Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung der Haushaltsbera-
tungen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011
– Drucksachen 17/2500, 17/2502 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
– Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Roland Claus
Rede
Alexander Bonde
Dazu rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt I.12 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie
– Drucksachen 17/3509, 17/3523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Carsten Schneider
Ulrike Flach
Roland Claus
Alexander Bonde
Ich sehe, die Berichterstatter sind vollzählig
Nach einer interfraktionellen Vereinbar
die Aussprache zu diesem Einzeletat 90 Minuten vorge-
zung
n 25. November 2010
.01 Uhr
sehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann kön-
nen wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Garrelt Duin für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute Morgen über den Haushalt für das Bun-deswirtschaftsministerium. Zu Beginn dieser Debatte istselbstverständlich festzustellen, dass wir in Deutschlandeinen Aufschwung haben, der alle Erwartungen des letz-ten Jahres, auch die Erwartungen der sogenannten Exper-ten, übertrifft. Über diesen Aufschwung – das möchte ichfür meine Fraktion ausdrücklich klarstellen – freuen wiruns unbändig.Wir bedanken uns bei denen, die diesen Aufschwungbewerkstelligt haben: bei den Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern sowie den klugen Unternehmern inDeutschland.
Sie wurden durch weise Entscheidungen und entschlos-senes Handeln der damaligen Bundesregierung in dieLage versetzt, unter anderem mit dem Instrument derKurzarbeit, auf diese Krise zu reagieren. Durch massiveKraftanstrengungen, durch zwei Konjunkturpakete wur-den sie in die Lage versetzt, über dieses tiefe Tal hin-wegzukommen.
Es ist vollkommen richtig, dass die Sachverständigenachten herausstellen, dass diese Bundesre-kaum einen Beitrag geleistet hat.olomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist anwesend.ung sind fürin ihrem Gutgierung dazu
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Garrelt Duin
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Dort heißt es: Der Beitrag dieser Bundesregierung ist be-schränkt. – Diese Aussage kann man natürlich in meh-rerlei Hinsicht verstehen. Ich denke aber, diese Einschät-zung ist deutlich.
Uns bereitet große Sorge, dass es eine Reihe von Men-schen in diesem Lande gibt, die an diesem Aufschwungnicht teilhaben; denn diese Regierung tut nichts – das istnur eines von vielen Beispielen – zur Bekämpfung desMissbrauchs von Leiharbeit. Damit kein Missverständnisentsteht: Es ist völlig in Ordnung, die Instrumente Leih-arbeit und Zeitarbeit zu nutzen, um Auftragsspitzen ab-zuarbeiten. Aber dass dieses Instrument missbrauchtwird, wie es zurzeit in Deutschland zu beobachten ist, istein Skandal. Diese Bundesregierung sieht dem tatenloszu.
Dasselbe gilt für die Bekämpfung von Niedriglöhnen.Leiharbeit und Niedriglöhne sind eben Ursache dafür,dass viele Menschen an diesem Aufschwung nicht teil-haben, dass sie in Unsicherheit leben, dass ihnen die Per-spektive fehlt. Deshalb, lieber Herr Brüderle, entsprichtdieser Aufschwung, sosehr wir uns über ihn freuen, nichtIhrer Wahrnehmung. Er ist nämlich noch nicht selbsttra-gend, und er ist nicht so stabil, wie Sie das den Men-schen glauben machen wollen. Das liegt unter anderemdaran, dass die Balance zwischen dem, was exportgetrie-ben ist, und dem, was wir an Binnennachfrage haben,fehlt.
Der Europäische Rat hat in seiner Arbeitsgruppe„Wirtschaftspolitische Steuerung“ – Sie alle kennen sieunter dem Namen Van-Rompuy-Arbeitsgruppe – mit Zu-stimmung der Bundesregierung festgestellt, dass geradein den Mitgliedstaaten mit hohen Leistungsbilanzüber-schüssen die Frage zu klären ist, wie man die Binnen-nachfrage und das entsprechende Wachstumspotenzialsteigern kann. Die Frage, wie Sie die Binnennachfrageund das Wachstumspotenzial in Deutschland steigernwollen, wenn Sie eben nicht nur auf Export setzen, ha-ben Sie bis heute nicht beantwortet, wie Sie überhauptdas, was auf europäischer Ebene verabredet wird, nichtin ausreichender Weise ernst nehmen. Diese Bundesre-gierung nutzt Europa immer wieder nur, um innenpoli-tisch zu punkten. Aber sie nimmt das, was mit europa-politischem Mehrwert zu tun hat, nicht in notwendigemMaße ernst.
Ein Paradebeispiel dafür sind auch Sie, HerrBrüderle. Sich hier in Deutschland bei dem ThemaSteinkohle einem Kompromiss zu beugen, aber gleich-zeitig zu erklären, dass Sie dafür in Europa nicht eintre-ten würden, ist nicht haltbar. Das ist das Gleiche, wasHerr Schäuble bei der Finanzmarkttransaktionsteuer ge-macht hat. Hier hat er gesagt: „Wir wollen das haben“,aber überall sonst erzählt er, dass das natürlich nicht sogemeint sei. Damit hat man auf europäischer Ebene kei-nen Erfolg.
Nach dem Thema Steinkohle will ich auch auf dasThema Energie zu sprechen kommen. Auf der einenSeite dreht Ihre Politik mit dem sogenannten Energie-konzept, das Sie, wie wir hier vor kurzem erleben muss-ten, durch dieses Parlament durchgepeitscht haben, derBoombranche Nummer eins in Deutschland, nämlichden erneuerbaren Energien, den Hahn ab. Auf der ande-ren Seite tun Sie nichts dafür, den energieintensiven Un-ternehmen in Deutschland wirklich zur Seite zu stehen.Erst sagen Sie: „Die Förderung muss massiv zurückge-fahren werden“, dann kommen Sie Gott sei Dank zurBesinnung; aber es fehlt an jeglicher Strategie für dasJahr 2012 und danach, dafür zu sorgen, dass energie-intensive Unternehmen in Deutschland auch dann nocheine Zukunft haben. Tun Sie an dieser Stelle endlich et-was, Herr Brüderle.
Herr Kollege Duin, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schäuble?
Sehr gerne.
Herr Kollege Duin, da Sie zum wiederholten Male die
Behauptung aufgestellt haben, ich hätte irgendwo ge-
sagt, ich sei nicht für die Finanztransaktionsteuer,
frage ich Sie,
ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich ge-
sagt habe: „Ich bin für die Finanztransaktionsteuer; ich
bin nur nicht sicher, ob wir sie in Europa durchsetzen
werden“? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Un-
terschied zur Kenntnis nähmen und nicht ständig wahr-
heitswidrige Behauptungen wiederholten.
Sehr geehrter Herr Minister, ich habe keinen Zweifelan genau der Aussage, die Sie gerade noch einmal bestä-tigt haben. Ich ziehe aber den Schluss daraus, den nichtnur ich, sondern auch viele andere in der deutschen, aberauch der europäischen Öffentlichkeit gezogen haben,dass Sie auf der europäischen Ebene nicht ohne Wennund Aber dafür eintreten, dass wir endlich diejenigen,die die Krise verursacht haben, an den Kosten der Krisebeteiligen, sondern dass es wieder nur die kleinen Leute,die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sind, die dafürblechen müssen, nicht nur in Deutschland, sondern in
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Garrelt Duin
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gleicher Art und Weise in vielen anderen europäischenLändern.
