Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zur 206. Sitzung des DeutschenBundestages in der laufenden Legislaturperiode und da-mit zum Beginn der Haushaltswoche. Ob diese Wocheder Höhepunkt der parlamentarischen Debatten diesesJahres wird, mögen andere zu einem späteren Zeitpunktentscheiden. Dass dies ein wesentlicher, zentraler Teilder Arbeit dieses Parlamentes ist, daran kann schonvorab kein Zweifel bestehen. Deswegen will ich die Ge-legenheit gerne nutzen, mich im Namen des ganzenHauses bei den Kolleginnen und Kollegen besonders zubedanken, die uns die beschlussreifen Vorlagen pünkt-lich und vollständig geliefert haben, über die wir uns imLaufe der Woche mit besonderer Sorgfalt beugen wer-den. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass auch dereine oder andere kritische Einwand gegenüber den Emp-fehlungen des Haushaltsausschusses hier vorgetragenwird, sollten wir vorab unseren gemeinsamen Dank andie Kolleginnen und Kollegen für die geleistete Arbeitzu Protokoll nehmen.
Leider müssen wir vor Eintritt in die Tagesordnungwieder einmal eine Schriftführerwahl durchführen.
– Was heißt „leider“, Frau Enkelmann? Ich muss dieregelmäßige Abmeldung von Schriftführerinnen undSchriftführern aus Ihrer Fraktion als eine auf Dauer ab-gegebene Misstrauenserklärung gegenüber dem Parla-mentspräsidenten verstehen. Eine andere Erklärung fälltmir jedenfalls nicht ein.
Jedenfalls schlägt die Fraktion Die Linke vor, für denKollegen Ralph Lenkert, von dem mir bis heute keineschriftliche Entschuldigung für seinen Rückzug vorliegt,den Kollegen Harald Weinberg als Schriftführer zu wäh-len. Sind Sie damit einverstanden? –
– Nein, Herr Kollege Schirmbeck, eine Vorstellung istnach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen, istaber eine der denkbaren Innovationen für die nächste Le-gislaturperiode. Wir kommen darauf zurück.Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der KollegeHarald Weinberg damit als neuer Schriftführer ge-wählt.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass eseine interfraktionelle Vereinbarung gibt, von der Frist fürden Beginn der heutigen Beratungen, soweit erforder-lich, abzuweichen. Dazu würde ich gern Ihr Einverneh-men feststellen. – Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I a und b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2013
– Drucksachen 17/10200, 17/10202 –b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unterrich-tung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2012 bis 2016– Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz
Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, undzwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aus-sprache vorgesehen ist.
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25104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich rufe zunächst den Einzelplan 01 auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt– Drucksachen 17/10801, 17/10823 –Berichterstattung:Abgeordnete Herbert FrankenhauserCarsten Schneider
Dr. h. c. Jürgen KoppelinDr. Dietmar BartschOmid NouripourWir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derEinzelplan 01 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen dieStimmen der SPD und bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Ich rufe den Einzelplan 02 auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 17/10802, 17/10823 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard Schulte-DrüggelteJohannes KahrsDr. h. c. Jürgen KoppelinRoland ClausPriska Hinz
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11517 vor,über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesenÄnderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist dieser Änderungsantrag mehrheitlichabgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 02 in der Ausschussfassung. Wer stimmt diesemEinzelplan zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen desganzen Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.3 auf:Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –Berichterstattung:Abgeordnete Cajus CaesarKlaus BrandnerHeinz-Peter HausteinDr. Dietmar BartschDr. Tobias LindnerWir stimmen über den Einzelplan 03 in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 03 ist ange-nommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf:a) Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 17/10808, 17/10823 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannCarsten Schneider
Otto FrickeDr. Gesine LötzschDr. Tobias Lindnerb) Einzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –Berichterstattung:Abgeordnete Rüdiger KruseBernhard Brinkmann
Dr. Claudia WintersteinMichael LeutertSven-Christian Kindlerc) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung eines Zweiten Nachtragszum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts-
– Drucksachen 17/10900, 17/10901 –Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-ausschusses
– Drucksachen 17/11290, 17/11291 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Haus-haltsbegleitgesetzes 2013
– Drucksachen 17/10588, 17/10864 –Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-ausschusses
– Drucksache 17/11477 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz
e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalver-trags– Drucksachen 17/10976, 17/11011 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25105
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-ausschusses
– Drucksache 17/11504 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeRoland ClausPriska Hinz
Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprache vonzwei Stunden verständigt. Gibt es dazu Einwände? – Dasist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerHaushalt 2013 für die Bundesrepublik Deutschland wirdEnde dieser Woche beschlossen werden. Die Bürger die-ses Landes haben ihr Urteil über diese Regierung schongefällt. 70 Prozent der Deutschen sagen, die RegierungMerkel betreibe nur Klientelpolitik.
65 Prozent sagen, die Regierung Merkel kümmeresich nicht um die Zukunftsprobleme dieses Landes.
Vielleicht sollten Sie sich bei der Bundesregierung infor-mieren. Diese Angaben stammen aus einer Umfrage, diefür die Bundesregierung von der ForschungsgruppeWahlen erstellt wurde. Die Menschen in diesem Landeliegen richtig mit ihrer Einschätzung.
Chaos, Verantwortungslosigkeit, Blindheit für diegroßen Aufgaben, Verschleudern der Zukunftsreservenfür irrsinnige Wahlgeschenke, finanzpolitische Trickse-rei und offensichtlicher Wählerbetrug – das ist der Haus-halt 2013, den Sie uns hier vorlegen.
So taumeln Sie in die Haushaltswoche.Zu Recht hat sich nicht nur der Sachverständigenratder Bundesregierung Ihre Politik vorgeknöpft. Sie woll-ten ihn im Haushaltsausschuss nicht hören. Sie wolltenan dem Tag, an dem der Bericht der Bundesregierungübergeben wurde, nicht, dass wir mit Mitgliedern desSachverständigenrats im Haushaltsausschuss debattie-ren. Angesichts der Ergebnisse, die Ihnen die fünf Wirt-schaftsweisen präsentiert haben, kann ich nur sagen: Ichhätte an Ihrer Stelle lieber die Ohren aufgemacht, anstattauf Durchzug zu stellen.
Sie haben eine Legislaturperiode hinter sich, die mitKlientelpolitik begonnen hat – Stichwort „Mövenpick-Steuer“ – und die mit dem bildungspolitischen Irrsinndes Betreuungsgeldes endet.
Es war bislang eine Legislaturperiode mit Rekordsteuer-einnahmen und den geringsten Ausgaben für den Ar-beitsmarkt, in der Herr Schäuble seiner Verantwortungals Finanzminister nicht gerecht wurde. Er hat in dieserLegislaturperiode 112 Milliarden Euro neue Schuldengemacht, und das, obwohl es die höchsten Steuereinnah-men gab, die es in der Bundesrepublik jemals gegebenhat. Die Schuldenlast führt dazu, dass am Ende des Fi-nanzplans die Zinsausgaben in Höhe von bislang 31 Mil-liarden Euro auf 41 Milliarden Euro steigen werden. Dasentzieht uns Gelder, um die Zukunft zu gestalten.Warum ist das so? Nehmen Sie nur – stilbildend – denletzten Koalitionsausschuss.
Er fand am Sonntag der Woche statt, in der wir denHaushalt im Haushaltsausschuss – vielen Dank, HerrPräsident, für die Anerkennung unserer Arbeit – be-schlossen haben. Es ging um viel Geld für Aufgaben, diebrachliegen. Sie konnten sich aber nicht einigen, weilSie keine Kraft mehr haben. Ich zitiere da nur dieSüddeutsche Zeitung: Im Endeffekt gebaren Sie eineMaus. – Sie haben sich auf einen Kuhhandel geeinigt:
Das Betreuungsgeld wurde gegen die Abschaffung derPraxisgebühr getauscht. Der Finanzminister zog es vor,nach Mexiko zu reisen und Vorträge über Konsolidie-rung zu halten,
anstatt sich darum zu kümmern, Deutschland vor irrsin-nigen Maßnahmen zu beschützen.Meine Damen und Herren, BundesfinanzministerSchäuble hat in der Finanzpolitik die Hände in denSchoß gelegt. Drei innenpolitische Aufgaben stehen an:erstens Steuerpolitik, zweitens Haushaltskonsolidierung,drittens Schaffung von Ordnung auf den Finanzmärkten.In allen drei Punkten komme ich zu dem Schluss, dassSie die Hände in den Schoß gelegt haben oder, wie imSteuerbereich, Schlimmeres angerichtet haben.
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25106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Carsten Schneider
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Nehmen wir als Erstes den Haushaltsbereich als Bei-spiel. Angesichts der höchsten Steuereinnahmen, die wirjemals hatten,
und der niedrigsten Zinsausgaben, die daraus resultieren,dass wir die Krisengewinnler Europas sind, und die zueiner Entlastung des Haushalts gegenüber der Planungum 11 Milliarden Euro führen, wäre es Ihre Aufgabe ge-wesen, die Neuverschuldung schon längst auf null zufahren. Sie haben das nicht geschafft, und das ist Ihr Ver-sagen.
Ich will Ihnen nur zwei Zahlen nennen. Sie beschlie-ßen für 2013 neue Schulden von 17,1 Milliarden Euro.Das haben Sie – ich komme noch darauf zu sprechen –mit Trickserei geschönt; eigentlich wären es sogar mehr.Im Jahr 2011, als die Steuereinnahmen geringer und dieSozialausgaben höher waren, haben Sie 17,3 MilliardenEuro Schulden gemacht. Das heißt, es ist Ihnen, obwohldie Einnahmen explodieren und sich die Sozialausgabenum 10 Milliarden Euro verringert haben, weil Sie im So-zialbereich kürzen und die Sozialkassen plündern – dasist der einzige Bereich, in dem Sie zugreifen; Subven-tionsabbau kennen Sie nicht –, nicht gelungen, dieSchuldenlast zu senken. Im Gegenteil: 2012 ist die Neu-verschuldung noch einmal explodiert. Jetzt geht dieNeuverschuldung wieder auf das Niveau von 2011 zu-rück.
Das heißt, dieses Land ist in den letzten zwei Jahren, indenen Sie die Verantwortung für den Bundeshaushalt ge-tragen haben, in die Stagnation regiert worden. Das liegtin Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren. Ichwürde mich an Ihrer Stelle eher schämen.
– Sie können ja einfach nachschauen. Vergleichen Siedie Zahlen von 2011 und 2013!Nehmen Sie zwei entscheidende Punkte zur Kenntnis:12 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und um9,8 Milliarden Euro geringere Sozialausgaben. Dasmacht zusammen fast 22 Milliarden Euro. Die Zinsensind in etwa gleich geblieben. Die Kreditaufnahmebleibt aber bei 17 Milliarden Euro. Ich frage mich: Wosind die 22 Milliarden Euro hin?
Sie haben es nicht geschafft, Kraft aufzubringen,
um die Aufgabe zu meistern, die Sie wirklich hätten er-ledigen sollen, nämlich die Neuverschuldung inDeutschland endlich auf null zu fahren; stattdessenschulmeistern Sie in Europa. Sie sind an Ihrer Aufgabegescheitert.
Herr Kauder, soll ich Ihnen einmal sagen, was Sie imHaushalt 2013 alles beschlossen haben? Ich weiß garnicht, ob Sie davon Kenntnis haben.
– Ich nenne Ihnen einmal ein paar Punkte, an denen SieKürzungen vornehmen können, drei Punkte, die IhreKollegen durchgesetzt haben:Erstens, ein kleines Beispiel dafür, womit Sie sich be-schäftigen. Im Verteidigungsbereich geben Sie für einBundeswehrmuseum 1 Million Euro mehr aus. Sie kür-zen aber einen gleich hohen Betrag bei den Betriebskos-ten, das heißt beim Sprit. Wenn Sie für die Panzer keinBenzin mehr bereitstellen, können Sie sie auch ins Mu-seum stellen. Das ist Ihre Art von Zukunftspolitik.
Zweitens. Für den Schaufelraddampfer „KaiserWilhelm“ haben Sie Geld, aber beim Goethe-Institutkürzen Sie 8 Millionen Euro. Dabei ist es doch wichtig,dass wir die Kulturpolitik im Ausland und damit diedeutsche Sprache fördern.
Was machen Sie stattdessen? In einer Nacht-und-Nebel-Aktion werden 10 Millionen Euro für den Neubau einessudetendeutschen Museums in München bereitgestellt.
Das ist Ihre Zukunftspolitik. Da kann ich nur sagen:Gute Nacht!
Zukunftsweisend wäre es gewesen, wenn Sie in derHochphase der Konjunktur die Schulden gesenkt hätten,um Reserven für schlechte Zeiten aufzubauen. Dassschlechte Zeiten eventuell kommen, sieht man an der Si-tuation im Euro-Raum. Schauen Sie sich die Wachs-tumsaussichten für Deutschland an: 0,7 Prozent!
Sie haben sie höher eingeschätzt und 1 Prozent zugrundegelegt. Schon darin besteht ein hohes Haushaltsrisiko.Sie lagen daneben, und nun plündern Sie die Sozialkas-sen.Man hätte im Zuge der Beratungen zum Haushaltsbe-gleitgesetz über eine einmalige Absenkung des Gesund-heitszuschusses um 2 Milliarden Euro reden können,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25107
Carsten Schneider
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wenn gemeinsame Gespräche aufgenommen wordenwären. Aber da Sie für die Beglückungsaktion der Klein-partei in der Koalition Geld brauchen – ich erinnere andie Sonntagsnummer Betreuungsgeld –, haben Sie wei-ter wild in die Sozialkassen und in den Gesundheitsfondsgegriffen. Dabei geht es um einen Betrag von fast6,5 Milliarden Euro, der dem Gesundheitsfonds entzo-gen wird. So verfahren Sie auch in der Rentenversiche-rung. Sie haben die vorhandenen Überschüsse, die wiraufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und der ge-rechtfertigten guten Lohnabschlüsse erzielen konnten,geplündert. Wenn Sie sich die Regeln für die Schulden-bremse genauer anschauen, dann stellen Sie fest, dassSie diese Defizite in der Sozialversicherung in den Haus-halten ab 2014 auffangen müssen. Aber da werden Sienicht mehr regieren.Mein Fazit Ihrer Haushaltspolitik ist: Nach mir dieSintflut!
Sie sehen nur noch zu, dass Sie über den Wahltag kom-men; danach können die anderen
den Scherbenhaufen wieder aufkehren. Das ist keine zu-kunftsweisende Politik.
Herr Schäuble, ich frage mich: Wo stehen Sie eigent-lich innenpolitisch? Das fragt sich nicht nur die SPD,sondern die gesamte deutsche Presselandschaft. Ich habeein paar Zitate mitgebracht. Das Handelsblatt titelte:„Das erschöpfte Bündnis“, „Sparen? Fehlanzeige“. DieSüddeutsche Zeitung schrieb: „Eine sogenannte Koali-tion“. Es gab Streit darüber, wann der Haushalt struktu-rell ausgeglichen sein wird: 2013 oder 2014? Ist das einerote oder eine schwarze Null? Die FDP mit Herrn Rösleran der Spitze hat sich groß mokiert, im Endeffekt geba-ren Sie aber eine Maus. Daher titelte die FrankfurterRundschau:
„Die Null soll stehen – nur welche? Bundesregierungverspricht ausgeglichenen Haushalt – und macht weiterSchulden“. – So ist es!
Lassen Sie mich als Letztes eine Überschrift des Han-delsblatts zitieren: „Wo steckt Schäuble?“ In der deut-schen Innenpolitik ist er, zumindest aktiv, nicht mehr zuerkennen.
In Europa gebärden Sie sich als Schulmeister. InDeutschland hingegen schaffen Sie es nur durch einenBuchungstrick, eine niedrigere Neuverschuldung auszu-weisen als im Jahre 2011. Dabei handelt es sich um dieEinnahmen aus der Privatisierung der Treuhand Liegen-schaftsgesellschaft. Gestern wurden viele Wohnungen inOstdeutschland an einen Finanzinvestor verkauft. Wirals SPD wollten angesichts der angespannten Mietsitua-tion, des Bedarfs an Wohnraum gerade im städtischenBereich, nicht, dass die Wohnungen verkauft werden.Sie haben es getan. Das ist meines Erachtens ein großerFehler, weil Sie dem Bund damit den letzte Möglichkeitzur Einflussnahme auf Wohnungspolitik und Städtebaugenommen haben. Die erzielten Einnahmen verschiebenSie einfach in das nächste Jahr, um den Haushalt nochirgendwie zu retten. Das zeugt nicht gerade von einerklaren Linie, sondern von einem Schlingerkurs, und dasist eines Bundesfinanzministers unwürdig.
Im Steuerbereich ist ebenfalls nichts passiert. DasEinzige war die milliardenschwere, zusätzliche Subven-tion für die Hoteliers. Herr Rösler, Sie sind nicht nurVorsitzender der FDP, sondern auch Bundeswirtschafts-minister und verfügen damit über den größten Subven-tionsetat des Bundes. Hieran hat sich kein Cent geändert.Die Subventionen sind geblieben, wie sie waren. Da, woes um Finanzpolitik bzw. um einen ermäßigten Mehr-wertsteuersatz geht, haben Sie sogar noch einen obendraufgelegt. Das ist nicht gerecht.
– Da ich gerade die Zurufe der Kollegen von der FDPhöre: Ich warte immer noch, dass Sie endlich einmal IhrLiberales Sparbuch – diese 8 Milliarden Euro – demBundestag zur Abstimmung vorlegen. Das ist aber ge-nauso versenkt worden wie Ihre Überzeugung beimThema „Betreuungsgeld“. Sie stimmen nur noch überdas Überleben Ihrer Partei im nächsten Jahr ab. MeineDamen und Herren, seien Sie aber sicher: Dies wird einEnde haben.Wir Sozialdemokraten setzen dem einen klaren Kursentgegen: ausgeglichene Haushalte so schnell wie mög-lich. Wir wollen nicht, dass sich die Deutschen, wenn sieder Bundesrepublik Deutschland Kredit geben wollen,nur noch an Banken wenden können. Was bedeutet das?Sie haben beschlossen, dass der Bundesschatzbrief abge-schafft wird, dass es nicht mehr möglich ist, persönlichund direkt bei seinem Staat Geld anzulegen. Man mussnun immer automatisch den Weg über die Banken gehen.
Das, meine Damen und Herren, ist ein großer Fehler.
Es zeigt aber, unter welcher Fuchtel und unter welchemLobbyeinfluss Sie hier stehen.
Das trifft ebenso auf den Finanzsektor zu. Frau Bun-deskanzlerin, Sie haben hier – ich glaube, es war im Jahr2010 – gestanden und gesagt, es werde nie wieder pas-
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sieren, dass der Staat für die Banken in diesem Land haf-tet. Dann gebaren Sie wieder eine Maus: Eine Banken-abgabe soll nun dafür sorgen, dass, wenn eine Bankpleitegeht, der Staat nicht zahlen muss. Wie hoch sind ei-gentlich die Einnahmen aus dieser Abgabe? – 500 Mil-lionen Euro pro Jahr! Meine Damen und Herren, damitkönnen Sie vielleicht eine mittlere Sparkasse retten, abernicht einmal eine mittlere Großbank.
Das heißt, aufgrund Ihrer Politik wird der Steuerzahlerin der Haftung bleiben. Sie schaffen kein Recht undkeine Ordnung im Finanzsektor, im Gegenteil.Wenn ich mir nur die gestrigen Empfehlungen zu denSchattenbanken anschaue, sehe ich, dass da mittlerweileeine richtige Krake entstanden ist, die gefährlicher als al-les ist, was wir bisher gesehen haben. Da frage ich mich:Wo sind Ihre Initiativen hier im Deutschen Bundestag,um diesen Schattenbanksektor zu regulieren? Nichts istpassiert. Auch bei der Bankenregulierung haben Sie ver-sagt.
Zum letzten Punkt. Herr Minister, Sie fahren heutezur Euro-Gruppe nach Brüssel, um über Griechenland zuentscheiden. Ich hoffe, dass Sie endlich entscheiden. Vorallen Dingen hoffe ich, dass Sie endlich Ihre Positionkorrigieren und nicht mehr nur den Wahltag im Septem-ber 2013 im Blick haben, sondern dass Sie eine Lösungfür Europa vorschlagen, die dauerhaft tragfähig ist. Dasbedeutet, dass Sie mit Ihrer Vernebelungs- und Ver-schleierungstaktik aufhören müssen. Sie haben hier imJahr 2010 gesagt: Für Griechenland gibt es 22,4 Milliar-den Euro, keinen Cent mehr. – Wir haben immer gesagt:Auch Wirtschaftswachstum wird benötigt, und es ist eineBeteiligung der Reichen in Griechenland an der Sanie-rung erforderlich. Das haben Sie negiert. Sie haben, in-nenpolitisch begründet, auf den Applaus zu Hause ge-setzt, ohne das Große im Blick zu haben.
Ich sage Ihnen: Kommen Sie nun mit einer dauerhafttragfähigen Lösung zurück, aber nicht mit einer, die ver-schleiert. Wir sind mittlerweile in einer Situation, wo essich eher – egal, ob Sie das Kredit nennen – um einenTransfer als um einen Kredit handelt. Ich finde, das müs-sen Sie der deutschen Öffentlichkeit klar sagen; denn wirbrauchen diese Sicherheit, damit es in Europa auch zu-künftig weitergeht.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Präsident! Liebe Damen und Herren!Ich will mich zunächst für den Dank des Bundestagsprä-sidenten bedanken. Ich gebe ihn gerne an die Kollegin-nen und Kollegen weiter, die diese Haushaltsberatungenmit großem Durchhaltevermögen und teilweise mit bisan die Grenze gehendem persönlichen Einsatz geführthaben. Wir sind jetzt so weit, dass wir dies dem Deut-schen Bundestag vorlegen können.In dieser Woche werden wir nicht nur das Haushalts-gesetz, sondern noch einige andere Gesetze – das Haus-haltsbegleitgesetz, den Nachtragshaushalt, das Fiskal-vertragsumsetzungsgesetz – beraten. Lassen Sie michaber als Allererstes sagen: Die Kassandrarufe undSchimpfkanonaden der Opposition werden sich, wie inden vergangenen Jahren auch, in Schall und Rauch auf-lösen. Nichts von dem, was Sie hier dargestellt haben,wird eintreten. So war das in den vergangenen Jahren,und so wird es auch sein, wenn wir 2014 über den Haus-halt reden.
– Wenn der Kollege Carsten Schneider von Buchungs-tricks redet,
dann muss man eines festhalten: Wenn Buchungstrickszur Anwendung gekommen wären, dann dürften Sie indieser Woche an keiner einzigen Stelle Kritik daranüben, dass wir gespart haben;
denn wenn es sich tatsächlich um Buchungstricks han-deln würde, dann hätte kein Mensch etwas davon ge-merkt. Das ist so falsch und doppelzüngig wie nur ir-gendwas. Ich werde das noch belegen.
Mit den Gesetzentwürfen, die wir in dieser Wochevorlegen, zeigen wir, dass die christlich-liberale Koali-tion ihren Kurs einer wachstumsgerechten Konsolidie-rung konsequent fortsetzt. Dabei bewegen wir uns ineinem europäischen Umfeld, das immer noch von Insta-bilitäten auf den Finanzmärkten und einer schwelendenVertrauenskrise in Sachen Euro geprägt ist. Die geradeerfolgte Herabstufung Frankreichs durch Moody’s zeigt,dass diese Vertrauenskrise noch nicht endgültig be-kämpft ist. Deshalb ist es gut, dass Deutschland nach wievor der Stabilitätsanker in Europa ist. Wir haben an die-ser Stelle eine besondere Verantwortung. Wir setzen aufSolidität, und wir setzen auf Stabilität. Das sind dieGrundpfeiler unserer Politik. Solidität erzeugt Vertrauen,und letztendlich geht es um Vertrauen. Deshalb, lieberKollege Carsten Schneider, haben wir seit 2010 kontinu-ierlich, Jahr um Jahr, das strukturelle Defizit gleichmä-ßig abgebaut bzw. zurückgeführt. Wir werden in diesemJahr bei etwa 15 Milliarden Euro landen. Mit dem Haus-
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halt 2013 senken wir das strukturelle Defizit auf 8,8 Mil-liarden Euro ab. Es wird kontinuierlich zurückgeführt.Damit erreichen wir das Ziel der Schuldenbremse, dieuns für 2016 ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozentdes BIP vorschreibt, bereits drei Jahre früher. DieseLeistung sollten Sie einmal würdigen; denn sie ist wirk-lich aller Anerkennung wert. Mit dem Haushalt 2013 er-reichen wir bereits das Ziel der Schuldenbremse dreiJahre früher als vorgeschrieben.
2014 werden wir, wenn wir bereit sind, uns entspre-chend anzustrengen – es bedarf noch einiger Anstren-gungen –, einen strukturell ausgeglichenen Haushaltvorlegen. Strukturelle Defizite sind das entscheidendeMerkmal, wenn es um die Frage geht, ob ein Staat solidewirtschaftet oder über seine Verhältnisse lebt; denn dasstrukturelle Defizit zeichnet sich dadurch aus, dass kon-junkturelle Effekte, finanzielle Transaktionen und Priva-tisierungserlöse herausgerechnet werden. Insofern ver-deutlicht das strukturelle Defizit die Kernprobleme einesStaatshaushaltes. Deshalb orientieren wir uns am struk-turellen Defizit. Ein ausgeglichener Haushalt 2014 inDeutschland ist das richtige Signal, nicht nur für unsereBundesländer, sondern vor allem auch für Europa.
Ein zweites Instrument, auf das ich hinweisenmöchte, ist der Fiskalvertrag. Der Fiskalvertrag schreibtdie Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor. Das istein Paradigmenwechsel in der europäischen Politik. Daskann man nicht oft genug betonen. Mit der Umsetzungder Richtlinien des Fiskalvertrages – auf nationalerEbene gibt es eine Begleitung durch einen Stabilitätsrat –erhalten wir Vorgaben, wie wir sie bisher nicht hatten.Deshalb ist es wichtig, dass wir in dieser Woche über dieinnerstaatliche Umsetzung dieses Fiskalvertrages disku-tieren.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hin-weis, dass wir das Kontrollkonto – das ist ein Spezialbe-griff, den eigentlich nur Insider kennen – ab dem Jahr2016 auf null setzen werden. Das heißt, um kontrollierenzu können, inwiefern die Vorgaben der Schuldenbremseeingehalten werden, führen wir ein Kontrollkonto, aufdem die Überschüsse addiert werden, die wir im Über-gangszeitraum erwirtschaften, weil wir besser wirtschaf-ten, als die Schuldenbremse es vorschreibt. Im Jahr 2016setzen wir dieses Kontrollkonto auf null, machen es so-zusagen sauber. Die 2016 amtierende Regierung – wirwerden sicherlich weiterregieren – kann dann also miteinem gesäuberten Kontrollkonto weiterarbeiten.
Auch dies ist ein wichtiges Signal für unsere europäi-schen Partner und die deutschen Bundesländer. Dort gibtes noch einiges zu tun, weil noch einiges im Argen liegt,was die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremseanbelangt. In unserer Anhörung an diesem Montag hateiner der Sachverständigen mein geliebtes HeimatlandBaden-Württemberg genannt und gesagt: Baden-Würt-temberg missbraucht den Abbaupfad. – Das ist leiderwahr.Deshalb sage ich nochmals: Solidarität und Soliditätsind die Grundpfeiler unserer nationalen Haushalts- undFiskalpolitik und auch unserer europäischen Strategie.Solidarität und Solidität gehören immer zusammen. Ent-sprechend verhalten wir uns, wenn es um unseren natio-nalen Haushalt geht.Ich komme jetzt zu dem Vorwurf, den KollegeSchneider hier vorgetragen hat.
Beachten Sie bitte, dass wir im vergangenen Jahr und indiesem Jahr – zweimal! – je 8,7 Milliarden Euro in denKapitalstock des ESM eingezahlt haben und einzahlen.Da stimmen Sie zu. Beachten Sie bitte, dass wir 1,6 Mil-liarden Euro in den Kapitalstock der Europäischen In-vestitionsbank einzahlen. Da stimmen Sie zu. Wenn Siedas addieren, kommen Sie auf 19 Milliarden Euro. Diesetreiben die Nettokreditaufnahme selbstverständlich indie Höhe bzw. mindern die Absenkung. Aber das hatnichts mit dem strukturellen Defizit zu tun. Wenn Sieuns vorwerfen, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro Netto-kreditaufnahme für 2013 nur knapp unter dem Niveauvon 2011 liegen, dann ist das an Doppelzüngigkeit nichtzu überbieten.
Einerseits stimmen Sie dem zu, andererseits kritisierenSie. Was wollen Sie eigentlich?
Da blickt kein Mensch mehr durch.
Ich sage nochmals klar: Unsere Strategie zur Stabili-sierung des Euro ist in unserem ureigensten Interesse.ESM und Fiskalvertrag sind unsere wesentlichen Funda-mente zur Stabilisierung der Währungsunion. Dass wirdie Nettokreditaufnahme daher nicht so weit absenkenkonnten, ist klar und verständlich. Aber das dort einge-zahlte Geld ist sozusagen ein Guthaben auf einem ande-ren Konto. Deshalb bewirkt es hinsichtlich der struktu-rellen Verschuldung nichts. Das ist das wesentlicheKennzeichen.Dennoch ist es eine hervorragende Leistung, denkeich, dass wir die Nettokreditaufnahme auf 17,1 Milliar-den Euro absenken konnten, also unter das Niveau von2011, was das Ist-Ergebnis anbelangt. Ich habe dem Kol-legen Carsten Schneider von der SPD immer gesagt: Esist Blödsinn, Soll und Ist zu vergleichen. – Aber wennSie es schon tun, Herr Kollege, dann gestehen Sie unszu, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro unter dem Ist desJahres 2011 liegen, also eine klar absinkende Linie selbst
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Norbert Barthle
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bei der Nettokreditaufnahme aufweisen. Das Jahr 2012muss man herausrechnen. Da haben wir einen Nach-tragshaushalt mit Sondereffekten.
Was ist der wesentliche Grund für die Tatsache, dasswir dies schaffen? Die Antwort ist ganz einfach. Hierhilft ein Blick auf die Ausgaben. Wenn Sie sich an-schauen, wie sich die Ausgaben in den Haushalten dieserKoalition seit 2010 entwickelt haben, dann stellen Siefest: Wir hatten im Jahr 2010 Ausgaben des Bundes von303,7 Milliarden Euro. Im Jahre 2013 werden es302 Milliarden Euro sein. Das ist weniger als im Jahr2010.
Die Ausgaben gehen zurück.Nun zeigen Sie mir eine von der SPD geführte Bun-desregierung, zeigen Sie mir eine von den Grünen oderder SPD geführte Gebietskörperschaft oder Landesregie-rung, die es schafft, bei steigenden Einnahmen, beiverbesserter Situation aufgrund der Konjunktur das Aus-gabenniveau kontinuierlich zu senken! Zeigen Sie mireine, dann gestehe ich Ihnen tatsächlich zu, Sparanstren-gungen zu unternehmen. Wenn Sie das nicht können,müssen Sie zugeben: Die Einzigen, die wirklich konse-quent und über Jahre hinweg konsolidieren, sind CDU/CSU und FDP. Dafür steht diese bürgerliche Koalition.
Das ist aus meiner Sicht eine einmalige Leistung dieserKoalition. Das muss erst einmal jemand nachmachen.
Dennoch schaffen wir es, politische Schwerpunkte zusetzen. Wir geben von 2010 bis 2013 nicht nur, wie ver-sprochen, 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung undForschung aus; inzwischen sind es bereits 13,3 Milliar-den Euro. Das sind die richtigen und wichtigen Zu-kunftsinvestitionen. Gleichzeitig schaffen wir es, für denVerkehr nochmals deutlich mehr auszugeben. 2012 und2013 investieren wir 1,75 Milliarden Euro mehr in dieVerkehrsinfrastruktur. Das ist nicht nur ein Impuls fürdie Konjunktur, sondern das ist auch Standortsicherungund Zukunftsvorsorge. Deshalb machen wir das.Was macht die Opposition? Schauen Sie sich die Vor-schläge an, die die SPD im Zuge der Haushaltsberatun-gen gemacht hat! Dann sehen Sie: 6 Milliarden EuroMehrausgaben. Ausgabendisziplin sieht anders aus,meine Damen und Herren. 6 Milliarden Euro Mehraus-gaben, finanziert durch Steuererhöhungen, etwa bei derEinkommensteuer, durch die Abschaffung des Ehegat-tensplittings und durch die Wiedereinführung der Ver-mögensteuer, also durch Steuererhöhungen, die die Bür-ger belasten und die Wirtschaft abwürgen. Das ist derfalsche Weg.
Dass daneben im Bundesrat noch die notwendige Be-kämpfung der kalten Progression verweigert wird unddie CO2-Gebäudesanierung behindert wird, will ich andieser Stelle nur erwähnen.Und die Grünen? Die Grünen haben bei der Einbrin-gung des Haushalts noch kritisiert, dass wir den Ent-wicklungshilfeetat gegenüber dem Finanzplan um über670 Millionen Euro aufstocken; das haben die Grünen,liebe Kollegin Priska Hinz, kritisiert.
Bei den Beratungen haben die Grünen eine Erhöhungdieses Etats um über 900 Millionen Euro beantragt – na-türlich völlig ohne Gegenfinanzierung. Auch das ist keinAusweis seriöser Haushaltspolitik.
Über die Linken will ich gar nicht lange reden; siesind jenseits von Gut und Böse.
Jeweils 60 Milliarden Euro mehr Ausgaben und mehrEinnahmen, das ist ein Wünsch-dir-was-Konzert. Siefordern das Blaue vom Himmel. Das hat mit der Realitätnichts zu tun.Meine Damen und Herren, abschließend: Die Bürge-rinnen und Bürger dieses Landes können darauf ver-trauen:
Diese Koalition kämpft verlässlich und kontinuierlichfür stabile Verhältnisse in Europa, und diese Koalitionkämpft verlässlich und kontinuierlich in Deutschland fürmehr Wachstum, für mehr Beschäftigung und für mehrWohlstand.
Ich bedanke mich.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dietmar
Bartsch nun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immerwenn ich zu vergessen drohe, was Erfolgspropagandaist, höre ich Herrn Barthle, und dann weiß ich wieder,wie das geht:
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Dr. Dietmar Bartsch
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Es gibt keine Fehler; alles ist gut. – Das kenne ich aus ei-ner anderen Zeit. Wenn Sie hier von wachstumsgerechterKonsolidierung sprechen, dann glaube ich, Sie sprechenüber einen anderen Haushalt. Dieser Haushalt ist unso-lide, er setzt die Spaltung der Gesellschaft fort, und er istletztlich eine Gefährdung Europas.Herr Schäuble fährt heute zu einem Finanzministertref-fen. Wir haben in Europa wieder einmal eine dramatischeSituation. Die Aussagen, die Sie hier im Parlament ge-macht haben, und auch die Aussagen der Kanzlerin ha-ben eine erschreckend kurze Halbwertszeit. Es wurdeeinmal gesagt, dass es keine Hilfen mehr gibt. Jetzt ha-ben wir wieder eine andere Situation. In der CDUherrscht offensichtlich das völlige Chaos.
Herr Oettinger fordert einen Schuldenschnitt. Jeder er-zählt etwas anderes. Niemand weiß, wie die Situationwirklich ist. Sie beschönigen, Sie beruhigen, Sie beteu-ern Absichten. Aber in der Regel sind es Fehleinschät-zungen; es sind Fehlinformationen. Das alles soll nur derBeruhigung dienen. Der Preis aber, den die Euro-Länderund die Krisenstaaten zahlen, ist riesig. Ihr Europa-Kurs,Ihr Euro-Kurs ist gescheitert. Er ist genauso falsch wiedas gesamte Szenario der bisherigen Krisenbewältigung.
Vor allen Dingen: Sie haben in diesen Haushaltnichts, aber auch gar nichts dazu eingestellt. Das ist an-gesichts der aktuellen Situation unverantwortlich.Schauen Sie sich die Lage in den betroffenen Ländernan! In der letzten Woche gab es in mehreren LändernGeneralstreiks. In den letzten fünf Jahren ist das Brutto-inlandsprodukt in Griechenland um 20 Prozent gesun-ken; das gibt es sonst eigentlich nur im Krieg. Es kommtin den Ländern zu sozialen Verwerfungen. In Spanienund in Griechenland liegt die Arbeitslosenquote der un-ter 25-Jährigen bei über 50 Prozent. Das alles ist auchErgebnis Ihrer Politik. Die Grundursache ist im Übrigen,dass Sie eine Währungsunion geschaffen haben, ohneeine Sozialunion zu schaffen. Das ist der Grundmangel.
Ich will Sie eines fragen: Was haben Sie von der Gro-ßen Koalition damals in Deutschland gemacht, als dasWirtschaftswachstum um 5 Prozent eingebrochen ist?Sie haben gesagt: Wir müssen investieren, wir müssendie Abwrackprämie einführen, wir müssen die Bezugs-dauer des Kurzarbeitergeldes verlängern. – Das geschahübrigens auch mit Zustimmung der Linken. Das warendie richtigen Maßnahmen.Was machen Sie in Griechenland? Was machen Sie inSpanien? Das pure Gegenteil: Sie fordern Kürzungs-arien, eine nach der anderen. Sie wollen, dass bei denArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den Rentne-rinnen und Rentnern und bei den Studentinnen und Stu-denten gespart wird. Das ist Ihre Politik in diesen Län-dern. Diese Politik ist falsch. Sie muss zu einer solchenSituation führen. Warum werden nicht auch einmal denReichen in diesen Gesellschaften Auflagen gemacht, denMillionären in Griechenland, Spanien und Portugal?
Warum werden diese nicht einmal zur Kasse gebeten?Sie haben im Hinblick auf diese europapolitischen Risi-ken nichts – nichts! – in den Haushalt eingestellt.Es sind noch zehn Minuten – – zehn Monate bis zuden Bundestagswahlen.
– Es sind leider nicht zehn Minuten; es sind noch zehnMonate; das ist eine ganze Menge Zeit.
Diese Koalition ist eine Koalition des gebrochenen Ko-alitionsvertrages. Ich will daran erinnern, was vor Tischegesagt wurde: einfach, niedrig und gerecht. – Wo habenSie eigentlich eine Vereinfachung durchgesetzt? Wo ha-ben Sie für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft ge-sorgt? Nirgendwo!Ein ganz konkretes Beispiel. Im Koalitionsvertragsteht: Die Ostrenten werden in dieser Legislatur angeho-ben. – Was machen Sie? Sie brechen Ihren Koalitions-vertrag. Sie haben die Leute in den neuen Ländern letzt-lich wieder einmal – auf gut Deutsch muss man sagen –verarscht. Das ist Ihre Politik: Sie brechen Ihren eigenenKoalitionsvertrag.Mit Blick auf 2013 gibt es wieder einen Wettlauf derParteien darin, zu versprechen, dass die Angleichung inder nächsten Legislatur durchgeführt wird. Sie hattenden Leuten das versprochen; doch Sie haben es nicht re-alisiert.Diese Koalition ist die Koalition mit der zweithöchs-ten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepu-blik. Sie haben in dieser Koalition die Umverteilung vonunten nach oben fortgesetzt. Letztlich gefährden Sie dieZukunftschancen Deutschlands. Der Kitt aus Mövenpick-Steuer und Herdprämie ist zu schwach, um darauf er-folgreiches Regierungshandeln aufzubauen.
In einer zentralen Frage handeln Sie völlig falsch: Dasist das Thema Investitionen. Nun soll Herr Ramsauernoch einmal 750 Millionen Euro bekommen. Das ist si-cherlich richtig. Trotzdem bleiben Sie hinter den Anfor-derungen zurück. Wir müssen investieren in Deutsch-land, in Städtebauförderung und in energetischeGebäudesanierung. Wir müssen mehr tun für Kitas. Wirmüssen mehr tun bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Wir müs-sen in Krankenhäuser investieren. Das wäre notwendig.Hier bleiben Sie hinter allen Anforderungen zurück.Sie reden von Haushaltskonsolidierung und Schul-denabbau. Nach den Zahlen, die dargestellt wurden,müssten wir in einer hervorragenden Situation sein. Das
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Dr. Dietmar Bartsch
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ist aber nicht der Fall. Diese Koalition wird in den vierJahren über 100 Milliarden Euro neue Schulden machen –106 Milliarden Euro. Und dann reden Sie von Konsoli-dierung und Schuldenabbau!Alle Risiken blenden Sie aus. Schauen Sie sich dieKonjunkturentwicklung an: Für Europa wird von einemNullwachstum ausgegangen, für Deutschland von weni-ger als 1 Prozent Wachstum. Das ist in Ihrem Haushalt inkeiner Weise abgebildet. Die Situation in Frankreichletzte Nacht, wo spiegelt sich das im Haushalt wider?Was ist mit der Zinsentwicklung? Nur 1 Prozentpunkthöhere Zinsen, und wir haben 10 Milliarden Euro mehrAusgaben. Auch das spiegelt sich nicht wider.
Die Koalition macht diesen Haushalt wirklich nur mitBlick auf die Bundestagswahl.Deutschland ist in puncto Haushaltsdisziplin wahr-haftig kein Vorbild in Europa: Schauen Sie sich dieStaatsverschuldung an! Sie ist unter dieser Koalition auf82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Nachden Maastricht-Kriterien dürften es maximal 60 Prozentsein. Den Vertrag von Maastricht müssen doch auch Sieeinhalten. Wir liegen bei 82 Prozent!Eines ist ganz klar: Durch Ausgabenreduzierung wer-den wir dieser Situation nicht Herr werden. Sicherlichlässt sich auf der Ausgabenseite etwas machen; das istüberhaupt keine Frage. Das Kernproblem ist aber, dasswir in Deutschland ein Einnahmeproblem haben.
Wir müssen endlich dazu kommen, dass die Vermögen-den, die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden,meine Damen und Herren.
Das ist das Gebot der Stunde. Nur dann wird die Gesell-schaft funktionieren. Es ist doch nicht zu akzeptieren,dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschlandbei unter 1 Prozent liegen. In Frankreich, in Großbritan-nien, da liegen sie bei 4 Prozent. Warum wird bei uns indieser Richtung nichts getan?Warum ist es so absurd, in Deutschland eine Millio-närsteuer einzuführen? Im letzten Jahr ist die Zahl derVermögensmillionäre wieder gestiegen: In Deutschlandgibt es inzwischen 952 000 Vermögensmillionäre. DieZahl derjenigen, die Grundsicherung im Alter empfan-gen, ist ebenfalls gestiegen; das ist die andere Seite derMedaille. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist in denletzten beiden Jahren um 10 Prozent gestiegen, die Zahlder Empfängerinnen und Empfänger von Grundsiche-rung im Alter ebenfalls um 10 Prozent. Schauen Sie sichdie Einkommensentwicklung an: Die untersten 10 Pro-zent hatten in den letzten zehn Jahren einen Einkom-mensverlust von 9,6 Prozent zu beklagen. Die obersten10 Prozent haben eine Einkommenssteigerung um16,9 Prozent erzielt. Das ist doch eine Entwicklung, diewir allesamt nicht akzeptieren können.
Da müssen wir eingreifen: durch Steuerpolitik. In derSteuerpolitik muss gesteuert werden, meine Damen undHerren.Warum ist es so abwegig, die Erbschaftsteuer zu erhö-hen? In den nächsten Jahren werden in Deutschland2,6 Billionen Euro vererbt.
– Herr Fricke, ich weiß, dass die Erbschaftsteuer nicht inden Bundeshaushalt geht, sondern in die Haushalte derLänder. Ist das nicht auch etwas Vernünftiges? Also, dasist auch etwas Vernünftiges.
Schauen Sie sich die Situation in den Ländern und Kom-munen an! Sagen Sie doch nicht, dass das keine Maß-nahme ist, über die man nachdenken kann.In einer Sache, Herr Schäuble, will ich Sie ausdrück-lich loben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dassSie zusammen mit einigen Ländern in Europa bei derFinanztransaktionsteuer wirklich etwas hinbekommen.Das finde ich gut. Da haben Sie eine Idee der Linken,von Attac und anderen aufgenommen. Nehmen Sie mehrVorschläge von den Linken an! Ich sage Ihnen: Das istfür das Land nur gut. Es bringt unser Land voran, wennSie das, was wir vorschlagen, umsetzen.Ein wesentlicher Punkt – Kollege Carsten Schneiderhat auch darauf hingewiesen – ist der: Wenn wir nichtendlich die Finanzmärkte regulieren, die Banken regu-lieren und dafür sorgen, dass nicht wieder neue Spekula-tionen stattfinden, wird diese Finanzmarktkrise jedenHaushalt ad absurdum führen.Deswegen: Es ist notwendig, Ihre Politik der Spaltungder Gesellschaft und der Ungleichbehandlung von Ostund West sowie der Schwächung des Zusammenhalts inder Gesellschaft zu beenden. Ein Politikwechsel in unse-rem Land ist notwendig.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
Geschätzter Herr Bundestagspräsident! Meine Damenund Herren! Es ist immer wieder schön, zu sehen, dasses im Endeffekt einen grundsätzlichen Unterschied im
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Staatsverständnis zwischen der linken Seite des Hausesund der Mitte der deutschen Politik gibt.
Sie alle auf der linken Seite des Hauses wollen mehrStaat.
Sie wollen dem Bürger weismachen, dass Sie mit mehrStaat am Ende weniger Verschuldung machen. Was Siewollen, ist nichts anderes, als zu sagen: Bürger, ihrbraucht den Staat. Dann müsst ihr dafür auch mehrbezahlen. Wir verraten euch aber nicht, wie.Ich sage Ihnen voraus: Das nächste Mal, wenn einervon Ihnen an der Regierung sein wird, wird es wiedereine Mehrwertsteuererhöhung geben, weil Sie nichtanders haushalten können, als durch ständige Mehrein-nahmen Ihren ständigen Mehrausgaben hinterherzuren-nen.
– Man merkt jetzt an Ihrer Reaktion, dass genau das zu-trifft.
Die Koalition hingegen hat es anders gemacht. DerKollege Barthle hat das bereits gesagt. Der Bürger kannfür sich selbst überlegen: Wenn ich als Bürger sparenmuss, folge ich dann linker Ideologie und frage: „Wergibt mir mehr Geld?“, oder folge ich einem grundsätz-lich wirtschaftlich vernünftigen Ansatz und frage mich:Auf was kann ich, auf was soll ich und auf was muss ichverzichten? Diese unangenehme Frage wollen Sie nichtstellen und auch nicht beantworten. Man hat es wiederbei allen Wortbeiträgen gemerkt: Wenn es um die Fragegeht, wo Sie konkret einsparen wollen, bleiben Sie ver-schwiegen.
Dann ergehen Sie sich in allgemeinen Verschwurbelun-gen. Nichts, gar nichts Konkretes kommt von Ihnen.Wollen Sie im Sozialbereich einsparen? Wollen Siedas? – Nein, Sie wollen das nicht. Wollen Sie wirklichbei der Bundeswehr einsparen? – Wenn Ihre Verteidi-gungspolitiker im Laufe der Woche reden, dann werdensie sicherlich von Mehrausgaben sprechen. Wollen Siebei Verkehr und Wohnungsbau einsparen? – Nein, daswollen Sie nicht. Wenn Ihre Politiker auf diesen Bereichzu sprechen kommen, dann sagen sie, dass sie mehr aus-geben wollen.
Es ist doch immer dasselbe: Sie tun heute hier so, alswären Sie bereit, zu sparen, und werden den Rest derWoche wie immer sagen: mehr, mehr, mehr.
Anschließend kommen ein paar Leute von Ihnen undsagen: Wir würden gerne noch dafür sorgen, dass dasEhegattensplittung abgeschafft wird. – Mit anderen Wor-ten – das kann man dann auch den Bürgern sagen –:Liebe Eheleute, wenn ihr eure Kinder großgezogen habtund danach arbeitet, wird derjenige von euch, der weni-ger verdient, weniger Steuern zahlen, und derjenige voneuch, der mehr verdient, wird weit mehr Steuern bezah-len. – Das wird dann verschwurbelt. Aber am Ende wol-len Sie mehr Geld vom Bürger holen, um es an andererStelle zu verteilen und zu sagen, wie toll Sie sind.Wir jedoch glauben an den Bürger und gehen des-wegen an die Ausgabenseite heran. Kollege Barthle hatdas bereits gesagt: Das ist die Kernbotschaft dieser Ko-alition. Dies ist die einzige Koalition der BundesrepublikDeutschland, die am Ende einer Legislatur weniger aus-gibt als am Anfang. Daran kann man uns messen. Daskann man ablesen – viel besser als allgemeine Steuer-erhöhungsversprechungen und Mehrausgaben, die Siehaben wollen.
Dann kommt immer noch der Vorwurf, dass wir ganzschlecht agieren. Die Opposition sagt: Die Koalition istschlecht. – Die Koalition sagt: Wir sind gut.
Ich bin der Meinung: Fragen Sie doch einmal die Leute,die ihr Geld für das Alter sicher anlegen wollen. Wo legeich denn dann mein Geld in Europa an? Lege ich dasetwa beim Land Berlin – Rot geführt – an? Lege ich dasbeim Land Bremen – Rot geführt – an, oder lege ich dasim europäischen Ausland an? – Nein. Was ist der Hortder Sicherheit und Stabilität? – Die BundesrepublikDeutschland, geführt von einer schwarz-gelben Koali-tion!
Liebe Leute, stellen Sie nicht einfach nur irgendwel-che Behauptungen auf, sondern schauen Sie, wie dieBürger entscheiden, wenn sie sich fragen: Wo ist meinGeld sicher?Auch der nächste Vorwurf ist ein richtig schönes Vor-urteil, nämlich wir seien unsozial. Sie sagen: Wenn dieFDP dabei ist, kann das gar nicht sozial sein.
Da sieht man wieder, wie einfach strukturiert die linkeSeite des Hauses ist. Ich empfehle der linken Seite desHauses, doch einmal in die Zahlen zu gucken. Die Frage,wie sozial ein Haushalt ist, muss ich doch daran messen,
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wie viel Prozent des Haushaltes ich für Soziales aus-gebe.
– Jetzt kommt die Platte wieder. Mit anderen Worten:getroffene Hunde. So ist es an der Stelle.Diese Koalition gibt auch im Haushalt 2013 mehr fürSoziales aus, als es Rot-Grün in seiner Zeit geschafft hat.
Daran können Sie sehen: Dies ist ein Haushalt, der ei-nerseits die Frage berücksichtigt: „Wie spare ich?“, ohneandererseits die Frage der sozialen Verantwortung ausdem Auge zu lassen.Damit komme ich zu dem nächsten Vorwurf, das seiein Wahlkampfhaushalt. Ich erinnere mich daran, dass inWahlkampfhaushalten unter SPD-Finanzministern dieAusgaben immer stiegen, damit im Wahlkampfjahr mehrGeld ausgegeben werden konnte. Wir haben jetzt geradeaber gelernt, dass diese Koalition im Wahlkampfjahr we-niger ausgeben wird.
Ist das ein Wahlkampfhaushalt, wenn man weniger aus-gibt?Das ist ein Sparhaushalt, mit dem wir an die Vernunftder Leute appellieren. Wir glauben nicht daran, dass manmit Geschenken irgendeinen Wähler dazu bewegt,irgendetwas zu wählen. Ihre alte Theorie mag funktio-nieren, unsere ist, dass wir an die Vernunft der Wählerglauben,
die wissen, dass ein Staat, der sich auf das Wesentlichekonzentriert, der Staat ist, den sie als Bürger haben wol-len.
Meine Damen und Herren, wir setzen auch Schwer-punkte. Ich habe den Verkehrsminister eben lächelnsehen, als Herr Bartsch hier noch mehr Milliarden fürInfrastruktur und Gebäude gefordert hat.
Herr Verkehrsminister, ich gebe ehrlich zu, ich würdedafür auch gerne mehr ausgeben, aber es gibt Grenzen.Ich weiß auch, dass sich der Verteidigungsminister nichtfreut, dass wir bei den Personalverstärkungsmitteln nocheinmal etwas gekürzt haben, und ich weiß, dass wir imBereich der außenwirtschaftlichen ZusammenarbeitMittel gekürzt haben, was auch nicht allen gefällt.Das Interessante ist: All diese Kürzungen nimmt dieOpposition zwar wahr. Aber was ist die Antwort derOpposition? Sie lautet nicht etwa: „Ja, Sie sparen; das istokay“, sondern: Es ist falsch, dass Sie sparen; wir wollenhöhere Ausgaben.
Das ist der Unterschied: Wir haben die Verantwortungübernommen und die Bürde des Sparens und der Kritik,die wir für das Sparen bekommen, auf uns genommen.Ich darf auch den Koalitionären und den Haushältern derCDU und der CSU ausdrücklich sagen: Das war nichtimmer einfach, aber ich finde, das waren sehr gute Haus-haltsberatungen, bei denen von beiden Seiten Zuge-ständnisse gemacht werden mussten.
So gehört sich das meiner Meinung nach in einer funk-tionierenden Koalition auch.
Meine Damen und Herren, in einem Bereich sparenwir weiterhin nicht. Der Bürger sei versichert, dieseKoalition guckt in die Zukunft. Sie
weiß, dass das Thema Bildung und Forschung für dieZukunft essenziell ist,
weil sich die Rohstoffe eben nicht, wie es CDU, CSU,SPD, FDP, Grüne und Linke weiland dachten, nur in derErde befinden. Wir als Koalition haben erkannt: Derwesentliche Rohstoff befindet sich zwischen unserenOhren.
Deswegen werden wir den Bereich Bildung undForschung auch weiterhin ganz besonders vom Sparenausnehmen. Für diesen Bereich müssen wir sehr viel tun,gerade weil wir erkennen müssen, dass in einer globali-sierten Welt nur der vorne sein wird, der mehr weiß, derschneller lernt und der besser an der Stelle ist, wo dieAnforderungen eines Marktes sind. Das tut die Koali-tion, und das ist auch vorausschauend.Ein anderer netter Vorwurf vonseiten der Oppositionist, wir würden die Sozialkassen plündern.
Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob Sie nichtauch hier einmal die Zahlen gelten lassen sollten? Ichgreife jetzt nur einmal das Beispiel Gesundheit heraus:Kann es sein, dass die letzte Gesundheitsministerin, alssie am Ende einer Legislatur aus ihrem Amt geschiedenist, Schulden im Bereich Gesundheit hinterlassen hat?Kann es sein, dass der Gesundheitsminister, der hier,glaube ich, eine sehr gute Arbeit geleistet hat – das giltauch für seinen Vorgänger im Amte –, einen zweistelli-
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gen Milliardenbetrag als Puffer in den Sozialkassenlässt? Das ist der Unterschied.
– „Das ist doch die Konjunktur!“ Wissen Sie, was Siegemacht hätten, wenn Sie auch nur 1 Milliarde gefundenhätten? Sie hätten dann wieder überlegt, wo Sie dieseMilliarde noch ausgeben können, um sich lieb Kind zumachen. Das ist der Unterschied: Wir erhalten die Puf-fer, Sie geben das Geld aus, wundern sich am Ende, dasskein Geld da ist, und erhöhen die Steuern.
Meine Damen und Herren, das Liberale Sparbuch isthier angesprochen worden. Sie alle wissen, dass man denHaushalt vom Jahre 2009 nicht mit dem Haushalt vomJahre 2013 vergleichen kann. Ich will Ihnen aber einmalein paar Punkte nennen: Einsparung eines Staatssekre-tärs. – Macht ihr nie! – Haben wir gemacht! Elterngeldfür Hartz-IV-Empfänger. – Macht ihr nie! – Haben wirgemacht.
– Wir können an dieser Stelle gerne darüber reden, aberes ist so. Das tut euch sehr weh. – Reduzierung derMittel für den Arbeitsmarkt. – Haben wir gemacht, weilwir durch unsere Politik dazu in der Lage waren. Zu-schuss zur GKV – haben wir gekürzt.Guckt euch das Sparbuch an dieser Stelle bitte schöneinmal in Ruhe an! Ihr werdet dann feststellen, dass derGrundgedanke des Liberalen Sparbuchs, dort Ausgabenzu reduzieren, wo es möglich ist, mit dieser Koalition amEnde dieser Legislaturperiode umgesetzt worden ist,
was mich mit einer großen Befriedigung und Sie, wie ichhöre, mit großem Ärger erfüllt.Meine Damen und Herren, in Bezug auf den Haushaltgibt es zudem noch Zusatzanforderungen. Ich habe esbeim letzten Mal schon gesagt: Die größte Gefahr desHaushaltes sitzt nicht auf den Bänken der Opposition,weil sie dafür einfach zu schwach ist, sondern auf derBundesratsbank.Wir werden auch im Jahre 2013 wiederum 10 Milliar-den Euro zusätzlich für Länder und Kommunen ausge-ben. Wir helfen den Kommunen bei der Finanzierungder Grundsicherung im Alter. Wir sorgen dafür, dass wirunseren Anteil am ESM bezahlen.
Trotz alledem können wir die Neuverschuldung senken.Herr Steinbrück, um es klar zu sagen: Von 86 Milliar-den Euro, die Sie am Ende der Legislaturperiode inIhrem Entwurf für den Haushalt 2010 vorgesehen hatten,auf 17 Milliarden Euro herunterkommen und dieNeuverschuldung in vier Jahren um 70 Milliarden Eurosenken, und zwar trotz der Belastungen für Europa, trotzder Anforderungen der Länder, trotz der Anforderungenvon den Kommunen, ohne den Bürger zusätzlich zubelasten, das kann nur Schwarz-Gelb.Herzlichen Dank.
Nun hören wir dazu die grüne Version der KolleginPriska Hinz.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das warjetzt wieder einmal eine Rede für fast 3 Prozent.
Deswegen kann man davon ausgehen, dass dies dervierte und letzte Haushalt von Schwarz-Gelb ist.
Die Herausforderungen waren klar und lagen auf derHand: Die Energiewende musste in den letzten Jahrenvorangetrieben werden, die soziale Spaltung überwun-den werden, Steuergerechtigkeit hergestellt werden, unddie Neuverschuldung musste abgebaut werden. – DasFazit ist: Sie haben kläglich versagt!
In keinem Bereich haben Sie irgendetwas hinbekom-men. Die Energiewende ist nicht ausfinanziert. Die so-ziale Schere geht weiter auseinander. In der Steuerpolitikgibt es nur etwas für die eigene Klientel, lieber OttoFricke. Der Schuldenstand wird in den vier Jahren um100 Milliarden Euro gestiegen sein, obwohl es in diesemZeitraum bei den Steuereinnahmen einen Zuwachs von33 Milliarden Euro gibt. Das ist die Bilanz von Schwarz-Gelb.
Der Haushalt fügt sich in eine lange Reihe vergebenerChancen ein. Sie haben selten so gute Rahmenbedingun-gen wie in diesem Jahr gehabt, um das strukturelle Defi-zit im Haushalt dauerhaft zu senken. Aber statt vorzusor-gen, haben Sie das Gegenteil gemacht: Allein durch dieMehreinnahmen aufgrund der konjunkturellen Effekteund durch Ihre schlechten Buchungstricks bei den Priva-
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tisierungserlösen – dabei sind wir Ihnen sofort auf dieSchliche gekommen – hätte die Nettokreditaufnahme um2,8 Milliarden Euro gesenkt werden können. Aber Siehaben die Neuverschuldung nur um 1,7 Milliarden Euroabgesenkt, weil Sie nämlich immer wieder die Ausgabenerhöhen.Dabei nützt es gar nichts, dass Sie die Einführung desBetreuungsgeldes verschieben, weil Sie es am Endetrotzdem ausfinanzieren müssen. Dass Sie sich dafürrühmen, mehr Mittel für den Straßenbau bereitzustellen,damit Herr Ramsauer Spatenstiche in Bayern machenkann, ist an Frechheit wirklich kaum noch zu überbieten.
Ansonsten greift die Koalition bei der Bundesagenturfür Arbeit, beim Gesundheitsfonds und bei der Renten-versicherung zu. Mit 5,5 Milliarden Euro aus denTaschen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sollder Haushalt 2013 saniert werden. Da sage ich ganz klar,Otto Fricke: Wir halten es nicht für gerecht, gerade dieLeute zu schröpfen, die in den gesetzlichen Kassen ver-sichert sind.
Wir sind für Steuergerechtigkeit und dafür, dass Men-schen mit hohen Einnahmen und hohem Einkommendiesen Staat mitfinanzieren. Dabei geht es nicht um ei-nen starken Staat oder um mehr Staat, sondern es gehtum einen funktionierenden Staat.
Deutschland ist auch noch Krisengewinner. Deswe-gen ist es Ihnen möglich, den Haushalt so gut aussehenzu lassen. Allein 400 Millionen Euro verdienen wir anGriechenland, an dem ärmsten Land in der Euro-Zone.
Auch bei den Zinsen für unsere eigenen Schulden profi-tiert Deutschland massiv. Teilweise bekommen wir nochGeld dafür, wenn wir Staatsanleihen ausgeben.
Gegenüber dem Haushaltsentwurf sind die Zinsausgabenum fast eine halbe Milliarde gesunken. Langfristig be-trachtet haben wir Einsparungen in Milliardenhöhe.
– Nein, zurzeit ist das nicht schlimm. Nur müsste mandas nutzen, um im Haushalt Vorsorge zu betreiben, wasSie aber versäumen.
Man muss Vorsorge betreiben, weil das nicht so bleibt.Griechenland wird uns demnächst Geld kosten. Siesollten sich endlich einmal hier hinstellen, der Bevölke-rung reinen Wein einschenken, Frau Kanzlerin, und sa-gen: Wenn wir die politische Entscheidung treffen, Grie-chenland in der Euro-Zone zu halten – was wir Grünenimmer wollten und auch gesagt haben –, dann kostet unsdas auch Geld. Das geht nicht aus der Portokasse, unddas geht nicht allein aus Bürgschaften.
Das wäre wirklich wichtig; und es wäre auch ehrlich,wenn Sie es vor der Wahl sagen würden
und nicht erst nach der Wahl, wenn eine andere Regie-rung dran ist.
Meine Damen und Herren, die Grünen können dasbesser.
Unsere Haushaltspolitik orientiert sich an den gesell-schaftlichen Herausforderungen und Erfordernissen, undwir können auch noch besser haushalten als Schwarz-Gelb. Das werde ich Ihnen jetzt zeigen.
Wir wollen insgesamt 1 Milliarde Euro mehr in dieKinderbetreuung investieren. Da ist es besser angelegtals beim Betreuungsgeld, das nur Herrn Seehofer rettensoll.
Kommunen mit besonderem Bedarf sollen hier beson-ders profitieren. Bei Erwachsenen wollen wir mehrEngagement für Teilhabe und Chancengerechtigkeit.Wir wollen – natürlich – das Existenzminimum verbes-sern und den Regelsatz erhöhen, aber wir setzen auchkonsequent auf Bildung und Qualifizierung, sowohl beiArbeitslosen als auch bei Studierenden wie auch bei derberuflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern. Alleinvon Fachkräften zu reden, hilft nämlich nicht weiter.
Man muss auch etwas dafür tun, und man muss dafürauch investieren.
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Priska Hinz
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Die Energiewende muss sich auch im Haushalt sowiederfinden, dass sie gelingt. Andere Staaten schauennämlich auf uns und darauf, ob wir nicht nur den Atom-ausstieg, sondern auch die Energiewende schaffen. Dasgelingt nicht mit einem Sondervermögen, das von Zerti-fikatspreisen abhängig ist, und das gelingt vor allen Din-gen nicht mit einem Umweltminister, dem 25 Prozent er-neuerbare Energien zu viel sind, und das gelingt schongar nicht mit einem Wirtschaftsminister, der das Erneu-erbare-Energien-Gesetz schleifen will.
Nein, hier braucht es starke Grüne. Nur so können wirkünftig den Haushalt mitbestimmen.
Nun komme ich zur Rückwärtsrolle bei der ODA-Quote. Lieber Norbert Barthle, du hast hinsichtlich des0,7-Prozent-Ziels bei der ODA-Quote irgendwas miss-verstanden.
Wir haben kritisiert, dass nicht genügend Geld im Haus-haltsentwurf enthalten war, um das Ziel tatsächlich so zuerreichen, wie es international vereinbart ist. Was aberdie Koalition jetzt gemacht hat, ist, dass sie die Errei-chung des Ziels aufgegeben hat.
– Ihr habt das Ziel aufgegeben. Denn es wurden124 Millionen Euro gestrichen. Damit ist der Haushalterstmalig abgesenkt worden.
Damit lasst ihr auch die Kanzlerin im Regen stehen. Umsie tut es mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig leid.
Aber um die Staaten, die unsere Unterstützung brauchen,und um die Menschen, die dort leben, tut es mir leid.
Wir Grünen haben deutlich gemacht, dass wir das Aus-bauziel mit 1,2 Milliarden Euro mehr in diesem und inden nächsten Haushalten erreichen können.
Natürlich kosten die Zukunftsinitiativen, die ich ge-rade benannt habe, auch Geld. Das ist logisch. Dafürwollen wir ökologisch schädliche Subventionen ab-bauen. Dafür brauchen wir aber auch mehr Steuerge-rechtigkeit.
Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb, die in die Taschen derBeitragszahler greifen, sagen wir das ehrlich.
Ich glaube, dass Ehrlichkeit am längsten währt und dassdie Bevölkerung wissen will, wie Politik agiert, und dasentsprechend honoriert.Wenn wir „Mehr Steuergerechtigkeit“ sagen, dannmeinen wir auch Entlastung von unteren Einkommen.Außerdem wollen wir eine Vermögensabgabe; die Ein-nahmen daraus sollen ganz gezielt zum Schuldenabbaueingesetzt werden. Damit haben wir ein Alleinstellungs-merkmal; denn ansonsten hat niemand in diesem Saalund keine von den Parteien ein Konzept, um einen tat-sächlichen Schuldenabbau zu betreiben.
Wir Grüne wollen mutige Strukturentscheidungentreffen und damit den Haushalt zusätzlich um 4,6 Mil-liarden Euro entlasten. Jeder kann das nachrechnen. Das,was wir auf den Tisch gelegt haben, ist ganz seriös. Da-ran muss man den Haushalt der Koalition politisch undfaktisch messen. Wenn man ihn daran misst, lautet dasFazit: Schwarz-Gelb hat erstens nichts gespart und zwei-tens nichts in die Zukunft investiert. Grün kann es bes-ser. Wir sind gut auf den Herbst 2013 vorbereitet.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finan-zen, Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Ich habe während der Debattenbeiträgeder Redner der Opposition ein bisschen darüber nachge-dacht, ob unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger imAugenblick wirklich nichts anderes interessiert als dieTatsache, dass in einem Jahr Bundestagswahl ist. Mögli-cherweise ist unsere Wirtschaft in einer schwierigenLage. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Umeine glückliche Entwicklung fortzusetzen, bedarf es gro-ßer Anstrengungen. Die Wahl ist in einem Jahr, aber an-statt uns gegenseitig Umfrageergebnisse und Zeitungs-kommentare vorzuhalten, sollten wir uns vielleicht dochein bisschen mehr mit dem beschäftigen, was auch dieMenschen in diesem Lande interessiert, nämlich wie wireine erfolgreiche Politik in schwierigen Zeiten für dieZukunft unseres Landes fortsetzen.
– Ich weiß, dass Sie gerade Ihren Parteitag gehabt unddie Wahl Ihrer Spitzenkandidaten für die nächste Bun-destagswahl durchgeführt haben. Ich will das auch gar
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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nicht, Frau Künast, mit irgendwelchen von Ihnen danneher als hämisch empfundenen Bemerkungen kommen-tieren.
Ich wünsche mir vielmehr, dass wir diese Haushaltsde-batte auch dazu nutzen, uns mit der Substanz der Pro-bleme unseres Landes in Sachen Wirtschaft und Finan-zen zu beschäftigen.
Ich will es an einem einfachen Beispiel deutlich ma-chen. Wenn Sie sagen, wir hätten in dieser Legislatur-periode insgesamt 100 Milliarden Euro neue Schuldengemacht, dann will ich daran erinnern, dass zunächstHerr Steinbrück und ich gemeinsam in der Großen Ko-alition und dann ich als sein Nachfolger für dasJahr 2010 einen Haushaltsentwurf mit 86 MilliardenEuro Neuverschuldung vorlegen mussten. Wenn wir alsoin vier Jahren insgesamt auf eine Neuverschuldung von100 Milliarden Euro gekommen sind, kann es, ausge-hend von dieser Ausgangslage, nicht ganz so schlechtgewesen sein. Auch das muss man einmal sagen.
– Nein, aber es reicht jedenfalls dazu, zu veranschauli-chen, Herr Bartsch, dass man über Probleme nur dannernsthaft reden kann, wenn man mit den Zahlen einiger-maßen korrekt umgeht.Mit unserer Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik sindwir in die Bemühungen eingebettet, Europa stabil zu hal-ten, und nehmen Verantwortung für die Entwicklung derWeltwirtschaft wahr. Wir haben Absprachen und Verab-redungen seit 2008, seit der mit der Insolvenz von Leh-man Brothers verbundenen Krise, im Rahmen der G 20,im globalen Rahmen und mit dem Internationalen Wäh-rungsfonds. Diese Absprachen besagen, dass wir nach-haltig, aber maßvoll unsere Defizite reduzieren müssen,dass die zu hohe Staatsverschuldung überall reduziertwerden muss und wir das in einer Weise machen müs-sen, die unserer Verantwortung für die Entwicklungnachhaltigen Wachstums in der ganzen Welt, in den In-dustrieländern, in den Schwellenländern und in den Ent-wicklungsländern, gerecht wird. Das ist die internatio-nale Absprache, die wir gemeinsam getroffen haben undzu der wir mit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitikunseren Beitrag leisten.
Deswegen sollte man unseren Mitbürgerinnen undMitbürgern bei aller Verunsicherung doch einmal sagen:In allen Berichten von der EU-Kommission – hier gehtes um die länderspezifischen Empfehlungen und dieÜberwachung nach der Verschärfung des Sekundär-rechts –, von der OECD, vom Internationalen Wäh-rungsfonds wird wieder und wieder bestätigt, dassDeutschland seine europäischen und globalen Verpflich-tungen erfüllt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn alleanderen das auch täten, wäre es gut. Ich will jetzt abernicht über andere reden. Ich will auch nicht behaupten,dass wir Musterschüler sind, sondern ich sage: Wir be-mühen uns, unserer europäischen und globalen Verant-wortung gerecht zu werden. Das tun wir in diesen Tagenund Wochen, und damit sind wir ganz erfolgreich.
Nach dem Debattenverlauf möchte ich auch noch fol-gende Bemerkung machen: Natürlich kann man zu hoheVerschuldung auf unterschiedliche Weise zurückführen.Man kann auch darüber streiten, was das richtige Tempoist. Ich glaube, wir haben in der letzten Legislaturperiodemit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse dierichtige Entscheidung getroffen, nämlich uns, wieNorbert Barthle erläutert hat, im Wesentlichen auf dasstrukturelle Defizit zu konzentrieren. Das ist schließlichdie entscheidende Größenordnung in Bezug darauf, obeine Finanzpolitik in die richtige Richtung geht odernicht. Wenn wir in einem Jahr anteilig Kapital in die Eu-ropäische Investitionsbank oder auch in den Europäi-schen Stabilitätsmechanismus einzahlen, hat das ja mitder langfristigen Linie unserer Finanzpolitik relativ we-nig zu tun. Entscheidend ist also das strukturelle Defizit.Im Grundgesetz haben wir uns verpflichtet – diese Rege-lung, die wir gemeinsam getroffen haben, ist übrigensVorbild für alle Länder in Europa im Fiskalvertrag ge-worden; sie kann wohl nicht so dumm sein –, dass wirdas strukturelle Defizit im Bundeshaushalt bis spätestens2016 auf maximal 0,35 Prozent zurückführen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt, dender Haushaltsausschuss jetzt zur Verabschiedung vor-legt, sieht vor, dass bereits im kommenden Jahr dasstrukturelle Defizit im Bundeshaushalt auf 0,35 Prozentbzw. genau 0,34 Prozent des Bruttoinlandsprodukts be-grenzt wird. Wir schaffen das also drei Jahre vor demZeitpunkt, den wir uns im Grundgesetz selber vorgege-ben haben. Genau diese Linie werden wir in den kom-menden Jahren konsequent fortsetzen. Das entsprichtunserer Verantwortung für die Zukunft.
