Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist
eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Michael von Schmude, der am 19. No-
vember seinen 60. Geburtstag feierte, die besten Glück-
wünsche des Hauses aussprechen.
Die Fraktion der F.D.P. hat fristgemäß beantragt, die
Tagesordnung für diese Sitzungswoche um die zweite
und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
form der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jah-
re 2000 auf Drucksache 14/1977 zu erweitern. Das
Wort zur Begründung hat der Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Wir haben es hier mit einem ein-maligen Vorgang zu tun.
Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf verabschiedet,bei dem über 20 Seiten fehlen. Deshalb macht diesesGesetz für sich keinen Sinn mehr. Wenn wir schon beimThema „Sinn“ sind: Es macht keinen Sinn, daß dieserFehler auf die Druckerei, auf den Ausschuß oder aufwen auch immer geschoben wird. Schuld an diesemVorgang hat diese Bundesregierung.
Sie hat dafür gesorgt, daß die Ausschüsse bis in dieletzte Minute mit ganzen Packen von Änderungsanträ-gen versehen worden sind.
Sie hat dafür gesorgt, daß mitberatende Ausschüsse Än-derungsanträge zum Teil überhaupt nicht gesehen haben,und sie hat dafür gesorgt – das ist der entscheidendePunkt –, daß dem vernünftigen Vorschlag, den ich hieram 4. November gemacht habe, nicht gefolgt worden ist.
Sie können sich daran erinnern, daß ich hier einensehr vernünftigen Vermittlungsvorschlag gemacht habe,nachdem wir schon während der Beratungen mehreregravierende Fehler entdeckt haben. Ich habe vorgeschla-gen, abends noch einmal über die Unterlagen zu gehenund nachzuschauen, ob gegebenenfalls noch weitereFehler vorhanden sind.
Es ist doch eine Lebenserfahrung: Wenn in irgend etwaseinmal der Wurm ist, dann ist er dick drin. Wer das ersteJahr dieser Bundesregierung erlebt hat, der weiß, wasdas für ein Wurm ist.
Die Kollegin Heyne hat damals geglaubt, sagen zukönnen: Das heißt, es gibt jetzt überhaupt keinen Anlaß,alle Seiten zu wälzen und zu hoffen und zu glauben, esmöge sich noch ein weiterer Fehler finden. – Diese Ar-roganz hat uns damals gestört, und sie ist prompt be-straft worden.
Warum beantragen wir, erneut in die zweite unddritte Lesung des Gesetzentwurfs einzutreten? Wir tunes nicht, weil wir das Gesetz gut finden und wollen, daßder Gesetzentwurf in Kraft tritt. Wir wissen, welche ne-gativen Folgen es insbesondere für die Patienten, aberauch für alle Gesundheitsberufe hat.
Ich denke, daß wir als Parlament eine Gesamtverant-wortung haben. Wir sollten diesen unwürdigen Vorgangendlich beenden und jetzt zu einer vernünftigen Bera-tungsweise des Bundestages kommen.Nach unserer Auffassung ist das, was wir in zweiterund dritter Lesung beschlossen haben, klar nichtig.
Dadurch, daß ganz wesentliche Teile fehlen, macht dasGesetz keinen Sinn mehr. Es gibt zum Beispiel in eini-
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gen Paragraphen Verweisungen auf Bestimmungen, diesich im beschlossenen Gesetz gar nicht finden.
Bereits dies macht doch deutlich, wie unsinnig der Ge-setzestorso ist, der jetzt dem Bundesrat zugeleitet wor-den ist.Der Bundestag soll und muß sich nach unserer Auf-fassung noch einmal mit diesem Gesetz befassen, weilbisher der Bundesrat dieses Gesetz nicht in ordnungs-gemäßer Weise erhalten hat;
denn der Bundestagspräsident hat den vollständigenText übermittelt, den der Bundestag nicht beschlossenhat. Dies kann nicht als eine ordnungsgemäße Übersen-dung des Gesetzes an den Bundesrat angesehen werden;denn ein solches Gesetz gibt es nicht.
Der unvollständige Text ist vom Direktor beim Deut-schen Bundestag zugeleitet worden. Dies ist kein ord-nungsgemäßes Verfahren. Dies alles macht deutlich, daßder Bundestag frei ist, darüber noch einmal zu beraten.Wir appellieren erneut an Sie, zu einem geordnetenVerfahren zurückzukehren. Sie haben diesen vernünfti-gen Ratschlag der Opposition am 4. November arrogantabgelehnt. Wir haben die herzliche Bitte, daß Sie dies-mal zur Vernunft zurückkehren.Herzlichen Dank.
Zur Ge-
schäftsordnung erteile ich jetzt dem Kollegen Wil-
helm Schmidt das Wort für die sozialdemokratische
Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Geschäftsordnungsan-trag der F.D.P. – unterstützt durch die CDU/CSU – unddiese Debatte laufen ins Leere. Gerade eben ist eine län-gere Sitzung des Ältestenrats beendet worden, die fasteinem juristischen Seminar glich. Trotzdem hat diesnichts geholfen. Man wundert sich schon sehr. Ich stellefest, daß es Ihnen nicht darum geht, irgendwelcheRechtsfehler zu bereinigen, sondern darum, das Gesetzzu Fall zu bringen.
Wenn Sie es schon nicht im demokratischen Verfahrenschaffen, das Gesetz zu Fall zu bringen, dann versuchenSie es eben durch Geschäftsordnungsdebatten und durchnachträgliche rechtliche Auslegungen, die keiner Prü-fung standhalten. Dies haben wir heute bestätigt be-kommen.
Tun Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU und der F.D.P., bitte nicht so, als würden Sieein Interesse daran haben, das Gesetz zu retten, das Ih-nen immer ein Dorn im Auge gewesen ist. Das Gegen-teil ist offensichtlich der Fall: Sie versuchen verzweifelt,wenn auch mit dubiosen Mitteln, das Gesetz zu torpedie-ren.Ich möchte Ihre Fragen, Herr van Essen, im Detailbeantworten. Nachdem die Fehler entdeckt worden sind,hat es mehrere Möglichkeiten gegeben, sie zu heilen. Ichmöchte an dieser Stelle sehr deutlich darauf hinweisen:Die Fehler waren relativ umstritten. Man hätte bei-spielsweise auf die „offenbaren Unrichtigkeiten“ rekur-rieren können. Die Bezugnahme auf § 122 Abs. 3 derGeschäftsordnung hat im Rahmen des Gesetzgebungs-verfahrens schon einmal geholfen. Wir haben diesmaldarauf verzichtet – obwohl es starke Argumente dafürgegeben hat, dies zu tun –, weil wir der Auffassung sind,daß in diesem Fall mit der entsprechenden Gesetzeslük-ke nicht so verfahren werden sollte, so sehr sie uns –darauf möchte ich deutlich hinweisen – auch selber är-gert. Tun Sie bitte nicht so, als würden wir hier Geset-zeslücken fahrlässig produzieren. Tatsächlich ärgertuns dies genauso wie Sie und alle anderen draußen imLande.
Der Weg, uns auf § 122 Abs. 3 der Geschäftsordnungzu beziehen, war uns schon deswegen versperrt, weil es,wenn wir uns darauf bezogen hätten, eine neue Beratungdes Gesetzes im Deutschen Bundestag gegeben hätte.Der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestageshätte erneut tagen müssen. Genau dies ist der Punkt, aufden Sie hinauswollen. Jedes zusätzliche Tätigwerden desDeutschen Bundestages hinsichtlich des Gesetzes hätteein Wiederaufleben des Gesetzesverfahrens bedeutetund hätte gleichzeitig dem Bundesrat wahrscheinlich dieGelegenheit gegeben, die Fristeinrede geltend zu ma-chen. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen: Wir wolltendieses Gesetz auf jeden Fall in den Bundesrat einbrin-gen.
Dies werden wir nun auch tun.Ich möchte Sie einmal an Ihre Regierungszeit erin-nern. Das muß sein. Sie tun immer so, als wenn nurwährend unserer Regierungszeit besondere Eile bezüg-lich der Gesetzgebungsverfahren an den Tag gelegtworden sei. Dies ist bei Ihnen auch der Fall gewesen.Wenn Sie darauf hinweisen, daß jetzt besondere Pannenzu verzeichnen seien, dann möchte ich von dieser Stelleaus Ihnen und der Öffentlichkeit mitteilen, daß das letzteGesundheitsreformgesetz, das unter Ihrer Federführungbehandelt worden ist, 600 – ich betone: 600 – Fehleraufgewiesen hat, die anschließend bereinigt werdenmußten.
Jörg van Essen
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Jedesmal machen Sie aus einer Mücke einen Elefantenund versuchen, Gesetzgebungsverfahren zu torpedieren.Während Ihrer Regierungszeit – dies ist ganz normal –sind ähnliche Fehler, manchmal sogar in noch größeremUmfang, passiert.Deswegen haben wir ganz besonderen Wert daraufgelegt, das Gesetzgebungsverfahren nicht zu unterbre-chen. Wir tun gut daran, dies nicht zu tun, weil nämlichder Deutsche Bundestag sein Verfahren abgeschlossenhat.Der Bundesrat hat übrigens in seinem ständigen Bei-rat, wohl wissend, was denn an dieser Stelle stattfindet,nichts gegen dieses Verfahren gehabt. Das heißt, derständige Beirat des Bundesrates hat dem Verfahren, daswir hier heute durchführen wollen, ausdrücklich zuge-stimmt. Er hat ausdrücklich auch auf eine zusätzlicheSitzung des Gesundheitsausschusses des Bundesratesverzichtet. Was soll denn dann eigentlich Ihr Getöse?
Ich will in diesem Zusammenhang auf folgendeshinweisen: Wenn Sie hier in einer sehr verqueren Formvon Juristerei zu demonstrieren versuchen,
das Gesetz sei wegen dieses Teilfehlers nichtig, danndürfen Sie hier und heute nicht die zweite und dritte Le-sung reklamieren, sondern dann müssen Sie sagen, daßdas Gesetz insgesamt nicht mehr vorhanden ist – daswäre dann nämlich die Folge –, weil es nichtig ist. Dannmüßten Sie uns auffordern, das gesamte Gesetzgebungs-verfahren neu zu beginnen. Aber mit der Krücke, die Siean dieser Stelle benutzen, geht es jedenfalls nicht. Dasverstehe sogar ich als Nichtjurist.
Ich will im übrigen daran erinnern, daß Sie, insbe-sondere die CDU/CSU, von vornherein erklärt haben,daß Sie überhaupt kein Interesse daran haben, diesesGesetz wirksam werden zu lassen. Sie entlarven sichselbst am heutigen Tage.Daher werden und können wir, auch mit Blick auf dieausführlichen Informationen, die uns die Bundestags-verwaltung im Ältestenrat auf juristischer Basis gegebenhat, Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Ebenfalls zur
Geschäftsordnung spricht jetzt der Herr Kollege Repnik.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zumwiederholten Mal muß sich das Haus mit einem Gesetz-gebungsverfahren befassen, das in seinem Dilettantis-mus und in seiner Schludrigkeit beispiellos in der Ge-schichte des Bundestages ist.
Diese Koalition, diese Regierung bleibt sich treu: Pan-nen, Pleiten, Peinlichkeiten,
und sie übertrifft sich: mit einem Gesetzesbeschluß, derbruchstückhaft, in sich widersprüchlich ist und in demVerweise ins Leere laufen. Wir hören jetzt von der Ko-alition, daß wir das, was passiert ist, im Vermittlungs-ausschuß heilen sollten. Was ist das für ein Parlaments-verständnis, meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen? Der Vermittlungsausschuss als Reparatur-werkstatt für Unfallschäden rotgrüner Geisterfahrer –dies kann und darf nicht sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was diesesHaus produziert, muß auch im Gesetzblatt stehen kön-nen. Diese Sammlung von Widersprüchlichkeiten, vonBruchstücken, von Wegen in die Irre dem Bundesratoder letztlich dem Bundespräsidenten zumuten zu wol-len ist kein pfleglicher Umgang von Verfassungsorga-nen miteinander – von den Bürgern, von den Ärzten,von den Versicherten ganz zu schweigen.
Doch um es klar zu sagen: Hier geht es nicht nur umpolitische Stilfragen. Da dieser Beschluß des Bundesta-ges so nicht im Gesetzblatt stehen könnte, da selbstInterpretation ihn nicht anwendungsfähig machte, ist ernicht gesetzesgeeignet. Er ist nach unserer Auffassungdamit nichtig.
Das Gesundheitsreformgesetz 2000, liebe Kollegin-nen und Kollegen, ist kein heterogenes Artikelgesetz,das eine Vielzahl unterschiedlicher Materien zusammen-führt, wie zum Beispiel das Haushaltssanierungsgesetz.Es befaßt sich mit einer Materie, es muß in seiner Ge-samtheit Bestand haben können, um Gültigkeit zu erlan-gen. Kollege van Essen hat eine Reihe von Beispielenaufgeführt. Ich möchte darauf verweisen und brauche sienicht noch einmal zu nennen. Lassen Sie mich aber einBeispiel, das er genannt hat, herausgreifen. In diesemGesetzentwurf ist zum Beispiel auf Seite 495
von der „maoistischen“ Krankenhausfinanzierung stattvon der „monistischen“ die Rede.
Mein Eindruck ist, daß sich diese Koalition in einemgeistigen Zustand befindet, wie er seinerzeit bei derKulturrevolution in China vorherrschte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, wasdas Plenum dieses Bundestages passiert hat, ist im ei-gentlichen Sinne kein Gesetz, sondern unabhängig vonWilhelm Schmidt
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der inhaltlichen Wertung bereits formal ein Torso oderein Trümmerhaufen – was auch immer Sie dazu sagenwollen. Ich weiß, daß es Ihnen von der Koalition darumgeht, den Bundesrat am kommenden Freitag mit diesemGesetzeswerk zu erreichen.
Doch, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen vonder Koalition, den Weg dorthin werden Sie mit dem ein-geschlagenen Verfahren ohnehin nicht schaffen.Der rührende Versuch des Kanzleramtsministers, imStändigen Beirat dem Vertreter des Bundesrates neben-bei zu erklären, daß leider einige Seiten in dem Gesetz-entwurf fehlten, kann die korrekte Zuleitung ebensowe-nig ersetzen wie ein korrigierendes Schreiben des Di-rektors beim Deutschen Bundestag. Die Verfassungslageist auch in dieser Frage eindeutig: Art. 77 des Grundge-setzes sieht vor, daß Gesetzesbeschlüsse nach ihrer An-nahme durch den Präsidenten des Bundestages unver-züglich dem Bundesrat zuzuleiten sind. Hier wurde nichtdas Beschlossene zugeleitet.
Das Beschlossene war kein Gesetz, sondern ein Nullum.Es wurde also nichts zugeleitet, sondern lediglich eineGebrauchsanleitung für das weitere Verfahren auf Ver-waltungsebene mitgeteilt. Dies ist die Situation.
Nachdem der Kollege Schmidt an die Öffentlichkeitappelliert hat, möchte auch ich der Öffentlichkeit einmaleine ganz kleine Facette dieses Verfahrens darstellen,damit sie begreift, was hier eigentlich vorgegangen ist:Im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestageswird ein Gesetzentwurf beschlossen. Dieser Gesetzent-wurf wird dem Bundestag zugeleitet.
– Dem Plenum des Deutschen Bundestages! – In derDrucksache, die hier Gegenstand der Beratung war,fehlen wesentliche Teile, zum Beispiel auch der gesamteBereich „Risikostrukturausgleich für die neuen Bundes-länder“.
Der Bundestagspräsident wiederum leitet die ursprüngli-che Fassung der Drucksache des Gesundheitsausschus-ses des Deutschen Bundestages dem Bundesrat zu. Aufdieser Grundlage berät der Gesundheitsausschuß desBundesrates; ausschlaggebend für das Votum der neuenBundesländer war dabei insbesondere auch der vorgese-hene Risikostrukturausgleich. Mittlerweile wird fest-gestellt, daß dieser gar nicht Gegenstand dessen war,was der Bundestag beschlossen hat. Also ging der Ge-sundheitsausschuß des Bundesrates bei seinen Beratun-gen und seinem Votum von einer falschen Grundlageaus.
Herr Kollege
Repnik.
Ich habe noch ei-
ne Minute, bitte, Frau Präsidentin.
Nein, ich habe
schon eine Minute zur Redezeit dazugegeben. Bitte ver-
suchen Sie, zum Schluß zu kommen.
Erlauben Sie mir
noch einen letzten Satz.
– Daß Sie das nicht hören wollen, verstehe ich sehr
wohl.
Der Direktor beim Deutschen Bundestag hatte näm-
lich eine korrigierte Fassung an den Bundesrat überwie-
sen.
Jetzt wollen Sie dem Bundesrat zumuten, auf der Basis
einer so unsicheren Rechtsgrundlage zu beraten.
Ich bitte Sie sehr herzlich darum: Heilen Sie diese
Fehler! Muten Sie weder dem Bundesrat noch den Bür-
gern in diesem wichtigen Bereich eine solche Rechtsun-
sicherheit zu! Muten Sie dem Bundespräsidenten nicht
zu, daß er sich mit einer solchen Materie befassen muß.
Treten wir also in eine erneute zweite und dritte Lesung
ein. Da haben Sie dann die Chance, Ihr Gesetz durchzu-
bekommen.
Noch einmal
zur Erinnerung – Herr Kollege Repnik weiß das natür-
lich –: Für Beiträge zur Geschäftsordnung stehen jedem
Redner fünf Minuten zur Verfügung.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kristin Heyne.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! All die juristi-schen Leibesübungen, die wir von den beiden Kollegenvorgeführt bekommen haben,
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bundes-tag das Gesetz beschlossen hat. Ein solcher Beschluß istHans-Peter Repnik
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unverrückbar. Er gilt, und er wird seinen ganz normalenWeg zum Bundesrat gehen.
Der Wille des Parlaments ist bei diesem Beschlußüber die Gesundheitsreform völlig eindeutig gewesen.Er ist auch durch die Unterlagen des Gesundheitsaus-schusses eindeutig belegbar. Es wäre relativ einfach ge-wesen, dies als einen klaren Übertragungsfehler anzuse-hen und ihn zu korrigieren, wenn man es denn gewollthätte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppositi-on. In diesem Fall könnte das Verfahren ganz normalweitergehen.
Wir haben hier zur Zeit nicht die Atmosphäre, in dersolche Fehler ganz normal korrigiert werden können;Herr Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen. Die frü-here Gesundheitsreform wies allein 600 Fehler auf. Dar-über hat sich niemand groß aufgeregt. Während IhrerRegierungszeit gab es sogar den Fall, daß nach Beschlußdurch den Bundesrat noch die Gesetzesüberschrift geän-dert wurde und das Gesetz an eine andere Stelle kam.Vermutlich war das vernünftig, weil Sie neue Erkennt-nisse hatten. So etwas ist vernünftig umgesetzt, undnicht skandalisiert worden. Das ist ein Beispiel für eineordentliche Zusammenarbeit.
Wenn neue Medien genutzt werden, führt dies auchzu neuen Tatbeständen hinsichtlich der Geschäftsord-nung. Das, was heute beispielsweise durch E-Mail hinund her geht, gab es noch nicht, als unsere Geschäfts-ordnung aufgestellt wurde.
Wir hatten die verrückte Situation, daß die Sekretariatedie richtige Fassung hatten, daß auch der Gesundheits-ausschuß die richtige Fassung hatte, aber hier im Plenumetwas anderes auf dem Tisch lag. Lieber Herr Kollegevan Essen, es ist richtig, es gab noch einen Fehler. Eshat aber über zehn Tage gedauert, bis er zufällig be-merkt wurde. Hätte der Gesundheitsausschuß weiterhinseine richtigen Vorlagen gewälzt, hätte er ihn nicht fin-den können. Genauso konnte das Gesundheitsministeri-um diesen Fehler nicht finden, weil die Vorlage richtigwar.Um Kosten zu sparen, haben wir alle gemeinsam imZusammenhang mit dem Umzug nach Berlin den Be-schluß gefaßt, uns nicht mehr eine eigene Druckerei zuleisten, sondern die Druckaufträge an Private zu verge-ben.
Es ist auch vernünftig, es so zu tun. In der privatenDruckerei – das wissen Sie – ist dieser Fehler aufgetre-ten. Wir müssen noch weitere Erfahrungen sammeln, umherauszufinden, ob wir weiterhin eine private Druckereinutzen wollen oder ob wir doch eine eigene Druckereibrauchen. Heute geht es mir nur darum, hervorzuheben,wo der Fehler gelegen hat.
Herr Kollege Koppelin, Sie waren diesmal nicht in derDruckerei. Wir haben schon nachgefragt und in Erfah-rung gebracht, daß es an Ihnen nicht gelegen hat.
Meine Damen und Herren, worum geht es bei dieserDebatte? Es geht nicht um Gesetzesklarheit, es gehtnicht um parlamentarische Verfahren. Worum es geht,hat der Kollege Thomae von der F.D.P. deutlich ge-macht, als er gesagt hat, das ganze Gesetz müsse einge-stampft werden, weil es nichts wert sei.
Es geht also um Stimmungsmache. Es geht darum, daßbesonders Ihre Klientel – bestimmte Ärztevereinigun-gen, die Pharmaindustrie –
dieses Gesetz nicht will. Es geht Ihnen um Stimmungs-mache gegen dieses Gesetz. Das ist Ziel und Zweck die-ser Debatte.
Die fehlenden Seiten sind ein sehr ärgerliches Vor-kommnis. Wir müssen die Wege in Berlin besser einspu-ren, das ist gar keine Frage.
Das hat aber nichts mit der Qualität des Gesetzes zu tun.Wir haben erlebt, daß sich Bundestag und Bundesratsehr wohl auf ein Verfahren einigen konnten. Es würdeauch diesem Haus sehr gut tun, wenn es hier mehr Ko-operation gäbe.Dem Antrag der F.D.P. kann ich weder in seinem In-halt noch in seiner Zielsetzung zustimmen. Wir lehnenIhren Antrag ab.
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! In einem Punkt ist demAnsinnen der Freien Demokraten und der CDU/CSUKristin Heyne
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natürlich zuzustimmen: Im Gesetzgebungsverfahren warin der Tat der Wurm, und zwar mit der Dimension einerPython. Noch schlimmer ist, daß der Wurm noch nichtheraus ist.
Das Loch im Gesetz ist echt; es ist nicht erfunden.Wir laufen auch Gefahr, vor lauter Verfahrensstreitzu verkennen, daß das Gesetz nicht gut ist. Ich habe die-ser Debatte mit einiger Sorge entgegengesehen – hierendet die Gemeinsamkeit mit den Antragstellern –, undich sehe diese Sorge bestätigt. Meines Erachtens geht eshier nicht mehr um einen Streit zwischen Oppositionund Koalition, sondern hier geht es um das Verhältnisvon Parlament und Öffentlichkeit, konkreter gesagt: umein gerade beschädigtes Verhältnis von Parlament undÖffentlichkeit.
Wenn dann – das sage ich an die Adresse der Koaliti-on – die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition aufsolche Kritiken immer mit Muskelspielen antworten unddas, was sie machen, trotz allem für richtig halten, dannmuß ich Ihnen entgegenhalten, daß Sie Mehrheiten mitWahrheiten und den Bundestag mit dem Leben ver-wechseln.
Nun aber zur Kritik am F.D.P.-Antrag: Die F.D.P.schlägt uns allen Ernstes vor, einen Verfahrensfehlerdurch einen nicht minder groben Verfahrensfehler zubeheben. Das würde bedeuten, von einem Straßengrabenin den anderen zu geraten. So geht es nicht; das wissenauch die Antragsteller. Der Bundestag hat dieses Gesetzabschließend angenommen. Es kann jetzt nicht seineNichtigkeit erklärt werden. Die Sache ist ungeheuerpeinlich, aber sie ist wahr.Wenn Sie eine Alternative wollten, hätten Sie dieBundesregierung mittels der Mehrheit des Bundestagesauffordern müssen, ein Gesetz zur Änderung des Ge-sundheitsreformgesetzes einzubringen. Nur dies wäreeine Alternative zu dem jetzt vorgeschlagenen Vermitt-lungsakt. Jetzt kommt aber Ihr Problem, meine Damenund Herren: Diesen Weg haben Sie am 4. Novemberselbst verlassen. Sie haben sich auf den § 122 der Ge-schäftsordnung eingelassen, der besagt, daß geringeKorrekturen möglich seien. Herr Kollege Repnik, inso-fern steht die im Gesetz enthaltene „maoistische“ Kran-kenhausversorgung mit dem Segen der CDU/CSU darin.Dem können Sie sich nicht entziehen.
Die PDS hatte Ihnen damals – Sie haben mich dafürverlacht; ich habe das hingenommen –gesagt – das istnachlesbar –: Der § 122 GO ist ein sehr dünnes Eis. Wirhaben Ihnen auch gesagt, daß es eine andere Möglich-keit gegeben hätte, nämlich die Möglichkeit, die Verän-derung über Änderungsanträge in der zweiten Lesungherbeizuführen. Für die Opposition hätte dies bedeutet,ihrerseits mittels Fristverzicht und einer Zweidrittel-mehrheit im Plenum zur Heilung des Problems beizutra-gen. So etwas funktioniert aber nur, wenn man einiger-maßen vernünftig miteinander umgeht.Nun haben Sie aber das andere Verfahren mitge-macht, und damit ist dies nicht nur ein Fehler der Koali-tion. Offenbar bleibt uns nichts anderes übrig, als denWeg zu gehen, den § 10 der Gemeinsamen Geschäfts-ordnung des Bundestages und des Bundesrates vor-schlägt, nämlich im Vermittlungsausschuß Änderungenam Gesetz vorzunehmen.Insofern lehnen wir den Antrag der F.D.P. ab.Ich sage abschließend: Wir machen uns öffentlich lä-cherlich, und die Betroffenen des Gesetzes bleiben imRegen stehen. Die Pharmaindustrie reibt sich dennochdie Hände, und die parlamentarische Demokratie ist einweiteres Mal beschädigt, was zu bedauern ist.
Wir kommennun zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-schäftsordnungsantrag der Fraktion der F.D.P. zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen! –Enthaltungen? – Der Geschäftsordnungsantrag ist mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS ge-gen die Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. abgelehntworden.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2000
–Drucksachen 14/1400, 14/1680 –
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 1999 bis 2003– Drucksachen 14/1401, 14/1680, 14/1925 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Christa LuftWir kommen zunächst zu den drei Einzelplänen, zudenen keine Aussprache vorgesehen ist.Zunächst rufe ich auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt– Drucksachen 14/1901, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Adof Roth
Ewald SchurerAntje HermenauDr. Werner HoyerDr. Christa LuftRoland Claus
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Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuß-fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ein-zelplan 01 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-genommen worden.Ich rufe auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 14/1902, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseDr. Jochen BorchertAntje HermenauJürgen KoppelinDr. Barbara HöllWer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuß-fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ein-zelplan 02 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthal-tung der PDS angenommen worden.Ich rufe auf:Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 14/1903, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf NieseHans Jochen HenkeMatthias BerningerJürgen KoppelinHeidemarie EhlertHierzu liegt der Wunsch der Abgeordneten Ehlertnach einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung vor.– Bitte.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte begründen, warum ich
mich bei der Abstimmung über den Einzelplan 03 der
Stimme enthalten werde.
Selbstverständlich erkenne auch ich die verantwor-
tungsvolle Tätigkeit des Bundesrates an. Ich bin mir
auch darüber bewußt, daß ein solches Gremium Mög-
lichkeiten und entsprechende Rahmenbedingungen zum
Arbeiten haben muß. Deshalb habe ich im vergangenen
Haushaltsjahr dem Einzelplan 03 ohne Intervention zu-
gestimmt.
Für den Einzelplan 03 des Jahres 2000 ist die Situati-
on allerdings anders. Die Bundesregierung hat generell
ein weitreichendes Sparprogramm ausgerufen und alle
Ministerien zum Sparen verpflichtet. Gespart wird nun
insbesondere bei denen, die kaum eine Lobby haben.
Erinnert sei nur an die Rentenanpassung. Dazu wird in
den kommenden Debatten sicher noch viel gesagt wer-
den.
Der Bundesrat gehört auf jeden Fall zu den Gremien,
die im Jahr 2000 nicht sparen müssen. Im Gegenteil:
Sein Haushalt erhöht sich von 27,3 Millionen auf rund
48 Millionen DM. Das sind also rund 20 Millionen DM
mehr als 1999. Geschuldet ist diese Erhöhung nur zum
Teil dem Umzug nach Berlin im nächsten Jahr. Abgese-
hen davon, daß nach den bisherigen Erfahrungen die
Mittel nicht reichen werden, ist es meiner Meinung nach
unter den gegebenen Umständen des allseits verordneten
Sparzwangs den Bürgerrinnen und Bürgern nicht zu er-
klären, warum der Bundesrat trotz des Umzuges nach
Berlin weiterhin eine Außenstelle in Bonn aufrechter-
hält, so daß insgesamt die Kosten für Unterhal-
tung, Mieten und Pachten im Vergleich zu 1999 um das
Neunfache – ich wiederhole: um das Neunfache! –
wachsen.
Auch die Neueinstellungen beim Personal sind im
Vergleich zu den anderen Gremien überdurchschnittlich
hoch. Zwei Dienstsitze wollen eben auch personell ab-
gesichert werden. Auch bei der Ausstattung mit Geräten,
Möbeln bis hin zur Ausstattung mit Literatur wird nicht
gespart. Da die Arbeitsfähigkeit in Bonn erhalten blei-
ben soll, muß man sich in Berlin komplett neu einrich-
ten.
Ich denke, die genannten Gründe reichen aus, daß
dieser Einzelplan 03 von mir nicht mitgetragen werden
kann. Ich hoffe, daß sich noch weitere Mitglieder dieses
Hauses meiner Meinung anschließen können.
Wir kommennun zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 03in der Ausschußfassung? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Einzelplan 03 ist mit den Stimmendes Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen wor-den.Ich rufe die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 auf:Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 14/1908, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Susanne JaffkeHans-Eberhard UrbaniakOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselManfred HampelAntje HermenauDr. Christa LuftEinzelplan 32Bundesschuld– Drucksache 14/1919 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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6394 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Einzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung– Drucksache 14/1921 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeManfred KolbeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens RösselEinzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksache 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Oswald MetzgerEwald SchurerJosef HollerithDr. Werner HoyerHeidemarie EhlertZum Einzelplan 60 liegen je ein Änderungsantragder Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDSvor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache drei Stunden vorgesehen. Gibt es Wider-spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist auch so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Dietrich Austermann.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungensind Weichenstellungen, die die Wirkungen von Politikoptimieren sollen. Bis Ende 1998 wurde ein konse-quenter Konsolidierungskurs betrieben.
1991 bis 1997 wurden 125 Milliarden DM eingespart,was von der damaligen Opposition immer mit dem Be-griff „Kaputtsparen“ gebrandmarkt wurde. Das Ergebniswar aber, daß wir eine Stärkung der Wachstumskräfteund eine Belebung des Arbeitsmarktes erreicht haben.
Deutschland wurde unter der Regierung Kohl/Kinkel/Waigel bis zur letzten Bundestagswahl auf mehr inter-nationale Wettbewerbsfähigkeit vorbereitet. Reformenwurden eingeleitet, die zwar schmerzhaft, aber wir-kungsvoll waren. Die Medizin war bitter, aber der Pati-ent kam auf den Weg der Besserung.Das ist eine Zwischenbilanz unserer damaligen Re-gierungszeit. Wie sieht es heute aus?Mit den zweiten Haushaltsberatungen nach der Bun-destagswahl unter rotgrüner Federführung wurde der so-fort nach dem Regierungswechsel begonnene Zickzack-kurs fortgesetzt. Die Grundlinien rotgrüner Politik sindnicht erkennbar. Das gilt vor allem für die Finanz- undHaushaltspolitik.
Die Regierenden im Kanzleramt und in den Ministerienstellen sich als politische Wetterfahnen dar.
Entsprechend sieht die Bilanz dieser rotgrünen Politikaus. Der erste rotgrüne Haushalt wurde verspätet inKraft gesetzt. Investitionen kamen ins Stocken, dasWachstum wurde halbiert, der Arbeitsmarkt stagniert,die Erwerbstätigkeit sinkt. Wenn Sie heute nach der Bi-lanz der Bundesanstalt für Arbeit fragen und sich dieTabelle vorzeigen lassen, auf der erkennbar ist, wie sichdie Arbeitslosenquote in letzter Zeit entwickelt hat, wer-den Sie unter der Rubrik „Erwerbstätigkeit“ eine Leer-stelle finden, keine einzige Markierung, keine einzigeAngabe. Seit sieben Monaten wird keine Bilanz mehrdarüber geführt, wie sich die Zahl der Erwerbstätigentatsächlich geändert hat. Das hat offensichtlich guteGründe
– schlechte Gründe –, denn die Zahl der Erwerbstätigengeht offenbar zurück. Auch die aktive Arbeitsmarktpoli-tik erreicht anscheinend weniger Menschen.Nein, diese Politik rotgrüner Haushaltsführung heißt:Verschuldung, Staatsquote, Steuerquote, aber auchSteuerbelastung und Spritkosten steigen, letztere seit derWahl um 30 Pfennig. Die Kohle hat durch neue Steuerngeringere Chancen. Gekürzt wurde auch bei der Kohle,und zwar um 250 Millionen DM,
um noch einmal einen Punkt aufzunehmen, der in dervorangegangenen Woche eine Rolle gespielt hat.Für den Schiffbau bedeutet die Steuerpolitik hoheRisiken und Auftragsverluste. Von der für dieses Jahrnotwendigen Wettbewerbshilfe, Herr Finanzminister,hat Ihr Haus bisher keinen einzigen Pfennig bewilligt.Das heißt, das, was das Parlament zu Beginn des Jahresbeschlossen hat – mehr Unterstützung für die Wettbe-werbsfähigkeit der Werften –, wird durch den Finanz-minister blockiert, der das Geld nicht auszahlt. Daß dieszwangsläufig zur Folge hat, daß im nächsten Jahr wahr-scheinlich zwei, drei Werften stilliegen werden, ist,glaube ich, für jedermann, der etwas von der Materieversteht, erkennbar.Die Landwirtschaft wird durch den ruinösen Sub-ventionsabbau und durch Kürzungen in Milliardenhöhegestraft. Ein Energiekonsens kommt nicht zustande.Das Bündnis für Arbeit hat bisher kein Ergebnis vor-gelegt. Die vom Verfassungsgericht erzwungene Fami-lienentlastung wird durch höhere Steuern kompensiert.Der Bund bietet dem Bau und dem Straßenbau keinePerspektive für neue Projekte. Ihr Zickzack führt auf denHolzweg und zu Holzmann, also zur Pleite. – Dies wardie Bilanz bereits vor Beginn der HaushaltsberatungenVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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2000, und sie hat sich während der Beratungen weiterverschlechtert.
Vor fünf Monaten vorgelegt, in der letzten Woche imHaushaltsausschuß verabschiedet, beginnt heute diezweite und dritte Lesung des Haushaltes 2000. Drei Mo-nate hat der Haushaltsausschuß beraten. Was ist das Er-gebnis? Zum erstenmal schließen wir nach den Haus-haltsberatungen mit Mehrausgaben ab. Während der Be-ratungen wurde die Haushaltsstruktur weiter ver-schlechtert. Lagen die Investitionen bereits im Entwurfum 0,6 Milliarden DM niedriger als 1999, so wurdennoch einmal 100 Millionen DM gestrichen. Sie blähendie Konsumausgaben auf. Sie kürzen die Investitionen.Dies ist wachstums- und beschäftigungsfeindlich.Meine Damen und Herren, die Ausgaben liegen imVergleich zu 1998 – ich bitte darum, genau zuzuhören;denn Sie versuchen im Hinblick auf dieses Thema wie-der Boden unter die Füße zu bekommen – im Haushalt2000 um 22 Milliarden DM höher.
Das sind 4,5 Prozent mehr als im Jahre 1998.
– Herr Eichel, das ist selbstverständlich so. Offenkundi-ger als diese Zahl ist, so glaube ich, wenig in IhremHaushalt. – 2003 sind es dann 47 Milliarden DM Mehr-ausgaben als 1998.Mit dem von Ihnen eingeleiteten angeblichen Sparpa-ket von 30 Milliarden DM werde das zurückgenommen,was im Jahre 1999 auf die Ausgaben aufgeschlagenworden sei – so der Sachverständigenrat in seinemkürzlich vorgelegten Gutachten. Sie stärken nicht dieWachstumskräfte; vielmehr schaden Sie ihnen.
Bezogen auf die Finanz- und Haushaltspolitik stelleich fest: Wer Eichel kennt, lobt ihn nicht – das richtetsich nicht auf seine Person, sondern auf seine Finanz-politik –; denn vieles wird nur mit einem Etikett verse-hen. Die finanziellen Auswirkungen der Steueränderun-gen im Haushaltssanierungsgesetz belegen, daß vonIhrer Politik, Herr Finanzminister, für Bürger und Be-triebe keine Entlastung zu erwarten ist. Sie belegen, daßsich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ver-schlechtern werden.Allein beim Bund führt die zweite Stufe der soge-nannten Ökosteuerreform zu 5,1 Milliarden DM Mehr-einnahmen. Davon fließen 2,9 Milliarden DM in dieRentenkasse. Für jedermann ist nachvollziehbar: Wennim Rahmen der Ökosteuer mehr kassiert wird, als durchentsprechend reduzierte Beiträge zurückgegeben wird,dann muß die Ökosteuer dazu dienen, im Haushalt selbstgeschaffene Löcher abzudecken.Das kann man offenkundig belegen, wenn man ein-mal folgende Rechnung aufmacht: Die Mehrwertsteuerwurde im letzten Jahr um 1 Prozentpunkt erhöht. Eineweitere Belastung erfolgte durch die sogenannte Ener-giesteuer. Durch diese zusätzlich erhobenen Steuern er-geben sich für das Jahr 2000 33 Milliarden DM Mehr-einnahmen. Tatsächlich werden die Rentenbeiträge nurum 18 Milliarden DM entlastet. Das heißt, nur etwasmehr als die Hälfte von dem, was von den Bürgern zu-sätzlich an Steuern gezahlt wird, wird zurückgegeben.Das kann doch nur eine stärkere Belastung bzw. einenBetrug der Bürger bedeuten. Das sogenannte Haushalts-sanierungsgesetz ist dafür eine weitere Basis.
Das sogenannte Haushaltssanierungsgesetz bringtdem Bund weitere 14,2 Milliarden DM Einnahmen.Selbst wenn ich abziehe, daß die Einnahmen nach demZusammentreffen mit dem Bundesrat etwas geringersein werden als vorher und sich die Finanzsituation desBundes etwas anders darstellt – denn es müssen natür-lich Kompromisse geschlossen werden –, erzielt derBund im nächsten Jahr eine zusätzliche Nettoeinnahmein Höhe von 10 Milliarden DM. Wenn der Bund bei denBürgern 10 Milliarden DM mehr abkassiert, kann diesnur bedeuten, daß diese 10 Milliarden DM den Investiti-onsbereich nicht stärken und die Belastungen der Bürgernicht verringern.Sie führen auch an anderen Stellen bestimmte Töpfeein, so daß für den Außenstehenden nicht genau erkenn-bar ist, in welcher Höhe zusätzliche Milliardeneinnah-men in den Haushalt fließen. Ich glaube, daß Sie diesenSchritt nur machen, um das verständliche Begehren derBürger nach einer Steuerentlastung zu reduzieren. Beieinem Haushalt, wie er 1998 vorgelegt worden ist, undeiner Haushaltslage, wie sie sich bei einer richtigenPolitik ergeben hätte, könnten die Steuern schon am1. Januar des Jahres 2000 gesenkt werden. Wer diesnicht will, muß verschleiern und täuschen.
Der Bundeskanzler hat gesagt, er wolle sich an derEntwicklung am Arbeitsmarkt messen lassen. Wir stel-len fest: Die Beschäftigung sinkt, auch auf dem aufge-blähten zweiten Arbeitsmarkt, und deshalb müssen Siemehr Geld für Langzeitarbeitslose ausgeben. Sie habenversagt – dies ist die wichtigste Feststellung nach einemJahr rotgrüner Bundesregierung in Deutschland.Dieses Sparprogramm, Herr Eichel, ist eine Schimäre
– um es für Sie zu übersetzen, Herr Schlauch: ein Trug-bild.
Es werden nicht 30 Milliarden DM eingespart, sondernallenfalls 7 Milliarden DM. Es werden keine SchuldenDietrich Austermann
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abgebaut, sondern neue Schulden gemacht: 220 Milliar-den DM.
– Hört zu, damit auch Ihr es endlich lernt: Von 1999 bis2003 werden 220 Milliarden DM neue Schulden ge-macht – wobei wir davon ausgehen, daß Sie für das Jahr2003 keine politische Verantwortung mehr tragen wer-den. Das ist ganz leicht nachzuvollziehen, wenn mansich die Finanzplanung anschaut.
Offensichtlich wird hier nach dem im Rechenunterrichteiner ehemaligen hessischen Gesamtschule Gelerntenverfahren: Wenn zehn Mann in einer Kneipe sitzen undelf rausgehen, muß einer wieder reingehen, damit keinermehr da ist. – So betreiben Sie Finanzpolitik, nämlichmit dem Bestreben, deutlich zu machen, daß gespartwird, obwohl dies nicht der Fall ist.Die größte Steuersenkung aller Zeiten entpuppt sichals neue Schröpfkur à la Eichel.
Die Ausgabenkürzungen wirken stärker als die Impulsedurch Steuersenkung und Anhebung des Kindergeldes –das sagt nicht die Union oder die F.D.P., sondern dasDeutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Ein JahrRotgrün mit chaotischer Wirtschafts- und Finanzpolitikbedeutet mehr Konsum, übrigens auch im täglichen Re-gierungsgeschäft. Wenn man sich einmal die Einzel-positionen des Haushalts anguckt, wo mehr Geld ausge-geben wird, dann weiß man, daß mit dem Sparen offen-sichtlich nicht ernst gemacht wird: Ob es die getuntenDienstwagen sind, ob es die Ausgaben für die partei-politisch geprägte Öffentlichkeitsarbeit des Regierungs-sprechers Heye sind, ob es die Verfügungsmittel desBundeskanzlers sind,
ob es das Umzugsfest ist, das gesponsert werden sollte,jetzt aber aus der EXPO-Kasse bezahlt wird – überallwird mit dem Geld nur so herumgeschleudert, behauptetaber wird, es werde gespart. Dies ist eine Politik derUnvernunft. Das Jahr 1999 war, wie es das DIW undauch wir sagen, ein verlorenes Jahr für den Arbeits-markt, ein verlorenes Jahr für Verbesserungen der Ar-beitsbedingungen. Rotgrün hat Deutschland zurückge-worfen.
– Herr Poß, ich wäre vorsichtig mit voreiligen Verdäch-tigungen.
Nachdem Sie hier dem Kollegen Rüttgers vor zwei Wo-chen unterstellt haben, er habe in einem bestimmtenPunkt die Unwahrheit gesagt, sollten Sie in SachenWahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit ein bißchen zu-rückhaltender sein.
Noch einmal zu den Sachverständigen. Sie haben ge-sagt, die Bundesregierung habe mit einer Reihe gesetzli-cher Maßnahmen in die Arbeitsmarktordnung eingegrif-fen. Professor Walter spricht, wenn er Ihre Wirtschafts-politik beschreibt, von einem Rekord an Konfusion. DieHaushaltspolitik dieser Regierung steht unter dem Mot-to: Versprochen, gebrochen.
Der Kanzler hat gesagt: Ich stehe dafür, daß die Rentenin Zukunft in gleichem Maße steigen wie die Nettoein-kommen. Versprochen, gebrochen: Die Ausgaben fürdie Rentenversicherung explodieren. Im Jahr 1998 unterMinister Waigel haben wir an Bundeszuschuß 20 Pro-zent der Renten ausgegeben, im Jahre 2003 werden es30 Prozent sein. Die Rente wird immer abhängiger vonder öffentlichen Kasse. Das bedeutet: Rente nach Kas-senlage. Sie betrügen die Menschen um das, was siewährend ihrer Arbeitszeit erarbeitet und eingezahlt ha-ben.
Versprochen haben Sie mehr Investitionen. Wir wer-den die Investitionsausgaben in Forschung und Bil-dung in den nächsten fünf Jahren verdoppeln, hieß esseitens des Bundeskanzlers. Was ist Tatsache? Die Inve-stitionsausgaben des Bundes sinken im Haushalt 2000und werden weiter sinken bis zum Jahr 2003: von 12,5auf 10,6 Prozent. Die Investitionsquote erreicht damiteinen Negativrekord. Jeden, dem es um Bauarbeiter, umden Arbeitsmarkt und um zusätzliche Arbeitsplätze geht,muß das beunruhigen, und man muß überlegen, wie mandie Schraube anders drehen kann, als Sie es getan haben.Das gleiche gilt übrigens – ein wichtiges Thema – fürdie Investitionsausgaben im Bereich der Forschung undder Bildung. Inzwischen haben wir den Eindruck, daßdie Aufspaltung von Teilen von Forschungsausgabenzum Wirtschaftsetat mehr dem Zweck dient, über glo-bale Minderausgaben das wieder einsammeln zu kön-nen, was Sie vorher zur Verfügung gestellt haben. So istes in diesem Jahr geschehen. Für erneuerbare Energiensollten 200 Millionen DM bereitgestellt werden.
Dietrich Austermann
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115 Millionen DM haben Sie im Laufe des Jahres wie-der einkassiert. Die Mittel, die für die mittelständischeForschung – AIF – bereitgestellt werden sollten, werdenklammheimlich wieder genommen. Sie trennen die For-schungspolitik von der Mittelstandspolitik und schadendamit dem Mittelstand,
und Sie geben bis zum Jahre 2000 deutlich weniger fürForschungsausgaben aus, als wir das zuletzt im Jahre1998 gemacht haben.Vom Bundeskanzler wurde eine bessere Verkehrs-politik versprochen. Die Aussage lautete: Es wird keineReduzierung der Mittel für den Straßenbau geben. Se-hen wir uns die Situation an: In jedem Jahr sind es Hun-derte von Millionen DM weniger. Jeder Kollege hat inseinem Wahlkreis eine Ortsumgehung, wichtige Verbin-dungsstraßen, die fertig geplant sind, aber nicht realisiertwerden können, weil Sie auch beim Straßenbau mehrMittel kürzen, als es dem Straßenbau guttut. Für das Jahr2000 sind weitere Kürzungen von 220 Millionen DMbei den Schienenwegen vorgesehen. Sie können nichtdarüber hinwegtäuschen, daß durch das VerkleisternIhres Kompromisses die Schienenwegeausbaumaßnah-men neu bewertet werden sollen.In der Verteidigungspolitik wurde vom Kanzler ver-sprochen: Bei der Bundeswehr ist soviel gekürzt wor-den, daß sie jetzt schon mit den Helmen an die Deckestoßen; deshalb haben wir vereinbart, daß es bis aufweiteres weder im Etat noch bei der Truppenstärke Ver-änderungen geben wird. Eine halbe Milliarde DM weni-ger in diesem Jahr, 1,7 Milliarden DM weniger im näch-sten Jahr, 19 Milliarden DM weniger bis zum Jahre2003: Sie ruinieren die Bundeswehr mit Ihrer Finanz-und Haushaltspolitik, und Sie belasten mit dieser fal-schen Politik das, was zusätzlich an neuer Technologieim Wehrtechnischen betrieben wird.
– Nein, wir wollen konstante Ausgaben.Ich kann das gleiche auch für die Entwicklungshilfesagen. Es wurde versprochen, den Anteil an Entwick-lungshilfeausgaben zu erhöhen. Auch hier Fehlanzeige.Ich kann das gleiche auch zum Thema Schuldenabbausagen.Ich will noch einmal die Rechnung aufzeigen, die fürdie Bürger, meine ich, ganz wichtig ist. Von Ihnen wirdimmer wieder gesagt: Die haben uns 1,5 Billionen DM,also 1500 Milliarden DM, Schulden hinterlassen. WennSie offizielle Regierungspapiere vom März dieses Jahresnehmen, so steht dort, daß die Bundesschuld 935 Milli-arden DM beträgt. Das ist eine ganze Menge und wirdüberhaupt nicht bestritten.Machen wir eine ganz einfache Addition: Ende letz-ten Jahres hatten wir mit den sogenannten Schattenhaus-halten 1,3 Billionen DM Schulden. Wir haben mit derWiedervereinigung 500 Milliarden DM Altschuldenvon Herrn Honecker, Herrn Gysi und Frau Luft über-nommen, ohne irgendeine politische Entscheidung ge-troffen zu haben. Darüber hinaus hat der Bund 600 Mil-liarden DM netto in die neuen Bundesländer investiert.Die Sachverständigen haben vor kurzem noch einmaldeutlich gemacht, daß es der Bund alleine war. Eichelund Schröder waren als ehemalige MinisterpräsidentenMittäter bei dieser Politik, indem sie den Bund in dieserFrage alleine gelassen haben.
600 Milliarden DM! Dies ergibt eine Gesamtsumme von1,1 Billionen DM oder 1100 Milliarden DM.
– Noch einmal für Sie, Herr Larcher: 600 MilliardenDM Investitionen in die neuen Bundesländer, netto, 500Milliarden DM Honecker-Altlast: Auslandsschuldenusw. Das sind 1,1 Billionen DM oder 1100 MilliardenDM. Dann rechne ich noch die alte Schmidt-Erblast, diewir 1982 übernommen haben, hinzu. Sie kommen dannleicht auf den Betrag, der sich ergeben hat. Etwas ande-res wäre auch gar nicht denkbar – Sie haben in den letz-ten Jahren immer vom Kaputtsparen geredet –, als daßin den letzten Jahren verantwortlich mit dem Geld um-gegangen worden ist. Dies wird von allen Sachverstän-digen bundesweit belegt.Sie können den Erfolg dieser Politik – vielleicht solltemanch einer sein Redemanuskript umschreiben – auchan der Entwicklung der Zinsen in den letzten Jahrenmessen. Wenn im nächsten Jahr 2 Milliarden DM weni-ger vom Bund für Zinsen ausgegeben werden – das sindnicht, wie Herr Schröder meint, 82 Milliarden DM, son-dern 78 Milliarden DM –, dann ist das der Erfolg einerlangjährigen Konsolidierungspolitik, die sich bemühthat, die Zinsen zu verringern.
– Sie können ja zu den Zahlen sagen, was Sie wollen,aber bestreiten können Sie sie nicht, weil sie schwarzauf weiß vorliegen und die amtliche Grundlage derPolitik dieser Regierung sind.
Herr Kollege
Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Luft?
Ja. Sie wundert
sich wahrscheinlich, warum ich gesagt habe, daß sie das,
was an Erblast vorhanden ist, mit zu verantworten hat.
Aber wenn ich mich nicht irre, haben Sie ja damals dem
Kabinett angehört.
Sie irren sich; ich will eineganz andere Frage stellen. Ihre Redezeit ist ja gleich zuEnde. Ich warte immer noch darauf, daß Sie dem HauseDietrich Austermann
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und auch der Öffentlichkeit mitteilen, welchen Sparan-trag Ihre Fraktion gestellt hat.
Sie haben – da stimme ich Ihnen zu – bedauert, wassich auf dem Arbeitsmarkt in diesem Lande, auch imletzten Jahr, getan hat. Aber wie man angesichts dieserTatsache fordern kann,
den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zufahren, das müßten Sie noch einmal erklären.
Das ist mir nicht ganz begreiflich. Vielleicht verwendenSie einen Teil Ihrer Redezeit noch darauf.Über die Schulden können wir uns an anderer Stelleunterhalten. Ich frage Sie, ob Sie sich je damit befaßthaben, welche Ziffer die Bundesbank zum Zeitpunkt derWährungsunion, also zum 1. Juli 1990,
für die Netto-Auslandsverschuldung der damaligenDDR veröffentlicht hat.
Sie operieren immer mit Ziffern, die aus irgendwelchenQuellen stammen, aber nicht mit der Ziffer der Bundes-bank.
Frau KolleginLuft, da Sie ja im Haushaltsausschuß sitzen, wissen Sie,welche Anträge die Union dort gestellt hat. Ich habe denEindruck, irgend jemand hat Ihnen mein Redemanu-skript gegeben, von dem ich ein bißchen wegen des ei-nen Themas abgewichen bin.Ich werde jetzt deutlich sagen, wo die Alternative derUnion ist, und ich werde ebenfalls deutlich sagen, daß esbisher das erstemal ist, daß die Union – die Opposition –ein geschlossenes Konzept vorlegt.
– Wir sind ja auch das erstemal in der Opposition. Des-wegen ergibt sich das auch, daß die Opposition über-haupt ein geschlossenes Konzept für die weitere finanzi-elle und haushaltsmäßige Entwicklung hat. Dies habenwir im Haushaltsausschuß beantragt. Jeder, der dort an-wesend war und nicht vor sich hingedämmert hat, weißdas. Ich sage dazu gleich noch etwas.Zu der Frage der Auslandsschulden der DDR: Esgibt dazu offizielle Angaben. Ich habe mir vor kurzemeinmal den Mitschnitt der letzten ZK-Sitzungen der SEDangehört. Das ist auf CD veröffentlicht worden; irgendjemand hat es mir zugeschickt. Das ist zutreffend undauthentisch. Dort haben Krenz und andere, unter ande-rem auch der Vorsitzende der Plankommission, geredet.Er hat gesagt – jeder hat sich bemüht, sich reinzuwa-schen, und hat gesagt, daß er damit überhaupt nichts zutun habe –: Liebe Genossen, wir in der Plankommissionhaben schon im Jahre 1971 festgestellt, daß die DDRpleite ist.
– Hören Sie sich doch den Mitschnitt der Protokolle an.Da ist es drauf. Dann können Sie ausrechnen, welcheAltschulden und Auslandsverpflichtungen tatsächlichbestanden haben.
Da Sie immer über die Situation der Treuhand gere-det haben, wissen Sie doch auch, was die Treuhandübernommen hat, welche Belastungen da waren. Werheute das Elend beklagt und sich darüber beschwert, daßnoch nicht genügend in den neuen Bundesländern pas-siert ist, bringt doch damit implizit zum Ausdruck, daßdie Schäden offensichtlich groß waren und viel beseitigtwerden mußte.
– Ja, das war nichts Neues.Ich will zum Schluß konkret sagen, daß wir unsereHaushaltsberatungen unter das Motto gestellt haben:Sparen, Investieren und Steuern senken. Wir habenHaushaltskürzungen in der Größenordnung von 3,5 Mil-liarden DM gemacht; wir haben vorgeschlagen, die In-vestitionen deutlich zu steigern – im Unterschied zu Ih-nen. Das steht in unseren Anträgen. Wir kommen zudem Ergebnis, daß unsere Nettokreditaufnahme etwaum 10 Milliarden unter der des Bundesfinanzministersliegt.
Wir wollen dazu beitragen, daß die Funktionsfähig-keit der Bundeswehr aufrechterhalten werden kann. Wirwollen beim Wohngeld die Belastungen nicht bei denGemeinden und den sozial Schwachen belassen. Wirwollen die Investitionen im Straßenbau und Schienen-bau und die Investitionen in die Stadtsanierung stärken.Wir wollen die Ausgaben für den Hochschulbau, für dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ steigern, und wir wollen in derTat die Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit zum Teil-ausgleich für diese Mehrausgaben reduzieren.
Sie glauben offensichtlich der eigenen Propaganda nicht.Glauben Sie wenigstens der Statistik des einschlägigenInstituts bei der Bundesanstalt für Arbeit! Das hat ausge-rechnet, daß es demographisch bedingt – ohne jedenpolitischen Einfluß – im nächsten Jahr mindestensDr. Christa Luft
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200 000 Arbeitslose weniger gibt. Wenn das so ist, mußdas doch bedeuten, daß wir weniger Geld ausgeben kön-nen; denn 100 000 Arbeitslose kosten den Arbeitsmarkt4,5 Milliarden DM. Ich sage: Wer eine richtige, ver-nünftige, der Beschäftigung zugewandte Politik macht,der kann sich nicht verweigern. Der erste Arbeitsmarktist wichtiger als eine Aufblähung des zweiten Arbeits-markts.
Bundeskanzler Schröder sagte am 10. November1998, gewissermaßen bei Regierungsantritt: „Die Men-schen erwarten, daß eine bessere Politik für Deutschlandgemacht wird.“ Ministerpräsident Stolpe antwortete am7. Oktober 1999: „Die Erwartungen der Leute sind ent-täuscht worden.“ Müntefering ergänzte am gleichen Ta-ge: „Elf Monate sind uns nicht gelungen.“
Herr Kollege
Austermann –
Frau Präsiden-
tin, ich komme zum letzten Satz. – Leider gilt dieses
Urteil auch für den Haushalt 2000. Ihr erstes Jahr rot-
grüner Haushaltspolitik hat Deutschland zurückgewor-
fen, das zweite Jahr hat keine Perspektive. Sie schaf-
fen – um das Motto Ihres Parteitages aufzunehmen –
weniger Innovation und weniger Gerechtigkeit. Umsteu-
ern tut not. Wir werden Ihren Haushaltsentwurf ableh-
nen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans Georg Wagner.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Herr Kollege Austermann,Sie müssen in einem anderen Haushaltsausschuß gewe-sen sein als ich. Ich habe das, was Sie hier vorgetragenhaben, nicht begriffen. Denn es ist alles erläutert wor-den, und Sie wollen es immer noch nicht glauben. Sielügen bei der Steinkohle – wie das vor Ihnen schon HerrRüttgers gemacht hat –, Sie sagen, es gebe keine Werf-tenhilfe – dabei haben wir ihre Fortschreibung für dreiJahre gesichert –, und Sie sagen, die Probleme in derFamilienpolitik seien die Schuld dieser Bundesregie-rung, obwohl Sie für Ihre Regierungszeit das vernich-tende Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinnehmenmußten.
Wir heilen nur die Ungerechtigkeiten, die Sie verursachthaben.Der Haushalt 2000 rundet das Zukunftspaket der rot-grünen Koalition ab
zu einem Gesamtbild der Haushaltskonsolidierung undder Wiedergewinnung der Zukunftsfähigkeit unseresStaates.
Zwar postulierte schon vor über 100 Jahren Lorenzvon Stein, daß ein Staat, der zuwenig Schulden macht,„es schlecht mit der heutigen Generation und zu gut mitder nächsten meint“, doch hat es die alte Bundesregie-rung von CDU/CSU und F.D.P. mit dem Schuldenma-chen nun wirklich übertrieben. 1 500 Milliarden DMSchulden, das sind umgerechnet auf jeden Kopf der Be-völkerung in Deutschland 200 000 DM. 82 MilliardenDM an Zinsen werden allein im Jahr 1999 fällig, dassind umgerechnet auf jeden Kopf der Bevölkerung inDeutschland 10 000 DM. Das hat Ihre Politik zu ver-antworten. Wir haben das beendet und versuchen gegen-zuhalten.
Der Staat stand zweifellos am Rande des Ruins. Die-ser Entwicklung ist die jetzige Koalition energisch ent-gegengetreten und hat, für jedermann sichtbar, Nägelmit Köpfen gemacht. Das war nicht einfach und hatnicht nur Freude ausgelöst. Trotzdem haben wir andem Ziel festgehalten und dies durch Beschlüsse hierim Deutschen Bundestag dokumentiert. Wir wol-len Deutschland fit machen für die Zukunft. Jeder isteingeladen, im Rahmen seiner Möglichkeiten mitzuma-chen und sich notwendigen Reformen nicht zu ver-schließen.
Mit dem vor zwei Wochen von diesem Hause be-schlossenen Haushaltssanierungsgesetz und mit demHaushalt 2000, der in dieser Woche verabschiedet wird,haben wir unsere Grundsteine für ein solides Haushalts-gebaren gelegt. Obwohl viele skeptisch waren und wirstark beäugt wurden, um uns bei etwaigen Fehlern erwi-schen zu können, haben wir es geschafft. Unser Konzeptsteht.Wir sind mit dieser Auffassung nicht allein. Die vonder Opposition beantragte öffentliche Anhörung zumHaushaltssanierungsgesetz erwies sich als ein Flop fürdie Antragsteller. Wenn sogar die von Ihnen berufenenExperten die Richtigkeit der Haushalts-, Finanz- undSozialpolitik von Rotgrün bestätigen und vor einer Sa-botage der Sparbemühungen warnen, sagt dies eigentlichalles.
Sie haben den Entwurf abgelehnt. Ich will Sie nicht öf-fentlich Saboteure der Entwicklung nennen. Aber derExperte Herr Walter hat dazu Entsprechendes ausge-führt.Die führenden Wirtschaftsinstitute sagen, daß nochstärker gespart werden müsse. Nur leider sagen sie nicht,wo. In jedem Fall ermutigen sie uns, den eingeschlage-nen Kurs fortzusetzen. Das werden wir auch tun.Dietrich Austermann
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6400 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Anfang November hat der Internationale Währungs-fonds, IWF, in Washington sein Gutachten über dieWirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Bundesrepu-blik Deutschland veröffentlicht, mit einem dicken Lobfür die rotgrüne Koalition. Nun sage ich ein Wort an dieSPD und an Bündnis 90/Die Grünen. Niemand von unskann doch erwartet haben, daß die Opposition und dieHerren Stihl, Henkel und Philipp das Ergebnis des IWFbejubeln. Wir, liebe Koalitionäre, müssen das tun, indemwir sagen: Das ist ein Ergebnis internationaler Fachleu-te. Es bestätigt die Richtigkeit unserer Politik und ver-dammt die Politik der anderen.
Wir wissen auch, daß viele nicht gern über diese Er-folge schreiben. Es muß der „Bild“-Zeitung schwerge-fallen sein, einen Artikel in der Größenordnung vonzehn Zentimetern Höhe und vier Zentimetern Breite zuveröffentlichen. Darüber stand: „Lob für Deutschland“.Sie mußte damit ihre schriftlich geäußerte und damitbelegbare Meinung selbst als falsch entlarven. Nicht dieobjektiven Daten, sondern der eigene Wunsch war derVater des Gedankens. Darum wird die Tatsache ebensotapfer wie kleinlaut verschwiegen, daß es die rotgrüneKoalition geschafft hat, 200 000 junge Menschen miteinem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeits-losigkeit an die Arbeit heranzuführen, ihnen die Resi-gnation zu nehmen und Zukunftsperspektiven zu eröff-nen.
Wir müssen darüber reden, daß doppelt so viele Aus-bildungsplätze, als veranschlagt wurden, im Sinne derZukunftsfähigkeit unseres Staates und unserer Gesell-schaft geschaffen worden sind. Skepsis in unserer Ge-sellschaft, Resignation und Zukunftsangst abzubauenwar unser Ziel, das wir auch erreicht haben. Darauf sindwir stolz.Mit dem stärkeren Anstieg der Forschungsmittelversuchen wir, den Herausforderungen des nächstenJahrtausends gerecht zu werden. Ich finde es gut, daß einWettbewerb zwischen dem Forschungs- und dem Wirt-schaftsministerium darüber ausgetragen wird, wer vonbeiden die besten Forschungsvorschläge einbringt unddaher über die entsprechenden Forschungsgelder verfü-gen kann.Ich meine, daß die Umwandlung der einzelnen Mi-nisterien und ihrer nachgeordneten Dienststellen in mo-dernste Anbieter von Dienstleistungen auch zu mehrBeweglichkeit und Kreativität führen muß. Dies mußnicht zwangsläufig zu Mehrkosten führen.
Die Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternmuß an der Spitze unserer Anstrengungen stehen. Ichkann mir nicht vorstellen, daß der öffentliche Dienstnicht mindestens ebenso kreativ sein kann wie die pri-vate gewerbliche Wirtschaft.
Deshalb muß die weitere Verschlankung der Verwaltungohne Gefährdung ihrer Handlungsfähigkeit fortgesetztwerden. Auch hier gilt vorrangig, die Zukunftsfähigkeitder Verwaltung herzustellen. Daher rührt auch die Bitteder Koalition an die Bundesregierung, zu prüfen, ob esmöglich und sinnvoll ist, die aus den 20er Jahren stam-mende Ministerialzulage auf Bundesebene in eine Lei-stungszulage umzuwandeln. Damals war eine Zulage alsLockprämie für die Beamten aus der Provinz nötig, da-mit sie bereit waren, nach Berlin zu kommen. Heute isteine solche Prämie nicht mehr notwendig. Die Länder –bis auf ein Land – haben sie übrigens abgeschafft. Durchdie Umwandlung der Ministerialzulage in eine Lei-stungszulage könnte neue Motivation entstehen.Die Koalition hat die in Washington gemachte Zusa-ge der Bundesregierung, die Entschuldung der ärm-sten Länder voranzutreiben, in konkrete Haushaltszah-len gefaßt. Die von der Bundesregierung zugesagte Ver-dreifachung der Mittel von 50 Millionen DM auf 150Millionen DM ist auch für andere Staaten ein wichtigesSignal gewesen, wofür ich Heidemarie Wieczorek-Zeulund Hans Eichel besonders Dank sagen möchte.
Ich will auch sagen, daß die vielfältigen Bemühungenaus dem Bereich der Kirchen und der übrigen Nichtre-gierungsorganisationen nicht ohne Eindruck auf dieoftmals als hart und kalt bezeichneten Haushälter ge-blieben sind. Wir haben dem Gedanken der Friedenser-haltung stärkere Bedeutung als je zuvor im Haushalteingeräumt. So wurden zur Unterstützung friedenser-haltender Maßnahmen die Einzelpläne von Außenmi-nister Joschka Fischer um 20 Millionen DM
und von Heidemarie Wieczorek-Zeul um 10 MillionenDM aufgestockt. Im Einzelplan von Edelgard Bulmahnhaben wir die Einrichtung eines Instituts für Friedens-und Konfliktforschung durch Bereitstellung von insge-samt 50 Millionen DM ermöglicht.
Zugegeben: 50 Millionen DM sind nicht allzuviel Geld,aber angesichts des Tilgens solcher Mittel durch die alteKoalition eine ganze Menge.Wenn es denn gelänge, internationale Krisen früherbeilegbar zu machen, wäre dies sicherlich billiger alsnachträgliche Wiederaufbauhilfe.
Es ist auf Dauer niemandem mehr begreiflich zu ma-chen, daß man es zuläßt, daß zunächst einmal alles kräf-tig zerstört wird, um anschließend für den Wiederaufbauzu sammeln.In diesem Zusammenhang begrüße ich die Absichtder Bundesregierung, verstärkt deutsche Architekten-und Ingenieurverbände sowie die deutsche Bauwirt-schaft in den Wiederaufbau Südosteuropas einzube-ziehen. Es darf sich nicht wiederholen, daß, wie in Bos-Hans Georg Wagner
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nien-Herzegowina, Milliardenbeträge der EuropäischenUnion einfach verschwinden. Die deutschen Bauunter-nehmen müssen in einem europäischen Wettbewerb eineechte Chance bekommen, denn kompetent und lei-stungsfähig sind sie allemal. – Ich darf natürlich nicht andas aktuelle Beispiel erinnern, das zeigt, daß manchmaldie Leistungsfähigkeit etwas eingeschränkt ist. – DerAufbau Südosteuropas kann dazu führen, daß sich ein in-teressanter Markt auch für deutsche Produkte entwickelt.Mit der von allen gewünschten, immer stärker wer-denden europäischen Integration reift langsam, aber si-cher die Erkenntnis, daß es ein Witz ist, auf Dauer15 Außenminister, 15 Verteidigungsminister und je15 Minister für alle anderen Ressorts zu haben. In einemvereinigten Europa ist das eigentlich obsolet. Es ist aufDauer nicht hinnehmbar, daß Europa in der ganzen Weltimmer gleich 15fach vertreten ist. Deshalb hat Außen-minister Fischer auch unsere Unterstützung bei seinenVersuchen, zu mehr europäischer Konzentration zukommen.Ich freue mich, meine Damen und Herren, daß dieKoalition zu einem einvernehmlichen Konzept zurFinanzierung von Verkehrsinvestitionen gekommenist. Auch hier hat die Koalition Handlungsfähigkeit be-wiesen. Nach dem absolut unterfinanzierten Bundesver-kehrswegeplan, der nur unerfüllbare Versprechungengemacht hat – Ihr Bundesverkehrswegeplan, meine Da-men und Herren – und der bar jeglicher finanziellerGrundlage war,
sind wir jetzt endlich zur Realität zurückgekehrt.
Auch weiß die Bauwirtschaft endlich Bescheid und mußnicht auf Utopien aufbauen. Zwar ist meinen Kollegin-nen und Kollegen der Koalition so die Chance genom-men – wie es CDU/CSU und F.D.P. über Jahrzehntehinweg praktiziert haben –, Verkehrsinfrastrukturmaß-nahmen ins Blaue hinein zu verkünden. Aber dafür kön-nen wir jetzt mit der Wahrheit vor unsere Bürgerinnenund Bürger treten. Sie verstehen, daß nicht allesWünschbare sofort zu verwirklichen ist.Der Haushalt 2000, den wir in dieser Woche ausgie-big diskutieren und am Freitag verabschieden werden,gibt nicht nur der Regierungskoalition Gelegenheit, ihrePolitik umfassend darzustellen. Er gibt auch der Oppo-sition die Chance, ihre Alternativen darzustellen. In denBeratungen des Haushaltsausschusses ist allerdings meinschon in der ersten Lesung Anfang September geäußer-ter Wunsch nach positiven Vorschlägen der Oppositionnicht in Erfüllung gegangen. Es kam nichts, was seriösgewesen wäre.Nach Anträgen der F.D.P. und der CDU/CSU solltendie Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit auf Nullgestellt werden.
Das hätte als Ergebnis gehabt, daß der Arbeitsmarkt inden neuen Ländern absolut zerstört worden wäre. Auchin den westlichen Bundesländern wäre es drunter unddrüber gegangen. Wir haben das verhindert, meine Da-men und Herren.
Die Koalition beweist mit diesem Haushalt, daß siehandlungsfähig ist und Schritte unternimmt, zu denendie alte Regierung einfach nicht in der Lage war. Diesist sicherlich schmerzhaft. Aber wer unseren Kindernund Enkelkindern die Chance eröffnen will, ihre Ge-genwart selbst zu bestimmen, darf nicht zurückzucken,sondern muß handeln. Die Koalition tut dies, meineDamen und Herren.Noch ein paar Bemerkungen zu dem, was der KollegeAustermann wieder ausgeführt hat: Er hat hier gesagt,die Koalition kürze die Steinkohlenbeihilfe um250 Millionen DM.
Das ist schlicht und ergreifend eine Lüge.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?
Nein.
Ich belege gerade seine Lügen. Er hat behauptet, dieKoalition habe 250 Millionen DM für den Steinkohlen-bergbau gestrichen. Das ist schlichtweg gelogen.
Es ist mit den Betroffenen, also mit den Landesregie-rungen, mit der Gewerkschaft und mit den Unterneh-men, darüber Einigkeit erzielt worden, daß eine Tranchevon 250 Millionen DM in den Januar 2001 geschobenwird. Das ist keine Kürzung,
sondern eine sichere Zusage, daß alle Zuwendungen, diedie alte Koalition mit den bergbautreibenden Unterneh-men vereinbart hat, von dieser Bundesregierung geleistetwerden.
Sie waren nicht einmal in der Lage, in den Haushalt1999 eine müde Mark für den Steinkohlenbergbau ein-zustellen. Haben Sie das vergessen?
Hans Georg Wagner
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6402 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Dasselbe gilt für die beiden Bundesländer Bremenund Saarland. Sie haben keine müde Mark für derenweitere Teilentschuldung eingestellt.
Sie wollten da nichts machen. Auch hierzu verbreitenSie draußen ständig eine Lüge.
– Nein, da brauchen Sie keine Befürchtungen zu haben,Herr Kollege. Ich bedanke mich aber für die Aufmerk-samkeit, die Sie mir damit widmen.Zu den Werften: Herr Kollege Austermann, hier är-gert mich insbesondere, daß Sie für diese gar nichtsmehr vorgesehen hatten. Die jetzige Koalition hat90 Millionen DM für das nächste Jahr und Verpflich-tungsermächtigungen in Höhe von jeweils 80 MillionenDM für die nächsten drei Jahre eingestellt. Wir habendamit genau das gemacht, was die Werftenindustriewollte. Sie haben das über Jahre und Jahrzehnte hinwegverweigert.
Sie haben es noch immer nicht überwunden: Sie sa-gen, die Erhöhung des Kindergeldes sei lächerlich. Wirwerden nach anderthalb Jahren Regierungszeit das Kin-dergeld bis zum Jahre 2000 mehr erhöht haben als Sie in16 Jahren. Das darf man doch nicht vergessen.
Auch viele andere von Ihnen betriebene Dinge habensich wesentlich geändert. Wir haben den Eingangssteu-ersatz vermindert. Das war ein Versprechen von uns.Wir konnten ihn nicht so weit zurückführen, wie wir eswollten. Wir werden aber am Ball bleiben. Wir habendas Existenzminimum angehoben. All das waren famili-enfreundliche Maßnahmen, mit denen wir das wettma-chen wollten, was Sie sich 16 Jahre lang familienpoli-tisch geleistet haben und was zum Urteil des Bundesver-fassungsgerichts geführt hat.Sie sind eingeladen, im Laufe der Debatte einmalganz konkret Ihre Alternativen aufzuzeigen. Am Freitagkönnen wir darüber reden, wie wir damit umgehen. Esmüßte von Ihnen endlich einmal etwas anderes als im-mer nur das Dreschen von leeren Phrasen und das Auf-stellen von falschen Behauptungen kommen. Es mußetwas kommen, was der Wahrheit entspricht. UnserHaushalt dient der Wahrheit und Klarheit in der Bundes-republik Deutschland.Schönen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit demHaushalt 2000 und mit der Finanzplanung soll nun einMäntelchen über das gedeckt werden, was uns die rot-grüne Koalition seit mehr als einem Jahr an Konzepti-onslosigkeit und an handwerklichen Mängeln bietet.
Sie nennen das „Sparpaket“. Sparen ist gut. So empfin-den das auch die Bürger. Sie treffen damit eine Grund-stimmung in unserem Land, die seit langem existiert
und die Sie nicht erzeugt haben.
