaltes in eklatanter Weise nicht berücksich-tigt . Sie bleiben die Antworten auf die großen Herausfor-derungen – sei es die Klimakrise, das Artensterben oderdas Bewältigen der Aufgaben im Zusammenhang mit denFlüchtlingen, die im Moment zu uns kommen – schuldig .Dieser Haushalt hat – auch für den Umweltbereich –keinen Plan . Das müssen Sie dringend ändern .Danke schön .
Als Nächster spricht der Kollege Carsten Träger für
die SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Natürlich fokussieren sich die Beratungen desHaushalts des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-schutz, Bau und Reaktorsicherheit in diesen Zeiten zu-nächst auf den Baubereich, auf den sozialen Wohnungs-bau . Gleichwohl halte ich es für sehr wichtig, dass wiruns auch um den zweiten Bereich, den Umweltbereich,Steffi Lemke
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kümmern . Deswegen möchte ich mich auf zwei Themenkonzentrieren: auf das Bundesprogramm BiologischeVielfalt und – das hat die Frau Kollegin gerade auchschon angesprochen – auf die Bekämpfung der Wilderei .Dafür werden jeweils 3 Millionen Euro ausgegeben . Dassind Zahlen, die, wie ich zugebe, manchen im Vergleichzu den Summen, über die wir sonst debattieren, geringvorkommen mögen . Das Thema ist aber ganz sicher nichtvon geringer Bedeutung .Auch wenn wir Artenschützer in den Schlagzeilennicht ganz oben stehen, darf der Naturschutz nicht zukurz kommen . Dafür sorgt unsere Umweltministerin, unddafür danke ich ihr .
Es gibt einen Aufwuchs um 20 Prozent für das Bundes-programm Biologische Vielfalt, und ich unterstütze aus-drücklich die Ministerin in ihrer Forderung, diese Mittelbis zum Jahr 2020 zu verdoppeln . Das ist wichtig, undes ist auch notwendig . Denn der Indikatorenbericht zudem Programm hat gezeigt, dass es beim Erhalt der Ar-tenvielfalt zwar einerseits schöne Erfolge in Deutschlandgibt – wir freuen uns zum Beispiel über die Rückkehr desWolfs –; anderseits ist aber die Trendwende noch nichtgeschafft . Deswegen müssen wir dringend etwas tun .Frau Lemke, ich begrüße ausdrücklich die Natur-schutz-Offensive 2020 . Darin sind zehn Handlungsfelderdefiniert und 40 Maßnahmen genannt, und eine zentraleBotschaft ist – die Frau Ministerin hat es angesprochen –der Umbau der Agrarsubventionen . Das ist der Hebel, beidem wir ansetzen müssen: öffentliche Mittel für öffentli-che Leistungen für den Naturschutz .
Herr Krischer, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen, in dem Bundesprogramm wird eine Vielzahl wirk-lich guter Projekte gefördert: für den Erhalt der Wildkat-ze, für den Gewässerschutz oder auch für Maßnahmen,die das Bewusstsein für die Biodiversität stärken . Ich binstolz darauf, dass wir hier eine Aufstockung erreicht ha-ben und künftig noch mehr wertvolle Projekte fördernkönnen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt,über den ich reden möchte, ist der Kampf gegen die Wil-derei und den illegalen Wildtierhandel . Die Wilderei aufElefanten und Nashörner hat in Afrika dramatische Aus-maße erreicht . Ihre Bekämpfung stellt derzeit eine dergrößten Herausforderungen für den internationalen Na-turschutz dar . Allein 2014 wurden in Afrika 20 000 Ele-fanten illegal abgeschlachtet . Das ist nicht nur ein Tier-schutzproblem .
Die Wilderei gehört zu den einträglichsten Sparten derorganisierten Kriminalität . Sie steht auf einer Stufe mitWaffen-, Drogen- und Menschenhandel und ist eine Fi-nanzierungsbasis für Terrororganisationen in Afrika . Esgeht um sehr, sehr viel Geld .Wie werden wir die 3 Millionen Euro einsetzen? Ichfreue mich sehr, dass es gelungen ist, die Mittel zu ver-stetigen . Einerseits ist es notwendig, darauf zu zielen,die Nachfrage in den Nachfragestaaten zu reduzieren,die vor allem in Asien liegen . Andererseits müssen wirdie Herkunftsländer bei der Entwicklung und Umsetzungvon Strategien zur Bekämpfung der Wilderei, aber auchdes Handels, der in diesem Zusammenhang betriebenwird, unterstützen . Dafür gibt es vor Ort sogenannte nati-onale Elfenbein-Aktionspläne, die wir mit diesen Mittelnweiter unterstützen wollen .Deutschland ist bei der Bekämpfung der Wilderei in-ternational führend . Ich freue mich, dass wir das mit denHaushaltsmitteln, die wir beschließen wollen, versteti-gen können . Ich danke auch dem Umweltministerium fürsein Engagement an dieser Stelle .Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Christian Hirte für die
CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Kaum ein anderes Thema beherrscht die De-batten dieser Tage so sehr wie die aktuelle Flüchtlings-krise und die damit im Zusammenhang stehende Politik .Kaum ein anderes Thema wird auch außerhalb der Po-litik so stark und auch kontrovers diskutiert wie dieses,sei es bei Bürgerversammlungen, sei es am Stammtischoder im Verein und selbst im Freundeskreis und in derFamilie .
Dabei erlebt die Debattenkultur ein Niveau, das, freund-lich formuliert, gelegentlich verbesserungswürdig ist .Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen steht natür-lich auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Grö-ße der Herausforderungen und der Schwere der Aufgabe .Deswegen komme auch ich heute nicht umhin, den Etatdes BMUB wenigstens ein Stück weit in diesen epocha-len Gesamtzusammenhang mit diesem Thema zu stellen .Dass die deutsche Politik mit ihren begrenzten Ressour-cen dabei auf vielen Kontinenten ansetzen muss, zeigtallein der Blick auf die Statistik der Herkunftsländer derAsylbewerber in Deutschland . Zur Stärkung und Stabili-sierung der Regionen haben wir seit 2012 mehr als 1 Mil-liarde Euro zur Verfügung gestellt . Weitere 400 Millio-Carsten Träger
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nen Euro sind allein für 2016 zur Krisenbewältigung und-prävention in den Haushalt des Auswärtigen Amtes auf-genommen worden . Frau Höhn, es ist also nicht so, dasssich der Bund nicht engagieren würde . Im Gegenteil: Wirsind intensiv engagiert .Nicht nur die Flucht aus politischen und religiösenGründen oder vor Bürgerkriegen ist weltweit ein Grundfür anschwellende Flüchtlingsströme . Vielmehr habenNaturkatastrophen im vergangenen Jahr über 20 Millio-nen Menschen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen .So wichtig die Auseinandersetzung mit dem Terror undden Konfliktherden der Welt ist, so wichtig bleibt auchdie Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawan-dels . Paris im Jahre 2015 darf daher nicht allein zum Sy-nonym für einen barbarischen Akt des Terrors werden,sondern Paris muss auch ein klares Bekenntnis der Welt-gemeinschaft sein, das 2-Grad-Ziel zu erreichen .
Eine Studie von Bloomberg hat gerade festgestellt,dass die Entwicklungsländer aktuell mehr Geld für sau-bere Energie ausgeben als die reichen entwickelten Län-der .
An der Spitze dieser Entwicklung marschiert zurzeitChina . Auch Indien will sich auf einen ähnlichen Wegbegeben . Die Bloomberg-Studie geht davon aus, dass bis2040 die Entwicklungsländer doppelt so viel sauberenStrom erzeugen wie die reichen OECD-Länder . Das istgut, wenn man die Entwicklungsländer sieht, und zu-gleich erschreckend, wenn man die OECD-Länder sieht .
Nach dieser Studie, Frau Höhn und Frau Lemke, stichtallein Deutschland bei den OECD-Ländern – auch in derPerspektive 2040 – positiv heraus .
Dafür haben wir nicht nur im Bereich der erneuerbarenEnergien einiges getan .
Im Haushalt von Frau Hendricks erhöhen wir 2016 dieInvestitionen zum Schutz des Klimas und der Biodiver-sität im Rahmen unserer Internationalen Klimaschut-zinitiative um über 75 Millionen Euro auf dann rund340 Millionen Euro . Insgesamt wird Deutschland seineinternationale Klimaschutzfinanzierung – wir haben dasgerade gehört – bis 2020 verdoppeln . Andere müssen un-serem Beispiel noch folgen .
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass alle bisher an-gekündigten Maßnahmen nicht ausreichen, um den Kli-mawandel zu stoppen, selbst wenn sie realisiert werdensollten . Trotzdem entbindet dies kein Land, schon garnicht uns Verantwortungsträger in Deutschland, den Wegin die richtige Richtung einzuschlagen und auch dafürzu werben . Auch in Deutschland sind die Folgen desKlimawandels für Mensch und Umwelt spürbar . Leidbringt der Klimawandel aber vor allem jenen Ländern,in denen ohnehin die Ärmsten der Armen wohnen . Werwill es diesen Menschen schon übel nehmen, dass sie ihrSchicksal selbst in die Hand nehmen und ihr Glück wo-anders – eventuell auch bei uns in Europa – suchen? Esist deshalb nicht nur für den globalen Klimaschutz Zeit,den Klimawandel abzubremsen, sondern liegt auch undgerade in unserem eigenen nationalen, durchaus innen-politischen Interesse . Deutschland muss sich dabei nichtverstecken, Frau Höhn . Mit dem Zukunftsinvestitions-programm haben wir die Mittel für die Nationale Kli-maschutzinitiative um 450 Millionen Euro aufgestockt .Die Mittel werden überwiegend zur Umsetzung des Ak-tionsprogramms Klimaschutz 2020 und zur Erreichungder deutschen Klimaschutzziele eingesetzt . Konkret gehtes dabei vor allem darum, Kommunen bei Investitionenin Klimaschutzprojekte zu unterstützen . Auch die Förde-rung von Klimaschutz in Unternehmen, im Mittelstandund im Handwerk wird ausgebaut .Der zweite Schwerpunkt sind – mein Kollege Rief hatschon darauf hingewiesen, ebenso der Kollege Nüßlein –Investitionen in die Stadtentwicklung und das Thema„bezahlbares Wohnen“ . Mit rund 300 Millionen TonnenKohlendioxid verursacht der Gebäudesektor rund einDrittel der deutschen Treibhausgasemissionen . Wahr-scheinlich gibt es hier im Haus sogar einen Konsens, dasswir die Quote bei der energetischen Gebäudesanierungerhöhen müssen . Einigkeit besteht wahrscheinlich auchnoch, dass wir dazu zusätzliche Anreize für die Baubran-che und die Hauseigentümer benötigen . Ich persönlichmeine – auch aufgrund meiner Erfahrung als Anwalt fürSteuerrecht –, dass steuerliche Anreize die größte Len-kungswirkung entfalten . Deswegen bin ich den Vorred-nern für den Hinweis dankbar, dass wir über die steuer-liche Förderung der energetischen Sanierung und auchganz allgemein über die AfA diskutieren müssen .
Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kühn?
Sehr gerne .
Christian Hirte
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Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Herr Kollege Hirte, ich frage Sie jetzt in Ihrer Eigen-schaft als Fachanwalt für Steuerrecht: Glauben Sie nichtauch, dass es für diejenigen, die sich jetzt überlegen, obsie ihr Gebäude oder ihre Wohnung modernisieren undob sie investieren sollen – es kann sich auch um eineWohnungseigentümergemeinschaft handeln –, unerträg-lich ist, nicht zu wissen, ob eine Steuerförderung kommtoder ob sie nicht kommt? Jetzt ist die Steuerförderung imJanuar gescheitert, und die Union treibt in dieser Debat-te die, ich sage einmal, Sau Steuerförderung weiterhindurchs Dorf und verunsichert Investoren in Deutschland .Sie macht ihnen Hoffnung, dass diese Steuerförderungnoch kommt .Ich finde das unerträglich, weil Sie damit dazu beitra-gen, dass jetzt Investoren sagen: Ich halte mich erst ein-mal zurück und warte, bis die Steuerförderung kommt . –Ich frage Sie ganz ernsthaft: Halten Sie es nicht fürunverantwortlich, eine solche Politik zu machen?Die zweite Frage, die ich habe, ist: Wann bringen Sieals Koalitionsfraktion hier einen Antrag auf Steuerförde-rung ein? Dann können wir alle ihm gemeinsam zustim-men; denn hier gibt es eine breite Mehrheit dafür, das zumachen .
Herr Kollege Kühn, ich glaube, Sie haben einenUmstand noch nicht ganz zur Kenntnis genommen undvielleicht auch nicht verstanden, nämlich dass wir in derWohnungsbauwirtschaft momentan eine sehr erfolgrei-che Entwicklung haben, unabhängig davon, ob wir mo-mentan darüber diskutieren, ob eine weitere steuerlicheFörderung kommt .
Frau Ministerin Hendricks hat in ihrer Rede ausge-führt, dass wir jährlich etwa 350 000 zusätzliche Woh-nungen benötigen . Das heißt, über den momentan sichgut entwickelnden Wohnungsbau hinaus brauchen wirein weiteres Programm, um den Wohnungsbau noch stär-ker anzureizen .
Deswegen ist es notwendig, dass wir über Maßnahmennicht nur im staatlichen Bereich nachdenken, sondernzum Beispiel auch über Maßnahmen zur steuerlichenFörderung, um den Wohnungsbau noch stärker anzurei-zen .
Wenn Sie nachfragen, wie wir dafür Sorge tragen kön-nen, ein solches Programm zur steuerlichen Förderungauf den Weg zu bringen, dann ist diese Frage durchausberechtigterweise an die CDU, an die SPD und an dieBundesregierung gerichtet, sie ist aber mindestens ge-nauso berechtigt den Bundesländern zu stellen, die natür-lich ihren Anteil an den steuerlichen Ausfällen, die sichin der Folge ergeben, mittragen müssen .
Das heißt, Sie können sich durchaus in den Bundeslän-dern engagieren, in denen Sie Mitverantwortung tragen .
So können wir gemeinsam, nämlich die Koalition in Ber-lin und die Bundesländer, das auf den Weg bringen . Dazusind Sie herzlich eingeladen .
Ich wünsche unserer Kanzlerin Angela Merkel undFrau Umweltministerin Barbara Hendricks jedenfallsviel Erfolg und Verhandlungsgeschick, um in Paris zudem Erfolg zu kommen, den wir alle gemeinsam nötigerdenn je brauchen .Dazu gehört ganz selbstverständlich auch, dass wirden Klimaschutzgedanken ganz konkret mit wirtschaft-licher Prosperität verbinden. Umwelt- und Effizienztech-nologien sind Treiber für wirtschaftliches Wachstum undfür neue Arbeitsplätze .
Dabei sind sie nicht nur national wichtige Wachstum-streiber, sondern sie sind auch international von enormerBedeutung . Das globale Marktvolumen solcher Techno-logien betrug im Jahr 2013 etwa 2,5 Billionen Euro, undes wird erwartet, dass sich das Marktvolumen bis 2025auf mehr als 5 Billionen Euro entwickeln wird . Das sindWachstumsraten von durchschnittlich 6 Prozent pro Jahr .Der Weltmarktanteil von Greentech made in Germanybeträgt derzeit rund 14 Prozent . Um diesen Technologienzu einem besseren Durchbruch auch in anderen Ländernzu verhelfen, hat das Bundesministerium nun eine Ex-port initiative gestartet und mit 5 Millionen Euro hinter-legt . Zusammen mit der im Einzelplan des Wirtschafts-ressorts laufenden Exportinitiative, die dort mit mehrals 80 Millionen Euro veranschlagt ist, sind wir gut auf-gestellt, diesen für Deutschland wichtigen Exportmarktsinnvoll zu erschließen .
Ich sage das vor allem deswegen, weil man daransieht, dass die aktuelle Koalition Wert darauf legt, Öko-logie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen und ge-meinsam zu entwickeln . Wenn wir mit diesem besonde-ren Titel in Höhe von 5 Millionen Euro im Umweltetatdazu beitragen können, Deutschlands Rolle als führendeNation im Bereich der Umwelttechnologien zu stärken,nutzt dies nicht nur uns im eigenen Land, sondern es trägt
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auch dazu bei, vor allem anderen Nationen unsere Tech-nologien stärker als bislang zugänglich zu machen .Noch ein Wort zum Endlagerbereich:Erstens . Wir haben die Ansätze für die Asse und fürMorsleben geringfügig abgesenkt, weil wir mit den frei-werdenden Mitteln das Bundesprogramm BiologischeVielfalt stärken wollten. Da der Mittelabfluss bei denProjekten jetzt mehr und mehr in Schwung kommt, wärees zu einem Antragsstau etwa Mitte nächsten Jahres ge-kommen . Das wollten wir verhindern . Es stellt sich aberfür den Haushalt 2017 das Problem, dass wir den Auf-wuchs natürlich finanziell verstetigen wollen. Ich binmir ziemlich sicher, dass wir, die Berichterstatter und dieLeitung des Hauses, zu einer sinnvollen Lösung kommenwerden .Zweitens . Wir stehen bei der Frage der Endlagerunggewissermaßen vor einer Richtungsentscheidung, wiedie Endlagerungen künftig organisiert werden sollen .Gemäß EU-Richtlinie 2011/70/Euratom ist Deutschlandverpflichtet, die vorhandene Behördenstruktur zu verän-dern . Die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Ab-fallstoffe hat hierzu bereits Vorschläge gemacht . Dabeisoll dem internationalen Grundsatz der Trennung vonAufsicht und Betrieb gefolgt werden . Die Neuordnungder Behörden sieht daher neben der Schaffung eines zen-tralen Regulators in Form des Bundesamtes für kerntech-nische Entsorgung auch die Errichtung einer Bundesge-sellschaft für kerntechnische Entsorgung vor .
Die Streichung von 30 Stellen haben wir deswegenausgebracht, weil derzeit noch nicht völlig klar ist, wiedie Organisationsstruktur künftig aussehen soll . Ich sageaber ganz deutlich: Wir werden die Stellenentsperrungzügig vornehmen, sobald klar ist, wie die künftige Orga-nisation aussieht .Vielen Dank für die bisherige konstruktive Zusam-menarbeit . Ich bin optimistisch, dass sie uns auch in Zu-kunft voranbringen wird .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Dieser Haushalt macht zwei Dinge deutlich:Wir setzen den Koalitionsvertrag Schritt für Schrittum . Und: Wir nehmen auch neue Herausforderungenan . Unser Motto „Gesagt . Getan . Gerecht .“ hat uns inder Stadt- und Wohnungspolitik bei vielen Maßnahmenund Entscheidungen geleitet . Die Mietpreisbremse, seitdem 1 . Januar 2015 in Kraft, ist für die Bevölkerungeine Frage der Gerechtigkeit . Bezahlbares Wohnen istein gesamtgesellschaftliches Ziel, und deshalb ist nebender Mietpreisbremse auch die Erhöhung des Wohngeldeszum 1 . Januar 2016 ein wichtiges Signal . Wir haben da-für zusätzlich 200 Millionen Euro im Haushalt zur Ver-fügung gestellt . Erfreulich ist: Beide Instrumente wirken .Auch die Maßnahmen, die wir im zweiten Miet-rechtspaket verhandeln, werden für mehr Gerechtigkeitsorgen . Damit versuchen wir zu verhindern, dass Mietearm macht, und wir wollen die Auswirkungen von Woh-nungsknappheit mildern . Ursache zu hoher Mieten istaber am Ende der fehlende Wohnraum .Auf die damit verbundenen Fragen gibt dieser Haus-halt eine Antwort: bauen . Wir haben es geschafft, dassdie Kompensationsmittel für die soziale Wohnraum-förderung verdoppelt werden und dass den Ländern in2016 gut 1 Milliarde Euro pro Jahr für den sozialen Woh-nungsbau zur Verfügung stehen . Das ist so wichtig, weiles nicht bei den durch den Bund zur Verfügung gestelltenMitteln bleibt. Die Länder haben sich verpflichtet, diesedem Zweck entsprechend zu verwenden . Es ist natürlichnoch Luft nach oben, wenn im letzten Jahr sieben Länderdie Kompensationsmittel nicht bzw . nicht vollständig indie Wohnraumförderung investiert haben . Trotzdem sinddiese Mittel ungemein wichtig, weil die Länder die vomBund eingesetzten Kompensationsmittel im letzten Jahrauch durch eigene Wohnraumförderung vervierfacht ha-ben . Auch wegen dieser Hebelwirkung ist dies sicherlicheiner der größten Erfolge im Baubereich . Wir gehen da-mit weit über den Koalitionsvertrag hinaus .
Es geht aktuell aber nicht nur darum, den grundsätz-lichen Bedarf an Wohnungen, sondern insbesondereauch den zusätzlichen Bedarf, bedingt durch den Zuzugvon Flüchtlingen, zu decken . Dabei sollten wir unserenBlick auch dahin wenden, wo Leerstand herrscht . Fürviele Flüchtlingsfamilien dürfte auch das Wohnen aufdem Land eine attraktive Option sein . Wohnraum ist dortschneller verfügbar . Schrumpfende Regionen könntenvom Zuzug durch Flüchtlinge profitieren. Damit darausam Ende eine Win-win-Situation wird, müssen örtlicheWirtschaft und Kommunalpolitik auch kreativ sein unddie richtigen Anreize setzen .Die notwendigen Diskussionen darüber müssen nochgeführt werden . Für uns ging es jetzt zunächst in einemersten Schritt darum, möglichst schnell bauen zu können,was wir auch mit dem Asylverfahrensbeschleunigungs-gesetz ermöglicht haben .Doch mit diesem Haushalt sind wir bereits beim zwei-ten Schritt . Es geht nicht nur darum, schnell Wohnungenfür Flüchtlinge zu bauen, sondern auch darum, mehr füralle zu bauen . Wir wünschen uns deshalb nicht nur, dassWohnungsgenossenschaften und städtische Wohnungs-baugesellschaften über die Bestandssicherung hinausstärker an Neubau denken, sondern auch, dass privateInvestoren in den Mietwohnungsbau stärker einsteigenals bisher .
Christian Hirte
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Auch dazu haben der Koalitionsausschuss und derFlüchtlingsgipfel Bund und Ländern einen klaren Auf-trag erteilt: Es soll geprüft werden, wie mittels geeigneterAnreizinstrumente der Neubau von preiswertem Wohn-raum gefördert werden kann . Lieber Kollege Nüßlein,ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass der Finanzministerdas nicht nur erklärt, sondern auch einen konkreten Vor-schlag unterbreitet .
Häufig mangelt es auch schlichtweg an Flächen fürden Wohnungsneubau . Hierbei können wir nur bedingtweiterhelfen . Deswegen haben wir die BImA, die unsereLiegenschaften verwaltet, ermächtigt, weitere bundesei-gene Flächen verbilligt abzugeben, wenn auf diesen Flä-chen Sozialwohnungen gebaut werden . Wir Fachpoliti-ker sind aber – das will ich unumwunden zugeben – mitder konkreten Ausgestaltung nicht zufrieden .
Der Verkehrswert bzw . die hohen Bodenpreise werdenausgerechnet in den Städten, in denen auch noch Woh-nungsknappheit herrscht und in die aktuell noch mehrMenschen strömen, einfach nicht genug berücksichtigt .Bei alldem darf eines nicht aus dem Blick geraten:Wenn wir bauen, dann nicht nur, wie bei der Erstunter-bringung, schnell und für kurze Zeit! Deshalb muss unse-re Devise sein, zwar schnell, aber nicht schlicht zu bauen .Dafür braucht es neue Ideen und Initiativen, beispiels-weise serielles und modulares Bauen . Deshalb werden imRahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms 120 Millio-nen Euro für Modellvorhaben zum nachhaltigen Wohnenfür Studierende und Azubis zur Verfügung gestellt . Mitdiesen sogenannten Variowohnungen gerät modularesund nachhaltiges Bauen in den Blick . Der Projektaufrufist auf den Weg gebracht . Nun sind wir gespannt auf in-novative Ansätze, die sich insbesondere in Gebieten mitWohnungsknappheit kostengünstig umsetzen lassen .Ein weiterer Anreiz für die Schaffung von bedarfs-gerechtem Wohnraum ist das Programm „AltersgerechtUmbauen“ . Mit der Aufstockung auf immerhin 50 Mil-lionen Euro tragen wir der Tatsache Rechnung, dass imMoment die Anträge nur so hereinströmen . Was wollenwir damit erreichen? Es geht um Integration, darum,dass die, die nur in barrierefreien oder barrierearmenWohnungen in ihrem Lebensumfeld bleiben können, dieChance dazu haben . Es geht darum, dass wir Ausgren-zung entgegenwirken sowie Integration und friedlichesZusammenleben ermöglichen . Wir reden hier nicht überirgendein Wirtschaftsgut; wir reden über die Wohnung,wir reden über das Lebensumfeld von Menschen, und wirreden am Ende über Heimat .Das bringt mich zu einer weiteren Herausforderung,vor der wir stehen . Die neugebauten Wohnungen unddie neuen Wohnsiedlungen werden auch Heimat derersein, die zu uns kommen, die bei uns Sicherheit, aberauch Glück suchen . Die, die bereits in diesen Viertelnwohnen, sowie die, die hinzuziehen, müssen ein Um-feld vorfinden, das das Zusammenleben gelingen lässt.Mich stimmt optimistisch, dass wir hier nicht bei nullanfangen . Insbesondere das Programm „Soziale Stadt“setzt seit Jahren mit unterstützender Quartiersarbeit ge-nau dort an . Deshalb ist es bereits im Haushalt 2014 ge-stärkt worden . Hier können Probleme früh erkannt undLösungsstrategien entwickelt werden . Wir wissen – auchdas ist gerade schon erwähnt worden –, dass jeder Euroin die Städtebauförderung Folgeinvestitionen von bis zu7 Euro nach sich zieht . Viel wichtiger ist jedoch, dasswir mit diesem Programm nicht nur in Beton investieren,sondern in Stadtentwicklung, in aktive Stadtteile – einwesentlicherer Gewinn aus meiner Sicht .
Es geht aktuell sowohl darum, schnell zu bauen, damitkeine akute Wohnungsnot entsteht, als auch darum, nichtaus dem Blick zu verlieren, dass wir morgen so leben,wie wir heute bauen .Vielen Dank .
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Christian Haase, CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Mi-nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wir zeigen mit dem vor-liegenden Haushalt 2016 wieder einmal, dass ein kon-sequenter Konsolidierungskurs, wie ihn die unions-geführten Bundesregierungen leben, Spielräume fürWachstumsimpulse und Rückstellungen schafft . Dassehen wir auch beim Etat des Bundesministeriums fürUmwelt, Bau, Naturschutz und Reaktorsicherheit, denwir für 2016 um 5 Prozent erhöhen .In meiner Rede während der Haushaltswoche zurersten Beratung sprach ich die angespannte Personalsi-tuation im BMUB an . Im Ministerium und den nachge-ordneten Bundesämtern sollten laut Regierungsentwurfzwar knapp 100 Stellen verstetigt werden; angesichts derVielzahl an Aufgaben herrscht dennoch Personalbedarf .Daher freue ich mich sehr, dass die Stellenzahl bei denparlamentarischen Beratungen noch einmal deutlich auf-gestockt werden konnte . Ich bedanke mich insbesonderebei den Haushaltspolitikern, die sich dafür eingesetzt ha-ben .
Es ist wichtig, dass die Bundesbehörden in der Lagesind, ihre originären Aufgaben selbst zu erledigen, an-statt auf externe Dienstleister oder befristet Beschäftigteangewiesen zu sein, und das haben wir nun ermöglicht .Auch für neue Aufgaben wurden noch einmal zusätz-liche Stellen bereitgestellt, etwa zur Bewältigung derSören Bartol
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Flüchtlingskrise . Das ist ein wichtiges Signal, damit dasBMUB in der Flüchtlingskrise noch mehr in Erscheinungtreten kann .Auch bei der Umsetzung des Nagoya-Protokolls hatteich mich an dieser Stelle dafür eingesetzt, einen etwai-gen Mehrbedarf an Personal zu prüfen . Immerhin zweizusätzliche Stellen wurden nun realisiert, damit wir dieVerpflichtungen aus diesem internationalen Abkommenauch erfüllen können . Hier hat die Anhörung im Aus-schuss Wirkung gezeigt .
Im Programmhaushalt 2016 kommt es im Vergleichzum Vorjahr zu einer deutlichen Steigerung um 6 Pro-zent . Investitionen zum Schutz des Klimas und zur Städ-tebauförderung nehmen bei den Mehrausgaben einenwesentlichen Teil ein . Damit wird der Weg der Zukunfts-investitionen, den wir mit dem ersten Nachtragshaus-halt 2015 eingeschlagen haben, konsequent fortgesetzt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Bezug auf die Zu-kunft nimmt gerade das BMUB eine Schlüsselrolle ein:In diesem Ressort kümmern wir uns um Herausforde-rungen, die auch noch unzählige Generationen nach unsbeschäftigen werden . Die Fragen der Atomendlager unddes Klimaschutzes beispielsweise werden wir nicht aufdie Schnelle lösen können . Aber mit der Klimakonferenzin Paris und der Umsetzung des Standortauswahlgesetzesstellen wir in diesen Fragen jetzt entscheidende Weichenfür die Zukunft . Das ist eine gewaltige Verantwortung,die wir für die nachfolgenden Generationen tragen . Die-ser Verantwortung müssen wir uns stellen, und mit demvorliegenden Haushaltsgesetz werden wir dieser Ver-antwortung gerecht . Dafür spreche ich Frau MinisterinHendricks und dem Haushaltsausschuss meinen Dankaus .
Die erste wegweisende Entscheidung beginnt in dernächsten Woche mit dem UN-Klimagipfel in Paris . Trotzder schrecklichen Terrorangriffe dürfen wir die Konfe-renz nicht infrage stellen . In diesem Jahr müssen wir einProtokoll mit verbindlichen Zusagen erreichen . Alles an-dere wäre eine große Enttäuschung .Deutschland nimmt beim Klimaschutz eine Vorrei-terrolle ein . In diesem Moment ist es besonders wichtig,dass wir diese Rolle annehmen und auch mit unseremnationalen Haushalt beim Klimaschutz vorangehen . Dastun wir auch . Das zeigt sich unter anderem bei den For-schungsschwerpunkten, die wir im Haushalt 2016 setzen .Die Forschungsausgaben im BMUB steigen um 8 Milli-onen auf knapp 100 Millionen Euro . Auch im Bundes-ministerium für Bildung und Forschung werden die Aus-gaben für Forschung und Entwicklung auf den Gebietender Nachhaltigkeit, des Klimas und der Energie für 2016deutlich, nämlich um 57 Millionen Euro, angehoben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Klimawandel isteine globale Herausforderung . Daher halte ich die Inter-nationalisierung deutscher Klimaschutzprogramme fürden richtigen Ansatz . Die internationale Klimaschutzin-itiative wird für 2016 um 75 Millionen auf 338 Millio-nen Euro aufgestockt .In den letzten Wochen habe ich mit zwei Kollegen inÄthiopien verschiedene Projekte besucht, die von unsgefördert werden . Dazu gehören Projekte des NABUzur Stärkung des nachhaltigen Tourismus und der Akti-vierung der Ursprungsregionen des Wildkaffees . Diesessetzt sich für die Erhaltung der letzten Wildkaffeewälderin Äthiopien, der Heimat des Arabica-Kaffees, ein . Da-mit verbinden die Projekte den Klimaschutz mit dem Er-halt der biologischen Vielfalt in einem der artenreichstenLänder der Welt . Konkrete Maßnahmen sind die Wieder-aufforstung, nachhaltige Waldnutzung und Herstellungvon energiesparenden Öfen . Gleichzeitig werden neueMaßnahmen zum Schutz der einzigartigen Artenvielfalt,zur Stärkung von partizipativem Gemeindemanagementund zur Regionalentwicklung eingeführt . So sollen Ent-wicklungsprogramme für Handwerk, Ökotourismus undRegionalprodukte die nachhaltige Nutzung der biologi-schen Vielfalt der Region fördern . Rund um den Tanasee,im neuen Biosphärenreservat, klappt das – davon konn-ten wir uns überzeugen – auch praktisch schon ganz gut .Meine Damen und Herren, wir gehen voran beimKlimaschutz, auch dank vieler deutscher Unternehmen,die Pioniere im Bereich der Umwelttechnologien sind .Dieses Potenzial wollen wir nutzen . Im Haushalt 2016bringen wir einen neuen Titel zur Exportförderung grü-ner Technologien mit einem Volumen von 5 MillionenEuro aus . Damit wollen wir insbesondere kleine und mit-telständische Unternehmen bei der Internationalisierungihrer Angebote unterstützen; denn die weltweite Nach-frage nach Umwelt- und Effizienztechnologien steigt.Kleine Unternehmen haben aber oft Schwierigkeiten,im Ausland wahrgenommen zu werden . Mit unserer Ex-portinitiative verbessern wir die Informationsangebote .Wir fördern Investitionen in Vorzeigeprojekte deutscherUnternehmen im Ausland . Mit dem Ausbau des Portals„GreenTech made in Germany“ stärken wir die internati-onale Vernetzung, und nicht zuletzt ist die Durchführungeines Wettbewerbs zu „Smart City“ geplant, dessen Er-gebnisse wir international kommunizieren werden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir demonstrierenmit diesem Haushalt und unserem Antrag zum Klimagip-fel, dass wir im Bereich Klimaschutz gut aufgestellt sind .Jetzt brauchen wir auch aus Paris ein starkes Signal .
Aber, meine Damen und Herren, wir vergessen auchden nationalen Umwelt- und Naturschutz nicht . Ein dra-matisches Problem ist der Rückgang der Biodiversität inDeutschland . Die TEEB-Studie zeigt uns, dass dies aucherhebliche wirtschaftliche Auswirkungen hat .
Wir müssen also unsere Anstrengungen erhöhen, wennwir unser mittel- und langfristiges Ziel erreichen wollen,die Biodiversität in Deutschland nicht nur zu erhalten,sondern wieder zu erhöhen . Mit dem BundesprogrammBiologische Vielfalt steht uns bereits jetzt der richtigeAnsatz zur Verfügung, den wir weiter ausbauen wollen .Christian Haase
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Das Bundesamt für Naturschutz hat bis Ende 2014 95 Projekte bewilligt, die einen besonderen Beitrag zumErhalt unserer Biodiversität leisten . 2015 werden dieMittel in Höhe von 15 Millionen Euro erstmals komplettabfließen, und in den folgenden Jahren wird der Bedarfweiter wachsen . Wir haben uns daher in den parlamen-tarischen Beratungen erfolgreich für eine Aufstockungder Mittel um 3 Millionen Euro für das kommende Jahreingesetzt, damit zusätzliche Projekte ermöglicht werdenkönnen .
Zuletzt möchte ich noch die Liegenschaftspolitik desBundes, umgesetzt durch die Bundesanstalt für Immo-bilienaufgaben, lobend erwähnen . Wie wir alle wissen,stehen die Kommunen bei der Unterbringung von Flücht-lingen vor riesigen Herausforderungen . Die BImA leistethier mit den von ihr verwalteten Liegenschaften einenwichtigen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskri-se und entlastet die Kommunen bei der Standortsuche .Gerade die Kommunen sind es ja, die mit vielen ehren-amtlichen Helfern die größte Last tragen . Dafür unserenDank!
Meine Damen und Herren, bis Anfang des Monats hatder Bund den Kommunen bereits 125 000 Unterkunfts-plätze zur Verfügung gestellt .Für die Unterbringung von Asylbewerbern und densozialen Wohnungsbau hat der Bund die guten Konditio-nen in diesem Jahr weiter verbessert . So werden die Lie-genschaften für die Flüchtlingsunterbringung nicht nurmietzinsfrei überlassen, sondern auch kostenfrei herge-richtet . Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2015 wurdeder Haushaltsvermerk entsprechend angepasst . Die Her-richtungskosten werden nun zum 1 . Januar rückwirkendübernommen .Zudem wurde in diesem Jahr auch der verbilligte Ver-kauf von Grundstücken an Kommunen im Rahmen desErstzugriffs ausgeweitet . Seit Mai ist die Richtlinie derBImA in Kraft, die den Verkauf von Konversionsliegen-schaften zum Zwecke des sozialen Wohnungsbaus undder Flüchtlingsunterbringung regelt . Mit dem zweitenNachtragshaushalt wurde die verbilligte Abgabe auf alleentbehrlichen Grundstücke ausgeweitet . Bisher haben dieKommunen aber von der Option des verbilligten Erwerbsnoch nicht ausreichend Gebrauch gemacht . Die BImAberichtet uns, dass bis Ende Oktober erst vier Verkaufs-fälle vorliegen, davon nur einer zur Unterbringung vonFlüchtlingen und Asylbewerbern . Daher wollen wir nunden Kaufpreisabschlag noch einmal signifikant erhöhen.Damit reagieren wir auf ein drängendes Problem:Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum beschäftigt unsschon seit längerer Zeit und wird durch die hohe Zahlan Flüchtlingen weiter verschärft . Günstiges Bauland zubekommen ist ein Problem, das wir dabei lösen müssen .Daher ist es sehr zu begrüßen, dass wir das, was uns di-rekt zur Verfügung steht, nämlich Bundesliegenschaften,zum Bau von Sozialwohnungen und Flüchtlingsunter-künften zur Verfügung zu stellen . Ich weise aber daraufhin, dass es nötig ist, bei der Nutzungsverpflichtung einegewisse Flexibilität zu gewähren . Wir wollen natürlicheinen hohen Anteil an Sozialwohnungen . Wir müssenaber auch darauf achten, dass wir dadurch keine neuenProblemviertel schaffen . Bei den Planungen sollten wirdie Kommunen deshalb unterstützen .Und noch ein Punkt liegt mir abschließend am Herzen .Immer wieder lese ich Aussagen von Landesministern,der Bund tue zu wenig, er stelle nicht genügend Plätzefür die Unterbringung zur Verfügung .
Und das zum Beispiel auch aus einem Land, das 80 Pro-zent seiner Landesplätze bei den Kommunen im Wegeder Amtshilfe akquiriert . Meine Damen und Herren, hö-ren wir endlich mit dem Klein-Klein und den Schuldzu-weisungen auf! Solche Aussagen sind ein Schlag in dasGesicht der Ehrenamtlichen und der Kommunen, die oftam Ende ihrer Möglichkeiten stehen .
Die Herausforderungen der Flüchtlingskrise werden wirnur gemeinsam lösen: Bund, Länder, Kommunen und diegesamte Gesellschaft . Da müssen wir an einem Strangziehen .Schönen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung .Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der FraktionBündnis 90/Die Grünen vorWir stimmen zunächst über den Änderungsantrag aufDrucksache 18/6765 ab . Wer für diesen Änderungsantragstimmt, den bitte ich um das Handzeichen . – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? –
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stim-men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen vonBündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke .Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Druck-sache 18/6766 . Wer für diesen Änderungsantrag stimmt,den bitte ich um das Handzeichen . – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag istdamit ebenfalls abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/DieGrünen und der Fraktion Die Linke .Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-schussfassung ab . Wer dafür stimmt, den bitte ich umdas Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Einzelplan 16 ist damit angenommen mit denChristian Haase
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Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmender Fraktionen Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen .Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I .6 auf:a) Einzelplan 06Bundesministerium des InnernDrucksachen 18/6106, 18/6124b) Einzelplan 21Bundesbeauftragte für den Datenschutz unddie InformationsfreiheitDrucksachen 18/6119, 18/6124Berichterstatter sind die Kollegen Dr . ReinhardBrandl, Martin Gerster, Roland Claus sowie die Kolle-gin Anja Hajduk für den Einzelplan 06 und die KollegenMartin Gerster, Carsten Körber, Roland Claus sowie dieKollegin Anja Hajduk für den Einzelplan 21 .Zu dem Einzelplan 06 liegt ein Entschließungsantragder Fraktion Die Linke vor, über den wir nicht jetzt, son-dern am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmenwerden .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Widerspruchgibt es keinen . Dann ist das somit beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Roland Claus für die Frakti-on Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DerBundesinnenminister ist bekanntlich mehreres in einerPerson . Er ist der Sicherheitsminister, der Integrations-minister – zugegeben mit etlichen Aufsehern –, der Kom-munalminister und auch der Sportminister . Diese Sach-bereiche will ich behandeln .Dieser Etat ist auf allen Gebieten mit neuen Heraus-forderungen konfrontiert . Es hat im Laufe der Haushalts-beratungen im Vergleich zum Regierungsentwurf eineVielzahl von Veränderungen gegeben, und ich lege Wertdarauf, zu sagen, dass die Opposition – zum Beispiel beider Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Bun-despolizei – dies durchaus mitgetragen hat .
Daraus könnten die Neinsager in den Koalitionsfraktio-nen bei den Änderungsanträgen lernen .
Ich wende mich an den Minister für öffentliche Sicher-heit . Der früher von der CDU/CSU gern gebrauchte Be-griff von der „inneren Sicherheit“ ist von den Realitätengründlich außer Kraft gesetzt worden . Wir sagen Ihnenan dieser Stelle: Die Chance, die es nach dem Terror inParis und anderswo auch gibt, lautet, dass wir endlich ausden Fehlern lernen könnten, die nach dem 11 . September2001 gemacht worden sind . Die Fehler nach 9/11 waren,den Krieg als Mittel der Außenpolitik und Freiheitsbe-schränkungen als Mittel der Innenpolitik zu etablieren .Wir sagen Ihnen: Wenn wir die richtigen Lehren ziehen,wenn wir Krieg nicht als Antwort auf den Terror sehenwollen, dann muss mit beiden Dingen Schluss sein . Dannmüssen wir umkehren und zu einer anderen Sicherheits-politik kommen, meine Damen und Herren .
Ich sage Ihnen auch, Herr Minister: Wer den Aus-nahmezustand propagiert und für die Beschränkung vonFreiheitsrechten eintritt, bringt die Terroristen näher anihr Ziel, als diese es alleine schaffen würden .
Die Polizei braucht auch keine Hilfspolizisten im oliv-grünen Dress der Bundeswehr, sondern mehr Personal .
Mein Kollege Frank Tempel wird Ihnen diese Facettenäher erläutern . Nur so viel: Ihre sogenannte Schulden-bremse ist heute faktisch eine Bremse für die öffentlicheSicherheit vor allem in den Bundesländern geworden .Ich wende mich an den Integrationsminister deMaizière und weise darauf hin: Die Linke schlägt Ihnenein Zukunftsprogramm vor, das zur gesellschaftlichenIntegration von Benachteiligten in Deutschland und zuuns Geflüchteten gleichermaßen beiträgt. Die Linke for-dert bessere Integrationskurse, mehr Geld für einen gutenZweck . Wir fordern auch – an anderer Stelle im Etat –, dieIntegration in Arbeit und Ausbildung zu verbessern . Wirsind der festen Überzeugung: Das geht, aber nur dann,wenn man sich auch darum kümmert, mehr Einnahmenfür Bund, Länder und Kommunen zu akquirieren .
Auch dazu machen wir Ihnen Vorschläge .Nun hat bekanntlich das Wort „Obergrenze“ bei CDUund CSU Konjunktur . Eine Obergrenze würde ja prak-tisch bedeuten, dass ein Flüchtling mit einer bestimm-ten Registrierungsnummer – nehmen wir die Nummer600 000 – akzeptiert würde und ein Flüchtling mit derRegistrierungsnummer 600 001 nicht . Meine Damen undHerren, es ist doch einfach absurd, so vorzugehen .
Nun hat das Innenministerium bekanntlich ein eige-nes Bundesamt namens Bundesamt für Migration undFlüchtlinge . Es bekommt mehr Geld, mehr Stellen, mehrTechnik, auch mit Zustimmung der Opposition . Das Pro-blem dieses Amtes ist doch aber, dass es bislang eher eineBehörde der staatlich verordneten Zuwanderungsverhin-derung gewesen ist .
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Wie soll denn da so einfach der Schalter umgelegt wer-den, meine Damen und Herren?
Ich wende mich an den Kommunalminister . Ich binmir ganz sicher, Sie werden in Ihrer Rede den Bürger-meistern, Landräten, Kommunalbediensteten und derenehrenamtlichen Helfern danken . Das macht die Linkeauch, und zwar von ganzem Herzen . Wir wissen, wasdort geleistet wird .
Aber der Dank reicht natürlich nicht . Wir brauchen inder Tat mehr Geld für die Lösung der anstehenden Auf-gaben und den Abbau bürokratischer Hürden . Der Bun-desfinanzminister hat einmal geschätzt, dass der Bundetwa 40 Prozent der gesamten Flüchtlingsbetreuungskos-ten übernommen hat . Die Länderminister sagen, es seiennur etwas mehr als 20 Prozent . Dieses Geld ist jetzt zwarbei der allgemeinen Finanzverwaltung eingestellt, gehörtaber zur Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung, die hier zulösen ist . Insofern fordert die Linke in diesen Beratun-gen 2 Milliarden Euro mehr für direkte Zuweisungen anKommunen . Das ist nötig . Auch das geht natürlich nurmit mehr Einnahmen . Aber es geht auch nicht ohne dieUmsetzung dieser Forderung .
Darauf haben uns gerade Kommunalpolitikerinnen undKommunalpolitiker bei unserer jüngsten Fraktionsklau-sur sehr anschaulich hingewiesen .Schließlich will ich mich an den Sportminister wen-den und darauf verweisen, dass wir Linke im Zukunfts-programm auch einen Posten für den Breitensport vor-schlagen, für die Sanierung von Sportstätten . Das wärejetzt wichtig . Das würde den Kommunen helfen, Proble-me zu lösen . Wir könnten doch an die guten Erfahrungenanknüpfen, die wir seinerzeit mit der Sportstättensanie-rung im Rahmen des Goldenen Plans Ost gemacht haben .Jetzt sollten wir diese Erfahrungen bundesweit nutzen .
Erstmals verhandeln wir hier den Etat der Beauftrag-ten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit .Trotz einiger Bedenken meiner Fraktion, beispielsweisehinsichtlich des Amtssitzes in Bonn, wird meine Fraktiondiesem Einzelplan zustimmen .