Nun kann man zwischen den verschiedenen politi-schen Lagern immer darüber streiten, wie man eine zuhohe Verschuldung zurückführt. Die einen fordern hö-here Steuern, während die anderen dafür plädieren, eherbei den Ausgaben kürzerzutreten. Das ist im Kern dieAlternative. Jetzt will ich Ihnen einmal die Ausgaben imBundeshaushalt nennen. Die Istausgaben betrugen 2010303 Milliarden Euro und 2011 296 Milliarden Euro. ImJahr 2012 sind die Ausgaben durch die zwei Nachtrags-haushalte mit den Kapitaleinzahlungen in ESM und EIBnoch einmal auf 311 Milliarden Euro gestiegen. Nachdem zu verabschiedenden Haushalt werden sie 2013302 Milliarden Euro betragen und nach der mittelfristi-gen Finanzplanung 2014 bei 302,9 Milliarden Euro und2015 bei 303,3 Milliarden Euro liegen. Das heißt: Von2010 bis 2015 halten wir die Ausgaben im Bundeshaus-halt konstant – bei steigendem Bruttoinlandsprodukt undbei steigenden Steuereinnahmen. So reduzieren wir un-ser Defizit. Das ist die Finanzpolitik der christlich-libe-ralen Koalition. Sie ist erfolgreich, und sie sichert unsereZukunft.
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Wir müssen das vor dem Hintergrund machen, dasssich die wirtschaftliche Lage eher abschwächt. Das istweltweit so. Es ist alles gar nicht nur auf Europa be-schränkt. Was Europa angeht, haben wir heute Nacht dieNachricht bekommen, dass unser wichtigster Partnervon einer Ratingagentur eine ein kleines bisschen mah-nende Beurteilung bekommen hat. Noch immer ist dasRating für Frankreich sehr stabil. Das sage ich ganzdeutlich, damit man da auch jede Dramatisierung mei-det. Wir haben jedes Interesse daran, dass wir alle in Eu-ropa unsere Aufgaben wahrnehmen und unserer Verant-wortung gerecht werden.Wir müssen allerdings sehen, dass wir im kommen-den Jahr nur mit verringertem Wachstum rechnen kön-nen. Damit ist eine gewisse Verlangsamung der wirt-schaftlichen Entwicklung zu verzeichnen – in unseremLand, in Europa und in der globalen Wirtschaft. Vor die-sem Hintergrund haben wir dennoch Vorsorge getroffen.Es ist ja völlig unbestritten, Deutschland ist in EuropaStabilitätsanker und zugleich Wachstumslokomotive.Ohne Deutschland wäre Europa insgesamt, die EU unddie Euro-Zone, in der Rezession. Wir sichern mit unsererPolitik, dass es zwar auf einem niederen Niveau, abernachhaltig weiterhin aufwärts geht. Das ist die entschei-dende Frage. Dieser Herausforderung wird unser Haus-halt gerecht.Jetzt haben Sie gesagt, man müsse auch in der Steuer-politik mehr machen, und eine entsprechende Diskus-sion angeregt. Diese Argumentation ist allerdings einbisschen unglaubwürdig; das muss ich in aller Freund-lichkeit sagen. Man kann nicht auf der einen Seite überden Bundesrat jede noch so sinnvolle Maßnahme ausparteipolitischen Gründen blockieren und gleichzeitigsagen: Es geschieht in der Steuerpolitik nichts. Das istdie Methode „Haltet den Dieb!“, und die wird vomStrafrecht längst erkannt.
Es ist völlig inakzeptabel, wenn der Bundesrat – indem wir keine Mehrheit haben; für Steuergesetze brau-chen wir seine Zustimmung; so ist es nach dem Grund-gesetz – noch nicht einmal bereit ist, die kalte Steuerpro-gression zu korrigieren,
also dem Zusammenwirken von – wenn auch maßvoller –Preissteigerung bzw. Geldentwertung und Steuerpro-gression entgegenzuwirken. Wir wollen den Steuer-pflichtigen nichts zurückgeben, sondern nur verhindern,dass durch das Zusammenwirken von Steuerprogressionund Preissteigerungen Steuereinnahmen erzielt werden,die der Gesetzgeber so gar nicht beschlossen hat. WennSozialdemokraten und Grüne dies im Bundesrat blockie-ren, dann sollten sie aufhören, noch irgendeine Kritik anunserer Steuerpolitik zu erheben.
Weil wir gerade bei diesem Thema sind, will ich mitallem Nachdruck sagen: Wir haben nicht nur für denBund Verpflichtungen, unseren Haushalt in Ordnung zubringen – wir machen das –, sondern wir haben aucheine gesamtstaatliche Verantwortung, Stichwort „Fiskal-vertrag“. Auch das hat Norbert Barthle sehr präzise be-schrieben. Wir haben uns verpflichtet – das ist auch rich-tig und notwendig –, das gesamtstaatliche Defizit, alsodas von Bund, Ländern, Kommunen und gesetzlichenSozialversicherungen, auf maximal 0,5 Prozent desBruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Insofern geht esauch um die Haushalte von Ländern und Gemeinden.Wir haben übrigens in dieser Legislaturperiode für dieKommunalhaushalte mehr getan, als die Präsidenten derkommunalen Spitzenverbände selbst auch nur zu hoffengewagt hätten. Auch das ist die Wahrheit.
– Doch, natürlich. Allein die Übernahme der Kosten fürdie Grundsicherung im Alter, die Rot-Grün zu einemgroßen Teil auf die Kommunen übertragen hat, in vollerHöhe macht einen rasch ansteigenden Milliardenbetragaus. Darüber brauchen wir nicht lange zu reden.
– Na ja, Herr Steinmeier, es hilft nichts. Sie haben es ein-geführt unter Rot-Grün. Sie haben einen großen Teil die-ser Kosten auf die Kommunen übertragen, und wirhaben es zurückgenommen. Selbst der Präsident desDeutschen Städtetages war wirklich hocherfreut undüberrascht. Da er ein fleißiger Sozialdemokrat ist, hat eres am nächsten Tag – –
– Sie haben es doch eingeführt, und wir haben es zurück-genommen. Es macht keinen Sinn, uns jetzt zu sagen,Sie hätten uns dazu gezwungen, Ihre eigenen Fehler zukorrigieren. Hätten Sie diese Fehler nicht gemacht, hät-ten wir sie auch nicht zu korrigieren brauchen.
Jedenfalls haben wir eine kommunalfreundliche Politikbetrieben.Sie, Herr Steinmeier, werden mich auch nicht davonabhalten, folgenden Satz noch zu sagen: Vor dem Hinter-grund, dass Bund, Länder und Kommunen knappe Ein-nahmen haben, fände ich es völlig inakzeptabel, wennder Bundesrat seine Zustimmung zu dem Steuerabkom-men mit der Schweiz verweigern sollte.
Es gibt kein rational nachvollziehbares Argument, esgibt ausschließlich ein parteipolitisch zu begründendesMotiv dafür, dass man mit billiger Polemik dieses Ab-kommen zu verhindern versucht. Es ist klar: Wenn die-
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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ses Abkommen nicht zustande kommen sollte, dannwird sich ab dem 1. Januar der Zustand fortsetzen, dassVermögensanlagen in der Schweiz steuerlich nicht sowie Vermögensanlagen in Deutschland erfasst werden.Kommt dieses Abkommen zustande, wird ab 1. Januar2013 jede Anlage in der Schweiz genauso behandelt wieeine Anlage in Deutschland.
Es wird dann keinen Unterschied mehr geben.Im Falle von Erbschaften wird immer der deutscheFiskus profitieren. Und da die Erbschaftsteuer aus-schließlich an die Länder geht, können Sie über die Erb-schaftsteuer überhaupt nicht reden, wenn Sie dieses Ab-kommen aus parteipolitischen Gründen blockieren.
Im Falle einer Erbschaft wird entweder die reguläre Be-steuerung durchgeführt, oder es kommt der höchstmögli-che Steuersatz zur Anwendung. Darüber hinaus treffenwir eine Regelung für Fälle der Vergangenheit. Niemandkann rückwirkend belangt werden, weil auch dieSchweiz ein Rechtsstaat ist. Das Schweizer Bankenge-heimnis kann man nicht rückwirkend außer Kraft setzen.Das ist auch im Hinblick auf das Bankengeheimnis derUSA der Fall. Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, dieUSA hätten gegenüber der Schweiz rückwirkend etwaserreicht.
Ich sage noch einmal mit großer Klarheit: Das ist eineLüge.Wir haben im Hinblick auf die Vergangenheit eineRegelung formuliert, die diejenigen, die von der Anony-mität Gebrauch machen, steuerlich schlechterstellt, alswenn bei ihnen die Regelbesteuerung durchgeführtwürde. Wenn Sie dieses Abkommen aber verhindern,wird das Ergebnis sein, dass Einnahmen in Milliarden-höhe für Bund und Länder auf Dauer verloren sind; dennSteueransprüche verjähren innerhalb von zehn Jahren,und was verjährt ist, ist nicht mehr zu erheben. Also:Wenn Sie sich für die Einnahmen von Bund und Ländernverantwortlich fühlen, geben Sie die ausschließlich par-teipolitisch motivierte Blockade auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um zum Kern derHaushaltsdebatte zurückzukehren: Natürlich haben wirbei dem heute Abend stattfindenden Treffen der Staats-und Regierungschefs der Euro-Gruppe über die mittel-fristige Finanzplanung in der Europäischen Unionschwierige und wichtige Entscheidungen vor uns. Wiralle wissen, dass der Wohlstand der Deutschen auf Ge-deih und Verderb von einer erfolgreichen Fortsetzungder Entwicklung in Europa und auch von einer gemein-samen europäischen Währung entscheidend abhängt.Deswegen engagieren wir uns dafür, nachhaltige Lösun-gen zu finden. Die Lösungen müssen aber so sein, dassalle in Europa den Anreiz haben, ihren Verpflichtungenals Mitglied einer Wirtschafts- und Währungsunion ge-recht zu werden. Das ist die Herausforderung. Wir wer-den uns alle Mühe geben, ihr gerecht zu werden. Überdie Ergebnisse der Beratungen werden wir in den nächs-ten Tagen zu diskutieren haben.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr BundesministerSchäuble hat gerade gesagt, es gehe darum, dass dieFinanzpolitik in die richtige Richtung geht. Können Siesich vorstellen, wie verzweifelt eine Opposition ist,wenn sie nach einer finanzpolitischen Richtung sucht?
Das ist eine richtige Strafe für eine Opposition, weil eskeine Richtung gibt.
Herr Schäuble hat noch etwas Interessantes gesagt,was ich nicht richtig zusammenbringe. Er hat gesagt:Deutschland ist eine Wachstumslokomotive auf niedri-gem Niveau.
Wie das funktionieren soll, muss man erst einmal erklä-ren.Er hat auch gesagt: Der Bundesrat blockiert das Ab-kommen mit der Schweiz. Gott sei Dank blockiert erdieses.
Es würde in den nächsten Jahren zu einer Anonymisie-rung illegaler Einnahmen führen. Der Gauner wird ano-nymisiert. Der Ehrliche zahlt Steuern. Das ist ungerecht,und das wollen wir nicht. So einfach ist das.
Wenn Sie das wollen, wollen Sie eine ungerechte Politik.Die kalte Progression ist eine Chimäre, ein Märchen.Das beweise ich nicht unter Rückgriff auf die SPD-Frak-tion, sondern auf das Bundesministerium der Finanzen.Es hat uns mitgeteilt, dass die Wirkung der kalten Pro-
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gression in den vergangenen 15 Jahren nie zur Geltunggekommen ist durch Steuersenkungen und durch Ver-schiebungen der Grenzsteuersatzkurve. Es ist ein Projektvon Ihnen, das zum Scheitern verurteilt ist, weil es einProblem löst, das es nicht gibt.
Otto Fricke hat vorhin gesagt, wenn ich es richtig ver-standen habe:
Wir – er meint die FDP – haben die Bürde des Sparensauf uns genommen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel klarmachen. Waspassiert, wenn zum Beispiel der FDP-Kollege Koppelinund der FDP-Kollege Niebel ein persönliches Problemmiteinander haben und sich miteinander fetzen? Wiewirkt sich die genannte Bürde des Sparens aus? Sie wirktsich so aus, dass die Gelder im Einzelplan 23, also demfür Entwicklungspolitik und für Entwicklungszusam-menarbeit, gekürzt werden. Das Kürzen dieser Gelderfindet aber auf dem Rücken der Ärmsten dieser Weltstatt, weil sich zwei Leute in der FDP nicht verstehen.Was sollen wir in der Opposition machen, wenn ihr euchso fetzt? Dann ist doch alles, was wir kritisieren, nur einkleiner Tropfen auf den heißen Stein.
Man muss sagen: Ihr nehmt der Opposition dieChance, eine gute Politik zu machen.
– Das ist klar. Mehr muss ich gar nicht sagen.Was braucht ein gesunder Haushalt? Er muss die not-wendigen Ausgaben – –
Herr Kollege Binding, darf der Kollege Koppelin eine
Zwischenbemerkung machen oder Zwischenfrage stel-
len?
Der Kollege Koppelin darf eine Zwischenfrage stel-
len.
Herr Kollege Binding, abgesehen davon, dass Ihre
Darstellung völlig falsch ist:
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass laut Proto-
koll des Haushaltsausschusses auch die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen diesem Antrag zugestimmt hat? Das
hätte ich auch der Kollegin Hinz vorhin gerne gesagt.
Ich bin bereit, vieles zur Kenntnis zu nehmen. Aller-dings bin ich nicht derjenige, der für oder gegen die Grü-nen argumentiert, sondern ich argumentiere für unserePosition. Es ist völlig klar, dass wir der Entwicklungs-politik eine große Bedeutung beimessen
und sogar dabei geholfen haben, dass der Haushalt vonMinister Niebel etwas angehoben wird. Allerdings hatdie Regierungskoalition der von uns geforderten Anhe-bung um 1,2 Milliarden Euro, um so die ODA-Quotelangsam erreichen zu können, nicht zugestimmt. Inso-fern ist unsere Politik sehr konsistent im Zeitverlauf.
Was Sie gemacht haben, stellt einen krassen Bruch al-ler internationalen Versprechen dar, die Sie seit 2000 ge-geben haben.
Herr Niebel hat an dieser Stelle gravierend versagt, weiler diese Kürzung nicht verhindert hat.
Wie kann man denn so etwas machen? Drei Jahre langhebt man an, weil die Politik gut ist, und im vierten Jahrhakt einer dazwischen, der ein persönliches Problem hat.Man kann persönliche Probleme haben, aber die darfman im Haushaltsbereich nicht auf dem Rücken andereraustragen. Erst recht darf man dann nicht sagen, die FDPtrage die Bürde des Sparens. Das passt überhaupt nichtzusammen.
Wir schauen in den Haushalt und nehmen die notwen-digen Ausgaben in den Blick. Was finden wir? Wir fin-den das Betreuungsgeld, wir finden die Hotelsteuer.
Wir finden einen Schlingerkurs in der Energiewende.Was das einmal kosten wird, können wir jetzt noch garnicht projektieren. Was für ein finanzpolitisches Desas-ter das Hin und Her in der Atomkraft bedeuten wird,wage ich noch gar nicht auszurechnen – von ökologischschädlichen Subventionen ganz zu schweigen.Wir nehmen aber auch die Einnahmeseite in denBlick. Was haben Sie gemacht? Schlupflöcher für Kon-zerne aufgerissen, ganz eindeutig. Ich nenne hier nur dasStichwort „Funktionsverlagerung“. Aber auch zulastender Kommunen haben Sie gehandelt. Hier gibt es Rie-senprobleme. Sie haben mit einem wahnsinnigen Pompdie Gewerbesteuerreform angekündigt, sogar eine ei-gene Arbeitsgruppe gegründet. Was passiert nach zweiJahren? Sie ist eingeschlafen, Fehlanzeige, keine Leis-tung in dieser Arbeitsgruppe. Das ist ein typisches Kenn-zeichen dieser Regierung.
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Lothar Binding
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Sie haben groß eine Reform zur Umsatzsteuer ange-kündigt. Was ist übrig geblieben? Abgesehen von derHotelsteuer nichts. Sie haben die Reform der Einkom-mensteuer groß angekündigt. Im Hinblick auf die Einnah-meseite ist nichts passiert. Hinzu kommt der leichtfertigeUmgang mit der Besteuerung der Streubesitzdividendenkürzlich. Das, was diese Regierung macht, ist einfachein Desaster.Es gibt allerdings auch Lerneffekte. Das will ich garnicht bestreiten. Damals, 2004, wollten Sie die Gesund-heitsreform eigentlich verhindern. Wir wollten, dass derHausarzt als Lotse fungiert. Das war eine kluge Idee. DieCSU hat im Gegenzug im Bundesrat die Einführung derPraxisgebühr in Höhe von 10 Euro erpresst. Das war imJahr 2004; vor zwei Wochen haben wir sie nun abge-schafft.
Ich würde sagen: Wer nach acht Jahren darauf kommt,dass die SPD-Position richtig war, der hat etwas gelernt.Es hätte schneller gehen können, aber immerhin!
Die Studiengebühren in Bayern, 2007 von der CSUeingeführt, sollen nun abgeschafft werden. Die FDP al-lerdings will sie gerne erhalten. Noch 2008 haben beideFraktionen die Studiengebühren in der Koalitionsverein-barung bekräftigt. Ich würde sagen: Wenn jemand nachfünf Jahren zu dem Erkenntnisstand kommt, den dieSPD schon immer hatte, ist das ein gewisser Lerneffekt.Jetzt stellt sich die Frage nach dem Betreuungsgeld:eingeführt 2012, beschlossen auf Druck der CSU. Jetzterhebt sich natürlich der Verdacht, dass das nur deshalbpassiert ist, weil man plant, es zum richtigen Zeitpunktwieder abzuschaffen.
Ich glaube, das ist eine supergute Politik. Man kann da-ran das erkennen, was der Minister – wie hat er gesagt? –„Richtung“ nannte. Das ist wirklich super: erst hin unddann her. Hin ist zwar eine Richtung, und Her ist aucheine Richtung, nur: Es gibt dann letztlich keine Rich-tung.
Wir können von den Ökonomen Giovanni Callegariund Giovanni Melina etwas sehr Interessantes lernen.Hierbei handelt es sich nicht um Ökonomen der SPD-Fraktion – obwohl sie vielleicht hineinpassen würden –,sondern um Ökonomen vom IWF. Von diesen könnenwir lernen, dass Sparpolitik abhängig vom Zeitpunkt istund es deshalb nicht genügt, bloß über das Sparen zu re-den. Sie sagen nämlich: Die Klugheit des Sparens hängtnicht davon ab, ob man spart, sondern wann man spart.Die Untersuchung vieler internationaler Strategien beimSchuldenabbau zeigt, dass die Kürzung von Staatsausga-ben gut sein kann oder schlecht. Jedenfalls wissen wir:Wenn wir 100 Euro – –
– Ja, die SPD kennt sich da aus, deshalb trage ich das sovor. Denn wir machen eine andere Finanz- und Wirt-schaftspolitik als die, die wir hier mit der „leerenMenge“ vorfinden.
Nun zu einem Beispiel aus der Untersuchung: DieKürzung der Staatsausgaben um 100 Euro führt im Ab-schwung zu einer Verringerung des Bruttoinlandspro-dukts um 249 Euro, allerdings nur um 35 Euro im Auf-schwung. Die Erhöhung der Steuern, die Sie immer soverteufeln, die wir jedoch aus Gerechtigkeitsgründenvornehmen, senkt – das ist ganz interessant – bei einemVergleichswert von 100 Euro das Bruttoinlandsproduktim Abschwung um 7 Euro. Und da reden Sie immer voneinem großen Drama. Wenn dies jedoch zu Zeiten ge-schieht, in denen das BIP steigt, dann steigt das BIP um6 Euro. Jetzt erkennt man Ihren Fehler: Sie haben daseine zum falschen Zeitpunkt gemacht und das andereganz vergessen. Das Problem ist, dass Sie im Auf-schwung keine Steuern angehoben haben. Sie könnenlernen, dass das notwendig gewesen wäre, um eine echteKonsolidierung, auch im Sinne der Schuldenbremse,hinzubekommen. Wer die Wissenschaft so hintanstelltund sich in Bezug auf unseren Staat so kontraproduktivverhält, der braucht sich gar nicht zu wundern, dass dieRegierung da steht, wo sie jetzt steht.
Ich will Sie daran erinnern, wo Sie angefangen haben,auf einem Niveau, das Sie fast nie mehr verlassen haben– in gewisser Weise wirft das ein Schlaglicht auf die ver-gangenen fast vier Jahre –: Daniel Bahr hat damals ge-sagt, die CSU sei eine „Wildsau“.
Christian Lindner hat gesagt, der Seehofer habe ein „per-sönliches Trauma“. Alexander Dobrindt hat gesagt, dieFDP sei eine „gesundheitspolitische Gurkentruppe“. –Ich höre gerade, dass sich Herr Bahr korrigieren will. Dafreue ich mich.Ich bedanke mich vielmals und hoffe auf eine neueRegierung.
Herr Kollege Binding, bevor nun alle von Ihnen zumSchluss angesprochenen Kollegen der Reihe nach erklä-ren, dass sie das niemals gesagt hätten, jedenfalls nichtso, nehme ich dies gewissermaßen in cumulo zu Proto-koll.Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kol-lege Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So-lide Staatsfinanzen setzen kluge Steuerpolitik voraus.
Deswegen hat die christlich-liberale Koalition sich zumklaren Ziel gemacht, steuerpolitisch maßvoll vorzuge-hen,
der Versuchung zu widerstehen, Steuern zu erhöhen, undstattdessen den Haushalt auf der Ausgabenseite zu kon-solidieren.Wir haben zu Beginn unserer Regierungsverantwor-tung mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz insbe-sondere Familien in Milliardenhöhe entlastet und da-durch eine spürbare Belebung der Binnennachfrageerzielt. Wir haben Substanzbesteuerung für den Mittel-stand abgebaut und auch deshalb einen europäischenWachstumsrekord erzielt. Wir haben Steuervereinfa-chungen auf den Weg gebracht, wo sie finanzierbar wa-ren: Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht, Reisekosten-recht vereinfacht, einfache Ermittlung der Kosten beidoppelter Haushaltsführung ermöglicht, das Problem derGewinnabführungsverträge bei den Regelungen dersteuerlichen Organschaft in Angriff genommen. All dassind Verbesserungen der Rahmenbedingungen für dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für denUnternehmensstandort Deutschland.Wir haben mit dem Gesetz zum Abbau der kalten Pro-gression etwas ganz Wichtiges auf den Weg gebracht,nämlich einen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer vor inflationsbedingten Steuererhöhungen.Wir verfolgen damit zwei Ziele: Zum einen wollen wirden Druck von den Tarifpartnern nehmen, um die Wett-bewerbsfähigkeit des Landes zu steigern. Denn dadurchvermeidet man erhöhte Lohnstückkosten, und die Pro-dukte, die in Deutschland hergestellt werden, sind aufdem internationalen Markt wettbewerbsfähiger. Zum an-deren ist es ein wichtiges Element unserer europäischenStabilitätspolitik. Indem wir sagen, dass der Staat nichtan Inflation verdienen soll, setzen wir auf nationalerEbene das um, was wir auf europäischer Ebene fordern:Wir zeigen uns entschlossen im Kampf gegen Inflation.
Ich halte es für unverfroren, dass Sozialdemokraten indiesem Zusammenhang immer von „unnötigen Geschen-ken“ sprechen. Für uns, für die christlich-liberale Koali-tion, sind Lohnerhöhungen keine Geschenke, denn dieMenschen haben sie sich hart erarbeitet. Im Gegensatzzu Rot-Grün wollen wir deswegen nicht, dass die Lohn-erhöhungen wegbesteuert werden.
Es ist traurig, dass Sie im Bundesrat mit Ihrer rot-grünenMehrheit nur aus parteitaktischen Gründen Nein dazusagen und dass Sie es die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer ausbaden lassen. Aber dass Sozialdemokra-ten und Grüne bewusst die Verfassung verletzen, indemsie selbst die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetra-ges verweigern, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, istskandalös.
Nun haben die Grünen auf ihrem Parteitag beschlos-sen, die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die ge-gen Auflagen verstoßen, abzuschaffen.
Gleichzeitig sollen die Hartz-IV-Sätze angehoben wer-den. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wasist denn das für eine Politik? Die Verstöße gegen Aufla-gen sind gerade auf Rekordniveau angestiegen, und dieGrünen wollen die Sanktionen abschaffen.
Für die Grünen gilt: Wer arbeitet, soll kein geschütztesExistenzminimum haben; wer nicht arbeitet, soll ein hö-heres geschütztes Existenzminimum haben. Für die Grü-nen gilt: Wer arbeitet und Steuern zahlt, soll vom Staatstreng kontrolliert werden; dem, der nicht arbeitet, son-dern Sozialleistungen erhält, ist Kontrolle nicht zuzumu-ten. – Das ist die wahre Politik der Grünen, und mit die-ser Politik spalten Sie die Gesellschaft, weil Sie diearbeitende Mitte verhöhnen. Sie machen sich über dieMenschen lustig, die morgens aufstehen und arbeiten ge-hen.
Das zeigt auch Ihre Haltung zum deutsch-schweizeri-schen Steuerabkommen. Sie lehnen das Abkommen ab,wissen aber genau, dass die Schweiz das Bankgeheimnisniemals rückwirkend aufheben kann. Rückwirkend be-lastende Gesetze sind sowohl in Deutschland als auch inder Schweiz verfassungswidrig.
Trotzdem erzählen Sie den Menschen – bewusst derWahrheit zuwider –, dass man noch nachverhandelnmüsse, erst dann könnten Sie dem Abkommen zustim-men.
In Wahrheit ist das schäbig, weil Sie damit nur eines be-wirken: dass die Steuerforderungen Deutschlands ver-jähren und die Gelder niemals mehr in die öffentlichen
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25124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Dr. Volker Wissing
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Haushalte fließen können. Die Wahrheit ist, dass die flei-ßigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ehrli-chen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Lücken fül-len, die Sie provozieren. Was verjährt, wird niemalswieder besteuert werden können; das ist die Wahrheit.Das ist das Schäbige an Ihrer Blockadepolitik im Bun-destag.
Es ist Zynismus pur, wie Sie Ihre politische Verantwor-tung zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in Deutschland wahrnehmen.
Lassen Sie mich auf Ihre Steuerkonzepte zu sprechenkommen, Herr Kollege Binding und Frau Kollegin Hinz.
Sie wollen Deutschland mit einer Vermögensabgabe be-glücken, Sie wollen die Anhebung des Einkommensteu-ertarifs, höhere Unternehmensteuern, höhere Erbschaft-und Schenkungsteuern und eine Finanztransaktionsteuer.Sie fordern genau das, was in unserem NachbarlandFrankreich von der neuen Regierung umgesetzt wurde.Wir haben noch die Bilder vor Augen, als Herr Gabriel,Peer Steinbrück und Herr Steinmeier nach Paris gefah-ren sind, um François Hollande für seine Politik zu beju-beln. Ihre Botschaft damals: Schaut her! Das ist einLand, in dem rot-grüne Finanzpolitik umgesetzt wird.Meine Damen und Herren, heute sehen wir das Er-gebnis dieser Politik. Sie ist grandios gescheitert. Frank-reich hat beim Wachstum nicht zugelegt, sondern ist zu-rückgefallen. Die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs istnicht gestiegen, sondern gesunken. Die KreditwürdigkeitFrankreichs wurde herabgestuft. Wollen Sie das denDeutschen wirklich zumuten? Gestehen Sie sich dochendlich ein, dass die rot-grüne Politik, für die Sie dieFranzosen bejubelt haben, dort grandios gescheitert ist!
Ehrlich wäre es, wenn Herr Gabriel, Herr Steinbrückund Herr Steinmeier heute nach Paris fahren, Bilder vordem Palais de l’Élysée liefern und sagen würden: Ja, diePolitik, die wir für richtig gehalten haben, hat Frankreichnicht weitergebracht, sondern zurückgeworfen. Ja, dieseSteuererhöhungspolitik ist gescheitert, weil sie zu wirt-schaftlichem Rückgang und damit Frankreich in dieNähe der Rezession geführt hat.
Richtig wäre es, wenn Sie nicht den gleichen Unsinnwieder auf Ihrem Grünen-Parteitag beschlossen hätten,sondern wenn Sie sich Gedanken machen würden, wieman wirklich Wachstum schafft, nämlich nicht durchneue Schulden und auch nicht durch massive Steuerer-höhungen. Sie sind finanzpolitisch komplett gescheitert;der Nachweis ist in Frankreich gerade erbracht worden.
Wir haben gezeigt, dass man mit einer Schulden-bremse und einer soliden Ausgabenpolitik solide Staats-finanzen schaffen kann. Wir haben die Schuldenbremsenicht nur im deutschen Grundgesetz verankert, sondernwir haben sie zum Exportschlager in Europa gemacht.Wir haben erkannt, dass man bei Rekordsteuereinnah-men nicht die Steuern erhöhen muss, sondern dass mansolide wirtschaften und wachstumsorientiert konsolidie-ren muss. Diese Bundesregierung ist der Fels in derBrandung Europas, der Stabilitätsanker für solide Staats-finanzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wird in jederFinanzdebatte immer wieder das Märchen erzählt, manmüsse endlich die Finanzmärkte regulieren. Als wir Re-gierungsverantwortung übernommen haben, haben wirerkannt: So dereguliert, wie die Finanzmärkte uns vonRot-Grün und von sozialdemokratischen Finanzminis-tern hinterlassen worden sind, können sie nicht bleiben.
Deswegen haben CDU/CSU und FDP ein Restrukturie-rungsgesetz auf den Weg gebracht, damit künftig nichtdie Steuerzahler, sondern die Banken selbst für Bank-insolvenzen geradestehen müssen. Deswegen habenCDU/CSU und FDP in Deutschland eine Bankenabgabeeingeführt, damit die Branche an den Kosten der Krisebeteiligt wird. Deswegen haben CDU/CSU und FDPLeerverkäufe verboten; die deutsche Regierung war da-mit Vorreiter. Deswegen haben CDU/CSU und FDP Ra-tingagenturen unter Aufsicht gestellt. Wir haben ein An-legerschutzgesetz geschaffen, damit die Menschen vorden Verwerfungen an den Kapitalmärkten geschützt wer-den. Wir haben einen Selbstbehalt bei Verbriefung ein-geführt, der in Deutschland künftig höher sein wird alsin anderen europäischen Ländern. Wir haben ein Hoch-frequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht, um Kon-trolle, Transparenz und ein Abbremsen des Hochfre-quenzhandels in Krisenzeiten zu gewährleisten. Wirhaben unter dem Stichwort „Basel III“ auf europäischerEbene mehr Eigenkapitalvorsorge auf den Weg gebracht.Wir haben die nationale Bankenaufsicht reformiert undFehler von Rot-Grün korrigiert; wir haben sie unabhän-giger von der Wirtschaft gemacht. Wir haben ein euro-päisches Aufsichtssystem auf den Weg gebracht; wir ar-beiten daran, dass wir europäische Aufsichtsstrukturenbekommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25125
Dr. Volker Wissing
(C)
(B)
Die Wahrheit ist, dass uns sozialdemokratische Fi-nanzminister deregulierte Finanzmärkte hinterlassen ha-ben
und dass CDU/CSU und FDP aus Deutschland das amstärksten regulierte Land im Bereich der Finanzmärktegeschaffen haben. Wir sind Vorreiter bei der Regulie-rung. Ihre Märchen von der mangelnden Finanzmarktre-gulierung in Deutschland sind nichts als eine Lüge. DieWahrheit ist: So, wie Sie es hinterlassen haben, konntees nicht bleiben, und so, wie wir es gemacht haben, ist esdie Blaupause für ganz Europa.Diese Regierung, diese christlich-liberale Koalitionhat solide Finanzpolitik und solide Haushaltspolitik vor-zuweisen. Ihre Vorwürfe sind geradezu absurd. Wir wol-len diese erfolgreiche Politik für unser Land und für Eu-ropa fortsetzen.
Das braucht Europa, das braucht Deutschland.
Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege
Steffen Bockhahn das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Am letzten Freitag war der Vorlese-tag. Da sind bestimmt ganz viele von Ihnen auch in Kitasgewesen und haben Märchen vorgelesen. Das Märchenaber, das wir eben gehört haben, hätten Ihnen nicht ein-mal die Dreijährigen abgenommen.
Im Zusammenhang mit diesem Bundeshaushalt vonStolz, Verantwortung, Würde und Ähnlichem zu spre-chen, ist haarscharf an den Realitäten vorbei. Und wennwir von der FDP hören, dass sie sich Sorgen um die klei-nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer macht, dannmache ich mir Sorgen um die FDP; denn sie scheintnicht zu merken, dass das, was sie tatsächlich macht undwas sie gleichzeitig erzählt, gar nicht zusammenpasst.
Sie kümmern sich um Banken und Konzerne, aber be-stimmt nicht um diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen.Denn was ist die Realität? Auch unter dieser Koali-tion ist die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisseund der befristeten Arbeitsverhältnisse gestiegen. Inzwi-schen ist jedes zweite neue Arbeitsverhältnis einer Frauein befristetes Beschäftigungsverhältnis. Damit stärkenSie die Armutsrisiken und nicht, wie Sie hier immer be-haupten, die Chancen. Inzwischen hat die Zahl der Mini-jobs und Midijobs massiv zugenommen; 20 Prozent allerArbeitsverhältnisse sind diesen prekären Beschäfti-gungsverhältnissen zuzurechnen. Das ist eine fatale Ent-wicklung. Im Übrigen ist das auch haushaltspolitischnicht sinnvoll. Warum, sage ich Ihnen gleich.
Was aber machen Sie noch mit Ihrem Haushalt? Ichmöchte zu ein paar konkreten Beispielen kommen. Wirhaben gestern alle lesen können, dass Sie jetzt die TLGWohnen verkauft haben. Das hat mich ein Stück weitüberrascht, weil wir vor zwei Wochen in den abschlie-ßenden Beratungen des Haushaltes im Haushaltsaus-schuss gelernt haben, dass daraus dieses Jahr nichtsmehr wird.
Nun stelle ich mir die Frage, ob Sie so wenig Vertrauenin die Verwaltung oder so wenig Vertrauen in den Käuferhaben, wenn Sie glauben, dass Sie es innerhalb vonsechs Wochen nicht hinbekommen können, diesen Dealabzuwickeln. Wenn Sie die TLG Wohnen dieses Jahrverkaufen, dann muss auch die Kohle dieses Jahr flie-ßen. Sie haben die Gelder aber nicht in den Haushalt fürdieses Jahr eingestellt, sondern sie in den nächsten Haus-halt hinübergezogen. Das ist ein Bilanztrick. Es ist unan-ständig und hat mit Haushaltsklarheit und -wahrheitnichts zu tun.
Der Deal zeigt aber auch, dass Sie wenig Ahnung da-von haben, was vorsorgende und nachhaltige Haushalts-politik ist. Die TLG hat in den letzten Jahren Millionen-summen in den Staatshaushalt gespült – jedes Jahr. DieEinnahme, die Sie jetzt durch den Verkauf der TLG er-zielen, ist Ihre letzte Einnahme. Zudem haben Sie diesenWohnungskonzern an Spekulanten bzw. Finanzinvesto-ren verkauft, die garantiert vieles vorhaben, aber nicht,wie vom Finanzminister behauptet, solides Wirtschaften.Denn dieser Konzern ist börsennotiert und gehört großenFinanzinvestoren, und ich habe noch nie erlebt, dassdiese auf Rendite verzichten und solide wirtschaften.Ich darf Ihnen sagen, dass der Vorstandschef desTAG-Konzerns schon erklärt hat, dass er Mieterhöhun-gen von über 5 Prozent im Jahr für nicht realistisch hält.Aha! Aber Erhöhungen von bis zu 5 Prozent im Jahr hälter offensichtlich für realistisch. Dieser Mann kommt zu-fällig aus der Nähe von Rostock, aus Mecklenburg-Vor-pommern, wo er schon einige Immobilien besitzt. Fra-gen Sie einmal beim Mieterbund nach, was der für einenRuf hat.Wenn das die Geschäftspolitik ist, die jetzt für dieTLG Wohnen gelten soll, dann gute Nacht, Marie. Dannzeigt das, dass Sie sich einmal mehr nicht um die Men-schen in diesem Staat gekümmert haben und dass Ihnendie einmalige Einnahme zur Finanzierung von Wahl-kampftricks wichtiger ist als das Wohl der Menschen indiesem Land.
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Steffen Bockhahn
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Was haben Sie nicht alles versprochen? Der KollegeFricke – wo auch immer er gerade ist – hat uns erklärt, eshabe keine Kürzungen gegeben und man habe sich auchnicht an den Sozialausgaben vergangen. Das ist schlichtund ergreifend nicht wahr; es sei denn, Sie betrachtenArbeitsmarktpolitik nicht als soziale Maßnahme. Dannwürde es stimmen. Sie haben auch in diesem Jahr Mittelfür die aktive Arbeitsmarktpolitik gestrichen. Sie habenbereits in den Beratungen des Haushalts 2012 Ihre Zu-sage, die Arbeitsmarktpolitik mit einem Mehrwertsteu-erpunkt zu fördern, zurückgenommen. Das entspricht ei-ner Kürzung um 8 Milliarden Euro in jedem Jahr. Siehaben die Mittel gekürzt; Sie haben Mittel weggestri-chen. Behaupten Sie nicht, dass Sie im sozialen Bereichnicht die Axt angelegt hätten. Das Gegenteil ist dieWahrheit.
– Herr Barthle, wenn Sie jetzt dazwischenrufen, dass Sienur noch halb so viele Arbeitslose haben, dann darf ichSie daran erinnern, dass die Beschäftigungsverhältnisse,die geschaffen wurden, nicht vor Armut schützen. Eswurden keine guten Beschäftigungsverhältnisse geschaf-fen. Ich darf Ihnen einmal Folgendes sagen: In Mecklen-burg-Vorpommern sind 40 Prozent aller Hartz-IV-Emp-fänger Aufstocker. Das ist inzwischen der Regelfall inder Arbeitswelt, und das ist ein Verdienst Ihrer Koali-tion. Darauf wäre ich an Ihrer Stelle nicht stolz.
Zur Solidität Ihrer Finanzpolitik nur so viel: An wel-cher Stelle befindet sich die meiste Luft in Ihrer Finanz-politik? Sie freuen sich darüber, dass Sie jetzt angeblich„nur noch“ eine Nettokreditaufnahme von 17 Milliar-den Euro haben. Das ist aber nicht die Kreditsumme, dieSie tatsächlich aufnehmen. Im nächsten Jahr werdenKredite mit einem Volumen von insgesamt 254 Milliar-den Euro neu verhandelt. Zurzeit zahlen wir etwa2,03 Prozent Zinsen für die Kredite. Die Kredite, die wirjetzt verlängern bzw. neu aufnehmen, werden mit 0,83 Pro-zent verzinst. Das bringt eine Ersparnis von 3,06 Milliar-den Euro jedes Jahr – einfach so. Dafür haben Sie nichtsgemacht. Das ist keine strukturelle Einsparung. Das istGeld, das vom Himmel fällt.Das dadurch eingesparte Geld verteilen Sie jetzt aufunnütze Art und Weise. Wofür geben Sie dieses Geldaus? Für Wahlkreisgeschenke. In der letzten Woche ha-ben wir im Haushaltsausschuss plötzlich eine lange Listemit speziellen Maßnahmen auf den Tisch bekommen.Dabei wurden die Wahlkreise schön bedient. Das warwirklich ein Traum. Das zeigt, dass wir hier nur, wirk-lich nur über einen Wahlkampfetat und nicht über einenanständigen Bundeshaushalt reden.Gleichzeitig haben Sie an Stellen Kürzungen vorge-nommen, an denen es nötig gewesen wäre, mehr Geldauszugeben. Die aktive Arbeitsmarktpolitik habe ichvorhin schon genannt. Notwendige Ausbauten in denBereichen Schiene und erneuerbare Energien sind an-dere Punkte. An all diesen Stellen haben Sie gekürzt, umeinmalig Geschenke verteilen zu können. Das ist keinesolide Haushaltspolitik. Dieser Etat bietet viel Grund,sich zu schämen. Es gibt aber keinen Grund, darauf stolzzu sein. Man kann ihn nur ablehnen.
Nächster Redner ist der Kollege Sven-ChristianKindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Minister Schäuble hat gerade den Bundesratfür seine steuerpolitischen Vorstellungen kritisiert.
Dazu will ich nur sagen: Zuständig für die Steuerpolitikdes Bundes ist immer noch Herr Schäuble. Schauen wiruns einmal an, was im Bereich der Umsatzsteuer passiertist: Die Umsatzsteuerreform wurde blockiert, aber eswurden neue Ausnahmetatbestände geschaffen. Ich erin-nere an die Subventionen für die Hoteliers. So siehtschwarz-gelbe Steuerpolitik aus.
Es ist schon dreist, den Bundesrat hier zu kritisieren.Was hat der Bundesrat gemacht? Er hat etwas Sinnvollesgemacht, indem er die Umsetzung des Koalitionsvor-schlags verhindert hat. Die Koalition hat vorgeschlagen,50 Prozent der vorgesehenen Entlastungen an 20 Prozentder Bürgerinnen und Bürger zu verteilen. Damit sollenwieder Besserverdiener entlastet werden. Das machenwir nicht mit.
Vor allen Dingen kann man kein Loch von 6 Milliar-den Euro in die Haushalte von Bund, Ländern und Kom-munen reißen, ohne eine Gegenfinanzierung zu haben.Wir sagen klar: Wir wollen den Grundfreibetrag stärkererhöhen als Sie, und zwar auf 8 500 Euro. Im Gegensatzzu Ihnen haben wir aber eine solide Gegenfinanzierung:Wir wollen, dass Besserverdienende sich daran beteili-gen. Wir wollen alle Menschen mit einem Einkommenvon weniger als 60 000 Euro entlasten und im Gegenzugden Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen. So siehteine sinnvolle Steuerpolitik aus, mit der die Haushaltegeschont werden. Das muss man im Bereich der Steuer-politik machen.
Minister Schäuble, Sie haben im Zusammenhang mitdem Steuerabkommen mit der Schweiz von einer partei-politischen Blockade im Bundesrat geredet. Das findeich hanebüchen. Das, was Sie diesbezüglich planen, be-
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Sven-Christian Kindler
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deutet – damit gehe ich auch auf das ein, was VolkerWissing gesagt hat –: Die ehrlichen Steuerzahlerinnenund Steuerzahler werden benachteiligt, während die Be-sitzer von Schwarzgeld, während Steuerhinterzieher be-vorteilt werden. Das ist schwarz-gelbe Steuerpolitik. Dasmacht der Bundesrat zu Recht nicht mit.
Die Steuer-CDs haben mehr eingebracht, als das Steuer-abkommen, das Sie planen, einbringen würde. Es wärewirklich bescheuert, das umzusetzen. Das ist nicht im In-teresse des Bundes und der Länder. Man muss sich aucheinmal anschauen, wer das nachher umsetzen soll: DieSchweizer Banken sollen das umsetzen. Gegen die UBSermittelt gerade die Staatsanwaltschaft Mannheim we-gen Beihilfe zur organisierten Steuerhinterziehung. Damacht man den Bock zum Gärtner. Das ist so, als würdeman jetzt den ehemaligen Bauunternehmer JürgenSchneider für die Steuereintreibung des Bundes einset-zen. Das ist absurd.
Ein paar Worte zu Otto Fricke. Otto Fricke hatte imSommer angekündigt, die FDP wolle im nächsten Bun-deshaushalt 4 Milliarden Euro einsparen und das Betreu-ungsgeld verhindern. Herzlichen Glückwunsch, OttoFricke; es werden keine 4 Milliarden Euro eingespart– hier ist gar nichts passiert –, und das Betreuungsgeldkommt. Es gibt neue Klientelgeschenke, neue Subven-tionen. Kürzungen nehmen Sie vor allen Dingen im Be-reich der Entwicklungszusammenarbeit vor. Sie kürzendie Mittel für Sozialprojekte im Ausland. Was finanzie-ren Sie damit? Sie finanzieren neue Straßenprojekte,neue Spatenstiche in Bayern. Da hat die FDP ja wirklichgeliefert.
Zum letzten Punkt. Es geht bei diesem Haushalt vor al-len Dingen auch um die Energiewende. Hier versagen Siekläglich. Bundeskanzlerin Merkel und Peter Altmaier,der Umweltminister, wollen die Windenergie und die So-larenergie ausbremsen. In diesem Haushalt tun Sie nichtsdafür, dass wir die Energiewende und den Klimaschutzrichtig finanzieren können. Sie haben einen Schatten-haushalt, den Energie- und Klimafonds. Diesen habenSie, Herr Schäuble, 2012 um die Hälfte gekürzt.
Es ist ein Schattenhaushalt, und er ist unsolide finanziert.Wir haben ein Gegenkonzept. Wir haben einen grü-nen Klimaschutzhaushalt vorgelegt. Wir brauchen einenHaushalt, mit dem man die Energiewende finanzierenkann. Es geht dabei auch um Energieeffizienz, Energie-einsparungen und internationalen Klimaschutz. Wir ha-ben eine solide Gegenfinanzierung.
Wir wollen ökologisch schädliche Subventionen ab-bauen. Das ist notwendig; denn diese Subventionen sindwettbewerbsverzerrend. Wir wollen eine nachhaltigeHaushalts- und Umweltpolitik. Das geht nur mit einemgrünen Klimaschutzhaushalt und dem Abbau von ökolo-gisch schädlichen Subventionen.
Sie machen immer noch 17 Milliarden Euro Schul-den. Sie vergrößern die soziale Spaltung. Sie finanzierendie Energiewende nicht, und Sie verteilen sinnloseKlientelgeschenke. Das ist schwarz-gelbe Schulden- undHaushaltspolitik. Das ist zum Glück der letzte Haushaltvon Schwarz-Gelb.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Michael
Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir füh-ren die Beratungen über den Haushalt für 2013 zu einemZeitpunkt, zu dem Deutschland Vorbild ist: Vorbild auf-grund seiner Beschäftigungslage und Arbeitsmarktpoli-tik in Europa, Vorbild aufgrund seiner wirtschaftlichenEntwicklung und Vorbild aufgrund der finanzpolitischenKonsolidierung seines Haushalts. Ich glaube, wir könnenin Anbetracht der globalen und der europäischen Lagemit dem hier vorgelegten Haushalt sehr zufrieden sein.
Wenn ich die Alternativen der Opposition höre, sageich: Wir müssen nicht ins Ausland reisen, und wir müs-sen auch nicht spekulieren, wie das ausginge, sondernwir können uns einfach zehn Jahre zurückerinnern. Dahaben wir in Deutschland erlebt, was rot-grüne Wirt-schafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik bedeutet. Je-des Jahr steigende Arbeitslosenzahlen, jedes Jahr stei-gende Schulden, Nullwachstum unserer Wirtschaft – dassind die Ergebnisse von Rot-Grün. Die Ergebnisse unse-rer Politik sind: jedes Jahr geringere Schulden, steigendeBeschäftigungszahlen, niedrige Arbeitslosenzahlen undtrotz international abschwächendem Klima eine positiveWirtschaftsentwicklung.
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25128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Dr. Michael Meister
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Sie halten uns jetzt vor, dass wir nach wie vor Schul-den machen. Auch mich stört das; auch ich würde gerneauf Schulden verzichten. Aber wir haben uns zu Beginnder Wahlperiode in einer sehr schwierigen Lage befun-den. Seit 1945 gab es kein Jahr, in dem die Wirtschafts-kraft so stark zurückgegangen ist wie im Zuge der inter-nationalen Wirtschaftskrise als Folge der Finanzkrise.Wir hatten ein Defizit von 86 Milliarden Euro Nettokre-ditaufnahme vorgefunden; solch ein Haushalt wurde inder Großen Koalition von Herrn Steinbrück vorgelegt.Wenn diese Koalition das strukturelle Defizit in nureiner Wahlperiode unter 10 Milliarden Euro absenkt, istdas eine riesige Leistung. Wir wären natürlich gern nochehrgeiziger, aber, ich glaube, es wäre auch angemessen,diese Leistung anzuerkennen. Bei Herrn Steinbrück sinddie Ausgaben nie gesunken, sondern von Jahr zu Jahrgestiegen. Herr Schäuble hat vorgetragen, dass er dieAusgabenlinie konstant halten möchte. Das ist der Un-terschied zwischen CDU/CSU und FDP auf der einenSeite und Ihnen auf der anderen Seite.
Wenn ich von wachstumsfreundlicher Konsolidie-rungspolitik spreche, dann bedeutet das nicht – so habeich es vorhin gehört –, dass wir auf Steuersenkungenverzichtet haben. Wir haben im Jahr 2010 die größtenSteuersenkungen durchgeführt, die es in dieser Republikje gab. Einen Teil dieser Steuersenkungen haben wir ge-meinsam mit Ihnen von der SPD auf den Weg gebracht– damals haben Sie das noch für richtig gehalten; aberim Nachgang bekennen Sie sich ja nie zu dem, was Sieselbst einmal beschlossen haben –,
einen Teil davon in der Koalition von CDU/CSU undFDP.Ich bin der Meinung, angesichts der Abschwungsitua-tion, in der wir uns damals befunden haben, war dasrichtig. In der damaligen konjunkturellen Lage war esrichtig, die Steuern zu senken, und zwar nicht etwa ver-bunden mit der Ankündigung, sie in Zukunft wieder zuerhöhen, sondern um bei den Menschen Vertrauen zuschaffen und ihnen Planungssicherheit zu geben. Wirwollten dafür sorgen, dass die Menschen wissen: Unterdiesen Bedingungen kann man in Deutschland arbeitenund investieren.
Da uns hier der Vorwurf gemacht wird, dies sei einWahlkampfetat, will ich nur sagen: Die Nettokreditauf-nahme fällt um ungefähr 1,7 Milliarden Euro niedrigeraus, als im Regierungsentwurf vorgesehen war. Ich höreja, welche Programmüberlegungen bei SPD und Grünenangestellt werden.
– Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen, Frau Hinz;das haben Sie vorhin selbst formuliert. Sie haben hiergesagt, der deutsche Staat habe ein Einnahmeproblem.Gleichzeitig haben wir von Ihnen die Kritik gehört, wirwürden, obwohl der deutsche Staat zunehmend mehrSteuereinnahmen verzeichne, nicht den Haushalt aus-gleichen. Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen. Siewollen die Menschen, die Steuerzahler, die Beitragszah-ler, abkassieren.
: Die kassieren
Deshalb machen Sie einen Vorschlag nach dem anderen,der zur Folge hat, dass den Menschen tiefer in die Ta-sche gegriffen wird. Wir wollen, dass die Menschen inDeutschland investieren, dass sie aktiv werden und die-ses Land voranbringen. Sie sind auf dem falschen Weg.Uns geht es wirklich ums Sparen und um Ausgabenbe-grenzungen. Es darf aber nicht darum gehen, den Men-schen das Geld aus der Tasche zu nehmen, meine Damenund Herren.
Kommen wir zu Ihrem Vorschlag, eine Vermögensab-gabe einzuführen. Es gab in Deutschland schon einmaleine Vermögensabgabe, und zwar beim Lastenausgleich.Aber damals, 1945 nach dem Ende des Zweiten Welt-krieges, befand sich Deutschland in einer Sondersitua-tion. Schauen Sie sich die heutige Situation in der Bun-desrepublik Deutschland einmal an. Ich frage Sie: SiehtDeutschland zerbombt aus? Suchen Menschen, die ver-trieben worden sind, Zuflucht? Nein, Deutschland isteine Insel, auf der großer Wohlstand herrscht. Deshalbgibt es für eine einmalige Vermögensabgabe überhauptkeine Rechtfertigung.
– Lieber Herr Binding, Sie wollen ja nicht nur eine ein-malige Vermögensabgabe.
Sie wollen jedes Jahr eine Vermögensabgabe. Sie nen-nen sie „Vermögensteuer“.
Sie hätte viel Bürokratie zur Folge. Sie würde für dieUnternehmen eine Substanzbesteuerung darstellen. Siewürde dazu führen, dass der Staat nicht mehr Geld in derKasse hätte, die wirtschaftliche Attraktivität des Stand-ortes Deutschland aber massiv beschädigt würde.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25129
Dr. Michael Meister
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Das sind Ihre Ideen. So würde es mit Deutschland nachhinten, aber nicht nach vorne gehen, Herr Binding.
Wir befinden uns heute in einer tollen Lage. Wir ha-ben diese tolle Lage auch deshalb, weil wir uns in denletzten zehn Jahren angestrengt haben, Reformen durch-zuführen. Wir haben Reformen im Bereich des Arbeits-marktes und bei der Rente durchgeführt. Was schlagenSie jetzt vor? Wenn ich höre, was auf dem Parteitag derGrünen beschlossen wurde, stelle ich fest: Sie schlagenvor, was die Rente betrifft, solle man überlegen, ob das,was wir vorangebracht haben, rückgängig gemacht wird.Was den Arbeitsmarkt angeht – Stichwort: Mindestlohn –,schlagen Sie vor, das, was von uns vorangebracht wor-den ist, rückgängig zu machen. So führen Sie Deutsch-land doch nicht in die Zukunft! So würden Sie Deutsch-land in die Vergangenheit führen. Außerdem bekennenSie sich nicht mehr zu dem, was Sie selbst, als Sie dieMehrheit hatten, hier beschlossen haben.
Bekennen Sie sich doch einmal zu den Entscheidungen,die Sie selbst getroffen haben, meine Damen und Her-ren!
Herr Kollege Meister, darf Herr Schick Ihnen dazu
eine Zwischenfrage stellen?
Wenn ein solch netter Kollege fragen möchte, sei es
ihm gegönnt.
Danke für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen, und
für die freundlichen Worte. – Ich will auf die Vermö-
gensabgabe zurückkommen.
Erstens. Würden Sie nicht sagen, dass die Finanz-
krise, in der wir uns immer noch befinden, eine Ausnah-
mesituation ist, da sogar der Finanzminister vor ein paar
Jahren sagen musste: „Wir blickten in einen Abgrund“?
Würden Sie nicht sagen, dass die Überschuldung vieler
Gebietskörperschaften in Deutschland, die die Schulden-
bremse nur mit Unterstützung des Bundes einhalten kön-
nen, eine Ausnahmesituation ist und wir von dem hohen
Schuldenstand dringend herunterkommen müssen?
Meine zweite Frage ist damit verbunden: Wie lautet
der Vorschlag Ihrer Partei und Fraktion, wer die Kosten
der Finanzkrise tragen soll? Bisher ist es so, dass Sie die
Kosten der Bankenrettung – 22 Milliarden Euro sind
schon aufgelaufen – in einen Schattenhaushalt auslagern
und in die Zukunft verschieben, sodass die nachfolgen-
den Generationen dafür aufkommen müssen. Das halte
ich nicht für fair. Deswegen die Frage: Wer soll nach der
Vorstellung der Union die Kosten der Finanzkrise, der
Bankenrettung und der Konjunkturprogramme tragen?
Lieber Kollege Dr. Schick, zunächst einmal möchteich sagen: Ja, ich bin der Meinung, dass wir in einerAusnahmesituation sind. Eine solche Finanz-, Wirt-schafts- und Staatsschuldenkrise, wie wir sie gegenwär-tig erleben, hat es bis jetzt noch nicht gegeben.In einer solchen Krise ist es notwendig, sich zuerstder Frage zuzuwenden: Was sind die Ursachen? DieUrsache war eine weit überzogene Deregulierung derFinanzmärkte,
die Sie wesentlich mitgestaltet haben. Unsere ersteSchlussfolgerung ist, diese falsche Deregulierungspoli-tik zu beenden bzw. sie zu korrigieren. So steht Basel IIIzur Umsetzung an. Leerverkäufe haben wir verboten; dieRatingagenturen haben wir reguliert. Jetzt geht es da-rum, Maßnahmen im Restrukturierungsgesetz auch aufEuropa auszuweiten. Dabei korrigieren wir die Fehler,die Sie eingeleitet haben.Ich bin weiterhin der Meinung, dass man die Kosteneigentlich nicht dem Steuerzahler aufbürden kann. In derNot mussten wir dies allerdings tun; es gab keine andereMöglichkeit. Aber wir haben zwei Korrekturen vorge-nommen:Erstens. Wir haben in Deutschland eine Bankenab-gabe eingeführt, damit solche Kosten in Zukunft nichtmehr auf den Steuerzahler, sondern auf den Bankensek-tor zukommen.
Zweitens. Der Finanzminister wirbt in der EU insge-samt für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer.Leider findet diese Idee nicht genügend Anhänger; nurneun Länder sind bereit, mitzumachen. Wir sind, glaubeich, einer Meinung, dass der Bankensektor entsprechendherangezogen werden sollte, wenn Folgekosten derKrise zu finanzieren sind.
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25130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Dr. Michael Meister
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Ich war Mitglied der Föderalismuskommission II, inder es – damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage,Herr Schick – darum ging, wie man die Verschuldungder öffentlichen Haushalte in den Griff bekommen kann.Ein Ergebnis war, dass wir eine Schuldenbremse imGrundgesetz verankert haben. Das ist ein wirksamesInstrument, um eine künftige Neuverschuldung aus-zuschließen. Dieses Instrument hat, wie gesagt, Verfas-sungsrang. Die Aufgabe der Politik ist jetzt, diese Schul-denbremse umzusetzen. Über den Fiskalvertrag habenwir diese Schuldenbremse nach Europa exportiert. Dasist eine riesige Leistung. Jetzt werden auch Risiken vonaußen abgeschirmt.Es bleibt der Schuldenstand. In der Verfassung ist for-muliert: keine strukturelle Neuverschuldung mehr. Dasist allerdings kein Ziel, das unsere Höchstleistung mar-kieren sollte; das ist eine Minimalforderung. Deshalb binich der Meinung: Wir können da durchaus etwas ehrgei-ziger sein, lieber Norbert Barthle, wir müssen an dieserGrenze nicht stehen bleiben. Indem wir weiterhin eineerfolgreiche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitikmachen, gewinnen wir die Spielräume, die wir brauchen,um die Schuldenbremse einzuhalten. Wir müssen dieSpielräume aber auch nutzen, um unseren Schuldenstandund damit die Lasten, die aus dem Zinsdienst entstehen,zu reduzieren. – Vielen Dank für die Frage, Herr KollegeSchick.
Wir wollen eine wachstumsfreundliche Konsolidie-rung. Das bedeutet, wir haben nicht nur gespart, sondernin einigen Bereichen – ich nenne das Thema „Aufbauvon Forschung und Entwicklung“ – in jedem Jahr dieserWahlperiode etwas on top gelegt. Wir meinen: Wenn wirdauerhaft wettbewerbsfähig sein wollen, dann müssenwir Forschung und Entwicklung stärken. Es geht darum,ein Vorbild für Europa zu sein. Wir müssen aber auchmit unseren Partnern darüber reden, dass überall in Eu-ropa mehr für Forschung und Entwicklung getan werdenmuss, damit Europa insgesamt leistungsfähiger wird.Ein weiterer Schwerpunkt, den wir gesetzt haben, istder Bereich Infrastruktur. Im Gegensatz zu den Grünen,Frau Hinz, bin ich der Meinung, dass wir eine funktio-nierende, qualitativ hochwertige Infrastruktur inDeutschland benötigen.
Hier setzen wir im Haushalt trotz aller Konsolidierungs-anstrengungen einen Schwerpunkt. Die Grünen wollen,dass Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen nicht mehrgebaut werden.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Poli-tik: Wir wollen Mobilität. Durch diese Mobilität entstehtauch Wachstum in Deutschland.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein paar Be-merkungen zum Thema Europa. Ich glaube, dass all das,was wir hier mit Blick auf Etatansätze kleinteilig disku-tieren, relativ schnell Makulatur werden kann, wenn unsEuropa misslingt. Wenn wir wirklich einen Altschulden-fonds auflegen würden, wie es Herr Trittin vorschlägt,
oder Euro-Bonds ausgeben würden, wofür sich HerrSteinbrück im Handelsblatt ausgesprochen hat, dannkämen wir in eine Gemeinschaftshaftung.
Man muss sich einmal überlegen, was das für unserenZinsansatz im Bundeshaushalt bedeuten würde.Deshalb bin ich der Meinung: Der Ansatz „Solidaritätmit anderen“ ist richtig, wenn an die Ursachen der Pro-bleme in diesen Ländern herangegangen wird und wennSolidität gelebt wird, indem man die Probleme dort löst.Deshalb darf es keine Vergemeinschaftung der Haftungund keine Aufgabe der Konditionalität geben. Solidarität– ja, aber nur wenn die Probleme gelöst werden. Hilfesollte nur zeitweise und nicht dauerhaft geleistet werden.Es werden zum Teil vollkommen falsche Ansätzezugrunde gelegt. Schauen Sie sich doch einmal denLänderfinanzausgleich in Deutschland an! Dort wirdderjenige begünstigt, der nicht an seiner Finanzstärke,der nicht an seiner Wirtschaftskraft arbeitet. Es kanndoch nicht sein, dass wir ein solch falsches Anreizsys-tem jetzt auch noch nach Europa exportieren.
Nein, wir brauchen die richtigen Anreize, damit derje-nige, der sich anstrengt, am Ende auch finanz- und wirt-schaftspolitisch von seiner Anstrengung profitiert.Eine allerletzte Bemerkung. Der Kollege Schick hateben nach den Sonderlasten aufgrund der Finanzkriseund nach Regulierungsnotwendigkeiten gefragt. Dazumöchte Ihnen einen Hinweis geben: Woher haben dennBanken wie etwa die Westdeutsche Landesbank über-haupt das Geld gehabt? Welcher Finanzminister hat die-ser Landesbank eigentlich das Geld gegeben, mit demsie anschließend auf dem amerikanischen Immobilien-markt verpackte, strukturierte Produkte kaufen konnte?
Wenn ich richtig informiert bin, hieß der Finanzministervon Nordrhein-Westfalen seinerzeit Peer Steinbrück.
Damals wurde die Grundlage für die Malaise gelegt, indie diese Bank letztendlich geriet. Deshalb brauchen wir
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25131
Dr. Michael Meister
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von Ihrer Seite keine Hinweise, wie man es bessermachen kann. Allerdings sollten wir gelegentlich die ei-genen Fehler benennen und korrigieren.
Vielen Dank, Kollege Dr. Michael Meister. – Nächste
Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist un-
sere Kollegin Frau Bettina Hagedorn. Bitte schön, Frau
Kollegin Hagedorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Herr Minister Schäuble, als wir hier vor zwei Monatendie erste Lesung des Bundeshaushaltes hatten, haben Siein Ihrem Redebeitrag gesagt, der Haushalt sei der Belegdafür, dass Deutschland krisenresistent sei.Wenn wir uns nun einmal anschauen, was in den letz-ten zwei Monaten im Haushaltsausschuss passiert ist undwas Schwarz-Gelb aus diesem Haushalt gemacht hat, sokann man nur sagen: Die Regierungskoalition hat in denletzten zwei Monaten alles nur noch schlimmer gemacht.In diesem Haushalt wird nach wie vor – das haben wirIhnen schon vor zwei Monaten vorgeworfen – keineVorsorge für die sich eintrübende Konjunktur getroffen.Dieser Haushalt weist eine soziale Schieflage auf undzeugt von Klientelpolitik.
Man muss eines feststellen: Sie bleiben sich auf eineerschreckende Weise treu. Vor ungefähr drei Jahrenhaben wir über Ihr sogenanntes Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz diskutiert. Dieses Gesetz hat weder dasWachstum gefördert noch beschleunigt. Es war eigent-lich ein Hotelierbegünstigungsgesetz – Stichwort„Mövenpick-Steuer“.
Damals haben Sie den Grundstein für eine Klientelpoli-tik und für eine soziale Schieflage in diesem Landgelegt, die Sie in den letzten drei Jahren durchgezogenhaben und die mit diesem Haushalt einen traurigenHöhepunkt erfahren hat.
Sie haben eigentlich Etikettenschwindel betrieben. Ichhabe gerade ein Beispiel dafür genannt.Ein halbes Jahr später, im Sommer 2010, erblickte Ihrsogenanntes Sparpaket das Licht der Welt. Frau Merkelhat damals verkündet, dies sei ein einmaliger Kraftakt.Der damalige Vizekanzler Westerwelle hat sekundiert,dies werde ein ausgewogenes, ein faires und ein gerech-tes Sparpaket sein. Aha, ausgewogen, fair und gerecht.Damals haben Sie vorgegeben, dass die Arbeits- undSozialministerin 40 Prozent abliefern sollte. Das hat sieauch treu und brav getan. Sie hat sogar noch kräftig eineSchippe obendrauf gelegt, indem sie den Haushalt derBundesagentur für Arbeit wie eine Zitrone ausge-quetscht hat. Die Mittel für die Langzeitarbeitslosensollen im Haushaltsjahr 2013 um 6,5 Milliarden Eurogekürzt werden. Die Konjunktur hat gar nichts damit zutun. Da schlagen Sie einfach zu.
Eigentlich hatten Sie doch vor, Subventionen abzu-bauen und für eine gerechtere Belastung von Wirtschaftund Unternehmen zu sorgen. Vor allen Dingen wolltenSie Bürokratie abbauen und im eigenen Haushalt sparen.Was ist eigentlich daraus geworden? Ich kann Ihnensagen, was daraus geworden ist: Nichts, gar nichts.
Ich möchte jetzt nur einmal kurz die für die Bundes-agentur für Arbeit relevanten Zahlen vorlesen, damit dieÖffentlichkeit eine Vorstellung davon bekommt, was Siehier eigentlich machen: Durch das ominöse Sparpaketund den Wegfall eines halben Mehrwertsteuerpunkts inder Steuerfinanzierung haben Sie bei der Bundesagenturfür Arbeit bis 2012 8 Milliarden Euro gekürzt. Was stehtfür die Bundesagentur für Arbeit wegen der Fortsetzungdieser Maßnahmen im Finanzplan? Minus 18 MilliardenEuro für den Zeitraum von 2013 bis 2016!Damit sind Sie aber noch nicht fertig. Wir haben jetztauch noch ein Haushaltsbegleitgesetz vor der Brust. Siesind sich nicht zu schade, der Bundesagentur für Arbeitmit diesem Haushaltsbegleitgesetz einen weiteren hal-ben Mehrwertsteuerpunkt in der Steuerfinanzierungwegzunehmen und für eine Verrechnung des Eingliede-rungsbeitrages zu sorgen, was wiederum zulasten derBundesagentur für Arbeit erfolgt. Von welchem Umfangsprechen wir? Minus 5,2 Milliarden Euro bis 2015!Was bedeutet das im Ergebnis? Das bedeutet natür-lich, dass die angebliche Rücklage von 9,5 MilliardenEuro, die die BA bis 2016 aufbauen sollte, wie die But-ter in der Sonne schmilzt.
Das heißt, Sie betreiben keine Vorsorge.Am Himmel zeigen sich leider trübe Konjunkturwol-ken. Bei der Aufstellung Ihres Haushaltsentwurfs habenSie noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Pro-zent kalkuliert. Wo stehen wir jetzt? Höchstens noch bei1 Prozent! Wozu führt das? Das führt nicht nur zu Steu-ermindereinnahmen und dazu, dass die Sozialsystemenicht mehr so viel einnehmen werden wie bisher – dieEinnahmen sprudelten nämlich –, sondern es führt auchdazu, dass die Zahl der Arbeitslosen steigen wird. In Ih-rer eigenen Prognose sprechen Sie von einem Anstiegum 150 000 auf 2,92 Millionen Arbeitslose. Aber imHaushalt treffen Sie dafür keine Vorsorge.
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Bettina Hagedorn
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Auch viele Arbeitgeber fordern längst, dass wir dieBundesagentur für Arbeit angesichts dieser Situationwieder in die Lage versetzen müssen – Stichwort „Kurz-arbeitergeld“ –, Krisenintervention betreiben zu können.Das Gegenteil von dem haben Sie gemacht. Sie habensogar noch eine Schippe draufgelegt; denn auf dem Ko-alitionsgipfel vier Tage vor unserer Bereinigungssitzungwollten Sie noch ein paar Steuergeschenke verteilen,
indem Sie bei dem angeblich einmaligen Griff in denGesundheitsfonds, der vorgesehen war, nicht nur 2 Mil-liarden, sondern 4,5 Milliarden Euro herausgenommenhaben. Zusätzlich haben Sie auch kräftig in die Renten-kasse gegriffen. Das heißt, Sie plündern die sozialenSicherungssysteme zulasten der Beitragszahler und zu-lasten künftiger Generationen.
Damit rechnen Sie Ihren Haushalt schön.Diese Politik ist unverantwortlich. Sie ist gegen dieMenschen gerichtet und nicht zukunftsfähig.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. – Nächster
Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
Bartholomäus Kalb für die Fraktion der CDU/CSU.
Bitte schön, Kollege Bartholomäus Kalb.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Haushalt, den wir in dieser Woche bera-ten und am Freitag beschließen werden, ist Ausdruckeiner erfolgreichen Haushaltskonsolidierung und einerfinanzpolitischen Linie von Stabilität und Verlässlich-keit, die wir vertreten.
Dieser Haushalt kann sich wahrlich sehen lassen. Ichdarf noch einmal daran erinnern, dass wir die Nettokre-ditaufnahme auf 17,1 Milliarden Euro reduzieren unddie verfassungsmäßigen Vorgaben, die ab 2016 einzuhal-ten sind, bereits 2013 mehr als einhalten können. Dasheißt, die Vorgaben der Schuldenbremse werden bereitsjetzt übererfüllt. Damit geben wir auch ein gutes Bei-spiel in Europa. Wenn wir andere Länder verpflichten,den Fiskalpakt einzuführen und einzuhalten, dann ist esgut, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen.Wir werden auch das Gesetz zur innerstaatlichen Um-setzung des Fiskalpaktes beschließen. Auch hier dürfenund können wir feststellen, dass wir einen mehr als fai-ren Umgang mit den Bundesländern an den Tag legen.Gleichzeitig haben wir mit dem Nachtragshaushalt, derebenfalls zur Diskussion und zur Abstimmung steht,weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Insbeson-dere für Familien mit Kindern haben wir mit den580 Millionen Euro, die wir für den Ausbau von Kinder-betreuungseinrichtungen zusätzlich zur Verfügung stel-len, das deutliche Zeichen gesetzt, dass wir die Aufga-ben zukunftsorientiert wahrnehmen.Weil gerne so getan wird, als ob Bayern etwas rück-ständig wäre
– so geschehen letzte Woche, als wir über das Betreu-ungsgeld abgestimmt haben –, darf ich sagen: Bayernliegt auch bei der Errichtung von Kinderbetreuungsein-richtungen bundesweit an der Spitze. Schon jetzt liegtdie Quote in Bayern bei 43 Prozent. Damit ist sie höherals die geforderten 37 Prozent.
Bayern hat allein dafür aus eigenen Landesmitteln611 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und wird auf-grund der günstigen Entwicklung der Steuereinnahmennur für diesen Bereich in den nächsten beiden Jahrenüber 80 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.Damit bringen wir zum Ausdruck: Wir treten dafürein, dass die Menschen eigenverantwortlich über ihreLebensplanung und ihre Zukunftsplanung, was ihre Fa-milie angeht, entscheiden sollen. Das hat auch etwas mitunserem Grundverständnis, von dem wir zutiefst über-zeugt sind, zu tun, nämlich dass jeder Mensch einmaligund einzigartig ist, dass er im Rahmen der grundgesetzli-chen Regeln eigenverantwortlich sein Leben gestaltensoll und dass wir ihm nicht vorzuschreiben haben, wie ersein Leben zu gestalten hat.
Wir konsolidieren unseren Haushalt nicht auf der Ein-nahmeseite, wie das Rot-Grün und die Linken wollen,sondern auf der Ausgabenseite. Es ist vorhin vom Fi-nanzminister die Ausgabelinie der Haushalte in den zu-rückliegenden Jahren sehr eindrucksvoll dargestellt wor-den; ich brauche das nicht zu wiederholen. Wir bleibenbei der Ausgabenentwicklung unterhalb der Entwick-lung des Bruttoinlandsproduktes. Das ist eine ganz wich-tige Marke, und so führen wir die Verschuldung zurück.Sie von der SPD und neuerdings auch Sie von denGrünen können nicht genug bekommen, wenn es umForderungen nach Mehrbelastungen für den Steuerzahlergeht.