Herr Eichel, ich nehme Ihnen ab, daß Sie diesenSparkurs wollen. Wir haben nie einen Zweifel darangelassen, daß es zu einem Kurs des Sparens und Konso-lidierens keine Alternative gibt. Wir stehen zu einemsolchen Kurs. Aber zweierlei kann man Ihnen hier nichtdurchgehen lassen:Erstens kann man Ihnen Ihren Anspruch nicht durch-gehen lassen, daß Sie gewissermaßen Erfinder diesesKurses seien, daß jemand nach einer Phase hemmungs-loser Staatsverschuldung in die Arena getreten sei,
– Herr Schlauch, dazu eignen Sie sich am besten –, dermit Feuer und Schwert die Schatten der Vergangenheitbekämpft und dafür sorgt, daß es eine neue Orientierungin der Haushaltspolitik gibt. Wir werden auf diesenSachverhalt noch eingehen.Zweitens kann man Ihnen in diesem Parlament nichtdurchgehen lassen, daß Ihr sogenanntes Sparpaket inseiner Dimension ein neues Kapitel in unserer Haus-haltspolitik und in unserer Finanzpolitik darstelle.
In Wirklichkeit bewegen Sie sich in einem ganz schma-len Korridor. Ihr Haushalt 2000 ist nichts Weltbewegen-des, sondern ein Routinevorgang.
Dieser Haushalt ist in keiner Weise dazu angetan, diechaotische Politik des letzten Jahres zu überdecken odergar heiligzusprechen, Herr Schlauch.
Sie wollten sich immer daran messen lassen, wie Siemit der Arbeitslosigkeit fertig werden. Von der Ar-Hans Georg Wagner
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6403
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beitslosigkeit haben Sie immer behauptet, sie sei zu ei-nem gut Teil auf die falsche Politik der Vorgängerregie-rung zurückzuführen. Nun hatten Sie schon über ein JahrGelegenheit, eine andere Politik zu machen. Was ist dasErgebnis? Das Ergebnis ist über alle Maßen unbefriedi-gend.
Es gibt keinen wirklichen Rückgang der Arbeitslosig-keit. Die in den letzten Monaten beobachteten margina-len Veränderungen sind auf eine veränderte Weltkon-junktur, sprich: höhere Exporte – bei uns haben Sie dasimmer gegeißelt und wollten es nicht gelten lassen –,und auf eine demographische Entwicklung am Arbeits-markt in Deutschland zurückzuführen. Ihr wirtschafts-politisches Konzept der Nachfrageorientierung warschon theoretisch falsch. Es ist – für jedermann in die-sem Lande sichtbar – mit einem Paukenschlag zusam-mengebrochen. Ihre inhaltliche Kurskorrektur scheitertvor allem an der Unfähigkeit, Sozialsysteme zu refor-mieren und eine überzeugende Unternehmensteuerre-form anzupacken.
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist für Sie einTabu. Sie wollten an das „Bündnis für Arbeit“ delegie-ren. Aber über das „Bündnis für Arbeit“ sprechen Siejetzt gar nicht mehr, weil Sie wissen, daß das Ganze an-gesichts der anstehenden harten Fragen der Tarifpolitik,der Rentenpolitik und der Sozialpolitik vor die Wand zufahren droht. Dies alles, Herr Eichel, spiegelt sich auchin Ihrem Haushalt wider. Ihre Politik gerät immer wie-der in Widersprüche durch falsche Weichenstellungenund durch Entscheidungen in der Wirtschafts- und Fi-nanzpolitik, die so nicht hätten getroffen werden dürfen.Die eigentliche Crux dieses Landes liegt darin, daß eskeinen stimmigen Kurs der Regierungspolitik gibt unddaß man es allen recht machen möchte und damit kei-nem gerecht wird. Die Crux unseres Landes liegt darin,daß sich der Bundeskanzler auf nichts festlegt und daßer Punkte in der Tagespolitik zu sammeln versucht. DieMenschen draußen haben dies durchschaut. Der Bun-deskanzler sammelt auch immer weniger Punkte in derTagespolitik, wenn ich an seine Äußerungen über Voda-fone und Mannesmann denke. Dieser Kanzler ist nochnicht einmal in der Lage, die Tagespolitik zu meistern.
Ich lasse Ihnen – das gilt auch für Sie, Herr Eichel;dies sage ich mit großem Ernst – den ständigen Vor-wurf, wir hätten in der Vergangenheit eine unverant-wortliche Schuldenpolitik betrieben, nicht durchgehen.Herr Kollege Wagner – hören Sie erst einmal zu! –, Siehaben mit Ihrer Rede für mich die beste Vorlage gege-ben:
Sie haben sich vorgenommen – peinlich genau und de-magogisch angelegt –, im Zusammenhang mit der Ent-wicklung der Staatsschuld seit 1990 die Worte „AufbauOst“ und „Wiedervereinigung“ nicht in den Mund zunehmen.
Sie umschreiben und umschiffen diese Begriffe, wo Sienur können. Indem Sie diese Begriffe verschweigen,wollen Sie den Menschen suggerieren: Die Politik derRegierung Kohl war unsolide gewesen, während wir vonRotgrün solide sind.
Das ist Ihre demagogische Anlage.Nun komme ich zu den Fakten. Fakt ist, daß in denJahren 1990 bis 1998 in Deutschland eine Aufgabe ge-schultert wurde, wie es sie in dieser Form noch nie ge-geben hat. Daß dadurch auch die Verschuldung gestie-gen ist, war im Prinzip unvermeidbar. Wenn Sie immerwieder behaupten, man hätte den Leuten 1990 steuerlichmehr abverlangen können, dann sagen Sie die Unwahr-heit. Die Leute müssen im übrigen durch den Solidarzu-schlag mehr zahlen. Dieser Solidarzuschlag ist umstrit-ten genug, nicht nur bei uns Politikern, sondern auch beiden Menschen. Wir haben Steuerpolitik betrieben undmußten die Schuldenschraube anziehen.Das eigentliche Wunder im Zusammenhang mit demAufbauwerk besteht in der Tatsache, daß Deutschlandmit einer Gesamtverschuldung von 60 Prozent – gemes-sen am Bruttosozialprodukt – nicht an der Spitze, son-dern im Mittelfeld der europäischen Länder gelandet ist.Das ist das eigentliche Wunder.
Das eigentliche Wunder besteht auch darin, daß die ge-waltige Aufbauarbeit nahezu bei Preisstabilität geleistetworden ist. Vergessen Sie dies nicht!
Sie heben immer – zum Beispiel wie Herr Wagner –auf die absolute Zahl von 1,5 Billionen DM und auf dieStaatsverschuldungsquote von 60 Prozent ab. Dies istviel zuviel. Das ist keine Frage. Aber warum verschwei-gen Sie die Konsolidierungsbemühungen der vergange-nen Jahre, insbesondere während der Vorbereitung derWährungsunion? Theo Waigel hat den Stabilitätspaktin Europa durchgesetzt.
Warum gehen Sie mit keinem Wort auf die Konsolidie-rungsbemühungen und die Sparanstrengungen, die wirunternommen haben, im Zusammenhang mit der Ein-haltung der Kriterien von Maastricht ein? Ich kann esIhnen sagen: Dies ist die demagogische Anlage IhrerArgumentation. Sie tun so, als ob Wiedervereinigungund Aufbau Ost nicht stattgefunden hätten. Sie wollendie alte Koalition an Hand der absoluten Zahlen vorfüh-ren. Das Aufbauwerk ist mit Spar- und Konsolidie-rungszwängen einhergegangen, denen wir uns gestellthaben. Sie können allenfalls noch den Anspruch erhe-ben, sich eingereiht zu haben, nicht mehr und nicht we-niger. Sie sind nicht der Erfinder einer neuen Politik.
Dr. Günter Rexrodt
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Ich will auch folgendes in Erinnerung rufen: Als wirin den letzten Jahren in den Ressorts gespart haben, dawaren Sie es, die auf jede Ausgabeposition, die wir hat-ten, eine weitere draufgesetzt haben. Jede Sparmaßnah-me, die wir vorgeschlagen haben, haben Sie konterka-riert. Das ist ja als damalige Opposition Ihr gutes Rechtgewesen. Was ich hiermit nur zeigen will, ist die Tatsa-che, daß Ihr Anspruch, etwas Neues und Besseres zumachen, mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmungsteht.
Was das sogenannte Sparpaket angeht, so wird da einmageres Ergebnis zur Staatsaktion aufgeblasen.
Der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein, Herr Schwan-hold.30 Milliarden DM Sparpaket. Eine Institution, dieIhnen nun wirklich nicht kritisch gegenübersteht, näm-lich das DIW, sagt, daß von diesen 30 Milliarden DMallenfalls 17 Milliarden DM, 18 Milliarden DM echteSparmaßnahmen sind. Der Rest entfällt auf – so heißt eswörtlich – Luftbuchungen und auf Abwälzungen auf dieLänder- und die Kommunalhaushalte. Wenn man ein-wendet, daß das ein Abwälzen auf die Länder- und dieKommunalhaushalte und kein wirkliches Sparen sei, undHerrn Eichel danach fragt, dann sagt er, die Länder undKommunen würden an anderer Stelle entlastet. – Dasfindet jedoch in nur marginalem Umfang statt. Wenn eskonkret wird und man die Dimension betrachtet, die daabgewälzt werden soll, dann ist das alles unbefriedigend.Das sind die Fakten. Blasen Sie nicht ein so mageres Er-gebnis zu einer Staatsaktion auf.
Das gilt in gleichem Maße für Ihre Subventionspolitik,die ja gar keine ist. Wir haben das Kohleproblem wirk-lich angepackt. Was machen Sie heute?
– Sie haben doch die Leute in Bonn empfangen undgroße Reden gehalten. Sogar der Herr Fischer war dabei,die Umweltpartei. Sie haben doch die Kohlekumpelempfangen und große Reden geschwungen, als wir dasProblem angegangen sind. Was machen Sie heute?
– Herr Urbaniak, Sie sind da ganz vorn. Sie sind da völ-lig eingebunden. Da steht eine Subventionsgewährung– das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen las-sen – für Gas- und Ölkraftwerke im Raum. Was ist das?Das ist eine Politik, die der Braunkohle in Deutschlandden Garaus machen kann. Das ist eine sehr glaubwürdi-ge Politik!
Auf der anderen Seite fassen Sie eine Subventions-gewährung für Kraft-Wärme-Kopplung auf Steinkoh-lenbasis ins Auge und sagen, daß das dem Umwelt-schutz diene. Das dient aber überhaupt nicht dem Um-weltschutz, sondern das dient dazu, die abgeschriebenenDreckschleudern aus dem Wettbewerb herauszunehmen,den wir gerade eingeführt haben.
Das ist eine Verbeugung vor der ÖTV und nichts an-deres, vor der ÖTV, Ihrer Klientel. Der sind nämlichMarkt, Wettbewerb und Preissenkungen auf dem Strom-sektor fremd. Das sind die Fakten, Herr Schwanhold. Siewissen es ganz genau.
Wie sind Sie über uns hergefallen, als wir bei denSteinkohlesubventionen eine Bugwelle haben entstehenlassen? Dies geschah, Herr Wagner, im übrigen immerin Abstimmung mit Ruhrkohle bzw. damals noch denSaarbergwerken.Heute – das ist ein Faktum; Herr Austermann hatdarüber gesprochen – streichen Sie flott 250 MillionenDM und verschieben 200 Millionen DM in die nächstenJahre. Darüber kann man ja reden. Aber man kann nichtdarüber reden, daß Sie den Anspruch erheben, Siemachten alles besser, daß Sie uns Wort- und Gesetzes-bruch vorwerfen und daß Sie angesichts des Anspruchs,bei diesem Haushalt wenigstens ein mageres Sparergeb-nis vorzuweisen, dasselbe machen. Das sind die Fakten.Dem können Sie nichts entgegensetzen. Dem könnenSie null entgegensetzen. So ist es, meine Damen undHerren.
Wo sind denn die Akzente in diesem Haushalt, wennes um die Ausstattung mit Investitionsmitteln geht? ImBildungshaushalt gibt es – ich will da einmal ganz fairsein, Herr Eichel – wenigstens eine Verstetigung bei denInvestitionen. Gemessen aber an den Ankündigungen,Sie wollten die Investitionen im Bildungsbereich invier oder fünf Jahren verdoppeln, ist das, was Sieda machen, schlicht ein Klacks. Sie werden Ihre An-kündigungen und Ihre Ziele niemals verwirklichen kön-nen.In diesem von Ihnen selbst als Renommierhaushaltbezeichneten Zahlenwerk fehlt beispielsweise eine lang-fristige, stetige und berechenbare Mittelerhöhung fürGroßforschungseinrichtungen wie das Max-Planck-Institut, wie Sie es angekündigt hatten. Wir als FreieDemokraten wollen in diesem Bereich mit unseren An-trägen nachbessern. Das dient den Arbeitsplätzen in un-serem Land.Das gilt auch für die Förderung der Luft- undRaumfahrt in Deutschland; auch das ist ein ganz wich-tiger Bereich, in dem zukunftsträchtige Arbeitsplätzeentstehen können. Nur wenn wir richtig finanzieren, hatDr. Günter Rexrodt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6405
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Deutschland die Chance, entsprechende Aufträge zu er-halten und an Gemeinschaftsprojekten im europäischenVerbund mitzuwirken.
Die Investitionen für den Straßenbau, den Wasser-straßenbau und die Bahn werden zurückgefahren. Dar-unter leidet unser Standort, weil die Infrastruktur zu-rückbleibt oder nicht in dem Maße wächst, wie es not-wendig wäre, um diesen Standort für Investoren attrak-tiv zu machen. Das gefährdet Arbeitsplätze.
Ebenso gefährdet die Beschneidung der Mittel-standsförderung im Haushalt des Bundesministers fürWirtschaft Arbeitsplätze.
– Schauen Sie sich einmal die Aussagen der AiF an,Herr Schwanhold. Sie müßten das wissen, das ist dochIhre Materie. Nicht einmal das geben Sie zu. Wenn Siees jedoch besser wissen sollten, dann sagen Sie die Un-wahrheit. Es handelt sich um Fakten; diese können Sienicht durch Zwischenrufe verdrehen. Daß dem so ist,sieht man ja auch an Ihrem Gesicht.
Begründet wird das alles damit, daß Sie einen Ge-samthaushalt übernommen hätten, der ein strukturellesDefizit von 20 Milliarden DM ausgewiesen habe. Wirhätten dieses – so sagen Sie im Brustton der Überzeu-gung vorwurfsvoll – durch das Einstellen von Privati-sierungserlösen gedeckt. Sie tun so, als ob Sie keinePrivatisierungserlöse einstellten! Das geschieht in die-sem Jahr beispielsweise durch die Veräußerung der Ei-senbahnerwohnungen. Ich habe dafür Verständnis, dennauf Grund der enormen außergewöhnlichen Belastungendurch den Aufbau Ost, die Sie aus demagogischenGründen immer negieren wollen, halte ich dieses fürdurchaus legitim. Es war legitim, daß wir das mach-ten; es ist auch legitim, daß Sie das machen. Ichhabe gar nichts dagegen, solange Sie sich nicht so auf-spielen. Das ist das Entscheidende, meine Damen undHerren!
Nun lassen Sie mich auf einen Bereich eingehen, indem Sie, wie ich glaube, meine Damen und Herren vonRotgrün, in dieser Legislaturperiode Ihr Waterloo erle-ben werden. Das ist leider so,
weil das, Herr Schlauch, für unser Land erhebliche Kon-sequenzen hat. Davon verstehen Sie, Herr Schlauch, janichts. Aber dann halten Sie sich wenigstens zurück.
Der Bundesfinanzminister wird im Jahre 1999 nachneuester Schätzung 9,5 Milliarden DM mehr an Steuerneinnehmen als erwartet. Im Jahr 2000 sind es netto nocheinmal rund 10 Milliarden DM mehr.
– Hören Sie doch einmal zu, oder können Sie diesengedanklichen Ableitungen nicht mehr folgen, HerrSchlauch? Stellen Sie sich doch nicht in die Ecke!Dies ist zu weiten Teilen ein Ergebnis der Korrektu-ren, die wir 1997 bei der Ostförderung in bezug aufAbschreibungen und Neubauförderung vorgenommenhaben. Diese Korrekturen waren fällig, manche Leutesagen, sie seien überfällig gewesen – auch ich habe dasgesagt. Wir haben diese dann ja auch umgesetzt, im üb-rigen mit Ihrer Zustimmung hier im Parlament und inden Ausschüssen.
Sie profitieren jetzt davon.In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daßSie noch eines draufgesetzt haben, was steuerlich jetztnoch nicht wirkt. Es handelt sich um die Reform von § 2des Einkommensteuergesetzes.
Rufen Sie einmal bei den Finanzämtern an, Herr Eichel.Kein Mensch kann Ihnen dort erklären, wie dieses Para-graphenungetüm, das Sie mit der Überschrift „Mindest-besteuerung“ versehen haben, überhaupt angewandtwerden soll.
Im November 1999 weiß das noch niemand. Ich selbsthabe mich in dieser Angelegenheit sachkundig gemacht,indem ich mit meinem Finanzamt telefoniert habe. KeinMensch weiß, wie dieses Paragraphenungetüm ange-wandt werden soll.
Bleiben wir bei der Ostförderung: All dies hat Sienicht davon abgehalten, für die Zukunft noch kräftig beider Ostförderung zu kürzen. Man kann darüber reden.Aber zunächst sagten Sie, daß der Aufbau Ost Chef-sache sei und die Koordinierung dafür im Kanzleramtliege. Wo ist denn der Chef? Der Kanzler absolviert einpaar fadenscheinige Pflichttermine in den neuen Bun-desländern. Sein Habitus läßt dabei erkennen, daß solcheAuftritte nicht sein Ding sind. Hinzu kommt, daß denOstbeauftragten Schwanitz niemand kennt, weder je-mand im Osten noch jemand im Westen. Das sind dieFakten zur Ostförderung.
Herr Eichel, geben Sie die zusätzlichen Steuerein-nahmen an diejenigen zurück, die in diesem Land Ar-Dr. Günter Rexrodt
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6406 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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beitsplätze schaffen: an den Mittelstand. Wo bleibt dennIhre Unternehmensteuerreform? Ich habe kein Pro-blem damit, nachzuvollziehen – ich brauche mich nur inSie hineinzuversetzen –, daß Sie mit Ihrer Steuerpolitikzunächst die unteren Einkommensgruppen entlastet ha-ben. In Ordnung! Aber genau die Steuerzahler, die Sieentlasten wollen, kassieren Sie wieder mit dem ab, wasSie Ökosteuer nennen.
In Wirklichkeit ist sie eine fiskalisch notwendige Ver-brauchsteuererhöhung. Sie hat nichts mit Umweltschutzund nichts mit Ökologie zu tun.
Das Schlimme an dieser Verbrauchsteuererhöhung ist,daß Sie auch bei denen abkassieren, die von der Sen-kung der Rentenbeiträge gar nicht begünstigt werden:bei den Schülern und Studenten, den Rentnern und denSozialhilfeempfängern. Ist es so oder ist es nicht so? –Es ist so, und Sie wissen es, meine Damen und Herren!
Wieder klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander,wieder befinden Sie sich allenthalben im finanziellenTagesgeschäft. Eine Trendwende ist nicht zu erkennen,auch wenn Sie einen solchen Anspruch erheben.
Herr Eichel, alles, was man über die Reform der Re-formen hört, nämlich die Reform der Besteuerung desUnternehmensbereiches, klingt besorgniserregend. Siehaben im Bundesrat über Jahre hinweg eine Reformverhindert, die eine klare Senkung der Steuersätze füralle Einkommensgruppen und gerade für den Mit-telstand vorsah, eine Reform, die mit Transparenz, Ver-einfachung und Nettoentlastung verbunden war. Jetztkommen Sie, Herr Eichel – das ist mir sehr ernst; dasgeht über den parlamentarischen Schlagabtausch, denwir hier haben, weit hinaus –, in der Unternehmen-steuerreform offensichtlich mit einer Spreizung zwi-schen dem Einkommensteuertarif in Höhe von 45 bis 50Prozent und dem Unternehmensteuersatz in Höhe vonetwa 35 Prozent. Verfassungsrechtlich können Sie dasnicht machen; das geht nicht durch. Im übrigen öffnenSie mißbräuchlicher Gestaltung Tür und Tor.Außerdem – das ist das Entscheidende – zerstören Sieeine alles in allem bewährte Unternehmer- und Selb-ständigenkultur in unserem Lande.
Sie zerstören diese Kultur, wenn Sie persönlich haftendeUnternehmer und Freiberufler aus wirtschaftlichenGründen dazu zwingen, für eine Besteuerung wie beiKapitalgesellschaften zu optieren. Das geht über dieTagespolitik hinaus, das geht an die Grundlagen unse-res Landes.
Eine GmbH mit einem Steuersatz von 25 Prozent füreinbehaltene Gewinne wird das Steuersparmodell derkünftigen Jahre, wenn Sie Ihre Steuerreform so durch-setzen. Dies wird mittelfristig verheerende Folgen fürunsere Unternehmenskultur haben.
Herr Kollege
Rexrodt, an Ihrem Rednerpult blinkt es schon seit länge-
rem.
Ich bin sofort fertig,
Frau Präsidentin.
Ich komme zum Schluß. Ihre Finanzplanung ist nicht
die Wundertüte, in die Sie den Pfusch und die Flick-
schusterei der letzten Jahre einpacken können.
– Ach Gott, Sie haben offenbar ein schlechtes Gewissen,
meine Damen und Herren. Wir haben gerade vor einer
halben Stunde über Ihren Pfusch und Ihren Mist disku-
tiert.
Meine Fraktion steht für einen Kurs des Sparens und
Konsolidierens. Aber das, was Sie uns hier vorlegen,
hält dem nicht stand. Ein Berg kreißte und gebar ein
Mäuslein.
Zustimmung von unserer Seite können Sie dafür nicht
erwarten.
Zu einer
Kurzintervention, die sich auf den vorletzten Redebei-
trag bezieht, erhält nun der Kollege Austermann das
Wort.
Ich komme kurzauf den Beitrag des Kollegen Wagner zurück. Ich binder Meinung, man sollte mit dem Vorwurf, jemand habeetwas nicht korrekt gesagt, vorsichtig sein. Erstens stelleich fest, daß im Haushaltsausschuß der Ansatz des Kap.09 02 Tit. 697 15 – Zuschüsse an Unternehmen desdeutschen Steinkohlebergbaus – von 406 Millio-nen DM um 250 Millionen DM auf 156 Millionen DMgekürzt worden ist,
und zwar mit der Begründung der Ansatzkürzung zurteilweisen Auflösung der globalen Minderausgabe von600 Millionen DM auf 350 Millionen DM, und daß beiKap. 09 02 Tit. 683 14 – Zuschüsse für den Absatz deut-scher Steinkohle zur Verstromung und zum Absatz anDr. Günter Rexrodt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6407
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die Stahlindustrie sowie zum Ausgleich von Belastun-gen infolge Kapazitätsanpassung – zur Erwirtschaftungder globalen Minderausgabe für das Haushaltsjahr 2000im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen be-absichtigt ist, weitere 250 Millionen DM statt im De-zember 2000 im Januar 2001 zu zahlen. Gekürzt wurdeder eingangs genannte Titel.Zweitens zur Werftenhilfe. Ich habe hier eine Bilanzder Politik des Jahres 1999 gezogen und habe in diesemZusammenhang gesagt, daß der Bundesfinanzministerauf den zusätzlichen Mitteln für die Werftenhilfe, diewir gemeinsam beschlossen haben, sitzt und die Werft-arbeiter im Regen stehen läßt. Die Mittel für 1999 sindbis heute nicht freigegeben. Es macht überhaupt keinenSinn, für das nächste Jahr gemeinsam zusätzliche Mittelfür die Werften zu beschließen, wenn das Finanzmi-nisterium die Mittel wieder nicht bereitstellt. Wir warenuns einig: 214 Millionen DM für die Werften zusätzlich.Ich habe niemals behauptet, daß die SPD nicht bereit sei,hierzu einen Beitrag zu leisten. Ich bitte das zur Kennt-nis zu nehmen.
Herr Wagner.
Meine Damen und
Herren!
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Repnik, tue ich das immer.
Wenn das Unternehmen Deutsche Steinkohle, die
Gewerkschaft und die entsprechenden Landesregierun-
gen, die Mitbeteiligte im Verfahren sind, erklären, sie
seien bereit, 250 Millionen DM in das Jahr 2001 zu zie-
hen, und sie verkrafteten dies auch betriebswirtschaft-
lich, wenn das Unternehmen selber erklärt, es werde im
Vollzug des Haushaltes 2000 erneut 250 Millionen DM
erzielen, so ist dies zunächst einmal zu akzeptieren.
Dies ist ein Angebot der Wirtschaft an die Bundesregie-
rung.
– Es ist ein Angebot, Herr Rexrodt, das einvernehmlich
vereinbart worden ist. Sie hatten ja einmal gesagt, die
Bergleute würden alles behalten, was sie haben. Dann
haben Sie Ihr Wort gebrochen und im März 1993 die
Vereinbarung geschlossen. Das war der Fehler.
Der Punkt ist, daß es nicht um eine Kürzung geht. Ich
wende mich mit dem Begriff der Lüge gegen das Wort
„Kürzung“. Es ist keine Kürzung.
– Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Es ist nun
einmal so.
Die Bergleute wissen es besser. Ich will das eigentlich
gar nicht alles in einer Kurzintervention anführen. Aber
Sie wissen doch, daß die Bergleute die Debatte über die
Finanzierung der Steinkohle sehr aufmerksam verfolgen.
Wenn an dem, was Sie sagen, irgend etwas dran wäre
und die Bergleute sich in ihrer Existenz bedroht sähen,
wären mit Sicherheit schon die ersten hier in Berlin.
Ich will nur sagen, daß wir sauber miteinander umgehen
sollten.
Nun zur Werftenindustrie. Sie, Herr Kollege
Austermann, und auch der Kollege Rexrodt stellen es
immer so dar, als sei die Bundesregierung nicht in der
Lage und nicht bereit, die entsprechenden Gelder zur
Verfügung zu stellen. Aber wie sieht die Wahrheit aus?
Die Wahrheit ist, daß die Länder Komplementärmittel
aufbringen müssen. Reden Sie doch einmal mit Ihren
Finanzministern, und lassen Sie sich das einmal erzäh-
len. Die bringen das Geld doch gar nicht auf! Der Bund
kann aber nur bezahlen, wenn die Länder Komplemen-
tärmittel zur Verfügung stellen. Wenn die Länder das
nicht machen, darf der Bund nicht zahlen.
– So einfach ist das, Herr Repnik. Deshalb weise ich den
Vorwurf von Herrn Austermann zurück.
Es gibt den
Wunsch nach einer weiteren Kurzintervention, die sich
auf den Beitrag des Kollegen Rexrodt beziehen soll. Das
Wort hat der Abgeordnete Mosdorf.
Lieber Herr Kollege Rex-rodt, Sie haben in Ihrer Rede sowohl auf die Werften alsauch auf die AiF Bezug genommen. Ich habe mir dieentsprechenden Zahlen einmal geben lassen. Sie wissen,daß Sie in Ihrer Amtszeit die Förderung der AiF, diefür uns eine wichtige Brücke zwischen Forschung undAnwendung darstellt, von 210 Millionen DM auf170 Millionen DM gesenkt haben. Das entspricht denTatsachen. Wir haben 1999 den Anteil für die AiF auf180 Millionen DM angehoben. Ein Teil des Geldes wur-de gesperrt. Wir sind aber gerade dabei, diese Mittelzu entsperren. Für das Jahr 2000 haben wir 175 Millio-nen DM vorgesehen. Das heißt, wir haben die Förderungder angewandten Forschung in Richtung mittelständi-sche Wirtschaft stabilisiert und sogar leicht angehoben.Sie aber haben die Mittel von 210 Millionen auf 170Millionen DM gesenkt.Dietrich Austermann
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6408 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Herr Rexrodt und Herr Austermann, ich will folgen-des klarstellen: Die Mittel für die Werftenhilfe – derBundesfinanzminister hat dies gerade bestätigt – sind für1999 freigegeben.
– Herr Austermann, diese Freigabe konnte erst nach denBeratungen im Haushaltsausschuß erfolgen. Dies istunmittelbar danach geschehen. Die Mittel für 1999 sindalso freigegeben. Sie wissen genauso gut wie ich, daßwir einvernehmlich dafür gesorgt haben, daß in dennächsten drei Jahren Werftenhilfen zur Verfügung ste-hen.
Lieber Herr Kollege
Mosdorf, zunächst möchte ich der Ordnung halber dar-
auf hinweisen, daß ich zur Werftindustrie kein Wort ge-
sagt habe. Meine Erinnerung in bezug auf die AiF ist –
ich habe im Moment keine Unterlagen dazu –, daß wir
im Zuge unserer Sparbemühungen, die Sie immer in Ab-
rede gestellt haben, vorgesehen hatten, die Mittel für die
AiF auf 160 Millionen DM zu kürzen. Wir haben sie
dann aber wieder auf 180 Millionen DM angehoben.
Fakt ist, daß dies 5 Millionen DM mehr sind, als Sie an-
gesetzt haben.
Lieber Herr Mosdorf, ich möchte Ihnen ein paar Bei-
spiele nennen – daran liegt mir sehr –, wie Sie durch Ih-
re Kürzungen die Mittelstandsförderung und damit
mittelbar Arbeitsplätze gefährden. Nach dem derzeitigen
Stand gibt es folgende Minderausgaben: Förderung er-
neuerbarer Energien 76 Millionen DM, Forschungsko-
operation 17 Millionen DM, industrielle Gemeinschafts-
forschung 15,1 Millionen DM, FuE neue Bundesländer
15 Millionen DM, überbetriebliche Lehrlingsunterwei-
sung 5,1 Millionen DM, Handwerk 5,5 Millionen DM,
Innovationsfähigkeit KMU 9 Millionen DM, Außen-
wirtschaft 13,8 Millionen DM, Absatzfinanzierung Luft-
fahrt 10 Millionen DM. Ich könnte die Liste dieser
Zahlen, für die Sie verantwortlich sind, noch weiter fort-
führen.
Herr Eichel, Sie haben Sparzwänge und wollen
gleichzeitig alles tun, daß im Handwerk und im Mit-
telstand Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie wollen
ferner an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit gemessen
werden. Trotzdem nehmen Sie diese Sparmaßnahmen
vor. Ihre Konsolidierungs- und Haushaltspolitik ist
falsch gestrickt. Sie sparen an der falschen Stelle, damit
Renommierprojekte, die für Ihre Politik eine Rolle
spielen, finanziert werden können. Diese Politik haben
wir nie gemacht, was wir an Hand von Zahlen belegen
können.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei diesemKleinkrieg um Einzelpositionen kommt eines leider zukurz: die große Linie. Angesichts der Leistungen dieserKoalition in der Haushaltspolitik der letzten Monate tutsich bei Ihnen von der Union und der F.D.P. eineGlaubwürdigkeitslücke auf. Gestern schrieb die „Frank-furter Allgemeine Zeitung“ in einem Leitartikel imWirtschaftsteil: Die Union und die F.D.P. können nichtjedes Bauernopfer aufspießen und gleichzeitig den Ein-druck erwecken, es würde überhaupt nicht gespart. – Siehaben es dieser Regierung nicht zugetraut, einen solchenKonsolidierungsetat aufzustellen, den wir im Rahmendes parlamentarischen Verfahrens mit einer Punktlan-dung umgesetzt haben!
Kommen wir zu den Fakten. Wenn Kollege Auster-mann, immerhin haushaltspolitischer Sprecher der Uni-onsfraktion, hier zum wiederholten Male Zahlen nennt,die überhaupt nicht stimmen – meinen Spickzettel, aufdem ich die Zahlen aufgeschrieben habe, die er in seinerRede im September genannt hat, brauche ich nicht zuändern –, dann zeigt dies das ganze Ausmaß seinerHilflosigkeit. Wenn Volker Rühe einen Finanzministerfür ein Schattenkabinett suchen sollte: Den Austermannaus Schleswig-Holstein dürfte er nicht nehmen, dennder kennt noch nicht einmal das kleine Haushaltseinmal-eins!
Kollege Rexrodt, obwohl die Opposition Ihnen offen-sichtlich guttut – so befreit wie heute haben Sie seltengeredet –,
muß man feststellen, daß es in der Opposition anschei-nend leichter ist, den Mund zu spitzen und dann nicht zupfeifen, als früher in der Regierung.Wir als Grüne nehmen für uns in Anspruch, daß wirschon in der Oppositionszeit bei der HaushaltspolitikKonsolidierung, eine nachhaltige Finanzpolitik und dieDeckungsgleichheit zwischen Einnahmen und Ausgabendes Staates angemahnt haben. Wir wollten die Neuver-schuldung reduzieren, damit nicht unsere Kinder undEnkel in Haftung genommen werden, um heutige Gene-rationen zu schonen.Für dieses Worthalten bringe ich Ihnen jetzt ein Bei-spiel. Im Jahr 1998, dem letzten Jahr, für das Sie als alteKoalition die Regierungsverantwortung trugen, stand inIhrem Haushaltsentwurf eine Nettoneuverschuldungvon 56,4 Milliarden DM. Gleichzeitig hatten Sie28,7 Milliarden DM Privatisierungserlöse eingestellt,um diesen Haushalt überhaupt verfassungsgemäß – alsoNettoneuverschuldung niedriger als Investitionsquote –fahren zu können.Siegmar Mosdorf
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Wissen Sie, was das heißt, wenn Sie im Vergleichdazu den Haushaltsentwurf 2000, also den dieser Regie-rung, betrachten? In diesem Entwurf stehen 49,5 Milli-arden DM Nettoneuverschuldung und 3,5 MilliardenDM Privatisierungserlöse. Genau in dieser Lücke zwi-schen dem strukturellen Defizit – nämlich Neuverschul-dung plus Privatisierungserlöse – von annähernd86 Milliarden DM im Jahr 1998 und einem strukturellenDefizit von annähernd 52 Milliarden DM im nächstenJahr liegt der Konsolidierungserfolg dieser Regierung.Wir haben das strukturelle Defizit um mehr als 30 Milli-arden DM in einem Kraftakt, der bereits 1999 begann,verringert. Das ist eine Leistung, auf die diese Regie-rung stolz sein kann.
Kollege Austermann kommt immer wieder mit deralten Mär hinsichtlich der Finanzplanung von TheoWaigel. Aber im 98er Etat und sogar im Regierungsent-wurf 1999 – ein Wahlkampfhaushalt, wie wir im nach-hinein wissen – waren von Theo Waigel für die Jahre2000, 2001 und 2002 Nettoneuverschuldungen vorgese-hen, die immer um etwa 5 bis 8 Milliarden DM höhergelegen haben als das, was die heutige Koalition inihrem Regierungsentwurf 2000 und in ihrer Finanzpla-nung vorsieht. Wir sind also in der Tat nicht nur dabei,das strukturelle Defizit einmalig zu schließen, sonderndieser Effekt wird sich mittelfristig fortsetzen. Wir wer-den damit dem Ziel, ausgeglichene Haushalte vorzule-gen, ein gutes Stück näherkommen.
Ausgeglichene Haushalte sind die Voraussetzung da-für, daß wir das Leben auf Pump in dieser Gesellschafteinstellen und unseren Nachfahren nicht höhere Zinsla-sten aufhalsen, wodurch wir nämlich automatisch dazubeitragen, daß die Handlungsspielräume der nachwach-senden Generationen verringert werden. Diese Politik zuLasten der Zukunft und der jungen Generation machenwir nicht mit. Dafür haben wir jetzt das Startsignal ge-geben. Das, meine Damen und Herren – auch von derSPD –, ist auch soziale Gerechtigkeit, soziale Gerech-tigkeit zwischen den Generationen.
Während also Ihr Motto in der Regierungszeit „Ver-scherbeln und Verschieben“ war, vergießen Sie heuteKrokodilstränen und versuchen beispielsweise, die Märzu verbreiten, im konsumtiven Bereich werde nicht ge-spart, sondern nur bei den Investitionen. Woher Sie denMut nehmen, diese Behauptung aufzustellen, frage ichmich schon. Die Investitionen sind gegenüber dem Re-gierungsentwurf gerade einmal um 100 Millionen DMauf rund 57 Milliarden DM reduziert worden. Sie lagenauch in den letzten Jahren nicht höher. Das muß mandeutlich sagen. Sie sind auf hohem Niveau verstetigt.Gleichzeitig sind wir in einer Situation, in der wir dieErblast privat vorfinanzierter Straßenbauprojektezahlen müssen. Ich bekomme es in Baden-Württembergmit, wie die CDU zur Zeit in jedem Gemeindeparlamentund in jedem Kreistag den Investitionsstau im Verkehrs-haushalt thematisiert.
– Das ist wirklich Heuchelei, wie Konstanze Wegnersagt. Jetzt ist die Zeche für die Projekte zu zahlen, dieWissmann privat vorfinanziert in die Pipeline brachte.Mir fallen aus meinem Bundesland Beträge in dreistelli-ger Millionenhöhe ein. Beim Engelbergtunnel bei Leon-berg beispielsweise werden ab nächstem Jahr 89 Millio-nen DM jährlich an Rückzahlungen fällig. Das warendie Strategien Ihrer Regierungszeit: Lasten in die Zu-kunft zu verschieben, um Ihre Haushalte überhaupt ver-fassungsgemäß vorlegen zu können; denn Sie hattennicht den Mut, im konsumtiven Bereich tatsächlich zukonsolidieren.
Sie haben im September und Oktober dieses Jahressogar versucht, 18 Millionen Rentnern vorzumachen,daß die jetzige Regierung den Rentnern etwas weg-nimmt. Statt dessen hätten Sie sagen müssen, daß ihnendie neue Regierung durch eine Rentensteigerung in Hö-he des Inflationsausgleichs ein höheres Nettoeinkommengewährt, als es ihnen die alte Koalition in den letztenvier Jahren jeweils verschafft hat.
Das ist die Wahrheit. Diese Glaubwürdigkeitslücke kannIhnen die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen. Dasläßt Ihnen übrigens auch nicht der Sachverständigenrat,der IWF und die Wirtschaftspresse durchgehen.Wenn die jetzige Koalition in einem Punkt Wortgehalten hat, dann ist es bei den Grundlagen der Finanz-politik. Mit Amtsantritt des jetzigen Finanzministerslautete unsere Finanzpolitik immer folgendermaßen: Wirwollen ein Leben zu Lasten der Zukunft einstellen. Un-ser Ziel sind ausgeglichene Haushalte. Wir wollen, daßder Staat mit seinen Einnahmen auskommt und daß des-halb die Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden.Im Rahmen dieser Prüfung sind auch die konsumti-ven Ausgaben angetastet worden. Sie wissen, daß dieKoalition im Rahmen des Sparpaketes, das wir im Bun-destag vor zwei Wochen verabschiedet haben, Ein-schnitte in gesetzliche Leistungen in Höhe von über10 Milliarden DM beschlossen hat und daß mit demheutigen Auftakt der abschließenden Haushaltsberatun-gen weitere 16 Milliarden DM im Bundeshaushalt ge-schultert werden. Nur noch über 4 Milliarden DM, alsoüber etwa 12 Prozent der im Sparpaket vorgesehenenKürzungen, kann die Opposition im Bundesrat bzw. imVermittlungsverfahren mitbestimmen. Wenn Sie in derVergangenheit mit einem solch hohen Anspruch gestar-tet wären und mehr als 85 Prozent dieses Anspruches imGesetzgebungsverfahren hätten realisieren können, dannhätten Sie vor lauter Kraft nicht mehr laufen können.
Oswald Metzger
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6410 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Die jetzige Koalition kann vor lauter Kraft wiederlaufen, weil sie merkt, daß mit diesem Kraftakt die Vor-aussetzungen für ein Herauskommen aus der Defensivedes letzten Jahres – dies gestehen wir gerne ein – ge-schaffen werden. Dieses Herauskommen geht einher miteiner Verbesserung der konjunkturellen Situation. Wirstehen heute besser da als im ersten Quartal dieses Jah-res. Sie erwecken immer wieder fälschlicherweise denEindruck, als sei die Konjunktur in Deutschland deshalbweggebrochen, weil Rotgrün an die Regierung gekom-men ist.
Sie sollten sich einmal die Auftragsbücher und dieMonatsstatistiken des letzten Jahres anschauen. Bereitsim Mai 1998, zu einem Zeitpunkt also, als Sie sich imVorwahlkampf noch auf die Brust geklopft und be-hauptet haben, Sie würden auf dem Arbeitsmarkt durcheine konjunkturelle Erholung mehr erreichen können,hat in Deutschland ein Einbruch in der Auftragslageeingesetzt, ist die Exportkonjunktur zurückgegangen,wurde der Aufschwung eingetrübt.An diesen Fakten kommen Sie genausowenig vorbeiwie daran, daß im dritten Quartal dieses Jahres dieWachstumsraten 0,75 Prozent höher waren als im Vor-quartal. Der neue Monatsbericht der Bundesbank vongestern macht dies klar. Damit wird deutlich, daß dieMärkte, die Wirtschaft, die Verbraucherinnen und Ver-braucher sowie die Industrie für die Zukunft positivergestimmt sind, weil sie plötzlich merken: Die Mär derOpposition, daß in unserem Land alles schlechter gelau-fen sei, seitdem Rotgrün an der Regierung ist, stimmteinfach nicht.
Nehmen wir doch die Fakten zur Kenntnis: Wir hat-ten dieses Jahr den höchsten Zuwachs des Nettoein-kommens der Bevölkerung, und zwar trotz Ökosteuer.Diese fließt im Saldo den Bürgern und der Wirtschaftwieder in die Taschen. Denn wir brauchen dieses Geldnicht für den Haushalt. Wir sparen wirklich und erhöhennicht die Steuern, um Haushaltslöcher zu stopfen, wieSie es früher getan haben, indem Sie in einer Legislatur-periode die Mineralölsteuer um fast 50 Pfennig er-höht haben. Davon will die Union heute nichts mehrwissen.Wir haben vor der Wahl gesagt, wofür wir die Öko-steuer verwenden wollen. Wir hatten damals sogareinen Kronzeugen, den Fraktionsvorsitzenden der Uni-on, Wolfgang Schäuble, dem ich übrigens von dieserStelle aus gute Besserung wünsche.
Wolfgang Schäuble hat in einer Debatte des letzten Jah-res, als es um eine Mehrwertsteuererhöhung im Zusam-menhang mit dem Rentenbeitrag ging, gesagt, mit einerErhöhung der Mineralölsteuer um 15 Pfennig zur Sen-kung des Rentenversicherungsbeitrages könne man alsUnion gut leben. Die CSU wollte das damals nicht.Wolfgang Schäuble hat eine Begründung geliefert, diefür uns Grüne nach wie vor gilt: Ressourcen sind end-lich. Deshalb ist eine höhere Ressourcenbesteuerung al-lemal sinnvoller, als Arbeit, ein überreichlich vorhande-nes Gut auf dem Arbeitsmarkt, teurer zu machen.Auf dieser Linie befindet sich die Koalition bei derÖkosteuer. Dies ist eine stetige und kalkulierbare Liniebis zum Jahre 2003. Wirtschaft und Verbraucher wissen,wo es langgeht. Die Planbarkeit staatlichen Handelns istwichtig.
Planbar ist auch unsere Fiskalpolitik. Keine Frage:Wirtschaft und Verbraucher können sich darauf verlas-sen, daß diese Regierung die Nettoneuverschuldung imLaufe der nächsten Jahre, wie versprochen, weiter sen-ken wird, weil wir auf die Ausgaben achten. Die Bevöl-kerung kann sich auch darauf verlassen, daß Steuererhö-hungen zum Stopfen von Haushaltslöchern für uns tabusind. Wir hätten in der Vergangenheit gern von Ihnengehört, daß Sie dieses Wort geben. Sie konnten es abernicht geben, weil Sie es nicht geben wollten.
– Sie können ruhig klatschen.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der indieser Debatte bei der heutigen Opposition immer einegroße Rolle spielt. Sie haben hier noch im Septembergetönt – es war gerade Herr Rexrodt –: Die globaleMinderausgabe mit über 5 Milliarden DM, die ihr imSparpaket eingeplant habt, ist doch eine Luftbuchung.Man weiß ja nicht, was unter dem Strich dabei heraus-kommt.
Wir haben die globale Minderausgabe bis auf einenRestbetrag von 550 Millionen DM aus dem Haushalt he-rausgestrichen.
Eine globale Minderausgabe in dieser Höhe war bereitsim letzten Jahr im Haushaltsentwurf enthalten. Sie fälltjetzt aber viel niedriger aus als 1998, als die heutige Op-position den Haushalt beschlossen hat. Damals waren imHaushalt 10,5 Milliarden DM globale Minderausgabenveranschlagt.
Wer also im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinenwerfen. Mit Zahlen kann man viel manipulieren, aberdie Fakten lassen sich nicht wegdiskutieren. Auchhier sind wir auf der sicheren und seriösen politischenSeite.
Oswald Metzger
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Nun komme ich zu den wirtschaftspolitischen Über-legungen. Wir bestellen das Feld im Hinblick auf einesolide Finanzpolitik und räumen mit der alten, schwe-ren Erblast der Vergangenheit auf. Das ist ein mühsamerProzeß, der zwar weh tut, der aber Handlungsspielräumefür die Zukunft eröffnet; denn wir sparen nicht zumSelbstzweck, sondern für ein bestimmtes Ziel. Deshalbmuß man neben dem „ersten Aufschlag“ der fiskalischenKonsolidierung auch im steuerpolitischen Bereich Ak-zente setzen.Hier halten wir, was wir versprochen haben: Mit derUnternehmensteuerreform, die der Bundesfinanz-minister am 5. Januar in ihren Eckpunkten vorstel-len wird, senken wir die Steuertarife in Deutschland, umdie internationale Wettbewerbsfähigkeit des Steuersy-stems herzustellen. Gleichzeitig sind wir uns als Koali-tion sehr wohl bewußt, daß die tatsächliche Steuer-last in Deutschland im europäischen Vergleich nichtüberdurchschnittlich hoch ist, sondern im Mittelfeldliegt.
Wir müssen deshalb eine Lösung finden, die der mit-telständischen Wirtschaft gerecht wird; denn sie ist nachdem heutigen Steuerrecht der Lastesel der Industrie imSteuerstaat Deutschland. Die großen Unternehmen kön-nen heute bilanztechnisch ihre Gewinne ins Auslandtransferieren und ihre Erträge dort versteuern, währendder Mittelständler, der in Deutschland sein Gewerbe,sein Handwerk ausübt, angesichts der Steuertarife indiesem Land gekniffen ist.Wir streben ein Konzept an, das die Anforderungenerfüllt, zu einem wirtschaftlich wettbewerbsfähigenSteuerrecht zu führen und trotzdem eine fiskalische Er-giebigkeit derart zu erreichen, daß von der Wirtschaft inDeutschland Steuern gezahlt werden, sowohl von dengroßen als auch von den kleinen Betrieben. In diesemBereich soll wie bei der Einkommensteuer Gerechtig-keit angestrebt werden. Dafür werden wir Grünen in derKoalition streiten. Ich glaube auch, daß wir eine ver-nünftige Lösung finden werden, die dann als „zweiterAufschlag“ wirkt und dazu beiträgt, die verbessertenkonjunkturellen Aussichten in einen lange andauerndenAufschwung münden zu lassen. Dies täte unserem Landgut.
Eines darf man nie vergessen: Die Union und auchdie F.D.P., die immer den Eindruck erwecken, sie wür-den per se wirtschaftliche Interessen vertreten, warennach der Wiedervereinigung in der Situation, mit unter-durchschnittlichen Wachstumsraten über neun Jahrehinweg bis auf letztes Jahr nie die Beschäftigungs-schwelle überschritten zu haben. Wir hatten in den letz-ten neun Jahren ein reales Wachstum des Bruttoinlands-produkts von 1,8 Prozent. Damit haben wir uns in derEuropäischen Union gemeinsam mit Italien ans Ende derSkala begeben. Das war in Ihrer Regierungszeit. Unsjetzt dafür in Haftung zu nehmen, daß Sie in Ihrer Re-gierungszeit Ihre wirtschaftspolitischen und steuerpoliti-schen Hausaufgaben nicht gemacht haben, ist geradezuein Aberwitz.
Ich würde an Ihrer Stelle schamhaft in der Ecke bleibenangesichts dessen, was Sie in der Vergangenheit ge-macht haben.Wenn wir wirtschaftspolitische Signale in RichtungStetigkeit und Verläßlichkeit setzen wollen, dann – dasist für uns als bündnisgrüne Fraktion auch klar – müssenwir uns natürlich auch die sozialen Sicherungssystemeansehen. Dies tun wir auch vor dem Hintergrund derderzeitigen Rentendebatte. Was passiert nach den Jahren2000 und 2001, wenn der Inflationsausgleich als Kon-solidierungsbeitrag der Rentenversicherung abgelaufenist? Bekommen wir eine neue Rentenformel hin odernicht? Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Opposition,speziell die Union und ihr Fraktionsvorsitzender, denRegierungsparteien angeboten hat, in Gespräche übereine neue Rentenformel einzusteigen. Bei der Rentegeht es um ein Generationenprojekt. Wir müssen in die-sem Zusammenhang darauf achten, daß bei fast 19 Mil-lionen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern – wennman die Pensionäre hinzunimmt, sind es noch ein paarMillionen mehr – die Lebensbiographie davon abhängt,wie sich das Alterseinkommen künftig aus gesetzlicherRente, privater Zusatzversicherung und betriebli-cher Zusatzversicherung zusammensetzt. Hier mußman einen größtmöglichen gesellschaftlichen Konsensschmieden. Dafür ist es gut, diese Gespräche zu führen.Ich glaube, im Interesse der Bevölkerung ist es wichtig,daß bei einer solchen Herkulesarbeit im Parlament diewichtigsten politischen Kräfte zusammenstehen und eineLösung für diese Gesellschaft, für die Zukunft unsererKinder, aber auch für die alten Menschen finden, dieauch künftig ein lebensstandardsicherndes Einkommenbrauchen.
Außerdem gibt es, wenn man den ökonomischen Zu-sammenhang sieht, einen weiten Bereich neben derwichtigen staatlichen Fiskalpolitik, der Steuerpolitik, derReform der sozialen Sicherungssysteme, und zwar denArbeitsmarkt in Deutschland. Das ist keine Frage.Wenn wir uns den Arbeitsmarkt mit seinen Regelungenanschauen, muß man sich in dieser Gesellschaft auchüberlegen, vielleicht auch in einem Bündnis für Arbeit,obwohl das sehr stark nach rheinischem Kapitalismus,nach korporatistischem System klingt, ob alle Schutz-klauseln in den Gesetzen oder den Tarifverträgen, dieden Arbeitsmarkt betreffen, tatsächlich im Interesse vonmehr Beschäftigung stehen, ob nicht Hemmnisse im Ar-beitsrecht, in den tarifvertraglichen Regelungen aucheinen Teil dazu beitragen, daß die Beschäftigungs-schwelle in Deutschland so hoch liegt, daß wir 2,5 Pro-zent reales Wachstum brauchen, um die Arbeitslosigkeitabzubauen. Auch ich als Grüner will natürlich, daß dieArbeitslosigkeit in den nächsten Jahren nicht nur aufGrund der Demographie sinkt, sondern daß auch tat-sächlich mehr Menschen in den ersten ArbeitsmarktOswald Metzger
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kommen. Dazu braucht man viele schlaue und auch in-novative Ideen, um dieses Herkulesproblem in unsererGesellschaft zu lösen.
– Ich traue mich immer, etwas zu sagen. Ein Beispielaus meiner Heimatstadt Bad Schussenried: Dort habe ichals Stadtrat in Ihrer Regierungszeit, als Sie das Ge-sundheitsreformgesetz beschlossen haben, dafür büßenmüssen, wie Rehabilitationskliniken von einem Tagauf den anderen wie von einem Fallbeil getroffen wur-den.
Damals sind 250 Menschen, Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter, auch von mir gekündigt worden. Der Gemein-derat ist Dienstherr der städtisch Beschäftigten. Es istein kommunaler Eigenbetrieb. Diese Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter, vom Putzmann bis zur Chefärztin hin-auf, sind teilweise in einer Altersgruppe gewesen, in derauch ich bin. Ich bin 45 Jahre alt. Dies sind Leute, diegut ausgebildet sind, die teilweise auf dem Arbeitsmarktkeine Chance hatten, weil es in der Umgebung anderenKur- und Rehabilitationsstandorten ähnlich ging. DieseMenschen merken, daß der Kündigungsschutz für älte-re Arbeitnehmer ein Einstellungshemmnis am Arbeits-markt sein kann.
Das ist zum Beispiel eine konkrete Friktion. Ich habe einBeispiel genannt, bei dem Sie merken, daß es mir nichtdarum geht, eine Täter-Opfer-Diskussion zu führen,sondern darum, auf ein gesellschaftliches Problem hin-zuweisen.
In Zeiten der Vollbeschäftigung sind solche Regelungs-mechanismen durchaus im Interesse der Betroffenensinnvoll gewesen.
Aber heute ist es in bestimmten Situationen so, daßmanche Regelungen in der Tat das Gegenteil von dembewirken, was sie bringen sollen.Ich komme zum Schluß.
Diese Regierung hat im Finanzbereich mit einer Glaub-würdigkeit sondergleichen einen Haushalt und einemittelfristige Finanzplanung auf den Weg gebracht, diesich deutlich von dem unterscheidet, was wir vor allemin den letzten vier Jahren der alten Koalition erlebt ha-ben.
Wir haben keinen Grund, in Sack und Asche durch die-ses Land zu gehen,
sondern wir können stolz und aufrechten Hauptes sagen:Wir haben uns eine schwierige Aufgabe vorgenommen;wir haben das trotz Wahlniederlagen im September undOktober durchgestanden. Wir als Koalition werden –denken Sie einmal daran – die Früchte dieser Herkules-arbeit ernten. Dieser Sparhaushalt wird dazu beitragen,die konjunkturelle Erholung in Deutschland zu beför-dern. Wenn dann beim Steuerrecht, bei der Unterneh-mensteuerreform im Januar, auch ein gutes Signalkommt, werden wir – davon bin ich überzeugt – beiden Wahlen im Februar und im Mai des nächstenJahres mit einer besseren Performance vor die Wähle-rinnen und Wähler treten können als im Herbst diesesJahres.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Mindestens 60 000 Frauenund Männern im Unternehmen selbst sowie in Zuliefer-bereichen droht nach der Holzmann-Pleite die Arbeits-losigkeit.
Ihnen gebührt von dieser Stelle aus unsere ausdrücklicheSolidarität.
Verantwortlich für den drohenden Verlust von 60 000Arbeitsplätzen sind die Gläubigerbanken des Baukon-zerns, die auch diese Nacht kein Rettungskonzept zu-stande gebracht haben – ein abgekartetes Spiel. Verant-wortlich für die Pleite sind aber auch frühere und jetzigeVorständler und Aufsichtsräte sowie Wirtschaftsprü-fungsgesellschaften – oft millionenschwer dotiert –, dieauf der ganzen Linie versagt haben.
Diese 60 000 Menschen, die über 4 MillionenArbeitslosen in Deutschland überhaupt, warten aberauch auf Hilfe und Unterstützung von der Politik, war-Oswald Metzger
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6413
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ten auf Hilfe und Unterstützung von der Bundesregie-rung,
zumal von deren Haushaltspolitik.
In der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, so heißt esrichtigerweise in der Koalitionsvereinbarung, liegt nuneinmal der Schlüssel für die Konsolidierung der Staats-finanzen.
Damit wären wir unmittelbar beim Thema.Schaut man sich den Haushaltsentwurf 2000 an, so istzu sehen, daß er diesen Anforderungen nicht gerechtgeworden ist. Er ist nämlich beschäftigungspolitischkontraproduktiv, weil er massiv Investitionen kürzt undweil er die Binnenkaufkraft absenkt. Er ist aber auch so-zial unausgewogen und in weiten Teilen kommunal-feindlich.
An dieser kritischen Gesamteinschätzung ändernauch durchaus begrüßenswerte Einzelakzente im Haus-halt 2000 wenig. Die Anhebung des Kindergeldes gehörtnach unserer Auffassung ebenso dazu wie das Projektfür innovative Regionen. Auch die erfreuliche Tatsache,daß während der Ausschußberatungen Einzelanträge derPDS angenommen worden sind, soll hier herausgestelltwerden.
Ausdrücklich erwähnen möchte ich hier die von unsveranlaßte finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen-initiativen.
Völlig einseitig wird im Haushalt 2000 die Reduzie-rung der Neuverschuldung durch eine überwiegendknallharte Rotstiftpolitik vor allem im Sozialbereich undbei Investitionen in den Mittelpunkt rotgrüner Politik ge-rückt. Kann aber, so frage ich Kollegen Metzger, dieSenkung der Zinslast des Bundes, so wichtig sie ist, dasZukunftsprogramm für die Bundesrepublik Deutschlandnach der Jahrtausendwende sein? Ich sage nein.
Wollte sich nicht der Bundeskanzler in seinem Amt vorallem am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen?Alles schon vergessen?
Mit der vom Finanzminister eingeleiteten Finanzpolitikfindet die Bundesregierung zwar immer weniger An-klang in der Bevölkerung, dafür aber – anders als beimAmtsvorgänger Oskar Lafontaine – wachsendes Wohl-gefallen bei Großbanken, Assekuranzen und anderenAkteuren an den Finanzmärkten. Sind aber Autokonzer-ne und Großbanken die Klientel, der sich die Bundesre-gierung besonders verpflichtet fühlen sollte?Die Pleite des Holzmann-Konzerns macht deutlich,daß wir fragen müssen: Wann endlich werden Banken,Vorstände und Aufsichtsräte für milliardenschweresFehlverhalten, für den Verlust von Tausenden von Ar-beitsplätzen auch öffentlich zur Verantwortung gezo-gen?
Sie, die sich der Sanierung der öffentlichen Haushalteüberwiegend entziehen – ja, durch die Zinszahlungensogar maßgeblich davon profitieren –, müssen endlichzu einer angemessenen Finanzierung der öffentlichenHaushalte von Bund, Ländern und Gemeinden herange-zogen werden.
Das ist nicht nur ein Gebot der wirtschaftlichen Ver-nunft, sondern auch ein Erfordernis sozialer Gerechtig-keit.Die Bundesregierung – auch sie! – ist ebenfalls beider dringend notwendigen Wiederherstellung der Un-ternehmenskultur gefordert. Die Übernahmeschlachten– heute um den Mannesmann-Konzern und vielleichtschon morgen um die Deutsche Telekom – zeigen auch,wie dringend notwendig regulierende gesetzgeberischeMaßnahmen auf dem Gebiet der Unternehmensüber-nahmen sind. Das reicht bis zur Abwehr sogenannterfeindlicher Übernahmen – welch ekelerregendes Wort!Die abgewählte Koalition hat in der vergangenen Le-gislaturperiode eine derartige Gesetzesinitiative der da-maligen Opposition ausdrücklich niedergestimmt.Zurück zum Haushalt: Das Verlassen der Nettolohn-bezogenheit bei der Rentenanpassung, aber auch bei derArbeitslosen- und Sozialhilfe – was wir ausdrücklicherwähnen wollen – trifft gerade jene Bevölkerungs-schichten, die von der Ökosteuer schon stark belastetwerden, ohne daß sie an eventuellen Einspareffektenteilhaben können. In Ostdeutschland wiederum – das istan dieser Stelle besonders herauszustellen – wird dieZahlung lediglich des Inflationsausgleichs bei der Ren-tenentwicklung dazu führen, daß Hunderttausende älte-rer Menschen zwischen Fichtelberg und Kap Arkona dieAngleichung ihrer Altersbezüge an das um 14 Prozenthöhere Rentenniveau im Westen kaum noch erlebenwerden. All das ist für die PDS nicht hinnehmbar.
Auch die von SPD und Bündnisgrünen veranlaßtendrastischen Kürzungen in der landwirtschaftlichen Sozi-alpolitik rufen den entschiedenen Protest meiner Frakti-on ebenso hervor wie die Absenkungen in der Kultur-förderung der neuen Bundesländer,
Absenkungen, die Kulturstaatsminister Naumann aus-drücklich nicht verhindert hat. Auch die längst überfälli-ge Wohngeldreform wird um ein weiteres Jahr nachhinten geschoben.Dr. Uwe-Jens Rössel
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6414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Beschäftigungspolitisch kontraproduktiv und mit-telstandsschädlich ist die Streichung von fast 1 MilliardeDM beim Eigenkapitalhilfeprogramm sowie bei denZinszuschüssen für das ERP-Sondervermögen. Auch dieVerschiebung von Milliardenlasten des Bundes aufdie Haushalte von Städten, Gemeinden, Landkreisenbzw. Ländern, wie beim pauschalierten Wohngeld, beider originären Arbeitslosenhilfe oder beim Unterhalts-vorschuß für Alleinerziehende – das alles führt eben-falls zur Beeinträchtigung von Wachstum und Beschäf-tigung.Ausgerechnet ein früherer Oberbürgermeister, derjetzige Bundesfinanzminister, hat eine solche Maßnah-me veranlaßt.
Er möge sich daran erinnern, daß, als CDU/CSU undF.D.P. 1993 dies bei der originären Arbeitslosenhilfeauch vorhatten, sofort ein außerordentlicher Städtetag inBonn zusammengekommen ist; und – ich sage es deut-lich – die alte Regierung hat dieses Thema nie wiederangefaßt.Als Alternative zu diesem für die Kommunen schäd-lichen Verhalten der Bundesregierung sollten wir uns –in diesem Raum sitzen viele Bürgermeisterinnen undBürgermeister – darauf verständigen, daß der Einstieg ineine baldige umfassende Reform der Kommunalfinan-zierung unverzichtbar ist. Sie ist auch notwendig, umPlanungssicherheit vor Ort zu geben.
Aber nur die PDS hat dazu bislang einen Antrag einge-bracht, der auch in den Ausschüssen beraten wird.
Dringend geboten ist in diesem Zusammenhang dieWiederauflage einer kommunalen Investitionspauschale.Das gilt gerade für Ostdeutschland auf Grund der erheb-lichen Strukturprobleme im Steueraufkommen, soll aberauch auf die strukturschwachen Regionen im alten Bun-desgebiet ausgedehnt werden. Letzteres möchte ich aus-drücklich betonen. Die Mittel fließen bei der Pauschaledirekt von Berlin in die betreffenden Kommunen undtragen dazu bei, Infrastrukturvorhaben vor Ort umzuset-zen und die Politik für Bürgerinnen und Bürger konkreterlebbar zu machen. Das ist ein Vertrauensbeweis fürdie Politik überhaupt.
Die Bundesregierung sollte sich endlich nachprüfbarvon milliardenschweren Prestigeobjekten trennen. DerEurofighter soll bis zum Jahre 2014 Steuergelder in Hö-he von 20 Milliarden DM – das ist das Zwanzigfachedes Umwelthaushalts des Jahres 2000 – verschlingen.Das ist ein unvertretbarer Zustand, wenn nachhaltigeEntwicklung und der Rio-Gipfel ernst genommen wer-den.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluß. Die genannten und weitere Gründe führen zuder Entscheidung, daß die PDS den Entwurf des Bun-deshaushalts 2000 ablehnen wird.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Poß
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damenund Herren! Der Kollege Wiesehügel, der Vorsitzendeder IG BAU, und der Betriebsratsvorsitzende vonHolzmann, Mahneke, waren heute mittag beim Kanzlerzum Gespräch. Wir wissen, daß es für die Politik und füruns Politiker äußerst schwierig ist, in dieser Situationunmittelbar irgend etwas zu erreichen. Dessenungeach-tet begrüßen wir es ausdrücklich, daß der Bundeskanzlerin dieser Weise aktiv wird und die Banken für morgenzum Gespräch bittet; denn diese sind jetzt am Zug.
Sie müssen sich jetzt im Sinne und im Geiste der sozia-len Marktwirtschaft und im Interesse der Arbeitsplätzebewegen und deutlich machen, daß sie auch unseremVerständnis von sozialer Marktwirtschaft entsprechenwollen.
Es kann nicht angehen, daß einzelne ohne Rücksicht aufVerluste Konzerninteressen oder eigene Bankinteressenverfolgen.
Wenn der Kanzler 300 Millionen DM an Bürgschaftin Aussicht stellen sollte, dann gilt das, liebe Kollegen,doch nicht nur der Großfirma Holzmann, sondern auchden Hunderten von kleinen und mittelständischen Fir-men, die daran hängen und denen wir helfen müssen.Schaffen Sie hier doch keine künstlichen Gegensätze!
Ansonsten haben wir doch ein gleichgerichtetes Ver-ständnis davon, daß man Kleinen und Mittleren helfenmuß. Ich bitte Sie aber herzlich, Herr Kollege Rauen,jetzt, wo so viele Bauarbeiter und ihre Familien um denArbeitsplatz bangen, nicht diesen Keil zu treiben, denman Ihren Äußerungen – Groß gegen Klein – entneh-men kann. Es hängen zu viele menschliche Schicksaledaran.
Die Probleme sind nicht durch Politik, sondern durchMißmanagement entstanden, und deshalb begrüßen wirDr. Uwe-Jens Rössel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6415
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ausdrücklich das, was die Bundesregierung, an der Spit-ze der Bundeskanzler, in dieser Situation unternimmt.
– Herr Rauen, Ihr Zwischenruf erinnert mich an die Re-de von Herrn Austermann. Diese wiederum erinnertmich an das, was heute in der „Welt“ – das ist eine Zei-tung, die Ihnen nicht fernsteht – zu lesen ist.
Da steht:Mitten im Leben auf sich gestellt, wirkt die CDUseltsam hilflos. Nichts kann sie in Anbetracht derpolitischen Gesamtlage weniger brauchen als das.– Das bezog sich zwar nicht auf die Rede von Herrn Au-stermann
und auf die Finanz- und Steuerpolitik, sondern auf dieMillion, die in bar geflossen ist. Aber es bezeichnet auchIhre Linie in der Haushaltspolitik, wie sie heute hiersichtbar wird. Sie sind seltsam hilflos, meine Damenund Herren.Wir dagegen – der Kollege Metzger hat dies nocheinmal deutlich gemacht – können mit Taten aufwarten.
Wir handeln und haben gehandelt. Wir haben in dieserWoche die Trendwende in der Steuer- und Haus-haltspolitik geschafft.
Wir machen das, was möglich und nötig war. Wir habenalles das, was wir uns vorgenommen haben, auch erfolg-reich umgesetzt.
Der Marsch in den Schuldenstaat ist gestoppt. Zum er-stenmal seit 1992 wird die Nettokreditaufnahme desBundes im Jahre 2000 bei unter 50 Milliarden DM lie-gen. Durch das Konsolidierungspaket, das wir durchge-setzt haben, wird die Kreditaufnahme in den folgendenJahren stetig bis auf 30 Milliarden DM fallen. Zu einerähnlichen Anstrengung fehlten der RegierungKohl/Waigel – die F.D.P. kann man eh vergessen –
die Energie und der Mut.
Unter anderem deshalb wurde sie vor einem Jahr mitMehrheit abgewählt.Mit Fug und Recht können wir jetzt hier stehen undsagen: Die Koalition hat es geschafft, das größte Kon-solidierungspaket in der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland durchzusetzen, und zwar allen Unken-rufen zum Trotz.
Im Frühjahr hatten noch viele eine Mehrwertsteuerer-höhung von 2 bis 3 Prozentpunkten zur Haushaltskon-solidierung prophezeit. Davon redet niemand mehr.
Das haben wir vermieden.
Für diesen Erfolg erhalten wir Zuspruch und Lob vonkompetenter Stelle.
Im übrigen bin ich sicher, daß die Zustimmung in derBreite der Bevölkerung noch deutlich zunehmen wird.
Ich will Ihnen nur aus einigen wenigen Stellungnahmenwährend der Anhörung zum Haushaltssanierungsgesetzzitieren. Die Bundesbank sagt:Das von der Bundesregierung vorgelegte Konsoli-dierungspaket setzt auf der Ausgabenseite an undvermeidet insgesamt gesehen einen ins Gewichtfallenden Rückgriff auf zusätzliche Einnahmen,
was in Anbetracht der erreichten hohen Steuer- undAbgabenlast den gesamtwirtschaftlichen Erforder-nissen entspricht. … Ein erheblicher Teil der bisher„unsichtbaren“ strukturellen Deckungslücke würdekonsolidiert.Der Bundesrechnungshof schreibt:Die im Entwurf des Haushaltssanierungsgesetzselbst vorgesehenen Minderausgaben sind aufgrundder enthaltenen gesetzlichen Leistungseinschrän-kungen und Einnahmenverbesserungen in wesentli-chen Teilen nachhaltig angelegt und damit geeig-net, die Neuverschuldung im Bundeshaushalt dau-erhaft … zu vermindern.Allein die Opposition im Deutschen Bundestag istanderer Meinung. Sie versucht immer noch, unsere Kon-solidierungserfolge durch Mäkeleien klein- und wegzu-reden. Freuen Sie sich doch statt dessen, meine Damenund Herren von CDU/CSU und F.D.P.!
Joachim Poß
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6416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Freuen Sie sich doch mit uns, daß es uns gelingt, denStaat wieder finanziell handlungsfähig zu machen. Dasist ein Grund zur Freude.Aber auch die Beratungen im Haushaltsausschuß ha-ben gezeigt: Wer wie Sie einen haushaltsbelastendenAntrag nach dem anderen stellt, der will letztlich nichtsparen, sondern immer weiter Geld ausgeben, das nichtda ist. Sie haben in der Opposition nichts gelernt. ImGegenteil: CDU/CSU und F.D.P. entwickeln sich immermehr zu Staatsverschuldungsparteien.
Sie machen nur einen einzigen Einsparvorschlag, undder zeigt Ihr wahres Gesicht: CDU/CSU und F.D.P. for-derten mehrmals ernsthaft, den Bundeszuschuß an dieBundesanstalt für Arbeit zu streichen.
Das zeugt von einer völligen Verkennung der Realität inWest- und vor allem in Ostdeutschland. Wollen Sie denBürgern wirklich weismachen, wir könnten auf aktiveArbeitsmarktpolitik verzichten? Wollen Sie den Betrof-fenen wirklich weismachen, das äußerst erfolgreicheProgramm gegen Jugendarbeitslosigkeit sei überflüssig?Wenn es nach Ihnen ginge, hätten Sie auf jeden FallMilliarden zur Senkung des Spitzensteuersatzes, aberkeinen Pfennig zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-keit.
Zugegeben, die von uns durchgeführte umfassendeSparoperation ist nicht immer einfach. Sie verlangt vie-len Menschen einiges ab, zum Beispiel den Beziehernvon sozialen Transfers, den Rentnern und Pensionärensowie den Beamten, die sich damit zufriedengeben müs-sen, daß ihre Bezüge nur in Höhe des Preisniveauan-stiegs zunehmen, wodurch ihre Kaufkraft gesichert wird.Aber alle Umfragen zeigen: Die Bevölkerung trägt inder Mehrheit unseren Sparkurs, der gleichzeitig ein Wegzur Sicherung der Zukunft ist, mit.
So wie die Dinge liegen, ist doch allen klar: Die Zeit,in der man sich in der Haushaltspolitik durch zeitlichesVerschieben von Belastungen und durch Einmalopera-tionen irgendwie über die Runden retten konnte, ist mitdiesem Jahr endgültig vorbei. Der Bundeshaushalt warund ist nur noch durch strukturelle Veränderungen undvor allem durch nachhaltiges Umsteuern zu sanieren.Das haben wir mit dem jetzt umgesetzten Zukunftspro-gramm begonnen.
Haushaltspolitik, die sich den Notwendigkeiten undRealitäten stellt und die vor allem dauerhafte Erfolgezeitigen will, kommt dabei nicht umhin, Subventionstat-bestände und soziale Leistungen zu begrenzen, auchwenn wir uns begreiflicherweise die Schelte der Betrof-fenen – das sind nicht wenige – zugezogen haben. Mitdiesen Menschen müssen wir, die Politiker der Koaliti-on, die Diskussion intensivieren, damit sie nicht Opferparteipolitisch motivierter Kampagnen der Oppositionwerden; denn um nichts anderes geht es dieser verant-wortungslos agierenden Opposition.
Das von uns eingeleitete Programm ist außerdem einBeweis dafür, daß wir es mit dem neuen Politikansatz,mit dem diese Koalition angetreten ist, ernst meinen.Jegliche Politik muß sich daran gewöhnen, ja verpflich-ten, auch die Auswirkungen auf zukünftige Generatio-nen in den Blick zu nehmen. Die Träger politischer Ver-antwortung wie auch die Vertreter legitimer Einzel- undGruppeninteressen müssen sich immer stärker fragen,was ein bestimmtes politisches Tun oder Unterlassen fürdie Bürgerinnen und Bürger in 10, 15 oder 20 Jahrenbedeutet. Generationenfairneß, Generationenausgleich –das ist ein Postulat, das nicht nur für die Umwelt, son-dern auch für die Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitikgilt. Davon haben Sie überhaupt nichts mitbekommen;den Schuß haben Sie bis jetzt überhaupt noch nicht ge-hört.
Wir setzen trotz der Konsolidierung starke Akzentefür mehr Innovation, mehr Beschäftigung und mehr so-ziale Gerechtigkeit. Bei Forschung, Bildung und Wis-senschaft verstärkt die Bundesregierung die Zukunftsin-vestitionen. Bis zum Jahre 2003 sorgen wir für ein Plusvon insgesamt 10 Milliarden DM für Hochschulbau,Forschung und Bildung in den neuen Ländern und ins-besondere für die Förderung der SchlüsseltechnologienBiotechnologie, Informations- und Kommunikations-technik, Umwelt und Gesundheitswissenschaften.Im Zusammenhang mit diesen Anstrengungen voll-ziehen wir die Trendwende in der Steuerpolitik.
Ihre Regierungszeit war doch dadurch gekennzeichnet,daß die Steuer- und Abgabenlast gerade der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer sowie der Familien völliginakzeptable und leistungsfeindliche Höhen erreichthatte. Auf der anderen Seite konnten sich Millionäre armrechnen. Damit haben wir Schluß gemacht.
Mit unserem Steuerentlastungsgesetz, das in derSpitze eine Entlastung von 46 Milliarden DM schafft,gibt es eine Absenkung der Lohnsteuerbelastung um14 Prozent gegenüber dem geltenden Steuerrecht desletzten Jahres der Regierung Kohl/Waigel. Familien be-kommen Schritt für Schritt auch finanziell – nicht nur inJoachim Poß
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Sonntagsreden – ihr Recht: Kindergeldanhebung um30 DM bereits zum 1. Januar 1999, Anhebung um weite-re 20 DM im Familienförderungsgesetz zum 1. Januar2000, Kinderbetreuungsfreibetrag von rund 3 000 DMzum 1. Januar 2000. Mit der zweiten Stufe des Familien-förderungsgesetzes wird es weitere steuerliche Vergün-stigungen für Familien mit Kindern geben.Auch in unseren Reihen gab es eine Debatte darüber,ob unsere Politik sozial ausgewogen sei.