Meine Damen und Herren, sehr geehrter HerrBrüderle, ein stabiler Aufschwung lässt sich mit entspre-chender Stärkung der Binnennachfrage dann erreichen,wenn wir die Investitionsquote in Deutschland steigernund wenn wir einen Zuwachs bei den Reallöhnen haben.Beides ist nicht zu erkennen. Wir haben nicht das inDeutschland, was dringend notwendig wäre, nämlich einKlima für Investitionen mit entsprechender Technologie-freundlichkeit. Wir haben nicht – da haben Sie nichts aufdie Reihe gekriegt – das Instrument der steuerlichenForschungsförderung auf den Weg gebracht. Selbst inIhrem Koalitionsvertrag haben Sie darauf hingewiesen,dass die steuerliche Forschungsförderung wichtig ist. Siewissen: Für ein Unternehmen, das international aufge-stellt ist und sich entscheiden muss, wo in Europa es in-vestiert, ist die steuerliche Forschungsförderung ein zen-trales Thema. Deutschland ist in dieser Hinsicht einweißer Fleck. Das muss sich endlich ändern.
Sie hätten die Möglichkeit, das endlich zu tun.
Ebenso dringend ist eine Konzentration der Förder-möglichkeiten, die der Bundesregierung zur Verfügungstehen. Das gilt auch für diesen Haushalt. Es ist ein Un-ding, dass Sie beim Thema E-Mobility, einem der Zu-kunftsthemen schlechthin, nach dem Gießkannenprinzipvorgehen. Dieser Bereich wird von vier oder fünf Res-sorts jeweils ein bisschen gefördert. Stattdessen solltenwir die Kräfte bündeln und uns ein Beispiel an anderenLändern nehmen. In den USA, aber auch andernorts,werden zum Beispiel Batteriefabriken gebaut, und dortwird in diesen Bereich investiert. Wir hängen hinterher,weil Sie Ihre Politik zerfasern lassen und keine konzen-trierte Förderung betreiben.
Dasselbe gilt im Übrigen für die Breitbandstrategie.Dass Sie sich bemühen, bis zum Ende dieses Jahres eineflächendeckende Versorgung zu gewährleisten, ist löb-lich. Wenn wir in Deutschland aber über Geschwindig-keiten von 1 Megabit pro Sekunde reden, während inIndonesien Kabel verlegt werden, die eine Übertra-gungsrate von 50 Megabits pro Sekunde ermöglichen,muss man feststellen: Wir hinken hinterher. Deutschlandist nicht da, wo es als Industrieland eigentlich hingehört.
Lieber Herr Brüderle, im Kern geht es darum: WennSie die Binnennachfrage steigern und für einen wirklichlangfristigen Aufschwung in Deutschland sorgen wollen,dann müssen Sie endlich aufhören, kaum dass der Staat1 Euro mehr eingenommen hat, über Steuersenkungenzu fabulieren. Was wir in Zukunft brauchen, sind nichtSteuererhöhungen, sondern Investitionen in Bildung.Es gibt zu wenige Ganztagseinrichtungen, und wir tunzu wenig für die Qualifizierung der Menschen. JederEuro, der zur Verfügung steht, ist in Bildung zu investie-ren. Es nützt Deutschland doch nichts, wenn die Men-schen aufgrund von Steuersenkungen pro Monat 10 oder20 Euro mehr netto in der Tasche haben, sondern esnützt den Menschen, wenn es in Deutschland gut ausge-stattete Bildungseinrichtungen gibt. Dann werden wirinsgesamt wieder nach vorne kommen.
Das muss das Ziel der Politik sein, nicht ewiges Schwa-dronieren über Steuersenkungen.
Herr Brüderle, Sie haben sich für diesen Aufschwungfeiern lassen; es sei Ihnen gegönnt, auch wenn Sie ei-gentlich nichts dafür können. Sie haben einen „großenSommer“ verkündet. Damit haben Sie eine Anleihe ausder Literatur genommen
– einige Kollegen wissen, wovon ich spreche –, nämlichaus dem Gedicht „Herbsttag“ von Rainer Maria Rilke, indem ebenfalls von einem großen Sommer die Rede ist.Sehr geehrter Herr Brüderle, lassen Sie mich Ihnen zumSchluss die Empfehlung geben, sich nicht nur über denschon vergangenen Sommer zu freuen. Vielmehr solltenSie auch – Zitat – „hin und her unruhig wandern, wenndie Blätter treiben“. Es reicht nicht aus, sich als Wirt-schaftsminister der Bundesrepublik Deutschland zufrie-den zurückzulehnen. Es kommt darauf an, jetzt tatkräftigund mutig zu handeln, damit dieser Aufschwung ein ste-tiger Aufschwung für unser Land wird.Herzlichen Dank.
Dass die Debatte über den Einzelplan des Bundes-wirtschaftsministeriums mit Rilke beginnt, verleiht un-serer Diskussion eine Flughöhe, mit der nicht unbedingtzu rechnen war, was ich aber ausdrücklich begrüße.
– Ja.Darum erteile ich jetzt umso lieber der KolleginUlrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! MitRilke hätten Sie vielleicht nicht anfangen sollen, HerrDuin, sondern mit dem eigenen Brief, den Sie gesternveröffentlicht haben. Darin haben Sie sehr schön zumAusdruck gebracht, dass die SPD keine schlüssige Ant-wort hat auf die Frage vieler Menschen, wofür sie steht.Außerdem schrieben Sie, es gebe in dieser Partei einständiges Hü und Hott. So war gerade auch Ihre Rede.
Ich glaube, mehr muss man zu Ihrer Bewertung des Bun-deswirtschaftsministers nicht sagen.
Wir befassen uns heute mit dem Haushalt des Bundes-wirtschaftsministeriums. Als Hauptberichterstatterin möchteich mich an dieser Stelle beim Minister bedanken. DieZusammenarbeit war sehr gut und beispielhaft für vieleandere Häuser. Herzlichen Dank! Wir werden auch in dennächsten Jahren gerne und erfolgreich an diesem Haus-halt weiterarbeiten.Das Schöne ist, dass wir mit diesem Haushalt auf das,was Sie, Herr Duin, gerade gesagt haben, reagieren. DieKrise ist vorbei. Jetzt müssen wir konsolidieren. Außer-dem müssen wir diesem Lande eine Zukunft ermögli-chen und Vorsorge treffen. Das tun wir. Wir kürzen Sub-ventionen. Dies tun wir übrigens an Stellen, an denen Sieimmer gezögert haben, es zu tun.
Wir bauen allein über 100 Millionen Euro bestandserhal-tende Subventionen ab, zum Beispiel bei der GA und beiden Altprogrammen, und wir tun noch etwas: Wir schi-cken das Geld nicht wieder an Herrn Schäuble, sondernwir schichten in Innovationen um. Wir tun also genaudas, was in diesem Augenblick erforderlich ist. Wir er-höhen die Mittel für ZIM, eine wichtige Technologieför-derung für den Mittelstand. Für die Elektromobilität ge-ben wir in diesem Haushalt und in drei anderenHaushalten mehr als 100 Millionen Euro aus. Ich glaubenicht, dass das ein Fehler ist, Herr Duin.Natürlich hat jedes Haus seine eigenen Kompetenzen.So werden die Mittel dann verwendet. In diesem Haussind sie wirtschaftsnah, im BMBF sind sie forschungs-nah, und im Verkehrsministerium sind sie verkehrspla-nungsnah. Das ist ein richtiger Weg.
Sie sollten sich daran erinnern, dass das unter IhrenMinistern eingeleitet worden ist. Ich weiß nicht, warumSie das plötzlich stört. Das scheint zu den Gedächtnislü-cken der SPD zu gehören, die wir im Augenblick in je-dem Feld immer wieder neu erleben.