– Doch.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25133
Bartholomäus Kalb
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– Herr Poß, als Finanzfachmann wissen Sie, dass dieoberen 10 Prozent der Einkommensbezieher bereits rund55 Prozent der Einkommensteuerlast tragen.
Das sei nur nebenbei bemerkt; aber darum geht es andieser Stelle gar nicht. Wenn Sie jedoch an das Ehegat-tensplitting herangehen wollen – Sie und neuerdingsauch die Grünen haben dessen Abschaffung gefordert –,dann treffen Sie genau die Bezieher kleinerer Einkom-men.
Oft handelt es sich um Familien, bei denen sich einEhepartner dafür entschieden hat, in der Zeit der Kinder-erziehung zu Hause zu bleiben und keiner Erwerbstätig-keit oder einer anderen versicherungspflichtigen Be-schäftigung nachzugehen.
Das führt zu geringeren Rentenansprüchen und geringe-ren Versorgungsansprüchen.Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden diese Men-schen nach der Phase der Kindererziehung so behandelt,als ob sie durchgehend ein Erwerbseinkommen erzielthätten. Damit bestrafen Sie genau diejenigen Menschen,die sich der Mühe unterzogen haben, Kinder zu erziehen,zum Teil oft noch kranke Eltern oder Angehörige zupflegen, indem Sie ihnen im weiteren Verlauf Ihres Er-werbslebens und im Alter eine enorm hohe Steuerbelas-tung aufbürden.
Wenn Sie das wirklich wollen, sagen Sie das den Men-schen.
Mit der Politik, die wir vertreten, haben wir es ge-schafft, dass wir heute auch im internationalen Vergleichzu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt – nochvor den USA – gehören. Die Situation ist Gott sei Dankso: Mit 41,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschlandhaben wir eine Marke erreicht, die wir nie zuvor erreichthaben. Mit rund 29 Millionen versicherungspflichtig Be-schäftigten haben wir entgegen Ihren Behauptungen eineMarke erreicht, die nie so hoch war wie jetzt. Das ist imÜbrigen der Grund dafür, dass wir höhere Steuereinnah-men und eine bessere Situation bei den Sozialversiche-rungen haben. Wir haben aus Leistungsempfängern wie-der Leistungserbringer gemacht.
Das ist der wesentliche Beitrag zur Konsolidierung.
Wir haben jetzt im Haushalt auch die Investitions-quote gestärkt. Wir sollten uns darüber freuen, dass esuns in Deutschland gutgeht, auch wenn Sie das nichtglauben. Warum darf man sich nicht mehr freuen, wennes einem gutgeht? Wir müssen schließlich auch dieschwierigen Probleme gemeinsam tragen, einmal in dereinen Konstellation und einmal in der anderen.Das Handwerk ist so frei, dies so zu sagen, zumindestbei mir in der Region. Am 23. Oktober war in der Pas-sauer Neuen Presse zu lesen: „Handwerk geht es so gutwie seit 20 Jahren nicht“.
Das ist ehrlich; das ist anerkennend. Sie sagen uns auch,wenn sie Probleme und Wünsche haben. Aber wir freuenuns, wenn sie dann auch einmal sagen: Es läuft gut; dieSituation ist gut. – Das setzt wieder neue Kräfte für diewirtschaftliche Entwicklung frei.Ein solcher Kurs des Konsolidierens, Investierens undSparens an der richtigen Stelle, statt das Geld für Kon-sumausgaben zu verwenden, wird in Bayern bestätigt.Nicht der Bayernkurier, sondern die Wirtschaftswoche hatvor wenigen Wochen über den Primus Bayern geschrie-ben: beste Jobchancen, weniger Hartz-IV-Empfänger,niedrigere Kriminalitätsrate und solide Finanzen. – Sowird ein Schuh daraus. Das schafft die Bedingungen, dasssich die Menschen, sowohl Unternehmer als auch Arbeit-nehmer, und die Familien wohlfühlen können und dassjunge Menschen Zukunftschancen haben.
– Ich darf doch mein Heimatland loben. Andere tun dasschließlich nicht. Sie schauen nur neidvoll auf Bayern.Ich darf aber auch mit ein bisschen Stolz nach Bayernblicken. Das müssen Sie mir schon zugestehen, meinesehr verehrten Damen und Herren.
– Leider geht meine Redezeit zu Ende.Mit dem Haushalt, den wir jetzt vorgelegt haben undüber den wir am Freitag abstimmen werden, erfüllen wirdie notwendigen Voraussetzungen. Otto Fricke hat vor-hin schon auf den Vorwurf, das sei ein Wahlkampfhaus-halt, reagiert. Wenn ein Wahlkampfhaushalt so aussiehtwie dieser, dann können wir stolz darauf sein. Es magsein, dass es in dem Sinne ein Wahlkampfhaushalt ist,dass wir mit ihm auch in diesem Jahr unter Beweis stel-len, dass wir sparen, konsolidieren und die richtigen Bot-schaften aussenden,
nämlich dass wir nichts zu verschenken haben, dass wirkeine Wohlfühlprogramme auflegen und keine Wahl-
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25134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bartholomäus Kalb
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kampfgeschenke verteilen, sondern dass wir den aufge-zeigten und bestätigten Kurs der letzten Jahre fortsetzen.
Wir wirtschaften und arbeiten solide und konsolidierendie Haushalte. Die Menschen können sich darauf verlas-sen, dass wir mit dem Geld sorgsam umgehen. Damitschaffen wir die Voraussetzung dafür, dass auch unsereWährung weiterhin stabil bleibt.
Wir werden in den nächsten Wochen dazu noch einigeDiskussionen führen müssen. Wir können nicht ausblen-den, dass das konjunkturelle Wetterleuchten in Europaauch bei uns zu sehen und zum Teil zu spüren ist. Auchdafür schaffen wir Vorsorge.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Bartholomäus Kalb. – Nächster
Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege Andreas
Mattfeldt für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön,
Kollege Andreas Mattfeldt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-men und Herren! Mit der Verabredung eines Fiskalpakteszwischen den Euro-Ländern ist etwas Einmaliges gelun-gen. Endlich wird das Übel der Verschuldungskrise an derWurzel gepackt. Die treibende Kraft dafür, dass alleEuro-Länder eine Schuldenbremse nach deutschem Vor-bild einführen, war unsere Bundeskanzlerin Dr. AngelaMerkel. Dafür sind wir ihr sehr dankbar.
Um aber die Zustimmung der Bundesländer zu die-sem wichtigen Paket zu erhalten, wurde innerstaatlichein erhebliches Paket zugunsten der Länder vereinbart.Als zuständiger Haushälter für das Familienministeriummöchte ich mich deshalb auf den Kitaausbau konzentrie-ren, über den in diesen Tagen vielfach, leider häufig ineinem falschen Kontext, diskutiert wird.Meine Damen und Herren, wir alle wissen, wie wich-tig der Ausbau der Kinderbetreuung für die jungen Fa-milien ist. Deshalb hat der Bund schon 2007 unterUrsula von der Leyen die Initiative ergriffen, gemeinsammit den Städten und Gemeinden ein ehrgeiziges Ausbau-programm zu beschließen und umzusetzen.
Doch während Kommunen und Länder nur zögerlichmit der Bereitstellung von Geldern begannen, hat derBund direkt, und zwar schon 2008, 4 Milliarden Eurobereitgestellt, und zwar 2,15 Milliarden Euro für Investi-tionen und sogar 1,85 Milliarden Euro – darüber habenwir lange diskutiert – für die Betriebskosten der neuenPlätze. Das haben wir als Bund getan, obwohl die Kin-derbetreuung originäre Aufgabe von Ländern und Kom-munen ist.Jetzt haben wir noch einmal 580,5 Millionen Euro In-vestitions- und jährlich 75 Millionen Euro Betriebskos-tenzuschüsse für den weiteren Ausbau bereitgestellt,
und damit können zusätzlich 30 000 Plätze geschaffenwerden.
Dies kann sich mehr als sehen lassen. Das zeigt, wiewichtig dem Bund der Kitaausbau ist.Ich selbst war bis 2009 Bürgermeister und konnte be-obachten, wie viele – oder besser gesagt: wie wenige –Kollegen den Kitaausbau für die unter Dreijährigen be-schleunigt haben. Sichtlich irritiert war ich vor allemvon den Ländern, die nur schleppend Geld für den Aus-bau in die Hand genommen haben.
Deshalb bin ich unserer Familienministerin sehr dank-bar, dass sie in den letzten Monaten hartnäckig gebliebenist und jetzt wieder Schwung in den Kitaausbau gekom-men ist.
Persönlich fand ich es erschreckend, zu sehen, aufwelche Blockadehaltung man bei den Ländern und vorallen Dingen auf welche Ablenkungsmanöver man beiNachfragen zum Ausbaustand in den Bundesländern ge-stoßen ist. Ganz vorne an die Spitze der Blockierer desKitaausbaus hat sich Frau Schwesig von der SPD ge-stellt. Ich erinnere nur daran, dass sie es war, die gesagthat, der Bund würde mit der Forderung nach Berichts-pflichten zum Kitaausbau die Gelderfreigabe blockieren.Das ist schlichtweg Quatsch. Nach den Erfahrungen, diewir mit dem zögerlichen Ausbau gemacht haben, sageich deutlich, dass es doch wohl erlaubt sein muss, dieVerteilung von Mitteln an Bedingungen und auch an einegewisse Kontrolle zu knüpfen. Alles andere ist vollkom-men unseriös und vor den Steuerzahlern nicht zu verant-worten.
Interessant waren auch die Verhandlungen mit denLändern über die Beteiligung des Bundes an den Be-triebskosten der Krippen ab 2013. Der Bund hat – fürmich fast schon zu großzügig – angeboten, für 201318,75 Millionen Euro und ab 2015 jährlich die volleSumme von 75 Millionen Euro zu zahlen. Dies war al-lerdings den Ländern und, wenn ich mir die Anträge an-sehe, anscheinend auch der SPD hier im Hause anfäng-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25135
Andreas Mattfeldt
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lich nicht genug. Nun muss man hierzu wissen, dass unsvorab in den Verhandlungen lang und breit erklärtwurde, dass der Bau der Kindertagesstätten nicht schnellzu realisieren sei. Gleichzeitig wurde aber vor allem vonSPD-regierten Ländern gefordert, für noch nicht vorhan-dene Kitas sofort zu den ohnehin schon vereinbarten770 Millionen Euro ab 2013 weitere Betriebskostenzu-schüsse in voller Höhe von 75 Millionen Euro on top zuzahlen. Das heißt im Klartext: Wir zahlen Strom- undHeizkosten für noch nicht gebaute Kindergärten. Das istfür mich nicht nachvollziehbar. Das sage ich ganz deut-lich.
Wir dürfen mit dem Finger nicht immer nur auf Grie-chenland zeigen, wir müssen es auch in Richtung Oppo-sition tun. Deshalb mein Rat: Lassen Sie Ihre parteitakti-schen Spielchen! Konzentrieren Sie Ihre Arbeit auf das,was angesagt ist, nämlich die Schaffung von Krippen-plätzen!Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Andreas Mattfeldt.Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächstzur Abstimmung über den Einzelplan 08, Bundesminis-terium der Finanzen, in der Ausschussfassung. Werstimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Werstimmt dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen.Enthaltungen? – Keine. Der Einzelplan 08 ist angenom-men.Abstimmung über den Einzelplan 20 – Bundesrech-nungshof – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Das sind alle Fraktionen. Vorsichtshalber: Gegenprobe! –Keiner. Enthaltungen? – Keine. Der Einzelplan 20 ist an-genommen.Tagesordnungspunkt I.4 c. Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zwei-ten Nachtragshaushaltsgesetzes 2012. Der Haushaltsaus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksachen 17/11290 und 17/11291, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10900und 17/10901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Dassind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Dassind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Nie-mand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? –Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.Tagesordnungspunkt I.4 d. Abstimmung über denvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einesHaushaltsbegleitgesetzes 2013. Der Haushaltsausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/11477, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksachen 17/10588 und 17/10864 in der Aus-schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Op-positionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal-ber: Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf istangenommen.Tagesordnungspunkt I.4 e. Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur in-nerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags. Der Haus-haltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 17/11504, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksachen 17/10976 und 17/11011 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-fraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktion der Sozial-demokraten und die Linksfraktion. Enthaltungen? –Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Das sind die Koalitionsfraktionen und die FraktionBündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – DieFraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion.Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz-entwurf ist angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesord-nungspunkt I.5 auf:Einzelplan 06Bundesministerium des Innern– Drucksachen 17/10806, 17/10823 –Berichterstattung:Abgeordnete Stefanie VogelsangNorbert BarthleDr. Peter DanckertDr. Florian ToncarHeinz-Peter HausteinSteffen BockhahnKatja DörnerEs liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der So-zialdemokraten, ein Änderungsantrag der Fraktion Die
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Vizepräsident Eduard Oswald
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Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor.Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach derSchlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sie sinddamit einverstanden? – Dann haben wir das so beschlos-sen.Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-tion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. PeterDanckert. – Bitte schön, Kollege Dr. Peter Danckert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst ein-mal für die Zusammenarbeit mit den Berichterstatternund den Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Eswar sehr angenehm.Ich fange heute ausnahmsweise mit einem Thema an,das in Haushaltsberatungen immer zu spät und dannauch noch zu kurz behandelt wird: mit dem Sport. ZumEinzelplan 06 gehören die Mittel für den Sport. Ich habeimmer das Gefühl, dass dieser Bereich ein bisschen zukurz kommt. Man sieht nicht, dass die Kürzungen dortein Problem bedeuten. Jetzt haben sich bei den Bundes-leistungsstützpunkten usw. und auch bei der NADAleichte Verbesserungen ergeben. Aber letztlich ist daseine Angelegenheit, die uns viel länger und intensiverbeschäftigen muss, als es bisher geschehen ist. Ichdenke, es sollte in den nächsten Jahren die Hauptaufgabedes Innenausschusses und auch des Sportausschussessein, hier für Klarheit zu sorgen. Denn die Strukturensind nach meinem Eindruck nicht geeignet, um in diesenBereichen voranzukommen.
Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu den Zielvereinba-rungen sagen. Wir haben einen sehr unangenehmenKampf geführt. Erst durch die Klage eines Journalistensind Zahlen veröffentlicht worden. Inzwischen hat es mitIhrem Hause, Herr Bundesminister, eine Einigung gege-ben. Die Obleute – jedenfalls die im Haushaltsausschuss,möglicherweise aber auch die in anderen Ausschüssen –werden die Gelegenheit haben, Einblick in die Unterla-gen zu nehmen, die die Zielvereinbarung einschließlichdes Teils Monitoring – er umfasst die wesentlichen Re-gelungen – enthalten. Ich finde, das ist der richtige Weg.Es wäre unangenehm und peinlich gewesen, wenn wirda hätten klagen müssen.Ein kurzes Wort zur NADA. Auch da sind die Struk-turen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Es gabursprünglich eine Übereinkunft zwischen Bund, Län-dern, Wirtschaft und Sport, das nötige Stiftungskapitalzusammenzubringen. Das hat nicht geklappt. Diese Stif-tung verfügt jetzt über Mittel von rund 13 MillionenEuro. Angesichts der niedrigen Zinssätze kann man sichleicht ausrechnen, dass dieses Stiftungskapital als Haus-halt für die NADA zu gering ist. Deshalb ist der Bundder Hauptfinanzier der NADA. Der NADA wird 1 Mil-lion Euro mehr zur Verfügung gestellt; das ist auch rich-tig so. Wir müssen uns langfristig darüber unterhalten,wie es an dieser Stelle weitergeht. Die Strukturen sindnicht in Ordnung. Ich glaube, wir sollten uns von demStiftungsmodell verabschieden und neue Finanzierungs-formen suchen, damit die NADA in Zukunft auf siche-ren Füßen steht.
Wir haben eine Reihe von Nebenpunkten, die für dieBetroffenen sehr wichtig sind, einvernehmlich geregelt.Dafür möchte ich mich auch bei der Koalition bedanken.Die jeweiligen Ansätze sind nicht mehr beim Sport an-gesiedelt, sondern in anderen Haushaltstiteln verborgen.Es ist gut, dass wir da zusammengefunden haben.Ich komme zu weiteren Punkten, die mir besondersam Herzen liegen. Ein Thema, das ich auch in den Haus-haltsberatungen angesprochen habe, Herr Minister, istdie Situation der Bundespolizei. Die Bundespolizei istunser wichtigstes Instrument zur Bewahrung der öffent-lichen Sicherheit. Die Bundespolizei wird aus meinerSicht sträflich behandelt. Da helfen auch Veränderungenan ihrer Spitze nichts. Dass es da nach mehr als drei Jah-ren unionsgeführter Bundesregierung zu einem Wechselgekommen ist, darüber will ich mich nicht lange ausbrei-ten. Das ist jetzt so entschieden.Wir haben bei der Bundespolizei ein Problem mit derAltersversorgung der Polizeiobermeister, das uns schonseit Jahren beschäftigt. Der verstorbene Kollege Herrmannhat es wie ich zu seinem Thema gemacht. Was ist pas-siert? Nahezu gar nichts. Im nächsten Jahr gibt es dieletzte Tranche der zusätzlichen Beförderungen. Aber dasist viel zu wenig. Um es einmal konkret zu benennen:3 500 Polizeiobermeister müssten befördert werden, da-mit sie nicht mit A 8 in Pension gehen müssen. Jedersollte sich einmal ansehen, was dabei netto heraus-kommt.Im Übrigen hat die ganze Entwicklung auch dazu ge-führt, dass die Belastung der Kollegen bei der Bundes-polizei sehr groß ist. Es gibt dort Burn-out-Syndrome inbesorgniserregender Größenordnung. Der allgemeineKrankenstand, insbesondere aber auch der Krankenstandverursacht durch das Burn-out-Syndrom ist besorgnis-erregend. Wir haben einen Krankenstand von nahezu10 Prozent. Er liegt weit über dem Durchschnitt desKrankenstandes aller Bundesbeamten. Er ist doppelt sohoch wie der Krankenstand bei den Arbeitnehmern. Esmuss also etwas passieren.
Wenn ich dann in der Haushaltsdebatte höre, dass Siedie Bundesobergrenzenverordnung ändern müssen, dannfrage ich mich: Warum kommen Sie erst jetzt auf dieseIdee? Es ist doch seit 2009 bekannt, dass sie ein wesent-liches Hemmnis ist, um den Wünschen der Personalver-treter, der Gewerkschaften bei der Bundespolizei ange-messen nachzukommen. Jetzt kommen Sie auf die Idee,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25137
Dr. Peter Danckert
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dass sie geändert werden müsse. Daran sind nur dasBundesfinanzministerium und das Bundesinnenministe-rium beteiligt. Die Bundesregierung kann dies dann sobeschließen. Ich frage mich wirklich, wer an dieserStelle geschlafen hat. Das ist ein nicht akzeptables Er-gebnis.
Wir haben das Thema Digitalfunk in jeder Rede ge-hört. Nach eingehenden Gesprächen mit den Bericht-erstattern ist die Situation immer noch sehr unbefriedi-gend.
Ich will Herrn Fritsche keine Vorwürfe machen. Er ver-sucht möglicherweise sein Bestes. Hier sind die Länderbeteiligt. Wenn man sieht, was auf diesem Gebiet in denletzten zehn Jahren – das Bundesinnenministerium wardabei überwiegend in CDU/CSU-Verantwortung – pas-siert ist, dann ist das ein erbärmliches Ergebnis.
Ich bin gerade durch das Haus gegangen und habe ei-nen Bediensteten der Polizei getroffen und ihn gefragt:Sagen Sie mal, haben Sie schon Digitalfunk? – Ich warder Meinung, dass es das in diesem Hause schon gibt. Erantwortete: Nein, so weit sind wir noch lange nicht. –Nicht einmal in diesem Hause schaffen wir das.Wir erleben immer wieder Pleiten bei Großeinsätzen,sei es bei Stuttgart 21, sei es bei Veranstaltungen rundum den 1. Mai, sei es bei anderen Veranstaltungen. Beidiesen Einsätzen werden uns die Fehler offenbar, mit de-nen wir heute zu tun haben. Der Digitalfunk steckt nochin den Kinderschuhen. Ich sage voraus, dass uns diesesThema noch viele Jahre beschäftigen wird. Ich befürchtesogar, dass das ein ähnliches Problem wird wie der Flug-hafen Berlin Brandenburg; aber das ist ein anderesThema.
Es muss mehr getan werden für die IT. Auf der einenSeite wurden dort Kürzungen in Höhe von bis zu 10 Mil-lionen Euro vorgenommen, und auf der anderen Seitewurden zu Beginn Ihrer Regierungszeit 900 MillionenEuro für Mövenpick und andere Konsorten ausgegeben.
– Das ist unangenehm, Stephan Mayer. Das ist sehr un-angenehm, weil man das immer wieder hört. Ich weiß,dass viele von Ihnen das längst bedauern.Jetzt auch noch das Betreuungsgeld. Wir müssen ir-gendwo Prioritäten setzen. Auf der einen Seite sollen1,2 Milliarden Euro für die Betreuung ausgegeben wer-den. Auf der anderen Seite wird die Verbesserung der ITauf die lange Bank geschoben. Dieses Problem – dasprophezeie ich Ihnen – wird uns in den nächsten Jahrenauf die Füße fallen, weil wir einen Rückstand von inzwi-schen zehn Jahren aufzuholen haben. Wir haben einevöllig überholte IT.Von daher sage ich Ihnen: Dieses Problem werden wirin Zukunft zu bewältigen haben. Aber wenn das Geldmit offenen Händen für unnötige, von der Gesellschaftgar nicht akzeptierte Projekte ausgegeben wird und ander Sicherheit gespart wird, dann brauchen wir uns überden Rückstand nicht zu wundern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Danckert. – Nächste
Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kol-
legin Frau Stefanie Vogelsang. Bitte schön, Frau Kolle-
gin Stefanie Vogelsang.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der
Tribüne sitzen ja wenig Zuschauer.
Dafür sitzen Millionen vor dem Fernseher.
Also gut: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer anden Fernsehgeräten! Ich möchte meine Ausführungenzum Ressort des Innenministeriums in fünf Schwer-punkte unterteilen. Am Anfang, Kollege Danckert,möchte ich etwas zur Personalsituation in Gänze sagen.Dann konzentriere ich mich auf die Förderung des Eh-renamtes, vor allem beim Technischen Hilfswerk. DieBundespolizei als ein großer Träger unserer Sicherheitwird ein Teil meiner Ausführungen sein, ebenso die För-derung deutscher Minderheiten und die Integrationsför-derung in den Integrationskursen.
Liebe Frau Kollegin, 1989 gab es bei den oberen Bun-desbehörden in der Bundesrepublik Deutschland rund650 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahre2013 sind es noch 450 000 Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter. Im Jahre 1989 wurden 25 Prozent des Haushaltsder Bundesrepublik Deutschland in Gänze für die Be-zahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgege-ben. Für den Haushalt 2013 stellen wir die Prognose an,noch 8,7 Prozent des Bundeshaushaltes für die Bezah-lung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszugeben.Das ist eine deutliche Konsolidierung, eine deutliche Re-duzierung und eine deutliche Rationalisierung in diesemBereich.
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25138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Stefanie Vogelsang
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Als diese Koalition im Jahre 2010 ihre Arbeit begon-nen hat, wurde in Meseberg der Beschluss gefasst: Wirkonsolidieren unsere Personalausgaben und den Perso-nalbestand nochmals um 10 000 Stellen. Mit dem Jahr2012 haben wir bereits eine Konsolidierung um 11 000Stellen vorgenommen.Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung, den dieHaushälter in den Beratungen im Haushaltsausschussbestätigt haben, enthält eine wesentliche und sehr rich-tige Botschaft: Wir wollen eine Abkehr von der pauscha-len Stelleneinsparung vornehmen und das Signal in dieRepublik senden, dass wir die Überausstattung an Perso-nal durch Rationalisierungsmaßnahmen angegangensind, dass wir nunmehr gut aufgestellt sind und dass esjetzt darum geht, kluge Entscheidungen für die Zukunftzu treffen.
Im Ressort des Innenministeriums haben wir durchkluge und zukunftsweisende Entscheidungen 50 Stellenmehr ausgebracht. Damit soll dem Innenministerium er-möglicht werden, schon jetzt Fachkräfte einzustellen,und zwar vor dem Hintergrund, dass in den Jahren 2017,2018 und 2019 ein großer Ausstand von Kolleginnenund Kollegen zu verzeichnen sein wird, die dann in denRuhestand gehen.Deshalb betone ich nochmals: Diese strategischeSchwerpunktsetzung mit dem Ziel einer klugen fachpoli-tischen Ausrüstung unserer Behörden ist eine richtigeMaßnahme. Das ist nicht nur im Innenressort so, abereben auch dort. Darüber freue ich mich sehr.In den Haushaltsberatungen haben wir 2 MillionenEuro zusätzlich zur Verfügung gestellt – und damit wie-derum den Ansatz von 2012 bestätigt – für die ehrenamt-liche Arbeit der Menschen in unserer Gesellschaft, dieim Technischen Hilfswerk Verantwortung übernehmenund dort ihre Arbeit einbringen. Ich freue mich sehr da-rüber, dass es gelingen konnte, hier ein entsprechendesSignal zu setzen.
Der Kollege Danckert hat das Thema Bundespolizeiangesprochen. Es ist uns gelungen, über die Ausstattungim Regierungsentwurf hinaus im Bereich der techni-schen Ausstattung bzw. der Sachmittel noch einmal15 Millionen Euro mehr
für innere Sicherheit, für die IT-Ausstattung und für dieunterschiedlichsten Maßnahmen bei der Bundespolizeizur Verfügung zu stellen. Herr Kollege Danckert, ichschätze Ihr Engagement für die Bundespolizei sehr.
– Andere natürlich auch.
Ich glaube, dass wir uns im Rahmen der mittelfristi-gen Finanzplanung für 2014 und die Folgejahre sehr umdie Sachmittelausstattung im Bereich der Bundespolizeikümmern müssen. Mit der Aufstockung um 15 Millio-nen Euro haben wir jetzt aber erst einmal das richtigeSignal gesetzt.Auch bei dem Thema der Polizeiobermeister befindenwir uns auf dem richtigen Weg. Es geht um die Frage,wie man es hinbekommen kann, dass diejenigen, die ih-ren Kopf dafür hinhalten, dass wir alle uns sicher fühlenkönnen, ein adäquates, also ein in Geld ausgedrücktesWertschätzungssignal unserer Gesellschaft erhalten.Diese Initiative der Bundesregierung ist übrigens einmalvon Otto Schily ausgegangen.
– Davon zehren wir nicht, sondern wenn es einmal einekluge Maßnahme gegeben hat, dann haben wir sie auchweitergeführt. In diesem Fall ist es einmal so. Die zehnteJahresrate hat der Bundesminister Friedrich jetzt einge-setzt, um im Bereich des mittleren Dienstes etwas für dieBundespolizei zu tun. Das finde ich sehr positiv.
Wir haben im Bereich der Minderheiten einenSchwerpunkt gesetzt, mit kleinen Beträgen, die für dieseVolksgruppen aber wichtig sind und dort ankommen.Wir haben zum einen der Volksgruppe der Sorben einenZuschuss von 350 000 Euro gewährt. Das ist für unsHaushälter kein großer Betrag; aber er sichert die Wei-tergabe der kulturellen Identität der Volksgruppe derSorben. Wir haben auch etwas für die deutsche Minder-heit in Dänemark getan.Wir haben im Bereich der Integrationsmittel
den Ansatz der Bundesregierung in Höhe von 240 Mil-lionen Euro zum einen flexibilisiert, indem wir gesagthaben: Im Bereich der Integrationskurse können 10 Mil-lionen Euro draufgesattelt werden.
Zum anderen haben wir, nachdem wir festgestellt haben,dass die Mittel in den letzten Jahren zunehmend nichtmehr abgeflossen sind, beschlossen, die Haushaltsan-sätze anzupassen.
Im Bereich der Bezahlung der Lehrkräfte haben wir dievon der Regierung in Angriff genommene Erhöhung derHonorare mitgetragen;
das sehen wir sehr positiv. Hier gibt es einen Mehrauf-wand von 20 Millionen Euro. Auch das ist ein richtigesSignal. Jeder, der in Deutschland einen Integrationskursbelegen möchte und dazu berechtigt ist, der bekommt ei-nen Integrationskurs auf hohem Niveau. Darauf können
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25139
Stefanie Vogelsang
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wir alle hier stolz sein; wir können uns darüber freuen,dass das in unserem Land gelingt.
Meine Damen und Herren, ich möchte meine Redemit einem Dank abschließen: mit einem Dank an dieKolleginnen und Kollegen Mitberichterstatter für diegute Zusammenarbeit, vor allen Dingen mit einem Dankan die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium.Ich habe jeden einzelnen Mitarbeiter, mit dem ich michin der letzten Zeit in Verbindung gesetzt habe und denich hier oder da um eine Einschätzung gebeten habe, alsäußerst engagiert, an der Sache orientiert und interessiertkennengelernt. Da wir so gute Leute im Ministerium ha-ben, angefangen beim Minister, können wir unsere er-folgreiche Politik weiterführen.Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Vogelsang. – Sie haben
gesehen: Während Ihrer Rede sind doch noch einige Be-
sucherinnen und Besucher gekommen.
– Das Protokoll hat die einzelnen Kommentare, die in
den Fraktionen unterschiedlich waren, aufgenommen.
Nächster Redner ist unser Kollege Steffen Bockhahn
für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Herr Kollege
Bockhahn.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Frau Vogelsang, Ihre Rede endeteim Wesentlichen mit dem Thema der Integrationskurseund der Kürzungen, die da vorgenommen worden sind.Es mag nicht überraschen, aber wir sehen das ein biss-chen anders als Sie.
Ich kann mich sehr genau an die Haushaltsberatungenfür 2010 erinnern. Da wurde die Idee vorgestellt, dieStruktur der Kurse ein bisschen zu verändern und mehrGanztagskurse einzurichten. Wir haben sehr intensiv da-rüber gesprochen, wie man dann das Umfeld gestaltenmüsse. Denn wenn man möchte, dass auch eine Migran-tin, die Mutter ist, an einem Sprachkurs oder Integra-tionskurs teilnimmt, muss man sich natürlich Gedankendarüber machen, wo das Kind bleibt, während die Mutterim Integrationskurs ist, wahlweise der Vater, wenngleichdas eher selten der Fall ist. Wir haben ausdrücklich da-rauf hingewiesen. Was war das Ergebnis? Es ist garnichts passiert. Sie haben zwar die Ganztagskurse zurRegel gemacht, aber sich blöderweise nicht um die Kin-derbetreuung gekümmert. Das wiederum hatte zurFolge, dass weniger Frauen und Männer diese Kurse inAnspruch genommen haben. Es ist leicht verständlich,dass die Mittel nicht abfließen, wenn weniger Leute inden Kursen sind. Sie betreiben da eine falsche Politik,die der Integration nicht förderlich ist.
Sie machen da noch viele andere Sachen. Beispiels-weise planen Sie, 2013 Mittel für die Projektförderungin Höhe von 10 Millionen Euro anders zu verwenden.Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass diese 10 Mil-lionen Euro eigentlich für etwas anderes gedacht waren,nämlich für eine erweiterte Sprachförderung über dasNiveau B 1 hinaus, beispielsweise für Qualifizierte oderHochqualifizierte, um ihnen eine noch bessere Möglich-keit zur Integration in unsere Gesellschaft zu geben. Dasalles lassen Sie einfach wegfallen. Das ist schlicht undergreifend nicht ehrlich.Noch absurder wird es, wenn wir uns anschauen, wasSie mit den Einsparungen machen, die durch die gerin-gere Inanspruchnahme von Integrationskursen entstan-den sind. Sie nutzen dieses Geld nämlich nicht etwa, uman anderer Stelle im Bereich der Integration Sinnvolleszu tun, sondern Sie benutzen es als Puffer, um Mehraus-gaben in anderen Bereichen, vorzugsweise bei der Bun-despolizei etc., auszugleichen. Bestimmte Bereiche IhresHaushalts sind unterfinanziert – Sie wissen das –, undausgerechnet aus den nicht ausgeschöpften Mitteln fürIntegrationskurse haben Sie einen Puffer geschaffen, mitdem Sie andere Vorhaben querfinanzieren wollen. Dasist unredlich, aber das ist Ihre Art der Haushaltspolitik.
Schauen wir uns an, wie sich der Haushalt in seinerStruktur verändert hat. Man kann feststellen, dass er sichwenig verändert hat, dass im Prinzip alles gleich geblie-ben ist. Sie schaffen Kompetenzzentren, GemeinsameAbwehrzentren. Sie verknüpfen das eine mit dem ande-ren, ohne zu überlegen, ob das sinnvoll ist oder nicht –Hauptsache Aktionismus, und davon ganz viel. Sieschaffen viele neue Stellen in den vermeintlichen Sicher-heitsbereichen, lassen aber das, was zwingend notwen-dig ist, nämlich die Präsenz in der Fläche, komplett au-ßen vor.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Das Bundeskri-minalamt hat in den letzten zehn Jahren allein im Rah-men der sogenannten Terrorismusbekämpfung und derStärkung der inneren Sicherheit zusätzlich 166 Millio-nen Euro und 732 Stellen bekommen, während in ande-ren Bereichen stetig Personal abgebaut werden musste.Ich kann allerdings nicht erkennen, dass der Erfolg sograndios war, dass ein solcher Zuwachs zu rechtfertigengewesen wäre. Wir haben schon viel darüber gespro-chen, welche Defizite es bei der Bundespolizei in derFläche gibt. Wenn Sie also die Sicherheitsbehörden in
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Steffen Bockhahn
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ihrer täglichen Aufgabe stärken wollen, dann sorgen Siebitte dafür, dass die Polizei sichtbar ist, und nicht dafür,dass irgendwelche Leute, die in Hinterzimmern irgend-welche Sachen machen – darüber will ich gleich nochsprechen –, gestärkt werden. Das ist der falsche Weg.
Die Sache, über die ich noch sprechen wollte, ist IhrWahn zur Onlineüberwachung und – ich kann das nichtanders sagen – zur Bespitzelung der Bevölkerung in ei-ner Art und Weise, die wirklich jedes Maß verloren hat.
Wenn Sie sich anschauen, was Ihre Regierung in Fortset-zung der Vorgängerregierung im Bereich der Online-überwachung gemacht hat, dann kann einem wirklichgruselig werden, Beispiel: der Staatstrojaner.Wie gehen Sie vor? Sie geben einer privaten Firmaden Auftrag, eine solche Schnüffelsoftware zu entwi-ckeln. Diese private Firma wird also mit Steuergeld be-zahlt. Sie benutzen die Software nicht einmal selber,sondern lassen auch das die private Firma machen. DieBespitzelung von Leuten und das Ausspähen von Kom-munikationsdaten übernimmt eine private Firma. Sienehmen sich noch nicht einmal das Recht, in den Quell-code der verwendeten Software hineinzuschauen. Wederdem Datenschutzbeauftragten noch dem Innenministe-rium war der Zugriff möglich. Was ist daran transparent?Ist das eine angemessene Sicherheitspolitik? Das ist ein-fach nur Wahnsinn, und es ist nicht besonders schlau,was Sie da machen.
Diese Software verstößt gegen das Grundgesetz; dashaben wir inzwischen schriftlich bekommen. Was ma-chen Sie? Sie lassen die Software weiterentwickeln, stattsich Gedanken darüber zu machen, ob man sie vielleichtnicht selber entwickeln könnte, wenn man schon meint,dass sie sein müsse. Wir sehen das anders.Folgende Maßnahme schlägt allerdings dem Fass denBoden aus: Sie sichern sich nicht einmal exklusiv dieRechte an dieser Software. Sie lassen zu, dass ein priva-tes Unternehmen eine Software, die über das rechtlichZulässige in Deutschland hinausgeht, weiterverkaufendarf. Eine auf Staatskosten entwickelte Software wirdvon einem Privatunternehmen weiterverkauft. Der Profitbleibt bei dem privaten Unternehmen. An wen wird dieSoftware verkauft? An die Diktaturen im arabischenRaum, um dort die Opposition auszuspionieren und zubespitzeln. Wenn das Ihre Form der Zusammenarbeit zurStärkung der Sicherheitsapparate ist, dann haben Sie eineigenartiges Verständnis von Demokratieförderung;denn beides passt definitiv nicht zusammen.
Es ist hochgradig interessant, wie Sie weiterhin mitdem Bundesamt für Verfassungsschutz verfahren. Leiderdarf man darüber nicht so viel sagen,
weil das alles geheim ist; so viel zur transparenten Kon-trolle von Geheimdiensten durch Parlamente.
Das ist eine schöne Geschichte, an die aber weder ichnoch meine Partei glauben. Deswegen sind wir für dieAbschaffung des Bundesamts und auch der Landesämterfür Verfassungsschutz. Das ist Ihnen nicht neu.Das Interessante ist – so viel kann man sagen –, dassauch beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Stär-kung der Prävention von Rechtsextremismus vorgenom-men werden soll. Das ist im Grunde zu begrüßen. Zu deneinzelnen Maßnahmen kann man nur sagen: Es ist frag-würdig, ob sie tatsächlich helfen werden. Immerhin ha-ben Sie ein neues Gemeinsames Abwehrzentrum, in demdie Verfassungsschutzämter und die Polizei weiter mitei-nander vernetzt werden. Ob das dem Trennungsgebotnoch entspricht, darüber darf man unterschiedlicherMeinung sein.
Wir fordern die Abschaffung des Bundesamtes fürVerfassungsschutz. Vor allen Dingen aber fordern wirein Ende der Bespitzelung unserer Partei und unsererFraktion. Sparen Sie sich das Geld, und nutzen Sie es füretwas Sinnvolles.Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen, meine Damenund Herren, noch den, wie ich meine, politischsten, denumstrittensten, den unglaublich wichtigen Antrag zu die-sem Einzelplan vorstellen. Dabei geht es um 2 MillionenEuro mehr für das Technische Hilfswerk, die dringendgebraucht werden, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen,damit sich Leute freiwillig für die Mitarbeit beim THWmelden. Das unterstützen wir, glaube ich, alle deutlich.Ich sehe ein, dass das ein so kritischer Punkt ist, dassman da nicht fraktionsübergreifend agieren kann. FürsProtokoll möchte ich nur festgehalten wissen: Auch dieLinke war dafür, wenngleich Sie der Auffassung waren,dass die Linke nicht mit auf so einem Antrag stehen darf.Aber das ist Ihre „undogmatische“ Art der Haushalts-politik und Ihre „undogmatische“ Art der Innenpolitik.Wir waren offen für praktische Vorschläge. Wenn Siedas nicht können, dann ist das Ihr Problem.
Vielen Dank, Kollege Steffen Bockhahn. – NächsteRednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion derFDP unsere Kollegin Frau Gisela Piltz. Bitte schön, Kol-legin Gisela Piltz.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!In diesem Monat jährt sich die Aufdeckung des rechts-extremen NSU-Trios. Seit einem Jahr wird nun aufgear-beitet, was sicherlich nicht nur meiner Fraktion unfass-bar erschien, dass in Deutschland über Jahre hinwegRechtsradikale Morde begehen und Banken ausraubenkonnten und es niemand bemerkt hat. Die Generalbun-desanwaltschaft hat in der letzten Woche Anklage erho-ben – das ist auch gut so.Die politische Aufarbeitung beschäftigt den Bundes-tag und viele Landtage. Sie läuft auf Hochtouren. Dabeiwird auch offenbar, wo in den vergangenen Jahren dieFehler gelegen haben: darin nämlich, dass die Sicher-heitsbehörden nicht gut genug zusammengearbeitet ha-ben. Sicherlich ist nicht zu leugnen, dass es Behördene-goismen gegeben hat – in den Ländern, aber sicherlichauch im Bund. Seit vielen Jahren fordern wir daher eineReform bzw. eine Neuordnung der Sicherheitsarchitek-tur, mit der der Föderalismus nicht aufgegeben wird,sondern mit welcher die Zusammenarbeit verbessertwird, eine Reform, die Behördenkompetenzen klar ab-grenzbar macht, die Verwischung von Zuständigkeitenbeendet, eine Reform, die aber auch das Trennungsgebotachtet und es zugleich ermöglicht, dass dort, wo es schonnach geltendem Recht geboten wäre, Ermittlungen abge-geben werden. Mit dieser Reform soll Kooperation stattEgoismus einfordert werden. Ich glaube, das ist der rich-tige Weg.Es ist gut, dass nun endlich eine Regierungskommis-sion ihre Arbeit aufnimmt. Aus unserer Sicht aber – in-soweit muss ich Wasser in den Wein gießen – ist dasnicht der richtige Weg – ohne dass vorher mit den Län-dern und dem Bundestag gesprochen worden ist –, einneues Zentrum auf den Weg zu bringen.
Am Ende des Tages muss man sich fragen, welcheAufgaben all diese Zentren noch haben. Für uns ist eswichtig, dass das Trennungsgebot geachtet wird unddass Zusammenarbeit stattfindet. Wenn wir aus allem,was wir bisher gehört haben, etwas gelernt haben, dann,dass wir bessere Zusammenarbeit und bessere Kommu-nikation brauchen. Alleingänge sind aus unserer Sicht,ehrlich gesagt, nicht der richtige Weg; denn Kommuni-kation ist – weder unter den Ländern noch zwischenLändern und Bund – keine Einbahnstraße.
Es ist schon gesagt worden: Mehr Mittel erhält auchdie Bundespolizei. Das ist sicherlich sinnvoll.
Nicht nur steigert sich der Etatansatz um die Erhöhungder Beamtenbesoldung – das ist selbstverständlich; wirzahlen ja auch das Weihnachtsgeld wieder; auch dasmuss man hier vielleicht sagen –,
sondern es kommen noch 15 Millionen Euro für drin-gend benötigte Anschaffungen hinzu.
– Sie sagen „nur“. Ich kann mich erinnern, dass, als ichmit über den Einzelplan 06 verhandelt habe, von Ihnenauch nicht mehr Geld draufgelegt wurde. Angesichtsdessen sind die 15 Millionen Euro schon ein dicker Bat-zen. Sie haben das nicht hinbekommen, aber wir.
Man muss das hier der Ehrlichkeit halber auch einmalsagen. Es ist immer leicht, sich in der Opposition hinzu-stellen und zu sagen: Es muss mehr Geld geben. – Wennman regiert, kommt es darauf an. Wir geben 15 Millio-nen Euro mehr, und das ist auch dringend notwendig.Es ist ebenfalls gut, dass die Bundeszentrale für poli-tische Bildung mehr Geld für die Bekämpfung des Ex-tremismus bekommt; denn das, worüber wir hier spre-chen und was wir aufarbeiten, welche Konsequenzen wirdaraus für die Sicherheitsarchitektur ziehen, ist eine Sa-che. Es muss aber auch mehr Geld für die Sensibilisie-rung von Lehrerinnen und Lehrern und für Projektarbeitgeben. Deshalb ist es gut, dass wir hier Geld ausgeben,damit diese rechten Rattenfänger nicht mehr Erfolg ha-ben.Gestaltungskraft haben wir auch bei der Stiftung Da-tenschutz bewiesen. Wir haben hier noch einmal einenZuschuss des Bundes verankern können. Es ist interes-sant, dass die Kollegen von der SPD und insbesonderevon den Grünen das mit dem Sparen offensichtlichfalsch verstanden haben. Denn es ist eine Sache, dass Siean Anwesenheit bei der Stiftung Datenschutz sparen; esist eine andere Sache, dass Sie in Nordrhein-Westfalendasselbe fordern, was die Stiftung Datenschutz leistensoll, nämlich ein Gütesiegel, das unter Einbeziehung vonWirtschaft, Politik und Datenschützern erarbeitet werdensoll, obwohl Sie es hier, in Berlin, verurteilen. LiebeKolleginnen und Kollegen von der SPD und insbeson-dere von den Grünen, jeder merkt, wenn die Politik inBerlin anders aussieht als in Düsseldorf. Damit sind Sieauf dem Holzweg. Das funktioniert nicht. Das merktauch der Letzte. Ich kann Sie nur auffordern, im Sinnedes Datenschutzes mit uns zusammenzuarbeiten.
Mein letzter Punkt ist der Sport – das Schönste zumSchluss –: Sport ist am schönsten, wenn er sauber ist.Deshalb ist es gut, dass es auch in diesem Jahr wieder1 Millionen Euro mehr für die NADA gibt. Auf der Ziel-geraden – um im sportlichen Bild zu bleiben – gibt esauch mehr Geld für den Leistungssport. Ich glaube, dasist ein richtiges Zeichen, insbesondere nach so tollenOlympischen Spielen wie in diesem Jahr.
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Gisela Piltz
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Unsere Leistung, die Leistung dieser Koalition ist es,einen Haushalt vorzulegen, der bei aller gebotenen Spar-samkeit die richtigen Akzente setzt. Das haben wir hin-bekommen, ganz ohne Finanzspritzen, um beim Bild desSportes zu bleiben; denn wir können sparen, und daswollen wir auch.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Gisela Piltz. – Nächste
Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katja
Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich grüße ausdrücklich auch die welt-weite Netzgemeinde vor dem Livestream.
An die Adresse unserer Kollegin Gisela Piltz gerichtet,sage ich: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht.
Insofern unterscheidet sich die Stiftung Datenschutz, diehier in Berlin auf den Weg gebracht wird, von dem, waswir in Nordrhein-Westfalen machen.
Als Grüne sind wir überzeugt: Die Stärke unserer Ge-sellschaft lässt sich ablesen am Umgang mit Schwäche-ren, mit Menschen, die Unterstützung brauchen. Warumsage ich das hier und nicht in einer Rede zum Sozialetat?Weil es hier natürlich auch um die Flüchtlinge, um dieAsylsuchenden geht, die bei uns Schutz suchen und umdie wir uns besonders bemühen sollten.Hier gibt es offensichtlich einen großen Graben zwi-schen den Regierungsfraktionen, ihrem Innenministerund uns. Am 24. Oktober 2012 wurde einen Steinwurfvon hier das Mahnmal für die ermordeten Sinti undRoma eingeweiht. Einen Tag später hatte der Innen-minister nichts Besseres zu tun, als angesichts der gestie-genen Zahl von Asylanträgen von Flüchtlingen aus Ser-bien und Mazedonien diesen Menschen Asylmissbrauchvorzuwerfen,
Menschen, die in ihren Herkunftsländern durch Verfol-gung und Rassismus bedroht sind. Bei ihnen handelt essich mehrheitlich um Sinti und Roma. Ich finde ein sol-ches Verhalten absolut unwürdig. Ich hoffe, dass daskein Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf imkommenden Jahr ist.
Der Innenminister konnte das sogar noch toppen. Erkündigte an, dass die Asylsuchenden aus Serbien undMazedonien eine reduzierte Barleistung auf der Grund-lage einer Ausnahmeregelung im Asylbewerberleis-tungsgesetz erhalten sollen. Auch diesen Vorschlag halteich für völlig inakzeptabel.
Richtig und notwendig wäre es, das Asylbewerberleis-tungsgesetz in Gänze abzuschaffen.
Es ist verfassungswidrig. Das ist klar festgestellt wor-den.
Selbstverständlich müssen Menschen, die bei uns Schutzsuchen, ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenz-minimum haben. Ich erwarte, dass die Bundesregierungendlich bei der Überwindung des Asylbewerberleis-tungsgesetzes aktiv wird und nicht nach irgendwelchenSchlupflöchern sucht, asylsuchenden Menschen, die zuuns kommen, um Schutz zu finden, noch weniger Geldauszuzahlen.Direkt um die Ecke, vor dem Brandenburger Tor,kämpfen und demonstrieren Flüchtlinge. Mit einemHungerstreik wollen sie auf ihre perspektivlose Lebens-situation aufmerksam machen. Ich halte den Protest ge-gen die aktuellen Asylregelungen für völlig berechtigt.Neben dem Asylbewerberleistungsgesetz gehört auchdie Residenzpflicht abgeschafft. Auch diese Menschenbrauchen endlich Zugang zum Arbeitsmarkt.
Asylsuchende zu diffamieren, ist völlig daneben.
In Integration zu investieren, ist richtig. Bei den Integra-tionskursen hätte der Innenminister in diesem Jahr sogargroße Spielräume gehabt. Im letzten Jahr – das ist schongesagt worden – sind die Gelder nicht vollständig abge-flossen. Aber das darf doch gerade kein Anlass sein, dieMittel für die Integrationskurse zu kürzen. Genau das hatdie schwarz-gelbe Bundesregierung aber faktisch getan.
Es ist absolut überfällig – das hätte man aus den vor-handenen Mitteln finanzieren können –, die Honorareder Lehrkräfte von Integrationskursen endlich deutlichzu erhöhen. Die jetzige Erhöhung, die hier von FrauVogelsang als großartig verkündet worden ist, ist mick-rig. Von den derzeitigen Honorarsätzen – auch nach die-ser mickrigen Erhöhung – können die Lehrkräfte nicht
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Katja Dörner
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anständig leben. Fakt ist, dass viele von ihnen prekär be-schäftigt sind. Deshalb plädieren wir Grüne für eineMindestvergütung von 30 Euro pro Stunde. Das ist auchhaushälterisch absolut gut darstellbar.
Wichtig wäre auch, den Kreis der Teilnahmeberechtig-ten bei den Integrationskursen auf Asylantragstellerinnenund Asylantragsteller sowie auf erwachsene Geduldeteauszuweiten. Das fordert nicht nur die 7. Integrationsmi-nisterkonferenz, sondern auch die Integrationsbeauf-tragte der Bundesregierung. Wir sollten gemeinsam mehrfür Integration tun. Das ist der richtige Weg in unserermultikulturellen Gesellschaft.Wir alle sind geschockt über die Mordserie des NSUund über das Versagen der Sicherheitsarchitektur. Ichbin, ehrlich gesagt, auch darüber geschockt, wie wich-tige Entscheidungsträger weiterhin nicht bereit sind, ihreproblematische Rolle in diesem Zusammenhang zu re-flektieren.
Ich bin hochgradig alarmiert, dass eine aktuelle Studieder Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Ergebnis kommt,dass rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaftwieder auf dem Vormarsch ist. Rechtsextremismus be-ginnt bekanntlich im Kopf. Hier muss der Kampf gegenrechts ansetzen. Hierzu leistet die Bundeszentrale fürpolitische Bildung einen entscheidenden Beitrag. Des-halb ist es richtig, dass die Mittel für die Bundeszentralefür das kommende Jahr um 2 Millionen Euro aufgestocktwerden. Aber – auch das will ich sagen – diese Mittel sindfür neue und zusätzliche Projekte gebunden. Deshalb hal-ten wir Grünen an der Forderung fest, dass die Kürzungender Mittel für die Bundeszentrale, die in den vergangenenJahren vollzogen worden sind, wieder rückgängig ge-macht werden.
Ich komme zum Schluss. Zum Thema Sport hat unserHauptberichterstatter schon einiges Wichtiges gesagt.Klar ist: Es kann in der Spitzensportförderung des Bun-des so nicht weitergehen. Ich denke, dass die große Dis-kussion, die wir rund um Olympia im Zusammenhangmit den Zielvereinbarungen hatten und die wir im Zu-sammenhang mit der Finanzierung der NADA haben,zeigt, dass hier für die nächsten Haushaltsjahre ganzgroße Aufgaben sind. Ich würde mir wünschen, dass wirdiese gemeinsam in Angriff nehmen.Vielen Dank.
Wir danken, Frau Kollegin Katja Dörner. – Nächster
Redner für die Bundesregierung ist Bundesminister
Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Herr Bundesminister
Hans-Peter Friedrich.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte als Allererstes zu dem,
was die Kollegin Dörner zum Asylrecht gesagt hat, eine
Bemerkung machen: Es gibt kein Land auf der Welt, das
in vergleichbarer Weise großzügig ist bei der Aufnahme
von Menschen, die – egal wo auf der Welt – verfolgt
werden und Schutz und Hilfe brauchen. Wir sind das
Land, das immer bereit ist, diese Menschen aufzuneh-
men. Aber wir können sie nur dann aufnehmen, wenn
unsere Kapazitäten nicht überlaufen durch die, die nie
einen Anspruch haben oder erhalten werden, hier im
Land zu bleiben.
Deswegen sage ich Ihnen: Natürlich weiß ich, dass es
auch Menschen in Serbien und in Mazedonien schlecht
geht. Aber die Europäische Union stellt Millionen und
Abermillionen zur Verfügung, um diesen Menschen zu
helfen. Ich erwarte von den Regierungen in Serbien und
in Mazedonien, dass sie den Menschen diese Hilfe zu-
kommen lassen. Das können wir in Europa auch verlan-
gen. Unsere Kapazitäten müssen für diejenigen offenge-
halten werden, die verfolgt werden, die unter politischer
Verfolgung leiden. Wir haben hier bei uns Menschen aus
dem Iran, aus Afghanistan und aus dem Irak aufgenom-
men.
Herr Bundesminister.Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Jetzt keine Zwischenfrage. – Wir stehen vor neuenProblemen. Man weiß nicht, was in Syrien passierenwird. Wir müssen auch in der Zukunft, wenn es neue He-rausforderungen gibt, in der Lage sein, Hilfe zu leisten.Deswegen ist es nicht in Ordnung, dass wir jetzt akzep-tieren sollen, dass Wirtschaftsflüchtlinge, die natürlichein schlechteres Leben haben als wir – keine Frage –, zuuns kommen. Vielmehr müssen wir denen in ihren Län-dern helfen; denn wir brauchen die Kapazitäten undHilfsmöglichkeiten für diejenigen, die als politisch Ver-folgte unsere Hilfe dringend brauchen.
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Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
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Was den Haushalt betrifft, will ich zunächst ganzherzlich den Berichterstattern danken, die sehr konstruk-tiv an diesem Haushalt mitgewirkt haben. Wir haben ei-nen Entwurf vorgelegt, der an der einen oder anderenStelle nachjustiert wurde bzw. in dem umgeschichtetwurde. Nicht alles, lieber Herr Kollege Danckert, wasauch ich mir gewünscht hätte, ist finanzierbar. Das ist inZeiten, in denen eine Schuldenbremse eingehalten wer-den muss und in denen uns ein Geldbetrag zur Verfü-gung gestellt wird, den wir optimal und effizient einset-zen müssen, eben nicht anders möglich.Alle grundlegenden Weichenstellungen, die wir inden letzten Jahren vorgenommen haben, laufen auf dieModernisierung und die Steigerung der Effizienz unsererSicherheitsbehörden hinaus; das ist etwas, das sich wieein roter Faden durch diesen Haushalt, sofern er die Si-cherheitsbehörden betrifft, zieht. Wir haben islamisti-sche Terrorgefahr für unser Land; wir haben rechts- undlinksextremistische Gewaltgefahr in unserem Land.
Deswegen ist es notwendig, dass wir die Abwehrkraftdieses Staates gegen kriminelle Angriffe stärken.
Notwendig ist auch, dass wir diese Abwehrkraft stärken,indem wir die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehördenverbessern, sie mit den neuen Möglichkeiten der Tech-nologie unterstützen und die modernen Informations-und Kommunikationstechnologien einsetzen, um unsereBehörden gegenüber Kriminellen und Angreifern von al-len Seiten abwehrfähig zu machen.Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,haben wir im letzten Jahr die Antiterrorgesetze verlängert.Deswegen haben wir als Reaktion auf die Herausforderungdes Rechtsextremismus, die durch den Rechtsterrorismusim letzten Jahr deutlich geworden ist, ein GemeinsamesAbwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auf die Beinegestellt. Wir haben es um ein GETZ erweitert, das allePhänomenbereiche abdeckt und in dem sich die Sicher-heitsbehörden allen Phänomenbereichen widmen kön-nen. Wir ergänzen dies durch ein Gemeinsames Inter-netzentrum, in dem insbesondere die Gefahren durch diePropaganda von Extremisten, die im Netz vor allem jun-gen Leuten drohen, analysiert werden.Wir haben, um all das zu unterstützen, eine Rechts-extremismusdatei auf den Weg gebracht, die die Sicher-heitsbehörden, Polizeien und Verfassungsschutzbehör-den von Bund und Ländern, in die Lage versetzt, einenÜberblick über Gewalttäter und Extremisten im rechts-extremistischen Bereich im ganzen Land zu bekommen.Das ist dringend notwendig, und das ist die richtige Ant-wort auf die NSU-Mordserie.Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hi-naus haben wir eine Visawarndatei eingeführt. Sie sollsicherstellen, dass Personen, die sich in unserem Landaufhalten wollen, mit denjenigen, die in den Antiterror-dateien aufgeführt sind, abgeglichen werden.Gestern haben wir ein Nationales Waffenregister aufden Weg gebracht. Damit gewährleisten wir, dass die fürWaffen zuständigen Behörden in den Kommunen und inden Ländern einen Überblick über die registrierten lega-len Waffen haben; diese gelangen nämlich häufig in denUntergrund, also in die Illegalität. Deswegen ist diesesNationale Waffenregister von entscheidender Bedeu-tung.Es geht also nicht nur darum, eine Vernetzung zwi-schen den Behörden auf Bundesebene herzustellen, son-dern auch darum, eine Vernetzung mit den Ländern undKommunen zu schaffen; das ist, glaube ich, der richtigeWeg.Ich werde heute und morgen in London mit den Kol-legen der G 6, der großen Länder in Europa, auch da-rüber sprechen, wie wir darüber hinaus die europäischenGrenzen besser sichern können. Denn, meine sehr ver-ehrten Damen und Herren, ein freiheitliches Europaohne Grenzen macht es erforderlich, dass wir unsereGrenzen unter Anwendung modernster Möglichkeiten soüberwachen, dass wir in der Lage sind, herauszufinden,wer eigentlich zu uns kommt bzw. welche Elemente sichvon wo auch immer auf der Welt zu uns bewegen.Die Behörden zu modernisieren und die Behörden zuvernetzen, bedeutet aber auch, jede Behörde für sich zumodernisieren. Lieber Kollege Bockhahn,
ich frage mich: Wen wollen Sie eigentlich schützen?
Noch gestern wurde mir – auch von Ihnen, aus dem lin-ken Lager – vorgeworfen, es gebe so viele illegale Waf-fen in diesem Land.
Wenn das BKA und andere Sicherheitsbehörden aber ge-gen illegale Waffenhändler vorgehen wollen, indem sieauf richterliche Anordnung zum Beispiel im Bereich derorganisierten Kriminalität mit Abhörsoftware Personenüberwachen, dann kommen Sie daher und reden von Be-spitzelung. Wir führen einen Kampf gegen organisierteKriminalität, weltweit. Deswegen muss auch das BKAin der Lage sein, sich entsprechend auszurüsten und ent-sprechend tätig zu werden.
Meine Damen und Herren, wir stärken ein weiteresMal die Bundespolizei. Das Attraktivitätsprogramm istbereits genannt worden: 635 Stellen werden aus demmittleren Dienst in den gehobenen Dienst überführt. Da-
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Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
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durch erhöhen wir die Anziehungskraft unserer Bundes-polizei weiter. Wir haben den Anteil des gehobenenDienstes am Personalkörper inzwischen auf 40 Prozentverdoppelt. Ich glaube, das kann sich sehen lassen.Kollege Danckert, erst im letzten Jahr sind die Spiel-räume – die Obergrenzen, die in der Verordnung vorge-sehen sind – im Haushaltsausschuss voll ausgereizt wor-den. Ich werde mich bemühen – aber ich weiß, dass dasim Rahmen von finanziell begrenzten Möglichkeiten ge-schieht –, dass die Obergrenzen in der Stellenobergren-zenverordnung im nächsten Haushalt angehoben wer-den. Darüber werden wir beim nächsten Haushalt reden.Zum Thema „Obermeisterbauch“: In den letzten dreiJahren sind bei den immerhin über 40 000 Bundespoli-zisten gerade einmal 9 nur mit A 8 in Pension gegangen.Der „Obermeisterbauch“ ist also eine etwas überzeich-nete, überspitzte Darstellung des Problems, dass wir na-türlich nur eine begrenzte Zahl an A-9-Stellen zur Verfü-gung haben. Aber auch da sind wir auf einem gutenWeg. Ich bin, wie gesagt, gerne bereit – auch im Hin-blick auf die Aufstellung des nächsten Haushalts –, da-rüber zu reden, wie wir auch in diesem Bereich Entspan-nung und Entlastung schaffen und die Attraktivität derBundespolizei weiter steigern können.Es ist wichtig, dass wir die Polizei mit entsprechenderInformations- und Kommunikationstechnologie ausstat-ten. Ich bin sehr dankbar, dass nicht nur die 33 MillionenEuro dazukommen, die wir ohnehin als Steigerung vor-gesehen hatten, sondern der Haushaltsausschuss darüberhinaus – ich bedanke mich bei denen, die das auf denWeg gebracht haben – zusätzliche 15 Millionen Euro fürdie Bundespolizei aus dem Bereich Integrationskurse zurVerfügung stellt. Denn der Nachholbedarf früherer Jahrebei den Integrationskursen ist abgearbeitet, und die Zahlder Teilnehmer sinkt jetzt. Gleichwohl haben wir einenTeil des frei werdenden Geldes dazu verwendet, dieVergütung der Lehrer zu erhöhen. Dafür werden über20 Millionen Euro eingesetzt. Ich glaube, das ist derrichtige Weg.
Ich bin sehr dankbar, dass man sich fraktionsübergrei-fend dafür ausgesprochen hat, die Mittel für das THW– diejenigen, die mit ehrenamtlichen Kräften einen her-vorragenden Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit un-serer Zivilbevölkerung leisten und bei internationalenEinsätzen ein wunderbares Aushängeschild unseres Lan-des sind – um 2 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist not-wendig und sinnvoll; denn es muss Werbung gemachtwerden: Auch das THW ist darauf angewiesen, Nach-wuchs zu gewinnen.
Der Sport ist genannt worden. Bei der Finanzierungder NADA werden wir in der Zukunft noch besser wer-den müssen; aber wenn ich darauf hinweisen darf: Dahaben die Länder auch Nachholbedarf.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein großesund wichtiges Kapitel, dem sich das Bundesinnenminis-terium zu widmen hat, ist der demografische Wandel.Hier sind die neuen Länder mit ihrer Innovationskraftund ihrer Flexibilität vorbildlich. Wir wissen, dass mandas finanziell unterlegen muss.
Der Solidarpakt II steht bis 2019; das ist überhaupt keineFrage. Darüber hinaus werden wir, auch was die EU-Förderung angeht, hoffentlich eine gute und vernünftigeAnschlussfinanzierung in Brüssel durchsetzen können.Insgesamt ist der Haushalt des Bundesinnenministe-riums, wie ich denke, ein Haushalt, in dem Sparsamkeit,Effizienz und Zukunftsorientierung an die Spitze gestelltwerden. Dafür darf ich mich bei allen, die daran mitge-wirkt haben, noch einmal ganz herzlich bedanken.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter
Friedrich. – Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention
unsere Kollegin Frau Britta Haßelmann.
Reicht es jetzt mit den Zwischenbemerkungen? –Danke. – Herr Präsident, vielen Dank. – Da der Innen-minister keine Frage zugelassen hat, möchte ich die Ge-legenheit zu einer Kurzintervention nutzen.Herr Friedrich, ich finde es ziemlich unverantwort-lich, wie Sie damit umgehen, öffentlich den Eindruck zuerwecken, wir hätten eine Riesenanzahl von Menschen,die hier Asyl suchen, und von Asylanträgen, die bewil-ligt werden. Sie sprechen davon, es gebe keine Kapazitä-ten zur Aufnahme usw.Ich habe die Erwartung an Sie als Mitglied des Deut-schen Bundestages, dass Sie vor dem Hintergrund dergeringen Anzahl von Asylbewilligungen damit aufhö-ren, öffentlich den Eindruck zu schüren, als würden wirüber massenhafte Asylbegehren reden. Ich finde dasziemlich unverantwortlich.
Die Frage der Sinti und Roma muss an Sie gestelltwerden. Ich frage Sie, inwieweit Sie auf der europäi-schen Innenministerebene bisher auch nur ein einzigesMal Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungenund die Lebenssituation von Roma thematisiert haben.Damit treten Sie zumindest öffentlich nicht in Erschei-nung. Öffentlich heißt es nur: Es gibt für sie keine Ver-anlassung, hier zu sein. – Das Stichwort „Wirtschafts-flüchtlinge“ haben Sie gerade in den Mund genommen.
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25146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Britta Haßelmann
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Von Ihnen würden wir gerne wissen: Was tun Sie aufeuropäischer Ebene, um die bestehenden Menschen-rechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen Sintiund Roma endlich einmal zu thematisieren? Da ist dochbisher Fehlanzeige.
Das Wort zur Antwort hat Herr Bundesminister
Dr. Friedrich.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte einmal da-
rauf hinweisen, dass die Europäische Union circa 1 Mil-
liarde Euro zur Verfügung gestellt hat,
und zwar Heranführungsmittel unter anderem für Ser-
bien und Mazedonien. Das sind Länder, die später ein-
mal zur Europäischen Union gehören wollen. Damit sol-
len sie finanziell so ausgestattet werden, dass sie in der
Lage sind, ihren Menschen ein ordentliches Leben zu
gewährleisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwarten
von diesen Regierungen, die ihr Land eines Tages in die
Europäische Union führen wollen, dass sie ihre Men-
schen ordentlich behandeln. Wir haben das auch zum
Ausdruck gebracht.
Ich kann Ihnen sagen, was wir getan haben: Der
Staatssekretär hat die Botschafter einbestellt, hat mit ih-
nen darüber gesprochen und klargemacht, dass wir das
so nicht akzeptieren. Deswegen ist der richtige Weg,
dass wir sagen: Wir in Europa erwarten von den Regie-
rungen, dass sie ihre Menschen ordentlich behandeln.
Wir sind auch bereit, Finanzmittel zur Verfügung zu stel-
len.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu denen, die hierherkom-
men. Die Anerkennungsquote bei Asylbewerbern liegt
bei unter 1 Prozent. Das bedeutet, über 99 Prozent haben
nach unserem Asylrecht kein Recht, hier zu sein. Deswe-
gen habe ich gesagt: Wir müssen die Asylverfahren – je-
der Einzelne hat ein Recht auf ein ordnungsgemäßes
Asylverfahren – möglichst schnell durchführen, weil es
in der Vergangenheit Wartezeiten, Stau gab mit der Kon-
sequenz, dass die Schlepperbanden in Mazedonien und
Serbien das nutzen konnten, indem sie den Leuten ge-
sagt haben: Ihr könnt drei, vier, fünf Monate dort blei-
ben, bis euer Verfahren losgeht. Das dauert lange. Dann
könnt ihr zurückfahren. – Das haben wir abgestellt.
Ich habe dafür gesorgt, dass die Bundespolizei dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behilflich ist
und dass wir die Verfahren möglichst schnell und zügig
durchführen. Am Ende des Verfahrens steht entweder
eine Anerkennung als Asylbewerber – selbstverständlich
darf dann der Mensch mit allen Rechten hierbleiben –,
oder es steht eine Ablehnung. Dann muss er ausreisen.
Das ist unsere Rechtsordnung. Das sind die Gesetze, die
wir gemeinsam hier in diesem Hause verabschiedet ha-
ben. Ich sorge dafür, dass sie eingehalten werden.
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Michael
Hartmann. Bitte schön, Kollege Michael Hartmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An-gesichts dieses Wortwechsels eben erlauben Sie mirbitte, sehr geehrter Herr Minister, dass ich mit folgenderBemerkung beginne: Ohne Frage, das, was die Länderund auch die Kommunen, die die Flüchtlinge vorüberge-hend aufnehmen müssen, in besonderem Maße bedrückt,ist ernst zu nehmen. Wenn man in Zeiten, in denen wirdie NSU-Mordserie aufarbeiten und gegen rechts kämp-fen, seine Worte nicht sorgfältig wägt, sondern eine„Das-Boot-ist-voll-Politik“-Rhetorik an den Tag legt,bekämpft man zwar einerseits rechts, befördert anderer-seits aber die Stammtische, an denen genau jene Parolengepflegt werden.
Das ist nicht in Ordnung. Sie haben so manches von sichgegeben, was nicht stimmig ist, wie vieles nicht stimmigist, Herr Minister, was Sie als Innenpolitik zu konstituie-ren versuchen.Vor gut eineinhalb Jahren haben Sie nach demschmählichen Abgang Ihres unterfränkischen KollegenGuttenberg und dem Wechsel von Herrn de Maizière insVerteidigungsministerium Verantwortung für dieses Res-sort übernommen. Seit dieser Zeit bemühen Sie sich umeinen Kompass; aber Sie finden ihn nicht. Die Innenpoli-tik in Deutschland – es tut mir leid, dass ich das trotz al-ler persönlichen Wertschätzung sagen muss – ist bei Ih-nen in keinen guten Händen.
Das könnte uns als Opposition im Zweifelsfalle egalsein. Das ist es aber nicht, weil wir hier durchaus in Ver-antwortung für die Stiftung und Bewahrung des innerge-sellschaftlichen Friedens in unserem Lande agieren.
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Michael Hartmann
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Deshalb haben wir auch dieser Regierung nie die Mitar-beit verweigert, zum Beispiel als es darum ging, das Ab-wehrzentrum gegen rechts und eine auch aus unsererSicht sinnvolle Verbunddatei einzurichten. Herr Minis-ter, außer diesen beiden Dingen und der Wiedereinrich-tung der Abteilung „Rechtsextremismus“ im Bundesamtfür Verfassungsschutz ist seither nichts Nennenswertesgeschehen. Das Agieren danach war alles andere alsglücklich und richtig. Es liegt zum Beispiel in Ihrer Ver-antwortung, Herr Minister, dass nach Bekanntwerdender NSU-Mordserie das Schreddern der Akten im Bun-desamt für Verfassungsschutz nicht ausdrücklich unter-sagt wurde. Sie hätten sofort den Erlass herausgebenmüssen: Es wird kein Blatt Papier zu diesem Komplexweggeworfen. – Das Gegenteil ist geschehen.
Außerdem haben Sie die Länder mehrfach und wie-derholt ohne Not brüskiert. So fand beispielsweise imSommer mit Ihnen ein Pressehintergrundgespräch da-rüber statt, wie Sie sich die Zukunft des Verfassungs-schutzes in Deutschland denken. Am nächsten Tag sindSie in die Innenministerkonferenz gegangen und habenden dort Anwesenden gesagt, Sie wollten alle Dominanzbeim BfV – das sich ja nun wirklich nicht mit Ruhm be-kleckert hat –, und sie sollten Handlanger werden. Daswar doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ohnedie Länder mit im Boot zu haben, sagen Sie jetzt ein-fach: Wir haben ein Abwehrzentrum gegen rechts einge-richtet; das holpert und ruckelt noch. Aber wenn wirschon dabei sind, errichten wir gleich auch noch ein Ab-wehrzentrum gegen Linksextremismus, eines zur Spio-nageabwehr, eines gegen Ausländerextremismus usw. –Sehr geehrter Herr Minister, wir dürfen nicht alles zu-sammenrühren. Wir brauchen für jeden Extremismusan-satz eine eigene Bekämpfungsstrategie und keine über-bordenden Zentren, die einfach so, ohne Beteiligung derLänder, eingerichtet werden.
Es wäre auch verkürzt und falsch, bei der Behördenorga-nisation stehen zu bleiben, wenn es um die Aufarbeitungder NSU-Mordserie geht. Es geht um viel mehr. Wirmüssen die Haltungen in den Sicherheitsbehörden verän-dern. Hierzu fehlt mir bis zum heutigen Tag ein klaresWort von Ihnen. Stattdessen rührt man alles Möglichezusammen, was in der Tat und zu dieser Zeit nicht zu-sammengehört.Herr Minister, lassen Sie mich noch eine Anmerkungmachen. Man hört so manches. Wenn ich Ihnen durchausin der Bereitschaft zur Mit- und Zusammenarbeit einenRat geben dürfte, dann würde er lauten: Versuchen Sienicht, die Ergebnisse der Werthebach-Kommission wie-der aus der Kiste zu ziehen. Es geht nicht an, dass Berei-che des Bundeskriminalamts und der ohnehin geschun-denen Bundespolizei, die gar nicht zusammengehören,zusammengeführt werden sollen, nämlich die BereicheIT-Technik und Ausbildung. Die Bundespolizei und dasBKA müssen bei ihren Leisten bleiben. Alles anderewird uns nicht bekommen.