Ich erinnere nur an folgendes: Um die von mir ange-sprochenen Entlastungen zu finanzieren, haben wirSteuervergünstigungen von rund 36 Milliarden DMabgebaut. Es handelt sich um Steuervergünstigungen,die im wesentlichen außerhalb der Reichweite derdurchschnittlichen Arbeitnehmerinnen oder des durch-schnittlichen Arbeitnehmers lagen.
Ein Spitzenverdiener kann seine Steuerschuld jetzt nichtmehr in einem Jahr auf Null herunterrechnen, auch wennUnion und F.D.P. im Finanzausschuß immer wieder ver-suchen, ein Schlupfloch nach dem anderen aufzuma-chen.Wir halten uns an das Grundprinzip des deutschenSteuerrechts, das Sie ausgehöhlt haben. Wir halten unsan das Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirt-schaftlichen Leistungsfähigkeit. Dieses Prinzip setzenwir bei uns in Deutschland durch.
Wir brechen einen weiteren Trend, nämlich den desstetigen Anstiegs der Belastung von Arbeitnehmern undArbeitgebern durch Sozialabgaben. Diese Verteuerungdes Faktors Arbeit war in höchstem Maße beschäfti-gungsfeindlich. Hier haben wir gegengesteuert. Wäh-rend der Amtszeit von Herrn Blüm lag der Rentenversi-cherungsbeitrag bei fast 21 Prozent. Jetzt liegt er bei19,5 Prozent. Demnächst wird er bei 19,3 Prozent undspäter sogar unter 19 Prozent liegen. Dies sind meßbareTaten, an denen wir auch tatsächlich gemessen werdenkönnen.
Das verstehen wir unter einer Politik, die Anreize fürArbeit und Leistung schafft sowie übrigens auch dieAkzeptanz unserer sozialen Sicherungssysteme erhöht.Dies alles wird dazu führen, daß die Bürgerinnen undBürger die Entlastung durch die Senkung der Steuernund Abgaben – dies war möglicherweise bis jetzt nochnicht spürbar – konkret im Geldbeutel spüren. Sie wer-den merken: Die SPD ist eine Steuerentlastungspartei,die die Doppelaufgabe, Begrenzung der Staatsverschul-dung und Senkung der Steuern und Abgaben, schafft.
Wir verlieren – im Gegensatz zu Ihnen – dabei nicht dieRealitäten aus dem Blick. Steuern und Abgaben konntennur in dem Maße gesenkt werden, wie entsprechende fi-nanzielle Spielräume vorhanden sind. Um diese Spiel-räume bemühen wir uns. Deswegen sagen wir: Die bis-herigen Steuerentlastungsschritte sollen nicht die letztengewesen sein. Wenn entsprechende finanzielle Spiel-räume vorhanden sind, werden wir die Steuertarife wei-ter senken.Die geplante Unternehmensteuerreform wird zu einerNettoentlastung in Höhe von rund 8 Milliarden DM füh-ren. Aber wir werden keine Steuerentlastungen aufPump, so wie Sie es vorschlagen, und damit zu Lastender nachfolgenden Generation vornehmen. Das machenwir nicht mit. Auch der Sachverständigenrat hat sich ge-gen eine solche Politik ausgesprochen.
Erinnern Sie sich noch an die Gespensterdiskussion,in deren Rahmen Sie behauptet haben, auf Grund derSteuerschätzung müßten jetzt massive Steuerentlastun-gen vorgenommen werden. Wie sah das Ergebnis derSteuerschätzung tatsächlich aus? Es wird erwartet, daßin diesem Jahr insgesamt 6,8 Milliarden DM und imnächsten Jahr 3 Milliarden DM mehr an Steuern einge-nommen werden. Der Bund profitiert davon lediglichmit 1,5 Milliarden DM bzw. 0,6 Milliarden DM. Wosind denn die Mehreinnahmen geblieben, von denen Siegesprochen haben und mit denen Sie Steuersenkungen inHöhe von 50 bis 80 Milliarden DM begründet haben? Inden Ergebnissen der Steuerschätzung lassen sich solcheSpielräume jedenfalls nicht finden.Wo befinden sich die finanziellen Spielräume für eineNettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM, von de-nen Herr Schäuble sprach? Herr Stoiber hat sogar voneiner Nettoentlastung in Höhe von 50 Milliarden DMgesprochen. Beide haben ihre Zahlen am selben Tagpräsentiert. Daran kann man sehen, wie seriös diesePartei ist.
Am selben Tag spricht der eine Parteivorsitzende voneiner Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM,während der andere Parteivorsitzende von 50 MilliardenDM spricht. Dies ist ja nur ein kleiner Unterschied von20 Milliarden DM. Dies muß man sich vorstellen.Unsere Steuerpolitik
mag man als vorsichtig schelten. Aber sie ist jedenfallsrealistisch und solide. Das, was Sie machen, ist nicht nurunrealistisch, es ist auch unverantwortlich, wie Sie dieMenschen täuschen.
Das gilt auch für die Unternehmensteuerreform. Sielehnen wieder reflexartig alles ab, was wir vorschlagen.Sie suchen das Heil ausschließlich in der Senkung desprivaten Spitzensteuersatzes. Als Beiwerk soll es einbißchen Rückbau am unteren Ende des Einkommen-Joachim Poß
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steuertarifs geben. Nehmen Sie doch endlich wahr, daßso gut wie kein Existenzgründer und auch nur die aller-wenigsten Mittelständler die Spitzensteuersätze über-haupt erreichen.Es ist festzustellen: Die Trendwende bezüglich Steu-ern und Haushalt ist geschafft. Der Weg in den Schul-denstaat ist gestoppt. Steuern und Abgaben gehen end-lich wieder zurück. Die steuerlichen Rahmenbedingun-gen für mehr Arbeit und Beschäftigung werden gesetzt.Das alles wird durch eine Politik geleistet, die keineLuftschlösser baut und den Menschen nicht Dinge vor-gaukelt, die nicht einzuhalten sind.
Sie haben sich in der Vergangenheit genug versündigtund Politikverdruß mit Ihren Versprechungen 1999 her-beigeführt. Betreiben Sie bitte diese unverantwortlichePolitik nicht weiter! Mit uns ist eine solche Politik je-denfalls nicht möglich.
Wir orientieren uns an den Realitäten. Dies magmanchen unzufrieden stimmen. Aber eine Politik inVerantwortung für die Menschen läßt keine andereWahl. Wie hat doch der frühere, langjährige Bundes-kanzler Dr. Helmut Kohl Anfang Oktober in einem Ge-spräch formuliert: „Als Deutsche haben wir noch nie sowenig Grund zum Pessimismus gehabt wie heute.“ Demkann ich nichts mehr hinzufügen.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Bartholomäus
Kalb von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Früher, als
noch Frau Matthäus-Maier diesem Hohen Hause ange-
hörte, konnte man jede Wette abschließen, daß in jeder
ihrer Reden das Thema Eurofighter auftauchen würde.
Jetzt ist es so, daß in jeder Rede stereotyp die Be-
hauptung mit den 1,5 Billionen DM Schulden kommt.
Kollege Austermann hat dazu das Wesentliche bereits
gesagt. Ich darf wiederholen, wie sich die Schulden zu-
sammensetzen. Niemand wird bestreiten, daß 500 Milli-
arden DM von der DDR geerbt wurden, daß der Bund
600 Milliarden DM netto in den Aufbau der neuen Län-
der investiert hat. Niemand von Ihnen wird auch
bestreiten können, daß wir den Rest 1982 von Ihnen ge-
erbt haben.
Wer so argumentiert wie Sie, lenkt ab, vereinfacht
und vernebelt. Sie oder der Herr Bundeskanzler sind der
Empfehlung eines Medienberaters – um nicht zu sagen:
eines Propagandaberaters – gefolgt. Wer dies leichtfertig
so hinstellt und als Schulden der Regierung Kohl/Waigel
bezeichnet, stellt unter Beweis, daß er nach wie vor ein
gestörtes Verhältnis zur deutschen Einheit hat.
Sie werden nicht bestreiten können, daß die Investi-
tionen in die deutsche Einheit eine ganz gewaltige Auf-
gabe darstellen, im übrigen eine ähnlich gewaltige Auf-
gabe, wie sie damals nach der Währungsumstellung zu
bewältigen war. Wer sich jemals die Mühe macht, in die
Pläne, in die Veröffentlichungen der Bundesschulden-
verwaltung hineinzuschauen, wird feststellen, daß dort
heute noch 8 Milliarden DM aus der Währungsumstel-
lung verbucht sind. Das heißt, man wird fairerweise sa-
gen müssen: Die enormen Aufgaben der Wiedervereini-
gung müssen mindestens von einer Generation getragen
werden und können nicht innerhalb von wenigen Jahren
bewältigt werden.
Herr
Kollege Kalb, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Titze-Stecher?
Ich würde das
nicht gerne erlauben, weil ich als Redner, der oft erst am
Ende des Tages zum Zuge kommt, weiß, wie schwer es
ist, wenn andere vorher alles „abräumen“ und die ganze
Zeit in Anspruch nehmen.
Also
keine Zwischenfrage?
Danke, nein.Ich meine, es ist ganz vernünftig, daß diese Lastenentsprechend verteilt werden. Das Ganze ist nur einePolemik, ist Angstmache und ist Blockade. Mit Blocka-de haben Sie früher Sparen verhindert; das ist vorhin be-reits ausgeführt worden. Man braucht nur einen Blickauf die Länder zu werfen. Heute tun Sie so, als hättenSie das Sparen erfunden. Aber wenn ich mir die Zahlenvon Niedersachsen und Hessen anschaue, dann stelle ichfest, daß Niedersachsen und Hessen, ohne die gewaltigeAufgabe einer Wiedervereinigung meistern zu müssen –zugegebenermaßen haben sie sich im Rahmen des Föde-ralen Konsolidierungskonzepts beteiligt –, in IhrerAmtszeit die Verschuldung um 60 Prozent gesteigerthaben, während Sie uns hier am Sparen gehindert haben.
Ich will mich auch damit auseinandersetzen, wie sichdie Dinge entwickelt haben. Ohne die gewaltige Aufga-be der Wiedervereinigung sähen die Zahlen ganz andersaus. Wie war es denn? 1982 waren Sie am Ende, weilJoachim Poß
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Ihre Finanzexperten damals über 50 Milliarden DMNeuverschuldung eingeplant hatten. Es sind dann imErgebnis 37 Milliarden DM dabei herausgekommen,und das bei einem Haushaltsvolumen von 245 Milliar-den DM und einem Bruttoinlandsprodukt, das nichteinmal die Hälfte des heutigen betragen hat, nämlichvon 1,588 Billionen DM. Damit waren Sie am Ende.Dann haben unsere Finanzminister die Neuverschuldungzurückgeführt, und zwar ganz gewaltig.1989 – unter Waigel – betrug die Nettokreditaufnah-me 19 Milliarden DM.
Die Bedienung Ihrer Schulden erforderte aber 33 Milli-arden DM. Die Schulden, die Theo Waigel aufgenom-men hat, lagen also um 14 Milliarden DM niedriger alsder Betrag, der erforderlich war, um die durch Sie verur-sachten Schulden zu bedienen.
Das heißt, daß unter Stoltenberg und Waigel der Anteilder Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt von 2,3Prozent auf 0,9 Prozent zurückgeführt werden konnte.Wir hatten 1990 die realistische Chance, keine einzigeMark neuen Kredits mehr aufnehmen zu müssen. Eskam dann aber alles anders. Gott sei Dank kam die Wie-dervereinigung.
Da mein Wahlkreis an der Grenze zu Tschechienliegt, möchte ich hinzufügen: Ich empfinde es auch zehnJahre später noch immer als Glück und Segen, daß dieTeilung unseres Vaterlandes und Kontinentes – ich erin-nere an Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl – über-wunden ist.
Hat sich jemand von denen, die heute beklagen, wievielwir für Zinszahlungen im Rahmen der Schuldenbedie-nung ausgeben müssen, schon einmal die Mühe ge-macht, darüber nachzudenken, wieviel Geld in beidenTeilen Deutschlands für Verteidigung und Verteidi-gungsfolgelasten ausgegeben werden müßte, wenn dieVerhältnisse noch so wie vorher wären?Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie habenja die Senkung der Lohnnebenkosten in den Mittel-punkt Ihrer Politik gestellt und als Rezept zur Bewälti-gung der Beschäftigungskrise ausgegeben. Sie meinen,diese dadurch erreichen zu können, daß die Mehrein-nahmen aus der Erhöhung der Mineralöl- undStromsteuer der Rentenversicherung zugute kommen.Ich verwende bewußt nicht den Begriff Ökosteuer. DerKollege Dr. Rexrodt hat, wie ich glaube, schon gesagt,daß auf diese Steuern die Begriffe ökologisch und sozialnicht zutreffen, da sie lediglich zur Finanzierung dienen.Auch die Veröffentlichungen von Instituten und vomBund der Steuerzahler lassen entsprechende Schlüsse zu.Ich brauche darauf nicht weiter eingehen. Die Tisch-vorlage, die Sie uns im Haushaltsausschuß dazu gegebenhaben, vernebelt ja mehr, als daß sie tatsächlich etwasüber die Beträge, die der Rentenversicherung zugeführtwerden, aussagt.
– Sie wollen ja nur vernebeln; diese Aussage ist sehrrichtig, Kollege Glos.
Ihr größtes Problem bezüglich der Lohnnebenkostenist doch folgendes: Sie haben es geschafft, eine dyna-misch wachsende Wirtschaft – im letzten Jahr ist sie um2,8 Prozent gewachsen – auf 1,4 Prozent Wachstum zu-rückzuführen. 1 Prozent Wirtschaftswachstum mehrhätte Sie all Ihrer Probleme entledigt. Dahinter hättenSie Ihr Sparprogramm verstecken können. Ein Wirt-schaftswachstum in Höhe von 1 Prozent bringt in etwa11 Milliarden DM Steuereinnahmen und 22 MilliardenDM an Versicherungsbeiträgen für die Sozialkassen.Dies alles wäre ein sehr viel besserer Beitrag zur Entla-stung der Lohnnebenkosten. Ihr Vorhaben wird Ihnenso, wie Sie es beabsichtigen, nicht gelingen, weil Sie dieRechnung ohne den Wirt machen.
Sie haben durch Ihre chaotische, unberechenbare undunkalkulierbare Politik die Wirtschaftsentwicklung ge-bremst und das Wachstum sinken lassen.
Das ist doch der wahre Hintergrund.
Wie sonst wäre es denn erklärbar, daß nur noch Italienund die Bundesrepublik Deutschland derart schlechteWachstumszahlen für das Jahr 1999 aufweisen? Siekönnen sich die OECD-Berichte oder die Berichte derInstitute und Sachverständigen anschauen; die Zahlenstimmen fast überein. Alle anderen OECD-Staaten ha-ben mit 2,8 Prozent ein deutlich höheres Wirtschafts-wachstum, während die OECD für Deutschland für 19991,25 Prozent prognostiziert. Die Institute sprechen von1,4 Prozent, während das durchschnittliche Wirtschafts-wachstum im Euro-Raum bei 2,1 Prozent liegt.
Wenn man dann auch noch das Gewicht Deutschlandsim Euro-Raum berücksichtigt, wird deutlich, daß dieZahlen der anderen noch viel besser wären. Ich kann imHinblick auf die verfügbare Zeit nicht mehr darstellen,
wie vergleichsweise gut Spanien, Portugal, Österreichund andere abschneiden. Sie haben sich durch einechaotische, verheerende und konzeptionslose Politik dieSuppe eingebrockt, mit der Sie jetzt nicht mehr so rechtfertig werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es istwichtig, daß eine Steuerreform durchgeführt wird, diediesen Namen verdient. Bisher sieht man davon aberBartholomäus Kalb
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6420 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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nichts. Sie verharren in dem Glauben, man könnte zwi-schen guten und bösen Einkünften, zwischen Unterneh-men und Unternehmern unterscheiden. Sie unterstellen,daß die Unternehmen gut und die Unternehmer schlechtseien. Ich weiß nicht, ob Sie das heute angesichts derHolzmann-Affäre auch noch sagen.
Werfen Sie all das, was Sie in diesem Zusammen-hang denken, auf den Müll. Das ist von Neid geleitetund führt nicht weiter. Wir müssen zukunftsorientierthandeln. Das bedeutet, daß es etwas mit Wirtschaft undmit Ökonomie zu tun haben muß. Dies sagen auch dieExperten aus Ihrem eigenen Hause. Auf einer Tagung,die vor einiger Zeit in Mainz stattgefunden hat, äußerteProfessor Homburg:
Führen Sie diese Unternehmensteuerreform nichtdurch!Weiter sagte er:Ich habe den Eindruck, daß optische Täuschung dasHauptziel der Reform ist.Sie unterliegen auch einem Irrglauben, wenn Siemeinen, es gehe nur um die Belastungen der Unterneh-men im engeren Wortsinn, also um das, was sie direktan Steuern und Abgaben abzuführen haben. In einermodernen und globalisierten Arbeitswelt wird immermehr zu berücksichtigen sein, daß sich die Belastungenfür die Unternehmen aus der Summe aller Belastungen,auch der der Mitarbeiter, zusammensetzen. Die Zu-kunftsfähigkeit von Unternehmen hängt auch davon ab,ob sie ausreichend viele hochqualifizierte Mitarbeiter inden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben;denn diese verhelfen den Unternehmen überhaupt erstzur Zukunftsfähigkeit. Beispiele aus Skandinavien bele-gen, daß Unternehmen erhebliche Probleme haben,wenn gerade die Leistungsträger in den Unternehmen,die ein Höchstmaß an Mobilität auch über Grenzen hin-weg aufweisen müssen, diese verlassen. Dann geht auchZukunftsfähigkeit für das Land verloren.
Noch ein letzter Gedanke: Die Steuerschätzung be-sagt, daß der Bund allein von 1998 bis 2000 Steuer-mehreinnahmen in Höhe von rund 40 Milliarden DMhat. Die Mai-Steuerschätzung besagt, daß wir ge-samtstaatlich von 1998 bis 2002 Steuermehreinnahmenin Höhe von rund 123 Milliarden DM verzeichnen kön-nen. Bereinige ich diesen Betrag jetzt um den Anteilder sogenannten Ökosteuer, dann bleiben in diesen vierJahren immer noch gesamtstaatliche Steuermehrein-nahmen in der Größenordnung von knapp 100 Milliar-den DM.
Will mir angesichts dieser Rahmenbedingungen irgendjemand sagen, daß man keine vernünftige, durchgreifen-de Steuerreform mit einer Tarifabsenkung von oben bisunten durchführen kann, wenn der Wille dazu vorhan-den ist?Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christine
Scheel von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchtevorab einige Bemerkungen zu Äußerungen machen, dieim Rahmen der Haushaltsberatungen und der verschie-densten Steuerdiskussionen von seiten der Oppositiongekommen sind. Wir haben im Finanzausschuß hautnaherlebt – die Haushälter konnten das ebenso wunderbarmiterleben –, daß an allen möglichen Punkten, an denenversucht wurde, Einsparungen vorzunehmen und Sub-ventionen abzubauen – das ist dieser Regierung zu ei-nem großen Teil auch gelungen –, von seiten der Oppo-sition immer wieder Anträge gestellt worden sind, in de-nen es darum geht, genau diese Änderungen zurückzu-nehmen und den alten Zustand wiederherzustellen. Da-mit sollten also weiter Subventionen gewährt werden,und es wurde keine Bereitschaft gezeigt, an irgendeinerStelle eine Einsparung auch nur anzudenken.
Hinzu kommt: Die F.D.P. wollte die Gewerbesteuerabschaffen, was Mindereinnahmen für die Kommunenin der Größenordnung von 50 Milliarden DM bedeutethätte. Und unter Federführung der CSU wurde ein Tarifvorgeschlagen, der für diesen Staat Mindereinnahmen ineinem Volumen von etwa 50 Milliarden DM bedeutethätte. Diese Beispiele sollen genügen. Und dann stellenSie sich hin und sagen, Sie betrieben eine Haushalts-und Finanzpolitik, die Arbeitsplätze schaffe und die so-lide sei!
Die Umsetzung all Ihrer Überlegungen – man darf sieja nicht einzeln sehen, man muß sie zusammen sehen –,würde dazu führen, daß der Haushalt verfassungswidrigwäre
und daß wir eine Steuerpolitik hätten, bei der sich dieEinnahmen nicht mehr verstetigten und bei der die not-wendigen Ausgaben, die wir jetzt im Bereich der Bil-dungs- und Forschungspolitik, im Bereich der aktivenArbeitsmarktpolitik – für arbeitslose Jugendliche – täti-gen, in der jetzigen Form nicht möglich wären. Sie hät-ten bloß die entlastet, die es in dieser Form nicht nötigBartholomäus Kalb
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hätten, und der Finanzminister müßte weiterhin wie aufEis rumrudern.
Herr Kalb, Sie haben wiederum Ihren Vergleich an-gebracht, obwohl wir wirklich versucht haben, zu erklä-ren, wie das mit der Steuerschätzung ist und wie mandies auch insgesamt im Hinblick auf die wirtschaftlicheEntwicklung sehen muß. Man muß die gesamten Rah-mendaten zugrunde legen und kann nicht sagen, Steuer-aufwuchs sei immer dann zu verzeichnen, wenn denEinnahmen keine Ausgaben gegenüberstünden. Dies istvöllig falsch
Dies gilt ebenso für einen weiteren Vergleich, derimmer wieder angeführt wird und den Herr Merz heutewahrscheinlich auch wieder nennt. Dabei werden Äpfelmit Birnen verglichen. Wenn man nämlich hinsichtlichder Fortschreibung im Jahr 1999 nur die Ausgabenstei-gerungen ansieht und dem die Sollzahlen des nächstenHaushaltsjahres gegenüberstellt, wenn man also die485,7 Milliarden DM für 1999 mit den 478,8 MilliardenDM für 2000 vergleicht und zu dem Ergebnis kommt,wir hätten gar keine 30 Milliarden DM, sondern nur7,5 Milliarden DM eingespart, so ist dies völliger Un-sinn. Denn es geht um Einsparungen, bevor man über-haupt Mehrausgaben entstehen läßt. Diese Zahlen kannman nicht vergleichen und damit ein Finanzvolumensuggerieren, das in keiner Weise der Wahrheit ent-spricht.
Nach Ihren Vorstellungen von Haushaltspolitik hättenwir im Haushalt 2000 rund 505 Milliarden DM zu ver-anschlagen. Dieser Haushalt wäre eindeutig verfas-sungswidrig, und er würde auch gegen den europäischenStabilitätspakt verstoßen. Auch das muß man in diesemZusammenhang sehen.
Wir haben von unserer Seite immer wieder Grund-überlegungen zur Nachhaltigkeit angestellt.
Dies hatten wir unter ökologischen Aspekten selbstver-ständlich immer wieder eingefordert, und diese Nach-haltigkeit fordern wir genauso in der Finanz-, Haushalts-und Steuerpolitik ein.
Ihre unsoliden Vergleiche rühren daher, daß es Sieaußerordentlich schmerzt, daß die Bevölkerung mittler-weile das Zukunftsprogramm 2000 zu über zwei Drittelnunterstützt. Ich verstehe gut, daß Sie hierüber verärgertsind und daß es Ihnen einfach nicht paßt, daß diese Re-gierung an diesem Punkt steht.
Eine Kollegin hat einmal von der Feuerfestigkeit derKoalition gesprochen, die hierbei bewiesen worden sei.
Dieses 30-Milliarden-Sparpaket umzusetzen ist einKraftakt gewesen. Davon können Sie wirklich nur träu-men.
Frau
Kollegin Scheel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Luft von der PDS?
Frau Kollegin Scheel, wür-
den Sie mir der Fairneß halber zustimmen, daß es in die-
sem Hause nicht d i e Opposition gibt? Die Opposition
besteht vielmehr aus zwei Teilen, die sich in der Haus-
haltsberatung unterschiedlich verhalten haben. Für mei-
ne Fraktion nehme ich in Anspruch, daß wir eine Fülle
von Einsparvorschlägen gemacht haben, die die Spar-
bemühungen durchaus unterstützt hätten. Zugegebener-
maßen handelt es sich um Einsparvorschläge auf ande-
ren Gebieten, als die Koalition sie vorgesehen hat. Wir
lassen es aber nicht zu, daß wir mit dem Reden von
d e r Opposition abgefrühstückt werden, indem man
sagt, aus den Reihen der Opposition gebe es keine Ein-
sparvorschläge.
Frau Luft, ich gestehe Ihnen gerne zu, daß Oppositionund Opposition in diesem Hause nicht das gleiche sind.
CDU/CSU und F.D.P. haben sich anders als Sie verhal-ten. Sie haben nämlich – diesen Punkt haben Sie geradeangesprochen – Deckungsvorschläge für Mehrausgabenunterbreitet.
Ich muß aber dazu sagen, daß Ihre Deckungsvorschlägeillusionär sind.
Ihre Deckungsvorschläge haben mit der realen Erfas-sung von Vermögenswerten oder von Einnahmen, wiesie von Ihrer Seite immer wieder gefordert wird, ausSicht der Regierungsparteien – ich darf in diesem Punktauch für die SPD sprechen – überhaupt nichts zu tun.
Wir dürfen die Tatsache nicht unter den Tisch kehren,daß die alte Koalition ein strukturelles Haushaltsdefi-zit zu verantworten hat. Herr Rexrodt, 1998 gab es zwi-Christine Scheel
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schen der Kreditaufnahme und den Investitionen eineDifferenz von 33 Milliarden DM. Ich will in diesem Zu-sammenhang nicht auf den Schuldenberg insgesamtverweisen, sondern nur vom Jahr 1998 reden. Sie habendiese Lücke damals kaschiert, indem Sie, wie man soschön sagt, das Tafelsilber in einer Größenordnung von20 Milliarden DM verscherbelt haben. Die F.D.P. kannjetzt wahrlich nicht behaupten, sie habe eine Sparpolitikbetrieben.
Sie haben vielmehr alle Möglichkeiten genutzt, das Ta-felsilber zu verscherbeln. Herr Waigel, ich kann michnoch daran erinnern – in der Öffentlichkeit wird diesesEreignis sehr leicht vergessen –, wie Sie damals mit demHubschrauber zur Bundesbank nach Frankfurt geflogensind.
– Ich weiß, wovon ich rede: Ich rede von den Bundes-bankgewinnen.
Ich rede zum einen von dem Tafelsilber, das verscher-belt worden ist, und zum anderen von den in den Sandgesetzten Bemühungen, die Bundesbankgewinne zur Si-cherung der Liquidität des Bundes zu verwenden.
Erstmals seit 1992 haben wir es geschafft, daß dieNeuverschuldung zurückgeführt wird. Sie wird über8 Milliarden DM unter den Ausgaben für Investitionenliegen. Wir haben es damit geschafft – es ist mir klar,daß Sie das ärgert –, auch das strukturelle Defizit abzu-bauen.
Auch wenn Sie es nicht gerne hören: Wir haben keineSteuererhöhungen vorgenommen. Wir haben gleichzei-tig die Familien mit Kindern entlastet. Wir werden aucheine Unternehmensteuerreform vorlegen, die zu Entla-stungen führen wird.
Frau
Kollegin Scheel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michelbach?
Ja.
Herr
Michelbach, bitte schön.
Frau Kollegin
Scheel, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß Ihre Aus-
führungen über die Bundesbank überhaupt nichts mit
dem Bundeshaushalt zu tun haben? Es handelte sich
vielmehr um eine notwendige Sanierung und Konsoli-
dierung für den Erblastentilgungsfonds unter Beachtung
der damaligen finanzpolitischen Situation. Nehmen Sie
das zur Kenntnis?
Herr Michelbach, ich nehme Ihre Frage zur Kenntnis.
Ich will in diesem Zusammenhang aber sagen, daß der
Erblastentilgungsfonds – genauso wie das sogenannte
Bundeseisenbahnvermögen – mit dem Haushalt sehr
wohl etwas zu tun hat.
Fest steht, daß die alte Koalition es nicht geschafft
hat, ihren Haushalt zu konsolidieren und die Steuersätze
drastisch zu senken, sondern daß sie Ausgabensteige-
rungen in Nebenhaushalten versteckt hat und daß sie
letztendlich vorhatte, mit einer Mehrwertsteuererhö-
hung zu Mehreinnahmen zu kommen – ich denke an
den damaligen Wahlkampf –, um ihre Wunschvorstel-
lungen einigermaßen umzusetzen. Eine junge Kollegin
aus Ihren Reihen wurde damals im Wahlkampf dafür,
daß sie die Wahrheit gesagt hat, gerügt, weil niemand
von Ihnen im Wahlkampf von Steuererhöhungen reden
wollte. Die Konsequenz Ihrer Politik wäre gewesen –
wenn Sie an der Regierung geblieben wären –, daß die
Bevölkerung heute 18 Prozent anstatt 16 Prozent Mehr-
wertsteuer zu verkraften hätte.
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe Hiksch von der
PDS-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Die Kollegin Scheel sollte aufpassen, wenn sie überWahlkampfversprechen redet. Ich erinnere mich sehrgut daran, daß die ehemalige Opposition, bestehend ausSozialdemokratie und Bündnis 90/Die Grünen, mit demVersprechen in den Wahlkampf gezogen ist, bei einemRegierungswechsel würden die Eisenbahnerwohnungennicht verkauft werden.
Jetzt erleben wir, daß sich die PDS-Bundestagsfraktionfür die Interessen der Mieterinnen und Mieter dieserWohnungen einsetzen muß.
Christine Scheel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6423
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Kollege Poß, Sie haben mit Ihrer Rede sowohl rechtals auch unrecht. Sie haben davon gesprochen, daß esdie Koalition geschafft hätte, das größte Konsolidie-rungspaket durchzusetzen. Das stimmt, ist aber auchfalsch! Das Paket, das die rotgrüne Bundesregierungvorgelegt hat, ist kein Konsolidierungspaket, sondernein Sparpaket. Darüber hinaus ist es sozial ungerecht.
Es ist deshalb kein Konsolidierungspaket, weil Konsoli-dierung bedeuten würde, daß man sich sowohl die Ein-nahmeseite als auch die Ausgabenseite anschauen müß-te. Doch Sie weigern sich, in der Diskussion über Ein-sparungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Haus-haltskonsolidierung darüber nachzudenken, auch dieVermögenden, die Millionäre, heranzuziehen, um dieBundesrepublik Deutschland zu finanzieren. Wenn Sieein wirkliches Konsolidierungspaket vorgelegt hätten,hätten Sie sich beispielsweise dafür eingesetzt, daß eineVermögensabgabe bereits in diesem Jahr umgesetztworden wäre. Fehlanzeige bei der rotgrünen Bundesre-gierung!
Es ist auch deshalb kein wirkliches Konsolidierungspa-ket, weil das, was die Rotgrünen damals in der Opposi-tion richtig gesagt haben, daß nämlich Haushaltspolitikniemals nach dem „Rasenmäherprinzip“ durchgeführtwerden dürfe, jetzt in der Regierungsverantwortung ge-macht wird. Es ist falsch, wenn alle Einzelhaushaltedenselben prozentualen Anteil, nämlich 7,4 Prozent, ein-sparen müssen. Es widerspricht Ihren eigenen Überzeu-gungen und Wertevorstellungen, wenn sowohl der Ent-wicklungshilfehaushalt als auch der Haushalt für Arbeitund Soziales genauso bluten müssen wie beispielsweiseder Verteidigungshaushalt. Eine solche Form der Politikhalte ich für falsch und nicht vertretbar.
Es ist auch deshalb kein wirkliches Konsolidierungs-paket, weil Massenkaufkraft geschwächt wird, weil beiden unteren Einkommensschichten angesetzt wird, dieeine hohe Konsumquote haben, und die Rentnerinnenund Rentner, die Arbeitslosenhilfeempfänger und sozialSchwachen dafür bezahlen müssen, daß Sie sich an dieReichen, an die Konzerne und Gutverdienenden in unse-rem Lande, nicht herangetraut haben.
Deshalb sage ich: Es ist aus Sicht der rotgrünen Bun-desregierung eine Schande, daß im nächsten Jahr eineUnternehmensteuerreform gemacht werden soll, beider die Unternehmen noch einmal um netto 8 Milliar-den DM entlastet werden sollen. Gleichzeitig müssen– mit dem Hinweis darauf, daß gespart werden müsse –Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger, Rentnerin-nen und Rentner sowie sozial Schwache dafür bezahlen,daß Wahlversprechen gebrochen werden.
Ich glaube, es ist kein Mäkeln der PDS, wenn wirdarauf hinweisen, daß dieser Haushalt falsch ist. Wir,die PDS, weisen als einzige Oppositionskraft in diesemHause darauf hin, daß Ihre falsche Politik dazu geführthat, daß Millionen von Wählerinnen und Wählern nichtmehr zur Wahl gehen,
daß der Ruhrpott auf Grund Ihrer falschen Politikschwarz geworden ist und daß Sie in Sachsen erlebenmußten, daß Sie gerade noch über die Fünfprozenthürdegekommen sind.Wir, die PDS, geben den Menschen, die berechtig-terweise darauf hinweisen, daß es nicht angehen kann,daß gegen die sozial Schwachen gearbeitet wird und Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Regen stehengelassen werden, eine neue Heimat und machen deut-lich, daß es darum gehen muß, Politik für Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer zu gestalten.
Die rotgrüne Bundesregierung bricht zentrale Wahl-kampfversprechen. Sie erinnern sich doch sicher nochsehr gut daran, wie die rotgrüne Opposition in die Wahlgezogen ist und deutlich gemacht hat, daß sie, wenn siedie Wahl gewinnen würde, die unsoziale BlümscheRentenreform zurücknehmen und zur nettolohnorien-tierten Rentenanpassung zurückkehren werde.
Das Gegenteil ist geschehen. Hätte die rotgrüne Bundes-regierung wahr gemacht, was sie im Wahlkampf ver-sprochen hat, hätten Rentnerinnen und Rentner mit einerRente von beispielsweise 1 000 DM im nächsten Jahreine Nettorentenerhöhung in Höhe von 35 DM erhalten.Jetzt bekommen sie 6 DM, also 29 DM weniger, als ver-sprochen wurde. Ein Rentner, der eine Rente von 2000DM hat, hätte, wenn das Versprochene eingehalten wor-den wäre, eine Rentenerhöhung von 70 DM bekommen.Jetzt erhält er ganze 12 DM.Der vorgelegte Haushalt ist falsch. Er ist abzulehnen.Es ist die PDS, die die Hoffnungen, die Sie letztes Jahrim Wahlkampf geweckt haben, nämlich die Hoffnungender kleinen Leute, die Hoffnungen der Gewerkschafte-rinnen und Gewerkschafter sowie die Hoffnungen dersozial Schwächeren und der Mitglieder in Sozialverbän-den, aufgreift und dafür sorgen wird, daß Menschen, dievom Parlament Hilfe benötigen, nämlich die sozialSchwächeren, wieder ein Sprachrohr bekommen, unddieses Sprachrohr ist die PDS.Danke schön.
Als
nächster Redner hat Bundesminister Hans Eichel das
Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einehemaliges Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion hatUwe Hiksch
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6424 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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wirklich nicht verstanden, was wir hier tun. Dieses ehe-malige Mitglied haben Sie soeben gehört.
Was wir mit dem Haushalt 2000, mit unserem Zu-kunftsprogramm, tun, ist der Einstieg in eine langfristigangelegte, solide Finanzpolitik für Wachstum, für Inno-vationen, für Beschäftigung und für soziale Gerechtig-keit. Wir tun dies konsequent.
– Jeder dieser „Sprüche“ wird – anders, als Sie es mitIhren Sprüchen gemacht haben – belegt werden. – Wirhaben uns nicht von all den Demonstrationen, mit denenSie sich solidarisiert haben – obwohl dort, wie Sie ebenausgeführt haben, ja nur gegen Luftbuchungen demon-striert wurde –, einschüchtern lassen. Vielmehr haltenwir unseren Kurs. Anders könnten wir keine solide Basisfür unser Land schaffen.
Heute geht es um den Haushalt 2000. Am 12. No-vember dieses Jahres haben wir im Bundestag dasHaushaltssanierungsgesetz in seinen beiden Teilen, inseinem zustimmungspflichtigen und in seinem nicht zu-stimmungspflichtigen Teil, verabschiedet, so daß derEinstieg in eine solide Finanzwirtschaft mit einem Kon-solidierungsumfang in Höhe von 30 Milliarden DM fürdas nächste Jahr erreicht worden ist.Meine Damen und Herren, warum 30 MilliardenDM? Die Antwort ist sehr einfach zu geben: Unter Fort-schreibung Ihrer Haushaltsansätze und unter Aufnahmeall der Dinge, die Sie nicht mehr in den Haushalt einge-stellt hatten – das hatte ich übrigens dem Kollegen Wai-gel bereits am 25. September 1998 im Bundesrat vorge-rechnet –, und – dies ist zuzugeben – unter Aufnahmevon zwei neuen Schwerpunkten, zum einen des Schwer-punktes, 7 Milliarden DM für eine aktive Arbeitsmarkt-politik vorzusehen, und zum anderen des Schwerpunk-tes, mit 1 Milliarde DM Zukunftsinvestitionen im Be-reich Forschung zu fördern – das ergibt zusammen8 Milliarden DM –, wären wir insgesamt auf eine Netto-neuverschuldung von 80 Milliarden DM gekommen.Aus diesem Grund und weil wir gleichzeitig miteinem ganz stringenten Konsolidierungskurs Jahr fürJahr die Nettokreditaufnahme zurückfahren, haben wirdem Deutschen Bundestag das erstemal seit 1992 einenHaushalt vorgelegt, der weniger als 50 Milliarden DMneue Schulden enthält. Weil wir das zum Ziel hatten,mußten wir 30 Milliarden DM einsparen.
Wenn man Ihre Reden hört und all das ernst gemeintsein sollte, was Sie soeben hier gesagt haben, wundertman sich nicht, in welchem Zustand man den Bundes-haushalt vorgefunden hat.
Die Wahrheit ist ganz einfach: Schon Ihre Herleitungder Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM – dies istdas eigentlich Schlimme; deswegen sind Sie auf langeZeit nicht regierungsfähig – ist abenteuerlich.
Richtig ist, daß mit dem Aufbau der Staatsverschul-dung bereits Mitte der 60er Jahre begonnen wurde –darum rede ich gar nicht herum –, zu Zeiten der GroßenKoalition. Von da an wurde systematisch jedes Jahrmehr Geld ausgegeben, als eingenommen wurde. AlsSie 1982 im Deutschen Bundestag die Regierungsver-antwortung für die Bundesrepublik Deutschland über-nahmen, haben Sie rund 300 Milliarden DM an Schul-den mit übernommen. Diese Schulden haben sich inner-halb von 15 Jahren angesammelt. Ganze acht Jahre spä-ter, Ende 1990, waren es bereits – das haben Sie ebenunterschlagen – 600 Milliarden DM. 900 Milliarden DMsind dann bis heute noch hinzugekommen. Das heißt:Von diesen 1,5 Billionen DM Staatsverschuldung stam-men 80 Prozent, also 1,2 Billionen DM, aus Ihrer Zeit,meine Damen und Herren.
Dies haben Sie übrigens konsequent verschleiert. Seit1996 waren Ihre Haushalte im Vollzug nicht mehr ver-fassungsgemäß. Um dies zu verdecken, haben SieSchritt für Schritt immer mehr Privatisierungserlöse ein-gestellt. 1998 waren es 20 Milliarden DM Privatisie-rungserlöse, für 1999 hatten Sie 28 Milliarden DM vor-gesehen. Damit machen wir Schluß! Unter unserer Ver-antwortung gibt es 1999 nur 22 Milliarden DM an Pri-vatisierungserlösen. Im nächsten Jahr sind es – abgese-hen von den Postunterstützungskassen, die wir jedesJahr bedienen müssen – noch 3,5 Milliarden DM. In dermittelfristigen Finanzplanung ab 2001 wird es keine Pri-vatisierungserlöse mehr zur Verdeckung strukturellerDefizite im Haushalt geben. Das ist ein riesiger Konso-lidierungserfolg.
Man muß eines sehr deutlich machen – das sage ichübrigens in Richtung PDS –: Die Staatsverschuldung istdas unsozialste Umverteilungskonzept, das es gibt.
So enthebt man den Staat seiner Funktion, einen Aus-gleich für die Schwachen zu leisten. So macht man ihnhandlungsunfähig. Indem Sie sich weigern, sich diesen1,5 Billionen DM zu stellen, verweigern Sie sich ausrein populistischen Gründen einer Lösung der sozialenProbleme dieses Landes.
Bundesminister Hans Eichel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6425
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Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht um 82Milliarden DM Zinszahlungen, um den zweitgrößtenAusgabeposten.Das war übrigens toll: Sie haben gesagt, daß wirnächstes Jahr etwas weniger Zinsen zahlen müssen, seiErgebnis Ihrer Konsolidierungspolitik. Da muß ich la-chen. Tatsächlich können wir wegen unserer Politik zuniedrigeren Zinsen umschulden, als zu den Zinsen, zudenen Sie Schulden aufgenommen haben. Das ist unserErfolg in diesem Bereich.
Sie haben die Schulden doch ständig erhöht!Auch wir werden noch eine Weile Schulden machenmüssen – aber jedes Jahr weniger und mit der eindeuti-gen Zielsetzung, im Jahr 2006, zum Ende der Wahlperi-ode des nächsten Deutschen Bundestages, das erste Malden Menschen in unserem Lande erklären zu können:Wir sind mit dem Geld, das ihr uns dieses Jahr gegebenhabt, ausgekommen. Wir haben keine neuen Schuldengemacht. – Ich sage Ihnen: Diese Bundesregierung unterBundeskanzler Schröder und, wenn er es will, mit mirals Finanzminister möchte diesen Haushalt für das Jahr2006 vorlegen.
Die Zins-Steuer-Quote ist in den Jahren Ihrer Regie-rungstätigkeit bis 1990 nicht gesunken, wie Sie uns hierweismachen wollen. Sie war zu Beginn der Wiederver-einigung auf demselben Stand wie 1982: bei rund 11Prozent. Sie haben es geschafft, die Zins-Steuer-Quotedanach faktisch zu verdoppeln. Von 100 DM Steuern,die die Bürgerinnen und Bürger an den Bund zahlen,bekommen sie nur noch für 78 DM Leistungen. 22 DMvon diesen 100 DM müssen sofort für Zinsen ausgege-ben werden. Das ist das Ergebnis Ihrer „grundsoliden“Finanzpolitik.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Grehn?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein,
das erlaube ich nicht. Dafür ist die Zeit zu knapp.
Herr
Bundesminister, das wird nicht auf Ihre Zeit angerech-
net.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich
möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Also
keine Zwischenfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gut,
eine Zwischenfrage.
Herr
Kollege Grehn, bitte schön.
Herr Bundesminister, Sie
haben gesagt, daß das Sparpaket sozial gerecht sei, weil
dadurch die Schuldenlast abgebaut werde. Sind Sie mit
mir einer Meinung, daß das Sparpaket dann sozial ge-
recht ist, wenn es dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit
folgt, aber nicht dann, wenn es die sozialen Schieflagen
vergrößert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Abgeordneter Grehn, ich werde auf Ihre Frage bei mei-
nen Bemerkungen, die ich noch zu machen habe, einge-
hen. Dann werden Sie sehen, daß wir das, was Sie ein-
fordern, tun.
Ich muß noch auf eine Bemerkung des Herrn Kolle-
gen Kalb eingehen: Wenn sie die Dinge jetzt hier so
darzustellen versuchen, als ob wir zusätzliche Steuer-
einnahmen hätten, die uns frei zur Verfügung stünden
und die wir ausgeben könnten, dann unterschlagen Sie:
Die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie gewollt haben und
die wir mitgemacht haben, ist in den 100 Milliarden DM
enthalten und muß deshalb abgezogen werden. Dann
bleiben noch 36 Milliarden DM für vier Jahre. Das sind
9 Milliarden DM pro Jahr. Das sind weniger als 2 Pro-
zent Einnahmewachstum. Das entspricht – in der mit-
telfristigen Finanzplanung – bei unserem Haushalt ei-
nem Ausgabewachstum zwischen 1,5 und 2 Prozent. Mit
anderen Worten: Genau dies ist eingerechnet, und
genau dies hat die Steuerschätzung im November erge-
ben. So und nicht anders ist es, meine Damen und Her-
ren.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine weitere Zwischenfra-
ge?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein,nicht mehr, weil ich gerne im Zusammenhang vortragenmöchte.
Meine Damen und Herren, wir wollen festhalten:Was ist die Politik dieser Bundesregierung?
Es sind zwei Dinge zur gleichen Zeit – das ist einehrgeiziges und ambitioniertes Programm –: eine Sen-Bundesminister Hans Eichel
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6426 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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kung der Steuer- und Abgabenlast auf der einen undHaushaltskonsolidierung auf der anderen Seite.
Das werden wir Ihnen im einzelnen nachweisen. Dassummiert sich bis zum Ende dieser Wahlperiode, alsobis 2002, auf einen strukturellen Konsolidierungserfolgvon über 150 Milliarden DM; davon entfallen 40 Milli-arden DM auf das Jahr 2002. Und gleichzeitig erreichenwir im Jahr 2002 eine strukturelle Senkung der Steuer-und Abgabenlast von über 34 Milliarden DM.Zu diesem Zweck, meine Damen und Herren, sparenwir; Sparen ist für uns nicht Selbstzweck. Niemand –das ist übrigens eine lächerliche Debatte und nur einerder Versuche, sich der ganzen Debatte zu entziehen –spart um des Sparens willen, meine Damen und Herren.Die einen sparen, um ihren Kindern eine bessere Aus-bildung zu finanzieren. Die anderen sparen, um sich fürden Lebensabend eine gute Rente zu sichern. Wiederumandere sparen, um sich ein Häuschen zu bauen. Nie-mand spart um des Sparens willen, sondern weil er ver-nüftige Zwecke damit verbindet. Das gilt selbstver-ständlich auch für uns.
Wenn wir sparen, meine Damen und Herren, dann zuallererst, weil wir der nächsten Generation, der Genera-tion unserer Kinder, nicht eine solche Schuldenlast inden Rucksack packen wollen, wie sie entstanden wäre,wenn Sie Ihre Politik hätten fortsetzen können.
Wenn Sie – ich wiederhole es; das ist doch IhrGrundproblem – 1990 gesagt hätten: Ja, das ist eine rie-sige Aufgabe, die die nächste Generation tragen muß,dann hätten wir damals einen ehrlichen Wahlkampf ge-habt. Damals aber haben Sie so getan, als ob die deut-sche Einheit eine Angelegenheit sei, die nichts koste.Deswegen, meine Damen und Herren, war Ihre Herlei-tung der Schulden ganz falsch. Ich habe eben schon ge-sagt: Durch die Eröffnungsbilanz des Jahres 1990 sindhinzugekommen, nicht 500 Milliarden DM an DDR-Altschulden. Nein, es sind lediglich 94 Milliarden DM:Fonds Deutsche Einheit, Treuhand-Kreditabwicklungs-fonds, Altschulden Wohnungen Ost, Altschulden geson-derte Einrichtungen, Reichsbahn. Es sind ganze 94 Mil-liarden DM. Aber ich werfe Ihnen ja nicht die Kostender Einheit vor, sondern ich werfe Ihnen vor, daß Sieeine durch und durch unsolide Finanzpolitik gemachtund am Anfang so getan haben, als ob das alles nichtskoste.
Wir sparen, meine Damen und Herren, weil unsereKinder ab 2015 vor den großen Herausforderungen desdemographischen Wandels stehen, weil von da an fürdie nächste Generation sichtbar wird, was es bedeutet,wenn die einen, die im Erwerbsleben stehen, nur eine„schmale“ Generation sind, und diejenige, die vor ihnenwar, die Rentnergeneration, eine „breite“ ist. Dann wirdklar, was das für die nächste Generation bedeutet. Des-wegen müssen wir die Rentenstrukturreform jetzt ma-chen, um einen neuen Ausgleich zu schaffen.Meine Damen und Herren, wenn Sie dieser Generati-on, die das zu schultern hat, gleichzeitig noch eineStaatsverschuldung in der jetzigen Größenordnung inden Rucksack packen, dann haben Sie die um ihre Le-benschance betrogen. Das können Sie nicht verantwor-ten!
Wir sparen, um die Handlungsfähigkeit des Staatesin der Zukunft und jetzt sicherzustellen. Im Hinblick aufdie Zukunft möchte ich etwa nennen: Wir brauchen eineAnschlußregelung für den Aufbau Ost ab 2005. Darin istauch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einzube-ziehen. Ein Bund, der überschuldet ist, kann dann keineLeistungen für den Aufbau Ost, die in den ostdeutschenLändern noch notwendig sind, zur Verfügung stellen.Das geht nur, wenn wir die Finanzen in Ordnung ge-bracht haben.Wir sparen auch für die Handlungsfähigkeit desStaates jetzt. Die Investitionen werden auch im Jahr2000 auf hohem Niveau verstetigt – ganz anders, als Siedas erzählt haben. Wir haben die aktive Arbeitsmarkt-politik auf hohem Niveau verstetigt. Dabei handelt essich immerhin um 46 Milliarden DM bei der Bundesan-stalt für Arbeit; über 7 Milliarden DM kommen aus demBundeshaushalt hinzu. Darin stecken auch – das ist fürden Arbeitsmarkt ebenfalls wichtig – Überbrückungs-gelder, mit denen Arbeitslosen der Weg in die Selbstän-digkeit oder – über die aktive Arbeitsmarktpolitik – derWeg geöffnet wird, überhaupt wieder in Arbeit zukommen.
Das ist in vielen Fällen – leider nicht in allen – eineBrücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt.Wenn wir – ich will nicht darum herumreden – andieser Stelle, bei der Abführung von Geldern an dieRentenversicherung, bei Arbeitslosen und bei Bezie-hern von Arbeitslosenhilfe über den Zahlbetrag reden,dann werden wir darüber nachdenken müssen, ob es bei-spielsweise richtig sein kann, daß jemand, der einen Be-ruf mit einem höheren Einkommen ausgeübt hat, ausMitteln der Steuerzahler, die zum Beispiel auch eineVerkäuferin aufbringt, die auf Grund ihres eigenenRentenversicherungsbeitrages eine kleinere Rente be-kommt, eine höhere Rente bekommt, als die Verkäuferinsie sich selber erarbeiten kann. Auch das muß man be-denken, und das haben wir hier entschieden. Das warkeine einfache Entscheidung; ich glaube aber, sie istvertretbar.Im Umkehrschluß heißt das: Diese Verstetigung aufhohem Niveau kommt den Arbeitslosen und ihren Chan-cen zugute. Statt ausgegrenzt zu werden und nur Geld zuempfangen, haben sie die Chance, wirklich in den Ar-beitsmarkt hineinzukommen.Bundesminister Hans Eichel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6427
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Das, was Sie, meine Damen und Herren von der Op-position, behaupten, ist ja völlig falsch: Der Anteil desHaushalts des Bundesarbeitsministers am Bundeshaus-halt ist in den letzten zwei Jahren von 31,8 Prozent auf35,5 Prozent gestiegen – das ist der höchste Anteil amBundeshaushalt, den er jemals hatte –, und auf dieserHöhe bleibt er im gesamten Finanzplanungszeitraum.Wo soll da die soziale Schieflage sein? Das ist schlichtfalsch.
Wir sparen, weil wir den jungen Leuten eine Chancegeben wollen. In Ihrer Zeit hat es ein Programm – wiewir es aufgelegt haben – zur Bekämpfung der Jugendar-beitslosigkeit, das schon fast 200 000 jungen Leuten zu-gute gekommen ist, überhaupt nicht gegeben. Nirgend-wo in Europa sinkt die Jugendarbeitslosigkeit so schnellwie bei uns.
An dieser Stelle möchte ich folgende Bemerkung ma-chen: Es war schon bezeichnend, daß Sie den Zuschußzur Bundesanstalt für Arbeit insgesamt zur Dispositiongestellt haben. Wenn die Aussage auf irgend jemandenin diesem Hause zutrifft, daß er zu Lasten der Arbeitslo-sen sparen will, dann auf Sie mit Ihren Haushaltsanträ-gen – auf niemanden sonst.
Denn Sie hätten den Anteil des Sozialen am Bundes-haushalt zurückgefahren. Das haben wir nicht gemacht.Wir haben umstrukturiert; dazu bekennen wir uns. Aberwir haben den Anteil des Sozialen auf dem höchsten Ni-veau, das es je hatte, gehalten.Wir sparen auch wegen der Zukunftsinvestitionen indie Bildung. Auch dieser Bereich hat seinen Konsoli-dierungsbeitrag leisten müssen – wie alle. Die Frage,wie man effizient mit Geld umgeht, gilt natürlich auchfür den Bildungs- und Forschungsbereich. Gleichzeitiglegen wir drauf, jedes Jahr 1 Milliarde. Das sind danninsgesamt 10 Milliarden in diesem Finanzplanungszeit-raum, bis Ende 2002, für Zukunftsinvestitionen im Be-reich der Forschung.
Wir sparen, um den Aufbau Ost auf hohem Niveau –und zwar auf einem höheren Niveau, als Sie es 1998hinterlassen haben – fortzuführen. Bei dieser Gelegen-heit will ich deutlich sagen: Man wird den Aufbau Ostmit der Zielsetzung, daß die neuen Länder eines Tagesauf eigenen Beinen stehen können, nur hinbekommen,wenn man das richtig anfaßt. Deshalb sage ich aus-drücklich: Jawohl, wir haben bei den Strukturanpas-sungsmaßnahmen gekürzt. Wir haben aber nicht dieZahl der Menschen verringert, die durch solche Struk-turanpassungsmaßnahmen Beschäftigung haben. Viel-mehr haben wir bei den Subventionen etwas wegge-nommen. Denn wenn man das eines Tages von 90 aufnull zurückfahren wollte, bricht das zusammen. Dasmuß umgestellt werden; das muß sich selber tragen.Man muß die Subventionen systematisch zurück führen.Nur so wird das ein selbsttragender Aufschwung auch inden neuen Ländern.
Übrigens ist einiges verdeckt: Die Industrie läuft hervor-ragend. Das Problem ist, daß wir die überhöhte Förde-rung des Baubereichs – was aus der ersten Phase stammt– noch ein Stück zurückführen müssen.Wir haben ein Modernisierungsprogramm miteinem Volumen von 10 Milliarden DM neu aufgelegt,an dem sich aber auch die neuen Länder beteiligen müs-sen. Erst dann wissen wir nämlich, ob sie das Programmwirklich wollen. Die geschenkten Programme – davonbin ich fest überzeugt – taugen nichts. Die eigene An-strengung gehört dazu. Daran, wie das Urteil dann aus-fällt, sieht man, ob es wirklich gut ist oder nicht.Wir sparen auch, um Strukturen zu modernisieren.Ich will das an zwei, drei Beispielen deutlich machen.Der eine Punkt betrifft einen Tatbestand, den die Bayernschon geändert haben – überhaupt ist die bayerische Fi-nanzpolitik besser als der Ruf, den der bayerische Fi-nanzminister gegenwärtig verbreitet –:
Die Bayern haben beim Unterhaltsvorschußgesetz dieGemeinden zu Recht beteiligt. Denn sie sagen, es kannnicht richtig sein, daß die einen die Rechnung schreibenund die anderen sie bezahlen. Wenn ich einen effizientarbeitenden Staat will, dann muß derjenige, der dieRechnung ausstellt, auch ein eigenes materielles Interes-se daran haben, daß die Rechnung möglichst niedrigausfällt.
Deswegen ist es richtig, was wir im Zusammenhang mitdem Unterhaltsvorschußgesetz vorschlagen. Deshalb istes richtig, daß die Gemeinden auch beim pauschaliertenWohngeld beteiligt sind.
Die Frage ist nur: Geschieht das in einem Zusammen-hang, in dem die Kommunen das tragen können? In un-serem Paket ist das – das sage ich ausdrücklich – derFall.Wenn sich im Zusammenhang mit den notwendigenEinsparungen im Haushalt ergeben sollte – wir arbeitendaran; hier hat der Bundesaußenminister meine volleUnterstützung –, daß in den kleinen, neu gebildetenStaaten nicht alle 15 EU-Staaten plus die EU selbereigene Vertretungen unterhalten, sondern eine gemein-same Außenvertretung sinnvoll ist, dann ist dies einwunderbares Beispiel. Andere dürfen folgen, zum Bei-spiel in der Verteidigungspolitik. Wenn Europa auf die-se Weise ein bißchen schneller vorangebracht wird, istBundesminister Hans Eichel
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6428 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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das nur gut so. Das sind die strukturellen Reformen, dieman mit Sparmaßnahmen anstoßen kann.
Wir sparen, weil wir mit der unsoliden Politik, dasDefizit durch Privatisierungserlöse – die dafür gar nichtda sind – zu decken, Schluß machen wollen. Wir brau-chen die Finanzierungserlöse – wir werden in den näch-sten 50 Jahren ungefähr 200 Milliarden DM benötigen –,um die übertragenen Pensionen der Beamten bei denPostunternehmen und deren Witwen und Witwer be-zahlen zu können.Wir sparen, damit wir die Familienförderung, die Siejahrzehntelang vernachlässigt haben, verfassungsgemäßmachen können.
Eine Kindergelderhöhung um 25 Prozent in einer Wahl-periode, 50 DM in etwas mehr als einem Jahr, und dasbei dieser Finanzlage, die wir von Ihnen übernehmenmußten, ist eine riesige Kraftanstrengung, für die an an-derer Stelle Einsparungen nötig sein werden.
Herr
Bundesminister, Ihre angemeldete Redezeit ist vorüber.
Sie können selbstverständlich weitersprechen. Das geht
aber zu Lasten der Redezeit der Redner der SPD-
Fraktion, die noch folgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich
komme gleich zum Schluß.
Wir haben die Binnennachfrage durch eine größere
Entlastung am unteren Ende des Einkommensteuertarifs,
als Sie je zuwege gebracht haben, gewaltig gestärkt. Zu-
dem haben wir die bestehenden Lücken im oberen Be-
reich des Einkommensteuertarifs geschlossen. Das
bringt Steuereinnahmen von rund 35 Milliarden DM.
Die Unternehmensteuerreform wird darüber hinaus
ein deutliches Signal für die Verbesserung der Investiti-
ons-, der Standortbedingungen bei uns setzen.
Dies alles summiert sich im Jahr 2002, zum Ende die-
ser Legislaturperiode, zu Steuer- und Abgabenentlastun-
gen für die Bürger und Unternehmen dieses Landes von
mehr als 34 Milliarden DM auf.
Dies alles summiert sich im Jahre 2002 zu einem jahres-
bezogenen Konsolidierungserfolg von 40 Milliarden
DM. Dies alles führt im Jahre 2002 zu einer Reduzie-
rung der Nettokreditaufnahme auf noch 40 Milliarden
DM und zu einem Defizit am Bruttoinlandsprodukt von
dann nur noch 1 Prozent sowie zu einer Absenkung der
Staatsquote von 48 Prozent auf 45 Prozent.
Dies ist eine Politik der gleichgewichtigen Senkung
der Steuern und Abgaben und der Konsolidierung des
Haushaltes. Es ist eine Politik, die Vertrauen schafft,
weil sie stetig und verläßlich ist. Es ist eine Politik, die
Vertrauen schafft, damit die Menschen nicht damit
rechnen müssen, daß ein Staat, der nicht solide wirt-
schaftet, den Bürgerinnen und Bürgern und den Unter-
nehmern in die Tasche greift. Es ist eine Politik,
die den Märkten deutlich macht, daß der Staat nicht
mehr als der große Nehmer von Krediten auftreten wird,
und die deswegen dafür sorgt, daß die Zinsen am langen
Ende niedrig bleiben. Das ist für die Häuslebauer und
die vielen Unternehmen wichtig. Es ist eine zukunftsbe-
zogene und gerechte Politik, deswegen trägt sie zum
Wachstum bei.
Im nächsten Jahr, wenn wir aus den weltwirtschaftli-
chen Krisen herausgekommen sind, ist unser Beitrag –
das ist dann nicht mehr Ihrer – 2,5 Prozent bis 3 Prozent
Wachstum. Dann gleicht sich das Wachstum in Europa
wieder an. Das, was Herr Jagoda sagt, ist ganz klar: Es
besteht Grund zum Optimismus auf dem Arbeitsmarkt,
jedes Jahr gibt es rund 200 000 Arbeitslose weniger. Das
ist ein erheblicher Beitrag.
Diese Politik ist langfristig angelegt. Mittelfristig will
sie einen ausgeglichenen Haushalt, und – ich wieder-
hole das – diese Bundesregierung wird bis zum Ende der
nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestags als er-
ste seit Jahrzehnten einen ausgeglichenen Haushalt vor-
legen. Darauf werden wir stolz sein.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Günter Rexrodt von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Kollege Eichel,Sie haben hier in dramatischen Worten das Anwachsender Staatsverschuldung in den letzten Jahren dargestellt.Sie haben das inszeniert. Sie haben in diesem Zusam-menhang davon gesprochen, daß die Lasten, die dabeizu übernehmen waren, in einer Größenordnung von94 Milliarden DM gelegen hätten.Herr Kollege Eichel, ich gehöre nun nicht zu denen,die ständig vor sich hertragen, was für die deutsche Ein-heit aufgewandt werden mußte. Ich glaube, das ist mitBlick auf die Menschen in den neuen Ländern, die nichtständig danke sagen sollen, und mit Blick auf die Men-schen im Westen, die den Großteil dieser Lasten zu tra-gen haben, nicht richtig.
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6429
(C)
(D)
Herr Kollege Eichel, ich halte es aber für in hohemMaße unverantwortlich, daß ein Bundesfinanzministerin seiner Rede zur zweiten und dritten Lesung des Bun-deshaushalts 2000 mit keinem Wort die Realitäten imZusammenhang mit dem Aufbau Ost in einer den Um-ständen entsprechenden Weise erwähnt.
Ihnen ist sehr wohl bekannt, daß allein der Erblasten-tilgungsfonds 360 Milliarden DM umfaßt. Der FondsDeutsche Einheit kommt wie viele andere Beträge eben-falls hinzu. Das summiert sich zu einer Größenord-nung – Sie müssen das wissen, und Sie wissen dasauch ganz genau –, die in etwa dem Zuwachs derStaatsverschuldung zwischen 1990 und 1998 entspricht.Dies in einer Rede, die nur dazu diente, hier vor-zuführen, wie hemmungslos und unverantwortlichund ohne Blick für das Wesentliche die alte Koalitioneine Staatsverschuldungspolitik betrieben habe, wegzu-lassen, ist eines Bundesfinanzministers unwürdig, HerrEichel.
Ich füge hinzu: Das ist vor dem Hintergrund beson-ders unverantwortlich, daß in Ihrer Regierungsverant-wortung in Hessen – sie betrug weniger Jahre als dieRegierungszeit der alten Koalition – die Staatsver-schuldung in diesem Bundesland, obwohl die Bun-desländer an den Lasten des Aufbaus Ost proportio-nal geringer beteiligt waren, um 59 Prozent gestiegenist. Das, was Sie hier vortragen, steht nicht in der Tradi-tion eines Finanzministers der BundesrepublikDeutschland.
Zur Er-
widerung erteile ich dem Bundesfinanzminister Hans
Eichel das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Kollege Rexrodt, erstens ist in den acht Jahren von 1982
bis 1990 unter Verantwortung der CDU-F.D.P.-ge-
führten Bundesregierung die Staatsverschuldung im
Bundeshaushalt um 100 Prozent von 300 auf 600 Milli-
arden DM gestiegen.
Zweitens – ich weise Sie nur darauf hin – gibt es im
Laufe der Jahre einen eklatanten Widerspruch in Ihrer
Argumentation. 1990 haben Sie erklärt, die Wiederver-
einigung koste so gut wie nichts. Erinnern Sie sich, daß
zur gleichen Zeit der damalige Kanzlerkandidat der
SPD, Herr Lafontaine, gesagt hat: „Man wird jährlich
etwa 100 Milliarden DM brauchen“? Heute reklamieren
Sie, daß die 100 Milliarden DM richtig gewesen wären.
Damals haben Sie das genaue Gegenteil gesagt. Die
Konsequenz – ich will das einmal freundlich formulie-
ren – Ihrer völligen Fehlprognose dessen, was als Auf-
gabe auf uns alle zusammen zukam, war eine Finanz-
politik, die das Ganze über die Staatsverschuldung abge-
feiert hat statt es solide zu finanzieren. Genau dies ist
unser Problem.
Als
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Friedrich
Merz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Eigentlich hatte ich, wie alle meineKolleginnen und Kollegen, gedacht, daß Sie, Herr Bun-desfinanzminister, heute die Rede halten, die schon seiteinigen Stunden im Internet nachzulesen ist, nämlicheine Rede, die sich mit der Zukunft Deutschlands be-schäftigt. Sie haben heute statt dessen zum wiederholtenMale eine Beschreibung der Lage der BundesrepublikDeutschland abgegeben
– ja, dies wird mittlerweile zum Wintermärchen vonHans Eichel –, die in der Tat eine wirklich scharfe Erwi-derung erfordert.
Ich empfinde es zunehmend nicht nur als unfair undunsachlich in der Form der Auseinandersetzung mit derOpposition, sondern ich empfinde es auch gegenüberden Leistungen, die in den letzten Jahren nicht die Poli-tik, sondern die Menschen in Deutschland erbracht ha-ben, als eine Zumutung, in welcher Art und Weise Siehier die Wirklichkeit in Deutschland beschreiben.
Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit istIhnen offensichtlich – weil Sie zu weit von Ihrem Re-demanuskript abgewichen sind – auch noch unterlaufen,zu behaupten, wir hätten in der BundesrepublikDeutschland und weltweit eine Wirtschaftskrise. HerrEichel, eine solche Behauptung von einem Bundesfi-nanzminister zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaftweltweit stärker wächst, als sie in den letzten Jahrzehn-ten jemals in einem größeren zusammenhängenden Zeit-raum gewachsen ist, hätte kein einziger Ihrer sozialde-mokratischen Vorgänger im Amt des Bundesfinanzmi-nisters gemacht. So ein Fehler wäre keinem von denenunterlaufen.
Dies zeigt, daß Sie offensichtlich überhaupt nicht be-griffen haben, in welcher Situation sich die Bundesrepu-Dr. Günter Rexrodt
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6430 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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blik Deutschland im Jahre 1999 befindet. Wir habennicht weltweit eine Krise, sondern wir haben inDeutschland eine Krise bei der Anpassung an die nachwie vor dynamisch wachsenden Kräfte der Weltwirt-schaft. Das ist das Problem, das wir in Deutschland ins-besondere im Jahre 1999 haben.
Meine Damen und Herren – ich will die Behauptungmorgen im Protokoll nachlesen, damit ich weiß, wie Siees genau gesagt haben –,
wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie hier ebendie Behauptung aufgestellt, es gebe eine Verschuldungin einer Größenordnung von 87 Milliarden DM, die mitder zusammengebrochenen DDR zusammenhänge.Herr Eichel, wir haben bis zum heutigen Tag eineVerschuldung von mehr als 500 Milliarden DM, die vonder alten DDR herrühren und durch die Bücher der Bun-desrepublik Deutschland gehen. Wir haben in derselbenZeit einen Nettotransfer in die neuen Bundesländer ineiner Größenordnung von mehr als 600 Milliarden DMleisten können.
Was übrigbleibt, ist eine gemessen am Bruttoinland-produkt deutlich zurückgegangene Staatsverschuldunggegenüber der Zeit der Bundesrepublik Deutschland, inder Sie regiert haben. Das ist die Wahrheit, vor der wirheute stehen.
Nun behaupten Sie doch bitte in diesem Zusammen-hang nicht wider besseres Wissen, daß Ihnen für die Zu-kunft keine Privatisierungserlöse mehr zur Verfügungstehen. Das ist in der Tat die nächste Unverschämtheit,die Sie hier heute morgen von sich gegeben haben.
Alleine aus der Privatisierung der Telekom und ihremgestiegenen Börsenwert steht Ihnen ein zweites Paket –es ist gegenwärtig bei der Kreditanstalt für Wiederauf-bau geparkt – in einem Börsenwert von 160 MilliardenDM zur Verfügung.
Wenn man davon das, was die Kreditanstalt für Wieder-aufbau dem Bund bereits zur Verfügung gestellt hat, ab-zieht, dann steht noch immer mindestens die Hälfte desBörsenwertes dieses Aktienpaketes dem Bund in einerzweiten Tranche der Privatisierung zur Verfügung. Be-haupten Sie doch so etwas Wahrheitswidriges nicht!
Selbst wenn Sie dies alles aus guten Gründen – dafürgäbe es eine ganze Reihe – und mit Rücksicht auf dieKleinaktionäre der Telekom nicht sofort plazieren, dannwissen Sie doch – das hoffe ich jedenfalls –, daß derBundesrepublik Deutschland, dem Bund, im Zuge derPrivatisierung der Telekommunikation in Deutschlandfür die Vergabe einer Reihe weiterer Telekomlizenzen inZukunft Lizenzgebühren ebenfalls in einem erheblichenUmfang zur Verfügung stehen. Sie ernten die Windfallprofits der Privatisierung der Telekom, die in Zeiten deralten Regierung nur zu einem Teil realisiert wordensind. Der größere Teil fließt dieser Bundesregierung –ich sage allerdings: unverdientermaßen – zu.
Es ist in höchstem Maße aufschlußreich, worüber Sieheute mittag gesprochen und worüber Sie nicht gespro-chen haben. Sie, Herr Eichel, haben über das zentraleThema der politischen Auseinandersetzung des letztenJahres, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt,wohlweislich fast jede Bemerkung vermieden.
– Das ist wahr. Da bekommt man sogar Zustimmungvon der PDS.Ich will ganz unverdächtig wörtlich zitieren, was indiesem Zusammenhang der auch von Ihnen schon ange-führte Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachtengeschrieben hat:Am Ende des Jahres 1999 kann die deutsche Wirt-schaftspolitik keine nennenswerten Erfolge bei ih-rem vorrangigen Ziel vorweisen, bei der Bekämp-fung der Arbeitslosigkeit. Dies ist eine herbe Ent-täuschung für alle, die von dem im Herbst 1998verkündeten Regierungsprogramm eine grundle-gende Wende erhofft hatten.Dies ist die tatsächliche Bilanz des ersten Jahres rotgrü-ner Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Herr Eichel, ich kann gut verstehen, daß Sie darauf mitkeinem Wort eingehen. Ihre Bilanz ist in der Tat er-nüchternd.Nun rühmen Sie sich der Tatsache, daß Sie in diesemJahr und im nächsten Jahr zusätzliche Mittel für „aktiveArbeitsmarktpolitik“, wie Sie es nennen, ausgeben wol-len. In Ihrem Redemanuskript, wie ich es dem Internetentnommen habe, steht der Satz:Insgesamt stehen dem Haushalt 2000 7 Milliar-den DM mehr als 1998 für aktive Arbeitsmarktpo-litik zur Verfügung.Herr Eichel, dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen.Erstens. Wenn Sie eine solche Behauptung aufstellenund wenn Sie sich dessen rühmen, dann sollten Sie auf-hören, darüber Klage zu führen, daß im Jahr 1998 an-geblich die Mittel für ABM von uns einseitig zu Wahl-kampfzwecken erhöht worden sind. Das stimmt offen-sichtlich nicht.
Zweitens. Genau an dieser Stelle wird der Unterschiedin der Wirtschafts- und Finanzpolitik zwischen dieserRegierung und unseren Vorstellungen deutlich. Sie ge-Friedrich Merz
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ben über 7 Milliarden DM mehr für aktive Arbeits-marktpolitik, für eine zusätzliche Bewirtschaftung desArbeitsmarktes, aus. Gleichzeitig, im selben Zeitraumund im selben Bundeshaushalt, kürzen Sie die Mittel fürInvestitionen um fast genau diesen Betrag.
An dieser Stelle kommt etwas zum Ausdruck, wasuns in der Tat trennt und was uns in der Beurteilungeiner Reihe von wirtschaftspolitischen Fragen auch nichtzueinanderbringt. Sie mißtrauen in Wahrheit zutiefst denmarktwirtschaftlichen Kräften dieser Volkswirtschaft,dafür zu sorgen, daß ein höheres Maß an Beschäftigungerreicht wird.
Sie wollen bewirtschaften, sie wollen ein höheres Maßan staatlicher Intervention, und Sie mißtrauen den Kräf-ten der Volkswirtschaft.
Dies wird deutlich, wenn man sich die Eckwerte desBundeshaushaltes von 1999 bis zum Jahr 2003 ansieht.Der Anteil der vom Bund zu leistenden Ausgaben wirdan keiner Stelle so kontinuierlich wie bei den investivenAusgaben abgeschmolzen.
Gerade heute stehen wir alle hier und klagen darüber,daß ein großes Unternehmen in Frankfurt, nämlich diePhilipp Holzmann AG, in eine schwierige Lage geratenist.
Alle äußern sich dazu. Der Bundeskanzler hat sich of-fensichtlich für den ganzen heutigen Tag entschuldigenlassen, weil er Gespräche mit Betriebsräten der PhilippHolzmann AG führt. Dies ist aller Ehren wert. Nur, ichsage Ihnen: Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel fürInvestitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbausnicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammen-streichen würden,
dann gäbe es möglicherweise morgen noch die PhilippHolzmann AG, und dann gäbe es in den nächsten Jahrenganz sicher eine Reihe von großen, mittleren und klei-nen Unternehmen mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen.Diese Zahl der Arbeitsplätze läge über der, die Sie mitIhrer Politik zu verantworten haben.
Diejenigen, die heute hier sind, um diese Debatte unddie Bemühungen der Politik zu verfolgen, ein Unter-nehmen wie die Philipp Holzmann AG zu sanieren,werden sich natürlich die Frage stellen: Warum reagiertdie Politik eigentlich, wenn es sich um große Unterneh-men handelt, deren Namen in jedermanns Mund sindund die jeder kennt, und warum reagiert die Politiküberhaupt nicht, wenn zum selben Zeitpunkt und im sel-ben Umfang Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Un-ternehmen zerstört werden, die niemand von uns in Ber-lin mit Namen kennt? An dieser Stelle wird die Un-glaubwürdigkeit solcher Aktionen wie der Gesprächedes Bundeskanzlers mit den Betriebsräten der PhilippHolzmann AG deutlich.
Sie bestreiten heute erneut, daß die öffentlichenHaushalte genügend Spielräume besitzen.
– Nein, ich möchte dies im Zusammenhang vortragen,Herr Kollege Poß.