Mit der Breitbandstrategie sorgen wir dafür, dassauch die ländlichen Räume an schnelles, breitbandigesInternet angeschlossen werden. Schließlich ist dies einSchlüssel zur wirtschaftlichen Entwicklung auf demLand und wird immer ein entscheidender Standortfaktorsein. Ich will an dieser Stelle einmal an die Damen undHerren von der Opposition appellieren. Dass wir zumBeispiel Entschädigungen nicht auszahlen können, liegtan den Ländern. Überall in Deutschland gibt es im Au-genblick Pfarrer oder auch Musikbands, die mit ihrenMikros Schwierigkeiten haben, aber nicht, weil der Bun-deswirtschaftsminister nicht bereit ist, Entschädigungenzu zahlen, sondern ganz einfach deshalb, weil die Länderwieder einmal bocken. Es kommt nichts heraus. Wir wä-ren bereit, 62 Millionen Euro allein in diesem Jahr anEntschädigungen zu zahlen. Das scheitert aber an denLändern, und diese werden nun einmal von Ihnen domi-niert, lieber Herr Duin.
Vorsorge treffen wir auch für die CCS-Speicherungund die Wiederaufnahme der Erkundung des Salzstocksin Gorleben. Das tun wir anders, als grüne und rote Um-weltminister dies in den letzten Jahren eingeleitet haben.Wir nehmen die Erkundung wieder auf, und wir sicherndie notwendigen Personalausgaben im Haushalt ab. Dasist übrigens der Unterschied zwischen der Regierungs-koalition und den Grünen: Wir wollen eben moderneTechnologien, ob es Highspeed-Datenautobahnen odermoderne Kohlekraftwerke sind, und dazu gehört CCS.Man kann den Leuten nicht immer erklären, man sei füralles und wiederum nicht für alles. Man kann nicht aufder einen Seite ständig etwas bekämpfen und auf der an-deren Seite dafür sorgen, dass moderne Kohlekraftwerkein diesem Land nicht entstehen können. Dieser Haushalttrifft Vorsorge genau für diese Entwicklung.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu denGrünen generell sagen. Sie bekämpfen nicht nur Techno-logien, sondern Sie bekämpfen auch den Mittelstand, dieFacharbeiter und die Angestellten. Diese, die für dentechnologischen Fortschritt zuständig sind, wollen Siemassiv belasten. Sie wollen zum Beispiel den Spitzen-steuersatz auf 45 Prozent erhöhen. Das ist immer sehreinfach gesagt. Jeder in diesem Land denkt dann, dieMillionäre seien betroffen. Nein, es sind natürlich genaudie Menschen betroffen, die für Technologien in diesemLand sorgen, die Facharbeiter, Ingenieure und leitendenAngestellten; denn der Spitzensteuersatz setzt bei52 000 Euro ein. Das erreichen Sie, wenn umgesetztwird, was Sie auf Ihren Parteitagen beschließen, nämlichdass die Menschen belastet und nicht entlastet werden.
Übrigens passt das Folgende sehr schön. Ich bin ge-spannt, ob irgendjemand von den Grünen gleich etwasdazu sagen wird, dass Sie die Abgeltungsteuer abschaf-fen wollen. Auch das passt genau in diese Art zu denken,weil Sie folgender Meinung sind – ich möchte HerrnTrittin an der Stelle zitieren –: Die Ungerechtigkeit sollbeseitigt werden, dass für Arbeit weniger an Steuern ge-zahlt werden muss als für Einkommen aus Kapital. –Eine tolle Erklärung! Das ist genau die Erklärung, dieman von einer grünen Partei erwartet, die offensichtlichauf dem Weg ist, den Mittelstand in diesem Land zu be-
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Ulrike Flach
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lasten. Wir werden dies nicht tun. Wir sind auf einem gu-ten Weg.Ich freue mich, dass dieser Haushalt so gelungen ist,Herr Minister.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Schlecht für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Allereden vom Aufschwung; das hört man auch hier. VieleMenschen stellen aber vollkommen ernüchtert fest, dassihr Lohn nach wie vor XS ist und zum Teil eher nochsinkt. Es ist kein Wunder, dass vor diesem Hintergrundviele stinksauer sind, weil ihnen etwas vorgespiegeltwird, was mit ihrer Realität überhaupt nichts zu tun hat.
Der Aufschwung ist vor allen Dingen ein Auf-schwung der Profite. Seit dem Frühjahr 2009 haben dieUnternehmer ein sattes Plus von 40 Prozent eingesackt.Die Löhne sind dagegen nur in homöopathischer Grö-ßenordnung angestiegen, und das ist statistisch geseheneher eine Irritation, die sich ergibt, weil die Kurzarbei-terregelung ausgelaufen ist.Seit 2000 sind die Unternehmens- und Vermögensein-kommen in Deutschland um satte 50 Prozent angestie-gen, während der normale Beschäftigte inflationsberei-nigt heute netto weniger als noch vor zehn Jahren hat.Das ist in der Tat ein wunderbares Beispiel für die Parole„Leistung muss sich wieder lohnen“, die man immerwieder hört. Das leistungslose Einkommen ist drama-tisch gestiegen, und die, die wirklich Leistung erbringen,haben heute netto weniger als noch vor zehn Jahren.
Der Aufschwung resultiert im Übrigen aus steigendenExporten, weil die Chinesen und US-Amerikaner gigan-tische Konjunkturprogramme aufgelegt haben.
Die deutsche Bundesregierung hat überhaupt keinen An-teil daran. Hinzu kommt, dass in Europa ein gigantischesKürzungsprogramm im Umfang von insgesamt 350 Mil-liarden Euro aufgelegt wird. Frau Merkel ist sogar nochstolz darauf, dass sie den Griechen Kürzungen auf-zwang, die, umgerechnet auf Deutschland, für uns einKürzungsprogramm von 300 Milliarden Euro bedeutenwürden. Ebenso ist es ein Skandal, dass in diesen Tagendas irische Volk gezwungen wird, mit Sozialkürzungeneine gigantische Bankenkrise auszubügeln. Bei Kindern,Arbeitslosen und Rentnern soll zusätzlich gekürzt wer-den, weil sich die Banken verzockt haben. An dieserVerzockerei in Irland waren auch deutsche Banken betei-ligt. Das ist wirklich ein Skandal.
Die Kürzungspakete sind natürlich nicht nur sozialpoli-tisch ein Problem, sondern vor allen Dingen wirtschafts-politisch absolut katastrophal, weil Europa dadurch richtigheruntergerissen wird und auch Deutschland eine erhebli-che Beschneidung seiner Exportchancen droht. Das weißdie Regierung, das weiß Herr Brüderle. Deswegen prä-sentiert er sich neuerdings als ein Freund von Lohn-erhöhungen. Das ist zunächst einmal gar nicht verkehrt;das Problem ist, dass er sich zwar hinstellt, zu Lohnerhö-hungen auffordert und sagt, Lohnerhöhungen wärenschön, gleichzeitig aber sagt: Das sollen bitte schön dieGewerkschaften machen, wir haben damit nichts zu tun.
– Ich erkläre Ihnen einmal, wie es um die Tarifautono-mie steht. Eine solche Forderung ist mehr als zynisch,weil die Tarifautonomie durch die Politik der letztenzehn Jahre in Deutschland massiv beschädigt worden ist.Wenn man heute von den Gewerkschaften erwartet, or-dentliche Lohnerhöhungen durchzusetzen, dann ist dasso, als wenn man einem einbeinigen Menschen sagte:Nun renn die 100 Meter mal in zehn Sekunden. – Das istin der Tat ein riesiges Problem.