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutsch-land wieder mehr Geld und Ideen für die Verbesserungder sozialen und kulturellen Infrastruktur, um eine hu-mane Integration der hier Benachteiligten und der zu unsGeflüchteten zu schaffen. Es wäre jetzt die Gelegenheitfür die Unionsfraktion, mir zuzurufen: Wir schaffen das .
Als nächster Redner hat Dr . Reinhard Brandl von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Die diesjährigen Haushaltsberatungen über denEtat des Bundesinnenministers waren keine einfachenund keine üblichen Beratungen . Als wir im Septemberim Kreis der Berichterstatter zusammensaßen, um überden Entwurf vom Juli zu debattieren, war uns allen klar,dass dieser Entwurf bereits überholt war .Der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen im Augustund in den Folgemonaten hat, auch mit Blick auf denHaushalt, alle Prognosen über den Haufen geworfen . Unsist es gemeinsam in den letzten Wochen der Beratungengelungen, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wirmit den gegenwärtigen Herausforderungen umgehen . Inden parlamentarischen Beratungen der letzten Wochenhaben wir beschlossen, allein den Einzelplan des Bun-desministers des Innern um etwa 1 Milliarde Euro auf-zustocken . Er wächst damit auf 7,8 Milliarden Euro an .Herr Minister, Ihren Behörden stehen im nächsten Jahr5 500 Mitarbeiter zusätzlich zur Bewältigung der Aufga-ben zur Verfügung, davon alleine 3 000 Mitarbeiter fürdas BAMF, plus weitere 1 000 befristet Beschäftigte . Dasheißt, allein beim BAMF können 4 000 neue Mitarbeitereingestellt werden . Das Ganze war nur möglich in einemsehr guten und konstruktiven Miteinander von Ministerbzw . Ministerium und den Berichterstattern, und dasin einer zugegebenermaßen schwierigen Zeit . Ich darfmich bedanken bei Martin Gerster, Anja Hajduk undbei Dietmar Bartsch, der aufgrund seiner Verdienste imHaushaltsausschuss jetzt Karriere gemacht hat .
Ich begrüße in unserer Runde Roland Claus und wünscheihm das Gleiche . Ich freue mich auf die gute Zusammen-arbeit .
Meine Damen und Herren, wir dürfen uns aber kei-ner Illusion hingeben: Mit mehr Geld und mehr Stellenlösen wir das eigentliche Problem nicht, wir könnenes nur besser verwalten . Das Kernproblem liegt in denHerkunftsregionen . Darauf will ich allerdings nicht nä-her eingehen; vielmehr will ich mich auf die Situation inDeutschland konzentrieren .In Deutschland haben wir kein Problem des gutenWillens – weder in der Politik
noch in weiten Teilen der Bevölkerung –, in Deutschlandhaben wir vor allem ein Zeitproblem . Wenn wir die Auf-Roland Claus
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gabe, die vor uns liegt, gut machen wollen, das heißt, denMenschen, die zu uns kommen, nicht nur ein Dach überdem Kopf, sondern auch eine Perspektive in unseremLand geben wollen, dann brauchen wir mehr Zeit . Wirkönnen nicht jeden Tag 5 000 bis 10 000 neue Flücht-linge aufnehmen und diese Herausforderung bewältigen .
Ob wir die Zuwanderung „begrenzen“ oder ob wir sie„reduzieren“, ist letztlich egal . Wichtig ist, dass die Zahlder Flüchtlinge weniger wird, und das möglichst schnell .Das ist die größte politische Aufgabe in dieser Zeit .
Dazu gehört, dass wir auch in der Verwaltung besserwerden . Hier sind zu nennen: schnellere Asylverfahren,vor allem der Abbau des großen Bergs an aufgelaufenenunbearbeiteten Anträgen, durchgängige Registrierungund Kontrolle derer, die zu uns kommen, schnellereAbschiebung derer, die keine Perspektive in unseremLand haben, und umgehende Integrationsmaßnahmenfür diejenigen, die auf absehbare Zeit bei uns bleibenwerden . Allein für den Bereich der Integrationsmaß-nahmen stellen wir in diesem Haushalt im Vergleich zu2015 326 Millionen Euro mehr zur Verfügung . Das un-terstreicht, dass wir die Aufgabe der Integration geradein der ersten Zeit, wenn die Menschen zu uns kommen,sehr ernst nehmen .
Herr Minister, es war eine strategisch kluge Entschei-dung, Herrn Weise mit der Leitung des Bundesamtesfür Migration und Flüchtlinge zu beauftragen . Denn esgeht nicht nur darum, die Asylverfahren zu beschleuni-gen, sondern es geht auch darum, die Bundesagentur fürArbeit auf das vorzubereiten, was im nächsten Jahr oderin zwei Jahren auf sie zukommt, nämlich die Menschen,sobald ihr Asylverfahren bearbeitet ist und sie einen Sta-tus haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren . An dieserStelle möchte ich mich bei Herrn Weise dafür bedanken,dass er die Mammutaufgabe, zwei Behörden in der Grö-ßenordnung des BAMF und der BA gleichzeitig zu lei-ten, in dieser schwierigen Zeit übernommen hat .Meine Damen und Herren, beim Haushalt des Bun-desinnenministeriums geht es aber nicht nur um Flücht-linge, sondern vor allem auch um Sicherheit . Auch un-ter diesem Aspekt werde ich diese Beratungen nicht soschnell vergessen . Wir haben die Haushaltsberatungenam vorletzten Donnerstag abgeschlossen .
– Freitagmorgen, 5 Uhr morgens, Frau Vorsitzende, warder Haken dran .
Bis dahin haben wir von einer abstrakt hohen terroristi-schen Gefahr in Deutschland gesprochen . Zwölf Stundenspäter war diese Gefahr nicht mehr abstrakt . Die terro-ristischen Anschläge in Frankreich haben uns gezeigt, zuwas fanatisierte Islamisten fähig sind . Wir haben als Ko-alition diese abstrakte Bedrohung während der Beratun-gen sehr, sehr ernst genommen . Ich bin froh, dass es unsin den Beratungen gelungen ist, alle Sicherheitsbehördensubstanziell zu verstärken, vor allem unter dem AspektTerrorismusabwehr/Terrorismusbekämpfung .
Allein unter dieser Überschrift erhält das BKA 200 neueStellen und die Bundespolizei 350 neue Stellen . Dazukommen in den nächsten drei Jahren weitere 3 000 Stel-len für die Bundespolizei zur besseren Bewältigung ihrerAufgaben, zum Beispiel an der Grenze . Herr Minister,ich habe lange gesucht, in der jüngeren Vergangenheithabe ich aber kein Jahr ausfindig machen können, indem die Haushalte der Sicherheitsbehörden so stark auf-gewachsen sind . Ich möchte Ihnen von dieser Stelle ausganz herzlich zu diesem Erfolg gratulieren .
Meine Damen und Herren, Schutz und Sicherheitgehen aber nicht nur von Sicherheitsbehörden oder derPolizei aus . Schutz und Sicherheit gehen auch von Ret-tungsorganisationen und Katastrophenschutzorganisatio-nen aus . Das THW liegt uns besonders am Herzen . Wasdas THW zur Bewältigung dieser Flüchtlingssituationleistet, ist gigantisch . Ich möchte dem THW von dieserStelle aus ganz herzlich für seinen Einsatz danken .
Es ist absehbar, dass wir das THW in Zukunft nochstärker brauchen werden, sowohl im Inland als auch imAusland, zum Beispiel mit Blick auf die Flüchtlings-lage . Wir haben uns deswegen im Haushaltsausschussdazu entschieden, das THW auch personell substanziellzu verstärken, damit die Ehrenamtlichen sich auf ihrenEinsatz konzentrieren können und von Routineaufgabendurch Hauptamtliche entlastet werden . Das THW erhältdeswegen im nächsten Jahr 208 neue Stellen plus zu-sätzliche Personal- und Sachmittel, darunter 8 MillionenEuro als Selbstbewirtschaftungsmittel der Ortsverbände .Dieses Geld kommt bei jedem Ortsverband an und istAusdruck einer besonderen Verbundenheit, Ausdruck derWertschätzung, die wir dem THW und seinem Einsatzentgegenbringen .
Zu den Sicherheits- und Katastrophenschutzbehördengehören auch die Feuerwehren und die anderen Rettungs-organisationen . Auch hier erhöhen wir die Mittel für denBereich, für den der Bund zuständig ist, um 5 MillionenEuro; die Hauptverantwortung für diese Behörden liegtja bei den Kommunen .Zuletzt möchte ich noch einen anderen Aspekt anfüh-ren . Es geht um die IT-Sicherheit . Wir haben das Bun-desamt für Sicherheit in der Informationstechnik . Umdiese Behörde werden wir in der ganzen Welt beneidet .Wir haben diese Behörde, das BSI, im Sommer mit demIT-Sicherheitsgesetz in seiner Verantwortung gestärkt .Dr. Reinhard Brandl
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Mit diesem Haushalt werden wir auch eine personelleStärkung des BSI vornehmen, damit das BSI seinen Auf-gaben gerecht werden kann . Es erhält ab dem kommen-den Jahr 81 neue Stellen . Ich möchte auch dem scheiden-den Präsidenten Hange für seine lange Zeit und Arbeitals Vizepräsident und als Präsident des BSI ganz herzlichdanken .
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Wah-rung der äußeren und inneren Sicherheit unseres Landessind die wesentlichen Fragen und Herausforderungen un-serer Zeit . Es gibt nicht die eine Antwort, aber mit demHaushalt des Bundesinnenministeriums für 2016 gebenwir eine wichtige Antwort .Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit, fürdie Aufmerksamkeit und bitte Sie alle um Zustimmung .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Anja Hajduk
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! In der Tat: Die Beratungen über den Haushaltdes Innenministers waren gekennzeichnet von ganz vielVeränderung . Das ist vor dem Hintergrund der Gescheh-nisse der letzten Wochen nicht verwunderlich . Wir habenhier Mittelaufstockungen um 15 Prozent . Das ist schonerheblich .Wir sprechen hier über den Etat des Innenministers,und das Thema Sicherheit steht ganz besonders im Zen-trum der Aufmerksamkeit, nicht nur bei uns Politikernund Politikerinnen, sondern auch bei den Bürgerinnenund Bürgern . Herr Minister – das möchte ich gerne er-wähnen –, ich fand es und wir fanden es sehr begrüßens-wert, dass Sie nach den Vorkommnissen in Paris sehr klarkommuniziert haben, dass man diese zu verurteilendenTerroranschläge nicht mit der Herausforderung bezüg-lich der Flüchtlinge vermengen darf . Es war wichtig, dasin dieser Klarheit zu sagen .
Die Flüchtlinge sind doch Menschen, die selbst Opfervon Terror sind und diesem Terror und diesen Situatio-nen entfliehen. Deswegen brauchen sie unseren Schutz.Vor dem Hintergrund dieser Anschläge und der Bedro-hung ist es richtig, dass wir in diesen Wochen darauf ge-achtet haben und weiterhin darauf achten, unsere Sicher-heitsbehörden zu stärken . Wir haben das – das hat auchKollege Claus schon erwähnt – bei den Personalmittelnund den Sachmitteln aus Überzeugung mitgetragen . DieAufstockung der Bundespolizei um 3 000 Stellen in dennächsten drei Jahren ist erheblich. Wir finden das richtig,und wir finden auch die Aufstockung bei den Sachmittelnrichtig . Auch die Stärkung des Bundeskriminalamts mitzusätzlich 300 Stellen ist in diesem Zusammenhang zuerwähnen .Wir weisen aber auch darauf hin, dass eine Diskussionüber die Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr imInnern nicht die richtige Lösung ist . Da scheint es Irrita-tionen in der Union zu geben .
Darauf können wir – das sage ich klipp und klar – ver-zichten, da wir das andere richtig anpacken .Wir als Opposition haben auch hinsichtlich einer Mo-dernisierung im IuK-Bereich zugestimmt . Da hat dasInnenministerium eine Federführung . Das werden wirweiterhin konstruktiv begleiten .In dem Großteil meiner Rede geht es jetzt um das The-ma Integration . Auch in diesem Bereich wurde durchauseiniges angepackt, Herr Brandl . Aber ich muss jetzt aucheinmal auf das zu sprechen kommen, wo wir, glaube ich,noch nicht auf dem richtigen Weg sind . Die Stellenauf-stockungen beim BAMF sind richtig und nötig . Wir wün-schen, dass es hoffentlich zügig gelingt, Personal zu fin-den . Auch die Erhöhung der Zahl der Stellen beim THWist richtig .Bei den Integrationskursen hat der Innenminister sel-ber einen Bedarf auf Grundlage der Flüchtlingszahlenerrechnet – und diese Prognose wird im Zweifel ja ehergetoppt . Da haben Sie selber gesagt: Wir glauben, wirbrauchen zusätzlich 570 Millionen Euro, aber wir stellenjetzt mal nur zusätzlich 250 Millionen Euro in den Haus-halt ein . – Das kann man machen, aber ich sagen Ihnenjetzt einmal, welche Sorge ich habe: Es geht hier nichtnur um die richtigen Zahlen, sondern diese Zahlen legenauch die Grundlage dafür, dass wir den Bedarf richtigeinschätzen . Ich spreche jetzt auch über den Bedarf desPersonals, der Sprachlehrer, der Ausbilderinnen undAusbilder in den Sprachkursen . Da habe ich die großeSorge: Wenn wir jetzt anfangen, das wieder ein bisschenkleinzurechnen, dann können wir bei einem ähnlichenEngpass landen wie dem, den wir schon einmal beimBAMF hatten: zu wenig Personal, zu langsame Verfah-ren bei Registrierung und Erstaufnahme . Wir können esuns nicht leisten, auch bei der Integration in solche Eng-pässe zu laufen .
Deswegen: Lassen Sie uns das anders steuern! Es istsowieso nicht einfach, dieses Personal zu finden. AberSie in der Großen Koalition tragen auch Verantwortungdafür, ob wir das nach unseren Erkenntnissen richtig aus-richten oder nur halb ausrichten . Ich hielte Letzteres füreinen Fehler .Ich möchte dazusagen: Das hat auch einen erhebli-chen Einfluss darauf, wie schnell Flüchtlinge Zugangzu Integrationskursen bekommen . Da bedaure ich sehr,dass das BAMF und Sie das integrationspolitische Ver-sprechen, möglichst alle Asylsuchenden, die eine guteBleibeperspektive haben, in Sprachkurse aufzunehmen,Dr. Reinhard Brandl
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nicht einhalten . Sie machen nämlich Folgendes: Sierechnen mit einer Art Trick Flüchtlinge aus Ländern wieAfghanistan heraus . Diese bekommen dann trotz guterBleibeperspektive am Ende nicht den Zugang zu einemSprachkurs . Das ist vollkommen kontraproduktiv . Wirdürfen keine Lücken entstehen lassen . Wir sorgen unsdarum, dass vielleicht Salafisten oder andere Einflussauf Flüchtlinge bekommen . Wenn man die Schutzquotebereinigt, stellt man fest: Bei Afghanen und Somaliernhaben wir Schutzquoten von über 70 Prozent . Gerade siesollen aber keinen Zugang zu Sprachkursen bekommen .Das ist doch Unsinn!
Das kann man doch nicht machen, und das kann man soauch nicht verantworten . Deswegen: Überlegen Sie nichtnur quantitativ, sondern auch qualitativ! Ihre Integrati-onspolitik; da müssen wir nachbessern .Wir Grünen schlagen Ihnen ein Maßnahmenpaket miteinem Volumen von 5,2 Milliarden Euro vor – hälftigfür Integrationsmaßnahmen im engeren Sinne, aber auchfür die allgemeine soziale Infrastruktur, die der gesam-ten Gesellschaft, insbesondere im Bereich Bildung undWohnen, zugutekommt . Wir müssen unsere Aufgabe soverstehen, dass unsere Leistung darin bestehen wird, ausder Willkommenskultur eine Willkommensinfrastrukturzu bauen und diese herzustellen .Da muss ich Ihnen sagen: Sie von der Großen Koali-tion vermitteln den Eindruck, als wenn Sie keinen klarenPlan haben, manchmal auch kein Herz und nicht genugMut . Wir brauchen eine wirklich einheitliche Grundaus-richtung für eine weitsichtige Politik . Liebe Damen undHerren von der Union, wir brauchen dafür auch eine ein-heitliche Haltung; das erwartet die Gesellschaft .
Daran müssen insbesondere Sie von der Union noch hef-tig arbeiten .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Martin Gerster
von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als wir am Freitag vorvergangener Woche die Beratun-gen und die Abstimmung im Haushaltsausschuss früh-morgens um 5 Uhr beendet hatten, konnte noch niemandahnen, was wenige Stunden später in Paris und in dendarauffolgenden Tagen auch andernorts passierte . Des-wegen möchte ich als erster Redner meiner Fraktion beidiesen Haushaltsberatungen zum Geschäftsbereich desBundesinnenministeriums im Namen meiner Fraktionallen Opfern und Angehörigen dieser hinterhältigen An-schläge unser Mitgefühl aussprechen und nochmals un-sere Solidarität mit unseren französischen Freunden zumAusdruck bringen .
Ich will aber gleichzeitig auch davor warnen, völligfalsche Zusammenhänge herzustellen, wie es letzte Wo-che jemand getan hat, der mich angesprochen hat . DerTenor: Die Anschläge von Paris würden zeigen, dass wirin Deutschland allein in diesem Jahr 800 000 Terroristenins Land gelassen hätten . – In aller Deutlichkeit ist dazuzu sagen: Das ist eine ganz schlimme und völlig falscheSchlussfolgerung . Im Gegenteil, die Anschläge zeigendoch gerade, weshalb sich so viele Menschen auf derFlucht befinden: weil die Brutalität, die Hinterhältigkeit,die Gewalt derart neue Formen und Dimensionen ange-nommen haben, dass den Betroffenen nur ein Auswegbleibt, nämlich die Flucht .
Ich finde, es ist unsere Aufgabe, dies in Deutschland zuerklären . Falsche Zusammenhänge müssen wir als Unfugoder gar rechtsextremistische Propaganda entlarven . Dasist unsere Aufgabe – auch als Mitglieder des DeutschenBundestages .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushalte sind inZahlen geronnene Politik . Dieser Ansatz gilt immer, indiesem Fall aber in besonderem Ausmaß .Schon für das laufende Jahr haben wir zwei Nach-tragshaushalte beschlossen, um den aktuellen politischenEntwicklungen gerecht werden zu können . Die Ergeb-nisse des überarbeiteten Regierungsentwurfs und desparlamentarischen Verfahrens für den Haushalt 2016tragen den aktuellen Entwicklungen, der Dynamik desWeltgeschehens, Rechnung: einer Dynamik, die massivMenschen auf der Suche nach Schutz und einem besse-ren Leben in unser Land geführt hat und auch weiterhinführen wird, einer Dynamik, die jedenfalls in dieser Di-mension niemand, denke ich, vorhergesehen hat und derwir dennoch insgesamt gewachsen sein müssen und, wieich meine, auch gewachsen sind .Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung .Wir bieten Schutz für die Menschen hier und auch für dieMenschen, die meinen, noch zu uns kommen zu müssen .Ich bin überzeugt: Wenn wir es jetzt richtig machen,dann gehen wir auch langfristig gestärkt aus dieser Ent-wicklung hervor – als ein Land, das eine Kultur der – ichwill es so sagen – Weltoffenheit lebt, ein Land, das fürstarke und freundschaftliche Bande zwischen Kulturenund Religionen steht . Dazu gehört aber auch – das willich deutlich sagen –: Wir müssen alles tun, um die fei-gen Täter von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, vondenen wir allein in diesem Jahr schon über 600 zählenAnja Hajduk
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mussten, zu ermitteln und mit all unseren rechtsstaatli-chen Mitteln konsequent zur Rechenschaft zu ziehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 06 –Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums –wächst – der Kollege Reinhard Brandl hat es erwähnt –um mehr als 1 Milliarde Euro an . Wir haben viel Zeitund Mühe investiert, hier die richtigen Entscheidungenauf den Weg zu bringen . Ich möchte mich bei unseremHauptberichterstatter Reinhard Brandl, aber auch bei denKollegen Dietmar Bartsch bzw . Roland Claus und AnjaHajduk, beim Bundesinnenministerium, beim Finanz-ministerium, bei unseren Fraktionsmitarbeiterinnen und-mitarbeitern und bei den Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern des Ausschusses ausdrücklich bedanken . Das wareine riesige Arbeit und eine ganz besonders große Her-ausforderung . Deswegen, glaube ich, steht es uns gut an,auch an dieser Stelle einmal Danke zu sagen .
Allein 900 Millionen Euro haben wir zusätzlich mo-bilisiert, um Beschlüsse des Asyl- und Flüchtlingsgipfelsvom September umzusetzen . Die SPD hat dort durchge-setzt, dass 3 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespoli-zei geschaffen werden – 1 000 davon schon im nächstenJahr und die gleiche Anzahl jeweils in den Folgejahren .Ich glaube, das war notwendig, um die oft bis über dieBelastungsgrenzen hinaus arbeitenden Polizistinnen undPolizisten zu entlasten .
Wie schon beim laufenden Hebungspaket, achten wirauch bei den neuen Stellen darauf, dass sie mit attrakti-ven Beförderungsoptionen für die Beamtinnen und Be-amten der verschiedenen Laufbahnen verbunden sind .Das ist auch ein Anliegen der Gewerkschaft der Polizeigewesen, und wir haben das entsprechend verankert .Hinzu kommen 45 Hebungen im höheren Dienst . Wasuns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten be-sonders wichtig ist: Wir tun auch etwas für die Beschäf-tigten im einfachen Dienst, indem wir mit zusätzlichen1 000 Hebungen von E 3 auf E 5 2016 im unteren Ver-dienstsegment dafür sorgen, dass die Bundespolizei ins-gesamt als Arbeitgeber noch attraktiver wird .Auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlin-ge stocken wir personell gewaltig auf . 300 neue Stellenwaren im Regierungsentwurf vorgesehen . Wir gehen mit2 700 Stellen über diesen Ansatz hinaus und erhöhen dieMittel für weitere 1 000 befristet Beschäftigte . Danebenstehen wir zu unserem Ziel, die Asylverfahren zu ver-kürzen . Mit zusätzlichen 97 Stellen helfen wir deswegenauch dem Bundeskriminalamt, damit die Identifizierungvon Flüchtlingen schneller geleistet werden kann .Die Mittel für Integrationskurse erhöhen wir um250 Millionen Euro auf insgesamt über eine halbe Milli-arde Euro. Davon profitieren – das ist mir an dieser Stel-le auch wichtig, liebe Kollegin Anja Hajduk – nicht nurdiejenigen, die wir so gut und so schnell wie möglichin unsere Gesellschaft integrieren wollen, sondern auchdie Anbieter und die Träger der Kurse . Hier ist mir einPunkt besonders wichtig: Ich denke, wir müssen auchdarauf achten, Herr Minister de Maizière, dass es für die-se Kurse weiterhin Personal gibt . Wir haben in unserenGesprächen dafür gekämpft; denn das war der SPD einwichtiger Punkt .Am Samstag habe ich in der FAZ gelesen, dass einPapier in der Unionsfraktion kursiert, wonach die Pau-schale auf mindestens 4,40 Euro pro Unterrichtseinheitund Teilnehmer erhöht werden soll, um die gewünschteangemessene Vergütung der Lehrkräfte zu gewährleisten .Herr Minister de Maizière, wir erwarten schon, dass sichin diesem Bereich etwas tut . Ich meine, Ihren zuletzt ge-tätigten Ausführungen entnommen zu haben, dass hier inder Tat etwas passieren wird . Wir jedenfalls möchten Sieermutigen, dieses Thema anzupacken; denn wir brauchenLeute, die diese Kurse geben können .
Ausgaben für Integration sind kein reiner Ausgabepos-ten, sondern vor allem Investitionen in die Zukunft . Jeschneller wir es schaffen, Zugewanderte in den Arbeits-markt zu bringen, desto besser für uns alle . Deswegen ha-ben wir für Integrationsprojekte zusätzlich 17 MillionenEuro bereitgestellt und den Migrationsdienst für erwach-sene Zuwanderer nochmals mit zusätzlich 10,5 Millio-nen Euro ausgestattet . An dieser Stelle möchte ich allendanken, die sich für Flüchtlinge engagieren und dafür,dass Integration in unserem Land gut gelingt .
Integration und Sicherheit waren in den Haushalts-beratungen Schwerpunkte . Aber wir haben noch an an-dere wichtige Bereiche in unserer Gesellschaft gedachtund entsprechende Veränderungen vorgenommen . Ichwill den Sport erwähnen . Hier gibt es 3 Millionen Eurozusätzlich für die Spitzensportförderung . Der Dopingop-fer-Hilfsfonds wird zwei Jahre lang mit jeweils 5 Millio-nen Euro unterstützt . Wir stärken außerdem die NADA .Das Technische Hilfswerk erhält zusätzlich 19 Milli-onen Euro als Kompensation für Aufwendungen beimAufbau von Flüchtlingsunterkünften . Damit aber nichtgenug: 8 Millionen Euro zusätzlich an Selbstbewirt-schaftungsmitteln erhalten die 80 000 Freiwilligen in denüber 600 THW-Ortsverbänden . Ich glaube, das ist richtiggut angelegtes Geld und hier auch Anlass, unseren Hilfs-organisationen einmal Dankeschön für das Riesenen-gagement zu sagen .
Mit 208 zusätzlichen Stellen im Hauptamt für dasTHW sollen die Ehrenamtlichen entlastet werden, bei-spielsweise von der lästigen Überprüfung von Gerät-Martin Gerster
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schaften . Ich glaube, auch das ist gut . Wir haben beimBBK zusätzlich 5 Millionen Euro bereitgestellt, damitdie Feuerwehren in den Ländern zusätzliche Fahrzeu-ge anschaffen können . Wir haben noch einmal 6,5 Mil-lionen Euro für die Bereitschaftspolizeien der Länderzur Verfügung gestellt, damit auch dort entsprechendeMehrinvestitionen getätigt werden können .Wir haben die politischen Stiftungen, die Entschädi-gungen für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter, das Sta-tistische Bundesamt und die Förderung der Minderheitenauf dem Schirm . Die Bundesbeauftragte für den Daten-schutz und die Informationsfreiheit erhält 21,5 zusätzli-che Stellen . Ich denke, das kann sich sehen lassen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will andieser Stelle hervorheben, dass es in Zeiten von Hass-parolen, in Zeiten, in denen Menschen auf Flüchtlingeschimpfen und dies als besonders mutig empfinden,richtig war, dass wir die Bundeszentrale für politischeBildung mit 15 zusätzlichen Stellen und einem Betragvon mehr als 10 Millionen Euro ausgestattet haben . Ichglaube, in Zeiten wie diesen ist es wichtig, gegen Parolenargumentieren zu können . Dafür stellt die Bundeszent-rale für politische Bildung wichtiges Material bereit . Andieser Stelle: Herzlichen Dank für dieses Engagement!
Fazit: Es sind gute Beratungen gewesen . Wir habenim Ausschuss gute Beschlüsse gefasst . Insgesamt, denkeich, können wir damit sehr zufrieden sein .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat der Bundes-minister Dr . Thomas de Maizière für die Bundesregie-rung das Wort .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Einsatzleiter der französischen Polizei berichteteseine ersten Eindrücke vom Tatort im Theater Bataclan –ich zitiere –:Als das Attentat im Theater Bataclan beendet war,gab es einen Moment der Stille . Polizisten und Ret-tungskräfte schauten durch die Räume, in denen dieTäter ihre Morde begangen hatten . Dann klingeltenHandys . 50, 60 oder 80 Stück . Immer wieder . Eswaren die Telefone der Opfer . Anrufe von Freunden,Familien und Angehörigen . Anrufe, die niemals be-antwortet werden .Das war ein Bericht, der mich in den letzten Tagen be-sonders bewegt hat .Ein zweites Dokument, das mich bewegte, war derBrief von Antoine Leiris – viele werden ihn gelesen ha-ben –, der bei der Terrorserie in Paris seine Frau verlor . Erhat sich in einem emotionalen Brief an den IS gewandt .Auch daraus will ich zitieren:Meinen Hass bekommt ihr nicht . . . . Euren Hass mitWut zu beantworten, würde bedeuten, sich der glei-chen Ignoranz wie der euren hinzugeben . Ihr wollt,dass ich Angst habe, dass ich meinen Mitbürgernmisstraue, dass ich meine Freiheit für Sicherheit op-fere . . . . Ich werde so weitermachen wie zuvor .Was für starke Worte!
Ob ich einen solchen Brief schreiben könnte, weiß ichnicht . Diese Worte zeigen: Stärke entsteht auch durch unsselbst . Wir sollten zeigen, dass wir uns die freiheitlichenWerte unserer Demokratie nicht nehmen lassen . Der Ter-ror trifft uns alle . Aber der Terror wird nie stärker sein alsdie Freiheit .
Wir sind im Angesicht des Terrors aber auch nichtleichtsinnig, sondern entschlossen . Wir ziehen dort Kon-sequenzen, wo sie nötig sind – in Deutschland und in Eu-ropa . Unsere Sicherheitsbehörden gehen allen Hinweisennach . Es gibt keine Garantie gegen Terroranschläge, aberunser Land ist wachsam und wehrhaft . Unsere Sicher-heitsbehörden im Bund und in den Ländern sind auf dieterroristische Bedrohung eingestellt .Nach den Anschlägen von Paris haben wir sofort wei-tere Maßnahmen für die Sicherheit in Deutschland ergrif-fen . Das beginnt bei dem engen Austausch mit unserenfranzösischen Partnern, auch was mögliche Bezüge nachDeutschland betrifft . Es gibt eine erhöhte Polizeipräsenzan Flughäfen und Bahnhöfen sowie verstärkte Grenzkon-trollen . Die islamistischen Gefährder und ihre Sympathi-santen sind „unter Wind“ . Am Freitag haben wir im Kreisder europäischen Amtskollegen wichtige Beschlüsse ge-fasst . Sie betreffen verstärkte Grenzkontrollen an denEU-Außengrenzen, endlich eine Einigung über das euro-päische Fluggastdatenabkommen, über das Jahre verhan-delt wurde, sowie Standards für den Gebrauch und dieKennzeichnung von Schusswaffen . All das ist gut .Sicherheit in Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit .Das spüren wir in diesen Tagen . Sicherheit ist auch dasErgebnis ständiger Wachsamkeit und des Einsatzes derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sicherheitsbe-hörden und der Polizeien von Bund und Ländern – Tagund Nacht . Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle ganzausdrücklich danken .
Meine Damen und Herren, wir haben am letztenDienstag schweren Herzens das FußballländerspielDeutschland gegen die Niederlande in Hannover abge-sagt . Es gab sich verdichtende Hinweise auf eine großeMartin Gerster
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Gefährdung . Ob diese Hinweise tatsächlich zutrafen,wissen wir bisher nicht . Aber manchmal muss man einesolche Entscheidung ohne die Gewissheit treffen, ob einederartige Lage zutrifft . Der Maßstab für eine solche Ent-scheidung lautet dann: Wir dürfen nicht voreilig jedemHinweis glauben, sonst begeben wir uns in die Händevon solchen Hinweisgebern . Aber wenn nach gründlicherPrüfung eine Gefährdung wahrscheinlich sein kann, dannhaben im Zweifel die Sicherheit und der Schutz von Le-ben und Gesundheit Vorrang . Und das muss der Maßstabauch für die Zukunft sein .
Diese Regierung hat nicht erst seit dem Anschlag vonParis Konsequenzen gezogen . Wir haben bereits mit demHaushaltsentwurf 2016 im Kabinett ein Sicherheitspaketverabredet . Das war nach dem Anschlag im Januar . DerHaushaltsausschuss – die Berichterstatter haben es er-wähnt – hat noch einmal draufgelegt . Die Sicherheitsbe-hörden werden durch diesen Haushalt deutlich gestärkt .Insgesamt – nicht nur für den Kampf gegen den Ter-rorismus – bekommen die Sicherheitsbehörden knapp4 000 Stellen zusätzlich . Die Bundespolizei erhält neue,robuste Einheiten, zusätzliche Schutzausrüstung undEinsatzmittel . Die erste Einheit ist Ende dieses Jahreseinsatzbereit . Auch das Bundesamt für Verfassungs-schutz wird im Bereich Extremismus- und Terrorismus-bekämpfung erheblich gestärkt .Mit dem beschlossenen Sicherheitspaket schaffen wireine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnenund Bürger in unserem Land sicherer leben können .
– Nicht scheinbar, sondern wir tun alles dafür, dass siesicherer leben können als zuvor . Eine Garantie gegen An-schläge gibt es nicht . Ich wiederhole das .Nun wird – Herr Gerster hat darauf hingewiesen –in diesen Tagen oft gefragt, und zwar manchmal arglosund manchmal arglistig: Kommen mit den Flüchtlingenauch Terroristen in unser Land? Ich möchte noch einmalbetonen – Frau Hajduk hat auch darauf hingewiesen –,was ich in den letzten Tagen und auch schon am Samstagmehrfach gesagt habe: Niemand schlage bitte vorschnelleinen Bogen von den Ereignissen in Paris zur Flücht-lingsdebatte . Der Kampf gegen Terror braucht Gemein-samkeit, nicht den sonst üblichen Streit .
Deutschland nimmt viele, sehr viele Flüchtlinge auf,die selbst vor der brutalen Gewalt des sogenannten „Is-lamischen Staates“ geflohen sind. Bisher gibt es kei-nen Nachweis für ein systematisches Einschleusen vonIS-Kämpfern, getarnt als Flüchtlinge . Aber wir gehenjedem Hinweis nach und werden das auch in Zukunft tun .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen uns unse-rer humanitären Verantwortung . Wer in Deutschland be-rechtigt Schutz erbittet, der wird Schutz bekommen . Wirmüssen dazu genau hinschauen und prüfen, wer zu unskommt und warum . Das ist der Grund, warum für michein geordnetes Verfahren bei der Prüfung der Identitätaller Asylbewerber und Flüchtlinge so wichtig ist . Nurdurch eine geordnete Erfassung aller Flüchtlinge könnenwir feststellen, wer woher zu uns kommt, wer welchenSchutzstatus braucht und wie wir die Lasten in unseremLand gerecht verteilen .Deshalb arbeiten wir auch mit Hochdruck an einemAnkunftsausweis . Nur wer diesen Ausweis am richtigenOrt erhält, bekommt zukünftig Leistungen und ein Asyl-verfahren . Das bringt Ordnung ins Verfahren . Das habenwir in der Koalition verabredet . Insgesamt arbeiten wirdaran, die Zahl der Flüchtlinge zu steuern, zu ordnen undzu reduzieren .Ich freue mich, dass wir mit diesem Haushalt nebendem Sicherheitspakt auch ein großes Asylpaket bekom-men werden . Das Bundesministerium des Innern undseine betroffenen Geschäftsbereichsbehörden erhaltenim Rahmen dieses Pakets 900 Millionen Euro mehr . DasBAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,kann nun – davon war schon die Rede – 4 000 Mitarbei-ter zusätzlich einstellen .In den letzten Wochen haben wir viel bei der Beschleu-nigung der Verfahren erreicht . Das erste Asylpaket wur-de erarbeitet, beraten, beschlossen und ist in Kraft . DieAnzahl der im BAMF getroffenen Entscheidungen ist inden ersten beiden Wochen im November um 60 Prozentgegenüber September auf durchschnittlich 1 600 pro Tagerhöht worden . Und das ist erst der Anfang .Meine Aufforderung an die Länder ist: Wenn die An-träge von Asylbewerbern abgelehnt werden – und es wirdnoch sehr viele abgelehnte Asylanträge geben; das wis-sen alle Beteiligten – , dann müssen diese Personen unserLand auch wirklich verlassen, möglichst freiwillig odersonst durch Abschiebung . Mit weiteren 150 Stellen fürdie Bundespolizei und anderen Maßnahmen werden wirdie Länder bei ihren Rückführungsaufgaben gerne unter-stützen .Das THW erhält über 200 zusätzliche Stellen undSachmittel für die Ortsverbände . Die großartige Arbeitdes Technischen Hilfswerks und der anderen großenHilfswerke wie die des Roten Kreuzes bei der Versor-gung von Flüchtlingen wird damit ausdrücklich gewür-digt . Herzlichen Dank dafür!
Nun führen wir in allen Parteien – auch bei den Grü-nen; Frau Hajduk hat es zum Schluss ihrer Rede kurz an-gedeutet – eine Debatte über die Frage: Wie viele Flücht-linge kann und soll Deutschland aufnehmen?
– Manche Kommunalpolitiker bei Ihnen diskutieren das,ehrlich gesagt, auch . Aber egal . – Und wir stellen die Fra-ge, die eigentlich genauso wichtig ist: Wie setzt man dasum, wenn eine bestimmte Größenordnung, auf die mansich zuvor verständigt hat, überschritten ist?Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Ich habe dazu im September vorgeschlagen und wie-derhole es hier: Europa sollte großzügige, abschließendeFlüchtlingskontingente aufnehmen und fair in Europaverteilen . Ein solches Kontingent soll dann die Zahl derFlüchtlinge, die in Europa aufgenommen werden, zu-gleich begrenzen . Über Einzelheiten muss man reden .Ich freue mich aber, dass dieser Vorschlag nach und nachparteiübergreifend Zustimmung bekommt . Ich denke,wir sollten daran weiterhin gemeinsam arbeiten .Wir müssen den Blick weiter nach vorne richten undAntworten auf die Frage geben, was die Aufnahme vonFlüchtlingen langfristig für unsere Gesellschaft bedeutet .Viele werden länger bei uns bleiben . Es ist daher eine derwichtigsten Aufgaben, den Menschen, die bleiben, einePerspektive zu geben . Perspektiven eröffnen sich überdie Sprache . Im Haushalt 2016 werden für Integrations-maßnahmen, also für Kurse und andere Maßnahmen, dieHerr Gerster erwähnt hat, 326 Millionen Euro zusätzlichbereitgestellt . Wir werden damit denjenigen mit Bleibe-perspektive schnell eine Teilnahme am gesellschaftlichenLeben ermöglichen, mit Sprache, mit Arbeit und mit ge-sellschaftlichem Engagement . Wir erwarten dann aberauch, dass die Betreffenden mitmachen, sich anstrengen,Geduld haben, neugierig sind, unsere Gesetze achten undunsere Werte anerkennen, ja sie leben .Erfolgreiche Integration ist wichtig für dauerhafte Ak-zeptanz und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt .Für mich als Bundesinnenminister ist sie ein Kernanlie-gen . Wir sind dabei, unsere Integrationsangebote auszu-weiten und sie ressortübergreifend besser zu verzahnen .Ich werde den Bereich der Integration auch in meinemHaus stärker ausbauen . Was wir an Prävention und Inte-gration versäumen, werden wir später viel teurer bezah-len, und zwar in jeder Weise .
Mangelnde Integration legt den Grundstein auch für Ab-lehnung, Hass und Gewalt . Wir schaffen auch mehr Si-cherheit durch Prävention und Integration .Die momentane Lage löst bei vielen Menschen Sorge,ja Ängste aus . Wir müssen über diese Ängste, die vielenSorgen und Fragen offen diskutieren . Wir dürfen sie abernicht verstärken, sondern müssen sie durch Arbeit ent-kräften .
Das setzt voraus, dass wir die Lage ehrlich und unge-schönt analysieren sowie die Probleme zügig und mitNachdruck angehen .Alle wissen, dass das Zeit braucht . Alle wissen, dass esnicht die eine Lösung und nicht den einen Schalter gibt,den man umlegt . Wir müssen deshalb verhindern, dassRechtsextremisten Sorgen und Ängste der Menschen in-strumentalisieren . Offenbar sind bei einigen – auch überden engen Kreis der Rechtsextremisten hinaus – offeneHetze bis hin zu Aufrufen zu Gewalt gegen Flüchtlingesalonfähig geworden . Ich sage: Wer in diesem Land seineFreiheit lebt, von dem erwarten wir, dass er oder sie aufdem Boden des Grundgesetzes steht . Patrioten lieben ihrLand und hassen nicht Fremde .
Der Haushalt meines Ministeriums bzw . meines Ge-schäftsbereichs wächst in einem Jahr um 1,5 MilliardenEuro . Einen solchen Zuwachs hat es noch nie gegeben .Das entspricht einem Zuwachs des Einzelplans des BMIum rund ein Viertel . Ich danke den Haushältern sehr fürdiese großartige Hilfe und Unterstützung . Das ist einstarkes Bekenntnis für die Sicherheit unserer Bürgerin-nen und Bürger, für die Integration und für den gesell-schaftlichen Zusammenhalt in unserem Land . Das wäreGrund genug, dass alle Fraktionen diesem Haushalt zu-stimmten .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Frank Tempel
von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Mit Tausenden Geflüchteten, die in Deutsch-land Schutz suchen, mit Terroranschlägen in Paris undden Terrorwarnungen im eigenen Land steht momentanbesonders die Innenpolitik im Fokus unserer Bevölke-rung . Aber wer ist für die Bewältigung dieser Aufgabentatsächlich zuständig?Niemand von uns registriert Flüchtlinge oder bear-beitet Asylanträge . Der Bundestag ist auch nicht vorOrt, um Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen .Niemand von uns muss sich Flüchtlingen persönlich alsHelfer oder Partner zur Verfügung stellen, niemand vonuns muss sich Terroristen persönlich entgegenstellen . Füralle diese Aufgaben sollte der Bundesrepublik ein starkeröffentlicher Dienst zur Verfügung stehen . Wir, die Legis-lative, haben den öffentlichen Dienst mit Gesetzen, Per-sonal, Logistik und Finanzen so auszustatten, dass er alsExekutive ausreichend für diese Aufgaben aufgestellt ist .Fakt ist: In Bund, Ländern und Kommunen wurdenvon 1991 bis 2013 2,1 Millionen Stellen abgebaut . Ein-sparungen waren bisher das Maß aller Dinge . Aber eineFrage haben Sie offensichtlich vergessen: Was muss deröffentliche Dienst leisten können, und was braucht er, umauch in Belastungssituationen, wie wir sie jetzt haben,diese Aufgaben erfüllen zu können? Hier haben Sie bis-her versagt .
Alle Warnungen über fehlende Stellen, zum Beispielbei der Polizei, haben Sie in den Wind geschlagen . Diebewusste Ignoranz zahlen Beamtinnen und Beamte üb-rigens momentan mit zahlreichen Überstunden . Vom13 . September bis zum 16 . Oktober dieses Jahres ka-Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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men allein in der Bundespolizei 500 000 Überstundenzustande . Jetzt haben Sie dafür zumindest zusätzlicheStellen geschaffen . Aber in anderen Bereichen verstehenSie immer noch nicht, dass es 2016 nicht auf die heiligeschwarze Null im Haushalt ankommt, sondern ganz ein-fach auf die Bewältigung von Aufgaben . Um diese erfül-len zu können, müssen wir die Hebel da ansetzen, wo siedie bestmögliche Wirkung entfalten .Deswegen Schluss mit dem nutzlosen Gerede von Be-lastungsgrenzen und Obergrenzen . Erhöhen Sie stattdes-sen die Belastbarkeit der Kommunen . Diese bleiben nachwie vor auf einem Großteil ihrer Ausgaben sitzen undkommen deswegen mit ihren Aufgaben dort, wo direktPersonen betroffen sind, nur schleppend voran .Noch ein Punkt: Eine Frage von Menschlichkeit, aberauch Vernunft ist eine sehr viel stärkere Investition inIntegration und Bildung für Geflüchtete. Das frühzeitigeGewähren von Sprachkursen ist doch keine Sozialhilfe,wie man bei Herrn Schäuble zu hören vermeint, sonderneine Investition in Chancen und Zukunft in durchaus bei-derseitigem Interesse .Beim Umgang mit Flüchtlingen in unserem Land seheich einen weiteren Aspekt . Wir senden in die Welt einSignal von Menschlichkeit und Solidarität . Terrorismuswird sich nicht durch die Aufgabe von Freiheitsrechtenund durch Gegengewalt bekämpfen lassen . Die Spiralevon Hass und Gewalt muss gebremst, gestoppt und zu-rückgedreht werden .