Ich soll Sie übrigens herzlich von Ihrem Oberbürgermei-ster grüßen.
Wollen
Sie keine Zwischenfrage zulassen?
Doch, ich lasse eine
zu.
Bitte
schön, Herr Poß.
Herr Merz, ist Ihre Äußerung
so zu verstehen, daß Sie eventuelle Stützungsmaßnah-
men, die der Bundeskanzler, die Bundesregierung sowie
offenbar auch die hessische Landesregierung im Zu-
sammenhang mit Holzmann erwägen, ablehnen?
Herr Kollege Poß, im-mer dann, wenn ich in den letzten Wochen gesprochenhabe, haben Sie ständig Zwischenrufe gemacht. So ist esauch heute gewesen. Deswegen können Sie offensicht-lich gar nicht mehr verstehen, was ich sage. Sie habenschon gemerkt, daß mich dies nicht sonderlich beein-druckt. Auf Ihre Frage antworte ich: Alle Bemühungen, Ar-beitsplätze in großen, mittleren und kleinen Unterneh-men zu retten, sind notwendig und richtig. Aber ich sageIhnen: Wenn sich der Fokus der Politik ausschließlichFriedrich Merz
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auf große Unternehmen richtet und gleichzeitig nicht dieBedingungen für kleine und mittlere Unternehmen soverbessert werden, daß sie auch ohne öffentliche Unter-stützung Arbeitsplätze schaffen und Investitionen vor-nehmen können, dann ist das ein großer Fehler. Ihr Sa-nierungsversuch ist aller Ehren wert. Aber er reicht nichtaus, um die Probleme der Volkswirtschaft der Bundes-republik Deutschland zu lösen. Nichts anderes, HerrKollege Poß, habe ich zum Ausdruck gebracht.
Sie von der rotgrünen Koalition bestreiten, daß wirin der Lage sind, eine Steuerreform mit einer wirk-lich nachhaltigen Nettoentlastung durchzuführen. Ichmöchte Ihnen die Zahlen noch einmal in Erinnerung ru-fen. Offensichtlich lebt Politik von der Wiederholung.Deswegen wiederhole ich folgende Zahlen:
Bund, Länder und Gemeinden, Herr Eichel, verfügen imJahr 2000 über 905 Milliarden DM an Steuereinnahmen.Das sind im Vergleich zu 1998 rund 50 Milliarden DMmehr. Im Jahr 2001 werden die Steuereinnahmen vonBund, Ländern und Gemeinden noch einmal um 27 Mil-liarden DM höher sein. Wenn wir, wie andere auch, derAuffassung sind, daß eine Nettoentlastung von minde-stens 30 Milliarden DM möglich sein sollte, dann wollenwir im Jahr 2001 – nehmen wir diesen Zeitpunkt alsBeispiel – nicht mehr und nicht weniger als die Hälfteder Steuermehreinnahmen, die Sie als Finanzministererzielt haben, an die Bürgerinnen und Bürger sowie andie Unternehmen dieses Landes zurückgeben. Wer an-gesichts dieser Höhe der Steuermehreinnahmen bestrei-tet – –
Herr
Kollege von Larcher, das stört die Debatte. Ich würde
Sie bitten, wieder Ihren Platz einzunehmen. – Bitte
schön.
Der Blick des Kolle-gen Larcher von der Regierungsbank stört mich aller-dings fast mehr, als wenn er ständig dazwischenredet.
Wer vor diesem Hintergrund ernsthaft bestreitet, daßeine Steuerreform mit einer Nettoentlastung von minde-stens 30 Milliarden DM möglich ist, der hat in der Bun-desrepublik Deutschland jeden wirtschafts- und finanz-politischen Gestaltungsanspruch aufgegeben. Das ist dieLage.
Ich will Ihnen, Herr Eichel, damit Sie das jetzt nichtwieder als Oppositionsgerede abtun, sagen
– das wissen Sie –, was der Sachverständigenrat dazugeschrieben hat:Den Bürgern und den Unternehmen muß eine Net-toentlastung gewährt werden. Nur so läßt sich dieDynamisierung unserer Volkswirtschaft erreichen.
Unsere Vorstellungen– Sachverständigenrat –gehen dahin, daß hierfür ein Volumen von 30 Mil-liarden DM durchaus angemessen ist.Meine Damen und Herren, das ist nicht Opposition,sondern das ist der Sachverständigenrat. Er sagt dannweiter – damit Sie das auch noch hören –:Die jetzt beschlossene Tarifsenkung ist nicht hin-reichend, um die Investitions- und Leistungsbereit-schaft unserer Wirtschaft zu verbessern. Insbeson-dere– jetzt kommt nicht Klassenkampf von oben, sondernjetzt kommen die Sachverständigen –müßte der Spitzensteuersatz deutlich abgesenktwerden. Ihn im Jahre 2002 nur bis 48,5 Prozent zu-rückzuführen, das ist entschieden zu wenig.
Meine Damen und Herren, das sagt der Sachverstän-digenrat. Wenn Sie ihn allerdings nicht mehr hörenwollen – der Kollege Poß zeichnet sich durch eine be-merkenswerte Beschimpfung der Sachverständigen aus,die er in letzter Zeit gemacht hat –,
nachdem er etwas gesagt hat, was großen Teilen der rot-grünen Koalition offensichtlich nicht gefällt, dann fra-gen Sie den Sachverständigenrat doch auch nicht mehr.Dann geben Sie doch den gesetzlichen Auftrag zurück,daß Sie sich von Sachverständigen etwas sagen las-sen, was in zentralen Fragen der Wirtschafts- und Fi-nanzpolitik dieses Landes von entscheidender Bedeu-tung ist!
Friedrich Merz
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Ich will kurz auf ein weiteres Thema zu sprechenkommen, das Sie auch nicht angesprochen haben, dasaber in einer allgemeinen Aussprache der Finanzpolitikin Deutschland gerade heute wohl Erwähnung verdient,nämlich die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts zum Länderfinanzausgleich.Ich kann gut verstehen, daß Sie gerade als ehemaligerhessischer Finanzminister, der seine Staatssekretärenach Karlsruhe geschickt hat, um dort heftig gegen dieseKlage zu polemisieren, davon Abstand genommen ha-ben, heute dazu etwas zu sagen. Sie sind Kläger in die-sem Verfahren gewesen. Das Bundesverfassungsgerichthat den Ländern zunächst aufgegeben, eine Neuordnungdes Länderfinanzausgleichs vorzunehmen.Aber, meine Damen und Herren, darin steckt auch eingrundsätzliches Problem, nämlich das der Finanzbezie-hungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Ichmeine, daß es an der Zeit ist, gerade heute, da wir dieseallgemeine Aussprache haben, darauf hinzuweisen, daßwir wahrscheinlich so schnell nicht wieder eine Chancebekommen, vor dem Hintergrund dieser Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts die Finanzbeziehungenzwischen Bund, Ländern und Gemeinden völlig neu zuordnen.Ich will Ihnen, Herr Eichel, ausdrücklich anbieten,daß wir in einer Finanzverfassungsreform zwischenBundestag und Bundesrat jetzt an die Arbeit gehen, dienotwendigen Entscheidungen dazu zu treffen; dennwenn Sie den Föderalismus in Deutschland wirklichstärken wollen, dann können Sie das nicht nur auf derEbene der Länder untereinander tun, sondern dann mußauch der Bund seinen Beitrag dazu leisten.Ich zitiere erneut aus einem Sachverständigengut-achten. Wiederum ist niemand von Ihnen darauf einge-gangen, obwohl dieses Zitat aus einer Zeit stammt, inder Sie noch in der Opposition waren.Wer den Föderalismus wirklich stärken und eineBasis für grundlegende Reformen will,– das sagte der Sachverständigenrat im Jahresgutachten1997/98 –der muß sich mit den Fragen der Finanzverfassungauseinandersetzen und prüfen, wie Voraussetzun-gen geschaffen werden können, die es ermöglichen,vernünftigen Regelungen in der Finanzpolitik inDeutschland zum Durchbruch zu verhelfen.Wir bieten Ihnen ausdrücklich an, daß wir dieses sehrschwierige Thema der Beziehungen der Finanzen zwi-schen Bund, Ländern und Gemeinden jetzt vor demHintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts neu ordnen, neu regeln und damit auch einenTeil der von Ihnen zu Recht reklamierten Handlungsfä-higkeit der öffentlichen Haushalte, insbesondere der desBundes, zurückgewinnen. Wir bieten Ihnen das an, HerrBundesfinanzminister, weil Sie, wie ich finde, richti-gerweise gesagt haben, eine Entscheidung über denweiteren Fortgang der Debatte über die Finanzbeziehun-gen zwischen Bund und Ländern sollte erst getroffenwerden, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Ent-scheidung getroffen hat. Es hat diese getroffen, jetzt istdie Politik aufgefordert zu handeln.
Ich komme zum Schluß auf etwas zu sprechen, dasnicht Sie, sondern der Bundeswirtschaftsminister, denich gerne bei dieser heutigen Debatte gesehen hätte, imZusammenhang mit einer Kompetenz, die er eigentlichgar nicht mehr hat – er hat die Zuständigkeit für den Jah-reswirtschaftsbericht ja abgeben müssen – zum Themagemacht hat. Er hat zu Beginn des Jahres in Konkurrenzzum Jahreswirtschaftsbericht des Finanzministers einenWirtschaftsbericht für 1999 aufgestellt und in ihm ge-schrieben, er hielte es für richtig, die Staatsquote in derBundesrepublik Deutschland langfristig auf 40 Prozentabzusenken. Das klingt ziemlich technisch; die meistenMenschen in Deutschland verstehen vermutlich garnicht, was sich dahinter verbirgt. In Wahrheit steckt da-hinter die für die im Wettbewerb stehende Volkswirt-schaft der Bundesrepublik Deutschland entscheidendepolitische Frage, wie hoch in Zukunft der Verbrauch desStaates an dem sein soll, was die Menschen und Betrie-be in diesem Lande erwirtschaften.Die Staatsquote liegt gegenwärtig bei knapp unter 50Prozent. In Folge Ihrer Politik, Herr Bundesfinanzmi-nister, wird sie eher steigen als sinken.
Wir bieten Ihnen aber ausdrücklich an, die notwendigenEntscheidungen mitzutragen, um dem Ziel der Absen-kung der Staatsquote um rund 8 Prozentpunkte nahezu-kommen, das der Bundeswirtschaftsminister völlig zuRecht formuliert hat.
Meine Damen und Herren, damit wir uns über dieDimension dieser Aufgabe klar sind: Die Absenkung derStaatsquote um rund 8 Prozentpunkte gegenüber derStaatsquote des Jahres 1998 als Bezugsgröße würde be-deuten, daß auf öffentliche Ausgaben in Höhe von rund320 Milliarden DM verzichtet wird.
Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dann müssen wirüber einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren auf dieAusweitung aller öffentlichen Ausgaben verzichten.Dies dürfte in einem Land wie der BundesrepublikDeutschland, das auf beständigen Zuwachs desWohlstandes und des Lebensstandards eingerichtet ist,als äußerst dramatisch empfunden werden. Die zurück-gewonnene Handlungsfreiheit durch ein höheres Brut-toinlandsprodukt pro Kopf wird das nicht aufwiegenkönnen. Lassen Sie uns deswegen wenigstens versu-chen, für die Auffassung zu werben, daß der Anteil desöffentlichen Sektors am Sozialstaat nicht weiter ausge-baut werden darf, sondern Schritt für Schritt zurückge-führt werden muß.
Friedrich Merz
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6434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Die deutsche Gesellschaft ist ganz anders als die ame-rikanische anfällig – das haben wir heute leider wiedererlebt – für Neidkomplexe in der Politik. Sie ist ganzanders als die britische nicht bereit, größere Konflikte zuertragen und auszutragen. Sie ist ganz anders als etwadie französische Gesellschaft nicht bereit, größereWohlstandsunterschiede hinzunehmen. Die deutscheBevölkerung ist aber offensichtlich bereit, Veränderun-gen zu akzeptieren. In ihrer Mehrheit ist sie auch bereit,den Weg zu einem politisch definierten Ziel mitzugehen.Helmut Kohl hat dies 1983 bewiesen.Die Sozialdemokraten haben den Wählern im letztenJahr Erfolg ohne Anstrengung versprochen. Dieser Er-folg wird sich mit Ihrer Politik nicht einstellen.
Im Gegenteil: Die Enttäuschung wird noch größer wer-den.
Die Koalition fordert nämlich nicht mehr Verantwortungvon den Menschen, von der Politik, von den Tarifver-tragsparteien und von jedem an seinem Platz. Sie orga-nisiert am runden Tisch Verantwortungslosigkeit.
Sie verhindern so seit mehr als einem Jahr, daß der Wegzu einer besseren Zukunft Deutschlands beschrittenwird.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
zu einer Kurzintervention dem Kollegen Oswald Metz-
ger, Bündnis 90/Die Grünen.
Auch ein Merz kann die Glaubwürdigkeitslücke derUnion nicht schließen, selbst wenn er intellektuell redli-cher als Austermann argumentiert.
Ich möchte das an drei Beispielen zum Thema Verdrän-gung aufzeigen:Erstens. Kollege Merz, wenn Sie dieser Koalitionvorwerfen, das ehrgeizige Ziel einer Staatsquote von 45Prozent nicht erreichen zu können, und gleichzeitig ver-drängen, daß im September, im Oktober und im laufen-den Monat Ihre Parteigänger auf jeder Veranstaltung,auf der Leute gegen das Sparpaket opponieren, aufste-hen und Arm in Arm mit der Opposition gegen dasSparpaket marschieren, dann frage ich Sie, wo IhreMitwirkung an der Reduzierung der Aufgaben desStaates ist, die nur mit Konsolidierungsmaßnahmen ein-hergehen kann. Als Beispiel für den erforderlichen Sub-ventionsabbau nenne ich die Gasölbetriebsbeihilfe beider Landwirtschaft.
Zweitens. Sie behaupten hier allen Ernstes, daß dieKoalition Privatisierungserlöse aus dem Verkauf derTelekom-Aktien in den Haushalt einstellen wolle. DieseKoalition hat eine Passage in das Haushaltsgesetz 2000aufgenommen, in der es heißt, daß sämtliche Privatisie-rungserlöse aus dem Telekommunikationsbereich für dieTilgung alter Schulden verwendet werden,
und zwar mit der eindeutigen Argumentation, daß da-durch Zinszahlungen in Zukunft vermieden werden unddamit auch in 30, 40 oder 50 Jahren die Pensionen frü-herer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Postunter-nehmen gezahlt werden können. Das ist ebenso dieWahrheit.Wenn ich Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Auster-mann, höre, dann erinnere ich Sie an einen Ihrer Spar-vorschläge im Haushaltsausschuß, der besagte, durch diePrivatisierungserlöse die Einnahmenseite um 6 Milliar-den DM zu erhöhen.
– Einnahmeverbesserungsmaßnahme durch Privatisie-rung? Dazu kann ich nur sagen: Verdrängung wie Annodunnemals, als Sie an der Regierung waren und mit Pri-vatisierungserlösen das strukturelle Defizit zugedeckthaben, damit Sie auf dem Papier einen verfassungsge-mäßen Haushalt vorlegen konnten. Dieses Spiel machtdiese Koalition nicht mehr mit.
Drittens. Herr Kollege Merz, Sie haben uns eben an-gegriffen, weil die Sachinvestitionen relativ und nominalleicht zurückgehen. Ich zitiere aus einer Publikation ei-nes Instituts, das auch Sie als finanzpolitischer SprecherIhrer Fraktion gern zitieren und das die Quelle des heu-tigen Artikels im „Handelsblatt“ auf Seite 5 ist. Ich mei-ne die Schrift „Entwicklung wesentlicher Daten der öf-fentlichen Finanzwirtschaft“ vom Institut Finanzen undSteuern e. V. Ich lese nur zwei Sätze vor, die in dem Be-richt über die zehn Jahre von 1988 bis 1998 auf Seite 9enthalten sind:Die öffentlichen Sachinvestitionen gingen seit derRezession 1993 nicht nur relativ, sondern sogar inabsoluten Beträgen zurück. Ihr Gesamtausgaben-anteil erreichte 1998– dem letzten Jahr Ihrer Regierungstätigkeit –mit nur 6,8 v. H. sein bisher tiefstes Niveau inDeutschland.Friedrich Merz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6435
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Ich sage dazu nichts weiter; das reicht eigentlich.
Nun erteile ich dem
Kollegen Dietrich Austermann das Wort zu einer Kurz-
intervention.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Merz hat
erneut deutlich unterstrichen, welche Alternative von
unserer Seite angeboten wird. Unsere Alternative be-
inhaltet, daß wir die Neuverschuldung um 10 Milliar-
den DM weiter zurückführen wollen, als es die Bundes-
regierung getan hat.
– Sie saßen doch vorhin auf Ihrem Platz, als ich es
vom Rednerpult aus darstellte. Sie müssen es an den
Ohren haben, Herr Schlauch. Ich habe vorhin aus-
drücklich gesagt, daß wir die Neuverschuldung um
weitere 10 Milliarden DM zurückführen wollen. Da-
für haben wir auch konkrete Kürzungsvorschläge ge-
macht.
Jetzt nehme ich noch einmal Bezug darauf, was der
Bundesfinanzminister selber bestätigt hat. Er sagte, für
die aktive Arbeitsmarktpolitik stünden im nächsten Jahr
46 oder 47 Milliarden DM und damit 7 Milliarden DM
mehr als vorher zur Verfügung. Wir sagen,
40 Milliarden DM reichen. Aber niemand kann doch den
Eindruck vermitteln wollen, daß wir uns darum drück-
ten, etwas für besonders Schwache auf dem Arbeits-
markt zu tun.
Jetzt kommt die Frage der Einnahmeverbesserung –
nicht der Ausgabekürzung – durch Telekomlizenzen,
die der Finanzminister verschwiegen hat. Im Haushalts-
plan des Wirtschaftsministers – nicht im Etat des Fi-
nanzministers wie sonst bei Privatisierungen – ist ein
Vermerk angebracht, der besagt, daß Zuflüsse aus Erlö-
sen aus dem Verkauf von Telekomlizensen zur Verrin-
gerung der Verschuldung verwendet werden können.
Was ist das denn für eine Politik, die Neuverschuldung
unnötig aufzublähen, aber gleichzeitig zu behaupten,
man führe die Tilgung zurück?
Die heutigen Zinsen sind im Vergleich zum Arbeits-
markt relativ günstig. Also ist es doch logisch zu sa-
gen: Es gibt von vornherein eine niedrigere Neu-
verschuldung, und ich setze dafür das ein, was ich
im Laufe des Jahres erlöse und was im nächsten Jahr
fällig ist. Warum macht er das nicht? Nicht etwa, weil er
die Neuverschuldung zurückführen will, sondern zur
Abwehr der verständlichen und berechtigten und von
Friedrich Merz auch begründeten Begehrlichkeit, Steu-
ern abzusenken. Herr Eichel ist ein Mann für hohe Steu-
ern und für hohe Schulden und nicht für das genaue Ge-
genteil.
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention erhält der Kollege Karl Dil-
ler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Wir haben gerade
wieder staunend zur Kenntnis nehmen müssen, daß der
Kollege Austermann einen einmaligen Einnahmevor-
gang zum Anlaß nimmt, um auf Dauer auf Einnahmen
zu verzichten. Das ist die typische Milchmädchenrech-
nung, die er in seiner Regierungsverantwortung ständig
angestellt hat.
Es ist mehrfach zu Recht kritisiert worden, wie leicht-
fertig der Kollege Austermann mit der Wahrheit um-
geht. Aber der Kollege Merz steht ihm in nichts nach.
Dieser hat eben sinngemäß behauptet, wir kürzten die
Investitionen um ziemlich genau den gleichen Betrag,
den wir der Bundesanstalt für Arbeit für aktive Arbeits-
marktpolitik zur Verfügung stellten. Wir stellen der
Bundesanstalt 7,8 Milliarden DM zur Verfügung. Ge-
messen daran müßten im nächsten Jahr die Investitionen
auf 50 Milliarden DM zurückgehen. Sie gehen aber
nicht auf 50 Milliarden DM zurück, sondern sie betragen
erfreulicherweise 57,5 Milliarden DM. Kein Wort ist
wahr von dem, was Herr Merz sagt.
Nun erteile ich dem
Staatsminister Rolf Schwanitz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Merz! Ich will ebenfalls noch einWort zu Ihrem Redebeitrag verlieren. Auch nachdem ichnunmehr bereits acht Jahre dem Parlament angehöre, hates für mich eine besondere Qualität, mit welcher Selbst-gerechtigkeit Sie die finanziellen Hinterlassenschaftenverteidigen, mit denen wir jetzt zurechtkommen müssen.Ich habe gelernt: Sie haben alle keine Fehler ge-macht. Debatten haben wir in den letzten 8 Jahren nichtgeführt: keine Debatte über die Treuhandanstalt, keineDebatte über den Solidaritätszuschlag, keine Debatteüber die Steuerlöcher bei den Sonderabschreibungen.Das alles hat es nicht gegeben. Daran schuld ist entwe-der die Erblast vor 1989 oder der Aufbau Ost.Ich sage ausdrücklich: Ich habe Verständnis dafür,daß man die eigene Politik verteidigt. Aber hören Sieauf, die Bürgerinnen und Bürger in den neuen LändernOswald Metzger
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6436 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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für Ihre verfehlte Finanzpolitik kollektiv in Haftung zunehmen!
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalts-planentwurf 2000 gelingen zwei große Kraftanstrengun-gen. Zum einen gelingt es, Handlungsfähigkeit zurück-zuerlangen. Dies ist auch für die Zukunftsaufgabenwichtig. Das ist besprochen worden. Zum zweiten hatder Aufbau Ost weiterhin Priorität. Das ist wichtig, dasbraucht der Osten. Da Sie dies in Frage gestellt haben,will ich das an Hand von vier zentralen Politikfeldern indieser Debatte noch einmal in Erinnerung rufen.Das erste Politikfeld, das ich ansprechen möchte, istdie Wirtschafts- und Innovationspolitik. Wir werden indiesem Haushalt 2000 ein neues Förderungsinstrumentschaffen, und zwar das Programm Inno-Regio. Dies istein ganz neuer zentraler Förderansatz, mit dem wir inden nächsten Jahren 25 ostdeutsche Modellregionen för-dern werden. 500 Millionen DM werden in den nächstenJahren zur Verfügung gestellt, um kleine und mittelstän-dische Unternehmen, die einen großen Bedarf an Netz-werken haben, und regionale Innovationspotentiale zu-sammenzuführen. Dies ist ein richtiger Schritt im Inter-esse Ostdeutschlands, meine Damen und Herren.
Zweitens machen wir nicht Schluß mit dem Pro-gramm FUTOUR. Dieses Programm stammt noch ausIhrer Amtszeit. Aber Sie wollten es im Gegensatz zu unsEnde 1999 schließen. Hierzu befindet sich noch ein Ent-schließungsantrag von Ihnen im parlamentarischenRaum. Über diesen wollen Sie am Donnerstag abstim-men. Wir haben 80 Millionen DM zusätzlich in den Etat2000 eingestellt. Wir werden dieses für technologieori-entierte Existenzgründungen wichtige Förderprogrammnicht auslaufen lassen, sondern wir werden es fortfüh-ren. Für die nächsten drei Jahre ist dies gesichert. Diesist eine wichtige Investition in die Zukunft Ostdeutsch-lands.
Das zweite Politikfeld – vorhin ist es schon genanntworden –, das ich Ihnen gerne in Erinnerung rufenmöchte, ist der Infrastrukturausbau. Beim Investiti-onsprogramm „Verkehr“ gibt es eine klare Priorität Ost.Der Anteil für den Osten liegt bei knapp 50 Prozent, be-zogen auf das gesamte Ausgabevolumen. Aber das istnicht alles: Zum erstenmal besteht Planungssicherheitfür die infrastrukturellen Leistungen in den nächsten dreiJahren. Das ist eine wichtige Botschaft dieser Haus-haltsberatung hinsichtlich der Bauwirtschaft und der Ar-beitsplätze am Bau.
Ich will ausdrücklich sagen: Trotz der Unterfinanzie-rung beim Bundesverkehrswegeplan, die Sie uns hinter-lassen haben, werden wir im Bundeshaushalt 2000 zumBeispiel beim Bundesstraßenbau über dem Ausgabe-volumen liegen, das Sie 1998 für den Straßenausbau inOstdeutschland bereitstellen wollten. Wir werden näm-lich 4,3 Milliarden DM im Jahr 2000 für den Straßen-ausbau in Ostdeutschland bereitstellen.
Das ist genausoviel, wie Sie 1998 – im Jahr des Bun-destagswahlkampfes hatten diese Ausgaben einen Spit-zenwert erreicht – bereit waren bereitzustellen. Das istmehr als 1997, als der entsprechende Betrag bei4,1 Milliarden DM lag; das ist auch mehr als 1996, alsder Betrag unter 4 Milliarden DM, nämlich bei3,9 Milliarden DM, lag. Ich sage noch einmal: TrotzUnterfinanzierung sind die Ausgaben für den Straßen-bau in Ostdeutschland genauso hoch wie 1998. Das istdie Situation.
– Wahrscheinlich nicht. Deswegen rufe ich ihm dieseTatsache in Erinnerung.Zum wichtigen KfW-Wohnraummodernisierungs-programm hat der Finanzminister das Nötige gesagt. Icherinnere aber auch an das Thema der Altschulden derostdeutschen kommunalen Wohnungsunternehmen. Seitdem Regierungswechsel haben wir 1 000 ostdeutschenWohnungsunternehmen – das sind fast 50 Prozent derentsprechenden Unternehmen – einen Freistellungsbe-scheid erteilt. Diese Erleichterungen werden fortgeführt.Eine Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz wird vorbe-reitet werden. Auch das ist eine wichtige Botschaft fürOstdeutschland.Nicht nur bezüglich der harten Fakten, sondern auchbezüglich der weichen Standortfaktoren hat der AufbauOst Priorität. Ich erinnere in diesem Zusammenhang anden Goldenen Plan. Wir werden im Haushalt 2000 denGoldenen Plan fortsetzen. 15 Millionen DM sind dafüreingestellt; Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von30 Millionen DM sind vorgesehen. Damit ergibt sich einGesamtinvestitionsvolumen für den Sportstättenbau inOstdeutschland von über 66 Millionen DM. Das istwichtig für die Motivation und die Orientierung der Ju-gend. Entsprechende Maßnahmen werden im Haushalt2000 fortgesetzt. Das ist eine wichtige Entscheidung.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Zen-tralstadion in Leipzig – es gibt nicht nur das Olympia-stadion in Berlin – erwähnen. Wir wollen, daß es in Ost-deutschland nicht nur gute Fußballspieler gibt, sondernwir wollen auch, daß dort geeignete Arenen für großeFußballspiele vorhanden sind. Wir werden dafür100 Millionen DM bereitstellen. Im Jahre 2000 werdenes 20 Millionen DM sein. Die Verpflichtungsermächti-gungen liegen vor. Dies ist eine wichtige Entscheidungim Interesse des Ostens.Das dritte Politikfeld, das ich ansprechen möchte –dieses Thema wird zwar Ihre Aufmerksamkeit nicht fin-den; ich spreche es aber trotzdem an –, betrifft die Zu-wendungen für besonders Benachteiligte – Stichwort:HCV-Geschädigte. Dabei handelt es sich um die Opfereines der größten Medizinskandale zur DDR-Zeit. Siehaben während Ihrer Regierungszeit diese OpfergruppeStaatsminister Rolf Schwanitz
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völlig leer ausgehen lassen. Wir haben in unserer Amts-zeit gemeinsam mit den Ländern eine Entschädigung aufden Weg gebracht und 10 Millionen DM eingestellt.
Im Rahmen dieser Haushaltsberatungen sind weitere15 Millionen DM im Etat vorgesehen. Wir können damitdie Einmalentschädigungen vorziehen und die laufendenEntschädigungen verbessern. Das sind wichtige Maß-nahmen, um in diesem Bereich eine Befriedung zu errei-chen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang daran er-innern – wir werden am Freitag noch die zweite unddritte Lesung zum SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ha-ben –, daß wir jetzt, gekoppelt mit dem Bundeshaushalt2000, endlich eine Verbesserung der Haftentschädi-gung erreichen, nachdem die Betroffenen, nämlich diepolitisch Verfolgten, die unter schwersten Haftbedin-gungen gelitten haben, jahrelang auf eine einheitlicheKapitalentschädigung von 600 DM pro Haftmonat ha-ben warten müssen. Auch das ist ein wichtiges Signal inRichtung der Benachteiligten in Ostdeutschland, die vonIhnen vernachlässigt worden sind.
Das vierte Politikfeld – es hat heute mehrfach eineRolle gespielt, aber ich kann Ihnen das nicht ersparen –ist die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir werden daswichtige und wie ich ausdrücklich sage: segensreicheJugendsofortprogramm auch im nächsten Jahr fortset-zen. Die 2 Milliarden DM mit dem Anteil von 40 Pro-zent in Ostdeutschland sind nicht nur wichtig, sondernauch weiterhin notwendig. Auch das haben Sie hier mitkeinem Wort positiv erwähnt. Ich hätte mir da ein posi-tives Signal von Ihnen gewünscht.
Alle Kassandrarufe, die ich in den ersten Wochen derHaushaltsberatung von Ihnen gehört habe – damals ha-ben Sie noch ganz anders getönt, da wollten Sie denBundeszuschuß noch nicht kürzen oder gar streichen –,nämlich daß die Regierung die ganze aktive Arbeits-marktpolitik in Ostdeutschland zusammenstreichenwolle, sind jetzt verstummt. Heute, am Ende der Haus-haltsberatungen, ist völlig klar: Wir haben eine Stabilitätder aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland. DasAuf und Ab hört endlich auf. Aktive Arbeitsmarktpolitikist nicht mehr ein Instrument im Interesse einer einseiti-gen parteipolitischen Orientierung, das nur kurz imWahlkampf eingesetzt wird, sondern aktive Arbeits-marktpolitik gehört nur noch einem Ziel untergeordnet,nämlich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das isteine richtige Entscheidung.Letzte Bemerkung. Sie haben das im Haushaltsaus-schuß beantragt und werden es wahrscheinlich auch hierwieder tun: Sie wollen den Bundeszuschuß auf Null he-runterfahren. Das würde bedeuten – das muß man denOstdeutschen sagen –, daß wir etwa 20 Prozent aller ak-tiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Ost-deutschland streichen müßten. 200 000 Arbeitslose inOstdeutschland würden sofort in die passive Arbeitslo-sigkeit geschickt, wenn Sie so könnten, wie Sie wollen.Ich sage Ihnen: Einen solchen Kahlschlag wird es mituns nicht geben.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die großen Themen sindheute weitestgehend schon angesprochen worden. Aberich glaube, auf zwei Dinge sollte man noch einmal ein-gehen.Wir waren vorhin sehr emotional, als es um die Pri-vatisierungserlöse ging. Ich kann mich des Eindrucksnicht erwehren, daß auch hier wieder ein Stückchen ge-schummelt wird. Sicherlich ist es richtig, daß Privatisie-rungserlöse im neuen Bundeshaushalt zurückgefahrenwerden sollen. Aber im Einzelplan 08 zum Beispiel stehtunter Tit. 131 01, daß man die Privatisierungserlöseaus Rückführungen von Treuhandunternehmen um1,1 Milliarden DM erhöht. Herr Finanzminister, wennSie sich erinnern: Ich habe Ihnen im Haushaltsausschußnach der Zahl gefragt, und Ihr Adlatus, Ihr Beamter, hatIhnen eine falsche Zahl gegeben. Aber es ist richtig, daßaus den Treuhandunternehmen Ost 1,1 Milliarden DMabgezogen werden. Da kann ich eigentlich nicht verste-hen, wieso Herr Schwanitz hier von einem Wahnsinns-Aufbau Ost gerade in puncto Treuhandnachfolgeunter-nehmen spricht. Denn all die Treuhandnachfolgeunter-nehmen, die das Geld jetzt bei der BvS abliefern müs-sen, haben größte Schwierigkeiten damit, daß dieStrukturanpassungsmaßnahmen – die Sie auch in derdeutschen Braunkohle im Lausitzer Gebiet, beim Abbauder Kernkraftwerke in Mecklenburg-Vorpommern oderin den Braunkohlegebieten in Mitteldeutschland durch-führen – beschnitten werden. Das halte ich nicht für dasNonplusultra oder das Gelbe vom Ei.
Eine Bemerkung zum Kollegen Wagner. Herr Kolle-ge Wagner, wenn wir über die Verschuldung reden,sollten wir das fair tun. Es sind hier auch einige Bun-desländer angesprochen worden. Als Herr Ministerprä-sident Lafontaine 1985 im Saarland die Geschäfte über-nommen hat, hatte das Saarland eine Staatsverschuldungvon zirka 6 Milliarden DM. In der Spitzenzeit der La-fontaineschen Regierung hat sich diese Staatsverschul-dung dann allerdings auf 15 Milliarden DM erhöht.
Staatsminister Rolf Schwanitz
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– ihr seid dann ein Stückchen entschuldet worden; dasist in Ordnung –, und das bei einer konstanten Einwoh-nerzahl von zirka 1 Million.Wenn man diese Schulden hochrechnet, das Lafon-tainesche Modell für die ganze Bundesrepublik geltenläßt und dementsprechend davon ausgeht, daß die Bun-desrepublik Deutschland 80 Millionen Einwohner hat,dann hätten wir in kürzester Zeit 1,2 Billionen DMSchulden. Ich glaube, es ist gut, daß die SPD keinenFinanzminister Lafontaine mehr hat.Aber angesichts der vorhandenen 1,2 Billionen DMSchulden sollte man nicht so kleinkrämerisch sein. Die-se aufgelaufenen Schulden sind ein Ergebnis der deut-schen Teilung – ich betone das. Die müssen wir über-winden und die in deren Folge entstandenen Schuldenauch heute noch abtragen. Diese Schulden – darauf istschon von meinen Vorrednern hingewiesen worden –werden wir in gut einer Generation abzutragen in derLage sein. Darauf war die mittelfristige Finanzplanungvon Finanzminister Waigel ausgerichtet.Herr Minister Eichel, die Sparvorschläge, die Sie ins-gesamt in Ihrem sogenannten Finanzkonzept vorlegen,die ja im Grunde genommen einen Verschiebebahnhofzu Lasten anderer öffentlicher Kassen darstellen, undzwar einen Verschiebebahnhof hin zu den Kommunenbeim Wohngeld, beim Wegfall der originären Arbeitslo-senhilfe, bei der Reduzierung des Bundesanteils imRahmen des Unterhaltsvorschusses und bei der Erhö-hung der Kostenbeteiligung für Zivildienstleistende,werden dazu führen, daß die Kommunen in eine größereNotlage geraten. Das bezeichne ich nicht als Sparmaß-nahme. Vielmehr ist dies ein Taschenspielertrick, indemSie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob Sie denHaushalt wirklich solidieren würden.
Ich glaube, hier im Raum befindet sich niemand, deres anzweifelt, daß die Kommunen in den neuen Bun-desländern, wenn das von Ihnen Vorgesehene tatsäch-lich auf sie zukommt, eine ganz besondere Last tragenwerden. Ich hoffe, daß im Bundesrat noch Korrekturenmöglich sind. Denn der Spielraum der Kommunen inden neuen Bundesländern, die mit einer viel geringerenFinanzausstattung zu kämpfen haben und die durch In-frastrukturmaßnahmen, die sie noch durchführen müs-sen, zum Beispiel im Hinblick auf den Straßenbau, denBau von Gewerbegebieten usw., ein viel höheres struk-turelles Defizit auszugleichen haben, wird noch enger.Das kann nicht gut sein.Diesbezüglich finde ich es nicht so toll, daß Sie dieMittel für die GA „Ost“, die GA „Agrarstruktur“ und dieGA „Küstenschutz“ sowie für Verkehrsprojekte kürzen.Herr Schwanitz, ich weiß nicht, wie Sie davon sprechenkönnen, daß die geplanten Verkehrsprojekte so gutdurchgeführt werden.
Gerade im Hinblick auf die ICE-Strecke Erfurt–Nürn-berg haben wir Demonstrationen erlebt. Vielleicht istdas ja gar keine Verkehrsinfrastruktur; noch dazu betrifftsie die Schiene. Ich kann nicht verstehen, daß die Grü-nen das alles so mitmachen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich nochein paar Worte direkt zum Haushaltsplan desFinanzministeriums verlieren. Sie wissen ja, daß derBundesfinanzminister der oberste Dienstherr aller Zöll-ner ist und daß er auch ein wenig Dienstherr desBranntweinmonopols ist. Das wird ja jetzt alles abge-schafft. Er ist sogar zu einem geringen Teil nochDienstherr über die mehr oder weniger benötigten Lie-genschaften des Bundes.Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eineBemerkung, die für die Kommunen ebenso wichtig ist:Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß KollegeDiller in der vergangenen Legislaturperiode immer wie-der einen sogenannten Konversionsfonds zugunsten derSanierung nicht mehr benötigter sanierter Liegenschaf-ten eingefordert hat, um diese dann den Kommunen ko-stenlos zu übertragen. Da ja Kollege Diller nun mit denWeihen eines Parlamentarischen Staatssekretärs verse-hen ist, hätte ich mich eigentlich gefreut, daß das nunendlich einmal im Haushalt umgesetzt wird. Aber keineRede davon!
Denn diesbezüglich hat Kollege Diller ganz anders zu-geschlagen. Sie haben nämlich die unter der Regierungvon CDU/CSU und F.D.P. recht großzügig gehandhab-ten Verbilligungstatbestände und Stundungsmöglich-keiten so stark eingeschränkt, daß ab dem Haushalt 2001dies alles überhaupt nicht mehr möglich ist.Natürlich haben wir noch eine ganze Menge pro-blembehafteter Liegenschaften in den neuen Bundes-ländern. Sportanlagen, Schlösser, Krankenhäuser sowieehemalige WGT-Liegenschaften und NVA-Wohnungenkönnen den Kommunen zukünftig nicht mehr zu denbewährten günstigen Konditionen angeboten werden.Ich bedaure dies; ich sehe darin auch einen Widerspruchzu den vollmundigen Sonntagsversprechungen, daß manden Aufbau Ost ernst nehme und sich gerade um dieKommunen in den neuen Bundesländern so sorge.
Noch ein Wort zu den Zöllnern; ich erwähnte schon,daß der Bundesminister ihr oberster Dienstherr ist. Hierhört man von vielen Dingen. Das Zauberwort lautet„Organisationsstrukturreform“.
Wir wissen: Zwar hat die politische Verantwortung je-mand anders, aber die Zuarbeit erfolgt noch immerdurch die gleichen Leute. Wir alle haben da die eineoder andere schmerzliche Erfahrung gemacht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bundesfinanz-ministerium ist die Arbeitsgruppe „StrukturplanungBundesfinanzverwaltung“ gebildet worden. Dagegen istzunächst einmal überhaupt nichts einzuwenden; dennauch der von uns häufig zitierte und vielgeliebte Bun-Susanne Jaffke
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desrechnungshof wünscht, daß wir die Organisations-struktur verändern. Man muß sich aber schon wundern,auf welche Weise diese Gruppe arbeitet. Nichts Genauesweiß man nicht. Sie sitzen sehr konspirativ hinter ver-schlossenen Türen.
Das erinnert mich ein bißchen an die Zeit bis 1989. Ichwünsche mir, daß der Bundesfinanzminister weiß, wasdiese Gruppe so alles auf den Weg bringt.
Ich kann in diesem Zusammenhang nur sagen: Leider istdie Anhebung von 576 Stellen beim Zoll, was wir imRahmen des Haushaltsgesetzes 1999 beschlossen haben,nicht vollzogen worden. Man muß also fragen: Wie ge-setzestreu ist eigentlich diese Bundesregierung?Ich frage mich angesichts dieser Strukturveränderun-gen – der Zoll soll keine Kontrolle bei der Rauschgift-kriminalität ausüben und auch keine grenzpolizeilichenAufgaben mehr übernehmen –, wie der oberste Dienst-herr seiner Pflicht nachkommen will, seine Beamtenordnungsgemäß zu behandeln. Werden sie zu Beamtendes BGS umgeschult, oder wie sieht das aus? All das istdoch sehr in Frage zu stellen und verstetigt den Ein-druck, daß diese Regierung die Bevölkerung durch Täu-schung und Tricks auf den Irrweg führen will.
Alle Wahlergebnisse der letzten Zeit – das wird auch beizukünftigen Wahlergebnissen so sein –
belegen, daß unsere Bevölkerung nicht so einfallslos ist.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kol-
legen Hans Urbaniak, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Erstens, Frau Kollegin Jaff-ke: Bei den Mehreinnahmen, die wir den Treuhandun-ternehmen entziehen, handelt es sich nicht um1 Milliarde DM, sondern um 1 Million DM. Sie werdendas registrieren.Zweitens. Die Fragen bezüglich der Zöllner habenwir im Gespräch der Berichterstatter erörtert. Karl Dillerhat angesichts der Fragen, die geklärt werden mußten,auf die Veränderungen hingewiesen, die sich im Südwe-sten ergeben haben. Soweit es sich an anderen Stellenergibt, wird es hier zu einer sozialverträglichen Rege-lung kommen. Das ist doch selbstverständlich. Die Bun-desregierung wird in diesem Punkt ihrer Verantwortungvoll gerecht.
Drittens. Sie haben gefragt: Ist diese Bundesregierungdenn gesetzestreu? Laufen Sie nicht weg! Sie müssen essich anhören, Frau Kollegin: Selbstverständlich ist dieRegierung gesetzestreu. Wenn es nämlich nicht so wäre,müßten Sie hier den Beweis dafür erbringen. Darum istdas, was Sie hier gesagt haben, Polemik. Es gibt keinekonspirativen Gruppen in der Bundesregierung. Die mages in einer Partei geben, aber nicht in der Bundesregie-rung. Darüber sind wir uns doch klar, und das sage ichmit aller Deutlichkeit.Der Kollege Rexrodt ist leider nicht anwesend – oderkann es nicht sein. Ich möchte noch ein Wort zu der Si-tuation von Holzmann und Mannesmann sagen. Wennman so lange Arbeitnehmerinteressen vertreten durfteund derartige Pleiten miterlebt hat, dann muß man fest-stellen: Pleiten gehen immer zu Lasten von Beschäf-tigten, die ihre ganze Qualifikation in das Unternehmenhineingebracht und die zur Gewinnmaximierung desUnternehmens beigetragen haben. Wie ist es eigentlichin den Aufsichtsräten? Da ist doch die Intelligenz derdeutschen Banken vertreten.
Sind das denn alles Laienspielscharen, die dort auftre-ten? Sitzen die in den Aufsichtsräten herum und lassensich etwas vorgaukeln? Die sind doch wohl in der Lage,Gewinn- und Verlustrechnungen zu bewerten, Bilanzendarzulegen! Nach der neuesten gesetzlichen Regelungist dort auch der Wirtschaftsprüfer anwesend. Den kannman doch ausquetschen bis auf den letzten Punkt. DieseDamen und Herren haben völlig versagt. Das ist einQualitätsverlust, den wir in der BundesrepublikDeutschland feststellen müssen.
Ich hoffe, daß wir vor allen Dingen bei Holzmann zueiner Regelung kommen. Ich habe am Montag abend inmeiner Fraktion geschildert, wie sich das Beispiel AEGin Frankfurt dargestellt hat. Damals war LahnsteinFinanzminister, und Lambsdorff war Wirtschafts-minister. Wir haben dort helfen können: Das Unterneh-men konnte für einige Jahre gerettet werden. Das wareine gute Sache.Wenn der Kollege Finanzsprecher der CDU sagt, In-vestitionen würden gekürzt, so sehen Sie sich die mittel-fristige Finanzplanung an: 1998 57,12 Milliarden DM,1999 58,20 Milliarden DM und 2000 57,60 MilliardenDM, also auf gleich hohem Niveau. Das, was Sie hierdargestellt haben, stimmt überhaupt nicht und ist nicht inOrdnung, Herr Kollege.
Das, was Herr Eichel hier darstellt, ist kein Verschie-bebahnhof zwischen Bund und Ländern, sondern es isteine sinnvolle Zuordnung, die natürlich in bestimmterWeise Belastungen, aber vor allen Dingen Entlastungenbringt, die die Bundesregierung in vielen Bereichen dar-gelegt hat. Den Gleichklang der Politik, der sich hierentwickelt, können Sie nicht zerstören. Es ist mir einSusanne Jaffke
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6440 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Bedürfnis, hier klipp und klar zu sagen – ob es der Kol-lege Lambsdorff ist, ob es der Kollege Austermann ist –:Zwischen die Bergarbeiter und die SPD-Fraktion wer-den Sie keinen Keil treiben können. Wir sind und blei-ben voll in der Verantwortung.
Die Bundesregierung hat, ich sage: leider, eineschlimme Finanzlage vorgefunden: 1982 300 MilliardenDM Schulden, 1998 1,5 Billionen DM. Dies ist einfachunvorstellbar. Wenn man draußen mit den Leutenspricht, fragen sie: Was haben die eigentlich gemacht?Herr Kollege Kalb, Sie müssen ihnen einmal erklären,was Sie da gemacht haben. Nun muß man von denSchulden herunter. Sie können hin- und herkonstruieren.Wenn wir dem gefolgt wären, was Sie gemacht haben,dann wären wir jetzt bei einer Kreditaufnahme von80 Milliarden DM. Dies ist verfassungsrechtlich nicht inOrdnung. Der Staat wäre k. o. gegangen. Das wird durchdie Politik der Koalition und der Bundesregierung Gottsei Dank zurückgenommen. Wir betreiben eine zu-kunftsträchtige Politik; das ist überhaupt gar keine Fra-ge.Darum sage ich hier mit aller Deutlichkeit: Es ist gut,daß sich Wachstum wieder eingestellt hat. Die Daten,die wir vorfinden, sind sehr günstig. Die Sachverständi-gen haben uns ermuntert. Bei den Beratungen des Haus-haltsstrukturgesetzes verhielt es sich so, daß die Sach-verständigen, die Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, befragt haben, vor Sabotage am Eichel-Kursgewarnt haben. Ich habe ein solches Wort in meinerpolitischen und parlamentarischen Praxis von Sachver-ständigen noch nicht vernommen. Sie haben klipp undklar das, was der Finanzminister dargelegt hat, unter-stützt und die Klarheit und Wahrheit in bezug auf dieHaushaltsansätze begrüßt. Es ist eine gute Sache, daßFinanzminister Eichel für Klarheit und Wahrheit imHaushalt eintritt und daß wir tatsächlich in der Lagesind, 30 Milliarden DM zu sparen und die Nettokredit-aufnahme auf unter 50 Milliarden zu drücken. Das istdoch eine phantastische Sache. Das ist eine gute Politik,die den Staat wieder handlungsfähig macht, und daraufkommt es doch ganz entscheidend an.
Sie haben damals die Zahlen bei den Wachstumsratenund den Steuereinnahmen zu hoch angesetzt, als SieVerantwortung hatten. Sie haben dagegen die Ausgabenfür den Arbeitsmarkt zu niedrig angesetzt. Sie haben dieRisiken der Gewährleistung ignoriert. Sie haben sogardie Entschuldung Bremens und des Saarlands nicht ord-nungsgemäß veranschlagt, und bei den Tarifrunden ha-ben Sie sich nicht auf die Realitäten eingestellt. Diessind Ihre Versäumnisse, die man mit aller Deutlichkeithier nennen muß.Wenn wir in der mittelfristigen Finanzplanung – wiees der Finanzminister vorhat – die Kreditaufnahme wei-ter reduzieren werden, dann erfüllen wir vor allen Din-gen auch die Kriterien von Maastricht. Wir haben in die-ser Frage wieder internationales Ansehen errungen.
Das ist ganz wichtig. Der Finanzminister wird von Ver-tretern anderer Mitgliedstaaten der EU oft gefragt, wiediese Regierung diesen Kurs steuert und ihn tatsächlicheinhält. Das Parlament wird diesen Kurs selbstverständ-lich unterstützen.Ich sage hier mit Blick auf den Einzelplan 08, alsoauf den Einzelplan des Finanzministers: Nach der Dis-kussion im Haushaltsausschuß habe ich die Frage ge-stellt: Mein Lieber, wie sieht das denn aus mit dem„Handling“ des Haushalts 1999? Wirst du die Kredit-aufnahme voll nutzen müssen? Er hat gesagt, daß ermöglicherweise darunter bleiben wird. Mein Gott, wel-cher Finanzminister aus Ihren Reihen hat so etwas sagenkönnen? Es ging nur immer nach oben.
Kollege Kalb, Sie können das nachlesen; in der Ge-schäftsordnung werden Sie das nicht finden.Ich möchte in diesem Zusammenhang die saubereHaushaltspolitik, die Klarheit in der Finanzplanung unddas Handling dieser Fragen deutlich herausstellen, dieuns international zusätzliches Ansehen gebracht haben.Besonders freuen wir uns aber, daß die Arbeitslosig-keit bekämpft werden kann, und hier vor allem die Ju-gendarbeitslosigkeit.
Das kann ja keiner bestreiten; das wissen Sie genau. Ichweiß doch noch, wie damals in Ihrer Fraktion Überle-gungen angestellt worden sind, den Hauptschulabschlußvon Mädchen und Jungen nicht mehr über die Arbeits-ämter zu finanzieren und sie sofort in die Arbeitslosig-keit zu schicken. Wir haben uns damals Gott sei Dankmit dem Kollegen Blüm geeinigt. Das war – das sage ichzu seinen Ehren – ein wichtiger Vorgang.Aber wir bekämpfen ja nicht nur die Jugendarbeitslo-sigkeit. Ich werfe ihm vor – das ist das Schlimmste –,Langzeitarbeitslosigkeit erzeugt zu haben, Menschenzu Hunderttausenden in eine ausweglose Lage gebrachtzu haben. Das bedeutet, daß man diese Menschen nichtvon heute auf morgen – und sei es mit noch so vielenProgrammen – in die Disziplin eines Achtstundentageszwingen kann. Das ist eine ganz schwierige Sache, diewir aber bewältigen müssen.Bundesfinanzminister und Koalition werden beimHaushalt und bei der mittelfristigen Finanzplanung ihrerVerantwortung gerecht. Ein solider Haushalt, eine solidemittelfristige Finanzplanung werden dem Staat wiederneue Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröff-nen. Das trägt die Arbeit des Bundesfinanzministers.Umsteuern war unbedingt notwendig, um aus der vonder alten Regierung herbeigeführten Schuldenfalle he-rauszukommen. Wir kommen heraus, dank des Finanz-ministers und der klaren Position der Regierungskoaliti-on.
Ich schließe die Aus-sprache zu diesem Tagesordnungspunkt.Hans-Eberhard Urbaniak
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Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu-nächst über den Einzelplan 08, Bundesministerium derFinanzen, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ein-zelplan 08 ist mit den Stimmen der SPD und des Bünd-nisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld,in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Einzel-plan 32 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P.und PDS angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine Fi-nanzverwaltung, in der Ausschußfassung. Es liegen zweiÄnderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU aufDrucksache 14/2126? – Wer stimmt dagegen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/2124? Wer stimmt dagegen? – Der Än-derungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegendie Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt worden.Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschuß-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen?– Der Einzelplan 60 ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrech-nungshof, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Der Einzelplan 20 ist einstim-mig angenommen worden.Nunmehr rufe ich den Einzelplan 17 auf:Einzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend– Drucksache 14/1915, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje-Marie SteenAntje HermenauManfred KolbeJürgen KoppelinHeidemarie EhlertEs liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion derPDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat KollegeManfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesfi-nanzminister Eichel hat sich heute morgen in seinerHaushaltsrede wieder als 30-Milliarden-DM-Sparkom-missar dargestellt. Herr Eichel, Sie haben sich allerdingsbisher, was den Gesamthaushalt betrifft, gehütet, eineschriftliche Unterlage darüber vorzulegen, damit wir dasexakt nachprüfen können. Wir haben das in der Bereini-gungssitzung moniert, und wir hoffen, daß sie nochnachgetragen wird.
– Auf die bereinigte Finanzplanung sind wir immer nochgespannt.In einem Politikbereich allerdings haben Sie tatsäch-lich kräftig gespart. Das ist der jetzt zur Beratung anste-hende Einzelplan 17 des Bundesministeriums für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend. Frau MinisterinBergmann, es waren im Bundeshaushalt 1999 noch 11,8Milliarden DM etatisiert, im Regierungsentwurf sinddiese um 863 Millionen DM auf 10,985 Milliarden DMzurückgeführt worden. Im Haushaltsausschuß wurdenoch einmal um 20 Millionen DM gekürzt, und jetztumfaßt der Einzelplan 10,96 Milliarden DM. Das ist einMinus von 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, währenddas Volumen des Bundeshaushalts nur um 1,4 Prozentzurückgeht.Diese beiden Prozentzahlen – Bundeshaushalt: minus1,4 Prozent, Einzelplan des Ministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend: minus 7,4 Prozent – zei-gen eines ganz deutlich: den Stellenwert, den die Fami-lienpolitik, die Frauenpolitik usw. in dieser Regierunghaben, nämlich keinen.
– Frau Schmidt, der Bundeskanzler hat es bei der Regie-rungsbildung vorweggenommen. Da war vom Ministe-rium für Gedöns die Rede. Jetzt haben Sie es auchschwarz auf weiß. Es wird in diesem Bereich im Haus-halt überproportional eingespart. Die Familienpolitik istfür diese Bundesregierung bestenfalls Nebensache.
Im einzelnen verteilen sich die Kürzungen wie folgt:Die Ausgaben für Zivildienstleistende werden um 604Millionen DM gekürzt, die Ausgaben nach dem Unter-haltsvorschußgesetz um 242 Millionen DM. Die Mittelfür die Maßnahmen der Jugendpolitik werden um 14Millionen DM gekürzt.Ich komme erstens zum Zivildienst. Hier gibt es eineErhöhung der Kostenbeteiligung am Sold von derzeit 25Prozent auf 30 Prozent und die Einführung einer Ko-stenbeteiligung am Entlassungsgeld in Höhe von 30Prozent.
Die Erstattungspauschale für die Beiträge zur Renten-versicherung der Zivildienstleistenden wird von 80 Pro-Präsident Wolfgang Thierse
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zent auf 60 Prozent gesenkt, und die Dienstzeit wird von13 auf 11 Monate verkürzt. Diese Kürzungen stellenkeine echten Kürzungen dar, sondern sind ein reinerVerschiebebahnhof, wie es sie auch an anderen Stellendes Bundeshaushalts gibt.Die 110 Millionen DM, die Sie beim Sold einsparen,müssen jetzt von den Einrichtungen draufgelegt werden.Die 274 Millionen DM, die Sie angeblich bei den Ren-tenversicherungsbeiträgen einsparen, müssen von derRentenversicherung draufgelegt werden. Das sind keineEinsparungen, Herr Bundesfinanzminister, das ist – wiees an vielen anderen Stellen vorkommt – ein reiner Ver-schiebebahnhof.
Die Verkürzung der Dienstzeit läßt eine Zeitlückeentstehen. Die Zivildienstleistenden treten üblicherweisenach Abschluß des Schuljahres im Sommer ihren Dienstan. Bisher war durch die einmonatige Überlappung eineKontinuität gesichert: Das Wissen konnte an den nach-folgenden Jahrgang weitergegeben werden. Das entfälltjetzt und führt zu großen Problemen bei den Einrichtun-gen.Der zweite Einsparungspunkt betrifft das Unter-haltsvorschußgesetz. Nach dem Unterhaltsvorschußge-setz erhalten Kinder unter 12 Jahren, die bei einem al-leinstehenden Elternteil leben und von dem anderen El-ternteil keinen oder keinen regelmäßigen Unterhalt be-kommen, Unterhaltsleistungen. Diese Ausgaben wurdenbisher vom Bund und von den Ländern zur Hälfte getra-gen. Es wäre in der Tat sachgerecht, einmal darüber zureden, ob nicht eine Kostenbeteiligung der Kommunen,die diese Gelder verwalten, angebracht wäre.Das aber, was Sie gemacht haben, war der falscheWeg, Frau Schewe-Gerigk. Sie haben nicht mit denKommunen geredet. Sie haben das den Kommunen dik-tiert. Dadurch sperren sich die Kommunen natürlich.Das ist der falsche Weg.
Damit haben Sie vielleicht den Weg zu einer sachge-rechten Lösung versperrt. Diesen Verschiebebahnhofwerden sich die Kommunen jedenfalls nicht bietenlassen, Herr Eichel. Das werden Sie im Bundesrat erle-ben.
So weit zum Bundeshaushalt.Wir haben, Frau Bundesministerin, nicht nur diestärksten Kürzungen, die es im Bundeshaushalt gibt, ge-rade in Ihrem Etat. Wir haben – was wir besonders be-dauern, weil die CDU die Partei der Familie ist –
einen kompletten Stillstand der Politik in Ihrem Hauseseit einem Jahr. Dabei haben Sie in der Koalitionsver-einbarung noch Großes verkündet. Lesen wir dieKoalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 nach.Darin war von einem neuen Aufbruch für die Frauenpo-litik die Rede.
Die neue Bundesregierung wollte Anfang 1999 ein Ak-tionsprogramm „Frau und Beruf“ starten.
Zu diesem Aktionsprogramm gehöre ein effekti-ves Gleichstellungsgesetz, das spätestens im Frühjahr1999 in den Deutschen Bundestag eingebracht werdensollte.
Mittlerweile ziehe ich schon wieder den Mantel an,wenn ich von meinem Büro in den Reichstag gehe: DasFrühjahr ist vergangen, der Sommer ist auch vergangen,Frau Ministerin. Das Gesetz ist nicht vorgelegt worden.Wir sind darüber nicht unglücklich, aber es ist sympto-matisch für das Handeln dieser Bundesregierung:
Kanzler Schröders große Versprechungen und keine Er-gebnisse! Dafür ist leider auch Ihr Haus ein Musterbei-spiel.
Besonders bemerkenswert, Frau Ministerin, ist eines:Wir begehen demnächst die Jahrtausendwende. Zum er-stenmal seit vielen Jahrzehnten hat in der Bundesrepu-blik Deutschland keine Frau eines unserer höchsten dreiStaatsämter inne.
Ist das der Aufbruch in der Gleichstellungspolitik, denSie in Ihrer Broschüre verkündet haben? Ich frage auchdie Kollegin von der SPD, Frau Schmidt: Ist das IhrAufbruch in der Gleichstellungspolitik?
Wie wollen Sie denn von Inhabern kleiner und mittle-rer Betriebe erwarten, daß sie Frauen fördern, daß Frau-en in Führungspositionen gelangen, wenn Sie bei denhöchsten Staatsämtern so inkonsequent sind? Sie müs-sen doch mit gutem Beispiel vorangehen.
Denselben politischen Stillstand wie in der Frauen-politik haben wir in der Familienpolitik. Dabei hättedoch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.Januar 1999, das ich ausdrücklich begrüße, uns allenAnsporn sein müssen, hier eine neue familienpolitischeOffensive zu starten. Das gilt auch für uns. Auch wirManfred Kolbe
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hätten vielleicht das eine oder andere mehr dazu tunkönnen.
Aber wir alle hätten diese Chance ergreifen müssen. Siehaben sie auch nicht ergriffen. Sie sind jetzt an der Re-gierung, aber Sie haben diese Chance für eine familien-politische Offensive nicht ergriffen.
Was Sie jetzt mit Ihrem Gesetz zur Familienförde-rung machen, ist eine Minimalumsetzung des Urteils desBundesverfassungsgerichts.
Das ist das absolute Minimum dessen, was Ihnen dasBundesverfassungsgericht vorgegeben hat, und nichtmehr. Sie führen den Betreuungsfreibetrag ein, und Sieerhöhen das Kindergeld um 20 DM. Diese 20 DM wer-den durch Ihre diversen Ökosteuern mehr als einmalaufgefressen. Darüber hinaus gibt es keinerlei zukunfts-orientierte Familienleistungspolitik.Dabei wird die Familie auch im nächsten Jahrtausenddie zentrale Säule unserer Gesellschaft sein. Nur einevernünftige Familienpolitik kann die Belastungen desStaates in Grenzen halten und unsere kollektiv organi-sierten sozialen Sicherungssysteme vor dem Zusam-menbruch bewahren. Deshalb liegt die Familienpolitikauch nicht nur im Interesse der Familienpolitiker, son-dern, Herr Bundesfinanzminister, im Interesse allerPolitiker, auch des Bundesfinanzministers.
Deutlich wird dies, wenn wir uns die enormen finan-ziellen Aufwendungen, die entstehen, wenn ein intakterFamilienverband ausfällt, vor Augen führen. Die Lei-stungen der Eltern für die Erziehung eines Kindes biszum 18. Lebensjahr belaufen sich auf rund eine halbeMillion DM. Muß der Staat einspringen, entstehen Be-treuungskosten von rund 50 000 DM im Jahr.Denken Sie nur an unsere Alterssicherungssystemeund an die Probleme, in die diese nach der Jahrtausend-wende kommen. Nach unserem jetzigen System muß derNutzen eigener Kinder für die Alterssicherung mit derGesellschaft geteilt werden, während die Kosten der Er-ziehung zum größten Teil in der Familie bleiben. Daskann nicht so weitergehen. Frau Ministerin, deshalbbrauchen wir eine moderne Familienpolitik, die insbe-sondere die Leistungen der Familien mit Kindern ange-messen würdigt. Hierzu haben Sie nichts entwickelt,obwohl Sie an 16 Jahre erfolgreiche Familienpolitik derCDU/CSU anknüpfen könnten.
Ich darf noch einmal aufzählen: Wir haben 1986 dasErziehungsgeld eingeführt. Wir haben 1987 das Baukin-dergeld eingeführt. Wir haben die erstmalige Anerken-nung von Erziehungsjahren in der gesetzlichen Renten-versicherung durchgesetzt. Alle diese Leistungen habenwir stetig verbessert. In den 16 Jahren unserer Regierunggab es eine familienpolitische Entwicklung, die im letz-ten Herbst zum Stillstand gekommen ist.
Auch heute kommen die familienpolitischen Impulseaus der CDU, insbesondere aus der sächsischen CDU.Das sage ich mit ein bißchen Stolz.Erstens. Wir wollen das Kindergeld und das Erzie-hungsgeld bis zum sechsten Lebensjahr zum Familien-geld zusammenfassen und betragsmäßig so ausgestalten,daß eine Wahlfreiheit zwischen Familienarbeit und Er-werbsarbeit ideell und materiell gegeben ist.Zweitens. Wir wollen die Anerkennung der Kinderer-ziehung im Rentenrecht weiter verbessern und deshalbprüfen, ob die Rente künftig nicht nur von den Beitrags-zahlungen, sondern auch von der Kinderzahl abhängigsein kann.Zum Schluß: Die CDU/CSU bleibt der Anwalt derFamilie. Frau Ministerin, wir werden Sie deshalb immerdann unterstützen, wenn Sie wirklich eine Politik für dieFamilie betreiben.
Davon ist jedoch im Einzelplan 17 wirklich nichts zufinden. Wir können dem Einzelplan 17 deshalb in dervorliegenden Fassung nicht zustimmen.Danke.
Das Wort hat nun
Kollegin Antje-Marie Steeen, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Lieber Herr Kolbe, ich mag Sie ja.
Ich muß Ihnen sagen: Ich bin heilfroh, daß ich keinMann bin; denn dann hätte ich hier heute eine genausotraurige Figur wie Sie abgeben müssen.
Ich will Ihnen lieber einmal zeigen, wie die SPD Frau-enpolitik macht. Das können wir an Hand unseres Haus-haltes sehr gut beweisen, lieber Herr Kolbe.
Manfred Kolbe
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6444 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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„Stark gespart“ ist vielleicht wieder so etwas aus derKiste „Äpfel und Birnen verwechseln“. Jeder Haushalthat einen Konsolidierungsbeitrag geleistet, der imRahmen von 7,4 Prozent – etwas mehr, etwas weniger –liegt. Sie ziehen einen Vergleich zur Einsparrate desBundeshaushaltes. Dabei kann nur so eine Sparrateherauskommen.Ich will Ihnen gerne sagen, warum wir diese Einspa-rungen vorgenommen haben. Wir brauchen diese Ein-sparrate, um endlich aus der Verschuldungsfalle heraus-zukommen.
Das war unter den Vorgaben einer desolaten Haushalts-situation keine leichte Aufgabe, die wir, ausgelöst durchdie Vorgängerregierung, zu bewältigen haben, lieberHerr Kolbe,
um Handlungsspielraum für Reformen und Zukunftsfä-higkeit in der Politik zurückzugewinnen und, wie Mini-ster Eichel heute noch einmal sehr deutlich gesagt hat,um Leistungen für Schwache auch in Zukunft noch an-bieten zu können.
Angesichts eines Schuldenberges von 1,5 BillionenDM und seiner Bedienung mit über 82 Milliarden DMZinsen muß und wird Schluß sein mit einer weiterenVerschuldung. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegender Opposition, sind Ihre Änderungsanträge zu unseremHaushalt auch immer vor dem Hintergrund Ihrer politi-schen Verantwortung in 16 Jahren Regierung zu be-trachten.Ich will Ihnen sagen, zu welcher Erkenntnis mankommt, wenn man das tut: Sie machen es sich leicht,nach der Devise „Was schert mich mein Wort von ge-stern?“ Was Sie tun, besteht nur darin, munter Erhöhun-gen zu fordern. Konkrete Programmvorschläge, meineDamen und Herren von der Opposition, suchen wir bisheute allerdings vergebens.
Es war schwierig, in einem überwiegend durch ge-setzliche Leistungen gebundenen Haushalt Einsparun-gen einerseits sozial ausgewogen zu gestalten, anderer-seits aber auch die Verstetigung der begonnenen Reformin der Familienpolitik fortzusetzen. Sie, Herr Kolbe, ha-ben anscheinend manche Diskussion in diesem Parla-ment verpaßt; denn wir haben über verschiedene Akti-onsprogramme Beschlüsse gefaßt, die jetzt laufen unddie wir im Haushalt 2000 bereits im zweiten Jahr finan-zieren. Man muß also auch ein bißchen aufpassen, washier im Parlament abläuft.Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Bergmann, un-sere Anerkennung aussprechen, daß es gelungen ist,durch sozial verträgliche Maßnahmen insbesondere inKap. 17 04 – Bundesamt für den Zivildienst – und inKap. 17 10 – Gesetzliche Leistungen für die Familie –den nötigen Einsparungsbetrag zu erbringen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, bei denMaßnahmen im Zivildienst achten wir auf soziale Aus-gewogenheit und auf tragbare Belastungen für die Be-schäftigungsstellen bzw. auch für die öffentlichen Haus-halte.
Kollegin Steen, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert,
PDS-Fraktion?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Steen, wir wa-
ren gemeinsam in den vergangenen Jahren sehr viel auf
dem Gebiet der Behindertenarbeit tätig. Können Sie mir
bitte erklären, wie Sie die jetzt vorgesehenen Kürzungen
im Zivildienstbereich vertreten wollen? Sie wissen ge-
nau, daß es erhebliche Probleme in der individuellen
Schwerbehindertenbetreuung und auch in anderen Be-
reichen geben wird – dies betrifft nicht nur, aber vor al-
len Dingen Menschen mit Behinderungen –, wenn das,
was Sie vorhaben, wahr wird. Wie können Sie diese
Kürzungen vertreten? Dies kann doch mit Ihrer eigenen
Meinung nicht übereinstimmen.
Sehr verehrter KollegeSeifert, auch während der ersten Lesung haben Sie sol-che Fragen gestellt, die immer beantwortet wurden. Ichmöchte Ihre Fragen auch heute gerne beantworten. Ichsehe diese Schwierigkeiten nicht; denn wir werden imoriginären Bereich, in dem das Zivildienstgesetz greift,keine Einsparungen vornehmen.
Sie werden erkennen, daß wir Einsparungen in einemBereich vornehmen werden – ich möchte darauf nurkurz eingehen, weil ich im Laufe meiner Rede auf die-sen Bereich noch zu sprechen komme –, von dem ichdenke, daß er es vertragen kann. Dies sind eigentlichauch keine Einsparungen, sondern strukturelle Verände-rungen.
– Ja, natürlich kann man das so nennen. Es handelt sichum eine strukturelle Veränderung. Aber ich weise daraufhin: Man muß steuernd eingreifen – daß dies Auswir-kung auf die Beschäftigungsstellen hat, möchte ich garnicht verhehlen –, wenn die Zivildienststellen nicht denAnforderungen des Zivildienstgesetzes entsprechen. Ichkann Ihnen ein paar skurrile Beispiele nennen: So wur-den Zivildienstleistende bei der Erntearbeit und als Büh-nenarbeiter eingesetzt. Manche wurden auch als Haus-meister und in Angestelltenpositionen beschäftigt, diedurchaus durch andere Kräfte besetzt werden können.Antje Marie Steen
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Wir wollen, daß der Bereich der sozialen Pflege nichtberührt wird. Ich glaube, daß sich die Wohlfahrtsver-bände wie auch das Bundesamt für Zivildienst diesenneuen Herausforderungen stellen werden.
Sie werden es gemeinsam schaffen; denn dies ist auch inihrem Interesse und vor allen Dingen im Interesse derjungen Leute.Ich weise darauf hin: Die unterschiedliche Besoldungvon Zivis und Wehrdienstleistenden gehört bereits derVergangenheit an. Mit der Angleichung der Dauer desZivildienstes an den Grundwehrdienst – er beträgt jetzt11 Monate – entsprechen wir einer langjährigen Forde-rung. Ich möchte deutlich machen: Zivildienst ist für unsSozialdemokraten und, wie ich denke, auch für unserenBündnispartner kein Dienst zweiter Klasse. Er ist genau-so wichtig wie der Dienst in der Bundeswehr. Deshalbist die Dauer des Zivildienstes an die Dienstzeit in derBundeswehr angeglichen worden.
Die finanziellen Auswirkungen auf die Beschäfti-gungsstellen halten wir für vertretbar. Sie betragen proZivildienstleistenden und Tag 2 DM bzw. 740 DM proJahr. Dies wird nicht zu den von Ihnen beschriebenenVerwerfungen führen.Besonders wichtig ist auch der Konsolidierungsbei-trag in Höhe von 242 Millionen DM durch die Änderungdes Unterhaltsvorschußgesetzes. Sie wissen, daß die Ko-sten für Unterhaltsleistungen bisher hälftig von Bundund Ländern getragen wurden. Sie wissen auch, daß dasLand Nordrhein-Westfalen längst zu einer anderen Re-greßforderungspraxis übergegangen ist. Auch andereBundesländer stehen diesem Modell aufgeschlossen ge-genüber.
Die zukünftige Drittelung der Ausgaben bedeutet nichtnur eine gerechtere Schulterung der Lasten, sondern vorallem auch einen Anreiz für die örtlichen Träger, dasAuffinden säumiger Unterhaltszahler effizienter zu ge-stalten.Dabei geht es nicht ausschließlich um die finanzielleSeite. Es geht auch um das Schließen einer Gerechtig-keitslücke, meine Damen und Herren von der Oppositi-on, um das Einfordern von Pflichten, die jeder Vaterseinen Kindern gegenüber hat. Es strapaziert wohl dieSolidarität in der Gesellschaft, wenn sich zahlungsun-willige Väter ihrer Pflicht zur Unterhaltszahlung entzie-hen, während andere Väter sie erfüllen.Für uns ist es wichtig, daß durch diese Politik der so-zialen Ausgewogenheit der Ansatz für die allgemeinenBewilligungen bei Kap. 17 02 mit 733,9 Millionen DMkeine wesentlichen Einschnitte hinnehmen mußte. Hin-ter diesem Ansatz stehen die Politikbereiche, die man zuRecht als ein Stück sozialdemokratischen Herzbluts be-zeichnen kann.
In Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartnerwollen wir hier verstärken, was bereits mit dem Haus-halt 1999 auf den Weg gebracht wurde: eine Politik füreine kinder- und familienfreundliche, auf Gleichstellungder Geschlechter ausgerichtete Gesellschaft in sozialerVerantwortung für alle Generationen.Wir halten Wort, wie am Beispiel der Familienpolitikabzulesen ist. Hier war der Nachholbedarf sehr groß.
– Das sind nicht meine Worte, Frau Rönsch, sondern dieder Vorsitzenden der Jungen Union, Frau HildegardMüller, die äußerte, daß dies besonders bei der Verein-barkeit von Familie und Beruf der Fall sei.
Ich denke, Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Bes-serung. Fahren Sie nur so fort!
Auf die Senkung der Steuersätze und die nochmaligeErhöhung des Kindergeldes sowie die Anhebung derFreibeträge im Rahmen des Familienentlastungsgesetzesmöchte ich noch einmal deutlich hinweisen.
Damit ist der größte finanzielle Entlastungsblock auchfür die Familien in Deutschland geschaffen worden. Erwird sich bis 2002 auch noch durch einen steuerlich an-wendbaren Betrag für den Erziehungsbedarf erhöhen.
Zum erstenmal erfahren auch Sozialhilfeempfängereine verbesserte Familienförderung. Sie erhalten einenmonatlichen Betrag von 20 DM bis zum 30. Juli 2002für ihre Betreuungsleistungen.Deutlich hervorheben möchte ich die familienpoliti-schen Aspekte in unserem Einzelplan. Dazu gehört unteranderem das Aktionsprogramm zur wirtschaftlichenSituation und zur gezielten Armutsprophylaxe von Fa-milien, das in dem entsprechenden Titel mit 3,4 Millio-nen DM auf vier Jahre angelegt ist. Ich denke, das ist eindeutliches Zeichen dafür, daß wir einen Schwerpunktbei Familien setzen, die Schwierigkeiten haben, in be-sonderen, prekären Lebenslagen einen Ausweg zu fin-den, daß wir versuchen, ihnen zu helfen, ihre Situationanzunehmen, und Strategien zu entwickeln, wie sie ausdiesem Dilemma herauskommen.Ich möchte ganz besonders betonen, daß das Pro-gramm für ein neues Leitbild von Männern und Familiemit 2,6 Millionen DM ausgestattet ist. Ich halte dies fürAntje-Marie Steen
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einen ganz wichtigen Ansatz, vor allem im BereichGleichstellung in der Gesellschaft.