Nur die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland stehtheute noch unter dem Schutz eines Tarifvertrages. Be-sonders verheerend waren und sind die Auswirkungender Agenda 2010. Immer mehr Menschen arbeiten nurnoch befristet in Leiharbeit oder haben einen Minijob.Wenn diese Regierung nicht endlich eine Kehrtwendeorganisiert, nämlich eine Rückabwicklung der Agenda2010, all dessen, was den Menschen hier unter Rot-Grünaufgezwungen worden ist, dann wird es mit einer wirkli-chen Steigerung der Löhne und einer Stärkung des priva-ten Konsums nichts werden und dann werden Sie, HerrBrüderle, auch keine Stärkung der Binnennachfrage inDeutschland erreichen. Das Mindeste, was zu diesemKonzept auch von staatlicher Seite beigetragen werdenmuss, ist, dass die Bundesregierung die Verantwortungdafür übernimmt, dass endlich ein gesetzlicher Min-destlohn von 10 Euro eingeführt wird.
Das wäre eine wirkliche Hilfe, um in Deutschland dieLöhne zu erhöhen. Wenn man heute noch den Mindest-lohn verteufelt und gleichzeitig davon redet, man müssein Deutschland die Löhne stärken, dann ist das Scharla-tanerie und Zynismus. Das muss immer wieder deutlichgesagt werden, und das muss beendet werden.Danke schön.
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8202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Michael Luther
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Duin, ich habe Ihrer Rede aufmerksamzugehört und finde, Sie haben gut begonnen. Sie habeneine Selbstverständlichkeit benannt, nämlich dass mansich auch einfach einmal über den wirtschaftlichen Auf-schwung freuen kann, den wir gerade erleben. Ich hatteschon bezweifelt, dass die SPD-Fraktion das genausosieht. Dafür recht herzlichen Dank. Das war gut. DerRest war dann allerdings nicht mehr so gut.
Ich finde, an dieser Stelle ist auch denen Dank zu sa-gen, die für den wirtschaftlichen Aufschwung mit ver-antwortlich zeichnen. Sie haben recht: Das ist auch dembesonnenen Verhalten der Menschen, der Arbeitnehmerund der Wirtschaft zu verdanken. Es ist aber auch demzu verdanken, was wir in diesem Hause in der Politik ge-macht haben.
Wir haben die richtigen Maßnahmen getroffen und kön-nen dadurch das, was wir heute erreicht haben, auch alsunseren Erfolg bezeichnen.
Im Übrigen ergibt sich damit auch eine andere Beson-derheit, dass nämlich die Menschen, die die Krise garnicht so stark gespürt haben – wir haben gerade durch„Kurzarbeit Null“ die richtigen Maßnahmen getroffen,
was einen tiefen Sturz in den Abgrund verhindert hat –,jetzt auch den Aufschwung nicht so stark merken. Aberich glaube, Stück für Stück begreifen die Menschen, washier geleistet worden ist. Wir sollten deshalb den Men-schen immer wieder sagen, was international passiert istund dass wir, wenn wir es gemeinsam gut angehen, inDeutschland dauerhaft den Aufschwung generieren kön-nen.Was den Einzelplan des Wirtschaftsministeriums an-geht, sind zwei Punkte zu klären. Erstens ist es völligklar, dass wir uns jetzt nach der Wirtschaftskrise um einesolide Finanzpolitik kümmern müssen. Eine solideFinanzpolitik heißt: Wir müssen die Ausgaben den zu er-wartenden Einnahmen anpassen.
Das heißt im Endeffekt, dass wir sparen müssen. Davonist selbstverständlich auch das Bundeswirtschaftsminis-terium betroffen; das ist klar.Zweitens müssen wir aber fragen, ob wir im Bereichdes Wirtschaftsministeriums die richtigen Impulse set-zen, um den Aufschwung dauerhaft zu stabilisieren. Da-für ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Ich denke,wir haben die richtigen Themen gesetzt. Einige hat FrauFlach schon genannt. Ich denke zum Beispiel an Zu-kunftsthemen wie die Elektromobilität und das Energie-konzept, das wir aufgelegt haben und das nun umgesetztwerden muss.Für mich ist aber auch das Zentrale Innovationspro-gramm Mittelstand, kurz ZIM genannt, sehr wichtig.Wir müssen einen Paradigmenwechsel vornehmen. Esreicht nicht aus, in Maschinen und Anlagen zu investie-ren; wir müssen vor allem auch in die Köpfe investieren.
Wir müssen Innovationskräfte stärken, um auch in Zu-kunft mit Innovationen auf den Märkten präsent zu sein.Wir müssen vor allem den Mittelstand unterstützen.Die Aufstockung der Mittel um ungefähr ein Viertel ge-genüber dem vorherigen Ansatz – wir haben im Finanz-plan eine weitere Aufstockung vorgesehen –, ist, denkeich, das richtige Signal und zeigt, dass wir die tragendeSäule unserer Wirtschaft, den Mittelstand, besondersstärken wollen. Die Auslastung der Programme zeigt,dass wir das Richtige machen.Ich glaube aber – damit will ich kurz ein Spezialthemavon mir aufgreifen –, dass es trotzdem wichtig ist, auch inMaschinen und Anlagen zu investieren. Das betrifft dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“, für die die Mittel ebenfalls gekürztwerden. Wir haben aber in den Haushaltsberatungen eineAufstockung gegenüber dem Regierungsentwurf und eineEntsperrung der Verpflichtungsermächtigungen erreicht.Damit steht uns im Gegensatz zum bisherigen Plan dafürdauerhaft mehr Geld zur Verfügung, und das nutzt insbe-sondere den Regionen, in denen die Wirtschaft nochnicht so stark ist.
Das ist natürlich in den neuen Bundesländern der Fall,aber – das möchte ich sagen, weil es nicht unbedingt öf-fentlich bekannt ist – es nutzt auch den wirtschafts-schwächeren Regionen in den alten Bundesländern; ge-nau so ist dieses Programm aufgelegt.Im Übrigen – Herr Duin, Sie können sich an die ersteLesung erinnern; Sie hatten mir dazu eine Zwischen-frage gestellt – sind wir an dieser Stelle als Koalitionverlässlich. Ich habe Ihnen zugesagt, wir werden darübernachdenken, und ich denke, das Ergebnis kann sich se-hen lassen.
Meine Damen und Herren, wenn ich als Haushälterrede, dann fallen mir natürlich noch andere Dinge ein.Wir haben uns die Arbeit gemacht und den Haushalt et-was übersichtlicher gestaltet. Wir haben zum Beispieldamit begonnen, Titel zusammenzulegen, die hundert-
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Dr. Michael Luther
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prozentig deckungsfähig sind. Es macht schließlich kei-nen Sinn, diese als mehrere Titel auszuweisen.Wir haben auch im Bereich Außenwirtschaft eineVeränderung vorgenommen. Wir haben nämlich das Sam-melsurium, das es bisher gab, zu einem Titel zusammen-gefasst. Damit kann immer noch das gemacht werden,was gemacht werden muss. Gerade für uns als Exportna-tion ist die Außenwirtschaftsförderung sehr wichtig, undinsofern muss man dort die richtigen Signale setzen. Mitdieser Konzentration der Mittel besteht letztendlich einebessere Möglichkeit, dieser Aufgabe nachzukommen.An dieser Stelle möchte ich einen Dank loswerden.Vor wenigen Wochen ist in Schanghai die EXPO zuEnde gegangen. Wir waren dort mit einem deutschen Pa-villon vertreten, welcher von den Veranstaltern mit demGolden Award für die beste Umsetzung des EXPO-Mot-tos „Better City, Better Life“ ausgezeichnet worden ist.Verantwortlich dafür, dass dies so gut gelaufen ist, istauch das Wirtschaftsministerium. Daher möchte ich andieser Stelle insbesondere den Mitarbeitern des Wirt-schaftsministeriums herzlich danken, die mit außerge-wöhnlich hohem Engagement diesen deutschen Pavillonso präsentiert haben.