Wir müssen über die Ursachen von Terrorismus reden;denn nur wer die Ursachen kennt, sich damit beschäf-tigt und da ansetzt, bekämpft damit auch den Terroris-mus selbst . Terroristen – das muss man leider auch hierim Haus immer wieder wiederholen; ich erinnere an diePressemitteilungen – kommen nicht mit den Flüchtlin-gen ins Land. Diese fliehen gerade vor dem Terror. Jeder,der zu Recht über die Ereignisse in Paris erschrocken ist,sollte erahnen können, warum diese Menschen aus Syri-en, dem Irak oder aus Afghanistan fliehen. Da kann ichdem Kollegen Gerster nur recht geben .Eine ernstzunehmende Gefahr besteht aber durchMenschen, die sich hier bei uns radikalisieren . Wiekommt es zu dieser Radikalisierung? Warum reisenjunge Menschen aus, gehen in Terrorausbildungscampsund lassen sich dort zu tödlichen Werkzeugen ausbilden?Wir reden mittlerweile in Deutschland von rund 750 zumTeil sehr jungen Menschen . Bis heute haben wir ein-deutig zu wenig in zivile Strukturen investiert, um einersolchen Radikalisierung frühzeitig entgegenzuwirken .Die Linke fordert deswegen deutlich mehr Anstrengun-gen, um einer solchen Radikalisierung rechtzeitig durchsoziale Strukturen mit einer klaren Präventionsstrategieentgegenzuwirken . Auch hier braucht es den öffentlichenDienst und nicht schöne Worte .Frankreich musste bitter erfahren, dass Maßnahmenwie die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung, wiesie der Herr Innenminister gerade stark in den Fokusrückt, nicht mehr Sicherheit bringen, sondern dass geradefehlende Investitionen in Sozial- und Präventionsstruktu-ren Gräben in einer Gesellschaft vertiefen .Wenn ich über Maßnahmen zur präventiven Bekämp-fung von Extremismus und Terror rede, also über Sicher-heit, dann meine ich auch die Sicherheit von Flüchtlingen .Wir sehen in unserem Land brennende Flüchtlingsun-terkünfte, sehen Angriffe auf Flüchtlinge, Angriffe aufMenschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, Angriffeauf Parteibüros . Der Rechtsextremismus in Deutschlandnimmt immer gefährlichere Formen an . Doch darüberhabe ich in der Haushaltsdebatte bisher nichts gehört .Die Gefahr ist groß, dass sich erneut Strukturen wie beimNSU entwickeln oder bereits entwickelt haben . Habenwir das Entsetzen darüber bereits vergessen?Herr Minister, wenn ein Innenminister seine Mitschuldam Stellenabbau und den heute daraus entstandenenstrukturellen Überlastungen nicht bekennt, sondern sichlieber zur Ablenkung über maßlose Flüchtlinge öffent-lich äußert oder meint, afghanische Asylsuchende mögendoch besser in ihrem eigenen Land bleiben, weil wir be-reits genug für sie getan hätten, dann gießt er Wasser aufdie Mühlen von Rechtspopulisten und Rassisten – egal ober das damit will oder nicht –, die genau solche pauscha-len Diffamierungen von flüchtenden Menschen für ihreParolen nutzen . Die Terrorgefahr in unserem Land gehtvon rechts aus . Schauen Sie auf die rasant angestiegenenZahlen . BKA und Verfassungsschutz warnen bereits .Ich nehme an, zumindest den Sozialdemokraten in derSPD-Fraktion
– das hoffe ich ja – dürfte diese Union mit ihren For-derungen nach Asylgesetzverschärfungen, Obergrenzenund Transitzonen als Partner zunehmend peinlich wer-den . Vielleicht ist es doch an der Zeit, einmal über ande-re Mehrheiten im Land nachzudenken . Mit der Linkenwären eine präventive Sicherheitspolitik und damit eineandere Sicherheitspolitik in diesem Land möglich .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Eva Högl
von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Am Freitag, dem13 . November, erlebte Paris eine Nacht des Grauens .Mehrere Attentäter richteten nahezu zeitgleich an meh-reren Orten ein Blutbad an, das 130 Menschen das Lebenkostete und Hunderte zum Teil schwer verletzte . Vielevon ihnen kämpfen noch immer um ihr Leben .Die Opfer der Terroranschläge waren Menschen ausaller Welt, Menschen, die ihr Leben in Paris ausgelassenund frei leben wollten . Das Ziel des Terrors war nichtParis allein, das waren auch nicht allein die Französin-Frank Tempel
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nen und Franzosen, sondern die Terroranschläge galtenuns allen . Sie waren ein Anschlag auf unsere freiheitlicheDemokratie .Diese Terroranschläge haben uns noch einmal erschre-ckend vor Augen geführt, dass eine freiheitliche Gesell-schaft, wie wir sie sind und wie wir sie in Europa haben,verwundbar ist und verwundbar bleibt . Hundertprozenti-ge Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann esin einer rechtsstaatlichen Demokratie niemals geben . ImÜbrigen gibt es auch keine hundertprozentige Sicherheitin Diktaturen oder totalitären Systemen .Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa und in derganzen Welt zusammenstehen und eine Botschaft an dieTerroristinnen und Terroristen senden – das haben Sie,Herr Bundesminister, schon gesagt – : Wir werden unse-re Lebensweise nicht ändern, und die Terroristinnen undTerroristen werden uns nicht besiegen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden aufdas Grauen des Terrors antworten müssen . Es ist ganzwichtig, dass wir dies mit Besonnenheit tun . Sie hatten,Herr de Maizière, am 17 . November mit der Absage desFußballländerspiels eine schwere Entscheidung zu tref-fen; Sie haben es ja eben schon gesagt . Das war natürlichschmerzhaft für uns alle, besonders für die Fußballfans,und es war auch deshalb schmerzhaft, weil wir den Ter-roristinnen und Terroristen keinen Platz machen wollen,sondern weil wir unser Leben weiterleben wollen . Trotz-dem sage ich hier ganz deutlich: Es war eine richtige Ent-scheidung, das Fußballspiel abzusagen, weil offensicht-lich konkrete Terrorhinweise vorlagen . Da hat der Schutzder Bürgerinnen und Bürger immer Vorrang . Deswegendanke ich Ihnen noch einmal für dieses wohlüberlegteVorgehen .Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die Kritik daranmeiner Meinung nach überhaupt nicht berechtigt war . Siehaben solch schwere Entscheidungen zu treffen . Wir allemüssen, auch wenn es manchmal unbefriedigend ist, ak-zeptieren, dass Sie, um die Ermittlungen nicht zu behin-dern und um am Ende eine Entscheidung treffen zu kön-nen, nicht alles sagen können, was Sie wissen . An dieserStelle also ein großes Dankeschön . Genauso müssen dieEntscheidungen getroffen werden .
Die Vorgänge in Hannover haben uns gezeigt, dassunsere Sicherheitsbehörden eine hervorragende Arbeitleisten. Ich finde, auch das muss hier gesagt werden:dass Anschläge hoffentlich verhindert werden konnten,verhindert werden können und dass wir alle aber auchsehr wachsam sein müssen . Denn die Gefahr des Ter-rorismus wird weiter bestehen . Deswegen müssen wiralles dafür tun, unsere Sicherheitsbehörden ausreichendgut auszustatten . Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber,die richtigen Rahmenbedingungen durch entsprechendeSicherheitsgesetze, aber auch durch eine ausreichendeAusstattung zu schaffen .Wir haben schon einiges gegen Terrorismus auf denWeg gebracht: Wir haben die Reiseaktivitäten und dieFinanzierung terroristischer Taten unter Strafe gestellt .Wir haben unsere nach dem 11 . September 2001 einge-führten Regelungen zur Terrorismusbekämpfung erneutverlängert . Ja, das ist zwar immer umstritten, aber daswar eine richtige Entscheidung . Wir arbeiten natürlichdaran, dass wir den IS und andere Terrorgruppen intensivbekämpfen .Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an die-ser Stelle auch ganz deutlich sagen: Der Ruf nach wei-teren gesetzlichen Verschärfungen ist keine Antwort aufden Terrorismus .
Deswegen habe ich mich auch einigermaßen geärgert,als wieder – das hat mittlerweile einen Bart, ist ein alterHut – die Forderung nach Einsatz der Bundeswehr imLandesinnern kam . Ich sage für die SPD-Bundestags-fraktion ganz klar: Für uns ist die bestehende Trennungzwischen Polizei und Bundeswehr eine richtige Tren-nung, an der wir nichts ändern wollen .
Terroristen müssen bekämpft werden – mit polizeilichenMitteln und selbstverständlich auch mit den Mitteln desVerfassungsschutzes –, aber einen Einsatz der Bundes-wehr lehnen wir entschieden ab . Wir halten die Aufga-benteilung, die wir bisher haben, für ausreichend und fürsinnvoll .Was ich auch nicht verstehen kann – das will ich eben-falls ganz deutlich sagen –, ist der Ruf nach Grenzschlie-ßungen und nach weiteren Grenzkontrollen . Das Schlie-ßen der Grenzen und weitere Grenzkontrollen, die überdas in dieser Situation Notwendige hinausgehen, sind ge-rade das Gegenteil von einem Beharren und einem Beste-hen auf unserer Freiheit, sind vielmehr ein Kniefall vorden Terroristinnen und Terroristen und widersprechendem europäischen Freiheitsgedanken . Deswegen ist auchdas die falsche Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Ich bin der Auffassung: Weitere Verschärfungen füh-ren nicht zu mehr Sicherheit, sondern schränken die Frei-heit über Gebühr ein . Deswegen von hier aus der Appell,die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden undauf diesem Weg den Terrorismus wirksam zu bekämpfen .Wir müssen die Sicherheitsbehörden ausreichend gutausstatten . Dafür legen wir in diesem Bundeshaushalt dierichtigen Grundlagen . Ich bin auch sehr dankbar dafür,dass es gelungen ist, bei der Bundespolizei, beim Bun-deskriminalamt, beim Verfassungsschutz und beim BNDaufzustocken . Ich will auch ganz deutlich sagen, dasswir den Verfassungsschutz und natürlich auch die Poli-zei, Bundespolizei, Bundeskriminalamt – je nach ihrerZuständigkeit –, dass wir die Sicherheitsbehörden jetztganz dringend brauchen . Ich möchte, dass der Verfas-sungsschutz hinschaut bei den Salafisten, dass der Ver-fassungsschutz ganz genau hinschaut bei dem, was dortpassiert, was dort geplant wird . Ich möchte im Übrigen,liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Verfassungs-schutz hinschaut bei dem, was am rechten und rechtsext-Dr. Eva Högl
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remen Rand vor sich geht, dass er hinschaut, was bei denPegida-Demonstrationen für Parolen gerufen werden,und auch die AfD in den Blick nimmt .
– Deswegen sage ich ja, dass ich es für sinnvoll halte, indiese Richtung zu schauen .
Ich bin auch der Auffassung, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir die Sicherheitspolitik und die Si-cherheitsbehörden auf der europäischen Ebene stärkensollten . Herr Schuster hat diese Woche dazu etwas ge-sagt, was ich ausdrücklich unterstütze. Auch ich finde esrichtig, Europol auszubauen, Europol zu stärken und dieeuropäischen Sicherheitsbehörden in die Lage zu verset-zen, Terrorismus wirksam zu bekämpfen . Ich sagte es jaschon: Es betrifft uns alle, nicht nur einzelne Länder undeinzelne Städte .Wir stärken mit diesem Bundeshaushalt – das möchteich ebenfalls noch einmal hervorheben – auch den Ge-sichtspunkt der Prävention . Es ist ein ganz wichtiger An-satzpunkt, dass wir auf der einen Seite mit Repressionund mit den Sicherheitsbehörden auf Terrorismus reagie-ren; aber auf der anderen Seite ist es doch auch wichtig,dass wir am Anfang, ganz zu Beginn, wenn junge Leuteoder auch ältere auf die Idee kommen, sich Rechtsextre-men oder Salafisten oder anderen anzuschließen, wennsie in die Gefahr geraten, Terroristen zu werden, ganz in-tensiv dagegenarbeiten . Deswegen müssen wir – das ma-chen wir auch – Projekte, Programme, Träger, Initiativenbesser ausstatten . Das Programm „Demokratie leben!“bekommt zusätzlich Geld – das ist genau die richtigeEntscheidung –, und – das finde ich auch sehr wichtig –die Bundeszentrale für politische Bildung wird gestärkt .Auch diesen Weg müssen wir weitergehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein letzter Punkt .Auch das ist schon erwähnt worden, aber ich will es nocheinmal bekräftigen: Wer eine Verbindung zwischen Ter-rorismus, Flüchtlingen, Islam oder in unserem Land le-benden Muslimen zieht, der handelt verantwortungslos .Wer so argumentiert, stellt Flüchtlinge unter Generalver-dacht, schürt Ängste und spielt rechten Hetzern in dieHände . Da sagen wir ganz klar: Nein,
Flüchtlinge sind keine Gefahr für unsere innere Sicher-heit . Aber selbstverständlich müssen wir Flüchtlingerechtzeitig und wirksam registrieren . Wir müssen dasVerfahren besser führen . Wir müssen das Verfahren ord-nen und brauchen mehr Steuerung . In diese Richtungwollen wir auch weiter gemeinsam diskutieren . Jeden-falls: Der zu beschließende Haushalt stellt hierfür dierichtigen Weichen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Volker Beck
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ge-denken in diesen Tagen und Wochen der Opfer von Ter-roranschlägen in Paris, Beirut, Mali, Tel Aviv und Jerusa-lem . Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister, für Ihre Worteder Entschlossenheit im Hinblick darauf, dass wir in die-sen Tagen und Stunden gemeinsam unsere Freiheitsrech-te verteidigen wollen . Da dürfen wir Demokratinnen undDemokraten uns nicht auseinanderdividieren lassen .
Wir haben vielleicht zuweilen einen Streit über dieMethoden, wie wir unsere Freiheit verteidigen wollen,wie wir die Flüchtlingsaufnahme humanitär gestaltenkönnen . Aber wir sollten hier gerade angesichts der He-rausforderungen des Terrorismus klarmachen, dass wirdie Freiheit verteidigen wollen und dass uns der Schre-cken und das Grauen nicht übermannen . Dass wir hierim Rahmen des demokratischen Diskurses weiter überMethoden streiten, das darf in diesen Tagen nicht zurück-treten . Aber es muss klar sein, dass dies auch Teil derWahrnehmung unserer Freiheit ist, die wir gemeinsamgegen den Terror verteidigen wollen .
Deshalb haben Sie uns, Herr Minister, auch immeran Ihrer Seite – Frau Hajduk hat es schon angesprochen;die Haushälter haben es unter Beweis gestellt –: Wenn esdarum geht, angemessene und erforderliche Maßnahmender inneren Sicherheit zu ergreifen, gerade vor neuen undzunehmenden Herausforderungen, dann werden wir dasNotwendige politisch immer mittragen .Aber ich sage auch: Nach solchen Terroranschlägenerschrecke ich mich immer ein bisschen, wenn ich Stun-den später schon die ersten Pressemitteilungen von Agen-turen lese, wo Leute genau wissen, welche Maßnahmenjetzt unbedingt folgen müssen: Fluggastdaten, Bundes-wehr im Innern, Burka-Verbot . Die Pressemitteilungenscheinen schon im Stehsatz zu stehen, bevor irgendetwaspassiert ist . Das bringt den Bürgern kein Gefühl der Si-cherheit, wenn wir so unseriös handeln .
Wir müssen uns genau anschauen: Was waren das fürTäter? Was haben die für biografische Hintergründe?Was können wir daraus für Präventionsstrategien lernen?Was waren womöglich Sicherheitslücken oder Fehler beiDr. Eva Högl
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der Verarbeitung von Informationen, die ja durchaus dawaren? Wenn wir das sorgfältig tun, können wir für diepraktische Sicherheitsarbeit enorm viel lernen und daranarbeiten, unser Land und das unserer Nachbarn sichererzu machen . Das gelingt nur durch gemeinsame Arbeit,aber nicht durch Hallodri-Parolen in den Agenturtickern .Meine Damen und Herren, wir mussten Sie letztesJahr bei den Haushaltsberatungen bei den Präventions-projekten gegen Radikalisierung und Terrorismus zumJagen tragen . Ich bin froh, dass Sie es mittlerweile ein-gesehen haben und da mit uns gemeinsam in diesemHaushalt weitere Schritte gehen . Natürlich ist Präventionetwas Nachhaltiges . Das wirkt nicht von heute auf mor-gen . Aber es ist die Methode, durch die man Sicherheitdauerhaft schafft . In der Zwischenzeit muss man natür-lich mit Gefahrenabwehr versuchen, das Schlimmste zuverhindern . Aber wir wissen: In einem demokratischenfreien Land gibt es keine absolute Sicherheit, und in ei-nem nichtdemokratischen und unfreien Land gibt es ab-solute Unsicherheit .
Meine Damen und Herren, der Terror und Bürgerkriegin Syrien haben ja zwei Konsequenzen: Sie bedrohen ei-nerseits die innere Sicherheit, wie wir in Paris gesehenhaben, und sie entwurzeln viele Menschen, die Schutzsuchen vor diesen Terroristen und vor diesem Bürger-krieg . Deshalb ist die humanitäre Gestaltung der Flücht-lingsaufnahme einerseits eine humanitäre Verpflichtungfür uns . Sie ist andererseits eine gesellschaftspolitischeAntwort auf die Ideologie des Islamismus, indem wirsagen: Ja, wir schauen nicht, woher jemand kommt .Bei uns finden Menschen Schutz vor Verfolgung. Dasmacht unsere Humanität aus, und das unterscheidet unsso grundsätzlich von der Menschenverachtung von IS,Da‘isch und anderen islamistischen Projekten .
Deshalb sollten wir auch nicht über Obergrenzen re-den . Bei der Grundrechtswahrnehmung – sowohl beimRecht auf Asyl als auch beim Recht auf Schutz nachder Genfer Flüchtlingskonvention geht es im Kern umGrund- und Menschenrechte – kann es niemals eine zah-lenmäßige Begrenzung durch Obergrenzen geben . Aberwir können natürlich gestalten, wie wir die Flüchtlings-aufnahme bewältigen . Da ist von zentraler Bedeutung,dass wir diese Aufgabe wieder europäisch-solidarischanpacken .Es gehört aber zur Wahrheit auch dazu, zu sagen, dasswir in der Vergangenheit die Profiteure von Dublin warenund dass wir uns als Deutsche nicht um eine solidarischeVerteilung der Flüchtlinge, die in Malta, Griechenland,Spanien, Italien und Portugal ankamen, gekümmert ha-ben . Jahrelang war uns das egal . Wir waren ja fein um-zingelt von sicheren Drittstaaten . Das hat nicht mehrfunktioniert . Jetzt gilt es, eine neue Solidarität herzustel-len mit einer neuen Verteilung, und das nicht nur wegenunserer Belastungen, sondern weil wir nur gemeinsam inEuropa mehr leisten können .Herr Minister, ich bin durchaus bei Ihnen, wenn Siesagen: Wir wollen gemeinsam Flüchtlingskontingenteaufnehmen . – Wenn das nicht heißt, dass wir gleichzeitigdie Aufnahme der Menschen, die zu uns kommen, be-grenzen, bin ich da einverstanden . Lassen Sie uns das mitResettlement-Programmen der Vereinten Nationen aus-bauen und legale Zugangswege für die Flüchtlinge schaf-fen, damit sie sich nicht mehr in Schaluppen setzen, umdas Mittelmeer zu überqueren, und ihr Leben gefährden .Zu einer solchen Politik passen aber überhaupt nichtDiskussionen, wie Sie sie leider angefangen haben, näm-lich zu sagen: Wir wollen die Möglichkeit zum Famili-enzuzug für die Flüchtlinge, die da sind, einfach kappen .
Das steht zwar nicht in Ihrem Gesetzentwurf, aber inInterviews haben Sie das so gesagt . Was sagt das dennden Menschen, die in den Flüchtlingscamps sitzen, derenSohn, Mann oder Bruder vielleicht hier in Deutschland,in Frankreich oder in einem anderen europäischen Landist? Sie sagen ihnen: Ihr braucht nicht auf den Famili-ennachzug warten . Macht euch schon einmal auf, setzteuch in die Schaluppen! – Das ist ein Schleuserankurbe-lungsprogramm . Das dürfen wir aus humanitären Grün-den nicht machen, und das dürfen wir auch nicht machen,weil wir so die Situation auch nicht wirklich in den Griffbekommen .
Lassen Sie die Finger auch von Ihrem Asylpaket! Siehaben ja nach dem „Asylverfahrensbeschleunigungsge-setz“ jetzt kurioserweise ein „Gesetz zur Einführung be-schleunigter Asylverfahren“ vorgelegt . Lassen Sie auchdie Finger davon, die Rechtsfristen für Menschen aussicheren Herkunftsstaaten zu verkürzen .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Ein Satz noch dazu, wo auch die Finger vom Asyl-
paket gelassen werden sollten . – Bei Integrationskursen
eine Eigenbeteiligung der Flüchtlinge zu verlangen – wir
reden da vielleicht über 3 oder 5 Euro im Monat, und da-
für bauen wir eine riesige Bürokratie auf –, ist schikanös .
Das bringt nichts für die Integration . Solche Sachen kön-
nen wir uns in diesen Zeiten, wo es um große Aufgaben
geht, einfach nicht leisten .
Als nächster Redner hat Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Volker Beck
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Der Haushalt des Bun-desinnenministeriums für das kommende Jahr ist klarund eindeutig im Lichte von zwei großen, vielleicht so-gar epochalen Herausforderungen zu sehen: einerseitsder Flüchtlingskrise, andererseits der Bedrohung durchden islamistischen Terrorismus .Natürlich ist es vollkommen zynisch, verwerflich undmenschenverachtend, wenn man Flüchtlinge unter Gene-ralverdacht stellt, wenn man eine unmittelbare Kausali-tät zwischen diesen beiden Herausforderungen herstellt .Die Flüchtlinge sind nicht Täter, sie sind Opfer . Viele derFlüchtlinge, die zu uns kommen, insbesondere aus demsyrischen Bürgerkrieg, fliehen ja gerade vor den schreck-lichen Gräueltaten des sogenannten „Islamischen Staa-tes“ oder des Assad-Regimes .Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen, wenn es sich bewahrheiten sollte, dass zwei der At-tentäter von Paris zumindest als Flüchtlinge getarnt überGriechenland nach Europa eingereist sind, dann zeigt unsdies doch, dass die Flüchtlinge zwar nicht Täter sind –natürlich nicht –, aber offenbar diese Flüchtlingskrisevom sogenannten „Islamischen Staat“ instrumentalisiertwird, um vereinzelt auch Kämpfer des sogenannten „Isla-mischen Staates“ nach Deutschland und nach Europa zubringen . Das zeigt uns, wie ich glaube, schon ganz deut-lich: Wir müssen unsere EU-Außengrenze noch bessersichern . Es darf nicht weiter zugestanden werden, dassunkontrolliert und unregistriert Personen nach Europaeinreisen. Diese vorläufigen Erkenntnisse der schreckli-chen Attentate von Paris müssen uns hier auch eine ganzklare Mahnung sein .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die bar-barischen Angriffe und Attentate von Paris haben Frank-reich gegolten, aber gemeint war die gesamte westlicheWelt . Der islamistische Terror hat Westeuropa erreicht .Das waren Angriffe nicht nur auf Menschen, sondern daswaren Angriffe auf unsere westlichen Werte und unserewestliche Lebensweise . Und deshalb gilt, auch eines hierklar zu sagen: Wir dürfen uns vom sogenannten „Islami-schen Staat“ nicht in die Knie zwingen lassen .Es gibt auch aus meiner Sicht überhaupt keinen Grundzu Panik oder Hysterie . Unsere Sicherheitsbehörden sindgut aufgestellt . Wir haben insbesondere in den letztenMonaten sowohl die personelle als auch die finanzielleAusstattung der Sicherheitsbehörden auf Bundesebenedeutlich verbessert . Wir haben aber auch gesetzgeberischan der einen oder anderen Stelle die notwendigen Nach-besserungen und Intensivierungen vorgenommen .Wir haben, meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen, in den letzten Jahren unsere Gesetzgebung im-mer wieder der Bedrohungslage und den Anforderungender Sicherheitsbehörden angepasst . Wenn ich nur daranerinnern darf: Wir haben in den letzten Monaten die Min-destspeicherfristen in Deutschland wieder maßvoll ein-geführt . Wir haben das Terrorismusbekämpfungsgesetzwieder verlängert . Wir haben auch im Strafrecht zwarmaßvolle, aber aus meiner Sicht sehr effektive Verbesse-rungen vorgenommen, indem wir beispielsweise die Ter-rorfinanzierung jetzt verstärkt unter Strafe stellen, indemwir die geplante Ausreise von Dschihadisten in den Kriegnach Syrien verstärkt unter Strafe stellen . Wir haben dasPersonalausweisgesetz geändert, indem wir analog zumPassgesetz die Möglichkeit geschaffen haben, ausreise-willigen Dschihadisten den Personalausweis rechtzeitigzu entziehen, um damit die Ausreise zu verhindern . Daswaren aus meiner Sicht sehr maßvolle, sehr verantwor-tungsbewusste, aber sehr effektive gesetzliche Änderun-gen, sodass überhaupt kein Grund besteht, jetzt in gesetz-geberischen Aktionismus zu verfallen .
Aber – das sage ich auch dazu –: Wir müssen mit Si-cherheit im Lichte der Erkenntnisse der Ermittlungennach den Anschlägen von Paris uns auch ansehen, obnicht an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen er-forderlich sind . Wichtig ist mir persönlich, dass wir deut-lich mehr Stellen bei den Bundessicherheitsbehörden ge-schaffen haben . Es werden auch im Haushalt 2016 1 000zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei geschaffen,über 300 Stellen zusätzlich beim Bundeskriminalamt . Esgibt – das kann man an dieser Stelle auch offen sagen –deutlich mehr Stellen sowohl für das Bundesamt fürVerfassungsschutz als auch für den Bundesnachrichten-dienst . Damit kommen wir den Erfordernissen in diesergesteigerten und intensivierten Bedrohungssituation invollem Umfang nach und werden ihnen gerecht .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins-gesamt erfährt der Haushalt des Bundesinnenministe-riums einen Aufwuchs von 1,5 Milliarden Euro . 5 500zusätzliche Stellen werden geschaffen . Das ist ein kla-res Signal, insbesondere was die zweite große Heraus-forderung anbelangt: die Flüchtlingskrise . Ich sage hiereines ganz offen: Monatliche Zuzugszahlen von derzeit180 000 oder 200 000 oder vielleicht sogar mehr sind aufDauer in Deutschland nicht verkraftbar .
Deshalb kommt es aus meiner Sicht auf eine Quadrigaan, auf vier Punkte:Wir brauchen erstens eine bessere Ordnung und einebessere Struktur, vor allem auch schnellere Verfahren .Wir sind hier entsprechend tätig geworden . Wir habeninnerhalb von nur zwei Jahren die Belegschaft des Bun-desamtes für Migration und Flüchtlinge verdoppelt . Manmuss sich dies auch einmal vorstellen . Das Bundesamtfür Migration und Flüchtlinge ist die mit weitem Abstandam schnellsten wachsende Bundesbehörde . Auch imHaushalt 2016 setzen wir ein klares Signal, indem nocheinmal zusätzlich 4 000 Stellen beim BAMF geschaffenwerden . Schon heute sind über 1 000 sogenannte Ent-scheider im BAMF tätig, um die Verfahren deutlich zubeschleunigen . Wir sind hier auf einem sehr guten Weg .Es geht erstens also um eine bessere Struktur und Ord-nung, um eine lückenlose Registrierung und Kontrolle allderjenigen, die zu uns kommen .Es geht zweitens um eine schnellere und bessere In-tegration derer, die langfristig bei uns bleiben werden .
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Auch hier haben wir mit dem neuen Haushalt 2016 klareSignale gesetzt, indem 250 Millionen Euro zusätzlich fürIntegrationskurse zur Verfügung stehen, insgesamt übereine halbe Milliarde Euro: 560 Millionen Euro allein fürIntegrationskurse, 45 Millionen Euro für die Migrations-beratung für Erwachsene und 40 Millionen Euro für In-tegrationsprogramme und für das Programm „Integrationdurch Sport“ . Wir kommen unserer gesellschaftspoliti-schen Verantwortung in vollem Umfang nach .Es geht drittens um die konsequente Rückführung der-jenigen, die kein Bleiberecht in Deutschland haben, dieabgelehnt sind . Auch hier ist noch mehr zu tun, insbeson-dere seitens der Länder . Ich sage aber auch ganz deut-lich: Wir als Bund haben unsere Hausaufgaben dadurchgemacht, dass wir mit dem Asylverfahrensbeschleu-nigungsgesetz deutlich gemacht haben, dass Dinge inZukunft nicht mehr gehen, die von manchen Ländern inder Vergangenheit sehr extensiv angewandt wurden, wiebeispielsweise in Niedersachsen: Dort musste der Ab-schiebetermin zweimal im Vorfeld angekündigt werden .Im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist klar vorge-sehen, dass in Zukunft Abschiebetermine nicht mehr imVorfeld angekündigt werden dürfen . Wir erwarten jetztauch von den Ländern, dass sie die neue Bundesgesetz-gebung entsprechend umsetzen .
Der dritte Punkt ist, ganz klar, die Reduzierung derZuzugszahlen . Ich habe die Hoffnung, dass insbesonderedie Gespräche mit der türkischen Regierung, vor allemmit dem türkischen Präsidenten Erdogan, am kommen-den Wochenende dazu führen, dass wir hier wirklich zutragfähigen Ergebnissen kommen . Die Hoffnung liegtganz klar darauf, dass wir durch eine bessere Verstän-digung insbesondere mit der Türkei – die Türkei ist indiesem Zusammenhang ein Schlüsselland – zu einemeffektiveren und konsequenteren Schutz der EU-Au-ßengrenzen kommen, damit die Zahl der Zuzüge nachEuropa zurückgeht . Sollte dies nicht gelingen, müsstenwir als Nationalstaat mit Sicherheit überlegen, was wiran unseren Außengrenzen verstärkt tun können, um dieFlüchtlingszahlen effektiv und schnellstmöglich deutlichzu reduzieren .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, derHaushalt des BMI trägt auch in anderweitiger Hinsichtdie klare Handschrift insbesondere der CDU/CSU . Eswar uns ein großes Anliegen, das Technische Hilfswerkdeutlich zu stärken . Ich bin insbesondere den Haushäl-tern sehr dankbar, dass es gelungen ist, einen Aufwuchsder Mittel für das Technische Hilfswerk um insgesamt43 Millionen Euro zu erreichen – das sind 208 zusätzli-che Stellen .Ich sage einmal ganz konkret, wozu das führt: Es führtzu einer Entlastung des Ehrenamtes . Die zusätzlichenStellen werden nicht in der Stabsstelle in Bonn, sondernin den Regionen, in den 66 Geschäftsstellen, geschaffen;die Zahl der Mitarbeiter wird jeweils von jetzt sieben aufneun ausgebaut, vor allem mit technischen Mitarbeitern,die in der Lage sind, vor allem Wartungs- und Reparatur-leistungen für das Ehrenamt zu übernehmen . Das bedeu-tet eine ganz konkrete Entlastung des Ehrenamtes . Dafürist das Technische Hilfswerk sehr dankbar; das darf ichin meiner Funktion als Präsident der THW-Bundesverei-nigung sagen . Es ist darüber hinaus ein klares Signal, dasdie Koalition hier für die deutliche Stärkung des ehren-amtlichen Engagements setzt .
Wir stärken darüber hinaus auch die Bundesdaten-schutzbeauftragte . Die Bundesdatenschutzbeauftragte istab dem 1 . Januar kommenden Jahres eine unabhängigeund eigenständige Oberste Bundesbehörde . Es werden7,5 zusätzliche Stellen geschaffen und eine halbe MillionEuro zusätzlich zur Verfügung gestellt .Darüber hinaus – auch das ist ein wichtiges Zeichen,das von diesem Haushalt ausgeht – stärken wir den Sportin Deutschland . Die 15 Millionen Euro, die in diesemJahr zusätzlich zur Verfügung stehen, werden im kom-menden Jahr verstetigt . Wir stellen 10 Millionen Eurozusätzlich für die Bewerbung Hamburgs für die Olympi-schen Sommerspiele 2024 zur Verfügung – in der Hoff-nung, dass der Bürgerentscheid am kommenden Sonntagpositiv ausgehen möge . Wir stellen auch 10 MillionenEuro für die Entschädigung der DDR-Dopingopfer zurVerfügung – ein wichtiges Signal .Ich komme zum Schluss . Ein letzter Punkt, der miraber auch besonders am Herzen liegt, betrifft ein Anlie-gen, das insbesondere der Bund der Vertriebenen schonlange vorbringt; jetzt wird es endlich umgesetzt . Es wirdeine finanzielle Grundlage geschaffen, um ehemaligedeutsche Zwangsarbeiter zu entschädigen . 50 MillionenEuro stehen hier in den kommenden Jahren zur Verfü-gung . Dafür sind all diejenigen dankbar, die seit Jahren,teilweise seit Jahrzehnten, auf eine angemessene Ent-schädigung gewartet haben . Aber es geht nicht nur umdie finanzielle Entschädigung, sondern auch um das klareSignal, das von dieser Haushaltsentscheidung ausgeht .Auch dafür ein herzliches Dankeschön!
Ich glaube, man kann sagen: Wir befinden uns inschwierigen Zeiten, aber der Haushalt des Bundesinnen-ministeriums für 2016 trägt den gestiegenen Anforderun-gen Rechnung .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Lars
Castellucci von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein-mal: Die Große Koalition beweist im Bereich des InnernHandlungsfähigkeit . Es ist eindrucksvoll: Aufwuchs derStephan Mayer
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Mittel in diesem Haushalt um 1 Milliarde Euro . Das istangesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen,genau das richtige Signal . Hier wird geklotzt und nichtgekleckert . Das ist die eine gute Nachricht .Besonders freut mich, dass wir das ohne neue Schul-den schaffen . Denn die Diskussion „Steuererhöhungenfür Flüchtlinge“ ist eine dieser absonderlichen Diskussi-onen, die manchmal draußen geführt werden . Wir schaf-fen es, wie gesagt, ohne neue Schulden . Das ist allerdingsnicht uns zu verdanken, sondern das ist der Leistung derMenschen in unserem Land zu verdanken, die das erwirt-schaftet haben .
Das ist die zweite gute Nachricht .Zu den Verfahren . Wir verdoppeln die Zahl der Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter beim Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge, und auch bei der Bundespolizeigibt es mehr Ressourcen . Damit muss es gelingen, dasteilweise entstandene Chaos zu beenden . Ich will, dassbinnen Jahresfrist registriert wird, und zwar schnell undeinmal und nicht keinmal oder mehrfach, wie das derzeitder Fall ist .
Ich will, dass wir binnen Jahresfrist erreichen, dass dieVerfahren drei Monate dauern – wie Herr Weise uns daszugesagt hat – und wir hierbei alles einrechnen und nichtsagen: Es gibt eine Zeit vor dem BAMF und eine Zeitnach dem BAMF . – Außerdem muss es uns innerhalbdes nächsten Jahres gelingen, die Zahl der aufgelaufe-nen Verfahren abzubauen . Seit 2008 steigt die Zahl derVerfahren, die nicht abgearbeitet werden, Jahr um Jahr .Daher ist eine Änderung dringend notwendig; denn sokann es nicht mehr weitergehen .Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir arbeiten dran .Offen gestanden: Wenn ich meinen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern sage: „Ich brauche etwas“ und diese mir da-rauf antworten: „Wir arbeiten dran“, dann läuten bei mirein bisschen die Alarmglocken . Wir brauchen jetzt kein„Wir arbeiten dran“; vielmehr müssen wir die Ergebnisseim nächsten Jahr mit aller Ernsthaftigkeit und mit allemNachdruck erreichen wollen .
Der wichtigere Punkt ist die Integration oder – weildas Wort nicht besonders gut ist – das Zusammenleben inDeutschland. Die finanziellen Ressourcen für die Integra-tionskurse werden verdoppelt; das macht ein Viertel derMilliarde aus, die neu in den Haushalt eingestellt wird .Ich will aber auch sagen: Es geht an dieser Stelle nichtnur um Geld, sondern wir müssen auch darauf achten,dass das gut umgesetzt wird und dass die Flüchtlinge, diezu uns kommen, die Maßnahmen und Angebote erhalten,die sie brauchen . Die einen sind Analphabeten, die Al-phabetisierungskurse brauchen, andere brauchen andereAngebote . Ob da das Management und die Systematikim Konzert der Angebote, die auch die Bundesländer un-terbreiten, schon so gut funktionieren, das wage ich zubezweifeln . Es geht also nicht nur darum, Geld bereitzu-stellen, sondern man muss auch genau hinschauen, wasmit dem Geld passiert .
Weil wir die Diskussion nicht nur über die Medienführen sollen, sondern auch dort, wo sie hingehört, näm-lich hier, möchte ich etwas zum Thema Familiennach-zug sagen . Wenn wir schon Integration anstreben, weiluns das wichtig ist und weil es entscheidend darauf an-kommt, dann müssen wir Maßnahmen, die der Integrati-on zuwiderlaufen, unterlassen . Zu sagen: „Ihr seid hierund sollt euch integrieren, aber eure Familien lassen wirmal in den Kriegsgebieten“, das ist integrationsfeindlich .Deswegen ist das auch eine falsche Ansage .
Befremdlich fand ich auch die Äußerungen vomWochenende, was die unbegleiteten minderjährigenFlüchtlinge angeht . Der Familiennachzug müsse ausge-schlossen werden, weil die Jugendlichen – Zitat – „vor-geschickt“ werden . Meine sehr verehrten Damen undHerren, da werden keine Jugendlichen vorgeschickt,
sondern da legen Eltern und Großeltern, Tanten und On-kel zusammen, damit wenigstens einer ein besseres Le-ben haben kann oder sein Leben sogar sichern kann . Dasist doch die Wahrheit . Das würde jeder von uns in einersolchen Situation ganz genauso machen .
Wir dürfen beim Thema Sprache aber nicht stehen-bleiben – die Sprache ist die Basis für Integration –, son-dern wir müssen auch an diejenigen denken, die schonin Deutschland sind . Wir müssen uns überlegen: Wiegestalten wir das Zusammenleben derjenigen, die schonda sind, mit denjenigen, die zu uns kommen? Wie kanndas gut funktionieren? Dazu brauchen wir Plattformen,Raum für Begegnungen .Ich habe dieser Tage eine Nachricht aus meinemWahlkreis erhalten . Dort wird seit vielen Jahren eindurch Spenden finanziertes interkulturelles Café betrie-ben . Mit dem vorliegenden Haushalt wollen wir Ordnungherstellen . Spätestens mit dem nächsten Haushalt müs-sen wir Zusammenleben gestalten . Wir brauchen Struk-turförderung für solche Angebote, wo sich die Menschenbegegnen und sich kennenlernen können; denn das istdas Beste, um Vorurteile und Ängste abzubauen .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht alle, diekommen, werden bleiben können, und nicht alle, dieDr. Lars Castellucci
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kommen, werden bleiben wollen – das kann man an die-ser Stelle auch einmal sagen –, aber für beide Gruppengilt: Wir haben die Chance, ihnen unsere Werte vorzule-ben und ein positives Deutschlandbild zu vermitteln . Sogewinnen wir, wenn sich beide Seiten anstrengen, Freun-de, Nachbarn und Kollegen in der Welt und bei uns .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Armin
Schuster von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Selten hat ein Haushalt des Innenres-sorts so in die Zeit gepasst wie dieser . Dieser Haushaltist keine Reaktion auf Paris – damit haben die Haushälterrecht –; darauf dürfen wir stolz sein .Für die Unions-Innenpolitiker möchte ich sagen: SeitBeginn dieser Legislaturperiode setzen wir uns unterFührung von Stephan Mayer dafür ein, dass im Bereichder inneren Sicherheit neue und deutliche Akzente gesetztwerden . Erstmals erreicht wurde dies im Haushalt 2015,und jetzt schaffen wir das mit einem richtigen Aufschlagim Haushaltsplan 2016 . Dafür brauchten wir keine Ter-roranschläge; dafür reichte unsere Überzeugung . Ich binmeiner eigenen Mannschaft dafür dankbar, dass wir dashinbekommen haben, aber natürlich auch den Haushäl-tern Dr . Reinhard Brandl und Dr . André Berghegger .Dr . Berghegger ist bei diesen Fragen unser Lotse in derAG Innen; denn wir kennen nicht alle Untiefen . Wennwir zu Ihnen kommen, Herr Brandl, wissen wir schonvon Dr . Berghegger, was wir machen müssen . Natürlichdanke ich auch dem Bundesinnenministerium, dem gan-zen Team der Minister, insbesondere dem südbadischenFinanzminister – den braucht es auch –, und ich dankedem haushaltspolitischen Sprecher, der sehr sicherheits-affin ist. Herzlichen Dank, Herr Rehberg.
Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundespoli-zei, BSI, BAMF und THW mit den richtigen Ressour-cen auszustatten, ist das eine . In unsicheren Zeiten ist esaber auch wichtig, dass die Menschen Vertrauen habenin die Arbeit unserer Behörden . Bezogen auf Hannoverhabe ich mich ein bisschen erschreckt, was für eine Wel-le durch die Öffentlichkeit ging, auch durch die sozialenNetzwerke . Meine Damen und Herren, für und in Han-nover wurde aus meiner Sicht in der vergangenen Wocheabsolut richtig entschieden .
Es wäre für alle Bürger, für unsere Sicherheitsexpertenund für die im islamistischen Milieu hochgefährdetenV-Leute ein großer Vorteil, wenn die Öffentlichkeit auchdann unseren Behörden vertraut, wenn wir nicht alleErkenntnisse zu Markte tragen können, wenn wir – dassage ich an die Adresse der Medien – nicht alle zu Marktetragen müssen . Ich bin der Überzeugung, dass Vertrau-en das Wichtigste ist, was wir in dieser Lage brauchen,um dem Terror standzuhalten . Dafür gibt es für mich dreiGrundbedingungen:Grundbedingung eins: Haushalt und Gesetzeslagemüssen in Ordnung sein . Für den Haushalt haben wirdieses Mal viel getan . Herzlichen Dank! Man kann in derKoalition über viele Themen streiten; aber mit euch vonder SPD – das muss ich sagen – im Bereich der innerenSicherheit Haushaltspolitik zu machen, das macht mirSpaß . Das gefällt mir .
Deswegen haben wir jetzt auch 1 Milliarde Euro mehr,als im Regierungsentwurf vorgesehen war . Herr Gerster,vielen Dank . Wir müssen jetzt nicht in gesetzgeberischenAktionismus verfallen – das ist wichtig; Frau Dr . Högl,darüber sind wir uns einig, auch wenn es Punkte gibt, beidenen wir uns nicht einig sind –, weil wir unser Pulverim Trockenen haben;
ich darf das vielleicht so ein bisschen martialisch for-mulieren . Flüchtlingslage, Terrorbekämpfung, Rechts-extremismus, Cyberfähigkeit – überall haben wir denHaushalt und die Rechtsvorschriften angepasst . Wir ha-ben Reisen in ISIS-Gebiete längst unter Strafe gestellt,wir können Ausreisen verhindern, und wir können Pässeund Personalausweise entziehen . Wir haben uns die Be-kämpfung der Terrorismusfinanzierung zum Ziel gesetzt.Wir haben die Vorratsdatenspeicherung eingeführt unddie Befristung von Vorschriften nach den Terrorismus-bekämpfungsgesetzen verlängert . Meine Damen undHerren, besser kann man nicht beweisen, dass die Innen-politik in diesem Land gut vorbereitet ist . Ich brauche imMoment nicht mehr Gesetze .Zweitens . Das Vertrauen in der Bevölkerung ist dannbesonders groß, wenn wir uns an unsere Rechtsvorschrif-ten halten – die sind gut – und sie ohne Wenn und Aberumsetzen . Das erwarten die Menschen gerade in unsiche-ren Zeiten . Deshalb müssen wir Dublin und Schengenschnellstens reanimieren . Deshalb bin ich dem Bundes-innenminister für seine vielen klaren Haltungen in denvergangenen Wochen sehr dankbar. Das flößt Vertrauenein, auch bei der Bevölkerung . Das spürt man .
Wer in diesen Tagen allerdings nur auf die Sicherungder Schengen-Außengrenze fokussiert – und das machenja ganze Heerscharen –, der hat den Schengener Grenz-kodex noch nicht verstanden .
Außengrenzensicherung war noch nie das einzige Mit-tel der Wahl . Das haben wir uns Mitte der 90er-Jahreso nicht gedacht . Binnengrenzschleierfahndung, Schen-Dr. Lars Castellucci
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gener Informationssystem, gemeinsame internationa-le Ermittlungsgruppen, automatisierter Datenabgleich,Infoaustausch zu Fingerabdrücken, Kfz-Kennzeichen,DNA-Spuren usw . usf . – das alles ist Schengener Grenz-kodex und Prümer Vertrag . Ich bedauere, dass wir in die-sen Tagen sehr wenig Klartext darüber sprechen, dass alldas in Europa schlampigst umgesetzt ist .
Die Schleierfahndung ist faktisch ausgestorben . Esgibt Fahndungsdateien bei Europol, in die nur fünf Län-der von ganz Schengen-Europa Daten eingeben . Wiewollen wir so Terroranschläge verhindern? Wie wollenwir präventiv dafür sorgen, dass Europa ein Raum derFreiheit, des Rechts und der Sicherheit ist? Wenn wir unsnicht jetzt in den Schengener Binnengrenzräumen umFahndungs- und Ermittlungsdruck kümmern, wann denndann?
Die Attentäter der vergangenen Anschläge haben allezusammen eine verwundbare Stelle: ihre grenzüber-schreitende Reisetätigkeit . Sie alle haben es getan, aufallen Verkehrswegen, und man hätte sie erkennen kön-nen . Aber dafür braucht man konsequente Grenzüberwa-chung – auch in Deutschland – im Rahmen einer Schlei-erfahndung oder auch mehr .Die Haltung, dass das alleinige Aufgabe der Schen-gen-Außengrenzenländer sein soll und nicht unsere, findeich völlig unplausibel . Warum sollen die es können undwir nicht? Ich empfehle jedem, der damit hausieren geht:Fahren Sie doch einmal zur Bundespolizei oder zur bay-erischen Polizei; ich empfehle die PolizeiinspektionenFahndung in Traunstein und in Rosenheim . Die erklärensehr gerne, wie hochwirksam Binnengrenzfahndung ist .Ich erinnere an den Aufgriff des Montenegriners, der ei-nen ganzen Kofferraum voll schwerster Waffen hatte . Obwir aktuell Grenzüberwachung wollen oder nicht, müs-sen wir politisch entscheiden; aber man sollte bitte nichtbehaupten, wir könnten es nicht .
Die Bundeszollverwaltung und die Bundespolizei tundas seit Jahrzehnten, egal in welcher Lage die Bundes-republik Deutschland sich befunden hat . Die können das .Diese öffentlichen Unwerturteile finde ich nicht in Ord-nung .Es gibt einen Zusammenhang – auch das traue ichmich zu sagen; ich weiß, das ist heikel – zwischenFlüchtlingslage und Terrorbedrohung . Ein Innenpolitikermuss so etwas ansprechen, weil wir uns als Fachleutebezeichnen . Wir können nicht ausschließen, dass ISISmit seiner perfiden Hinterhältigkeit versuchen wird, dieFlüchtlingsströme zu nutzen, um in unserer Gesellschaftdurch Vorkommnisse zu polarisieren und zu spalten, unsgegeneinander auszuspielen . Deshalb müssen wir zumSchutz aller, der Flüchtlinge und der Deutschen, genauerhinschauen, wer auf welchem Weg warum in dieses Landmöchte. Das flößt Vertrauen ein.
Kollege Schuster, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Tempel zu?
Von Herrn Tempel? Natürlich .
Bitte .