Es sollen Betriebe in einem Wettbewerb belohnt wer-den, die sich darum kümmern, auch Vätern familien-freundliche und damit kompatible Arbeitszeiten anzu-bieten. Dies ist ein toller Anreiz. Ich denke, daß wir da-mit in die Mitte der Gesellschaft treffen.Insgesamt bleibt die Förderung der Träger mit 10,5Millionen DM weitgehend auf dem gleichen hohen Ni-veau erhalten. Hier haben wir absolut keine Defizite zuverzeichnen.Besonders wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, daß esendlich gelungen ist, auch ein Aktionsprogramm zurgewaltfreien Erziehung bzw. in Begleitung eines Ge-setzentwurfs zu initiieren. Es ist in unserer Gesellschaftimmer noch ein Tatbestand, daß Gewalt, vor allem Ge-walt gegen Kinder, einen sehr großen Raum einnimmt.Unicef hat vor kurzem geschrieben, daß jährlich 150 000Kinder so verprügelt werden, daß sie ärztliche Hilfebrauchen, und daß Eltern dieser Situation manchmalvöllig hilflos gegenüberstehen. Angesichts dessen ist eswichtig, daß begleitend zu dem Gesetz, das jetzt endlichKinder und Jugendliche vor entwürdigenden Maßnah-men in Schutz nimmt und eine gewaltfreie Erziehungermöglichen soll, ein Aktionsprogramm läuft; denn einGesetz allein bewirkt noch keine Bewußtseinsänderung.
Deswegen ist es nötig, daß dieses durch solche Strategi-en unterstützt wird, wie sie das Ministerium zur Zeitvorbereitet. Das, meine Damen und Herren, verstehenwir unter einer nachhaltigen Familienpolitik. Wir zählendie Familien zu den wichtigsten Leistungsträgern in un-serer Gesellschaft; wir wollen sie auch in die Lage ver-setzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen.Politik für Seniorinnen und Senioren ist ein weite-rer wichtiger Eckpfeiler unserer Regierungsarbeit. Umdie ältere Generation in den Wandel der gesellschaftli-chen Lebensformen einzubeziehen, ihre in langer Fami-lien- und Erwerbsarbeit gewonnenen Kompetenzen zunutzen und aus ihrem in hohem Maße geleisteten ehren-amtlichen Engagement mehr als nur volkswirtschaftli-chen Nutzen zu ziehen, dafür erweitern wir die Rah-menbedingungen. Deshalb erfährt der Bundesaltenplaneine deutliche Aufstockung auf 18,8 Millionen DM. Ih-nen noch einmal zur Erinnerung: Es war sehr viel weni-ger, als wir die Verantwortung übernommen haben.
Schwerpunkte sind die Förderung der Selbständigkeitund der Partizipation von älteren Menschen, die beson-dere Unterstützung bei der Pflege und – ich bin froh, daßFrau Ministerin Bergmann dieses aufgegriffen hat – derAusbau der internationalen Seniorenarbeit unter ande-rem durch Zusammenarbeit. All dies wird mit ganz be-sonderem Interesse verfolgt. Das werden Sie erfahren,wenn Sie mit älteren Menschen reden.Weil wir jetzt in die Vorbereitungen für das Interna-tionale Jahr des Ehrenamtes eintreten, haben wir dieMittel in diesem Jahr um 300 000 DM erhöht. Die Vor-würfe, die ich in der Debatte in der vorigen Woche ge-hört habe, waren wirklich abstrus und treffen einfachnicht zu. Diesem Bereich wird eine sehr große Aufmerk-samkeit gewidmet.Einen gleichen Stellenwert räumen wir der Jugend-politik ein, in der das politische Engagement noch bisvor kurzem auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt war.Wir haben nun deutliche Schwerpunkte in der Jugend-politik gesetzt.
Ich möchte nicht wiederholen, was hier heute schonzu dem sehr erfolgreichen Programm zum Abbau derJugendarbeitslosigkeit gesagt worden ist. Aber Äuße-rungen wie die von Frau Merkel, daß das Programm ge-gen die Jugendarbeitslosigkeit ein Bereich sei, wo wirsparen könnten, sind unverantwortlich. Wir würdendann wieder in die Situation zurückfallen, die wir voreinem Jahr hatten: Damals wurde gar nichts getan undalles den Selbstheilungskräften des Marktes überlassen.
Sie wissen, wie erfolgreich dieses Programm ist. Ichkönnte Ihnen an Hand meines Wahlkreises Ostholsteinein sehr prägnantes Beispiel geben.
Das Bundesland Schleswig-Holstein stellt nämlich vieleMittel bereit, um diese Maßnahme flankierend zu be-gleiten, und bietet damit über 8 000 jungen Menscheneine neue Perspektive, die sie nicht erhalten hätten,wenn Sie noch regierten. Das wollen wir einmal ganzklar festhalten.
An dieser Stelle ist auch das Aktionsprogramm„Entwicklung und Chancen von jungen Menschen in so-zialen Brennpunkten“, das sogenannte EuC-Programm,anzuführen, das mit 15 Millionen DM wirklich sehr gutausgestattet ist. Ich glaube allerdings, daß der Bedarfweitaus höher liegt, Frau Ministerin. Aber hiermit sollteerst einmal ein Anfang gemacht werden. Diese Maß-nahmen konzentrieren sich ja nicht nur auf Betreuungs-maßnahmen in sozialen Brennpunkten, sondern bezie-hen auch die räumliche und gesellschaftliche Entwick-lung eines Wohngebietes ein. Das ist ein völlig neuerAnsatz. Sie können für Maßnahmen sowohl in Städtenals auch in strukturschwachen ländlichen Räumen abge-fordert werden. Gerade von den Jugendämtern wurdemir signalisiert, daß dieses dringend erforderlich war.Sie fühlten sich nämlich oft mit schwierig handhabbarenProgrammen allein gelassen. Unser Programm wird da-her sehr schnell Wirkung zeigen.
Antje-Marie Steen
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Wie wichtig uns die Jugendpolitik ist, zeigt sich ander Höhe der Ausgaben im Einzelplan 17. Von denknapp 734 Millionen DM, die für allgemeine Bewilli-gungen zur Verfügung stehen, entfallen rund 462 Mil-lionen DM, also 62 Prozent, allein auf Maßnahmen imBereich der Jugendpolitik. Wer will uns jetzt noch ab-sprechen, daß dieser Bereich keinen Schwerpunkt undkein wichtiges Thema für uns darstellt? Jugend bedeutetnämlich Zukunft. Für ein Ministerium, das generatio-nenübergreifende Aufgaben erfüllt, ist diese Generationsicherlich die wichtigste. Alle anderen werden aber auchberücksichtigt.
Der Ansatz für den Bundesjugendplan bewegt sichmit 291 Millionen DM nach wie vor auf hohem Niveau.Hier haben wir nichts herausgenommen. Mit Hilfe die-ses Programmes können nach wie vor sehr viele guteProjekte gefördert werden.Bei der Eingliederungshilfe für junge Aussiedle-rinnen und Aussiedler, die sich jetzt auf 202 MillionenDM beläuft, mag es faktisch so aussehen,
als sei eine Minderung vorgenommen worden. Die Zu-zugszahlen machen es aber ganz deutlich, daß wir inZukunft mit weniger jungen Aussiedlern und Flüchtlin-gen zu rechnen haben. Allerdings wissen wir sehr wohlum die Schwierigkeit der sozialpädagogischen Betreu-ung. Hier werden wir uns in Zukunft darum bemühen,die Integrationsmaßnahmen deutlich zu verstärken; dennnur wer die Sprache beherrscht, kann in dieser Gesell-schaft Fuß fassen. Wir wollen, daß sie hier Fuß fassen,denn sie gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.
Mit 40 Millionen DM werden frauenpolitischeMaßnahmen in einer neuen Titelgruppe gefördert.Wichtig ist, daß im Gleichstellungstitel, für den die jet-zige Opposition 1998 nur 16,8 Millionen DM ausgege-ben hat, obwohl 20 Millionen DM veranschlagt waren,der Ansatz von uns um 2 Millionen DM auf insgesamt22 Millionen DM erhöht worden ist. Damit werden neueSchwerpunkte in der Gleichstellungspolitik gesetzt, zumBeispiel mit dem Programm „Frau und Beruf“ und derFortsetzung der bewährten Projekte zur Vereinbarkeitvon Familie und Erwerbsarbeit.
Diese Schwerpunkte werden besser als diejenigen sein,die wir in den Jahren zuvor hatten.Es hilft halt kein Klagen, wie es Frau Merkel beimFrauenkongreß der CDU in Schleswig-Holstein wiedereinmal tat. Sie reklamierte, daß 30 Prozent der Akade-mikerinnen mit 35 Jahren keine Kinder hätten, und äu-ßerte, dies sei Ergebnis der „Tatsache, daß zwischenFamilien- und Erwerbsarbeit keine Brücken existieren“.Bravo, kann ich dazu nur sagen, diese Äußerung ist einEigentor; denn es ist schließlich Ihr Erbe und AusdruckIhrer 16jährigen Frauenpolitik, daß nicht nur Brückenzwischen Familie und Arbeit für Frauen fehlen, sondernin Ihrer Regierungszeit sogar abgerissen wurden.
– Das für mich wichtigste Projekt, Frau Rönsch, ist nachwie vor der Aktionsplan zum Schutz von Frauen vorGewalt. Dies halte ich für unbedingt nötig, vor allenDingen angesichts der Tatsache, daß Gewaltanwendunggegen Frauen und Kinder sowie gegen Behinderte undAlte, sexuelle Belästigungen und Frauenhandel immernoch tabuisiert werden. Ich hoffe, daß dieser Aktions-plan eine Veränderung bringt. Sie haben zu diesemThema geschwiegen. Hier wird gehandelt. Es geht umnichts Geringeres, meine Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen hier im Haus, als um die Einhal-tung der universellen Menschenrechte und des Rechtsauf Unversehrtheit sowie um die Achtung der Men-schenwürde. Deswegen kann ich Sie, Frau Ministerin,nur ermutigen, in diesem Bereich nicht nachzulassen,sondern Ihre Aktivitäten sogar noch zu verstärken.
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind das klugeund rationale Zusammenlegen von Aufgabenschwer-punkten, wie es im Einzelplan 17 erfolgte, die gerechteSchulterung von Lasten zwischen Bund und Ländernsowie moderne Ansätze beim Erschließen neuer Finanz-quellen drei zentrale Säulen zur Wiederherstellung undnachhaltigen Sicherung einer zeitgemäßen Frauen- undFamilienpolitik.Der Einzelplan 17 hat zudem einen betont europäi-schen Ansatz. Wir verknüpfen wichtige gesellschafts-politische Aufgaben im Sinne der zunehmenden undwünschenswerten Europäisierung mit überregionalenund überstaatlichen Zielen der Europäischen Gemein-schaften; als Beispiel dafür nenne ich das „Daphne-Programm“.An dieser Stelle möchte ich etwas zu den Anträgender PDS sagen. Beide Anträge werden wir ablehnen. Esist Ihnen sicherlich nicht entgangen, daß wir aus demAktionsprogramm „Zielgruppenorientierte Präventions-arbeit“, aber auch aus dem Kinder- und Jugendhilfeplandie Maßnahmen finanzieren können, die Sie fordern. Eswerden sogar bereits Projekte daraus finanziert. Dahersehen wir keinen weiteren Bedarf. Außerdem halte ichIhren Finanzierungsvorschlag für geradezu abenteuer-lich. Deckungsvorschläge aus anderen Haushalten her-aus zu machen fällt einem immer am leichtesten, ist aberam wenigsten solide.
Liebe Kollegin, Sie
müssen zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja, ich wollte gerade einletztes Wort sagen. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnismöchte ich auch im Namen von Herrn Kolbe, mit demich das abgesprochen habe, sowie namens aller Kolle-Antje-Marie Steen
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ginnen und Kollegen ein Dankeswort an Herrn Ministe-rialrat Markus Rohwer und Herrn MinisterialdirigentenWalter Meyer sagen, die in Pension gehen. Sie habenüber viele Jahre – auch in Ihrer Regierungszeit – demEinzelplan 17 zugearbeitet und für diesen Haushalt oftdie Strukturen gelegt, die wir dann diskutiert und auchinhaltlich bestimmt haben. An dieser Stelle danke ichbeiden herzlich und wünsche ihnen einen zufriedenenund erfüllten Ruhestand.
Mein Dank gilt aber auch den Kollegen aus demHaushaltsausschuß, mit denen gemeinsam ich den Ein-zelplan 17 beraten habe. Es macht immer wieder Spaß,mit Ihnen zusammenzuarbeiten und auch zu streiten.
Das Wort hat nun
Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegenund Kolleginnen! Ein Wort zu Ihnen, Frau Steen. Ichfinde es merkwürdig, daß Sie nur SPD-Papiere lesen undgar nicht wissen, was F.D.P. und CDU/CSU entwickelthaben. Wir jedenfalls haben in der vorletzten Woche ei-nen Antrag zur blau-gelben Familienförderung einge-bracht. Anscheinend haben Sie ihn nicht gelesen. Siesollten etwas genauer mit diesen Dingen umgehen.
Meine Damen und Herren, für die F.D.P.-Bundes-tagsfraktion will ich mich dem Haushalt der rotgrünenKoalition in den Bereichen Familie, Senioren, Frauenund Jugend widmen und mich auch mit diesem ausein-andersetzen.Als Oppositionspolitikerin wundert mich der Jubelvon Rotgrün – auch in unserem Ausschuß – zu denSparauflagen von Herrn Eichel. Als Oppositionspolitike-rin muß ich Sie nämlich fragen: Wie wurde das erreicht?Da sieht es weniger rosig aus, als Ihr Jubel vermutenläßt. Denn Sie haben diese Ziele unter anderem durchVerschiebungen von finanziellen Lasten auf andereEbenen erreicht. Das ist wirklich keinen Applaus wert.
Einige Punkte will ich konkret ansprechen. Dies istzum einen der Zivildienst. Sie haben jungen Leuten, diesich für den Zivildienst zur Verfügung stellen, geringereRentenversicherungsbeiträge beim Rentenversiche-rungsträger gutgeschrieben. Ich weiß nicht, ob dies einPluspunkt sein soll. Ich empfinde dies als ein Minus.
Zweitens. Sie haben die sozialen Einrichtungen mitKosten belastet. Es mag ja sein, daß dies für Sie gerecht-fertigt ist, weil die Arbeitskräfte, die Zivildienstleisten-den, vorhanden sind. Aber da muß ich die Familienmi-nisterin schon fragen: Frau Bergmann, wenn im näch-sten Haushalt, im Haushalt 2001, wieder einmal einHaushaltsloch bei den Sozialversicherungen besteht,was machen Sie dann? Kürzen Sie dann wieder bei densozialen Einrichtungen und lassen für Zivildienstleistun-gen mehr zahlen?
– Es geht doch um Haushaltseinsparungen.
Die Einsparungen im Zivildienstbereich sind eindeutig.Ich sage Ihnen: Im nächsten Jahr werden weitere Kostenauf die zivilen Einrichtungen zukommen. Darauf möchteich mit Ihnen wetten; aber das können wir im Parlamentja nicht.Meine Damen und Herren, ich will auch noch sagen,daß wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion den Zivildienst-leistenden danken. Sie haben gute Arbeit geleistet.
Deshalb werden wir unser Augenmerk weiterhin auchauf diesen Teil des Haushaltes des Ministeriums für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend richten.Herr Müller, der Finanzexperte der Grünen, ist heuteleider nicht anwesend. Er hat sich vor zirka zwei Wo-chen stark auf die Schulter geklopft und darauf hinge-wiesen, was Rotgrün alles für die Familie getan habe.
Ja, Sie haben die Freibeträge für die Familien erhöht,aber nur auf Sparflamme. Ich muß Ihnen sagen: Auf derGrundlage des Bundesverfassungsgerichtsurteils ist IhreFamilienförderung nur gering ausgefallen. Es ist je-denfalls nicht der große Wurf, den Frau Bergmann undauch die Grünen in der Familienpolitik angekündigt ha-ben.Sie haben auch Umschichtungen zwischen Alleiner-ziehenden und Ehepaaren mit Kindern vorgenommen.Frau Steen, das hätten Sie auch sagen sollen. Ich frageSie, wie das mit § 133c des Einkommensteuergesetzesist. Da gibt es für Ehepaare, von denen ein Ehepartnerkrank oder behindert ist, keinen Freibetrag auf Nachweismehr. Diesen Betreuungsfreibetrag von 4 000 DM fürdas erste Kind und den Freibetrag für alle weiteren Kin-der haben Sie, ohne neue Alternativen zu setzen, gestri-chen.
Ich habe die Regierung gefragt, und wir werden se-hen, was die Regierung antwortet.Meine Damen und Herren, Herr Kolbe hat schon ge-sagt, daß Sie Ausgaben auf die Städte und Gemeindenverlagern. Ich weiß nicht, ob dies Einsparungen odernicht doch eher Verschiebungen sind. Ich nenne es lie-ber Verschiebungen.
Sie nehmen die Kommunen wirklich ohne Übergangs-zeit in Regreß.Antje-Marie Steen
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Ich bin Kommunalpolitikerin im Landkreis Verden.Im Jugendhilfeausschuß habe ich mich mit unserem De-zernenten unterhalten und gemeint, die Kosten, die dieBundesregierung auf die Länder und die Länder wahr-scheinlich auf die Kommunen verteilten – in Nieder-sachsen sowieso –, müßten sich ja irgendwo nieder-schlagen. Da hat er zu mir gesagt: Das können wir dochgar nicht quantifizieren. Das heißt also, wir gehen mitLandkreishaushalten und Gemeindehaushalten in dasJahr 2000, ohne die genauen Belastungen etwa durchdas pauschalierte Wohngeld, durch die Streichungen beider Sozialhilfe oder durch die Veränderungen beim Un-terhalt genau zu kennen. Wenn Sie schon diese Maß-nahmen als richtig empfinden, hätte ich mir gewünscht,daß Sie den Kommunen eine längere Vorlaufzeit gege-ben hätten. Was Sie jetzt machen, ist überfallartig. Da-von halte ich überhaupt nichts.
Die F.D.P. kritisiert – ich komme aus dem Steuer-fach; mir ist daher diese Regelung aus arbeitsmarktpoli-tischen Gründen völlig unverständlich – die drastischeSenkung der Einkommensgrenzen für die Eigen-heimzulage. Sie senken bei den Familien die Ein-kommensgrenze – eigentlich handelt es sich nach demGesetzestext um Einkünfte – von 240 000 DM auf160 000 DM pro Jahr. Auf der anderen Seite erhöhenSie die Einkommensgrenze nur um 10 000 DM für jedesKind. Eine Familie muß also acht Kinder haben, umnach der alten Einkommensgrenze gefördert zu werden.Wie soll sie das in so kurzer Zeit schaffen? Das hautnicht hin.
Angesichts meiner kurzen Redezeit muß ich meinenBeitrag leider etwas straffen, möchte aber noch auf FrauSteen eingehen. Nach dem Bundesverfassungsgerichts-urteil sollten für die neue Familienförderung nach er-sten Berechnungen 22 Milliarden DM ausgegeben wer-den. Dann sprach Frau Hendricks von 8 Milliarden DM.Jetzt sind Sie bei 5 Milliarden DM gelandet.
Wenn ich mir anschaue, daß die Rente mit 6070 Milliarden DM kosten soll, dann muß ich sagen, daß5 Milliarden DM für die Familien kein Grund zum Ju-beln sind. Für uns ist dieser Betrag zu niedrig.
Ich will noch ganz kurz auf die blaugelbe Familien-förderung zu sprechen kommen. Wir wollen eine nach-haltige finanzielle Verbesserung der Situation der Fami-lien. Was Sie gemacht haben, kann nur ein Einstieg sein.Wir werden uns also in den nächsten Jahren mit IhrerFamilienförderung noch beschäftigen müssen.Wir wollen eine andere Politik: Wir wollen erstensden Einstieg in das Familiengeld, also in Richtung Bür-gergeld.
Wir wollen zweitens steuerliche Freibeträge für Kinder-betreuung. Wir wollen darüber hinaus, daß jede Arbeit-nehmerin die Kinderbetreuungskosten als Werbungs-kosten und jede Selbständige die Kinderbetreuungs-kosten als Betriebsausgaben absetzen kann; denn ohneKinderbetreuung können Frauen nicht arbeiten. Wirwollen aber, daß Frauen dazu in der Lage sind.
Als drittes wollen wir mit unserem Familienkonzeptauch etwas für die finanzschwachen Familien tun.
– Lesen Sie doch einmal unser Konzept und nicht immernur Ihre eigenen und die SPD-Papiere! – Wir wolleneinen Kindergeldzuschlag, wenn das familiäre Exi-stenzminimum nicht erreicht wird. Das ist eine liberalereund sozialere Politik. Dafür werden Sie unsere Zustim-mung finden.Der Haushalt von Frau Bergmann enthält natürlichviele Haushaltsansätze, die wir gut finden. Ich nenne indiesem Zusammenhang den deutsch-polnischen und dendeutsch-französischen Jugendaustausch.
Frau Kollegin Len-
ke, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme damit zum Schluß. –
Dieser Jugendaustausch findet unsere Unterstützung.
Aber ein Blick in den „Finanzplan des Bundes 1999 bis
2003“ zeigt – auch Zahlen und Fakten gehören zu der
Bewertung eines Einzelplanes –, wie wenig Sie gewillt
sind, Ihren eigenen Ankündigungen zu folgen; denn un-
ter dem Titel „Familienpolitische Leistungen“ haben Sie
einen Abwachs von rund 8,8 Milliarden auf rund
8 Milliarden DM im Jahre 2003. Wie trügerisch sind
doch die Aussagen von Rotgrün!
Ich erteile nun dasWort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis90/Die Grünen.
Kollegen! Seit der ersten Lesung hat sich beim Einzel-plan 17 nicht sehr viel verändert. Der HaushaltsausschußIna Lenke
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6450 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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hat lediglich in zwei Haushaltstiteln eine Umsetzung be-schlossen. Der eine Bereich betrifft Mittel in Höhe von19 Millionen DM und basiert auf einer Verlagerung derBeiträge an die Internationale Organisation für Migrati-on in den Haushalt des Innenministeriums. Eine Zu-sammenführung der Rückkehrprogramme für Flücht-linge aus Bosnien und aus dem Kosovo sowie derenFinanzierung aus dem Etat des Innenministeriums halteich für sachgerecht. Eine Aufstockung dieser Mittel, dieab diesem Jahr auch Opfern des Frauenhandels zugutekommen sollen, wäre meiner Meinung nach notwendig.Aber leider gilt auch für unseren Haushalt der Spar-zwang. In diesem Zusammenhang habe ich die Ministe-rin überhaupt nicht beneidet. 882 Millionen DM beieinem Gesamtvolumen von knapp über 11 MilliardenDM einzusparen, das ist keine fröhliche Aktion.Böse Zungen forderten, die Verwaltung abzuschaf-fen. Aber selbst das hätte bei weitem nicht gereicht,denn es hätte nur 60 Millionen DM gebracht. Erspartwurden aber über 800 Millionen DM.Ich kann sagen: Die Ministerin hat ihre Aufgabe gutgemacht,
denn die Ausgabenminderungen treffen nicht die Kern-bereiche der Politik für Frauen, Familien, junge und alteMenschen. Die Kürzungen erfolgen hauptsächlich in denzwei Bereichen Unterhaltsvorschuß und Zivildienst.Zunächst zum Unterhaltsvorschuß – hierzu wurde jaeine Menge an Vorwürfen erhoben –: Der Ansatz derBundesregierung sieht vor, die Ausgaben für das Unter-haltsvorschußgesetz zu je einem Drittel von Bund, Län-dern und Gemeinden zu finanzieren. Das hat für denBund zur Folge, daß der Ansatz von rund 807 MillionenDM im Vorjahr nun auf 565 Millionen DM reduziertwerden kann. Ich halte die Einbeziehung der Kommu-nen für sinnvoll,
weil dadurch auch ein Anreiz für eine effektivere Rück-forderung von den säumigen Vätern geschaffen wird.Bisher werden gerade einmal 13 Prozent zurückgeholt.Ich glaube, durch die bessere Beteiligung der Kommu-nen haben diese ein eigenes Interesse an der Rückforde-rung.
Die Quote könnte auf 30 bis 40 Prozent steigen. Diemeisten Länder haben schon signalisiert, daß sie mit die-sem Vorschlag einverstanden sind.
Die Chancen für eine Einigung im Vermittlungsaus-schuß stehen gut.Frau Lenke, wenn Sie immer behaupten, die Kom-munen würden von Rotgrün so geschröpft,
möchte ich Ihnen sagen: Die Kommunen werden biszum Jahr 2002 durch den Wegfall von Abschreibungs-möglichkeiten und durch steuerliche Maßnahmen um8 Milliarden DM entlastet. Ich glaube, da können dieKommunen dieses gut verkraften.
Hinsichtlich der frauenpolitischen Bereiche hat sichder Einzelplan im Haushalt 2000 positiv entwickelt. Ge-genüber dem Vorjahr stehen nach der Zusammenfüh-rung verschiedener Titel nun 2 Millionen DM mehr zurVerfügung. Die Hälfte davon kommt der institutionellenFörderung von Pro Familia zugute. Der Antrag derCDU/CSU, die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind– Schutz des ungeborenen Lebens“ um 20 MillionenDM auf 200 Millionen DM zu erhöhen, hat mich daher –wenn ich das freundlich ausdrücke – sehr überrascht.Schließlich hatten Sie, meine Damen und Herren vonder CDU/CSU, diese Mittel im vorigen Jahr selbst ge-kürzt, und zwar genau um diesen Betrag von20 Millionen DM. Daß Sie jetzt in der Opposition einJahr später eine Erhöhung beantragen, kann ich – es tutmir leid – nicht ernst nehmen.
Der Schwerpunkt der Frauenpolitik für das Jahr2000 liegt in der Gleichstellungspolitik. UnterstützendeMaßnahmen für das Programm „Frau und Beruf“ wer-den dieses Programm zu einem Erfolgsmodell machen.Ich finde es schade, daß in der CDU/CSU noch nichtangekommen ist, daß das Programm bereits im Sommerverabschiedet wurde.
– Doch, das war schon gut. Die Gesetzesinitiativenwerden jetzt in Angriff genommen.Aber ich möchte zu einem anderen Thema kommen.Hier wird immer gesagt, familienpolitisch habe die rot-grüne Koalition nichts vorzuweisen. Gerade hier gehenwir mit großen Schritten voran.
In Kürze wird es einen Gesetzentwurf für eine Novellie-rung des Bundeserziehungsgeldgesetzes geben, der ent-scheidende Verbesserungen vorsieht. Danach wirdkünftig – Frau Rönsch, dann hat auch die Akademikerindie Möglichkeit, ein Kind zu bekommen und in ihremBeruf weiterzuarbeiten – eine flexible Kombination derErwerbs- und Familienarbeit möglich sein, auch durchdie Einführung eines Zeitkontos. Ich freue mich, daß dieCDU/CSU in ihrem Leitantrag für die Familienpolitikauch auf die Idee gekommen ist,
daß das eine gute Möglichkeit ist.
Irmingard Schewe-Gerigk
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6451
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– Wer war zuerst da? Wir diskutieren das schon etwaslänger. Sie haben das verhindert, als wir in der Oppositi-on waren.
Durch die Erhöhung der Einkommensgrenze – jenach Familiengröße zwischen 10 und 30 Prozent – wirdwieder mehr Eltern der volle Betrag des Erziehungsgel-des zur Verfügung stehen. Damit setzen wir nicht nurein Wahlversprechen um, sondern tun das, was Sie13 Jahre lang ausgesetzt haben. Ich sehe die ehemaligeMinisterin Nolte, die uns vier Jahre lang immer gesagthat: Wir werden die Einkommensgrenzen erhöhen. –Niemals ist das umgesetzt worden. Damit machen wirnun endlich Schluß.Sie sehen: Für Rotgrün steht die Familienpolitik imZentrum.
Ich will nur ein paar Beispiele nennen; Sie fragen jaimmer danach: 50 DM mehr Kindergeld, steuerlicheEntlastung der Familien,
Nichtanrechnung der Erhöhung der 20 DM Kindergeldbei Sozialhilfeempfängern, Erhöhung der Einkommens-grenzen beim Erziehungsgeld.
Das sind Leistungen, die unter Rotgrün innerhalb einesJahres auf den Weg gebracht worden sind. Das ist eineBilanz, die sich sehen lassen kann.
Auch deshalb war ein Regierungswechsel notwendig.Ich sage Herrn Kolbe ganz deutlich: Ihre alte Leier,Rotgrün habe mit Familienpolitik nichts am Hut, könnenSie irgendwo erzählen, aber bitte nicht hier im Bundes-tag. Ich habe Ihnen gerade das Gegenteil bewiesen.
Aber nicht nur in finanzieller Hinsicht unterstützenwir Familien. Eltern können demnächst im Erziehungs-urlaub wöchentlich nicht nur – wie bisher – 19 Stunden,sondern 30 Stunden erwerbstätig sein. Das ist in zwei-erlei Hinsicht ein Fortschritt: Zum einen besteht ein An-reiz für Väter, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Zum ande-ren können künftig auch Alleinerziehende von der Er-werbsarbeit plus dem Erziehungsgeld leben, ohne So-zialhilfe beantragen zu müssen.Ein Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeitwährend des Erziehungsurlaubs mit einem Rückkehr-recht zur ursprünglichen Arbeitszeit, das ist unser Ange-bot ganz besonders für Väter. Es muß stärker als bisherdeutlich gemacht werden, was für ein Gewinn es für dieganze Gesellschaft ist, wenn auch Väter ihre Kinderbetreuen. 1,5 Prozent der Väter nehmen Erziehungsur-laub; das ist das Ergebnis Ihrer 16 Jahre. Wir glauben,daß viel mehr Väter in die Verantwortung genommenwerden müssen.
Ich komme zur Politik für alte Menschen. Auch hierwurde im Haushalt 2000 das Niveau der Vorjahregehalten. Wir konnten Maßnahmen vorsehen, mit denenzwingend notwendige Gesetzesänderungen wie das Al-tenpflegegesetz und das Heimgesetz gesellschaftlichunterstützt werden.Ich gehe nun auf die strukturellen Entscheidungen imBereich des Zivildienstes ein. Das Einsparziel von660 Millionen DM wird durch drei Maßnahmen erreicht:erstens durch eine Verkürzung des Zivildienstes von 13auf 11 Monate und zweitens durch eine um 2 DM proTag erhöhte Beteiligung der Dienststellen. Wir haltendas für vertretbar, auch wenn wir wissen, daß dadurch ineinzelnen Fällen kleine Beschäftigungsstellen Problemebekommen. Wir halten es trotzdem für vertretbar.Das dritte Einsparziel betrifft die Entrichtung derRentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende.Die erfolgt jetzt auf der Basis von 60 Prozent der Be-zugsgröße. Angesichts eines angenommenen fiktivenMonatseinkommens von 2 600 DM – dies verdienenAuszubildende bei weitem nicht – halten wir auch dieseMaßnahme für vertretbar.Lassen Sie mich noch ein Wort zur Verkürzung desZivildienstes sagen. Wir begrüßen diesen Schritt nichtnur wegen der Kosteneinsparung, sondern auch als einenBeitrag zur Wehrgerechtigkeit. Die beabsichtigte Ver-kürzung wird nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeitder Träger der freien Wohlfahrtspflege bleiben. Wirwerden die geäußerten Bedenken berücksichtigen. Al-lerdings, Frau Lenke, sollten wir die Kirche im Dorf las-sen: Schließlich gilt für den Einsatz von Zivildienstlei-stenden eine arbeitsmarktpolitische Neutralität.
Aus einer Analyse des Diakonischen Werkes Württem-berg geht hervor, daß die Verkürzung des Zivildienstesfür die Wohlfahrtsverbände sehr wohl zu verkraften wä-re, wenn es zu einem geregelten Übergang kommt. Da-für werden wir sorgen.
Darüber hinaus – jetzt komme ich zu dem Punkt, beidem Herr Seifert immer nachfragt – gilt grundsätzlichfür unsere Fraktion: Die Verkürzung des Zivildienstesdarf nicht dazu führen, daß sich viele Leistungen für al-te, kranke oder behinderte Menschen so verteuern, daßsie unbezahlbar würden. Allerdings dürfen möglicheEngpässe bei ambulanten und teilstationären Dienstenund Einrichtungen auch nicht auf dem Rücken der Zi-vildienstleistenden ausgetragen werden.
Irmingard Schewe-Gerigk
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6452 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Es könnte unseres Erachtens auf Grund der Verkürzungdes Zivildienstes innerhalb der Einrichtungen sogar zupositiven Effekten kommen. Zum Beispiel die Schaf-fung von Dauerarbeitsplätzen könnte manchem Zivi denGang zum Arbeitsamt ersparen.Zusammenfassend gilt: Mit den vorgesehenen Ände-rungen im Bereich des Zivildienstes sind wir unseremZiel einer Gleichbehandlung von Wehrdienst und Zivil-dienst ein Stück nähergerückt. Die Fraktion der Grünenwird sich weiterhin für eine Verkürzung des Zivildien-stes einsetzen. Nach wie vor ist ein nationales Freiwilli-gengesetz notwendig, um rechtliche und institutionelleHemmnisse abzubauen, die sich der Selbsthilfe und demsozialen Engagement entgegenstellen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe, der Präsi-dent blinkt mich an. Ich muß zum Ende kommen. Wirhaben im Ausschuß über den Einzelplan 17 trefflich ge-stritten. Allerdings – das fiel mir auf – ging es ständigum andere Politikfelder, derentwegen wir uns gestrittenhaben.
Daß es bei diesem Streit weniger um den Einzelplan 17ging, werte ich als Zustimmung für den Einzelplan 17.
Sie haben keine umfangreichen Änderungen vorge-schlagen.
Es wäre ein gutes Zeichen, wenn auch die Oppositiondem Einzelplan 17 nun zustimmen würde.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Wir erkennen durchaus die Bemü-hungen der Bundesministerin an, den Bereich Jugend-politik aus den Sparplänen herauszuhalten und zumin-dest zu stabilisieren. Dennoch ist der Etat für Jugendli-che angesichts der enormen Probleme, mit denen wirkonfrontiert sind, viel zu niedrig. Das wissen Sie, liebeKolleginnen und Kollegen, ganz genau. Wir halten esfür eine folgenreiche Fehlentscheidung, daß es nichtmehr Geld für die politische Bildung von Jugendlichengeben soll. Mit unserem Antrag, der heute zur Abstim-mung steht, wollen wir das Engagement von Jugendli-chen gegen Rassismus und Rechtsextremismus fördern.Und hier bitten wir Sie dringend um Unterstützung.Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesell-schaft. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der FreienUniversität Berlin belegt, daß der Anteil der rechtsex-trem eingestellten Jugendlichen im Alter von 18 bis24 Jahren in Ostdeutschland binnen eines Jahres von 20auf 42 Prozent gestiegen ist. Hier besteht tatsächlichpolitischer Handlungsbedarf.Frau Kollegin Steen, dieser Bedarf ist noch nicht ab-gedeckt, sosehr ich auch zu schätzen weiß, daß in die-sem Bereich keine Kürzungen vorgenommen wordensind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Bundesre-gierung im Bereich der Frauenpolitik bietet, ist enttäu-schend. Die Bilanz rotgrüner Frauenpolitik fällt bislangziemlich mager aus. Der Haushaltsentwurf läßt auch fürdas kommende Jahr kein Mehr an Gleichberechtigungerwarten. Dabei steht dieses Mehr nicht mehr allein imErmessen der Bundesregierung.Im Frühjahr ist der Vertrag von Amsterdam in Kraftgetreten. Dieser Vertrag, der für alle Länder der Euro-päischen Union bindend ist, schreibt auch der Bundesre-gierung die Chancengleichheit zwingend vor. „Gendermainstreaming“ ist der EU-weit geprägte Begriff dafür.Was heißt das? Das heißt nicht mehr und nicht weniger,als daß quer durch alle Politikbereiche die Gleichbe-rechtigung von Frauen durchgesetzt werden muß: in derArbeitsmarkt-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik genausowie in der Ausländerinnen- und Ausländer- und Flücht-lingspolitik, in der Forschungs- und Technologiepolitikgenauso wie in der Landwirtschafts- und der Jugendpo-litik.Meine Damen und Herren von der Regierungskoaliti-on, es steht Ihnen nicht frei, sich über diese höchstenBeschlüsse der Europäischen Union hinwegzusetzen. Essteht Ihnen auch nicht frei, mit den Beschlüssen derVereinten Nationen umzugehen, wie Sie es gerade mitdem aktuellen Sparpaket tun.Die Vereinten Nationen haben kürzlich nachgefragt,wie Deutschland die Beschlüsse der 4. Weltfrauenkon-ferenz in Peking umgesetzt hat. Die Antwort ist dünnausgefallen. Natürlich haftet dafür nicht allein die neueBundesregierung; denn die Kolleginnen und Kollegenvon CDU/CSU und F.D.P., die sich heute so echauffie-ren können, haben es viele Jahre lang versäumt, in derFrauenpolitik die Weichen richtig zu stellen.
Aber wenn ich mir den Haushaltsentwurf für das Jahr2000 anschaue, finde ich von einer Frauenpolitik querdurch alle Ressorts wieder allenfalls Versatzstücke.Ich frage Sie: Wo bleibt ein Arbeitszeitgesetz, das fürtägliche Arbeitszeitverkürzung sorgt, damit sich an dergesellschaftlichen Arbeitsteilung etwas ändern kann?
– Das ist eine klare Antwort, Frau Kollegin Schmidt. –Wo bleibt das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirt-schaft, das Quoten vorschreibt, damit Frauen im Be-Irmingard Schewe-Gerigk
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6453
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rufsleben endlich gleiche Chancen haben? Die Bundes-regierung hat in ihrem Bericht über die Peking-Nachfolge die Quote gelobt. Dennoch wollen Sie es inder Privatwirtschaft bei Appellen belassen. Wir könnendieser Tage aber wieder beobachten, was passiert, wennman die Wirtschaft ausschließlich das machen läßt, wassie für richtig hält.Ich frage Sie weiter: Wo bleibt das Konzept für eineeigenständige Alterssicherung von Frauen? Wo bleibenAnsätze zur individuellen Besteuerung von Einkom-men? Diese Chance ist mit den Beschlüssen der letztenWochen verpaßt worden. Wo bleiben die Nachbesserun-gen bei den 630-Mark-Jobs, um endlich die Benachteili-gung von Alleinerziehenden aufzuheben? Und schließ-lich: Wo bleibt das eigenständige Aufenthaltsrecht fürausländische Frauen, das Sie angekündigt haben, und wobleibt die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfol-gung als Asylgrund?Die Bundesregierung nennt als wesentliches Hinder-nis für die Gleichberechtigung das hergebrachte Rollen-verständnis von Männern und Frauen. Damit fallen ge-wachsene gesellschaftliche Strukturen, die auch in denGesetzen verborgen sind, unter den Tisch. Der Gestal-tungsanspruch von Politik schwindet.Wenn Sie die Weichen für die Zukunft so stellen,meine Damen und Herren, dann landet staatliche Frau-enpolitik sicher auf dem Abstellgleis. Ich bin froh, daßviele Frauenverbände und Frauenprojekte genau verfol-gen, wie die Bundesregierung den Vertrag von Amster-dam und die Verpflichtungen der Weltfrauenkonferenzumsetzen wird. Auch die PDS wird hier weiter Druckmachen, genau wie die NGOs.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regie-rungskoalition, die Vorschußlorbeeren sind aufge-braucht. Die Frauen wollen endlich Taten sehen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun die
Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Entgegen der Ankün-digung redet die Frau Ministerin jetzt zum Schluß.
Aber wir wissen genau, was sie sagen wird; denn alldie Reden vom vergangenen Jahr waren ähnlich. In derSache hat sie nichts zu sagen, und deswegen ist ihre Re-dezeit wahrscheinlich auf sechs Minuten begrenzt wor-den, weil sie mehr Zeit gar nicht füllen könnte.
Frau Ministerin, Sie sind bereits über ein Jahr imAmt. Aber außer der Einbringung eines Gesetzentwurfeszur bundeseinheitlichen Altenpflege haben Sie nochnichts Konkretes auf den Tisch gebracht.
Alles andere sind nur Ankündigungen und Absichtser-klärungen.Frau Schewe-Gerigk, worüber soll man zum Einzel-plan 17 streiten, wenn hier keine Politik gemacht wird?Wo bleibt die Novellierung des Bundeserziehungsgeld-gesetzes, das angeblich zum 1. Januar nächsten Jahres inKraft treten soll?
Sie reden immer davon, aber eine Gesetzesvorlage habeich noch nicht gesehen. Sie hatten in Ihrer Oppositions-zeit genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten.
Dieses eine Jahr ist jetzt verstrichen. Ihre eigenen Forde-rungen haben Sie noch nicht umgesetzt. Bisher Fehlan-zeige!
Im Zusammenhang mit den Maßnahmen des Bundes-finanzministers zur Familienförderung sprechen Sie,Frau Ministerin, von sozialer Gerechtigkeit. Lesen Siedazu nach, was die Fachleute bei der Anhörung zur Fa-milienförderung zu diesem Thema gesagt haben. Ein-hellig wurde Ihnen bestätigt, daß zwar das Kindergelderhöht, aber auch die soziale Ungerechtigkeit verstärktwird. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie erreichenmit dem Ansatz eines Betreuungsfreibetrages von 1512DM pro Kind für einen Elternteil, daß 90 Prozent derAlleinerziehenden eine erhebliche Verschlechterung inKauf nehmen müssen.
Bisher konnten Alleinerziehende bis zu 4 000 DM steu-erlich absetzen. In Zukunft kommt die steuerliche Frei-stellung der Kinderbetreuungskosten nur einem klei-nen Teil der Familien voll zugute, nämlich jenen mit ei-nem hohen Jahreseinkommen. Hier beträgt die Entla-stung 120 DM. Der Großteil der Familien aber, die aufGrund des niedrigeren Einkommens Kindergeldbeziehen, bekommt nur 20 DM. Ist dies gerecht, FrauMinisterin?
Deswegen haben die Familienverbände zu Recht gefor-dert, das Kindergeld statt um 20 DM um 120 DM zu er-höhen.
Petra Bläss
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6454 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Das wäre eine sozial gerechte Konsequenz aus der steu-erlichen Berücksichtigung des Betreuungsaufwandes fürKinder, wie sie das Verfassungsgericht gefordert hat.
Durch Ihr Gesetz klafft die Schere in Zukunft noch mehrauseinander.Dazu kommt, daß der Betreuungsfreibetrag nur biszum 16. Lebensjahr des Kindes gewährt wird.
Können Sie mir erklären, warum für einen siebzehnjäh-rigen Realschüler zwar Kindergeld gezahlt, aber keinBetreuungsgeld gewährt wird?
Sozial ungerecht ist auch die Benachteiligung von Fa-milien mit drei und mehr Kindern. Die Kindergelderhö-hung gilt nur für das erste und zweite Kind. Bei dreiKindern, bei vier Kindern heißt das in der Konsequenz,daß die Kindergelderhöhung nicht 20 DM pro Kind,sondern 10 DM pro Kind beträgt. Ist dies gerecht?
Mit der Erhöhung der Ökosteuer belasten Sie dieFamilien, insbesondere die Familien mit mehreren Kin-dern. Vor allem Familien auf dem flachen Land habenhöhere Energiekosten zu tragen.
Ist dies vielleicht gerecht?Die Familienförderung dieser Bundesregierung hateine soziale Schieflage; das haben die Familienverbändefestgestellt. Dies kann man nur unterstreichen. RedenSie also nicht von sozialer Gerechtigkeit, Frau Ministe-rin, sondern sorgen Sie dafür, daß diese soziale Schief-lage beseitigt wird!Wir haben in unserer Regierungszeit, nachdem Sie1975 den Kinderfreibetrag abgeschafft hatten,
die Leistungen für Familien von 27 Milliarden auf 77Milliarden DM verdreifacht. Das müssen Sie erst einmalnachmachen.
Wir haben mit der Einführung von Erziehungsgeld, Er-ziehungsurlaub, Anrechnung der Kindererziehungszei-ten in der Rentenversicherung neue Wege beschritten.
Ich sehe bei Ihnen keine neuen Ideen, mit denen Sie inder Familienpolitik vorankommen können. Wir brau-chen ein Gesamtkonzept zur Förderung von Familien.Das ist aber bei Ihnen nicht in Sicht.Frau Ministerin, das Internationale Jahr der Senio-ren ist bisher an Ihnen vorbeigezogen.
Nun endlich wollen Sie noch nächste Woche einen Se-niorenkongreß veranstalten, bevor das Jahr zu Ende ist.Es war unerhört, als Sie im Frühjahr dieses Jahres 500Senioren aus ganz Deutschland nach Bonn eingeladenhaben,
sie aber drei Wochen vor der Veranstaltung aus partei-politischen Gründen wieder ausgeladen haben.
So geht man mit Menschen, insbesondere mit älterenMenschen, nicht um.
Ihre Rentendiskussion verunsichert die Senioren, dieRentnerinnen und Rentner, aber auch die zukünftigenRentenempfänger. Am 17. Februar dieses Jahres hatKanzler Schröder in Vilshofen gesagt – ich zitiere –:Ich stehe dafür, daß die Renten auch in Zukunft sosteigen wie das Nettoeinkommen. Das ist ein Prin-zip, das wir nicht antasten werden.Der Kanzler ist umgefallen. Denn mit dem Haushaltsbe-reinigungsgesetz wurde die Rentenanpassung für zweiJahre auf den Inflationsausgleich begrenzt. Eine tatsäch-liche Rentenreform, die die Renten wirklich saniert, istnicht in Sicht.
Die Wählerinnen und Wähler erwarten von Ihnen, daßSie in der Rentenpolitik endlich ein Konzept vorlegen.
Rente mit 60 ist keine Lösung des Problems.
Frauenpolitik findet bei Ihnen nicht statt. Es war zwardie Rede von einem Gleichstellungsgesetz, doch dieMinisterin wurde sofort vom Kanzler zurückgepfiffen.Ich habe Verständnis dafür, daß Ihnen das weh tut,
weil Sie in der Oppositionszeit ständig von mehrGleichberechtigung geredet haben. Jetzt, wo es um dasUmsetzen dieser Forderung geht, sind Ihnen die Händegebunden. Wir wissen ja, welchen Stellenwert Frauen-politik beim Kanzler hat; denn wir können uns an dasMaria Eichhorn
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6455
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Wort vom „Ministerium für sonstiges Gedöns“ nochsehr gut erinnern. Frau Bergmann, setzen Sie sich bei Ih-rem Kanzler endlich durch!
Jugendpolitik beschränkt sich auf das Programm fürarbeitslose Jugendliche. Dabei überbieten Sie sich ge-genseitig mit angeblichen Erfolgen. Es wäre ja schön,wenn dem so wäre. Nimmt man Ihr Programm etwasnäher unter die Lupe, dann muß man leider feststellen,daß es sich nur um kurzfristige Überbrückungsmaßnah-men handelt. Betriebliche Ausbildungsplätze wurdennur in ganz geringem Maße geschaffen. Wollen Sie aufDauer junge Menschen beschäftigen, müssen Sie neueStellen schaffen. Das beste Rezept dazu ist eine ver-nünftige Wirtschafts- und Steuerpolitik zur Schaffungvon Arbeitsplätzen. Aber hier haben Sie bisher kläglichversagt.
Noch ein Wort zum Zivildienst. Bei der Einbringungdes Haushalts im September und auch heute wieder ha-ben Ihre Redner die Katze aus dem Sack gelassen. Dennmit den Haushaltskürzungen beim Zivildienst verfolgenSie gleichzeitig ein ideologisches Ziel, nämlich dieGleichstellung des Zivildienstes mit dem Wehrdienst zuerreichen. Damit höhlen Sie den Wehrdienst systema-tisch aus.
Die Einsparungen im Zivildienst treffen vor allem dieWohlfahrtsverbände. Insbesondere bei den ambulantenund teilstationären Diensten, bei der Betreuung vonkranken, alten und schwerbehinderten Menschen, sehendie Organisationen beträchtliche Probleme auf sich zu-kommen. Auch wenn Sie noch so oft gebetsmühlenartigvortragen, daß die Kürzungen nicht zu Lasten der Pfle-geeinrichtungen gehen, ist es doch Tatsache, daß dieVerringerung der Dauer des Zivildiensteinsatzes von 13auf elf Monate auch den Pflegebereich betrifft. Die Kür-zung erhöht die Kosten und macht es insbesondere fürkleine Einrichtungen uninteressant, noch Zivis zu be-schäftigen. Das kommt einem Stellenabbau gleich. Tat-sache ist: Durch die Kürzungen beim Zivildienst bela-sten Sie zunächst die Wohlfahrtsverbände. Letztlich abergehen die Mehrkosten zu Lasten der Patienten, der Sozi-alversicherungen und der Kommunen. Ihre Politik ist einVerschiebebahnhof zu Lasten anderer.Sie versuchen immer wieder, von Ihrem eigenen Ver-sagen abzulenken,
indem Sie auf die angebliche Kohlsche Erblast hinwei-sen. Haben Sie denn ein so kurzes Gedächtnis, daß Sieschon wieder vergessen haben, daß der Bund durch dieHinterlassenschaft des SED-Regimes 450 MilliardenDM Schulden übernehmen mußte und daß der Netto-transfer für den Aufbau nach 40 Jahren kommunistischerMißwirtschaft den Bundeshaushalt seit 1990 mit 600Milliarden DM belastet?
Wenn es nach Schröder, Lafontaine und Fischer gegan-gen wäre, gäbe es diese Kosten natürlich nicht. Denndiese Herren waren gegen die deutsche Einheit.
Die Debatte über den Haushalt soll einen Einblick indie Ressortpolitik geben. Bisher haben Sie, Frau Mi-nisterin, in Ihrem Ressort noch nichts vorzuweisen. Ichbin gespannt, wann Ihre Ankündigungen und Absichts-erklärungen endlich in die Tat umgesetzt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat dieMinisterin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,Christine Bergmann.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Ziel wares, den erforderlichen Konsolidierungsbeitrag von 880Millionen DM zu erreichen, und zwar ohne Einschnittein die familienpolitischen Leistungen, ohne Einschnittein den Kinder- und Jugendplan, ohne die Mittel für dieFrauenprojekte oder für den Bundesaltenplan zu kürzen.Das ist, so möchte ich feststellen, gelungen.
Das ärgert Sie. Sonst würden Sie nicht mit solch billigerPolemik oder mit solch abenteuerlichen Berechnungenkommen. Herr Kolbe, Sie haben mir richtig leid getan,wie Sie die Mathematik bemühen mußten.Daß dies gelungen ist, ist eine gute Nachricht für dieFamilien, für die Jugendlichen, für die Frauen und auchfür die Senioren in unserem Lande. Ich möchte mich andieser Stelle bei allen herzlich bedanken, die mitgehol-fen haben, daß das funktionieren konnte: bei dem zu-ständigen Fachausschuß und natürlich auch beim Haus-haltsausschuß. Herzlichen Dank!Wir machen mit diesem Haushalt deutlich, daß esmöglich ist, auch unter Berücksichtigung der notwendi-gen Konsolidierung Zukunft zu gestalten. Wir wollendie Menschen beteiligen. Wir wollen ihnen die Chancebieten, ihre Fähigkeiten in allen Bereichen einzubringen.Das ist unser Bild von Gesellschaftspolitik, und das willich auch in meinen Bereichen deutlich machen. HörenSie gut zu, Frau Eichhorn, das kann nichts schaden.
– Herr Kolbe kann nicht rechnen, Frau Eichhorn kannoffensichtlich nicht lesen.Maria Eichhorn
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6456 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Mit unserem Programm „Frau und Beruf“ – das isthier ja schon mehrfach angesprochen worden – arbeitenwir auf eine tatsächliche Chancengleichheit von Frauenin der Arbeitswelt hin. Das mag vielleicht nicht allenrecht sein, aber es ist so. Nun lesen Sie doch einmal die-ses Programm – manchmal hilft das ja –, und überlegenSie sich, was wir davon schon umgesetzt haben! Das istnämlich eine ganze Menge. Einige Maßnahmen wie zumBeispiel das Existenzgründungsprogramm laufen schon,andere sind im Gesetzgebungsverfahren. Das Gleich-stellungsgesetz für den öffentlichen Dienst beispielswei-se ist – das wissen auch Sie – jetzt in der Vorabstim-mung.Herr Kolbe, ich habe mich richtig gefreut – ich habeSie gar nicht wiedererkannt –, daß Sie so dringend aufein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaftwarten. Das ist mir neu.
Ich lade Sie zur Zusammenarbeit ein, wenn es um dieFormulierung einer gesetzlichen Regelung geht, die dieFrauen hier voranbringen soll.Frau Bläss, wir sind am Thema „gender mainstrea-ming“ dran. Aber Sie wissen, daß das ein dickes Brettist, das wir gemeinsam bohren müssen. Zu alledem, wasan Forderungen in bezug auf den nationalen Aktionsplanzur Bekämpfung von Gewalt kam, sage ich: Warten Sieeinmal die nächsten Wochen ab! Nächste Woche beratenwir darüber im Kabinett; da wird noch jeder seinen Teilbeitragen können.Ich will in diesem Bereich noch einen Punkt anspre-chen – auch der ist Ihnen wahrscheinlich bisher entgan-gen –, der deutlich macht, wie ernst es uns ist mit derHerstellung der Chancengleichheit von Frauen in derErwerbsarbeit. Die gesamte Informations- und Kommu-nikationstechnologie stellt mittlerweile einen großen Be-reich des Arbeitsmarktes dar. In diesem Bereich gibt esviel zu wenige Frauen, sowohl in den Ausbildungsberu-fen als auch in den Studiengängen. Wir haben in unse-rem Programm festgelegt, eine Quote von 40 Prozent zuerreichen. Wir haben ganz praktische Programme;schauen Sie sich an, was wir mit der Initiative„Deutschland 21 – Aufbruch in das Informationszeital-ter“, die vom Bundeskanzler ins Leben gerufen wurde,erreichen wollen. Hier arbeiten wir mit großen Unter-nehmen wie IBM, Hewlett Packard oder debis zusam-men. Hier gewinnen wir Frauen für den IT-Bereich, hierschaffen wir Ausbildungsplätze speziell für Frauen. Wirgehen in die Schulen und werben bei den Mädchen. Siekönnen sich das einmal ansehen. So sieht das, über dasSie immer nur schön reden, ganz praktisch aus. Ich den-ke, mit dieser Form von „public private partnership“ ge-hen wir neue Wege.
Ich komme nun zum nächsten Bereich, zur Kinder-und Jugendpolitik. Auch hier geht es uns um die Inte-gration junger Menschen in Staat und Gesellschaft. Wirsetzen auf die Integration und wollen Jugendliche akti-vieren. Wir haben mit dem kleinen Programm „Ent-wicklung und Chancen junger Menschen in sozialenBrennpunkten“, das wir an das große Programm zur Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit andocken, genaudieses Ziel im Auge. Mit ihm wollen wir die schwierig-sten Jugendlichen erreichen, wir wollen, daß sie sich vorOrt engagieren, daß sie zusammen mit den Schulen, mitder Jugendhilfe und den Betrieben Projekte entwickeln.Wir bieten ihnen ein soziales Trainingsjahr und den An-schluß in die Ausbildung an.Das Programm umfaßt genau die Jugendlichen, umdie Sie sich in den letzten Jahren überhaupt nicht ge-kümmert haben. Das möchte ich einmal ganz klar sagen.
Sie stellen sich auch jetzt immer noch hier hin und sa-gen, daß Sie für diesen Bereich keine Mark ausgebenwollen. Ihre regelmäßige Intervention gegen das Pro-gramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeitspricht wirklich Bände.Meine Damen und Herren, wir arbeiten natürlichauch im Bereich der Seniorenpolitik am Thema Partizi-pation. Frau Eichhorn, was Sie sagten, war ja wirklichabenteuerlich; offensichtlich ist einiges an Ihnen vorbei-gegangen, so zum Beispiel die vielen Veranstaltungenim Internationalen Jahr der Senioren, die darauf gesetzthaben, Strukturen zu schaffen, mit denen die aktivenÄlteren – die älteren Menschen sind heute anders als vor30 Jahren – in die Gesellschaft einbezogen werden kön-nen.Ich war bei vielen Veranstaltungen anwesend, und ichfreue mich, daß wir in der nächsten Woche die Veran-staltung „Alt und Jung im Parlament“ durchführen. Ichbedanke mich bei allen, die sich schon angemeldet ha-ben. Unter normalen zivilisierten Mitteleuropäern wirdman doch wohl Verständnis dafür haben, daß hin undwieder ein Termin verlegt werden muß. Das soll gele-gentlich vorkommen, und zwar nicht nur bei uns, son-dern auch anderswo. Wir führen die Veranstaltung in dernächsten Woche durch, und ich denke, daß sie erfolg-reich wird.
Ich komme nun zur Familienpolitik. Herr Kolbe, ichglaube, ich muß Ihrem Gedächtnis ein wenig auf dieSprünge helfen. Wir haben nämlich nicht auf die Be-schlüsse von Karlsruhe gewartet. Wir haben schon vor-her durch Steuerentlastung und Kindergelderhöhung ge-handelt.
– Nein, das hatten wir schon vorher beschlossen undumgesetzt. – Wir haben den Grundfreibetrag erhöht, undwir haben jetzt einen weiteren Schritt mit der Umset-zung getan. Damit haben wir mehr getan als das, wozuuns Karlsruhe verpflichtet hat. Auch das müssen Sie ak-zeptieren.
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6457
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– Wir haben mehr getan, als die CDU/CSU wollte. Aberdas sind wir ja gewöhnt, das war schon immer so. Siemüssen die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Wir habendoch bereits vor ein paar Tagen eine Debatte darüber ge-führt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit vielenFamilienverbänden gesprochen. Natürlich hätten allegerne mehr – ich auch –, aber sie akzeptieren, daß wir indiesem Jahr sehr viel mehr getan haben, als in den Jah-ren Ihrer Regierungszeit getan wurde. Das akzeptierenim übrigen auch die Verbände der Alleinerziehenden.Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Sie fragen, wann unser Gesetz in Kraft tritt. Wir sindmit dem Gesetz zur Änderung des Erziehungsurlaubs imMoment in der Ressortabstimmung. Ich denke, das isteine gute Sache. Familien können den Erziehungsurlaubdann flexibler handhaben, und Erwerbsarbeit und Fami-lie können besser in Übereinstimmung gebracht werden.Natürlich sind das Ideen, über die schon in der vergan-genen Legislaturperiode in der SPD diskutiert wurde.Vorhin führten wir die Debatte darüber, wer eher dawar. Daß Sie jetzt nachziehen, ist erfreulich. Sie könnendas ja gern unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schlußmöchte ich noch einen Satz zum Zivildienst sagen. Wirhaben dort Einsparungen vorgenommen. Aber es gehtnicht nur um Einsparungen. Ich halte sie für gerechtfer-tigt. Es ist eine schon lange bestehende politische Forde-rung, ein Stück mehr Gleichheit zwischen Zivil- undWehrdienst zu erreichen.
Zu Herrn Seifert möchte ich noch sagen: Wir befin-den uns im Gespräch mit den Verbänden. Wir werdendafür sorgen, daß das vernünftig läuft. Wir haben genugStellen. Wir haben den Einsatzstellen sehr viel mehrfreie Hand gelassen, das so zu regeln, daß die Übergän-ge gut gestaltet werden können.Ich denke, daß wir alles in allem die richtigen Maß-nahmen getroffen haben
und daß das, was wir in der kurzen Zeit geleistet haben,im Vergleich zu dem, was Sie die 16 Jahre vorher ge-macht haben, durchaus sehenswert ist.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 – Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend – in der Ausschußfassung. Es liegen
zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag auf Drucksache 14/2127? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/2128? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschuß-
fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Regierungskoali-
tion gegen die Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und PDS
angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
– Drucksachen 14/1907, 14/1922 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Hans Jochen Henke
Matthias Berninger
Dr. Werner Hoyer
Heidemarie Ehlert
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
– Drucksachen 14/1916, 14/1922 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Hans Jochen Henke
Matthias Berninger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der CDU/CSU der Kollege Hans Jochen
Henke.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir ha-ben es hier mit einem kleinen, feinen Schlüssel- undQuerschnittsressort zu tun, welches sehr viel mehr undsehr viel besser als viele große Einzelpläne Strukturenerkennen, analysieren und bewerten läßt. Aber auch derHaushalt dieses kleinen Ressorts fügt sich in den Ge-samthaushalt mit der Bewertung der Zukunftsentwick-lung ein, wie wir ihn in der Vergangenheit beraten ha-ben und jetzt in zweiter und dritter Lesung beraten.An der Stelle erlauben Sie mir zum Generellen fol-gende kurze Anmerkung, Herr Kollege Diller. IchBundesministerin Dr. Christine Bergmann
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6458 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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glaube, es gab seit langem, wenn überhaupt jemals,keine so unglaubliche Ausgangssituation für einen Fi-nanzminister, wie sie Minister Eichel zur Zeit vorfindet.Diese beruht nicht nur auf den inzwischen beherrschba-ren Folgen der deutschen Wiedervereinigung – ein Jahr-hundertwerk –, sondern auch auf der allgemeinen kon-junkturellen Entwicklung in Deutschland, in Europa, jaweltweit mit unglaublich günstigen Rahmenbedingun-gen. Es liegt national eine einmalig günstige Ausgangs-situation hinsichtlich der Inflation und vor allen Dingenhinsichtlich des Kapitalmarkts vor. Hinzu kommt, daß inder jetzigen Phase eigentlich alles auf Reformschrittewartet. Zu keinem Zeitpunkt waren – dies nicht zuletztvor dem Hintergrund Ihrer Ankündigungen – die Er-wartungen so hoch wie jetzt.Was tun Sie? Ich gebe zu, Sie sparen. Aber das liegtweit unter dem, was Sie nominell angeben, was IhnenSachverständige empfehlen und was die Haushaltssitua-tion eigentlich zuließe. Sie reden von Reformen imSteuerbereich, im Gesundheitsbereich, im Rentenbe-reich. Was aber tut der Finanzminister als zuständigerQuerschnittsminister? Er deckelt im wesentlichen. DieWeichenstellungen, die die notwendigen Impulse gebenmüßten, fehlen.Warum schicke ich das voran? Ich mache dies, weilsich der Einzelplan 07 des Bundesministeriums der Ju-stiz sehr schön dazu eignet, im einzelnen zu analysieren,wie sich der Finanzminister zu den einzelnen Punktenwirklich verhält. Dieser kleine Einzelplan ist an man-chen Stellen signifikant dafür – wovon Herr Eichelheute morgen gesprochen hat –, wie in eine solide Fi-nanzpolitik eingestiegen werden könnte. Das, was erjetzt macht – sich an Zuwachsraten von 2 Prozent zuorientieren –, hat schon Herr Waigel gekonnt.Im Bereich der Justiz – ich knüpfe an das an, was ichbereits bei der ersten Lesung ausgeführt habe – habenwir eine bemerkenswerte Personal- und Gebührenexpan-sion ebenso wie eine Expansion wichtiger Sachkosten zugewärtigen. Das reicht – man höre und staune – von denTelefon- und Kommunikationskosten, die eigentlichüberall sinken – bei der Justiz steigen sie –, bis hin zuden Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, die ebenfallssteigen.Es gibt ein wunderschönes Beispiel dafür, daß Priva-tisierung auch bei der Justiz angesagt ist. Der kleineEinzelplan 07 fällt immerhin dadurch auf, daß außeror-dentliche Erträge zu gewärtigen sind. Nur, die geliefer-ten Begründungen waren alles andere als überzeugendund in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Die Stichworteheißen „Bundesanzeiger“ und „juris“. Im einen Fall wa-ren es Kapitalrückzahlungen, und im anderen Fall warenes Gewinnausschüttungen.Über den Einzelplan 07 hinaus fällt jetzt beim Ein-zelplan 60 auf, daß genau diese Einrichtungen plötzlichauf der Liste der Unternehmungen erscheinen, die pri-vatisiert werden sollen. Als wir im Rahmen der Haus-haltsberatungen beim Justizministerium nachgefragt ha-ben, konnte oder vielleicht wollte man uns keine Aus-kunft geben. Offenbar weiß der Finanzminister hier –wie in anderen Bereichen – sehr viel mehr.68,1 Millionen DM sind einzusparen. 55,5 MillionenDM werden durch steigende Gebühren eingenommen;das heißt, 12,6 Millionen DM werden real eingespart.Wenn man sich das noch differenzierter anschaut, dannerkennt man, daß sich noch etwas viel Erstaunlicheresergibt. Der Haushalt des Bundesjustizministeriums– wer weiß, welche großen Projekte sich in der Phasefortgeschrittener Realisierung befinden – weist einenRückgang der Investitionen um 29 Millionen DM – dassind rund 4 Prozent des Haushaltsvolumens – auf.Tatsächlich wird der Haushalt des Justizministeriumsinsgesamt aber nur um 23 Millionen DM zurückgeführt.Es werden also noch nicht einmal die nominalen Min-derausgaben bei den Investitionen weitergegeben.18 Millionen DM sollen in diesem Zusammenhang überdie Effizienzrendite erwirtschaftet werden, wohingegen– ich habe es bereits gesagt – Personalkosten und Ver-waltungskosten deutlich ansteigen.Frau Ministerin, 48 Millionen DM erhält das Patent-und Markenamt zusätzlich. 7,5 Millionen DM gehenzusätzlich an das Bundeszentralregister. Rund 75 Stellenwerden beim Patent- und Markenamt geschaffen. Wirhaben uns bereits in der ersten Lesung über dieses The-ma ausgetauscht. Ich möchte ganz klar unterstreichen:Gerade diesem Amt kommt eine Schlüsselfunktion zu.Darüber besteht weitgehend Konsens. Es müssen alleAnstrengungen unternommen werden, in diesem Amt zurationalisieren, zu modernisieren und seine Entwicklungim Hinblick auf Innovations- und Zukunftssicherungauszurichten. Dies sollte aber nicht allein über eine Er-höhung der Anzahl der Stellen und schon gar nicht überGebührenerhöhungen erfolgen. Den Einnahmen in Höhevon 373 Millionen DM stehen bereits jetzt Ausgaben ineiner Größenordnung von lediglich 318 Millionen DMgegenüber.Wir haben gemeinsam mit dem Rechnungshof undanderen erhebliche Zweifel, ob die Investitionen inEDV, in zukunftsorientierte Organisation und Um-strukturierung nunmehr durch eine solch gewaltigeStellenexpansion noch aufgestockt werden müssen. Ineinem Zeitalter, in dem durch Informations- und Kom-munikationstechniken, durch das Internet und durchelektronische Kommunikation und Datentransfer auchauf dem Gebiet der Patentanmeldungen und -bearbei-tungen ganz neue Entwicklungen auf uns zukommen, istin allererster Linie keine gewaltige Personalvermehrung,sondern eine Umstrukturierung vonnöten.Die Zahlen, Daten und Aussagen von 1992 könnenfast zehn Jahre später nicht einfach fortgeschrieben wer-den. Es wäre schön gewesen, wenn das, was wir gefor-dert haben, von Ihnen berücksichtigt worden wäre undwenn man das gegenübergestellt, qualifiziert und be-wertet hätte, was künftig eingespart werden kann, was inbestimmten Bereichen anders gemacht werden kann undwas erhöht werden kann. Wenn dies gemacht wordenwäre, dann wäre es nachvollziehbar und in sich stimmiggewesen. Vielleicht kann dies noch nachgeholt werden.Sie beantragen für Ihr Haus fünf zusätzliche Stellen.Die Begründung in der Vorlage für die Berichterstatterlautet: Die zahlreichen und wichtigen in der Koalitions-vereinbarung festgestellten rechtspolitischen VorhabenHans Jochen Henke
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machen eine Verbesserung der Personalausstattung er-forderlich. Sie haben unlängst – ich glaube, es war am12. November dieses Jahres – festgestellt, daß das Mini-sterium durch Sie aus dem Dornröschenschlaf wachge-küßt worden sei und nunmehr große Reformen bewältigtwerden könnten.Wir appellieren einmal mehr an Sie: Setzen Sie dasum, was in verschiedenen Gutachten festgestellt wordenist! Restrukturieren Sie Ihr Haus! Dies motiviert die Mit-arbeiter mehr als die Aussage, Sie hätten das Ministeriumwachgeküßt. Mir liegt eine Liste von 17 signifikanten Re-formvorhaben aus der letzten Legislaturperiode vor. Diesspricht im Grunde eine ganz andere Sprache.Ich verweise pauschal auf das, was ich bereits in derersten Lesung zu wichtigen Reformprojekten gesagt ha-be. Nicht alles, was diskutiert wird – die Einführung ei-nes dreistufigen Gerichtsaufbaus und andere Projekte –,ist so überzeugend, daß es hohen Ansprüchen genügtund eine Realisierung gewärtigen kann.Lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, der eben-falls vorhin angesprochen wurde, nämlich den europäi-schen Rechtsraum. Wir erinnern uns alle, was Sie imVorfeld der deutschen Präsidentschaft hier und ander-wärts angekündigt haben. Frau Ministerin, es war einesinguläre Chance, zu Beginn dieser Regierung und IhrerAmtszeit eine qualifizierte Bilanz zu ziehen. Diese fehlt.Schade, daß die Chancen und Möglichkeiten, im euro-päischen Kontext qualifizierte Verbesserungen im Be-reich der internationalen Zusammenarbeit, der Strafsa-chen und der abgestimmten Konzepte zur grenzüber-schreitenden Verbrechensbekämpfung zu realisieren,nicht genutzt wurden.Lassen Sie mich zwei andere Punkte ansprechen. Wirsind nach wie vor gegen das Forum der Kriminalprä-vention und gegen die Errichtung einer Servicestelle imRahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Neuordnungdes Länderfinanzausgleichs, die wir gemeinsam bewäl-tigen müssen, gibt uns – unabhängig von den unter-schiedlichen Positionen in der Sache – einmal mehrrecht: Institutionen, die von Bund und Ländern gemein-sam finanziert werden, sind unangemessen. Solche In-stitutionen wären, wenn sie denn in der Sache plausibelund überzeugend sind, Sache der Länder. Die Länderwollen überwiegend gar nicht mitmachen.Ich habe eingangs gesagt: Ihr Haus ist ein Schlüssel-und Querschnittsressort. Sie haben eine überragendeVerantwortung für Verwaltungsvereinfachung, für Ent-bürokratisierung und für Verschlankung. Es gibt hierwie in anderen Bereichen unheimlich viel zu tun. Viel-leicht können Sie uns im Hinblick auf die Zukunftsori-entierung Ihres Hauses auch im Rahmen der zweitenund dritten Lesung einige Ausführungen dazu machen.Für uns ist das, was im Rahmen des Einzelplans auf demTisch liegt, wenig überzeugend und vor allen Dingen zuwenig zukunftsorientiert, als daß wir dem zustimmenkönnten. Wir werden den Einzelplan 07 ablehnen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Carsten Schneider.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundes-ministeriums der Justiz, der Einzelplan 07, sieht als Er-gebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses Aus-gaben in Höhe von 693,6 Millionen DM vor. Damit be-trägt der Anteil an den Gesamtausgaben des Bundes-haushalts gerade einmal 0,145 Prozent. Nun ist die ge-samtgesellschaftliche Bedeutung eines Ressorts nicht andessen Etathöhe auszumachen. Im Fall des Justizmini-steriums gilt vielmehr: klein, aber fein und vor allemwichtig.
Ist doch die Pflege, Anpassung und Entwicklung derRechtsordnung eine der ureigenen Grundlagen und Auf-gaben von Politik!Mit dem vorliegenden Haushaltsplan ist es gelungen,der Bedeutung des Ressorts – die auch Sie, Herr KollegeHenke, eben hervorgehoben haben und die ich ähnlichsehe – Rechnung zu tragen. Dies war möglich, obwohlauch der Justizhaushalt seinen Anteil an der Haushalts-konsolidierung geleistet hat.Bevor ich auf den vorliegenden Einzelplan eingehe,noch kurz einige Anmerkungen zum Gesamtrahmen. Beieiner Gesamtverschuldung – das vergessen Sie ab undzu – von 1,5 Billionen DM und auf Grund der Tatsache,daß jede vierte Steuermark zur Zahlung von Zinsenverwendet wird, wäre es meines Erachtens an der Zeit,daß die Opposition endlich die Verantwortung für dasfinanzpolitische Desaster übernimmt, das sie hinterlas-sen hat.
Ihre Kritik am Sparhaushalt bzw. am gesamten Zu-kunftsprogramm ist in sich widersprüchlich. Auf dereinen Seite behaupten Sie, daß eigentlich gar nicht in derangegebenen Höhe gespart wird, daß nicht intelligentgespart wird,
was natürlich auch nicht dadurch richtiger wird, daß dashier jeder Redner wiederholt. Auf der anderen Seite be-geistert sich ausgerechnet die Union für den von ihr im-mer gescholtenen Keynes und entwickelt die Theorie,daß Herr Minister Eichel eigentlich alles kaputtspare.Liebe Freunde von der Union: Was ist denn nun eigent-lich Ihr Kurs? Permanente Mehrausgaben verlangen undirrationale Steuervorschläge machen führt doch vielweiter in den Schuldenstaat.Ich bin froh, daß wir diesen Kurs verlassen.
Hans Jochen Henke
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6460 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Die Bundesregierung spart, aber sie spart nicht kaputt,weil die Grundlagen für ein weiteres Wirtschaftswachs-tum nur auf der Basis solider Finanzen geschaffen wer-den können. Es wirkt nicht glaubhaft, wenn die Unionnun die Position der PDS bezieht, nur weil es Wähler-stimmen verspricht. Das Gegenteil von dem ist richtig.Der Haushalt muß nachhaltig konsolidiert werden. Dazugibt es leider keine Alternative.Die momentane Situation kann meines Erachtensschon aus zweierlei Gründen auf Dauer so nicht fortge-schrieben werden. Zum einen ist die gegenwärtige Ein-engung des haushaltspolitischen Handlungsspielraumsaus ordnungs-, sozial- wie wirtschaftspolitischen Grün-den nicht länger hinnehmbar. Zum anderen leben wirheute auf Kosten der jetzt jungen oder noch nicht einmalgeborenen Generation. Es ist daher eine Frage der Gene-rationengerechtigkeit, daß wir die Aufblähung desHaushalts auf Pump eindämmen. Ich sehe die Koalitiondabei auf dem einzig richtigen Weg und unterstütze die-sen Kurs nachhaltig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun zum Einzelplan07. Die Beratungen im Haushaltsausschuß, insbesonderedie Beratungen zum Justizhaushalt, waren trotz derSchärfe in der Debatte hier insgesamt von einer kon-struktiven Haltung aller Beteiligten geprägt. Sie konn-ten somit auch zu einem guten Abschluß gebracht wer-den.Der Einzelplan 07 sieht, wie schon erwähnt, Ausga-ben in Höhe von 693,6 Millionen DM vor. Diese sindsomit gegenüber dem Regierungsentwurf um zirka 14Millionen DM und gegenüber dem Haushalt 1999 umzirka 37 Millionen DM geringer. Diese Verringerungensind zum einen Ergebnis gewissenhafter Sparanstren-gungen gewesen.