In den Haushaltsberatungen haben wir noch anderesgemacht. Egal ob man gegen die Verlängerung der Lauf-zeiten von Kernkraftwerken ist oder nicht, eines ist Fakt:Wir brauchen ein nationales Endlager für radioaktiveAbfälle, und das bekommt man nicht durch Aussitzen;auch das ist Fakt. Wir haben deshalb jetzt im Haushaltdie haushalterische und personalwirtschaftliche Vor-sorge getroffen, um die Erkundung potenzieller Endlagerfür radioaktive Abfälle fortsetzen zu können.Im Übrigen haben wir das auch für die CCS-Techno-logie gemacht. Es geht also darum, wie wir CO2 vermei-den und den CO2-Ausstoß vermindern können. Mit derCCS-Technologie gibt es eine Möglichkeit, CO2 in un-terirdischen Speichern zu lagern. Hier befinden wir unsin der Entwicklung noch am Anfang, und deswegenmuss weiterhin geforscht werden. In diesem Bereichsollte Deutschland vorne mit dabei sein.
Denn unser Anliegen ist es, einen Beitrag zur Verminde-rung des CO2-Ausstoßes
und damit einen Beitrag zur Verminderung der Klima-erwärmung zu leisten. Auch hier haben wir die entspre-chenden haushalterischen und personalwirtschaftlichenVorsorgemaßnahmen getroffen. Gerade an diesen Bei-spielen zeigt sich, dass wir als Koalition verantwortlichund vorausschauend handeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin da-rüber hinaus froh, dass es uns auch an einem anderenPunkt gelungen ist, zu einer Veränderung zu kommen.Ich meine die Beseitigung von Ausnahmen bei der Öko-steuer. Ich verstehe den Finanzminister, der bei derHaushaltsaufstellung schauen musste, wo er diese Haus-haltsvorgaben entsprechend einhalten konnte. Wir imParlament sind allerdings auch dafür da, über bestimmteDinge nachzudenken,
und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hiereine Veränderung vornehmen müssen. Denn letztendlichist es uns wichtig, dass auch in Zukunft die Grundstoff-industrie in Deutschland angesiedelt sein wird, und dieseist nun einmal energieintensiv.
Ich sage es vereinfacht: Wir wollen, dass die Autos, diein Deutschland gebaut werden, auch mit dem Stahl ge-baut werden, der in Deutschland produziert wird. DieserStahl wird im Übrigen hier in Deutschland in den mo-dernsten und wirtschaftlichsten Unternehmen herge-stellt.
So gesehen ist das auch ein Beitrag zum weltweiten Um-welt- und Klimaschutz.Ich komme zum Schluss. Der nun vorliegende Einzel-plan trägt zur Haushaltskonsolidierung bei und setzt dierichtigen Schwerpunkte zur Stärkung der Wirtschaft.Deshalb empfehle ich die Annahme dieses Etats.Ich möchte aber nicht schließen, ohne dem Ministe-rium und den Mitarbeitern recht herzlichen Dank zu sa-gen. Es war wie immer nicht einfach mit uns. Aber sosind wir Haushälter nun einmal. Wir haben darum gerun-gen, möglichst viele unserer Ideen umzusetzen. Ichdenke, das Ergebnis lässt sich sehen. Deshalb an dieserStelle recht herzlichen Dank den Mitarbeitern des Hau-ses, unseren Mitarbeitern und den Mitarbeitern des Aus-schusses, die letztendlich die ganze Arbeit leisten muss-ten.Recht herzlichen Dank.
Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zuerst: Was hat der WirtschaftsministerBrüderle richtig gemacht?
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8204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Fritz Kuhn
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Seine Entscheidungen betreffend Opel und Hochtief wa-ren richtig. Da waren sich Gelb und Grün einig.
Das passt zwar nicht zur allgemeinen Gefechtslage. Esist aber inhaltlich geboten, das zu sagen.Wir sind aber nicht einverstanden – jetzt geht es insGrundsätzliche, Herr Brüderle –, dass Sie kein Ministerfür mehr Wettbewerb und damit für die Grundlage derMarktwirtschaft sind.
Sie haben das Entflechtungsgesetz, das Sie angekündigthaben, noch immer in der Schublade. Sie haben Mono-pole nicht entzerrt, sondern gestärkt. Denn was anderessoll die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraft-werke sein als eine Stärkung der vier Monopolisten bzw.Oligopolisten im Energiesektor?
Sie sind kein Wettbewerbsminister, sondern ein Minister,der den Wettbewerb schwächt. Sie müssen endlich eineentsprechende Vorlage liefern. Wo ist das Entflechtungs-gesetz? Das ist der erste Punkt.Zweiter Punkt. Sie sind kein Minister der Innovatio-nen. Das kann man an Ihrem industriepolitischen Papiersehen. Sie haben alles Mögliche zusammengeschrieben.Nicht alles ist falsch. Aber die Kernaussage des indus-triepolitischen Papiers aus dem Hause Brüderle lautet:Man darf beim Umweltschutz nicht zu viel machen, weilman sonst in Gegensatz zur wirtschaftlichen Entwick-lung gerät. Genau damit blockieren Sie Innovationen.
Die Realität sieht heute so aus, dass Sie nur mit Ökolo-gie und mit einer ökologischen Modernisierung einenausreichenden Innovationsimpuls für die gesamte Volks-wirtschaft setzen können, gerade in einem exportorien-tierten Land. Wenn Sie da auf die Bremse treten – das istdie subkutane Botschaft Ihres industriepolitischen Pa-piers –, eröffnen Sie keine Perspektive für ein neues„Made in Germany“, das heißen müsste: Wir bieten diebesten ökologischen Dienstleistungen an und stellen diebesten ökologischen Produkte her; dafür steht die Markt-wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ein. –Hierzu liefern Sie nichts. Fehlanzeige!
Ein Beispiel dafür ist übrigens die Elektromobilitäts-strategie der Bundesregierung, die in Ihrem Hause res-sortiert. Sie investieren zu wenig in die Forschung undbetreiben zu wenig Ordnungspolitik gegen alte Techno-logien und zugunsten neuer Technologien. Vor allemverklemmen Sie sich vollständig bei der Frage derMarkteinführung und der Marktanreizung. Überall in derWelt werden Marktanreizprogramme aufgelegt. DieMarkteinführung eines Elektrofahrzeugs in Peking wirdmit 7 000 US-Dollar unterlegt. Aber Sie und die Bundes-regierung stehen auf der Bremse und legen Hunderte vonProgrammen auf. So fördern Sie Innovationen nicht.Deswegen sind Sie kein Innovationsminister.
Das zeigt sich auch bei der Rohstoffstrategie. Sie in-terpretieren die Rohstofffrage vor allem als Verfügungs-frage. Angesichts der Rohstoffknappheit diskutieren Sieüber die Frage: Wie kommen wir leichter und besser andie in der Welt vorhandenen Rohstoffe heran? Tatsäch-lich geht es aber um Rohstoffknappheit und damit umdie Frage nach Effizienz. Die vordringliche Frage lautetalso: Wie können wir unsere Produkte – das gilt geradefür den Maschinenbau – so herstellen, dass wir wenigervon den knappen und schwer verfügbaren Rohstoffenbrauchen, um daraus ein Innovationsmerkmal der deut-schen Volkswirtschaft zu machen? Das müsste systema-tisch der Technologieschwerpunkt sein. Das ist schwie-rig, aber das haben Sie nicht angepackt. Stattdessen wirdüberlegt, wie man kurzfristig besser an Rohstoffe kom-men kann. Dazu haben Sie einige Maßnahmen genannt.Ich will auf einen Punkt eingehen, der genauso wich-tig ist. Wir wollen nicht nur eine Marktwirtschaft, son-dern wir wollen eine soziale Marktwirtschaft. Als Minis-ter einer sozialen Marktwirtschaft sind Sie bislanguntauglich.