Zumal haben Sie bei der Bundespolizei wahrhaftigmehr gutzumachen als nur den Abbau des Obermeister-Bauches. „Abbau des Obermeister-Bauches“ bedeutetübrigens nicht, dass es ein Problem mit dem Gewichteinzelner Polizeibeamtinnen und -beamten gibt. Es gehthier um eine Truppe mit weit über 40 000 Personen immittleren Dienst, während in den Ländern bereits der ge-hobene Dienst zur Regel geworden ist.Herr Minister, Sie haben im Sommer, einfach so, ei-nen Enthauptungsschlag gegen die Spitzen der Bundes-polizei geführt. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie mit de-nen nicht zurechtkommen und wenn Ihnen nicht passt,was die tun, dann dürfen Sie das machen. Aber Sie ha-ben bis zum heutigen Tage nicht ein Wort darüber verlo-ren, wohin bei der Bundespolizei die Reise gehen soll.Sie zerstören das Selbstbewusstsein und das Selbstver-ständnis der Bundespolizei, indem Sie einen willfähri-gen Handlanger an die Stelle des bisherigen Präsidentengesetzt haben. Das ist nicht in Ordnung, und das hatdiese Truppe nicht verdient.
– Lieber Kollege Hartfrid Wolff, mir ist zu Ohren ge-kommen, dass der neue Präsident, außer sehr staatstra-gende Aussagen zu treffen – ohne Zweifel! –, nichts an-deres zu tun hat, als der Bundespolizei, die im MomentMädchen für alles ist – sie überwacht den Bahnbetrieb;sie leistet Auslandseinsätze; sie ist Bereitschaftspolizei;sie begleitet an den Wochenenden Fußballspiele usw. –,zu sagen: So ganz nebenbei könnt ihr auch noch Terror-bekämpfung machen. – Das ist keine kluge strategischeAusrichtung. In einem Spiegel-Interview war außerdemvon ihm zu lesen: Die Bundespolizei hat kein Problemmit dem Rassismus, weil das in den Dienstvorschriftennicht vorgesehen ist. – Dazu sage ich: Ob das der geeig-nete Mann auf dieser Stelle ist, darf man zumindest hin-terfragen.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben wohlweislichkein Wort zum Thema Vorratsdatenspeicherung gesagt;vielleicht wird Ihre Kollegin im Justizressort dieses Ver-säumnis beseitigen. Ganz egal, wie man zu diesemThema steht, ob man nun dafür oder dagegen ist: DassSie kein Wort darüber verlieren, während in BrüsselKlage gegen uns eingereicht wurde und ein Vertragsver-letzungsverfahren ansteht, ist ein Versagen des Bundes-innenministers.
Es wäre gut und richtig, wenn wir eine Innenpolitikkonstituieren würden, die weiß, dass unsere Sicherheits-behörden dann gut sind, wenn sie alle Menschen und da-mit auch unsere Verfassung schützen. Es wäre gut, wennwir eine Innenpolitik konstituieren würden, die die Men-schen durch Prävention auf Grundlage verlässlicher Si-cherheitsanalysen stark macht. Es wäre gut, wenn wir
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eine Innenpolitik konstituieren würden, die es nicht län-ger zulässt, dass die NPD, geschützt durch das Parteien-privileg, durch das Brandenburger Tor marschiert, wäh-rend wir all jenen, die von ihr bedroht werden, wiejüngst in Hoyerswerda, sagen: Zieht doch von diesemOrt weg! – Es ist eine Schande, dass solche Sätze ausge-sprochen wurden und die NPD weiterhin geduldet wird.Herr Minister, auch da wäre Eindeutigkeit das Beste,was Sie leisten könnten.
Wir brauchen ein neues NPD-Verbotsverfahren.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Michael Hartmann. – Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Florian Toncar. Bitte schön, Kollege Dr. Toncar.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist natürlich immerAnlass, über ein Politikfeld einmal ganz grundsätzlichzu sprechen. Das ist richtig und gehört dazu. Aber ichhabe schon den Eindruck, dass jedenfalls dieser Haus-halt nicht Anlass zu allergrößter Kritik bietet. Er enthältDinge, über die man sprechen kann. Aber ich sehe nicht,dass wir hier sehr weit auseinander liegen. Ich glaube,dass das auch berechtigt ist, weil wir bei diesem Haus-halt wirklich gute Arbeit geleistet haben.
Wir als Koalition, aber gerade auch als FDP-Fraktionsind der Meinung, dass innere Sicherheit ein wichtigesThema ist und dass unsere Behörden gut ausgestattetsein müssen, damit sie Verdachtsmomenten nachgehenkönnen – und dies sind die Polizistinnen und Polizisten,die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicher-heitsbehörden. Um sie haben wir uns mit diesem Haus-halt gekümmert. Wir haben nicht nur mehr Geld für dieBesoldung der Beamten eingeplant – das macht in die-sem Haushalt 138 Millionen Euro allein bei der Bundes-polizei aus – und dafür gesorgt, dass wieder Weihnachts-geld gezahlt wird. Nein, wir haben auch Ressourcen inHöhe von 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, undzwar schon bei der Aufstellung des Haushalts, die dasInnenministerium in die Stärkung der inneren Sicherheitinvestieren konnte, sodass man wirklich sagen kann:Hier liegt unser Schwerpunkt der Investitionen. Für unsals Liberale ist das deshalb erfreulich, weil wir glauben,dass eine gute Ausstattung der Sicherheitsbehörden vielwichtiger und effektiver für die Verbrechensbekämpfungist als immer neue Gesetze und Eingriffe in die Grund-rechte der Bürgerinnen und Bürger.
Wir konnten im Zuge der Haushaltsberatungen dieAusstattung der Sicherheitsbehörden nochmals etwasverbessern und weitere 15 Millionen Euro in diesen Be-reich umschichten. Damit werden einige sehr gute undsinnvolle Ausgaben finanziert. Geplant sind insbeson-dere auch bei der Bundespolizei die Anschaffung zusätz-licher Fahrzeuge, auch Spezialfahrzeuge, neue Doku-mentenprüfgeräte sowie Ausgaben für die IT-Sicherheit,damit die Netze sicherer werden gegenüber Angriffenvon außen. Insofern tut sich etwas im guten Sinne für dieSicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.Wir haben natürlich immer noch ein Problem bei derStellenstruktur der Bundespolizei. Das ist aber ein lang-fristiger Prozess, den man nicht in wenigen Jahren so be-wältigen kann, dass alle zufrieden sind. Aber wir wissenauch – das ist in den Haushaltsberatungen geklärt wor-den –, dass das Ministerium bzw. Herr MinisterFriedrich Möglichkeiten hat, weitere Beförderungenvorzunehmen, wenn der Finanzminister mit zustimmt.Die Stellen sind durchaus vorhanden. Ich denke, dasssich auf diesem Wege weitere Verbesserungen auch ohneÄnderungen des Stellenplans erreichen lassen, damit dieMotivation unserer Beamten stimmt und sie sich für ihrewichtige Arbeit wertgeschätzt fühlen.
Wir haben in diesem Haushalt ein wichtiges Projektdieser Koalition zum Laufen gebracht, nämlich die Stif-tung Datenschutz. Dafür hatten wir schon vor zwei Jah-ren rund 10 Millionen Euro als Stiftungskapital in denHaushalt eingestellt. Die Ertragslage von Stiftungen,also das, was sie für ihr angelegtes Geld bekommen, hatsich seitdem sehr schlecht entwickelt; die Erträge warenzu niedrig. Deshalb haben wir nachgesteuert. Ich freuemich sehr, dass die Stiftung, die für Datenschutz in derprivaten Wirtschaft sorgen und Bürger darüber aufklärensoll, wie man seine eigenen Daten schützt und sorgsamdamit umgeht, ihre Arbeit aufnehmen kann.Ich will mich dem Dank an das Technische Hilfswerk,THW, anschließen, das überwiegend mit Ehrenamtli-chen in ganz Deutschland und auch im Ausland eine aus-gesprochen wichtige Arbeit leistet.
Das THW braucht natürlich entsprechende technischeGeräte, aber auch immer wieder gute, ehrenamtlich en-gagierte Menschen, die das in ihrer Freizeit, am Wo-chenende oder auch abends, machen wollen. Damit sie,weil es keinen Wehrersatzdienst mehr gibt, auch weiter-hin zum THW kommen, haben wir 2 Millionen Euroextra in den Haushalt eingestellt.
So können die Ortsverbände mehr Werbung machen.
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Dr. Florian Toncar
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Auch wenn gespart werden muss und Geld nicht un-begrenzt zur Verfügung steht, haben wir, meine ich, ei-nige sehr sinnvolle und richtige Schwerpunkte gesetzt.Wir tragen mit dazu bei, dass Deutschland eines der si-chersten Länder in Europa ist und hoffentlich auch blei-ben wird.
Vielen Dank, Kollege Dr. Toncar. – Nächster Redner
ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jens
Petermann. Bitte schön, Kollege Petermann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Sportsfreund Peter Danckert, du hast
völlig recht: Sport kommt in dieser Bundesregierung zu
kurz. Richtig ist auch: Die Strukturen des Sports sind
nicht in Ordnung.
Passend zur aktuellen Haushaltsdebatte um die Förde-
rung des Spitzensports durch den Bund kommen die For-
derungen der Sportministerkonferenz, die Ende letzter
Woche im thüringischen Eisenach getagt hat. Die Forde-
rungen sind nicht ganz neu. Es geht um bessere Abspra-
chen der Bundesländer, mehr Geld und bessere Effi-
zienz, eine hochwertige akademische Trainerausbildung,
die Stärkung des Ehrenamtes und der Zusammenarbeit
mit der Wissenschaft, aber auch um den Kampf gegen
Gewalt und Rechtsextremismus.
Die Antworten der Koalition auf diese Forderungen
sind mehr als einsilbig. Als hätte es die Kritik am Ab-
schneiden der Olympiamannschaft in London und am
völlig verkorksten Engagement im Antidopingkampf
nicht gegeben, geht die Koalition mit dem Haushalt zur
Sportförderung eingefahrene Wege weiter. Daran ändert
übrigens auch die über Nacht noch schnell beschlossene
geringfügige Erhöhung des Sportetats nichts.
Gelingt es ihr einerseits gerade noch so, den völligen Zu-
sammenbruch des Antidopingkampfes durch einen Zu-
schuss an die NADA zu verhindern, streicht sie im glei-
chen Atemzug Mittel für die Trainerausbildung.
Dieser Haushalt ist ein Dokument für drei Jahre
schwarz-gelbe sportpolitische Ideenlosigkeit. Aller-
dings hat auch der Deutsche Olympische Sportbund ei-
nen beträchtlichen Anteil an dieser Lage und steht nun
vor einem Scherbenhaufen seiner konservativen Sport-
politik. „Wir machen alles richtig und deshalb so weiter
wie bisher, nur brauchen wir dafür mehr Geld“, lautet
die kaum nachvollziehbare Schlussfolgerung aus Lon-
don in Kurzfassung. Dieser verkürzten Sicht schließt
sich auch das BMI an und weicht einer ergebnisoffenen
Debatte über die Sportförderung als gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe aus.
Zum einen ignorieren Sie die Hinweise auf offen-
sichtlich notwendige Veränderungen, die vor allem aus
den Reihen der Sportlerinnen und Sportler sowie der
Trainerinnen und Trainer laut wurden, zum anderen ver-
stecken Sie sich hinter der angeblichen Unzuständigkeit
des Bundes. Aus Sicht der Linken gibt es aber eine ge-
samtgesellschaftliche Verantwortung für den gesamten
Sport, also den Spitzensport, den Breiten- und Schul-
sport, aber auch für die Sportanlagen.
Sie verweisen immer darauf, dass die Länder die
alleinige Verantwortung für den Schulsport haben. Nun
zeigt sich aber, dass es so nicht funktioniert. Die födera-
len Unterschiede im Bildungssystem beeinträchtigen
nicht nur den Schulsport, sondern auch den Nachwuchs
im Leistungssport. Hier ist ein dringendes Umdenken
erforderlich.
Die Hauptverantwortung für die Sportstätten haben
bekanntermaßen die Kommunen. Allein hier gibt es ei-
nen Sanierungsstau von 40 Milliarden Euro. Die kom-
munale Agenda ist jedoch übervoll von Aufgaben, und
das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Angesichts der
unterfinanzierten Kommunen ist auch hier ein Umden-
ken dringend erforderlich.
Wir brauchen einen offenen Denkwettbewerb zu den
Strukturen der Sportförderung. Eigentlich wäre es an
Ihnen, Herr Minister Friedrich, endlich dafür den Start-
schuss zu geben. – Er hört gerade nicht zu.
– Okay, prima. – Was spricht eigentlich gegen ein effi-
zientes Bundessportministerium, um das Geld für den
Sport, das derzeit in neun Ministerien lagert, zu bün-
deln? Mehr Kreativität ist auch gefragt, wenn es um die
duale Karriere von Spitzensportlerinnen und Spitzen-
sportlern geht. Bundeswehr, Polizei und Zoll reichen als
Berufsperspektiven längst nicht mehr aus. Die Koopera-
tion mit Hochschulen und Wirtschaft aber läuft schlep-
pend. Hier müssen dringend Lösungen gefunden
werden.
Auf all diese Fragen gibt die Koalition keine rich-
tungsweisende Antwort. Ihr Haushalt verdient damit
leider nur das Prädikat „mangelhaft“.
Ganz zum Schluss noch eine Frage, Herr Minister:
Wie kommen Sie eigentlich angesichts von 180 Toten
durch rechten Terror seit 1990 dazu, immer noch von ei-
ner linksextremistischen Gefahr zu fabulieren? Das ist
nicht nur mir völlig schleierhaft. Stellen Sie sich endlich
den Realitäten!
Vielen Dank, Kollege Petermann. – Nächster Rednerin unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/
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25150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Vizepräsident Eduard Oswald
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Die Grünen unser Kollege Memet Kilic. Bitte schön,Herr Kollege Memet Kilic.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter HerrBundesinnenminister, Sie haben von der vorhandenenFlüchtlingsaufnahmekapazität gesprochen. Was Sie Ka-pazität nennen, sind in der Regel heruntergekommeneSammelunterkünfte, abgeschieden von jeglicher Zivili-sation, im Funkloch, auf dem Berg oder im tiefen Tal.60 Personen, darunter Kinder, benutzen zwei Duschenund ein veraltetes Heizgerät. Das sind keine Kapazitäten,sondern das ist eine Verletzung der Menschenwürde.Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da müssen wirhandeln.
Sie sagen immer wieder in der Öffentlichkeit, dassdas Asylverfahren schnell sein muss. Nein – merken Siees sich! –, in einem Rechtsstaat muss ein Verfahren nichtschnell sein, sondern effektiv und gründlich. Das müssenSie in der Öffentlichkeit immer wieder sagen.
Gucken Sie nicht so grimmig! Das ist doch die Wahrheit.
Die innere Sicherheit und die Freiheit der Bürgerin-nen und Bürger gleichzeitig zu gewährleisten, ist diewichtigste Aufgabe der Innenministerien. Es ist eineSelbstverständlichkeit, dass bei dieser Aufgabenerfül-lung sehr besonnen und reiflich überlegt gehandelt wer-den muss. Letzte Woche hat der Bundesinnenministerdas Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehr-zentrum eröffnet. Viele Bundesländer distanzieren sichzu Recht davon. Der Bundesinnenminister handelt ohneAbsprachen. Er versucht, von oben herab den Bundes-ländern seine Regeln zu diktieren. So geht das nicht,Herr Bundesinnenminister.
Unter dem Eindruck der schrecklichen Taten derrechtsextremistischen Terrorbande hat der Innenministerdamit begonnen, ein Zentrum gegen Rechtsextremismusaufzubauen.
Jedoch konnte er anscheinend die mit Scheuklappen ge-führten innerparteilichen Diskussionen nicht bestehen.So hat er aus dem ursprünglichen Terrorabwehrzentrumgegen rechts einen Mischmasch gemacht, indem erLinksextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter dasgleiche Dach gestellt hat. So ist es nicht effektiv. Dasallein zeigt, dass der Bundesinnenminister kein in sichgeschlossenes Konzept für die Abwehr von Rechtsextre-mismus hat, sondern die alte ideologische Schlacht wei-terführt. Das ist nicht zielführend, meine lieben Damenund Herren.
Als die rechtsextremistische NSU-Mordserie bekanntwurde und der Innenausschuss erstmals darüber aufge-klärt wurde, stand für mich fest: Wir haben keinen Über-wachungsstaat, was aber nur den Rechtsextremismusbetrifft. Im NSU-Untersuchungsausschuss haben diebayerischen Sicherheitsbehörden erklärt, wie viele Mil-lionen Daten von Bürgerinnen und Bürgern sie gesichtetund bewertet haben. Sie haben viele Kreditkarten undTelefonverbindungen von unbescholtenen Bürgerinnenund Bürgern überprüft. Gleichzeitig jammern die Sicher-heitsbehörden gemeinsam mit Herrn Friedrich, dassihnen die Hände gebunden seien, weil sie keine Vorrats-datenspeicherung haben.Die Sicherheitsbehörden haben schon nach geltendemRecht viel zu viele Möglichkeiten, in das Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen undBürger einzugreifen. Sie können Dönerbuden betreiben,Geisterbeschwörer beschäftigen und Telefondaten derTerrorbande löschen lassen, damit sie angeblich nichtdoppelt gespeichert werden. Was sie nicht können, istein vernünftiger Umgang mit den vorhandenen Aktenüber Rechtsextremisten. Da müssen sie besser werden.
Der Verfassungsschutz schreddert zuerst Hunderte Ak-ten und anschließend seine führenden Köpfe weg. DerBundesinnenminister hat seinen Laden nicht mehr unterKontrolle. Er und seine Behörden müssen qualifizierterarbeiten und ihrem Haushalt endlich gerecht werden.Unsere Sicherheitsbehörden werden ideologischfalsch ausgerichtet. So kontrollieren sie bei einer De-monstration gegen Nazis in Dresden 200 000 Telefonate.Es gelingt ihnen aber nicht, andere Bereiche zu überwa-chen.Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zumSchluss. Die Bundeskanzlerin muss erklären, was sie inihrer siebenjährigen Kanzlerschaft für die Sicherheitsar-chitektur unseres Landes und für das Recht auf informa-tionelle Selbstbestimmung unserer Bürgerinnen undBürger getan hat. Wohin Sie auch gucken, gibt es Plei-ten, Pech und Pannen – und auch selbstherrliche Ge-heimdienste. Das ist Ihre innenpolitische Bilanz, meineDamen und Herren. Die Bundeskanzlerin muss sich öf-fentlich dazu stellen und das auch verantworten.Der staatliche Geldbeutel soll nicht für ethnische Ras-terfahndung, Nacktscanner, Vorratsdatenspeicherungoder anderen Überwachungsdrang geplündert werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25151
Memet Kilic
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Stattdessen soll nachhaltig in die personelle und struktu-relle Erneuerung der Sicherheitsarchitektur unseres Lan-des investiert werden.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege, als Sie „liebe Freundinnen und
Freunde“ gesagt haben, hat sich das Gesicht des Innen-
ministers dann doch aufgehellt.
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Günter
Krings. Bitte schön, Dr. Günter Krings.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn, wie das berühmte Zitat heißt, der Bun-deshaushalt das Schicksalsbuch unserer Nation ist, dannspiegelt der Einzelplan 06 vor allem die Gefahren wider,vor denen wir die Menschen in unserem Land schützenwollen. 4 Milliarden Euro geben wir dazu etwa für dieSicherheitsbehörden aus. Das ist in diesem Bundeshaus-halt gut angelegtes Geld.Eine hohe Priorität innerhalb der Arbeit unsererSicherheitsbehörden hat natürlich und vollkommen zuRecht auch im Jahre 2013 die Aufarbeitung des furcht-baren und unerkannten Treibens der mörderischen NSU-Gruppe; daraus müssen wir auch Lehren ziehen. Ich binfroh, dass wir bei dieser Aufarbeitung in den letztenTagen – genauer gesagt: am 8. November 2012 – einenwichtigen Schritt weitergekommen sind. An diesem Taghat der Generalbundesanwalt Anklage gegen BeateZschäpe und vier weitere Personen erhoben. Jetzt hathier vor allem – nicht nur, aber vor allem – die Justiz dasWort. Ich bin zuversichtlich, dass die Hauptverantwortli-chen für die NSU-Morde ihrer gerechten Strafe zuge-führt werden.Die Aufarbeitung dieser Mordserie ist aber nur eineSeite der Medaille. Ebenso wichtig ist es, Konsequenzenzu ziehen, um solche Gräueltaten für die Zukunftunmöglich zu machen. Das ist dann unsere ureigeneAufgabe, die Aufgabe des Gesetzgebers.Es ist an mehreren Stellen darauf hingewiesen wor-den: Der Bundeshaushalt enthält insgesamt etwa 25 Mil-lionen Euro mehr zur Stärkung des Kampfes gegen denRechtsextremismus. Es gibt also zusätzlich zu den vor-handenen Mitteln in verschiedenen Titeln Aufwüchse.Frühzeitig hat insbesondere der Bundesinnenministerwichtige Maßnahmen getroffen. Ich nenne die Einrich-tung einer Rechtsextremismusdatei und den Aufbau desGemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremis-mus.Darauf dürfen und sollten wir uns aber nicht ausru-hen. Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheits-behörden in Bund und Ländern muss weiter deutlichverbessert werden. Das gilt insbesondere für die Be-kämpfung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten.Wir haben aber in den letzten Jahren – Jahrzehnten kannman fast sagen – sehr schmerzhaft lernen müssen, zu-letzt beim Thema NSU: Es kann gefährlich, ja, es kannlebensgefährlich sein, sich immer nur mit den Gefahrenund Anschlagsmustern von gestern zu beschäftigen. Wirsollten deshalb, wie ich finde, alles daransetzen, künftigdie ganze Bandbreite extremistischer Gefahren hinrei-chend ernst zu nehmen.
Der Bundesinnenminister hat daher Unterstützung undeben keine besserwisserische Kritik aus der Oppositiondafür verdient, dass er vergangene Woche ein Gemeinsa-mes Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum inBetrieb genommen hat. Das war eine richtige und wich-tige Entscheidung.
Wenn es beim Rechtsextremismus notwendig undrichtig ist, besser zusammenzuarbeiten, dann gibt es keinsachliches Argument, warum das beim Linksextremis-mus oder beim Ausländerextremismus schädlich seinsoll.
Es gibt sehr unsachliche Argumente – die vorzubringen,das können Sie schon gut –; aber es gibt eben kein sach-liches Argument dafür. Trotz all der Gräueltaten, die wirin den letzten Jahren zur Kenntnis haben nehmen müs-sen, kann man doch nicht andere Bereiche komplett aus-blenden. Das heißt nicht, unangemessene Vergleiche an-zustellen; aber man sollte alle Gefahren ernst nehmen.Schauen wir uns etwa die Ausschreitungen von PKK-Anhängern im September in Mannheim an – das ist garnicht so lange her –; dabei wurden 80 Polizisten verletzt,zum Teil schwer. Auch das dürfen wir nicht ignorieren.Auch Gefahren wie diese müssen wir ernst nehmen, zumWohle und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger.Für die entschlossene Maßnahme, dieses Abwehrzen-trum zu gründen, möchte ich unserem Innenminister imNamen meiner Fraktion ausdrücklich danken. Ich freuemich, dass immerhin 10 der 16 Bundesländer an diesemGemeinsamen Abwehrzentrum aktiv beteiligt sind.Diese Länder haben erkannt, dass beim Verfassungs-schutz und bei der Bekämpfung politischer Straftaten je-des Land alleine nur einen eng begrenzten Ausschnittder Wirklichkeit wahrnehmen kann und dass man inKooperation einfach mehr erkennt. Ich habe kein Ver-ständnis für die übrigen sechs Länder, die sich diesereffektiven Zusammenarbeit verweigern. Die sechs In-nenminister dieser Länder, SPD-Innenminister, redennur über eine bessere Architektur der Sicherheitsbehör-den, während der Bundesinnenminister gemeinsam mitzehn Länderkollegen aktiv handelt. Wenn es einenBereich gibt, in dem föderale Eitelkeiten keinen Platz
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Dr. Günter Krings
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haben dürfen, dann ist es die Bekämpfung von Extremis-mus und Terrorismus.
Gerade die bestialische Mordserie des NSU mahntuns doch, dass wir niemals mehr in die Lage kommendürfen, den Angehörigen eines Opfers mitteilen zu müs-sen, dass die Verhinderung oder zumindest die rascheAufklärung einer Bluttat an unterschiedlichen Länderzu-ständigkeiten gescheitert ist.
Es reicht eben nicht, wenn Sie, Herr KollegeOppermann, fordern – ich zitiere; das war vor einerWoche –, „dass Extremismusbekämpfung Geschlossen-heit braucht“. Die SPD muss sich eben auch dementspre-chend verhalten. Selten waren folgenloses Schwadronie-ren und verantwortliches Handeln so klar voneinanderzu trennen wie in diesen Tagen, als Hans-Peter Friedrichdieses Abwehrzentrum in Betrieb genommen hat. VielenDank noch einmal dafür!
Meine Damen und Herren, ich wollte meine Themeneigentlich in einer anderen Reihenfolge ansprechen.Aber die zum Teil böswilligen Wortverdrehungen ausden Reihen der Opposition bewegen mich, schon an die-ser Stelle etwas zum Thema Asylrecht zu sagen.Das Asylrecht ist ein Thema, das viele Städte und Ge-meinden – übrigens auch solche, die von SPD- und Grü-nen-Bürgermeistern geführt werden – derzeit sehr be-schäftigt. Wir verzeichnen objektiv seit einigen Monatenstark ansteigende Asylbewerberzahlen in Deutschland.Das wird von Teilen der Opposition, nicht von allen, be-stritten. Ich habe gerade bei Welt-Online folgende be-richtigte Meldung von dapd vom 12. Oktober 2012 gele-sen – ich zitiere –:Nach Berichten über einen starken Zustrom vonAsylbewerbern aus Serbien und Mazedonien for-dert der SPD-Innenexperte Michael Hartmann einkonsequentes Durchgreifen gegen gezielten Asyl-missbrauch.
Hier sollte mit der nötigen Strenge ein Signal ge-setzt werden, sagte Hartmann am Freitag im Süd-westrundfunk … Der SPD-Politiker sprach von„gewissenlosen Banden“, die Menschen vom Bal-kan nach Deutschland locken, um „eine gewisseZeit in diesem System zu sein“. Das Bundesamt fürFlüchtlinge in Nürnberg müsse diese Asylbewerberzügig zurückweisen, forderte Hartmann.
Man kann sich über manche Wortwahl, HerrHartmann, streiten. Ich jedenfalls hätte es nicht so for-muliert. Mir ist aber schleierhaft, wie Sie vor dem Hin-tergrund Ihrer Worte von Oktober den Innenminister inder Form wie gerade angreifen können.
Die aktuellen Zahlen für den Oktober sind besorgniser-regend. In diesem Monat haben wir einen deutlichen An-stieg zu verzeichnen. Es wurden ungefähr 10 000 neueAnträge auf Asyl gestellt. Es ist in der Tat so, dass dievorhandenen Aufnahmeplätze in vielen Kommunenlängst überfüllt sind. Ich habe vor einigen Wochen inmeinem Wahlkreis Mönchengladbach das TechnischeHilfswerk besucht. Mit viel ehrenamtlichem Engage-ment hat man dort Flüchtlinge aufgenommen, und zwar,Herr Kilic, unter menschenwürdigen Bedingungen. IhreAussage finde ich nicht in Ordnung, auch wenn Sie es sonicht gemeint haben. Ihre Worte können indirekt so ver-standen werden, dass Sie das ehrenamtliche Engagementnicht schätzen. Ich nehme zur Kenntnis, dass es nicht sogemeint ist. Aber mir ist es wichtig, dieses ehrenamtli-che Engagement, auch des THW, noch einmal zu loben.Dort waren übrigens keine Politiker Ihrer Fraktion zuBesuch. Ich habe mir angesehen, unter welchen Bedin-gungen gearbeitet werden muss.Es war wichtig, dass wir beispielsweise das Personalim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufge-stockt haben. Es ist auch wichtig, dass wir klar zumAsylrecht stehen. Aber jedes Grundrecht hat Tatbe-standsvoraussetzungen. Diese erfüllen die Flüchtlingeaus Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Serbiennicht. Die Anerkennungsquote liegt zu Recht bei unter1 Prozent. Es sind Armutsflüchtlinge – ich verwende denBegriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ bewusst nicht –, unddiese sind von Asylbewerbern und Asylberechtigten zuunterscheiden. Eine solche Unterscheidung müssen wirvornehmen. Wer das nicht tut, missachtet das Asylrechtund schätzt es gering. Genau diese Unterscheidungnimmt der Bundesinnenminister vor. Das ist gut undwichtig für die Debatte in unserem Land.
Ich muss zum Schluss kommen. Aber ich möchtenoch einen Aspekt nennen. Unsere Aufgabe ist es, mitder Europäischen Union in den entsprechenden Regio-nen zu helfen, damit die Menschen dort besser lebenkönnen. Es ist mir aber unerklärlich, wie wir Beitritts-oder Vorverhandlungen mit Ländern führen können, diewir als nichtsichere Herkunftsstaaten ansehen. Wenn Sieoffenbar davon ausgehen, dass es zu massenhaften poli-tischen Verfolgungen in den erwähnten Ländern kommt,dann müssen Sie doch sofort fordern, die Beitritts- oderVorverhandlungen zu stoppen. Wenn wir das nichtwollen, müssen wir anerkennen, dass es sich hier nichtum politische Verfolgung, sondern um wirtschaftlicheGründe, um Armutsgründe handelt. Das müssen wir un-terscheiden.
Kollege Krings, Sie können gerne weitersprechen,aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht dannzulasten Ihrer Fraktionskollegen aus der Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25153
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Das möchte ich nicht. – Ich möchte einen Schlusssatz
sagen. Sie mögen reden, wir aber handeln verantwortlich
in der Innenpolitik. Das war in den letzten drei Jahren
so, das wird im nächsten Jahr und auch in der kommen-
den Wahlperiode so sein. Diese Koalition wird in diesem
Sinne weiterarbeiten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kollege Krings, zu Ihren Ausführungennur so viel: Wenn sich ein Abgeordneter der Union hierhinstellt und sich darüber beklagt, dass zu viele Nicht-asylberechtigte nach Deutschland kommen und inDeutschland bleiben, dann ist das eine öffentliche RügeIhres Innenministers; denn er ist für das Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge sowie die Asylbewerber zu-ständig. Sie machen keine Aussage darüber, welche Be-drohung auf unser Land zukommt. Ihre Ausführungenzeigen nur, dass der zuständige Minister seine Aufgabennicht wahrnimmt. Das ist schon ein bezeichnender Vor-gang.
Wir diskutieren nun über den Etat des Bundesinnen-ministers. Der Etat ist ein Stück weit Ausdruck der Poli-tik dieser Regierung. Auf dem Feld des Innern bewegenwir uns zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn wir unsdiesen Etat anschauen, dann erkennen wir, dass er genaudas widerspiegelt, was die Politik des Innenministersund der Koalition in diesem Bereich ausmacht: Konzept-losigkeit und Orientierungslosigkeit.Die einzige Orientierung, die diese Koalition kennt,ist die Klientel- und Lobbybefriedigung.
Schauen wir uns einmal den Vorgang rund um dasMelderecht an. Da haben die Koalitionsfraktionen aufZuruf der entsprechenden Adresshandelswirtschaftschnell noch einmal den Gesetzentwurf geändert, umden Adresshändlern möglichst ungehindert Zugang zuden Daten der Bürger bei den Melderegistern zu ver-schaffen.
Das Interessante war, dass dann die Bundeskanzlerin er-klärt hat, sie hoffe nun darauf, dass die SPD diesen Un-sinn im Bundesrat wieder rückgängig macht.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-sen! Die Bundeskanzlerin erklärt im Grunde nichts ande-res: Ich habe meine Koalition und meine Regierung sowenig im Griff, dass die SPD im Bundesrat den Unsinn,der hier verzapft worden ist, wieder rückgängig machensoll. – Das ist doch das klare Signal an die Bevölkerung:Lasst doch die SPD gleich regieren, dann passiert so einUnsinn im Datenschutzbereich nicht!
Wenn ich mir den Beschäftigtendatenschutz an-schaue, dann kann ich nur sagen: Man kann an dieserStelle nur froh sein, dass die Regierung nichts zustandebringt. Denn das Gesetz, das Sie offensichtlich auf denWeg bringen wollten und das nun in der Koalitionspipe-line klemmt, hat ja mit Beschäftigtendatenschutz nichtszu tun. Das ist ein Beschäftigtenschnüffelgesetz. Sie räu-men den Arbeitgebern mehr Rechte zur Überwachungein als der Polizei.
Und wie sieht es in den anderen Bereichen aus?Schauen Sie sich doch einmal Ihr Prestigeobjekt an,liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie von der FDP habeneben formuliert, Sie hätten die Stiftung Datenschutz jetztendlich über die Rampe gebracht. Nein, Sie haben sieüber die Klippe gestoßen. Die Glaubwürdigkeit und dieAkzeptanz dieser Stiftung sind doch bereits zerschellt,bevor sie überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat.
Alle Datenschutzbeauftragten haben erklärt, dass sie indieser von der Wirtschaft sowohl in der Finanzierung alsauch in der personellen Besetzung dominierten Stiftungkeinen Sinn sehen.
Deswegen ist es auch nur konsequent, dass sich keineOppositionsfraktion bereit erklärt, als Aushängeschildfür diese Stiftung zu dienen. Werfen wir einen Blick aufdie Fakten: Von 28 Vertretern stammen 14 aus der daten-verarbeitenden Wirtschaft. Die Stiftung ist mit einmalig10 Millionen Euro ausgestattet,
und davon dürfen gerade einmal 200 000 Euro im Jahran die Stiftung gegeben werden. Den Rest muss sie sichverdienen, indem sie Produkte an die Wirtschaft ver-kauft, die sie eigentlich zertifizieren soll.
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25154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Gerold Reichenbach
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Hier ist vom Datenschutz nichts mehr übrig geblieben.Das Einzige, was noch vorhanden ist, Frau Kollegin, isteine geringe Finanzausstattung, um eine hauptamtlicheGeschäftsführung mit entsprechendem Apparat unterzu-bringen.
– Ich verstehe ja, dass Sie sich aufregen. Aber die Mittel,die für die Stiftung übrig geblieben sind, bieten eine wei-tere Möglichkeit, künftig ehemalige Mitarbeiter aus derFDP und den Koalitionsfraktionen im Staatsdienst aufKosten der Steuerzahler unterzubringen.
Nichts anderes ist von Ihrer Stiftung übrig geblieben.
Herr Minister, jetzt kommen wir zum Thema „innereSicherheit“. Das THW ist bereits angesprochen worden.Wir alle wissen, was wir an dem Technischen Hilfswerkhaben. Deswegen bedanken wir uns auch. Das aber, wasSie hier vorgetragen haben, lässt schon auf eine ganz be-sondere Art der Belohnung schließen. Das Ministeriumstreicht dem THW 2 Millionen Euro; im Innenausschussbestätigen die Koalitionsfraktionen diese Streichung so-gar, mit der rühmlichen Ausnahme des Kollegen Mayer.Erst in der Haushaltsausschusssitzung werden die 2 Mil-lionen Euro dem THW zurückgegeben, übrigens mit denStimmen aller Fraktionen; die SPD hatte dies im Innen-ausschuss beantragt. Das ist eine seltsame Form der Be-lohnung. Das ist ungefähr so, als ob ich Ihnen 2 Millio-nen Euro aus der Tasche klaue, anschließend Ihnen die2 Millionen Euro wiedergebe und dann sage: Jetzt habeich Sie belohnt. –
Es ist seltsam, wie diese Regierung mit dem Ehrenamtumgeht und ehrenamtlich Tätige fördern will.Ich nenne ein zweites Beispiel. Sie streichen den Frei-willigen bei den Feuerwehren und den Hilfsorganisatio-nen seit Jahren die Gelder. Jedes Jahr sparen Sie im Be-reich der Beschaffung 2 Millionen Euro; in der Summehaben Sie ihnen bereits über 6 Millionen Euro genom-men. Diese Mittel fehlen bei der Finanzierung von Fahr-zeugen, die gebraucht werden. Da frage ich mich: Wasist das für eine Motivation für die Ehrenamtlichen? – DieBegründung der Koalition lautet: Wir müssen sparen. –In der Bereinigungssitzung findet die Koalition aber aneiner anderen Stelle plötzlich 2 Millionen Euro, um da-mit wiederum Klientelbefriedigung zu betreiben, umbeispielsweise einen Verein mit Mitteln zu versorgen,obwohl sie in der Haushaltsausschusssitzung nicht ein-mal erklären konnte, was der Verein denn genau macht.Und dann sagen Sie hier, Herr Minister, Ihre Aufgabe seies, das Geld effizient und zielgerichtet einzusetzen. Dafrage ich mich: Wo wäre das Geld denn besser und effi-zienter eingesetzt als zur Unterstützung der Ehrenamtli-chen bei den Feuerwehren, beim Roten Kreuz und beianderen Hilfsorganisationen, die genauso hervorragendeArbeit leisten wie das THW und bei denen wir uns eben-falls bedanken müssen? Das Einzige, was diese Regie-rung beim Thema „innere Sicherheit“ zu bieten hat, istdas, was sie auch bei den Feuerwehren und anderenHilfsorganisationen gemacht hat: Mittel streichen undKlientel befriedigen. Damit bringen Sie die innere Si-cherheit in unserem Lande nicht voran.
Bei Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit ist es bei die-ser Koalition ohnehin zappenduster. Deswegen werdenwir diesen Haushalt mit Fug und Recht ablehnen undden Bürgern draußen im Lande sagen, was Sie hier imBundestag treiben.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Stephan
Mayer das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Etat des Bun-desinnenministeriums kommt wieder einmal deutlichzum Ausdruck: Die christlich-liberale Regierung und dieCDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktionen sind ver-lässliche Garanten für die innere Sicherheit und für einezeitgemäße, solide und qualitativ hochwertige Innen-politik in Deutschland.
Das wird schon allein dadurch deutlich, dass es trotz dernotwendigen Konsolidierungsmaßnahmen im Bundes-haushalt eine Erhöhung der Haushaltsmittel des BMIvon 5,49 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 5,844 Mil-liarden im nächsten Jahr geben wird.Es wurde schon mehrfach erwähnt: Der Schwerpunktdieses Haushalts liegt auf der inneren Sicherheit. Ichglaube, es kann sich wirklich sehen lassen, dass demBundeskriminalamt im kommenden Jahr 29 MillionenEuro mehr zur Verfügung stehen als in diesem Jahr, derBundespolizei sogar 149 Millionen Euro mehr.
Diese Mittel stehen ausschließlich für eine bessere Aus-stattung mit Fahrzeugen und Gerätschaften, für eine bes-sere EDV-Ausstattung und für die längst überfällige Ver-besserung der Liegenschaften zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25155
Stephan Mayer
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Wir tragen hier der Notwendigkeit Rechnung, die Bun-despolizei und unsere Sicherheitsbehörden besser auszu-statten. Ich glaube, das kann sich wirklich sehen lassen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Techni-sche Hilfswerk ist schon einige Male erwähnt worden.Ich möchte als Präsident der THW-Bundesvereinigungnicht hintanstehen, hier allen Fraktionen, insbesondereden Haushaltspolitikern, ganz herzlich zu danken. Sokontrovers die Innenpolitik an sich immer ist, so einig istman sich Gott sei Dank, wenn es um die bessere Ausstat-tung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes inDeutschland geht. Es stehen in diesem Jahr 2 MillionenEuro mehr für die Ortsverbände zur Verfügung; dieseMittel werden im kommenden Jahr verstetigt. Ich mussaber ehrlich gestehen: Ich finde es schon etwas unglück-lich und perfide, dass der Kollege Reichenbach zusam-men mit der Kollegin Fograscher am 24. Oktober einePressemitteilung veröffentlicht hat, in der sie sich laut-hals darüber beschweren, dass die christlich-liberale Ko-alition die Mittel für das Ehrenamt, für das THW kürzt.Das stimmt einfach nicht. Zu diesem Zeitpunkt war esunter den Berichterstattern schon klar, dass es eine Erhö-hung um 2 Millionen Euro geben würde. Ich finde, es isteinfach eine unredliche und unsägliche Vorgehensweise,hier die Ehrenamtlichen in den Ortsverbänden unnöti-gerweise zu verunsichern.
Es bestand überhaupt kein Grund zu dieser Verunsiche-rung; im nächsten Jahr wird es wieder 2 Millionen Euromehr für das Technische Hilfswerk geben.
Mir ist sehr wichtig: Diese 2 Millionen Euro stehen aus-schließlich den Ortsverbänden zur Verfügung, für eineverbesserte Öffentlichkeitsarbeit vor Ort, für eine Ver-besserung der Fort- und Ausbildung, vor allem auch füreine Erhöhung der Selbstbewirtschaftungsmittel. Wirwerden hier der Notwendigkeit gerecht, dem THW stär-ker unter die Arme zu greifen. Das Technische Hilfs-werk befindet sich angesichts der Aussetzung der Wehr-pflicht und der demografischen Entwicklung in einerschwierigen Phase und steht vor einer Zäsur. Hinzukommen mehr Einsätze sowohl im Inland als auch imAusland. Derzeit ist das THW – auch mit ehrenamtli-chen Helfern – zum Beispiel im größten Flüchtlingslagerin Jordanien im Einsatz, in dem syrische Flüchtlinge be-treut werden. Auch im Inland kommt das THW hilfreichzum Einsatz, zum Beispiel wenn Kommunen in Nord-rhein-Westfalen mit dem zusätzlichen Ansturm vonAsylbewerbern überfordert sind. Ich nenne nur die Lagerund Einrichtungen in Mönchengladbach, in Dortmundund auch in Bielefeld als Beispiele. Die Kommunen vorOrt waren überfordert, und das Technische Hilfswerk isteingesprungen. Ich danke allen herzlich, die das ermög-licht haben.In dieser Debatte wurde deutlich, dass die Innenpoli-tik bei CDU/CSU und FDP in guten Händen ist.
Pressemitteilungen von Kolleginnen und Kollegen bei-spielsweise zum Technischen Hilfswerk sind das Papiernicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Sie können alsUnkenrufe abgetan werden. Apropos Unkenrufe: Glei-ches gilt für die Äußerungen der Opposition zur Arbeitunseres Bundesinnenministers. Wir haben einen Bundes-innenminister, der zuerst überlegt, bevor er sich artiku-liert.
Wir haben einen Bundesinnenminister, der konsequenthandelt. Besonders Sie, Herr Hartmann, haben sich mitÄußerungen hervorgetan. Sie reichen von „Sie nehmendas Themenfeld nicht ernst“ über „Es wäre Zeit für einenentschlossenen Innenminister; wir brauchen da einen an-deren Schlag“ bis zu „Profilierungsversuch zur Unzeit“,als es um die Verbesserung der Zusammenarbeit im Ge-meinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzen-trum ging.
Herr Kollege Hartmann, mir fehlt bei Ihnen der rote Fa-den. Das ist heute wieder offenkundig geworden. Sieversuchen auf perfide Art und Weise, dem Bundesinnen-minister zu unterstellen, er würde Ressentiments gegenAusländer und Asylbewerber schüren. Dabei haben Sieselbst ausweislich einer Mitteilung von Welt-Online vom12. Oktober von Asylmissbrauch und gewissenlosenBanden gesprochen, die Asylbewerber aus Mazedonienund Serbien nach Deutschland transportieren. In dieserDebatte ist deutlich geworden, dass es fatal wäre, wenndie Innenpolitik in Deutschland in andere Hände fiele.Wir haben einen Innenminister, der zuerst überlegt, be-vor er konsequent handelt. Er hat entsprechende Vor-schläge unterbreitet, beispielsweise zur Reform des Ver-fassungsschutzes.
Ich möchte in aller Offenheit sagen: Mir fehlt dasVerständnis dafür, dass die Länder angesichts der unge-heuerlichen Erkenntnisse über den NSU-Terror nicht be-reit sind, enger zusammenzuarbeiten. Wenn ein Rück-schluss aus den Schreckenstaten des NSU gezogenwerden kann, dann der, dass unsere Sicherheitsbehördentrotz Föderalismus enger und intensiver zusammenarbei-ten müssen.
Mir fehlt die notwendige Bereitschaft vonseiten einigerLänder. Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dasssich die Landesinnenminister von sechs Bundesländernder Mitarbeit im Gemeinsamen Extremismus- und Ter-rorismusabwehrzentrum verweigern. Das ist nicht inOrdnung. Damit wird die innere Sicherheit in Deutsch-land ausgehöhlt.
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25156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Stephan Mayer
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Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zum ThemaDatenschutz. Wir haben konsequent gehandelt, indemwir die Stiftung Datenschutz auf den Weg gebracht ha-ben.
In wenigen Wochen wird diese Stiftung ihre operativeArbeit aufnehmen. Ich kann mich des Eindrucks nichterwehren, dass Sie es einfach nicht ertragen können,dass wir im Bereich Datenschutz Erfolg haben.
Ich bin den Haushältern sehr dankbar, dass in der Berei-nigungssitzung 205 000 Euro für drei weitere Stellen zu-sätzlich zur Verfügung gestellt wurden. Ich sage in allerDeutlichkeit: Ich halte es für hanebüchen, dass sich dieOppositionsfraktionen durch die Bank der Mitarbeit imBeirat verweigern. Das ist nicht parlamentarisch. NeunBundestagsabgeordnete sind in den Beirat zu berufen.Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dass die Oppo-sitionsfraktionen ihrer Obliegenheit, Mitglieder zu be-nennen, nicht nachkommen.
Die Innenpolitik ist bei Hans-Peter Friedrich, derCDU/CSU und der FDP in guten Händen. Der Etat desEinzelplans 06 kann sich wirklich sehen lassen. In die-sem Sinne hoffe ich auf eine große, überwältigende Zu-stimmung zu diesem Haushalt.
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, wir können sehr zufrieden mit dem sein, was dieKoalition gerade in der Innenpolitik geleistet hat. LieberHerr Kollege Reichenbach, die Schreierei gerade zumDatenschutz ersetzt nicht den Blick in den Haushalt. Siesollten einmal schauen, was die Stiftung Datenschutztatsächlich bedeutet.
Wer hat sie denn geschaffen? Diese Koalition hat dieStiftung Datenschutz geschaffen. Den Sozialdemokratenfällt dazu an der Stelle nur ein, eine Verweigerungshal-tung einzunehmen. Noch nicht einmal im Beirat wollenSie mitmachen. Sie haben überhaupt kein Interesse, dassdas ein Erfolg wird.
Insofern ist es, glaube ich, schon vernünftig, wenn ichnoch einmal darauf hinweise, dass gerade diese Koali-tion hier im Haushalt zusätzliche Investitionen in dieStiftung Datenschutz vorgesehen hat. Also, Kollege, einBlick in den Haushalt hilft.Um auf das zurückzukommen, was die Grünen geradezum Aufenthaltsrecht gesagt haben: Als weltoffenesLand brauchen wir Fachkräfte und eine an klaren Krite-rien ausgerichtete Zuwanderungssteuerung. Hier sindwir – ehrlich in der Sache und beharrlich, Herr Kollege –in der laufenden Legislaturperiode einen sehr großenSchritt vorangekommen. Wir haben die Visawarndateieingeführt, die rechtlichen Hürden für die Zuwanderungdeutlich gesenkt und entbürokratisiert. Zugleich habenwir zusätzliche Integrationsanreize geschaffen. Der Pa-radigmenwechsel dieser Koalition in der Zuwanderungs-politik ist eine Erfolgsgeschichte.
Wir haben auch im Bereich des humanitären Zuwan-derungsrechts Standards gesetzt, die gerade in der Zeitvon Rot-Grün offensichtlich vergessen worden sind. Lie-ber Herr Kollege Kilic, es gibt erstmals ein Bleiberechtfür Kinder und Jugendliche, und zwar unabhängig vomAufenthaltsstatus ihrer Eltern. Wir haben gerade fürzwangsverheiratete Frauen in Not einiges getan. Durchein Rückkehrrecht erhalten sie endlich eine Chance, sichaus dieser Not zu befreien. Wo war da Rot-Grün? Nir-gendwo war Rot-Grün.
Auch bei den Verhandlungen zum Asylbewerberleis-tungsgesetz werden wir unsere Vorschläge einbringen. Jefrüher gearbeitet und je schneller gelernt werden kann,desto besser – solange keine Anreize für Missbrauch ge-schaffen werden.Meine Damen und Herren, uns alle hier im Haus hatdie Aufdeckung der Mordtaten des NSU ziemlich betrof-fen gemacht. Mit der Aufarbeitung im Untersuchungs-ausschuss setzen wir gemeinsam ein klares Zeichen ge-gen das Verbergen und Vergessen, gegen Antisemitismusund Intoleranz und für mehr Demokratie und Rechts-staat. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dasses so viele Fehler in den Behörden gegeben hat, dass un-sere Sicherheitsarchitektur dringend und gründlich aufden Prüfstand muss. Wie kann es möglich sein, dass dieNaziterroristen 13 Jahre im Untergrund lebten und unge-hindert einen Mord nach dem anderen begingen? Wiesotauchen immer wieder neue Fakten über vernichtete Ak-ten auf? Wurden Kriminelle gar von Sicherheitsbeamtengedeckt? Dem immensen Vertrauensverlust der Sicher-heitsbehörden in Bund und Ländern muss durch einegründliche Revision der Behörden selbst und der Struk-turen der Zusammenarbeit entgegengetreten werden.Die Reaktion der Länder auf die nötige Reformde-batte zeugt aber eher von Zuständigkeitsdenken statt vonder Bereitschaft, endlich nach Lösungen zur Schließungder Sicherheitslücken zu suchen. Die Anzahl und die Artder Zusammenarbeit der Behörden ist dringend reform-bedürftig. Es muss rechtsstaatliche Standards für denV-Leute-Einsatz geben. Das bedeutet, dass die Aufbe-wahrung und Löschung von Akten bei Bund und Län-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25157
Hartfrid Wolff
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dern standardisiert werden muss. Weiter brauchen wirdringend eine bessere Ausbildung für die Dienste, aberauch für die Sicherheitsbehörden. Gerade bei den Diens-ten sollte es eine zentrale Abschlussprüfung nach dreiJahren geben.Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deut-schen Bundestages muss gestärkt werden. Es kann nichtsein, dass man uns etwas vorenthält, dass einige Infor-mationen bewusst vorenthalten und nicht geliefert wer-den.
Mehr Kontrolle, mehr Zusammenarbeit, bessere Struktu-ren und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis könnenwieder Vertrauen schaffen. Nur so kann es auch gelin-gen, hier die Sicherheitsarchitektur neu aufzustellen.Meine Damen und Herren, Innenpolitik ist Gesell-schaftspolitik. Deutschland ist in der Innenpolitik seit2009 dank dieser Koalition deutlich vorangekommen,und die Erfolge sind sichtbar.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 06 – Bundesministerium des Innern – in der Aus-
schussfassung. Hierzu liegen sieben Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit
vier Änderungsanträgen der Fraktion der SPD.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der SPD auf Drucksache 17/11519. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-
Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der SPD auf Drucksache 17/11520. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der SPD auf Drucksache 17/11521. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der SPD auf Drucksache 17/11522. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11505. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11518 . Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den
Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern – in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 06 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
– Drucksachen 17/10807, 17/10823 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Ewald Schurer
Stephan Thomae
Steffen Bockhahn
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Dr. Peter Danckert
Dr. Stefan Ruppert
Dr. Dietmar Bartsch
Manuel Sarrazin
Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolle-ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Zunächst einmal, wie auch in der ersten Lesung,möchte ich dem Ministerium für die gute Vorbereitungaller Beratungen bis hin zur Bereinigungssitzung am8. November danken. Ebenso möchte ich den Kollegin-nen und Kollegen Mitberichterstattern für den guten undsachlichen Dialog danken.Die Bereinigungssitzung hat noch zu kleineren Ände-rungen geführt. Insgesamt haben wir in diesem Einzel-
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25158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Ewald Schurer
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plan jetzt 484,3 Millionen Euro Einnahmen gegenüber606,836 Millionen Euro Ausgaben. Das ist erwähnens-wert; denn es ist ein Novum bei den Einzelplänen, dassdie Deckungsquote bei knapp 80 Prozent – sprich: beivier Fünfteln – der gesamten Ausgaben im Bereich Jus-tiz liegt.Die notwendigen Änderungen beim Personal wurdenvon allen Fraktionen mitgetragen, weil es schließlichund endlich um die Arbeitsfähigkeit gewisser Funktions-teile des Justizministeriums und seiner nachgelagertenBehörden ging. Ich denke, das war politisch einsichtig.Gut ist, dass in 2013 die Einnahmen vor allen Dingendurch das Bundesamt für Justiz und das Deutsche Pa-tent- und Markenamt der Prognose nach noch einmal umcirca ein Zehntel, also 10 Prozent, steigen werden. Dasist gut für die Erfüllung und die Finanzierung der Aufga-ben.Gut ist auch – darauf muss man hinweisen –, dass diebestehenden Ausgabenreste, die wir über viele Jahre indiesem Einzelplan 07 mitgeschleppt haben, auf ein rea-listisches Maß zurückgeführt worden sind, um damit vorallen Dingen die notwendigen Tarifanpassungen im Be-reich des Bundesministeriums und seiner Behörden ge-genzufinanzieren. Da haben wir handwerklich durchausFortschritte gemacht.Sehr geehrte Frau Ministerin, auf meine Anregunghin ist fraktionsübergreifend – danke auch an den Kolle-gen Funk von der Union! – beschlossen worden, dasswir den Ansatz bei Titel „Härteleistungen für Opferextremistischer Übergriffe“ nicht absenken, sondern ausevidenten politischen Gründen auf dem bestehenden Ni-veau belassen, um vor allen Dingen im Zusammenhangmit den grausamen Morden des NSU zumindest finan-ziell etwas Linderung zu schaffen. Die Verbrechen selbstkann man mit finanziellen Mitteln – das wissen wir alle –nicht ungeschehen machen. Wir können damit nur versu-chen, die gröbste Not der Menschen zu lindern.In diesem Zusammenhang möchte ich in dieser De-batte zum Justizhaushalt das aufgreifen, was KollegeWolff von der FDP gerade zum Haushalt des Innen-ministeriums gesagt hat. Die Pannen und Unterlassun-gen im politischen Bereich und bei den verantwortlichenInstanzen im Zusammenhang mit den NSU-Morden ha-ben sicherlich nicht nur der Öffentlichkeit aufgezeigt,dass es einen dramatischen Mangel an Koordinationzwischen Bund und Ländern und auch zwischen denLändern selbst gab. Diese haben beim größten Justiz-und Rechtsskandal der letzten Jahrzehnte kein gutes Bildabgegeben. Das, was gelaufen ist, hat viele Menschenmittelbar und unmittelbar erschüttert. Deswegen mussman auch in der Justizdebatte sagen und sagen dürfen,dass der Verfassungsschutz bei diesem Thema nicht dazubeigetragen hat, das Vertrauen der Menschen in denStaat und seine Instanzen, in die Gewaltenteilung zu för-dern. Frau Minister, ich sage das in der Erwartungshal-tung, dass das BMJ künftig alles Notwendige und Er-denkliche zur Gefahrenabwehr beiträgt und dafür sorgt,dass Extremismus, vor allen Dingen Rechtsextremismus,bekämpft werden kann.Ein weiterer Titel, zu dem ich etwas sagen möchte, istdie, wie ich finde, begrüßenswerte Ausbringung einerVerpflichtungsermächtigung, einer VE, für die Jahre2014 und 2015, bei der es darum geht, in einem wissen-schaftlichen Forschungsvorhaben endlich die Rolle desJustizministeriums in der NS-Vergangenheit aufzuarbei-ten. Dies ist eine politisch notwendige Maßnahme, dieeigentlich schon vor Jahrzehnten – da sollten wir alleselbstkritisch sein – hätte stattfinden müssen und sollen.Lassen Sie mich ein wichtiges Thema aufgreifen, dasnach meiner Meinung gemeinhin zu wenig Aufmerk-samkeit bekommt, in den Medien aber doch beachtetwird. Es geht um die Nationale Stelle zur Verhütung vonFolter. Sie vereint die Bundesstelle und die entspre-chende Länderkommission. Man muss sich einmal vor-stellen: Insgesamt 360 sogenannte Gewahrsamseinrich-tungen bei Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll sindvon dieser Stelle zu kontrollieren, zusätzlich 186 Justiz-vollzugsanstalten, 1 430 Polizeidienststellen in Deutsch-land und 245 psychiatrische Krankenhäuser. WerteKolleginnen und Kollegen, angesichts von fünf ehren-amtlichen Mitgliedern dieser Kommission und drei wis-senschaftlichen Mitarbeitern nebst einer Bürokraft lässtsich nun wirklich nicht von einer ausreichenden bzw.hinreichenden Amtsausstattung dieser Behörde spre-chen.Folter gibt es leider auch im demokratischen Rechts-staat – dessen müssen wir uns bewusst sein – und kannin Einzelfällen bei Bediensteten nie ganz ausgeschlossenwerden. Öffentliche Anschuldigungen via Medien – daswissen wir alle – sind ausreichend Beleg hierfür. DenÄnderungsantrag von uns Sozialdemokraten, das hierfürvorgesehene allzu knappe Budget von 300 000 Euro zuerhöhen, hat die Koalition leider nicht mitgetragen. Dasbedaure ich nachhaltig und sehr.
Mein letzter großer Punkt ist ganz anders positioniertund motiviert. Frau Minister, für Millionen von Men-schen sind derzeit die Themen „Miete“, „Wohnraument-wicklung“ und „Mietrechtsänderungen“ existenziell.Das trifft die Leute in Mark und Bein. Die schwarz-gelbe Regierung hat am 23. Mai 2012 im Bundeskabi-nett den Entwurf eines Gesetzes zur Mietrechtsänderungbeschlossen. Zwischenzeitlich wurde er nach einerExpertenanhörung gestoppt. Offensichtlich waren neueErkenntnisse vorhanden. Das ist im Grundsatz gut. Wiediese neuen Erkenntnisse seitens der Regierung umge-setzt werden sollen/wollen/können, ist aber noch nichtso recht ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Deswe-gen haben Sie erst einmal die zweite und dritte Lesungdes Entwurfs Ihres Änderungsgesetzes abgesetzt.
„Gott sei Dank!“ werden viele Menschen denken.
Das gilt aber nur temporär. Was danach materiellkommt, wissen wir nämlich noch nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25159
Ewald Schurer
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Ich will eines sagen – denn das, Frau Minister, ent-täuscht mich schon –: Ich habe von Schwarz-Gelb etwasmehr soziale Verantwortung erwartet.
– Vielleicht war das naiv. – Die von Ihnen beabsichtigteeinseitige Lastenverschiebung hin zu den Mieterinnenund Mietern verschärft vor dem Hintergrund der allseitsbekannten Verteuerung von Wohnraum ohne Zweifel diesoziale Schieflage im Land. Nach der Lehman-Pleiteund angesichts der Wirtschaftskrise investieren heuteviele Menschen in Wohnungen und nicht mehr so sehr inhochkarätige Zockinstrumente an den Börsen. Das hatzu einer nachhaltigen Verteuerung des Wohnraums ge-führt. Alleine die Luxussanierungen in DeutschlandsMetropolen und Großstädten, aber auch in Mittelstädten– das ist ja keine Konstruktion – bedrohen heute in derTat Hunderttausende Familien mit Kindern und Rentner-haushalte. Dabei geht es um ihre Existenz in den betrof-fenen Citys. Denn durch Luxusmodernisierungen – dasist systemimmanent – werden die Wohnungen teuer undfür normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unbe-zahlbar.
An dieser Stelle, Frau Minister, hat auch diese Regie-rung – ich sage das nicht mit übermäßiger Polemik –eine große soziale Verantwortung für den sozialen Frie-den im Lande; das gilt auch für die Rechtspolitik. Mitder Mietrechtsreform, die Sie planen, tragen Sie eherdazu bei, dass sich die Verwerfungen zwischen Arm undReich vergrößern, statt sie zu vermindern.
In diesem Sinne bitte ich Sie, Frau Minister, noch ein-mal in sich zu gehen, nachzudenken und Ihre ursprüngli-che Intention, einseitig die Mieter zu belasten, aufzuge-ben. Das wäre mein großer und dringender Appell anSie. Das sollten Sie übrigens noch vor der nächsten Bun-destagwahl tun. Sonst müssen wir auch das später rück-gängig machen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich möchte mich zunächst dem Dank, den der Kol-lege Schurer ausgesprochen hat, anschließen. Mein Dankgilt dem Ministerium, der Ministerin, dem Haushaltsrefe-rat des Ministeriums und natürlich Ihnen, KollegeSchurer, als Hauptberichterstatter sowie den KollegenMitberichterstattern. Mein Dank gilt auch der Ministe-rin, die ihre Redezeit abgetreten hat,
damit zwei Mitglieder unserer Fraktion, KollegeAhrendt und ich, heute zum Justizetat sprechen können.Die Demokratie ist der Körper unseres Staates, undder Rechtsstaat ist die Krone auf dem Haupt dieses de-mokratischen Staatskörpers.
In dem Gebäude, in dem wir uns heute befinden, gingder Kampf um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorknapp 80 Jahren schon einmal verloren. Nun droht heutezwar – Gott sei Dank – keine Gefahr für Demokratie undRechtsstaat in Deutschland; aber vielerorts ist eine ganzeReihe von schweren Entscheidungen zu treffen, umGrundrechte zu schützen, gerade wenn verschiedeneGrundrechte aufeinanderprallen.Wir werden diese Woche in diesem Hause noch eineDebatte über das Thema Beschneidung führen, wo es ei-nerseits um den Schutz der körperlichen Unversehrtheitvon Kindern und andererseits um den Schutz religiöserMinderheiten geht. Die Regierung hat hier einen Gesetz-entwurf vorgelegt, der in dieser – wie ich meine –extrem schwierigen Abwägungsfrage einen wirklich gutgangbaren Weg aufzeigt. Dafür meinen Dank an die Re-gierung!
An anderer Stelle geht es um die Freiheit im Netz ei-nerseits sowie um den Schutz geistigen Eigentums undden Schutz von Verbrauchern vor Abo-Fallen im Internetandererseits. Auch das ist ein Bereich, wo vieles gegen-einander abzuwägen ist, wo Grundrechte aufeinander-stoßen. Solche netzpolitischen Fragen werden uns nochviele Jahre beschäftigen. Auf viele Fragen gibt es nochkeine eindeutigen Antworten. Das muss erst wachsen,das muss erst entstehen, auch deswegen, weil vielestechnisch noch im Fluss ist. Diese Regierung befasstsich ernsthaft mit diesen Fragen. Die Informations- undKommunikationsfreiheit im Netz müssen geschützt wer-den. Aber etwa auch der Schutz geistigen Eigentumsoder die Verbraucherrechte dürfen nicht unter die Rädergeraten, wenn große Internetkonzerne oder schlaueOnlineunternehmer mit dem Netz oder im Netz Ge-schäfte machen. Darum kümmert sich diese Regierung.Herr Kollege Schurer, Sie haben gerade bemängelt,dass die Koalition nicht bereit sei, den Änderungsantragder SPD auf Erhöhung der Mittel für die Nationale Stellezur Verhütung von Folter mitzutragen. Erlauben Sie mir,an dieser Stelle korrigierend anzumerken, dass die Jus-tizministerkonferenz von Bund und Ländern am 15. No-vember dieses Jahres, also erst vor wenigen Tagen, hierin Berlin beschlossen hat, dass das Vorsitzland unter Be-teiligung des Bundes prüfen soll, ob und gegebenenfallsin welchem Umfang eine Verbesserung der Ausstattungder Kommission notwendig erscheint. Man hat beschlos-
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Stephan Thomae
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sen, dass der Konferenz der Amtschefs am 24. und25. April 2013 in Freiburg ein Vorschlag unterbreitetwerden soll. Ihr Vorschlag kommt also einerseits reich-lich spät – erst heute Vormittag lag er vor –, andererseitsaber auch viel zu früh, weil erst im April zu entscheidensein wird, ob diese Maßnahme durchgeführt wird. Des-wegen bitte ich um Verständnis, dass wir diesem Ände-rungsantrag heute nicht zu folgen vermögen.Ein paar Eckdaten haben Sie schon genannt, HerrKollege Schurer: Die Einnahmen des Einzelplans 07– Bundesministerium der Justiz – steigen in diesem Jahrum knapp 10 Prozent. Wir haben eine hohe Deckungs-quote, erfreulicherweise wieder um die 80 Prozent. DieAusgaben sind ebenfalls deutlich gestiegen. An dieserStelle will ich ganz kurz erläutern, warum der Etat desBundesjustizministeriums so stark wächst.Der erste Grund ist – Sie haben ihn schon genannt,Kollege Schurer –: Aus früheren Jahre waren noch reich-lich Ausgabenreste vorhanden. Das Parlament hat ge-wünscht, dass zunächst die Ausgabenreste verbrauchtwerden. Das hat das Justizministerium getreu dieserAuflage getan. Das heißt, der Justizhaushalt war in denletzten Jahren etwas unteretatisiert. Die Ausgabenrestesind aufgebraucht; deswegen muss der Einzelplan 07,der Etat des Bundesministeriums der Justiz, jetzt dem ei-gentlichen Bedarf entsprechend wachsen.Der zweite Grund ist: Der Justizhaushalt ist fast einreiner Verwaltungshaushalt: Etwa drei Viertel davonsind Personalkosten. Es ist ganz klar, dass Tariferhöhun-gen im öffentlichen Dienst da besonders stark zu Bucheschlagen. Das ist mit ein Grund, weshalb in diesem Etatein auffälliger Aufwuchs zu verzeichnen ist.Der dritte Grund ist: Liegenschaften des Bundes, diedas Justizministerium nutzt – vor allem oberste Bundes-gerichte wie der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bun-despatentgericht, das Bundesverwaltungsgericht –, wer-den in das Einheitliche Liegenschaftsmanagement desBundes, das ELM, überführt. Damit entstehen nun Miet-ausgaben, die bisher nicht da waren. Bei einem so klei-nen Etat wie dem des Bundesjustizministeriums schlägtdas besonders stark zu Buche. Das ist ein Grund, wes-halb dieser Etat etwas stärker anwächst als andere Etats.Lassen Sie mich ein paar Worte zu einigen Program-men des Bundesjustizministeriums verlieren. Eines ha-ben Sie, Kollege Schurer, ebenfalls schon erwähnt: dasForschungsprojekt zur NS-Vergangenheit des Justiz-ministeriums. Das ist ein, wie ich meine, sehr wichtigesVorhaben der Justizministerin. Es geht darum, deutlichzu machen, dass wir nichts vertuschen wollen, sondernuns offensiv mit der dunklen Geschichte in Deutschlandbefassen wollen.Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Einrichtungeiner Schlichtungsstelle für den Luftverkehr, die imBundesamt für Justiz eingerichtet werden wird. Das istein wichtiges Verbraucherschutzprojekt. Denn wennFlüge annulliert werden, wenn sie verspätet eintreffenoder überbucht sind, wenn Gepäck verloren geht,beschädigt wird oder verspätet eintrifft, dann könnenVerbraucher, dann können Fluggäste künftig dieseSchlichtungsstelle anrufen und dort ihre Ansprüche gel-tend machen. Das Gesetz ist im Juli im Kabinett verab-schiedet worden und gewährleistet eine günstige unbüro-kratische Erledigung solcher Ereignisse. Die Kostenhierfür tragen die Airlines. Das ist ein Beweis dafür, dassdiese Regierung dieses lästige Ärgernis für die Fluggästeangeht und einen effektiven, effizienten und unbürokra-tischen Verbraucherschutz gewährleistet.So könnte ich noch eine ganze Reihe weiterer Punktevortragen. Aber leider zeigt mir die Uhr an, dass meineRedezeit zu Ende ist.Ich danke nochmals dem Ministerium, der Ministerinsowie allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruk-tive Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieses, wie ichmeine, vorbildlichen Etats.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jens Petermann für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Die Legislaturperiode geht nun in die letzteRunde.
Dieses Ziel vor Augen sollte uns Motivation sein, viel-leicht doch noch einen kleinen rechtspolitischen End-spurt hinzulegen. In den verbleibenden Wochen könntenwichtige Initiativen auf den parlamentarischen Weg ge-bracht werden. Auch im Bundesjustizministerium hatdie Schlussrunde begonnen. Die Linke wird Sie, FrauMinisterin, wie gewohnt zuverlässig konstruktiv-kritischbegleiten und natürlich auch ein paar Vorschläge unter-breiten.Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz über denRechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren! Vor gutzehn Jahren hatte der Europäische Gerichtshof für Men-schenrechte die Gewährleistung eines schnellen Rechts-schutzes für Bürgerinnen und Bürger angemahnt. Auchdie Bundesregierung wurde mehrfach hierzu aufgefor-dert. Das Ergebnis der gesetzgeberischen Bemühungenist indes nicht mehr als ein schwachbrüstiger Kompro-miss.
Die Zahlung einer Entschädigung von 1 200 Euro proJahr Verzögerung kaschiert nur die Symptome, aberpackt das Übel leider nicht an der Wurzel.
Überlange Gerichtsverfahren sind vermeidbar. Daraufhabe ich bereits in der damaligen Debatte hingewiesen.
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Jens Petermann
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Eine bessere finanzielle Ausstattung der Justiz ist einegrundlegende Voraussetzung, um die Verfahrensdauer zuverkürzen. Leider ist die Botschaft damals bei Ihnennicht angekommen.Die Auswirkungen dieser Gesetzgebung treiben seit-dem einige Blüten. So hat beispielsweise das Land Nie-dersachsen in den Haushalt für das Jahr 2013 bereits3,5 Millionen Euro für Entschädigungsleistungen wegenüberlanger Gerichtsverfahren eingestellt. Das ist die fal-sche Richtung, Frau Ministerin. Motivieren Sie doch lie-ber die Länder dazu, die Justiz mit genügend Richterin-nen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwältenauszustatten! Das wäre der richtige Weg, um das Pro-blem überlanger Verfahren in den Griff zu bekommen.
Ihre Gesetzgebung hat leider einen anderen Weg vorge-geben. Sie zwingt nämlich dazu, Steuergelder für Ent-schädigungen zu verschwenden.Auch unser sehr gut ausgestattetes Bundesverfas-sungsgericht klagt über hohe Verfahrenszahlen und einedadurch bedingte zu lange Verfahrensdauer. Der deswe-gen bestehende Leidensdruck hat dazu geführt, dass derPräsident und sein Vize die Fraktionen des Bundestagesaufsuchten, um einen Entlastungsvorschlag zu unterbrei-ten. Sie haben damit die Suche nach einer Lösung für dieFlut von über 6 000 Verfassungsbeschwerden im Jahreröffnet.Entgegen einer naheliegenden Forderung nach mehrPersonal für das Gericht und einem dritten Senat solleine Mutwillensgebühr erhoben werden. Die Bürgerin-nen und Bürger sollen also zahlen, wenn sie das Gerichtmit vermeintlichem Unfug beschäftigen. Ob dieser Vor-stoß unterstützenswert ist, Frau Ministerin, muss mansich wirklich gut überlegen.Mit dem Konstrukt einer Mutwillensgebühr würdeder Zugang zum Gericht beschnitten. Der Rechtswegzum Bundesverfassungsgericht muss allen Bürgerinnenund Bürgern, auch mit Blick auf den oft schmalen Geld-beutel, offen stehen.
Den von manchen als Querulanten angesehenen Be-schwerdeführern, die als Einzelpersonen mitunter weitüber 100 Verfahren ausgelöst haben, muss anders begeg-net werden. Lassen Sie uns das in Ruhe besprechen undnach einer Lösung für dieses Phänomen suchen, die denRechtsstaat nicht schwächt, Kolleginnen und Kollegen!
Ein Blick in den schwarz-gelben Koalitionsvertragzeigt: Sie haben Ihre dort festgelegten Ziele tatsächlichfast vollständig umgesetzt. Allerdings gibt es keinenGrund, darauf besonders stolz zu sein;
denn wenn man seine rechtspolitische Messlatte bewusstniedrig ansetzt, ist es natürlich auch nicht sehr schwer,diese zu überspringen.Manche Initiative, die zulasten der kleinen Leutegeht, hätten Sie uns besser erspart, zum Beispiel die Re-form des Prozesskosten- und Beratungshilferechtes.