Herr Schuster, lassen wir einmal ganz kurz unsere
unterschiedlichen politischen Positionen, ob eine Schlie-
ßung der Grenzen und stationäre Grenzkontrollen richtig
sind oder nicht, außen vor . Nehmen wir einmal an, dass
das gemeinsam politisch gewollt wäre, was es natürlich
nicht ist . Sie haben mit Ihrer Fraktion seit Jahren den
permanenten Personalabbau mitgetragen . Genau wie Sie
besuche ich regelmäßig Delegiertenkonferenzen bei Ge-
werkschaftsversammlungen der Bundespolizei und auch
Polizeidienststellen, mehrere allein in diesem Jahr . Dort
wird von den Kollegen einheitlich gefragt: Wie sollen
wir diesen Forderungen, die von Teilen der Politik kom-
men, überhaupt nachkommen?
Ich habe gerade gesagt: innerhalb von nur einem Mo-
nat 500 000 Überstunden bei der Polizei . Sie haben von
neuen Stellen gesprochen . Die Leute müssen erst einmal
ausgebildet werden; sie werden in den nächsten zwei
Jahren überhaupt nicht zur Verfügung stehen . Sie legen
Ihre Forderungen hier in blumigen Worten dar; aber mit
der Umsetzung ist langfristig überhaupt nicht zu rechnen .
Sie tragen mit die Verantwortung dafür, dass das Perso-
nal, die Infrastruktur und die Logistik für die Erfüllung
dieser Forderungen überhaupt nicht zur Verfügung ste-
hen . Wie möchten Sie das umsetzen? Wann möchten Sie
das umsetzen? Das sollten Sie hier schon ein bisschen
genauer sagen .
Erstens . Ich kann mit Ihnen jetzt keinen Grundkurszum Thema Grenzpolizei machen .
Aber es wäre schön, wenn Sie unterscheiden würden zwi-schen der Forderung, die Grenzen dichtzumachen – dashat nur ein Teil Deutschlands einmal versucht; ich finde,das ist eine ziemlich unsinnige Idee, die kein vernünfti-ger Grenzpolizist hat –, und konsequenter polizeilicherGrenzüberwachung, dass man also sagt: Wir betreibenGrenzübergangsstellen, weil das aus Sicherheitsgründennotwendig ist, und wir überwachen die grüne Grenze . –Das bedeutet aber nicht, dass man dort alle Menschenaufgreift und zurückschickt . So dumm ist kein Grenzpo-lizist und auch kein Politiker. Dafür gäbe es ein flexiblesSystem; da bin ich ganz sicher .
Armin Schuster
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Wenn es heißt, dass wir das nicht leisten könnten,muss ich sagen: In einer kleinen Privataudienz könnte ichIhnen ganz locker erklären, wie wir es mit 10 000 Zöll-nern, 42 000 Bundespolizisten und etlichen Landespoli-zei-Bereitschaftsabteilungen, die nur auf den Marschbe-fehl warten, binnen weniger Tage hinbekommen würden,in diesem Land einen solchen Einsatz zu fahren .
Da würde übrigens genauso wenig geschossen – ichdanke Ihnen sehr für den Zwischenruf – wie bei 1 .-Mai-Demos in Berlin, da gäbe es keine S-Draht-Rollen, dagäbe es keine Haftanstalten . Das Vermögen, in diesemLand polizeilich sauber zu arbeiten, können Sie seit Jahr-zehnten beobachten, egal bei welcher polizeilichen Lage .Wir würden auch das hinbekommen .Letzter Punkt – das wäre als dritter Punkt sowiesogekommen; jetzt geht das auf Ihre Zeit –: Ich bin nichtdamit einverstanden, dass diese Sonderlage noch unend-lich lange andauert . Dass da 1 000 bis 1 500 Bundespoli-zisten quasi eine Außenstelle des BAMF betreiben, störtmich sehr; denn sie fehlen uns genau bei der Aufgabe,für die Sie gerade plädiert haben . Mir wäre es sehr recht,wenn wir die Flüchtlingszahlen so reduzieren, sodass dasBAMF seine eigentliche Aufgabe allein und selbststän-dig erledigen kann und die Bundespolizei zur Wahrneh-mung ihrer originären Aufgabe, nämlich der Grenzfahn-dung, zurückkehrt .Das dürfte Ihnen als kleiner Input reichen . Den Restmachen wir dann privat . Vielen Dank .
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine deut-liche Reduzierung der Flüchtlingszahlen . Wenn ständig2 000 Polizisten das BAMF verstärken, ist das ja kein„Wir schaffen das“ . Das ist nur eine Notlösung . Ich bindamit einverstanden, dass die Bundespolizei das jetztmacht . Aber das ist eine Sonderlage, und Sonderlagenenden irgendwann . Insofern bin ich der SPD dankbar .Wenn ich Herrn Steinmeier und Herrn Gabriel richtigverstehe, wollen sie einen Neustart in der Flüchtlingspo-litik . Auch ich glaube, dass das notwendig ist, zumindestbei der Frage: Wie viele kommen zu uns?Mein letzter Punkt: zum Thema Vertrauen . In dendeutschen Sicherheitsbehörden, bei Polizei und Ver-fassungsschutz, arbeiten Zehntausende von Frauen undMännern . Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren erlebe ichhier, vornehmlich aus den Reihen der Opposition, immerwieder den Versuch, unsere Sicherheitsbehörden öffent-lich zu diskreditieren .
Die Rede ist dann von mutmaßlichen Übergriffen bei Po-lizeieinsätzen, davon, dass die Rechte der Bürger mas-senhaft untergraben werden, etc . etc . Ich bleibe jetzt ganzruhig; aber ich möchte in diesen angespannten Tagen denAppell loswerden: Damit schneiden wir im deutschenParlament Vertrauen ab .
Mit solchen Kommentaren stellt man permanent dieLeistung derer, die sich Tag für Tag für unseren Schutzund unsere Freiheit einsetzen, auf den Kopf .
Ich finde, auch eine Opposition – mag die Verlockungder Kameras auch noch so groß sein – hat in diesen an-gespannten Tagen eine parlamentarische Verantwortung .
Bei der Union gehört Vertrauen in Sicherheitsbehördenzur Grund-DNA . Wir müssen diesbezüglich nicht be-lehrt werden . Wir wissen, was die Frauen und Männer dadraußen leisten . Wir sind ihnen dankbar . Heute haben wirhier im Parlament sozusagen einen Doppelpass gespielt:Wir bringen einen Haushalt auf den Weg, der diese Leis-tungen angemessen honoriert .Ich danke Ihnen .
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Susanne
Mittag von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ZumSchluss ist das zwar immer ein bisschen schwierig; aberich versuche noch einmal, das Publikum zu fesseln .Im Innenausschuss ist das Thema Flüchtlinge vorherr-schend und auch ordentlich behandelt worden . Das kannman gut nachvollziehen, weil dieses Thema auch hierfast über die gesamte Zeit in aller Eindringlichkeit ange-sprochen wurde . Vereinbarungen über ein umfassendesFinanzpaket waren dringend notwendig, und das ist jaauch gelungen . Im Haushaltsausschuss wurde eine ganzeBandbreite von Themen angesprochen . Ich möchte michauf ein Thema im Bereich Inneres konzentrieren, das seitJahren leider nachrangig betrachtet wird, nämlich die or-ganisierte Kriminalität .
– Da sind wir uns jetzt einig .
Die organisierte Kriminalität umfasst nicht nur das,was man üblicherweise aus der Vorstellung von Jahres-statistiken kennt oder in Filmen sieht, sondern hat bezo-Armin Schuster
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gen auf den Vermögensschaden und die Bandbreite derDelikte mittlerweile ein erhebliches Ausmaß angenom-men, und das steigert sich immer weiter . Dazu gehö-ren – eine kleine Aufzählung – die nicht sehr auffälligenDeliktbereiche Umsatzsteuerkarussell, Geldwäsche undDrogenhandel – das bekommt ja nicht jeder mit –, aberauch massive Delikte wie Menschenhandel, Förderungder Prostitution, Kfz-Diebstahl und -verschiebung undauch – das ist ein bisschen öffentlichkeitsträchtiger –Einbrüche in Wohnungen und Straftaten gegen hochalt-rige Menschen, also gegen Menschen ab 80 Jahren . Zurorganisierten Kriminalität gehören aber auch eher neu-artige Taten wie Erpressung im Internet, Datendiebstahlund -hehlerei . Darunter fallen auch Randbereiche, dieman zuerst gar nicht mit der organisierten Kriminalitätin Verbindung bringt, wie zum Beispiel das Handeln mitillegalen Kulturgütern nach Raubgrabungen oder Mar-kenpiraterie . Der wirtschaftliche Schaden ist beträcht-lich und trägt zur Verunsicherung der Menschen bei .Organisierte Kriminalität wird in einigen Bereichen, umzum Ausgangsthema zurückzukommen, auch zur Ter-rorismusfinanzierung genutzt. Diese Tatsachen zeigen,dass wir bei all den wichtigen Themen, die sonst geradediskutiert werden, noch mehr Augenmerk auf die organi-sierte Kriminalität legen müssen .Um dem Bedürfnis aller nach Sicherheit entsprechenzu können, müssen wir die zuständigen Behörden so aus-statten, dass sie diese Sicherheit leisten können .
– Das verwirrt mich jetzt etwas . – Gerade wenn es um dieBekämpfung der organisierten Kriminalität ging, hat esin den zurückliegenden Jahren – jetzt wird es nicht mehrganz so gut – Sparmaßnahmen oder einen Verzicht aufdas Aufstocken im Haushalt gegeben .
Das war im letzten Jahr nicht der Renner . In diesem Jahrist das im Haushalt zum Glück anders .
Das war nicht immer so; deswegen sind wir heute ganzfroh darüber .
– Können wir jetzt weitermachen?
Ich will nur noch einmal einwerfen: Das BKA erhältfür seine wichtige Arbeit insgesamt 310 neue Stellen undzusätzliche Mittel für die Ausstattung . Das gehört auchdazu und ist schon einmal sehr gut . Nach den letztenHaushaltsverhandlungen war ich ziemlich betrübt; aberdiesmal bin ich – das muss ich sagen – sehr zufrieden .Das ist ein guter Einstieg .
Hinzu kommen noch 97 Stellen für Daktyloskopie, also,falls das nicht geläufig ist, für das Fingerabdruckverfah-ren . Das ist eine echte Verbesserung mit Blick auf dieAuswertung von Fingerabdrücken und die Identifizie-rung von Flüchtlingen – aber nicht nur; es gibt auch nochandere Fingerabdrücke zu erkennen .Mit zusätzlichen Stellen für das BKA kann unter an-derem die „Koordinierungsstelle Organisierte Kriminali-tät“ endlich richtig ausgestattet werden und ihre Arbeit invollem Umfang aufgenommen werden,
um in Zusammenarbeit mit Ländern innerhalb und au-ßerhalb der EU, aber auch mit den Bundesländern, derBundespolizei, dem Zoll und weiteren Institutionen dieKriminalität etwas mehr aus dem Dunkelfeld ins Hellfeldzu heben .
Auch bei der Bundespolizei wurde die Personalde-cke jahrelang dünner und dünner, während die Aufgabenwuchsen – jetzt natürlich besonders im Bereich Flüchtlin-ge . Neben den sichernden Aufgaben sind aber auch vie-le Ermittlungsbereiche bei der Bundespolizei, wie zumBeispiel Menschenschmuggel, bundesweite Diebstählein Bahnhofsbereichen oder im Güterverkehr, im Bereichder organisierten Kriminalität anzusiedeln . Daher sinddie auf drei Jahre aufgeteilten 3 000 zusätzlichen Stel-len – sie sind ja schon mehrfach erwähnt worden – einebenfalls sehr guter Anfang nach jahrelanger Sparerei .Über eine Festlegung im Haushalt freue ich mich ganzbesonders – Martin Gerster hat es schon gesagt –, undzwar über die zu den Tarifgruppen bei der Bundespoli-zei . Nun ist ein kleiner Aufstieg von der sehr niedrigenTarifgruppe E 3 in die Tarifgruppe E 5 möglich . Es wirdnämlich leicht vergessen, dass es für die Arbeit nicht nureinigermaßen gut bezahlte Beamte geben muss, sondernauch Tarifangestellte – das sind meistens Frauen –,
ohne die der ganze Apparat überhaupt nicht funktioniert .Darauf haben die Tarifmitarbeiter – die Gewerkschaf-ter haben darauf hingewiesen – Jahre gewartet . Endlichist der Einstieg geschafft . Das fördert das Engagement,bringt ein bisschen mehr Gerechtigkeit, motiviert dieNachwuchskräfte und hält erfahrene Kräfte, die sonstwegen der miesen Bezahlung gehen würden .
Es ist nur ein kleiner Teilbereich aus dem Ministeriumdes Innern, aber doch ein großer und wichtiger Bereichfür unsere Sicherheit .Susanne Mittag
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Wir haben die Verpflichtung, den Menschen im Rah-men unserer Möglichkeiten Sicherheit zu gewähren, unddas setzen wir jetzt um . Ich bin mir sicher: Die Kollegen,die dann endlich über mehr Personal und Material verfü-gen, bekommen das schon hin .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu-
nächst zur Abstimmung über den Einzelplan 06 – Bun-
desministerium des Innern – in der Ausschussfassung .
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Einzelplan 06 mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men worden .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 21 – Bundesbeauftragte für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit –, ebenfalls in der Ausschuss-
fassung . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthält sich jemand? – Der Einzelplan 21 ist einstimmig
angenommen worden .
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I .7 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz
Drucksachen 18/6107,18/6124
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
Drucksachen 18/6124, 18/6125
Zum Einzelplan 07 haben die Berichterstattung die
Abgeordneten Dr . Tobias Lindner, Klaus-Dieter Gröhler,
Dennis Rohde und Roland Claus . Zum Einzelplan 19
haben die Berichterstattung die Abgeordneten Carsten
Körber, Dennis Rohde, Roland Claus und Manuel
Sarrazin .
Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Caren Lay von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Maas, bei Ihrem Amtsantritt als neuer Jus-tiz- und Verbraucherminister wollten Sie noch eine ganzeMenge bewegen . Ihre erste Rede hier hatte auch mir gutgefallen .
Sie versprachen mehr Rechte für Frauen, für Lesben undSchwule, für die Schwachen in der Gesellschaft und denSchutz der persönlichen Daten . „Prima“, habe ich ge-dacht . Das klingt fast nach einem linken Regierungspro-gramm .
Heute will ich einmal fragen: Was ist daraus geworden?Die CDU/CSU kann sich beruhigt zurücklehnen . DieHalbzeitbilanz der Koalition sieht nämlich leider ernüch-ternd aus .
Was wurde denn alles versprochen? Beispielsweisewurde versprochen, die Ehe für gleichgeschlechtlichePaare einzuführen . Daraus ist leider nichts geworden .Doch spätestens seit dem erfolgreichen Volksentscheidim konservativen Irland wäre es höchste Zeit, auch inDeutschland die Ehe für alle endlich einzuführen .
Sie haben versprochen, den Anteil von Frauen in denFührungsgremien von Wirtschaft und Verwaltung we-sentlich – ich betone: wesentlich – zu erhöhen . Heraus-gekommen ist ein klitzekleines Frauenquötchen . Davonprofitieren – ich betone: bundesweit – ganze 200 Frauenin Aufsichtsräten . Ja, wie viele Frauen sitzen denn schonin Aufsichtsräten? Hinzu kamen noch Verschlechterun-gen im öffentlichen Dienst . Ich sage: Eine wirkungsvolleGleichstellungspolitik sieht wirklich anders aus .
Sie versprachen – vom Frauenquötchen zum Miet-preisbremschen –, eine „wirksame Mietpreisbremse“einzuführen . Da wurde zunächst lange herumgedoktert .Am Ende wurde ein Gesetzentwurf beschlossen, mit demschon bei der Beschlussfassung viel zu viele Zugeständ-nisse an die Vermieterlobby gemacht wurden .
Jetzt bewahrheiten sich – leider, muss ich sagen – die Be-fürchtungen der Opposition, dass diese Mietpreisbremseam Ende fast nirgendwo wirken wird, weil die Grundla-ge, nämlich ein ordentlicher Mietspiegel, fast nirgendwovorhanden ist . Eine Mietpreisbremse, die wirkt, habe ichmir wirklich anders vorgestellt .
Das stärkste Stück stellte aber Ihr Versprechen dar,dass es eine Speicherung von Daten ohne konkreten Ver-dacht nicht geben wird . Das hat natürlich gerade bei derSusanne Mittag
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Opposition große Erwartungen geweckt . Allerdings ha-ben Sie wenige Monate später einen Gesetzentwurf zursogenannten Vorratsdatenspeicherung vorgelegt . Dazuwurden Sie zwar gezwungen durch Ihren Parteichef . Ichfrage mich aber: Warum mussten Sie diesen Unsinn amEnde auch noch verteidigen?
Sie wollten die Schwachen im Recht stärken . Nehmenwir beispielsweise die anhaltende Abzocke von schwa-chen Verbraucherinnen und Verbrauchern bei den Dispo-zinsen durch die Banken . Da sollen wir jetzt im Grun-de eine Art Ausweisungspflicht auf den Homepages derBanken beschließen statt einer gesetzlichen Deckelung .So wird das wirklich nichts .
Auch haben Sie mehr Rechte für Verbraucherin-nen und Verbraucher versprochen, die diese tatsächlichdurchsetzen können . Rechtsdurchsetzung, das wärewirklich gut gewesen . Nehmen wir beispielsweise denVW-Skandal . Die geschädigten Autokäufer müssen jetztselber sehen, wo sie bleiben, das heißt, individuell denRechtsweg beschreiten . Hätten wir die Möglichkeit vonGruppenklagen, könnten die Verbraucherverbände füralle Betroffenen klagen . Sie aber haben bis heute nichtsvorgelegt . Im Gegenteil; Die Koalition hat einen Ge-setzentwurf der Grünenfraktion abgelehnt . Das stärksteStück aber ist, dass die Koalition mit den Stimmen vonder Union und der SPD jetzt schon zum fünften Malhintereinander abgelehnt hat, im Verbraucherausschussüberhaupt über dieses Thema zu sprechen . Meine Damenund Herren, dafür fehlt mir wirklich jedes Verständnis .
Apropos VW: Es gibt schon Themen, bei denen ichmich manchmal frage, ob wir überhaupt noch einen Ver-braucherminister haben . Im Fall VW hat es lange gedau-ert, bis von ihm etwas zu hören war . Dann kamen vor-sichtige Appelle in Richtung Konzernleitung . Ansonstenwar in der Debatte von Ihnen wenig zu hören. Ich finde,angesichts von 2,5 Millionen geschädigten Autokäufernist das keine überzeugende Leistung .
Sie schweigen meistens auch zu TTIP und CETA, alsoden geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Euro-päischen Union und den USA bzw . Kanada, und verste-cken sich hinter dem breiten Kreuz des Wirtschaftsminis-ters Sigmar Gabriel . Dabei hätten die Verbraucherinnenund Verbraucher – die, wie ich finde, zu Recht fürchten,dass sie jetzt noch mehr von Konzernen über den Tischgezogen werden – an dieser Stelle wirklich einen starkenVerbraucherminister verdient .
Das gilt auch für den Haushalt . Das Geld, welchesdie Bundesregierung für die Verbraucherarbeit ausgibt,ist, gemessen an anderen Haushalten und gemessen aucham Gesamtvolumen des Bundeshaushalts, wirklich sehrgering . Es handelt sich um 36 Millionen Euro . Ich nen-ne einmal einen Vergleichsmaßstab: Allein für die „Er-schließung von Auslandsmarken“, also für die von Steu-ergeldern finanzierte bezahlte Werbung für Firmen imAusland, gibt die Bundesregierung dreimal so viel Geldaus. Ich finde, das steht wirklich in keinem Verhältniszum Schutz von 80 Millionen Verbraucherinnen und Ver-brauchern in diesem Land .
Die Verbraucherpolitik fristet auch bei dieser Bundes-regierung unterm Strich leider immer noch ein Schat-tendasein . Es wird wenig überraschen, dass wir als Linkemehr Geld für die Verbraucherpolitik gefordert haben .Sie werden natürlich, wie immer, fragen: Woher soll dasGeld denn kommen? Da greife ich doch gerne eine For-derung der ehemaligen Verbraucherministerin Ilse Aignervon der CSU auf . Sie hatte nämlich einmal den klugenVorschlag gemacht, man solle doch die Einnahmen ausKartellstrafen für die Verbraucherarbeit zur Verfügungstellen . Kartellstrafen müssen Unternehmen zahlen,wenn ihnen zum Beispiel illegale Preisabsprachen zulas-ten von Verbraucherinnen und Verbrauchern nachgewie-sen werden . Mir ist es wirklich unverständlich, dass dasGeld, was hier eingenommen wird – eine halbe MilliardeEuro –, komplett in den Wirtschaftshaushalt fließt anstattwenigstens teilweise in den Verbraucherhaushalt, damitwir hier nicht jedes Jahr wieder um eine Million mehroder weniger streiten müssen . Damit hätten wir eine aus-reichende Finanzierung der Verbraucherarbeit .
Wenn wir nur 20 Prozent dieses Geldes umschichtenwürden, dann hätten wir 100 Millionen Euro mehr für dieVerbraucherarbeit . Das wäre eine Verdreifachung diesesHaushaltspostens, und das würde den Verbraucherinnenund Verbrauchern gefallen .Ich komme zu meinem letzten Punkt . Wir stecken im-mer noch in den Nachwehen der Finanzmarktkrise . Des-wegen fordern wir eine gute Anschubfinanzierung für diebundesweite Finanz- und Schuldnerberatung und einenFinanz-TÜV . Damit wäre das Geld für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher gut angelegt .
Meine Damen und Herren, die Halbzeitbilanz der Ko-alition im Bereich der Verbraucherpolitik ist ernüchternd .Ich weiß, Herr Maas: Sie haben einen schwierigen Koa-litionspartner .
Sie haben einen Parteivorsitzenden, der sich gerne alsGenosse der Bosse profiliert und Ihnen reingrätscht. Soist es zu erklären, dass Sie lieber twittern, als gute Ge-setzentwürfe vorzulegen . Aber die Verbraucherinnen undCaren Lay
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Verbraucher haben am Ende des Tages leider wenig da-von .
Als nächster Redner hat Dennis Rohde von der
SPD-Fraktion das Wort .
Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor uns liegt der Einzelplan des Bundesmi-
nisters der Justiz und für Verbraucherschutz . Das konnte
man bei meiner Vorrednerin in zwei Dritteln der Rede
nicht erkennen, weil es in ihrer Rede nicht wirklich um
den Haushalt ging .
Als Sie dann die Kurve zum Haushalt genommen ha-
ben, haben Sie, fand ich, auch noch verblüffend offen
dargelegt, dass Sie die Haushaltssystematik nicht ver-
standen haben . Wenn Sie fordern, das Geld aus den Kar-
tellstrafen für die Verbraucherpolitik einzusetzen, dann
müssen Sie aber auch sagen, wo Sie das Geld an anderer
Stelle wegnehmen wollen .
Natürlich ist dieses Geld schon im Bundeshaushalt ver-
plant . Das, was Sie wollen, ist: mehr Geld ausgeben und
neue Schulden machen . Das machen wir nicht mit, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
Der Einzelplan 07 zeichnet sich durch viele kleine –
das ist richtig –, aber durchaus wichtige Punkte aus . Eine
Rede zum Einzelplan 07 läuft daher immer Gefahr, sehr
kleinteilig zu sein . Ich möchte mich deshalb auf drei gro-
ße Überschriften beschränken .
Ehe Sie das tun, Herr Kollege Rohde, frage ich Sie:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay?
Herzlich gern .
Bitte schön .
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen . Ich möchte nicht, dass falsche
Dinge im Raum stehen bleiben . Deswegen möchte ich
Sie fragen: Haben Sie mich richtig verstanden, dass wir
keine zusätzlichen Einnahmen aus Kartellstrafen vorse-
hen? Wir wollen, dass, statt das Geld wie bisher komplett
für den Wirtschaftshaushalt zu verwenden, 20 Prozent
davon in den Verbraucherhaushalt fließen sollen. Haben
Sie mich da richtig verstanden?
Frau Kollegin Lay, ich habe Sie richtig verstanden .
Ich frage mich, ob Sie mich richtig verstanden haben .
Wenn Sie das Geld aus dem Wirtschaftshaushalt heraus-nehmen wollen, dann müssen Sie auch sagen, an welcherStelle Sie es einsparen wollen bzw . ob Sie dort den Haus-haltsansatz absenken wollen .
Jeder Euro im Bundeshaushalt kann nur einmal ausgege-ben werden, und das gilt leider auch für die Einnahmenaus Kartellstrafen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir haben als Koalition in den Haushaltsverhandlun-gen drei Schwerpunkte gesetzt . Der erste Schwerpunkt –an ihm kommt man, glaube ich, bei keinem Haushaltvorbei – ist der Bereich Flüchtlinge und Terrorismus .Wir wollen das Ministerium als das stärken, was es auchist, nämlich als Verfassungsministerium, das die Verfas-sungsmäßigkeit von Vorhaben zu überprüfen hat . Das istin der heutigen Zeit wahrlich keine leichte Aufgabe . Denndabei müssen Sie, Herr Minister, zwischen Terrorismus-bekämpfung, also dem Schutz von Bürgerinnen und Bür-gern, auf der einen Seite und den Freiheitsrechten, wiedem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit unddem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dienicht minder wichtig sind, auf der anderen Seite abwä-gen . Diese Abwägung haben Sie in Ihrem Hause zu tref-fen . Damit Sie das auch vernünftig tun können, stockenwir den Personalhaushalt des Ministeriums auf . Ich glau-be, das ist gerade in der heutigen Zeit ganz wichtig .
Aus demselben Grund haben wir beim Generalbun-desanwalt und beim Bundesgerichtshof Bedarf gesehen .Denn wir alle wissen – das geht derzeit immer wiederdurch die Presse –: Gewaltbereite Dschihadisten kom-men zu uns zurück . Sie müssen verfolgt werden . Dafürsind der Generalbundesanwalt und der Bundesgerichts-hof mit seinen Ermittlungsrichterinnen und Ermittlungs-richtern zuständig . Damit diese Verfahren nicht längerdauern als unbedingt notwendig, haben wir in diesemBereich noch einmal deutlich den Personalhaushalt auf-Caren Lay
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gestockt, damit verantwortungsvoll mit dieser Aufgabeumgegangen werden kann .
Auch beim Verbraucherschutz sehen wir eine ganz be-sondere Herausforderung, die sich aus der aktuellen Si-tuation ergibt; denn die Menschen, die zu uns kommen,stammen nicht nur aus fremden Kulturen, sondern auchaus teilweise ganz fremden Rechtssystemen, die mit unse-rem Rechtssystem des Vertragsabschlusses bzw . der Ver-tragsdurchführung nicht einmal ansatzweise vergleichbarsind . So weiß ein Teil dieser Menschen nicht, dass einDauerschuldverhältnis bei einem Handyvertrag, der aufzwei Jahre abgeschlossen ist, tatsächlich zwei Jahre dau-ert und nicht mittendrin gekündigt werden kann . Damitsich hier nicht irgendwelche windigen Geschäftsleute einneues Feld erschließen und solche Wissenslücken gezieltausnutzen, stellen wir dem Justizministerium zusätzlichefinanzielle Mittel zur Verfügung, um hier Aufklärungs-arbeit zu leisten . Gerade in der heutigen Zeit ist das einwichtiger Beitrag .
Nun komme ich zu meiner zweiten großen Über-schrift, zum Verbraucherschutz . Wahrscheinlich mussman als Opposition immer mehr fordern .
Aber ich finde, dass wir uns konkret anschauen sollten,was in den letzten zwei Jahren, seitdem die SPD wiederin der Regierung ist, passiert ist . Wir haben den Verbrau-cherschutzetat um gut 50 Prozent angehoben . In diesemLand wurde – auch das gehört zur Wahrheit – noch nieso viel Geld für den wirtschaftlichen und den finanziellenVerbraucherschutz ausgegeben; das lassen wir uns nichtkleinreden . Darauf sind wir als Große Koalition stolz .
Wir haben das Geld für ganz unterschiedliche Dingeausgegeben, für Maßnahmen im Ministerium, wie zumBeispiel für die Initiative für die Flüchtlinge, über dieich gerade gesprochen habe . Wir stärken die Verbrau-cherzentrale Bundesverband, indem wir dieses Mal – wirhaben bereits im letzten Haushalt die institutionelle För-derung angehoben – die Mittel für das Personal deutlichaufstocken . So kommen die Marktwächter mit einer ver-nünftigen personellen und finanziellen Ausstattung überdie Runden . Die Marktwächter sind ein gutes Projekt,das wir als Haushälter vernünftig begleiten müssen .Wir leiten einen Paradigmenwechsel bei der StiftungWarentest ein, die bisher jedes Jahr eine institutionelleFörderung aus dem Bundeshaushalt bekommt . Wir wol-len diese Stiftung nun unabhängig vom Bundeshaushaltmachen . In den nächsten Jahren wird diese Stiftung einemassive Aufstockung bekommen, um dann aus den Zins-erträgen ihren Haushalt selbst bestreiten zu können .
Das ist ein vernünftiger Paradigmenwechsel . Die Stif-tung Warentest ist und bleibt eines der wichtigen Instru-mentarien, wenn es für Verbraucherinnen und Verbrau-cher darum geht, sich nachhaltig zu informieren . DieseStärkung geschieht an der richtigen Stelle .
Wir haben des Weiteren einen sehr guten Forschungs-auftrag im Hinblick auf Schutz vor Überschuldung undUmgang mit Überschuldung erteilt . Man kann dafür na-türlich eine bestimmte Summe in den Bundeshaushalteinstellen und den Schuldnerberatungsstellen sagen:Macht mal! – Aber die Schuldnerberatungsstellen sindan uns herangetreten und haben uns gebeten, gemeinsameine Studie in Auftrag zu geben, um herauszufinden, wel-ches die Herausforderungen sind, vor denen überschul-dete Menschen stehen, und welche Dinge Menschen inÜberschuldung treiben . Wir wollen die Ursachen be-kämpfen . Für dieses Projekt haben wir das nötige Geldin den Haushalt eingestellt . Ich verspreche mir sehr vieldavon und bin sehr gespannt auf die Ergebnisse .
Meine dritte Überschrift betrifft wieder viele kleineSachen, die in der täglichen Arbeit des Justizministeri-ums anfallen und – teilweise für uns sehr überraschend –finanziell hinterlegt werden müssen. So haben wir vorder Sommerpause das Gesetz zur Verbesserung derZusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzesverabschiedet . Innerhalb des Gesetzgebungsverfahrenswurde relativ kurzfristig noch eine Änderung im Bundes-zentralregistergesetz vorgenommen, die für das Bundes-amt für Justiz sehr weitreichende Folgen hat . Ich sprechevom sogenannten Ähnlichenservice . Das bedeutet: Wennich eine Abfrage zu meinem Namen im Bundeszentral-register vornehme, dann würde nur entsprechend derSchreibweise meines Namens Rohde gesucht werden .Mein Nachname lässt sich aber auch Rhode oder Rodeschreiben . Die anderen beiden Schreibweisen müsstenzusätzlich eingegeben werden .
– Stimmt, es gibt wahrscheinlich noch mehr Schreibwei-sen . – Bei meinem Nachnamen, Frau Kollegin Künast,ist es noch relativ leicht . Beim Namen Eckhardt wird esrichtig kompliziert . Er ließe sich mit „ck“, „kk“ oder nurmit „k“, mit „a“ oder „e“, mit oder ohne „h“ und am Endemit „d“, „dt“ oder „tt“ schreiben .
Wenn Sie all diese Schreibweisen abdecken wollen, dannhaben Sie mehrere Dutzend Aufgaben zu bewältigen .Dafür braucht man eine vernünftige EDV .
Dennis Rohde
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Diese muss in den nächsten drei Jahren aufgebaut wer-den . Das kam für uns überraschend . Wir haben es nunaber gemanagt .
Das wird insbesondere denjenigen, die das momentanper Hand machen müssen, eine Menge Arbeit ersparen .
Dann haben wir noch einen zweiten Punkt, der haus-haltsrelevant ist . Das ist die Umsetzung der Richtliniezur alternativen Streitbeilegung, die wahrscheinlich inder nächsten Woche in zweiter und dritter Lesung hierverabschiedet wird . Dabei geht es um die Universal-schlichtung .Frau Präsidentin, ich habe noch fünf Sekunden Rede-zeit, aber es blinkt schon .
Ich wollte nur, dass Sie sich darauf einstellen, dass Sie
nur noch fünf Sekunden haben .
Wenn die Frau Präsidentin mich schon so nett bittet,
zum Ende zu kommen, dann möchte ich noch ausführen:
Herr Minister, ich glaube, mit dem vorgelegten Haushalt
können und werden Sie vernünftig arbeiten . Wir sollten
es gemeinsam anpacken . Wir hatten sehr harmonische
Haushaltsverhandlungen, auch mit der Opposition .
Ich denke, das wird auch in den kommenden Redebei-
trägen, Kollege Lindner, deutlich werden .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Tobias Lindner,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Stichwort„Harmonie“ ist gefallen . Auch wenn ich die Grenzenzwischen Koalition und Opposition in diesem Haus nichtverwischen möchte, so will ich dennoch sagen: Natürlichist der Einzelplan 07 des Bundeshaushalts ein besondererEinzelplan, und zwar aus zweierlei Gründen: Es ist derEinzelplan, bei dem wir – ich würde fast sagen: alle –zumindest die Zielsetzung teilen, nämlich dass wir einenstarken, einen funktionsfähigen Rechtsstaat benötigen;zweitens liegen uns allen das Wohl, die Rechte und derSchutz der Verbraucherinnen und Verbraucher am Her-zen .Schauen wir uns die dritte Säule der Gewaltentei-lung an . Die Rechtsprechung ist mit 736 Millionen Euronichts, was sonderlich teuer ist . Im Gegenteil: Sie ist sehreffizient.
Man kann diese Debatte genauso wenig wie die De-batte über den Innenetat heute nicht führen, ohne die Er-eignisse von Paris im Kopf zu haben . Wir haben dieseHaushaltsberatungen vor den schrecklichen Ereignissengeführt . Ich warne ausdrücklich vor Schnellschüssen unddavor, die Besonnenheit ad acta zu legen . Vor manchenForderungen, die ich gehört habe, beispielsweise nacheiner Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung oder nachdem Einsatz der Bundeswehr im Innern oder zur Grenz-sicherung, kann ich nur warnen . Legen Sie diese beiseite .Sie gehören in das Reich des Absurden .
Aber die Bedrohung durch Terrorismus, auch dieBedrohung durch deutsche Staatsbürger, die beispiels-weise nach Syrien ausreisen, und die Bedrohung durchRechtsterrorismus – wir werden morgen einen weiterenUntersuchungsausschuss konstituieren – ist nichts, wases erst seit den Ereignissen von Paris gibt . Deswegenist es richtig und notwendig, dass nicht nur bei der Bun-despolizei in diesem Jahr Stellen aufgestockt werden,sondern deswegen haben wir Grüne es auch unterstützt –Herr Kollege Rohde ist darauf eingegangen –, dass beimGeneralbundesanwalt und beim Bundesgerichtshof Stel-len ausgeweitet werden, damit die Justiz gut ausgestattetErmittlungsverfahren gegen Menschen, die terroristi-scher Handlungen verdächtigt werden, führen kann . Da-für haben Sie unsere Unterstützung .
Um aber etwas Wasser in den Wein zu gießen: Wirmüssen natürlich auch, wenn wir über eine gut ausge-stattete, attraktive Justiz in Deutschland reden, darandenken, dass bei neuen Anforderungen und einem engerwerdenden Arbeitsmarkt Stellen attraktiv bleiben . Dageht es nicht nur um Gehalt, sondern es geht auch umdie ganz praktischen Arbeitsbedingungen . Deswegen istes bedauerlich, dass die Große Koalition unserem Vor-schlag in der Bereinigungssitzung, Mittel speziell fürTeilzeitstellen an den obersten Bundesgerichten für denFall bereitzuhalten, dass Richterinnen und Richter Teil-zeit in Anspruch nehmen wollen, nicht hat folgen kön-nen .
Wir reden in diesen Tagen gerne darüber, Fluchtursa-chen zu bekämpfen und zu beseitigen . Hier, lieber HerrMaas, gibt es in Ihrem Ministerium Ressourcen und Wis-Dennis Rohde
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sen, die leider aus meiner Sicht viel zu wenig genutztwerden . Ich rede über den Bereich der Rechtsstaatsförde-rung . Wir haben mit der Deutschen Stiftung für interna-tionale rechtliche Zusammenarbeit ein gutes Instrument .Wir haben gerade als Bundesrepublik Deutschland, deres vor 25 Jahren gelungen ist, die DDR in einen moder-nen und effizienten Rechtsstaat zu transformieren, eineMenge an Erfahrungswissen, das wir weitergeben kön-nen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir darüberreden, Rechtsstaatlichkeit in Krisenstaaten zu festigenund auszubauen, dann geht es eben nicht nur um das Ge-waltmonopol des Staates, sondern auch um eine moder-ne, um eine gute Rechtsordnung . Hier könnten wir vielmehr tun . Wir Grüne haben in den Haushaltsberatungenbeantragt, diese Mittel weiter aufzustocken . Auch hier istes schade, dass sich die Große Koalition nicht hat dazudurchringen können, unseren Vorschlägen zu folgen .
Es gibt aber noch einen weiteren Begriff, der an IhremTürschild steht, Herr Maas – ich greife das auf, weil derKollege Rohde hier seine Buchstabierkenntnisse vorge-führt hat; es geht ja nicht nur um Justiz, sondern auchum Verbraucherschutz –: Ich habe den Eindruck, dass Sieden Begriff „Verbraucherschutz“, auch wenn die Mittelfür diesen Bereich angewachsen sind, was ich durchausanerkenne, immer noch nicht richtig buchstabieren kön-nen . Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern:Sie bauen das Instrument Marktwächter aus . Das istrichtig; das ist gut . Dennoch sage ich: Die Mittel dafürwachsen viel zu langsam an . Es dauert viel zu lange, bisdieses Instrument voll einsatzfähig ist . Wir sollten auchdarüber nachdenken, Marktwächter institutionell zu för-dern und sie nicht nur über eine Projektförderung zu fi-nanzieren . Das schafft nämlich keine Planungssicherheit .Wenn wir jetzt die verbleibenden Mittel betrachten,die für andere Verbraucherschutzthemen zur Verfügungstehen, dann stellen wir fest: Sie sind nicht mehr gewor-den, und das trotz neuer Herausforderungen im Verbrau-cherschutzbereich . Ich rede in diesem Zusammenhangvon nachhaltigem Konsum . Ich rede von sogenanntenGesundheits-Apps, etwa von einer Uhr am Handgelenk,die Gesundheitsdaten misst . Es braucht natürlich eineRegulierung, wer Zugriff auf diese Daten hat und wasmit diesen Daten geschieht . Ich rede von neuen Wirt-schaftsmodellen, von sogenannten Prosumern, also voneiner Mischung aus Produzenten und Konsumenten, diebeispielsweise im Internet Dienstleistungen und Warenanbieten . Es gibt ganz viele neue Herausforderungen imBereich der Verbraucherschutzpolitik . Diesen Heraus-forderungen kann dieser Haushalt nicht gerecht werden,wenn ein Großteil der Mittel in den Bereich Marktwäch-ter fließt.
Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen eineMenge Vorschläge unterbreitet, was man anders machenkann, wie man wirklich zu einer mutigen und nicht zueiner zaghaften Verbraucherschutzpolitik kommt . Siekonnten sich diesen Vorschlägen nicht anschließen . Jetztkommen Sie bitte nicht mit dem Argument der Finan-zierbarkeit . An anderer Stelle, in anderen Etats haben wirEinsparmaßnahmen vorgenommen . Ich denke nicht, dassman, wenn es um eine halbe Million Euro, um 1 Milli-on Euro oder um 2 Millionen geht, herumkritteln sollte,wenn man richtigerweise 10 Millionen Euro für die Stif-tung Warentest zur Verfügung stellt .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege
Klaus-Dieter Gröhler, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Bundesminister, was ist uns der Rechtsstaatwert? Was ist uns die Durchsetzung des Rechts wert?Diese Fragen, die wir uns gerade in diesen aufgeregtenZeiten immer öfter stellen, sind zumindest aus Sicht ei-nes Haushälters für diesen Einzelplan relativ leicht zubeantworten: In 2016 ist uns das auf jeden Fall mehr alsin 2015 wert, und in 2015 war es uns bereits mehr wertals in 2014 .Lassen Sie mich das an ein paar Beispielen darstel-len . Der Kollege Dennis Rohde ist schon zu Recht aufdie zusätzlichen Stellen für den Generalbundesanwaltund auf die zusätzlichen Ermittlungsrichter beim Bun-desgerichtshof in Karlsruhe eingegangen . Mit dieserMaßnahme werden wir dafür sorgen, dass wir gegen dieBedrohung durch den islamistischen Terror effektiv undrechtssicher vorgehen können . Dieser Stellenaufwuchsbei der Bundesjustiz erfolgt parallel zur Verstärkung derSicherheitsbehörden, über die ja gerade bei der Beratungdes Einzelplans des Innenministeriums gesprochen wor-den ist . Beides gehört aus meiner Sicht zusammen, undbeides dient der Sicherheit unseres Landes und unsererBevölkerung .Die rechtsstaatliche Verfolgung von deutschen Teil-nehmern an Terror- oder Gewalthandlungen, sei es imNahen Osten oder in anderen Regionen, wird nicht aneiner zu geringen personellen Ausstattung beim Bundes-anwalt oder beim BGH scheitern . Ich sage auch mit Blickauf künftige Entwicklungen: Wenn der Generalbundes-anwalt oder der Bundesgerichtshof durch die zunehmen-de Zahl an Verfahren mit terroristischem Hintergrund inden kommenden Jahren nachweisbar überlastet ist, dannwird sich die CDU/CSU-Fraktion aktiv für eine zusätzli-che Ausstattung einsetzen . Das ist es uns wert; denn jederTerrorist und jeder Unterstützer oder Sympathisant vonTerrororganisationen soll wissen, dass wir alles dafür tunDr. Tobias Lindner
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werden, dass er nach einem rechtsstaatlichen Verfahreneiner gerechten Strafe zugeführt wird .
Durch den Bundeshaushalt 2016 wird aber auch dieZahl der Zivilrichter beim Bundesgerichtshof erhöht, weildie Verfahrenszahlen angestiegen sind . Als Haushaltsge-setzgeber, meine ich, haben wir die Pflicht, die Rechts-gewährung für die Bürgerinnen und Bürger so auszuge-stalten, dass in angemessener Zeit eine letzt in stanzlicheEntscheidung ergeht . Diesem Auftrag kommen wir somitnach . Wenn wir zu Recht so stolz auf unser Grundgesetzsind, dann müssen wir auch alles dafür tun, dass die Ver-fassung eingehalten wird . Konkret bedeutet das, dass derRechtsweg für den Bürger funktionieren muss und dassseine Rechtsmittel durch die Verfahrensdauer nicht insLeere laufen dürfen .An dieser Stelle will ich auch einmal einen Appellan die Bundesländer richten . Die staatliche Garantie derRechtsgewährung benötigt auch in den Instanzen, für dieder Bund nicht zuständig ist, eine vernünftige personelleund sächliche Ausstattung . Ich sage das auch mit Blickauf die Zunahme der Zahl von Verwaltungsgerichtsver-fahren im Zusammenhang mit der Ablehnung von Asyl-anträgen . Die Aufenthaltsbeendigung für Menschen, diekeinen Asyl- oder Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommenkönnen, darf nicht an der personellen Unterbesetzung derGerichte scheitern . Wenn wir uns als Bund vorgenom-men haben, die Verfahren zu entschlacken, effektiv zumachen und zu beschleunigen, dann habe ich an die Län-der die Erwartungshaltung, dass auch sie ihren Beitragzur Verwaltungsgerichtsbarkeit leisten .
Wir werden uns in diesem Land, meine Damen undHerren, nicht hinstellen und zu den Mitbürgerinnen undMitbürgern sagen können: Liebe Leute, Zehntausende,die sich noch im Land befinden und eigentlich kein Auf-enthaltsrecht bekommen haben, sind hier, weil unsereGerichte überlastet sind . – Diese Blöße werden wir unsnicht geben dürfen . Wir werden genauso wenig sagenkönnen, dass wir nicht in der Lage sind, Abschiebungendurchzuführen, weil die personellen Kapazitäten nichtausreichen . Zum Rechtsstaat, meine Damen und Herren,gehört auch Gerechtigkeit, und die gebietet, jene, die einRecht haben, gegenüber denen, die kein Recht haben,anders zu behandeln . Insofern müssen wir ganz klar un-terscheiden .