Sie haben immer wieder den gesetzlichen Mindestlohnverweigert, der nach Auffassung meiner Fraktion ein ele-mentarer Eckpunkt der sozialen Marktwirtschaft ist. Siehaben, wenn es um die Allgemeinverbindlichkeitserklä-rung im Hinblick auf Mindestlöhne in einzelnen Bran-chen ging, als Wirtschaftsminister immer wieder denKabinettsvorbehalt angemeldet, und zwar viermal insge-samt. Das heißt, Sie sind die organisierte Bremse bei derEinführung einer gerechten Bezahlung in Deutschland.Deswegen sind Sie kein Minister der sozialen Marktwirt-schaft.
Zum Abschluss: Sie tun zu wenig gegen den Fach-kräftemangel. Sie setzen in dieser Koalition nicht ein-mal durch, dass Deutschland als Einwandererland gilt.Sie schaffen es auch nicht, die falschen Einwanderungs-regeln für Bestqualifizierte – Stichwort: 40 000 Euro –durchzusetzen. Sie reden davon, dass wir angeblichFachkräfte aus aller Welt zu uns holen könnten und soll-ten, hocken aber schwerfällig in einer Fraktion und in ei-ner Koalition, die in dieser Hinsicht nichts, aber auch garnichts liefert.
Deswegen, Herr Minister, ist Ihre Bilanz – so gut dieKonjunktur auch ist, worüber auch wir uns freuen –nicht so rosig, wie Sie sie in den vergangenen Wochengezeichnet haben.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8205
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Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, das
Wort.
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-
land ist unter Schwarz-Gelb zum wirtschaftlichen Vor-
bild geworden.
Die Deutschen sind in Aufschwunglaune. Wir investie-
ren wieder, wir konsumieren wieder, den Menschen geht
es besser, und sie leisten sich wieder etwas.
Das Weihnachtsgeschäft hat vielversprechend begon-
nen. Der Aufschwung ermöglicht uns dieses Jahr im
wahrsten Sinne des Wortes eine schöne Bescherung. Die
binnenwirtschaftlichen Kräfte haben zuletzt mehr als die
Hälfte zum Wachstum beigetragen. Der Sachverständi-
genrat sagt, dass im nächsten Jahr 90 Prozent des
Wachstums aus dem Binnenmarkt kommen. Die Aus-
landsnachfrage hat den Aufschwung angestoßen, die In-
landsnachfrage festigt jetzt die Wachstumskräfte. Das ist
ein Aufschwung wie aus dem Bilderbuch, und zwar in
diesem und im nächsten Jahr.
Heute sind weniger als 3 Millionen Menschen arbeits-
los, wir kommen von 5 Millionen. Auch die Langzeitar-
beitslosigkeit nimmt ab. Das haben Sie in der Vergan-
genheit nie geschafft.
Ich bin fest überzeugt: Vollbeschäftigung ist schon bald
möglich. In vielen Regionen Süddeutschlands haben wir
praktisch schon Vollbeschäftigung. Alles dies zeigt: Ein
Jahr Schwarz-Gelb zahlt sich aus.
Der Politikwechsel ist gut für Deutschland. Wir haben
von Anfang an daran geglaubt. Das war nicht überall der
Fall. Ich habe die Opposition noch im Ohr. Vor einem
halben Jahr hat Herr Gabriel eine steigende Arbeitslosig-
keit und eine Abwärtsspirale prognostiziert.
Die tatsächliche Entwicklung unserer Wirtschaft hat Ihr
durchschaubares Spiel entlarvt. Sie reden nicht nur alles
schlecht, Sie kapieren auch die wirtschaftlichen Zusam-
menhänge nicht.
Ich habe immer gedacht, Ihre Würdigung der Abwrack-
prämie sei politischer Klimbim. Aber ganz offensicht-
lich ist das Maxime Ihrer Politik. Sie denken in Ab-
wrackprämien. Sie haben eine Abwrackprämie für
Maschinen gefordert.
Das ist kurzatmig, das ist sprunghaft. Heute sieht man in
Deutschland etwas anderes.
Die Entlastung vom Jahresanfang in Höhe von
24 Milliarden Euro hat gewirkt. Das ist 1 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Dies ist eine konjunkturrelevante
Größe. Wir betreiben Wirtschaftspolitik mit Charakter.
Das wirkt.
Herr Minister, lassen Sie Zwischenfragen zu?
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Gern. Ich habe dann ein bisschen mehr Zeit.
Herr Kollege Brüderle, Herr Bundesminister, könnenSie der versammelten deutschen Öffentlichkeit und demdeutschen Parlament erklären, warum der Sachverstän-digenrat im Gegensatz zu Ihnen als für den Aufschwunghelfend im Wesentlichen die Maßnahmen anerkannt hat,die die Große Koalition eingeleitet hat: BundesministerOlaf Scholz bei der Kurzarbeit, Peer Steinbrück im Be-reich des Bankenrettungsschirms, die Konjunkturpro-gramme, das kommunale Investitionsprogramm? Kön-nen Sie der deutschen Öffentlichkeit ernsthaft erläutern,dass Sie sich hier als Mister Aufschwung gerieren, wäh-rend Sie als Oppositionspolitiker gegen all die Maßnah-men gestimmt haben, die am Arbeitsmarkt in Deutsch-land geholfen haben und jetzt wirken? Herr Brüderle,das ist Abstauberei, es hat mit Seriosität nichts zu tun.
Dazu gehört übrigens auch die Abwrackprämie. RedenSie doch einmal mit den Automobilunternehmen undden Zulieferern! Diese Maßnahme hat in der Krise ge-holfen. Wenn die CDU/CSU jetzt gegen die Abwrack-prämie klatscht, kann ich nur sagen: Pfui Teufel, ihr wartmit dabei. Seid doch stolz darauf, es hat geholfen.Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:Herr Kollege Heil, sicherlich hat ein Aufschwungviele Ursachen.
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8206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Bundesminister Rainer Brüderle
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– Geben Sie mir doch Gelegenheit, Ihre Frage zu beant-worten, Herr Kollege Heil. – Sicherlich haben auch Be-schlüsse, die Sie gefasst haben, gewirkt – Rente mit 67 –,von denen Sie sich verabschieden.
– Herr Heil, wenn Sie eine Frage stellen, sollten Siedem, den Sie fragen, auch die Gelegenheit geben, IhreFrage zu beantworten.