Sie unterstellen damit den Rechtsuchenden eine miss-bräuchliche Inanspruchnahme des Rechtsweges. Ein an-deres Beispiel ist die Reform des Mietrechts, mit der Siegegen sogenannte Mietnomaden vorgehen wollen. Mitdem vorgelegten Entwurf bekommen Sie die tatsächli-chen Probleme nicht in den Griff. Herr Kollege Schurer,Ihren Ausführungen ist insoweit nichts hinzuzufügen.Sie haben das wirklich ausführlich dargelegt.
Mit dem fragwürdigen Argument, es fände sonst eineFlucht in fremdes Recht statt, rechtfertigen Sie zudemdie zunehmende Europäisierung des materiellen Rechts.Dies offenbart letztlich nur die Kraft und den Einflussvon Wirtschaftslobbyisten, die nicht die kleinen und mit-telständischen Unternehmen vertreten, sondern vorran-gig die Interessen der Großkonzerne wahrnehmen.In letzter Zeit häufen sich dahin gehende Initiativenund Gesetzentwürfe, zum Beispiel die Einführung vonenglischsprachigen Kammern für Handelssachen oderdie Einführung der Partnerschaftsgesellschaft mit be-schränkter Haftung.
In keiner der bisherigen Debatten konnten Sie mitschlüssigen Argumenten davon überzeugen, dass dieseInitiativen gerechtfertigt sind.
Dafür ist etwas anderes schlüssig belegbar: Müsstedie Bundesrepublik Deutschland heute einen Antrag aufAufnahme in die Europäische Union stellen, würdeBrüssel die Aufnahme verweigern. Eigentlich unvor-stellbar! Grund dafür ist ein Justizsystem, das aus dem19. Jahrhundert stammt.Das wissen Sie, Frau Ministerin, sehr genau undhaben darum eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mitdieser Thematik befasst. In der Regierungskoalition inte-ressiert das allerdings niemanden wirklich. Frau Minis-terin, wir haben uns allerdings zwischenzeitlich geküm-mert und das naheliegende Ergebnis Ihrer Arbeitsgruppebereits gefunden. Meine Fraktion bringt in Kürze zweiGesetzentwürfe zur Herstellung der institutionellen Un-abhängigkeit der Justiz ein.
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Jens Petermann
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Der preußische Justizminister Leonhardt – dem einenoder anderen wird er vielleicht bekannt sein – sagteeinst:Solange ich über die Beförderungen bestimme, binich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unab-hängigkeit zu konzedieren.Das Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert,
ist aber leider noch immer aktuell.
An der Stellung der Richterinnen und Richter sowie derStaatsanwältinnen und Staatsanwälte hat sich seithernämlich kaum etwas geändert.
Was in einem Rechtsstaat nach dem Prinzip der Ge-waltenteilung selbstverständlich sein sollte, nämlich eineunabhängige, selbstverwaltete dritte Gewalt, ist inDeutschland leider keine Realität. Damit bleibt die Ge-waltenteilung ein Mythos.
Unsere europäischen Nachbarn, außer Tschechienund Österreich, haben sich von diesem Mythos längstverabschiedet und ihre Justiz durch Stärkung der Unab-hängigkeit der Rechtsprechung von staatlichen Einflüs-sen verselbstständigt sowie diesbezügliche Hinweise desEuroparates umgesetzt. Das sind die Realitäten, KollegeKrings.Der hierarchische Aufbau der Justiz und das Richter-amtsrecht beruhen historisch auf dem Beamtenrecht.Das Beamtenrecht ist aber auf die Bedürfnisse derStaatsgewalt zugeschnitten und mit einer unabhängigenJustiz nicht vereinbar.Wir haben die Vorschläge des Deutschen Richterbun-des und der Neuen Richtervereinigung für die Stärkungder Unabhängigkeit der Justiz und die Herstellung derGewaltenteilung aufgegriffen. Zur Umsetzung sindÄnderungen des Grundgesetzes und einzelgesetzlicherRegelungen auf Bundes- und Landesebene erforderlich.Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt,also die gesamte Ordnung der Justiz, den Richterinnenund Richtern anvertraut. Tatsächlich aber werden dieGerichte als nachgeordnete Behörden der Ministerienbetrachtet. Sie sind personell und sachlich von der Re-gierung abhängig und werden sozusagen wie eine Bau-verwaltung gesteuert.Der politische Einfluss der Ministerien ist bekannter-maßen vorhanden und unbestritten erheblich. Er findetstatt bei der Auswahl der einzustellenden Bewerberinnenund Bewerber, bei der Steuerung der Karrieren vonRichterinnen und Richtern – besonders durch Entschei-dungen über die Beurteilung, Beförderung und anderePersonalmaßnahmen –, bei den Berichtspflichten derStaatsanwaltschaften und entsprechenden Weisungs-möglichkeiten sowie bei der Entscheidung über die säch-liche Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften.Das wollen wir ändern. Die Justiz soll von der Ministe-rialbürokratie organisatorisch unabhängig werden.
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen sichselbst verwalten, entscheiden eigenständig über benötig-tes Personal, dessen Einstellung und über erforderlicheSachmittel. Richterwahlausschüsse sichern die demokra-tische Legitimation der Auswahl der Richterinnen undRichter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die in-terne Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaftensoll das Präsidium übernehmen. Die bisherigen Aufga-ben der Ministerien übernimmt ein demokratisch legiti-mierter Justizrat des Landes bzw. des Bundes.
Das hierarchisch geprägte, veraltete Laufbahnprinzipund Beförderungsämter auf Lebenszeit sollen abge-schafft werden. Eine moderne und unabhängige Justizerfordert die grundgesetzlich verankerte Einheitlichkeitder Richterämter. Alle Richter- und Staatsanwaltsämtersollen die gleiche Besoldungsgruppe erhalten. Für dieÜbernahme von Sonder- und Leitungsfunktionen kanneine zeitlich begrenzte höhere Besoldung gezahltwerden.
Mit diesen Gesetzentwürfen, die übrigens auch libera-ler Politik gut zu Gesicht stehen würden, können wir un-sere Justiz fit für die Anforderungen einer modernen Ge-sellschaft machen
und die auf den Gerichten und Staatsanwaltschaften lie-gende Staubschicht des 19. Jahrhunderts wegwischen.
Nebenbei würde die Bundesrepublik die im europäi-schen Einigungsprozess postulierte Vorbildfunktionauch im Bereich der Justiz umsetzen und die Aufnahme-kriterien der Europäischen Union erfüllen.
Ich weiß, dass es der Koalition schwerfällt, über ihrenSchatten zu springen
und einer Initiative der Linken zuzustimmen; das ist janicht neu. Hier geht es aber nicht um eine Doktorarbeit,liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist die
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Jens Petermann
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Tastenkombination „copy and paste“ ausdrücklich er-wünscht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Es gelingt gelegentlich, die Präsidentin zu überra-
schen: Ihre Redezeit war noch gar nicht abgelaufen. –
Gut. Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Funk für
die Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ich habe selten so viel Unsinn über unsere Ge-richte und Staatsanwaltschaften gehört wie von Ihnen,Herr Petermann.
Ja, ich halte es geradezu für eine Unverschämtheit, dassSie unseren Gerichten im Zusammenhang mit Beförde-rungen pauschal Käuflichkeit unterstellen. Wir habeneine unabhängige Justiz. Darauf können wir stolz sein.Deshalb weisen wir diesen Vorwurf mit aller Entschie-denheit zurück.
Ich danke als Hauptberichterstatter für das Bundes-verfassungsgericht dem Direktor des Bundesverfas-sungsgerichtes, Herrn Weigl, und seinen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern. Auch hier ist es uns in gewohnteinhelliger Weise gelungen, den Neubezug des Dienstge-bäudes angemessen zu finanzieren und die Organisa-tionsstruktur des Gerichtes zu stärken und auszubauen.Ich bedanke mich hier für die gute Zusammenarbeit ins-besondere bei meinen Kollegen Danckert, Ruppert,Sarrazin, aber auch bei dem Kollegen der Linken, HerrnBartsch. Es war wie immer eine sehr konstruktive Dis-kussion.Auf der Grundlage des Zahlenwerks, das wir von derRegierung bekommen haben, konnten wir im Haushalts-ausschuss, vor allem auch in der Bereinigungssitzung,noch einige Weichen stellen, um den Zug nicht aufs Ab-stellgleis fahren zu lassen. Es ist uns beim Einzelplan 07gelungen, einen Etat aufzustellen, der wie alle Vorgän-gerhaushalte von unverrückbaren Ausgabeposten, be-sonders bei den Personalkosten, bestimmt und zudemvom generellen Spardiktat gekennzeichnet ist. Dennochgab es Freiräume, die wir genutzt haben, um uns wich-tige Akzente zu setzen. Der Etat des Bundesministe-riums der Justiz für das kommende Jahr zeigt erneut,dass es möglich ist, mit relativ geringen Mitteln gesell-schaftspolitische Ziele zu formulieren und umzusetzen.Dafür braucht man nicht immer Millionen- oder gar Mil-liardenbeträge.Lassen Sie mich einige wenige Punkte herausgreifen,die gerade von hoher Aktualität sind und den Justizetatdirekt berühren. Uns alle beschäftigt die Mordserie derrechtsextremistischen Organisation NSU sowie die Auf-klärung dieser Verbrechen. So, wie wir über die Mordeerschüttert sind, sind wir entsetzt über die zahlreichenPannen, die es bei der Aufklärung gegeben hat. So sehruns die Existenz rechtsextremistischer Gruppierungen inunserem Land auch erschüttert, dürfen wir darüber dieganz konkreten Opfer und deren Angehörige nicht ver-gessen.Seit einiger Zeit gibt es im Justizetat den Titel „Härte-leistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ zurEntschädigung von Opfern links- und rechtsextremisti-scher Gewalt, der in den vergangenen Jahren kaum inAnspruch genommen wurde. Im Zusammenhang mitden NSU-Verbrechen hat sich nun der Mittelabruf mas-siv erhöht. Bis Anfang November dieses Jahres gingenrund 150 Anträge auf Härteleistungen ein. Dieser Situa-tion haben wir Rechnung getragen und den Ansatz fürden Titel, der eigentlich gesenkt werden sollte, auf1 Million Euro verdoppelt und damit auf dem Niveauvon 2012 festgeschrieben.Werfen wir einen Blick auf das, was wir im vergange-nen Jahr noch euphorisch den arabischen Frühling ge-nannt haben. Inzwischen sind im Hinblick auf die demo-kratische Entwicklung in Tunesien, Libyen und auch inÄgypten manche Blütenträume zerstoben. Der Nahe Os-ten ist nur in Grenzen demokratischer geworden. Statt-dessen droht dieses Pulverfass zu explodieren. DieStichworte „Israel“, „Gazastreifen“ sowie „Bürgerkriegin Syrien“ deuten auf das Ausmaß der Gefährlichkeithin.Gerade deshalb aber ist es wichtig, dass wir denDemokratisierungsprozess in der Region nachhaltig un-terstützen. Ein bedeutsames Instrument hierfür ist dieDeutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusam-menarbeit, IRZ, die eine vorbildliche Arbeit beim Exportdeutschen Rechts in andere Länder und nun speziell inden arabischen Raum leistet.
Es ist uns gelungen, den Mittelansatz gegenüber demEtatentwurf um weitere 364 000 Euro auf nunmehr4,1 Millionen Euro aufzustocken. Damit bekennen wiruns zu unserer Verantwortung und leisten einen interna-tional anerkannten konkreten Beitrag zur Unterstützungder jungen und durchaus noch gefährdeten Demokratienim arabischen Raum.Nicht zu vernachlässigen ist dieser Aspekt: Die Bera-tung und Aufbauhilfe sind kein Selbstzweck, sondern fürviele international aufgestellte Unternehmen ein ent-scheidender Erfolgsfaktor für das Engagement im Aus-land.Nur kurz erwähne ich einige andere Punkte, die nachmeiner Überzeugung von erheblichem Nutzen für dieBürgerinnen und Bürger sind. Wir haben das schon imKoalitionsvertrag formulierte Ziel umgesetzt, eine unab-hängige und übergreifende Schlichtungsstelle für den
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Alexander Funk
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Luftverkehr einzurichten. Das Bundesamt für Justiz be-kommt im nächsten Jahr Personal- und Sachmittel inHöhe von 330 000 Euro. Damit kann nun diese Schlich-tungsstelle eingerichtet werden. Sie kann in allen Fällenangerufen werden, in denen Airlines beteiligt sind, dienicht an privatrechtlichen Schlichtungen teilnehmen.Ein anderes Beispiel. Den wenigsten von uns werdendie sogenannten weißen Karteikarten etwas sagen. Stan-desämter haben sie bis 2008 bei der Eintragung vonnichtehelichen und einzeladoptierten Kindern angelegt.Mit Aufhebung einer Dienstanweisung fehlte eineRechtsgrundlage zum Umgang mit diesen weißen Kar-teikarten. Es entstand ein langer Streit zwischen Bundund Ländern darüber, wer zuständig sei und wer für dieKosten aufkommen müsse. Wir haben nun Mittel für dieUmsetzung eines sachgerechten und für den Steuerzah-ler günstigen Modells bereitgestellt. Mit 245 000 Eurofinanziert der Bund die Vorhaltung und Sammlung derKarteikarten bei der Bundesnotarkammer. Eine Lösung,die allein die Länder in die Pflicht genommen hätte,wäre um ein Vielfaches teurer geworden.
– Ja, aber es geht auch darum, dass wir uns sinnvoll fürden Bürger und Steuerzahler einsetzen und dass nichtder Streit zwischen Bund und Ländern im Vordergrundsteht, sondern eine kostengünstige Lösung für den Steu-erzahler. Auch dafür setzt sich die Koalition ein.
Besonders am Herzen liegt mir, dass wir beim ThemaVorratsdatenspeicherung möglichst rasch zu einem Er-gebnis kommen.
Bekanntermaßen droht der Bundesrepublik seitens derEU ein Bußgeld in Höhe von 315 036 Euro, und zwar proTag, wenn Deutschland nicht bald EU- und grundgesetz-konforme Regelungen beschließt. Lassen Sie uns hierdoch, da bekanntlich jedem Anfang ein Zauber inne-wohnt, einen echten Neuanfang wagen. Ich verweisedazu auf die Arbeit meiner Kollegen im Rechtsausschuss.Lösungsvorschläge, die verfassungskonform umsetzbarsind, gibt es. Ich bin mir sicher, dass einzelne Kritik-punkte rasch geklärt werden können, guten Willen bei al-len Beteiligten vorausgesetzt.
Dazu gehören zum Beispiel die bisher fehlende Einbin-dung des Bundesamts für Sicherheit in der Informations-technik und das Fehlen einer weitergehenden Erlaubnisfür den Zugriff auf Internetprotokolladressen.Lassen Sie uns gemeinsam diese Themen unverzüg-lich und zum Wohle der Allgemeinheit angehen. LassenSie uns die berechtigten Mahnungen und Warnungen ausder alltäglichen Praxis nicht einfach überhören. Dasschulden wir den Bürgerinnen und Bürgern.Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass essich beim Justizetat keinesfalls um eine staubtrockeneMaterie handelt. Der Justizhaushalt berührt vielmehr alleEbenen unserer Gesellschaft. Er hat Auswirkungen aufdas Leben jedes Einzelnen und auf die Stellung der Bun-desrepublik im internationalen Rahmen.Ich bitte Sie herzlich, dem Einzelplan 07 Ihre Zustim-mung zu geben.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jens
Petermann das Wort.
Herr Kollege Funk, Sie haben mir unterstellt, ich
hätte den Begriff „Käuflichkeit“ benutzt. Ich verwahre
mich ausdrücklich dagegen. Den Begriff habe ich nicht
benutzt, den würde ich auch nie benutzen. Sie können
das in meiner Rede nachlesen.
Wenn Sie zugehört hätten, dann wüssten Sie genau,
worum es geht. Es geht darum, dass ein Hinweis des Eu-
roparates umzusetzen ist, der eine justizielle Unabhän-
gigkeit, eine Selbstverwaltung der Justiz in allen Mit-
gliedsländern fordert. Das bedeutet also im Kern, eine
Selbstverwaltung der Justiz einzuführen. Um nichts an-
deres geht es. Das können Sie gerne noch einmal nachle-
sen.
Ich empfehle Ihnen auch, sich einmal mit Vertretern
der Richterverbände zusammenzusetzen. Die werden Ih-
nen nichts anderes als das erzählen, was ich Ihnen eben
erzählt habe.
Danke.
Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Ich habe Ihnen sehr wohl zugehört. Sie haben dasWort „käuflich“ nicht benutzt, aber Sie haben die Ge-richte und Staatsanwaltschaften generell als nicht unab-hängig betrachtet und das in einen Zusammenhang mitBeförderungen gestellt. Das weisen wir in aller Ent-schiedenheit zurück. Die Richterschaft ist nicht käuflichund auch nicht durch Beförderungen beeinflussbar. Wirhaben eine unabhängige Justiz. Insofern weisen wir auchdiesen Vorwurf von Ihnen zurück.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentri-
büne hat der Präsident der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates, Herr Jean-Claude
Mignon, mit seiner Delegation Platz genommen.
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich.
Der Deutsche Bundestag ist in der Versammlung des
Europarates mit einer Delegation vertreten und unter-
stützt in vielfältiger Weise den Einsatz des Europarates
und seiner Versammlung für den Schutz der Menschen-
rechte sowie für die Förderung von parlamentarischer
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Wir wün-
schen Ihnen für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr wei-
teres parlamentarisches Wirken alles Gute.
In der Debatte hat nun die Kollegin Ingrid Hönlinger
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, eine Haushaltsrede hat immer mit Geldund mit Finanzen zu tun.
Ich rede heute über 250 Milliarden Euro. 250 MilliardenEuro – so hoch ist der Schaden, den Korruption imJahr 2012 für die deutsche Wirtschaft verursacht. DieseSchadenssumme hat der WirtschaftswissenschaftlerFriedrich Schneider aus dem österreichischen Linz er-rechnet. Der Schaden besteht vor allem darin, dass beider Vergabe von Aufträgen nicht immer derjenige An-bieter zum Zug kommt, der das beste und günstigste An-gebot macht. Hierdurch wird das Wirtschaftswachstumgehemmt, und die Steuereinnahmen sinken.Was können wir dagegen tun? Bereits im Jahr 2003hat die Bundesrepublik – wir hatten damals eine rot-grüne Regierung – die UN-Konvention gegen Korrup-tion unterzeichnet. 161 Staaten dieser Welt haben dieKonvention inzwischen ratifiziert. Nur wenige Staatenhaben sie noch nicht gesetzlich umgesetzt. Dazu gehörtauch Deutschland.
Das, meine Damen und Herren, ist blamabel.
Bei dieser Frage bleibt die schwarz-gelbe Regierung aufdem Niveau von Sudan und Nordkorea; denn diese Re-gierung verweigert noch immer die Ratifikation derUN-Konvention – und das, obwohl sogar führende Ver-treter der deutschen Wirtschaft die Bundesregierung zurRatifikation auffordern.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,für diese Verweigerungshaltung haben Sie nur einen ein-zigen Grund. Sie müssten nämlich die Strafbarkeit derAbgeordnetenbestechung ausweiten. Das wollen Sie of-fenbar um jeden Preis vermeiden.
Dabei ist ein Gesetz, das Abgeordnetenbestechung imSinne der UN-Konvention unter Strafe stellt, kein Dingder Unmöglichkeit. Wir Grüne haben hierzu schonlängst unsere Vorschläge vorgelegt. Auch Bundestags-präsident Lammert hat jüngst einen eigenen Vorschlagzur Umsetzung der Konvention unterbreitet.
Es ist Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wirinternational endlich klare Kante gegen Korruption zei-gen.
Korruption ist nicht nur ein monetäres Problem. Korrup-tion untergräbt unseren Rechtsstaat und damit unsereDemokratie.
Es gibt noch weitere Initiativen, die das Bundesjustiz-ministerium dringend anstoßen müsste. So brauchen wirin Deutschland endlich ein bundesweites Korruptionsre-gister. Dieses Register soll Unternehmen benennen, diewirtschaftskriminell auffällig geworden sind. Das istdann gewissermaßen eine Liste der schwarzen Schafeauf der grünen Wiese der deutschen Unternehmenswelt.
Bund, Länder und Gemeinden vergeben jährlich Auf-träge im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro anprivate Unternehmen. Hiervon profitieren auch korrupteUnternehmen, weil die Vergabebehörden keine Kenntnisvon deren Aktivitäten haben.
Die ehrlichen, integren Konkurrenzunternehmen habendas Nachsehen. Das kann nicht sein, meine Damen undHerren. Das ehrliche Unternehmen, der ehrliche Fami-lienbetrieb, darf nicht der Verlierer bei öffentlichen Auf-trägen sein. Öffentliche Auftraggeber müssen besser er-kennen und steuern können, welche Unternehmen siebeauftragen. Ein Korruptionsregister würde dazu beitra-gen, den fairen Wettbewerb zu erhalten. Hiervon profi-tieren wir alle.
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25166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Ingrid Hönlinger
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Doch auch hier verweigert diese Bundesregierung, diesich doch sonst so gerne als wirtschaftskompetent prei-sen lässt, eine ordentliche gesetzliche Regelung.
Noch ein Weiteres ist mir wichtig: Menschen, dieKorruption aufdecken, verdienen den Schutz und denRespekt unseres Staates. Wir brauchen endlich ein Ge-setz, das Whistleblower besser schützt.
Die Bundesregierung hat im Herbst 2010 im Rahmen derG-20-Staaten vollmundig angekündigt, sie werde bisEnde 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz erlassenund auch umsetzen.
Heute haben wir den 20. November 2012, und von ei-nem Gesetz zum Schutz von Whistleblowern ist weitund breit nichts zu sehen.
Das zeigt: In der Rechtspolitik nimmt es diese Bun-desregierung mit der Umsetzung von Zusagen und Ver-sprechen, die sie auf internationaler Ebene gegeben hat,nicht so genau.Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,mit Ihrer Blockadehaltung in Sachen Korruptionsbe-kämpfung gefährden Sie das Ansehen Deutschlands inder Welt. Sie haben bei der juristischen Bekämpfung derKorruption nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Da-mit fügen Sie Wirtschaft und Staat Schaden zu. Außer-dem lassen Sie couragierte Bürgerinnen und Bürger, dieKorruptionsskandale aufdecken, im Stich.Es wird höchste Zeit, dass wir nächstes Jahr mit einerrot-grünen Regierung die Bekämpfung der Korruptionenergisch in die Hand nehmen.
Das werden wir tun. Darauf können Sie sich verlassen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau KolleginHönlinger, vielen Dank für Ihre Erinnerung daran, dassSie die UN-Konvention gegen Korruption im Jahr 2003als Regierungsverantwortliche unterzeichnet haben.Dann haben Sie es aber nicht geschafft, sie umzusetzen.Heute halten Sie uns nun vor, dass wir die Arbeit ma-chen müssen, die Sie 2003 nicht vollendet haben.Das Entscheidende ist aber, dass Sie an der Rechts-politik, die diese Koalition macht, nichts auszusetzen ha-ben. So scheint es mir jedenfalls, nachdem ich die De-battenbeiträge der Opposition gehört habe.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist: Von denVorhaben, die wir, diese Koalition, 2009 im Koalitions-vertrag festgehalten haben, haben wir 76 Prozent umge-setzt. 24 Prozent dieser Vorhaben sind noch nicht ver-wirklicht. Deren Umsetzung liefern wir Ihnen nächstesJahr. Hierbei handelt es sich um gute Politik. Deswegenhaben Sie hier wirklich nichts Sinnvolles zu kritisieren.
Warum Sie nicht sinnvoll kritisieren können, will ichIhnen einfach einmal anhand eines kleinen Potpourrisdessen, was wir geleistet haben, darstellen.2007 ist erstmals eine Bank in Deutschland aufgefan-gen worden – dieser Vorgang war ein Vorläufer derFinanzkrise –; das war die IKB. Sie haben es damalsnicht geschafft, verehrte Kollegen von der SPD, mit derJustizministerin und dem Finanzminister ein Restruktu-rierungsgesetz für Banken auf den Weg zu bringen. Wirhaben es 2010 ganz am Anfang dieser Koalition ge-macht, und Deutschland steht heute in Europa als dasLand da, das in diesem Bereich ein vernünftiges Gesetzhat. Das muss man als Erstes festhalten.Zweitens. Wir haben ein Gesetz zur Erleichterungvon Unternehmenssanierungen verabschiedet. Wir woll-ten den Mittelstand vor der Krise schützen bzw. einemmittelständischen Unternehmen, das von der Krise be-troffen ist, einen Weg aufzeigen, wieder aus ihr heraus-zukommen. Auch dies war ein erfolgreiches Gesetz.Auch dort haben wir geliefert.
Drittens. Wir haben Ihnen jetzt einen Gesetzentwurfvorgelegt, mit dem wir etwas erreichen wollen, wasebenfalls im Koalitionsvertrag steht: die Verbesserungder zweiten Chance. Wir legen eine zweite Stufe der In-solvenzrechtsreform vor. Damit geben wir Menschen,die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und bereitsind, ihren Gläubigern 25 Prozent ihres Geldes zurück-zuzahlen, die Möglichkeit, früher aus dem Restschuld-befreiungsverfahren herauszukommen, sodass sie früherwieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen undwirtschaftlich erfolgreich sein können. Das ist eine ver-nünftige Politik für den Mittelstand, die diese Koalitionbetreibt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25167
Christian Ahrendt
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Ein weiterer Punkt. Diese Koalition hat in den letztenJahren den Rechtsschutz verstärkt. Sie haben 2002/2003das Berufungsrecht faktisch abgeschafft. Wir haben§ 522 ZPO in dieser Legislaturperiode reformiert. Wirhaben ein Gesetz zur Reduzierung überlanger Gerichts-verfahren auf den Weg gebracht und 2011 verabschiedet.Warum? Die schnelle Verkündung eines Urteils ist Aus-druck eines vernünftigen Rechtsschutzes. Insofern hatdie Justizministerin hier ein erfolgreiches Gesetz vorge-legt. Der Kollege Petermann hat zu Recht gefordert, dieJustiz vernünftig auszustatten. Das ist auch Sache derLänder. Wir haben mit diesem Gesetz für mehr Rechts-schutz gesorgt. Außerdem haben wir hier gemeinsam,und zwar einstimmig –, das ist etwas, wofür wir uns alleloben können – das Mediationsgesetz auf den Weg ge-bracht, um Menschen außergerichtlichen Rechtsschutzvor dem Gericht zu ermöglichen. Auch das ist ein Bei-spiel für erfolgreiche Rechtspolitik, die in der Zeit derschwarz-gelben Koalition betrieben worden ist.
Wir liefern beim Rechtsschutz. Zum Rechtsschutz ge-hört auch eine vernünftige Politik für Verbraucher. Dawill ich nur ein Beispiel bringen: Wir haben zur Be-kämpfung von Kostenfallen im Internet durch die But-tonlösung, die die Justizministerin auf den Weg gebrachthat, ein wirksames Instrument geschaffen. So stellen wirsicher, dass man im Internet einkaufen kann, ohne betro-gen zu werden. Auch das ist Teil einer vernünftigenRechtsschutz- und Verbraucherpolitik, wie sie dieseKoalition in den letzten Jahren betrieben hat.
Auch in den schwierigen Fragen sind wir gut voran-gekommen. Wir haben das Zeugnisverweigerungsrechtfür Anwälte gestärkt. Dem voraus ging eine Diskussion,die nicht einfach war. Es kann aber doch nicht sein, dassein Strafverteidiger ein Zeugnisverweigerungsrecht hat,aber ein Anwalt, der in Zivilsachen berät, nicht. Auch dasind wir mit der Änderung des § 160 a StPO weiterge-kommen.Wir haben die Pressefreiheit gestärkt, indem wir denQuellen- und Informationsschutz strafrechtlich ausge-baut haben.Darüber hinaus haben wir – das haben wir in der letz-ten Sitzungswoche diskutiert – die Sicherungsverwah-rung mit den Reformen 2010 und 2012 auf ein vernünfti-ges Fundament gestellt.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkungder Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs werdenwir das abschließen, was uns der Runde Tisch mit aufden Weg gegeben hat. Auch dieses Gesetz steht dem-nächst zur Beratung an. Wir haben also auch hier einenkompletten, vernünftigen und erfolgreichen Ansatz inder Rechtspolitik.Diesen Ansatz werden wir auf einem weiteren Gebietverfolgen. Da Rechtspolitik und Rechtsleben ohne einestarke Anwaltschaft nicht möglich sind, wollen wir einRechtsregime schaffen, das das anwaltliche Berufsrechtverbessert. Dazu wollen wir zum einen in Deutschlanddie Rechtsform Partnergesellschaft mit beschränkterHaftung auf den Weg bringen. Es kann nicht sein, dassmittelständische Kanzleien das tun, was wir früher schoneinmal bei GmbHs erlebt haben: Sie sind in die Rechts-form „ltd.“ geflohen. Heute sind viele Kanzleien daraufangewiesen, in eine englische Gesellschaft namens LLPzu fliehen.
Wir werden mit dem Gesetz zur Partnergesellschaft mitbeschränkter Haftung eine vernünftige deutsche Alterna-tive anbieten.Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz werdenwir dafür sorgen, dass die Anwaltschaft weiterhin ver-nünftig, auskömmlich den Menschen den Rechtsschutzverschaffen kann, der ihnen zuteilwerden muss, wenn siesich gegen Urteile und andere Dinge wehren müssen.
Das ist eine Rechtspolitik, die erfolgreich ist. Das isteine Rechtspolitik, die hier kaum kritisiert worden ist.Ich habe Ihnen vorgetragen, warum das so ist. Sie ist er-folgreich. Sie glänzt. Das ist an dieser Stelle mein Lieb-lingsbeispiel.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Bundesministerin! Herr Ahrendt, meine BewertungIhrer Bilanz der Rechtspolitik der Koalition fällt andersaus. Das wird Sie nicht überraschen. Sie verraten mir beiGelegenheit noch einmal, wie Sie zu den 76 Prozentkommen. Das ist letztendlich aber auch egal; denn esgeht gar nicht darum, was Sie aus dem Koalitionsvertragumgesetzt haben, sondern viel wichtiger ist, welcherechtspolitischen Themen überzeugend geregelt undwelche wichtigen Themen einer Lösung zugeführt wor-den sind. Hier muss ich sagen: Zehn Monate vor dernächsten Bundestagswahl und drei Jahre nach der letztenWahl komme ich zu keiner überzeugenden Bewertung.Sie haben keine überzeugende Bilanz aufzuweisen. An-hand von einigen Themen, an denen die Handlungs- undEntscheidungsunfähigkeit im Bereich der Justiz ganzdeutlich wird, will ich Ihnen anführen, warum ich ge-
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Dr. Eva Högl
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meinsam mit der Fraktion der SPD dieser Auffassungbin.Ich greife ein Thema auf, das die Kollegin Hönlingerbereits dargestellt hat und das uns im Parlament ganzbesonders beschäftigen muss, weil es für das Ansehendieses Parlaments sehr wichtig ist. Es ist das Thema Ab-geordnetenbestechung. Frau Ministerin, bei diesemwichtigen Thema hätte ich mir insbesondere von Ihnenmehr Engagement, mehr juristische Kreativität und mehrEngagement bei der Entwicklung von guten Regelungengewünscht. Ich finde es peinlich, dass wir die UN-Kon-vention zur Bekämpfung von Korruption immer nochnicht umgesetzt haben und dass wir offensichtlich nichtin der Lage sind, hier vernünftige Regelungen zu be-schließen.
Wir wissen, wir sind nicht bestechlich, meine Damenund Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aberschon den Anschein, der dadurch erweckt wird, dass wirdiese Konvention nicht umsetzen, müssen wir dringendbekämpfen und beseitigen, und zwar wir hier im Parla-ment. Es schadet unserem Ansehen. Deswegen müssenwir das regeln. Es sollte uns zu denken geben – auch dashat Frau Hönlinger bereits gesagt –, wenn uns führendeWirtschaftsvertreter im Sommer darauf hinweisen, dassdringender Handlungsbedarf besteht.Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen hervorragen-den Gesetzentwurf vorgelegt. Er ist praktikabel und einehervorragende Grundlage für die weitere Diskussion. Eszeichnet uns aus, dass sich auch der BundestagspräsidentLammert, der hier sehr engagiert ist, weil er um dieWichtigkeit und die Bedeutung dieses Themas sehr gutBescheid weiß, an unseren Vorschlägen orientiert. Ichbleibe weiter optimistisch – das habe ich schon bei derersten Lesung unseres Gesetzentwurfes gesagt –, dasswir doch noch zu vernünftigen Regelungen und zu einerLösung kommen. Wir brauchen dazu juristische Kreati-vität; diese ist hier im Parlament vorhanden. Wir brau-chen dazu auch Mehrheiten. Das sollten wir auf den Wegbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. FrauMinisterin, ich frage direkt an Sie gewandt: Was ist dasfür ein Gezerre beim Thema Frauenquote in der Bundes-regierung und in der Koalition? Was ist das für ein un-würdiges Gezerre? Auch das, liebe Kolleginnen undKollegen, schadet unserem Ansehen. Wir haben es beidem Thema „Gleichstellung von Frauen in Führungs-positionen in der deutschen Wirtschaft“ mit einem elen-den Hin und Her zu tun. Dieses Thema hätten wir, wieich finde, längst angehen und dringend regeln müssen.
Es gibt Gremien, die fähig sind, sich zu einigen; derBundesrat hat das bewiesen. Nachdem sich die CDU-re-gierten Länder Thüringen und Saarland der Auffassungangeschlossen hatten, dass hier Handlungsbedarf be-steht, haben sie dem Gesetzentwurf von Hamburg zuge-stimmt und am 21. September im Bundesrat einen Ge-setzentwurf mit der Forderung verabschiedet, 40 Prozentder Aufsichtsratspositionen mit Frauen zu besetzen. Dasist eine dringend notwendige Forderung. Wir finden, sieist nicht weitgehend genug, aber wenigstens ist es einBeginn der Debatte.Gerade erst am 14. November hat sich die Justizkom-missarin aus der Familie der CDU, Viviane Reding, eineengagierte Frau – Frau Ministerin, Sie kennen sie gut –,durchgesetzt und in der EU-Kommission einen Richtli-nienvorschlag auf den Weg gebracht. Es geht also. Mankann sich einigen; man kann etwas regeln.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir im DeutschenBundestag sollten uns nicht treiben lassen, weder vomBundesrat noch von der EU-Kommission, sondern wirsollten im Hinblick auf das Thema „Führungspositionenfür Frauen in deutschen Unternehmen“ selbst etwas be-schließen.Die SPD-Fraktion hat auch hier einen hervorragendenGesetzentwurf vorgelegt: praktikabel, gut anwendbar,mit umfassenden Regeln, die auch Vorstände einbezie-hen. Sie alle haben bei den weiteren Beratungen dem-nächst die Chance, diesem Gesetzentwurf zuzustimmenund dieses wichtige Thema endlich auf den Weg zu brin-gen. Ich wünsche mir hier eine breite Mehrheit; denn ichweiß, dass auch in Ihren Fraktionen viele der Auffassungsind, dass wir dieses Thema endlich regeln müssen unddass Frauen eine faire und gerechte Chance auf Füh-rungspositionen in der deutschen Wirtschaft erhaltensollen.
Das sind zwei Themen, bei denen die Koalition wederin der Lage war, sich zu entscheiden, noch zu handeln.Wenn sie dann etwas vorlegt – das hat mein KollegeSchurer schon angesprochen –, kann man meist nur sa-gen: Das Ganze ist so unsozial und so unpraktikabel,dass es den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürgernicht gerecht wird.Das Mietrechtsänderungsgesetz wird zum Beispielden Mieterinnen und Mietern überhaupt nicht gerecht.Wir befinden uns in Berlin. Sie alle wissen es, Kollegin-nen und Kollegen: Hier gibt es drastische Mietsteigerun-gen. Es gibt viele Menschen, die sich Sorgen machenüber Verdrängung, die von überhöhten Mietpreisen be-droht sind, auch durch die Nebenkosten und die Strom-kosten. Wir müssen im Bereich des Mietrechts ganzdringend Regelungen finden, die die Mietsteigerungenbei Neuvermietungen in Grenzen halten. Was Sie jedochhier vorgelegt haben, Frau Ministerin und liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Koalition, ging genau indie andere Richtung, nämlich in die Richtung, die Miete-rinnen und Mieter noch viel stärker zu belasten, undzwar mit den Kosten, die bei einer energetischen Gebäu-
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Dr. Eva Högl
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desanierung, die ja an sich richtig ist, auf sie zukommen.Das können wir überhaupt nicht mitmachen. Deswegenbin ich froh, dass dieser Gesetzentwurf gestoppt wurdeund wir die Chance haben, ihn im Laufe der weiterenBeratung noch zu verbessern.
Ich habe noch eine allerletzte Bitte, Frau Ministerin,und zwar zu den Stichworten „NSU“ und „rechtsextre-mer Terror“. Wir haben jetzt ein Jahr lang im Untersu-chungsausschuss gearbeitet und aufgeklärt und überle-gen uns nun Vorschläge. Ich wünsche mir von Ihnen,Frau Ministerin, dass Sie bei der Diskussion über Refor-men weiterhin engagiert bleiben. Bisher haben wir vonder Bundesregierung wenig an Vorschlägen zu Verände-rungen gehört. Das alles reicht noch nicht, um dieser be-sonderen Herausforderung gerecht zu werden. Wir müs-sen hier ganz grundsätzlich reformieren, und zwar auch– Frau Ministerin, deshalb spreche ich Sie an – bei derJustiz in den Bundesländern. Wir sollten vor diesemHintergrund keine weitere Zeit verstreichen lassen, son-dern bereits jetzt Vorschläge dazu erarbeiten, was wirmachen müssen, um rechtsextremen Terror nicht nuraufzuklären, sondern vor allen Dingen für die Zukunftzu verhindern.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – – Moment,
da stimmt etwas nicht. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hatte Redner getauscht, deswegen war das
Ganze hier etwas durcheinander geraten.
Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei meinem Beitrag hätten Sie relativ schnell mitbekom-men, dass ich kein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünensein kann.Frau Kollegin Högl, Sie haben ja gerade ansatzweiseversucht, Kritik an der Rechtspolitik der christlich-libe-ralen Koalition zu üben. Sie haben, wie es vorhin auchschon angeklungen ist, auch wieder die Peinlichkeit dernoch nicht erfolgten Umsetzung der UN-Korruptions-richtlinie aufgegriffen.Frau Kollegin Högl, Sie waren doch auch in der um-fassenden Anhörung, die wir im Rechtsausschuss zu die-sem Thema durchgeführt haben. Diejenigen, die sichloben, hier einen Gesetzentwurf vorgelegt zu haben,sollten zumindest sehr kritisch zur Kenntnis nehmen,dass die überwiegende Zahl auch der von Ihnen benann-ten Sachverständigen diese Gesetzentwürfe mehr alsnachhaltig inhaltlich kritisiert hat.
Ich denke, die Sachverständigen haben insgesamt in al-ler Deutlichkeit klargemacht, wie komplex und schwie-rig die Materie ist. Es ist schlicht und einfach nicht inOrdnung, immer so zu tun, als ob auf der rechten Seitedes Parlaments nur Abgeordnete säßen, die Maßnahmenzur Bekämpfung von Korruption bei Abgeordneten mitaller Gewalt vermeiden wollten.
Da die rot-grüne Regierung im Jahr 2003 – der KollegeAhrendt hat es gesagt – das Übereinkommen unterzeich-net hat, müssen Sie sich fragen lassen, warum Rot-Grünes nicht auch umgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, die Bundesjustiz kostetden Bürger jedes Jahr ganze 1,36 Euro – ein mehr alsüberschaubarer Betrag, wenn man ihn in Relation zumbreiten Aufgabenspektrum der Bundesjustiz betrachtet.Wir sagen im Rahmen der Haushaltsdebatten zu denEinzelplänen der Justiz und des Bundesverfassungsge-richts immer wieder: Es handelt sich um einen kleinen,feinen Haushaltsetat, der von den Zahlen her immer gutdasteht; bei den Einnahmen liegt er unter allen Ressortsdes Bundeshaushalts an vierter Stelle, bei den Ausgabenan letzter Stelle. Wir kriegen also von den Haushälternimmer gute Noten, und das ist sehr schön.Wir Rechtspolitiker, liebe Kolleginnen und Kollegen,wissen aber – und das sollte man auch immer wiedersagen –: Die Rechtspolitik hat ein sehr breites Aufgaben-spektrum abzudecken. Sie ist im gesellschaftlichen Ge-flecht der Gesetzgebung von fundamentaler Bedeutung.Rechtspolitik ist schon lange mehr als nur klassischeJustizpolitik – die Kollegen wissen es aus der aktivenArbeit –: Wir haben eine Vielzahl von Gesetzesvorlagen,die an uns zur Federführung überwiesen werden, manch-mal auch eine schier endlos erscheinende Liste der Mit-beratung im Rahmen anderer Gesetzgebungsvorhaben.
Es kommt hinzu – ich habe es auch in meiner letztenHaushaltsrede gesagt –: In der Rechtspolitik gewinnt dasThema Europa immer mehr an Bedeutung; das wissenwir schon lange. Ich denke, es ist immer wieder gut,richtig und beispielhaft für die Arbeit dieses Hohen Hau-ses, dass der Rechtsausschuss mit seinem Unteraus-schuss Europarecht einen sehr wertvollen Beitrag zurBegleitung der europäischen Rechtspolitik leistet. Ichmöchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir mitder kürzlich stattgefundenen Konferenz mit Vertreternanderer nationaler Parlamente, die sich auf Initiative desRechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum ers-
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ten Mal überhaupt in dieser Konstellation getroffen ha-ben, ein gewisses Novum im Bereich der europäischenZusammenarbeit mit anderen Parlamenten geschaffenhaben. Die Kollegen, die da waren, wissen: Es ging umdas Vorhaben der Europäischen Kommission im Bereichdes europäischen Kaufrechts und die Subsidiaritätsver-antwortung der nationalen Parlamente. Ich darf an dieserStelle nicht nur dem Bundestagspräsidenten Lammertausdrücklich für die uneingeschränkte Unterstützung desVorhabens danken, sondern auch dem Vorsitzenden desRechtsausschusses, dem Kollegen Siegfried Kauder, unddem Sekretariat des Rechtsausschusses sehr herzlich fürdie Organisation danken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit die-ser Veranstaltung Neuland betreten. Wenn auch die Zahlder teilnehmenden Kollegen aus den europäischen Nach-barparlamenten und im Übrigen auch aus unseremHause durchaus hätte höher sein können, waren sich alleAnwesenden einig: Das Experiment war ein Erfolg. DieTeilnehmer waren übereinstimmend der Auffassung:Eine intensivere Koordinierung der gemeinsamen Arbeitzur Bewältigung der europäischen Aufgabenstellungender nationalen Parlamente, wie sie uns durch den Lissa-bonner Vertrag zugewachsen sind, ist sinnvoll und er-strebenswert.Getreu der Devise „Ceterum censeo Carthaginemesse delendam“ pflege ich an dieser Stelle immer wiederzu sagen – ich gebe nie die Hoffnung auf –, dass ich esfür notwendig erachte, hier, in der öffentlichen Debattedieses Hohen Hauses, häufiger und intensiver die The-men der europäischen Rechtspolitik zu debattieren.
Wir alle sollten uns im Rahmen unserer Möglichkeitendafür einsetzen, dass das verstärkt geschieht. Ich weiß:Im nationalen parlamentarischen Alltagsgeschäft ist dasmanchmal ein Wunsch, der sich nicht realisieren lässt.Trotzdem werde und will ich die Hoffnung an der Stellenicht aufgeben.Ich rede hier vom nationalen Alltagsgeschäft derRechtspolitik, weil Haushaltsdebatten – das ist hier an-geklungen – nicht nur eine Bilanz der Zahlen beinhalten,sondern auch eine Bilanz der Rechtspolitik. Ich finde,dass der Kollege Ahrendt sehr richtig, sinnvoll und um-fassend dargelegt hat, welche Erfolge die schwarz-gelbeKoalition in der Rechtspolitik inzwischen zu verzeich-nen hat und dass sich das Genörgel der Opposition selek-tiv auf einige wenige Punkte beschränkt.
Herr Petermann, ich gehe jetzt gar nicht auf Ihre fürmich bemerkenswerten Gedanken zur Reform der Justizein. Sie haben das Gesetz über den Rechtsschutz beiüberlangen Gerichtsverfahren als „schwachbrüstigenKompromiss“ kritisiert, sinngemäß als etwas, was nichthelfe. Sie sagten, man müsse das Übel an der Wurzelpacken. Ich habe mir bei der Beschäftigung mit derFrage, wie das Gesetz wirkt, die – das ist blanker Zufall –statistischen Zahlen des Landes Brandenburg, in dem einJustizminister Ihrer Partei seit 2009 zusammen mit derSPD regiert, zu Gemüte geführt. Liebe Kolleginnen undKollegen von SPD und Linken, hören Sie gut zu: Seitdem Regierungsantritt hat sich die Verfahrensdauer in al-len Bereichen leider zunehmend verlängert, manchmalum einen Monat. Betrug die Verfahrensdauer im Jahr2009 bei allgemeinen Zivilsachen der Landesgerichtenoch durchschnittlich 9,4 Monate, so sind es mittler-weile 10,4 Monate. Ich könnte Ihnen noch mehr Zahlennennen, die belegen, dass die Verfahrensdauer kontinu-ierlich ansteigt.Verehrter Herr Petermann, Sie machen uns Vorhaltun-gen. Mein Vorschlag ist: Nehmen Sie mit Ihren Kollegenin Brandenburg Kontakt auf. Sie könnten mit gutem Bei-spiel vorangehen und zeigen, dass es mit einem linkenJustizminister auch anders geht. Es wäre schön, wennSie im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehenwürden.
Wir werden auf Bundesebene in dieser Woche einsehr wichtiges und auch emotional schwieriges Gesetz-gebungsvorhaben beraten, nämlich das Gesetz zur Rege-lung der Beschneidung. Ich will den Beratungen abernicht vorgreifen.Wir haben eine Vielzahl weiterer Themen auf der Ta-gesordnung; meine Kollegen haben schon darauf hinge-wiesen. Das zeigt, dass sich schwarz-gelbe Rechtspolitikbewährt. Wir werden das Patientenrechtegesetz verab-schieden. Endlich werden die Informationsrechte von Pa-tienten transparent in einem gesonderten Gesetz geregelt.Wir werden die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Sterbe-hilfe auf die Tagesordnung setzen. Es wurden Bereicheaus dem Wirtschaftsrecht angesprochen, zum BeispielKleinstkapitalgesellschaften im Zuge der Umsetzung ei-ner EU-Richtlinie von bürokratischen Bilanzierungs-pflichten zu entlasten. Auch das Leistungsschutzrechtund das Mietrechtsreformgesetz sind genannt worden.Bei Letzterem kritisieren Sie immer wieder, dass es sozialunausgewogen ist, was schlicht nicht stimmt. Wir werdendas Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern neuregeln. Auch das haben wir hier bereits diskutiert.Das Spektrum der Rechtspolitik ist breit gefächert.Lassen Sie mich deshalb auch erwähnen, dass wir dasSeehandelsrecht grundsätzlich reformieren. Wir Juristenhaben mit dieser Materie zugegebenermaßen nicht allzuviel zu tun. Trotzdem enthält es für die maritime Branchenotwendige Regelungen. Wir werden das Patentrecht ent-bürokratisieren. Das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz istebenfalls erwähnt worden. Auch das InsolvenzrechtTeil II wird in Angriff genommen.Meine Damen und Herren von der Opposition, bei allden guten gesetzgeberischen Vorhaben fällt es Ihnenschwer, kritische Ansätze zu finden. Ich habe nichts ge-gen Kritik; die dürfen Sie ruhig anbringen. Im Ergebniskann man jedoch feststellen: Die bisher verabschiedetenGesetze belegen, dass wir gute und kluge Arbeit geleis-
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Andrea Astrid Voßhoff
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tet haben. Bei einer Vielzahl der Gesetze haben Sie imErgebnis dankenswerterweise zugestimmt.Abschließend sei mir noch erlaubt, auf ein Anliegender CDU/CSU-Bundestagsfraktion einzugehen. Wirschauen hin und wieder auch in die Länder hinein. Aufder JuMiKo der Länder ist unter anderem ein Beschlussgefasst worden, der aus unserer Sicht sinnvoll und rich-tig ist. Es geht darum, Schüler in den Schulen stärker vorsexuellen Übergriffen durch Lehrer zu schützen. Auf-grund zweier Entscheidungen des OLG Koblenz wissenwir, dass es eine Schutzlücke gibt. Es kann nicht sein,dass das Gesetz nicht zur Anwendung kommt, nur weilder Lehrer nicht der Klassenlehrer, sondern ein Vertre-tungslehrer war. Die Strafbarkeit der Handlung darfnicht davon abhängen. Aus Sicht der Union ist das eineSchutzlücke.
Ich bin den Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalzdankbar, dass sie eine Gesetzesinitiative auf den Wegbringen wollen. Aus unserer Sicht ist das ein unterstüt-zenswertes Vorhaben.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeitdrei Bemerkungen machen. Alle haben mit Geld unddem Justizhaushalt zu tun.Erstens. Sie haben dankenswerterweise die Mittel fürden Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Über-griffe wieder erhöht. Ich darf daran erinnern, wann die-ser Fonds eingerichtet worden ist. Er ist eingerichtetworden, als in Deutschland die Häuser brannten, alsAsylbewerber um ihr Leben bangen mussten, als es inMölln und Solingen Tote gegeben hat, Opfer rechts-extremen Terrors. Deswegen haben die damalige rot-grüne Bundesregierung und die Koalition aus Rot-Grüneinen Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Ge-walt eingerichtet. Seitdem ist das – bis zum heutigenTage – ein Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewaltgeblieben. Wir haben praktisch keine Abflüsse für an-dere Opfer, insbesondere keine für Opfer linksextremis-tischer Gewalt, obwohl es auch die gibt. Jetzt aber– nach den NSU-Morden – ist evident klar, dass wirauch in dieser Frage handeln müssen. Es ist damals– Frau Voßhoff, das ist mein Ceterum Censeo – ein Feh-ler gewesen, und es bleibt ein Fehler, dass Sie diesenFonds seines Namens entkleidet haben und versteckt ha-ben, worum es hier gesellschaftlich geht.
Deswegen: Mit der Erhöhung sind wir einverstanden,mit dieser Camouflage nicht.Zweitens komme ich zur Nationalen Stelle zur Verhü-tung von Folter. Dazu möchte ich eines sagen, HerrKollege Thomae: Im Mai nächsten Jahres wird mit denLändern verhandelt. Die Bundesregierung muss verhan-deln; das ist richtig. Es ist aber ein Fehler, dass der Bundhier und heute diesen skandalösen Zustand nicht auchdadurch behebt, dass er seinen eigenen Anteil aufstockt.Dass Sie sich da verweigert haben, ist ein großer Fehler.
Nun zu meinem dritten Punkt, liebe Kolleginnen undKollegen: der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kom-mission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufar-beitung der NS-Vergangenheit. Diese Kommission istnotwendig. Es ist richtig, dass es sie gibt. Es ist gesagtworden, sie hätte viel früher kommen müssen. Jetzt istsie da. Das wird von uns befürwortet. Sie ist auch finan-ziell ausgestattet.Was ist ihre Aufgabe? Ihre Aufgabe – ich zitiere da im-mer Verlautbarungen des Justizministeriums – ist die fol-gende: Es soll erforscht werden, wie groß der Personen-kreis ist, der in der NS-Zeit bereits im Sinne des Systemsaktiv war und nach 1949 im Bundesjustizministerium tä-tig war. Es soll herausgefunden werden, inwieweit ideo-logisches nationalsozialistisches Gedankengut bei derReform des Strafrechts und der Ausgestaltung des politi-schen Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschlandfortgewirkt hat. – So weit, so gut.Dann lese ich in einer Antwort auf eine Anfrage vonuns – ich darf zitieren –: Ausgangspunkt der Arbeit die-ser Kommission ist „der im Nürnberger Juristenprozessentwickelte Maßstab für das Verhalten von Ministerial-beamten, Richtern und Staatsanwälten“. Da habe ich ge-stutzt und mich gefragt: Was bedeutet das? Das ist im-merhin eine schriftliche Aussage Ihres Hauses.Ich fasse zusammen: Grundlage dieses Juristen-prozesses war das Recht der Besatzungsmächte. DerChefankläger hat zu Beginn dieses Prozesses gesagt: Esgeht nicht um Täter im letzten Glied, es geht nur um die,die für Morde, Misshandlungen und Gräueltaten verant-wortlich sind. – Angeklagt wurden Kriegsverbrechen,Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Zugehö-rigkeit zu Organisationen wie der NSDAP, der Gestapooder des SD.Interessant ist, dass das Bundesjustizministerium alsein herausragendes Beispiel für die Kontinuität desNationalsozialismus in die Bundesrepublik hinein denNamen Massfeller genannt hat. Ich habe nachgeschaut,wer der Herr Massfeller war. Er war Kommentator desBlutschutz- und Eheschutzgesetzes und dann bis 1960Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium. Er waraber nie Mitglied der NSDAP, und er war nie Mitgliedder SS. Deswegen stellt sich für mich die Frage: Was be-deutet „Ausgangspunkt für diese Arbeit sind die Maß-stäbe des Nürnberger Juristenprozesses“?
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Jerzy Montag
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Ich bitte Sie an dieser Stelle ganz deutlich: Klären Siedas auf! Sagen Sie, ob wir befürchten müssen, dass tat-sächlich nur ein sehr kleiner Teil von Mördern undHaupttätern ins Visier dieser Untersuchung kommt, oderob tatsächlich in dem versprochenen Umfang eine unab-hängige und vollständige Aufklärung wissenschaftlichüberprüft wird. Mir ist das ein echtes Anliegen. Deswe-gen habe ich die Bitte, dass Sie das klarstellen, FrauMinisterin.
Der Kollege Norbert Geis hat nun für die Unionsfrak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Rechtspolitik ist unwahrscheinlich facetten-reich. Kaum ein Thema wurde in den einzelnen Wortbei-trägen wiederholt angesprochen. Ein Thema hat sichaber doch durchgesetzt. Es ist die Frage, wie wir mit derDatenspeicherung umgehen. Wir brauchen so bald wiemöglich eine Vorratsdatenspeicherung.
Wir brauchen sie, damit Polizei und Staatsanwaltschaftbesser Straftaten verfolgen können, und wir brauchen sieaus präventiven Gründen. Vor allen Dingen deshalbbrauchen wir sie. Es ist erwiesen, dass aufgrund der Da-tenspeicherung Interventionen seitens der Polizei undder Staatsanwaltschaft möglich sind. Deswegen müssenwir uns dazu durchringen. Wir müssen so schnell alsmöglich zu einem Ergebnis kommen. Das Verfassungs-gericht hat in seinem Urteil ganz klar dargelegt, wie mandas machen muss. Ich meine, wir sollten auf diesem Wegvoranschreiten und zu einem guten Ergebnis kommen.
– Sie von der Opposition brauchen sich gar nicht so zuechauffieren.Lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Punktnennen.
Herr Funk, Sie haben uns in Ihrem Schreiben zu Wo-chenbeginn mitgeteilt, dass es in der Bereinigungssit-zung gelungen ist, die Mittel für die Deutsche Stiftungfür internationale rechtliche Zusammenarbeit um364 000 Euro auf 4,1 Millionen Euro zu erhöhen. Das isteine gute Nachricht. Diese gute Nachricht müssen wirlaut verkünden; denn die Stiftung für internationalerechtliche Zusammenarbeit hat die Aufgabe, unser deut-sches Rechtssystem bzw. unser Verständnis vom Rechtin anderen Ländern bekannt zu machen. Die Stiftung sollsogar dazu beitragen, dass die Rechtssysteme, die jetzt inden Ländern des arabischen Frühlings mit neuen Demo-kratien entstehen, den Charakter des deutschen Rechts-systems annehmen. Das wäre von großem Vorteil.Natürlich wäre das von Vorteil für die deutschen Inves-toren, für die Produzenten, überhaupt für all diejenigen,die in diesen Ländern geschäftlich tätig sind.Ich weiß aber nicht, ob das gelingen wird, insbeson-dere in den Ländern, die vom Islam beherrscht werden.
Sie haben eine andere Vorstellung vom Recht. Sie mes-sen dem Recht und dem Gesetz eine andere Bedeutungbei als wir. Das Gesetz hat dort dem Islam zu folgen. Wirhingegen leben in einer freien Demokratie, in einem sä-kularen Staat. Wir können stolz darauf sein, dass wireine Rechtsordnung haben, die frei ist von religiösenBindungen.
Das ist Ergebnis der Aufklärung. Das ist eine Errungen-schaft, die wir natürlich erhalten müssen.Damit habe ich nicht gesagt, dass nicht auch unserRecht auf Grundlagen aufbauen muss. Unsere Gesetzemüssen eine Grundlage haben. Auch das müssen wirdiesen Ländern, diesen Völkern sagen. Grundlage unse-res Rechts ist zunächst einmal unsere Verfassung. In derVerfassung sind die grundlegenden Strukturen benannt,nach denen sich unsere Gesetze zu richten haben. Rich-tet sich ein Gesetz nicht danach, dann ist es verfassungs-widrig. Selbst unsere Verfassung ist positives Gesetzes-recht. Die Verfassung muss auch – lassen Sie mich dasruhig sagen – mit dem der Verfassung vorausgehendenNaturrecht übereinstimmen. Das Naturrecht kann jederMensch bei Gebrauch seines Verstandes, mit seiner Ver-nunft erkennen. Immer dann, wenn ein Recht nicht mitdieser Grundlage übereinstimmt, dann läuft es sehrschnell Gefahr, gegen die Menschen zu agieren. Wir ha-ben das in der Zeit zwischen 1933 und 1945 erfahren. Dahatten wir Gesetze, die sich nach dem Wind gerichtet ha-ben. Diese Gesetze haben Millionen von Menschen dasLeben gekostet. Gerade diese Erfahrung sollten wir imRahmen der internationalen Zusammenarbeit weiterge-ben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich ein für Sie vielleicht nur am Rande liegendesThema ansprechen. Für uns ist es sehr erfreulich, dass esnun die Konzentration der Gerichtsbarkeit, der Staatsan-waltschaft für die Verfolgung von Straftaten, die Bun-deswehrsoldaten beim Einsatz im Ausland begangen ha-ben, in Kempten gibt. Wir freuen uns darüber.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25173
Norbert Geis
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– Ich weiß nicht, was Sie dagegen haben. – Wir meinen,dass damit keine Militärgerichtsbarkeit geschaffenwurde. Wir meinen auch, dass damit keine Sonderge-richtsbarkeit geschaffen wurde. Hier ist vielmehr eineKonzentration auf ein Gericht und eine Staatsanwalt-schaft erfolgt
und damit eine Konzentration auf Kompetenz. Ichmeine, dass dadurch schneller, präziser und unter Um-ständen mit mehr Sachkenntnis geurteilt werden kann.
– Nein, es ist kein Sondergericht. Das ist es wirklichnicht. Der gemeinsame Gerichtsstand ist noch kein Son-dergericht. Das wissen doch auch Sie.Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen: dieModernisierung des Kostenrechts. Wir haben beim Kos-tenrecht Schwierigkeiten mit den Ländern. Ich bin sehrdamit einverstanden, dass die Anwaltschaft durch dieModernisierung des Kostenrechts besser gestellt wird.Das ist gut. Wir brauchen die Anwaltschaft. Das sage ichnicht, weil ich selber Anwalt bin, sondern weil wir dieAnwaltschaft als Rechtspflegeorgan brauchen. Sie mussvernünftig dotiert sein.Aber wir werden Schwierigkeiten mit den Ländernbekommen. Die Länder kritisieren an den vorliegendenVorschlägen insbesondere, dass so nicht einmal annä-hernd die Selbstkosten der Justiz gedeckt werden. Dasist auch nicht das Ziel der Länder. Das Ziel der Länderist – dafür müssen wir, glaube ich, ein offenes Ohr haben –,dass im Rahmen der Modernisierung des Kostenrechtszumindest ein Inflationsausgleich erfolgt. Seit 1994 wur-den die Gerichtskosten nicht verändert. Inzwischen sind18 Jahre vergangen. Wir haben eine Inflationssteigerungvon 22 Prozent, während wir eine Steigerung der Ge-richtskosten um lediglich 4 Prozent planen. Das ist zuwenig. Deswegen werden die Länder darauf pochen– dafür müssen wir ein offenes Ohr haben –, dass hiernoch eine Verbesserung stattfindet.Allerdings sollte man die Länder auch darauf hinwei-sen, dass sie die Wichtigkeit der Justiz oft verkennen.Die Bedeutung der Justiz für unseren Rechtsstaat wirdmeiner Meinung nach in den Ländern nicht richtig ge-würdigt. Die Justiz kostet Geld, aber andere Dinge kos-ten auch Geld. Die Justiz leistet einen wichtigen Beitrag.Sie sorgt dafür, dass das Rechtsleben in unserer Gesell-schaft funktioniert. Daher sollten die Länder auch einwenig mehr Mittel für die eigene Justiz bereitstellen.
Der Anteil der Justiz am Bundeshaushalt ist sehr gering.Wir von der Justiz sind wirklich sparsam.Lassen Sie mich noch ein Letztes ansprechen. Wir be-schäftigen uns seit geraumer Zeit mit der Frage, wie wirmit der Sterbehilfe umgehen. Die Justizministerin hat ei-nen Gesetzentwurf vorgelegt. Dafür sind wir sehr dank-bar. Dieser Gesetzentwurf sieht aber nur die Strafbarkeitder Sterbehilfe bei gewerbsmäßiger Betätigung vor. Wirmeinen, dass dies unter Umständen zu wenig ist. Ich willjetzt nicht über die Traditionen in anderen Ländern spre-chen, die die Beihilfe zum Suizid insgesamt ablehnenund unter Strafe stellen, zum Beispiel Österreich.Man muss immer bedenken: Der, der sich umbringt,bringt sich nur selbst um, aber der, der Beihilfe leistet,bringt einen anderen Menschen um. Deswegen sollteman sich fragen, ob man eine solche Beihilfe nicht gene-rell unter Strafe stellen sollte, wie es in anderen Ländernder Fall ist. Dies ist nicht unbedingt unser Ziel. Aber wirsollten das bedenken, was uns viele Organisationen sa-gen, die sich mit der Suizidvermeidung beschäftigen. Siesagen: Es geht nicht allein um die gewerbsmäßige Bei-hilfe, sondern es müsste auch um diejenigen gehen, dieorganisiert oder geschäftsmäßig eine solche Beihilfe be-treiben.
Das müssen wir, glaube ich, bei diesem Thema beden-ken.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Kollege Geis, nur eine Anmerkung zu IhrenEinlassungen zum Rechtsstaat und zum Staatsverständ-nis in anderen Kulturen: Natürlich haben wir andereAuffassungen davon, was einen Rechtsstaat ausmacht,wie man mit einem Rechtsstaat umzugehen hat und fürwas er die Grundlage ist. Aber ich empfehle bei der Aus-einandersetzung mit sich entwickelnden Staaten auch einStück weit Demut; das sage ich ganz offen. Denn derWeg, den wir hinter uns gebracht haben, der Weg vonder Aufklärung bis zur Schaffung einer funktionierendenJustiz, hat 300 Jahre gedauert. Das sollten wir im Hinter-kopf haben, wenn wir von anderen Staaten erwarten,dass sie sich innerhalb von zehn Jahren so entwickeln,wie wir es für richtig halten. Ich finde, das ist nicht derrichtige Umgang mit diesen Staaten. Das wird auch derSituation in diesen Ländern nicht gerecht.
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Christoph Strässer
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Ich möchte zwei Themen ansprechen, von denen ei-nes heute schon genannt worden ist. Für ganz zentral– nicht nur für die Rechtspolitik und die Menschen-rechtspolitik in unserem Land, sondern auch für unserinternationales Ansehen – halte ich die schon mehrfachangesprochene Nationale Stelle zur Verhütung von Fol-ter. Herr Kollege Thomae, es tut mir leid; aber ich kannIhnen nicht folgen, wenn Sie sagen: Da muss geprüftwerden. – Wir wissen alles. Ich zitiere aus einer Unter-richtung der Bundesregierung vom 2. April dieses Jah-res, unter anderem unterschrieben vom Leiter der Bun-desstelle, Herrn Lange-Lehngut. In Klammern: Ichmöchte dem Mann und auch den vier Personen, die dieLänderstelle koordinieren, zumindest im Namen meinerFraktion ganz herzlich und ausdrücklich für das danken,was sie unter unwürdigen Bedingungen tun, um das Re-nommee unseres Landes zu stärken.
In der Unterrichtung der Bundesregierung steht – ichzitiere –:Mit den vorhandenen personellen und finanziellenMitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzlichenAuftrag, wie er sich aus dem Fakultativprotokoll er-gibt, nicht erfüllen. Mit nur fünf ehrenamtlichenMitgliedern und Mitteln für nur drei wissenschaftli-che Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einerFachangestellten für Bürokommunikation sind dieKapazitäten für die regelmäßige Prüfung mehrerertausend Gewahrsamseinrichtungen absolut unzurei-chend. Gerade weil die Nationale Stelle sich nichtals Feigenblatt betrachten will und nach ihrem ge-setzlichen Aufrag einen wirksamen Beitrag zur Prä-vention von Folter und Misshandlung leisten muss,ist eine erhebliche personelle und finanzielle Auf-stockung erforderlich.Da ist nicht die Rede von einem Prüfauftrag. Das schrei-ben Praktiker, die das jeden Tag umsetzen und sich vonuns ein bisschen auf den Arm genommen fühlen.
Kollege Strässer, gestatten Sie eine Frage?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas-
sen. – Da dieses Thema schon mehrfach zur Sprache
kam, würde ich Sie bitten, mir Folgendes zu erklären:
Wenn es so ist, wie Sie gerade vorgetragen haben, wa-
rum konnten sich die SPD-Justizminister der Länder in
der besagten Sitzung nicht entscheiden, den Beitrag der
Länder, nämlich zwei Drittel, selber aufzustocken, und
warum haben auch die SPD-Justizminister gesagt – das
war nämlich ein einstimmiger Beschluss aller Landes-
justizminister in der JuMiKo –, dass erst eine Prüfung
erfolgen müsse?
Ich muss reklamieren, dass die Uhr mitgelaufen ist;
das war nicht der Sinn der Geschichte.
– Dafür können Sie nichts.
Das ist richtig; das können Sie nicht beeinflussen. –
Diese Zeit wird die Präsidentin draufschlagen. Entschul-
digung!
Wir befinden uns im Deutschen Bundestag und bera-ten den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz. Indiesem Etat ist für die Nationale Stelle zur Verhütungvon Folter ein Betrag von 100 000 Euro eingeplant. Dasist ein Betrag, dessen Höhe der Deutsche Bundestag än-dern kann.Wir haben etwas getan, was ich auch von Ihnen er-wartet hätte: Wir haben alle Landesregierungen, an de-nen wir beteiligt sind, angeschrieben und aufgefordert,sich einer entsprechenden Regelung nicht zu verschlie-ßen. Aber das hindert den Deutschen Bundestag dochnicht daran, im Hinblick auf den Teil, für den er denHaushalt aufstellt, autonom die Entscheidung zu treffen:Wir erhöhen unseren Anteil und setzen damit auch dieLänder unter Druck. – Herr Kollege, ich verstehe Sie andieser Stelle nicht.
Wir machen uns auf internationaler Ebene absolut lä-cherlich. Lesen Sie bitte einmal den Bericht des UN-Ausschusses gegen Folter, den fünften Staatenbericht.Darin wird Deutschland ohne Ende kritisiert, weil wirdas nicht ordentlich umsetzen. Das wäre aber unsereAufgabe. Wir können sie nicht auf wen auch immer ab-schieben. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben ma-chen. Deshalb haben wir einen maßvollen Antrag einge-bracht. Ich wiederhole, was der Kollege Funk gesagt hat:Es ist Geld da. – Sie setzen allerdings andere Prioritäten;das sollten Sie sagen. An dieser Stelle machen Sie einenpolitischen Fehler. Wir brauchen für diese Stelle mehrGeld; sonst sind wir international nicht konkurrenzfähig.
Man sollte sich auch einmal die Situation in unserenNachbarstaaten anschauen; ich glaube, dass das sinnvollist. Da wir ja gerne über unsere kleineren Nachbarstaa-ten, zum Beispiel über die Schweiz, reden, will ich Ihneneinmal die Zahlen nennen, die bei der Umsetzung diesesAbkommens in der Schweiz eine Rolle spielen.Wir haben fünf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, ein kleines Land wie die Schweiz hat zwölf.Die Schweiz hat in ihrem Etat umgerechnet 290 000Euro zur Finanzierung einer solchen Präventionsstelleeingestellt, bei uns sind es insgesamt 300 000 Euro. Dakönnen Sie mir nicht ernsthaft erzählen, dass wir in einer
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Christoph Strässer
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schwierigen Situation wären, wenn wir diese Haushalts-titel umsetzen würden. Noch eine Zahl zu Frankreich:Dort gibt es 16 Teilzeitmitarbeiter, und der Etat beträgtmehr als 3 Millionen Euro. Lassen Sie uns zumindest imnächsten Haushaltsjahr gemeinsam für eine ordentlicheAusstattung sorgen. Alles andere ist aus meiner Sichtnicht in Ordnung.
Was den Justizhaushalt im eigentlichen Sinne betrifft,möchte ich, auch wenn wir heute letztendlich keine Zah-len infrage stellen wollen, an dieser Stelle die Arbeit unddie Zukunft des Deutschen Instituts für Menschenrechtethematisieren. Dieses Institut ist eine nationale Men-schenrechtsorganisation, die gemäß den internationalenKriterien in der Stufe A – das ist die höchste Stufe – ge-ratet worden ist. Es besteht allerdings die Gefahr, dass dasInstitut diesen Status verliert. Der Hintergrund ist ganzeinfach: Den Pariser Kriterien zufolge müssen die natio-nalen Menschenrechtsinstitute eine unabhängige Grund-lage bekommen. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Rege-lung, die der Deutsche Bundestag verabschieden muss.Frau Ministerin, ich weiß, dass daran, wie es mit die-sem Institut weitergeht, ein Stück weit Ihr Herz hängt.Wenn Deutschland im Menschenrechtsrat demnächstseinen UPR-Bericht präsentiert, wird das Deutsche Insti-tut für Menschenrechte möglicherweise nicht mehr mit-diskutieren dürfen, weil es nicht mehr A-geratet ist.Insbesondere in der Fraktion der CDU/CSU gibt es lei-der keine Bereitschaft – wir haben es versucht; Sie habenmir auf eine Anfrage geantwortet –, einen Gesetzentwurfeinzubringen, der eine solche gesetzliche Grundlageschafft. Deshalb meine herzliche Bitte: Legen Sie denFraktionen des Deutschen Bundestages einen entspre-chenden Vorschlag vor! Ich kann Ihnen versichern: Erwird in diesem Hause eine Mehrheit bekommen. Wenndas nicht passiert, dann kommt es international zu einemabsoluten Desaster für die Menschenrechtspolitik derBundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland.Kommen Sie bitte in die Puschen und legen Sie etwasvor! Wir sorgen für Mehrheiten.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Geis.
Herr Kollege Strässer, ich weiß nicht, ob Sie mich rü-
gen wollten. In meiner Rede, in der ich auf die Aufgabe
der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zu-
sammenarbeit eingegangen bin, habe ich ausdrücklich
gesagt, dass ich Bedenken habe, ob es gelingt, unser
Rechtssystem in die Länder des arabischen Frühlings zu
übertragen, und zwar aus den Gründen, die Sie selber ge-
nannt haben. Ich bin der Meinung, dass das ein schwieri-
ges Unterfangen ist.
Die Stiftung nimmt sich dieser Aufgabe an. Dazu ge-
hört – da kann ich mit Ihnen übereinstimmen – Demut;
es gehört aber auch Mut dazu und natürlich auch das Be-
kenntnis zur eigenen Rechtsordnung. Wir sollten da
nicht ausweichen. Aber man kann das – Sie haben das
richtig erwähnt, und da stimme ich mit Ihnen überein –
nicht mit dem Holzhammer machen, sondern man muss
versuchen, es im Gespräch und mit Überzeugung durch-
zusetzen.
Danke schön.
Herr Strässer, möchten Sie reagieren? – Bitte sehr.