Zum Thema Flüchtlingssituation passt auch dasThema Bekämpfung der Fluchtursachen . Der Kolle-ge Dr . Lindner hat schon ein ganz klein wenig daraufhingewiesen . Ich will das noch ein bisschen verstärktertun, weil ich glaube, dass dieses Instrument im Haushaltdurchaus schon und besser, als er es dargestellt hat, zurAnwendung kommt .Jeder Euro, den wir ausgeben, um Fluchtursachen zubekämpfen, erspart es Menschen, überhaupt erst auf dieFlucht zu gehen, und erspart uns viele weitere Ausgabenfür die Unterbringung in unserem Land . Im Einzelplandes Justizministers findet sich ein derartiges Mittel derFluchtursachenbekämpfung, dem wir uns in Zukunftvielleicht sogar intensiver widmen sollten . Ich sprechevom Zuschuss an die Deutsche Stiftung für internationalerechtliche Zusammenarbeit, kurz: IRZ . Durch zusätzli-che Mittel wächst in 2016 der Beitrag aus dem Justizetatauf fast 5,5 Millionen Euro auf .Mit dem Transfer von juristischem Know-how unter-stützt die IRZ zahlreiche Länder, unter anderem in Süd-und Osteuropa sowie in Nordafrika . So berät die IRZdie Ukraine bei der Bekämpfung der Korruption . Ges-tern Abend traf ich den Bürgermeister von Kiew, VitaliKlitschko, in meinem Wahlkreis . Er bestätigte mir ganzdeutlich: Die Bekämpfung von Korruption ist für dieUkraine eine Frage der Erhöhung der Lebensqualität derMenschen, aber auch der zukünftigen wirtschaftlichenEntwicklung . Er bestätigte mir ausdrücklich: Jede HilfeDeutschlands bei der Bekämpfung der Korruption in derUkraine ist für dieses Land wichtig . – Insofern, glaubeich, ist dieses Geld sowohl aus unserer Sicht als auch ausukrainischer Sicht gut angelegt .Aber auch zahlreiche andere Maßnahmen der IRZsind die richtigen Antworten auf wichtige Herausforde-rungen . Das geht von der Unterstützung des jordanischenVerfassungsgerichts und der marokkanischen Strafjustizüber die Beratung Tunesiens bei der Bildung eines Ver-fassungsgerichts und der Reform des Verwaltungs- undStrafvollzugsrechts bis hin zur Hilfe für die juristischeFakultät der Universität Pristina im Kosovo oder beider Durchführung der Konferenz über rechtliche Mög-lichkeiten der Verringerung der Kinderarmut in Mostarin Bosnien-Herzegowina . Alles das sind Aktivitäten, diedie IRZ entfaltet und finanziert hat. Teilweise mit ganzwenigen Tausend Euro hat sie viel erreichen können . Siehat Bausteine geschaffen, um die Rechtsstaatlichkeit inanderen Ländern zu entwickeln und zu festigen . Ich glau-be, wir tun gut daran – insofern, Herr Lindner, sind wirgar nicht so furchtbar weit auseinander –, wenn wir dieIRZ auch 2017 weiter fördern und in 2017 den Beitragvielleicht noch einmal erhöhen .Aber auch an der Stelle will ich einen Appell an dieBundesländer richten . Die IRZ hat uns das letzte Malsehr deutlich gesagt, sie könne diesen Wissenstransfernur durchführen, wenn sie neben dem Geld auch das ju-ristische Fachpersonal hat . Das juristische Fachpersonalmuss freigestellt werden, insbesondere von den Bundes-ländern . Insofern geht eine entsprechende herzliche Auf-forderung von mir hier an die Bundesländer . Diese juris-tische Entwicklungshilfe kann nur funktionieren, wennauch das Personal zur Verfügung steht . Hier hakt es, unddem muss abgeholfen werden .Neben der Bewältigung der Flüchtlingskrise gibtes aber andere Herausforderungen, die wir im Haus-halt 2016 meistern müssen . Ich freue mich, dass es erneutgelungen ist, das Deutsche Patent- und Markenamt per-sonell zu verstärken . Damit stärken wir den Wirtschafts-standort Deutschland, weil Erfinder und Entwickler nunschnelleren Schutz für das Ergebnis ihrer Arbeit erhaltenkönnen . Beim Patentamt ist es nämlich wie bei den Ge-richten: Der Staat hat das Monopol, und er muss seinenBürgerinnen und Bürgern effektiv zu ihrem Recht ver-helfen, ohne dass sie Jahre auf eine Entscheidung wartenKlaus-Dieter Gröhler
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müssen . Diesen Anspruch haben die Menschen; ob er er-füllt wird, hängt davon ab, ob die Menschen den Staat,in dem sie leben, für effektiv und leistungsfähig halten .Dabei spielt es eine Rolle, ob sie jahrelang auf eine Ent-scheidung warten müssen oder erkennen können, dass esin wichtigen Dingen vorangeht und ein Ergebnis erzieltwird .
Lassen Sie mich aber zur anderen großen Säule desEinzelplans 07 kommen; denn das Ministerium heißt janun seit zwei Jahren „der Justiz und für Verbraucher-schutz“ . Immerhin 17 Millionen Euro sind im Etat 2016für Verbraucherinformationen eingeplant, 11 MillionenEuro als Zuschuss an die Verbraucherzentrale Bundes-verband, was der Opposition immer noch nicht genugist – aber okay .In diesem Zusammenhang will ich Ihren Blick auf dieStiftung Warentest, die vielleicht bekannteste deutscheStiftung, lenken . Sie bekommt im nächsten Jahr auf Initi-ative der Unionsfraktion und ganz besonders, weil unserFraktionsvorsitzender gesagt hat: „Nehmt euch mal die-ses Themas an“,
einen Zuschuss von 10 Millionen Euro für das Stiftungs-vermögen und von weiteren 90 Millionen Euro in denkommenden Haushaltsjahren – und das neben dem ei-gentlichen Bundeszuschuss . Mit dieser Maßnahme wol-len wir die hervorragende Arbeit der Stiftung Warentest,die ja quasi die Mutter allen Verbraucherschutzes inDeutschland ist, stärken, und wir wollen sie vom jährli-chen Bundeszuschuss unabhängiger machen .1962 hat der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer die Gründung der Stiftung Warentest gegen-über dem Bundestag angekündigt . Vor fast 51 Jahrenist sie aus der Taufe gehoben worden . Anfangs war ihreArbeit nicht von Erfolg gekrönt, aber inzwischen ist sieein nicht mehr wegzudenkender Partner und Berater desVerbrauchers und ein kritischer Kontrolleur des Handelsund der Produzenten . 5 500 Testreihen für 94 000 Pro-dukte und 2 500 Dienstleistungen hat Stiftung Warentestin den letzten 50 Jahren durchgeführt und veröffentlichtund den mündigen Konsumenten damit wichtige Ent-scheidungshilfen geliefert .
Diese Arbeit zu verstetigen und die Unabhängigkeitder Stiftung zu gewährleisten, ist Ziel der Erhöhung desStiftungskapitals, damit sie auch in den kommendenJahrzehnten erfolgreich weiter für uns alle testen kann .Gern möchte ich an der Stelle – der Kollege Lindnerhat es vielleicht übersehen – noch auf den Titel „For-schung/Untersuchungen“ eingehen .
Das ist zwar jetzt durchaus kleinteilig . Aber HerrLindner hatte doch vorhin hier kritisiert, dass das Bun-desministerium zum Beispiel die Frage, wie man dennmit Daten von Verbrauchern umgeht, nicht richtig dar-stellt . Wir haben den Ansatz bei diesem Titel im Zuge derHaushaltsberatungen um 50 Prozent angehoben . Das istvielleicht zu so später Stunde, irgendwann um zwei Uhrim Haushaltsausschuss am Kollegen vorbeigegangen .
Wir versetzen das Ministerium damit in die Lage,Gutachten in Auftrag zu geben, um zu schauen, wie dieVerwendung und Weitergabe von Nutzerdaten oder derdigitalen Überwachung von Versicherungsnehmern ge-staltet werden muss .
Wir haben auch ein Gutachten für das Ministeriumauf den Weg gebracht, um die Frage der zivilrechtlichenHaftung für Schäden selbstfahrender Autos zu klären . Ichglaube, das sind wichtige juristische Fragen . Sie mögenzwar jetzt vielleicht noch ein Stück weit in weiterer Fer-ne sein . Aber mit diesen Forschungsvorhaben sorgen wirdafür, dass auf die aktuellen Herausforderungen vernünf-tige juristische Antworten gegeben werden .Erlauben Sie mir, in der letzten Minute noch – etwasabschweifend vom Einzelplan – einen lokalpatriotischenDank . Es gibt ja nicht so viele Berliner im Haushalts-ausschuss . Deshalb übernehme ich einmal den Part . Ichwill mich ganz herzlich bedanken, dass an das Land Ber-lin durch den Bundeshaushalt 2016 wieder viele, vieleMillionen fließen, einerseits für die Sanierung und Neu-aufstellung des Neptunbrunnens,
andererseits für die Schaffung einer Besucherterrasse aufdem Stadtschloss .
Daneben werden in den kommenden Jahren auch200 Millionen Euro für die Stiftung Schlösser und Gär-ten bereitgestellt .Liebe Frau Kollegin Künast, Sie stammen doch auchaus Berlin .
Ich denke, wir Berliner sollten dem Bund vielleicht aucheinmal ein ganz klein wenig dankbar dafür sein,
dass er im 25 . Jahr der Bundeshauptstadtrolle Berlinsseine Verantwortung an der Stelle wahrnimmt . Da sageich ein herzliches Dankeschön an die beiden HamburgerJungs Rüdiger Krause und Johannes Kahrs . Sie habenBerlin an der Stelle nicht vergessen, und das finde ichsehr gut .Klaus-Dieter Gröhler
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Ich finde, dieser Bundeshaushalt, insbesondere derEinzelplan des Bundesministeriums der Justiz, ist so gut,dass auch die Opposition dem gleich zustimmen kann .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Bundesregierung erhält jetztBundesminister Heiko Maas das Wort .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich will gleich zum Verbraucher-schutz kommen und möchte Sie an einen Artikel erinnern,der am Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonn-tagszeitung stand . Er war überschrieben mit den Worten„Verschenkte Millionen“, und der Untertitel lautete: DerVerbraucherschutz in Deutschland bekommt immer mehrGeld . – Das, was ich jetzt hier zum Verbraucherschutzgehört habe, lässt vor diesem Hintergrund wirklich nurauf eine sehr eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit de-rer schließen, die das hier so gesagt haben .Deshalb will ich noch einmal – zumindest in allerKürze – in Erinnerung rufen, was im Verbraucherschutzsowohl in den letzten Haushalten als auch in diesemHaushalt auf den Weg gebracht worden ist .Es gibt in Deutschland nicht mehr nur einen Sach-verständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung . Es gibt mittlerweile auch einenSachverständigenrat für Verbraucherfragen . Der Finanz-marktwächter und der Marktwächter Digitale Welt habennicht nur ihre Arbeit aufgenommen, sondern sie arbeitenund funktionieren hervorragend . Das wird die Architek-tur des Verbraucherschutzes in diesen beiden Bereichenganz wesentlich verändern .
Wir haben nicht nur das Kleinanlegerschutzgesetz alsReaktion auf die Prokon-Pleite gemacht, sondern wir ha-ben es auch geschafft, den Verbraucherschutz als Aufga-be und Ziel bei der BaFin hereinzuschreiben . Auch dasist eine strukturelle Veränderung . Wir wissen, dass beiden Finanzdienstleistungen der Verbraucherschutz in denkommenden Jahren immer wichtiger werden wird .Wir wollen – das steht unmittelbar bevor, wie ich hof-fe – ein Verbandsklagerecht bei Datenschutzverstößeneinführen, damit auch da die Rechtsdurchsetzung ver-bessert wird .
Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt und dasBestellerprinzip im Maklerrecht . Das war zwar schonfrüher im Justizministerium ressortiert, aber ist dochnichts anders als auch eine Maßnahme für Verbrauche-rinnen und Verbraucher .Und wir haben, wie schon erwähnt – Herr Kauder, ichbitte Sie, da vielleicht die Kollegen aus der Oppositionnoch einmal ins Bild zu setzen –, für die Stiftung Waren-test 10 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen und nocheinmal 90 Millionen im Rahmen einer Verpflichtungser-mächtigung,
um das Stiftungskapital zu erhöhen
und damit dafür zu sorgen, dass die Arbeit in der StiftungWarentest auch in Zukunft, und zwar sehr eigenständig,fortgeführt werden kann .
Wir haben also, liebe Frau Künast, nicht nur viel ge-tan, sondern wir haben auch die Strukturen im Verbrau-cherschutz weiterentwickelt .Im Übrigen wird auch dem wirtschaftlichen Verbrau-cherschutz – der Hinweis sei erlaubt – in diesem Haus-halt mehr Geld zur Verfügung gestellt, und zwar inflati-onsbereinigt mehr, als er unter Rot-Grün je bekommenhat . Ich glaube, da wird doch durchaus deutlich, wie ernstwir den Verbraucherschutz nehmen .
Meine Damen und Herren, zur Rechtspolitik . Da kom-me ich nicht umhin, auch noch einmal auf die Ereignissezurückzukommen, die eben auch im Innenressort schoneine große Rolle gespielt haben: Die furchtbaren Terror-anschläge in Paris – in den letzten Tagen und Wochenallerdings nicht nur in Paris, sondern auch an vielenanderen Stellen unserer Welt – haben uns nicht nur er-schüttert, sondern sie bewegen auch die Rechtspolitik .Ich kann Ihnen sagen: Justiz und Sicherheitsbehördenarbeiten derzeit – und nicht erst aktuell – eng zusammenmit dem Ziel, Anschläge zu verhindern, Verdächtige zufassen . Dies gilt national, aber dies gilt auch internationalvor allen Dingen zurzeit mit den Partnern in Frankreichund mittlerweile auch in Belgien . Allein der Generalbun-desanwalt führt im Zusammenhang mit dem Bürgerkriegin Syrien bereits 120 Ermittlungsverfahren gegen fast200 Beschuldigte, die sogenannten Dschihadisten – Ten-denz stark steigend .Meine Damen und Herren, wir wissen gerade in sol-chen Situationen, dass Freiheit und Sicherheit kein Ge-gensatz sind, sondern zwei Seiten einer Medaille . Nurwer sicher ist, kann auch frei und selbstbestimmt leben .
Klaus-Dieter Gröhler
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Und deshalb, meine Damen und Herren, will ich aufgrundder Diskussionen, die es gibt, und mit Blick auf den Ter-ror in Paris und an anderen Orten dieser Welt ganz klarsagen: Ja, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, aberwir müssen dort, wo es notwendig ist, überlegt handeln .Es gibt Dinge, die wir tun sollten, und es gibt Dinge, diewir nicht tun sollten .Das hat zunächst einmal etwas damit zu tun, wie wirauf das reagieren, was dort geschehen ist . Ich bin sehrfroh darüber, dass auch in der öffentlichen Debatte sehrverantwortlich mit der Diskussion umgegangen wird .Es geht darum, die Werte, die diese Gesellschaft zusam-menhalten, auch zu bewahren, sich nicht zu Hass und zuAngst verleiten zu lassen . Das heißt dann auch – das willich an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit sa-gen – für unsere Gesellschaft und für das Zusammenle-ben in unserer Gesellschaft: Wir dürfen jetzt auf keinenFall alle Muslime unter Generalverdacht stellen . In un-serer Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien werden wir nichtnachlassen – in dem Bewusstsein, dass diese Menschenauch Opfer sind. Sie fliehen vor dem gleichen Terror, derin Paris gemordet hat . Auch das muss in dieser Diskussi-on immer wieder deutlich gemacht werden .
Meine Damen und Herren, Hass und Hetze findenin diesem Zusammenhang in Deutschland in vielfacherHinsicht statt, in der Vergangenheit immer stärker auchin den sozialen Medien . Deshalb haben wir uns vor ei-nigen Wochen zur Aufgabe gemacht, hier zu deutlichenVerbesserungen zu kommen . Wie Sie wissen, arbeitenwir mit Twitter, Facebook und Google in einer Taskforcezusammen . Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dassFace book heute bekannt gegeben hat, dass es in der Pra-xis seiner Plattform etwas verändern will . In Zusammen-arbeit mit dem Verein Freiwillige Selbstkontrolle Mul-timedia-Diensteanbieter hat der Konzern heute bekanntgegeben, dass Posts, die die Androhung von physischerGewalt enthalten, künftig grundsätzlich als glaubhafteDrohung eingeschätzt werden und deshalb alle von Face-book aus dem Netz entfernt werden . Eigentlich ist daseine Selbstverständlichkeit .
Trotzdem bin in froh, dass der Druck, den wir alle ge-macht haben, jetzt wirkt und sich Facebook endlich zudieser überfälligen Maßnahme entschlossen hat .
Es gilt, auch weiterhin keine Angst zu haben und dieWerte in einer freien Gesellschaft so zu leben, wie wires in der Vergangenheit gemacht haben: im ganz alltäg-lichen Leben, in Restaurants, in Konzerten und in Fuß-ballstadien . Wir dürfen auch nicht der Rhetorik der Ter-roristen auf den Leim gehen . Lasst sie doch vom Kriegreden, vom Kampf der Kulturen und der Religionen . Wirwissen es besser . Es gibt keinen Krieg zwischen demChristentum und dem Islam, keinen Krieg zwischen Ok-zident und Orient . Die Terroristen morden überall – inParis und in Beirut –, und sie töten Muslime genauso, wiesie Christen und Juden töten .Diese Attentäter sind keine Soldaten, schon gar keineGotteskrieger, sondern sie sind nichts anderes als Mör-der .
Gegen Kriminelle führen wir keinen Krieg, sondern wirbekämpfen das Verbrechen .Ja, auch ich bin der Auffassung, dass man mit Rufennach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern vorsichtigsein sollte . Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 klarentschieden, dies würde Ereignisse von katastrophischemAusmaß und die völlige Überforderung von Polizei undSicherheitsbehörden voraussetzen. Ich finde, wir soll-ten mit solchen Diskussionen im Moment gerade nichtsolche Signale geben, dass Ereignisse katastrophischenAusmaßes bevorstehen oder unsere Sicherheitsbehördenüberfordert sind . Das sind sie nicht . Wir sorgen mit die-sem Haushalt dafür, dass sie das auch in Zukunft nichtsein werden .
Wir haben in den vergangenen Monaten rechtlich vielesauf den Weg gebracht, was eigentlich nur konsequentangewandt werden muss . Wir sind in der internationalenStaatengemeinschaft eines der ersten Länder gewesen,die die UN-Resolution zu den Foreign Fighters umge-setzt hat . Wir haben die Ausreise für Leute unter Strafegestellt, die sich von hier aus in Gebiete begeben wollen,in denen Terrorcamps sind, oder die sich an Kampfhand-lungen des sogenannten „Islamischen Staates“ beteili-gen wollen. Ich finde, das ist sehr verantwortlich; dennes gab auch im politischen Raum Stimmen, die sagten:Lasst sie doch ziehen, dann sind sie weg . – Nein, daskönnen wir nicht zulassen; denn wir wissen, dass einnicht unerheblicher Teil zurückkommt und dann nochstärker radikalisiert ist, als es schon vorher der Fall war .Erst dann werden die Dschihadisten zu einer konkretenGefahr . Deshalb haben wir das Strafrecht an der Stellebereits geändert .
Wir haben einen eigenen Straftatbestand der Terroris-musfinanzierung eingeführt. Denn in den unterschied-lichsten Behörden ist eine wichtige Aufgabe bei derBekämpfung des Terrorismus in der Vergangenheit nichtnur bei uns etwas zu kurz gekommen, nämlich die Fi-nanzquellen trockenzulegen, die es ermöglichen, bei unsAnschläge zu begehen . Auch das haben wir getan .Auch das will ich gar nicht verschweigen, sondern inaller Deutlichkeit sagen: Ja, wir haben auch das Gesetzzur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchst-speicherfrist für Verkehrsdaten beschlossen .
Bundesminister Heiko Maas
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Wir alle wissen, dass dieses Gesetz kein Allheilmittel istund nicht jeden Anschlag verhindern kann . Aber wir ha-ben in Frankreich auch gesehen, dass es mit den Mitteln,die dort zur Verfügung stehen, möglich ist, Personen, diesogenannte Resonanzstraftaten begehen könnten, sehrschnell aufzuspüren,
sie festzusetzen und damit möglicherweise einen An-schlag zu verhindern . Ich sage Ihnen auch in aller Of-fenheit: Ich bin froh, dass wir diesen Beschluss schongefasst haben; denn ich finde es allemal besser, über einso kritisches Thema nicht unter dem unmittelbaren Ein-druck eines Anschlages zu diskutieren . Ich bin mir nichtsicher, was dann in diesem Gesetz gestanden hätte .
Auch deshalb war es gut, dass wir das sehr sachlich undrational besprochen und beschlossen haben .Insofern sind wir, meine Damen und Herren, sowohlauf der rechtlichen Ebene als auch, was die Ausstattungunserer Behörden angeht, gut für das aufgestellt, was unsnoch lange beschäftigen wird und uns dort noch bevor-steht . Auch beim Generalbundesanwalt haben wir auf-grund der erhöhten Anzahl der Verfahren mit diesem unddem letzten Haushalt dafür gesorgt, dass Mittel für fast20 Prozent mehr Personal in Karlsruhe zur Verfügunggestellt werden . Ich glaube, dass dieser Haushalt allenAnforderungen, denen wir im Moment ausgesetzt sind,in vollem Umfang gerecht wird .Schönen Dank .
Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Harald
Petzold .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher aufden Tribünen! Wenn wir über den Haushalt des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz fürdas Jahr 2016 reden, dann reden wir selbstverständlichüber viele Zahlen, über Einnahmen, über Ausgaben, überVerpflichtungsermächtigungen – das ist eine Art Bürg-schaft für Ausgaben, die in der Zukunft anfallen –, überKredite, über Neuverschuldung oder keine Neuverschul-dung sowie über Zinsen . Ich bin der Meinung, wir solltenin einem solchen Moment viel mehr darüber sprechen,was die Bundesrepublik Deutschland alles tut, damitMenschen zu ihrem Recht kommen .
Meine Kollegin Caren Lay hat hier für den Bereich desVerbraucherschutzes schon einiges gesagt . Ich kann ihrnur zustimmen: Die Große Koalition tut zu wenig fürVerbraucherschutz . Die Linke ist damit nicht einverstan-den .Ich bin der Meinung, wir sollten darüber hinaus auchdarüber sprechen, welche Sprache unser Recht hat . Dennviele Menschen verstehen schon aufgrund dieser Sprachegar nicht, was eigentlich ihr Recht ist, und kommen da-mit nicht zu ihrem Recht .Wir sollten darüber sprechen, was diese Bundesrepu-blik dafür tut, dass sich Menschen ermutigt fühlen, vonihrem Recht Gebrauch zu machen . Auch da passiert vielzu wenig . Wir haben Verfahren, die Menschen offen-sichtlich davon abhalten, einen Rechtsstreit zu führen,um zu ihrem Recht zu kommen . Ich kann Sie alle nur ein-laden, in meine Sprechstunden zu kommen . Dort würdenSie Schicksale im Zusammenhang mit der Rechtspolitikkennenlernen, bei denen es einem kalt über den Rückenläuft .Wir sollten auch darüber sprechen, was die Bundesre-publik Deutschland tun müsste, damit in der Geschichtebegangenes Unrecht aufgearbeitet wird und Menschen,die von diesem Unrecht betroffen waren oder sind, end-lich zu ihrem Recht kommen .
Um es vorwegzunehmen: Auch bei der Aufarbeitungund Beseitigung von Unrecht und von Menschenrechts-verletzungen tut die Große Koalition, tut diese Bundes-regierung eindeutig zu wenig . Damit ist meine Fraktionabsolut nicht einverstanden .
Ich will das am Beispiel der Bundesstiftung MagnusHirschfeld deutlich machen . Ich habe bereits in den Aus-schusssitzungen darauf hingewiesen: Diese Stiftung ba-siert auf einem historischen Erbe, das Deutschland undinsbesondere seine Hauptstadt Berlin einmal groß ge-macht hat, nämlich auf der Tätigkeit, der Forschung undden Arbeiten des Berliner Arztes und SexualforschersMagnus Hirschfeld, der 1918 eine Stiftung mit seinemNamen und 1919 das weltweit erste wissenschaftlicheZentrum für Sexualforschung errichtet hat und dessenWerk, dessen Forschungsergebnisse und dessen Lebenvon den Nazis zerstört worden sind . Sie zertrümmerten1933 nicht nur sein Institut, sondern sie verbrannten auchseine Bücher und versuchten, sein Lebenswerk auszulö-schen .Sie verschärften 1933 den unsäglichen Strafrechtspa-ragrafen 175, der männliche Homosexualität unter Strafestellte, und verhafteten, kerkerten ein und ermordetenTausende von schwulen Männern, an die vor allen Din-gen Lesben und Schwule in unserem Land alljährlicherinnern . Leider fand das Leid der Homosexuellen auchnach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kein Ende . Diejunge Bundesrepublik setzte diesen Paragrafen unverän-dert fort, und auch in der DDR wurde er – zwar in abge-milderter Form, aber immerhin – fortgesetzt und gesamt-deutsch erst 1994 außer Kraft gesetzt .Dem Unrecht, das auf dem Paragrafen 175 basierte,widmet sich die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, dieim Jahr 2011 neu gegründet worden ist . Deren ArbeitBundesminister Heiko Maas
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besteht nicht nur in der Aufarbeitung des Unrechts undin der Wiedergutmachung, sondern auch darin, dass Ho-mophobie aus unserer Gesellschaft verbannt wird . Ichkönnte eine Liste von Projekten nennen, aber ich willexemplarisch das Projekt „Fußball für Vielfalt“ nennen,mit dem die Stiftung maßgeblich versucht, das Klima inunserem Land zu verändern und Homophobie zu besei-tigen .Ich kann dem Bundesjustizminister nur zustimmen,wenn er in seinem Grußwort für den Tätigkeitsbe-richt 2014 der Bundesstiftung schreibt:Die Bundesstiftung trägt mit ihrer engagierten undvielfältigen Bildungs- und Forschungsarbeit ent-scheidend dazu bei, an die Diskriminierung vonLesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, trans-und intergeschlechtlichen Menschen in der Vergan-genheit zu erinnern und aktuelle Benachteiligungenzu bekämpfen .Aber was um alles in der Welt, Herr Justizminister,hält Sie dann davon ab, sich wenigstens Überlegungen zuöffnen, dass die Arbeit dieser Stiftung auf eine verlässli-chere finanzielle Basis gestellt wird?
Wer die Arbeit einer solchen Stiftung von den schwan-kenden Erträgen des Finanzmarktes abhängig macht,dem kann ich nur sagen: Ihm fehlt der politische Wil-le, die Arbeit der Stiftung auf eine verlässliche Basis zustellen . Damit wird sich die Linke nicht einverstandenerklären . Wir fordern erneut die institutionelle Förderungder Stiftung .Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Thomas Strobl,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Heute kommen wir zur Halbzeit dieser Legislatur zusam-men . Wir können auf die Zwischenbilanz der Rechts- undVerbraucherschutzpolitik stolz sein; denn hinter vieleProjekte, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden,können wir inzwischen ein Häkchen machen .Jetzt kommt es darauf an, die Marschroute für diezweite Hälfte der Legislaturperiode festzuzurren . Undes ist schon wahr: Diese Überlegungen stehen bei unsallen ganz unter dem Eindruck der schrecklichen Ereig-nisse von Paris . Auch nach zehn Tagen sitzt der Schocknoch tief; denn wie schon bei Anschlägen, die es zuvorgegeben hat, wissen wir – das ist klar in unser Bewusst-sein eingedrungen –: Das ist kein Anschlag gegen Parisoder gegen Frankreich, sondern das ist ein Anschlag ge-gen die Art, wie wir leben, gegen unseren freiheitlichenRechtsstaat, gegen unsere Werte und gegen alle Men-schen, die für Demokratie, für Menschenwürde und fürMenschlichkeit stehen . Dass wir in Deutschland nochkeinen solchen Anschlag beklagen mussten, ist auf dieerstklassige Arbeit unserer Sicherheitsbehörden zurück-zuführen . Aber wir haben natürlich auch verdammt vielGlück gehabt . Auf das Glück allein dürfen wir es abernicht ankommen lassen .Die Dschihadisten, der IS, die selbsternannten Gottes-krieger sollten sich nicht täuschen . Wir sind ein libera-les Land, wir sind ein tolerantes Land, aber wer sich mitunserem freiheitlichen Staat anlegt, dem sagen wir klar:Wenn ihr uns bekämpft, dann werden wir uns wehren,dann treten wir euch mit aller Härte und mit aller Schärfeentgegen; wir sind eine wehrhafte Demokratie .
Wir haben in dieser Legislaturperiode schon viel er-reicht . Ich wiederhole das, was der Bundesjustizministersoeben gesagt hat: Wir haben schon vor den Attentatenvon Paris das beschlossen, was für die Sicherheit unsererBürgerinnen und Bürger wichtig ist . Wir haben bereitsden Versuch der Ausreise in Kampfgebiete mit terroris-tischer Absicht unter Strafe gestellt . Damit haben wirschon sehr früh die Möglichkeit, Ausreisen in Kriegsge-biete zu unterbinden . Aktuell werden im Übrigen vieleErmittlungsverfahren wegen genau solcher Straftatengeführt .Außerdem haben wir einen eigenen Straftatbestandder Terrorismusfinanzierung eingeführt und den Anwen-dungsbereich erweitert . Wir müssen den Terrorgruppen,so gut es geht, den Geldhahn zudrehen, ihnen den finan-ziellen Nährboden entziehen . Nicht zuletzt haben wirauch die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt . DieErmittler bei unseren Sicherheitsbehörden brauchen ge-eignete Instrumente, um die Täter zu fassen und gegenTerror vorzugehen . Damit haben wir einiges auf den Weggebracht .Wahr ist aber leider auch: Einen Terroranschlag kannman auch dadurch nicht gänzlich ausschließen . Gleich-wohl sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die unsdas Strafrecht bietet, wenn es darum geht, gegen terroris-tische Vereinigungen vorzugehen, und – ich sage es andieser Stelle noch einmal – wenn es darum geht, ihnenden geistigen Nährboden zu entziehen . In meinen Augensind wir es auch den Opfern schuldig, unsere Instrumentezur Bekämpfung von Terror immer wieder zu überprüfenund, wenn es sein muss, neu zu justieren – nicht ohneMaß und nicht ohne Plan, aber gewissenhaft, gründlich,mit Verantwortung .
– Schön, dass Sie alle auch zu dieser etwas fortgerücktenStunde noch wach und aufmerksam sind .Für mich gilt: Terrorwerbung ist kein Grundrecht . Werfür Terrorvereinigungen wie die Terrormiliz „IslamischerStaat“ Sympathie äußert und für sie wirbt, der muss be-straft werden können .
Harald Petzold
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Um potenzielle neue Anhänger gerade auch in unseremLand anzusprechen, sind Terrororganisationen zuneh-mend auch auf den Plattformen Twitter, Facebook undInstagram unterwegs . Dies gilt im Übrigen nicht nur fürislamistische Terrorgruppen, sondern in starkem Maßeauch für rechtsextreme Gruppen, die auch über das Inter-net Werbung für ihre kruden Positionen machen .
Die Terrorwerbung ist der geistige Nährboden fürterroristische Gewalt. Insbesondere onlineaffine jungeMänner werden so direkt und in einer wirklich furchterre-genden Art und Weise angesprochen . Sympathiewerbungfür terroristische – islamistische wie rechtsextremisti-sche – Vereinigungen ist nichts anderes als Werbung fürTerror und Gewalt . Deswegen reicht es, jedenfalls nachmeiner Auffassung, nicht aus, auf Vereins- oder Betäti-gungsverbote nach dem Vereinsgesetz durch den jeweili-gen Innenminister zu warten . Es ist unzweifelhaft richtig,dass das vom Innenminister im September 2014 gegendie Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgesprochene ver-einsrechtliche Betätigungsverbot eine Grundlage bietet –das war eine völlig richtige Entscheidung des Innenmi-nisters –; die Werbung für eine solche Organisation istjedoch mit unserer Werteordnung so absolut unvereinbar,dass sie auch aus sich heraus strafbar sein sollte, auchohne ein vereinsrechtliches Verbot . Es darf doch keinenUnterschied machen, ob man für den „Islamischen Staat“Werbung macht – das ist strafbar – oder für al-Qaida;das ist nicht strafbar, weil es hier kein Betätigungsver-bot gibt . Wer unseren freiheitlichen Staat bekämpft, demmüssen wir so früh wie möglich wehrhaft entgegentre-ten . Dazu gehört, dass Werbung für terroristische Verei-nigungen unter Strafe gestellt wird . Denn damit könnenwir früh ansetzen und auch dem geistigen Nährboden,der täglich rasend schnell über das Internet verbreitetwird, die Grundlage entziehen .
Einen Bereich dürfen wir hierbei ebenfalls keinesfallsaus den Augen verlieren: Je mehr Islamisten wir verhaf-ten können, umso größer wird die Herausforderung in un-seren Haftanstalten . Klar ist: Wir dürfen diese Menschennicht einfach nur einsperren und sich selbst überlassen .Damit bleiben sie eine Gefahr für sich selbst und für vieleandere . Zudem besteht die Gefahr, dass sie Mithäftlingein ihre kruden Gedankenwelten mit hineinziehen .Radikalisierungsprozessen müssen wir dort entgegen-wirken, wo sie entstehen . Dies ist in den Haftanstalten instarkem Maße der Fall . Hier sind natürlich die Bundes-länder in erhöhtem Maße gefragt . Es liegt seit längeremauf der Hand, dass hier sehr große Probleme auf uns zu-rollen . Denn irgendwann werden die Extremisten wiederaus den Gefängnissen entlassen . Möglicherweise sindsie dann noch mehr radikalisiert, möglicherweise ist esihnen gelungen, andere, die vorher gar nicht radikal wa-ren, zu radikalisieren . Das ist natürlich eine gefährlicheEntwicklung .Deshalb brauchen wir ein umfassendes Konzept so-wohl für Prävention als auch gerade für die Arbeit mitradikalen Islamisten in der Haft, um weitere Radikalisie-rung zu verhindern und Menschen zu schützen . Expertensagen uns: Gerade in der Haft entstehen häufig salafis-tische Netzwerke, die später genutzt werden . MancheBundesländer wie etwa Hessen und Bayern haben dasfrühzeitig erkannt und ein Konzept entwickelt, wie siedamit umgehen .Aus meiner Sicht – darum möchte ich uns alle bit-ten – sollten wir einen Antiterrorpakt oder eine Allianzgegen den Terror auch im Präventions- und Deradikali-sierungsbereich bilden . Herr Bundesminister Maas, lie-be Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in diesemBereich beispielsweise eine Bund-Länder-Arbeitsgruppeeinsetzen . Lassen Sie uns gemeinsam mit den Ländernden außerordentlichen Herausforderungen des extremis-tischen Islamismus in unseren Gefängnissen tatkräftigund schnell begegnen . Wir brauchen auch hier dringendeine bessere Vernetzung, ein gesamtheitliches Konzeptund einen Austausch von gewonnenen Informationenzwischen Bund und Ländern, etwa Informationen ausden beiden genannten Ländern, die hier seit einiger Zeitüber Erfahrungen verfügen . Ein erster richtiger Schrittist hierbei sicherlich die Einrichtung einer neuen An-ti-Salafismus-Koordinierungsstelle im Hause von Frau Schwesig .Einen Aspekt möchte ich noch anbringen, nämlich einLob für unsere Polizei, für unsere Dienste und für alle,die gerade in diesen Zeiten an vorderster Front für dieSicherheit und die Freiheit in Deutschland stehen . Wir inder Großen Koalition sind es unseren Polizistinnen undPolizisten schuldig, dass wir ihren Einsatz honorierenund ihnen zeigen: Wir stehen hinter euch . Wir wissen,was ihr gerade in dieser Zeit jeden Tag leistet . Wir dan-ken euch herzlich für eure Arbeit, die ihr tagein und tag-aus macht .
Im Koalitionsvertrag haben wir im Übrigen noch ste-hen, dass wir den Schutz von Polizistinnen und Polizis-ten sowie anderen Einsatzkräften verbessern wollen .
Niemals war das nötiger als jetzt, sowohl was die Aus-bildung und Ausrüstung als auch was den strafrechtli-chen Schutz angeht . Wir sollten das zwingend auf unsereTo-do-Liste für die zweite Hälfte der Legislaturperiodeschreiben und schnell weiter an diesem Thema arbeiten .
Noch ein Gedanke zum Abschluss . Nach Paris und zu-letzt auch Mali bin ich noch verärgerter darüber, welchabsurde Diskussionen, die jeden Bezug zur Realitätverloren haben, in unserem Land in letzter Zeit geführtwerden . Unsere Freiheit ist in allererster Linie durch denTerror bedroht und durch nichts anderes . Bedenken derOpposition gegen die Vorratsdatenspeicherung und ihreKritik an der Arbeit der Geheimdienste sind mir überThomas Strobl
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weite Strecken gerade in dieser Zeit gänzlich unverständ-lich .
Wer so argumentiert, hat den Schutz der Bürgerinnen undBürger aus den Augen verloren . Ich jedenfalls möchte,dass jede Bürgerin und jeder Bürger auch in diesem Jahrohne Angst auf einen Weihnachtsmarkt gehen kann . Da-für müssen wir unsere Sicherheitsbehörden tatsächlichund rechtlich so ausstatten, dass sie uns schützen können .
Herr Kollege Strobl, Sie denken an die Zeit, ja?
Das ist keine Scharfmacherei, sondern eine Selbstver-
ständlichkeit in einem freiheitlichen Land .
Abschließend: Wir werden die Sicherheit unserer Bür-
gerinnen und Bürger so gut, wie es nur irgendwie mög-
lich ist, konsequent schützen und verteidigen . Die Frei-
heit wird den Terror am Ende des Tages besiegen .
Schönen Dank fürs Zuhören .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeZuschauerinnen und Zuschauer! Ich will am Anfang aufdas eingehen, worüber auch Herr Strobl gerade geredethat . Heute ist ja der erste Plenartag nach den Anschlägenin Paris und nach der Verhängung des Ausnahmezustan-des dort und in Belgien . Weil ich hier gar nicht die brei-te Palette der Maßnahmen durchdiskutieren kann – dasist vorhin schon in der Debatte über den Haushalt desInnenministeriums geschehen –, will ich mit einer Bit-te an Herrn Maas, den Bundesjustizminister, beginnen:Begeben Sie sich in die Rolle, den sicherheitspolitischenFalken in der Bundesregierung Kontra zu geben!
Es ist in Deutschland schon lange eine gute Tradition,dass das Justizministerium die sicherheitspolitischen –oder vermeintlich sicherheitspolitischen – Wünsche derInnenpolitiker rechtsstaatlich einhegt .
Ja, Herr Strobl, ich bin schon der Meinung, dass ein Bun-desjustizministerium dazu da ist . Das ist gar keine direk-te Kritik am Innenministerium; vielleicht ist das auch ausder Aufgabe heraus so gewachsen . Aber das Justizminis-terium muss sagen, wo die roten Linien gezogen werdenund welche Grenzen es gibt, die auch in Zeiten großerNot nicht zu überschreiten sind .
Ich hätte mir das schon bei der Vorratsdatenspeiche-rung gewünscht, meine Damen und Herren . Ich würdemir das auch nach dem Safe-Harbor-Urteil des Europäi-schen Gerichtshofs wünschen . Denn ich frage mich, mitwas für einem Mandat Herr Juncker und Frau Jurová ei-gentlich nach Washington reisen, was sie da eigentlichwie verhandeln – außer den Leitsätzen der Gerichtsent-scheidung .
Wenn Sie in die Entscheidung zur Vorratsdatenspei-cherung als Begründung gegenüber Brüssel schreiben,man dürfe das alles nur hier speichern, weil es überallsonst nicht sicher sei, dann müssten Sie bei den Safe-Har-bor-Verhandlungen jetzt aber auch sagen: „Es wird allesnur hier gespeichert und nicht woanders“, wenn Sie sichnicht selber unglaubwürdig machen wollen .
Wir brauchen schon eine Leitlinie, und wir brauchen einsolches liberales Justizministerium .Ich hoffe, dass Sie bei der Frage: „Wird in Zukunftzielgerichtet gehandelt, oder schaffen wir einfach einenimmer größer werdenden europäischen Datenpool undtauschen international aus?“, stark bleiben und ein libe-rales Justizministerium auflegen. Das gilt auch bei derFrage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern; dazu ha-ben Sie, Herr Maas, sich gerade schon geäußert . Es gehtalso um feste Grenzlinien des rechtsstaatlich Möglichen .Das sage ich auch an Herrn Strobl . Herr Strobl, wirbrauchen nicht einfach mehr vom Alten und vom Glei-chen . Die ganze Situation im Hinblick auf den Terroris-mus hat sich verändert, Herr Strobl . Die haben ein Kali-fat ausgerufen . Es gibt keine hierarchischen Strukturen,sondern die schlagen zu, wo sie mögen . An dieser Stellebrauchen wir eine gute Analyse, statt einfach zu sagen:Mehr vom Alten, mehr von den alten Ideen!
Wir brauchen eine Analyse, wie die Begehungsweisensind, welche sinnvolle Antwort wir darauf geben kön-nen und welche Antwort auch mit Blick auf Polizei undStaatsanwaltschaft Sinn macht .
Ich möchte nicht, dass wir gemäß der alten Idee vonCarl Schmitt quasi sagen: „Souverän ist, wer über denAusnahmezustand entscheidet .“ Damit hat er die Weima-rer Republik damals ja quasi in den Nationalsozialismushineinargumentiert . Nein, ich will nicht, dass wir uns im-mer weiter in einen Ausnahmezustand begeben, sondernThomas Strobl
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dass wir rational analysieren, effiziente Maßnahmen er-greifen und – das ist hier schon einmal gesagt worden –wirklich gezielt für Integration und Prävention sorgen .Ich glaube, niemand von uns hat schon die richtigeLösung dafür, wie es geht . Was ist eigentlich die richtigeAntwort für junge Frauen und Männer, die in der Puber-tät ihre Bezugsgruppe suchen, damit sie nicht nach Syri-en gehen, sondern hierbleiben? Niemand hat das richtigeWerkzeug komplett in der Hand, aber wir alle haben dieAufgabe und die Verantwortung gegenüber diesem Land,an dieser Stelle weiter nachzudenken, etwas zu entwi-ckeln und sie nicht alleinzulassen .
Herr Maas, ich wünsche mir aber nicht nur das, son-dern ich wünsche mir auch, dass wir uns hier nicht nurerzählen, wie viel Kleingedrucktes geschrieben wurdeund wie viele Gesetze gemacht worden sind . Das sageich auch zu Herrn Rohde mit „h“, wo immer das „h“ auchstehen mag, Herr Kollege . Es geht nämlich nicht nur umdie Anzahl der Gesetze, sondern auch um die Fragen:Was steht im Gesetz? Sind diese Gesetze praktikabel?Manches Gesetz ist hier nachgebessert worden . BeimKleinanlegerschutz und anderen Dingen war der OttoNormalverbraucher mit seinen Anlagemöglichkeitenzum Beispiel ein bisschen an den Rand gedrängt worden .Gleichwohl sage ich: Die BaFin hat ein Verbraucherman-dat; andere Behörden bräuchten das auch, und ich sehe,dass hier jetzt mehr Geld ausgegeben wurde . Das istschön, muss sich aber von Jahr zu Jahr weiterentwickeln .Viel von diesem Geld ist jedoch in die Öffentlichkeitsar-beit und nicht in Gutachten investiert worden .Ich will aber auch sagen, dass es Gesetze gibt, beidenen wir noch nicht wissen, ob sie wirken . Ich denkezum Beispiel an die sogenannte Mietpreisbremse . Ichhabe erhebliche Zweifel, ob sie wirklich funktioniert undob die erlassenen Rechtsverordnungen der gerichtlichenÜberprüfung standhalten und mit höherrangigem Rechtvereinbar sind – schauen Sie sich das einmal an –, weildie Daten nicht erhoben worden sind, Herr Rohde .Ich wünsche mir ein richtiges Engagement für dieVerbraucherinnen und Verbraucher – bei TTIP, Herr Mi-nister, und zum Beispiel auch im Bereich Textilien . ImBereich Textilien geht es nicht nur um Entwicklungshilfeund um freiwillige Regeln, sondern es müsste wirklicheuropaweit für alle Verbraucher klar sein, wie diese Pro-dukte hergestellt worden sind . Eines Tages müssen wirzu Transparenzrichtlinien auf europäischer Ebene kom-men, damit wir wissen, ob zum Beispiel die ILO-Kernar-beitsnormen eingehalten wurden . Zu diesen Herausfor-derungen sehe ich noch gar keine Vorlage .
Lassen Sie mich zum Schluss einen Gedanken zu VWsagen: Die Vorgänge bei VW nehmen langsam putzigeFormen an .
Wir haben einen Bundesverkehrsminister, der eine Kom-mission gebildet hat und in einer Art vorkonstitutionellerAnmutung nicht einmal sagt, wer darin ist . Das ist kurios .Daneben gibt es täglich – auch heute wieder – neue Mel-dungen . Ich wünsche mir einen Bundesminister für Ver-braucherschutz, der jetzt, nach zwei Monaten, wirklichdie Stimme erhebt und nicht nur sagt, dass alle gleich-behandelt werden . Nein, es muss klar sein, dass VW alleKundinnen und Kunden so stellt, dass sie keinerlei finan-zielle Nachteile erleiden .
Frau Kollegin Künast .
Mein letzter Satz . – Ein vollständiger Ausgleich der
Finanzen muss her . Sie müssen dabei an alle Kunden
denken, das heißt, nicht nur an die Kunden in den Ver-
tragswerkstätten, sondern auch an die Kunden in den
freien Werkstätten . Bei uns mehren sich zum Beispiel die
Fragen von denen, die verschiedene Autotypen – darun-
ter auch VWs – verkaufen .
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss .
Ja . – Diese lassen Sie alleine .
Also: Zur Stärkung des Marktteilnehmers Verbraucher
ist noch viel zu tun . Der Erfolg misst sich nicht an der
Anzahl der Gesetze, sondern daran, ob sich Ihre Gesetze
und ihr engagierter Einsatz im Alltag beweisen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie wirk-lich darum, Ihre Redezeiten einzuhalten und dass jetztnicht bei jedem der „letzte Satz“ mindestens zwei Seitenlang ist .
Wir sind ohnehin schon weit über unsere vereinbarte Re-dezeit hinaus .Frau Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion, bit-te schön .
Renate Künast
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Frau Präsidentin, das wird immer bei denen gesagt,
die von ihrer Redezeit ohnehin schon etwas streichen
müssen . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Wir, die SPD, sind 2013 in den
Wahlkampf gezogen, um die Verbraucherpolitik als ei-
nen wesentlichen Baustein in einer gerechten und solida-
rischen Gesellschaftspolitik zu stärken .
In den Koalitionsverhandlungen hat sich die SPD
dann auch mit sehr wichtigen Forderungen durchgesetzt,
nämlich zum Beispiel mit dem Ausbau der Verbraucher-
forschung, der Einsetzung eines Sachverständigenrates
und dem Ausbau der Verbraucherzentralen durch Markt-
wächter für die Bereiche Finanzen und digitale Welt .
Dieser Haushalt zeigt, so finde ich, wie wichtig uns die
Verbraucherpolitik ist .