Zum anderen sind sie Resultat des aus Gründen der Ef-fektivität und Klarheit im Einvernehmen durchgeführtenWechsels von Kap. 07 12 – Gemeinschaftsdienste – indas Kap. 12 04.
Ungeachtet dessen haben solche Sparanstrengungenin Anbetracht der Tatsache, daß der Anteil an Personal-ausgaben und personalgebundenen Sachausgaben sehrhoch, nämlich bei über 80 Prozent, liegt, ausdrücklichAnerkennung verdient.Noch einmal zu Ihnen, Herr Kollege Henke. Sie sag-ten gerade, die Einsparauflage sei im Justizressort sonicht erfüllt. Wenn Sie sich den Haushalt 2000 anschau-en, dann werden Sie feststellen, daß die Einsparauflagebei 54,3 Millionen DM liegt. Sie wird sogar übererfüllt,und zwar durch eine Einnahmeverbesserung – ich kom-me noch darauf zu sprechen –, aber auch durch eineAusgabenreduzierung. Das Einsparvolumen beläuft sichauf 68 Millionen DM. Ich denke, diese Übererfüllungkann sich sehen lassen.
Die Personalausgaben betragen 438,1 Millionen DM,die sächlichen Verwaltungsausgaben 147,8 MillionenDM. 22 Millionen DM entfallen auf Zuweisungen undZuschüsse. 103,3 Millionen DM sind Ausgaben für In-vestitionen, darunter in diesem Jahr 35 Millionen DMfür die Herrichtung des ehemaligen Reichsgerichtsge-bäudes in Leipzig für das Bundesverwaltungsgericht.Lassen Sie mich an dieser Stelle meine Freude dar-über zum Ausdruck bringen, daß das Bundesarbeitsge-richt seit dem gestrigen Tage als erstes oberstes Bundes-gericht seine Arbeit in Erfurt aufgenommen hat. Ichmeine, das ist ein wichtiger und gelungener Schritt zurVollendung der deutschen Einheit.
Wie dem Haushaltsplan zu entnehmen ist, konnte je-doch auf eine angemessene Erhöhung der Einnahmennicht verzichtet werden. Infolgedessen wird die Gebührfür die Erteilung eines polizeilichen Führungszeugnissesum 5 DM auf 20 DM angehoben. Die Gebühren für Lei-stungen des Deutschen Patent- und Markenamts inMünchen und der Außenstelle in Jena werden im Mittelum 15 Prozent erhöht. Diese erste Erhöhung nach 23Jahren ist aber meines Erachtens gerechtfertigt. Siemacht sich am stärksten bei der Aufrechterhaltung eineslangjährigen Patentes bemerkbar, also vom 15. bis zum20. Jahr. Wenn das Patent in Ordnung ist und man damitGeld verdient, kann man meines Erachtens auch mehrGeld dafür bezahlen. Existenzgründer und Kleinunter-nehmer – das muß man einmal ganz klar feststellen –zahlen erschwingliche Preise für Anmeldung und Prü-fung. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn mandiese Preise mit denen des Europäischen Patentamtesvergleicht, das bedeutend höhere Kosten in Rechnungstellt.
Ein Teil der höheren Gebühreneinnahmen desDeutschen Patent- und Markenamtes – da widersprecheich Ihnen, Herr Kollege Henke – kommt der Anmelder-schaft direkt zugute. Wir haben ja – auch das ist eineErblast Ihrer Regierungszeit – beim Patent- und Marken-amt eine wahnsinnig hohe Bugwelle von Anmeldungen,die noch nicht bearbeitet wurden. Die durchschnittlicheWartezeit liegt bei fast einem Jahr. Dies wollen wir än-dern. Wir wollen eine innovations- und mittelstands-freundliche Politik machen; es soll dort zügig vorange-hen. Deswegen haben wir bereits in den vorigen Haus-halt mehr Geld für Personal eingestellt. Auch in diesemJahr wird die Zahl der Stellen für Patentprüfer um 49und die für Markenprüfer um 10 erhöht.
Carsten Schneider
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6461
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(D)
Ich glaube, daß auch durch den Justizhaushalt deutlichwird, daß der Politikwechsel zu einem Richtungswech-sel geführt hat, hin zu einer innovativen, erfinder- undmittelstandsfreundlichen Politik.Nun zum Einzelplan 19, dem des Bundesverfas-sungsgerichtes: Mit 27 Millionen DM ist er der kleinsteEtatposten im Bundeshaushalt. Auf Vorschlag derKoalitionsfraktionen konnten während der Haushaltsbe-ratungen im Einvernehmen Finanzierungsmittel fürfünf weitere Stellen für wissenschaftliche Mitarbeitereingestellt werden. Die Notwendigkeit für diese Auf-stockung resultiert aus der gestiegenen Arbeitsbelastunginsbesondere durch anhängige Verfahren im Rahmender deutschen Einheit. Ich denke, daß es neun Jahre nachder deutschen Einheit sinnvoll und wünschenswert ist,daß diese Verfahren möglichst schnell abgeschlossenwerden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über dieMittelausstattung für das Justizministerium oder dasVerfassungsgericht entscheiden, entscheiden wir auchüber die Rechtsprechung.
Das darf man nicht aus den Augen verlieren. In derPolitik gibt es meines Erachtens zwei schädliche Ten-denzen: Einerseits werden Gerichte bemüht, weil Politiknicht in der Lage ist, selbständig einen Ausgleich undeine Lösung bei auseinanderstrebenden Interessenzu finden. Andererseits werden Urteile einfach nachLust und Laune kritisiert, oder es wird sogar gefor-dert, daß sie aufgehoben werden. Die jüngste Klagevor dem Bundesverfassungsgericht von Bayern und an-deren Ländern ist nichts anderes als eine Beschäfti-gungsmaßnahme für dieses höchste deutsche Gerichtgewesen.
Wenn aber einige Länder eine Showveranstaltungdurchführen wollen, brauchen wir dafür keine zusätzli-chen Stellen im Haushalt zu bewilligen. Es ist allerdingsganz schön, wenn ein Urteil des Verfassungsgerichtes,bei dem es einmal nicht um Kreuze in Klassenzimmerngeht, sogar vom Lande Bayern begrüßt wird.Wenn alte Streithähne Gerichte nur benutzen, um sichin der Öffentlichkeit besser zu präsentieren, schadet diesdem Ansehen der Politik. Das sage ich als Vertreter ei-ner jungen Generation, bei der Politik erst einmal wiederum Vertrauen werben muß.
Ein letztes Wort noch zu der Frage, ob alle Konfliktenur vor Gerichten gelöst werden können. Selbstver-ständlich nicht! Wir wollen, daß es auch außerhalb desGerichtssaales zu einem Ausgleich zwischen Opferund Täter kommen kann. Deswegen wollen wir ge-meinsam mit allen Ländern den Täter-Opfer-Ausgleichweiter fördern und das Servicebüro der Deutschen Be-währungshilfe in Köln weiter aufrechterhalten.
Die Halbierung der Mittel aus dem Jahre 1995 haben wirbereits im Haushalt 1999 wieder rückgängig gemacht.Der Bundeszuschuß in Höhe von 300 000 DM bleibtauch im nächsten Haushaltsjahr konstant.Mindestens genauso wichtig wie die Bekämpfungvon Kriminalität und Strafverfolgung ist die Verhinde-rung von Kriminalität, ihre Prävention. Deswegen ha-ben wir das Deutsche Forum für Kriminalprävention ge-gründet. Aber gerade die Länder, die uns ihren Reich-tum erst jetzt wieder vor dem Bundesverfassungsgerichtbewiesen haben, wollen sich nicht daran beteiligen.
Zum Schluß meiner Rede möchte ich den Kollegin-nen und Kollegen Berichterstattern noch einmal für diekonstruktive Atmosphäre während der Beratungen dan-ken. Ihnen, Herr Kollege Henke, vielen Dank für Ihrekonstruktive Mitarbeit. Sie geben die Betreuung diesesEinzelplanes ab und übernehmen eine andere Aufgabe.Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. Last, not least dan-ke ich der Frau Ministerin und ihren Mitarbeitern imJustizministerium für ihre zielgerichtete und kooperativeZusammenarbeit.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Seit über einem Jahr sind Sie, FrauMinisterin, im Amt und leiten das Bundesjustizministe-rium. Sie haben – anders als Ihre Kollegen aus demBundesfinanzministerium, Bundesarbeitsministeriumund dem Bundesgesundheitsministerium – der Versu-chung widerstanden, mit Schnellschüssen und unüber-legten Änderungen der zahlreichen, in der 12. und13. Legislaturperiode vorgenommenen Reformvorhabenan die Öffentlichkeit zu treten.Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Tätigkeit die Justiz-reform als Ihre wichtigste Aufgabe bezeichnet und dieDreistufigkeit des Gerichtsaufbaus propagiert. Mit deröffentlichen Forderung nach der Dreistufigkeit sind Sieinzwischen etwas zurückhaltender geworden,
weil Sie erkannt haben werden, daß zumindest in denFlächenstaaten der dreistufige Aufbau der Justiz zu-nächst teurer und wahrscheinlich auch nicht effektiversein wird.
Carsten Schneider
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6462 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Statt dessen haben Sie nunmehr nach über einem Jahrden ersten Arbeitsentwurf einer Teilrechtsmittelreformvorgelegt, der genau in die falsche Richtung geht – daszeigt der Entwurf sehr deutlich –, nämlich auch in dieder Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus. Der Ansatz fürdie Justizreform kann und darf nicht die Verkürzung vonRechtsmitteln des Bürgers, sondern muß der Rechtsfrie-den sein.
Eine ordnungsgemäße Rechtspflege ist ein Bürgerrechtund darf nicht aus fiskalischen Gesichtspunkten einge-schränkt werden; statt dessen sollten alle Möglichkeitengenutzt werden, auch und insbesondere organisatorischeund technische Mittel anzuwenden, um die Effektivitätder Gerichte zu steigern. Justiz ist – wie auch die Innen-politik – eine Kernaufgabe des Staates. Sie dient demRechtsfrieden in der Gesellschaft und kann demgemäßnicht zur Disposition gestellt werden.Meine Damen und Herren, ich habe eingangs diemangelhaften Vorlagen des Bundesarbeitsministers, desBundesfinanzministers und auch der Bundesgesund-heitsministerin erwähnt. Hier wäre es Aufgabe der Bun-desjustizministerin gewesen, im Wege der Prüfung derRechtsförmlichkeit diesem unseligen Treiben Einhaltzu gebieten.
Dies ist leider nicht geschehen – wahrscheinlich auch,weil der Bundesjustizministerin nicht ausreichend Zeitzur Prüfung der vielen Änderungsanträge der jeweiligenMinisterien gegeben worden ist. In dieser Situation stehtnicht nur das Bundesjustizministerium – insoweit habeich Verständnis für Sie –,
sondern auch der Rechtsausschuß. Wir haben in derletzten Sitzung des Rechtsausschusses beispielsweiseüber zwei Vorgänge sprechen müssen: über das Steuer-bereinigungsgesetz und die Gesundheitsreform. Überdas Steuerbereinigungsgesetz haben wir eine halbeStunde lang beraten dürfen; so viel hat uns die Regie-rungskoalition zugestanden.
Danach mußten wir die 150 Seiten, die sie uns um 9 Uhrzur Beratung vorgelegt hatte, durch Handaufheben ab-segnen. Der nächste Tagesordnungspunkt umfaßte dieGesundheitsreform. Dazu hatten wir noch nicht einmalVorlagen; die gingen mir erst am nächsten Tag um10.30 Uhr zu.
Trotzdem haben Sie uns gezwungen, darüber zu „bera-ten“; eigentlich kann man über nicht vorhandene Unter-lagen kaum beraten. Danach ließen Sie darüber abstim-men. Auch das zeigt Ihr Demokratieverständnis. Dar-über bin ich sehr überrascht.
– Ja, enttäuscht ohnehin. Man sieht: Koalition undBundesregierung machen vieles anders, aber nichts bes-ser.Mit großer Sorge sehe ich, daß die Gebühren für dasBundespatent- und Markenamt erhöht worden sind,trotzdem aber nicht ausreichend zusätzliches Personal,das aus den Gebührenerhöhungen hätte bezahlt wer-den können, eingestellt worden ist. Gerade die deutscheWirtschaft ist auf ein gut funktionierendes Bundespa-tent- und Markenamt angewiesen. Die Markenrechtespielen im globalen Wettbewerb eine immer größereRolle. Gerade deswegen bedarf es einer guten undschnellen Bearbeitung im Markenamt. Hier hätte ich mirmehr Durchsetzungskraft der Ministerin gewünscht.
Frau Ministerin, seit langem kündigen Sie die 5. undauch die 6. Urheberrechtsnovelle an. Dabei ist es je-doch bislang geblieben. Auch hier warten die beteiligtenWirtschaftskreise und insbesondere die Urheber auf einebaldige Umsetzung. Urheberrechte sind Eigentums-rechte, die insbesondere vom Gesetzgeber geschütztwerden müssen. Gerade deswegen ist die 5. und 6. Ur-heberrechtsnovelle unbedingt notwendig.Ich vermisse auch, daß sich die Bundesjustizministe-rin aktiv in die Unternehmensteuerreform einschaltet.Wahrscheinlich glaubt sie, daß diese ausschließlich An-gelegenheit des Bundesfinanzministers sei. Tatsächlichaber besteht ein enger Zusammenhang von Unterneh-mensteuerrecht und Gesellschaftsrecht. Dies wird durchdie vorgesehene Spreizung der Steuersätze ganz deut-lich. Im übrigen ist der Grundsatz der Gleichbehand-lung, also Art. 3 des Grundgesetzes, von großer Bedeu-tung.Mit großer Sorge sehe ich schließlich, daß immermehr sozialdemokratische Ideologie im Bundesjustizmi-nisterium Einkehr hält.
Wir sehen das an den Eckwerten zur Mietrechtsreform,an den Beschlüssen zur angeblichen Demokratisierungder Gerichtsverfassung, an der Einbeziehung zusätzli-cher Gesellschaftsformen in das Bilanz-Publizitätsrecht.Dies dient nicht dem Vertrauen, das die Bevölkerungbislang der Rechtsetzung und dem Bundesjustizministe-rium entgegengebracht hat. Mit solcher Ideologisierungschadet man unserem gemeinsamen Anliegen im Parla-ment, die Rechtsordnung so zu gestalten, daß sie demRechtsfrieden in der Bevölkerung dient.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Rednerist der Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grü-nen.Rainer Funke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6463
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Kollegen! So eine Haushaltswoche – dies will ich sagen,auch wenn sie heute erst beginnt – ist häufig sehr trau-rig, weil man, vor allem wenn man von Ihnen eine ganzbestimmte Finanzlage übernommen hat, feststellen muß,daß überall gespart werden muß.Auch die Justizministerin mußte sparen, und sie hatihr Sparziel erreicht. Dies ist hier bereits ausführlichdargestellt worden. Ich will mich nicht mehr lange damitaufhalten. Die Einnahmen sollen im Jahr 2000 verbes-sert werden, und zwar dadurch, daß beim Patentamt undauch beim Generalbundesanwalt höhere Gebühren be-zahlt werden. Beim Generalbundesanwalt handelt essich zum Beispiel um Gebühren für Führungszeugnisseund ähnliches. Ich habe mir daraufhin noch einmalein ganz neues Führungszeugnis zum alten Preis be-schafft.
Es ist also gespart worden. 33 Millionen DM zusätz-liche Einnahmen sind in den Haushalt eingestellt wor-den, und die Ausgaben sind um 23 Millionen DM ge-senkt worden. Das ist in Ordnung. Aber das ist natürlichnicht alles, was dieses Ministerium im letzten Jahr ge-schafft hat. Das wäre ja auch ein bißchen wenig.Wir Bündnisgrünen sind in diese Koalition gegangen,weil wir – dies war von Anfang an für uns ein wichtigesZiel – Bürgerrechte und Freiheitsrechte in Deutsch-land stärken und diesen Rechten wieder mehr Geltungverschaffen wollen. 50 Jahre Grundgesetz – hierzu ha-ben Sie in den letzten Wochen viele Reden gehört –heißt für viele von uns auch 50 Jahre Einschränkung vonFreiheitsrechten und auch Einschränkung von Grund-rechten. Man muß nur das Grundgesetz aufschlagen –und schon stellt man fest, daß viele der Bestimmungen,die hinzugekommen sind, nicht eine Erweiterung vonFreiheitsrechten bedeuteten. Die F.D.P., die eigentlicheinmal die Aufgabe hatte, eine Bremserfunktion beimAbbau von Freiheitsrechten einzunehmen, hat dieseAufgabe – ich komme noch im einzelnen darauf zurück– schon vor Jahrzehnten abgegeben. Deshalb war eineneue parlamentarische Kraft erforderlich: die Bündnis-grünen.
Wir haben uns als erstes wichtiges Ziel vorgenom-men, möglichst viel zu entrümpeln, was sich an Über-bleibseln aus der bleiernen Zeit in der BundesrepublikDeutschland angesammelt hat, die Sie ja maßgeblich imgesetzgeberischen Bereich mitgestaltet haben.
Mit Ausnahmegesetzen wie etwa Gesetzen zur Kron-zeugenregelung, zur Telefonüberwachung und zurKontaktsperre hat eine Reihe von Mitgliedern desBündnisses 90 und der Grünen leidvolle Erfahrungen –staatliche Repression, Überwachung und Bespitzelung –machen müssen.
Wir haben in diesem Bereich erste Schritte beschlossen.Damit werden wir uns in den nächsten Tagen, auchmorgen im Ausschuß, etwas intensiver beschäftigenkönnen.Das Gesetz zur Kronzeugenregelung, ein zeitlichbefristetes Gesetz, dessen Gültigkeit von der F.D.P. im-mer brav verlängert worden ist, läuft zum Ende diesesJahres aus. Das wollten Sie früher einmal auf Ihre Fah-nen schreiben; Sie haben es aber nie geschafft. Wirschaffen das in diesem Jahr.
§ 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, das dem Rich-ter erlaubt, Telefonanschlüsse festzustellen, schaffen wirzwar nicht ab, aber wir schaffen in diesem Bereich da-tenschutzrechtliche Regelungen, die dringend erforder-lich sind. Wir wollen, daß die Betroffenen unterrichtetwerden und daß weitere Einschränkungen, die von denDatenschützern unisono gefordert worden sind, in dennächsten zwei Jahren hinzugefügt werden, damit auchdiese Regelung auf ein rechtsstaatliches Gleis kommt.Wir wollen die Telefonüberwachung überprüfen. Eskann nicht angehen, daß in der BundesrepublikDeutschland viel mehr als in vielen anderen Ländern,beispielsweise in den USA, abgehört wird. Erste Schrittezur Überprüfung sind eingeleitet. Wir wollen wissen:Wer wird abgehört? Warum wird abgehört? Vor allenDingen wollen wir wissen, wie viele Unverdächtige vonsolchen staatlichen Maßnahmen betroffen sind, damitwir das Gesetz so reparieren können, daß in Zukunft dieFreiheitsrechte besser geschützt werden und daß weni-ger abgehört wird. Wir wollen bei der Zahl der Abhör-aktionen auf ein Niveau kommen, das unter dem derVereinigten Staaten liegt.
Wir wollen – auch dieses haben wir bereits auf denWeg gebracht – die Geheimdienste in der Bundesrepu-blik Deutschland, die ja noch existieren, besser kontrol-lieren. Wir haben deshalb ein Gesetz gemacht, mit demfür die Parlamentarier und für das ParlamentarischeKontrollgremium wesentlich mehr Möglichkeiten ge-schaffen worden sind, die Geheimdienste zu kontrollie-ren und unserer Aufgabe als Parlament nachzukommen.Wir haben in diesem Zusammenhang eine ganze Reihevon zusätzlichen kleinen Schritten unternommen. Wirwollen in den nächsten Jahren größere Schritte hinzufü-gen.Als zweiten wichtigen Punkt haben wir uns vorge-nommen – auch in diesem Bereich ist die Justizpolitik inder Bundesrepublik Deutschland ein großes Stück vo-rangekommen –, den angesammelten Reformstau im Ju-
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6464 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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stizbereich aufzulösen. Sie haben zwar viele dringendnotwendige Reformen eingeleitet, aber Sie haben esnicht geschafft, sie zu einem Ende zu bringen.
Als erstes nenne ich das Strafverfahrensänderungs-gesetz, das in Zukunft absichern soll, wie etwa eine Per-son als Zeuge oder als Beschuldigter in die öffentlicheFahndung kommt. Fragen wie „Nach welchen gesetzli-chen Vorschriften soll dieses Verfahren ablaufen?“ und„Wie sieht die Kontrolle aus?“ haben Sie im Zusam-menhang mit der Strafprozeßordnung nicht beachtet,obwohl Ihnen von der Europäischen Union schon vorJahren eine entsprechende Vorgabe gemacht worden ist.Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht; wir mußtensie machen. Das Gesetz ist fertig. Wir wollen es in dennächsten Tagen verabschieden. Das ist ein wichtigerSchritt hin zu mehr Gerechtigkeit,
weil auch das Recht auf Datenschutz und das Recht aufinformationelle Selbstbestimmung wichtige Freiheits-rechte sind.
Wir wollen die Justizreform angehen. Dazu istschon einiges gesagt worden. Wir wollen aber auch, daßsich die Gefängnisse nicht weiter füllen.
Wir wollen – das fordern alle Sachverständigen – dierichtigen und notwendigen Schlußfolgerungen ziehen.Gefängnisse sind zu teuer, zu voll und bringen in derRegel nicht mehr Schutz für die Bevölkerung, sondernin vielen Fällen mehr Unsicherheit, weil sich Gefängnis-se vielfach als Schule des Verbrechens und nicht als In-stitution zur Verhinderung künftiger Verbrechen erwie-sen haben. Deshalb wollen wir, daß möglichst wenigStraftäter ins Gefängnis kommen. Wir wollen mit neuenSanktionen, vor allen Dingen für diejenigen, die bisherzu geringen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind unddiese im Gefängnis verbüßen mußten, Alternativen an-bieten,
indem wir andere Möglichkeiten strafrechtlicher Sank-tionen schaffen,
die auch treffen, für den Staat billiger sind, für die Be-völkerung wesentlich nützlicher sind und verhindern,daß zusätzlich Personen straffällig werden.Wir wollen natürlich auch mehr Gleichheit. Wir stre-ben eine Reform an, die lange überfällig ist. Die F.D.P.hat es nicht geschafft, in 16 Jahren Regierungsbeteili-gung etwas auf den Weg zu bringen. Deshalb hat sie unsjetzt ein Gesetz vorgelegt, nämlich die Veränderung dergesetzlichen Lage für gleichgeschlechtliche Partner-schaften. Wir wollen nach skandinavischem Vorbild da-für in der Bundesrepublik ein Gesetz.
Wir wollen, daß Schwule und Lesben in der Bundesre-publik gleiche Rechte haben. Wir wollen eine umfas-sende Regelung, die auch eine Gleichbehandlung insteuerrechtlichen, ausländerrechtlichen und sozialrecht-lichen Fragen sowie in den Bestimmungen des Bürgerli-chen Gesetzbuches bringt.
Wenn das nicht etwas so Halbfertiges werden soll,
wie Sie es vorgelegt haben, dauert das eben länger. Wirwollen das gründlich machen. Wir wollen die Regelungauf den Weg bringen, damit sie im nächsten Jahr in derBundesrepublik Deutschland Gesetz werden kann.
Wir wollen aber auch, möglichst noch zu Weihnach-ten,
für die Medien und die Journalisten zusätzliche Rechteschaffen. Wir wollen, daß die journalistische Arbeit bes-ser als in der Vergangenheit geschützt wird. Wir wollenden Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht fürselbstrecherchiertes Material, das sie bisher nicht hat-ten, geben.
Wir wollen auch absichern, daß solches Material in denRedaktionsstuben und Sendern nicht beschlagnahmtwerden kann. Damit werden bessere Arbeitsmöglich-keiten geschaffen. Wir hoffen, daß wir das noch zuWeihnachten fertigstellen können.Es ist noch viel zu tun. Wir haben es angepackt, undwir werden es weiter vorantreiben. Ich bin sicher, daßdie Bundesregierung am Ende gute Gesetze, die mehrFreiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichheit in derBundesrepublik Deutschland garantieren, vorlegen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat die Kollegin Sabine Jünger.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Der Neuanfang in der Justizge-schichte, den der Kollege Hartenbach noch im FebruarHans-Christian Ströbele
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6465
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dieses Jahres beschworen hat, war wohl von relativ kur-zer Dauer. Die finanzielle Ausstattung des Justizressortsjedenfalls steht in keiner Relation mehr zu den Ankün-digungen aus dem Ministerium.
Wenn dieser Haushalt den „Weg nach vorne“ zeigensoll, wie wir hier in erster Lesung hören durften, dann istdieses „vorne“ ganz schön weit weg und allenfallsschemenhaft zu erkennen.Der Weg, der hier eingeschlagen wird, ist auf finan-zieller Ebene nun wahrlich nicht neu. Die Bürgerinnenund Bürger sollen mal wieder mehr zahlen, wenn siezum Beispiel ein Führungszeugnis brauchen oder ge-werbliche Schutzrechte beim Patentamt beantragen.Auch die Erhöhung der sogenannten Mißbrauchsge-bühr beim Bundesverfassungsgericht finden wir – beiallem gebührenden Respekt vor der Bedeutung diesesGerichtes, die wir nicht in Abrede stellen – bedenklichund werden dieser mehrheitlich nicht zustimmen.Gleiches gilt für die Einsparungen beim Personalsowie bei der Aus- und Fortbildung der Beschäftigten.Eine Ausdünnung der ohnehin nicht üppig bedachtenJustiz wird die Folge sein. Mit der angekündigten gro-ßen Justizreform jedenfalls sind diese Einsparmaß-nahmen nicht kompatibel. Ein solches Vorhaben ist nuneinmal nicht zum Nulltarif zu haben. Im Gegenteil: Zu-mindest anfangs werden die zusätzlichen Umstellungenund Veränderungen sogar zusätzliche Kosten mit sichbringen. Wie das von weniger Personal mit wenigerFortbildung bewerkstelligt werden soll, scheint dochsehr fragwürdig zu sein. Eine wirkliche Strukturreformkann es so wohl nicht geben.Frau Ministerin Däubler-Gmelin hat im Septemberhier eingeräumt, daß Sparen im Justizhaushalt, „woSchmalhans sowieso schon Küchenmeister ist“, eigent-lich kaum mehr möglich ist. Heißt das, daß in Zukunftnur noch Gesetze verabschiedet werden, die nichtskosten? Es gibt zwar durchaus kostenneutrale Gesetze.In der Regel aber kosten Reformen Geld – und wenn esnur Mittel sind, um die Bevölkerung sachgerecht zu in-formieren.Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz zur Ächtungder Gewalt in der Erziehung, das ja bereits auf seinemparlamentarischen Weg ist. Es beschränkt sich ohnehinauf eine normative Veränderung, will heißen: Klingt gutund kostet nichts. Im Justizministerium wird einge-räumt, daß eine professionell gemachte, breite Informa-tions- und Aufklärungskampagne zwingend notwen-dig ist. Die Kosten werden auf zirka 700 000 DM ge-schätzt. Nur – leider – der gesamte Haushaltstitel „Öf-fentlichkeitsarbeit“ des Justizministeriums beträgt gera-de einmal 400 000 DM. Aber immerhin, im Haushalts-entwurf ist dieses Gesetz wenigstens erwähnt und somitGeld dafür vorgesehen, wenn auch nicht in der für not-wendig erachteten Höhe.Ein anderes Vorhaben – auch Kollege Ströbele hat esgerade angesprochen –, das seit dem Regierungswechselangekündigt und seither regelmäßig verschoben wird –jetzt wieder auf Mai 2000, also auf die Zeit nach derLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen –, findet dagegenfinanziell überhaupt keinen Niederschlag in diesemHaushalt. Ich meine den Abbau von Benachteiligungenvon Lesben und Schwulen sowie die rechtliche Absi-cherung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaf-ten.
– Eine Kampagne im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeitkönnte schon Geld kosten.
Das läßt mehrere Schlüsse zu. Erster Schluß: DieBundesregierung hat überhaupt nicht vor, ihre Ankündi-gungen wirklich wahr werden zu lassen. – Dann brauchtman natürlich kein Geld. – Das hoffe ich allerdingsnicht.Zweiter Schluß: Die Bundesregierung hat zwar kon-krete Pläne, die aber wiederum so schwach und so weitentfernt von den Vorstellungen der Lesben- undSchwulenverbände sind, daß sie dafür lieber keine großeÖffentlichkeit schaffen möchte.Dritter und letzter Schluß: Die Bundesregierung willein Gesetz, aber kein Geld ausgeben – weder für dieAufklärung der Bevölkerung noch für sachgerechte In-formationen über diesbezügliche Veränderungen. Wennaber die Bevölkerung bereits so aufgeklärt und vollerAkzeptanz ist, daß auf Gelder für Öffentlichkeitsarbeitverzichtet werden kann, dann frage ich mich: Weshalbverschiebt die rotgrüne Koalition eigentlich laufend dierechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebens-gemeinschaften?
Da ich gerade beim Thema Öffentlichkeitsarbeit bin,noch eine kurze Bemerkung zum Schluß meiner Rede:Ich freue mich, daß die Homepage des Justizministeri-ums überarbeitet und neu gestaltet werden soll und daßdafür sogar finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Eine gut funktionie-rende Justiz, eine leistungsfähige Justiz, eine gut ausge-stattete Justiz ist ein wichtiger Faktor für die Attraktivi-tät eines Landes. Sie leistet einen entscheidenden Bei-trag zur inneren Sicherheit und bietet die Grundlage füreine gut funktionierende Wirtschaftsordnung.Während Ausstattung und Effizienz der Justiz Sacheder Bundesländer sind, ist es unsere Sache, rechtlicheGrundlagen dafür zu schaffen, daß eine national und in-ternational handelnde Wirtschaft ohne Konflikte agierenund daß Verbrechensbekämpfung national und interna-Sabine Jünger
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tional gelingen kann. Die unausrottbare Vorstellung vonder Justiz als einer veralteten Form von robentragendenRichtern, die lieber ihrer Freizeit nachgehen, als ihrenDienst zu versehen, und die Vorstellung von einer alt-modischen Büroausstattung mit Ärmelschonern undBleistifthaltern
waren nie ganz richtig und sind heute mit Gewißheitfalsch. Unsere Justiz nimmt im internationalen Ver-gleich einen Spitzenplatz ein. Das einmal festzustellenist notwendig.
– Das mag hier in Berlin so sein. Aber sonst im Land istdas nicht der Fall.Deswegen, Frau Ministerin, sind umwälzende Re-formen nicht notwendig. Mit einem großen Mangel anSensibilität würde sonst in ein gut funktionierendes Sy-stem eingegriffen werden. Der Schaden wäre größer alsder Nutzen. Das gilt beispielsweise für die geplante Zer-schlagung der Viergliedrigkeit unseres Gerichtsaufbaus.
Mir hat noch niemand sagen können, welcher Vorteildadurch für den Rechtsuchenden entstehen kann. Esmag vielleicht im Interesse des Staates sein, aber bei Re-formen geht es doch in erster Linie um den Rechtsu-chenden und nicht um den Schutz des Staates.
Deswegen sind wir gegen die Zerschlagung der Vier-gliedrigkeit. Sie hat sich bewährt, und wir wollen siebeibehalten.Das gleiche gilt für die geplante Rechtsmittelre-form. Hier sehen Sie die Streichung der zweiten Tatsa-cheninstanz vor. Meine sehr verehrten Damen und Her-ren, im Zivilprozeß geht es zu 90 Prozent um die Erfas-sung des Sachverhalts, und dabei passieren die meistenFehler. Wir brauchen eine zweite Instanz, um Fehler, dieinsoweit in der ersten Instanz passiert sind, korrigierenzu können. Deswegen halten wir es für völlig falsch, diezweite Tatsacheninstanz abzuschaffen, wie Sie es vor-haben, verehrte Frau Ministerin.Wir brauchen uns nicht über eine Rechtsmittelflut zubeschweren; sie ist nämlich nicht vorhanden. Die Zahlder Eingänge bei den ordentlichen Gerichten ist in denwestlichen Bundesländern in den letzten zehn Jahrennicht wesentlich gestiegen. Das gilt nicht für die neuenBundesländer, aber dort hatten wir vor zehn Jahren auchnoch keine funktionierende Justiz in unserem Sinn. Dasgleiche gilt für die Verfahrensdauer. Unsere Zivilge-richte sind die schnellsten in Europa.Wir brauchen also keine umwälzenden Reformen.Dadurch kann man nur etwas kaputtmachen.
– Ja, verbessern wir sie. Es ist schon richtig, daß nichtalles im Lot ist. Man kann immer etwas verbessern; daswollen wir auch. Aber wir brauchen keine umwälzendenReformen. Reformen sind für den Rechtsuchenden da,nicht aber zur größeren Ehre einer Regierung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zukunftwird es eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtspolitiksein, den Anforderungen von High-Tech und Globali-sierung gerecht zu werden. Sie beeinflussen die Gesell-schaft in zunehmendem Maße, ohne daß wir es so rechtmerken. Die Rechtspolitik muß diese Entwicklung be-gleiten, muß ihr Einhalt gebieten, wo es notwendig ist,und muß sie fördern, wo es richtig ist. Deshalb müssenwir uns einmal überlegen, wie wir den internationalenGeschäftsverkehr über PC rechtlich besser absichern.Da sitzt jemand daheim an seinem PC und kauft ineinem deutschen Warenhaus, zur selben Stunde aberauch in einem englischen Computerladen und in eineritalienischen Modeboutique ein und merkt gar nicht, daßer sich in derselben Stunde in drei verschiedenenRechtsordnungen bewegt. Hier brauchen wir einen ge-meinsamen Rahmen. Es ist schon vieles getan worden.Aber auf diesem Weg müssen wir fortschreiten, ohnedaß dabei die Eigenart der jeweiligen Rechtsordnung ei-nes Landes verlorengeht.In diesem Rahmen brauchen wir auch die Charta derGrundrechte in Europa. Der Einfluß von Brüssel wirdimmer stärker. Hier müssen wir Abwehrrechte schaffen.Im Rahmen dieser Charta brauchen wir aber keine groß-artigen Programmsätze oder quasireligiöse Verantwor-tungserklärungen für die Mitgeschöpfe und das Welt-ganze. Wir brauchen konkrete Anspruchsgrundlagen, dieim Ernstfall durchgesetzt werden können.
Wir brauchen über Europa hinaus eine Koordinierungder Privatrechtsordnungen in globaler Sicht. Schon derVölkerbund hat dies für richtig gehalten und 1926 einentsprechendes Institut in Rom gegründet. Dieses Insti-tut macht es sich jetzt zur Aufgabe, einen rechtlichenRahmen zu schaffen, um international auftretende Kon-flikte im privaten Rechtsverkehr auffangen zu können.Wir sollten uns darum kümmern und dieses Institut nut-zen, zumal dort zur Zeit ein deutscher Zivilrichter Gene-ralsekretär ist.Aber auch im nationalen Bereich besteht auf Grundder rasanten Entwicklung in der Informations- undKommunikationstechnik Reformbedarf. Die Formvor-schriften des BGB sind der sich rasant entwickelndenInformationstechnik nicht gewachsen. Wir haben nochFormvorschriften, die es ausschließen, daß Rechtsge-schäfte über E-Mail, über Fax oder über Computer ab-gewickelt werden können. – Vielleicht sollte ich etwaswarten, bis die Frau Ministerin Zeit findet zuzuhören.
– Ich habe aber nicht den Eindruck.Wir brauchen zum Beispiel im Miet- und im Arbeits-recht Namensunterschriften, die ein solches Rechtsge-Norbert Geis
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6467
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schäft über E-Mail ermöglichen. Deswegen müssen wirprüfen, ob die Formvorschriften des BGB nicht an diemoderne Kommunikationstechnik angeglichen werdenkönnen. Das gleiche gilt auch für die Verfahrensord-nung. Auch da muß es möglich sein, moderne Kommu-nikationstechnik in den Verfahrensabläufen bei Gerichtund bei der Staatsanwaltschaft einzusetzen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Haus-haltsrede kann sich nicht mit allen Punkten befassen. Ichwill aber noch drei erwähnen. Da ist einmal die geplanteGleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaftenmit Ehe und Familie. Wir halten dies nicht für verfas-sungskonform. Für uns wird damit die Vorrangstellungder Ehe angegriffen. Wir werden uns daher mit allerMacht dagegen wenden.Sie wollen, Frau Ministerin, mit aller Macht dasMietrecht ändern. Wir sind einverstanden, wenn es dar-um geht, daß das Mietrecht lesbarer wird und daß es sy-stematischer wird. In der Tat ist aufgrund der vielen No-vellierungen der letzten 30 Jahre ein Mietrecht entstan-den, das ein Normalsterblicher gar nicht mehr lesenkann. Hier sind wir auf Ihrer Seite.
Aber wenn Sie wirklich die Eckpunkte umsetzen wollen,die Sie vorhaben, sehr verehrte Frau Ministerin, dannhaben wir die Befürchtung, daß Sie das Mietrecht ver-schlechtern und nicht verbessern. Sie wollen an dieKappungsgrenzen herangehen. Jeder, der sich in dieserSache auskennt, weiß, daß dies letztendlich immer zuLasten des Mieters geht, weil sich der Vermieter hütenwird, wenn es sozial geboten ist, nicht bei der Ver-gleichsmiete zu bleiben und nicht zu erhöhen; der Ver-mieter wird immer hart an der Vergleichsmiete bleiben.Das geht immer zu Lasten des Mieters. Deswegen istdas Herumtüfteln an Kappungsgrenzen immer ein Tüf-teln zu Lasten des Mieters.Genau das gleiche gilt für die Vertragsnachfolgebeim Tod eines Mieters und für die Absenkung derModernisierungsumlage. Sie nehmen damit dem Ver-mieter und dem potentiellen Vermieter den letzten Mut,noch in den Mietwohnungsbau zu investieren. DasErgebnis ist dann, daß Sie das Angebot verringern,und somit werden die Mieten wieder steigen. Sie errei-chen damit genau das Gegenteil von dem, was Sie errei-chen wollen. Wir bitten Sie deshalb, dies genau zuüberlegen.Ein letzter Punkt betrifft die Kronzeugenregelung,die von Herrn Kollegen Ströbele angesprochen wurde.Offenbar hat er sich in dieser Frage durchgesetzt. Erkommt mit anderen Wertungen, die aber nichts mit inne-rer Sicherheit und schon gar nichts mit Gemeinwohl zutun haben. Wir haben vor zwei Jahren, Herr MinisterSchily und Frau Ministerin, mit großer Sorgfalt und mitviel Aufwand, auch an Zeit, die elektronische Wohn-raumüberwachung durchgesetzt und dafür eine Verfas-sungsänderung herbeigeführt. Dieses Instrument istwichtig. Ich will es hier nicht verniedlichen und will esnicht wegdiskutieren. Aber die Kronzeugenregelung hateinen weit größeren Effekt. Das beweisen die Erfahrun-gen aus dem Ausland.
Das beweist auch das Gutachten, das von Herrn Kantherin Auftrag gegeben wurde und das jetzt vorgestellt wor-den ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Geis,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Insbesondere die Praktiker unter den Sachverständigen,
die für das Gutachten gehört worden sind, kommen zu
dem Ergebnis, daß die Kronzeugenregelung verlängert
werden muß. Man kann sie verbessern, aber sie fordern
die Verlängerung der Kronzeugenregelung.
Wir bitten Sie sehr herzlich, Ihren Beschluß noch
einmal zu überdenken.
Wir halten die Kronzeugenregelung im Kampf um die
Sicherheit unserer Bevölkerung für notwendig und sind
der Auffassung, daß sie in gar keinem Fall auslaufen,
sondern verlängert werden sollte.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt dieBundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Frau Vorsitzende! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Parlamentarismus ist halt doch etwas Schö-nes. Ich finde, heute zeigt er sich wieder in seiner vol-len Blüte. Ich muß sagen: Ich habe mich beim Zu-hören so richtig darüber gefreut, daß ich doch wiederviele Neuigkeiten über mich erfahren habe. Nicht nurhat der Kollege Funke mir gesagt, was ich wohl glaubeund meine, nicht nur hat er darauf hingewiesen, daß et-was von mir so oder so gemeint sein könnte, auch ande-re haben mir herzlich nachgeholfen. Ich darf an dieserStelle dafür danken. Ich glaube, das macht wirklichSpaß.Beim Einzelplan 07, über den wir heute reden, ver-hielt es sich dann schon ein wenig anders. Jetzt guckeich Herrn Henke an,
und zwar einfach deswegen, weil ich ihm in vielem zu-stimmen kann, nämlich dann, wenn er sagt, daß es einkleiner und feiner Haushalt ist, daß wir den Mitarbeite-Norbert Geis
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rinnen und Mitarbeitern des BMJ sehr viel zumutenmüssen usw.
Ich bin dankbar dafür, daß auch Sie das anerkennen.Aber dann wird es in einer Art und Weise überstei-gert, daß es an Komik grenzt. Dann rügt der KollegeHenke – das finde ich sehr liebenswürdig –, daß bei unsdie Telefonkosten steigen.
Das Schlimme, verehrter, lieber Herr Kollege Henke –lassen Sie mich auch das sagen –, ist: Bei uns sind indiesem Titel auch die Porti der Gerichte und des Bun-deszentralregisters enthalten. Urteile und Führungszeug-nisse können wir leider weder mailen noch über Telefonverschicken.
Das heißt, man muß es einfach wissen.Ich will Ihnen jetzt noch etwas sagen. Sie rügen, daßbei uns die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit ange-stiegen sind. Sie sind aber nur gering angestiegen.
Ich sage Ihnen: Ich hätte sie gern noch mehr gesteigert,übrigens schon deswegen, weil dann auch die Informa-tionen über das, was wir tun – warten Sie ab; es kommtnoch etwas –, zum Beispiel über das erste halbe Jahr, dieChance gehabt hätten, zu Ihnen zu gelangen.
Ich will Ihnen eine ganz andere Zahl entgegenhal-ten. Es handelt sich bei uns um eine sehr mäßige Stei-gerung der Mittel für Informationsbroschüren – siebrauchen wir dringend – und Öffentlichkeitsarbeit von443 000 auf 475 000 DM. Ich weiß nicht, ob Sie nochin Erinnerung haben, wieviel Mittel das Bundesmini-sterium für Verkehr zu der Zeit für Öffentlichkeitsar-beit zur Verfügung hatte, als der verehrte KollegeHenke dort Staatssekretär war. Ich will es Ihnen sagen.Das waren nicht 440 000, das waren keine 900 000, daswaren keine 3 Millionen, sondern es waren über 6 Mil-lionen DM.
Wenn wir nur einen kleinen Bruchteil davon hätten,dann wären wir besser dran. So peinlich ist das, wennman genauer hinschaut.
Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Siemöchten; Sie würden dann nur riskieren, daß ich ant-worte.Ich möchte mit Ihnen noch weiter anschauen, wassich im Haushalt des Bundesministeriums der Justiz undder nachgeordneten Behörden bewegt hat. Ich möchtemit einem Dank an die Mitglieder dieses Hauses, die dasmitgemacht haben, beginnen. Wir sind in der Tat poli-tisch der Meinung, daß sich beim Deutschen Patent-und Markenamt eine ganze Menge bewegen muß.Mich rührt dieser Konsens, den ich heute auf allen Sei-ten des Hauses feststellen kann. Ich finde das richtig gut.Nur, diese Einsicht hätte Ihnen eigentlich schon in denletzten zehn Jahren kommen können, weil die Zahl derAnträge auf Patenterteilung und Markenerteilung seit1993 ständig gestiegen sind. Die Zahl der Stellen im Be-reich der Patentprüfer und der Markenprüfer, die das zubearbeiten haben, ist von Ihnen in jedem Jahr abgesenktworden. Auf der einen Seite eine Steigerung der Anträgeum über 30 Prozent, auf der anderen Seite ein Abbau derStellen um 16 Prozent.Sie sagen, wir sollten das alles jetzt mit Computernmachen. Das war die Aussage. Sie wissen, ich teile IhreBegeisterung für einen vernünftigen Einsatz von Com-putern. Bloß, Patente prüfen können sie nicht, und Mar-ken prüfen können sie auch nicht. Deswegen muß ichIhnen sagen: Um diesen Berg an Anträgen abbauen zukönnen, war es dringend erforderlich, daß diese Perso-nalstellen bewilligt wurden. Ich hoffe, daß das reicht.Nur, wenn es nicht reicht, werde ich Sie an Ihre Äuße-rung erinnern, daß das Deutsche Patent- und Markenamtendlich wieder in Schwung gebracht werden muß.
Daß wir DEPATIS ausbauen und die Organisation um-bauen müssen und was Sie sonst noch gesagt haben, istalles richtig. Aber Sie müssen auch den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern ein bißchen mehr Unterstützung geben;sie brauchen das. Sonst kommen sie nämlich nicht aufdie Füße, und das ist doch das Ziel, das wir gemeinsamhaben.Wir haben in der Tat große bauliche Aufgaben hin-ter uns gebracht; einige sind jetzt in der Endphase. Icherwähne das deshalb, weil der Bundesgerichtshof inKarlsruhe endlich besser untergebracht werden muß. Damüssen wir noch etwas tun. Das ist auf einem gutenWeg. Ich erwähne das deshalb, weil der 5. Strafsenat inLeipzig mittlerweile gut untergebracht ist. Aber auchdas Bundesverwaltungsgericht muß in Leipzig gut un-tergebracht sein.Das ist mir aus zwei Gründen wichtig, zum einendeswegen, weil alle diejenigen, die verhalten kritisieren,daß die Justiz den Ausgaben – bei Bund oder Ländern –hinterherhinkt, daß dem Innenbereich eine zu geringeBedeutung beigemessen wird, sehen sollen, daß das beiuns nicht so ist. Wir haben in der Tat eine Menge für dieGerichte getan. Das waren keineswegs wir alleine. Hierwar es anders als beim Deutschen Patent- und Marken-amt; hier können wir auf Entscheidungen aufbauen, dieauch früher gemeinsam getroffen wurden. Auf der Ebe-Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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ne des Bundes ist das nicht so. Aber das, was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen über die Verbesserungvon Organisation und Ausstattung gesagt haben, trifftzu: In den Ländern muß es besser werden.Zum anderen tut, so glaube ich, die Politik gut daran,durch diese Maßnahmen ihren Respekt gegenüber denunabhängigen Gerichten zu erweisen. Das ist eine ver-nünftige und eine notwendige Maßnahme.Im letzten Jahr haben wir in der Rechtspolitik in derTat eine Kehrtwende vollzogen. Übrigens, Herr KollegeHenke, das hübsche Wort vom „Dornröschen“ stammtleider nicht von mir; ich habe das – das werden Sie fest-stellen, wenn Sie das nachlesen – nur zitiert. Das stammtvon einem ganz pfiffigen Journalisten.
– Ja, natürlich. – Ich finde, er hat recht. Ich wollte michbloß nicht mit fremden Federn schmücken.
Wenn auch Sie der Meinung sind, daß das stimmt, dannverbindet uns schon wieder etwas.
Jetzt zu einem weiteren Punkt. Es war doch deswegennotwendig, klare Grundlinien zu schaffen, weil einer derNachteile Ihrer Rechtspolitik der vergangenen Jahredarin bestanden hat, daß kein Mensch mehr wußte, war-um Sie etwas gerade machen.
Es gab sehr viele Einzelregelungen – einmal hü, einmalhott.
All diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich in derVergangenheit ernsthaft bemüht haben, sich aber nichtdurchsetzen konnten, lade ich herzlich ein.
– Ich wollte Sie nicht einladen dazwischenzurufen, zu-mal Sie schon geredet haben, sondern zuzuhören undsich dann – durchaus auch streitig – an den Diskussio-nen zu beteiligen.
Ich möchte jetzt einmal vier Punkte nennen, wo wirdie Grundlinien geändert haben. Sie alle bringen dieAufgabe zum Ausdruck, die Entscheidungen einesrechtsstaatlichen und sozialstaatlichen demokratischenGefüges, das wir haben, nicht nur national, sondern aucheuropäisch durchzusetzen. Denn, verehrter Herr KollegeGeis, die Globalisierung können noch nicht einmal dieJuristen aufhalten.
Es verhält sich ein bißchen anders, als Sie sagen. Wirkönnen uns nur darum bemühen, die Entscheidung fürRechtsstaatlichkeit auf die europäische Ebene zu trans-ferieren.Ich finde es schön, daß Sie die Grundrechtechartaloben. Aber es waren nicht Sie, die sie in Angriff ge-nommen und als Initiative durchgesetzt haben. Das warvielmehr einer unserer Erfolge der deutschen Präsident-schaft im ersten Halbjahr.
Daß in der Fortsetzung der deutschen Präsidentschaft dieTagung in Tampere uns auf dem Weg zu einem einheit-lichen europäischen Rechtsraum einen großen Schrittnach vorn gebracht hat, kommt hinzu.Ich nenne Ihnen weitere Stichworte unter dem Aspektder Rechtsstaatlichkeit, zum Beispiel Eurojust oder dieSchritte über eine erleichterte Anerkennung der Urteileund Entscheidungen in allen Staaten der EuropäischenUnion. Es lohnt sich, wenn Sie sich dort einklinken. Ichdenke, wir haben eine Menge vor, was wir gemeinsambewältigen können.Die zweite Grundlinie. Wir haben damit begonnen, inder Rechtspolitik klar für die Opfer Partei zu nehmen.Das gilt zum Beispiel für den Täter-Opfer-Ausgleich,einen Bereich, bei dem ich gar nicht verstehe, warumSie kritische Töne anschlagen.
Das gilt auch für die Frage, Alternativen im Sanktionen-system zu finden, ein Punkt, über den schon einiges ge-sagt wurde. Wir werden in den nächsten Wochen mitentsprechenden Vorschlägen an die Öffentlichkeitkommen, in Einklang mit der Kommission, die dannhoffentlich ihre Arbeiten beendet haben wird.Und dies gilt für die Vorbereitung der Rechtsmittelre-form – dabei meine ich nicht die Reform von Zivilsa-chen, sondern die Reform von Strafsachen – ebenso wiefür den dringend erforderlichen Kampf gegen Gewalt.Dabei geht es um die Zurückdrängung der Gewalterfah-rung, sei es nun, daß Frauen, daß Ältere oder daß Kinderverprügelt werden.All diese Punkte sind – lassen Sie mich das deutlichsagen – in den letzten Jahren auf sträfliche Weise ver-nachlässigt worden.
Deswegen wird das geändert.Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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6470 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Der dritte Punkt ist das klare Signal für die Moderni-sierung. Die Veränderung des Gerichts- und Rechts-mittelsystems soll in der Tat den Bürgern dienen, undsie tut das auch. Sie wird zu mehr Transparenz beitragenund zu Vereinfachungen führen.
Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Geis, daß Sienoch sehr lange mit der Forderung, wir wollen die Vier-stufigkeit, herumlaufen können und Erfolg haben wer-den. Ich darf Sie daran erinnern: Wir haben die Vierstu-figkeit
in bestimmten Bereichen, bei Teilen der Zivilgerichts-barkeit und der Strafgerichtsbarkeit. Wir haben sie nichtin der Familiengerichtsbarkeit, nicht im Bereich derVerwaltungsgerichtsbarkeit, nicht bei der Arbeitsge-richtsbarkeit und auch nicht bei der Sozialgerichtsbar-keit. Bei der Finanz- und Patentgerichtsbarkeit habenwir sogar nur die Zweistufigkeit.
Sie müssen sich überlegen, was Sie tatsächlich sagen.
Außerdem werden wir weder die Amtsgerichte ab-schaffen noch die zweite Tatsacheninstanz. All das sindirgendwelche Märchen. Das, was wir tun wollen, tun wirmit der Zustimmung der Wirtschaft. Wir tun es gerademit der Zustimmung der kleinen Handwerker, denen esdarum geht, ihre Forderungen in vernünftiger Weise undangemessener Zeit durchsetzen zu können.
Wir wollen, daß die Anwälte, von ganz wenigen Pro-zessen abgesehen, die Tatsachen nicht erst in der zwei-ten Instanz einbringen, obwohl sie diese bereits in derersten hätten einbringen können. Wir sind der Meinung,daß es ihnen zuzumuten ist, das, was an Tatsachen vor-liegt, bereits in der ersten Instanz einzubringen; denn dasverkürzt den Prozeß. Das ist genau das, was wir wollen.
Wenn Sie es ernsthaft überdenken, werden Sie das mittragen können.Der vierte Punkt ist mir ganz besonders wichtig. Erbetrifft die Entscheidung der Rechtspolitik für dieRechtsstaatlichkeit. Ich darf daran erinnern, daß esnicht mehr allein um den nationalen Bereich, sondernauch um den Bereich der Europäischen Union geht, Eu-rojust spielt hier eine Rolle.Das, was Sie, Herr Geis, zur Kronzeugenregelungausgeführt haben, trifft nicht zu. Sie wissen ganz genau,daß auch in Ihrer damaligen Regierungskoalition bei denVerlängerungen die rechtsstaatlichen Bedenken eine er-hebliche Rolle gespielt haben. Auch bei uns gibt es dieseBedenken. Wir sind im übrigen der Meinung, daß wirdas, was notwendig sein wird, in § 46 des Strafgesetz-buchs einbauen werden. Auf die Diskussion mit Ihnendarüber freue ich mich.Bei der Frage des § 12 FAG hatten die gleichen Leuterechtsstaatliche Bedenken. Auch das muß hier einmalausgesprochen werden. Es ist vernünftig, die Normen,die Sie leider Gottes nicht rechtsstaatlich genug gefaßthaben, rechtsstaatlich zu fassen und in die Strafprozeß-ordnung zurückzuführen. Darüber sollte in diesem HausKonsens zu erzielen sein.Lassen Sie mich noch zwei Punkte erwähnen. Wirmachen in der Tat Schluß mit der Diskriminierunggleichgeschlechtlicher Sexualität. Es ist aber völligfalsch, zu meinen, wir würden der Ehe dadurch in ir-gendeiner Weise etwas wegnehmen. Das sind zwei un-terschiedliche Sachverhalte, die wir unterschiedlich re-geln werden. Ich bin sehr dankbar, daß auf der einenSeite die Grünen in der öffentlichen Diskussion sagen,daß auch sie das möchten. Ich stelle mit Vergnügen fest,daß Sie, verehrter Herr Geis, sagen, niemals nie, wäh-rend uns Frau Süssmuth auffordert, entsprechende Re-gelungen vorzulegen.
Die gesellschaftliche Diskussion wird auch Sie errei-chen. Ich freue mich auf diese Diskussion, und sie wirdfortgesetzt.
– Die Auseinandersetzung mit Frau Süssmuth müssenSie schon selbst führen.
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen.Ich freue mich in bezug auf den Bereich Entscheidungenfür die Rechtsstaatlichkeit sehr, daß wir in den kom-menden Wochen ebenfalls die Möglichkeit haben wer-den, ein vernünftiges und weiterführendes Zeugnisver-weigerungsrecht zu entwickeln. Wir werden es vorlegenund einbringen.
– Jetzt sehe ich gerade, daß sich Herr Geis wieder richtigerregt. Eigentlich hätte ich mit einem liebevollen Zitatund einem netten Spruch an ihn enden wollen.
– Gut, dann werde ich das machen und sagen: Die Zei-ten, in denen wir leben, sind interessant.Es ist richtig, daß wir den Reformstau jetzt auflösenkönnen. Wir machen es anders als Sie, wir laden Sieausdrücklich zu Diskussionen und zum Konsens ein. Ichhabe dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses mehrfachangeboten, daß über jeden einzelnen der Punkte, die wirumsetzen wollen, nicht nur sehr breit und öffentlich dis-Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6471
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kutiert wird, sondern daß wir auch gern Ihre sachdienli-chen und weiterführenden, vielleicht auch kritischenÜberlegungen einbeziehen werden.Ich wiederhole das: Ich freue mich darauf, mit Ihnenüber Inhalte zu streiten. Dann werden die Diskussionenum den Haushalt vielleicht sogar noch liebenswürdigerund noch spannender.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
über Einzelplan 07 – Bundesministerium der Justiz – in
der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ein-
zelplan 07 mit den Stimmen der Regierungskoalition
gegen die Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und PDS an-
genommen.
Wir stimmen über Einzelplan 19 – Bundesverfas-
sungsgericht – in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist der Einzelplan mit den Stimmen der CDU/CSU und
der F.D.P. sowie einigen Stimmen aus der PDS-Fraktion
bei Enthaltungen einiger Abgeordneter der PDS-
Fraktion angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
– Drucksachen 14/1906, 14/1922 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Lothar Mark
Oswald Metzger
Carl-Detlef Frhr. v. Hammerstein
Herbert Frankenhauser
Dr. Christa Luft
Einzelplan 33
Versorgung
– Drucksache 14/1920 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Oswald Metzger
Heidemarie Ehlert
Zu Einzelplan 06 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. sowie drei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vertreteden kurzfristig erkrankten Kollegen von Hammerstein,dem ich – so glaube ich – von dieser Stelle aus im Na-men des gesamten Hauses gute Besserung wünschendarf.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,mitten in die Haushaltsberatungen ist ein interessantesInterview des Bundesinnenministers hineingeplatzt,
in dem er sich über die Zukunft des Asylrechts und diePraxis des Asylrechts in Deutschland ausgelassen hat.Darin ist davon die Rede, daß in Deutschland die Gren-zen der Belastbarkeit durch Zuwanderungen überschrit-ten seien. Die Forderung von Schily lautet, die Lastender Wanderungsbewegungen innerhalb der Europäi-schen Union gerechter zu verteilen.Recht hat er, der Bundesinnenminister, meine sehrverehrten Damen und Herren. Nach wie vor kommt zir-ka die Hälfte aller Flüchtlinge, die in der EU Aufnahmefinden, nach Deutschland. Die schon seit einigen Jahrenerhobene politische Forderung der Union hat leider nochnicht zu dem Ergebnis einer gerechteren Lastenvertei-lung innerhalb der europäischen Partnerländer geführt.Wir von seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktionhätten uns schon gewünscht, daß die politische Kraft desBundesinnenministers etwas weiter reicht, als eine kon-troverse und sicherlich bei den Grünen auf große Zu-stimmung gestoßene Äußerung zum Asylrecht vorzutra-gen, nämlich aus einer zutreffenden, aber offensichtlichnur oberflächlichen Analyse auch tatsächlich eine richti-ge Schlußfolgerung zu ziehen.
Beispielsweise wäre im Rahmen der Beratungen überden Haushalt und das Konsolidierungsprogramm einBlick in das Asylbewerberleistungsgesetz aus haushälte-rischer und auch aus politischer Sicht sinnvoller gewe-sen. Es hat eine sehr intensive Diskussion darüber gege-ben, ob nicht beispielsweise § 2 des Asylbewerberlei-stungsgesetzes, der die Leistungsansprüche von Asyl-bewerbern in der Bundesrepublik regelt, stärker einge-schränkt werden muß. Diese Forderung ist von seitendes Bundesrates von den Ländern Hessen, Bayern undBaden-Württemberg, aber auch von den kommunalenSpitzenverbänden erhoben worden. Herr Kollege Schily,wenn Sie schon Burden sharing fordern, hätten Sie auchden politischen Mut besitzen müssen, im Rahmen dieserHaushaltsberatung den Vorschlag einzubringen, dasAsylbewerberleistungsgesetz in diesem Punkt zu ändernund damit einen wesentlichen Anreiz, nach Deutschlandzu kommen, zu beseitigen.
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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6472 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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Ich glaube, daß Sie damit nicht nur einen wesentli-chen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung nicht nur desBundes, sondern vor allen Dingen der Gemeinden hättenleisten können, sondern daß Sie auch dem breiten Ge-rechtigkeitsempfinden einer großen Mehrheit der bun-desrepublikanischen Bevölkerung entsprochen hätten.Dies wäre – besser als Interviews – tatsächlicher Taten-drang. Sie nähern sich zwar in inhaltlichen Vorstellun-gen Ihrem Amtsvorgänger Manfred Kanther; aber anTatkraft und Umsetzungsfähigkeit mangelt es Ihnennoch sehr stark.
Vor diesem Hintergrund mutet es auch seltsam an,daß in dem Haushalt für das Jahr 2000 gerade einmal1 Millionen DM für die Integration ausländischer Mit-bürgerinnen und Mitbürger in die Bundesrepublik ver-anschlagt sind. Jürgen Rüttgers, der da vorne sitzt, hat ineinem umfassenden Integrationskonzept,
das wir hier als Antrag beraten haben, die umfassendenErfordernisse der Integration von Ausländern in dieBundesrepublik Deutschland aufgezeigt. Es bedarf inder Tat einer umfassenden Konzeption und nicht ledig-lich eines Placebo-Ansatzes, wie Sie ihn in Ihrem Etatvortragen.
Im übrigen – auch das will ich an dieser Stelle einmalsagen – ist dieser Etat vom Ansatz her schlechter als dieetwas über 1 Million DM teure Kampagne ausgestattet,mit der Sie waschmittelwerbungsgleich für die doppelteStaatsbürgerschaft werben. Ich halte das – sowohl vomVerfahren als auch von der inhaltlichen Ausrichtung her– für zweifelhaft. Ihre Regierung hat auf jeden Fall eineumfassende Verschwendung von Steuergeldern zu ver-treten.Ich möchte eine zweite Anmerkung zu der finanziel-len Ausstattung der Bereitschaftspolizei machen. In denvergangenen Jahren hat es einen Konsens zwischenBund und Ländern über die Bundesfinanzierung der Be-reitschaftspolizei gegeben. Trotz knapper Mittel hat derBund eine Mindestausstattung stets gewährleistet. Sieschlagen jetzt vor, in den nächsten Jahren aus der Kofi-nanzierung der Bereitschaftspolizei auszusteigen, undSie wollen im Jahre 2002 den Bundeszuschuß ganzstreichen. Wir von seiten der Union halten dies für eineerhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in derBundesrepublik Deutschland. Die Aufgaben der Bereit-schaftspolizei waren immer auch von überregionalenInteressen geprägt. Sie sollten den Aufforderungen derLänder, aus dieser Finanzierung nicht auszusteigen, Ge-hör leisten.Ich möchte eine dritte Anmerkung zu der von Ihnenmit diesem Haushaltsentwurf vorgeschlagenen Privati-sierung der inneren Sicherheit machen. Wir halten denvon Ihnen eingeschlagenen Weg, für die Finanzierungder inneren Sicherheit von seiten der Deutschen BahnAG eine viertel Milliarde DM an Gebühr zu veranschla-gen, für politisch falsch. Die Union verschließt sich Pri-vatisierungsoffensiven im Prinzip nicht.
Aber wir halten es nicht für geboten, daß wir die Fragevon Recht und Ordnung zu einer Frage der Zahlungsbe-reitschaft und Zahlungsfähigkeit in der BundesrepublikDeutschland machen.
Ich muß Ihnen sagen: Es wundert mich darüber hin-aus sehr, daß die Koalition gerade die Deutsche Bahn alsVersuchsfeld für die Privatisierung der inneren Sicher-heit verwendet, weil sie damit die umweltfreundlicheMobilität der Kunden der Deutschen Bahn AG in einemgroßen Umfang weiter verteuert.In Ihren Bemühungen für den Haushalt 2000 fehlentatsächliche Einsparbemühungen; denn außer dieser Ge-bührenschöpfung verändern Sie Ihr Ausgabengebarennicht. Im Schröder/Blair-Papier, das offensichtlichnoch immer Grundlage zumindest von Teilen der Politikder Bundesregierung ist, steht vollmundig vieles zurModernisierung des öffentlichen Sektors und zur Effi-zienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung. In IhrerKoalitionsvereinbarung haben Sie angekündigt, eineKoordinationsstelle für diese Aufgaben einzurichten.Fehlanzeige im Etat 2000: Es gibt keine konzeptionellenFortentwicklungen im Bereich des Dienstrechtes. Fehl-anzeige bei der Reorganisation der öffentlichen Ver-waltung. Fehlanzeige bei einer kompletten Antwort aufdie Versorgungslasten. Auch hierzu liegt eine Negativ-bilanz vor.Herr Bundesinnenminister, Sie haben kein Herz fürdie Sportpolitik.
In den vergangenen zehn Jahren hat es im Bereich desSports ausgesprochen breite Zustimmung gegeben. Ichweiß, da vorne sitzt der Konkursverwalter der Sportpo-litik in diesem Haushalt, der Abgeordnete Mark, dergleich versuchen wird, das Versagen schönzureden undgesundzubeten.Tatsache bleibt aber: Die Förderung des Spit-zensportes wird zusammengestrichen: Weniger fürWettkampf und Trainingsmaßnahmen, weniger fürOlympiastützpunkte und für die Sportmedizin.
Die Behauptung, es gebe mehr Geld für den Sport, istnur dadurch zustande gekommen, daß Sie im Haushaltbereits etatisierte Aufwendungen für die Paralympicshinzugefügt haben. In einer Art wundersamer Geldver-mehrung haben Sie ein neues Loch geschaffen, und ananderer Stelle haben Sie versucht, mit diesem Geld dasLoch zu stopfen.
Steffen Kampeter
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6473
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Die Investitionen in die Sportstätten werden mehrals halbiert. Die Zusage für Berlin und Leipzig wurdeerst auf den politischen Druck der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hin eingelöst.
Dem Institut für Sportwissenschaft wollen Sie den Gar-aus machen.Von Ihrer vollmundigen Wahlkampfankündigung,den Goldenen Plan Ost mit 100 Millionen DM pro Jahrauszustatten, sind nur 15 Millionen DM geblieben.
Den Rest der versprochenen Mittel haben Sie im Inve-stitionszulagengesetz entsorgt.Den Riesenblödsinn, den Sie mit der 630-Mark-Regelung in den Sportvereinen angestellt haben, werdenSie durch keine Maßnahme in diesem Haushalt wieder-gutmachen können.
Hier sind insbesondere im ehrenamtlichen Bereich – ichbin selber Vorsitzender eines Sportvereins –
große Lücken gerissen worden.Der Etat 2000 des Bundesinnenministers ist ein Do-kument der Konzeptions- und Handlungslosigkeit. Es istkeinerlei inhaltliche Perspektive weder für die innere Si-cherheit noch für den Sport zu erkennen. Deswegenwerden wir ihn voller inhaltlicher Überzeugung ableh-nen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen! Verehrte Kollegen! Wir haben eben von HerrnKampeter plakative Luftblasen gehört.
Ich möchte hinzufügen, daß wir dies im Grunde ge-nommen von den jeweiligen Einlassungen gewöhnt sind.
Als von Herrn Kampeter titulierter Konkursverwaltermöchte ich einige klare Bemerkungen zu der sehr kon-struktiven Sportpolitik der Innenministers machen.
Die Koalitionsfraktionen setzen in der Sportförderung2000 drei besondere Akzente:
Weiterführung des Goldenen Plans Ost, Sanierung desOlympiastadions Berlin und des Zentralstadions Leipzigsowie Förderung des Behindertensports. Wir glauben,daß wir damit einen Beitrag zu Fair play in der Sport-politik leisten und Investitionsimpulse geben.
Trotz Erfüllung des Konsolidierungsauftrages imHaushalt ist es uns gelungen, notwendige Kürzungenmoderat, sozial gerecht und vertretbar zu halten. Daßunter den gegebenen Haushaltsprämissen die Investitio-nen dennoch erheblich gesteigert werden konnten,
spricht für den kreativen und innovativen Gestaltungs-willen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktio-nen, lieber Herr Kampeter.
Wir streben eine stetige Angleichung der Förderungdes Behindertensports an die Förderung des Nichtbe-hindertensports an. So werden die Mittel für die Entsen-dung von Mannschaften zu Paralympics, Weltspielender Gehörlosen und Special Olympics von 850 000 DMauch, aber nicht nur veranstaltungsbedingt auf 2,9 Mil-lionen DM erhöht.
Wesentlich bescheidener, aber trotzdem Duftmarkensetzend, fallen die Förderungen im ärztlichen und phy-siotherapeutischen Bereich des Behindertensports sowiedie wissenschaftliche Betreuung und Begleitung aus. FürBehinderte wie Nichtbehinderte setzen wir unsere For-derungen gleichermaßen um.Herr Kampeter, Ihre Aussage, die Sanierung der Sta-dien in Berlin und in Leipzig würde nur auf Druck derCDU/CSU gefördert, ist ein Trugschluß. Wir haben inden jeweiligen Sitzungen des Haushaltsausschusses die-se Position bewußt offengelassen, weil wir uns versi-chern wollten, in welchen finanziellen Schritten die ge-planten Maßnahmen gefördert werden können und müs-sen. Es macht keinen Sinn, vorher Summen einzusetzenund zu benennen, die in der Realität nicht umsetzbarsind.
Wir haben für die Förderung der Stadiensanierungsowohl in Berlin als auch in Leipzig für das Jahr 2000jeweils 20 Millionen DM neu eingestellt und sind Ver-pflichtungsermächtigungen für die nächsten Jahre je-weils in Höhe von 80 Millionen DM eingegangen. Werangesichts dieser Zahlen behauptet, dies seien Luftbu-chungen, der täuscht die Bevölkerung bewußt.
Ich möchte aber auch sofort hinzufügen, daß dadurchkein neues Faß für Stadiensanierungen mit Bundesmit-teln geöffnet wird; denn nach wie vor ist hier eine ganzSteffen Kampeter
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6474 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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klare Trennung der Zuständigkeiten vorhanden. Abermit diesen Stadienneubauten fördern wir unter Umstän-den nicht nur den Profisport, sondern auch Breiten- undSpitzensport, die Jugendarbeit sowie auch die Baubran-che. Wir wissen, daß sich gerade diese im Moment alssehr problematisch darstellt.Wenn nun von seiten der CDU/CSU gesagt wird, derGoldene Plan Ost sei quasi reduziert, und es würden inder Realität nicht die Summen umgesetzt, die ursprüng-lich prognostiziert worden seien, dann muß man ganzdeutlich sagen: Die CDU/CSU hat es in ihrer Regie-rungszeit in zehn Jahren nicht geschafft, einen GoldenenPlan Ost aufzustellen.
Vielmehr hat sie es sogar für richtig gehalten, die Neu-baumaßnahmen aus dem Investitionsförderungsgesetzherauszunehmen, so daß für Sportneubauten in den neu-en Bundesländern überhaupt keine Mittel mehr zur Ver-fügung standen. Dies hat die neue Bundesregierung kor-rigiert. Ich meine, daß es ungemein wichtig war, so zuverfahren.
Beim Goldenen Plan Ost haben wir für 2000 wieder-um 15 Millionen DM etatisiert
– Sie haben in den zehn Jahren überhaupt nichts ge-macht –, und wir haben Verpflichtungsermächtigungenin Höhe von 30 Millionen DM für die nächsten beidenJahre ausgebracht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mark,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Schließlich möchte ich noch
darauf hinweisen, daß durch die Komplementärfinanzie-
rungen fast 135 Millionen DM in Gang gesetzt werden.
Dies ist nicht nur für den Sport, sondern auch für unsere
Volkswirtschaft von allergrößter Bedeutung. Ich denke,
daß mit diesen Investitionen Gelder der Bürgerinnen und
Bürger rentierlich angelegt sind.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich alsHauptberichterstatter für diesen Einzelplan den Mitbe-richterstattern sehr herzlich danken. Wir hatten kon-struktive, fruchtbare Gespräche. Daß wir uns nicht über-all über die Ergebnisse einig sind, ist ein anderes Thema.Aber die Beratungen waren gut. Ich schließe in diesenDank die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hausesausdrücklich ein. Das war eine prima Zuarbeit. SchönenDank dafür.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerBundesinnenminister leistet sich den „Luxus des Den-kens“; wie er unlängst der „Zeit“ gesagt hat. Es ist schonbemerkenswert, daß wir in unserem Politstreß, in demwir uns alle befinden, das Denken schon als Luxus be-zeichnen müssen. Wir sollten uns viel mehr davon gön-nen.Aber es ist etwas anderes, in einer Phase des Nach-denkens bereits Unausgegorenes zu servieren, und esstellt sich die Frage, ob es klug ist, eine Debatte wiederaufleben zu lassen, die wir vor ein paar Jahren mit einemKompromiß abgeschlossen hatten. Die damalige Debattezum Asylrecht war schmerzlich. Sie war nicht unbe-dingt rühmlich, und niemandem ist der Kompromiß sei-nerzeit leichtgefallen. Vor allem ist die damalige De-batte bisweilen mit Bildern und Argumenten geführtworden, die enorm emotionalisiert haben, die gespaltenhaben,
die die Bürgerinnen und Bürger zum Teil geradezu ge-geneinander aufgehetzt haben
und die notwendige Suche nach einem ethisch vertretba-ren und zugleich praktisch handhabbaren Kompromißnicht gerade erleichtert haben. Fangen wir nicht an, wie-der in diese rhetorischen Verirrungen einzusteigen;
Eines ist klar: In einem einheitlichen Raum der Frei-heit, der Sicherheit und des Rechts, wie der Amsterda-mer Vertrag die Europäische Union beschreibt, kom-men wir um eine gemeinschaftliche Regelung des Asyl-rechts nicht herum. Das wird für Deutschland sehr hei-kel werden; denn die Partner werden kaum bereit sein,die deutschen Regelungen zu übernehmen, von der ver-fassungsrechtlichen Grundlage bis zur Frage der Sozial-hilfesätze oder der Unterbringungsstandards. Es wird al-so ohne Beschränkungen der Freizügigkeit innerhalb derEuropäischen Union nicht gehen, wenn ein europäischesAsylrecht kommt.Das wiederum setzt Quotierungen voraus, und dieseQuotierungen wiederum setzen ein hohes Maß an Soli-darität voraus, die ich in der Europäischen Union bisheute leider noch nicht sehe.Der Luxus des Denkens sollte sich also von der Not-wendigkeit des Handelns nicht abkoppeln. Das heißt, dieBundesregierung muß das Thema in Brüssel verhandeln,besonnen und beharrlich, aber ohne große Töne. Dassetzt allerdings eine von Rotgrün gemeinsam getragenePolitik voraus. Eine solche ist keineswegs erkennbar.Gerade in dieser Frage liegen zwischen Otto Schily undMarieluise Beck Welten.Soll hier nach Atompolitik und Staatsangehörigkeits-recht, nach Kosovo-Krieg und der Panzerlieferung dieLothar Mark
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nächste Sollbruchstelle für Rotgrün programmiert wer-den? Oder hält der Bundesinnenminister seine früherenParteifreunde von den Grünen für so flexibel, daß siesich schon lustvoll auf die nächste Kröte freuen, obwohlsie etliche andere immer noch nicht heruntergeschluckthaben und kräftig daran herumwürgen?