Dieser Interpretation des Kollegen Geis habe ich
nichts entgegenzusetzen.
Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas
Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Koalitionsausschuss hat sich Anfang November da-rauf verständigt, dass wir bereits im Jahr 2013 und nichterst 2016 die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhal-ten werden
und dass wir 2014 einen strukturell ausgeglichenen Bun-deshaushalt, also eine schwarze Null, erreichen wollen.Dazu müssen alle mit spitzem Bleistift rechnen und ih-ren Beitrag zur Konsolidierung leisten.Als Rechtspolitiker sind wir uns darüber im Klaren,dass der Justizetat mit etwa 0,2 Prozent des Gesamthaus-halts nur einen geringen Anteil daran haben kann. Aller-dings geht der Justizhaushalt, was die Kostendeckungangeht, mit sehr gutem Beispiel voran: 80 Prozent desJustizetats sind selbst erwirtschaftet. Das liegt insbeson-dere an der guten Bilanz des Deutschen Patent- und Mar-kenamtes in München. Dies ist im Übrigen ein dezenterHinweis darauf, welche Werte hinter geistigem Eigen-tum stecken, ganz anders als das manche Verfechter ei-ner Kostenlos-Mentalität im Internet zu propagieren ver-suchen.Auch fachlich kann sich die Bilanz der Rechtspoliti-ker sehen lassen. Viele Gesetzesvorhaben sind bereitsabgeschlossen, einige liegen noch vor uns.Wir haben, wenn ich das Mediationsgesetz heraus-greifen darf, die Quadratur des Kreises geschafft, indemwir mit einem solchen Gesetz sowohl den Bürgern alsauch der Verwaltung Erleichterung verschaffen. Wir er-möglichen es den Beteiligten, bei rechtlichen Streitigkei-ten nicht sofort den Klageweg beschreiten zu müssen.Vielmehr haben wir einen Rahmen dafür geschaffen,dass die Parteien vorab außergerichtlich in einem struk-turierten Verfahren, eben mit Unterstützung eines Me-diators, eine einvernehmliche Lösung erzielen können.Diese neue Art der Streitkultur kann die Kosten in erheb-
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Thomas Silberhorn
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lichem Maße senken. Sie wird die Gerichte entlasten. Siewird vor allem die Nerven aller Beteiligten schonen.
Natürlich kann eine gütliche Einigung immer auch imGerichtsverfahren erreicht werden. Deshalb bin ich sehrfroh darüber, dass wir mit dem Modell des Güterichtersdie Möglichkeit geschaffen haben, dass die Richter, dieschon bisher gerichtliche Mediation betreiben, ihreKenntnisse, ihre Erfahrungen als Güterichter künftigweiterhin einsetzen können. Im Übrigen haben wir esden Ländern ermöglicht, durch eine Ermäßigung der Ge-bühren bei einvernehmlichem Abschluss eines Gerichts-verfahrens Anreize zu setzen. Auch das zeigt, dass wirflexibel in unserer Gesetzgebung sind und unterschiedli-chen Bedürfnissen der Länder Rechnung tragen.Das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist schon an-gesprochen worden. Es geht uns darum, dass wir eineangemessene Ausstattung der Justizhaushalte gewähr-leisten und auch den hohen Standard unserer Rechtspre-chung in Deutschland erhalten können. Aus der Kosten-ordnung wird ein Gerichts- und Notarkostengesetz, undaus der Justizverwaltungskostenordnung wird ein Justiz-verwaltungskostengesetz. Im Detail geht es darum, dasswir bestehende Normen vereinfachen, dass wir sie anübrige Kostengesetze angleichen und dass wir insbeson-dere für die Bürger ein gehöriges Maß an Transparenzschaffen. Ich sage aber auch: Es geht bei diesem Gesetzauch darum, dass Gebühren, Honorare und Entschädi-gungen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungangepasst werden.Der Bundesrat hat nun eine Fülle von Änderungswün-schen eingereicht. Wir sind in enger Abstimmung mitden Ländern. Frau Justizministerin, ich plädiere durch-aus dafür, dass wir den spezifischen Gegebenheiten derLänder dort entgegenkommen, wo wir Spielräume habenund wo die Länder ihre eigene Praxis fortführen wollen.Das Mietrechtsänderungsgesetz ist ein zentrales Vor-haben der Rechtspolitiker. Dies zeigt, dass wir mitRechtspolitik grundlegende Weichenstellungen auch ananderer Stelle, nämlich bei der Energiewende, unterstüt-zen. Wir brauchen erhebliche Anstrengungen bei derEnergieeinsparung und bei der Energieeffizienz in unse-rem Land.
Deswegen ist es wichtig, dass veraltete Heizungsanlagenmodernisiert und der Missstand von fehlenden Wärme-schutzdämmungen beseitigt wird; denn diese Defizitesind dafür verantwortlich, dass Wohngebäude einen ho-hen Anteil am Gesamtenergieverbrauch in unseremLand ausmachen. 40 Prozent des Energieverbrauchs undein Drittel aller CO2-Emissionen entfallen auf den Ge-bäudebereich.Das Gesetz zur Änderung des Mietrechts setzt genauda an. Die Zielsetzung ist, die energetische Sanierungleichter zu ermöglichen als bisher. Wir fassen diesen Tat-bestand genauer, sodass Modernisierungsmaßnahmenklar bestimmt sind. Wir haben durchaus darauf geachtet,dass die Interessen von Vermietern und Mietern in einemausgeglichenen Verhältnis stehen.Dass wir das Mietminderungsrecht für drei Monateausschließen, was vonseiten der Opposition besonderskritisiert wird, ermöglicht durchaus einen angemessenenAusgleich.
Ich darf daran erinnern, dass wir im Koalitionsvertragnoch den vollständigen Ausschluss des Mietminderungs-rechts vorgesehen hatten. Wir sind davon abgekommenund haben einen Kompromiss erarbeitet, der den Aus-schluss des Mietminderungsrechts auf drei Monate be-fristet. Das soll einerseits ein Anreiz für die Vermietersein, die energetische Sanierung tatsächlich anzugehen.Andererseits bietet es auch die Chance, dass energeti-sche Modernisierungsmaßnahmen durch den Vermieterzügig durchgeführt werden. Für den Mieter ist das ausmeiner Sicht keine unzumutbare Beeinträchtigung; denndie Mieter selbst profitieren ja von der energetischen Sa-nierung durch niedrigere Nebenkosten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetz-entwurf zur Änderung des Mietrechts sieht endlich aucheine Regelung dafür vor, der Unsitte des Mietnomaden-tums zu begegnen.
Dabei empfinde ich den Begriff Mietnomadentum als ei-nen Euphemismus. Dies ist eine Diskriminierung vonNomaden. Wir haben es hier schlichtweg mit Mietbetrü-gern zu tun. Es geht um Betrug.
Es sind vor allem private Vermieter, die solchen Betrü-gereien hilflos ausgeliefert sind und nicht selten vor demfinanziellen Ruin stehen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Vermieternwirksame Instrumente an die Hand geben, um Einmiet-betrügern das Handwerk zu legen.In Bezug auf die gemeinsame elterliche Sorge sindwir mit unserem Gesetzentwurf sehr weit gekommen. Inder nächsten Woche findet die Sachverständigenanhö-rung statt. Mir ist wichtig, dass wir das Kindeswohl indas Zentrum unseres Interesses stellen. Wir werden da-für sorgen, dass die gemeinsame elterliche Sorge künftigals Regelfall angesehen wird, die dem Wohl des Kindesam besten dient.Lassen Sie mich zur Sicherungsverwahrung nur an-führen, dass wir die Gesetze, die es den Ländern ermög-lichen, die neue Form der Therapieunterbringung zu re-alisieren, jetzt rechtzeitig auf den Weg gebracht haben.Damit stellen wir sicher, dass keine gefährlichen Straftä-ter mehr in die Öffentlichkeit entlassen werden, wenn sie
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nach Verbüßung der Haftstrafe noch eine erhebliche Ge-fahr für Leib und Leben unserer Bürger darstellen. Dassein kleiner Wermutstropfen aus Sicht der Union bleibt,darf ich anführen. Die nachträgliche Therapieunterbrin-gung hätten wir gerne realisiert. Aber wir sind immerhinzu einem guten Abschluss gekommen.
Lassen Sie mich zuletzt die Vorratsdatenspeicherungansprechen. Sie ist nicht nur notwendig, weil es eine eu-ropäische Vorgabe dafür gibt, sondern sie ist auch des-halb notwendig, damit unsere eigenen Sicherheits- undErmittlungsbehörden tätig werden können. Es geht dabeinicht um eine anlasslose Speicherung von Daten,
und es geht auch nicht um die Speicherung von Kommu-nikationsinhalten auf Vorrat, sondern es geht ausschließ-lich um die Sicherung von Verkehrsdaten,
um schwerste Straftaten zu verhindern und die Verfol-gung von schwersten Straftaten zu ermöglichen.
Herr Kollege.
Ich würde mir wünschen, dass wir das Stigma „Ver-
meintliche Datenspeicherung auf Vorrat“ überwinden
und uns bei der etwas irregeleiteten öffentlichen Debatte
auf das Interesse an der Verkehrsdatensicherung konzen-
trieren würden; denn, Frau Justizministerin, wir wollen
ja schließlich auch nach der nächsten Bundestagswahl
weiter regieren.
Gestatten Sie mir einen abschließenden Satz, Frau
Präsidentin.
Das waren jetzt schon fast zwei abschließende Sätze.
Das Justizressort geht mit gutem Beispiel voran. Wir
haben einige wegweisende Gesetze auf den Weg ge-
bracht. Das, was noch aussteht, werden wir bis zur Wahl
liefern, damit wir 2013 ein bestelltes Haus an uns selbst
weitergeben können.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Aus-
schussfassung.
Es liegt Ihnen ein Änderungsantrag der SPD auf
Drucksache 17/11523 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zu-
stimmung durch die einbringende Fraktion und durch die
Fraktion Die Linke. Die Koalitionsfraktionen haben da-
gegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthal-
ten.
Wir kommen nun zu dem Einzelplan 07 in der Aus-
schussfassung. Wir stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 07 in
der Ausschussfassung angenommen. Zugestimmt haben
CDU/CSU und FDP, dagegen gestimmt haben SPD,
Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Einzelplan 19 einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.7 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– Drucksachen 17/10823, 1710824 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Beckmeyer
Stephan Thomae
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der
SPD sowie fünf Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-
den.
Verabredet ist es, über diesen Einzelplan eineinhalb
Stunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der Haushalt 2013 des Umweltressorts ist heute
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Uwe Beckmeyer
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unser Thema. Doch ich denke, er ist unauflösbar mitdem Thema „Energiewende in Deutschland“ verbunden.Hier hat unser Land allerdings kein Alleinstellungsmerk-mal. Wir lernen aus den Medien, dass in China, in denUSA, in Japan, in Brasilien und anderswo ebenfalls übereine Energiewende diskutiert wird. Man sieht: Deutsch-land befindet sich auch hier in harter internationalerKonkurrenz. Auch deshalb kann die Antwort dieserBundesregierung nicht lauten: Energiewende vertagt.Doch diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sichdie aktuellen Beschlüsse von Union und FDP zum Bun-deshaushalt anschaut. Auch das Gegeneinander der ver-antwortlichen Minister, ehemals Röttgen, jetzt Altmaiersowie Rösler und Aigner, signalisiert der WirtschaftChaos und schafft vor allen Dingen Planungsunsicher-heit. Doch statt diese konfuse Politik der schwarz-gelbenRegierungskoalition durch klare Entscheidungen zu be-enden, schaut die Kanzlerin nur zu.
Warten wir einmal ab, was der Anfang November ange-kündigte nationale Dialog wirklich bringt. Seit der An-kündigung der neuerlichen Energiewende im Juni 2011sind bereits eineinviertel Jahre verloren.Um was geht es? Wir brauchen eine sozial verant-wortliche Energiepolitik. Was heißt das? Wir Sozialde-mokraten wollen, dass die Energiewende bezahlbarbleibt und dass dabei das Potenzial der erneuerbarenEnergien genutzt wird, aber auch, dass die Lasten ge-recht verteilt werden.Es wird in letzter Zeit in Deutschland viel zu wenigüber die Chancen der erneuerbaren Energien gespro-chen.
Statt langfristige Umweltschäden und hochgefährlicheAbfälle zu produzieren, sparen sie Kosten für den Importvon Brennstoffen, und wir werden weniger abhängigvon schwankenden Rohstoffpreisen. Die Energiewendebedeutet zudem hohe Wertschöpfung im eigenen Land.Die Alternative ist, viele Milliarden auf die Konten vonÖlscheichs und in die Gasländer zu überweisen. Dochschon allein im Jahr 2011 sind dank der Ökoenergie Im-porte von Öl, Kohle und Gas in Höhe von 7,1 MilliardenEuro vermieden worden.Nach dem Scheitern von Herrn Röttgen sind Sie, HerrMinister Altmaier, als neuer Bundesumweltminister imMai mit hehren Zielen im Zusammenhang mit dem Me-gathema Energiewende angetreten. Doch Sie müssenaufpassen; denn die Debatte dreht sich gerade: Ihre Ko-alition spricht inzwischen eine andere Sprache. Da wol-len die BDI-Spitze und die FDP das EEG sturmreifschießen und die Energiewende ausbremsen.
„Altmaier zwischen allen Stühlen“, titelt der Stern. DieEnergiewende scheint in der Prioritätenliste der Regie-rung Merkel nicht mehr sehr weit oben zu stehen. Manwill das zunehmend unangenehme Thema irgendwie ab-moderieren. So fehlen auch klare Prioritäten in demheute vorliegenden Bundeshaushalt 2013. Um die Ener-giewende voranzubringen, brauchen wir Zukunftsinves-titionen in erneuerbare Energien und in den nationalenund internationalen Umwelt- und Klimaschutz.Herr Minister, dieser Bundesregierung und damitauch Ihnen läuft die Energiewende aus dem Ruder. Sieernten überwiegend harsche Kritik für Ihre Energie-pläne. Die Energiewirtschaft ist unzufrieden. Die Länderwerten Ihr Quotenmodell als falsches Signal. Sie errei-chen nur noch – das ist schlimm – eine gewaltige Verun-sicherung bei vielen Investoren, insbesondere bei denen,die sich im Bereich der erneuerbaren Energien engagie-ren wollen.
Die Energiepolitik ist eine andere Liga und lässt sichnicht durch Küchendiplomatie voranbringen.Warum lassen Sie es zu, dass Herr Rösler und FrauAigner sich in diesem Feld tummeln? Ihr politischerPartner greift Sie immer unverhohlener an. Wenn esrichtig ist, dass es zu viele Steuerbefreiungen bei den so-genannten energieintensiven Unternehmen gibt – und esist richtig –, warum handeln Sie dann nicht? Wo sindIhre Vorschläge für härtere Stromsparauflagen bei eben-diesen energieintensiven Unternehmen?Die Energiewende ist ohne Frage ein gesamtgesell-schaftliches Projekt; doch sie obliegt Ihrer Verantwor-tung als Ressortchef. Leider ist diese Regierung ohneüberzeugenden Plan. Aber die Deutschen lassen sichnicht täuschen. Sie verlieren zu Recht das Vertrauen indie Regierung Merkel. 70 Prozent der Deutschen werfender Regierung vor, sie bediene nur die Interessen einzel-ner Gruppen. Richtig! 75 Prozent meinen, das Gemein-wohl stehe bei dieser Bundesregierung nicht im Mittel-punkt. Auch richtig! 65 Prozent der Deutschen sind derÜberzeugung, dass sich Merkels Regierung gar nichtoder nicht sehr stark um die Zukunftsprobleme diesesLandes kümmert. Ebenfalls richtig! Die Energiepolitikist dafür das beste Beispiel.
Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Ak-teure in die Lage versetzt werden, flexibel und mit ziel-gerichteten Instrumenten auf die Herausforderungen desKlimawandels zu reagieren. Ausreichend ausgestatteteProgramme sind dafür entscheidend. Was aber passiertmit dem Marktanreizprogramm und der nationalen Kli-maschutzinitiative? Alle diesbezüglichen Anträge unse-rerseits sind abgeschmettert worden. Ich denke, der Kli-maschutz ist ein Bereich, in dem auch die Wirtschaft imGrunde nur dann verlässlich agieren kann, wenn sie Pla-nungssicherheit hat. Die Energiewende ist somit aucheine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderun-gen, vor denen wir in der Zukunft stehen. Sie vertun ge-genwärtig partout die Chance, die sich daraus ergibt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25179
Uwe Beckmeyer
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Wenn wir über Umwelt- und Klimaschutz in Deutsch-land reden, sollten wir, denke ich, auch etwas zu demSondervermögen „Energie- und Klimafonds“ sagen. Beidem, was wir zurzeit erleben, verdient es dieser Fondseigentlich gar nicht, dass über ihn gesprochen wird.Denn Transparenz, Verbindlichkeit und Verlässlichkeitbei der Finanzierung sind aufgrund der Einnahmerisikenabsolut nicht gegeben. Insofern sind Liquiditätsdarlehen,die Auflösung von Rücklagen oder Umschichtungen al-lein kein Weg, um Mindereinnahmen auszugleichen undfür Planungssicherheit zu sorgen. Dieses Sondervermö-gen ist nicht geeignet, die Zukunftsaufgaben der Ener-giewende zu bewältigen.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist einHaushalt ohne Ehrgeiz. Wir Sozialdemokraten werdenihn ablehnen. Auch die drei neuen Unterabteilungen imMinisterium werden es nicht richten. Die Flickschustereivon Schwarz-Gelb verfängt sich erneut in verkrustetenStrukturen.Es zeigt sich, dass seit dem Beginn der Energiewendedurch Rot-Grün die politisch Verantwortlichen bei CDU/CSU und FDP in diesem Hause zunächst alles unternom-men haben, um diese Energiewende über ein Jahrzehntzu blockieren. Nun erleben wir ein ähnliches Theater, in-dem erneut Kräfte in dieser Regierung das Thema ver-stolpern und ausbremsen und damit wieder wichtige Zeitverspielen.Wir müssen jetzt für alle diese verlorenen Jahre be-zahlen. Insofern kann man nur sagen: Es ist Zeit, dassdiese Regierung Merkel abgelöst wird. Denn sie ist dieschlechteste Regierung, die wir in der BundesrepublikDeutschland jemals hatten.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat unser Kollege Bernhard Schulte-
Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich will jetzt nichts zu Ihrer Bewertung über FrauMerkel sagen.
Dass Ihre Bemerkung nicht gut war, wissen Sie selber.Ich habe einmal einen zutreffenden Spruch gelesen.Er lautet: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Dasfand ich irgendwie toll. Aber ich glaube, das ist nur diehalbe Wahrheit. Denn auch erneuerbare Energien habenihren Preis. Der Komplettumbau des Systems hier inDeutschland kostet Geld, und in den Haushaltsberatun-gen sprechen wir jetzt über Geld. Es kostet das Geld derSteuerzahler und natürlich auch der Stromverbraucher.
– Lassen Sie mich doch erst einmal weiter ausführen.Ich will etwas Positives zur Sonnenenergie sagen. InMitteleuropa, um einmal eine Zahl zu nennen, kommt80-mal mehr Energie von der Sonne, als hier verbrauchtwerden kann. Das ist auch im manchmal verregnetenDeutschland so. Selbst im November geht die Sonne auf.Darin liegt ein ganz großes Potenzial; das will ich beto-nen.Aber die Ausnutzung dieser Sonnenenergie funktio-niert noch nicht richtig. Wir können diese Energie nochnicht voll ausschöpfen. Das ist das Problem. Wenn wirdie Mittel und die Methoden anwenden, die jetzt zurVerfügung stehen, dann wird es teuer. Damit sind wirwieder bei den Kosten für die Industrie – Sie haben die-sen Punkt vorhin angesprochen –; aber wir müssen auchdie Kosten für den Verbraucher sehen, die angestiegensind. Deutschland läuft Gefahr, durch hohe StrompreiseArbeitsplätze in Industrie und Handwerk zu gefährden.Es besteht zudem die Gefahr, dass Haushalte mit gerin-gen Einkünften die Strompreise nicht mehr bezahlenkönnen.Gleichwohl hat der Bundestag die Energiewende be-schlossen. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Beckmeyer, esgerade gesagt haben. Die Energiewende wird nicht ver-tagt. Sie ist beschlossen worden, und sie wird auch um-gesetzt. Ich will das deutlich hier sagen.
Der vorliegende Haushalt und auch die Entwicklung desEnergie- und Klimafonds zeigen das. Ich will Folgendesherausstellen: Im Haushalt für 2013 sind deutliche Ver-stärkungen in Sach- und Personaltiteln vorgenommenworden.
Hinzu kommen die Gelder aus dem Energie- und Klima-fonds.Ich möchte auch die Tatsache ansprechen, dass 40 zu-sätzliche Stellen zur Bewältigung der Energiewende ge-schaffen worden sind. Sie wissen, es werden nur Stellenin Bereichen mit hoher Bedeutung geschaffen.
40 neue Stellen für die Energiewende – ansonsten habenwir uns in den Haushaltsberatungen zurückgehalten, wasdie Schaffung neuer Stellen angeht – sind ein Hinweisdarauf, welche Bedeutung wir diesem Bereich beimes-sen.
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25180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bernhard Schulte-Drüggelte
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Aber es ist völlig klar, dass das auch bezahlbar seinmuss. Die Energieversorgung muss verlässlich, sicherund auch bezahlbar sein. Das sind die drei Ziele, die wiruns gesetzt haben.
Ich möchte unseren Minister zitieren. Er hat es so aufden Punkt gebracht:Wir müssen dafür sorgen, dass der Ausbau in einemstetigen und berechenbaren Rahmen stattfindet.
Das ist eine wichtige Aussage, und das muss man sichwirklich durch den Kopf gehen lassen. Darüber mussman einmal nachdenken.
Die Energiewende – auch das wurde gerade vom Kol-legen Beckmeyer gesagt – birgt enorme Chancen, Chan-cen für die Industrie, Chancen im Bereich der neuenTechnologien und vor allen Dingen Chancen im Bereichder Effizienztechnologie. Es ist ein erhebliches Poten-zial, das unsere Industrie hier in Deutschland hat.Ich möchte noch einen Missstand ansprechen: Dereine sagt dieses, und der andere sagt jenes. Die Energie-wende gelingt aber nur dann, wenn die Akteure in Bundund Ländern einigermaßen zusammenarbeiten. Vorhinwurde zumindest indirekt das Gemeinwohl angespro-chen. Eine solche Umstellung der Energiepolitik einesStaates funktioniert nur, wenn die Akteure wirklich zu-sammenarbeiten und sich nicht gegenseitig behindern.Ein hoffnungsvolles Zeichen war der Dialog im No-vember, der gerade angesprochen worden ist. Es ist not-wendig, dass die Ausbaupläne den nationalen Erforder-nissen angepasst werden. Es muss eine Steuerung geben.Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Steue-rungskreis auf der Ebene der Staatssekretäre. Auch derBundestag hat verlangt, dass ein regelmäßiges Monito-ring stattfindet. Das soll im November kommen; dasmüssen wir uns genau anschauen. Dann sehen wir auchdie Fortschritte und können bewerten, wie erfolgreichdie Energiewende ist.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt erwähnen. DieEnergiewende ist nicht nur ein deutsches Projekt. Wirdürfen dabei die europäische Dimension nicht vergessen.Wir können nicht so tun, als ob wir auf einer Strominsellebten. Das geht nicht. Ich möchte den deutschen Ener-giekommissar Günther Oettinger zitieren, der gesagt hat,dass wir uns stärker mit den europäischen Nachbarn ab-stimmen müssen:Spätestens bei der Stromspeicherung sind wir auchauf Kapazitäten in Pumpspeicherwerken in Norwe-gen, Österreich und der Schweiz angewiesen.
Eine Koordinierung empfiehlt er aber nicht nur bei denStarkstromtrassen, sondern auch bei den Fördersyste-men. Auch da müssen sich die europäischen Staaten bes-ser abstimmen.Unser zentrales Förderinstrument – das wurde geradeangesprochen – ist das Marktanreizprogramm.
– Da es sich um das entscheidende Förderinstrumenthandelt, muss ich es immer wieder erwähnen. – Im lau-fenden Jahr stehen dafür 250 Millionen Euro zur Verfü-gung. Das Geld reicht aus, wie die Mittelabflüsse zei-gen; denn es stehen noch Ausgabenreste in Höhe von116 Millionen Euro zur Verfügung.
Lassen Sie mich diese Zahlen einmal nennen; schließlichführen wir hier eine Haushaltsdebatte. Im nächsten Jahrsinkt der Betrag zwar auf 235 Millionen Euro; dasstimmt. Aus dem Energie- und Klimafonds kommenaber 172 Millionen Euro dazu.
So hängt das zusammen. Damit wird unter dem Strichmehr Geld zur Verfügung stehen als in diesem Jahr. Dasist auch eine gute Maßnahme.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entsorgung ra-dioaktiver Stoffe. Es ist völlig klar: Wenn Kernkraft-werke abgeschaltet werden, muss auch eine Lösung fürdie Endlagerung gefunden werden.
– Das ist doch ganz einfach, oder nicht? Wenn es bei derEnergiewende einen Konsens gegeben hat – schön, dassihr so fröhlich seid –, dann muss es auch bei der Endla-gerfrage einen Konsens geben.
Fröhlichkeit finde ich gut, Taktieren aber nicht. Wennman jetzt herumtaktiert, um keine vernünftigen Lösun-gen zu finden, dann können die Menschen das nicht ver-stehen. Sie wollen in diesem Bereich eine Lösung.
Herr Minister Altmaier hat immer wieder betont, dasser einen Konsens will. Das ist auch richtig.
Selbst Ministerpräsident Kretschmann, der ja den Ein-druck erweckt,
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Bernhard Schulte-Drüggelte
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er wolle wirklich einen solchen Konsens finden, hat dieGespräche abgelehnt. Ich finde das außerordentlich be-dauerlich; denn wir müssen da eine Lösung finden.Was ich nicht so bedauerlich finde, sind die Be-schlüsse der Grünen auf ihrem Parteitag am letztenWochenende.
– Ich lobe das nicht, sondern warte erst einmal ab, wasdabei herauskommt. Eine gewisse Grundvorsicht darfman bei den Grünen doch wohl haben.
Ich möchte aber noch einen Punkt ansprechen. Nebeneiner Lösung zur Entsorgung hochradioaktiver Stoffe– darum geht es ja im Augenblick – muss man auch eineRegelung für die schwachradioaktiven Stoffe finden.Seit 2007 wird daran gearbeitet, den Schacht Konradnutzbar zu machen. Die Fertigstellungsdaten werden im-mer weiter nach hinten verschoben. Im Augenblick wirdvon 2019 gesprochen. Dass das immer weiter verscho-ben wird, ist nicht überzeugend, meine ich. Da muss eineLösung gefunden werden. Es kann durchaus auch effek-tiver gearbeitet werden.
Wenn ich schon beim Stichwort „arbeiten“ bin, danndarf ich mich als Berichterstatter am Schluss diesesBeitrags für die durchaus kollegiale Beratung im Haus-haltsausschuss bedanken. Ich bedanke mich außerdem,wie es gute Sitte ist, beim Ministerium und bei den Bun-desoberbehörden für die schnellen Informationen. Auchder Bundesrechnungshof hat die Beratungen mit zusätz-lichen Informationen begleitet. Mein besonderer Dankgeht an Uwe Beckmeyer – mit ihm fange ich an, weil ervor mir gesprochen hat –, Stephan Thomae, SvenKindler und Michael Leutert als Mitberichterstatter fürdie gute Zusammenarbeit.Danke schön.
Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin
Dorothée Menzner.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Die Haushaltsberatungen finden im Zeichen einer ange-kündigten Endlagersuche und eines Endlagersuchgeset-zes sowie im Zeichen einer Lex Asse, die alle Fraktionenim Moment gemeinsam beraten, statt. Lex Asse meint,einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Bergungdes atomaren Inventars in der Asse beschleunigen soll.Da schauen wir als Niedersachsen, als von den ganzenAnlagen Betroffene, natürlich ganz genau hin und neh-men das Motto der Initiativen in der Region Wolfenbüt-tel – „aufpASSEn“ – sehr ernst.Wie ernst – oder besser: wie unernst – es der Bundes-regierung mit einer ergebnisoffenen Endlagersuche ist,kann man schon am Haushaltsansatz sehr genau erken-nen: Für 2013 sind für die Endlagersuche 3,5 MillionenEuro eingeplant. 2009 waren es noch über 9 MillionenEuro und 2010 über 8 Millionen Euro. Deswegen for-dern wir ganz klar, die Mittel für eine ergebnisoffeneEndlagersuche auf 5 Millionen Euro aufzustocken.
Wir haben es aber in Niedersachsen mit diversenStandorten zu tun. Ich möchte zu allen wenigstens einigeWorte verlieren.Zuallererst haben wir es dort mit Gorleben zu tun. DerUntersuchungsausschuss hat in den letzten Jahren ge-zeigt: Gorleben war wissenschaftlich nie erste Wahl,sondern eher ein Standort, der politisch gesundgebetetwurde.
Nun finden sich im Haushaltsplan wieder 82 MillionenEuro für Gorleben – deutlich mehr als in den Jahren zu-vor. Von diesen 82 Millionen Euro entfallen 41 Millio-nen Euro auf die weitere Erkundung Gorlebens. Sollenweiter Fakten geschaffen werden? Was heißt „ergebnis-offene Endlagersuche“, wenn weiter in Gorleben Geldverbaut wird, wo doch eigentlich allseits bekannt ist,dass Gorleben als Atommüllendlagerstandort ungeeignetist.
Ohne einen glaubhaften Verzicht auf Gorleben wer-den wir keine gesellschaftliche Diskussion zustandebringen, werden wir diesen jahrzehntelangen gesell-schaftlichen Konflikt um die Frage „Wohin mit demAtommüll?“ nicht lösen.
Nächstes Lager: Asse. Die Fraktionen arbeiten an derLex Asse; das habe ich eben schon deutlich gemacht.Der Mittelaufwuchs an dieser Stelle – auf 142 MillionenEuro – ist positiv zu vermerken; da hat die Bundesregie-rung nachgelegt. Dazu muss ich aber schon sehr deutlichsagen: Zur Vorbereitung der Rückholung und der Ber-gung des atomaren Inventars ist das immer noch deutlichzu wenig – und das wissen Sie genauso gut wie wir. Esgeht aus dem Haushaltsplan auch nicht hervor, welcheMittel für Maßnahmen wie Notfall- und Gefahren-abwehr, sprich – im schlimmsten Fall –: Flutung, vorge-sehen sind und wann die Notfall- und Gefahrenabwehrabgeschlossen sein soll.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern: Für 2011war dafür eine Kostenprognose vorgesehen und uns an-
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Dorothée Menzner
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gekündigt. Sie liegt bis heute nicht vor. Ich hätte dochgerne einmal eine Antwort auf die Frage, wann wir da-mit rechnen können.
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: DasBundesamt für Strahlenschutz, das mit der Umsetzungbeauftragt ist, hat für die Bewältigung der Asse 82 neueStellen beantragt, wohlbegründet. Das Ministerium hatnur 50 Stellen genehmigt. Das halte ich für ein ernsthaf-tes Problem, wenn wir, wie es alle Fraktionen hier im-mer wieder fordern, zu einer Beschleunigung kommenwollen.Last, but not least: Schacht Konrad. Ich sage ganzdeutlich: Das Geld, das für den Schacht Konrad vorgese-hen ist, sollten wir gemeinsam sparen. Schacht Konrad– da hält es die Linke mit den Initiativen, mit den Beleg-schaften, mit den Betriebsräten, mit den Menschen vorOrt – ist nicht geeignet, Stichworte – um nur ein paarPunkte zu nennen –: Langzeitsicherheit, Grundwasser-schutz, keine ausreichende Produktkontrolle, Risiken imEinlagerungsbetrieb, weil die Einlagerung über dasWerksgelände eines Stahlwerkes laufen soll. Wir habenes mit einer Region zu tun, in der Vertrauen grundlegendverloren gegangen ist. Die Asse und Schacht Konradsind genau 24 Kilometer voneinander entfernt. Ohneüber Schacht Konrad neu zu diskutieren und dabeiTransparenz herzustellen, wird es nicht gehen.
Fazit: Die Regierung betont fortlaufend einen Neu-start in der Frage der Endlagersuche. Aber bei genauerBetrachtung zeigt sich: Es kommt außer vielen schönenWorten nichts. Die Zahlen sprechen eine andere Spra-che. Im Gesamthaushalt findet sich für Atomenergie/Atomtechnik 1 Milliarde Euro. Wenn man alle Einzel-pläne nebeneinanderlegt, finden sich für alle erneuerba-ren Energien nur 790 Millionen Euro. Um es noch deut-licher zu machen: In all den Jahren sind inklusive EEG54 Milliarden Euro in erneuerbare Energien geflossen.Dagegen sind seit 1970 177 Milliarden Euro in dieSteinkohle geflossen, –
Frau Kollegin.
– 65 Milliarden Euro in die Braunkohle und ganze
187 Milliarden Euro in die Atomenergie.
Frau Kollegin.
So viel zur Behauptung,
Atomenergie sei so billig, oder dazu, wir steuerten um
und führten eine Energiewende durch. Das, was Sie hier
mit diesem Haushalt vorlegen, zeigt, dass Sie keine Leh-
ren aus Fukushima gezogen haben.
Ich danke.
Der Kollege Stephan Thomae hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Zunächst will auch ich meinen Dank dem Minis-terium, dem Bundesminister, Herrn Altmaier, vor allemdem Haushaltsreferat des Hauses, dem Bundesrech-nungshof und den Bundesoberbehörden, die diese Haus-haltsentscheidung begleitet haben, aussprechen. Gleich-falls danke ich dem Kollegen Schulte-Drüggelte alsHauptberichterstatter und meinen Kollegen Beckmeyer,Kindler und Leutert als Mitberichterstatter für die sachli-che und konstruktive Beratung dieses Haushaltes.Ein paar Eckdaten sind schon genannt worden. DerHaushalt des Bundesumweltministeriums ist ein ver-gleichsweise kleiner Haushalt mit einem Volumen vonetwa 1,6 Milliarden Euro. Die Ausgaben steigen maß-voll um 3,4 Prozent. Die Schwerpunkte im Umwelthaus-halt liegen vor allem bei der Endlagersuche und dem Be-reich der erneuerbaren Energien. Die gewaltigenAufgaben, die in diesen Bereichen unserer harren, recht-fertigen diesen maßvollen Aufwuchs in diesem Etat.Umweltpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die auchin vielen anderen Einzelplänen des Bundeshaushaltesenthalten ist, zum Beispiel im Entwicklungshaushalt.Insgesamt sind im Bundeshaushalt 7,4 Milliarden Euro,also etwa ein Fünffaches dieses Etats, für die Umweltpo-litik eingeplant.
Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zum Ener-gie- und Klimafonds sagen. Bei meinen Vorrednern istes schon angeklungen: Der Energie- und Klimafonds ge-hört eigentlich zum Einzelplan 60. Es wurde kritisiert,dass er als Sondervermögen aus dem Bundeshaushaltausgegliedert und – auch das war ein Vorwurf – untereta-tisiert sei. Die finanzielle Ausstattung hängt natürlichmit dem Verkauf von Zertifikaten, dem Zertifikatehan-del, zusammen. Derzeit sind die Einnahmen niedriger alsursprünglich angesetzt, weil es ein Überangebot an Zer-tifikaten auf dem Markt gibt. Das ist deshalb so, weil derPreis so niedrig ist.
Ein Überangebot, Frau Kollegin, ist zunächst einmaleine gute Nachricht; denn ein Überangebot zeigt, dassdie Nachfrage geringer ist als das Angebot auf demMarkt. Das heißt, die Emissionsmengen gehen zurück,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25183
Stephan Thomae
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man braucht heute weniger Zertifikate als früher. Das istzunächst einmal eine gute Nachricht. Jetzt müsste man,um den Preis stabil zu halten, die Zertifikatemenge be-grenzen. Das muss geschehen. Dann werden sich dieEinnahmen des EKF konsolidieren. Nur, das können wirnicht in den Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene, re-geln, das muss auf europäischer Ebene getan werden.Darauf muss man hinwirken.
Die Ausgaben für die Endlager steigen ebenfalls maß-voll um knapp 40 Millionen Euro, also um etwa 8,4 Pro-zent, auf 501 Millionen Euro.Meine Vorrednerin hat gerade die Asse angesprochen.Vom Bundesamt für Strahlenschutz bin ich dankenswer-terweise eingeladen worden, mir die Asse persönlich an-zusehen und mir ein eigenes Bild zu machen. Ich bindieser Einladung gern gefolgt. In der Asse herrschen be-sonders schwierige Bedingungen, weil das Grundwasserbekanntlich in die Schachtanlage eindringt. Um die ge-waltigen Herausforderungen, die sich aus der Sicherungder Asse und aus der Bergung des atomaren Mülls erge-ben, zu bewältigen, haben wir den Einzeltitel „Still-legung Schachtanlage Asse“ um 42 Millionen Euro auf-gestockt. Ich glaube, das ist eine richtige Maßnahmegewesen.
Der Schwerpunkt der Aufgaben liegt ganz klar beimThema Energiewende. Nach außen wird manchmal einetwas verzerrtes Bild dergestalt vermittelt: Der eineMinister, der gute, sei zuständig für die Verteilung vonWohltaten. Der andere Minister, der böse, müsse aufpas-sen, dass der Strompreis für Wirtschaft und Verbrauchernicht durch die Decke geht.
Aber die Energiewende ist nicht nur ein staatlichesVorhaben der öffentlichen Verwaltung. Es ist ein Vorha-ben von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies hat übrigensüberhaupt nichts damit zu tun, ob man die Energiewendewill oder nicht; das ist völliger Unfug. Natürlich stehenwir zu unseren Entscheidungen.
Wir sehen darin in erster Linie große Chancen für un-ser Land. Aber deswegen müssen natürlich auch die Be-lange von Wirtschaft und Gesellschaft Berücksichtigungfinden.
Bei den erneuerbaren Energien geht es nämlich nicht nurum Mengenwachstum. Die Energiewende ist, musika-lisch ausgedrückt, ein Vierklang. Dabei geht es natürlichum die Energieerzeugung; es geht aber auch um Ener-gietransport, Energieeinsparung und Energiespeiche-rung.
Eine Zeit lang hat man geglaubt: Wenn man in ganzkurzer Zeit möglichst viel Zubau an Kapazitäten bei denerneuerbaren Energien schafft, dann ist die Energie-wende so gut wie gemeistert. Wir alle haben heute er-kennen müssen, dass die Sache deutlich komplexer ist.Erneuerbare Energien sind zu einem großen Teil ebennicht grundlastfähig, außer vielleicht Biomasse.
Deshalb müssen wir auch im Bereich der Energiespei-cherung Geld in Forschung und Entwicklung stecken.Das tun wir auch.
Die Energieerzeugung wird dezentraler. Deswegen müs-sen auch die Netze anders strukturiert werden.Es geht also nicht einfach nur darum, möglichstschnell möglichst viele Energieanlagen, also Solaranla-gen und Windkrafträder, zu bauen, sondern es geht umein integriertes Konzept. Wir müssen auch bei der Ge-bäudesanierung vorankommen. Wir müssen im Bereichder Speichertechnologien in die Forschung investieren,und wir müssen die Netze umbauen.
All das muss eingepasst werden in die Kulisse einer iminternationalen Wettbewerb stehenden Industrienation.
Die Energiewende ist nun einmal – das ergibt sich ausdem Gesagten – nicht nur eine idyllisch-romantischeAngelegenheit, sondern das Ganze ist auch eine techni-sche Herausforderung. Die Erzeugung von Energie auserneuerbaren Energieträgern und die Leitungsnetze müs-sen gemeinsam wachsen, sonst hinkt die Energiewende.Genau um dieses gemeinsame Wachsen im Rahmeneines integrierten Konzepts kümmert sich diese Bundes-regierung mit diesen Bundesministern, mit den Minis-tern Altmaier und Rösler. Die Energiewende ist in denHänden dieser Regierung gut aufgehoben. Deswegen istes auch sehr gut, dass wir diesen Etat mit einer Anhe-bung um rund 3,5 Prozent besser ausstatten. Ich blickedaher zuversichtlich in die Zukunft der Energiewende inDeutschland.
Vielen Dank.
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25184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Dorothea Steiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Eine zentrale Aufgabe desUmweltministeriums ist es, die Energiewende erfolg-reich voranzutreiben. Das hatte sich bekanntlich auchMinister Altmaier bei seinem Amtsantritt auf die Fahnegeschrieben. Aber ich muss feststellen: Diesem An-spruch wird der Haushalt 2013 nicht gerecht.
Wir brauchen einen konsequenteren Ausbau der Er-neuerbaren, einen an die Potenziale der Erneuerbarenangepassten Netzausbau, höhere Investitionen in Ener-gieeffizienz und nachhaltige Initiativen zur Energieein-sparung. In den Ankündigungen von Herrn Altmaier unddenen der Kollegen von CDU/CSU und FDP hören wirdas zwar; im Umwelthaushalt finden wir das aber leidernicht. Die Reden sind der schöne Schein; der Haushaltzeigt die bittere Wahrheit: Die Energiewende ist nur lü-ckenhaft finanziert.
Wichtige Maßnahmen der Energiewende werden ausdem Energie- und Klimafonds, dem EKF, finanziert. DieEinnahmen für diesen EKF sind aber abhängig vomCO2-Preis im Rahmen des Emissionshandels, und dieserliegt aktuell mit unter 7 Euro pro Tonne deutlich unterden Erwartungen. Damit ist die Finanzierung wichtigerProjekte ungewiss.Bisher zeigen der Bundesumweltminister und derBundesminister für Wirtschaft, der Herr Rösler, keineInitiative, um den europäischen Emissionshandel zustützen und den CO2-Preis zu stabilisieren.
Das heißt, bei Ihnen steht die Energiewende unter demPreisschwankungsvorbehalt. Ich zeige Ihnen an einemBeispiel, wie das aussieht: 2012 wurden aufgrund vonMindereinnahmen aus den Emissionszertifikaten dieMittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbareWärme komplett gestrichen.
Wir Grüne würden es anders machen: Wir würdenzum Beispiel das Marktanreizprogramm wie auch dieNationale Klimaschutzinitiative aus dem unsicherenEKF herausnehmen, sie in den Gesamthaushalt einset-zen und den Ansatz erhöhen.
407 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm soll-ten uns dem Ziel näher bringen, bis 2020 den Anteil derErneuerbaren am Energieverbrauch für Wärme vonheute knapp 8 Prozent auf 14 Prozent zu erhöhen.
Das würde sich auch für Wirtschaft und Arbeitsplätzeauszahlen; denn Investitionen in die Nutzung erneuerba-rer Wärme sind eine wichtige Unterstützung mittelstän-discher Unternehmen und des Handwerks. Das sage ichden Kollegen von der CDU/CSU besonders gern.Meine Damen und Herren, wir erleben seit Monateneine Kampagne. Es wird behauptet, die Energiewende,die erneuerbaren Energien würden den Strom für dieVerbraucher teuer machen. Es gibt entsprechende Atta-cken von bekannter Seite. Aber allmählich ist doch deut-lich geworden: Es sind die Ungerechtigkeiten bei derAnrechnung der EEG-Umlage, die den Strompreis fürVerbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine Unter-nehmen verteuern.
Zu viel wird auf die privaten Stromkunden und auf diekleinen und mittelständischen Unternehmen abgewälzt,während die Anzahl der angeblich energieintensiven Un-ternehmen steigt, die eine Absenkung der EEG-Umlagein Anspruch nehmen wollen. Ich höre, Herr KollegeMeierhofer, dass schon bis zu 5 000 Anträge auf Befrei-ung auf dem Weg sind.
Das ist doch ein Skandal. So kann man die Akzeptanzder Energiewende gefährden.
Das werden wir Grüne nicht hinnehmen, meine Damenund Herren von der schwarz-gelben Koalition.Angesichts der steigenden Strom- und Energiepreisesind Maßnahmen zur Entlastung einkommensschwacherHaushalte unverzichtbar.
Die FDP hat neuerdings ihr Herz für die Einkommens-schwachen entdeckt,
die unter den hohen Strompreisen leiden. Sie reagierenleider nur mit populistischen Sprüchen, tun aber nichts.Stattdessen fordern Sie eine Senkung der Stromsteuer,von der Haushalte mit höheren Einkommen überpropor-tional profitieren; das ist natürlich die Klientel der FDP.
Wir treten dagegen für die Einführung eines Energie-sparfonds ein, mit dem wir die Energiewende sozialabfedern wollen. Wir wollen den Austausch alterStromfresser gegen energieeffiziente Elektrogeräte sub-ventionieren, und wir wollen einen Klimazuschuss zumWohngeld. Dafür würden wir sage und schreibe 3 Mil-liarden Euro in die Hand nehmen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25185
Dorothea Steiner
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Die brauchen wir auch, um die Finanzierung der Maß-nahmen sicherzustellen.Jetzt komme ich zu den Endlagerfragen. Ich glaube,zur Asse braucht man nicht viel zu sagen. Die Erhöhungder entsprechenden Mittel auf 142 Millionen Euro warrichtig. Ich möchte dazu nur eines sagen: Wir brauchendie Mittel nicht nur 2013, sondern auch 2014 und 2015.Zu Gorleben kann man nur eines sagen: Uns wird dergleiche Ansatz wie letztes Jahr präsentiert;
76 Millionen Euro werden für das Projekt Gorleben ein-gesetzt. Wie erklären Sie mir, Herr Altmaier, dass Siediese Zahl nicht geändert haben, wenn Sie doch gleich-zeitig einen Neustart bei der Endlagersuche ankündigen?
Wir sehen eine Kürzung dieses Ansatzes von 76 Millio-nen auf 20,9 Millionen Euro vor; das reicht für die Of-fenhaltung. Logischerweise möchten wir die Summe fürdie Erkundung weiterer Standorte verdoppeln: von3,5 Millionen auf 7 Millionen Euro. Ich sage Ihnen: Dasist nur der Anfang. Falls wir den Neustart bei der Stand-ortsuche tatsächlich gemeinsam hinbekommen, brau-chen wir dafür in einer zweiten Phase 10 Millionen bis20 Millionen Euro.Herr Minister Altmaier, wenn Sie es mit dem Neustartbei der Endlagersuche ernst meinen – das unterstelle ichjetzt erst einmal –, wenn Sie eine ergebnisoffene Endla-gersuche in Angriff nehmen wollen, dann machen Siedoch Nägel mit Köpfen und nehmen die Mittel für denAusbau von Gorleben schon jetzt aus dem Haushalt für2013.
Frau Kollegin.
Mein letzter Satz. – Stellen Sie das Geld tatsächlich
schon jetzt für eine ergebnisoffene Endlagersuche und
die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit bereit.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Bun-desminister Peter Altmaier.
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn man die letzten sechs Monate Revue pas-sieren lässt, dann kann man ohne Übertreibung sagen,dass die Themen der Umwelt- und Energiepolitik auf derpolitischen Agenda endlich wieder dort angekommensind, wo sie seit vielen Jahren hingehören.
Wir haben schon lange nicht mehr so intensiv und sokonstruktiv darüber diskutiert. Sie sollten sich freuen,dass es so ist; denn hier geht es um unser gemeinsamesAnliegen. Machen Sie es nicht mies, machen Sie es nichtschlecht, sondern freuen Sie sich darüber, dass überall inDeutschland über die Energiewende und ihre Erfolgsvo-raussetzungen diskutiert wird.
Ein Zweites ist klar geworden, trotz oder vielleichtgerade wegen der aufgeregten Debatte über den Anstiegder EEG-Umlage: Wir nehmen die Probleme sehr ernst– ich komme darauf noch zurück –, und wir wollen sielösen. Es ist so, dass die Energiewende von allen wichti-gen politischen Kräften dieses Landes gewollt wird. Siewird gewollt von vielen Aktivisten und Idealisten vorOrt, die dafür eintreten, dass die Energiewende stattfin-det, sie wird gewollt von den Fraktionen des DeutschenBundestages, und sie wird gewollt von der Bundesregie-rung und den beiden zuständigen Ministern. Das ist dieentscheidende Voraussetzung dafür, dass die Energie-wende gelingt; denn wir haben dadurch die Klarheit, inwelche Richtung die Reise geht.
Seit meiner Amtsübernahme habe ich immer wieder,orchestriert von vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen,gehört – ich unterstelle Ihnen keine bösen Absichten; Siewollen halt irgendwie erreichen, dass man nicht nur überIhren Kanzlerkandidaten diskutiert –: Das ist falsch, dahat Altmaier einen Fehler gemacht, das hätte er nicht sa-gen sollen, so kann man nicht vorgehen.Ich habe Anfang Oktober einen Verfahrensvorschlagvorgelegt, in dem ich darauf hingewiesen habe: Wirbrauchen einen nationalen Konsens, wir brauchen einenationale Ausbaukonzeption, wir brauchen eine grundle-gende Reform des EEG, wir brauchen eine Abstimmungdes Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Ausbauder Netze sowie der konventionellen Energien und dererneuerbaren Energien untereinander, und zwar in geo-grafischer und regionaler Hinsicht. All diese Punktehaben Sie kritisiert. Als vier Wochen später die Minister-präsidenten aller 16 Bundesländer bei der Bundeskanz-lerin waren, bestand in all den genannten Punkten ein-stimmiger Konsens darüber, dass wir eine nationale Aus-baukonzeption und eine grundlegende Reform des EEGbrauchen.
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25186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bundesminister Peter Altmaier
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Ihre Ministerpräsidenten zeigen mehr Einsicht als Sie.
Nehmen Sie sich ein Beispiel. Fragen Sie Herrn Albig,fragen Sie Frau Kraft, fragen Sie Herrn Kretschmann inBaden-Württemberg.Wenn Sie ehrlich sind –
das meine ich nicht kontrovers; das ist etwas, auf das wirgemeinsam schauen können –, dann müssen Sie zuge-ben: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutsch-land war noch nie so dynamisch und so stark wie in denletzten zwölf Monaten. Wir werden in diesem Jahr25 Prozent unseres Stroms mit erneuerbaren Energienproduzieren.
Die Leistung der Photovoltaikanlagen in Deutschlandwird der Leistung von etwa 20 Kernkraftwerken entspre-chen. Wir sind das Land in der Welt, in dem der Ausbauder erneuerbaren Energien am dynamischsten vorangeht.Wer versucht, das schlechtzureden und infrage zu stel-len, der tut der Energiewende keinen Gefallen, der leistetihr einen Tort.
Ich bitte Sie: Konzentrieren Sie sich in Ihrer Rhetorikdarauf, dass eine Energiewende mehr ist als nur der vo-lumenmäßige Ausbau. Es ist nun einmal so, dass maneine Photovoltaikanlage schneller auf dem Dach instal-liert hat als die Stromleitung, die nötig ist, um gewonne-nen Strom abzutransportieren.
Es ist leichter, ein Windrad zu bauen, als eine 900 Kilo-meter lange Gleichstromleitung quer durch Deutschlandzu verlegen.
Wir müssen die Probleme und die Chancen der Ener-giewende gemeinsam in den Griff bekommen. Die Ener-giewende ist nicht dann ein Erfolg, wenn wir bestimmteAusbauziele erreicht haben, sondern dann, wenn wir amEnde mindestens 80 Prozent unseres Strombedarfs auserneuerbaren Energien gewinnen und die Stromversor-gung in Deutschland trotzdem bezahlbar und das Landwettbewerbsfähig bleibt.
Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien auszubauen.Gleichzeitig sollten wir dafür sorgen, dass Strom bezahl-bar bleibt und wettbewerbsfähige Preise während derganzen Dauer der Energiewende gewährleistet werdenkönnen.
Wir haben in diesem Hause noch etwas erreicht – Siesollten den gefundenen Konsens nicht kleinreden –: Wirhaben im Sommer gemeinsam – die 16 Bundesländerund alle Fraktionen im Deutschen Bundestag – eine Re-form der Photovoltaikförderung beschlossen. Diese Re-form beginnt zu greifen. Die Zahlen für Juli, August,Oktober und auch November – September war ein Aus-nahmefall wegen großer Freiflächenanlagen in Ost-deutschland – belegen: Wir haben uns auf einen vernünf-tigen Ausbaukorridor für erneuerbare Energien imBereich der Photovoltaik geeinigt. Auf ein Jahr hochge-rechnet soll er künftig nicht bei 7 500 oder 8 000 Mega-watt liegen, sondern im nächsten Jahr aller Voraussichtnach bei 3 500 oder 4 000 Megawatt. Das heißt, wir sindimmer noch Weltmeister im Bereich der Photovoltaik.Wir verhindern aber eine Blasenbildung, die am Ende zueiner harten Landung und zu negativen Folgen für alleBeteiligten führen würde.Genauso engagiert werden wir in den nächsten Wo-chen dafür sorgen, dass die Offshoreproblematik einerLösung nähergeführt wird.
Wir haben hierzu ein Gesetz im Deutschen Bundestagvorgelegt, das auch von den Politikern in Norddeutsch-land aus Ihrer Partei unterstützt wird und zu dem alleBeteiligten sagen: Das ist notwendig. – Deshalb würdeich mir wünschen, dass Sie das auch einmal öffentlichsagen; denn es gehört dazu, dass man gemeinsam Ver-antwortung für unpopuläre Entscheidungen übernimmt.Es haben sich viele hinsichtlich der Herausforderun-gen des Offshoreausbaus getäuscht; aber es ist richtig,dass wir die technischen und finanziellen Probleme lö-sen.
Auch deshalb haben alle 16 Ministerpräsidenten – ein-schließlich Herrn Kretschmanns – gesagt, dass sie wol-len, dass der Offshoreausbau weitergeht und genau dieseProbleme gelöst werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen– es ist noch gar nicht so lange her, dass Sie den Um-weltminister gestellt haben –,
mit dem Thema „Strom- und Energieeffizienz“ zum ers-ten Mal ernst.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25187
Bundesminister Peter Altmaier
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Wir haben mit dem DIHK und mit dem ZDH eine Mit-telstandsinitiative verabredet.
Im Zusammenhang mit dem Spitzenausgleich haben wirdie Einführung von Energiemanagementsystemen in derWirtschaft vorgesehen. Wir werden morgen die zweiteTagung des Runden Tisches für Stromeffizienz durch-führen. Das heißt, wir haben zum ersten Mal auf allenEbenen – vom kleinen Einkommen über die mittelstän-dische Wirtschaft bis hin zu den großen Betrieben – dasBewusstsein, dass es möglich ist, Kosten auch dadurchzu senken, dass man mit Strom und Energie verantwort-lich umgeht.
Wir werden sehen, dass man damit auch für die deutscheWettbewerbsfähigkeit sehr viel erreichen kann.
Ferner machen wir mit dem Thema „Bürgerbeteili-gung und Netzausbau“ ernst. In den nächsten Jahrenwerden wir sehr viele Leitungen verlegen müssen. Es istdoch kein Ruhmesblatt, dass wir von den Leitungennach dem EnLAG, die vorgesehen waren, gerade einmal200 Kilometer gebaut haben; aber es ist eben auch so,dass Sie zu Ihrer Regierungszeit dafür weder die pla-nerischen noch die Beteiligungsinstrumente geschaffenhaben, die notwendig sind. Wir schaffen mit diesemHaushalt zum ersten Mal Stellen im Bundesumwelt-ministerium, damit wir Bürgerbeteiligung bei umwelt-relevanten Großprojekten ernst nehmen können. Dennwir wollen mit den Leuten reden, und wir wollen, dasssich die Leute eingebunden fühlen.
Wir werden auch die Belange des Naturschutzes ernstnehmen. Am Ende werden wir aber dafür sorgen, dassdie notwendigen Netzanschlüsse hergestellt werden. Wirlassen nicht zu, dass dezentraler gegen zentralen oderzentraler gegen dezentralen Ausbau ausgespielt wird,weil wir in Deutschland beides brauchen: Wir brauchengroße Stromtrassen, um die Windenergie aus dem Nor-den dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wird.Umgekehrt brauchen wir gute regionale Verteilnetze, umPhotovoltaik- und dezentrale Erneuerbare-Energie-Anla-gen abzufedern.Wir werden dafür sorgen, meine sehr verehrten Da-men und Herren, dass wir uns international gut aufstel-len.
In Doha haben wir eine ganz schwierige Klimakonferenzvor uns. Wir haben auf der internationalen Ebene zwareinen Erkenntnisfortschritt dahin, dass Klimaschutz not-wendig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen, wächst; auch das muss man sagen.Aber es wäre falsch, aufzugeben. Deshalb wünsche ichmir, dass wir in Doha – wir sehen uns in dieser Wochezum gemeinsamen Frühstück – die Kraft haben, eine ge-meinsame deutsche Position zu formulieren und zu ver-treten, eine Position, die auch den Druck erzeugt, dasssich andere Länder dem anschließen. Ich wünsche mir,dass wir einen Konsens über eine zweite Verpflichtungs-periode nach dem Kioto-Protokoll erreichen. Weiterwünsche ich mir, dass die übrigen Länder bei ihren na-tionalen Kraftanstrengungen endlich vorankommen undwir ein klares Verhandlungsmandat für das allgemeineKlimaschutzabkommen bekommen werden.Ich möchte mich bei den Fraktionen des DeutschenBundestages bedanken, die durch ihre Berichterstatterquer über alle Parteien hinweg dazu beigetragen haben,dass wir einer Lösung für die „Lex Asse“ in den letztenWochen und Monaten einen großen Schritt näher ge-kommen sind. Das ist eine Frage der Vertrauensbildungvor Ort. Ich habe von Anfang an Wert darauf gelegt, dasswir dies überparteilich tun.Ich werde in dieser Woche erneut zu den Menschenan der Asse fahren und dort mit den Mitgliedern der Be-gleitgruppe diskutieren, weil ich zugesagt habe, dass wirdiesen Dialog auf oberster politischer Ebene führen.
Ich komme zum Schluss. Meine sehr verehrten Da-men und Herren, es gibt ein Problem – Sie können nochso viel filibustern –, das gelöst werden muss: Das ist diegemeinsame Endlagersuche. Wir haben vor einem Jahrdie Kraft gefunden, gemeinsam einen Endpunkt derfriedlichen Nutzung der Kernenergie festzulegen.
Wir haben uns gemeinsam zur Energiewende verpflich-tet. Ich meine, dazu gehört auch, dass wir die Kraft zu ei-nem überparteilichen Konsens bei der Endlagersuchefinden. Nur, wir haben auch in dieser Frage schon sehrviel Zeit verloren.
Wissen Sie, ich habe ja den Grünen-Parteitag vomletzten Wochenende gelobt. Ich habe das ja öffentlichanerkannt. Nur, wir diskutieren ein ganzes Jahr darüber.Bereits im Frühsommer haben wir einen Gesetzentwurfvorgelegt.
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25188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bundesminister Peter Altmaier
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Wir haben informelle und formelle Verhandlungen ge-führt. Ich habe im Herbst einen neuen Gesetzentwurfvorgelegt. Und erst jetzt diskutieren Sie als Bündnis 90/Die Grünen über Ihre Position. Bis heute habe ich auchnoch nichts von einer gemeinsamen Position der A-Län-der im Bundesrat gehört.
Ich meine, wir können dieses Thema nicht auf die langeBank schieben. Deshalb appelliere ich an Sie: SchielenSie nicht auf Wahlkämpfe, sondern tragen Sie dazu bei,dass wir eine überparteiliche Regelung finden, die indiesem Bereich Frieden und Rechtsfrieden schafft!
Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Unterstüt-zung, die es bei wichtigen und schwierigen Themen ge-geben hat. Der Haushalt des Bundesumweltministeriumsist nicht der größte von allen Bundeshaushalten. LieberNorbert Barthle, wir werden das im Laufe der nächstenJahre gemeinsam sicherlich schrittweise ändern und denHaushalt in die richtige Richtung fortentwickeln. DieWichtigkeit dieses Politikbereichs hängt aber nicht ander einen oder anderen Haushaltszahl; sie hängt daran,was wir aus den Herausforderungen machen. Da sindwir in den letzten Monaten einen guten Schritt vorange-kommen.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Matthias
Miersch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister, wie sehr muss Ihnen dasWasser bis zum Halse stehen, wenn Sie hier als ersteWorte sagen: Endlich, nach dreieinhalb Jahren schwarz-gelber Politik, hat die Energiepolitik den Stellenwert,den sie verdient. – Was für eine Klatsche für HerrnRöttgen! Was für eine Klatsche für diese Kanzlerin, diediesen Schlamassel zu vertreten hat!
Herr Minister Altmaier, die Kanzlerin hat es auch zuvertreten, dass Ihren Worten, wenn Sie beispielsweiseum Endlagerung ringen, keiner von denen, die auf diesenBänken sitzen und guten Willens sind, glaubt. Vor weni-gen Wochen habe ich die Kanzlerin im Untersuchungs-ausschuss selbst gefragt: Wie ist das eigentlich mit derEndlagersuche und Gorleben? – Die Kanzlerin höchst-selbst hat gesagt, sie versteht es bis heute nicht, warumGorleben nicht zu Ende erkundet wird. Diese Worte zei-gen, dass Sie ein Gorleben-Findungsgesetz schaffenwollen. Die „vertrauensbildenden“ Maßnahmen, die Siehier unternommen haben, sind keine. Legen Sie ein or-dentliches Gesetz vor, über das wir dann diskutierenkönnen, Herr Minister!
Die Haushaltspolitik im Bereich Umwelt- und Ener-giepolitik ist ein Beispiel dafür, dass bei dieser Regie-rung Klientelpolitik und Unfähigkeit zusammenkom-men. Herr Altmaier, da Sie früher ParlamentarischerGeschäftsführer waren, kommen Sie aus der Verantwor-tung nicht heraus. Jeder kann nachlesen, dass Sie dieLaufzeitverlängerungen hier gerechtfertigt haben. Siehaben den Haushalt des Umweltministeriums an den Ab-lasshandel mit den Energiekonzernen, den Atomkonzer-nen gekoppelt. Diese sollten für die Laufzeitverlänge-rung Ablasszahlungen an den Bund leisten. Das ist daserste Ding, das Ihnen um die Ohren geflogen ist, als Sienach Fukushima die taktische Wende vollzogen haben.Ich behaupte nach wie vor: bei vielen von Schwarz-Gelbin diesem Hause aus rein taktischen Überlegungen undnicht aus Überzeugung.
Das zweite Ding, das Ihnen um die Ohren fliegenwird, ist der Energie- und Klimafonds – Herr Thomae,das verwundert mich schon etwas –; denn auch er ist aufSand gebaut. Sie rechneten ursprünglich mit 23 Euro fürein Zertifikat. Augenblicklich gehen Sie in Ihren Planun-gen von 10 Euro aus. Aktuell liegt der Zertifikatspreisaber bei 6,04 Euro. Herr Thomae, Ihr Bundeswirt-schaftsminister ist dafür verantwortlich, dass wir inDeutschland und der Europäischen Union nicht sprech-fähig sind und die Doha-Konferenz wahrscheinlich ohnedie Bundesrepublik Deutschland stattfindet.
Herr Altmaier, wenn Sie hier eine „Alles ist gut“-Rede halten, dann sage ich Ihnen als Niedersachse: Ichwar in der letzten Woche in Cuxhaven. Dort sind überJahre hinweg Hunderte von Arbeitsplätzen im Offshore-bereich entstanden. Augenblicklich sind Tausende vonArbeitsplätzen an der Küste in Gefahr, weil Sie zur Ver-unsicherung beitragen, weil Sie die Weichen nicht stel-len und nicht die Investitionssicherheit gewähren, dieman bräuchte, um eine neue Technologie zu fördern. Dasist Ihre Verantwortung. Sie können sich hier nicht hin-stellen und so tun, als ob alles in Butter wäre. Nichts istin Butter; alles ist im Unklaren.
Ein Hauptproblem – das haben Sie hier angesprochen,aber Sie machen nichts dagegen – ist die Frage der
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Dr. Matthias Miersch
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Netze. Wenn Sie weiterhin diese vier Betreiber herum-wursteln lassen und Haftungsregeln nach dem Motto:„Alle Gewinne werden privatisiert, aber die Haftungbzw. die Risiken werden sozialisiert“ aufstellen, dannwerden Sie das Problem nicht lösen. Wir müssen endlichverstehen, dass die Energiewende mit der notwendigenInfrastruktur eine Frage der Daseinsvorsorge ist. Inso-fern sage ich Ihnen: Die Übertragungsnetze gehörenmehrheitlich in staatliche Hand. Wir brauchen eineNetz AG.
Hinter vorgehaltener Hand sagen das auch Ihre eige-nen Parteikollegen, zum Beispiel die an der Küste. Nur,sie setzen sich nicht durch, möglicherweise weil die FDPnach wie vor an den Markt glaubt. Wenn Sie in diesemZusammenhang um Bürgerbeteiligung ringen, dannfrage ich Sie: Warum haben wir jetzt die Situation, dassdie Bundesnetzagentur Netzplanungen macht, aber Ihreigenes Haus davor warnt, dass elementare Bereiche desUmweltrechts verletzt sind, weil es keine Alternativpla-nung gibt, Herr Altmaier? Das ist Ihre Verantwortlich-keit. Ihr Haus merkt dies an. Im Moment droht, dass Siedurch Untätigkeit und durch stümperhaftes Vorgeheneine Netzplanung machen, die auf Sand gebaut ist. Da-mit ist ein elementarer Bereich der Energiewende ge-fährdet.
Ich will einen weiteren Bereich ansprechen: die So-larindustrie. Letzte Woche sagte mir ein Projektierer:Herr Miersch, alles schön und gut, wir bekommen nochBankdarlehen, aber wenn die Bank hört, dass unser Pro-jekt mit einer deutschen Firma, die Solarmodule her-stellt, verbunden ist, bekommen wir die Zusage nichtmehr; wenn wir mit einer chinesischen Staatsfirma zu-sammenarbeiten, bekommen wir die Zusage. – LiebeKolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie sindangetreten, die Wirtschaft zu stärken. Im Bereich der Er-neuerbaren haben Sie bewiesen, dass Sie es nicht kön-nen.Die von Ihnen verursachte Investitionsunsicherheitführt dazu, dass die Menschen in diesem Bereich verun-sichert sind und sich fragen, ob sie diesen Weg weiterge-hen sollen. Sie können dankbar und hoffnungsfroh sein,dass Bürgerinnen und Bürger, kleine und große Genos-senschaften und Firmen sich von Ihnen nicht haben un-terkriegen lassen, sondern dort weitergemacht haben, woRot-Grün im Jahre 1998 mit dem Ausbau der Erneuerba-ren angesetzt hat.
– Das müssen Sie sich gefallen lassen.Meine Anmerkungen zu einem anderen Bereich müs-sen Sie sich ebenso gefallen lassen. Herr Thomae undHerr Schulte-Drüggelte, Sie haben unter anderem daraufhingewiesen: Es kostet auch. – Gestern hat die Weltbankvor der Klimaerwärmung gewarnt. Lesen Sie es einmalnach. Es geht um die Fragen: Wie teuer wird es eigent-lich für uns, wenn wir nichts tun? Wann begreifen wir indiesem Haus endlich, dass jeder Euro, den wir jetzt fürdie Energiewende ausgeben, viel stärkere volkswirt-schaftliche Folgekosten vermeiden hilft? Das müssenSie verstehen. Sie haben es bis jetzt nicht verstanden.
Das Grundproblem, mit dem Sie gestartet sind – HerrAltmaier, Sie haben heute das Zeugnis dafür geliefert;das können wir immer wieder nachlesen –, ist, dass Sienie an die Energiewende geglaubt haben. DreieinhalbJahre – das haben Sie heute gesagt – haben Sie die Ener-giepolitik vernachlässigt. Jetzt merken Sie, dass Sie esnicht können, dass Sie es nicht schaffen, und Sie wollenden Schwarzen Peter zu Ministerpräsidenten und ande-ren schieben. Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie habendie Energiewende vermurkst. Wir können nur hoffen,dass Ihre Regierungszeit schnell vorbei ist.
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mit einer guten Nachricht beginnen: Am Montaghaben der Umwelt- und der Verkehrsausschuss getagt,und die Koalition hat ihren Gesetzentwurf durch dieAusschüsse bekommen. Der sogenannte Schienenbonuswird abgeschafft.
Damit wird endlich der Lärmrabatt der Bahn abge-schafft. Die Oppositionsfraktionen haben Verbesse-rungsanträge eingebracht
und sich dann kraftvoll enthalten. Ich sage nur: Als Sieregiert haben, haben Sie die Anträge der FDP-Fraktionzum Schutz der Bürger vor Bahnlärm abgeschmettert.
Jetzt sollten Sie anerkennen, dass Schwarz-Gelb fürmehr Lärmschutz an der Bahn sorgt.
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Michael Kauch
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Meine Damen und Herren, interessant war die Aus-sage von Herrn Miersch, dass die SPD plötzlich für eineVerstaatlichung der Stromnetze ist.
Man hat also einen Kanzlerkandidaten Steinbrück, derein bisschen die Mitte bespielen soll. Aber wenn es umreale Politik geht, dann spielen Sie Linkspartei.
Das ist eine Anerkennung für uns. Damit sagen Sie näm-lich, dass es die FDP ist, die in dieser Republik für denMarkt steht, nämlich dafür, dass die Bürgerinnen undBürger ihre Innovationskraft nutzen, die Energiewendegestalten und die Herausforderungen bewältigen unddass nicht alles von Beamten und Politikern gemachtwird. Vielen Dank dafür!
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulas-
sen?
Nein.
Ich möchte als Nächstes zum Endlagersuchgesetz
kommen. Darüber haben wir am Wochenende auf dem
Parteitag der Grünen eine interessante Diskussion erlebt.
Ich finde es gut, dass es Mitglieder der Grünen gibt, die
sich zu einem ergebnisoffenen Verfahren bekannt haben,
so wie es auch die Koalitionsfraktionen wollen. Wir wol-
len, dass das Problem der Endlagerung endlich im Inte-
resse kommender Generationen gelöst wird. Die Genera-
tionen, die von der Atomkraft profitiert haben, müssen
jetzt auch dafür sorgen, dass das Müllproblem gelöst
wird. Da kann sich keiner einen schlanken Fuß machen.
Es muss danach gehen, welcher Standort tatsächlich am
geeignetsten ist.
Jetzt gibt es einen Beschluss der Grünen, der das auf-
greift, was die einen gesagt haben, nämlich dass es ein
ergebnisoffenes Verfahren geben muss, und der auch das
aufgreift, was die anderen gesagt haben, nämlich: Gorle-
ben darf nie Endlager werden. – Wie bekommen die
Grünen das zusammen?
Sie sagen: Wir führen ein ergebnisoffenes Verfahren
durch; aber die Kriterien werden so definiert, dass Gor-
leben herausfällt. – Das ist nicht ergebnisoffen, und das
ist auch nicht konsensorientiert. Sie versuchen doch nur,
sich für die nächste Bundestagswahl ein Wahlkampf-
thema zu erhalten, um von Ihrer Klientel bloß nicht in
die Verantwortung dafür genommen zu werden, dass Sie
in diesem Land vielleicht einmal eine Entscheidung tref-
fen müssen, wenn es darum geht, dass ein Standort ge-
funden wird. Sie haben ein Interesse daran, dass kein
Standort gefunden wird, meine Damen und Herren von
den Grünen.
Wir müssen also genau hinschauen, wer was sagt und
wer was tut.
Diese Koalition hat die Energiewende trotz aller Pro-
bleme auf den Weg gebracht und wird sie zum Erfolg
führen. Wir haben einen so starken Ausbau der erneuer-
baren Energien wie noch nie. Wir haben einen schnelle-
ren Netzausbau auf den Weg gebracht, mit einer stärke-
ren Kompetenz des Bundes. Jetzt müssen wir dafür
sorgen, dass wir die Kosten im Griff behalten und die
Versorgungssicherheit in der Übergangsphase gewahrt
bleibt.
Herr Kauch, die Frau Kollegin Kotting-Uhl würde Ih-
nen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an,dass wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren.Neulich habe ich gehört, was Herr Gabriel auf einerPressekonferenz gesagt hat. Man hätte meinen können,da spricht ein FDP-Politiker, wenn man das Bild ausge-blendet hätte;
die SPD-Bundestagsfraktion äußert sich heute allerdingsmal wieder anders. Herr Gabriel hat interessanterweisedas gesagt, was auch wir sagen: dass das EEG ein effek-tives Instrument war, um in der Markteinführungsphasezu möglichst vielen Anlagen zu kommen, dass es aberkein geeignetes Instrument ist, um einen Markt zu schaf-fen, in dem die Erneuerbaren die Stromversorgungmehrheitlich gewährleisten.