Bereits im Entwurf zum Haushalt 2016 waren für
diesen Bereich im Einzelplan 07 35,8 Millionen Euro
angesetzt . Seitdem Heiko Maas Verbraucherminister ist,
haben wir den Bereich Verbraucherpolitik im Bundes-
haushalt eindrucksvoll ausgebaut. Ich finde, da kann so
mancher in der Opposition neidisch werden .
Wir schaffen mit diesem Haushalt die Voraussetzung, da-
mit viele gute Ideen und Projekte umgesetzt werden . Sie
wollen Beispiele? Die Beispiele sind von Herrn Minister
Maas wie auch von den Kollegen schon mehrfach ge-
nannt worden . Ich spreche von den Marktwächtern, aber
auch von dem Sachverständigenrat .
Starke und unabhängige Verbraucherorganisationen –
auch das ist schon angesprochen worden – sind ein wich-
tiges Ziel unserer Verbraucherpolitik . Nachdem wir im
vergangenen Jahr die Vertretung der deutschen Verbrau-
cherinteressen in Brüssel dauerhaft eingerichtet haben,
wird jetzt auch der Verbraucherzentrale Bundesverband
in diesem Jahr mit rund 15 neuen Stellen ausgestattet .
Das ist seit seiner Gründung der größte Stellenausbau
beim vzbv . Diese Stellen sind dringend erforderlich . So
kann beispielsweise ein eigenständiges Team Energie
eingerichtet und die Rechtsdurchsetzung – auch davon
war schon die Rede – bei zweifelhaften Abmahnungen
und Klagen gegen unseriöse Anbieter verstärkt werden .
Die Stiftung Warentest erhält von uns zusätzliches Stif-
tungskapital: 10 Millionen Euro 2016, weitere Millionen
in den Folgejahren; auch das haben Sie schon mehrfach
gehört .
Mir ist sehr wichtig – das hatte ich bereits bei der ers-
ten Lesung zu unserem Haushalt betont –, dass in Zeiten
starker Zuwanderung neue Projekte und Ideen vonnöten
sind, um den Start für Flüchtlinge, für Zugewanderte in
den deutschen Alltag zu erleichtern . Die Entscheidung,
500 000 Euro für Verbraucherinformationen für Flücht-
linge zusätzlich zur Verfügung zu stellen und darüber hi-
naus die Stellenausstattung beim BMJV zu verbessern,
halte ich für sehr gut . Auch wenn diese fünf zusätzlichen
Stellen für zwei Jahre befristet eingerichtet werden, glau-
be ich doch, dass das ein sehr guter Start ist .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, woran sieht
man, dass ein Sozialdemokrat Verbraucherminister ist?
An diesem Haushalt!
Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . Das war jetzt vorbildlich .
Nächste Rednerin ist Elisabeth Winkelmeier-Becker,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Es ist allgemein bekannt, dass unser Haushalt derkleinste im gesamten Haushalt ist und den höchsten De-ckungsgrad aufweist . Wir haben gehört, dass er um etwa8 Prozent gewachsen ist . All das sind zunächst einmalsehr gute Ausgangsdaten . Ansonsten gibt es nicht so rich-tig viel Dynamik in diesem Haushalt .Die 10 Millionen Euro on top für die Stiftung Waren-test fallen auf . Dass die Stiftung unter dem besonderenSchutz unseres Fraktionsvorsitzenden steht, haben wirgehört . Ich freue mich, dass wir im Bereich Verbraucher-schutz auf unseren Vorschlag hin wichtige Gutachtendurchgesetzt haben und finanzieren können: eine rechts-vergleichende Studie zum Kaufrecht in Europa, eine Stu-die zum Datenschutz im Bereich Produktsicherheit, einGutachten zur Haftungsverantwortung bei Fahrassistenz-systemen und ein weiteres zur Bedeutung der persönli-chen Daten im Zusammenhang mit Versicherungsrecht;wirklich Themen, die für die Zukunft des Verbraucher-schutzes eine Rolle spielen . Damit wird der rechtlicheAspekt im Verbraucherschutz wieder zurück ins Minis-terium gebracht . Das war der Grund, weshalb wir dasThema Verbraucherschutz ins Justizministerium geholthaben: Wir wollten vor allem diese Themen wieder be-sonders in den Blick nehmen und zur Grundlage einerguten Verbraucherpolitik machen .In der Rechtspolitik gibt es ansonsten wenig Spekta-kuläres, vom Etat für Öffentlichkeitsarbeit einmal abge-sehen, der sich gegenüber dem ursprünglichen Ansatz beiAmtsübernahme verfünffacht hat .
Daraus dürfen aber heute keine Rückschlüsse auf dieBedeutung der Rechtspolitik gezogen werden . Vielmehrhaben wir einen anderen Politikansatz . Für uns geht eseben nicht darum, Geld zu verteilen, sondern darum,gute Gesetze zu machen bzw . gute Regeln auf den Wegzu bringen und dann für die Durchsetzung die passendenVerfahren bereitzustellen .
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Die Haushaltsdebatte – die Kollegen haben es auchgemacht – bietet eine gute Gelegenheit, einmal über denTellerrand der Tagespolitik hinauszuschauen . Wenn wirden Blick auf die Rechtspolitik richten, dann ist aus mei-ner Sicht der Befund, dass wir sehr gute Gesetze und Re-geln haben, aber häufig noch an den letzten zwei bis dreiProzent arbeiten, um die Dinge zu optimieren . Zugleichist aber zu beobachten, dass Akzeptanz und Durchset-zung des Rechts häufig zu wünschen übrig lassen. Daskönnen Sie auf allen Ebenen erkennen, angefangen beimVölkerrecht . Sowohl in der Ukraine als auch im NahenOsten ist da einiges in Unordnung geraten . Das Rechtwird nicht mehr automatisch eingehalten . Das geht bishin zur Ebene der Europäischen Union, wo sich vie-le Länder nicht mehr an Verträge und Vereinbarungenhalten und Solidarität als Einbahnstraße betrachten . Essind dazu auch einige Beispiele im nationalen Recht zunennen: wenn Abgasteste nicht mehr ordentlich durch-geführt werden oder aus gutem Grund geheim gehalteneBeratungsunterlagen über den Haushalt veröffentlichtwerden . Wir müssen an der Akzeptanz, aber auch an derDurchsetzung des Rechts durch den Staat arbeiten .Es wurde schon auf das Bezug genommen, was wirderzeit in Paris und Brüssel erleben . Wir sehen ganzklar: Der Terrorismus zielt auf unser aller Freiheit . Dasist nicht nur ein Thema der Innenpolitik, sondern dabeihandelt es sich auch um einen Angriff auf Grundwerteund Grundrechte bzw . auf unseren Rechtsstaat und unserLeben . Dem muss mit Mitteln des Rechtsstaates begeg-net werden .Sicherheit und Freiheit, die manchmal in einen Ge-gensatz gebracht oder als Zielkonflikt betrachtet werden,sind tatsächlich keine Gegensätze, sondern bedingen sichgegenseitig . Wo keine Sicherheit gegeben ist, hat mannämlich nichts von der Freiheit, weil man sie nicht aus-üben kann . Selbst derjenige, der um sich keine Angst hat,hat aber Angst um die Menschen, für die er Verantwor-tung trägt und für die er sorgen muss .Das zeigt uns noch einmal ganz deutlich, von wem dieBedrohung ausgeht und wer für den Schutz verantwort-lich ist und für ihn sorgt . Auch zeigt es noch einmal, mitwelcher Zielrichtung der Staat Ermittlungen auch im Be-reich der Internetkommunikation führen muss . Da gehtes um Terrorismus und schwere Kriminalität und nichtum ein paar Netzaktivisten, die alles immer auf sich be-ziehen und denken, sie seien das Ziel und das Maß derDinge . Nein, da müssen wir jetzt einmal ganz tapfer sein:Es geht um etwas wirklich Ernstes, um etwas, das unswirklich bedroht, und nicht um irgendwelche Quisqui-lien .
Es ist der Staat, der die Legitimation und auch dieAufgabe hat, seine Bürger zu schützen . Er muss dafüreben auch das Personal und die Ausstattung sowie diepassenden Befugnisse haben . Er muss sich dabei sicherim Rahmen der Gesetze bewegen und auch effektiv kon-trolliert werden; er muss aber auch in die Lage versetztwerden, das zu tun, was seine Aufgabe ist . Der Staatmuss mit dem Gewaltmonopol des Staates agieren undseine Bürger schützen . Deshalb bin ich froh, dass wir dasThema Vorratsdatenspeicherung unter Dach und Fachhaben und es jetzt nicht unter dem Eindruck der akutenAnschläge diskutieren müssen .Auch ist es wichtig, dass wir im Strafrecht bereits we-sentliche Dinge durchgeführt haben . Wir haben die Ter-rorismusfinanzierung und die Ausreise in Ausbildungs-camps unter Strafe gestellt . Damit sind wir schon ganzgut gerüstet . Eine sinnvolle Ergänzung, die tatsächlichnoch fehlt, ist die Strafbarkeit der Sympathiewerbung fürTerroristen . Hier sollten wir jede Form der Sympathie-werbung unter Strafe stellen . Das würde auch das Vorge-hen gegen die Hassprediger erleichtern . Man müsste dannnicht mehr immer den Straftatbestand der Volksverhet-zung – das ist eine deutlich höhere Hürde – nachweisen,sondern es würde dann reichen, wenn im Gesamtkontexteiner Rede oder einer Schrift eine Sympathiewerbung zuerkennen ist . Ich weiß wirklich nicht, warum wir hier dieFalschen schützen . Das müssen wir mit dem Strafrechtangehen und entsprechende Sanktionen vorschreiben .
Ich möchte ein Thema ansprechen, an dem im Momentkeiner vorbeikommt, und dies nicht nur deshalb, weil wirim Bereich Verbraucherschutz 500 000 Euro für dieseZielgruppe vorgesehen haben . Es geht um die Menschen,die als Flüchtlinge aus anderen Ländern zu uns kommenund häufig ganz andere Erfahrungen mit ihrem Staat,ihrem Gesellschaftssystem und ihrem Rechtssystem ge-macht haben . Ich erlebe eine sehr große Bereitschaft,Menschen in Not zu helfen und ihnen die Integration zuermöglichen . Ich habe in der letzten Wahlkreiswoche ei-nige ermutigende Beispiele erlebt . Es gibt auch viele, diedie Chancen sehen, die darin für unser Land liegen .Trotzdem kommt auch immer wieder die Sorge zurSprache, wie unser Rechtsstaat mit seinen Grundrechtenund Gesetzen damit umgehen und sich dabei behauptenkann . Diese Sorge steht bei unseren Bürgern noch mehrim Vordergrund als die Frage nach dem Geld . Letztereswird nur ganz selten thematisiert .Ich bin mir sicher, dass es für viele Flüchtlinge über-haupt kein Thema ist: Sie möchten sich an die Gesetzedes Gastlandes halten und tun das auch sehr gern, weildas ein Teil der Integration ist . Bei all denen, die mit an-deren Vorstellungen kommen, müssen wir aber ganz klardarauf bestehen, dass sie sich an unser Recht halten undunser Rechtssystem akzeptieren . Sonst kann eine Inte-gration nicht gelingen .
Das beginnt bei dem sogenannten Urgrundrecht derReligionsfreiheit, wie Georg Jellinek es einst nannte, undgilt auch für andere Freiheitsrechte und vor allem für dasGleichheitsgrundrecht, der Gleichbehandlung von Mannund Frau . Daraus ergeben sich auch für die Rechtspolitiketliche Aufgaben .Wir müssen uns zum Beispiel fragen: Wie können wires verhindern, dass Parallelgesellschaften entstehen, indenen eigenes Recht zur Anwendung kommt, das keinRecht in unserem Sinne ist? Wie gehen wir damit um?Wie schaffen wir es, dass gleiche Maßstäbe und unsereVorstellungen und Werte gelten? Wie gehen wir damitElisabeth Winkelmeier-Becker
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um, wenn wir Burkas im Straßenbild sehen oder wennes dadurch zu einer offenen Missachtung von Frauenkommt, dass man sich weigert, einer Frau die Hand zugeben? Ich denke, das dürfen wir uns nicht gefallen las-sen .
Zur Durchsetzung des Rechts gehört für mich auch,dass es bei der Entscheidung über ein Bleiberecht auchdarauf ankommen kann, ob man das Verfahren nachKräften unterstützt oder ob man schon mit falschen Pa-pieren kommt und als Erstes die Behörden und Gerichtebelügt, mit denen man es hier zu tun hat .Die Akzeptanz des Rechts setzt Durchsetzungsstär-ke des Staates voraus . In diesem Sinne, auf dieser Liniewerden wir uns noch einmal die StPO in einigen Punk-ten genauer anschauen . Wir wollen sie praxistauglichermachen . Es kann nicht angehen, dass zum Beispiel fürdas Verfahren in Hamburg zu dem Piratenüberfall auf einSchiff am Horn von Afrika 106 Verhandlungstage ge-braucht werden und 4,5 Millionen Euro für die Kostenaufgewendet werden müssen, während ein vergleichba-rer Fall in einem französischen Gericht in einer dreiwö-chigen Hauptverhandlung abgeschlossen werden kann .Es ist nicht akzeptabel, wenn Täter aus der U-Haftentlassen werden müssen und Verjährung eintritt, weildie Gerichte nicht rechtzeitig dazu kommen, sich um dieFälle zu kümmern, obwohl wir in Deutschland weltweitdie höchste Richterdichte haben . Das ist keine Frage vonzu wenig Personal, sondern das sind selbstgemachte Pro-bleme im Verfahren . Das müssen wir angehen, mit demklaren Ziel, den Aufwand zu verringern und zu praktika-bleren Ergebnissen zu kommen .
Wir müssen die Gewinnabschöpfung verbessern . Aus-reden und Vermögensverschiebungen dürfen nicht mehrdazu führen, dass Täter in den Genuss ihres schlimmenTuns kommen und das Geld behalten können . Auch daswerden wir in Kürze angehen .Dem Anliegen der Justiz und damit der Durchsetzungdes Rechts dienen auch fünf weitere Bundesrichterstellenbeim Bundesgerichtshof entsprechend der Wunschlisteder BGH-Präsidentin . Zwar wäre aus meiner Sicht dieAusgestaltung einer der zusätzlichen Stellen als Vorsit-zendenstelle und die Einrichtung eines neuen Senats rat-sam gewesen; denn nur mit zusätzlichen Beisitzern wirdder Arbeitsstau auf der Vorsitzendenebene nicht weniger .Aber das war nicht gewünscht, und dann gilt eben derGrundsatz „ne ultra petita“ . Damit sollte die Zusatzbelas-tung durch die Nichtzulassungsbeschwerden aufzuarbei-ten sein . Weitere Entlastungen durch Einschränkungendes Rechtsschutzes sind da nicht mehr angezeigt .Ich möchte unter der Überschrift „Akzeptanz desRechts“ noch ganz kurz auf einen weiteren Punkt ein-gehen .
Aber wirklich kurz, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker .
Bei den Syndikusanwälten sind wir mit einer Recht-
sprechung konfrontiert, die keine Akzeptanz gefunden
hat . Aber gerade durch die Arbeit der Syndikusanwälte
werden die Akzeptanz des Rechts und seine Durchset-
zung gestärkt . Hier hakt es noch an einer Stelle . Wir wol-
len dafür sorgen – das ist ganz klar unsere Position –,
dass die ursprüngliche Syndikusarbeit wie bisher nicht
einer Haftungs- und einer Versicherungspflicht unter-
liegt .
Soweit aus dem Kreis der Betroffenen gesagt wird, dass
das sein müsse, ist klar – wenn man das hinterfragt –,
dass es um einen Wettbewerbsvorteil geht und nicht um
ungedeckte Haftungsrisiken . Da werden unrichtige Ar-
gumente vorgeschoben . Wir werden an dieser Stelle am
Ende eine gute Lösung bekommen .
Jetzt kommen Sie aber bitte zum Schluss . Sonst geht
es zulasten des Kollegen Frieser .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Nächster Redner ist Metin Hakverdi, SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Lieber KollegeStrobl, gleich zu Ihnen, und zwar durchaus freundschaft-lich und kollegial . Wir wissen, dass ein Ort der Radikali-sierung die Gefängnisse sind . Wir müssen sicherlich nochmehr tun, um straffällig gewordene junge Menschen zu-rückzugewinnen . Wir lassen aber die Länder dabei nichtallein; Ihr Punkt ist absolut richtig . Noch in dieser Wochewird es ein Treffen zwischen den Fachleuten innerhalbdes Justizministeriums geben . Mir war es wert, das Ihnennoch mit auf den Weg zu geben . Sie haben vollkommenrecht, dass wir das nicht allein dem Ländervollzug über-lassen dürfen .Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die zweite und dritte Lesung bietet traditio-nell eine gute Gelegenheit, den Menschen zu danken, diean diesem Haushaltsentwurf mitgearbeitet haben . Eini-ge sind heute schon genannt worden . Ich schließe michdiesen Danksagungen an . Gestatten Sie es mir an dieserElisabeth Winkelmeier-Becker
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Stelle, mich noch einmal besonders bei Dennis Rohde zubedanken . Vielen Dank, Dennis!
Der Einzelplan 07, der Haushalt des Justizministeri-ums, stellt, gemessen an der Gesamtsumme aller Bun-desministerien, den kleinsten Einzeletat dar . Von deninsgesamt 316 Milliarden Euro entfällt weniger als1 Milliarde Euro auf diese Position . Das macht die Auf-gaben, die mit diesem Etat erledigt werden, nicht weni-ger wichtig . Auch in einem solch kleinen Etat kann mandurchaus Schwerpunkte setzen . Ein Schwerpunkt ist derVerbraucherschutz . Zur Halbzeit dieser Legislaturperio-de lassen Sie mich feststellen: Mit Heiko Maas haben wirendlich einen Minister, der die Rechte der Verbrauche-rinnen und Verbraucher tatsächlich stärken will . VielenDank, Herr Minister!
Die Mittel für den Verbraucherschutz steigen auf35 Millionen Euro . Seit 2014 bedeutet das einen Anstiegvon über 40 Prozent . Knapp die Hälfte der Mittel sollin die Information der Verbraucherinnen und Verbrau-cher fließen. Die Komplexität der Rechtsverhältnisse,mit denen es die Menschen heute zu tun haben, hat deut-lich zugenommen . Ich bin überzeugt, dass der Staat inder Pflicht ist, die Verbraucherinnen und Verbraucher aufdem Markt zu schützen . Wir haben mit den Marktwäch-tern für Digitales und Finanzen ein wichtiges und richti-ges Instrument geschaffen . Das Informieren der Verbrau-cherinnen und Verbraucher ist ebenfalls sehr wichtig .Für diesen Bereich Geld auszugeben, ist gut angelegtesGeld . Der Ausbau des Verbraucherschutzes muss aberweitergehen . Die Ausweitung des Anwendungsbereichsdes Unterlassungsklagegesetzes stellt aus meiner Sichteinen wichtigen Baustein dar . Deshalb will ich meinenAppell an die Kolleginnen und Kollegen von der Unionhier erneuern: Bitte geben Sie sich einen Ruck, damit wirin diesem Punkt endlich zu einem Gesetz kommen . – Einweiteres wichtiges Gesetzesvorhaben stellt aus meinerSicht die Musterfeststellungsklage dar .
Wir haben über diese bereits gesprochen . Wir freuen unsauf den Entwurf des Ministeriums .
Der zweite Schwerpunkt, der in diesem Etat gesetztwird, betrifft aus meiner Sicht die Stärkung des Rechts-staates . Unsere höchsten Gerichte werden personell ge-stärkt . Am Bundesgerichtshof werden Stellen für zweiErmittlungsrichter bzw . -richterinnen geschaffen . Fernerfindet weiterer Personalaufwuchs bei der Bundesanwalt-schaft statt . Wir stärken unsere Justizorgane für einewirksame Bekämpfung der Gefahren, die vom islamisti-schen Terrorismus und von Rechtsradikalen ausgehen . Esist der Rechtsstaat, der auch in Zukunft eine ausgewoge-ne Balance zwischen Freiheit und Sicherheit garantierenmuss . Unsere Antwort auf die gewachsene Bedrohungdurch Rechtsradikale und durch islamistischen Terroris-mus muss deshalb lauten: mehr Rechtsstaat . Genau dastun wir, wenn wir unsere Gerichte und Ermittlungsappa-rate stärken .Die Debatte über den Justizhaushalt ist aber auch einegute Gelegenheit, um Anliegen hinsichtlich bevorstehen-der Gesetzesvorhaben anzusprechen . Mein persönlichesAnliegen ist das Thema „Gleicher Lohn für gleiche Ar-beit“ . Es geht um die Forderung, dass bei gleicher Ar-beit kein Lohnunterschied zwischen Leiharbeitern undStammbelegschaft gemacht werden darf . Wir werdenuns dieser Aufgabe stellen müssen . Es ist unmöglich,den Menschen in diesem Land zu erklären, warum derGrundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht gel-ten soll .
Wir werden hier gesetzlich handeln müssen, um Ge-rechtigkeit herzustellen . Die Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände wettert nun gegen die-se Absicht. Es finde ein Angriff auf die Tarifautonomiestatt . Liebe BDA, warum sind Sie gegen dieses Prinzip?Warum sind Sie mit uns Sozialdemokraten nicht einerMeinung, dass dieser Zustand ungerecht ist und deshalbabgeschafft gehört?Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir unsnichts vor: Der Verweis auf die Tarifautonomie wird vonder BDA vorgeschoben, um an dieser ungerechten Pra-xis festzuhalten . All denen, die den WirtschaftsstandortDeutschland gefährdet sehen, sage ich: Unser Land istzur wirtschaftlichen Prosperität nicht durch Leiharbeitgelangt .
Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ giltderzeit ebenfalls nicht zwischen den Geschlechtern . Wa-rum Frauen bei gleicher Arbeit und Leistung weniger alsihre männlichen Kollegen verdienen, ist nicht erklärbar .Offensichtlich ist der Arbeitsmarkt nicht in der Lage, die-se Ungerechtigkeit aus eigener Kraft zu beseitigen . Auchdiese Ungerechtigkeit gehört abgeschafft .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Geschäfts-
bereich ist der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Die Debatte über einen Haushalt nach zwei Jahren istimmer eine Zwischenbilanz; Kollege Strobl hat daraufhingewiesen . Jetzt haben wir aber die Grenzen dieserZwischenbilanz über die Rechtspolitik schon sehr weitausgedehnt . Der letzte Beitrag, Herr Kollege, war schonsehr weit vom Justizhaushalt entfernt . Aber auch das ge-hört dazu; denn das zeigt die Tragkraft und die Auswir-kungen, die von der Rechtspolitik ausgehen .Metin Hakverdi
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Wenn es schon sonst keiner in diesem Haus tut, dannmachen wir es eben: Wir loben die Koalition dafür, wassie alles von ihrem Koalitionsvertrag abgearbeitet hat .Das kann sich – so möchte ich die Debatte abschließen –wirklich sehen lassen . Der Koalitionsvertrag ist ein inte-ressantes Programm . Wir sind weit über das hinausge-gangen, was sich manche Vorgängerregierungen auf ihrPanier geschrieben haben, und haben unser Programmtrotzdem geschafft . Ich glaube, das kann sich wirklichsehen lassen .
Es wird Sie nicht wundern, dass auch ich mit demThema Terror anfangen muss . Wir haben es oftmals ge-hört: Wir haben unsere Hausaufgaben zumindest zumTeil erledigt . Wenn es um die Reisetätigkeit von Gefähr-dern geht, wenn es um die Frage der Höchstspeicherfris-ten geht, dann darf man allerdings auch darauf hinwei-sen, dass sich die Tauglichkeit unserer Instrumente beimKampf gegen den Terror erst noch erweisen muss . Wirwerden daran gemessen werden, ob sich diese einschnei-denden Maßnahmen, die sich der Rechtsstaat nach lan-gen Diskussionen regelrecht herauspresst, letztlich so ab-schleifen, dass sie ihren eigentlichen Zweck nicht mehrerreichen können .Wir haben beim Thema der Terrorismusfinanzierungein gutes Stück unserer Vorhaben erledigt . Wir hörenallerdings, dass im Augenblick erst um die 5 000 Eurotatsächlich eingefroren worden sind . Auch hier geht esalso darum, dass wir bei der Frage der Vermögensab-schöpfung im Zusammenhang mit der Terrorismusfinan-zierung ein gutes Stück weiterkommen .Ja, als medienaffine Politiker haben wir gelernt, dassman bestimmte Aussagen mindestens fünfmal machenmuss, damit sie überhaupt draußen ankommen . Deshalbsage ich: Sympathiewerbung ist und bleibt ein Dauer-brenner .
Wir haben uns ein bisschen um das Thema herumgemo-gelt . Jetzt kann ich als Bayer – ich bin zwar ein Franke,aber ein Bayer – mit Stolz sagen: Das Netzwerk gegenSalafismus, das ein Zusammenschluss vieler verschiede-ner Ressorts in Bayern ist, zeigt, dass es ganz wichtig ist,bei der Frage der Werbung und der Öffentlichkeitsarbeitanzufangen . Wir müssen deutlich machen: Wer Werbungfür eine solche Art von Krieg und für Terror macht, dermuss den Rechtsstaat spüren .
Ganz ehrlich, da ist mir keine Koalition zu fies. WennAnonymus tatsächlich der Meinung ist, diese Seitenlahmlegen zu können: Her damit; dann zeigt einmal,was ihr könnt . Vielleicht funktioniert das tatsächlich .Dadurch sollen ungewöhnliche Maßnahmen nicht außenvor gelassen werden können .Ich sage auch: Wir in diesem Haus haben einen rechts-staatlichen Auftrag zu erfüllen . Artikel 26 des Grundge-setzes gibt uns den Auftrag – brandaktuell, obwohl ausden Gründungstagen dieser Republik stammend –, den-jenigen, der etwas unternimmt, das friedliche Zusam-menleben der Völker zu stören, denjenigen, der einenAngriffskrieg mit vorbereitet, mit Strafe zu bedrohen .Da hinken wir ein gutes Stück hinterher . Genau in dieseKerbe schlägt die Aussage: Wenn wir das friedliche Zu-sammenleben auf dieser Welt als wichtig erachten, dannmüssen wir die, die dies von diesem Land aus gefährden,mit Strafe bedrohen .Thema Asylverfahren – da will ich schon ein Lob los-werden –: Natürlich unterliegt dies eigentlich der Kom-petenz des Innenressorts . Natürlich tun die Innenpolitikeralles, um in dieser Frage voranzukommen . Aber geradedie Rechtspolitik mit der Kreativität der Juristen ist auf-gefordert, da Beihilfe zu leisten und tatsächlich deutlichzu machen, an welchen Stellen wir agieren müssen .
Das haben wir auch wirklich weidlich getan . Glaubwür-digkeit bei den Bürgern gewinnen wir nur dann, wennwir deutlich machen, dass die Rechtspolitik geeignet ist,einen entscheidenden Beitrag zu leisten, wenn es um dieFrage der Asylverfahrensvereinfachung und der Asylver-fahrensbeschleunigung geht .Der Stellenaufwuchs im Justizministerium ist dazugeeignet . Es reicht nicht, die Anzahl der Stellen imBAMF zu erhöhen . Wir haben es schon gehört: Es gehtum die Richterstellen . Das Ganze geht hinunter bis indie Kommunen, wo die Anzahl der Stellen dieser He-rausforderung angepasst werden muss . Deswegen mussman deutlich sagen: Es ist gut und wichtig, dass in derRechtspolitik findige, kreative Juristen am Werk sind, diehier ihren Beitrag leisten können .Ich will noch zwei Themen kurz und sachlich anspre-chen, bei denen sich der ursprüngliche und der jetzt vor-liegende Haushaltsentwurf etwas unterscheiden .Ganz wichtig ist uns das Thema Onlineverträge, gera-de im Lichte – ich fasse es etwas zusammen – der Fort-schreibung des europäischen Kaufrechtes . Ich wiederho-le: Das ist ein ganz entscheidender Punkt . Wir wissen,dass wir beim Umgang mit digitalem Nachlass, beimWeiterkauf von Software wirklich einiges aufholen müs-sen . Wir wissen, dass unser im BGB und im AGB-Rechtverankertes Regelwerk gerade in diesen Angelegenheitennicht unbedingt passgenau ist . Wer eine CD-Sammlungweitergibt oder vererbt, hat keine Probleme . Aber beimWeiterverkauf oder bei der Weitergabe von Mediathekenwird es ganz besonders schwierig . Das passt nicht ganzzusammen . Da sind wir sicherlich aufgerufen, noch et-was zu ändern .Ähnliches gilt beim Urheberrecht . Da geht es nichtnur um die Umsetzung der jetzigen Richtlinie, sondernauch darum, die Kreativität nicht zu ersticken, den Erfin-dergeist nicht abzutöten, ihn nicht der Marktmacht preis-zugeben und dennoch den Bedürfnissen der Informati-onsgesellschaft zu genügen . An der Bewältigung dieserHerausforderung arbeiten wir schon Jahre . Die Rechts-politik muss beweisen, dass sie in der Lage ist, dem auchFolge zu leisten .Insofern kann ich guten Gewissens sagen: Ja, die Ar-beit dieser Koalition kann sich zur Halbzeit dieser Le-gislaturperiode sehen lassen . Der Haushalt des Justiz-Michael Frieser
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ministeriums, Herr Minister, und aller anderen Ressortsversetzt nicht nur in die Lage, eine leistungsfähige Jus-tiz zu haben, sondern auch dazu, eine lösungsorientierteRechtspolitik zu betreiben . Daher wäre es angebracht,dass nicht nur die Koalition, sondern auch andere in die-sem Haus diesem Haushalt zustimmen . Aber ich gebemich nicht der irrigen Annahme hin, dass das Abstim-mungsverhalten durch diese Debatte wesentlich geändertwird . Zumindest die Koalition kann sehr stolz sein, undsie kann durchaus sagen, dass dieser Justizhaushalt aufjeden Fall in der Lage ist, für die nächsten beiden Jahreeine tragfähige Grundlage zu schaffen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 07 – Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
cherschutz – in der Ausschussfassung .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/6767? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt .
Wir stimmen nun über den Einzelplan 07 in der Aus-
schussfassung ab . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 07 ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19 – Bundesverfassungsgericht – in der Ausschuss-
fassung . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Einzelplan 19 ist einstimmig
angenommen .
Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt I .8 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
Drucksachen 18/6124, 18/6125
Die Berichterstattung zu diesem Geschäftsbereich ha-
ben die Abgeordneten Swen Schulz , Anette
Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz .
Zu dem Einzelplan 30 liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir
am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen, und das Wort
hat jetzt der Kollege Roland Claus, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bildungund Forschung sind für das Parlament von zentralem In-teresse; hier wird schließlich über Zukunftsthemen ent-schieden, und deshalb haben wir bei der Beratung diesesEtats im Haushaltsausschuss und in anderen Ausschüs-sen die Einzelposten besonders gründlich überprüft . Die-se Methode werden wir auch nach Beschlussfassung überden Etat fortsetzen . Das will ich hier schon mal kundtun,weil die Ministerin sich von uns zuweilen überkontrol-liert fühlt; aber das ist nun mal unsere Aufgabe .
Frau Bundesministerin Wanka wird nachher gewissverkünden, wie viel mehr Geld sie zur Verfügung hat .Ich glaube, da sagt sie nichts Falsches . Ich muss Sie aberdaran erinnern, Frau Ministerin, dass Sie die Kritik desBundesrechnungshofs wegen mangelnder Erfolgskont-rolle in Ihrem Etat nicht schlicht und einfach aussitzenkönnen . Wir haben dazu in der ersten Lesung eine Reihevon Beispielen vorgetragen . Ich will die gar nicht wie-derholen; dafür ist die Liste der Kritik auch viel zu lang .Nur ein Beispiel aus dem Bericht des Rechnungshofs willich bringen . Dort heißt es: Nahezu grotesk erscheint dieTatsache, dass das Ministerium Erfolgskontrollen bei derProjektförderung daran scheitern lässt, dass deren Zielenicht ausreichend definiert werden. – Das heißt, es gibtZuwendungen ohne Kriterien . Etwas vereinfacht heißtes im Volksmund: Man bildet sich eine Philosophie nachder Art: Die Karte ist richtig, nur die Gegend ist falsch . –So geht es aber nicht, meine Damen und Herren .
Wir werden dieser Kritik des Hofes und der Kritik ausder Opposition weiter nachgehen, und wir werden auchnicht müde werden, hier eine ganze Reihe von Verände-rungsvorschlägen einzubringen; dazu kommen wir dannnoch im Einzelnen .Nun hat das Bundesministerium sich kreativerweiseein eigenes Gutachten zur Evaluierung der Hightech-Stra-tegie bestellt . Es wurde von einer ExpertenkommissionForschung und Innovation erstellt, die als Abkürzung denschönen Namen EFI trägt . Man höre und staune: DieseExpertenkommission bescheinigt dem Bundesministeri-um gute Arbeit .Daran haben namhafte Professoren mitgewirkt, derenKompetenz ich überhaupt nicht in Zweifel ziehen will .Nur das eine ist verwunderlich: Bis auf zwei Kolleginnenund Kollegen aus Zürich handelt es sich um Professo-res von Zuwendungsempfängern des Ministeriums – vonZuwendungsempfängern! Das macht uns dann schonMichael Frieser
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stutzig, Frau Ministerin . Das lassen wir so auch nichtdurchgehen .
Zunehmend müssen wir im Haushaltsausschuss, auchwenn es um die Verflechtung von mehreren Einzelplä-nen geht, recht dubiose Praktiken der Förderung durchverschiedene Bundesministerien feststellen . Es gibt zumTeil auch Projekte mit hohen militärischen Anteilen, dieaus mehreren Häusern gefördert werden .Ein Beispiel: TanDEM-X soll ein dreidimensionalesSatelliten-Beobachtungssystem werden, das von einemnamhaften Flugzeugbauer und dem Deutschen Zentrumfür Luft- und Raumfahrt entwickelt wurde . So weit plau-sibel . Das Kuriose aber ist nun: Das Bundesministeriumder Verteidigung kauft von dem Flugzeugbauer und demZentrum ein Produkt, das zuvor vom Bundeswirtschafts-ministerium und vom Bildungs- und Forschungsministe-rium subventioniert wurde . Ja – muss man fragen –, gehtdas noch? Das kann doch so nicht hingenommen werden .
Die Linke hat in die Haushaltsberatungen unter ande-rem einen Vorschlag zur Unterstützung von Fachhoch-schulen – ich sage einmal – in förderbedürftigen Regi-onen eingebracht; das klingt ein bisschen netter als „instrukturschwachen Regionen“ . Die Fachhochschulenbekommen natürlich von dem großen Kuchen dieses Mi-nisteriums recht viel ab . Aber wir haben festgestellt, auchvergleichsweise kleine Hochschulen können in solchenstrukturschwachen Regionen als Impulsgeber enormwichtige Aufgaben lösen .
Ich nehme nur einmal zwei Standorte . Das ist dieHochschule in Mittweida in Sachsen, und das ist dieHochschule in Köthen in Sachsen-Anhalt . Nun wissenwir, dass deren Grundfinanzierung bekanntlich Sacheder Länder ist. Aber Anschubfinanzierung im Sinne vonwichtigen Zukunftsinvestitionen wäre ein interessanterWeg . Wir werden Ihnen dazu in Kürze einen Antrag vor-legen .Nach wie vor nicht gelöst ist das Problem der befris-teten Arbeitsverträge von Akademikerinnen und Akade-mikern . Wir halten das nach wie vor für einen Skandal .
Es ist im Verlauf der Beratungen heute schon gefeiertworden, dass die Zahl der geschlossenen Arbeitsverträgenoch nie so hoch war . Aber, meine Damen und Herren,was hilft es einem 40-jährigen Forscher, wenn er in fünfJahren vier solcher Arbeitsverträge hat? Das ist dochkeine vernünftige Politik, um Zukunftsfähigkeit sicher-zustellen .
Nun wurde auf diesen Vorwurf in der ersten Beratungdes Haushalts hier vonseiten der Koalition reagiert . Mirwurde vorgeworfen, ich hätte quasi den Schuss nichtgehört . Mit dem wunderbaren Konstrukt des Wissen-schaftszeitvertragsänderungsgesetzes würde dieses Pro-blem jetzt gelöst . Mit diesem Gesetz, so wie es jetzt ist,wird das Problem zwar beschrieben, aber gelöst wird lei-der nichts .
– Ich habe im Moment keinen Mangel an Anhörungen;das kann ich Ihnen versprechen, und wir kommen auchmit den Themen hinterher .
Der Bildungszustand der Nation ist insgesamt unbe-friedigend . Das hat mit dem Kooperationsverbot vonBund und Ländern in der Bildung zu tun . Wir haben esmit einer chronischen Unterfinanzierung der Schulbil-dung in den Ländern zu tun . Auch das müssten wir än-dern .Nehmen Sie unseren Vorschlag an, eine Vermögen-steuer einzuführen . Das ist eine Steuer, die im Wesent-lichen den Bundesländern zugutekommt . Dann könntenwir wieder eine vernünftige Schulbildung machen . Daswäre in dieser Republik nötig .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Anette Hübinger,
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Inpolitisch schwierigen und die Gesellschaft sehr fordern-den Zeiten ist es uns wieder gelungen, einen Haushaltohne Neuverschuldung aufzustellen . Gelungen ist unsdas insbesondere, weil wir aus dem Haushaltsjahr 2015gut 6 Milliarden Euro in das Jahr 2016 übertragen kön-nen, wodurch uns die Möglichkeit eingeräumt ist, dengebotenen Aufgaben Rechnung zu tragen .Seit der Aufstellung des Haushaltsentwurfs sind fastsechs Monate vergangen . In diesen Monaten – bis heu-te – haben sehr viele Menschen bei uns Zuflucht vorTerror und Gewalt in ihren Ländern gesucht . Diesen undanderen Herausforderungen Rechnung tragend, habenwir den Haushalt 2016 im Haushaltsverfahren angepasstund – wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist – diePriorität für Bildung und Forschung weiter gestärkt .
Dem Ministerium für Bildung und Forschung räu-men wir die notwendigen Handlungsoptionen ein, denneuen bildungspolitischen Aufgaben gegenüber den jun-gen Menschen, die zu uns kommen, gerecht zu werden,Roland Claus
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ohne dabei eine solide Gegenfinanzierung aus dem Augezu verlieren . In der Bereinigungssitzung hat der Haus-haltsausschuss den vorgelegten Regierungsentwurf desEinzelplans 30 mit einer Rekordsumme von 16,4 Mil-liarden Euro nochmals um rund 500 Millionen bei denProgrammmitteln erhöht .
Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Weichen-stellung für zukünftige Generationen in einem Deutsch-land, das sich vor gesellschaftlichen Herausforderungenund Veränderungen in einer globalisierten Welt nicht ver-stecken kann und auch nicht verstecken will .Für die Finanzierung von Bildungsmaßnahmen fürFlüchtlinge verwendet das Ministerium für Bildung undForschung zum einen Ausgabereste, zum anderen wer-den Mittel in Höhe von 27 Millionen Euro umgeschichtetund zusätzlich 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt .Das Ministerium knüpft neben Sprachkursen in derProjektausgestaltung an Bewährtes wie zum Beispiel Po-tenzialanalyse, Lernbegleiter, Bildungsketten, das Pro-gramm „Kultur macht stark“ an und macht all das jungenFlüchtlingen zugänglich .Des Weiteren wird ein Schwerpunkt auf die berufli-che Bildung von Flüchtlingen im Alter zwischen 18 und25 Jahre gelegt . In Kooperation mit den überbetriebli-chen Bildungsstätten und den Handwerkskammern sollein Zugang zur Ausbildung geschaffen werden .Die akademische Ausbildung wird in Zusammenar-beit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienstgestärkt . Wir stärken zum Beispiel die Studienberatungund bauen die zur Verfügung stehenden Plätze in denStudienkollegs weiter aus .Wir würden aber unseren Aufgaben nicht gerecht,wenn wir den Bildungs- und Forschungshaushalt nuran den gesellschaftlich wichtigen Aufgaben der Bildungund Ausbildung von Flüchtlingen ausrichten würden .Vielmehr ist es erforderlich, dass wir die neuen und diebereits vorhandenen Angebote im Bereich Bildung, diesich an alle jungen Menschen in Deutschland richten,miteinander verzahnen, um so zu einer besseren Integra-tion beizutragen .
Daher fördern wir in der frühkindlichen Bildung imMINT-Bereich die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“mit weiteren 550 000 Euro und heben bei der Alphabeti-sierung den Titelansatz noch einmal um 3 Millionen Euroan .
Ein klarer Schwerpunkt dieses Haushaltes ist die Stär-kung der dualen Berufsausbildung . Das spiegelt sich inder Förderung der beruflichen Aufstiegsförderung, diewir um 14 Millionen Euro anheben, wider .
Damit tragen wir dem politischen Willen der KoalitionRechnung, beim Meister-BAföG den Basisunterhalts-beitrag, den Maßnahmebeitrag und den sogenannten Er-folgsbonus zu erhöhen, und entlasten damit zukünftigeMeister finanziell erheblich. Das ist ein klares Signal da-für, dass uns die für Deutschland so wichtigen typischenHandwerksberufe sehr am Herzen liegen und wir Karrie-rewege fördern wollen .
Aber auch bei der akademischen Ausbildung habenwir im Haushaltsverfahren nachgesteuert . Ein wichtigesZeichen setzen wir durch die Anhebung des Titels fürdie Begabtenförderungswerke um 4,5 Millionen Euro .Mit dieser Anhebung werden diese in die Lage versetzt,ihre Promotionsstipendien auf das finanzielle Niveau derStipendien von außeruniversitären Einrichtungen anzu-heben . Wir wertschätzen damit die engagierte Arbeit derBegabtenförderungswerke wie auch das gesellschaft-liche Engagement der hervorragenden Stipendiatinnenund Stipendiaten, das Voraussetzung zur Erlangung einesStipendiums ist .
Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeits-welt, aber auch im Privatbereich kommen in rasantemTempo immer neue Möglichkeiten, aber auch Risikenauf uns zu . Hier hat das Ministerium für Bildung undForschung wichtige Steuerungsfunktionen übernommen,deren Umsetzung wir unter anderem mit neuen Perso-nalstellen stützen . Zudem werden der Fraunhofer-Gesell-schaft für die Ausbildung von IT-Sicherheitsexperten anFachhochschulen 6 Millionen Euro zusätzlich zur Verfü-gung gestellt .Deutschlands Erfolge und wirtschaftliches Fortkom-men sind eng verbunden mit exzellenter Forschung undderen Vernetzung weltweit . Diese Netzwerke müssenfrüh geknüpft und gepflegt werden. Ein Garant hierfürsind der Deutsche Akademische Austauschdienst und dievon-Humboldt-Stiftungen . Daher stellen wir ihnen fürdiese wichtigen Aufgaben zusätzliche Mittel zur Verfü-gung und stärken darüber hinaus im Bereich des europäi-schen Forschungsraums mit weiteren 2,5 Millionen Eurodie Stellung Deutschlands .
Die Innovationsförderung in den neuen Ländern er-fährt einen Aufwuchs von 10 Millionen Euro . DiesenAufwuchs verknüpfen wir mit einer Weiterentwicklungund Durchführung von Pilotmaßnahmen im Bereich„Unternehmen Region“ zu einem deutschlandweitenInnovationskonzept Strukturwandel. Somit profitierenstrukturschwache Regionen in ganz Deutschland – dassage ich als Saarländerin: auch das Saarland – künftigvon den bereits gewonnenen Erkenntnissen in den neuenBundesländern und zugleich von dem neuen Innovati-onsförderungskonzept .
Anette Hübinger
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Besonders freut mich, dass die Maßnahmen im Be-reich der Gesundheitsforschung mit besonderem Augen-merk auf Produktentwicklungspartnerschaften, die derBekämpfung von vernachlässigten armutsassoziiertenKrankheiten dienen, gestärkt wurden .
Die Ausschreibung für eine zweite Förderrunde wurdeim Oktober eröffnet mit einer Verdoppelung der Mittelauf circa 50 Millionen Euro über die gesamte Förderpe-riode . Zum anderen wurden die thematischen Einschrän-kungen der ersten Förderperiode aufgehoben . Deutsch-land geht hier einen weiteren Schritt nach vorne in derÜbernahme seiner Verantwortung für die weltweite Ge-sundheit .Trotz der umfassenden Aufgabenfelder, die im Bil-dungs- und Forschungshaushalt gebündelt sind, und trotzder Priorität für Bildung und Forschung leistet dieserBereich seinen finanziellen Beitrag zur Bewältigung derderzeitigen großen gesellschaftlichen Herausforderun-gen . Die globale Minderausgabe wurde um 50 MillionenEuro erhöht . Das heißt, im Haushaltsjahr muss dieserBetrag erwirtschaftet werden . Unserer Meinung nach istdas bei einer Gesamtsumme von 16,4 Milliarden Euroverkraftbar, zumal die globale Minderausgabe im kom-menden Haushalt fast 200 Millionen Euro unter der die-ses Jahres liegt .Alles in allem gehen wir im Bereich Bildung undForschung gut aufgestellt in das neue Jahr . Daran habenviele mitgewirkt . Ich bedanke mich bei Ministerin Wan-ka, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministe-riums, des Ausschusses und unserer Arbeitsgruppen, beimeinen Kollegen und Kolleginnen Mitberichterstatterfür die gute Zusammenarbeit und natürlich besonders beiunserem Hauptberichterstatter Swen Schulz für die guteKoordination unserer Arbeit .Herzlichen Dank für das Zuhören .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Ekin Deligöz .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, dem Dank an die Berichterstatter schlie-ße ich mich natürlich an . Es war tatsächlich ein sehr gu-tes und intensives Zusammenarbeiten .Der Etat für Bildung und Forschung steigt . Aber auchdie Anforderungen an diesen Etat steigen . Mein KollegeRoland Claus hat es bereits gesagt: Die Ausgaben in die-sem Ressort sind für die Aufgaben auf dem Weg in dieZukunft . Deshalb haben sie auch diese Bedeutung . Umsowichtiger ist es auch, dass das Geld an der richtigen Stel-le eingesetzt wird .