Dass Sie nervös sind, dass Ihre Untergangsprophezeiun-gen, die Sie verkündet haben, nicht zutreffen und Siejetzt rotieren, verstehe ich ja. Aber wenn Sie eine Fragestellen, müssen Sie auch eine Antwort ertragen könnenund einen kleinen Moment zuhören können. Nur dazwi-schenzurufen, lenkt auf Dauer nicht davon ab, dass Ih-nen nichts einfällt. Also aus Heil muss nicht immer Un-heil werden.Zurück zur Sache. Es gibt viele Ursachen, die dazugeführt haben. Entscheidend ist sicherlich ein Restruktu-rierungsprozess der deutschen Volkswirtschaft. Daranhaben viele mitgewirkt. Sicherlich hat auch die Kurzar-beit gewirkt. Wir haben sie – ich darf es Ihnen noch ein-mal sagen – verlängert. Es hat aber auch gewirkt, dasswir einen Kurswechsel vollzogen und nicht weitereschuldenfinanzierte Konjunkturpakete daraufgesetzt,sondern einen Pfad der Konsolidierung eingeschlagenhaben, dass wir am Anfang des Jahres Entlastungendurchgesetzt haben. Das war eine Schippe zusätzlich, diedas bewirkt hat. Es war genau das Gegenteil von dem,was Ihr Parteivorsitzender verkündet hat, der davonsprach, die Arbeitslosigkeit werde weiter deutlich anstei-gen, wir seien in einer Abwärtsspirale. Nein, es ist eineAufwärtsspirale.Wenn Sie in einem Satz sagen, dass Sie sich freuen,dass wir einen Aufschwung haben, dann sollten Sie auchsagen: Die Politik hat auch gewirkt. Natürlich sind wires nicht allein.
Es sind viele Faktoren, die wirken. Da gibt es richtigeIdeen, neue Produktentwicklungen. Dass Sie persönlichjetzt blöd dastehen, wenn man Ihre Zitate von früherbringt, verstehe ich ja. Denken Sie nach vorne.
Ihr Kollege Duin hat vorhin Rilke zitiert. Im „Herbst-tag“-Gedicht heißt es: „Wer jetzt allein ist, wird es langebleiben.“ So kann es der SPD gehen.
Diese Entlastung hat gewirkt, das zeigt die Entwick-lung. Wir betreiben Wirtschaftspolitik mit Charakter:Zum Beispiel bei Opel. Sie wollten die Schatulle öff-nen. Wir haben Kurs gehalten. Heute legt General Mo-tors den größten Börsengang aller Zeiten vor.
Zum Beispiel Karstadt. Sie wollten, dass der Staatden Retter spielt. Wir haben auf die Kräfte des Marktesgesetzt, und heute hat Karstadt gute Zukunftschancen.
Zum Beispiel Hochtief. Herr Heil, wir setzen aufWettbewerb und offene Märkte. Sie versprechen juris-tisch und politisch unhaltbare Traumgebilde. Ich bin si-cher, auch hier wird die soziale Marktwirtschaft die rich-tige Lösung einleiten.
Zum Beispiel Steinkohle. Wir machen den Ausstiegaus der milliardenschweren Förderung 2018 unumkehr-bar. Sie träumen weiter von einem Subventionsbergbauauf Kosten der Allgemeinheit. Das ist Klientelpolitik.
Die Grünen sagen gar nichts mehr zu dem Thema. Mannennt das U-Boot-Strategie. Sie tauchen einfach weg.
Europa bestätigt, dass unsere Linie richtig ist.Zum Beispiel ELENA. Grün-Rot waren glühendeVerfechter eines Daten- und Kostenmonstrums, Stich-wort JobCard. Die jetzige Koalition hat ein Moratoriumbeschlossen. Damit geben wir Kommunen und Unter-nehmen Zeit, sich auf ELENA einzustellen.Zum Beispiel erneuerbare Energien. Wir brauchendringend neue Netze. Die Bundesregierung will den Netz-ausbau. Die Grünen sind die Dagegen-Partei. Sie surfenauf der Blockadewelle.
Sie sitzen in den Parlamenten und spielen gleichzeitigaußerparlamentarische Opposition.
Das ist so bei Stuttgart 21; das ist so bei Straßenprojek-ten; das ist so bei Castortransporten.
Wer hat denn die meisten Castortransporte genehmigt?Das war der grüne Umweltminister Trittin. Heute spielenSie so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8207
Bundesminister Rainer Brüderle
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Der Gipfel ist: Seit letztem Sonntag sind die Grünensogar gegen die Olympischen Spiele. Wenn es nach Ih-nen geht, gibt es kein Wintermärchen in Deutschland.
Was haben Ihnen denn die Olympischen Spiele getan,dass Sie dagegen sind?
Es ist doch eine absurde Haltung, gegen alles inDeutschland zu sein und sich hier als neue Hoffnungsträ-ger der Zukunft hinzustellen. Scheinheilig nenne ich das.
– Wer schreit, hat unrecht, Frau Künast. Das haben wirschon als Kinder gelernt. Sie haben es immer noch nichtverstanden.
– Vor Erregung, wenn ich Sie sehe.
Auch in Steuerfragen betreiben wir Politik mit Cha-rakter. Wir sind uns in der Koalition weithin einig: Nochin dieser Legislaturperiode wollen wir Steuerentlastun-gen beschließen. Entlasten wollen wir die Fleißigen, dieMitte unserer Gesellschaft. Als Erstes gehen wir dieSteuervereinfachung an.
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushaltbauen wir das Fundament für nachhaltiges Wachstum inDeutschland. Wir bauen das Fundament für 350 000neue Arbeitsplätze. Wir bauen das Fundament für solideStaatsfinanzen; das haben Sie immer versäumt und niegeschafft.
Wir bauen das Fundament für steigende Löhne undWohlstand. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dassauf diesem Fundament ein stabiles, glänzendes Deutsch-land blühen kann. Wir haben die Chance, langfristig denPfad hohen Wachstums fortzusetzen, indem wir jetzt, wowir Erfolg haben, die Weichen stellen, dass sich dasWachstum auch in Zukunft weiter fortsetzt. Dazu mussdafür gesorgt werden, dass es genug Fachkräfte gibt;dazu müssen in der Tat Rohstoffe gesichert werden.Dazu gehört aber auch eine berechenbare klare Politik.Das Schlimmste ist, wenn man keinen klaren Kurs hat.
Wirtschaften ist Rechnen. Wir haben einen klaren Kurs.Das wirkt mit.Hauptleistungsträger sind die Menschen. Aber einePolitik, die den richtigen Rahmen setzt, trägt mit dazubei, dass wir insgesamt erfolgreich sind. Hören Sie auf,die Menschen und den Erfolg in unserem Landeschlechtzureden.
Gönnen Sie sich einmal eine halbe Stunde Freude überdas, was wir in Deutschland gemeinsam erreicht haben.
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, Sie haben gesagt, Schwarz-Gelb zahltsich für Deutschland aus. Ich stelle fest: Schwarz-Gelbzahlt sich aus für die Mövenpicks, für die Atomlobbyund für die Pharmaindustrie. Die haben Sie hier bedient.
Sie sind in den Wahlkampf gezogen und haben von„Mehr Netto vom Brutto“ gesprochen. Das ist entschei-dend. Das will ich einmal ganz klar sagen. Wir haben einstarkes, überaus exportgetragenes Wachstum. Wir brau-chen eine stärkere Binnennachfrage. Ich frage Sie: Wastun Sie eigentlich dafür? Da, wo Sie die Möglichkeitdazu haben, haben Sie den Arbeitnehmern in Deutsch-land über Steuern und Sozialabgaben das Geld aus derTasche gezogen. Sie haben zusätzliche Steuern einge-führt. Vorige Woche haben Sie hier im Bundestag dieKrankenversicherungsbeiträge einseitig zulasten der Ar-beitnehmer erhöht.
Das führt dazu, dass sie weniger in der Tasche haben. Sieerhöhen die Tabaksteuer fünfmal. Sie wollten die Steuer-senkungskoalition sein; doch nichts ist. Eine Nettolügen-koalition, das sind Sie.
Wir haben kein extremes Problem bei der Besteuerungder Löhne und Einkommen in Deutschland. Im Gegen-teil, wir haben ein Problem bei den Sozialabgaben derje-nigen, die dem unteren Einkommensbereich angehören.Das ist der entscheidende Punkt.