Zum Thema Staatsangehörigkeit: Hier ist es derRegierungskoalition nur mit Hilfe der F.D.P. gelungen,ein vernünftiges und vor allem auch verfassungskon-formes Gesetz zustande zu bringen. Das muß jetzt um-gesetzt werden. Es ist schon als Skandal zu bezeichnen,daß – schon heute absehbar – zum Jahreswechsel keinebundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften vorliegenwerden.
– Das weiß ich. – Der Bundesgesetzgeber kann und darfes nicht hinnehmen, daß die Kriterien in Sachsen-Anhaltanders als in Sachsen oder Niedersachsen angewendetwerden.
Wir Liberalen fordern die Bundesregierung auf, mitNachdruck bei der Konferenz der Innenminister vonBund und Ländern dafür zu sorgen, daß hier für den ein-zelnen Rechtsklarheit geschaffen wird.
Den Luxus zum Denken sollte sich der Innenministerauch gönnen, wenn er die Axt an die Wurzeln der Pres-sefreiheit ansetzt.
Daß die Umsetzung der Datenschutzrichtlinie der EUebenso dringlich wie schwierig ist, wird ja niemandbestreiten. Otto Schily geht ja über das, was die EUverlangt, weit hinaus. Diesen Anschlag auf die Presse-freiheit ausgerechnet in einem Datenschutzgesetz zuverstecken, halte ich für ziemlich unverfroren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hoyer,
gestatten Sie eine Frage des Kollegen Wiefelspütz?
Ja.
Herr Kollege Hoyer, Ihr
Redebeitrag war bislang von Nachdenklichkeit und sehr
viel Sachlichkeit geprägt. Jetzt fangen Sie mit einer Zu-
spitzung an, die weit über das Ziel hinausschießt. Wür-
den Sie uns bitte erläutern, wieso mit Texten, die die
frühere Bundesregierung entworfen hat und die der Da-
tenschutzbeauftragte bislang immer so akzeptiert hat,
auf einmal ein Anschlag auf die Pressefreiheit ausgeübt
werden kann? Würden Sie uns bitte auch darüber aufklä-
ren, wie Sie es würdigen, daß von seiten der Bundesre-
gierung aber auch von seiten der Koalition, jederzeit Ge-
sprächsbereitschaft in dieser Angelegenheit bestand?
Kein Mensch kann doch unterstellen, daß wir ernsthaft
vorhätten, die Pressefreiheit oder auch nur die Arbeits-
bedingungen der Presse zu erschweren.
Letzteres freut mich zu
hören. Ich registriere auch, daß der Bundesminister in
den letzten Tagen in dieser Frage zurückgerudert ist. Ich
halte das auch für erforderlich. Sie müssen berücksichti-
gen, Herr Kollege Wiefelspütz, daß der Kollege Kan-
ther, mit dem ich nicht in allen innen- und rechtspoliti-
schen Fragen immer einig war, in der Frage der Presse-
freiheit ganz besonders sensibel gewesen ist.
Als es darum ging, die Datenschutzrichtlinie, die ja
nicht gerade von gestern ist, in deutsches Recht umzu-
setzen, ist er da sehr vorsichtig herangegangen,
weil er erkannt hat – das ist der Punkt, der mir besonders
wichtig ist –, daß die „Denke“ hinter diesem Vorschlag,
der das Haus ja noch nicht erreicht hat – insofern kön-
nen ja noch Verbesserungen stattfinden –, nicht stimmt:
Medienunternehmen, Redaktionsräume, Journalistenbü-
ros eignen sich einfach nicht für die Arbeit eines Me-
diencontrolletti, der Quellen aufdecken, Unterlagen ein-
sehen, Rechercheunterlagen herausfordern oder Infor-
manten aufdecken will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hoyer,
es gibt eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Koppe-
lin.
Gern.
Herr Kollege Hoyer,
trifft es zu, daß auch der Deutsche Journalisten-
Verband die Punkte, die Sie eben nannten, am Wo-
chenende kritisiert hat?
Ich bedanke mich au-ßerordentlich für diese hilfreiche Frage. Das gibt mir dieDr. Werner Hoyer
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Gelegenheit, daran zu erinnern, daß auch der DeutschePresserat davor gewarnt hat, in diese Richtung weiter-zugehen. Ich erkenne ja an, daß Herr Bundesminister beidiesem Thema wieder etwas vorsichtiger geworden ist.Ein Wort zur politischen Bildung: Ich habe langsamden Eindruck, daß die politische Bildung in Deutschlandebenso wie das Wissen und die Kenntnis um politischeZusammenhänge Not leidet. Das trifft die Bundeszen-trale für politische Bildung ebenso wie die politischenStiftungen und viele andere Organisationen und Initiati-ven. Da kann gewiß vieles modernisiert und aktualisiertwerden. Nicht jedes Projekt besitzt Anspruch auf Ewig-keitsgarantie, erst recht nicht die entsprechenden Plan-stellen. Die Arbeit muß aber gemacht werden. Oft mußsie auch gebündelt werden.Am deutlichsten scheint mir dieses beim ThemaRechtsextremismus der Fall zu sein. Hier ist es erfor-derlich, die Aktivitäten, die in Form vieler Einzelmaß-nahmen, von vielen Organisationen getragen und überdie politischen Ebenen hinweg stattfinden, zu bündeln.
Was die politischen Stiftungen angeht, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, haben wir festzustellen, daß siedurch ihre Inlands- und Auslandsarbeit in den letztenJahrzehnten Großartiges geleistet haben.
Weltweit werden wir um unsere politischen Stiftungenbeneidet. In manchem Land der Welt wäre der Weg zuRechtsstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaftnoch schwieriger gewesen, hätte es die Arbeit der deut-schen politischen Stiftungen nicht gegeben.
Manche gute Freundschaft mit Parlamentarierinnenund Parlamentariern in neuen Demokratien könnten wirheute wohl nicht pflegen, hätten nicht die deutschenStiftungen unter schwierigsten Bedingungen zu einerZeit Kontakte hergestellt und Werte vermittelt, als dieoffizielle Außenpolitik noch sehr viel mehr Rücksichtennehmen mußte. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern.Deswegen begrüße ich es, daß wir eine Verstetigungder Stiftungsfinanzierung in den nächsten Jahren einver-nehmlich haben erreichen können, wenn auch auf deut-lich abgesenktem Niveau. Aber immerhin gibt diesesNiveau Planungssicherheit.Jetzt wird es wichtig sein, den Stiftungen klareRechtsgrundlagen sowohl für ihre Arbeit als auch für ih-re Finanzierung zu geben. Deswegen wird die F.D.P. dasThema Stiftungsgesetz erneut auf die Tagesordnungbringen.Herr Minister Schily, gönnen Sie sich weiter den Lu-xus des Denkens, aber vergessen Sie das Handeln nicht.Sie haben in der letzten Zeit immerhin mit der Altfallre-gelung einiges zusammengebracht. Aber von der Video-überwachung bis zum Waffenrecht, von den privaten Si-cherheitsdiensten bis zum Aktionsbündnis gegen denRechtsextremismus ist noch einiges Unerledigte auf derTagesordnung.Ein letztes Wort zum Thema innere Sicherheit. Diestrukturellen Verwerfungen bei BGS und BKA müssenangegangen werden. Das ist mit ein paar hundert Stel-lenhebungen, so sinnvoll und richtig sie sind, nicht erle-digt, wenn die gesamte deutsche Polizei unter dem Be-urteilungssystem leidet und in wesentlichen Bereichenbeim Thema Beförderung auf Grund ungelöster rechtli-cher Konflikte und schwebender Rechtsstreite praktischStillstand der Rechtspflege herrscht.Wir unterbreiten beim Haushaltsgesetz erneut denVorschlag, die sensibelsten Bereiche der inneren Sicher-heit aus den Rasenmäherstellenstreichungen herauszu-nehmen, und zwar nicht nur bei den Polizeivollzugsbe-amten, sondern auch bei der Kriminaltechnik und beiden völlig überlasteten Vorposten der inneren Sicherheitim Ausland, den Rechts- und Konsularbereichen derAuslandsvertretungen. Ich werbe bis zum letzten Tagdieser Haushaltsberatungen darum, daß wir hier nocheine gemeinsame Lösung hinbekommen.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege
Cem Özdemir.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren!
– Da mußt Du jetzt durch. – Der Kollege Lothar Markhat bereits auf die Anstrengungen der Bundesregierungim Sportbereich hingewiesen. Deshalb kann ich mir die-sen Teil sparen.
Aber Sie werden uns abnehmen, daß diese Bundesregie-rung den in europäischen Wettbewerben verbliebenendeutschen Fußballmannschaften die Daumen drückt. Ichdarf sicherlich auch für das ganze Haus sagen, daß wirheute abend Hertha die Daumen drücken.
Die Notwendigkeit für Einsparungen im Haushalt desBundesinnenministeriums ist offensichtlich. Wir habenals Erblast einen Schuldenhaushalt übernommen, deruns gezwungen hat, in allen Bereichen zu sparen. Daßdie Einsparungen schmerzlich sind, ist in verschiedenenRedebeiträgen bereits angeklungen. Wir mußten bei etli-chen Projekten sparen, was uns nicht leicht gefallen ist.Trotzdem muß dieser Weg der Konsolidierung in denkommenden Jahren fortgesetzt werden, und er wird auchfortgesetzt werden.Wir werden uns dafür einsetzen, daß die Sparmaß-nahmen gerecht sind. Trotzdem wird es uns nicht erspartDr. Werner Hoyer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6477
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bleiben, daß wir auch in Bereichen sparen, bei denen esdem einen oder anderen wehtun wird. Auf einen Bereichhat dabei meine Fraktion ein ganz besonderes Augen-merk: auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und denBundesgrenzschutz. Auch hier muß zukünftig viel stär-ker als bisher gelten: Sicherheit schaffen mit wenigerAufwand. Es geht hier nicht darum, ideologischeSchlachten von gestern zu schlagen, aber sehr wohl dar-um, daß Effizienz überall Einzug halten muß. Auch hiermuß man mit kritischem Blick durchleuchten, wo esEinsparpotentiale gibt.
Ich möchte zur Philosophie des Haushaltes etwas sa-gen. Wir reden hier ja nicht über unser eigenes Geld,sondern über das Geld der Bürgerinnen und Bürger, dasuns anvertraut worden ist.
Das ist die Geschäftsgrundlage, auf der wir handeln. DiePolitik dieser Bundesregierung ist von dem Gedankengekennzeichnet, daß wir uns bei dem, was wir tun, desGeldes würdig erweisen, das wir verwalten.Darum haben wir ein Staatsangehörigkeitsrechtverabschiedet, das die Probleme in dieser Republik nichtgrößer, sondern kleiner machen soll und das wahr-scheinlich in zehn, zwanzig Jahren erst in der ganzenDimension erkannt werden wird. Allerdings glaube ich,Herr Kollege Hoyer, daß der Teil, den die F.D.P. zumStaatsangehörigkeitsrecht beigetragen hat, unter die Ru-brik Verschlimmbesserung fällt. Die Kritik des Städte-und Gemeindetages an bestimmten Teilen des Gesetzesreichen wir komplett an die F.D.P.-Fraktion weiter. So-lange uns der Bereich Geburtsrecht bleibt, solange unsdie Bereiche Verkürzung der Fristen und Erweiterungder Tatbestände der doppelten Staatsbürgerschaft blei-ben, habe ich kein Problem damit, daß Sie den Bereichder Optionslösung für sich reklamieren.Ich denke, daß wir auch in einem weiteren Bereichder Rechts- und Innenpolitik Wichtiges erreicht haben,auch wenn es uns nur am Rande streift. Wir haben heutefrüh im Innenausschuß über die Kronzeugenregelungabgestimmt. Es ist vielleicht für das ganze Haus interes-sant zu wissen, daß sich die F.D.P.-Fraktion im Gegen-satz zu dem, was sie in der Vergangenheit gesagt hat,der Stimme enthalten hat. Ich denke, das sollten dieBürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik wissen. DieF.D.P. ist nach 10 Jahren nicht in der Lage, sich zumThema Kronzeugenregelung eine Meinung zu bilden.
Ich habe das Gefühl, daß von der ehemaligen Bürger-rechtspartei mittlerweile nicht sehr viel mehr als eineNostalgieveranstaltung übrig ist.
Was das Fernmeldeanlagengesetz angeht, so habenwir den Bürgerrechtsgedanken, den Datenschutz dorteinbezogen. Hierbei handelt es sich um sensible Eingrif-fe. Daher ist es gut, daß sich die Bundesregierung vor-genommen hat, den gesamten Bereich der Telefon-überwachung in zwei Jahren auf den Prüfstand zu stel-len. Wir sind sehr gespannt, was die Opposition dazubeizusteuern hat.Ein weiterer Punkt ist uns im Sinne dessen, was ichvorhin gesagt habe, ein wichtiges Anliegen. Des Ver-trauens, das wir von den Bürgerinnen und Bürgern inEmpfang genommen haben, sollten wir uns würdig er-weisen, und wir sollten den Bürgerinnen und Bürgernunsererseits Vertrauen schenken. Dies heißt für unskonkret: Wir wollen Akteneinsichtsrechte gewähren.Das was die Amerikaner bereits in den sechziger Jahrenmit dem Freedom-of-Information-Act eingeführt ha-ben, muß endlich auch in Deutschland gelten. Wir wol-len den transparenten Staat, nicht den transparentenBürger/die transparente Bürgerin. Wir wollen einenStaat, der sich vor den Menschen nicht versteckt. Inso-fern ist es nur in sich schlüssig, daß wir die Bannmeileauf den notwendigen Bereich reduziert haben. Wir wol-len eben kein Parlament haben, das sich als JurassicPark versteht, das sich abschirmt.
Deshalb haben wir auch im Gegensatz zu Ihrem Ber-liner Innensenator kein Problem damit, daß die Bürge-rinnen und Bürger von ihrem DemonstrationsrechtGebrauch machen. Auch wenn es einen manchmal är-gert – es gehört zur Demokratie dazu, daß die Bürgerin-nen und Bürger von ihren Grundrechten Gebrauch ma-chen. Wir sind stolz darauf, daß wir in einem Land le-ben, in dem es aktive Bürgerinnen und Bürger gibt, diesich für ihre Anliegen einsetzen und von ihrem Rechtauf Demonstration Gebrauch machen.
Auf das Erfolgskonto, also als Guthaben dieser Re-gierung, muß auch gutgeschrieben werden, daß wir dieKontrollrechte des Parlamentes gestärkt haben, was dieGeheimdienste angeht. Das ist etwas, was Sie nicht ge-schafft haben, meine Damen und Herren von der Oppo-sition. Insofern kann sich die innenpolitische Bilanz die-ser Bundesregierung eindeutig sehen lassen.
Ich möchte auf einen weiteren Bereich eingehen, derbesonders sensibel ist. Das ist der Datenschutz. DiesesThema hat der Kollege Hoyer bereits am Rande ge-streift. Mir scheint, in diesem Bereich gibt es eines derkompliziertesten Vorhaben dieser Legislaturperiode. Siewissen: Wir haben auch hier ein Erbe, das es uns nichtleicht macht, weil wir auf der einen Seite schnell seinmüssen, weil aber auf der anderen Seite auch großerHandlungsbedarf besteht. Wir müssen die Schande ver-meiden, daß diese Bundesregierung Bußgeld zahlenmuß, weil die alte Bundesregierung ihre HausaufgabenCem Özdemir
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6478 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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nicht gemacht hat und der Aufforderung, die EU-Richtlinie von 1995 umzusetzen, nicht nachgekommenist.
Wir werden dieser Richtlinie nachkommen und gleich-zeitig darauf achten – da können Sie sich auf uns verlas-sen –, daß in die Redaktion niemand außer Redakteurenhineinkommt. Die Datenschutzrechte, auch die Rechteder Journalistinnen und Journalisten, sind bei Rotgrün inguten Händen.
Wir werden eine Lösung finden. Wir haben diesesGesetz gemeinsam mit dem Presserat beraten. Morgenwird eine Koalitionsrunde zu diesem Thema stattfinden.Dort werden wir eine Lösung präsentieren, die genaudas aufnimmt, was der Presserat sagt. Ich bin sicher, daßwir schließlich zu einer Lösung kommen werden, der dieMehrheit dieses Hauses zustimmen wird.
Lassen Sie mich zum Datenschutz noch eines sagen:Es reicht uns nicht, die Vorgaben aus Brüssel zu erfül-len. Wir wollen zurück zu dem, was in Deutschlandeinmal Stand der Debatte war. Wir wollen ein modernesDatenschutzgesetz haben, das auch den Realitäten ent-spricht.
Das heutige Datenschutzrecht ist unübersichtlich. Nie-mand versteht es. Wir brauchen ein Gesetz, das den Da-tenbegriff des nächsten Jahrtausends aufgreift. Wirbrauchen ein Gesetz, das auch den privaten und denwirtschaftlichen Bereich umfaßt. Wir brauchen einenDatenschutzbegriff, der die Rechte des Datenschutzbe-auftragten stärkt und das dazu beiträgt, daß wir nichtDatenreichtum, sondern Datenarmut zum tragenden Ge-danken machen. Dies ist der entscheidende Gedanke.
Lassen Sie mich, weil dieses Thema auch angespro-chen worden ist, zum Asylrecht in aller Kürze noch ei-niges sagen. Einiges ist hierzu bereits gesagt worden.Ich will mich an den diversen Polemiken der vergange-nen Tage und Wochen nicht beteiligen. Dafür ist diesesThema zu ernst.
Ein Punkt muß in aller Klarheit gesagt werden – auchhier gibt es in der Koalition eine eindeutige Position –:Jeder, der zu uns kommt, hat einen Anspruch darauf,daß sein Verfahren rechtsstaatlich geprüft wird. Davonwerden wir nicht Abstand nehmen.
Menschen, die zu uns kommen, können sich darauf ver-lassen, daß sie ein rechtsstaatliches Verfahren bekom-men. Wenn man dieses Verfahren unter der Einbezie-hung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Euro-päischen Menschenrechtskonvention beurteilt,
dann kommt man zu dem Ergebnis, daß nach dem Ver-fahren ungefähr 20 Prozent zu Recht bei uns Aufnahmefinden. Diese Zahl muß man berücksichtigen.Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen: Ich binfroh, daß sich die Bundesregierung mit Unterstützungder SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen in Tamperemit der Position durchgesetzt hat, daß die GenferFlüchtlingskonvention die Grundlage für ein europäi-sches Asylrecht ist. Es ist eben nicht so, wie Sie sagen,daß unser Recht ein Sonderrecht in Europa darstellenwürde.
Es ist beispielsweise so, daß andere europäische Länderin der Frage nichtstaatlicher Verfolgung und in der Fra-ge frauenspezifischer Fluchtgründe durchaus gleichge-zogen und uns überholt haben.
Noch eines möchte ich Ihnen sagen: Die falschenZahlen werden nicht richtiger, indem Sie sie wiederho-len. Wir sind nicht mehr die Nummer eins und nehmennicht mehr die Hälfte der Asylbewerber in Deutschlandauf. Unser Anteil liegt bei ungefähr einem Drittel. Dievon Ihnen genannte Zahl wird durch Wiederholen nichtrichtiger.
Der Wanderungssaldo ist mittlerweile negativ. Eswandern mehr Menschen aus Deutschland ab, als Men-schen zuwandern. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, daßdie Zahl der Asylbewerberinnen und der Asylbewerberzurückgeht. Gleichzeitig wollen wir eine europäischeLösung. Wir sind uns in der Koalition einig, daß wir ei-ne europäische Lösung wollen, die gewährleistet, daßein Anspruch auf eine Entscheidung in einem rechts-staatlichen Verfahren besteht und daß bei Vorliegen vonpolitischer Verfolgung Asyl gewährt wird. Auch davonwerden wir nicht Abstand nehmen.
Ich komme zum Schluß. Im Innenausschuß haben wirein besonders sensibles und besonders schwierigesThema, das uns alle berührt, diskutiert. Es geht um dasThema „Entschädigung für Zwangsarbeiter“. Auchfür diesen Bereich sind wir zuständig. Wir werden zudiesem Thema am Freitag eine intensive Plenardebatteführen. Deswegen will ich an dieser Stelle nur eine kur-ze Bemerkung machen.Wir sind, so glaube ich, alle froh, daß nach 12 Jahrenfür die Opfer eine Lösung endlich in Sichtweite ist. Die-Cem Özdemir
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se Lösung war überfällig. Ich möchte die Gelegenheitnutzen – vermutlich im Namen aller –, Graf Lambsdorfffür seine kluge und durch Augenmaß gekennzeichneteVerhandlungsstrategie zu danken. Ich denke, daß die inSichtweite liegende Lösung den verschiedenen Interes-sen gerecht wird. Ich möchte daher all denen meine An-erkennung aussprechen, die daran mitarbeiten, daß wirzu einer Lösung kommen.Ich möchte deutlich sagen, daß dies auch für die In-dustrie gilt, und zwar für die Unternehmen, die sich aneiner Lösung beteiligen. Auf diese darf man nichtschimpfen. Man muß vielmehr auf die Unternehmenschimpfen, die sich bisher nicht daran beteiligt haben.Aber den Unternehmen, die ihre Verantwortung wahr-nehmen, gilt unser Respekt.Ich glaube, es wäre auch ein Wort des Lobes von derOpposition angemessen, weil es sich die Bundesregie-rung trotz der Sparnotwendigkeit nicht einfach machtund ihren Teil dazu beiträgt, daß dieses dunkle Kapitelunserer Geschichte endlich zufriedenstellend abge-schlossen wird.Ich bin froh, daß auch die Bevölkerung – nach letztenUmfragen sind es 63 Prozent – diesen Kurs unterstützt.Sie alle wissen, daß dieses sehr sensible Thema nichtunumstritten ist. Um so erfreulicher ist es, daß dieMehrheit der Bevölkerung in dieser Frage die Notwen-digkeit des Handelns erkennt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun
die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Ich kann meinem Vorredner, Cem Özdemir,nicht ganz folgen. Im Gegensatz zu ihm bin ich derMeinung, daß dieser Innenminister innerhalb einesAmtsjahres die Koalition in einem atemberaubendenTempo nach rechts manövriert hat.
„In der Koalition wachsen die Zweifel an der Eignungdes Innenministers“ schrieb gestern „Der Tagesspiegel“.Der grüne Abgeordnete aus NRW, Roland Appel, wirdmit den Worten zitiert, daß sich der Innenminister zum„Affen der Rechtsradikalen“ in der Republik mache.
– Aber er ist noch Abgeordneter. – Er ist zwar nichtmein Freund, aber ich denke, er hat in der Sache recht.Ein Innenminister, der seine Politik vor allem von derCDU und von weiter rechts mit Zustimmung und Beifallbegleiten läßt,
ist unserer Meinung nach ein Trauerspiel.Die auf der letzten Innenministerkonferenz beschlos-sene Altfallregelung ist das jüngste Beispiel für Ihre in-humane Flüchtlingspolitik. Die Innenminister behaup-ten, 20 000 Menschen würden von dieser Altfallrege-lung profitieren. Flüchtlingsorganisationen dagegensprechen von nur 5 000 Menschen. Auch mit dieser Re-gelung verschafft die neue Regierung den Flüchtlingenallenfalls bis zu zwei Jahre Aufschub. Im Gegenzugsollen dann über 200 000 Menschen bis Ende nächstenJahres abgeschoben werden, notfalls mit Gewalt. Die„Berliner Zeitung“ hat das einen „Kuhhandel mitFlüchtlingen“ genannt. Das ist in jeder Hinsicht passend.Ihr Umgang mit diesen Menschen ist zutiefst inhuman.Ich zitiere weiter die „Berliner Zeitung“:Nur ... wer die Sprache dieses Herrn goutiert,– gemeint ist Herr Schily –der gerne Armutsflüchtlinge mit Wirtschaftsflücht-lingen verwechselt, und wer nicht den Schutz fürFlüchtlinge, sondern den Schutz vor Flüchtlingenzum Ziel des Asylrechts erklärt, wird die von denInnenministern in Görlitz beschlossene „Altfallre-gelung“ als Erfolg der Humanität willkommen hei-ßen.So ist es leider.Ich erinnere mich noch, wie die Staatssekretärin FrauSonntag-Wolgast mir in der Debatte zu diesem Themain der vergangenen Sitzung vorgeworfen hat, ich würdeein „Zerrbild der deutschen Innenpolitik“ malen.
Ich meine, daß das Zerrbild mit dieser Vereinbarung derInnenminister beschlossene Sache geworden ist. Mehrnoch: Innenminister Schäuble aus Stuttgart und derbayerische Innenminister Beckstein fordern gleich hin-terher, daß nun Bewegung in die Sache kommen undman ans Grundgesetz herangehen müsse.
Diese unsägliche Debatte – wir hören es von derrechten Seite – ist von Ihnen, Herr Schily, angestoßenworden. Ich meine, daß die Umwandlung des Asylrechtsin ein Gnadenrecht bis aufs Messer bekämpft werdenmuß.
Ein solches Gnadenrecht gab es schon einmal. Als inden 30er Jahren ganze Schiffe mit jüdischen Flüchtlin-gen nicht ankern durften, galt dieses Gnadenrecht, unddas wollen wir auf keinen Fall wiederhaben.In der Asylpolitik besteht keine rotgrüne Koalition,wie manche hier gerne behaupten, sondern es gibt einegroße Koalition der Inhumanität gegen Flüchtlinge.Der EKD-Ratsvorsitzende, Herr Kock, hat völligrecht, wenn er erklärt, für ihn seien Wirtschaftsflüchtlin-ge Leute, die zur Vermeidung von Steuern nach MonacoCem Özdemir
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ziehen. Die Forderung der EKD, das Asylrecht so zu än-dern, daß Opfer nichtstaatlicher Verfolgung, vor allemFrauen, endlich Asyl bekommen, findet unsere volleUnterstützung. Offenbar ist die PDS zur Zeit die einzigePartei in diesem Haus, die Kirchen und Flüchtlingsgrup-pen noch unterstützt.Dabei sollte nicht vergessen werden, daß die unsägli-che Theorie des Innenministers von den 97 ProzentWirtschaftsflüchtlingen ihre Vorgeschichte hat. Ich mei-ne damit die Länderberichte des Auswärtigen Amtes.Diese liefern nämlich die Grundlage für die hohe Ab-lehnungsrate bei Flüchtlingen.
An die Vertreterinnen und Vertreter der Grünen ge-richtet sage ich: Ihr Außenminister und Ihr Staatsmini-ster liefern diese Berichte, damit entsprechend abge-schoben werden kann. Das sollten die Grünen bei ihrerDebatte auf jeden Fall mit berücksichtigen.Auch bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus –Herr Hoyer hat es hier schon angesprochen – und Anti-semitismus werden von diesem Innenminister keineneuen Impulse zu erwarten sein. Dies haben wir immerwieder kritisiert. Wir haben in diversen Sitzungen Jahrfür Jahr immer wieder Anträge auf Aufklärung über denRechtsextremismus und über den Antisemitismus einge-bracht. Darüber hinaus haben wir Anträge auf Verstär-kung der Integrationsmaßnahmen für Migrantinnen undMigranten eingebracht. Sie sind im Innenausschuß vonallen Parteien abgelehnt worden.Ganz fatal ist, was beispielsweise am letzten Samstagin der „Welt“ zu lesen war.
Frau Kollegin, wür-
den Sie bitte zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist um.
Ja. – Hier wird schon jetzt sugge-
riert – da widerspreche ich den Aussagen, die Cem Öz-
demir hier eben gemacht hat –, daß es nur eine positive
Zahl gebe. Entscheidend ist, wie die Fragestellung ist.
Bei anderen Umfragen wird nämlich gesagt, daß nur je-
der zweite Jugendliche auf antisemitische Vorurteile mit
völliger Ablehnung reagiert.
Frau Kollegin, ich
hatte Sie gebeten, zum Schluß zu kommen.
Es versteht sich von selbst, daß
wir diesen Haushalt ablehnen werden.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Gunter Weißgerber, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Konsolidieren desHaushalts mit Augenmaß, so lassen sich die Ergebnisseim Einzelplan 06 beschreiben. Im Vergleich zum Regie-rungsentwurf erhöhten wir im Beratungsverfahren denPlafond um 71,97 Millionen DM auf jetzt 7,23 Milliar-den DM. Wesentliche Änderungen sind hierbei die Ein-richtung eines neuen Titels in Höhe von 19 MillionenDM zur Bezuschussung des REAG-Programms, dieVerstärkung des Ansatzes zur Förderung der Rückkehrund Reintegration von ausländischen Flüchtlingen,GARP, um 16,5 Millionen DM und die Weiterführungdes „Goldenen Planes Ost“ sowie die Mitfinanzierungder Baumaßnahmen Olympiastadion Berlin und Zentral-stadion Leipzig.Über die zuletzt genannten Vorhaben hat KollegeLothar Mark schon berichtet. Zu den Stadien nur soviel:Uns war sehr daran gelegen, daß beide Stadien und bei-de Städte gleich behandelt werden. Das ist jetzt einge-treten.
An Steffen Kampeter habe ich die Bitte, keine Legendezu verbreiten. Daß dies so ist, ist nicht auf den Druck derOpposition zurückzuführen. Zu vermerken ist, daß Bun-deskanzler Schröder und Bundesinnenminister SchilyWort gehalten haben.
Deshalb werden Leipzig und Berlin gleichermaßen fi-nanziert.
– Das hast du doch im Ausschuß mitbekommen.Ein Schwerpunkt im Einzelplan 06 wird die Finanzie-rung der politischen Stiftungen bleiben. Die Heraus-forderungen hierbei sind sehr groß. Wurden in diesemEinzelplan noch 1989 vor der deutschen Einheit rund151 Millionen DM – einschließlich der Bauglobalmittel– veranschlagt, so werden es in 2000 rund 168 Millio-nen DM – einschließlich der Bauglobalmittel und derMittel für die Rosa-Luxemburg-Stiftung – sein.Nach derzeitiger Finanzplanung im BMI werden die-se Mittel bis 2003 auf rund 157 Millionen DM absinken.Dies würde bedeuten, daß in 2003 für die bisher finan-zierten Stiftungen unter Abrechnung der neu hinzuge-tretenen Luxemburg-Stiftung weniger Mittel als vor derdeutschen Einheit zur Verfügung stehen würden – unddas, obwohl die Republik und damit die bildungspoliti-schen Aufgaben größer geworden sind. Dies können wiralle so nicht wollen. Deshalb werden die rotgrünen Be-richterstatter alles daransetzen, den jetzigen Plafond fürdie nächsten Jahre zu verstetigen.
Zur Luxemburg-Stiftung bzw. zu den Wünschen derPDS in dieser Hinsicht nur noch soviel: Die PDS ziehthierzu die Wahlergebnisse nach Bundestagssitzen heran.Ulla Jelpke
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Dies ist jedoch falsch. Grundlage der Zuteilungsberech-tigung sind die erreichten Zweitstimmenergebnisse übervier Wahlperioden. Bezogen auf das Wahlergebnis allerParteien stünden der Rosa-Luxemburg-Stiftung beieinem durchschnittlichen Ergebnis von 3,1 Prozent Glo-balmittel in Höhe von lediglich 5,1 Millionen DM zu.Die Rosa-Luxemburg-Stiftung erhält jedoch 8 MillionenDM. – Soviel zur angeblichen Schlechterstellung derPDS und ihres politischen Hintergrunds.
Ein wichtiges politisches Zeichen – wenn auch relativgering in der Dimension – setzten wir bei der Bezu-schussung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung derSED-Diktatur. Hier milderten wir im Gegensatz zur all-gemeinen Kürzung um 7,4 Prozent die Absenkung derMittel, indem wir 130 000 DM drauflegten. Ich persön-lich denke, es wäre gerechter, die für die Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgesehenen Mittel in Höhe von8 Millionen DM würde diese Stiftung bekommen. Aberes ist nicht alles gerecht auf dieser Welt; ich habe dasschon verstanden.
Im Sommer hatte ich im Kosovo zusammen mit demKollegen Frankenhauser die Gelegenheit, dortige Mitar-beiter und Einrichtungen des Technischen Hilfswerkeszu besuchen. Von hier aus möchte ich die Gelegenheitnutzen und meine Hochachtung vor dem Engagementund dem Pensum der THW-Beschäftigten aussprechen.Auf deren Arbeit können wir stolz sein. Sie sind hervor-ragende Botschafter unseres Landes.
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinenMitberichterstatterkollegen bedanken. Wir alle haben aneinem zukunftssichernden Haushalt mitgearbeitet.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun
der Kollege Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manche sagen,der jetzige Bundesinnenminister versuche, seinem er-folgreichen Vorgänger Manfred Kanther nachzueifern.Wenn das denn stimmte, bliebe wenig Raum für Uni-onskritik. Es könnte dann richtig sein, Herr Bundesin-nenminister, wenn Ihren Worten entsprechende Tatenfolgten.Hier einige Beispiele: Sie haben gesagt – der KollegeKampeter hat dies gerade erwähnt –, die Grenze derBelastbarkeit durch Zuzug von Ausländern nachDeutschland sei überschritten. Das ist richtig; das sagtauch die Union. Sie haben in Ihrer Regierungserklärunggesagt, die Zuwanderung müsse endlich gesteuert wer-den. Auch das sagen wir. Sie haben weiter gesagt, dassubjektive Asylgrundrecht müsse abgeschafft werden.Meine Damen und Herren, ich bin schon verwundert,daß es angesichts dieses bedeutenden Satzes keine Re-aktion von seiten der Koalition gegeben hat, kein Ja,aber auch kein Nein.Was Sie gesagt haben, Herr Kollege Özdemir, istdoch selbstverständlich. Natürlich erfolgt ein rechts-staatliches Verfahren; das steht in der Genfer Konventi-on. Daß Sie aber sonst nichts dazu gesagt haben, be-weist, daß Sie kein Rückgrat mehr haben. Sie werdenimmer mehr zu einer Partei ohne Grundsätze. Das zeigtauch ihr Verhalten in Sachen Panzerlieferung.
Ich sage klar und eindeutig: Sie als Grüne hatten ur-sprünglich eine Berechtigung. Ich füge aber gleich hin-zu: Es war einmal, Herr Kollege Özdemir!
Herr Bundesinnenminister, unsere Antwort auf IhreVorschläge: Wir waren und sind stets bereit, sinnvolle,die Zuwanderung begrenzende Änderungen in Art. 16 ades Grundgesetzes und im Asylverfahrensgesetz mit zubeschließen, wenn Sie es wirklich wollen. Wenn Sieaber diese Denkerkenntnisse ernsthaft vertreten – ichspreche einmal mit Ihren Worten –, warum haben Siedann bisher keinen Gesetzentwurf zur Zuwanderungsbe-grenzung, zur Asylrechtsänderung eingebracht?
Werden Sie dies überhaupt noch tun? Warum haben SieIhre Haushaltspolitik nicht diesen Feststellungen ange-paßt? Und warum tun Sie und Ihre Koalition genau dasGegenteil?Wer die illegale Zuwanderung bekämpfen will – daswollen Sie doch offensichtlich –, der muß die vorhande-nen Instrumente nutzen und ausbauen. In diesem Haus-halt findet sich keine müde Mark für den Ausbau desAusländerzentralregisters und die Einrichtung einerWarndatei.
Aber beides könnte im Kampf gegen Visafälscher, ge-gen Schleuser und Menschenhändler große Dienste lei-sten. Da Sie nicht handeln, haben wir an Hand vonPraktikervorschlägen, die keiner bestimmten Partei zu-zurechnen sind, einen ausgereiften Gesetzentwurf dazuvorgelegt.Ein Weiteres: Wer die illegale Zuwanderung bekämp-fen will, der muß zunächst das Asylbewerberleistungs-geld beschränken.
Sie wissen, daß die Schlepper in Deutschland abkassie-ren, Herr Bundesinnenminister. Sie wissen auch um dasNord-Süd-Gefälle in Europa; eine Angleichung habenSie in Tampere leider nicht erreicht. Wir alle wissen:Solange ein Asylbewerber in Italien im Monat umge-Gunter Weißgerber
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rechnet 100 DM an staatlichen Leistungen bekommt undbei uns ein Vielfaches davon bar ausgezahlt wird, solange wird der Zustrom nach Deutschland nicht abrei-ßen. Dieser Diskussion müssen Sie sich stellen.
Anstatt über Leistungsminderungen mit der Folgevon Haushaltseinsparungen nachzudenken, Herr KollegeStröbele, kürzt der Bundesinnenminister den Etat desBundesamtes für die Anerkennung ausländischerFlüchtlinge, obwohl die Zahl unerledigter Asylanträgevon rund 30 000 im letzten Jahr auf über 50 000 in die-sem Jahr angestiegen ist, was natürlich die Sozialkassenbelastet.Große Worte, aber keine Taten, Herr Bundesinnen-minister! Wer ernsthaft die Zuwanderung begrenzenwill, der schränkt das Asylbewerberleistungsgeld ein –das ist ein Vorschlag –, der sagt ja zur Einrichtung einerWarndatei und zum Ausbau des Ausländerzentralregi-sters und erhöht die Haushaltsausgaben für die Visa-kontrollen. Das Hauptproblem – das wissen Sie genausogut wie ich – ist die illegale Zuwanderung. Deswegenmüssen wir in diesem Bereich Leistung erbringen.Wer ernsthaft die Zuwanderung begrenzen will, dersorgt für schnelle Asylverfahren und kündigt dies nichtnur an, wie es die Justizministerin vorhin getan hat, undfür schnelle Abschiebungen, der will nicht – wie Sie –eine Aufweichung der Flughafenregelung und nochmehr Altfallregelungen.Herr Bundesinnenminister, Ihre Politik in Rechtset-zung und im Etat hat nichts und gar nichts zu tun mitdem Versuch, die Zuwanderung erfolgreich zu begren-zen. Ich sage: Worte, Worte, nichts als Worte, HerrSchily. Sie wecken Hoffnungen, die Sie nicht erfüllenkönnen oder – noch schlimmer – nicht erfüllen wollen,Herr Bundesinnenminister,
es sei denn, es sind Hoffnungen, die Guido Heinen so inder „Welt“ beschreibt – ich zitiere –:Schily hilft mit dem Vorschlag, Asylgrundrecht ab-zuschaffen, dem Bundeskanzler, weil er ihm dop-pelte Entlastung verschafft: Er baut eine neue Pro-filierungslinie auf, an der sich das grüne Milieunach Kosovokrieg, Atom und Panzern nun abar-beiten darf. Und er bietet der neuen Mitte dieChance, sich zumindest in diesem Punkt in der Re-gierungssemantik wieder zu finden.So weit „Die Welt“.Herr Kollege Schily, man könnte dies auch augen-zwinkernde Doppelstrategie nennen oder vielleicht auchDesinformation der Bevölkerung, vielleicht sogar Täu-schung. Sie können das gar nicht umsetzen, was Sie hierproklamiert haben.
– Sie können sich dazu äußern. Ich bin sehr gern bereit,über diesen Punkt, der die Menschen bewegt, zu reden.Der Kollege von der F.D.P. hat völlig recht, daß dies einwichtiger Punkt ist. Wir haben dies damals in einer Dis-kussion abgeschlossen. Man muß über Neuerungennachdenken; aber da muß ein Bundesinnenminister mitder Möglichkeit der Mehrheit die Dinge, die er ein-bringt, auch umsetzen, sonst führt er alle Leute in die Ir-re. Das ist keine gute Politik.
Dies ist leider auch im Bereich der inneren Sicher-heit so. Richtig ist, daß allein die Menge an Gesetzennicht eo ipso innere Sicherheit gewährt. Das ist wahr.Die Verschärfung von Gesetzen und von Recht darf nurUltima ratio sein. Richtig ist aber auch, daß wir durchdas Verbrechensbekämpfungsgesetz, durch die Geldwä-schegesetze, durch die Bundeskriminalamts- und Bun-desgrenzschutzgesetze den Gangstern erfolgreich denKampf angesagt haben. Sie haben recht, Herr Bundesin-nenminister, Deutschland ist weit entfernt von Schrek-kensszenarien in anderen Teilen der Welt, dank des Ein-satzes der für innere Sicherheit Verantwortlichen, aberauch dank unseres Einsatzes, dank unserer Gesetzeswer-ke in der Vergangenheit – und dies oftmals gegen dieSPD oder große Teile der SPD, immer gegen die Grünenund ganz zu schweigen von der PDS, die die innereSicherheit überhaupt nicht kannte.
Ich habe noch Ihre Argumente im Kopf, meine Da-men und Herren von der SPD, ich sehe die Kollegennoch vor mir, die sagten, wir würden die Festen desRechtsstaates erschüttern oder wir seien eine Partei von„law and order“. Ich habe das in diesem Hause sehr oftgehört. Ich habe stets gesagt, was ich heute sage: MeinKampf gilt denjenigen, die Mord auf Bestellung ausfüh-ren lassen und die unsere Kinder in die Drogensuchttreiben. Da stützen wir uns auf das Gewaltmonopol desStaates. Gewaltmonopol heißt, Recht zu schützen, undheißt, Pflicht zu schützen, weil der Staat hier keinenFinger breit Boden aufgeben darf, sonst gibt er sichselbst auf. Das ist das Problem.
Hier ist Handeln vonnöten. Wann kommt denn end-lich ein Gesetz zur Abschöpfung von Vermögensvortei-len aus Straftaten? Sie haben in Ihrem Lagebericht zurorganisierten Kriminalität 1998 gesagt, es sei Handlungvonnöten. Wann kommt das Gesetz zur Abschöpfungvon Vermögensvorteilen? Wann kommen Ihre Vor-schläge zur besseren Bekämpfung von Internetkrimina-lität? Kein Wort bisher! Wann beseitigen Sie die von derPraxis belächelten Ausnahmeregelungen beim Einsatztechnischer Mittel in Gangsterwohnungen, zum Beispielfür Zahnärzte, für Zeitungsvolontäre, für Hebammenoder für Apotheker? Absurd, Herr Bundesinnenminister!Wann steht dies einmal auf Ihrer Tagesordnung?Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung verspro-chen zu handeln, versprochen, gegen Kriminalität undErwin Marschewski
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die Ursachen vorzugehen. Aber auch hier keine Taten,nur Fehlanzeige! Kein einziges Gesetz zur Bekämpfungvon Gewalt und organisierter Kriminalität, ein Jahr langkein einziges Gesetz! Statt dessen gibt es – das kritisiereich – die ersatzlose Abschaffung der Kronzeugenrege-lung,
die man natürlich verändern und dem Geschehen anpas-sen kann,
und das gegen die Polizei, gegen die Staatsanwaltschaf-ten, wie es die Erkenntnisse aus dem Fall Pfeiffer nahe-legen.
Statt dessen reduzieren Sie die Zuschüsse für die Bereit-schaftspolizei.Noch unglaublicher: Sie lassen letzten Endes Kundender Eisenbahn für deren eigene Sicherheit auf Bahnhö-fen und in Zügen 250 Millionen DM selbst bezahlen.
Denn tragen werden dies die Reisenden. Das ist eineigenartiges Verständnis von Staat und der von ihm zugarantierenden inneren Sicherheit.Man muß ja schon fast zufrieden sein, Herr Bundes-innenminister, daß Sie der jahrelangen Propagierung vonEntkriminalisierung und der Verharmlosung von Baga-telldelikten – wie Grüne, Teile der SPD oder die Lan-desregierung in Nordrhein-Westfalen sie betreiben –nicht das Wort reden.
Unsere Antwort ist klar, Herr Graf: Null Toleranz beiRechtsbrechern und bei Gewalttätern. Dazu gehörenauch Gesetze und nicht bloße Sonntagsreden.Ein Wort zum öffentlichen Dienst. Sie haben Inno-vation und Gerechtigkeit versprochen. Gerade die Ge-rechtigkeit bleibt auf der Strecke. Ausschließlich einerGruppe der Bevölkerung, den Beamten, im nächstenJahr keine Gehaltserhöhung zu gewähren ist ungerecht.Herr Schily, Sie müßten wissen: Der öffentliche Dienstbesteht nicht nur aus Bundesministern und Staatssekre-tären,
sondern auch aus kleinen Arbeitern, kleinen Beamten,kleinen Angestellten.
Vor allen Dingen kleine Beamte der Polizei sind es, diefür Recht und Gerechtigkeit, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen und die unbe-stechlich sind.
– Ja, ja.Wer als Innenpolitiker wie Sie die innere Sicherheitzum Nulltarif verlangt, ist unglaubwürdig, und wer diesals Innenminister tut, Herr Schily, der ist kein guter In-nenminister. Bei Ihnen besteht das Problem: Analysen,Aussagen und Forderungen allein können nicht ausrei-chen. Denn es besteht ein Widerspruch zwischen politi-schem Anspruch und der Wirklichkeit. Das gilt für dieRechtssetzung und für den Haushalt, dem wir natürlichnicht zustimmen können.Ich komme zu folgendem Ergebnis, Herr Schily:Auch Sie beteiligen sich voll an der Umkehr der Wahl-versprechen der SPD und der Grünen: Nichts ist besser,aber vieles ist schlechter als zuvor.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Bundesinnenminister Otto Schily.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Ge-währleistung der inneren Sicherheit gehört zu den vor-nehmsten Aufgaben des Staates. Die Menschen habenAnspruch darauf, daß sie im Arbeitsleben und in ihrerFreizeit nicht durch kriminelle Aktivitäten gefährdetwerden oder zu Schaden kommen. Die Freiheitlichkeitunserer Gesellschaftsordnung findet daher ihr Funda-ment in der durch die staatlichen Institutionen garan-tierten inneren Sicherheit. Drei für die innere Sicher-heit entscheidende Indikatoren weisen – im Gegensatzzu dem Schreckensbild, das die Opposition malt – aufeine positive Tendenz hin.Erstens. Nach einer vom Bundeskriminalamt durch-geführten Untersuchung hat sich das subjektive Sicher-heitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger in jüngster Zeitdeutlich verbessert.Zweitens. Im Jahr 1999 zeichnet sich eine deutlicheAbnahme der Zahl der registrierten Straftaten ab.Drittens. Die Aufklärungsquote hat sich im Bundes-durchschnitt erhöht.An dieser Stelle darf ich den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Polizeien der Länder und des Bundessowie aller anderen Institutionen, die für die Gewährlei-stung der inneren Sicherheit zuständig sind, insbesonde-re auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bun-desgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes, des Bun-desamtes für die Sicherheit in der InformationstechnikErwin Marschewski
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und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, für die vonihnen geleistete Arbeit meinen herzlichen Dank ausspre-chen.
Die Bundesregierung wird die Politik zur Gewährlei-stung der inneren Sicherheit und ihre stetige Verbesse-rung konsequent und zielstrebig weiter verfolgen. Diesist auch aus den Ihnen vorliegenden Haushaltszahlen er-kennbar.Selbstverständlich muß der Bundesinnenminister –wie alle anderen Ressorts – seinen Beitrag zur Haus-haltskonsolidierung leisten. Daß wir das tun müssen,liegt an den Schulden, die wir von der abgewirtschafte-ten alten Bundesregierung übernommen haben:
1,5 Billionen DM insgesamt, 82 Milliarden DM Zinsenpro Jahr. Das ist das, was Sie uns hinterlassen haben.Wir haben jedoch strikt darauf geachtet, daß dadurchkeine Einbußen bei der inneren Sicherheit entstehen.Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 sind rund 60Prozent der Ausgaben des Einzelplanes – das sind zirka4,2 Milliarden DM – für den Sicherheitsbereich vorge-sehen. Die Ausgaben für den Bundesgrenzschutz, dasBundeskriminalamt, das Bundesamt für den Verfas-sungsschutz sowie das Bundesamt für die Sicherheit inder Informationstechnik werden nicht reduziert, sondernangehoben. Den Mitgliedern des Haushaltsausschussesdanke ich hier ausdrücklich für ihr Verständnis, daß siediese Haushaltsansätze mitgetragen haben. Ich weiß, daßdas einigen nicht leichtgefallen ist. Um so höher weißich das Verständnis einzuordnen.
Sie von der Opposition haben an dieser Stelle gerügt,daß der Haushaltsansatz für die Bereitschaftspolizei indiesem Jahr um 6 Millionen DM gesenkt wird. Das istein Betrag, von dem die Länderinnenminister sagen, erlasse sich verkraften. Ich weiß, daß das in der mittel-fristigen Finanzplanung etwas anders aussieht. Ich bingesprächsbereit und gesprächsoffen. Unter den Innen-ministern haben wir das in einer konstruktiven undsachlichen Weise ausgetragen. Ich würde Ihnen emp-fehlen, diesem Beispiel zu folgen.
Um den Konsolidierungsbemühungen gerecht zuwerden, haben wir uns des weiteren von dem Grundsatzleiten lassen, das Ziel der Einsparung von Haushalts-mitteln mit dem Ziel der Modernisierung der Verwal-tung zu verbinden. Diesem Grundsatz folgend, ist es unsgelungen, an vielen Stellen ungenutzte Effizienzpoten-tiale aufzudecken, die Verwaltungsstrukturen zu straffenund neu zu ordnen. Mir ist bewußt, daß gegen die eineoder andere Entscheidung unter regionalen Gesichts-punkten Einwände geltend gemacht worden sind. Wirhaben uns bemüht, mit diesen Einwänden sachlich um-zugehen, und haben, wo uns die Einwände berechtigt er-schienen, auch einige Korrekturen vorgenommen. Wirhaben aber stets hervorgehoben, daß Veränderungen beiden Strukturentscheidungen nur dann in Betracht kom-men können, wenn dadurch der von uns zu leistendeKonsolidierungsbeitrag für den Haushalt 2000 nicht inFrage gestellt wird.Wie Sie alle wissen oder jedenfalls wissen könnten,kann die neue Bundesregierung für das erste Regie-rungsjahr in der Innenpolitik auf eine insgesamt sehr po-sitive Bilanz verweisen.
Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Wirhaben die Reform des Bundesgrenzschutzes weiterge-führt, zugleich aber durch eine Verdoppelung des He-bungsprogramms für Fortschritte in der Qualifizierungdes Bundesgrenzschutzes gesorgt.Wir haben – das sage ich an Ihre Adresse, Herr Mar-schewski – durch einen ausgewogenen Tarifabschlußden Beschäftigten im öffentlichen Dienst und den Be-amten einen deutlichen Reallohnzuwachs verschafft,
während sie in der Regierungszeit der früheren Bundes-regierung fünfmal mit Lohnerhöhungen deutlich unterder Inflationsrate vorliebnehmen mußten, somit Real-lohnverluste erlitten haben. Das ist die Wahrheit, HerrMarschewski. Reden Sie nicht so ein dummes Zeug wiedas, was Sie hier vorgetragen haben!
Wir garantieren für die kommenden Jahre, daß dieserReallohnzuwachs erhalten bleibt. Es gibt keine Nullrun-den, wie Sie es behaupten. Das haben Sie früher prakti-ziert. Da verwechseln Sie die Vergangenheit mit der Zu-kunft.
Wir haben während der Kosovo-Krise erstmals einevernünftige Lastenteilung unter den Mitgliedsländernder Europäischen Union bei der Aufnahme von Bür-gerkriegsflüchtlingen erreicht. Wir haben währenddes Schengen-Vorsitzes und der deutschen Präsident-schaft in der Europäischen Union deutliche Fortschrittebeim Ausbau der Europäischen Union zu einem Raumder Freiheit, des Rechts und der Sicherheit erreicht.Dazu gehört, daß Europol, die europäische Polizeibe-hörde, am 1. Juli dieses Jahres mit einem erweitertenZuständigkeitsbereich ihre Arbeit aufnehmen konnte.Dazu gehört auch der Abschluß der Arbeiten amEurodac-Regelwerk. Wer ein bißchen von der Sacheversteht, Herr Marschewski, weiß, daß das für die Be-kämpfung der Schleusungskriminalität eine hohe Be-deutung hat.Und wir haben vieles andere erreicht. Wir haben dieSicherheitsarchitektur in Europa bilateral und multilate-ral erheblich verstärkt, und wir haben die Zusammenar-Bundesminister Otto Schily
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beit in innenpolitischen Fragen zwischen Bund undLändern enger gestaltet und insbesondere durch zahl-reiche Kooperationsabkommen zwischen Bund und Län-dern zur besseren Koordinierung der Arbeit des Bun-desgrenzschutzes und der Länderpolizeien beigetra-gen.Die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-dern hat sich auch auf der jüngsten Innenministerkonfe-renz in Görlitz bewährt. Besondere Hervorhebung ver-dient die Tatsache, daß wir uns auf eine abgewogeneAltfallregelung verständigt haben, die verständlicher-weise manchen nicht weit genug geht, bei anderen dage-gen eher auf Ablehnung stößt. Angesichts der ursprüng-lich sehr weit auseinanderliegenden Auffassungen istdas erzielte Ergebnis anerkennenswert.
Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß dieInnenministerkonferenz – da sollte die CDU/CSU be-sonders gut zuhören – einhellig die Ergebnisse der euro-päischen Ratskonferenz von Tampere begrüßt hat. Ichkann mich noch an die Diskussion erinnern, in der Siesie gescholten und gesagt haben, dabei sei gar nichts he-rausgekommen. Die Bundesregierung sieht sich dadurchin ihrer positiven Würdigung der Ergebnisse von Tam-pere bestärkt.Meine Damen und Herren, die Debatte ist heute zeit-lich zu stark eingeschränkt, als daß ich das schwierigeThema Asyl ausführlich darlegen könnte. Ich glaube,daß Sie, Herr Marschewski, einigen Mißverständnissenunterliegen.
– Ich glaube aber, Sie haben es nicht verstanden. Lesenallein reicht manchmal nicht aus, um zu verstehen.
Ich habe die Genfer Flüchtlingskonvention nie inFrage gestellt, und ich habe auch keine konkreten Forde-rungen aufgestellt. Ich habe nur gesagt – ich meine, esist durchaus möglich, das zu tun –, daß man sich zu-nächst einmal in der Zielsetzung einig sein muß. Ich binmir mit den Koalitionsfraktionen in der Zielsetzung völ-lig einig. Ich sage das, damit das klar ist.Ich möchte, daß der Schutz für politische Flüchtlingein Deutschland gewährleistet ist.
Ich möchte, daß wir die Zuwanderungen regeln und be-grenzen. Ich möchte sie aber nicht nur als Negativumansehen.
Ich möchte, daß wir eine vernünftige Lastenteilung beiden Bürgerkriegsflüchtlingen erreichen. Die Frage, diesich stellt, lautet: Wie können wir es schaffen, das zu er-reichen, was in dem deutsch-britisch-französischen Pa-pier formuliert worden ist, daß diese drei Fragenkom-plexe auseinandergehalten werden?
– Herr Marschewski, es tut mir leid, ich habe nur ganzwenig Zeit und möchte keine Zwischenfragen beant-worten. Wir können das in aller Ruhe im Innenausschußbesprechen.
Die Bundesregierung wird auch in den kommendenJahren ihre solide und verantwortungsbewußte Innen-politik fortsetzen. In unserem Programm stehen dabeieine Reihe wichtiger Vorhaben. Dazu zählen die drin-gend notwendige Novellierung des Waffenrechts, einezeitgemäße Regelung des Sicherheitsgewerbes und dieVerstärkung kriminalpräventiver Maßnahmen.Ziel der Novellierung des Waffenrechts ist es, eineklare, übersichtlichere und praktikablere Regelung zuschaffen. Um allen Belangen Rechnung zu tragen, habenwir eine umfangreiche Anhörung durchgeführt. Wir sindzuversichtlich, daß wir in Kürze nach Abstimmung mitden Ländern einen Entwurf zur Novellierung des Waf-fenrechts vorlegen können.Mit der Neuregelung des Rechts des privatenSicherheitsgewerbes, für das der Wirtschaftsministerdie Federführung hat, sollen noch vorhandene Rege-lungsdefizite beseitigt werden. Zur Verbesserung derPräventionsarbeit haben Bund und Länder ein DeutschesForum für Kriminalprävention gegründet, von dem ichhoffe, daß es bald arbeitsfähig sein wird.Wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, habenwir uns ferner zum Ziel gesetzt, die Bundesverwaltunggrundlegend zu modernisieren. Die Verwaltung mußsich dem gewandelten Staatsverständnis und den sichändernden Aufgaben anpassen. Dabei wird die Staats-tätigkeit nach dem Leitbild des aktivierenden Staatesauf die Kernaufgaben zurückgeführt. Privatinitiative,Selbstregulierung und Selbstvorsorge müssen gestärktwerden.Die Bürgerinnen und Bürger, die dafür Steuern auf-bringen müssen, haben einen selbstverständlichen An-spruch auf eine leistungsstarke, kostengünstige undtransparente Verwaltung.
Diesem Anspruch weiß sich die Bundesregierung ver-pflichtet. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, mußein umfassendes Qualitätsmanagement unter Anwen-dung betriebswirtschaftlicher Instrumente wie Kosten-und Leistungsrechnung und Controlling in der Bundes-verwaltung eingeführt werden.Das Leitmotiv für die Modernisierung der Bundes-verwaltung heißt für uns: Wir wollen eine Verwaltung,die mehr leistet und weniger kostet. Die Verwaltungwird ihre Aufgaben zunehmend unter Wettbewerbsbe-Bundesminister Otto Schily
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dingungen erfüllen müssen. Die Motivation der Be-schäftigten ist dabei die Grundvoraussetzung für Lei-stungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft.
– Es ist interessant, daß Sie das sagen. Dabei haben Siein 16 Jahren einiges zustande gebracht!
Auch im Übergang zur Informationsgesellschaftstellen sich neue Aufgaben im öffentlichen Sektor. Wirmüssen die vielschichtigen Veränderungen und Proble-me angehen, die die neuen Kommunikationsmedienmit sich bringen. Zugleich müssen sich die staatlichenInstitutionen die Chancen und Möglichkeiten der Infor-mationsgesellschaft für die Erfüllung ihrer Aufgabenzunutze machen. Dabei liegt der Schwerpunkt zumeinen im Bereich der notwendigen Regulierung, zumanderen aber auch in der Teilhabe des Staates an ebendiesem Informations- und Wissenssektor.Als Regulierer der Informationsgesellschaft hat derStaat vor allem die Aufgabe, die Sicherheit der Bürge-rinnen und Bürger in der Informationsgesellschaft zugewährleisten, die Vertrauenswürdigkeit der Informati-onstechnik sicherzustellen und den Schutz der Privat-sphäre zu wahren.Dabei ergeben sich für den Bundesinnenminister fol-gende Handlungsfelder:Erstens. Tatbestände, die einer staatlichen Regulie-rung bzw. Kontrolle bedürfen, sind beispielsweise straf-rechtlich relevante Sachverhalte sowohl in repressiverals auch in präventiver Hinsicht.Zweitens. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt istdie Förderung von Sicherungsinstrumenten wie dieKryptographie und die digitale Signatur, mit denender unberechtigte Zugang zu Fremddaten verhindert, je-denfalls aber erheblich erschwert werden kann.Von Bedeutung ist auch die Neukonzeption des Da-tenschutzrechts. Das Bundesdatenschutzgesetz und an-dere Gesetze müssen an die EG-Datenschutzrichtlinievom 24. Oktober 1995 angepaßt werden. Leider ist beidiesem Vorhaben ein Zeitdruck entstanden, weil die alteRegierung ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie nicht nachgekommen ist.
Entgegen mancher in der Öffentlichkeit verbreiteterFalschmeldungen lege ich Wert auf die Feststellung, daßdie Bundesregierung bei der Novellierung des Daten-schutzrechts die Pressefreiheit in keiner Weise ein-schränken wird.
An dieser Stelle darf ich im Hinblick auf einige selt-same Berichte und Kommentare die Bitte äußern, fol-gende allgemein bekannte Spielregeln zu beachten:
Von einem Schily-Entwurf kann erst dann die Rede sein,wenn ich einen Gesetzentwurf gebilligt habe und ihndem Kabinett zur Beschlußfassung vorlege.
Ein Referentenentwurf ist noch kein Schily-Entwurf.
– Jetzt hören Sie einmal ganz genau zu! Bei allen Geset-zesinitiativen, die ich zu verantworten habe, habe ichstets Wert darauf gelegt, Einwände, die gegen einen Re-ferentenentwurf erhoben werden, in persönlichen Ge-sprächen mit den betroffenen Organisationen und Be-rufsverbänden zu erörtern. Sie können offenbar nichteinmal zuhören.
So halte ich es auch mit den Medienvertretern. Mit demBundesverband Deutscher Zeitungsverleger habe ich seitgeraumer Zeit einen Gesprächstermin vereinbart. DieserGesprächstermin steht schon lange fest, und zwar stander fest, bevor der Deutsche Presserat seine Pressekon-ferenz abgehalten hat.
Auch dem Deutschen Presserat habe ich im Vorfeld derbesagten Pressekonferenz eine Teilnahme an dem Ge-spräch angeboten.
Am wenigsten Grund, sich bei dieser Frage zu erei-fern, hat die Opposition. Der Referentenentwurf, an demdie Opposition Kritik übt,
stimmt fast zu 100 Prozent mit dem Entwurf überein,
den die alte Bundesregierung bereits im Mai 1998 alsKabinettsvorlage fertiggestellt hatte.
Er stammt von derselben Referentin, die auch in IhrenDiensten stand. Es ist fast zu 100 Prozent derselbe Ent-wurf.
Die Kabinettsvorlage scheiterte damals ausschließlichdaran, daß das Bundesministerium für Wirtschaft eineBundesminister Otto Schily
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seit Entstehung des Datenschutzgesetzes aus dem Jahre1968 geltende, im Entwurf unveränderte Vorschrift zumAnlaß nahm, der Kabinettsvorlage zu widersprechen.Alle Bestimmungen hinsichtlich des Medienbereichs,die jetzt mit großem Getöse kritisiert werden, waren be-reits mit Zustimmung aller Häuser der damaligen Bun-desregierung in der Kabinettsvorlage der alten Bundes-regierung enthalten.
Bitte, schauen Sie sich das noch einmal an, bevor Sie inder Öffentlichkeit Kritik üben. Wenn Sie die Vorlagejetzt kritisieren, dann kritisieren Sie sich selber. Das istder Sachverhalt.
Herr Minister, ich
muß Sie leider auf Ihre Redezeit aufmerksam machen.
Die Bun-
desverwaltung muß sich in viel stärkerem Maße als bis-
her die moderne Informationstechnik zunutze machen.
Wegen der Kürze der Zeit kann ich das im weiteren
nicht ausführen.
Ich möchte auf das Thema „innere Sicherheit“ zu-
rückkommen. Niemand kann sich der Erkenntnis ver-
schließen, daß der innere Frieden in unserem Lande in
hohem Maße auch von der internationalen Zusammen-
arbeit abhängig ist. Im Rahmen ihrer finanziellen Mög-
lichkeiten unterstützt die Bundesregierung daher andere
Länder bei der Ausbildung und bei der Ausstattung ihrer
Sicherheitskräfte.
Einen Schwerpunkt dabei bildet der Kosovo. Bund
und Länder haben in den Kosovo insgesamt 210 Poli-
zeibeamte entsandt. Ich bin meinen Innenministerkolle-
gen aus den Ländern dankbar, daß sie sich auf meine
Bitte hin bereit erklärt haben, zusammen mit dem Bund
das Polizeikontingent im Kosovo zu verdoppeln, und
dem Wunsch des Leiters der zivilen Verwaltung im
Kosovo, Tom Koenigs, nach Entsendung zusätzlicher
Experten für den Auf- und Ausbau der zivilen Verwal-
tung im Kosovo zu entsprechen.
Herr Minister, ich
muß Sie noch einmal auf Ihre Redezeit aufmerksam ma-
chen.
Ich komme
zum Ende.
Es ist wichtig, daß folgendes in diesem Hause gesagt
wird: Den Beamtinnen und Beamten, die sich für diese
schwierige Aufgabe im Kosovo zur Verfügung gestellt
haben, spreche ich meinen besonderen Dank aus.
Ich wünsche ihnen, daß sie nach Erfüllung ihrer schwie-
rigen Aufgaben wohlbehalten in die Heimat zurückkeh-
ren. In diesen Dank schließe ich auch die Beamtinnen
und Beamten des Bundeskriminalamtes und der Landes-
kriminalämter sowie die Rechtsmediziner ein, die im
Auftrag der Chefanklägerin beim Internationalen Ge-
richtshof die äußerst schwierigen Ermittlungsarbeiten im
Kosovo übernommen und erfolgreich abgeschlossen ha-
ben.
Frau Kollegin Jelp-
ke, Sie haben vorhin ausgeführt, der grüne Abgeordnete
aus NRW Roland Appel werde mit den Worten zitiert,
daß sich der Innenminister zum Affen der Rechtsradi-
kalen in der Republik mache. Sie haben gesagt, er habe
in der Sache recht. Ich weise diese Ausführungen als
unparlamentarisch zurück.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der
Kollege Günter Graf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte folgende
Kurzintervention machen, nachdem wir die Beratungen
zum Einzelplan 06 abgeschlossen haben. Wir haben von
allen Seiten viel über die Polizei gehört. Wir alle in die-
sem Hause haben der Polizei gemeinsam gedankt.
Ich möchte die Opposition und in besonderer Weise
Sie, Herr Rüttgers, der Sie sich in dieser Angelegenheit
immer sehr stark machen, auffordern, beim Innensenator
in Berlin dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeitsbedin-
gungen für die Berliner Polizei, die uns in diesem Ge-
bäude beschützt, erheblich verbessert werden. Die Kol-
legen von der Berliner Polizei sitzen draußen auf einem
Mannschaftswagen mit laufendem Motor. Man bedenke,
daß es jetzt noch relativ warm ist.
Wenn es nicht gelingt, für die Kollegen, die hier in
Berlin Tag für Tag im Einsatz sind, vernünftige Unter-
bringungsmöglichkeiten zu schaffen, dann dürfen wir
nicht über Polizei und innere Sicherheit reden; vielmehr
müssen wir erst einmal unsere Hausarbeiten erledigen.
Das wäre vernünftig.
Danke.
Wir danken demKollegen Graf für diese Kurzintervention, und wirschließen uns seinen Worten ausdrücklich an. Wir hof-fen, daß auch alle Verantwortlichen dies gehört haben.Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen über den Einzel-plan 06, Bundesministerium des Innern, in der Aus-Bundesminister Otto Schily
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schußfassung. Es liegen fünf Änderungsanträge vor,über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/2130? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit denStimmen der Regierungsfraktionen und der PDS abge-lehnt worden.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionder F.D.P. auf Drucksache 14/2135? – Die Gegenprobe!– Enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/2129? – Gegenprobe! –Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/2131? – Gegenprobe! –Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/2132? – Gegenprobe! –Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Ausschuß-fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 06 ist angenommen.Wer stimmt für den Einzelplan 33 – Versorgung – inder Ausschußfassung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Einzelplan 33 ist angenommen.Ich rufe den Einzelplan 15 auf:Einzelplan 15Bundesministerium für Gesundheit– Drucksachen 14/1914, 14/1922 –Berichterstattung:Abgeordnete Walter SchölerMatthias BerningerManfred KolbeJürgen KoppelinDr. Barbara HöllNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeManfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 15, indessen Beratung wir jetzt eingetreten sind, eignet sichganz besonders, um das 30-Milliarden-DM-Spargerededes Bundesfinanzministers, das wir uns auch heute wie-der anhören mußten, zu entlarven.Herr Diller, schauen wir uns einmal diesen Einzel-plan an: 1999 betrugen die Ausgaben noch 1,607 Mil-liarden DM. Der jetzige Entwurf sieht nach den Bera-tungen im Haushaltsausschuß Ausgaben in Höhe von1,837 Milliarden DM vor. Jeder, der rechnen kann,weiß: Nach Adam Riese sind dies 237 Millionen DM anMehrausgaben. Wie kann man damit begründen, daßangeblich 7,4 Prozent eingespart werden? Frau Bundes-ministerin, vielleicht können Sie uns später weiterhelfenund uns dies erklären.Ihr Haus hat in den Haushaltsverhandlungen für dieErhöhung des Etats drei angebliche Sondersachverhalteangeführt, die zur bisherigen Finanzplanung addiertwerden, nämlich 130 Millionen DM an Nachveranschla-gungen für die Pflegeeinrichtungen, 50 Millionen DMfür den Neubau eines Instituts und 26 Millionen DM fürPersonalausgaben.Damit haben Sie auf wunderschöne Art und Weisedas Eichelsche Gerede von den angeblichen 30 Milliar-den DM an Einsparungen entlarvt. Auf die bisherigeFinanzplanung wird erst einmal tüchtig draufgesattelt.Dies nennt sich dann „bereinigte Finanzplanung“. AufGrund dieser „bereinigten Finanzplanung“ werden dannwieder Einsparungen in Höhe von angeblich 30 Milliar-den DM vorgenommen. Der Bundesfinanzminister ver-hält sich dadurch wie ein unseriöser Kaufmann: Er maltgroße Plakate, auf denen steht, 30 Prozent billiger, hier:30 Milliarden DM eingespart, ohne zu verraten, auf wel-cher Grundlage eingespart wird. Genau wie bei demKaufmann, der zunächst Mondpreise bildet, um an-schließend seinem Kunden eine Reduzierung um30 Prozent zu suggerieren, so wird hier der Öffentlich-keit suggeriert, daß 30 Milliarden DM eingespart wer-den. Dies ist falsch.
Wir sind sehr gespannt, Frau Ministerin, ob Sie unsweiterhelfen können.Lassen Sie mich nun auf einige wichtige Einzelposi-tionen im Einzelplan 15 eingehen. Ich möchte mit demErfreulichen beginnen, mit den Pflegeeinrichtungen.Über die Hälfte der Gesamtausgaben des Gesundheits-haushalts in Höhe von 1,837 Milliarden DM, nämlich925 Millionen DM, fließen als Finanzhilfe des Bundeszur Förderung der Investitionen in Pflegeeinrichtungenin die östlichen Länder. Dies ist erfreulich. Allerdingsgeht diese Leistung auf die vorherige CDU-geführteBundesregierung zurück, die in Art. 52 Abs. 1 des Pfle-ge-Versicherungsgesetzes von 1994 bestimmt hatte, daßacht Jahre jeweils 800 Millionen DM, also insgesamt6,4 Milliarden DM, zur Modernisierung der Pflegeein-richtungen in die östlichen Bundesländer fließen.Dieses Investitionsprogramm ist ein Erfolg. Jeder, derseinen Wahlkreis im Osten hat, weiß, daß zahlreichePflegeeinrichtungen modernisiert werden konnten. Ichmöchte mich dafür beim deutschen Steuerzahler bedan-ken.
Wir beglückwünschen Sie, Frau Ministerin, daß Siean diesem Punkt erfolgreiche CDU-Politik fortführen.Hätten Sie ähnliches auch bei der Gesundheitsreformgetan, würde es Ihnen heute besser gehen. Diesen Ratdarf ich Ihnen kurz geben.Problematischer wird es in der Pflegeversicherungdann, wenn Sie die eigene Politik umzusetzen versu-chen. So haben Sie die Bemessungsgrundlage für dieSozialversicherungsbeiträge der Arbeitslosenhilfebezie-Vizepräsidentin Anke Fuchs
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her gesenkt, mit fatalen Auswirkungen auf die Pflege-versicherung. Der Pflegeversicherung fehlen jährlich400 Millionen DM. Die Pflegeversicherung wird ab demJahre 2003 wohl ins Defizit geraten. Das scheint Sienicht sonderlich zu kümmern, vielleicht auch, weil Sieannehmen, daß Sie 2003 nicht mehr im Amt sind. DiesePrognose ist vielleicht nicht ganz unbegründet.
– Das wissen wir alle nicht, Frau Kollegin. Wir wartenes ab.
– Da bin ich mir nicht ganz sicher.Erfreulich ist des weiteren, daß wir endlich den Bun-desanteil zur Entschädigung von Hepatitis-C-Opfern inder ehemaligen DDR in diesem Bundeshaushalt veran-kert haben.
1978/79 sind in der ehemaligen DDR rund 3 000 Frauenund Neugeborene durch ein fehlerhaftes Serum mit demHepatitis-C-Virus infiziert worden. So etwas kann leiderpassieren.Aber der eigentliche Skandal dieser Jahre ist, daß er-stens die Öffentlichkeit damals nicht informiert wurde,daß zweitens die betroffenen Frauen, obwohl sie zumTeil monatelang von ihren Neugeborenen isoliert wur-den, nicht informiert wurden. Gegen die Verantwortli-chen hat unter Ausschluß der Öffentlichkeit ein Ge-heimprozeß stattgefunden. Als einmalige Entschädigungwurde den Betroffenen damals in der DDR ein Betragvon 200 Mark angeboten. Das ist ein Skandal gewesen.
– Frau Fuchs, ich empfehle Ihnen die Lektüre der Bun-destagsdrucksache 13/2732.Wir freuen uns, daß dies jetzt endlich anders wird,spät, wenn auch nicht zu spät.Lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen,dem Drogen- und Suchtmittelmißbrauch. Obwohl Sie,Frau Ministerin, im Internet verkünden, daß die Präven-tion nach wie vor einen hohen Stellenwert hat, kürzenSie die Ansätze für die Aufklärung im Bereich des Dro-gen- und Suchtmittelmißbrauchs um 1 Million DM, unddies, obwohl der Gesundheitsausschuß das einstimmig,also auch mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,abgelehnt hat.
Dafür wenden Sie 2 Millionen DM für die wissen-schaftliche Begleitung des Versuchs zur heroingestütz-ten Behandlung, den sogenannten Fixerstuben, auf,obwohl die Sachverständigenanhörung am 10. Novem-ber vor dem Gesundheitsausschuß ergeben hat, daß die-ser Versuch äußerst zweifelhaft ist. Er führt oft zu einerVerlängerung einer behandelbaren Krankheit. Die Ein-richtungen üben eine überregionale Sogwirkung aus.Völlig unklar ist, welche Drogen dort verabreicht wer-den sollen. Das Projekt ist auch nicht ganz billig. DieKosten pro Tag und Teilnehmer werden mit zirka 90DM angesetzt, belaufen sich also pro Jahr und Teilneh-mer auf 33 000 DM.Als letztem Punkt lassen Sie mich zu den Aids-Aufklärungsmaßnahmen kommen. Hierfür sah Ihr Re-gierungsentwurf Minderausgaben in Höhe von 3 Millio-nen DM vor. Der Haushaltsausschuß hat das einver-nehmlich korrigiert und den alten Ansatz wiederherge-stellt.Frau Fischer, Sie erreichen mit Ihrem Haushaltsent-wurf eine gute Performance. Ich habe ihn durchgeblät-tert. Die Seiten sind vollständig.