Frau Ministerin, ich will Ihnen in meiner Rede einigeBeispiele nennen, wo ich in Ihrem Etat Handlungsbedarfsehe, wo das sehr deutlich wird und wo ich am Ende et-was enttäuscht bin .Erstes Thema: Flüchtlinge . Menschen kommen mo-mentan nach Deutschland, sie fliehen vor Krieg und Ter-ror. Sie finden den Weg zu uns, und sie werden bleiben.Ja, es ist eine große Herausforderung, sie zu integrieren .Bildung bildet hier eine absolute Schlüsselfunktion .Anhand von guten Bildungs-, Fortbildungs- und Quali-fizierungsstrukturen wird es sich entscheiden, ob dieseMenschen einen Job finden, ob sie einen Platz in der Ge-sellschaft finden, ob sie ihre Existenz sichern können, obsie eine Perspektive haben, ob ihre Kinder auf der Stre-cke bleiben oder eine Chance bekommen . Bildung ist derSchlüssel .
Mit Verlaub, eine Lese-App für Kinder und für Eh-renamtliche mag eine gute Sache sein . Aber sie ersetztkeine Lehrerin, keinen Lehrer, keinen Sozialpädagogen,keinen Erzieher .
Das ist zu wenig .Ich hätte gern gesehen, dass Sie für eine Bildungsof-fensive in diesem Land kämpfen . Das fordern wir von Ih-nen: zehn Jahre lang Investitionen von 1 Milliarde Eurojährlich in die Schulen, in die Kindergärten, in die Aus-bildung von Erzieherinnen und Sozialpädagogen . DieseInvestitionen hätten dazu beigetragen, die Integrationund das Erlernen der Sprache voranzubringen . Das wäreeine echte Investition in die Menschen .
Ich halte es in diesem Zusammenhang für falsch, dassSie ausgerechnet beim Hochschulpakt 13 Millionen Eurokürzen .
Wir fordern hier 370 Millionen Euro mehr . Sie solltenzur Kenntnis nehmen, dass es in diesem Land mehr Stu-dierende geben wird . Es reicht auch nicht, lieber Swen,wenn du sagst: „Das sind Ausgabenreste!“ Die Univer-sitäten brauchen diese Mittel, weil die Zahl der Studie-renden steigt . Wir sollten das Geld im System lassen undnicht aus dem System herausnehmen .
Es ist gut – und da freuen wir uns, dass Sie auf unserenVorschlag eingegangen sind –, dass Sie die Mittel für denStudenten- und Wissenschaftleraustausch beim DAADund bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erhöhen .Ich nenne auch die Zahl: Es werden 7 Millionen EuroAnette Hübinger
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mehr sein . Das dient der Völkerverständigung . Davonbrauchen wir mehr . Wenn es um die Förderung dieserguten Instrumente geht, werden Sie immer unsere Unter-stützung haben; darauf können Sie bauen .Kommen wir zu einem anderen Thema: Chancenge-rechtigkeit in Wissenschaft und Forschung . Es gibt mehrAbiturientinnen, es gibt mehr Studentinnen, es gibt mehrAbsolventinnen; aber bis zur Spitze von Forschung undWissenschaft wird die Zahl der Frauen immer geringer .Es ist eben nicht so, dass es mehr Frauen an der Spitzegibt, und deshalb fordern wir, dass die Förderlinie „Frau-en an die Spitze“ fortgesetzt wird .Das stark nachgefragte Professorinnenprogrammmuss ausgeweitet werden . Die Warteliste ist lang; aberwas fehlt, ist die Zuversicht . Das, was Sie zum BereichMINT sagen, das, was Sie dort unternehmen, ist zwargut und richtig; aber die MINT-Förderung ist nicht dieeinzige Antwort auf die Herausforderung der Frauenför-derung . Wir brauchen mehr Frauenförderung auch mitBlick auf die Spitze unserer Universitäten und unsererWissenschaft .
Nächstes Thema: Rückbau der nuklearen Forschungs-anlagen . Auch im Jahr 2016 werden mehr als 328 Mil-lionen Euro als Forschungsmittel deklariert, aber dazugenutzt, die Beseitigung von Altlasten bei den For-schungsanlagen zu finanzieren. Diese Kosten werdensteigen; sie werden explodieren . Weil wir das voraus-sehen, fordern wir Grüne: Diese Mittel müssen raus ausIhrem Etat . Im Moment ist die Arbeitsaufteilung so: Siefinanzieren, aber die Verantwortung liegt beim BMF. Wirmüssen die Verantwortung und die Gestaltung bündeln,damit das Geld verantwortlich eingesetzt und nicht ver-schwendet wird . Das sage übrigens nicht nur ich; das sagtder Bundesrechnungshof . Sie sollten sich daran halten .Das ist nämlich in Ihrem ureigenen Interesse .
Zumindest sollten Sie im Sinne der Haushaltsklarheitund -wahrheit dem Haushaltsausschuss einmal im Jahreinen Bericht vorlegen . Sie würden am meisten davonprofitieren, wenn Sie die Übersicht darüber bewahrten.Nächstes Thema: Investitionen in die Klimafor-schung . Wir stehen vor der UN-Klimakonferenz in Paris .Da gibt es auch Erwartungen an Deutschland . Und wasmachen Sie? Sie kürzen die Mittel im Bereich der Klima-forschung um 20 Millionen Euro . Ich weiß, warum Siedie Mittel kürzen; ich weiß auch, wo Sie sie kürzen . Aberich sage Ihnen: Schiffe sind nicht das Einzige, mit demwir uns im Bereich der Klimaforschung beschäftigen .Die Bandbreite ist da sehr groß . Politisch verstehe ichdieses Signal, ehrlich gesagt, nicht . Ich halte es absolutfür einen Fehler .
Unser Auftrag sollte sein, eine führende Rolle in der Kli-maforschung zu übernehmen,
in Europa und weltweit . Dafür müssen wir etwas über-zeugender investieren .Frau Ministerin, die Zusammenfassung des Haushalts2016 lautet: kein Herz, keinen Plan, keinen Mut .
Nehmen Sie die Herausforderungen ernst; denn Ihr The-mengebiet ist zu wichtig, um es so nachlässig zu behan-deln .
Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz . – Schönen gu-
ten Abend Ihnen allen, auch den fünf Gästen auf der
Tribüne! – Der nächste Redner ist Swen Schulz für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren – gewisserma-ßen einzeln angesprochen – auf der Tribüne! Liebe EkinDeligöz, dass aus der Sicht der Opposition einiges zu kri-tisieren ist, kann ich natürlich nachvollziehen .
Aber eine Nummer kleiner hätte es auch getan . Das wäreauch ein Stück weit glaubwürdiger gewesen;
denn dieser Regierungsentwurf für den Haushalt 2016 isttatsächlich gut gelungen .
Wir haben das in der ersten Lesung hier im Bundestag ge-bührend betont, und darum bestätigen wir auch den größ-ten Teil des Entwurfes . Denken Sie nur an das steigendeBAföG, den Hochschulpakt 2020 für mehr Studienplät-ze, den Qualitätspakt Lehre, den Pakt für Forschung undInnovation, die Exzellenzinitiative für Forschung an denHochschulen, die Projektförderung usw . usf .Wir haben uns vorgenommen, einige Themen genaueranzuschauen . Das haben wir in den parlamentarischenBeratungen auch gemacht, und nach intensiven Gesprä-chen, auch mit der Bundesregierung, haben wir uns aufeinige wichtige Änderungen geeinigt .Um es in Zahlen zusammenzufassen: Wir steigernden Haushalt für Bildung und Forschung noch einmalEkin Deligöz
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um über 16 Millionen Euro – bis 2018 werden es sogarüber 100 Millionen Euro sein –, wir mobilisieren rund55 Millionen an Ausgaberesten aus EU-Programmen –bis 2018 sind es dann etwa 130 Millionen Euro –, undwir verteilen rund 90 Millionen Euro neu und setzen da-mit Akzente in der Bildungs- und Forschungspolitik fürDeutschland .
Nun ist das für einen Haushälter wie mich immer soeine Sache; denn über die fachliche Expertise verfügtschließlich in erster Linie der Ausschuss für Bildung undForschung .
Wir im Haushaltsausschuss verstehen uns als Dienstleis-ter
und erfüllen nach Kräften die Wünsche des Fachaus-schusses, manchmal sogar seine geheimen Wünsche, dieer gar nicht ausformuliert hat .
Was also haben wir im Haushaltsausschuss im Einzel-nen beschlossen und legen es hier dem Deutschen Bun-destag in Gänze vor?Erstes Thema: Alphabetisierung . Wir wissen um diefehlende Grundbildung von vielen Menschen in Deutsch-land, ganz und gar nicht nur bei Migranten . Die Alpha-betisierung ist ein Schwerpunkt dieser Koalition . Wirhaben darum 3 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügunggestellt, weil Lesen, Schreiben und Rechnen Grundvo-raussetzungen für Teilhabe in der Gesellschaft sind undwir die Menschen unterstützen und stärken wollen .
Zweites Thema: Berufliche Bildung. Die ist uns ge-nauso wichtig wie die akademische Bildung . Darumwollen wir im nächsten Jahr nicht nur das BAföG fürSchüler und Studierende anheben, sondern auch dasMeister-BAföG .
In dem Regierungsentwurf wurden dafür bereits 11 Mil-lionen Euro zusätzlich vorgesehen, aber wir legen nocheinmal weitere 14 Millionen Euro drauf . In voller Jahres-wirkung ab 2017 werden es dann insgesamt 70 MillionenEuro mehr sein . Das ist ein starkes Bekenntnis zur beruf-lichen Bildung .
Drittes Thema: Akademische Bildung . Natürlich ha-ben wir uns auch darum gekümmert . Der Deutsche Aka-demische Austauschdienst und die Alexander-von-Hum-boldt-Stiftung erhalten 7 Millionen Euro mehr, als imRegierungsentwurf vorgesehen .
Wir haben ein klares Zeichen für die Begabtenförde-rung gesetzt . Die Förderwerke erhalten 4,5 MillionenEuro zusätzlich für die Erhöhung der Promotionsförde-rung . Ab 2017, wenn wieder volle Jahreswirkung erzieltwird, sind das dann sogar 13 Millionen Euro mehr . Dasist ein großer Fortschritt für die Unterstützung des wis-senschaftlichen Nachwuchses .
Viertes Thema: Wissenschaft . Wir haben den Titel „In-novationsförderung in den neuen Ländern“ um 10 Milli-onen Euro gestärkt .
Wir wollen ganz bewusst schauen, was wir aus diesemim Osten erfolgreichen Programm in strukturschwacheGebiete in Westdeutschland transferieren können . Das istein guter und wichtiger Ansatz .Wir haben einen Schwerpunkt bei den Geistes- undSozialwissenschaften gelegt mit ebenfalls 10 Millio-nen Euro mehr . Die zusätzlichen Mittel sehen wir vorfür die Migrations- und Integrationsforschung, für diesogenannten kleinen Fächer, für die Friedens- und Kon-fliktforschung
und für die Digitalisierung . – Ich wusste, wen das freuenwird . – Uns sind die Geistes- und Sozialwissenschaftenwichtig . Wir wissen zwar, dass die Ingenieurs- und Na-turwissenschaften von großer Bedeutung sind;
aber es ist eben auch klar, dass wir die gesellschaftlichenProbleme nur lösen können, wenn wir die Menschen unddie Gesellschaft in den Blick nehmen . Technologie allei-ne genügt nicht .
Wir geben den Geistes- und Sozialwissenschaften einenordentlichen Schub . Ich glaube, das ist eine wirklich guteNachricht für die Wissenschaftslandschaft insgesamt .
Wir haben noch einige weitere Veränderungen vor-genommen, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht näherSwen Schulz
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eingehen kann; die Kollegin Hübinger hat schon einigesdazu gesagt .Ich möchte auf mein fünftes Thema zu sprechen kom-men: Maßnahmen für Geflüchtete. Darüber haben wirselbstverständlich schon in der ersten Lesung hier imDeutschen Bundestag gesprochen, und auch in den parla-mentarischen Haushaltsberatungen haben wir uns inten-siv damit befasst . Im Ergebnis stellen wir über 100 Milli-onen Euro für die Bildung von Geflüchteten bereit. Dabeihandelt es sich um einen ganzen Strauß von Maßnahmen:Alphabetisierung, kulturelle Bildung, berufliche Bil-dung, Übergang in den Beruf, bessere Koordination derBildungsangebote, Qualifizierung von Lernbegleitern,studentische Maßnahmen, Feststellung der Studierfähig-keit, Studienkollegs und anderes mehr .Nun wird immer wieder gesagt, dass so viel für dieGeflüchteten gemacht werde und so wenig für diejeni-gen, die bereits hier sind .
Das ist nicht der Fall . Denn erstens unternehmen wir zwarerhebliche Anstrengungen für Geflüchtete; gemessen anden Gesamtausgaben ist der Anteil aber eher gering, undauch bei den vorgenommenen Änderungen des Haus-haltsentwurfs hatten wir nicht nur Geflüchtete, sonderndie ganze Breite der Bildung und Forschung im Blick,von der Alphabetisierung bis zur Innovationsförderung;ich habe das schon ausgeführt . Zweitens ist es doch ge-rade Aufgabe der Bildungspolitik, allen Menschen, diehier sind, gute Angebote zu machen . Denn was wäre dieAlternative? Den Geflüchteten zu sagen: „Ihr bekommtkeine Bildung“? Was wäre die Folge? Die Geflüchtetenmüssten länger von der Gemeinschaft finanziert werden,könnten keinen eigenen Beitrag leisten . Die Kinder undihre Eltern würden abgehängt, anstatt befähigt, sich hiereinzubringen . – Nein, das ist für uns keine Option . Die-jenigen, die hier in Deutschland ankommen, müssen undsollen ein gutes Bildungs- und Integrationsangebot be-kommen – in ihrem Interesse und in unser aller Interesse .
Wir müssen ehrlicherweise dazusagen: Ob das, waswir in den Haushaltsplan geschrieben haben, ausreicht,werden wir im Laufe des Jahres 2016 sehen .
Gegebenenfalls müssen wir nachsteuern; aber dazu sindwir in der Lage und auch bereit .
Bei allen Änderungen haben wir den Haushalt insge-samt im Gleichgewicht gehalten, indem wir erstens Mit-tel, die nicht benötigt werden, klug umgeschichtet haben .Das betrifft das Forschungsschiff „Polarstern“, Ekin;denn mindestens 20 Millionen Euro der im Regierungs-entwurf vorgesehenen Mittel können nicht abgerufenwerden . Zweitens nutzen wir Ausgabereste aus EU-Mit-teln und von der Programmpauschale des Hochschulpak-tes . Das geht nicht zulasten geplanter Maßnahmen undauch nicht zulasten Studierender, Ekin; ich erkläre dirdas gerne im Nachgang noch einmal .
– Es war nachgerade unfair und unredlich, wie du dashier dargestellt hast; als ob wir Studienplätze kürzenwürden . Das ist nicht der Fall .
Kritik sollte sachlich vorgetragen werden, auch von derOpposition . – Drittens haben wir die globale Minder-ausgabe maßvoll erhöht . Sie liegt immer noch mehr als170 Millionen Euro unter dem Ansatz von 2015 . Viertenshaben wir über 16 Millionen Euro draufgepackt .Abschließend will ich nicht verhehlen, dass in dieserKoalition unterschiedliche Ideen vertreten werden .
Wir sind eben unterschiedliche Parteien mit unterschied-lichen Vorstellungen, und das ist ja auch gut so .
Wir von der SPD haben noch sehr viel weitreichenderePläne, die wir gerne im Rahmen einer nationalen Bil-dungsallianz realisieren würden . Wir wollen die Aufhe-bung des Kooperationsverbotes und ein neues Ganztags-schulprogramm mit erheblich mehr Schulsozialarbeit,um nur einige Stichworte zu nennen .
Aber in einer Koalition geht es gerade in den Haushalts-beratungen immer nur so weit, wie es gemeinsam geht .Im gegebenen Rahmen haben wir einen guten Haushaltzur Abstimmung vorgelegt .Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchtemich zum Abschluss als Hauptberichterstatter ganz herz-lich bedanken bei meinen Mitberichterstattern, bei denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums undder gesamten Bundesregierung, bei den vielen Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern der Abgeordneten, des Bun-destages und der Fraktionen . Es war eine sehr intensive,sehr interessante und am Ende sehr erfolgreiche Haus-haltsberatung .Herzlichen Dank .
Swen Schulz
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Vielen Dank, Swen Schulz . – Nächste Rednerin in derDebatte: Ministerin Dr . Johanna Wanka für die Bundes-regierung .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir hatten heute früh eine Pressekonferenz zudem Thema, das jedes Jahr einmal kommt: der OECD-Be-richt „Bildung auf einen Blick“ . Ich kann mich genau er-innern, was uns 2005 – damals war ich KMK-Präsidentinund Frau Bulmahn war Bundesbildungsministerin, undich weiß noch, wie wir beide da saßen – ins Stamm-buch geschrieben wurde und was wir uns damals an zumTeil auch wirklich berechtigter Kritik anhören mussten .Das war ein großer Unterschied zu dem, was heute imOECD-Bericht steht . Im aktuellen OECD-Bericht hat un-ser Land wirklich hervorragende Ergebnisse . Es ist nichteinfach, diese Standards zu halten .Ich will nur zwei, drei Dinge nennen . Zum einen bele-gen wir im Tertiärbereich, also bei den höheren Qualifi-kationen, einen Spitzenplatz . Dabei geht es nicht nur umStudierende, sondern auch um Meister, Erzieherinnenetc . Beim Bereich Ingenieure, MINT haben wir jahrelanggeklagt . Jetzt kommt bei uns ein Drittel aller Absolven-ten im Hochschulbereich aus einem entsprechenden Stu-diengang . Wie ist es im OECD-Durchschnitt? Da sind es23 Prozent . Bei uns sind es also etwa 10 Prozent mehr .Das betrifft nicht nur die Absolventen . Auch wenn mansich die Anfängerquoten anschaut, sieht man, dass wirdort deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegen . ImOECD-Durchschnitt fängt jeder Vierte in solch einemFach an, bei uns sind es fast 40 Prozent . Das heißt, wirsind stabil und haben in den letzten Jahren etwas erreicht,was für die Zukunft Deutschlands, für Industrie 4 .0 undanderes außerordentlich wichtig ist .
Ich glaube, man muss hier gar nicht ausführen, wiees um die Jugendarbeitslosigkeit steht . Wir sehen, wiedas in Ländern mit einem hohen Akademikeranteil ist,in denen alle studieren wollen, zum Beispiel in Spanien .Die Zahlen kennen Sie . Sie wissen auch, wie es bei unsist . Das heißt, das, was wir jahrelang nicht nur gepredigt,sondern auch getan haben – duale Ausbildung und aka-demische Ausbildung –, trägt jetzt Früchte und wird auchim Vergleich mit Ländern wie Japan und allen anderenanerkannt und akzeptiert .Ein Punkt, dessen Entwicklung ich selbst vor sie-ben oder acht Jahren nicht geglaubt hätte, betrifft diefrühkindliche Bildung . Wir wussten schon im letztenJahr, dass bei uns wesentlich mehr Drei- und Vierjäh-rige in Kindereinrichtungen gehen als in den anderenOECD-Staaten . Jetzt ist dies erstmals für die Zweijähri-gen erhoben worden . Die sind ja wirklich noch sehr klein .Raten Sie einmal, wie viele Zweijährige in Deutschlandin Kindereinrichtungen gehen! Es sind 59 Prozent .
Diese Dinge haben sich in den letzten Jahren grundle-gend verändert .Natürlich betrifft das auch die Bildungsausgaben . Jetztwerden Sie vielleicht morgen in der Zeitung lesen, dassdie Bildungsausgaben in Deutschland unter dem OECD-Schnitt liegen . Das bezieht sich aber nur auf die Gesamt-menge, nicht auf die Ausgaben pro Schüler, pro Kitakind,pro Person im Tertiärbereich, in der Berufsschule oder ander Hochschule . Immer wenn es um die Personen geht,also wie viel wir für ein Kind in der vierten Klasse aus-geben, wie viel wir für einen Studenten ausgeben, liegenwir konsequent über dem OECD-Durchschnitt . Wir sindda wesentlich besser, zum Teil erheblich besser . Die Zah-len für die Kinder im Elementarbereich liegen bei unspro Kind im Schnitt bei 9 400 Euro, Dollar; ist ja egal .
– Das ist eigentlich nicht egal, aber hier geht es ja um dieVergleichszahlen . – Das sind 2 300 Dollar mehr als inallen anderen Ländern; die Größenordnungen sind alsoerheblich .
Wenn wir uns das anschauen, dann sehen wir, dass dasnatürlich Dinge sind, die Länder, Bund und Kommunenbetreffen: Schulbildung, Kitabildung . Aber wenn mansich die Ausgaben anschaut, dann sieht man, dass es dieMilliarden sind, die der Bund in den letzten Jahren zu-sätzlich in das System als frisches Geld hineingegebenhat, die den Unterschied bewirken .
Frau Deligöz, Sie sagen: Für zehn Jahre 1 MilliardeEuro pro Jahr, dann kann man endlich etwas machen . –Wir haben in dieser Großen Koalition beschlossen, aufunbeschränkte Zeit jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro in dieBundesländer zu geben . Das Geld muss nur eingesetztwerden .
Ich habe bei der Einbringung des Haushalts im Sep-tember die Summen genannt . Jetzt sind wir bei 16,4 Mil-liarden Euro . Ich habe erklärt, was mir als zentrales The-ma wichtig ist: Chancen für alle, Bildungsgerechtigkeit .Dies habe ich anhand verschiedener Themen ausgeführt .Das will ich heute nicht wiederholen; man kann es janachlesen . Nur zu einem Thema: Bezüglich der Mittelfür Alphabetisierung, Herr Schulz, bin ich froh . DennAnfang dieses Jahrtausends gab es Jahre, in denen dieMittel für Alphabetisierung weniger als 100 000 Euro ineinem ganzen Jahr betrugen . Jetzt stellen wir über zehn
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Jahre 180 Millionen Euro zur Verfügung und 3 MillionenEuro mehr im nächsten Jahr . Auch das ist okay .
Was wir aber brauchen, ist, dass andere mitziehen,dass die Länder mitziehen und nicht nur der Bund hier180 Millionen Euro investiert .
Frau Dr . Wanka, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Nein, ich würde gern erst einmal meine Rede zu Ende
halten .
Alles klar, gut .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Was wir brauchen, ist ein verbesserter Übergang vonder Schule in den Beruf, auch wenn die OECD heutemitgeteilt hat, dass er in Deutschland bereits exzellentist . Wir haben eine individuelle und eine präventiveBildungsberatung, weil wir noch längst nicht zufriedensind . Das haben wir – so viel zum Thema Gerechtigkeit –auch gegenüber den Bundesländern als Grund angege-ben, warum wir dafür Geld zur Verfügung stellen . Wirwollen nämlich, dass Bildungsberatung auch an Gymna-sien erfolgt . Die ersten Verträge – mit Hessen und mitHamburg – sind fertig; sie liegen bereits auf dem Tisch .Alle anderen Länder reden darüber . Das ist ein wichti-ger Schritt, der uns in Deutschland bei der Lösung desMatching-Problems langfristig enorm helfen wird .
Diese Maßnahme wird auch den jungen Flüchtlingenzugutekommen . Sie können diese etablierten Instrumen-te nutzen . Wenn sie in die Schule gehen, erhalten sie ganzautomatisch eine Bildungsberatung . Wir wollen mit den20 Millionen Euro – ich bin sehr dankbar, dass sie drauf-gelegt werden, und zwar den Plafond erhöhend – im Rah-men eines Programms zielgenau mehrere Maßnahmenergreifen, die dazu führen sollen, dass junge Flüchtlingewirklich eine Chance in Deutschland haben .Es geht uns aber nicht nur um die jungen Flüchtlinge,sondern auch um schwer vermittelbare Jugendliche, diebereits hier leben . Außerdem wollen wir die Wirtschaft,vor allen Dingen die kleinen und kleinsten Betriebe, diein den letzten Jahren nie die Chance hatten, Lehrlinge zubekommen, entlasten . Das, glaube ich, ist wegweisenddafür, wie man sinnvoll vorgeht . Es geht nicht nur darum,zu sagen: Wir brauchen die oder die Summen . – Aller-dings sind die Summen, die wir für den Flüchtlingsbe-reich ausgeben – Herr Schulz hat das dankenswerterwei-se gesagt –, wirklich beachtlich . Dieses Thema haben wirsofort aufgegriffen und im Haushalt eindeutige Prioritä-ten gesetzt .
Ich möchte jetzt nicht alle Aspekte im Zusammen-hang mit Bildungsgerechtigkeit im Einzelnen deklinie-ren . Dazu gehören zum Beispiel BAföG, Anerkennungs-gesetz, Deutschlandstipendium und Begabtenförderung .Manches davon wurde schon angesprochen .Zum Hochschulpakt . Frau Deligöz, Sie sprachen die13 Millionen Euro an . Sie wissen es aber besser . In denHochschulpakt fließen jetzt 370 Millionen Euro mehr.Auch die genannten 13 Millionen Euro stehen zur Verfü-gung . Wie viel Geld haben Sie denn in Ihrer Regierungs-zeit für mehr Studienplätze ausgegeben? 0 Euro! Unddann gehen Sie so mit Millionen um!
Ich möchte heute etwas zur Forschungsförderung sa-gen – das Thema Bildungsgerechtigkeit hatten wir schon;jetzt geht es also um die Forschungsförderung –: Es gibtdie EFI, Herr Claus . Das ist die ExpertenkommissionForschung und Innovation . Dieser Bundestag hat be-schlossen, dass es eine solche Kommission geben unddiese jährlich begutachten soll: Wie ist die Situation inDeutschland insgesamt?
Schwerpunkt war in diesem Jahr die Hightech-Strategie .Natürlich werden viele Punkte evaluiert, nicht nurvon der EFI . Im Bereich der Landwirtschaft kann manvielleicht sagen: Es geht um die und die Hektarerträge . –Evaluation im Forschungsbereich heißt aber, dass maneben nicht vorher sagt: Ihr müsst das und das herausbe-kommen . – Wenn wir hier keine Freiheit zulassen, dannsind wir die Allerletzten . Wenn wir in einem bestimmtenThemenbereich Forschungsförderung betreiben, danndürfen wir das Ergebnis nicht vorwegnehmen . Wir müs-sen die Ziele nennen, also sagen, was wir wollen, undwir müssen einkalkulieren, dass es auch einmal einenMisserfolg geben kann; das ist völlig klar . Ich glaube, esgibt kein Ressort, das so viele Evaluationen durch Dritte,durch internationale Wissenschaftler durchführen lässt,wie das in unserem Bereich der Fall ist . Auch der Bun-desrechnungshof sieht das zum Teil so .
Zur Klimaforschung . Wir kürzen in diesem Bereich0 Euro, also überhaupt nicht . Beim Schiff „Polarstern“verzögert sich die Planung; das betrifft die 20 MillionenBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Euro im Investitionsteil . Ich will jetzt nicht wieder aufIhrer Regierungszeit herumhacken .
Aber ich glaube, im Hinblick auf den Klimaschutz bzw .für das, was wir im Pazifik und andernorts erforschen, istes ganz zentral, die Forschungsflotte zu erneuern.
Kein Wort wird über die Kopernikus-Projekte verlo-ren . Diese Initiative ist auf zehn Jahre angelegt . Es gehtdabei um Energieforschung in vier großen Themenbe-reichen, mit klarer Prioritätensetzung und mit einemVolumen von Hunderten von Millionen Euro . Das istnatürlich auch Klimaforschung . Sie können Erneuerbarehoch- und runterdeklinieren . Aber keiner weiß, wie einEnergienetz in Deutschland aussehen kann, wenn 80 Pro-zent der Energie aus Erneuerbaren kommen . Dafür brau-chen wir Forschung, und wir haben sie angestoßen . Dasist perspektivisch ganz entscheidend, und dafür wollenwir auch einmal gelobt werden .
Letzte Woche fand der IT-Gipfel statt . Zentrales Themawar natürlich die Cybersicherheit, also die Sicherheit imNetz, die Sicherheit vor Angriffen . Die drei Kompetenz-zentren zur IT-Sicherheitsforschung in Darmstadt, Saar-brücken und Karlsruhe, die vom Bund initiiert wurden,sind gerade international evaluiert worden, Frau Deligöz .Sie sind im EU-Bereich, also international, ausgezeich-net worden und so gut, dass wir sagen konnten: Das wirdin den nächsten Jahren fortgesetzt . – Die in den Haushaltdafür eingestellte Summe wird nicht nur verdoppelt . Fast40 Millionen Euro stellen wir jetzt für diesen Bereich zurVerfügung . Danach können wir entscheiden, ob wir ge-mäß Artikel 91 b des Grundgesetzes handeln oder andersvorgehen und das langfristig machen .Die Software zum Beispiel, die in Darmstadt entwi-ckelt wird, bietet Lösungen, die auf der ganzen Welt vonInteresse sind . Ich denke zum Beispiel an die Beseitigungvon Trojanern oder anderen Viren auf Smartphones . Hiergibt es handfeste Lösungen, die sofort zur Verfügung ste-hen .Ich komme zu Industrie 4 .0 . Ich glaube, dass unserRessort hier der Treiber ist .
Wir konzentrieren uns dabei keinesfalls nur auf die tech-nologische Forschung . Diese gibt es aber natürlich . Ichdenke zum Beispiel an die Interaktion von Mensch undMaschine . Dieses und andere Themen werden bearbeitet,aber es muss auch um Maßnahmen gehen, die sehr starkam Mittelstand orientiert sind .Das Wirtschaftsministerium hat jetzt fünf Mittel-stand-4 .0-Kompetenzzentren gestartet . Wir möchten,dass die Mittelständler, wenn sie eine Idee haben undsich trauen, diese auch umzusetzen, keine Investitionenin ihre eigene Firma realisieren müssen, sondern dieMöglichkeit haben, das, was sie sich vorstellen, an vor-handenen Testplätzen zu testen .Deswegen haben wir ein neues Programm gestartet .Wir geben dem Mittelständler Geld, und er kann ent-scheiden, wo er seine Innovation testen lassen will – beieiner Forschungsinstitution, bei einem Fraunhofer-Insti-tut, bei Siemens, Bosch oder woanders –, um Innovatio-nen in der Breite anzuregen und die Schwellenangst zunehmen . Das muss uns in Deutschland gelingen .Ich glaube, Industrie 4 .0, also „Ergebnisse auf denHallenboden bringen“, „Arbeitswelt von morgen“ usw .,das sind Zukunftsthemen . Das ist das, was unser Landbraucht, was unser Land ausmacht .
Ein letzter Punkt aus dem breiten Förderstrauß, denwir in diesem Ministerium verantworten, ist das Förder-konzept Medizininformatik . Auf der einen Seite habenwir riesige Datenmengen in der Krankenversorgung, aufder anderen Seite gibt es Forschungsprojekte . Die Datenkommen aber nicht zusammen . Dieses FörderkonzeptMedizininformatik, das erst einmal mit 100 MillionenEuro ausgestattet wurde, orientiert sich sehr stark an denUnikliniken, die aber andere mit ins Boot nehmen . Hiersind Versorgung und Forschung ja sozusagen in einerHand . Durch dieses Konzept besteht die Möglichkeit,wirklich wichtige Erkenntnisse für die einzelnen Patien-ten zu gewinnen .Der nächste Schritt wäre dann natürlich, dass manes, wenn es funktioniert – eine Voraussetzung dafür istdie Vergleichbarkeit der einzelnen Datensysteme –, aufdas gesamte Bundesgebiet ausweitet . Das ist nicht mit100 Millionen Euro zu bewältigen und dann auch keineAufgabe, die dieses Ressort alleine zu bewältigen hat,sondern hier müssen die Krankenversorger und anderemitziehen .Ich habe es selten erlebt, dass Forscher mit einemKonzept sehr zufrieden sind – sie haben immer nochWünsche –, aber hier wurde unisono von allen, die ichim Medizin- und im Hightechbereich kenne – und ichkenne eine Menge –, gesagt: Das ist ein Programm, daspunktgenau gebraucht wird . Die Idee dazu wurde gera-de auch auf Drängen unserer Fraktion geboren, und dieEntwicklung dieses Konzepts war auch die Leistung derMitarbeiter meines Hauses .Ich glaube, wir können aufgrund all dieser Punkte sa-gen, dass es uns nicht nur mit den Haushalten der letztenJahre, sondern auch mit diesem Haushalt gelungen ist,im Bereich Bildung und Forschung Zeichen zu setzen .Damit haben wir ein Fundament für das gesellschaftli-che und soziale Miteinander in diesem Land und auch fürsozialen Wohlstand gelegt, sodass wir auch in der Lagesind, Flüchtlinge gut aufzunehmen und zu versorgen . Mitdem Haushalt des BMBF geben wir für diesen Aufgaben-bereich ehrliche und sehr tragfähige Antworten .Danke schön .
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 138 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 24 . November 201513590
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Vielen Dank, Dr . Wanka . – Nächster Redner in der
Debatte: Ralph Lenkert für die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die positiven Mittelsteigerungen imHaushalt des Ministeriums für Bildung und Forschungwurden bereits umfassend gewürdigt . Mehr Geld fürBildung, Hochschulen und Forschung ist auch zwingendnotwendig .Wir kennen doch die Realität in Deutschland: Schul-gebäude sind so mies wie die Kommunalhaushalte,Hochschulen sind überfüllt, und deren Ausstattung hängtvon Drittmitteln oder dem Glück bei Exzellenzinitiativenab .
Junge Wissenschaftler und Forscher müssen sich wegender mangelhaften Grundfinanzierung unserer Hochschu-len
und aufgrund der fehlenden Stellen in Stellenplänen demBefristungswahnsinn nach Wissenschaftszeitvertragsge-setz unterwerfen .Im Grundgesetz werden vergleichbare Lebensverhält-nisse in der gesamten Republik gefordert, auch in derBildung .
Aber die Ausstattung der Schulen, Hochschulen und For-schungseinrichtungen hängt an Landeshaushalten
oder an der Finanzkraft der Kommunen . Was kann einStudent für seine Herkunft, was kann ein Kind für seinenWohnort? Nichts . Aber an Herkunft und Wohnort hän-gen die Bildungschancen und hängt die Zukunft einesKindes . Ihre Exzellenzinitiativen verschärfen die Unter-schiede zwischen armen und reichen Bundesländern . Dasist grundgesetzwidrig .
Freilich ist in diesem Haushalt für die Hochschulenmehr Geld vorgesehen . Reicht jedoch Ihr Ansatz aus?Leider nein . Die Studentenzahlen wachsen schneller alsdie Mittel für die Hochschulen . Die Mittel je Student sin-ken mit diesem Haushalt erneut . Das ist falsch .
Das Verhältnis von Professorinnen und Professoren zuStudentinnen und Studenten sackt in den Keller .Die Hochschulen ersetzen festangestellte Dozentendurch Lehrbeauftragte, die nur 500 Euro pro Lehrveran-staltung im Semester erhalten .
Ein Lehrbeauftragter, der sechs Veranstaltungen inklu-sive Vor- und Nachbereitung schafft, ist echt spitze undbekommt dafür 3 000 Euro – im Halbjahr .
Das ist Hartz-IV-Niveau . Diese Zustände sind menschen-gemacht und kein Naturgesetz . Also nehmen Sie die zu-sätzlich eingestellten Mittel in Höhe von 1,7 MilliardenEuro für den Hochschulpakt in die Hand: für zusätzlicheDauerstellen in Lehre und Forschung, für bessere materi-elle Ausstattung und für eine bessere Grundfinanzierungan den Hochschulen .
Zu erfolgreichen Abschlüssen braucht es auch einematerielle Mindestabsicherung für Auszubildende undStudierende . Gerade für Kinder aus einkommensschwa-chen Familien bestehen in diesem Bereich riesige Hür-den . Viele Abiturientinnen und Abiturienten verzichtenwegen des akuten Geldbedarfs ihrer Familien auf einStudium oder können die Zusatzkosten einfach nichtaufbringen . Ein Fünftel der Studienabbrüche beruht aufProblemen mit der Finanzierung . Ohne Ausbildung, ohneStudium sieht die Zukunft junger Menschen schlecht aus .Die entscheidenden Rohstoffe unseres Landes sindWissen und Bildung . So wie man im Bergbau in besteAnlagen investiert, so müssen wir in beste Bildung in-vestieren .
Gehen wir es an und investieren weitere 5,4 MilliardenEuro in unsere Jugend, in ein echtes BAföG-Programmund in ein Sonderprogramm Ausbildung . Natürlichbraucht es dafür Mehreinnahmen beim Bund . HöhereSpitzensteuersätze, Wiedereinführung der Vermögen-steuer,
Einführung der Finanztransaktionsteuer und eine höhe-re Körperschaftsteuer auf Helmut-Kohl-Niveau schaffendie finanziellen Spielräume.
Übrigens finden sich auch in Ihrem HaushaltsentwurfPotenziale zur Umschichtung .
48 Millionen Euro planen Sie für das Deutschlandstipen-dium ein . Fast ein Viertel des Geldes geht für die Bü-
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rokratie drauf . Lassen Sie das Deutschlandstipendiumauslaufen, und stecken Sie das Geld lieber in das BAföG!
Oder warum zahlen Sie 73 Millionen Euro für die Er-forschung der Auswirkungen der umstrittenen Fra-cking-Technologie? Fracking ist politisch tot und einIrrweg für die Umwelt .
Lenken Sie das Geld zur Unterstützung der Hochschulenin strukturschwachen Regionen um .
Im Haushalt 2016 stecken erneut Risiken für Bildungund Forschung . Im Bildungsetat sind über 250 Millio-nen Euro als globale Minderausgabe vorgesehen . DieseMillionen haben also einen Sperrvermerk . Bei den Sper-rungen der letzten Jahre waren die Klimaforschung, dieProjektverbundforschung von Fachhochschulen mit For-schungseinrichtungen und die Ausbildung besonders hartbetroffen . Wiederholen Sie diesen Fehler nicht!
Wer im Bildungs- und Forschungshaushalt spart, ist wieein Bauer, der minderwertiges Saatgut einsetzt . Er freutsich über das eingesparte Geld bis zur Ernte, die dannmager ausfällt .Lassen Sie uns mehr für die Bildung investieren, wiees die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen macht,
welche für Thüringer Schulen, Berufsschulen und Hoch-schulen 2016 190 Millionen Euro mehr einsetzt als dieunionsgeführte Vorgängerregierung 2014 .
Von der Wichtigkeit von Bildung und Forschung wur-de hier genug geredet . Handeln Sie endlich! Geben Siezusätzliche Milliarden Euro für Bildung und Forschung!Dann bekommt die Koalition sogar unsere Zustimmung .
Vielen Dank, Kollege Lenkert . – Nächster Redner ist
Dr . Ernst Dieter Rossmann für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Lenkert, es ist manchmal nicht so gut, wenn mansowohl bei der ersten wie bei der zweiten Lesung spricht .Ich lasse Sie heute einfach einmal links liegen
und wende mich dem zu, was wir in der Großen Koali-tion zusammen erarbeitet haben und was nicht nur eineVorgeschichte im Ministerium, sondern auch im Haus-haltsausschuss hat .Ich danke dem Ministerium und den Mitgliedern desHaushaltsausschusses, dass sie diesen Haushalt nochso verfeinert bzw . weiter optimiert haben . Wir haben jaals Koalitionsfraktionen einen ersten Aufschlag im Par-lament gemacht . Mit dem haben wir uns nicht umsonstder beruflichen Bildung und der Gleichwertigkeit vonberuflicher und akademischer Bildung gewidmet. Wenndas ernst gemeint war, müsste es eigentlich durch jedesHaushaltsjahr hindurch tragen .Ich will dieses Ziel noch einmal in folgenden Zusam-menhang stellen: Natürlich entspricht es unserer Gesamt-philosophie, wenn sowohl die Unterstützung der HighPotentials im akademischen Bereich im Rahmen desPromotionsstipendiums als auch die Unterstützung derHigh Potentials im beruflichen Bereich im Rahmen desMeister-BAföG verstärkt werden .
Diese Gleichgewichtigkeit macht immer eine Erzäh-lung aus, nämlich die Erzählung, dass wir auch weiter-denken müssen und wir uns fragen müssen, was denndaraus folgt, wenn wir hervorragende Promovierendehaben, die sich ohne materielle Sorgen noch mehr aufden Gegenstand von Wissenschaft konzentrieren können .Damit münden wir in ein Zehn-Jahres-Programm ein, dasdem wissenschaftlichen Nachwuchs gewidmet ist – mitall den Wirkungen, die sich dann hoffentlich auch nochim Hinblick auf eine Qualifizierung an den Hochschulenergeben werden . Denn, Frau Ministerin, auch wenn unsdie OECD bestätigt hat, dass manches gut ist: Die Ver-ringerung der Abbruchquoten an den Hochschulen ist na-türlich eine gemeinsame Aufgabe . Sie sollten zumindestnicht so hoch bleiben . Es sollte da eine Angleichung andas Niveau der Abschlussquoten in der beruflichen Bil-dung geben .Ich will, dass wir unsere Anstrengungen fortsetzen .Deshalb fördern wir die Aufstiegsfortbildung für die170 000 Betroffenen, die sich jetzt darin befinden. Lei-der sind das in der Mehrzahl keine Handwerksmeister,sondern Techniker und Fachwirte . Wenn wir aber auchnoch in höherem Maße die Handwerksmeister gewinnenkönnten, würden wir auch dort eine zukunftsweisendeLinie aufzeigen; denn es ist absehbar, dass 200 000 Be-triebsnachfolger im handwerklichen Mittelstand gesuchtwerden. Ohne eine qualifizierte Ausbildung verlieren wirdort das Potenzial, aus dem dann wieder Lehrstellen – ichdenke dabei an die duale Ausbildung sowie auch an dieQualifizierung im beruflichen Bereich – mit erwachsenkönnen .
Ralph Lenkert
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Die Erzählung soll also sein, dass in geschickter Weise anwichtigen strategischen Punkten so angesetzt wird, dasses eine nachhaltige Wirkung gibt .Um auf ein zweites Thema einzugehen: Wir brauchendiese nachhaltige Wirkung auch, wenn wir verstärkt diegroße Chance – das ist eine Chance und keine Bedro-hung – nutzen wollen, diejenigen, die zu uns geflohensind – Kinder und Jugendliche sowie junge Erwach-sene –, über unser Bildungssystem als gute deutscheStaatsbürger in die Gesellschaft und in die Wirtschaft zuintegrieren . Dieses setzt aber auch entsprechende Bil-dungsinvestitionen voraus .Auch dazu kann wiederum gesagt werden, dass eshier eine Gleichgewichtigkeit geben muss . Schauen Sieauf die Veränderungen, die es im Haushalt gibt . Sie se-hen dann, dass im Bereich der beruflichen Bildung vonPotenzialanalysen bis KAUSA rund 20 Millionen Eurodraufgepackt wurden . Bei der akademischen Bildungsieht es genauso aus . Es wurden an der Stelle auch wich-tige strategische Entscheidungen mit vorbereitet .Frau Deligöz, ich muss jetzt auf Ihre Ausführungennoch einmal eingehen . Man kann ja viel kritisieren . Aberes ist doch gut, dass jetzt 13 Millionen Euro von den2,5 Milliarden Euro, die für den Hochschulpakt vorge-sehen sind, umgeschichtet worden sind; denn die DFGkonnte nicht genügend Projekte an den Hochschulenplatzieren, sodass dort die zweite Säule des Hochschul-paktes, die Forschungspauschale, nicht gegriffen hat . In-sofern ist es doch erst einmal gut, wenn Haushälter dasmerken . Und zum Zweiten ist es gut, wenn das übrig ge-bliebene Geld in ganz präzise funktionierende Projekteübertragen wird . Natürlich war dies das Beste, was ge-macht werden konnte . Mit dem Geld in gleicher Höhe,ungefähr 15 Millionen Euro, wurde ein Projekt beimDAAD – ich nenne das Stichwort „Humboldt“ – entspre-chend verstärkt . Was haben Sie da eigentlich zu kritisie-ren? Das ist doch wunderbar .