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Michael Kauch
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Das Problem der festen Einspeisevergütung, die wirheute haben, ist das Prinzip „Sell and forget“. Der Pro-duzent kümmert sich um die Finanzierung seiner An-lage, er muss sich aber nicht darum kümmern, wie derStrom, den er produziert, ins Stromnetz integriert wirdund beim Kunden ankommt.An diesem Punkt müssen wir bei einer Reform desEEG ansetzen. Der Weg ist im EEG 2012 bereits ange-legt: Große Biogasanlagen müssen ab 2014 in die Di-rektvermarktung einsteigen. Sie bekommen Unterstüt-zung; aber sie müssen sich einen Kunden suchen. Ichglaube, das kann man von Stromproduzenten verlangen:dass sie sich einen Kunden suchen. Das ist das Mini-mum, was ein Anbieter, der Geld verdienen will, in einermarktwirtschaftlichen Ordnung machen muss.
Wir sind dazu bereit, diese Direktvermarktung mit einerPrämie zu unterstützen; aber einen Kunden müssen sichdie Anlagenbetreiber in Zukunft dann schon suchen.
Wir müssen auch die Marktprämie reformieren. So,wie sie heute gestrickt ist, führt das zu Mitnahmeeffek-ten: Es wird immer dann eingespeist, wenn der Preishoch ist; aber ein Anreiz, nicht einzuspeisen, wenn derPreis niedrig ist, ist nicht gegeben.
– Liebe Freunde von der SPD, Sie wollten doch garkeine marktwirtschaftliche Regelung.
Wir wollen jetzt eine neue Marktprämie, einen Marktzu-schlag in Cent pro Kilowattstunde.
Das ist eine sinnvolle Lösung.
Herr Kollege.
Denn dann speisen die Anlagenbetreiber ein, wenn
der Strom auch gebraucht wird.
Herr Kollege, Ihre Zeit wäre abgelaufen gewesen.
Frau Präsidentin! – Wir als FDP stehen dafür, –
Herr Kollege.
– dass wir die Reform des Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes zügig angehen, und ich freue mich, wenn wir in
diesem Parlament Mitstreiter haben und das auch partei-
übergreifend tun können.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.
Was heißt hier „keine Redezeit gekriegt“? Die Rede-zeit wird verteilt unter den Mitgliedern des Umweltaus-schusses.
Da können nicht jedes Mal dieselben drankommen – beiuns ist das jedenfalls nicht so.Ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf eine Aussagevon Ihnen, Herr Kauch, auf eine Aussage, die einfachfalsch ist. Wenn Sie schon von Anträgen und Beschlüs-sen eines Grünen-Parteitages reden, dann sollten Siediese auch genau lesen. In dem Beschluss zur Frage derSicherheitskriterien steht – Herr Altmaier weiß das ausden Verhandlungen –, dass die Sicherheitskriterien be-reits im Gesetz festgelegt werden sollen und nicht an-schließend von einem womöglich erst noch zu installie-renden Institut. Wir wollen nämlich, dass es mit derEndlagersuche schneller vorangeht. Wir brauchen drin-gend ein Endlager. In diesem Beschluss haben wir fest-gelegt, dass die Sicherheitskriterien so gestaltet seinmüssen, dass geologisch ungeeignete Standorte im Ver-lauf des Verfahrens ausscheiden.Wenn Menschen davon überzeugt sind – und das sinddie meisten Grünen –, dass Gorleben ungeeignet ist,dann wird Gorleben im Verlauf dieses Verfahrens selbst-verständlich herausfallen. Das steht aber nicht in diesemBeschluss. In dem Beschluss steht: Wir werden nur ei-nem Gesetz zustimmen, das Sicherheitskriterien enthält,nach denen geologisch ungeeignete Standorte im Verlaufdes Verfahrens herausfallen.Jetzt frage ich Sie, Herr Kauch: Wollen Sie denn einVerfahren, in dem geologisch ungeeignete Standorte inder Auswahl bleiben?
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Herr Kauch zur Antwort.
Liebe Kollegin, was Sie fordern – dass geologisch un-
geeignete Standorte in einem Stufenverfahren aussortiert
werden –, steht bereits in dem Entwurf des Bundesum-
weltministeriums.
Wenn das der Punkt ist, auf den Sie hinauswollen, dann
können wir die Verhandlungen morgen abschließen und
zu einem Ergebnis kommen.
Aber erkennbar wollen Sie das nicht. Was wir bisher
in den Verhandlungen seitens der Grünen erlebt haben,
ist, dass Ministerpräsident Kretschmann sehr kompro-
missbereit ist, dass aber der Fraktionsvorsitzende Trittin
immer dann auf die Bremse tritt, wenn die Gefahr be-
steht, dass man zu einer Einigung kommt.
Die Grünen müssen sich jetzt überlegen, ob sie abschlie-
ßen wollen oder nicht. Wenn sie nicht abschließen wol-
len, dann bedeutet das ganz klar: Sie wollen keine Lö-
sung des Problems, sondern ein Wahlkampfthema. Das
ist doch der Punkt, meine Damen und Herren.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Michael Leutert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Debatte und die Emotionalität, mit der sie geführtwird, zeigen, dass das Thema Klima- und Umweltschutzin der Politik angekommen ist. Dies könnte natürlich et-was damit zu tun haben, dass dieses Thema in der Bevöl-kerung eine große Beachtung findet, dass es als Zu-kunftsaufgabe gesehen wird und dass dementsprechendder Blick auf uns gerichtet ist. Vor diesem Hintergrundmacht es sich ausgesprochen gut, wenn man für denKlima- und Umweltschutz viel tut und auch viel Geldausgibt. Darum soll es heute gehen.Wir haben beim Bundesumweltministerium ein Haus-haltsvolumen, das im Gegensatz zu anderen Einzelplä-nen nicht so berauschend ist. Seit dem Antritt vonSchwarz-Gelb stagniert das Volumen bei circa 1,6 Mil-liarden Euro. Vermutlich um diese Zahl in einem etwasbesseren Licht erscheinen zu lassen, steht in den Vorbe-merkungen zu Kapitel 02 eine Zusammenfassung allerUmwelt- und Klimaschutzausgaben aller Ministerien.Diese Ausgaben sind in den letzten Jahren tatsächlichgestiegen, nämlich um circa 2 Milliarden Euro auf7,6 Milliarden Euro.Unter Klima- und Umweltschutz kann man viel ver-stehen. Aber in erster Linie denkt man an erneuerbareEnergien und an Energieeinsparung. Man denkt an Um-weltforschungsprogramme, Windräder, Solaranlagen, imbesten Sinne: an grüne Technologie.Weil mich die Sache auch als Haushälter interessiert,habe ich um eine detaillierte Aufstellung der Ausgabenin allen Haushalten gebeten; diese habe ich auch bekom-men. Man sieht deutlich, dass das eine Querschnittsauf-gabe ist. Ich möchte Ihnen das einmal aufzeigen:Im Auswärtigen Amt zum Beispiel wird unter demThema Klimaschutz die Unterstützung der Minenbeseiti-gung nach Konflikten subsumiert.
Auch wird darunter die Beseitigung ehemaliger sowjeti-scher Massenvernichtungswaffen subsumiert.Im Finanzministerium zählt man zu Klima- und Um-weltschutz – Sie können das gerne nachlesen, wenn Siees mir nicht glauben –: Erstattungen an die Länder undsonstige Stellen für die Beseitigung ehemals reichseige-ner Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaf-ten und auch die Abgeltung von Schäden im Zusammen-hang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte.Auch das Verteidigungsministerium darf nicht fehlen.Es meint, zu Klima- und Umweltschutz gehörten Simu-latoren und andere Umweltschutzgeräte. Das alles kannman natürlich im weitesten Sinne unter grüner Technolo-gie subsumieren; das ist klar. Ich bin mir aber nicht si-cher, ob die Bevölkerung das ebenfalls als Klimaschutzanerkennt.Eine Nachfrage im Verteidigungsministerium hat er-geben, dass zu „Simulatoren und anderen Umweltschutz-geräten“ Folgendes zählt: der Betrieb eines Gefechts-übungszentrums, der Simulator Eurofighter, Tornado,Phantom usw., ein Truppenentseuchungs- und Entgif-tungsplatz, die Umrüstung der Fregatten, wehrtechnischeStudien unter anderem in den Bereichen neue Explosiv-stoffe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir allesollten ehrlich zueinander sein und feststellen, dass dieseMaßnahmen eher in andere Kategorien fallen, aber mitSicherheit nicht in die Kategorie „Klima- und Umwelt-schutz“.
Auf Nachfrage im BMU wurde mir erklärt – weil mirdas etwas unverständlich war –, dass es für die Meldung
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Michael Leutert
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dieser Maßnahmen keine Kriterien gäbe. Ich denke aller-dings, genau diese Kriterien wären notwendig. Deshalbkönnen wir als Linke da nur fordern, dass die Bundesre-gierung das korrigieren muss und somit für mehr Klar-heit und auch Nachvollziehbarkeit im Haushalt sorgt.
Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Ausgabenunter der Rubrik „Klimaschutz“ erst recht nicht zustim-men können.Anstatt solche Beschönigungen bei den Ausgabenvorzunehmen, sollte sich das Ministerium meines Erach-tens um zwei sehr wichtige und zentrale Themen küm-mern:Erstens. Die tatsächlich bereitgestellten Gelder imBereich Klimaschutz sollten auch wirklich so wie vorge-sehen ausgegeben werden, also tatsächlich für Klima-schutz und nicht für Panzerfahrsimulatoren. Es ist nichtakzeptabel, dass im Jahr 2011 von den im Sondervermö-gen „Energie- und Klimafonds“ dem BMU zugeteiltenMitteln lediglich 17 Prozent ausgegeben wurden. Dasheißt, 60 Millionen Euro blieben einfach liegen.Zweitens. Auch vom Kollegen Schulte-Drüggelte istschon die soziale Frage bei der Energiewende angespro-chen worden. Privathaushalte stöhnen mittlerweile unterden Preiserhöhungen. Vattenfall beispielsweise will inBerlin zum Jahreswechsel seine Strompreise um 13 Pro-zent erhöhen. Das bedeutet zum Beispiel für einen vier-köpfigen Haushalt über 140 Euro mehr im Jahr.
Aus diesem Grund haben wir einen Vorschlag gemacht.Wir machen ihn schon seit Jahren. Wir freuen uns da-rüber, dass die Grünen jetzt ebenfalls einen Vorschlagfür einen Energiesparfonds gemacht haben.In diesem Energiesparfonds muss auch eine Ab-wrackprämie für alte Stromfresser, beispielsweise alteKühlschränke, enthalten sein. Schön, dass wir uns hiereinig sind. 200 Euro Abwrackprämie schlagen wir vor.Es ist logisch, dass dies einkommensschwache Haus-halte in Anspruch nehmen werden, weil sich besserge-stellte Haushalte schon längst mit besseren Modellenausgestattet haben werden.
Strom muss für alle bezahlbar sein. Die Energiewendekann nur gelingen, wenn sie eine soziale Energiewendeist.
Man kann auch über soziale Tarife nachdenken.Denkbar ist zum Beispiel, dass die ersten Kilowattstun-den für einkommensschwache Haushalte frei zur Verfü-gung stehen. Unser Vorschlag für eine wiederum vier-köpfige Familie ist, die ersten 1 100 Kilowattstundenkostenfrei zu stellen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einigen Punktenhaben Sie sich durchringen können, unseren Überlegun-gen zu folgen, zum Beispiel bei der Praxisgebühr. Dazuhaben wir jedes Jahr einen Antrag gestellt; jetzt gab eseinen einstimmigen Beschluss dazu. Wenn Sie sich auchhier unseren Überlegungen anschließen, könnten wir unsüberlegen, diesem Haushalt zuzustimmen. Unter den jet-zigen Voraussetzungen ist das aber nicht möglich.Danke.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Hermann Ott dasWort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Der Umwelthaushalt ist nur einer derkleineren Posten in unseren Beratungen, doch gleichzei-tig einer der wichtigsten. Denn was nützt uns aller mate-rielle Reichtum, wenn das Klima verrückt spielt, wennwir unsere Küstenstädte evakuieren müssen oder wennunsere Ernährung nicht mehr gesichert ist? Gar nichts,wie auch ein aktueller Bericht der Weltbank zeigt. Diediesjährige dramatische Eisschmelze im arktischenNordmeer sowie die Verwüstungen von Hurrikan Sandyin der Karibik und den USA machen überdeutlich, dasswir nicht lockerlassen dürfen. Der Schutz unserer globa-len Ökosysteme ist zentrale Bedingung für das Wohl-ergehen aller Menschen auf diesem Planeten.
Man sollte deshalb meinen, dass Bundesregierungund Koalition mit diesem Haushalt ein deutliches Zei-chen setzen, ein Zeichen für die Bedeutung des Umwelt-und Klimaschutzes, national und international, einZeichen dafür, dass Deutschland eine Vorreiterrolle ein-nimmt, wie dies gerade auch von John Schellnhubergefordert wird, einem der früheren Berater der Bundes-regierung in Klimafragen. Stattdessen präsentiertSchwarz-Gelb einen Umwelthaushalt, der den drängen-den Herausforderungen null gerecht wird. Da, wo Sie et-was tun und doch Geld in die Hand nehmen, meine Da-men und Herren von der Regierungskoalition, tun Sieauch noch das Falsche und schädigen Umwelt undKlima. So geht das nicht.
Es ist doch überdeutlich: Sie haben die rot-grüneEnergiewende nur geerbt; Sie wollen sie eigentlichnicht. Es fehlt Ihnen der Kompass. Sie wissen gar nicht,wohin Sie steuern. Deshalb nehmen Sie blindlings dasEEG unter Beschuss. Deshalb verstümmeln Sie wichtigeKlimaschutzprogramme und packen sie in den Energie-und Klimafonds, einen Schattenhaushalt, der zu allemUnglück auch noch unter der Fuchtel des Finanzminis-ters steht. So kann das nichts werden. Da machen Siedoch den Bock zum Gärtner. Das kann nicht gutgehen.
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25194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Dr. Hermann E. Ott
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Nicht einmal das wirklich Einfache gelingt Ihnen.Zum Beispiel könnten Sie doch zumindest einen kleinenTeil der jährlich 48 Milliarden Euro an Subventionen fürklimaschädliche Maßnahmen kappen. Doch es gibt beiIhnen kein Umsteuern in der Verkehrs- und Landwirt-schaftspolitik. Selbst der Schutz der biologischen Viel-falt führt ein Schattendasein.Kurz gesagt: Dieser Haushalt ist die nackte Offenba-rung der Bundesregierung für ihre uninspirierte und ver-fehlte Umwelt- und Klimapolitik.
Eine Quittung haben Sie ja bereits bekommen; daskann ich Ihnen leider nicht ersparen. – Der Minister istleider schon weg; aber die Staatssekretärin wird ihm dassicherlich mit Freuden übermitteln. – Es geht um denGreen Climate Fund. Wer die Anhebung des europäi-schen Klimaschutzziels auf 30 Prozent nur uninspiriertverfolgt, wer die Rettung des Emissionshandels als zen-tralen Baustein der europäischen Klimapolitik nicht zurChefsache macht, der braucht sich nicht zu wundern,dass diese fatalen Signale international wahrgenommenwerden und der Sitz des Green Climate Fund nach Seoulgeht und nicht nach Bonn. Das, meine Damen und Her-ren von der Regierungskoalition, ist auch ein ErgebnisIhrer Politik, und diese verheerende desinteressierte Li-nie kennzeichnet auch Ihren Haushalt.
Wir Grünen legen Ihnen stattdessen einen Klima-schutzhaushalt vor, mit dem die Haushalts- und Finanz-politik nachhaltig ausgerichtet wird
und der mit rund 4,6 Milliarden Euro den sozial-ökologi-schen Umbau unterstützt. Wir zeigen, wie durch nach-haltiges Investieren eine Effizienzoffensive gelingenkann, wie die Verkehrswende gelingen kann
und wie wir jährlich 500 Millionen Euro für den interna-tionalen Schutz des Klimas und der biologischen Vielfaltinvestieren können. Wir machen zudem konkrete Vor-schläge, wie diese Maßnahmen gegenfinanziert werdenkönnen, zum Beispiel durch Kürzungen in Höhe von8,4 Milliarden Euro bei umweltschädlichen Subventio-nen und Steuervergünstigungen. Damit sind unsere In-vestitionen bei voller Jahreswirkung mehr als gesichert.Eines muss doch klar sein: Ein Sponsoring des Klima-wandels darf es in Deutschland nicht geben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, die umwelt- und klimapolitischen Herausforderun-gen und insbesondere die Umsetzung der Energiewendebrauchen eine solide und nachhaltige Ausrichtung derHaushalts- und Finanzpolitik. Mit diesem dürftigen Ent-wurf des Umwelthaushalts 2013 haben Sie Ihre letzteChance verpasst und den Grundstein dafür gelegt, dasswir ab 2014 den Haushalt endlich wieder umwelt- undklimagerecht gestalten können.Ich freue mich darauf und danke Ihnen.
Marie-Luise Dött hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerHaushalt 2013 des Bundes steht im Zeichen eines konse-quenten Konsolidierungskurses.
Er steht aber auch im Zeichen der Energiewende. Genaudeshalb erhöhen wir die Mittel des Umwelthaushaltestrotz der Sparerfordernisse um 3,4 Prozent bzw. 54,7 Mil-lionen Euro. Das ist ein deutliches politisches Signal fürmehr Umweltschutz, für mehr Klimaschutz und für einGelingen des Umbaus unserer Energieversorgung.
Darüber sollten wir uns als Umweltpolitiker gemeinsamfreuen.Ein Blick in den Haushalt des BMU zeigt, dass insbe-sondere der Ausbau der erneuerbaren Energien als eineder Hauptsäulen unserer Energiepolitik im Zentrum derArbeiten steht. Hier geht es um das Erreichen unsererambitionierten quantitativen Mindestausbauziele. Ichwill das deutlich sagen: Hier machen wir keine Abstri-che. Aber eines wissen wir doch auch alle: Der aktuelle,auf der Zeitschiene und auch regional unkontrollierteAusbau führt zu Kostenproblemen und zu Problemen beider Netzintegration des Stroms aus erneuerbaren Quel-len. Wir brauchen eine Verstetigung des Zubaus, und wirbrauchen eine Synchronisation mit dem Netzausbau. Esist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll und den Bürgernnicht mehr zu vermitteln, dass Strom bezahlt wird, dernicht transportiert und damit auch nicht verbraucht wer-den kann. Das muss in einer Haushaltsdebatte auch ein-mal gesagt werden.
Ja, das EEG hat sich als Instrument bei der Marktein-führung der Erneuerbaren bewährt. Aber so, wie dasEEG konstruiert ist, kann es die neuen Herausforderun-gen nicht bewältigen. Genau deshalb brauchen wir einegrundlegende Reform. Wie diese Reform aussieht, dasmüssen wir gemeinsam diskutieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25195
Marie-Luise Dött
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Ich kenne bislang eine Vielzahl von Vorschlägen: dasQuotenmodell, den Energiesoli, den Vorschlag der grund-sätzlichen Beibehaltung des EEG oder die Entlassungder Erneuerbaren in den Markt. Gleichzeitig gibt es Ge-genargumentationen zu jeder dieser Ideen. Wem derAusbau der erneuerbaren Energien wirklich am Herzenliegt, der muss sich Zeit nehmen, alle diese Vorschlägesehr gründlich zu analysieren und zu diskutieren.
Nichts wäre für die Energiewende schlimmer, als wennwir jetzt mit einem Schnellschuss Fehler machten.
Das Erreichen unserer Ausbauziele steht auf dem Spiel.Es geht um die Akzeptanz der Förderung der erneuerba-ren Energien bei den Bürgern. Es geht um Sicherheit fürInvestoren, und es geht um die sichere Versorgung desWirtschaftsstandorts mit bezahlbarer Energie.Angesichts dieser Herausforderungen ist es richtig,mit den Arbeiten sofort zu beginnen. Es ist aber auchrichtig, die konkreten Schlussfolgerungen erst auf derGrundlage sicherer Erkenntnisse und nach einer gesell-schaftlichen Diskussion umzusetzen.
Genau das hat Peter Altmaier mit seinem Verfahren zurNeuregelung des EEG vorgeschlagen.
Dafür hat er unsere Unterstützung und unsere Zusage alsFraktion, dass wir uns konstruktiv in die Diskussion ein-bringen werden.Es gibt aber Handlungserfordernisse beim Ausbau dererneuerbaren Energien jenseits der Weiterentwicklungdes EEG. Dazu gehören zum Beispiel die Entwicklungund breitere Markteinführung von modernen Speicher-technologien insbesondere für PV-Anlagen. Es ist rich-tig, dafür umgehend Anreize zu schaffen. Wir unterstüt-zen den derzeit in der Abstimmung befindlichenVorschlag des Bundesumweltministers für ein Markt-anreizprogramm mit einem Umfang von 50 MillionenEuro für dezentrale Stromspeicher. Wir brauchen dieseSpeicher, um den Strom besser zu verwerten und gleich-zeitig die Netze zu entlasten. Zusätzliche Mittel werdenauch bei der Forschung im Bereich der erneuerbarenEnergien bereitgestellt. Dort stehen im nächsten Jahr158 Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen noch57 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds.Damit bleiben die erneuerbaren Energien ein zentralerBereich der Förderung von Zukunftstechnologien.Eine kosteneffiziente Förderung der Erneuerbaren,die Koordination des Ausbaus zwischen Bund und Län-dern und Innovationen sind die Voraussetzungen für dasErreichen unserer Ziele. Genau da setzen wir die politi-schen Prioritäten, und genau das zeigt auch der Haushalt2013.
Meine Damen und Herren, wir haben im Bereich derEndlagerung radioaktiver Abfälle zwei zentrale Geset-zesvorhaben, die jetzt zügig umgesetzt werden müssen.Minister Altmaier hat schon den Sachstand erläutert. Esgibt aus meiner Sicht keine unüberbrückbaren Problemein der Sache.Einen wichtigen Punkt möchte ich zum Schluss nochansprechen, der mir besonders wichtig ist, nämlich diesteuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanie-rung.
– Ich bitte darum.
Ich hatte dieses Thema bereits vor einem Jahr genau andieser Stelle angesprochen. Ich hatte Sie, meine Damenund Herren von SPD, Herr Kelber, und Bündnis 90/DieGrünen, gebeten, mitzuhelfen, die Blockade Ihrer Bun-desländer im Bundesrat aufzulösen. Aber es ist nichtspassiert.
Ihre Länder haben dafür gesorgt, dass wir ein Jahr verlo-ren haben.Meine Damen und Herren, die Bürger warten; dasHandwerk und der Mittelstand warten. Morgen tagt er-neut der Vermittlungsausschuss zu diesem Thema. Dannhaben die von Ihnen geführten Landesregierungen dieChance, Ihren Worten für den Klimaschutz und die Ener-gieeffizienz Taten folgen zu lassen.
Wenn Ihnen Energieeffizienz wirklich am Herzen liegt,dann greifen Sie zum Telefon und leisten Sie bei Ihrenrot-grün regierten Ländern Überzeugungsarbeit.
Es wäre übrigens auch für die Kollegen, die zur Klima-konferenz nach Doha fahren, gut, Herr Ott, einen weite-ren, sehr konkreten Baustein für unsere anspruchsvolleKlimapolitik im Gepäck zu haben.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ulrich Kelber hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ungewöhnlich freimütig hat Bundesumwelt-minister Altmaier zu Beginn seiner Rede vor wenigenMinuten zugegeben, dass Schwarz-Gelb sich dreieinhalbJahre lang nicht für die Energiepolitik interessiert hat.
Jetzt, mit dem Bundeshaushalt 2013, werden auf einmalwenige Monate vor der Wahl für diesen PolitikbereichDutzende neue Stellen beim Umweltministerium undbeim Wirtschaftsministerium geschaffen. Ich habe aller-dings keine Hoffnung, dass dies dazu führen wird, dassder Dauerstreit zwischen den Ministern und den Ministe-rien aufhört.Wir haben einen Wirtschaftsminister, der sein HausEntwürfe zum Erneuerbare-Energien-Gesetz schreibenlässt, für das eigentlich der Umweltminister zuständigist,
statt sich um Energieeffizienz, Netzmodernisierung oderDurchsetzung von Wettbewerb zu kümmern.Wir haben einen Umweltminister, der versucht, dasals neu zu verkaufen, was sein Vorvorgänger Gabrieleingeführt und sein Vorgänger Röttgen ausgebaut hat,nämlich die kostenlose Energieberatung. Außerdemhofft er noch, dass ihm in den Schoß fällt, dass die Um-lage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 sinkt.Ich habe dem Umweltminister im Netz eine Wette ange-boten, die er bisher nicht angenommen hat. Ich habe ge-sagt: Herr Altmaier, Sie haben so viel Unsinn in das Er-neuerbare-Energien-Gesetz – ich rede von der Umlage –aufgenommen, dass, wenn Sie keine weiteren Fehler inRichtung Verteuerung machen, diese Umlage 2014 auto-matisch sinkt. – Er will sich nur mit fremden Federnschmücken und vergessen machen, dass er als Ministerfür die größte Strompreisanhebung in der Geschichte derBundesrepublik Deutschland verantwortlich ist, die zum1. Januar 2013 stattfindet.
Schwarz-Gelb schafft es nicht, das Chaos in der Ener-giepolitik abzustellen. Schwarz-Gelb ist nicht dazu be-reit, die Investitionen in die Energieversorgung sparsamund sozial ausgeglichen zu gestalten. Wer soll denn ei-gentlich nach drei Jahren hü und hott, hin und her, zickund zack in der Energiepolitik noch investieren? DasWahlkampfmanöver der FDP, auf die erneuerbaren Ener-gien einzudreschen in der Hoffnung, es müsse doch inDeutschland 5 Prozent Gegner der erneuerbaren Ener-gien geben,
hat jetzt schon dazu geführt, dass es schwierig ist, Kre-dite für langfristige Programme zu bekommen.Bei der Bundesregierung ist in Sachen Energieeffi-zienz Hopfen und Malz verloren. Deutschland ist unterden 27 EU-Mitgliedstaaten dasjenige Land, das in Brüs-sel am häufigsten versucht, die EU-Energieeffizienz-pläne zu blockieren. Dabei geht Deutschland noch hinterdie eigenen, nationalen Ziele zurück. So sahen die Ver-handlungen aus, die zunächst vom Wirtschaftsministe-rium geführt und vom Umweltministerium unterstütztwurden.Es gibt keine Energieeffizienzfonds, die Mittel für dieGebäudesanierung sind zusammengestrichen worden– ich werde Ihnen gleich etwas zu den Zahlen sagen –,und dann kommt der Bankraub bei der Kreditanstalt fürWiederaufbau dazu. Eine Zwangsdividende von 1 Mil-liarde Euro wird aus dieser Förderbank herausgezogen.Wo soll die eigentlich eingespart werden: bei der Gebäu-desanierung, bei dem Marktanreizprogramm, beim al-tersgerechten Umbau, bei den Existenzgründungen oderbei den Investitionen in erneuerbare Energien? Haus-haltszahlen schönen, indem man Gelder, die für Investi-tionen in die Zukunft gedacht sind, plündert – was füreine Wahnsinnsidee von Schwarz-Gelb!
Wo ist denn nach drei Jahren Schwarz-Gelb dasFundament für die Modernisierung von Verteil- undÜbertragungsnetzen? Etwa bei der Südwestkuppellei-tung? 1 Gigawatt zusätzliche Kapazität von Windenergieaus Brandenburg und Sachsen-Anhalt soll nach Süd-deutschland gebracht werden. Ende nächsten Monats istdiese Leitung in Sachsen-Anhalt und Thüringen fertig.In Bayern, lieber Josef Göppel, haben die Genehmi-gungsbehörden noch nicht einmal mit dem Genehmi-gungsverfahren begonnen, obwohl es zum gleichen Zeit-punkt wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt beantragtwurde. Besteht darin die Energiepolitik dieser schwarz-gelben Landesregierung?
Natürlich wären wir mit den Gleichstromleitungenweiter, wenn nicht Katherina Reiche als Staatssekretärinund der heutige Umweltminister Altmaier in der GroßenKoalition genau diesen Vorschlag von Sigmar Gabriel ineinem 50 Meter von hier entfernten Raum abgelehnt hät-ten. Wir brauchen keine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen – das war die Linie von CDUund CSU. Heute, sechs Jahre später, hätten wir sie wahr-scheinlich schon fertiggestellt und müssten nicht mehrdarüber reden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25197
Ulrich Kelber
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Ich wundere mich auch über das Schweigen des Um-weltministers zu so vielen Wortmeldungen. Der Energie-kommissar Oettinger, früherer CDU-Ministerpräsident,und Herr Reul, CDU-Europaabgeordneter, fordern, diedeutschen Energiegesetze durch eine Quotenregelungfür erneuerbare Energien in Europa abzulösen. Was sagtder Umweltminister dazu? Was sagt er dazu, wenn FrauDött, umweltpolitische Sprecherin, Herr Pfeiffer, wirt-schaftspolitischer Sprecher, Herr Fuchs, stellvertretenderFraktionsvorsitzender, und Herr Bareiß, energiepoliti-scher Sprecher, für einen Stopp der Energiewende in ver-schiedenen Veranstaltungen werben? Auch dazuschweigt er.Die soziale Energiewende ist Schwarz-Gelb egal.Nach dem Rollgriff in die Sozialkassen – Sie haben aufdem Koalitionsgipfel 10 Milliarden Euro aus der Ren-ten-, der Arbeitslosen- und der Krankenversicherung inden Bundeshaushalt umgelenkt – und nach der Verwei-gerung des Mindestlohns tun Sie nichts gegen steigendeEnergiepreise. Ich nenne das Beispiel der Gebäudesanie-rung. Frau Dött und andere behaupten immer, die Bun-desländer seien nicht bereit, ihren Vorschlag mitzutra-gen. Warum sind die Bundesländer denn nicht bereitdazu? Weil Sie zwei Sachen gemacht haben: 2009 hatSchwarz-Gelb 2,25 Milliarden Euro pro Jahr für Gebäu-desanierung im Bundeshaushalt vorgefunden und danndie Mittel auf 500 Millionen Euro im Jahr gekürzt. Beider Kreditanstalt für Wiederaufbau, die die Kredit- undFörderprogramme finanzieren soll, wird jetzt eineZwangsdividende von 1 Milliarde Euro eingeführt. Manändert extra ein Gesetz, um dieses Geld dort abziehen zukönnen. – Sie nehmen also über 3 Milliarden Euro he-raus und sagen: Bundesländer, gleicht aus, was wir alsschwarz-gelbe Bundesregierung zusammenstreichen. –Das ist einfach unverschämt.
Zum Strompreis. Bei der Umlage gibt es Befreiungenwie aus dem Tollhaus, für die die Privathaushalte undGewerbebetriebe zahlen müssen. Werden diese Befrei-ungen denn jetzt überprüft, Frau Reiche, oder nicht? ImMorgenmagazin sagte Herr Altmaier: Ja. In der offiziel-len Antwort an den Deutschen Bundestag steht, dasUmweltministerium habe eine Studie in Auftrag gege-ben, die am 31. Juli 2014 fertig sein solle. Wird das nunstattfinden, oder nicht?Es bleibt die Frage, ob die Energiewende nach Mei-nung von Schwarz-Gelb überhaupt effizient, effektivund sozial ausgewogen gestaltet werden soll oder ob esnicht vielmehr so ist, wie der wirtschaftspolitische Spre-cher der CDU/CSU, Joachim Pfeiffer – jetzt leider nichtanwesend – am 23. August 2012 im Handelsblatt er-klärte: Die Bürger wollten die Energiewende; jetzt sollensie sie bezahlen. – Das ist nämlich die Haltung, die beiSchwarz-Gelb aus allen Poren spricht.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Michael Kauch das Wort.
Lieber Kollege Kelber, Ihre Behauptungen werdennicht besser, wenn Sie sie bei jeder Debatte wiederholen.
Sie haben heute erneut gesagt, wir hätten die heroischenHaushaltszahlen der SPD zur Gebäudesanierung zusam-mengestrichen. Ich halte fest: Der SPD-Minister, der da-mals für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuständigwar, hat ein Programm zur Konjunkturstabilisierung von3 mal 1,5 Milliarden Euro bewilligt bekommen. Es warein befristetes Programm. Diese Koalition hingegen hatein dauerhaftes Programm zur Gebäudesanierung aufge-legt. – Das ist der erste Punkt, lieber Herr Kelber.Der zweite Punkt ist folgender: Die 2,2 MilliardenEuro, von denen Sie sprechen, haben Sie sich im Wahl-jahr zusammengeklaubt, indem Sie Geld aus den Folge-jahren in das Wahlkampfjahr gezogen haben, damit IhrSPD-Bauminister durchs Land ziehen und zeigenkonnte, was er Tolles für die Gebäudesanierung macht.Deshalb waren die Töpfe leer, als wir die Regierungübernommen haben. Das ist die Wahrheit – und nichtdas, was Sie hier immer behaupten.
Wenn Sie wieder mit den energieintensiven Unterneh-men anfangen,
dann bitte ich Sie, sich einmal anzuschauen, wer allesvon der Umlage befreit ist. Es ist nämlich kein Golfplatzin Deutschland befreit.
Auch der Deutsche Wetterdienst, von dem Sie Grüne im-mer reden, ist nicht befreit. Vielmehr sind es zum einenmittelständische Unternehmen, Unternehmen des indus-triellen Mittelstandes,
und zum anderen zum Beispiel die Deutsche Bahn unddie U-Bahnen in den großen Ballungszentren. Jetzt frageich die SPD: Halten Sie es für umweltpolitisch vertret-bar, die Fahrpreise in München, in Berlin und im Rhein-Ruhr-Gebiet zu erhöhen, weil Sie die Stromvergünsti-gungen für die U-Bahnen streichen wollen?
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25198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Michael Kauch
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Sind Sie bereit, die Fahrpreiserhöhungen für die Deut-sche Bahn zu übernehmen? Das ist die Frage, der Siesich stellen müssen, anstatt den Leuten in Bezug darauf,wer hier alles von Ausnahmen profitiert, immer Sand indie Augen zu streuen.Vielen Dank.
Herr Kollege Kelber hat das Wort zur Antwort.
Herr Kollege Kauch, ich muss mich manchmal fra-
gen, ob Sie die Dinge wirklich nicht nachgelesen haben
oder ob Sie sie absichtlich verdrehen. Wenn Sie nachle-
sen würden, könnten Sie feststellen, dass die SPD den
Vorschlag gemacht hat, die Ausnahmen wieder auf den
Stand des Jahres 2009 zurückzuführen. Da im Jahr 2009
die Deutsche Bahn und die U-Bahnen aufgrund einer
Initiative der SPD befreit waren, ist das, was Sie gerade
gesagt haben, also völliger Unsinn.
Meine Bitte: Man sollte sich informieren, bevor man re-
det – und nicht umgekehrt.
Zum Zweiten: Haben Sie eigentlich gemerkt – dieje-
nigen, die Ihnen applaudiert haben, wahrscheinlich
nicht –, dass Sie sich im ersten Teil selbst widersprochen
haben? Sie haben nämlich zwei Dinge gleichzeitig be-
hauptet. Zuerst haben Sie gesagt, die SPD – wir waren
übrigens in einer gemeinsamen Regierung mit CDU und
CSU und konnten gar nichts alleine beschließen – habe
ein befristetes Programm zur Gebäudesanierung nur für
ihre Wahlperiode aufgelegt,
um danach zu behaupten, der Minister habe die Gelder
aus den Folgejahren dafür verwendet, sodass Sie gar
nichts vorgefunden hätten. Das ist ja schon ein Wider-
spruch in sich.
In den Weltwirtschaftskrisenjahren ab 2008 hat die
damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD zu Recht
beschlossen: Kein Antrag auf Gebäudesanierung bleibt
ohne Zuschlag. – Das war natürlich alles andere, als, wie
es danach geschehen ist, die Mittel auf 500 Millionen
Euro oder auf null zu reduzieren – Sie haben zwischen-
zeitlich ja unter 500 Millionen Euro bereitgestellt –;
vielmehr war es eine Aussage mit Blick auf die mittel-
fristige Finanzplanung in dieser Regierungszeit.
Es bleibt bei den Zahlen: In allen Jahren der damali-
gen Regierungskoalition sind über 1,5 Milliarden Euro
für dieses Programm ausgegeben worden. Sie streichen
die Mittel auf 500 Millionen Euro. Die ergänzenden Mit-
tel, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau bisher aus ei-
gener Kasse aufbringen konnte, werden Sie durch Ihre
Zwangsdividende von über 1 Milliarde Euro auch noch
abziehen, frei nach dem Motto: Was ist schon ein Bank-
raub gegen eine Zwangsdividende?
Der Kollege Josef Göppel hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Angesichts des lebhaften Debattenverlaufs will ich kurzden Blick auf die Mitte des Aufgabenfeldes diesesMinisteriums richten – an der Wand seitlich hinter mirerscheint der entsprechende Begriff elektronisch –: Na-turschutz. Die Titelgruppe „Naturschutz“ umfasst geradeeinmal so viel wie die Steigerung der Mittel von 2012auf 2013, nämlich 49 Millionen Euro. Man braucht nichtviel Geld für den Naturschutz. Die Mitgeschöpfe desMenschen, die wildlebenden Pflanzen und Tiere, brau-chen nur etwas Zurückhaltung des Menschen. Die Tierebrauchen nur etwas Platz, wo sie Nahrung finden undihre Jungen aufziehen können.Es gibt das Programm „Biologische Vielfalt“, dessenFinanzierung noch Norbert Röttgen beim Bundesfinanz-minister durchsetzen konnte. Ich möchte an dieser Stelleder Naturschutzabteilung des Umweltministeriums undauch dem Bundesamt für Naturschutz für die engagierteUmsetzung dieses Programms danken.Aber die Musik spielt in der Agrarförderung. Ichspreche den Europäischen Rat an, der am Donnerstagdieser Woche stattfinden wird. Dort fallen die Grund-satzentscheidungen über die Agrarförderung, auch imHinblick auf die Einrichtung ökologischer Vorrangflä-chen.
Der Nutzungsdruck ist in den vergangenen zehn Jahrengewachsen. Wir haben bei Allerweltsarten wie dem Kie-bitz oder der Feldlerche Populationseinbrüche bis auf dieHälfte. Wenn es nicht gelingt, ein bisschen Fläche für dieArtenvielfalt zu reservieren, dann werden wir dieses Zielnicht erreichen können.
– Warten Sie, was ich noch zu sagen habe, bevor SieBeifall spenden. – Dabei ist es wichtig, zu sehen: Wirbrauchen für dieses Ziel keine Stilllegung. Es ist durch-aus möglich, Klee oder Luzerne auf den ökologischenFlächen zuzulassen. Entscheidend ist nur, dass das soge-nannte Greening im Rahmen der Agrarförderung ver-pflichtend durchgeführt wird, weil wir sonst in denGunstlagen keine ökologischen Flächen bekommen, ob-wohl wir sie dort am dringendsten brauchen, währendwir in den Mittelgebirgen umso mehr ökologische Flä-chen erhalten, obwohl wir dort schon genug haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25199
Josef Göppel
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Insofern ist es wichtig, eine nutzungsorientierte Bewirt-schaftung der ökologischen Flächen zuzulassen. Gleich-zeitig bitte ich das Umweltministerium in der Ressortab-stimmung für den Europäischen Rat in dieser Woche aufjeden Fall auf dem verbindlichen Greening zu beharren.
Es gibt noch ein weiteres Thema, das mit Europa zutun hat: das EEG und die Frage, wie es in Europa damitweitergeht. Ich sage hier für die CSU: Wenn der Bericht-erstatter im Europäischen Parlament Reul oder gar derEU-Kommissar Oettinger das EEG durch bestimmteMaßnahmen zugunsten gesamteuropäischer Planungenwirkungslos machen will, dann machen wir da nicht mit.
Man darf die Instrumente, die funktionieren, nicht aufge-ben in einer Zeit, in der sich Siemens und Bosch vonDesertec zurückziehen und der Emissionshandel seineSteuerfunktion für den CO2-Ausstoß eingebüßt hat.Wir hatten gestern das erste Bundestreffen der Deut-schen Energiegenossenschaften in Berlin. Peter Altmaierhat als Hauptredner eine beeindruckende Rede gehalten.Er hat gespürt, wie viel Aktivität und Herzblut die500 Teilnehmer, die versammelt waren, in die Energie-wende hineinlegen, dass man darauf getrost aufbauenkann. Natürlich muss das EEG reformiert werden. Dassogenannte Marktdesign beim Strom muss reformiertwerden, zum Beispiel in Richtung lastnäherer Erzeu-gung;
denn das Marktdesign ist immer noch auf wenige großeErzeuger ausgerichtet und nicht auf die Masse der Klein-erzeuger. Die Kleinerzeuger denken aber heute schondarüber nach, wie sie am Ende der EEG-Zeit ihre Ange-bote so mischen, dass sie zu einer verlässlichen Strom-versorgung kommen und auf diese Art und Weise markt-fähig werden. Das hat sich gestern ganz deutlich gezeigt.Man konnte sehen, wie die Teilnehmer aus allen TeilenDeutschlands die Energiewende praktisch vollziehen.Sie läuft in der Praxis oft besser, als es in den Mediendargestellt wird.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung.Hierzu liegen acht Änderungsanträge vor, über die wirzuerst abstimmen. Wir beginnen mit den drei Ände-rungsanträgen der Fraktion der SPD.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11524? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen bei Zustimmung von SPD und Grü-nen und Enthaltung der Linken.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11525? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak-tionen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11526? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünenbei Enthaltung der Linken.Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen derFraktion Die Linke.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11506? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen und der SPD bei Zustimmung derLinken und Enthaltung der Grünen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11507? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver-hältnis wie zuvor abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11508? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen bei Zustimmung der Linken undder Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11509? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver-hältnis wie zuvor abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache17/11510? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken beiEnthaltung von SPD und Grünen.Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 16 ist angenom-men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der Oppositionsfraktionen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:Einzelplan 15Bundesministerium für Gesundheit– Drucksachen 17/10814, 17/10823 –Berichterstattung:Abgeordnete Alois KarlEwald SchurerOtto FrickeMichael LeutertKatja Dörner
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25200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion DieLinke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung istfür die Aussprache eine und eine halbe Stunde vorgese-hen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht derFall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstemRedner das Wort dem Kollegen Professor Dr. KarlLauterbach von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich will einsteigen, indem ich versuche, eine ArtBilanz darüber zu ziehen, was die Regierung vorzuzei-gen hat.
– Hier wird eingeworfen, dann könne meine Rede kurzsein. Ich glaube aber, dass hier auch kritische Punkte ge-würdigt werden müssen. Wenn nur das Positive Erwäh-nung fände, wäre ich wahrscheinlich schon kurz vor demAbspann.Wir haben zunächst einmal festzuhalten: Es hat einedeutliche, geradezu historische Beitragssatzerhöhunggegeben. Diese hat zu Überschüssen bei den Kranken-kassen geführt, und diese Überschüsse werden jetzt alsbesonders gutes Wirtschaften verkauft, als ob die Re-formgesetze dies bewirkt hätten. Im Prinzip war es abernichts anderes als eine plumpe Beitragssatzerhöhung.Diese ist einhergegangen mit der Einführung von Kopf-pauschalen für den Bürger. Die Kopfpauschale ist alsobeschlossen worden. Man hatte aber so große Angst vorder Umsetzung der Kopfpauschale, dass man gleichzei-tig den Beitragssatz derart stark erhöht hat, um die Ein-führung der Kopfpauschale möglichst zu verhindern.
Die Mittel der Versicherten werden großzügig ausge-geben. In der Summe haben wir jetzt folgendes System:Es gibt einen Einheitsbeitragssatz, der zu hoch ist, undkeinen Wettbewerb. Das wäre ungefähr das Ergebnis ei-ner Reform, das ich erwartet hätte, wenn das Ressort– bei allem Respekt – von den Kollegen der Linksparteigeführt worden wäre. Das ist aber nicht das, was ich voneiner wettbewerbsorientierten FDP oder von der Unionerwartet hätte.
Wenn die Kopfpauschale schließlich kommt, werdendie Rentner natürlich zuerst belastet sein. Unmittelbarnach Einführung der Kopfpauschale wird die von Frauvon der Leyen derzeit angepriesene Anerkennung derLebensleistung geringverdienender Frauen in Höhe vonetwa 10 Euro bei der Rente aufgefressen sein.
Die Strukturreformen will ich hier im Einzelnen wür-digen. Zunächst einmal ist im Bereich der fachärztlichenVersorgung der niedergelassene Spezialfacharzt einge-führt worden. Das hat dazu geführt, dass den Versor-gungsfachärzten, das heißt den Fachärzten, die die Ver-sorgung insbesondere in den Großstädten sicherstellen,die lukrativen Fälle entzogen werden.
Diese Reform hat im Prinzip zu einer Verschlechterungder fachärztlichen Versorgung geführt.Zum Bereich der Hausarztversorgung genügt es, zusagen, dass der Hausärzteverband sehnsüchtig daraufwartet, dass die Zeiten dieser schwarz-gelben Regierungzu Ende sind. Die Hausarztverträge wurden abgeschafft.Die bestehenden Hausarztverträge sind gefährdet. DerHausarztberuf ist unattraktiver geworden. Mittlerweilewird nur noch jede 15. Facharztanerkennung für Haus-ärzte ausgesprochen. Die Hausärzte überaltern; es gibtzu wenige Hausärzte. Das Problem ist in dieser Legisla-turperiode noch einmal deutlich verschärft worden.Wir haben außer Lamentieren des Ministeriums überdiesen Zustand nichts gehört. Wir alle erinnern uns andie peinlichen Vorschläge des damaligen Ministers fürGesundheit und heutigen – man glaubt es kaum – Vize-kanzlers Rösler, dass man die Abiturnote für zukünftigeHausärzte großzügiger bemessen sollte, als ob der Haus-arzt in Zukunft ein schlechteres Abitur brauchte.
Sonst ist da nichts gekommen. Die Hausarztversorgungim Land verschlechtert sich stündlich, und es passiertnichts.Sie haben im Bereich der Vorbeugung nichts vorzu-weisen; die Kollegin Bas wird das nachher noch ausfüh-ren. Nur so viel: Der Bereich der Vorbeugung ist einerder wenigen Bereiche, in denen überhaupt gespartwurde. Ausgerechnet bei der Vorbeugung wird im Haus-halt Geld gespart. Das ist so ähnlich, als ob der Landwirtdie Saat verfüttert. Es gibt kein Präventionsgesetz.Wir haben im Bereich der Krankenhausversorgungkein Gesetz, keine Initiative zur Beseitigung des Pflege-notstands. Gegen den Pflegenotstand – immer wiedereloquent von der Bundesregierung angesprochen – wirdnichts gemacht, als ob Sie nicht regieren würden.
Sie haben die Spezialisierung der Krankenhäuser einStück weit zum Erliegen gebracht, weil Sie die Mehr-erlöse heute schlechter ausgleichen. Im Bereich derHilfs- und Heilmittel gibt es keinerlei kostensenkendeMaßnahmen. Lediglich ist eine Regelung eingeführtworden, nach der sich Hilfsmittelhersteller genauso wiedie Pharmaindustrie an der integrierten Versorgung be-
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Dr. Karl Lauterbach
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teiligen können, und zwar direkt. Das war eine Einla-dung zu einer halblegalen Form der Korruption.
Dieses Gesetz beschäftigt die Staatsanwälte heute mehrals die Bürger. Wir haben im Bereich der Hilfs- undHeilmittel eine große Kostendynamik. Die integrierteVersorgung ist nicht vorangekommen.Es gibt auch keine echte Vernetzung der Sektoren.Das ist eines der wichtigsten Themen unseres Gesund-heitssystems: Wie sollen Hausarztversorgung, Facharzt-versorgung und Krankenhausversorgung vernetzt wer-den? Auf dieser Baustelle ist nichts passiert. Sie habennicht eine einzige Initiative auf den Weg gebracht, ob-wohl dort große Effizienz- und Qualitätsreserven in un-serem Gesundheitssystem liegen.Es gab keine brauchbare Pflegereform, nur eine platteBeitragssatzerhöhung. Der Pflegebegriff ist nicht verän-dert worden. Wir haben ein misslungenes Geschenk andie PKV gesehen: Der Pflege-Bahr ist eingeführt wor-den. Er wird aber von so gut wie keiner privaten Kran-kenversicherung angeboten, weil er so bürokratisch ist,dass selbst die Assekuranz nicht in der Lage ist, diesesWahlgeschenk der FDP anzunehmen; man ist ratlos, wieman das Geschenk auspacken soll.In der Summe lautet die Bilanz, wenn man ehrlich ist:Das meiste hat entweder geschadet oder nichts gebracht.Das ist eine magere Bilanz. Das System – das kann manfesthalten – ist teurer geworden. Der Wettbewerb ist zumErliegen gekommen.
Das hören Sie ungern; aber im Prinzip waren es verlo-rene Jahre. Es hat ja auch schlecht angefangen: Sie ha-ben sich gegenseitig als „Wildsau“ oder als „Gurken-truppe“ beschimpft. Da konnte man schon erahnen, dassnicht viel passieren wird. Man ist bei der Fortentwick-lung des Gesundheitssystems nicht weitergekommen.Die Bürger sind aber nicht so dumm, wie FDP undUnion vielleicht glauben. Die Bürger sind zu 70 Prozentmit Ihrer Arbeit unzufrieden. Es ist nur eine Frage derZeit, bis auch die Bundeskanzlerin in den Sog der Unzu-friedenheit gezogen wird.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christine
Aschenberg-Dugnus von der FDP-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kollege Lauterbach, es war schon put-zig, was Sie hier vorgetragen haben. Man denkt immer,Sie leben in einer anderen Welt, irgendwo in einemLauterbach-Paralleluniversum. Sonst hätten Sie nicht soeine Bilanz vorgetragen.Ich möchte nur kurz auf Punkte eingehen, die Sienicht vorgetragen haben. Wir haben das AMNOG verab-schiedet. Damit haben wir die Pharmakosten reduziert.Wir haben das GKV-Versorgungsstrukturgesetz einge-bracht. Damit ist die Versorgungssicherheit im ländli-chen Raum sichergestellt.
– Da können Sie schreien, wie Sie wollen. – Wir habendas Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz verabschiedet. Mitdiesem Gesetz haben wir erstmals Leistungen für De-menzerkrankte festgeschrieben. Bei Ihnen gab es einenBetreuungsbetrag von 100 bzw. 200 Euro für niedrig-schwellige Leistungen und Angebote. Wir sehen in denPflegestufen 0 bis II ganz konkrete Leistungen vor. Daskönnen Sie nicht wegdiskutieren.
Wir fördern alternativen Wohnformen, und wir tun et-was für pflegende Angehörige. Wir haben das Patienten-rechtegesetz verabschiedet. Wir tun konkret etwas fürdie Patientensicherheit, für die Ärzte und für die Patien-ten. Sie haben lediglich eine Broschüre aufgelegt. Mehrkönnen Sie in Ihrer Bilanz – Sie haben zehn Jahre langZeit gehabt – nicht aufweisen. Wir haben eine NationaleStrategie zur Drogen- und Suchtpolitik vorgelegt. Das istFrau Bätzing während ihrer Amtszeit nicht gelungen.Wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen. Ich habe nureinige Punkte angesprochen. Was Sie getan haben, warmehr als mager. Über den Haushalt haben Sie kein einzi-ges Wort verloren. Das kann nur bedeuten, dass Sie ihn,so wie er ist, in Ordnung finden. Der Haushalt ist auch inOrdnung, so wie er ist.
Der Haushalt, den wir verabschieden werden, ist derNachweis dafür, dass wir als christlich-liberale Koalitiondie richtigen Schwerpunkte setzen. Einer der beidenAufgabenschwerpunkte ist die Gesundheitsförderungdurch gesundheitliche Aufklärung. Hier ist jeder Eurogut und richtig eingesetzt.
Die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung solltefür uns alle ein zentrales Anliegen sein. Wir gehen voneinem Menschenbild des mündigen, aufgeklärten und ei-genverantwortlichen Bürgers aus. Statt den Menschenmit Verboten zu kommen, wie wir sie häufig von IhrerSeite hören, oder ihnen Einschränkungen aufzuerlegen,die zu einem vermeintlich besseren Leben führen sollen,setzen wir auf die Kraft der freien Entscheidung. Wirwollen, dass die Menschen einen möglichst hohen Wis-
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Christine Aschenberg-Dugnus
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sensstand in Bezug auf Gesundheit, Gesunderhaltungund Krankheitsvermeidung haben. Nur so können wirgewährleisten, dass das eigene Gesundheitsverhaltenpositiv beeinflusst wird.Die Prävention ist eines der Leitbilder unserer Aktivi-täten. Wir erleichtern und unterstützen gesundheitsför-derndes Verhalten. Wir fördern gezielt – um nur einenPunkt zu nennen – die Gesundheit von Kindern und Ju-gendlichen, die einen besonderen Ansatz wert ist. DieseZielgruppe ist besonders relevant bei der Bekämpfungdes Suchtmittelmissbrauchs, aber auch bei der Förde-rung gesunder Ernährung. Durch zielgruppenspezifi-sche BZgA-Projekte konnte erreicht werden, dass dieZahl der jugendlichen Raucher so niedrig ist wie nochnie. Sie sehen: Es wirkt! Gerade im Hinblick auf Sucht-mittel ist es von zentraler Bedeutung, dass Kinder undJugendliche in ihrer eigenen Welt angesprochen werden;das ist das Entscheidende. Es geht dabei gerade nicht umVerbote. Wer Kinder hat, der weiß: Der erhobene Zeige-finger bringt gar nichts. Wir wollen: Vorleben, Aufklärenund Stärkung der Verantwortlichkeit.
Besonders erfreulich ist die Aufstockung der BZgA-Mittel zur Finanzierung der Organspendekampagne unddes Druckes von Spenderausweisen. Uns allen ist klar,dass immer noch viel zu viele Menschen auf ein Spen-derorgan warten und versterben, weil das Organ nichtrechtzeitig zur Verfügung steht. Ziel muss es also sein,die Organspendebereitschaft zu steigern. Wie wir dasschaffen können, haben wir bereits gesetzlich verankert.Mit der Finanzierung der Organspendekampagne erfül-len wir nicht nur unsere eigene Forderung, sondern aucheine Forderung des gesamten Hauses.Der zweite finanzielle Aufgabenschwerpunkt imHaushalt ist die Forschung. Im Rahmen der Ressortfor-schung werden Aufträge zur Vorbereitung und Beglei-tung von Gesetzgebungsvorhaben des BMG vergeben.Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Wir fördern dieForschung zum Nationalen Krebsplan, die Bekämpfungvon Antibiotikaresistenzen und – das ist mir persönlichganz besonders wichtig – die Verbesserung der Versor-gung von Demenzkranken sowie die Optimierung derPatientensicherheit. Ebenfalls aus dem Forschungstitelwerden neue Projekte zur Verbesserung der Kinderge-sundheit gefördert. Daneben sind für Aufgaben im Pfle-gebereich aus dem Programm zur Verbesserung der Ver-sorgung Pflegebedürftiger Mittel veranschlagt. AuchMaßnahmen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswe-sen werden gefördert.
Die christlich-liberale Koalition kann und wird mitdiesem Haushalt den Nachweis führen, dass sie sparsamhaushaltet und trotzdem gestaltende, gute Politik macht.
Man muss es nur wollen und die richtigen Schwerpunktesetzen. Genau das tun wir mit diesem Haushalt.Vielen Dank.
Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Michael
Leutert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Knapp 12 Milliarden Euro Ausgaben stehen im Haushaltdes Bundesministeriums für Gesundheit. Allerdings sind11,5 Milliarden Euro davon Zuweisungen an den Ge-sundheitsfonds. Da wir heute über den letzten Haushaltsprechen, den die Koalition hier – das trifft insbesondereauf die FDP zu – vorlegt, lohnt sich einmal – der KollegeLauterbach hat sich auch daran versucht – ein Blick aufdie letzten vier Jahre. Dabei muss man feststellen: Esgibt insgesamt vier Ministerien, die in den letzten vierJahren einsparen mussten. Alle anderen Ministerien ha-ben ohne Ausnahme steigende Ansätze zu verzeichnen.Von den vier Ministerien mussten zwei wirklich relevant– das heißt, im Milliardenbereich – einsparen. Dabeihandelt es sich zum einen um das Ministerium für Arbeitund Soziales, bei dem über 24 Milliarden Euro abge-schmolzen wurden, und zum anderen um das Gesund-heitsministerium, bei dem über 4 Milliarden Euro abge-schmolzen wurden. Das ist eine vorzeigbare Bilanz vonSchwarz-Gelb – Respekt! –: 28 Milliarden Euro aus-schließlich in den Bereichen Arbeit, Soziales und Ge-sundheit – und zwar nur dort – gespart.Der Gesundheitsbereich ist ein Bereich, auf den alleBevölkerungsschichten angewiesen sind. Aus diesemGrund sind viele auch bereit, dafür viel Geld zu zahlen.Deshalb ist es von außerordentlicher Bedeutung, dassdie Bürgerinnen und Bürger großes Vertrauen in das Ge-sundheitssystem haben. Finanziert wird alles aus dreiSäulen: den Krankenkassenbeiträgen, den steuerlichenZuschüssen und den Zuzahlungen der Patientinnen undPatienten.
Bei Säule drei, den Zuzahlungen der Patientinnen undPatienten, hat sich erfreulicherweise etwas getan. Dienicht gerade populäre Praxisgebühr ist nun endlich abge-schafft worden. Das hätte man im Übrigen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, schon viel früher haben können.Meine Fraktion hat jährlich Anträge dazu gestellt. Aller-dings freuen wir uns, dass das Plenum unseren Vorschlä-gen nun einstimmig gefolgt ist.
Auch bei der zweiten Finanzierungssäule, den Bun-deszuschüssen aus Steuergeldern, tut sich etwas. Ange-sichts der Rücklagen des Gesundheitsfonds und derKrankenkassen reduziert der Bund seine Zuzahlungenfür das nächste Jahr um 2,5 Milliarden Euro. Das bedeu-tet also weitere Kürzungen. Das, liebe Kolleginnen undKollegen von der FDP, hat natürlich nichts mit mehr
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Michael Leutert
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Netto vom Brutto zu tun. Die Patientinnen und Patientenhaben davon erst einmal überhaupt nichts. Besser wärees gewesen, unseren Vorschlägen zu folgen und weitereEntlastungen einzuführen bzw. weitere Zuzahlungen zustreichen.
Bei der dritten Säule, den Beitragssätzen, tut sich der-zeit nichts. Die Bürgerinnen und Bürger müssen alsoweiterhin dreimal für das Gesundheitswesen zahlen unddarauf vertrauen, dass mit ihren Geldern sorgsam umge-gangen wird. Bei der Frage des ordnungsgemäßen Um-gangs mit den Geldern hilft uns der Bundesrechnungshofmit seinen regelmäßigen Prüfungen. Leider sind die Prü-fungsergebnisse aber nicht immer erfreulich. So hat derBundesrechnungshof schon im letzten Jahr unter derÜberschrift „Millionenverluste bei Krankenkassen durchhohe Mieten und nicht benötigte Büroflächen“ darüberberichtet, dass Krankenkassen unwirtschaftliche Miet-verträge abgeschlossen haben. Da wurden ganze Büro-gebäude – mehr Fläche, als man benötigte –, die zumTeil noch nicht einmal errichtet gewesen sind, zu einemüberhöhten Mietzins ohne Ausstiegsoption, also ohneKündigungsklausel, angemietet.
– Wir kommen gleich noch dazu, Herr Kollege. – DieUntervermietung führte zu niedrigeren Einnahmen undzu Verlusten bei den Krankenkassen. Das trägt nicht un-bedingt dazu bei, das Vertrauen der Bürgerinnen undBürger in unser Gesundheitssystem zu stärken.
Nun habe ich dieses Thema letztes Jahr schon einmalangesprochen und während der diesjährigen Haushalts-verhandlungen auch den aktuellen Stand abgefragt. DerBundesrechnungshof hat eindeutig vorgeschlagen, dassdie Mietverträge vor Abschluss den Aufsichtsbehördenvorzulegen sind und dass dafür auch die gesetzlichenGrundlagen geschaffen werden müssen. Der Rechnungs-prüfungsausschuss hat sich dieser Forderung angenom-men und eindeutige Beschlüsse dazu gefasst – allerdingsnicht so die Bundesregierung und das FDP-geführteMinisterium. Im Berichterstattergespräch wurde mirnämlich auf Nachfrage gesagt, es sei zu viel Aufwand,von allen 146 Krankenkassen die Mietverträge zu geneh-migen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich da-rauf hinweisen darf: Jedes Quartal werden bei allen4,5 Millionen ALG-II-Empfängerinnen und -Empfän-gern der Bedarf und auch die Mietverträge kontrolliert.Angesichts dessen kann es doch nicht zu viel verlangtsein, lediglich bei neu abgeschlossenen Mietverträgenbei 146 Krankenkassen eine Kontrolle vorzunehmen.
– Es interessiert Haushälter, wenn mit Steuergeldern un-verantwortlich umgegangen wird.
Ich bin auch der Meinung, dass die Verantwortlichenin den Krankenkassen zur Rechenschaft gezogen werdenmüssen, weil sie dem Ansehen der Krankenkassen Scha-den zugefügt haben.Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Ge-sundheitssystem und damit die Bereitschaft, für das Ge-sundheitssystem zu zahlen, sind nur dann stabil, wennalle wissen, dass mit den Geldern fair und gerecht umge-gangen wird. Das heißt, dass die Krankenkassen sorg-sam mit den Geldern umgehen müssen und der Bund diePatientinnen und Patienten entlasten muss, wenn ausrei-chende Rücklagen vorhanden sind. Beides ist bishernicht gewährleistet. Unter anderem diese Versäumnisseführen dazu, dass wir diesem Haushaltsentwurf nicht zu-stimmen können.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Alois Karl von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kurze Replikauf die erste Rede in dieser Debatte: Lieber HerrLauterbach, die Debatte über den Haushalt des Bundes-gesundheitsministeriums hätte ein besseres Entree ver-dient als Ihre Rede.
Ich muss sagen: Das war ein schwacher Beginn. Ichkann es mir fast nicht verkneifen, zu sagen: Ihre Redewar dazu angetan, die Leute hier krank zu machen.
Vieles von dem, was Sie gesagt haben, ging an der Sachevorbei. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, nur soviel: Das war fast schon eine Zumutung. Sie haben zumHaushalt nichts gesagt. Das bleibt wohl den Haushälternüberlassen.Wir stehen in der Tat am Beginn einer bedeutsamenWoche.
Wir setzen wichtige Meilensteine, um unser Ziel, amEnde dieses Jahrzehnts einen schuldenfreien Haushalt zu
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25204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Alois Karl
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haben, zu erreichen. Der Einzelplan 15 wird einen aus-gezeichneten Beitrag dazu leisten, dass der Bund nachmehr als 40 Jahren erstmals wieder mit dem Geld aus-kommt, das er einnimmt.
Franz Josef Strauß hat Ende der 60er-Jahre das letzteMal einen schuldenfreien Haushalt vorgelegt. Ich binsehr zuversichtlich, dass wir, wenn wir weiter so diszi-pliniert arbeiten, wie das in den letzten Wochen der Fallgewesen ist, mit dem Unfug aufhören, die Zukunft unse-rer Kinder und Enkelkinder dadurch zu gefährden, dasswir wie in den letzten Jahrzehnten viel zu viel Geld aus-geben. Die Verschuldung der Haushalte in den 70er- und80er-Jahren war in keiner Weise geboten. Auch vor 2008war nichts, aber auch gar nichts zu erkennen, was er-klärt, warum Deutschland sich in den Regierungsjahrenvon Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis überbeide Ohren verschuldet hat. Bei den Bundesländern bil-det Bayern die einzige Ausnahme. Auch die Kommunentragen in gewissem Maße Verantwortung dafür, dass dieFinanzen in Unordnung geraten sind.Im Haushalt 2013 senken wir die Ausgaben um etwa3 Prozent. Die Einnahmen steigen, und die Nettokredit-aufnahme wird auf 17,1 Milliarden Euro gesenkt. „Dasist immer noch zu viel“, sagen die Pessimisten. Wie Siewissen, könnten wir nach der Schuldenregel, die wir unsvor etlicher Zeit gegeben haben, heuer 41 Milliar-den Euro neue Schulden aufnehmen. Im Vergleich sinddie Zahlen also sehr gut.Ich danke gerade den Kollegen im Haushaltsaus-schuss, die in den letzten drei Tagen der Beratungen1,7 Milliarden Euro eingespart haben. Die Oppositionhätte sich dabei gut in Szene setzen können. Bei denOlympischen Spielen gibt es die Vorgabe: Höher, weiterund schneller! Die Opposition hat das abgewandelt. IhrZiel lautet: Mehr, noch mehr und immer noch mehr!Aber so kann man keinen Haushalt sanieren.
So kann man nicht zu geordneten finanziellen Verhält-nissen zurückkehren.Wir haben die Neuverschuldung auf 0,34 Prozent desBruttoinlandsprodukts zurückgeführt. Dies wollten wireigentlich erst 2016 erreichen. Das ist eine überausstarke Leistung.
Wir hätten Sie gerne dabeigehabt. Sie hätten daran mit-wirken sollen, das haushaltspolitische Desaster, das Siehinterlassen haben, wieder in Ordnung zu bringen.Der griechische Held Odysseus hat, als er nach demTrojanischen Krieg nach Hause zurückgekehrt ist, ge-sagt: „… Töchter des Zeus, niemals glaubte ich, euchwiederzusehen.“ Er meinte damit seine Heimat. Sokönnten wir es auch heute sagen. Viele meinten, wirwürden Zeiten mit konsolidierten Haushalten nie mehrerleben, aber Minister Schäuble hat mit beinharten Vor-gaben die Richtung gewiesen. Gott sei Dank! Wir habenden Anfang gemacht. Aller Anfang ist leicht, auf dasDurchhalten kommt es an. Wir haben uns dieses Durch-halten auf die Fahnen geschrieben. Wir werden 2016nicht nur die Grenze „0,35 Prozent strukturelle Neuver-schuldung“ einhalten, sondern wir werden bei 0,0 Pro-zent liegen. Ich denke, dass wir mit diesem finanzpoliti-schen Credo in dieser Woche beginnen und in dennächsten Jahren fortsetzen werden. Seien Sie versichert,lieber Herr Leutert: Wir werden das auch in den nächs-ten Jahren so machen. Niemand in Deutschland wird Ih-nen die Haushalte mehr anvertrauen, nachdem Sie sieüber Jahre ruiniert haben.
Der Haushalt des Gesundheitsministers trägt ent-scheidend dazu bei, dass heuer der Gesamthaushalt indieser Weise verringert werden kann. Der Gesundheits-fonds ist reichlich ausgestattet. Vor zwei Jahren nochwar mit einem Defizit von 11 Milliarden Euro im Ge-sundheitsfonds zu rechnen. Heute haben wir 11 Milliar-den Euro Überschuss im Gesundheitsfonds und 12 Mil-liarden Überschuss bei den gesetzlichen Krankenkassen.Das ist ein außerordentlicher Grund zur Freude. Wirwollten Sie in dieser gnadenreichen Vorweihnachtszeitgerne daran teilhaben lassen,
aber bis dato habe ich nichts außer Gemäkel gehört.Unter Minister Rösler haben wir die richtigen Ent-scheidungen getroffen. Die Kosten drohten zu explodie-ren. Aber durch die Erhöhung der Herstellerrabatte derPharmaindustrie von 6 auf 16 Prozent und die Heranzie-hung des pharmazeutischen Großhandels haben wir dieKosten wieder in Ordnung gebracht. Wir haben die Apo-theker mit herangezogen; dadurch wurden über 200 Mil-lionen Euro zur Gesundung des Systems beigetragen.Auch die Krankenhäuser waren mit etwa 450 MillionenEuro beteiligt. Der Steuerzahler hat in der Tat ebenfallsgeblutet.Das, was Sie gesagt haben, Herr Leutert, ist nichtrichtig. Sie haben gesagt, dass der Gesundheitshaushaltgelitten hätte. Wir haben den Gesundheitsfonds im Jahr2011 mit einem Zuschuss von 3,9 Milliarden Euro zu-sätzlich und im Jahr 2012 mit einem Zuschuss von2 Milliarden Euro zusätzlich stabilisiert.
Jetzt ist das nicht mehr nötig. Das haben wir gesehen.Die Situation des Gesundheitsfonds hat sich dramatischverbessert. Aus diesem Grunde können wir die Mittel fürden Gesundheitsfonds heuer um 2,5 Milliarden Euro ab-senken. Dem Bundesgesundheitsminister wird in seinemoperativen Geschäft dadurch nichts, aber auch gar nichtsweggenommen.Gerade weil wir den Arbeitsmarkt so hervorragendbeflügeln konnten, weil die sozialen Kassen überall gutgefüllt sind, hat der Gesundheitsfonds mehr Geld, als wireigentlich erwartet hätten. Daher sind 2,5 MilliardenEuro durchaus disponibel. Es gleicht einem Darlehen.
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Alois Karl
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Wir hatten dem Gesundheitsfonds in der Zeit, als wirvorsichtig operiert haben, dieses Geld gegeben. Heutekönnen wir es wieder dem Haushalt zur Verfügung stel-len. Würden wir dies nicht tun, hätten wir 2,5 MilliardenEuro mehr Schulden, wofür wir Zinsen zahlen müssten,und beim Gesundheitsfonds würde das Geld liegen, ohnedass es gebraucht wird.
Aus diesem Grunde ist es haushalterisch völlig rich-tig, dass wir diese Maßnahmen ergreifen. Das Gegenteilvon dem, was die Linken hier vor zwei Jahren dargestellthaben, ist eingetreten. Sie hatten gesagt, das GKV-Finanzierungsgesetz würde die Prinzipien der solidari-schen, der paritätischen Finanzierung des Gesundheits-wesens zerschlagen. Ähnlich haben Sie es heute aus-gedrückt. Welch ein Unsinn, Herr Leutert! Gerade dasGegenteil ist der Fall. Wenn nicht nur Lügen, sondernauch politische Torheiten kurze Beine hätten, müsstenSie alle als Liliputaner herumlaufen.
Das, was Sie hier gesagt haben, ist völlig abwegig.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesund-heitsfonds trägt zur Solidarisierung und zur Solidität desHaushalts bei. Wir haben in der Tat alle Aufgaben, diesich die Gesundheitspolitiker gewünscht haben, in die-sem Haushalt berücksichtigen können. Wir sind Ihnen,Herr Bundesminister, dankbar, dass gerade Sie mit gu-tem Beispiel vorangegangen sind. So sind zum Beispieldie Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit auf niedrigem Ni-veau gehalten worden.
Die Ausgaben für Prävention werden ansteigen. DieAusgaben für die Forschung halten wir konstant. Sie un-terscheiden sich von einer Ihrer Vorgängerinnen, vonUlla Schmidt, deutlich. Sie hat 50 Prozent mehr Mittelfür die Öffentlichkeitsarbeit haben wollen. „Nur Baresist Wahres“, hat sie möglicherweise gedacht.
Sie verdienen großen Respekt dafür, dass Sie sich in die-ser vornehmen Weise zurückhalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zu-sammen: Der Bundesgesundheitsminister kann auch mitdem reduzierten Haushalt – er wurde einzig und alleinim Hinblick auf den Gesundheitsfonds reduziert – alleseine Vorhaben durchführen, die Fachpolitiker habenihre Wünsche erfüllt bekommen, und der Gesundheits-haushalt trägt zur Konsolidierung des Gesamthaushaltesbei.Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen die An-nahme des Haushaltes nur wärmstens empfehlen. Ichbitte sie, dafür zu stimmen, auch wenn es dem einenoder anderen schwerfallen sollte.Ich danke.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Katja Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Karl, wenn ichheute Abend krawallig drauf wäre, dann könnte ich sa-gen: Wir alle können doch gar nichts dafür, dass Sieheute in der Generaldebatte nicht sprechen durften. –Aber ich muss anerkennen: Auf den letzten Metern ha-ben Sie ja doch noch die Kurve zum Gesundheitsetat be-kommen.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der letzten Sit-zungswoche waren wir alle an einem regelrecht histori-schen Ereignis beteiligt. Alle Abgeordneten aller Frak-tionen haben in einer namentlichen Abstimmunggemeinsam mit Ja gestimmt. Alle fanden die Abschaf-fung der Praxisgebühr richtig und notwendig. Wir Grü-nen haben natürlich auch zugestimmt. Es wäre ja absurdgewesen, wenn wir einer Forderung, die wir selber schonlange erhoben haben, nicht zugestimmt hätten.