Rechenfehler sind auch nicht enthalten. HerzlicheGlückwünsche!
Dennoch müssen wir ihn zu unserem Bedauern ab-lehnen, weil wir uns eine bessere Gesundheitspolitikvorstellen können.Danke.
Das Wort hat nun
der Kollege Walter Schöler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kolbe hat ja –das ist etwas Besonderes bei einer solchen Debatte – tat-sächlich zu einer Reihe von Haushaltspositionen gespro-chen. Ich möchte das eingangs auch machen. Er hat auchvieles von dem, was sich in unserem Haushalt findet, alserfreulich bezeichnet. Herzlichen Dank, Herr Kollege!Einiges haben wir natürlich auch gemeinsam auf denWeg gebracht.Daß Sie aber das Sparsystem bezüglich der30 Milliarden DM immer noch nicht begriffen haben,nachdem es Ihnen viermal erläutert worden ist – zwei-mal im Ausschuß, der Staatssekretär Diller und auch ichhaben es Ihnen erläutert –, das begreife ich nun wirklichnicht.
Ich weiß nicht, ob ich es tun soll, aber ich werde viel-leicht im Laufe der Rede noch einige Punkte erwähnen.
Sie haben ja schon gesagt, das Einzelplanvolumenbeläuft sich für Pflege und Gesundheit auf 1,837 Mil-Manfred Kolbe
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liarden DM. Es steht damit natürlich in keiner Relationzu den außerhalb des Bundeshaushaltes über die Versi-cherungssysteme und die öffentlichen Haushalte laufen-den jährlichen Leistungen, denn diese betragen für diePflege über 31 Milliarden DM und für Gesundheit über530 Milliarden DM. Davon fallen allein 260 MilliardenDM in der gesetzlichen Krankenversicherung an.Bei allen Sparbemühungen, die uns die Oppositionvorwirft, statt sie zu unterstützen, stellt der EinzelplanGesundheit sicher, daß die Finanzierung gesundheits-politischer Maßnahmen mit Programmcharakter, zumBeispiel die Modellvorhaben zur Qualitätssicherung, dieVerbesserung der Selbstversorgung mit Blut und Blut-produkten und die Bekämpfung des Drogen- und Sucht-mittelmißbrauchs, auf hohem Niveau verstetigt oder garverbessert werden konnte. Im Rahmen der Haushalts-beratungen ist es der Koalition gelungen, Bereiche mitsteigender gesundheitspolitischer Bedeutung von Kür-zungen auszunehmen. Wenn Bereiche nach unserer Ent-scheidung von zentraler Bedeutung waren, haben wir dieHaushaltstitel auch angehoben.Insgesamt hat der Einzelplan 15 seinen Beitrag zurKonsolidierung des Haushalts geleistet. Dies geschahjedoch nicht durch stures Ansetzen des Rotstiftes, son-dern durch optimierten Einsatz der vorhandenen Mittel.Auf einige solcher Bereiche will ich gleich noch nähereingehen.Ich möchte jetzt an eine Begebenheit aus der letztenHaushaltsdebatte, die im Mai dieses Jahres stattfand,erinnern. Herr Thomae von der F.D.P. war damals etwasenttäuscht darüber, daß die SPD die Entschädigungs-frage für Hepatitis-C-Opfer in den neuen Bundes-ländern noch nicht gelöst habe. Nachdem die Koalitionerst sechs Monate regierte, waren Sie etwas enttäuscht,und das, nachdem CDU/CSU und F.D.P. fünf Jahre langzu diesem Thema geschwiegen hatten.
Dabei waren es Anträge der SPD-Bundestagsfraktionund der beharrliche Einsatz unserer Gesundheitspoliti-ker, welcher Sie überhaupt erst auf diesen Mißstandaufmerksam gemacht haben.
Ich denke, Ihre Enttäuschung hat sich mittlerweilegelegt, denn auf Initiative der Koalitionsfraktionen hatder Haushaltsausschuß für das Jahr 2000 20 MillionenDM zur Entschädigung dieser Hepatitis-C-Opfer in derehemaligen DDR bereitgestellt.
Damit gibt es jetzt endlich Gerechtigkeit für die 2 600Opfer des größten Arzneimittelskandals in Ostdeutsch-land. Der Bundesanteil schlüsselt sich dabei in5 Millionen DM für jährliche Rentenleistungen undweitere 15 Millionen DM für Einmalzahlungen auf. Siehaben diesem Vorgehen ja Ihre Zustimmung auch nichtentziehen können. Wir erwarten jetzt natürlich vom Ge-sundheitsministerium, daß es den Gesetzesentwurf zügigvorlegt, und von den Ländern,
daß diese ihren Anteil von jährlich 5 Millionen DM fürdie Rentenleistungen ebenfalls bereitstellen.
Das ist wirklich ein großer Erfolg der Regierungskoali-tion. Das haben Sie nicht zustande gebracht, Herr Tho-mae; Sie können da erzählen, was Sie wollen.
– Ich würde mir an Ihrer Stelle, Herr Thomae, einmaleine neue Schallplatte kaufen. Ihre alte hat langsam ei-nen Sprung. Sie wiederholen sich dauernd, aber dadurchwird es nicht besser.
Wir haben dieses Versprechen eingelöst und verhelfenden Frauen endlich zu ihrem Recht auf angemesseneEntschädigung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig sind vorallem Haushaltstitel mit Programmcharakter. Für ge-sundheitspolitisch relevante Maßnahmen sind insgesamt84 Millionen DM veranschlagt; hinzu kommen 63 Mil-lionen DM für Modellprogramme innerhalb der Pflege-versicherung. Es werden insbesondere Modellprogram-me zur Krebsbekämpfung, Maßnahmen gegen Drogen-und Suchtmittelmißbrauch und auch die Vorhaben zurmedizinischen Qualitätssicherung gefördert. Wir zahlenZuwendungen für Projekte sowie für Maßnahmen zur ge-sundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung und finan-zieren insbesondere die Drogen- und Aids-Prävention.In der Drogenpolitik werden seit der Anbindung derDrogenbeauftragten der Bundesregierung an das Bun-desministerium für Gesundheit neue Akzente gesetzt.Diese umfassen einerseits die Elemente Aufklärung,Prävention und Hilfe für Suchtkranke und andererseitsdie Strafverfolgung des kriminellen Drogenhandelsdurch Polizei und Justiz. Besondere Betonung liegt da-bei auf Prävention, Aufklärung und Hilfe für Abhängige.Wir sollten dabei nicht nur die illegalen Drogen sehen.Erwähnen möchte ich auch die Gesundheitsschädendurch Rauchen, Alkohol und die Abhängigkeit von Me-dikamenten. Es war auch noch irgend etwas anderes da-bei, an das ich mich im Moment aber nicht erinnernkann.
Bei der Drogenbekämpfung wurden zusätzliche Mit-tel für einen Modellversuch der heroingestützten Be-handlung bereitgestellt. Herr Kolbe hat das erwähnt undWalter Schöler
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es wieder kritisiert. Die Umsetzung erfolgt in Koopera-tion mit einer ganzen Reihe von Großstädten. Inzwi-schen – das bedauere ich sehr – regieren in immerhinfünf der acht genannten Großstädte Oberbürgermeister,die der CDU angehören. Aber sie machen – im Gegen-satz zu Ihnen, die Sie immer noch Bedenken haben – beidiesem Modellversuch mit.
Gerade mit diesen differenzierten Maßnahmen kön-nen auch langjährig Abhängige erreicht werden, zu de-nen es bisher kaum einen Zugang gab. Außerdem wirddadurch dem Beschaffungsdruck und der damit verbun-denen Kriminalität entgegengewirkt. Angesichts dernoch steigenden Zahl von Konsumenten harter Drogenund der großen Zahl der jährlich am Drogenkonsumsterbenden Menschen kommt der Sucht- und Drogenpo-litik eine besondere Bedeutung zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumwichtigen Thema Aids. Der Regierungsentwurf hattenur 15 Millionen DM für die Aids-Aufklärung vorgese-hen. Das hat uns nicht gefallen. Der Haushaltsausschußhat eine Erhöhung auf 18 Millionen DM beschlossenund meint – darin besteht interfraktionell wohl Überein-stimmung –, der Titel sollte künftig auch nicht mehr zurDisposition gestellt werden.
Wir alle wissen, daß es immer noch kein durchschla-gendes Heilmittel gegen Aids gibt. Daher steht bei derBekämpfung von Aids die umfassende und intensiveAufklärung der Bevölkerung über Übertragungswegedes Erregers und über Schutzmöglichkeiten im Vorder-grund.Das Robert-Koch-Institut, das in der Gesundheitsbe-richterstattung sowie im speziellen in der Aids-Forschung sehr gute und wichtige Arbeit leistet, schätztdie Gesamtzahl der HIV-Infektionen in Deutschland auf50 000 bis 60 000. Trotz intensiver Bemühungen durchdie Aufklärungskampagnen kommen jährlich 2 000 bis2 500 Neuinfektionen hinzu. Von großer Bedeutung istdaher die von der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung durchgeführte Aids-Präventionskampagne.Sie ist notwendig; denn wiederholte Erhebungen zeigen,daß der positive Trend des verstärkten Schutzverhaltensseit 1996 stagniert. Deshalb muß das hohe Niveau beider Prävention erhalten werden.
Wir haben dafür gesorgt, daß die Haushaltsmittelwieder auf 18 Millionen DM aufgestockt wurden. Er-wähnt werden sollte dabei, verbunden mit einem Wortdes Dankes an alle beteiligten Stellen, auch das Ein-werben privater Sponsorenmittel, ohne die die Aufklä-rungskampagne nur unzureichend gestaltet werdenkönnte.Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen fürArzneimittel könnten um 10 bis 20 Prozent niedri-ger sein. Der Arzt steht nach wie vor einemDschungel von 50 000 Arzneimitteln gegenüber,von denen weit mehr als die Hälfte nicht nach wis-senschaftlichen Kriterien auf Wirksamkeit und Si-cherheit hin überprüft worden sind. ... 2 200 aufdem Markt befindliche Wirkstoffe, die aber den-noch weiter verordnet werden, hielten der kriti-schen Überprüfung der Kommission nicht stand.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Pres-semeldung der SPD-Fraktion, sondern ein Zitat von Pro-fessor Bruno Müller-Oerlinghausen, dem Vorsitzendender Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.Schon bei den letzten Haushaltsberatungen habe ichauf das Problem der hohen Zahl von unerledigten Nach-zulassungsanträgen aufmerksam gemacht. Ursprüng-lich gab es rund 32 000 Anträge, deren Zahl sich inzwi-schen auf 15 000 reduziert hat, in vielen Fällen aller-dings nur durch Rücknahme der Anträge oder Auslaufendes Produktes; das muß man auch dazusagen. Deshalbhaben wir zur beschleunigten Bearbeitung von nach-träglichen Anträgen für Arzneimittel das zuständigeBundesinstitut in den Stand versetzt, die Rückständeschneller abzuarbeiten. Hierfür werden im kommendenJahr 75 weitere Stellen geschaffen, und im Jahre 2001werden weitere 75 Stellen dafür notwendig. Damitkommen wir den Forderungen der EU-Kommissionnach einer intensiveren Prüfung der Anträge nach. DieVerfahrensänderungen werden auch Gegenstand der10. Novelle zum Arzneimittelgesetz sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kosten derNachzulassungen werden – das ist mir als Mitglied desHaushaltsausschusses auch sehr wichtig – durch ent-sprechende Gebühren von den pharmazeutischen Unter-nehmen voll gedeckt. Der Bundeshaushalt wird somitnicht zusätzlich belastet. Dies wird aber eine zeitver-setzte Refinanzierung sein, zumindest bei einem Teil derBeträge.Die notwendigen Einsparungen, denen sich auch derEinzelplan 15 nicht entziehen konnte, wurden verträg-lich gestaltet und vor allen Dingen auf Bereiche gelegt,in denen der Mittelbedarf gesenkt werden konnte, etwa –Herr Kolbe hat das angesprochen – bei den Finanzhilfenbei Investitionsmaßnahmen für Pflegeeinrichtungen,dies aber in Anlehnung an die Finanzplanung, die HerrWaigel früher schon aufgestellt hatte und die ein Zu-rückfahren ohnehin vorsah. Dafür haben wir allerdingsim Pflegebereich zu einem stärkeren Einsatz von Mo-dellmitteln gegriffen.Daß das Einzelplanvolumen trotz des Sparbeitragesansteigt, hängt zum einen mit den Investitionen für dasArzneimittelinstitut zusammen, das nach Bonn verlagertwird, liegt aber in erster Linie an den nachträglichenMittelbereitstellungen für den Aufbau Ost im Pflege-bereich. Denn die von der Regierung Kohl im Jahre1997 ausgesetzte Förderung von fast 700 Millionen DMmuß jetzt mit einem Teilbetrag nachveranschlagt wer-Walter Schöler
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den, wobei wir uns an den angemeldeten Mittelbedarfgehalten haben. Diese Nachveranschlagung; in diesemJahr rund 130 Milliarden DM – es fehlen dann also noch570 Milliarden DM –, ist eine Altlast, die uns die alteRegierung hinterlassen hat. Sie wissen alle: Hinzukommt noch die Rückzahlung der Anleihe an die Pfle-gekassen in Höhe von 1,1 Milliarden DM, die wir imJahre 2002 zu leisten haben werden.Ich will jetzt noch mit einigen Worten auf die gegen-wärtige Diskussion zum Stand der Reform der gesetzli-chen Krankenversicherung eingehen, liebe Kollegin-nen und Kollegen. Daß die Opposition das Reformge-setz ablehnt, haben wir nicht anders erwartet. Aberdaß Sie sich bei der zweiten und dritten Lesung am4. November hauptsächlich zu Verfahrensfragen ausge-lassen
und kleine Pannen bei Zusammenstellung und Druck desAusschußberichtes mit Geschäftsordnungstricks hochge-schaukelt haben – heute morgen haben Sie dies nocheinmal deutlich vorgemacht –, das ist doch ein Manöver,das nur von Ihrer eigenen Konzeptlosigkeit ablenkensoll.
– Da werden Sie tatsächlich wieder wach! – Herr Parr,ich will Ihnen dazu noch folgendes sagen. Ich habeselbst mehrfach als Berichterstatter für einen anderenAusschuß Fehler der früheren Regierung zu Gesetzes-vorhaben korrigiert bzw. Vorlagen in Form von Berich-tigungen ergänzt. Das war parlamentarisch unproblema-tisch.
Herr Schmidt hat heute morgen noch einmal gesagt, daßIhr letztes Gesetz mit rund 600 Fehlern behaftet gewe-sen ist. Aber darauf will ich gar nicht weiter eingehen.Wir werden das schon regeln.Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt anspre-chen. Drei Tage nach Verabschiedung des Gesetzeskündigen Sie uns sehr vollmundig eigene gesundheits-politische Initiativen an.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sieschon keine vernünftige Oppositionsarbeit machen undwenn Sie, wie gerade jetzt wieder, beklagen, was sichdas Parlament bei einem solch umfangreichen Gesetzalles selbst zumutet: Der Ort, Ihre Vorstellungen darzu-legen, war – spätestens bei der zweiten und dritten Le-sung – dieser Plenarsaal und nicht die Bundespressekon-ferenz.
Also müssen Sie sich fragen lassen, wie S i e mit demGesetz und dem Parlament umgehen.Dabei muß ich allerdings die F.D.P. etwas ausneh-men. Herr Thomae hat am 4. November schon gesagt,was sie will: eine grundlegende Änderung des bisheri-gen Systems, also auch eine grundlegende Änderungdessen, was sie noch vor zwei Jahren gemeinsam mit derCDU/CSU beschlossen hat. Sie will wegkommen vonsolidarischen Systemen, und zwar mit der Festschrei-bung des Arbeitgeberbeitrages – so haben Sie dies ge-nannt; Sie können es ja nachlesen – hin zur einseitigenBelastung der Arbeitnehmer bei Erweiterung des Lei-stungskataloges durch Beitragserhöhungen und Privat-versicherung. Das ist ihr Konzept. Das bedeutet den Ab-schied vom solidarischen System.
Denen, die etwas von Vollkasko-Mentalität und Wider-standsnestern der Besitzstandswahrer sagen, sage ich:Besitzstandswahrer sind nicht diejenigen, die in denletzten Jahren durch moderate Tarifabschlüsse unddurch reale Einkommensverluste schon einen erhebli-chen Beitrag erbracht haben. Besitzstandswahrer sindfür mich diejenigen, deren Anteil nach Ihrer Meinungfestgeschrieben und damit auf Dauer vermindert werdensoll. Besitzstandswahrer sind diejenigen, bei denen –wie der Arbeitsmarkt zeigt – das Gemeinwohl offen-sichtlich immer mehr aus dem Blickfeld gerät. DieHolzmann-Pleite mit dem unverantwortlichen Verhaltender Banken ist ein klassisches Beispiel dafür.
Wir halten es da lieber mit Bundespräsident JohannesRau, der kürzlich angemahnt hat:Eine Reprivatisierung der Lebensrisiken darf esnicht geben. Denn gerade in Zeiten der Globalisie-rung bekommt Solidarität einen neuen Wert.Recht hat er. Ein Satz sagt mehr als lange programmati-sche Reden.
Das gilt im übrigen auch für die Vorschläge der so-genannten Reformkommission „Soziale Marktwirt-schaft“. Ein marktradikales Gesundheitssystem besitztkeine Sozialperspektive, wie unser Kollege RudolfDreßler zu Recht festgestellt hat.Was hat die CDU/CSU hier für Alternativen auf denTisch gelegt?
Walter Schöler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999 6493
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– Doch, es gibt einige. – Die „Ärzte-Zeitung“ vom10. November sagt dazu:Dünnbier aus der Union. … die Union läßt die Kat-ze nicht aus dem Sack. Klar ist nur, daß die Uniondie Gesundheitsreform der rot-grünen Bundesregie-rung ablehnt … Was sie dem entgegensetzen will,bleibt nebulös.Es handelt sich nicht um eine Pressemitteilung der SPD-Fraktion, sondern um einen Kommentar aus der „Ärzte-Zeitung“. Auch von anderen Seiten gibt es genügendKritik an Ihren Vorstellungen.
– Das ist das Problem. Sie müssen mich schon ertragen,Herr Kollege.
– Frau Schwaetzer, nomen est omen.
Ich möchte noch ein anderes Zitat erwähnen:Niemand wird doch ernsthaft behaupten können,daß 25prozentige Kostensteigerungen im Kranken-haus medizinisch verursacht sind. Oder daß die45 Prozent mehr an Ausgaben für Krankenfahrtendurch den Gesundheitszustand der Bevölkerungbedingt sind … Es gibt zu viele Doppel- und Mehr-fachuntersuchungen: Eine Klinik akzeptiert dieDiagnose eines niedergelassenen Arztes nicht oderumgekehrt. Häufig informieren sich nicht einmalFachärzte untereinander … Wenn wir diesenSchnick-Schnack beenden, könnten wir 10 Prozentvon den 250 Milliarden DM Gesamtausgaben ein-sparen.Diese Worte, übrigens nicht aus dem Jahre 1992, stam-men von Ihrem Fraktionskollegen Herrn Seehofer undsind in der „Welt am Sonntag“ vom 4. Februar 1996nachzulesen.Unser Gesetz geht jetzt die notwendigen Reformenwirkungsvoll an. Ihr Grundsatzpapier hingegen wird imKommentar als billige Kopie alter Rezepte aus derKohl-Ära oder als politisches Placebo bezeichnet. IhreVorschläge gehören dorthin, wohin Herr Seehofer diePositivliste verschwinden ließ: in den Reißwolf.Was Sie als mehr Selbstverantwortung der Patientenbezeichnen – sprich: Prävention, Selbstbeteiligung oderÜbernahme kleinerer Gesundheitsrisiken –, bedeutetdoch nur Zuzahlungen für die Patienten. Was Sie alsWahlmöglichkeit beim Umfang der Leistungen bezeich-nen, bedeutet doch in Wirklichkeit Leistungskürzungen.Es ist doch offensichtlich, was Sie wollen. Aber damitlösen Sie die Probleme nicht.
Nur bei den Patienten abkassieren zu wollen reichtnicht als Konzept für die Gesundheitspolitik. DiesesVorgehen dulden wir und offenbar auch die Menschenim Lande nicht.
Wie erklären Sie sich zum Beispiel im internationalenVergleich, aber auch innerhalb der Bundesrepublik dieunterschiedlichen Kostenstrukturen?
Wie erklären Sie sich, daß auf 10 000 Einwohner inDeutschland 72, in Frankreich 46 und in den Niederlan-den 39 Krankenhausbetten kommen? Wie erklären Siesich die unterschiedlichen Verweildauern, den unter-schiedlichen Aufwand für Medikamente bei den Kas-senärztlichen Vereinigungen oder die regional starkvoneinander abweichenden Kosten einer Krankenhaus-behandlung?Die zahlreichen Beispiele der Kritik am Papier derCDU/CSU machen ganz deutlich: Sie haben noch einewichtige Lektion zu lernen. Nicht stures Blockieren,sondern konstruktive Kritik ist gefragt. Diese Kritik ha-ben Sie am 4. November nicht eingebracht.
Sollte der Bundesrat die Gesundheitsstrukturreformblockieren, so werden wir, wie angekündigt, im Ver-mittlungsverfahren das Gesetzeswerk aufschnüren.
Wir werden den größten Teil unserer gesundheitspoliti-schen Vorstellungen auf diese Weise durchsetzen. Mitdiesen Vorstellungen können wir dann im Jahre 2000den notwendigen Reformprozeß in unserem Gesund-heitswesen beginnen.
Dazu gehören der Übergang zu einem durchgängigenleistungsgerechten Entgeltsystem, der Grundsatz derBeitragsstabilität, die Aufwertung von Selbsthilfe, inte-grierte Versorgungsformen und die qualitätsgeschützteNeuordnung des Arzneimittelmarktes insbesonderedurch die Einführung einer Positivliste.
Das alles werden Sie noch erleben.
Ich möchte abschließend ein Wort des Dankes an alldiejenigen richten, die die gesundheitliche Versorgungin den Arztpraxen, Kliniken und Reha-Einrichtungensicherstellen. Dort wird überall hervorragende ArbeitWalter Schöler
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6494 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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geleistet. Die Menschen dort sollten sich nicht von IhrerArt, mit der Materie umzugehen, verunsichern lassen,sondern ihre Aufgaben weiter mit vollem Engagementerledigen und darauf vertrauen, daß sie bei uns gut auf-gehoben sind.
Ich möchte auch die Gelegenheit nutzen, mich beiden Berichterstatterkolleginnen und -kollegen für dieZusammenarbeit zu bedanken. Auch wenn die Oppositi-on den Gesundheitshaushalt ablehnen wird: Die meistenHaushaltstitel wurden einvernehmlich getragen.Ich möchte mich auch bei Frau Ministerin Fischerund den Vertretern des Ministeriums ganz herzlich fürdie gute Vorarbeit und die Zusammenarbeit bedanken.Sie haben es vernommen: Die SPD-Fraktion steht zuden gesundheitspolitischen Maßnahmen der Regierungund wird dem Haushalt 2000 zustimmen.
Ich
möchte gerne etwas zu einer Bemerkung von Herrn
Kollegen Kolbe sagen.
Herr Kollege Kolbe, Sie haben eben angemerkt, daß
in unserem Haushalt Mittel für die wissenschaftliche
Begleitung eines Modellversuchs zur heroingestützten
Behandlung eingestellt sind, und gesagt, daß das Gelder
seien, die für die Drogenkonsumräume zur Verfügung
stünden. Das wird man im Protokoll nachlesen können;
wenn ich es falsch gehört habe, möchte ich mich schon
jetzt entschuldigen. Sehr oft, auch von Kollegen hier im
Plenum, wird der Modellversuch zur heroingestützten
Behandlung mit der Frage der Drogenkonsumräume
vermischt.
Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe.
Es sind beides Maßnahmen zur Überlebenshilfe für
schwer abhängige Menschen, die man anders nicht er-
reichen kann. Allerdings ist der Modellversuch zur he-
roingestützten Behandlung ein Versuch, der nach den
strengen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes als klini-
sche Studie durchgeführt werden muß. Sie wissen, daß
das eine multizentrische Studie ist, die verschiedenste
Städte, unter anderem CDU-geführte Städte, unter ihnen
Karlsruhe und München, ausdrücklich ohne Unterstüt-
zung ihres jeweiligen Bundeslandes, Frankfurt aller-
dings mit – auch finanzieller – Unterstützung des
Bundeslandes, in diesem komplizierten und wichtigen
Modellversuch mit uns zusammen durchführen wollen.
Hier geht es um eine Gruppe von Menschen, die
schwer abhängig sind, die sich in einer Spirale von gro-
ßer körperlicher und psychosozialer Verelendung befin-
den und die man mit den bewährten Hilfemethoden, die
wir bislang haben, nicht erreichen kann und von denen
sich deshalb viele in der Drogentotenstatistik wiederfin-
den. Es ist nötig, daß man in einem sehr seriösen – und
darum auch nicht billigen – Modellversuch erprobt, die-
sen Menschen zu helfen. Dazu brauchen wir eine ver-
nünftige wissenschaftliche Begleitforschung, um auch
die Punkte, die von der Weltgesundheitsorganisation als
berücksichtigenswert angemerkt worden sind, hier mit
einfließen zu lassen.
Ich möchte hier auch noch darüber informieren, daß
das International Narcotic Control Board das ausdrück-
lich zur Kenntnis genommen und uns gebeten hat, in en-
ger Zusammenarbeit zu bleiben. Ich finde, daß das ein
sehr ermutigender Ansatz ist.
Bei den Drogenkonsumräumen dagegen handelt es
sich um Räume der Überlebenshilfe, die in einer rechtli-
chen Grauzone existieren und die in den meisten Städten
unter bestimmten Kriterien geführt werden, um zu ver-
hindern, daß sich schwer Abhängige, die man nicht er-
reichen kann, auch nicht mit einem Hilfesystem, weiter
infizieren und noch kränker werden. Es ist seit langem
nötig – dazu gab es eine Bundesratsinitiative von 1995,
und es gab auch Überlegungen in der alten Regierung –,
das auf rechtlich einwandfreie Füße zu stellen. Sie wis-
sen, daß dieses Vorhaben im Bundesrat in der ersten Le-
sung, auch weil es mit den Ländern sehr solide abge-
stimmt worden ist, Zustimmung gefunden hat.
Das kostet den Bund nichts. Das sind Mittel, die von
den Ländern und den Städten dort, wo sie jetzt einge-
setzt werden, auch später eingesetzt werden müssen. Es
ist mir nur wichtig, daß man das auseinanderhält und
daß hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden.
Herr Kolbe, möch-
ten Sie antworten? – Bitte.
Frau Staatssekretärin,
ich habe das exakt auseinandergehalten. Der Bund fi-
nanziert in der Tat nur die wissenschaftliche Begleitung.
Ich habe dann allerdings das Objekt der wissenschaftli-
chen Begleitung näher betrachtet. Dazu hat es im No-
vember dieses Jahres eine Anhörung des Gesundheits-
ausschusses gegeben. Die Kritik, die dort teilweise auch
von Ihren Experten vorgetragen wurde, habe ich darge-
stellt.
Was die Finanzierung betrifft, habe ich zwischen der
Finanzierung der Einrichtungen selber, die von den
Kommunen erfolgt, und der Finanzierung der wissen-
schaftlichen Begleitung genau unterschieden.
Mein hauptsächlicher Kritikpunkt ging aber in eine
ganz andere Richtung: Ich habe mich dagegen gewandt,
daß Sie bei der Prävention kürzen. Das ist doch das
eigentlich Gravierende. Sie befassen sich hier mit der
Fürsorge für Schwerstfälle. Aber wir müssen doch ver-
hindern, daß solche Schwerstfälle überhaupt entstehen.
Das können wir nur durch eine wirkungsvolle Präven-
tion. In diesem Bereich zu kürzen ist nicht gerade ver-
antwortlich.
Jetzt erteile ich dasWort dem Kollegen Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.Walter Schöler
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Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Herr Kollege Schöler, wenn Sie unse-ren Antrag, den wir zur zweiten und dritten Lesung derGesundheitsreform eingebracht hatten, richtig gelesenhätten, dann hätten Sie heute diese Rede nicht haltenkönnen. Ich bedauere das sehr.
Nur aus sechs Blättern inklusive Ergänzung bestehtdie Beschlußempfehlung zum Einzelplan 15. Da kannman schlecht Seiten vergessen. Zumindest heute wissenwir also, worüber wir im Gesundheitsbereich beraten.Seit letzter Woche ist auch klar, daß die Gesundheits-politik nicht nur inhaltlich, sondern auch formell einEtikettenschwindel ist.
Der Titel der Reform, versehen mit der magischen Zahl2000, suggeriert große Dimensionen. Die Realität bleibtaber weit dahinter zurück. Wenn 24 Seiten Gesetzestext,die unter anderem nichts Geringeres als die Milliarden-hilfe für die Ostkrankenkassen beinhalteten, schlichtvergessen werden, ist die Jahr-2000-Fähigkeit offen-sichtlich nicht gegeben.
Im Gesetzestext zur Gesundheitsreform heißt es unter„Kosten“ – ich zitiere –:Für den Bund ergeben sich geringfügige Mehrbela-stungen durch die Übernahme der Kosten eines In-stituts für die Arzneimittel in der gesetzlichenKrankenversicherung.Die Bundesregierung, so kann ich mich erinnern, warangetreten mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen undBürokratie abzubauen. Jetzt errichten Sie eine zusätzli-che Institution zur Beurteilung von Arzneimitteln, derenKosten keineswegs gering sein werden. Der Nutzen istunserer Meinung nach nicht ersichtlich.Mit der Positivliste wird eine weitere Zulassungshür-de für Arzneimittel errichtet, die die Wettbewerbsfähig-keit der Pharmaindustrie beeinträchtigt, Arbeitsplätzekosten wird und den Forschungsstandort Deutschlandschwächt. Die vage Hoffnung, auf diese Weise im Arz-neimittelbereich zu sparen, rechtfertigt den Aufwandnicht. Sie verkennen die Gefahr teurer Substitutions-effekte. Und was noch schlimmer ist: Die Patientenmüssen bestimmte Arzneimittel, auf die sie bishervertrauten und die ihnen geholfen haben, in Zukunft zu100 Prozent aus eigener Tasche bezahlen. Das ist sozialeGesundheitspolitik à la Rotgrün.
Die F.D.P. ist froh – ich komme jetzt zu den positivenSeiten des Haushaltsplanes –, daß die Mittel für dieAids-Aufklärung entgegen den ursprünglichen Ab-sichten nun doch nicht gekürzt wurden. Die Mittel, dienun eingestellt wurden, sind das absolute Minimum, umin der Bevölkerung und vor allem auch bei den Jugend-lichen einen hohen Informationsstand zu sichern. Darinsind wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig.Frau Ministerin, ich war dabei, als Sie im Rahmen ei-ner diesbezüglichen Kampagne eine Enthüllung vonWettbewerbsplakaten vorgenommen haben. Das war ausmeiner Sicht eine äußerst gelungene Aktion. Ich denke,wir sollten der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung für diese Initiative danken. Das war vorbildlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen aberauch überlegen, wie wir zukünftig mit den Opfern vonHIV-verseuchten Blutprodukten umgehen bzw. wiewir ihnen helfen können. Denn es ist erkennbar, daß dasin diesem Zusammenhang bestehende Stiftungskapitalbereits im Jahre 2004 aufgebraucht sein wird. Es ist gut,daß sich der Gesundheitsausschuß auf unsere Anregunghin bereits mit dieser Problematik beschäftigt. Die Un-terstützung der SPD-Fraktion hierbei hat uns sehr ge-freut. Wir brauchen für die Erkrankten und die Angehö-rigen eine verläßliche Anschlußregelung. Das sind wirihnen schuldig.Ähnlich Schlimmes, Herr Kollege Schöler, haben dieHepatitis-C-Opfer der ehemaligen DDR durchge-macht. Deswegen begrüßen wir die vorgesehene Ein-stellung der Mittel. Der entscheidende Punkt aber ist,daß die alte Bundesregierung Ähnliches vorhatte,
wir aber, Frau Schmidt-Zadel, nach wie vor der Auffas-sung sind, daß die Länder eine Mitverantwortung zu tra-gen haben.
Die müssen Sie erst einmal ins Boot bekommen. Dannhaben wir das Ziel wirklich erreicht.
– Keine Aufregung, immer mit der Ruhe! Es ist schonspät am Abend. Wir müssen ein bißchen ruhiger werden.Das Jahr neigt sich dem Ende zu
– das soll auch keine Entschuldigung sein, Herr Kollege– und mit ihm auch die Budgets. Überall werden nundie Daumenschrauben angesetzt und fällige Gesund-heitsleistungen aufs nächste Jahr verschoben.
Jetzt bekommen die Patienten zu spüren, was es bedeu-tet, wenn willkürlich gespart wird. Der Präsident des In-stituts der deutschen Wirtschaft, Dr. Manfred Lennings,hat diesen Sachverhalt vor kurzem sehr treffend um-schrieben:In einer dynamischen Welt können die Regeln nichtstatisch bleiben.Das genau ist der Fehler, den Sie mit Ihren ge-schachtelten Budgets machen. Wollen Sie wirklich mit
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den Dreßler-Positionen von 1992, die inzwischen längstüberholt sind, ins nächste Jahrtausend gehen, Frau Mini-sterin? Dabei gibt es bereits heute zum Beispiel bei derzahnärztlichen Selbstverwaltung intelligente Ansätze,noch bestehende Budgets zu überwinden.
Dies ist Beweis dafür, daß das starrsinnige Beharren aufder phantasielosen Deckelung der Ausgaben als Steue-rungsinstrument völlig überflüssig ist.Statt Mißtrauen entgegenzubringen und verschärft zukontrollieren, sollten Sie den Alternativen, die auf demTisch liegen, mehr Aufmerksamkeit schenken und mehrVertrauen in die Vertragspartner setzen.
Kreativität fördert man nicht, indem man bürokratischüberreglementiert. Kreativität fördert man nur innerhalbfreiheitlicher Strukturen, die unser Gesundheitssystemdringend benötigt.
Wer Qualität und Bezahlbarkeit des deutschen Ge-sundheitssystems erhalten will, der muß Wettbewerb,Transparenz und Eigenverantwortung fördern, statt sieeinzuschränken. Leistungsgerechte Bezahlung sollte imDienst am Menschen eine Selbstverständlichkeit sein.Klassenkämpferisch geprägte Sparattacken auf Ärzteund Zahnärzte sind fehl am Platze.Ich will meine Rede ein wenig kürzen. Sie haben un-seren Antrag vielleicht noch in Erinnerung. Wir sagen,wir können die Leistungen der gesetzlichen Krankenver-sicherung nur aufrechterhalten, wenn wir an den Lei-stungskatalog kritische Maßstäbe anlegen und die Frageprüfen, was den persönlichen Präferenzen des einzelnenobliegen kann und welche Leistungen von ihm zusätz-lich erbracht werden können.Ich komme zum Schluß. Der große Ökonom JohnMaynard Keynes – eigentlich ein Reizwort für Sie –, hateinmal den lakonischen Befund formuliert, Herr Bernin-ger: „Auf lange Sicht sind wir alle tot.“ Faktisch hat erdamit sicherlich recht. Dennoch sollte uns dies nicht da-von abhalten, an der stetigen Verbesserung unseres Ge-sundheitssystems zu arbeiten. Das geht am besten, wennman diejenigen zu Rate zieht, die täglich in diesem Sy-stem arbeiten.Wolfgang Pföhler, der Präsident der DeutschenKrankenhausgesellschaft, stellte vor wenigen Tagen beider Eröffnung des 22. Deutschen Krankenhaustages inDüsseldorf fest:Immer dann, wenn der Sachverstand sich anmel-dete, schlossen sich im Ministerium die Türen.Ich fordere deshalb die Kolleginnen und Kollegen derRegierungskoalition gerade in der momentanen Aus-weglosigkeit auf: Nehmen Sie den Sachverstand endlichernst!
Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück! FangenSie gemeinsam mit uns und den Praktikern noch einmalvon vorne an – ohne Globalbudget, ohne mit Global-haftung versehenen Sektoralbudgets, ohne Machtzu-wachs für die Krankenkassen und ohne überzogene Da-tensammlungen –, bevor Sie dieses Gesundheitssystemauf längere Sicht zum Ableben verurteilen!Ich danke Ihnen.
Jetzt hat die Kolle-gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, dasWort.
heitswesens: Erstens. Wenn man sich mit denen unter-hält, die mit dem Gesundheitswesen zu tun haben und indiesem Bereich arbeiten, dann erfährt man nicht zu Un-recht, daß alle Veränderungen anmahnen, weil sie eben-dieses Ableben nicht heraufbeschwören wollen. Zwei-tens. Wir unterhalten uns sehr wohl mit allen; das wis-sen Sie auch. Und diese Regierung sorgt dafür, daß einAbleben des Gesundheitswesens nicht erfolgt, indem siedie notwendigen Reformen angeht.
Lassen Sie mich einmal die Ausgangsbasis beschrei-ben, auf der wir uns befinden. Wir reden heute sehr vielüber Zukunftsprogramm und Einsparungen in vielen Be-reichen. Im Gesundheitsbereich haben wir durch die ge-setzliche Krankenversicherung das Gegenteil. Wir habenjedes Jahr mehr Geld zur Verfügung stehen. Zum Ver-gleich, wie die Vergangenheit ausgesehen hat: 1970 ha-ben wir noch 2 766 DM pro Versicherten ausgegeben,heute sind es 5 877 DM. Im Gesundheitsreformgesetzwird auch deutlich gemacht, daß es noch mehr wird.
Die Situation, mit der wir es zu tun haben, zeigt uns –auch angesichts der Tatsache, daß wir immer mehr zu-gelassene Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben –,daß Reformen aus zwei Gründen notwendig sind – undnicht, weil es irgend jemandem gefällt, etwas ganz an-ders zu machen. Erstens wollen wir das Gesundheitswe-sen für morgen und übermorgen und für alle erhalten,und zweitens geht es darum, den Patientinnen und Pati-enten einen selbstbestimmten Platz in diesem System zuschaffen, ihnen wohlverstandene Eigenverantwortung zuermöglichen und Sicherheit und Innovation gleicherma-ßen zu gewährleisten.
Da muß man das aufgreifen, was uns in der letztenWoche von der CDU präsentiert worden ist. Da heißt Ihrerster Vorschlag: Wir reden mit dieser Regierung nichtüber Reformen. Gleichzeitig sagen Sie, das sei keineBlockade. Hier habe ich ein Verständnisproblem, weilDetlef Parr
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ich nicht begreifen kann, warum es nichts mit Blockadezu tun hat, wenn Sie sagen, wir reden nicht darüber.
Dann sagen Sie auf der anderen Seite, es müsse Ver-änderungen geben, aber darüber sollte nicht konstruktivdiskutiert werden, schon gar nicht hier im Plenum, son-dern über die Medien. Dann frage ich mich: Wen in-strumentalisieren Sie da eigentlich, und wem glaubenSie zu schaden? Manchmal meint man, Sie glauben,damit der Bundesregierung zu schaden. Es kann sein,daß Sie mit Ihrer Haltung verhindern wollen, daß die inIhrem Entwurf als positiv dargestellten, von uns ge-planten Veränderungen der Regierung gelingen, daß bei-spielsweise endlich Schluß ist mit dem „jeder für sich“im Gesundheitswesen, dem wir eine vernetzte Versor-gungsform gegenüberstellen wollen. Ich habe gelernt,daß dies auch in Ihrem Papier steht. Möglicherweisewollen Sie dafür sorgen, daß uns das nicht gelingt, son-dern daß Sie sich das auf irgendeine Fahne schreiben.Ich sage Ihnen ganz klar: Das werden wir im Zweifels-fall auch ohne Sie machen. An dieser Stelle können Sienur enttäuscht sein, weil die Regierung es selbstver-ständlich schaffen wird, wesentliche Elemente der Re-form auch ohne Sie durchzusetzen, und zwar insbeson-dere diejenigen, die die Patientinnen und Patienten di-rekt betreffen. Das sage ich einmal so ganz platt, denndas ist der zentrale Punkt.
Wenn man sich weiter fragt, wem Sie schaden wol-len, dann kann ich dazu nur eines sagen: Sie verunsi-chern und schaden Patientinnen und Patienten, Sie ver-unsichern und schaden Versicherten, und Sie verunsi-chern und schaden chronisch Kranken, Menschen, diedarauf angewiesen sind, daß die Politik und die Selbst-verwaltung ein funktionsfähiges System organisieren,das ihnen dann, wenn sie es brauchen, zur Verfügungsteht.Am Ende tun Sie sich selbst keinen Gefallen. Dennwenn man sich anschaut, was Sie tatsächlich vorschla-gen, dann stellt man fest, daß Sie vermutlich Ihre groß-artigen Ankündigungen nicht erfüllen können; denn Siesagen: Im Moment haben wir Probleme im System;wenn wir dafür sorgen, daß noch etwas privates Geldüber Zuzahlungen zur Verfügung gestellt wird, dannwerden wir alles ganz gut hinbekommen, wir könnendann wieder dafür sorgen, daß der Gesundheitsbereichfunktioniert. Genau das wird mit uns nicht zu machensein, weil das nicht hierhin gehört. Medizinisch notwen-dige Versorgung werden wir nicht organisieren überimmer mehr Zuzahlungen.
– Wir nehmen die notwendige Versorgung nicht weg.Wir sorgen vielmehr dafür, daß notwendige Versorgungnicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgenstattfinden kann, ohne daß die Leute dann in die privateTasche greifen müssen. Denn am Ende sind es geradedie, die es sich selber nicht leisten können.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
zur Zeit führen, darf nicht nach dem Motto laufen: Wir
machen den Menschen erst angst, und dann erklären wir
ihnen: Wenn ihr ein bißchen mehr bezahlt, geht alles in
Ordnung. – Das ignoriert nicht nur den Problemdruck,
sondern das ignoriert vor allem die Ängste der Men-
schen. Damit spaßt man auch nicht im politischen Streit
und schon gar nicht in derartigen Debatten, wie wir sie
in den letzten Tagen in diesem Haus erlebt haben.
Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Haushaltspolitik ist in Zahlen ge-gossene Politik. Betrachtet man nun den Haushalt desBundesministeriums für Gesundheit unter diesemAspekt, ist, von ein paar positiven Ansätzen einmal ab-gesehen, für mich folgendes erkennbar: Sie, meine Da-men und Herren von der Koalition, machen leider Kür-zen und Streichen zum Inhalt Ihrer Politik.An dieser Aussage ändert auch die Tatsache nichts,daß Sie die vorgesehenen Mittel von 1,6 Milliarden DMin diesem Jahr auf zirka 1,8 Milliarden DM für das Jahr2000 erhöhen werden. Denn Sie wissen genau wie ich:Der Hauptgrund für diese Aufstockung ist die nach § 52des Pflege-Versicherungsgesetzes gewährte Finanzhilfedes Bundes zur Förderung von Investitionen in Pflege-einrichtungen in Ostdeutschland. Ohne Frage: Das isteine außerordentlich wichtige Leistung, und niemandwill die Summe, die auf über 900 Millionen DM ange-stiegen ist, kleinreden. Für die Modernisierung undden Umbau von Seniorenheimen in den neuen Ländernist sie unverzichtbar; sie bringt einen bedeutendenFortschritt für die Betreuung der älteren Menschen ge-nauso wie für die Arbeitsbedingungen der dort Beschäf-tigten.Wir werten auch die Tatsache positiv, daß ein neuerTitel bezüglich des Bundesanteils für die Hepatitis-C-Entschädigungsregelung für Frauen aus den neuenBundesländern in den Haushalt aufgenommen wurde.
Die in der Bereinigungssitzung erfolgte Anhebung die-ser Summe von 5 auf 20 Millionen DM ist eine guteNachricht und der richtige Weg. Herr Kolbe, diesenWeg sind Sie nicht gegangen. Sie hätten ihn gehen kön-nen; Sie sind ihn aber nicht gegangen. Lieber Herr Parr,Sie waren in der letzten Legislaturperiode nicht dabei.Aber was Sie jetzt anmahnen, nämlich die Länder insBoot zu bekommen, hat die vorherige Regierung auchnicht geschafft, und das war die Entschuldigung dafür,Katrin Göring-Eckardt
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6498 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 23. November 1999
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daß gar nichts gemacht worden ist. Deshalb muß ichdies hier wirklich positiv bewerten.
Trotz dieser ausdrücklich zu würdigenden Sachver-halte muß ich feststellen, daß auch der Einzelplan 15einen deutlichen Einsparbetrag im Rahmen des radika-len Kürzungsprogramms für den Gesamthaushalt leistenmuß. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,wissen doch genau: Geht man von dem bereinigtenFinanzbedarf des BMG aus – dabei handelt es sich um1,95 Milliarden DM; darauf ist heute schon eingegangenworden –, dann bedeuten die im Haushalt ausgewiese-nen Mittel von 1,8 Milliarden DM nämlich, daß es eineKürzung von über 7 Prozent gibt. Es stehen also 7 Pro-zent weniger Geld zur Verfügung als objektiv wirklichnotwendig wäre.Die Folgen dieser Kürzungen sind unübersehbar. Soist es sehr bedauerlich, daß die Maßnahmen zur Verbes-serung der Versorgung Pflegebedürftiger von 76,5 auf63 Millionen DM gekürzt werden. Beziehe ich hier ein,daß die Mittel für die Zuschüsse zur Errichtung, zurAusstattung und Modernisierung von Pflegeeinrichtun-gen noch einmal um 2 Millionen DM gesenkt wurden,kann ich hier nur eine Sparmaßnahme erkennen, die ichnicht als sozial bezeichnen kann.
Begrüßenswert ist, daß der Haushaltsausschuß dieAusgaben für Aufklärungsmaßnahmen bei Aids wiederum 3 Millionen DM aufgestockt hat, auch wenn dadurchnicht mehr und nicht weniger als der Mittelumfang desJahres 1999 erreicht wurde.Um so unverständlicher bleibt allerdings für mich,daß ein analoger Antrag der CDU/CSU-Fraktion zurAnhebung der Gelder für Aufklärungsmaßnahmen imDrogen- und Suchtbereich im Haushaltsausschuß vonder Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde, obwohl er vomGesundheitsausschuß einhellig angenommen worden istund in ihm auch nicht mehr vorgesehen war, als denStand der Finanzausgaben des Vorjahres auf diesem Ge-biet wieder zu erreichen.
Sie sehen, ich lobe die CDU, wenn sie etwas Gutesmacht. Es passiert nur zuwenig.Ich denke, wir dürfen eines nicht vergessen: DieStreichungen im Einzelplan 15 finden vor dem Hinter-grund statt, daß die gesetzlichen Kranken- und Pflege-versicherungen weitere Einnahmeausfälle bzw. zusätzli-che Ausgaben zu erwarten haben. Seit kurzem wissenwir alle, daß auch noch völlig neue finanzielle Ver-pflichtungen in zweistelliger Milliardenhöhe – ich beto-ne: Milliardenhöhe – auf die Krankenkassen zukommenkönnen. Sie können sich aus möglichen Rückerstattun-gen von erhobenen Beiträgen von Einmalzahlungen ausWeihnachts- und Urlaubsgeld ergeben. Es hat also kei-neswegs etwas mit Schwarzmalerei zu tun: Angesichtsder ohnehin von der Bundesregierung mit der Gesund-heitsreform 2000 vorgesehenen harten Budgetierungenbedarf es keiner prophetischen Gabe, um zu erkennen,daß sich die finanziellen Voraussetzungen für die ge-sundheitliche Versorgung insgesamt weiter verschlech-tern werden. Damit kommen zu den Kürzungen zuLasten von Rentnerinnen und Rentnern, Arbeitslosenund Sozialhilfebeziehern auch noch Abstriche bei derVersorgung kranker Menschen hinzu.Meine Damen und Herren von der Koalition, vonIhrem vor der Wahl noch selbst benannten Ziel, mehrsoziale Gerechtigkeit zu erreichen, entfernen Sie sichmeiner Meinung nach mit Ihrer Haushaltspolitik immermehr.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Dr. Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt politischeSituationen, da hat man es als Opposition sehr schwer,seine Argumente überzubringen.
Aber es gibt auch politische Situationen, da hat man essehr leicht, weil die Menschen im Lande bereits dieAuswirkungen einer falschen Politik spüren. Das ist imMoment im Gesundheitsbereich der Fall.
Wenn Sie sich mit den Beschäftigten unterhalten –mit den Krankenschwestern, mit den Pflegern, mit denÄrzten –, wenn Sie in die Krankenhäuser gehen, wennSie sich mit Vertretern der Krankenkassen unterhalten,dann können Sie eines feststellen: daß sich Ihre völligunnötigen Eingriffe in das Gesundheitssystem, Ende desvergangenen Jahres beschlossen, mittlerweile verhee-rend auswirken, nämlich in Form von Leistungsverwei-gerungen.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu dem sozialen Aspekt,weil Sie darauf gerne verweisen. Wir erleben derzeit,daß in 17 von 23 KV-Bezirken das Budget bereits über-schritten ist. Damit wird vor allen Dingen den sozialSchwachen das, was sie medizinisch benötigen, verwei-gert. Das ist ungerecht.
Derjenige, der mehr Geld hat, ist in der Lage, sich aufandere Art und Weise das zu besorgen, was er meint zubenötigen.Erinnern Sie sich an das, was im letzten Jahr passiertist: Die Reduzierung der Zuzahlungen zu Arzneimittelnkostete Sie etwa 1 Milliarde DM. Das konnten Sie tun.Dr. Ruth Fuchs
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Sie hätten den Leuten aber gleichzeitig sagen müssen,daß sie dafür jetzt nicht nur wesentlich mehr Zuzahlun-gen entrichten müssen, sondern daß sie dies im Endef-fekt voll bezahlen müssen. Das verärgert die Menschen,und aus diesem Grund machen Sie eine unrichtige undunlautere Politik.Ein solches Durcheinander, wie wir es in der vor-letzten Woche hier beim Gesetzentwurf zur Gesund-heitsreform 2000 erlebt haben, hat es in der Geschichtedieses Parlaments noch nicht gegeben.
Das war ein einmaliger Vorgang und ist der Tiefpunktder Pannenserie der Koalition von SPD und Grünen. Dashat auch nichts mehr mit einer seriösen Politik zu tun.Sie haben einen Trümmerhaufen als Gesetzentwurf vor-gelegt. Dann dürfen Sie sich über die Kritik nicht wun-dern.
– Wir haben Sie vor diesem Hauruckverfahren gewarnt.Sie waren ja selbst maßgeblich beteiligt, Herr Schmidt.
Es gab gute Vorschläge – auch von Ihrer Seite –, wieman das Problem hätte lösen können. Sie sind daraufnicht eingegangen, weil Sie bestimmte ideologischeVorstellungen hatten. Sie wollten mit dem Kopf durchdie Wand, und jetzt sind Sie – darauf deutet alles hin –an der Wand hängengeblieben.
Das haben Sie selbst zu verantworten. Mit dieser Stur-heit fügen Sie – das ist mit Händen zu greifen – demGesundheitswesen Schaden zu.Ohne Not haben Sie eingegriffen. Und zu welcherSituation hat das geführt? Die Krankenkassen hatten zuBeginn des Jahres noch Überschüsse, die bei 7 bis8 Milliarden DM lagen. Jetzt lesen wir plötzlich vondrohenden Defiziten, und das zu einer Zeit, in der SieIhre Reform noch nicht einmal durchgesetzt haben. Dashat etwas mit Ihrem sogenannten Solidaritätsstärkungs-gesetz zu tun. Diese Eingriffe hatten zur Folge, daß imEndeffekt die Qualität der medizinischen Versorgungsinkt. Unter der Ausschöpfung der Arzneimittelbudgetsleiden vor allem die Schwächeren, weil ihnen nicht mehrdie Möglichkeiten eingeräumt werden, die notwendigwären: Es gibt an Medikamenten nur noch das medizi-nisch Allernotwendigste. Operationen werden verscho-ben auf das kommende Jahr. Behandlungen müssenwarten. Das ist das Ergebnis einer Gesundheitspolitiknach Kassenlage.Soweit Sie Kontakte in Ihren Wahlkreisen haben undsich unter Menschen begeben, müßten Sie alle entspre-chende Schreiben bekommen haben. Ich habe auch dieFrau Ministerin persönlich darauf angesprochen. Ichkönnte jede Menge zitieren, zum Beispiel ein Schreibenvom Caritasverband in Osnabrück, in dem präzise be-schrieben wird, wie eine Schlaganfallpatientin – ich sageausdrücklich – unzureichend und falsch behandelt wird,weil ihr Leistungen verweigert werden und der Arzt ihrsagt, man könne ihr nicht beides, nämlich sowohl einHerzmedikament als auch ergotherapeutische Maßnah-men, bieten. Nur das eine oder das andere ist möglich. Ineiner solchen Situation befinden wir uns. Sie geht zu La-sten der sozial Schwachen, und sie geht nicht zuletzt zuLasten der alten Menschen, die sich nicht dagegen zurWehr zu setzen wissen.Sie wissen das ganz genau, weil Sie es im Momenterleben. Das hat nichts mit Ihrer Reform zu tun, sonderndas hat etwas mit den völlig unnötigen Eingriffen zu tun,die Sie Ende des vergangenen Jahres beschlossen haben.Jetzt sagen Sie, Sie wollen eine Gesundheitsreformmachen. Die Menschen, die jetzt erleben, was nach ei-nem Jahr rotgrüner Regierung mit ihnen passiert, müs-sen das als Bedrohung empfinden. Sie müssen es auchals Bedrohung empfinden, daß Sie jetzt sagen: Wir wer-den das auf Teufel komm raus durchziehen. – Sie wollenbei dieser sogenannten Reform zusätzlich Freiheits-rechte einschränken, Sie wollen die Menschen durchBürokratie gängeln und auf Teufel komm raus Datensammeln. Sie sollten sich mit anderen – nicht mit derOpposition, uns nehmen Sie es sowieso nicht ab – dar-über unterhalten. Reden Sie einmal mit Datenschutzbe-auftragten; die werden Ihnen dazu das Nötige berichten.
Vielleicht haben Sie in diesen Tagen zufällig in derZeitung verfolgt – mir hat ein Arzt den Artikel zuge-schickt –, daß man in den USA von der Budgetierungvon Gesundheitsleistungen wieder abkommt.
– Sie haben die USA ansonsten durchaus als Beispielherangezogen; ich denke beispielsweise an die Behand-lungsrichtlinien, die Sie ins Gesetz aufgenommen haben.
Das ist nämlich ein Stück Amerikanisierung. Sie habengenau festgeschrieben, was bei einer bestimmten Krank-heitssituation an Behandlung erfolgen soll. Es soll nichtdas medizinisch Optimale erfolgen, sondern das, was ge-rade mit der Versicherung vereinbart worden ist.In dem erwähnten Artikel steht, daß ein amerikani-scher Großversicherer mit 16 Millionen Versichertendarauf hinweist, daß man die gegen niedergelasseneÄrzte verhängten Budgets wieder abgeschafft habe, weilsie sich betriebswirtschaftlich als kontraproduktiv erwie-sen hätten; die Kosten für die Kontrolle und die Ver-waltung seien höher als die Ersparnisse, die mit diesemInstrument erwirtschaftet worden seien.Sie versuchen jetzt, die Reglementierung und Büro-kratisierung nach dem Motto zu perfektionieren: DerDr. Hermann Kues
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Staat weiß und kann alles, er weiß alles besser. Ich sageIhnen: Auch wenn Sie es lieber anders hätten, es wirdebensowenig den Standardpatienten wie die Vereinheit-lichung der Medizin geben. Dazu passen die Gegeben-heiten einfach nicht.Der Ansatz der Bundesregierung, man könne die Ko-sten durch strikte Ausgabenbudgetierung und -begren-zung in den Griff bekommen, ist ein Trugschluß. Dashat bereits in der Vergangenheit nicht funktioniert.Krank wird man eben nicht nur dann, wenn der Gesetz-geber das will, und die Häufigkeit und die Schwere vonKrankheiten richten sich nicht nach bürokratischen Vor-gaben. Wer so denkt, der nimmt bewußt Wartelisten undeine schlechte Versorgung der Menschen in Kauf.
Wir als Union gehen in der Gesundheitspolitik voneinem anderen Menschenbild aus. Das ist ein andererPolitikansatz.
– Nein. Sie reduzieren Zuzahlungen und greifen denMenschen dennoch in die Tasche, weil Sie ihnen be-stimmte Medikamente überhaupt nicht mehr geben. Dasist die Wirklichkeit Ihrer Gesundheitspolitik.
– Sie wissen das ganz genau, Herr Schmidt. Gehen Sieeinmal in Ihren Wahlkreis und unterhalten Sie sich mitden Leuten!
Sie wissen das ganz genau und sagen dennoch, wir peit-schen diesen Gesetzentwurf auf Teufel komm rausdurch, obwohl er in die völlig falsche Richtung geht.
Wir wollen, daß die solidarische Krankenversiche-rung in ihren Eckpfeilern erhalten bleibt. Wir wollenausdrücklich, daß jeder, unabhängig von Einkommen,Alter und der Art der Krankheit die medizinisch not-wendige Versorgung erhält. Wir setzen aber auch – dasunterscheidet uns von Ihnen – auf Freiheit und Eigenin-itiative.
Nur wenn es für die Menschen von Vorteil ist, medizini-sche Leistungen sinnvoll und sparsam zu nutzen, werdensie es auch tun.Wir wollen eine andere Form der Steuerung als Sie.Sie gehen davon aus, daß es möglich ist, das Gesund-heitsleben von oben herab zu lenken.Wir sagen: Die Menschen, die Beteiligten, die Beschäf-tigten und die Institutionen müssen alle einbezogen wer-den. Das ist eine andere Philosophie. Wir glauben, daßdabei im Endeffekt medizinisch mehr herumkommt undes auch sozial gerechter ist.
Wir wollen – ich sage das ganz ehrlich, auch wennich weiß, daß dies nicht nur populär ist –, daß die Versi-cherten über ihren Versicherungsumfang mitentscheidenkönnen und daß gewisse kleine Risiken – dabei mußman über Fahrtkosten, Bandagen, Mittel gegen Erkäl-tung und ähnliches reden – nicht in jedem Fall von derSolidargemeinschaft getragen werden müssen. Die Soli-dargemeinschaft ist vor allem zur Abdeckung der gro-ßen Risiken zuständig, die heute teilweise verschobenwird: Krebsbehandlungen, Herzoperationen, Dialyseusw. Die Menschen müssen darauf vertrauen können,daß sie dann, wenn sie wirklich schwer krank werden,optimal behandelt werden.Wir wollen diese Steuerung aber nicht nur bezogenauf die Patienten. Wir wollen auch, daß bei Krankenkas-sen Innovationen und Engagement gefördert werden.Wir wollen einen gewissen Wettbewerb unter denKrankenkassen um ihre Versicherten. Wir wollen keinezentrale Lenkung durch die Zentralen der Krankenkas-senverwaltungen.
Das heißt zum Beispiel auch, daß es unterschiedlicheLeistungsangebote oder Wahltarife geben muß und daßder Versicherte ein Stück weit entscheiden können muß,in welchem Umfang er selbst dafür aufkommen möchte.Wir wollen auch einen gewissen Wettbewerb zwi-schen Ärzten, Zahnärzten, Physiotherapeuten, Apothe-kern und Krankenhäusern. Dabei muß die Qualität imVordergrund stehen. Das jetzige System, bei dem Ärztefür eine Budgetüberschreitung kollektiv haften müssen,wobei sie keine Chance haben, von sich aus sparsam mitden Mitteln umzugehen und davon auch zu profitieren,ist im Grunde ein irrsinniges System, dessen Folgen kei-ner nachvollziehen kann.
Eine kollektive Haftung aller Ärzte für Mehrausgabenführt zu der abstrusen Situation, daß die Kosten inWirklichkeit steigen. Das erleben wir ja in diesem Jahr;das hat offensichtlich eine völlig falsche Wirkung her-vorgerufen. Das führt auch nicht zu dem, was Sie sichoffensichtlich davon erhofft haben.Deswegen haben wir gesagt, Herr Schmidt, daß manehrlich darüber reden muß, ob es nicht besser ist, Pati-enten sozialverträglich mit zu beteiligen, damit darübereine Steuerung erfolgt. Das darf aber nicht zu einer iso-lierten Mehrbelastung führen. Dabei ist am wichtigsten,daß wir die Menschen in die Lage versetzen, zuzuzahlenund Eigenverantwortung zu übernehmen. Deswegenbleibt eine wirkliche steuerliche Entlastung der Bürge-rinnen und Bürger in Deutschland das Wichtigste, damitDr. Hermann Kues
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sie über mehr des Geldes verfügen können, das sie ver-dient haben.
Steuerliche Entlastung und Eigenverantwortung ge-hen Hand in Hand. Es gab dazu einen ganz präzisenVorschlag, der auch als Gesetz im Bundestag verab-schiedet worden ist. Er ist – hier fängt die Blockade an –im Bundesrat völlig ohne Not blockiert worden, weil Siedamit parteipolitische Absichten verfolgt haben, dieauch ein wenig aufgegangen sind.Wenn Sie sich die Härtefallregelungen ansehen, stel-len Sie fest, daß Sie sie nicht, wie Sie es angekündigthaben, prinzipiell geändert haben. Sie haben sie redu-ziert. Es wird finanziell eigentlich niemand überfordert.Schon heute ist ungefähr ein Drittel aller Versichertenvon Zuzahlungen befreit. Ihre Alternative ist – ich sagedas noch einmal –: Ihr Konzept benachteiligt ausdrück-lich die sozial Schwachen; denn das Verweigern medi-zinischer Leistungen auf Grund Ihrer Politik nach Kas-senlage trifft insbesondere diejenigen, die ein geringesEinkommen haben. Patienten mit höherem Einkommenkönnen sich Leistungen anderweitig besorgen, Einkom-mensschwache dagegen nicht.Ihre Politik der Reglementierung und Budgetierungist rückwärtsgewandt. Wenn Sie klug gewesen wären,hätten Sie 1998 Bilanz gezogen und überlegt, wie mandas System vorwärtsentwickeln kann, wie man für neueElemente sorgen kann. Sie hätten nicht alles mit Stumpfund Stiel herausreißen sollen. Deswegen sind Sie in sol-chen Schwierigkeiten.Wir sind trotz alledem zu Gesprächen mit Ihnendarüber bereit. Aber wir wollen nachhaltige Lösungen,damit wir für fünf bis zehn Jahre Ruhe an der gesund-heitspolitischen Front bekommen, damit wir einen Wegeinschlagen, der für mehrere Jahre tragfähig ist. Wirsind bereit, an einer solch nachhaltigen Lösung mitzuar-beiten. Ich sage ganz ausdrücklich: Auch bei diesemThema liegt der Ball in Ihrem Spielfeld. Sie müssen ihnnur aufnehmen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun
die Gesundheitsministerin Andrea Fischer.
– Ich hätte gern die Fußballergebnisse bekanntgegeben;
aber ich kenne sie nicht.
Frau Präsidentin, Sie können jetzt zumindest das michinteressierende Ergebnis noch nicht bekanntgeben, weilHertha erst vor einer Viertelstunde angefangen hat, zuspielen;
deswegen kann ich jetzt noch über den Haushalt des Ge-sundheitsministeriums reden.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKues, man kann den Inhalt Ihrer gerade gehaltenen Redeinzwischen mitsingen, weil er schon so oft zu hören war.Das macht die Melodie trotzdem nicht richtiger. Ichhabe gerade wirklich sehr aufmerksam zugehört: Siehaben den Großteil Ihrer Zeit darauf verwendet, zu sa-gen, was wir alles falsch machen. Dabei haben Sie zumTeil auf zumindest zweifelhafte Informationen zurück-gegriffen. Ihre Aussagen über die Budgets sind so nichthaltbar, weil Sie sich dabei auf Prognosen aus demSommer dieses Jahres beziehen. Diese Prognosen habensich bislang nicht bestätigt, und sie berücksichtigennicht das gemeinsame Aktionsprogramm.Wenn Sie so emphatisch fordern, Kleinigkeiten ausdem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherungherauszunehmen, dann muß ich Ihnen entgegnen: Dasist bereits in Ihrer Regierungszeit geschehen. Reden Siealso nicht davon, daß Erkältungsmittel nicht von derGKV bezahlt werden sollten; denn das steht schon langeim Gesetz. Das haben wir mit dem gemeinsamen Akti-onsprogramm bestätigt.
Hinsichtlich der Schulden der ostdeutschen Kran-kenkassen bitte ich Sie, folgendes zu berücksichtigen:Bei diesen Schulden geht es um eine Hypothek, die überJahre hinweg angehäuft worden ist. Es ist unglaublichschwer, sie jetzt wieder abzutragen.
Ich will die Gelegenheit heute nutzen, um über einpaar Punkte aus dem Haushalt zu reden. Über dieGesundheitsreform ist ausgesprochen viel diskutiertworden; aber auf ein paar Dinge sollte man durchausnoch einmal das Augenmerk richten. Wenn Sie behaup-ten, mit Zuzahlungen bekomme man eine Lösung derProbleme der gesetzlichen Krankenversicherung, diezehn Jahre halte, dann entgegne ich: Das halte ich wirk-lich für völlig unangemessen.
– Sehr viel anderes hat Ihre Rede nicht enthalten. Sieschauen auffällig oft weg, soweit es um die in diesemGesetz enthaltenen Strukturreformen geht. Teilweisefordern Sie in Ihren diversen Konzeptpapieren dieselbenSachen, die wir mit unserem Gesetz in Angriff genom-men haben. Dabei hat man das Problem, daß man nichtimmer genau weiß, welches gerade gilt. Jedenfalls for-dern Sie in diesen Papieren Dinge, die in unserem Ge-setzentwurf längst enthalten sind. Von daher meine ich,daß Sie da einfach noch einmal etwas nachlegen müs-sen.Sie haben gesagt, wir machten eine rückwärtsge-wandte Politik. Sie schlagen im Moment vor, zur Situa-tion von 1997/98 zurückzukehren. Wenn ich mich anden Wahlkampf des Jahres 1998 richtig erinnere, dannDr. Hermann Kues
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war genau das eine sehr umstrittene Politik, die Ihnendie Wählerinnen und Wähler nicht gedankt haben.
Ich möchte jetzt auf den Haushalt zu sprechen kom-men. Es gibt da eine auffällige Diskrepanz. Herr Kolbesagt: Ihr spart doch gar nicht ordentlich. Frau Fuchssagt: Ihr spart viel zuviel. Das ist immer eine Frage derBetrachtungsweise.
– Nein, da liegt auch die Wahrheit nicht in der Mitte.Herr Kolbe hat hinsichtlich ein paar Posten, die wir auf-gestockt haben, recht. Dazu sage ich gleich etwas. FrauFuchs hat genauso recht, wenn Sie sagt, daß wir – wennman von einigen besonderen Fällen absieht – in diesemHaushalt ansonsten gespart haben.Ich will nicht verhehlen, daß das auch schmerzhaftist, weil das Bundesministerium für Gesundheit in sei-nem bekanntermaßen sehr kleinen Etat eigentlich nurMittel hat, für die jedermann sein kann. Wenn man dortsparen muß, dann ist das immer schmerzhaft.Ich glaube aber, daß das, was wir gemacht haben, zuvertreten ist. Ich bin damit auch insofern zufrieden,als wir die wichtigen Aufgaben, die das Gesundheits-ministerium wahrnehmen muß – Modellvorhaben Qua-litätssicherung, Maßnahmen zur Verhinderung des Miß-brauchs von Drogen und Suchtmitteln, Verbesserung derSelbstversorgung mit Blut und Blutprodukten –, auch inZukunft gewährleisten können.Einsparungen finden in unserem Haushalt in der Tatbei den Anpassungen der Finanzhilfen für Pflegeein-richtungen in Ostdeutschland nach dem Liquiditätsbe-darf, den die neuen Länder anmelden, statt. Frau Fuchs,Sie wissen, daß es erhebliche Schwierigkeiten beimAbruf der Mittel gibt. Die Mittel für Modellvorhaben inder Pflege werden in der Tat gekürzt. Aber dies ist des-wegen vertretbar, weil damit eine Veränderung in derFörderpolitik einhergeht: Wir werden nicht mehr sostark auf den kostenaufwendigen investiven Bereich,sondern stärker auf die Entwicklung neuer Konzepte inder Pflege setzen. Dies ist eine sehr sinnvolle Beschrei-bung der Aufgaben von öffentlich geförderten Modell-projekten.
– Wir wollen doch wenigstens noch die zweite Halbzeitdes Fußballspiels sehen, Herr Kolbe.
Ich lasse jetzt auch
keine Zwischenfragen mehr zu. Wir wollen die Debatte
beenden. – Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Auch im Verwaltungsbereich wird weiterhin gespart.
Ich möchte eines betonen: Die Aufgaben in der Gesund-
heitspolitik wachsen. Das betrifft nicht nur mein
Ministerium – dies hat viel mit der europäischen Ent-
wicklung zu tun –, sondern auch die nachgeordneten
Behörden, die unglaublich viele zusätzliche Aufgaben
bewältigen müssen. Es ist sehr bitter, daß die Kürzungen
der letzten Jahre die Stellensituation in diesen Behörden
verschärft haben.
Nun zu dem Vorwurf von Herrn Kolbe, wir würden
kräftig drauflegen. Herr Kolbe, das Berlin/Bonn-Gesetz
habe ich nicht zu verantworten. Es existierte schon vor
meinem Amtsantritt. Aus diesem Gesetz resultiert der
Umzug des BfArM nach Bonn. Diese Vorgabe haben
wir zu erfüllen. Ich halte es nicht für redlich, wenn Sie
die Ausgaben für diesen Umzug als Ausgabenwut dar-
stellen.
Die 130 Millionen DM für Pflegeeinrichtungen, die
jetzt eingestellt sind und die Sie monieren, gehen darauf
zurück, daß wir eine Kürzung der alten Bundesregierung
von 1997 rückgängig machen mußten. Es ist auch nicht
fair, uns dies jetzt vorzuwerfen.
Die 27 Millionen DM an Personalausgaben sind vor
allen Dingen für den Bereich der Nachzulassungen not-
wendig. Auch dies ist eine Hypothek. Wir müssen im
Bereich der Nachzulassungen unheimlich schnell in die
Puschen kommen, weil die Kommission zu Recht unge-
duldig ist. Sie haben vor allen Dingen nicht darauf hin-
gewiesen, daß dies ausgabenneutral finanziert wird, weil
es über die Gebühren wieder hereingeholt wird. Deshalb
sind die Vorwürfe, die Sie uns gemacht haben, nicht
richtig.
Frau Ministerin,
hatte ich Sie recht verstanden, daß Sie jetzt keine Zwi-
schenfragen mehr zulassen?
Ja.
Danke schön.
Ich möchte jetzt noch einmal auf Hepatitis C eingehen.Ich bin sehr froh darüber, daß wir in diesem Punkt wei-tergekommen sind. Ich möchte gar nicht darüber reden,warum dies erst zehn Jahre nach der Wende möglichwar. Lassen wir dies einfach so stehen. Aber reden Sienicht die Tatsache klein, daß wir das Gesetz fertig ha-ben. Zwar wird dieses Gesetz nach der Beratung imHaushaltsausschuß noch einmal verändert, aber es istbereits mit den Bundesländern abgestimmt. Sie habensich bereit erklärt, Ihren Anteil zu tragen. Ich habe kei-nen Grund, am Wort der Länder zu zweifeln. Falls Sieeinen Grund haben, dann sollten Sie ihn nennen. Mit denostdeutschen wie mit den westdeutschen Ländern hat esim Sommer auf der Gesundheitsministerkonferenz eineEinigung gegeben. Darüber bin ich sehr froh. Wir wer-den uns sehr schnell in die Veränderungen des Gesetzeseinarbeiten, die durch den Beschluß des Haushaltsaus-schusses zustande kommen und die ich außerordentlichBundesministerin Andrea Fischer
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begrüße. Wir werden uns danach an die Länder wenden.Ich hoffe, daß wir bald zu einer Lösung gelangen wer-den.
Ich möchte die Kontroverse zwischen der KolleginNickels und dem Kollegen Kolbe kurz aufgreifen. HerrKollege Kolbe, im letzten Jahr ist der Etat für Sucht-prävention einmalig erhöht worden. Diese Erhöhung istdiesmal nicht enthalten. Jetzt hat der Etat eine Höhe er-reicht, die er auch schon unter dem Vorgänger vonHerrn Minister Eichel und meinem Vorgänger hatte. Ih-re Kritik, das sei zugunsten dieses Modellversuchs ge-macht worden, stimmt nicht; vielmehr handelt es sichum Geld, das hier zusätzlich eingestellt worden ist.Sie haben behauptet, der Modellversuch sei Quatsch.Dazu hätte es schon eine Anhörung gegeben. Mit Ver-laub, wenn ich mich recht entsinne, dann werden Mo-dellversuche durchgeführt, um etwas herauszufinden. Esgab bereits Vorläufermodelle, an die wir anknüpfen unddie wir weiterentwickeln werden. Dadurch werden neueFragen aufgeworfen. Ich bin der Auffassung, daß wir eshier mit Drogenabhängigen zu tun haben, an denen bis-her alle Entzugsversuche gescheitert sind. Wir haben diePflicht, diesen kranken Menschen zu helfen. Wir wollenherausfinden, ob dies im Rahmen des Modellversuchsmöglich ist. Dies ist der Sinn des Modellversuchs. Des-wegen halte ich ihn für notwendig und gerechtfertigt.
Abschließend möchte ich mich herzlich bei meinenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Ich glaube,auch die Berichterstatter werden mir zustimmen, wennich feststelle, daß es eine hervorragende Zuarbeit undUnterstützung gegeben hat. Ich möchte mich aber auchbei den Berichterstattern für die konstruktive Zusam-menarbeit bedanken. Ich freue mich, daß doch wenig-stens dieses noch geht. In diesem Sinne vielen Dank!
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 – Bundesministerium für Gesundheit – in der
Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 15 ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS an-
genommen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 24. November
1999, 9 Uhr, ein.
Allen Fußballfans einen schönen Abend. Es steht 1:0
für Barcelona.
Die Sitzung ist geschlossen.