Es ist doch wunderbar, dass diese 13 Millionen Euro ausden 2,5 Milliarden Euro für den Hochschulpakt zielge-richtet eingesetzt wurden .Ich könnte noch etwas anderes anführen . Auch dieFrau Ministerin hat schon an anderer Stelle mit angespro-chen, dass es eine großartige Bewegung an den Hoch-schulen ist, wenn sich Studierende für Studenten, die zuuns geflohen sind, einsetzen. Auch das findet sich in denHaushaltsanträgen wieder . Es sind 4 Millionen Euro fürRefugee-Unterstützung an den Hochschulen vorgesehen .Ich meine, dass wir eine Integrationserzählung brau-chen . Wir brauchen eine Integrationserzählung, die be-sagt: Wenn wir wirklich eine Bildungsrepublik sind, gibtes jetzt auch die Chance, das aktive Engagement vielerBürger in der Bildungsförderung im Hinblick auf die Zu-wendung für Zugewanderte ehrenamtlich aufzunehmen,
indem Bildung nicht an Profis delegiert wird, sondern in-dem sich diese Bürger selber bemühen und sich zu in derBildungsintegration engagierten Persönlichkeiten entwi-ckeln . Auch dies nimmt das Ministerium mit auf, indemdort ehrenamtliche Helfer, Lernbegleiter und andere ge-fördert werden sollen .Macht es eine Bildungsrepublik nicht erst aus, dasses ein Engagement gibt, und zwar nicht nur, weil manselbst ein Elternteil ist oder weil man dafür bezahlt wird,sondern weil man die Bildung als Zentrum einer demo-kratisch-integrativen Kultur begreift und sich deshalbdafür engagiert? Eine Bildungsrepublik setzt auch eh-renamtliches Engagement voraus, und die Chance in derFlüchtlingsintegration besteht jetzt darin, dass es dannauch ausstrahlt und dass es bleibt . Das auch haushalte-risch mit unterstützt zu haben, ist genauso gut wie dieTatsache, dass es sich im Gesamthaushalt und in der ge-samten Politik dieser Bundesregierung abzeichnet, dassBildungsfragen nicht allein an das Bildungsressort dele-giert werden .Wenn es um das wichtige Element der Sprachförde-rung geht, dann finden Sie Maßnahmen im Familien-ministerium, durch die denjenigen, die das Sprachni-veau C1 erreichen wollen, eine entsprechende Förderungzuteilwird. Sie finden das im Sozialministerium, in dem180 Millionen Euro für berufsbezogene Sprachförderungbereitgestellt worden sind. Sie finden das beim Innenmi-nisterium, wo der Ansatz verdoppelt worden ist, um überdie Integrationskurse Sprachinklusion betreiben zu kön-nen. Und Sie finden das auch im Bildungsministerium.Damit ist die Sprachförderung eine Querschnittsauf-gabe bzw . die Aufgabe des gesamten Kabinetts und dergesamten Regierung . Wer will das schelten? Es ist dochwunderbar, dass dies langsam und schrittweise begriffenwird und dass sich auch weitere Perspektiven abzeich-nen . Wir wissen nämlich, dass wir bei diesem Bildungs-und Integrationsprogramm des Jahres 2016 nicht stehenbleiben können . Die Ministerin hat es schon angedeutet .Wir werden zusätzlich etwas in Bezug auf berufliche Bil-dung und auf Schulbegleitung tun müssen . Wenn es umdie beiden Lernorte Schule und Ausbildungsbetrieb geht,sollte es neben dem Bildungsassistenten vielleicht auchEinstiegsassistenten oder Integrationsassistenten geben .Wir werben jedenfalls darum .Letzen Endes soll es um das gute Ergebnis gehen . Obdas unter dem Stichwort „Aufhebung des Kooperations-verbotes“, „Nationale Bildungsallianz“ oder „Gemein-schaftsaufgabe Bildung“ läuft oder als Fachprogramm,wie es jetzt von der CDU/CSU und ihrer Arbeitsgruppevorgelegt worden ist, kann am Ende wichtig sein, aber esist nicht die entscheidende aktuelle Frage . Die entschei-dende aktuelle Frage ist, ob wir im Haushalt 2017 und2018 eine nachhaltige Fortsetzung des Integrationsauf-bruchs finden, die durch diesen Haushalt vorgezeichnetist . Darum werben wir .Danke schön .
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Vielen Dank, Dr . Rossmann . – Der nächste Redner ist
Özcan Mutlu für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Rossmann, Bildungsrepublik schön und
gut, aber so etwas muss sich auch in einem Haushalt des
Bundes abbilden .
Wenn man sich Ihren Haushaltsentwurf anschaut, dann
wird sehr schnell klar, dass Sie selbst hinter den von
Ihnen formulierten bildungspolitischen Ansprüchen zu-
rückbleiben .
Wenn man sich vor Augen führt, vor welchen Heraus-
forderungen unsere Bildungseinrichtungen stehen und
welche Aufgaben sich dadurch ergeben, dass mehr als
500 000 geflüchtete Kinder und Jugendliche im schul-
pflichtigen und ausbildungsnahen Alter in Deutschland
angekommen sind, dann ist Ihr Haushalt nicht mehr als
ein Tropfen auf den heißen Stein .
An dieser Stelle möchte ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau
Präsidentin, unseren Bundespräsidenten zur Bildung der
Geflüchteten zitieren:
Die Aufgabe und die Verpflichtung, Chancenge-
rechtigkeit in unserem Land sicherzustellen, werden
uns schon deshalb dauerhaft begleiten, weil wir als
Einwanderungsgesellschaft noch mehr … gefordert
sein werden .
Ich bin nicht immer einer Meinung mit Herrn Gauck .
Aber hierin stimme ich ihm ausdrücklich zu .
Ihr Haushaltsentwurf wird weder diesem Anspruch
noch den Herausforderungen der Bildung im 21 . Jahr-
hundert gerecht .
Denn neben der dringenden Aufgabe, unsere Bildungsin-
stitutionen fit für die Einwanderungsgesellschaft zu ma-
chen, müssen digitale Bildung, Inklusion und Schulso-
zialarbeit weiter vorankommen . Hier darf sich der Bund
keinen schlanken Fuß erlauben .
– Das tun Sie . – Auch für den Bund muss Aufstieg durch
Bildung und damit soziale Gerechtigkeit eine zentrale
Aufgabe sein .
Wir dürfen unsere Bildungseinrichtungen bei den
zahlreichen wichtigen Herausforderungen nicht im Stich
lassen . Aber das tun Sie . Deshalb sagen wir als Grüne:
Wir brauchen viel mehr Investitionen in die Bildung . Vor
allem bedarf es einer stärkeren Kooperation zwischen
Bund und Ländern . Auch das Kooperationsverbot – hier
schaue ich in die Reihen der SPD – muss thematisiert
werden .
Zusätzliche finanzielle Mittel für die Bildung, um das
nötige pädagogische Personal und die Schulplätze bereit-
stellen zu können, müssen jetzt oberste Priorität haben .
Mehr Sprachbildung, mehr psychologische Unterstüt-
zung, mehr Inklusion und mehr Chancengleichheit, da-
rauf kommt es an, auch wenn einige in den Reihen der
Union nun sagen, das sei Blabla . Für uns ist das kein
Blabla .
Unser Bildungssystem ist im OECD-Vergleich unter-
finanziert und steht bei der Bildungsgerechtigkeit trotz
Verbesserungen – diese will ich gar nicht verhehlen –
weltweit ganz unten . Wir sind weiterhin Weltmeister in
Bildungsungerechtigkeit . Auch das ist ein Ergebnis der
heute vorgestellten Studie „Bildung auf einen Blick“ .
Sehr geehrte Frau Wanka, Sie sind vielleicht mit Mit-
telmaß zufrieden . Wir als Grüne sind es jedenfalls nicht .
Unser Land als eines der reichsten Länder der Welt muss
auch Spitzenreiter bei den Investitionen in Bildung sein .
Zum Schluss . Kein Herz, kein Plan und kein Mut, so
kann man Ihren Haushaltsentwurf in der Tat zusammen-
fassen . Das reicht uns nicht .
Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu . – Nächster Redner
in der Debatte: Stephan Albani für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Es gibt noch genau fünf Besucher aufder Zuschauertribüne und vielleicht den einen oder ande-ren Zuhörer zu Hause .Henry Ford sagte einmal: „Die Wettbewerbsfähigkeiteines Landes beginnt nicht in der Fabrikhalle oder imForschungslabor . Sie beginnt im Klassenzimmer .“
Für diese Aussage gibt es viele Belege . Die Wissenschaftwürde die Aussage Fords insofern als eine gültige Hypo-these anerkennen . Deshalb ist es wirtschaftlich sinnvollund politisch allemal klug, dass wir die Investitionen indie Bildungs- und Forschungslandschaft Deutschlandsfür 2016 auf ein neues Rekordniveau heben . Seit Beginnunserer Regierungsverantwortung erhöhten wir diese
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von 7,6 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf nunmehr rund16,4 Milliarden Euro im Jahr 2016 . Das ist aus meinerSicht alles andere als Mittelmaß .
Auch die Wissenschaft, vertreten durch das DeutscheInstitut für Wirtschaftsforschung, DIW, bestätigt dies .Seit 2007 ist in Deutschland eine deutliche Steigerungder Forschungsaktivitäten festzustellen . Dies hält bisheute an . Anders als früher beteiligt sich heute der Bunddeutlich stärker an den Forschungsinvestitionen . Dies be-zeichnet das DIW als den Politikwechsel, der wesentlichdazu beigetragen hat, dass es Deutschland heute so gutgeht .
In diesem Sinne habe ich mit meinen Kolleginnen undKollegen aus dem Ressort auch für das kommende Haus-haltsjahr für einen weiteren Mittelaufwuchs gekämpft,und zwar mit Erfolg . Der Haushaltsausschuss beschlossin der vergangenen Sitzungswoche einen Etat, der dieRegierungsvorlage nochmals um 50 Millionen Euroübersteigt . Damit investieren wir weiter in Wirtschafts-wachstum, Forschungs- und Entwicklungsleistung unddamit auch in den kontinuierlichen Aufschwung auf demArbeitsmarkt .Um hier im Plenum noch einmal deutlich zu machen,wo die Akzente gesetzt werden, nenne ich unter anderemdie zusätzlichen 20 Millionen Euro für Innovationen undStrukturentwicklungen in der beruflichen Bildung sowiedie Verbesserungen beim Meister-BAföG mit 14 Millio-nen Euro . Das zeigt, dass ein Schwerpunkt auf der beruf-lichen Bildung liegt .
Des Weiteren haben die Förderung einer Initiative zurAusbildung von IT-Sicherheitsexperten am Fraunho-fer-Institut und die Zuschüsse an deutsche Begabtenför-derwerke einen Zuwachs um 6 Millionen bzw . 4,5 Milli-onen Euro erfahren .Was mich besonders freut, sind die zusätzlichen Mittelfür die Bekämpfung der vernachlässigten Krankheiten .
Dafür haben wir uns im vergangenen Sommer starkge-macht . Ich möchte vor dem Hintergrund der Ereignissein den letzten Wochen und Monaten hierauf noch einmalbesonders eingehen . Unser Ansatz in der Bekämpfungder vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheitenist die Förderung der zugehörigen Gesundheitsforschungmit besonderem Augenmerk auf die Produktentwick-lungspartnerschaften, auf Englisch: PDPs . Nach demAuslaufen der ersten Förderrunde in diesem Jahr wird esnun eine zweite Förderrunde für die PDPs in den kom-menden fünf Jahren geben, in denen der Mitteleinsatz aufnunmehr insgesamt 50 Millionen Euro verdoppelt wird .
Hier danke ich ganz besonders dem Kollegen Röspel,dass wir das gut zusammen auf den Weg gebracht haben,auch mit der Unterstützung von Anette Hübinger . Da dieMinisterin eben in meine Richtung gezeigt hat, als sievom Drängen der Fachpolitiker sprach, möchte ich michexplizit an dieser Stelle dafür bedanken, dass diesemDrängen auch nachgegeben wurde .
Die Forschung ist insgesamt auf einem guten Weg,und es gibt bereits vielversprechende Kandidaten für zu-künftige Impfstoffe und Heilmittel . So stieg die Zahl deraussichtsreichen Medikamente von 350 in 2012 auf 500in 2015 . Auf diesen Lorbeeren darf man sich aber nichtausruhen . Auch darf man den begonnenen Kampf gegendie vernachlässigten Krankheiten nicht eindimensionalsehen . Primär geht es um die Verbesserung des Lebens inden ärmsten Regionen dieser Welt . Wir wollen den Men-schen in ihrer Heimat eine gute Gesundheitsversorgungermöglichen und ihnen damit auch eine Perspektive inihrem eigenen Land bieten . Entsprechend ein gutes Le-ben zu fördern, das ist unser Ziel .
Davon profitiert aber auch die Gesundheit der Men-schen hierzulande maßgeblich . In der globalisierten Weltkehren einige längst überwunden geglaubte Krankheitenzurück und können aufgrund fehlender diagnostischerMittel und Ausbildung nicht sofort erkannt werden . Zu-nehmend entwickeln die Erreger von Infektionskrank-heiten Resistenzen gegen einen oder mehrere Antibio-tikawirkstoffe . Resistenzen heißt an dieser Stelle, dasswir die Patienten auch hier vor Ort nicht mehr adäquatbehandeln können . Hiergegen müssen wir uns mit klarangelegter Forschung in den Gesundheitsbereichen –dort wird eine Viertelmilliarde Euro investiert – für dieZukunft wappnen .
Ich betone daher bei jeder Gelegenheit, dass wir end-lich verstehen müssen, dass die Ansteckungsgefahr nichtan Landesgrenzen endet . Die Weltgesundheit ist unsergemeinsames Gut . Wenn sie sich verschlechtert, betrifftdies jeden von uns – hier und überall . Daher ist es unsein besonderes Anliegen, die Gesundheitsforschungin Deutschland weiter zu unterstützen und zu fördern;denn – Zitat –:Was nützet mir der Erde Geld? Kein kranker Menschgenießt die Welt!So hat schon Goethe pointiert gesagt . Dieser Erkennt-nis trug auch der G-7-Gipfel der Gesundheits- und For-schungsminister Rechnung . Wir haben nun die Aufgabe,die entsprechenden Beschlüsse voranzutreiben, in Pro-gramme umzusetzen und konkrete Aktionspläne zu ver-einbaren .Unsere Politik kann und muss also wichtige Impulsesetzen . Wir können das, wie wir es mit der Schwerpunkt-setzung in diesem Haushalt erneut gezeigt haben . Wirbrauchen in Deutschland Wissenschaft und ForschungStephan Albani
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auf höchstem Niveau . Das ist wichtig, was die Spitze an-geht, aber auch, was die Wirkung in der Breite angeht .Genau deshalb haben wir gemeinsam mit der Bun-desregierung die Gesundheitsforschung nicht nur in denzurückliegenden Jahren weiter gestärkt . Dies ist nichtzuletzt ein wichtiges Signal für unsere Gesundheitswirt-schaft, die zusammen mit dem Gesundheitssystem inDeutschland einen erheblichen Wirtschaftsfaktor aus-macht . Mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukteswerden dort erwirtschaftet . Für diese notwendigen Inno-vationen in der Gesundheitswirtschaft haben die Akteureaus Wissenschaft und Wirtschaft bereits intensive An-strengungen unternommen . Seite an Seite mit der öffent-lichen Hand können sie die Zukunftsfähigkeit unseresSystems sichern .In Anbetracht dieser Herausforderungen haben wirden Auftrag, weiterhin konsequent einen integriertenPolitikansatz zu verfolgen . Hier gibt es aus meiner Sichtnoch einiges zu tun; denn die Innovationen brauchendurchschnittlich 14 Jahre, bis sie beim Patienten ankom-men . Hier muss Forschung noch deutlich mehr leisten .Wir müssen in der Lage sein, dieses zu beschleunigen .Stellen Sie sich einen Patienten vor, der in einemWissenschaftsmagazin liest, dass wir im Bereich derForschung Mittel und Methoden, Medikamente undTherapien gegen seine Erkrankung entwickelt haben . Erschöpft Hoffnung und muss dann erfahren, dass es nunnoch 10 bis 20 Jahre dauert, bis er von dieser Entwick-lung profitiert. Das muss sich ändern.
Unsere Investitionen in die Gesundheit der Menschenmüssen schneller Früchte tragen . Wir investieren in me-dizinische Forschung und brauchen einen schnellerenTransfer zum Nutzen der Patienten .Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit der Be-reitstellung weiterer Gelder wollen wir im kommendenJahr die Digitalisierung und den damit verbundenen di-gitalen Wandel fördern . Auch dies ist ein wichtiger Im-puls, nicht nur für die großen Unternehmen und einzelneBranchen, sondern gerade für den Mittelstand und annä-hernd jeden Sektor unserer Volkswirtschaft . Wie wir mitder Digitalisierung unserer Gesellschaft umgehen, wirdüber die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutsch-lands – hiermit begann ich – in der Zukunft wesentlichentscheiden .Mit dem erneuten Aufwuchs der Mittel für Bildungund Forschung in Deutschland haben wir deutlich ge-macht, dass wir mit unserer Politik diese Zukunftsfragenanpacken . 16,4 Milliarden Euro – dies ist alles andereals Mittelmaß, Herr Mutlu –, investiert in Bildung, inForschung, in die Köpfe der Menschen, in die Ideen vonmorgen, das ermöglicht Zukunftschancen pur . DiesenWeg beschreiten wir, und diesen Weg werden wir auchkonsequent weitergehen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Nächste Rednerin:Beate Walter-Rosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste und Zuhörerinnen undZuhörer! Es gibt im aktuellen Haushalt der Bundesregie-rung so viele Versäumnisse, dass meine knappe Redezeitnicht ausreicht, sie alle namentlich zu nennen . Deshalbmöchte ich mich auf einen sehr aktuellen und wichtigenAspekt in der Flüchtlingspolitik beschränken . Er stehtexemplarisch dafür, dass in dieser RegierungskoalitionSelbstdarstellung manchmal offenbar mehr zählt als po-litischer Gestaltungswille .Wir alle wissen, dass der Zugang zu Bildung der zen-trale Schlüssel zur Teilhabe von Flüchtlingen ist . Ich binmir sogar ziemlich sicher, dass Sie mir alle zustimmen,dass gerade die berufliche Bildung dabei ganz entschei-dend ist . Deshalb war ich sehr überrascht, als Sie, FrauMinisterin, vor einigen Wochen stolz Ihren neuestenCoup zum Nachtragshaushalt verkündeten: 130 Millio-nen Euro möchten Sie für die Ausbildung und Bildungvon jungen Flüchtlingen in den nächsten Jahren inves-tieren . Das ist angesichts von Hunderttausenden jungenFlüchtlingen, die allein dieses Jahr zu uns kommen, dochirgendwie ein schlechter Scherz .Quer durch die Republik sind sich Bildungsexpertin-nen und Bildungsexperten, Politikerinnen und Politiker,Gewerkschafter und Arbeitgeber einig, dass der so drin-gend notwendige Ausbau von Sprachkursen, die Aufsto-ckung von Lehrkräften und zusätzliche sozialpädago-gische und psychologische Betreuung viele MilliardenEuro kosten werden . Entweder irrt die ganze Republik,oder aber diese Republik hat eine Bildungsministerin,die – verzeihen Sie bitte – in ihrem Elfenbeinturm tat-sächlich glaubt, mit ein paar Millionen sei schon ein Bil-dungsstaat zu machen .
Nein, jeder Euro, den wir heute in die Chancen vonjungen Menschen investieren, ist eine gute Investition indie Zukunft . Ich fordere Sie deshalb auf: Lassen Sie unsnicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, Stich-wort „Gastarbeiter“ . Integration durch Bildung kann esnicht zum Nulltarif geben . Haben Sie den Mut, eine echteBildungsoffensive für Flüchtlinge zu starten .Wer von Bildung und Integration spricht, der mussauch mit Mut und Verstand über notwendige Investiti-onen in Milliardenhöhe sprechen . Trauen Sie sich docheinfach, das zu sagen . Das gilt übrigens auch für dieGroße Koalition . Ein Blick auf Ihren Änderungsantragzum Titel „Innovationen und Strukturentwicklungen inder beruflichen Bildung“ zeigt leider, dass Innovationnicht Ihre Stärke ist . Mit zusätzlich 20 Millionen Eurosollen die Potenzialanalysen und die Beratungsstellenfür Flüchtlinge ausgebaut werden . Das ist wichtig, ja .Stephan Albani
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 138 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 24 . November 201513596
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Aber glauben Sie ernsthaft, dass das ausreicht, um jungeFlüchtlinge auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten?
Dass Innovation für Sie ein Fremdwort ist, zeigtschließlich auch die fehlende Ausbildungsgarantie, aufdie wir immer noch vergeblich warten . Stattdessen pum-pen Sie lieber Jahr für Jahr über 4 Milliarden Euro ineinen ineffizienten Übergangsdschungel, aus dem kaumein junger Mensch mit anerkanntem Berufsabschluss he-rausgeht. Haben Sie doch den Mut, die berufliche Bil-dung in Deutschland vom Kopf auf die Füße zu stellen .Das hilft allen, vor allem auch den jungen Flüchtlingen,die hier eine Perspektive haben wollen . Sie brauchen Ta-ten und nicht nur warme Worte .Danke schön .
Vielen Dank, Kollegin Walter-Rosenheimer . – Die
nächste Rednerin ist Saskia Esken für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Bildung“, sosagte schon Aristoteles, „ist der beste Reiseproviant fürdie Reise zum hohen Alter .“ Dieser Bundeshaushalt fürBildung und Forschung erhält wichtige Signale dafür,dass wir die Menschen in diesem Land mit einem gutgepackten Rucksack in die Zukunft schicken wollen . Esist uns wieder gelungen, mehr in Bildung und Forschung,mehr in die Köpfe der Menschen und damit auch mehr indie Zukunft unseres Landes zu investieren . Wir knüpfendamit nahtlos an eine Politik an, die die SPD in Regie-rungszeiten immer vorangetrieben hat . Ich will sehr ger-ne dem SPD-Haushälter für Bildung und Forschung, demKollegen Swen Schulz, sozusagen stellvertretend für alleanderen Haushälter und für weitere Beteiligte meinenherzlichen Dank aussprechen .
Mit welchen Bildern beschäftigen wir uns derzeit, mei-ne sehr verehrten Damen und Herren? Es sind Bilder vonFlüchtlingen, die auf der Flucht vor Verfolgung, Kriegund Terror am Ende einer gefährlichen Odyssee bei unsankommen . Die Ankunft dieser Menschen in Deutsch-land lässt auch die Bildungspolitik nicht unberührt . Wiralle wissen, dass die Integration der Menschen, die mitfremder Muttersprache und aus einer anderen Kultur zuuns kommen, in unsere Gesellschaft eine große Aufgabeist; aber wir machen das schon .Wie überall müssen wir jetzt auch im Bildungsbe-reich Wege finden, um die Integration zu unterstützen,und zwar am besten ohne viel Bürokratie und ohne es zukompliziert zu machen . Ohne Geld aber – da sind wir unssicher einig – geht es nicht . Der aktuelle Haushalt sichertdeshalb als einen ersten Schritt die Bildungs- und Qua-lifizierungsmaßnahmen zur Integration von Geflüchtetenfinanziell ab. Insgesamt fast 130 Millionen Euro – wirhaben es schon gehört – werden hier bereitgestellt .Mit rund 100 Millionen Euro wollen wir die Grund-bildung und die kulturelle Bildung unterstützen . Diemobilen Endgeräte wie Smartphones, die die meistenFlüchtlinge besitzen, bieten hierbei die große Chance,viele Anwender zu erreichen . Dazu müssen aber Lern-begleiterinnen und Lernbegleiter ausgebildet werden, dievor Ort unterstützen . Das sind hoch sinnvolle Investitio-nen, wie ich meine .Bei dem Vorhaben, eine neue Deutsch-Lern-App zuentwickeln, bin ich mir da nicht ganz so sicher . Nach mei-ner Information gibt es bereits eine ganze Anzahl solcherAngebote, seien es die Deutschkurse des Goethe-Insti-tuts oder anderer Anbieter, seien es die YouTube-Videos,mit denen Professor Jürgen Handke von der UniversitätMarburg Menschen mit Arabisch als Erstsprache beimLernen der deutschen Aussprache unterstützt . SolcheAngebote sind mit viel linguistischem und didaktischemSachverstand und Fachwissen entwickelt worden . Des-halb müssen wir das Rad nicht neu erfinden.Weitere 27 Millionen Euro investieren wir in die Ein-gliederung von Geflüchteten ins akademische Bildungs-system; denn nicht wenige von ihnen bringen die Befähi-gung zum Studium prinzipiell mit . Wir investieren in dieFeststellung der Studierfähigkeit, aber natürlich auch indie Vermittlung von Sprachkenntnissen und in zusätzli-che Vorbereitungskurse .Damit unser Bildungssystem jungen Flüchtlingen undanderen bildungsbenachteiligten jungen Menschen, alsoallen, die besondere Förderung brauchen, besser gerechtwerden kann, hat die SPD-Fraktion den Vorschlag einernationalen Bildungsallianz ausgearbeitet . Dieser Vor-schlag enthält ganz konkrete Ziele und Maßnahmen, dieunser Bildungssystem für die vor ihm liegenden Aufga-ben stark machen . Wir machen darin aber auch eines ganzdeutlich: Wenn der Bund in der anstehenden Dekade derIntegration das Bildungssystem erfolgreich unterstützensoll, dann muss das sogenannte Kooperationsverbot auf-gehoben werden .
Neben der Dekade der Integration, die auch eine Deka-de für mehr Bildungsgerechtigkeit sein muss, meine sehrverehrten Damen und Herren, steht eine weitere großepolitische Gestaltungsaufgabe auf der Agenda, und dasist die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft .Vergangene Woche hat Wirtschaftsminister Gabriel beider Eröffnung des Nationalen IT-Gipfels den Vorschlagvon Ministerin Wanka aufgegriffen, die digitale Bildungzum Leitthema des IT-Gipfels 2016 zu machen . Ich freuemich sehr über die Unterstützung dieses wichtigen The-mas . Sowohl der Koalitionsvertrag als auch die DigitaleAgenda der Bundesregierung formulieren das Vorhaben,gemeinsam mit den Bundesländern und anderen Akteu-ren des Bildungssystems eine gemeinsame Strategie „Di-gitales Lernen“ zu entwickeln und umzusetzen . – So weitein Zitat .Beate Walter-Rosenheimer
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Die Bundestagsfraktionen von SPD und Union ha-ben dieses Vorhaben, wie Sie alle wissen, durch einengemeinsamen Antrag nochmals bestärkt und konkre-tisiert . Das Parlament hat dies am 2 . Juli dieses Jahresauch so beschlossen . Deshalb freue ich mich, wie derWirtschaftsminister es formuliert hat, darauf, wenn imIT-Gipfel-Jahr, das nun begonnen hat, bei diesem Vor-haben konkrete Fortschritte erreicht werden, die wir imHerbst 2016 beim nächsten Nationalen IT-Gipfel vorstel-len können .Im Zusammenhang mit dem genannten Beschluss desBundestags hatte meine Fraktion die Forderung formu-liert, die Mittel für die digitale Bildung im Bundeshaus-halt auf 60 Millionen Euro aufzustocken . Es ist sehr, sehrbedauerlich, dass es uns für das kommende Haushalts-jahr nicht gelungen ist, diese Forderung durchzusetzen .Deutschland hat immer gut daran getan, in die Köpfeder Menschen zu investieren . Wie wir aus verschiedenenStudien leider erfahren müssen, sind deutsche Schülerin-nen und Schüler bei digitalen Kompetenzen im interna-tionalen Vergleich eher unteres Mittelfeld . Ich halte esdeshalb geradezu für fahrlässig, bei der digitalen Trans-formation von Wirtschaft und Gesellschaft womöglichden Anschluss zu verpassen, indem wir die Bildung ver-nachlässigen .Natürlich ist es mit Investitionen auf Bundesebenenicht getan . Auch die Länder müssen ihre Hausaufgabenerledigen . Gerade bei einer so wichtigen Zukunftsauf-gabe braucht es aber eine gemeinsame Strategie . Bund,Länder und Kommunen, aber auch die weiteren Akteu-re müssen die digitale Bildung deshalb als gemeinsameAufgabe anerkennen und die Strategie „Digitales Ler-nen“ jetzt endlich gemeinsam angehen .Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, eine der wichtigsten Aufgaben der Politikbesteht darin, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren,wie wir es ja beim vorliegenden Haushalt mit der Flücht-lingsthematik gemacht haben . Besonders im Hinblick aufdie zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche istes auch im Bereich der digitalen Bildung unser Auftrag,auf neue Herausforderungen die richtigen politischenAntworten zu geben .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Frau Kollegin Esken . – Nächster Red-
ner: Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Schon wieder ein Rekordhaushalt im Bereich
Bildung und Forschung: 16,4 Milliarden Euro, ein Auf-
wuchs von 1,1 Milliarden Euro gegenüber dem laufen-
den Jahr. Das ist ein, wie ich finde, wichtiges Signal der
Koalition, ein wichtiges Signal für die Zukunft Deutsch-
lands, für die Investitionen in unser Land, und das trotz
aktueller Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise .
Was bisher noch nicht gesagt wurde: Wir machen dies
möglich auch ohne neue Schulden .
Nie zuvor ist so viel Geld in Bildung und Forschung
investiert worden . Das Geld wird nicht nur ausgegeben,
sondern eben auch klug in Zukunftsthemen investiert,
wie es von der OECD – die Frau Ministerin hat es ange-
sprochen – oder auch vom EFI-Gutachten bestätigt wird .
Es ist ja heute die Verantwortung der Länder ange-
sprochen worden . Das ist richtig . Ich wollte das Thema
Flüchtlinge eigentlich nicht ansprechen, aber ich möchte
das jetzt doch kurz tun, weil auch hier ein Blick auf Bay-
ern, auf mein Heimatbundesland, helfen kann .
Wir schaffen über 1 000 neue Lehrerstellen, gerade was
den Bereich Flüchtlinge angeht .
Das muss man auch einmal erwähnen, vor allem, nach-
dem Thüringen angesprochen wurde . Wenn ich richtig
informiert bin, gibt es dort 500 neue Lehrerstellen; das
ist richtig . Aber 800 Lehrer gehen in Pension . Das macht
nach meiner Rechnung dann ein Minus . Das muss man
auch festhalten dürfen .
Herr Kollege, erlauben Sie eine spontane Rückfrage?
Nein .
Ich darf bitte in meiner Rede fortfahren und möchteden Blick jetzt vor allem auf unseren Koalitionsvertragrichten; denn ich möchte festhalten, dass wir Wort hal-ten und alle Vorhaben des Koalitionsvertrags Schritt fürSchritt umsetzen. Die berufliche Bildung ist schon an-gesprochen worden; das Meister-BAföG ist bereits an-gesprochen worden . Wir wollen weiterhin die Ausbil-dungsordnungen modernisieren und eventuell, wenn esnotwendig ist, auch neue Ausbildungsberufe schaffen .Reduzieren wollen wir im Übrigen die Zahl der Schul-abgänger ohne Abschluss durch Förderung und intensiveBerufsorientierung und -beratung .Wir halten Wort bei der Exzellenzinitiative . Bis 2017trägt der Bund rund 2 Milliarden Euro der insgesamt2,7 Milliarden Euro . Wir halten Wort bei den Aufwüch-sen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen .Die Zuwendungen steigen im Jahr 2016 um 3 Prozent .Saskia Esken
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Ich darf daran erinnern, dass diesen Aufwuchs der Bundalleine schultert .
Das ist wiederum eine Entlastung der Länder um1,2 Milliarden Euro . Wir halten Wort und fördern wei-ter konsequent die Grundlagenforschung und schaffenfinanzielle Planungssicherheit bei den Forschungsein-richtungen .Die Forschungsorganisationen verpflichten sich imÜbrigen, dafür dann forschungspolitische Ziele umzuset-zen, unter anderem die Nachwuchsförderung, den Trans-fer, die Gleichstellung und den Ausbau von Vernetzungund Kooperationen, was dann im Monitoringbericht dar-gelegt und überprüft wird .Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Digitali-sierung ist schon angesprochen worden . Wir hatten in derletzten Sitzungswoche einen Antrag zum Thema Indus-trie 4 .0 . Wir wissen alle: Die Digitalisierung unserer Pro-duktion, unseres Wirtschaftens ist ein bedeutendes Zu-kunftsprojekt . Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, eineAufgabe von Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Gesell-schaft . Die Digitalisierung wird die kommenden Jahrenoch mehr prägen . Wir wollen diese Entwicklung aktivmitgestalten, weil sie von herausragender Bedeutung ist .Ein wichtiger Baustein hierfür ist die Datensicherheit .Wir haben im Frühjahr 2015 das Forschungsrahmen-programm zur IT-Sicherheit mit zahlreichen Förderakti-vitäten im Bereich der Sicherheitsforschung beschlossen,ein Programm, das mit 180 Millionen Euro aus dem Etatdes Bundesbildungs- und -forschungsministeriums ge-fördert wird .Fraunhofer leitet das Projekt zum Industrial DataSpace . Ziel ist, einen branchenübergreifenden, sicheren,vernetzten Datenraum zu schaffen . Gerade diese Ini-tiative, meine sehr geehrten Damen und Herren, findetinternational große Beachtung . Wir sind eben hier nichtdas Schlusslicht, sondern wir sind ganz vorne mit dabei .Wir wollen Standards setzen . Deswegen sind in diesemHaushalt auch 5 Millionen Euro für diesen Bereich vor-gesehen .
Außerdem investieren wir 6 Millionen Euro beiFraunhofer für die Ausbildung zum Fachexperten fürIT-Sicherheit; denn Deutschland steht aufgrund seinerInnovations- und Wirtschaftskraft, deren Grundlage wie-derum auch im Bildungs- und Forschungsbereich liegt,bei Cyberkriminellen weit oben auf der Liste, und hierentstehen jährlich Schäden in Milliardenhöhe . Deswegenist Forschung auf dem Gebiet der IT- und Datensicher-heit wichtig, aber eben auch die Ausbildung von Anwen-dungsexperten. Beides findet sich jetzt in diesem Haus-halt . Dafür vielen Dank!
Wir alle wollen die Wettbewerbsfähigkeit, unsereInnovationskraft und unseren Wohlstand sichern . Wirwollen, dass Deutschland Leitanbieter im Bereich In-dustrie 4 .0 ist und dass Deutschland weiterhin der Fa-brikausrüster der Welt bleibt . Das heißt, Chancen nutzen,Herausforderungen angehen und den Prozess beschleu-nigen . Ich bin sehr dankbar – ich habe das in der letztenSitzungswoche schon gesagt –, dass sich die PlattformIndustrie 4 .0 so dynamisch entwickelt, seitdem auch dasBildungs- und Forschungsministerium mit an Bord ist .Dafür vielen Dank an Sie, Frau Ministerin, und an IhrHaus .
Wir investieren aber auch im Bereich Weiterbildung .Das Thema Digitalisierung bringt natürlich auch Verän-derungen mit sich . Mancher Arbeitsplatz, manche Tä-tigkeitsbeschreibung werden sich verändern . Das Pro-gramm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistungund Arbeit von morgen“ wird bis 2020 mit 1 MilliardeEuro gefördert . Hier stehen vor allem die Erforschungvon technischen Entwicklungen in der Arbeitsorganisa-tion und in Arbeitsprozessen, die Forschung zur Kompe-tenzentwicklung sowie zu Bedingungen für eine gute Be-schäftigungsentwicklung und Arbeitsqualität sowie dieGesundheit am Arbeitsplatz im Fokus . Wir stärken mitdiesem Haushalt auch die überbetrieblichen Bildungs-stätten sowie den Bereich Weiterbildung und lebenslan-ges Lernen .Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibtfestzuhalten: Im Bildungs- und Forschungsbereich wirdkräftig investiert – im frühkindlichen Bereich, wenn ichan das Haus der kleinen Forscher denke, über die Studi-en- und Berufsförderung, die Qualitätsoffensive Lehrer-bildung, die Förderung im Bereich „Mensch-Technik-In-teraktion“, die Spitzencluster, die Sensorik bis hin zumGesundheitsbereich, dem Hochschulpakt und dem Paktfür Forschung und Innovation, um nur einige zu nen-nen . Das alles ist gut, das ist richtig und für die Zukunftunseres Landes entscheidend . Von daher sage ich einenherzlichen Dank allen Haushältern, meinen Kollegen imAusschuss, auf die die Haushälter gehört haben,
aber auch Ihnen, liebe Frau Ministerin, Ihren Staatsse-kretären und Ihrem ganzen Haus . Auf weiterhin gute Zu-sammenarbeit!Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr. Stefinger. – Das Wort zu einer Kurz-
intervention hat der Kollege Ralph Lenkert .
Herr Kollege Stefinger, so ist das mit Zahlen, die mannicht vollständig kennt .Dr. Wolfgang Stefinger
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Nach 24 Jahren CDU-geführter Landesregierung istunser Lehrkörper in Thüringen hoffnungslos überaltert .Im Gegensatz zu Bayern sind die Lehrer oftmals nichtpensioniert . Und aus dem aktiven Dienst scheiden we-niger als 500 Lehrerinnen und Lehrer jährlich aus . DerRest ist schon unter der unionsgeführten Regierung inden Ruhestand getreten, und die Union hatte während ih-rer Regierungszeit keinen Ersatz vorgesehen . Das heißt,hätten wir die Pläne der Union fortgesetzt, dann hättenwir jetzt nicht diese 500 zusätzlichen Stellen . Zu diesenStellen hinzu kommt eine Vertretungsreserve . Das heißt,wir korrigieren jetzt die Fehler, die von den Regierungendavor gemacht wurden . Um Ihnen das mit Zahlen zu be-legen: Im Haushalt der letzten unionsgeführten Landes-regierung standen für allgemeinbildende und beruflicheSchulen 1,46 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung .
Im nächsten Jahr wird die rot-rot-grüne Thüringer Lan-desregierung 1,57 Milliarden Euro ausgeben . Das sindfast 10 Prozent mehr .
Das sind höhere Steigerungsraten als im Bundeshaushalt .Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen . Das ist Politikfür Bildung und Zukunft .Vielen Dank .
Herr Stefinger, wenn Sie mögen.
Herr Kollege, ich danke für den Hinweis, habe aber
Ihrer Antwort nicht entnehmen können, was speziell für
den Bereich Flüchtlinge vorgesehen ist .
Letzter Redner in der Debatte ist René Röspel für die
SPD-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Es ist schon merkwürdig, wie sauber bei Regierung undOpposition zwischen Kritik und Lob getrennt wird . Ichfinde, manchmal gehört auch ein bisschen Selbstkritikzum Lob dazu . Wenn man vier Sitzungswochen unddazwischen eine sitzungsfreie Woche hat, ist ein Praxis-oder Realitätscheck angebracht . Dann kann man sehen,was die Menschen im Wahlkreis von dem wahrnehmen,was wir im Bereich Bildung und Forschung machen . Ichhabe fünf Beispiele aus der letzten Woche mitgenom-men, die unseren Zustand aufzeigen .Das erste Beispiel . Ich war am Sonntag beim Tag deroffenen Tür des Max-Planck-Institutes für molekularePhysiologie in Dortmund . Keine Angst, es ist nicht meinWahlkreis, und es ist auch der falsche Fußballverein .
Ich kenne das Institut seit Mitte der 90er-Jahre . Damalsherrschte verhaltener Optimismus; es gab gute Chemikerund Physiker – sie hatten interessanterweise damals kei-ne Chance auf dem Arbeitsmarkt . Die wissenschaftlicheReputation, das Engagement waren eher verhalten . AmSonntag war es ganz anders: neues Gebäude, 500 Mitar-beiter, man platzt aus den Nähten . Ich habe viele jungeengagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ge-troffen, die begeistert Forschung machen, Topforschung;der neueste ERC Grant ist gerade eingeworben . Es isteine ganz andere Stimmung als noch vor 20 Jahren . Ichfinde, man wird auch in Jena und vielen anderen Univer-sitäten und Hochschulen des Landes feststellen, dass sichvieles getan hat .
Ich will auch deutlich sagen: nicht erst seit 2005 . Eswar gar nicht so einfach; denn es war eine rot-grüne Ko-alition, die unter Bundesministerin Bulmahn den Paktfür Forschung und Innovation auf den Weg gebrachthat . Seitdem gibt es verlässlich mehr für außeruniversi-täre Forschungseinrichtungen; manchmal 3, manchmal5 Prozent . Genau das war es, was sie gebraucht haben .Alle Fraktionen, jedenfalls bis zu dieser Stelle, von rechtsaus gesehen, haben in den letzten Jahren ihren Beitraggeleistet . Wir alle können ein bisschen stolz darauf sein,dass Deutschland im wissenschaftlichen Bereich rechtgut dasteht .
Zweites Beispiel . Ähnlich war es im Bereich derFachhochschulen . Als wir uns 1998/99 den ersten Haus-halt angesehen haben, handelte es sich um 10 MillionenD-Mark für die Fachhochschulen . Im Ministerium hatteman den Eindruck: Das ist ein Bereich, der sich totlaufenwird und für den sich keiner interessiert . Das war müh-same Arbeit . Auch da haben alle in den letzten Jahrenmitgewirkt, dass wir mittlerweile einen Etatansatz von48 Millionen Euro für die Forschung an Fachhochschu-len haben . Das ist ganz wichtig und ein Motivations-schub . Damit können wir Verlässlichkeit hineinbringen .Auch hier haben viele ihren Anteil beigetragen .
Letzte Woche hatte ich einen Termin zum Wissen-schaftszeitvertragsgesetz mit Fachhochschulen undUniversitäten . Dabei handelt es sich eigentlich um ei-nen Arbeitsrechtsvertrag . Es ist ein richtiger Schritt indie richtige Richtung . Aber am Ende kamen wir zu demgrundsätzlichen Problem, dass die Hochschulen in die-Ralph Lenkert
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sem Land immer noch zu schlecht grundfinanziert sindund dass der Mittelbau wegbricht .
Das kann nur eine gemeinsame Aufgabe über den Hoch-schulpakt und über 2020 hinaus sein . Die BAföG-Mit-tel – das sind die Mittel für den Eurofighter 1990; wersich daran erinnert . Das Geld haben wir verbraucht; dasist schon längst ausgegeben .
– Stellen Sie eine Zwischenfrage, Herr Rupprecht . Da-rauf würde ich gerne antworten . Aber so viel Zeit habeich jetzt nicht .
Ich finde, es bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Wirkönnen die Hochschulen nicht alleinelassen, die Länderund Kommunen auch nicht .Drittes Beispiel . Ich habe mir im Wahlkreis das Pro-jekt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ angesehen,das drei Städte zusammen mit der Arbeiterwohlfahrtmachen . Hier geht es darum, jugendliche Schulabsen-ten, also Schulverweigerer, sozusagen von der Straße zuholen und dahin zu führen, dass sie wieder zur Schulegehen, und darum, sie dafür zu begeistern . Dieses Pro-jekt wird übrigens vom Umweltministerium und vomMinisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendgefördert, nicht vom Bildungsministerium . Ich habe dieEngagierten gefragt: Was braucht ihr, und was seht ihrals zentralen Punkt, um zu verhindern, dass Jugendlichein die Situation kommen, in der sie nicht mehr zur Schulegehen wollen und keinen Bock mehr haben? Da habensie gesagt: Macht Schulsozialarbeit!
Ihr vom Bund habt mal ein Programm zur Schulsozial-arbeit gemacht . Am besten ist es, damit in den Grund-schulen anzufangen . Warum macht das der Bund nichtmehr? Es gibt doch ein Bundesbildungsministerium . –Da musste ich erklären, dass das Ministerium in derRegel mit beruflicher Bildung befasst ist, auch wenn esmanchmal Pressemitteilungen zu Lesestart und anderenBildungsmaßnahmen veröffentlicht, und dass es schwie-rig war, in den Koalitionsverhandlungen einen entspre-chenden Beschluss mit dem Koalitionspartner hinzube-kommen . Da müssen wir selbstkritisch sein und an unsselber appellieren: Wir müssen in diesem Bereich aktivwerden, wenn wir nicht wollen, dass wir Kinder und Ju-gendliche verlieren, die wir dann nur über Programmeeinfangen können, die schwierig aufzustellen sind, weilsie von zwei Ministerien finanziert werden müssen.Das vierte Beispiel . Die Bundesagentur für Arbeit inHagen hat einen Arbeitnehmertag durchgeführt, Stich-wort: Arbeit 4 .0 . Da habe ich mich sehr gefreut, sagenzu können: Wir haben schon im Koalitionsvertrag fest-gehalten, dass wir Arbeitsforschung betreiben . – Ich willausdrücklich sagen: Die Mittel in Höhe von 89 MillionenEuro in den Etats von 2015 und 2016 können ausgebautwerden; da müssen wir besser werden . – Das war aberein Punkt, bei dem man gut zeigen konnte: Die Politikist nicht hintendran, sondern hat das Thema auf demSchirm . Wir müssen nämlich wissen, wie wir zukünftigarbeiten werden und was wir anbieten können .Das fünfte Beispiel war mir eigentlich das liebste . Vie-le von Ihnen waren wahrscheinlich auch am Internationa-len Tag der Kinderrechte in der letzten Woche an Schulenunterwegs . Ich war in einer dritten und vierten Klasse derGrundschule Pestalozzi in Gevelsberg und einer siebtenKlasse des Ricarda-Huch-Gymnasiums in Hagen . Dortbin ich auf tolle Kinder gestoßen, die von ihren Lehrerngut vorbereitet waren und ganz viele Fragen hatten . Alsich sie gefragt habe: „Was meint ihr, was für euch wich-tige Rechte sind?“, haben sie geantwortet: Nicht geschla-gen zu werden, keinen Krieg zu erleben, mit den Elternzusammen zu sein . – Das fand ich spannend .Es gab ganz viele spannende Fragen der Kinder . EineFrage war, was wir denn machen, um Fluchtursachenzu bekämpfen . Da konnte ich sagen, dass wir im For-schungsbereich ein Programm haben, mit dem wir be-kämpfen, dass Krankheiten in der Dritten Welt ganzeLänder lahmlegen, so wie es bei Ebola der Fall war . Ichkonnte also ein positives Beispiel dafür nennen, was wirhier tun . Da müssen wir aber noch zulegen .Die zweite Frage: Wie kann man eigentlich Konflikteund Krisen verhindern, und was kann man tun, wenn sieausgebrochen sind? Da konnte ich darauf verweisen –danke an die Haushälter –, dass wir mehr Geld für Frie-dens- und Konfliktforschung ausgeben,
weil es ganz wichtig ist, zu wissen, wie Kriege entstehenund wie man sie möglicherweise verhindern oder wiedereindämmen kann .Ein letzter Punkt, der mich sehr beeindruckt hat – Vä-ter und Mütter kennen das –: die Angst der Kinder, vonihren Eltern getrennt zu sein . Diese Angst habe ich sehrhäufig wahrgenommen; die Kinder meinten das ganzernst . Auf eine entsprechende Frage hin habe ich gesagt:Ich halte es für unmenschlich, wenn man Kinder von ih-ren Eltern trennt . – Jetzt hat die CSU, liebe Kollegen, amSamstag die Forderung beschlossen, den Familiennach-zug größtmöglich einzuschränken . Da bin ich gespannt,was Sie eigentlich diesen Kindern antworten würden .
Vielen Dank, Herr Kollege Röspel . – Sie haben amAnfang gesagt, dass der BVB der falsche Verein ist . AlsFußballfan bin ich jetzt natürlich interessiert, zu wissen,was denn der richtige Verein ist .
– Kein Kommentar .René Röspel
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Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 30 – Bundesministerium für Bildung und For-schung – in der Ausschussfassung . Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 30 ist mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen undder Linken angenommen .Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-nung .Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Mittwoch,den 25 . November, 9 Uhr, ein .Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen nocheinen schönen Abend .