Es hat sich herausgestellt, dass die Praxisgebühr nichtden Effekt hat, nicht notwendige Arztbesuche zu ver-meiden, sondern dass sie bewirkt, dass Menschen mitkleinem Geldbeutel einen Arztbesuch tendenziell auf-schieben oder eventuell gar nicht zum Arzt gehen. Dasist natürlich individuell katastrophal und auch mit Blickauf das Gesundheitssystem nicht ökonomisch.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es lohnt sich aller-dings sehr, dieses gemeinsame Ja zur Abschaffung derPraxisgebühr genauer unter die Lupe zu nehmen. Ichmache mir nämlich ein bisschen Sorgen, dass es ver-schleiert, dass doch höchst unterschiedliche Konzepteder Finanzierung unseres Gesundheitssystems dahinter-stehen. Ich denke, wenn sich die FDP, die immer fürmehr Selbstbeteiligung ist
und in den Geldbeutel der Versicherten greift, die dieprivaten Krankenversicherungen pampert und auch sonstmit Solidarität nicht ganz so viel am Hut hat,
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25206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Katja Dörner
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ein soziales Hütchen aufsetzt, dann ist das in der Regelkein Grund, zu jubeln, sondern eher ein Grund, dieAlarmsirenen einzuschalten.
Warum ist das so?
Die FDP will die Kopfpauschale; das ist Fakt. Schonjetzt wurde bekanntlich der einheitliche Beitragssatz zurKrankenversicherung eingefroren. Alle kommendenKostensteigerungen gehen zulasten der Versicherten,und zwar in Form eines Zusatzbeitrages. Dieser ist be-kanntlich einkommensunabhängig, also eine Art kleineKopfpauschale.
Noch haben wir diese Kopfpauschale nicht; aber siekommt mit großen Schritten auf uns zu.
Genau das ist der Punkt: Die Abschaffung der Praxisge-bühr, eingebettet in das unsolidarische Finanzierungs-konzept, wie es Union und FDP vorantreiben, ist fak-tisch ein weiterer Schritt in Richtung Kopfpauschale.
Aktuell haben die Krankenkassen Geld. Ja, es ist rich-tig: Krankenkassen sind keine Sparkassen. Deshalb kannman die Praxisgebühr jetzt auch abschaffen. Aber es istauch jetzt schon klar, dass es nicht bei diesem Über-schuss bleiben wird. Sehen wir uns nur an, was Schwarz-Gelb alleine bei diesem Haushalt macht: Erst werdendem Gesundheitsfonds 2 Milliarden Euro entzogen,dann werden ihm in der Bereinigungssitzung flott wei-tere 0,5 Milliarden Euro entzogen, und für 2014 werdenihm weitere 2 Milliarden Euro entzogen. Die Abschaf-fung der Praxisgebühr wird ebenfalls mit rund 2 Milliar-den Euro zu Buche schlagen. Wenn wir das sehen, istdoch klar: Der unsolidarische Zusatzbeitrag kommt mitgroßen Schritten.
Eine entsolidarisierte Finanzierung unseres Gesundheits-systems klopft schon sehr laut an die Tür.
Die Abschaffung der Praxisgebühr ist richtig. Abersie wird nur dann nicht zum Problem, wenn wir eineBürgerversicherung bekommen, die mehr Solidarität be-deutet, die die Einnahmeseite der Krankenversicherungverbreitert und damit gerecht absichert.
Die Bürgerversicherung muss kommen.Auf den Pflege-Bahr sollten wir allerdings schnellst-möglich verzichten.
Er ist ein weiterer Baustein der Entsolidarisierung in un-serem Sozialsystem und ein Bonbon für die Versiche-rungswirtschaft – wie seit neuestem absurderweise auchdas Betreuungsgeld.
Es ist völlig unverständlich, dass der Haushalt des Ge-sundheitsministeriums für 2013 eine teure Kampagne fürden unsinnigen Pflege-Bahr vorsieht, während beispiels-weise die Mittel für Maßnahmen zur Prävention sexuellübertragbarer Krankheiten deutlich gekürzt werden.
Ich will – das wird die Koalition wahrscheinlich eherfreuen – abschließend noch etwas zu den Haushalts-anträgen der Linken sagen. Die Linke hat uns in denHaushaltsberatungen mit Anträgen beglückt, die in derSumme ein Volumen von 4 Milliarden Euro haben.Diese Summe zeigt, dass die Vorschläge schier unmög-lich umzusetzen sind.
Zum Teil handelt es sich durchaus um richtige Forderun-gen; aber es wird an der falschen Stelle angedockt. ZumBeispiel fällt die Förderung der nichtkommerziellenPharmaforschung tatsächlich in den Aufgabenbereichdes BMAS und eben nicht in den des Gesundheitsminis-teriums. Auch die Beseitigung des Investitionsstaus beiden Krankenhäusern ist eine wichtige und richtigeForderung. Das ist aber eindeutig nicht im Zuständig-keitsbereich des Bundes anzusiedeln, sondern im Zu-ständigkeitsbereich der Länder. Deshalb lehnen wirdiese Änderungsanträge ab – wie wir den Haushalt desGesundheitsministeriums insgesamt ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesgesundheitsminister DanielBahr.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25207
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich möchte mich bedanken bei den Mitglie-dern des Haushaltsausschusses, den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, desBundesministeriums für Gesundheit, für die sehrkonstruktiven, fachlich fundierten, sachlich geführtenHaushaltsberatungen, die, glaube ich, zu einem sehr gu-ten Ergebnis geführt haben.Der Etat des Bundesministeriums für Gesundheit istin seinem Kernbereich der kleinste Etat. Durch den Zu-schuss an die gesetzliche Krankenversicherung wird erdann doch zu einem der größeren Etats im Bundeshaus-halt. Dieser Haushalt leistet heute für den nächsten Bun-deshaushalt den größten Sparbeitrag aller Einzeletats.Das ist ein klares Zeichen, dass auch das Bundes-ministerium für Gesundheit einen Beitrag dazu leistenwill, dass wir endlich aus der Verschuldung herauskom-men. Auch das Bundesministerium für Gesundheitmöchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir das Ziel ei-nes strukturell ausgeglichenen Haushalts erreichen. DasZiel ist, dass die Politik mit dem Geld, das die Bürgerin-nen und Bürger ihr zur Verfügung stellen, auskommt. Ichglaube, dass das kein schlechtes Signal ist. Deswegenkann ich die Kritik der Opposition nicht verstehen. Ichglaube, dass es Lob verdient,
dass das Bundesministerium für Gesundheit durch eineKraftanstrengung in seinem Etat dazu beiträgt, dass wirden Bürgerinnen und Bürgern endlich einen Haushaltvorlegen können, der zeigt, dass Politikerinnen und Poli-tiker mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger ih-nen zur Verfügung stellen, auch wirklich auskommenund Nachhaltigkeit eben keine Floskel ist.
Wissen Sie, Herr Lauterbach, als ich Sie eben gehörthabe, da wurde mir deutlich, dass in dieser Legislatur-periode nicht nur die Regierung durch die FDP bessergeworden ist, sondern dass in der letzten Legislatur-periode auch die Opposition besser war.
Bei Ihrer Rede hatte ich den Eindruck: Sie finden garkeinen richtigen Ansatzpunkt.Schauen wir uns einmal an, wo wir zur Beginn derLegislaturperiode standen: Die Defizite, die damalsdrohten, waren die größten in der Geschichte der gesetz-lichen Krankenversicherung. Frau Dörner und HerrLeutert, Sie haben der Regierung von Schwarz-Gelbheute erneut vorgeworfen, die bürgerlich-liberale Politiksei unsozial.
Damals, in der Situation dieser drohenden Defizite, hatdie christlich-liberale Koalition entschieden, dass dieseDefizite nicht dadurch vermieden werden, dass Leistun-gen der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichenwerden oder bei der Vergütung der Ärztinnen und Ärztegekürzt wird oder bei den Krankenhäusern oder bei derPflege gestrichen wird oder wenigstens eine Nullrundestattfindet. Zwar wurden die Zuwächse im ambulantenBereich, im Krankenhausbereich, begrenzt; aber trotzgrößter Defizite konnten sich die im GesundheitssystemBeschäftigten über Zuwächse freuen.
Das war ein Stabilitätssignal für alle Menschen, die imGesundheitswesen arbeiten, und damit auch ein Beitrag,um Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten.Dann wird von den Überschüssen gesprochen, die wirheute haben. Ich hatte letztens anlässlich eines Jubilä-ums die Gelegenheit, mit ehemaligen Gesundheitsminis-terinnen – in der Regel bekleiden ja Frauen das Amt – zudiskutieren. Da sagten die Frauen zu mir, sie beneidetenmich, weil es die Situation, dass ein GesundheitsministerÜberschüsse verteidigen muss, in der Geschichte derBundesrepublik noch nicht gegeben habe. Ich glaube,bei dieser kleinteiligen Kritik, die Sie eben geäußerthaben,
sind Sie in Wahrheit doch neidisch, dass wir diese Situa-tion haben.
Es stimmt doch nicht, dass das nur am Beitragssatzund an der Konjunktur liegt. Natürlich hat die gute Kon-junktur einen wichtigen Beitrag dazu geleistet; dasverhehlt hier doch niemand. Aber offenbar hat dieseRegierung eine Politik betrieben, dass sich diese guteKonjunktur entfalten konnte. Das scheint ja auch Politikdieser Bundesregierung gewesen zu sein.
Lassen Sie uns doch einmal schauen, wie wir dieseÜberschüsse erreicht haben. Diese Regierung hat dasehrgeizigste Arzneimittelsparpaket auf den Weg ge-bracht, das überhaupt eine Regierung in Deutschland inder Gesundheitspolitik gemacht hat.
Im Bereich der Arzneimittelausgaben sparen wir jedesJahr bis zu 2 Milliarden Euro ein. Wir haben den Para-digmenwechsel vollzogen, dass der Hersteller eben nichtmehr den Preis eines Arzneimittels festlegt und dieKasse ihn bezahlen muss, sondern dass jetzt jedes neue
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25208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bundesminister Daniel Bahr
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Arzneimittel beweisen muss, dass es besser ist als dieArzneimittel, die es schon gibt, und dass dann freiePreisverhandlungen mit den Krankenkassen zu führensind. Das ist im Interesse der Beitragszahler und im Inte-resse der Patienten und sorgt dafür, dass wir mit be-grenzten Beitragsgeldern auch wirklich effizient umge-hen. Deswegen ist das ein wichtiger Beitrag derRegierung zur finanziellen Stabilität.Die Opposition spricht immer von der Kopfpau-schale. Dann muss ich Ihnen einmal etwas erklären: Indieser Legislaturperiode ist auf Antrag der FDP von derKoalition beschlossen worden, die Kopfpauschale beimArztbesuch abzuschaffen. Sie ist von einer SPD-Gesund-heitsministerin eingeführt worden. Die 10 Euro „Maut-gebühr“, wenn man in das Wartezimmer einer Arztpraxiskam, waren doch nichts anderes als eine Kopfpauschale.Egal wie viel jemand verdiente, unabhängig vom Ge-sundheitszustand und unabhängig von seinen sozialenVerhältnissen musste er in der Arztpraxis 10 Euro zah-len. Das ist eine Kopfpauschale, die Sie eingeführt habenund die wir abgeschafft haben.
Wir sollten die gute finanzielle Lage, die wir durchunsere Politik geschaffen haben, beibehalten, solltenaber auch immer die Gesamtverantwortung für den Bun-deshaushalt sehen.In dieser schwierigen Zeit, wo wir alle einen Beitragleisten wollen, um schnell zu einem ausgeglichenenHaushalt zu kommen, setzen wir Prioritäten. Wir gebenmehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit für die Organ-spende aus. Herr Kollege Karl hat recht: Schlechte Poli-tik muss man mit mehr Öffentlichkeitsarbeit erklären.Gute Politik erklärt sich von selbst. Aber im Bereich derOrganspende ist es nötig, dass wir mehr Geld zur Verfü-gung stellen. Denn wir alle haben gemeinsam entschie-den – das ist ein starkes Signal an die Bevölkerung –, dieMenschen über die gesetzlichen und die privaten Kran-kenversicherungen anzuschreiben und sie aufzufordern,sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen.Deswegen ist es wichtig, erst recht aufgrund einzelnerFälle, die uns alle beschäftigt haben, jetzt mit einerbreitangelegten Öffentlichkeitskampagne die Bürgerin-nen und Bürger aufzuklären. Das wird in diesem Haus-halt nachgearbeitet. Hierfür stellen wir zusätzliches Geldzur Verfügung.Wir stellen auch zusätzliches Geld zur Verfügung, umdie gesetzliche Aufgabe zu erfüllen, größere Arznei-mittelsicherheit zu gewährleisten. Beim Paul-Ehrlich-Institut und beim Bundesinstitut für Arzneimittel werdenzusätzliche Stellen geschaffen. Vielen Dank für die sehrkonstruktiven parteiübergreifenden Beratungen imHaushaltsausschuss, die das möglich gemacht haben,damit wir im Sinne der Patienten dem gesetzlichenAuftrag, eine bessere Arzneimittelsicherheit zu gewähr-leisten, nachkommen können.
Nun möchte ich einen letzten Punkt nennen. Ja, derZuschuss wird gekürzt. Aber wenn Sie sich einmal dieGeschichte des Zuschusses anschauen, werden Sie se-hen, dass er immer wieder infrage gestellt wurde, weil erunbestimmt ist. So wie er von Rot-Grün seinerzeit einge-führt wurde, war nie klar, wofür die Steuermittel eigent-lich sind. Deswegen macht er sich angreifbar.
– Frau Bender, der Zuschuss ist, wenn ich das richtigsehe, 2004 mit 1 Milliarde Euro eingeführt worden.2006 gab es 4,2 Milliarden Euro. Unter rot-grünerRegierung ist er auf 2,5 Milliarden zurückgeführt wor-den. Das heißt, Sie haben den Zuschuss genauso gekürzt,obwohl Sie ihn eingeführt haben. Wenn ich eine pau-schale Abgeltung der gesamtgesellschaftlichen Aufga-ben vornehme, kann ich denn dann gegenüber der jun-gen Generation rechtfertigen, dass über 20 MilliardenEuro Rücklagen im Bereich der gesetzlichen Kranken-versicherung und des Gesundheitsfonds sind?
Dass diese Kritik ausgerechnet von den Grünen kommt,ist schon verwunderlich. Können Sie, liebe Politikerin-nen und Politiker der Grünen, der jungen Generation er-klären, dass wir heute Schulden zu ihren Lasten machensollen, obwohl wir das gar nicht müssten, weil wir dasGeld, das im Gesundheitsfonds überschüssig ist, zurück-geben können?
Ich glaube, mit einem gewissen Augenmaß kann mandiese Entscheidung vertreten, weil sie im Interesse derjungen Generation und eines ausgeglichenen Haushaltsist. Ich finde, dem kann sich die Gesundheitspolitik mitdiesem begrenzten Beitrag auch nicht entziehen. Wir alsGesundheitspolitiker dürfen nicht nur auf unseren Be-reich schauen, sondern wir haben auch eine Gesamtver-antwortung für die Politik in Deutschland. Deswegen istes, glaube ich, vertretbar, den Zuschuss begrenzt zureduzieren, um einen Gesamtbeitrag dafür zu leisten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Ewald Schurer.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst einmal habe ich einen Beitrag zu dem Versuch,positive Stimmung zu erzeugen, zu leisten: Ich bedankemich beim Ministerium und bei den Kollegen im Haus-haltsausschuss nochmals für das konstruktive Miteinan-der. Das darf man in der Haushaltsdebatte ja sagen.Damit komme ich aber schon dazu, zu sagen: Ichwundere mich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25209
Ewald Schurer
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Erster Punkt. Ich bin Haushälter. Zwar bin ich nichtder erste Fachpolitiker auf diesem Gebiet, aber ich ver-stehe, wenn die Kollegin der FDP hier in Bezug auf diePrävention sagt, dass man rausgehen und aufklärenmuss. Aufklärung ist zwar notwendig, aber sie ist nur einStüfchen, also nicht einmal eine Stufe, auf dem Weg zueiner umfassenden, ganzheitlichen Präventionsstrategie.Eine solche haben Sie nicht vorgelegt und bringen Sieauch nicht auf die Reihe. Das ist eine ganz klare Sache.
Hier dieses Stüfchen zu gehen und zu sagen: „Wir ge-hen raus und klären in Betrieben und Schulen auf“, istschön, aber bei weitem kein Ersatz für eine Präventions-strategie. Hier haben Sie vollkommen versagt.
– Auch durch Schreien wird die Prävention nicht verbes-sert.Zweiter Punkt. Sie tun hier immer so, als ob Sie imluftleeren Raum gelebt hätten. 2008 kam es zu einer bru-talen Wirtschafts- und Finanzkrise, während der auch inDeutschland die Wertschöpfung um 5 Prozent eingebro-chen ist. Deswegen gab es damals in allen Sozialkassen,auch in der Gesundheitskasse, brutale Einbrüche.Wir haben dann für eine sozialdemokratische Variantegesorgt – das war wichtig für Sie, weil bei uns entspre-chende Kompetenz vorhanden ist – und antizyklischagiert, indem wir in der Krise Konjunkturprogrammeaufgelegt und Milliarden ausgegeben haben, da wirwussten: Jede Milliarde induziert eine siebenfache pri-vate Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze. Allein des-wegen kamen wir so schnell aus dieser Wirtschaftskrise.Das ist die Wahrheit!
Dass wir dadurch auch in der GKV wieder Mehreinnah-men hatten, hat uns den Hintern gerettet. Bleiben Sieeinmal ehrlich! Erst dann kann man seriös reden.Die Krise war brutal. 2009 haben Sie die Regierungübernommen. Infolge des ökonomischen Kahlschlagsdurch die Pleite von Lehman Brothers und die weltweiteWirtschafts- und Finanzkrise waren die Kassen leer.Es gab dann einen Herrn Rösler, Herr Bahr, der noch2009 hier im Hause gesagt hat: Wir stehen vor einemMilliardengrab GKV. Seine Prognose war, dass wir11 bis 20 Milliarden Euro Miese machen werden,
nicht verstehend, dass uns die sozialdemokratische Va-riante der Krisenbewältigung, zum Beispiel das Managender Krise durch verlängerte Zahlung des Kurzarbeiter-gelds, wodurch wir Hunderttausende von Arbeitsplätzenin vielen Branchen gerettet haben, und die Bereitstellungvon Konjunkturmitteln in Höhe von insgesamt 20 Mil-liarden Euro nach vorne gebracht hat.
Das sollten Sie anerkennen. Dafür müssen Sie uns dan-ken, weil das die Sozialkassen wieder gefüllt hat. Das istökonomische Logik.
Ich muss Ihnen auch sagen, dass Herr Rösler damalswie heute viele Dinge bei seiner politischen Analysefalsch eingeschätzt hat und einschätzt.
– Sehr geehrter Herr Minister Bahr, ich buhle um IhreAufmerksamkeit. Wenn Sie erlauben, will ich versuchen,Ihnen eine Antwort zu geben.Für mich ist das ein systemwidriger Denkfehler: Siereden über den Sparbeitrag beim Gesundheitsfonds. Ersteinmal geht es um 2 Milliarden Euro, und jetzt kommennoch einmal 500 Millionen Euro, eine halbe Milliarde,hinzu. Dabei vergessen Sie, dass die Praxisgebühr, diewir ja gemeinsam abschaffen wollen, auch noch einmal2 Milliarden Euro ausmacht.Was Sie jetzt nicht verstehen oder nicht verstehenwollen: Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfondswird für die versicherungsfremden Leistungen der GKVgegeben, sprich: für die pauschale Abgeltung der Auf-wendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftli-che Aufgaben.
Das ist also familienpolitisch motiviert.Wenn Sie jetzt einfach sagen: „Wir kürzen den Zu-schuss an den Gesundheitsfonds noch einmal um einehalbe Milliarde Euro“, und die 2 Milliarden Euro Min-dereinnahmen durch Abschaffung der Praxisgebührnicht einrechnen, dann schaffen Sie schlechte struktu-relle Voraussetzungen für die Zeit, wo die Konjunkturlo-komotive nicht mehr so gut laufen wird. Wir haben imZuge der europäischen krisenhaften Erscheinungen be-reits jetzt – das wissen Sie – leider erste kleine Einbrü-che zu verzeichnen, die wir alle nicht wollen. Insofernsind Sie kein guter Hüter der zukünftigen Möglichkeitenfür die GKV. Sie widersprechen sich in diesem Punkteselbst.
Ich nenne Ihnen einen weiteren Aspekt. Ich habemich immer gefragt, nach welcher inneren Logik Sievon der FDP – das sage ich bei aller persönlichen Wert-schätzung – versuchen, Politik zu formulieren. Klar, wirhaben völlig unterschiedliche Entwürfe. Wir Sozialde-mokraten und die Freundinnen und Freunde der Grünen– da bin ich zumindest bisher guten Glaubens – wollenin Richtung einer solidarischen Bürgerversicherung fürGesundheit und Pflege gehen. Ich bin überzeugt: Wir ha-
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Ewald Schurer
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ben ab dem nächsten September die Chance, diese Ideemit Leben zu erfüllen.
Ihr Entwurf ist stringent anders. Man kann Ihnennicht unterstellen, dass Sie gar keine Solidarität wollen,aber Sie wollen so wenig wie möglich und so viel Priva-tisierung wie möglich in diesem Bereich, wie das derKollege Lauterbach herausgearbeitet hat.
Der Bereich, in dem es um das Gut „Gesundheit undFürsorge für die Menschen“ geht, dieser solidarische Be-reich, wird bei Ihnen kleingeschrieben.Ich sage Ihnen: Ich habe Ihre Logik nicht gefunden.Die einzige Logik, die ich entdecken konnte: Die Auf-stockung um 6 Millionen Euro im Zusammenhang mitder Umsetzung des Transplantationsgesetzes war daseinzig Positive, was Sie gemacht haben. Darum ist dieFDP nicht herumgekommen; aufgrund der manifestengesellschaftlichen Vorfälle mussten Sie reagieren.Ansonsten war bei Ihnen nur eines stringent: Sie ha-ben alle Programme mit Modellcharakter, die unter UllaSchmidt entstanden sind, in den letzten Jahren geschleiftoder eingestellt.
Hinter den Programmen stehen aber die Versuche, neueWege von Prävention und Gesundheitspolitik auf eineintelligente Art und Weise zu formulieren, um sie späterin das System zu implementieren. Das haben Sie nichtverstanden. Sie haben es folgendermaßen gesehen: Das,was die Vorgängerregierung gemacht hat, ist des Teufels;das müssen wir alles beseitigen.
Ich halte das für schlecht.Ein letzter Punkt. Sie kamen immer mit dem Spruchdaher: mehr Netto vom Brutto. Sie haben damals dieGKV-Beiträge erhöht. Ich sage: weniger Netto vomBrutto. Sie haben mit Ihrem Pflegekonzept einseitig dieVersicherten belastet. Ich sage: wieder weniger Nettovom Brutto. Wo ist die Einlösung Ihrer Wahlverspre-chen? Mittlerweile müssen auch die Versicherten in derprivaten Krankenversicherung feststellen, dass die Bei-träge gewaltig steigen. Ich sage: wiederum wenigerNetto vom Brutto.
Ich verstehe, was Sie damals gesagt haben, merke aber,dass Sie in der GKV und im Gesundheitswesen allge-mein anders gehandelt haben als zugesagt. Ihre Lösun-gen waren nicht durchdacht und ökonomisch nicht nach-vollziehbar.Ich muss noch dazusagen: Die Zusatzbeiträge, HerrMinister, gibt es immer noch. Das heißt für mich wiede-rum: weniger Netto vom Brutto, wenn die Kassen imErnstfall Zusatzbeiträge verlangen müssen. Oder habeich es falsch verstanden? Vielleicht haben Sie damals ge-meint: mehr Brutto vom Netto. Es könnte ja sein, dassdas von Ihnen falsch formuliert wurde.Ich stelle fest: Ob Pflege, ob Patientenrechte oder Prä-vention – alle Großaufgaben der künftigen Gesundheits-politik sind von Ihnen nicht erledigt worden. Da kannman nur noch auf eine Nachfolgeregierung hoffen. – Ichbedanke mich für die Aufmerksamkeit und schaue freu-dig Richtung Grün und Rot, weil ich überzeugt bin: Eswird ab dem nächsten Herbst ein neuer Wind wehen.Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Dr. Rolf Koschorrek.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Es freut mich ganzbesonders, heute wieder einmal den KollegenLauterbach in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Daswar in der letzten Zeit, vor allen Dingen im Ausschuss,eher selten möglich. Damit hängt vielleicht zusammen,dass die Wahrnehmung unserer Politik aufseiten derSPD und des Redners nicht ganz den Realitäten ent-spricht. Das, was Sie geschildert haben, und die Szena-rien, die Sie eben entworfen haben, haben mit der politi-schen Wirklichkeit, gerade in der Gesundheitspolitik,und der Situation der gesetzlichen Krankenversicherungschlicht und ergreifend gar nichts zu tun.
– Das kann man in den Protokollen nachlesen.Die Gesundheitsausgaben pro Einwohner lagen 1995in der Bundesrepublik Deutschland bei 2 290 Euro.
Im Jahre 2010 waren sie bereits auf 3 500 Euro gestie-gen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stiegen sie alsoseit 1995 von 10,1 auf 11,6 Prozent.Europa gibt weniger Geld für Gesundheit aus Staaten fahren in der Krise ihre Budgets zurück.Nicht so DeutschlandSo lautete gestern die Schlagzeile einer sehr großen Ta-geszeitung, die über die aktuelle OECD-Studie berich-tete.
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Dr. Rolf Koschorrek
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Während die Gesundheitsausgaben in der Mehrzahl dereuropäischen Länder im Jahr 2010 deutlich sanken, blie-ben sie bei uns nicht nur konstant, sondern wir haben sieinsgesamt um nahezu 2,7 Prozent gesteigert.Das deutsche Gesundheitssystem steht im internatio-nalen Vergleich außerordentlich gut da. Wir haben mitunseren gesundheitspolitischen Entscheidungen die Ba-sis dafür geschaffen, dass die medizinische Versorgungin unserem Land auch im Zuge der demografischen Ver-änderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte eine derbesten der Welt bleiben wird.
Das Gesundheitssystem steht heute so gut da wienoch nie zuvor, und wir haben dafür gesorgt, dass es gutgerüstet ist, um die hohen und besonderen Anforderun-gen der älter werdenden Gesellschaft, die mit einer Zu-nahme an älteren und natürlich auch multimorbiden Pa-tienten verbunden ist, zu erfüllen. Die Tatsache, dasssich unser Gesundheitswesen nach drei Jahren christlich-liberaler Gesundheitspolitik in so guter Verfassung be-findet wie kaum jemals zuvor, ist ein Ergebnis kluger,guter und eben auch weitsichtiger Politik.
Die finanziellen Überschüsse sind ohne Zweifel einglücklicher und erfreulicher Zustand, um den uns extremviele beneiden. Aber die Überschüsse sind bei weitemweder purer Glücksfall noch Zufall. Denn sie sind auf-grund der erfolgreichen Arbeit unserer gesamten Wirt-schaft und der daraus resultierenden guten Beschäfti-gungslage am Arbeitsmarkt in unserem Land entstanden.Die Rahmenbedingungen dafür allerdings zählen ein-deutig zu den sichtbaren und unbestreitbaren Erfolgendieser Bundesregierung.Wir sind aber auch Realisten und wissen, dass gravie-rende demografische Veränderungen auf uns zukommen.Wir wissen, dass die bislang erzielten Zuwachsratennicht dauerhaft zu finanzieren sind und dass die derzeiti-gen finanziellen Reserven nicht auf Dauer bestehen wer-den.Wir denken weiter und stellen uns realistisch den vor-aussehbaren Entwicklungen und Problemen der älterwerdenden Gesellschaft. Wir bereiten unser Gesund-heitssystem darauf vor, dass immer weniger Erwerbstä-tige die medizinische Versorgung einer wachsenden Zahlvon älteren und multimorbiden Patienten mit vielfachengesundheitlichen Einschränkungen nicht nur finanziell,sondern auch im Alltag der medizinischen Versorgungpraktisch zu bewerkstelligen haben werden. Wir stellendie Weichen dafür, dass in unserem Land auch künftignoch so, wie wir es gewohnt sind, flächendeckend einegute medizinische Versorgung auf hohem Niveau vor-handen sein wird.Mit den neuen Arzneimittelgesetzen und dem Versor-gungsstrukturgesetz haben wir Neuerungen eingeführtund umgesetzt, die dafür sorgen, dass die gewohnte, guteärztliche Betreuung und Versorgung mit Medikamentenund medizinischen Innovationen auch in Zukunft füralle, unabhängig von Alter, sozialem Status und Wohn-ort, verfügbar sein wird.Im Versorgungsstrukturgesetz haben wir die Voraus-setzungen dafür geschaffen, dass es für Ärzte auch wiederinteressant wird, sich in ländlichen Regionen niederzulas-sen, und wir haben dafür gesorgt, dass die niedergelasse-nen Ärzte in ihren Praxen sich untereinander und mit denKrankenhäusern vor Ort wesentlich besser vernetzen undzusammenarbeiten können. Das ist gelebte Überwindungvon Sektorengrenzen, die dringend geboten war
und auch für die Zukunft eine unserer größeren Aufga-ben bleiben wird.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen wie auch die Kom-munen ziehen hier mit uns an einem Strang und nutzendie neuen gesetzlichen Vorgaben.Auch die grundlegende Reform der ärztlichen Be-darfsplanung, die der Gemeinsame Bundesausschuss alsTeil der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens in un-serem Auftrag erarbeitet, steht vor ihrem Abschluss, so-dass die neue Richtlinie voraussichtlich fristgerecht zumJahreswechsel in Kraft treten wird.Mit den neuen Regelungen für die Arzneimittelpreisehaben wir nicht nur eine Dämpfung des kontinuierlichenAnstiegs der Arzneimittelkosten erreicht. Um sicherzu-stellen, dass neue Medikamente auch künftig zeitnah fürdie Patienten zur Verfügung stehen, haben wir festgelegt,dass neue Medikamente nur um so viel teurer sein dür-fen, wie es ihrem verbesserten Nutzen gegenüber bereitsvorhandenen Medikamenten entspricht.Wir haben den Herstellern deutlich gemacht, dass dieZeit von Fantasiepreisen auch in Deutschland vorbei ist,und haben in Verhandlungen und unter Einbeziehung derSelbstverwaltung, des Gemeinsamen Bundesausschus-ses, und unter fachlicher Beratung des IQWiG in derArzneimittelbewertung und -preisfindung ein Systemgeschaffen, das mit Einbeziehung aller Beteiligten si-cherlich international seinesgleichen sucht und das wirauch hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen heutedurchaus stolz betrachten können.
Zwischenzeitlich ist auch die erste Medikamenten-gruppe aus dem Bestandsmarkt in die frühe Nutzenbe-wertung gekommen. Das zeigt, dass wir bereit sind, indiesem Segment in dem einen oder anderen Fall eineNutzenbewertung durchzuführen. Wir werden sicherlichnicht in der Lage sein, den gesamten Bestandsmarkt auf-zurufen. Das ist einfach vom Aufwand her nicht mög-lich. Aber das bei einigen Produkten voranzubringen, istsicherlich der richtige Weg.Das neue Pflegegesetz, das Patientenrechtegesetz unddas Transplantationsgesetz sind weitere Bestandteile un-serer Politik und Beispiele dafür, wie schon lange anste-hende Probleme im Gesundheitswesen in Angriff zu
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Dr. Rolf Koschorrek
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nehmen und wie neue zukunftsfähige Regelungen aufden Weg zu bringen sind.Zur nachhaltigen Sicherung der leistungsfähigen fi-nanziellen Basis unseres Gesundheitssystems, den Ein-nahmen der Krankenkassen, bauen wir nicht allein aufunsere gute Wirtschaftskraft und eine florierende Kon-junktur. Deswegen haben wir schon 2011 die Finanzie-rung der gesetzlichen Krankenkassen von den für uns alsExportnation so wichtigen Lohnkosten abgekoppelt unddies mit einer Stärkung des Wettbewerbs der gesetzli-chen Krankenkassen untereinander verbunden.Die zentrale Forderung an ein zukunftssicheres Ge-sundheitswesen lautet: Alle Bürgerinnen und Bürgermüssen Zugang zu einem bezahlbaren Versicherungs-schutz haben, der alle medizinisch notwendigen Leistun-gen auf hohem Niveau erfasst, der aber auch innova-tionsoffen und zukunftsfest bleiben muss.
Dies ist nach unserer festen Überzeugung am bestenzu gewährleisten, wenn wir eine Vielfalt von Kranken-versicherungen im Markt haben, die miteinander in ei-nem fairen Wettbewerb um Preis und Qualität stehen.Davon profitieren die Versicherten und Patienten, und ineinem solchen System ist auch die für unser Gesund-heitssystem so elementare freie Arztwahl und die freibe-rufliche Unabhängigkeit unserer Ärzte beizubehaltenund in Zukunft eher auszubauen, als einzuschränken.Die Basis für den Wettbewerb der gesetzlichen Kran-kenversicherungen um die beste Versorgung der Patien-ten haben wir mit der Einführung des Gesundheitsfondsund der durch Steuermittel sozial abgefederten Zusatz-beiträge geschaffen. Damit ist zugleich sichergestellt,dass niemand durch seinen Kassenbeitrag finanziellüberfordert wird.Alle Diskussionen und alle Stimmungsmache gegendie private Krankenversicherung, wozu die Oppositiongeradezu verbissen jeden vermeintlichen Anlass sucht,ändern nichts daran, dass sich das Nebeneinander vonGKV und PKV über Jahrzehnte bewährt hat;
denn dieses System ist die Basis für unser Gesundheits-system, das international eines der besten ist und um dasuns viele Länder beneiden.
Gerade in Sachen Innovationsoffenheit spielt die PKVeine ganz entscheidende Rolle.
Dieses System gilt es aufrechtzuerhalten, indem wires an die neuen Anforderungen anpassen. Dabei setzenwir, anders als die Opposition sich das vorstellt, ganz be-wusst auf die Strukturen und Elemente, die sich bereitsüber viele gesellschaftliche, technologische und wirt-schaftliche Veränderungen in unserem Alltag hinaus er-halten und bewährt haben: die für unser Gesundheitssys-tem konstitutive Selbstverwaltung.Nur die Selbstverwaltung ist mit ihrer Kompetenz, ih-rer direkten Beteiligung und ihrer Verantwortungsüber-nahme in der Lage, die Dinge wirklich zu regeln. Wirhaben uns gesundheitspolitisch auf eine Rahmengesetz-gebung beschränkt. Wir ziehen sehr deutlich Korsett-stangen ein, aber innerhalb dieses Rahmens geben wirder Selbstverwaltung genügend Freiraum, diesen Rah-men mit fachlichem Know-how und Verhandlungskom-petenz vernünftig auszufüllen.
Indem wir seitens der Politik den gesetzlichen Rah-men vorgeben, müssen die Gremien der Selbstverwal-tung ihrer Aufgabe nachkommen, praxisnah über kon-krete Regelungen, Leistungen und andere Dinge zuentscheiden. Wir wollen auch in Zukunft alle Verände-rungen mit der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen,in der Ärzte, Krankenhäuser und gesetzliche Kranken-kassen organisiert sind, durchführen und die ärztlicheDiagnose- und Therapiefreiheit ebenso wie die freieArztwahl des Patienten erhalten.Wir sorgen mit unserer Gesundheitspolitik weiter da-für, dass die Patienten die bestmögliche Versorgung er-halten, und wir werden die Einheitsversicherung der Op-position, ohne belebenden Wettbewerb um medizinischeQualität und ohne effektives Wirtschaften, nicht zulas-sen.Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,ein Positivum hat das Vorgelegte: Für absehbare Zeitwird das der letzte Haushalt sein, den Schwarz-Gelb vor-legt, und das ist auch gut so.
Kaum etwas Richtungsweisendes oder Zukunftsweisen-des findet sich in diesem Einzelplan 15.Für Sie ist das Gesundheitssystem in erster Linie einWirtschaftsfaktor, ein Arbeitsmarkt bzw. ein Sektor, derzur Erhöhung des Bruttosozialprodukts beiträgt. Nur sowird verständlich, dass Schwarz-Gelb so wenig Interessean der Gesundheit der Menschen hat. Wenn die Gesund-heit der Menschen Ihnen wirklich wichtig wäre, hättenSie längst viel mehr Geld für nichtmedizinische Primär-prävention und Gesundheitsförderung eingestellt.Kollegin Aschenberg-Dugnus, ich kann da ebenfallsnur ergänzen: Prävention geht nicht nur durch den Kopf
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Dr. Martina Bunge
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und über Wissen, sondern Prävention muss da ankom-men, wo die Lebenswelten sind.
Sie muss auch diejenigen erreichen, in deren Köpfen esnoch nicht drin ist.
Stattdessen lassen Sie das Kinder-Gesundheitsprogrammeinfach sang- und klanglos auslaufen.
Alle in der Gesundheitsförderung Engagierten wissen– sie sagen es Ihnen auch –: Das Problem ist, dass es anVerstetigung der Mittel und Verbreitung guter Projektefehlt.
Gesundheitsförderung und Prävention sind eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss der Bund mittätig werden. Daher schlagen wir seit Jahren den Start ei-nes Präventionsfonds mit einem Umfang von 1 MilliardeEuro vor.Statt in diese Richtung zu denken, greift der Finanz-minister ungeniert in den Topf der Krankenversicherung,in den Gesundheitsfonds. Das Zugeständnis zur Ab-schaffung der Praxisgebühr – zum Jagen haben wir Sieda übrigens alle getragen –
lässt er sich in sonntäglicher Koalitionsrunde vom FDP-Gesundheitsminister mit 2 Milliarden Euro zur Sanie-rung des Bundeshaushalts bezahlen. Für 2014 gibt esgleich noch einen Nachschlag von 500 Millionen Euro.Das ist ungeheuerlich; denn faktisch zahlen jetzt dieKrankenversicherten Ihr unsägliches Betreuungsgeld.
Einmal mehr zeigt sich: Schwarz-Gelb hat die Ge-sundheitspolitik in die Hände des Finanzministers gege-ben. Wenn Sie stattdessen, wo die Kassenlage jetzt sogut ist, ein neues Investitionsprogramm für Krankenhäu-ser aufgelegt hätten, wäre das Geld wenigstens im Res-sort geblieben. Ich habe schon wieder die alte Leier ge-hört, das wäre Ländersache und ginge ordnungspolitischnicht. Der Prototyp und Beweis dafür, dass das Wirkungzeigt, war der Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes,wodurch die neuen Bundesländer mit Unterstützung desBundes den Nachholbedarf bei den Krankenhausinvesti-tionen abbauen konnten. Jeder Finanzminister der Län-der hat für die Kofinanzierung gesorgt und das gern ge-tan.
Warum soll das, bitte schön, nicht auch heute beim Ab-bau des Investitionsstaus, der in der gesamten Kranken-hauslandschaft über 50 Milliarden Euro beträgt, funktio-nieren? Ich frage Sie: Warum nicht?
Unser diesbezüglicher Antrag auf Beteiligung des Bun-des mit 2,5 Milliarden Euro liegt Ihnen heute vor. Sowäre das ganze Problem in zehn Jahren erledigt.Auch wenn für uns Gesundheitsförderung das Primathat, um allen Menschen gleiche Chancen zu ermögli-chen, wollen wir natürlich auch, dass allen Menschen beiKrankheit geholfen wird. Arzneimittel können das be-wirken oder zumindest ihren Anteil dazu leisten. Weraber Arzneimittel allein einem profitorientierten Marktüberlässt, riskiert, dass Krankheiten, die selten oder nichtprofitabel sind, nicht beforscht werden. Er riskiert auch,dass Wechsel- und Nebenwirkungen verschwiegen wer-den, es also zu einer schlechteren Versorgung kommt.Hier muss auch der Staat Verantwortung übernehmen;deshalb unser Antrag zur pharmaunabhängigen For-schung. Das wäre richtungsweisend für eine sozial ge-rechte Gesundheitspolitik.
Dieser Haushalt und das Agieren von Finanz- undGesundheitsminister im Koalitionsgeschacher zeigen,wie wichtig es ist, eine stabile, zukunftssichere, ausrei-chende Finanzierungsgrundlage durch ein beitragsge-stütztes Umlagesystem in der Krankenversicherung zubekommen.Sie wissen, dass unser bevorzugtes Modell eine soli-darische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist. Dasist sehr konsequent. Wir haben ein durchgerechnetesKonzept. Ich kann Sie nur einladen, uns gemeinsam anden Tisch zu setzen und das in Bälde umzusetzen.Ich danke Ihnen.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die KolleginElisabeth Scharfenberg das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Sie haben dieOrganspendekampagne angesprochen. Daran möchte ichgerne anknüpfen. Ich möchte gleich den Finger in dieWunde legen. Seit Monaten erschüttern uns Meldungenüber ungeheure Missstände in der Transplantationsmedi-zin. Es gab Vorfälle in der Uniklinik Göttingen, in derUniklinik Regensburg und in der Uniklinik München.Genau diese Vorfälle gefährden die wichtigste Res-source, die wir beim Thema Organspende haben – unddiese wichtigste Ressource ist das Vertrauen.
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Elisabeth Scharfenberg
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Wenn sich Menschen für eine Organspende nach ih-rem Tod entscheiden, dann müssen sie auch darauf ver-trauen können, dass es nicht nur gerecht, sondern auchmit rechten Dingen zugeht. Daran können wir zweifeln,wenn Wartelisten ohne größere Probleme manipuliertwerden können. Daran können wir auch zweifeln, wennder Aufklärungswille der DSO oder der Überwachungs-kommission bei der Bundesärztekammer eher über-schaubar bleibt. Wir können daran zweifeln, wenn es zueiner Organentnahme kommt, obwohl nicht alle Hirn-todprotokolle vorliegen. Das genau ist 2005 in derUniklinik Düsseldorf geschehen. Das alles lässt das Ver-trauen vieler Menschen in unser Transplantationssystemschwinden. Es ist doch nachvollziehbar, dass viele Men-schen den Eindruck gewinnen, dass in diesem Systemvor allem getrickst und getäuscht wird.Insofern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist eseine völlig falsche Botschaft, wenn der Bundesgesund-heitsminister sagt, die Menschen mögen sich trotz dieserSkandale bitte nicht von der Bereitschaft zur Organ-spende abhalten lassen. Es würden sonst weiter Men-schen sterben, die dringend auf ein Spenderorgan war-ten.
Damit gibt er die Verantwortung an die möglichen Spen-derinnen und Spender, die durch ihre Spende Leben ret-ten – oder eben nicht. Das genau ist der falsche Weg.
Nein, meine Damen und Herren, die Botschaft dieserBundesregierung müsste vielmehr lauten, dass sie sichnun mit aller Kraft für ein gerechtes, für ein unabhängi-ges und vor allem für ein transparentes Organspendesys-tem einsetzt.
Hier passiert aber im Moment leider nichts. KosmetischeAlibimaßnahmen dieser Koalition beheben die Miss-stände eben nicht. Was wir hören, ist: Bloß keine staatli-che Kontrolle! Bloß die ärztliche Klientel nicht verär-gern!
Ein bisschen am System herumdoktern wollen Sie; aberam liebsten wollen Sie eigentlich alles so lassen, wie esist.
Nein, diese Koalition ist nicht bereit, das deutsche Or-ganspendesystem komplett auf den Prüfstand zu stellen.Das ist aber notwendig. Jetzt muss alles offen und ehr-lich auf den Tisch – jetzt endlich!
Ja, es ist richtig: Die gesundheitspolitischen Spreche-rinnen und Sprecher sowie die zuständigen Fachabge-ordneten treffen sich regelmäßig mit Vertretern des Ge-sundheitsministeriums. Ja, es ist gut, zu versuchen,fraktionsübergreifend zu agieren.
Aber es ist jetzt endlich an der Zeit, dass auch Taten fol-gen. Uns alle haben doch die Vorfälle in Göttingen, inRegensburg und in München erschüttert.
Was wir daraus lernen, ist, dass die Koordinierungs- undKontrollstrukturen im deutschen Organspendesystem of-fenbar unzureichend sind. Hier müssen wir doch endlichdie Konsequenzen ziehen. Deswegen müssen wir dieKoordination der Organtransplantation sowie die Auf-sicht über die beteiligten Einrichtungen in die Hände ei-ner juristischen Person öffentlichen Rechts legen. Au-ßerdem müssen wir alle Einrichtungen, die an derOrganspende beteiligt sind, verpflichten, schon beimbloßen Verdacht eines Rechtsverstoßes die zuständigenBehörden zu informieren.Die aufgetretenen Skandale zeigen uns auch, dass wiruns die bestehenden Regeln, nach denen Organe zuge-teilt werden, genau anschauen sollten. Dazu sollte eineunabhängige Bewertung in die Wege geleitet werden.Immer mehr Spenderorgane werden in dem soge-nannten beschleunigten Verfahren an den Wartelistenvorbei vergeben. Wir müssen genau nachvollziehen kön-nen, wo und warum das so geschieht. Nur so können wirauch hier Manipulationen verhindern. Deshalb brauchenwir auch ein anonymisiertes Transplantationsregister.
Meine Damen und Herren, wir haben als grüne Bun-destagsfraktion die genannten Forderungen in Form ei-nes Antrags eingebracht. Diesen Antrag sehen wir ganzklar als Einladung an Sie, nun endlich konkret mit unsgemeinsam an einer Problemlösung zu arbeiten.
Der Bundestag hat im Sommer dieses Jahres mit gro-ßer Mehrheit die Entscheidungslösung auf den Weg ge-bracht. Verbunden damit ist doch der Wunsch, dass dieMenschen sich mit dem schwierigen Thema der Organ-spende beschäftigen. Wenn Sie das wirklich ernst mei-nen, dann haben Sie auch die Verpflichtung, sich offenund ehrlich mit dem enormen Reformbedarf zu befassen.Ich denke, es ist wichtig, hier das verlorene Vertrauenwieder einzufangen. Es reicht nicht, nur Mittel für Or-
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Elisabeth Scharfenberg
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ganspendekampagnen im Haushalt einzustellen und Or-ganspendeausweise zu verteilen.
Frau Kollegin Scharfenberg, erlauben Sie noch eine
Zwischenfrage zum Abschluss?
Ja, gerne.
Bitte schön, Otto Fricke.
Frau Kollegin, unabhängig von der Tatsache, dass Sie
mit Ihrer Rede, die zum Glück außerhalb der Fernsehzeit
stattfindet, gerade dieses Vertrauen, das wir alle langsam
wieder aufzubauen versuchen, wieder zerstören,
frage ich, da wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befin-
den: Erstens, welche Anträge haben Sie gestellt, um hier
etwas zu verändern? Zweitens, was ist an der gegenwär-
tigen Haushaltsvorlage in dem von Ihnen beschriebenen
Bereich falsch?
Wir haben uns alle gemeinsam in diesem Sommer für
die Entscheidungslösung entschieden, weil wir der fes-
ten Überzeugung waren, dass eine breite Mehrheit ein
gutes Zeichen ist, die Menschen zur Organspende zu be-
wegen.
Wir haben aber schon weit vorher mitbekommen, dass es
leider Probleme bzw. Unregelmäßigkeiten bei der DSO
gibt.
Wir haben damals versucht, das im Gesetz zu regeln.
Das war nicht möglich.
Ich denke, es reicht im Moment nicht mehr aus, gemein-
same Gespräche zu führen. Wir erkennen die Unregel-
mäßigkeiten, wir sehen, wo es Probleme gibt. Wir sehen
doch an den Umfragen, wie die Spendenbereitschaft der
Menschen zurückgeht.
Das Vertrauen ist letztendlich verspielt. Wir müssen die-
ses Problem endlich mit offenem Visier anpacken, sonst
ist jeder Euro, der hier investiert wird, ein Euro zu viel.
Die Redezeit ist zu Ende, Herr Spahn. Die letzte
Frage wurde schon nach Beendigung der Redezeit ge-
stellt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Michalk von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasThema ist geeignet, in einer separaten Debatte unter demAspekt des Vertrauens behandelt zu werden. Ich kehrejetzt zum Tagesordnungspunkt zurück.
Wir reden heute zum Haushalt. Auch aus den Reden derOpposition habe ich es mehr oder weniger, auch wenn esmanchmal versteckt zwischen den Zeilen war, herausge-hört, dass niemanden in diesem Saal bestreitet, dass wirin Deutschland eine leistungsstarke medizinische Ver-sorgung entwickelt und etabliert haben, um die uns vieleLänder dieser Erde beneiden. Wir haben in der bürger-lichen Koalition zu allen Zeiten eine Politik gemacht, diedie Herausforderungen unserer Zeit betrachtet und aufsie reagiert. Das betrifft die Einbeziehung des medizi-nisch-technischen Fortschritts, die demografische Ent-wicklung, wie schon gehört, die neuen medizinisch-wis-senschaftlichen Erkenntnisse und auch die finanziellenRahmenbedingungen.Ob Politik zu allen Zeiten in unterschiedlicher Regie-rungsverantwortung immer die richtigen Rahmenbedin-gungen dafür gesetzt hat, darüber kann man wirklich un-terschiedlicher Meinung sein, und wir sind es. FrauBunge möchte, wie sie schon wieder betont hat, die Bür-gerversicherung einführen. Das gilt ja auch für andere.
Wir halten diese zentralistischen Ansätze für falsch undsetzen auf wettbewerbsrechtliche Elemente im Gesund-heitswesen, die sich bewährt haben.
Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind imletzten Jahr, wie schon erwähnt, das Problem der dro-henden ärztlichen Unterversorgung, die übrigens vonFrau Gesundheitsministerin Schmidt viele Jahre igno-riert wurde, angegangen, wir haben die Abschottung dereinzelnen Leistungsbereiche aufgehoben und die Ge-sundheitspolitik in die richtige Richtung gelenkt. Waswill ich damit sagen? Wir betrachten in Zukunft die Re-
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Maria Michalk
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gionen nach medizinischen Versorgungsmerkmalen inkleineren Einheiten und reagieren somit auf die Versor-gungswirklichkeit vor Ort. Die entsprechende Umset-zung durch die Selbstverwaltung werden wir natürlichweiterhin kritisch begleiten. Noch ist nicht alles optimal,auch wenn die Krankenkassen zum Beispiel Beratungs-telefone eingeführt haben, wo sich Versicherte mit Un-terstützung der Krankenkassen um zeitnahe Termine beiden Ärzten bemühen können. Aber wenn keine Ärztevor Ort sind, kann die Krankenkasse auch nicht helfen.Das ist ein Thema, an dem wir weiter arbeiten wer-den. Aber die Rahmenbedingungen für eine bessere me-dizinische Versorgung in der Fläche sind gegeben. DieLänder haben dabei eigene Maßnahmen entwickelt undProjekte gestartet, um zum Beispiel Medizinstudentenan die Region zu binden, indem sie das Studium finan-zieren oder Niederlassungen durch zinsgünstige Darle-hen unterstützen. Jedenfalls sind die Stimuli größer ge-worden, um Menschen, die medizinisch tätig sind, auchin die Regionen zu bringen, die nicht so attraktiv sind,wie manche meinen.
Wenn in der Fläche in strukturbenachteiligten Regio-nen keine Fachärzte mehr praktizieren, dann wird esschwierig. In diesem Zusammenhang will ich noch ein-mal auf das Thema der integrierten Versorgung zu spre-chen kommen. Es war richtig, dass die Bundesregierungund die Koalition hier im Bundestag der integriertenVersorgung einen höheren Stellenwert gegeben haben.Damit haben wir ein Instrument entwickelt, das meinesErachtens in Zukunft auch unter dem Aspekt der Ab-schaffung der Praxisgebühr eine größere Rolle spielenwird und mit dem die Lotsenfunktion des Arztes unter-stützt werden kann.Mit der Förderung sektorübergreifender, interdiszipli-när-fachübergreifender Versorgung über die verschiede-nen Leistungssektoren hinweg haben wir den Ball in dierichtige Richtung gelenkt. Die Anschubfinanzierung istzum Ende des Jahres 2008 ausgelaufen, weil sie zum ei-nen nicht zu der seit 2009 geltenden neuen Vergütungs-struktur der vertragsärztlichen Versorgung passt undweil sich zum anderen Integrationsprojekte nach einergewissen Zeit selber tragen sollten.Manche Blütenträume wurden geweckt, und mancheProjekte wurden gestartet, die es heute nicht mehr gibt.Trotzdem ist das Instrument der integrierten Versorgungrichtig; denn damit können die Schnittstellenproblemebei der Versorgung besser gelöst werden, können Substi-tutionsmöglichkeiten über verschiedene Leistungssekto-ren hinweg genutzt werden, kann die Qualitätssicherungoptimiert werden und können natürlich Wirtschaftlich-keitsreserven gehoben werden.Dass dabei der Aufbau bzw. die Einbeziehung der Te-lemedizin eine weitere große Chance bedeutet, will ichnur am Rande erwähnen. Wir haben das Ganze im Ver-sorgungsstrukturgesetz in den richtigen gesetzlichenRahmen gesetzt. Wir appellieren an alle Beteiligten, diesjetzt durchzusetzen und die richtigen Schlussfolgerun-gen aus dieser gesetzlichen Vervollkommnung zu zie-hen.
Bei der integrierten Versorgung ist inzwischen auchder Kreis der potenziellen Vertragspartner der Kranken-kassen erweitert worden. Die Krankenkassen könnennun auch direkter mit Ärzten sowie mit Trägern von me-dizinischen Versorgungszentren und mit Trägern, dienicht Selbstversorger sind, zum Beispiel Management-gesellschaften, Verträge schließen. Auch Pflegekassenund Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI können indiese Versorgungsverträge einbezogen werden. Mit derletzten gesetzlichen Regelung haben wir überdies zuge-lassen, dass Pharmaunternehmen und Hersteller von Me-dizinprodukten Vertragspartner sein können. Auch hierhaben wir also eine breitere wettbewerbliche Regelunggeschaffen, die vor Ort gelebt werden muss.Die Festlegung der Vergütung der integrierten Versor-gung liegt in den Händen der Vertragspartner selbst, bishin zur Übernahme der Budgetverantwortung. Auch dasist ein Wettbewerbselement, das gelebt werden muss undvon dem ich denke, dass es das richtige Instrument ist.So wie bei der integrierten Versorgungsform habenwir die Möglichkeiten der medizinischen Versorgungs-zentren optimiert, in denen auch wir eine Chance geradefür die ländlichen Regionen sehen. Gleichwohl hat sichbisher die Mehrzahl der insgesamt rund 1 730 MVZ inKernstädten oder Ober- und Mittelzentren niedergelas-sen. Das kann man hinterfragen. Vorwiegend sind dieGründer nach wie vor Vertragsärzte und Krankenhäuser.Die am häufigsten beteiligten Facharztgruppen sindHausärzte und Internisten.Meine Damen und Herren: Es funktioniert. Etwa10 000 Ärzte sind in MVZ tätig, mehr als 8 000 davonim Anstellungsverhältnis. Das hilft besonders jungenMännern und Frauen, Familie und ihren Beruf als Arztoder Ärztin zu vereinbaren.In unserer Gesellschaft – es ist mir wichtig, das zu sa-gen –, in der viele Menschen Gott sei Dank viel älter alsihre Mütter und Väter werden und trotz hohen Altersjung im Herzen bleiben, gehen wir leider oberflächlichdavon aus, dass diese Entwicklung mit allgegenwärtigerund umfassender Fitness von jedem Mann und jederFrau in jedem Alter gleichzusetzen ist.
Beides ist möglich: Junge sehen manchmal ganz schönalt aus – um es bildlich darzustellen –, Alte manchmalganz schön jung.
Die Wahrheit ist, dass wir uns im Gesundheitswesenmehr und mehr auf Barrierefreiheit einstellen müssen;dies muss bei allen Um- und Ausbaumaßnahmen beach-tet werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25217
Maria Michalk
(C)
(B)
Ich denke, dass bei heute 2,4 Millionen Pflegebedürf-tigen, die in zwei Dritteln der Fälle zu Hause betreutwerden, eine große Leistung vollbracht wird, die wir– trotz einzelner Beispiele für negative Umgangsweisen –hier einmal öffentlich erwähnen sollten. Unser Dank undunser hoher Respekt gelten den Pflegekräften und denpflegenden Angehörigen.
Sie bilden eine wichtige Basis unseres Gesundheits-wesens.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir be-trachten das zu Ende gehende Haushaltsjahr und sagen:Wir haben gut gewirtschaftet. Heute werden wir denHaushalt für diesen Bereich verabschieden.
Ich will in diesem Zusammenhang auf unser Motto hin-weisen: Wer sich nur an den Bedürfnissen der Älterenorientiert, schließt die Jungen aus; wer sich nur an denBedürfnissen der Jüngeren orientiert, schließt die Älte-ren aus. Deshalb ist es richtig, dass wir an unserem gene-rationsübergreifenden Ansatz in der Gesundheitspolitikweiterhin festhalten.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Bärbel
Bas das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn manin den Haushalt schaut und sich Ihre Bilanz anhört, dannkann man eigentlich nur sagen: eine Bilanz ohne Glanz.
– Es tut mir leid. Schauen Sie einmal in Ihren eigenenHaushalt: Sie sparen dort, wo Sie eigentlich gestaltensollten, und Sie bedienen sich dort, wo Sie eigentlichhaushalten sollten.Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben Herrn Lauterbachvorgeworfen, er würde in einem „Paralleluniversum“ le-ben.
In Ihrer Welt möchte ich aber auch nicht leben. Sie redenhier von einem Schwerpunkt im Bereich der gesundheit-lichen Aufklärung der Bevölkerung, aber man kanndeutlich sehen, dass Sie diesen Bereich seit drei Jahrenaustrocknen wollen: 2013 reduzieren Sie die Mittel wie-der um 5 Prozent.
Deswegen weiß ich nicht, in welcher Parallelwelt Siesich für gesundheitliche Aufklärung einsetzen – in mei-ner jedenfalls nicht.
Auf der anderen Seite scheinen Sie zu glauben, dasses ausreicht, wenn Sie über gesunden Lebenswandel undgesunde Arbeitsbedingungen aufklären, wenn Ihr Minis-ter durch Betriebe läuft und ab und zu den Begriff derbetrieblichen Gesundheitsförderung im Munde führt.Das scheint Ihnen auszureichen. Denn wir warten heuteimmer noch auf Ihre Präventionsstrategie; Sie haben siebisher immer noch nicht abgeliefert. Wenn ich in IhrenHaushaltentwurf schaue, dann erkenne ich, dass dafürauch keine Mittel vorgesehen sind. Wahrscheinlichhandelt es sich um eine Strategie, die aufgrund Ihrer an-geblich so tollen Regierungsarbeit, die Sie vor sich her-tragen, oder aber durch Handauflegen zu einem Selbst-läufer wird. Das wird aber nicht reichen; das kann ichIhnen an dieser Stelle schon einmal prophezeien.Das Auslaufen der Mittel zur Förderung der Kinder-gesundheit, die Sie vorhin hervorgehoben haben, ist ge-nauso falsch. Da standen mindestens 1 Million Eurobereit. Man kann vielleicht sagen: Das ist nicht ausrei-chend; das war zu wenig. – Aber mit dieser Million hät-ten Sie neue Akzente setzen können. Das tun Sie abernicht, weil Sie keine Konzepte haben.
Es gibt in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts, wasSie in diesem Bereich erreichen wollen, geschweigedenn irgendwelche Ziele, die Sie formulieren. Man kannan dieser Stelle festhalten, dass Sie bei der Prävention,auf einem der bedeutendsten gesundheitspolitischen Ge-staltungsfelder, völlig blank sind, nichts vorlegen undseit drei Jahren komplett versagen.
Das erscheint aus Ihrer Sicht konsequent, weil Sie imKerngeschäft der Gesundheitspolitik – das kann man ander Stelle sagen – völlig versagen. Denn anders ist esnicht zu erklären, wie Sie mit dem Gesundheitsfondsumgehen. Sie haben nämlich in vielerlei Hinsicht denNachweis erbracht, dass Sie keine Ahnung haben, wieSie mit diesem wichtigen Element des Gesundheitssys-tems umgehen wollen. In völliger Verkennung der Reali-tät hat nämlich Ihr damaliger GesundheitsministerRösler bei Amtsantritt ein Milliardenloch bei den Kran-kenkassen herbeigeredet, wenn nicht sogar erfunden.
Der Herr Minister – und auch Herr Fricke heute Morgen;ich habe sehr wohl zugehört – wiederholt diese Erfin-dung permanent. Ich habe den Eindruck: Je mehr Zeitvergangen ist, desto größer wird die vermeintliche Lü-cke.
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25218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Bärbel Bas
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– Das sage ich Ihnen jetzt. – Schauen wir uns die Ge-samtbilanz 2009 an – die Zahlen habe ich aus dem Ge-sundheitsministerium –: Die gesetzliche Krankenversi-cherung hatte mit einem Überschuss von 1,42 MilliardenEuro abgeschlossen. Ich möchte das Loch, das Sie mei-nen ausgegraben zu haben, wirklich einmal sehen.
– Ich sage Ihnen, woher das kommt, was sie heute hat:Minister Rösler hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt.Man hat ihm die Krankenversicherung erklärt, dann hater plötzlich eine Panikattacke bekommen und mal ebenden Beitragssatz erhöht. Das war völlig unnötig.Sie haben die Finanzen völlig falsch eingeschätzt.
Die durchgeführten Konjunkturprogramme haben dieEinnahmeseite deutlich erhöht.
Die Ausgabenseite haben Sie völlig falsch eingeschätzt.Von 2004 bis 2009 wurden Sparmaßnahmen durchge-führt, die in allen Bereichen durchaus schmerzhaft wa-ren. Sie haben ein Defizit herbeigeredet, um Angst zuschüren, damit Sie die Beitragserhöhung durchziehenkönnen. Das hat dazu geführt, dass jetzt die Versicher-ten, die eigentlich das Recht auf Beitragsrückerstattunghätten, herhalten müssen, damit Herr Schäuble seinenHaushalt sanieren kann.
2 Milliarden Euro wurden bereits aus dem Fonds heraus-genommen. Im nächsten Jahr werden es noch einmal2,5 Milliarden Euro sein. Das macht 4,5 Milliarden Euro,die der Haushaltssanierung dienen. Am Ende zahlt dasder Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversiche-rung und sonst niemand.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie das Gut-achten des Sachverständigenrates. Dort heißt es klar unddeutlich: Den Steuerzuschuss für versicherungsfremdeLeistungen zurückzufahren, ist der falsche Weg. Dasentlastet zwar alle Steuerzahler; aber die GKV-Beitrags-zahler werden dadurch nicht stärker entlastet, weil siedas Ganze finanziert haben. Mit den Beiträgen finanzie-ren Sie Ihren politischen Kuhhandel.
Seien Sie doch so ehrlich und erklären Sie den Bei-tragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung, wa-rum Sie im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro und da-nach noch einmal 2 Milliarden Euro aus dem Fondsnehmen. Das machen Sie doch nur, um das Betreuungs-geld und die Autobahn in Bayern, die Sie ausbauen wol-len, zu bezahlen und um Ihr Versagen bei der Deckungdes Bundeshaushalts zu kaschieren. Diese Plünderungder sozialen Sicherungssysteme machen wir nicht mit.Deshalb werden wir Ihren Haushalt ablehnen.
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort dem Kollegen Lothar Riebsamen von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Nach den schwierigen Jahren zu Beginn dieser Legisla-turperiode, als wir leider neue Schulden in einer Größen-ordnung von über 80 Milliarden Euro machen mussten,nach schwierigen Jahren auch in der gesetzlichen Kran-kenversicherung, als wir mit einem Defizit von 11 Mil-liarden Euro gerechnet haben, macht es Freude, sich mitdiesem Haushalt auseinanderzusetzen.
Verehrter Herr Lauterbach, es greift deutlich zu kurz,wenn Sie die Erfolge dieser Regierung auf die Beitrags-satzerhöhung reduzieren. Ich darf daran erinnern, dasswir exakt den gleichen Beitragssatz haben wie zu derZeit, als das Gesundheitsministerium noch in sozialde-mokratischer Hand war. So können Sie also die Erfolgeund die Zahlen nicht erklären, die wir durch die Rückla-gen im Gesundheitsfonds und bei den gesetzlichen Kran-kenversicherungen vorzuweisen haben.Es macht mich besonders stolz, dass wir in einerschwierigen Zeit auf europäischer Ebene zusammen mitanderen Ländern nicht nur Regeln vorgeben, sonderndiese Regeln selber auch einhalten können. Wir lebendas vor und zeigen, dass es geht.
Ich sage aber auch, dass dieser Haushalt kein Selbst-läufer ist. Wir leben in einer konjunkturellen Phase, dieeher an Dynamik nachlässt. Des Weiteren leben wir mitden Risiken im europäischen Umfeld. Nach wie vor ha-ben wir es – Gott sei Dank – mit einer sehr positiven de-mografischen Entwicklung zu tun. Wir leben in einerZeit, in der wir alle in Gesundheit älter werden, in einerZeit hervorragenden medizinischen Fortschritts. Auch
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25219
Lothar Riebsamen
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dafür müssen wir in Zukunft Lösungen finden, und wirwerden sie finden.Ich frage mich nur, wie man in einer Zeit, in der wiruns mit der Problematik auseinandersetzen, die gute Si-tuation in Deutschland zu sichern, auf die Idee kommenkann – wie Verdi es in den vergangenen Tagen getanhat –, nun auch noch die Vollkaskoversicherung in derPflege einzufordern, meine Damen und Herren.
Das überfordert unser System, das überfordert unsereWirtschaft, das überfordert unsere Menschen. So fahrenwir unser Gesundheitssystem im Zweifel tatsächlich andie Wand. Ich fordere auch die Opposition auf, auf Verdieinzuwirken, dass sie es zukünftig unterlassen, den Men-schen Sand in die Augen zu streuen.Wir haben die derzeitige Situation erreicht, weil wiran manchen Stellen mehr Geld in die Hand genommen,an anderen Stellen eingespart, aber auch strukturelle Ver-besserungen erreicht haben.
Im Bereich der Pflege haben wir mehr Geld – 1,1 Mil-liarden Euro – in die Hand genommen. Wir haben dasdurch eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozent erreicht.
Das war angesichts der Tatsache, dass von insgesamt2,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in unseremLand 1,5 Millionen Menschen zu Hause gepflegt wer-den, ein wichtiger Schritt. Es ist eine Wertschätzung ge-genüber den pflegenden Angehörigen, dass wir Geldleis-tungen in diesem Bereich deutlich erhöhen sowie zumersten Mal im ambulanten Bereich auch Demenz berück-sichtigen. Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzsorgen wir dafür, dass zukünftig Menschen, die denWunsch haben, ihre letzten Lebensjahre oder Lebensmo-nate zu Hause zu verbringen, das auch können. Auch da-rauf dürfen wir stolz sein.
Vor allem im Arzneimittelbereich haben wir durcheine Verminderung der Ausgaben in Form von RabattenSofortmaßnahmen ergriffen. Auch hier haben wir mitdem AMNOG deutliche strukturelle Verbesserungen er-reicht. Zum ersten Mal kann die pharmazeutische Indus-trie ihre Preise für neue Medikamente nicht mehr selberfestlegen, sondern sie muss – wie dies in einer sozialenMarktwirtschaft normal und in einem Wettbewerb üblichist – die Preise mit den gesetzlichen Krankenkassen ver-handeln. Auch dies war ein wichtiger Schritt, der längstüberfällig war.
Auch im Bereich der Krankenhäuser haben wir So-fortmaßnahmen ergriffen. In der Tat ist es so, dass dieKrankenhäuser für das Jahr 2012 nicht die volle Grund-lohnrate erhalten haben, sondern nur eine reduzierte. DieTarifverträge für das Jahr 2012 und auch für das Jahr2013 liegen über dieser zugestandenen Grundlohnrate.Deswegen haben wir Soforthilfe geleistet. Wir haben mitüber 300 Millionen Euro den Krankenhäusern für dasJahr 2012 einen Tarifausgleich zur Verfügung gestellt.Ich verstehe, dass Krankenhäuser, die das bei unsauch so eingefordert haben, Briefe geschrieben haben.Ich will noch weiter gehen: Ich verstehe ebenso Kran-kenhäuser, die das Gleiche jetzt auch für das Jahr 2013fordern, weil trotz dieser Maßnahmen das eine oder an-dere Krankenhaus für das Jahr 2012 mit einem Defizit zurechnen hat. Ich verstehe aber nicht, dass Bundesländer,die diese schlimme Situation für viele Krankenhäusermit verschuldet haben, nun massiv vom Bund Geld ein-fordern, weil sie selber ihre Hausaufgaben nicht gemachthaben.
Es ist klipp und klar geregelt, dass die Länder für die In-vestitionen der Krankenhäuser aufzukommen haben.Noch nicht einmal ansatzweise tun sie das. Deswegenkann es nicht sein, dass nun ausgerechnet die Länderkommen und einen Ausgleich für die Krankenhäusereinfordern.Ich möchte noch weiter gehen. Was den Kranken-hausbedarfsplan anbelangt, waren wir in diesem HohenHaus einmal weitgehend der Meinung, dass mit der Ein-führung der DRG das Ziel verfolgt wurde, die Zahl derBetten in den Krankenhäusern, in denen es zu vieleBetten gab – heute gibt es zum Teil immer noch zu vieleBetten –, zu reduzieren. Auch die Zahl der Krankenhäu-ser sollte reduziert werden. Nicht ausgemacht war, dasssich die Länder mehr oder weniger aus der Kranken-hausbedarfsplanung zurückziehen und es der Kommu-nalpolitik, also den ehrenamtlichen Kreis- und Stadträ-ten ganz allein überlassen, Abteilungen oder sogar ganzeKrankenhäuser zu schließen. Wenn die Conclusio ist,dass die Länder keine Krankenhausbedarfsplanung mehrbetreiben und nicht in ausreichendem Maße Investitions-mittel zur Verfügung stellen, dann müssen wir unsfragen, ob es nicht notwendig ist, dass wir uns auf Bun-desebene mit strukturellen Fragen der Krankenhaus-finanzierung und der Krankenhausbedarfsplanung aus-einandersetzen. Vielleicht müssen wir uns die Fragestellen, ob das, was wir getan haben, richtig war.Die blinkende Lampe zeigt mir an, dass meine Rede-zeit zu Ende ist. Daher nur noch ein letzter Satz zumThema Psych-Entgelte. Ich weiß, dass die psychiatri-schen Krankenhäuser mit der derzeitigen Situation Pro-bleme haben.
Ich weiß, dass sie die zur Verfügung gestellten Mittelnicht als ausreichend ansehen. Ich möchte in diesem Zu-sammenhang nur darauf hinweisen, dass dies ein lernen-des System ist, dass die ersten vier Jahre vollkommenbudgetneutral sind und dass die Übernahme des neuenEntgeltsystems in den ersten beiden Jahren auf freiwilli-ger Basis erfolgt. Ich möchte an alle Beteiligten appellie-ren, nicht nur die Probleme zu sehen – auch ich sehe ei-nige Probleme; das ist ja auch kein Wunder, wenn man
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25220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012
Lothar Riebsamen
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erst am Anfang steht –, sondern auch die Chancen. Das,was wir hier machen, ist nicht nur die überfällige Anpas-sung des Entgeltsystems. Es liegt im Interesse unsererPatientinnen und Patienten, dass der ambulante Bereichgestärkt wird. Wir können ihn aber nur stärken, wennwir dieses Entgeltsystem einführen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 – Bundesministerium für Gesundheit – in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungs-
anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11511. Wer
stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist bei Zustimmung der Linken mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11512. Wer
stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11515. Wer
stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11516. Wer
stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Dieser
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Zustimmung der Linken und Enthaltung
von SPD und Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Ein-
zelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
für? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 15 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 21. November 2012,
10.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.