Bei mir in Erfurt beträgt das durchschnittliche Brutto-einkommen 22 000 Euro. Was meinen Sie, wie vieleSteuern Verheiratete mit zwei Kindern zahlen? Keinen
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8208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Carsten Schneider
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Cent! Aber Sozialabgaben sind jede Menge zu entrich-ten. Das heißt, wenn man irgendwo ansetzen möchte,dann sollte man das in diesem Bereich tun. Doch Siesenden die falschen Signale. Sie senken nicht den Ren-tenversicherungsbeitrag – obwohl es möglich wäre –,weil Sie Haushaltskonsolidierung nach dem Prinzip„rechte Tasche, linke Tasche“ betreiben. Der Rentenver-sicherungsbeitrag wird erhöht werden. Sie erhöhen dieKrankenversicherungsbeiträge einseitig zulasten der Ar-beitnehmer. Außerdem haben Sie die Flugticketsteuereingeführt. Das ging zulasten der Binnenwirtschaft. Siehaben klar versagt; denn das, was Sie getan haben, istdas Gegenteil von Stärkung der binnenwirtschaftlichenKaufkraft.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. HerrMinister, Sie haben gesagt, Sie setzen die Konsolidie-rung fort. Dass Sie an dem Konjunkturpaket und demjetzigen Erfolg keinen Anteil haben, das ist offensicht-lich. Deutschland brummt trotz Schwarz-Gelb und nichtwegen Schwarz-Gelb. Aber dass Sie behaupten, Sie hät-ten den Staatshaushalt konsolidiert, ist schon ein starkesStück. Im Gegenteil, Sie haben zum 1. Januar 2010 die-sen Staat um 10 Milliarden Euro ärmer gemacht, indemSie die Mövenpicks und die reichen Erben in diesemLande steuerlich begünstigt haben. Das ist der Punkt.Das war aber keine Konsolidierung, sondern strukturellBedienung Ihrer Wählerklientel.
Sie haben nichts zur Stärkung der Investitionen getan.Herr Brüderle, Sie haben hier fast eine Klamaukredegehalten. Ich will etwas zur finanziellen Situation desBankensektors sagen.
Kann, lieber Herr Kollege Schneider, der Kollege
Lindner vorher eine Zwischenfrage stellen?
Gern.
Herr Lindner, bitte.
Herr Kollege Schneider, verraten Sie uns einmal, was
aus Ihrer Sicht mehr zur Binnenkonjunktur beigetragen
hat: ein steuerliches Entlastungsprogramm für das ge-
samte Hotelgewerbe, in dem 1 Million Menschen arbei-
ten, oder die von Ihnen beschlossene Absenkung der
Mehrwertsteuer für die Binnenkreuzschifffahrt? Kol-
lege Schneider, versuchen Sie einmal, uns das zu erklä-
ren.
Herr Kollege, eine schlechte Sache wird nicht besser,wenn man sie wiederholt.
Ich will Ihnen klar sagen, Herr Kollege Lindner: Wir ste-hen zu unserem Fehler. Die von Ihnen angesprocheneSteuerermäßigung ist uns damals von der CDU und vonder CSU aufgedrückt worden. Wir wollen, dass das kor-rigiert wird. Sie werden schon sehen.Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich vorge-nommen, das Steuersystem zu vereinfachen. Letzte Wo-che wurde der Koalitionsausschuss einberufen. Nichtskam dabei heraus. – Herr Lindner, bleiben Sie ruhig ste-hen. Ich bin noch nicht fertig. – Gar nichts ist bezüglicheiner Vereinfachung des Mehrwertsteuersatzes passiert.Es gab ein totales Versagen der FDP, aber auch des Fi-nanzministers.
Das Mehrwertsteuergeschenk für die Hoteliers hat denGesamtstaat 1 Milliarde Euro gekostet. Gebracht hat es100 Millionen Euro Mehreinnahmen. Lächerlich! Dassind Geschenke, die dem Staat Deutschland und derWirtschaft nicht helfen. Wir sollten daraus lernen: Steu-erpolitische Klientelgeschenke darf es nicht wieder ge-ben. Diese Lehre sollten Sie ziehen.
Zurück zum Bankensektor. Ich will gezielt den Lan-desbankensektor herausgreifen. Das Ganze ist ein gro-ßes Problem. Es geht dabei nicht nur darum, dass in die-sem Sektor 18 Prozent der Mittelstandskredite vergebenwerden, sondern auch darum, dass über den öffentlichenHaushalten ein Damoklesschwert schwebt. Ich bin mirnicht ganz sicher, ob sich die Eigentümer der Landes-banken, die Ministerpräsidenten, wirklich bewusst sind,welches Risiko sie eigentlich eingegangen sind, was dain ihren Haushalten schlummert. Viel schlimmer ist dassystemische Risiko, das von den Landesbanken ausgeht.Es stellt sich die Frage, was der Bund, die Bundesregie-rung, der Bundeswirtschaftsminister und der Bundes-finanzminister, tun, um dieses systemimmanente Pro-blem zu lösen.Sie haben einen Gipfel groß angekündigt; aber es istnichts passiert. Ich habe von keinem Ergebnis gehört.Dabei besteht hier im Hinblick auf die Systemrelevanzim Finanzsektor das größte Risiko für Deutschland. Dasist auch deshalb entscheidend, weil es hier um die Fragedes Mittelstandskreditgeschäfts geht.Herr Bundeswirtschaftsminister, ich erwarte, dass Siesich da einmal einmischen und mit einer eigenen Ideenach vorne kommen, anstatt die Sache nur grob wegzu-wischen. Hier geht es um eine systemrelevante Frage.Ich fordere Sie auf, endlich zu handeln. Denn die Tank-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8209
Carsten Schneider
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stelle, die SoFFin, schließt am 31. Dezember 2010; da-nach gibt es keine Chance zur Neuordnung mehr. DiesesBeispiel zeigt, dass Sie unkoordiniert vorgehen, dass Sievon Tag zu Tag leben und keinen größeren Plan haben.
Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen. DasThema Banken hängt stark mit dem Euro und insofernmit Europa zusammen. Ich werde jetzt nicht auf Irlandeingehen; dafür fehlt die Zeit. Ich will im Zusammen-hang mit den Haushaltsberatungen einen Punkt im Be-reich der Europapolitik herausgreifen, der vielleicht wieeine Petitesse wirkt, aber stilbildend ist. Wenn eines klarist, dann das: Wir brauchen in Europa eine stärkere Ab-stimmung und Koordinierung der Wirtschafts- und Finanz-politik. Damit meine ich nationalstaatliche Souveränität,aber abgestimmt. Dazu gehört aber auch, dass man mitei-nander redet und einen gemeinsamen politischen Think-tank hat. Es gibt in Europa solch einen Thinktank, bei demfast alle EU-Staaten Mitglied sind – wir sind mit Frank-reich Gründungsmitglied –: Bruegel. Ein Teil der Etatisie-rung – 130 000 Euro – läuft über Ihren Haushalt, HerrWirtschaftsminister; ein weiterer Teil – 130 000 Euro –läuft über Ihren Haushalt, Herr Finanzminister. Die Ko-alition hat in der Bereinigungssitzung die wahnsinnigkluge Idee gehabt, die 130 000 Euro im Haushalt vonHerrn Schäuble zu streichen, hat dabei aber vergessen,dass noch 130 000 Euro bei Herrn Brüderle eingestelltsind.
Das zeigt nur, dass wir uns aus den europapolitischenDebatten entfernen, wenn es darum geht, Strategien zuentwickeln, dass Sie vollkommen kurzfristig handeln,sodass Sie, Frau Kollegin Flach, nicht einmal auf demSchirm hatten, dass es eine Kofinanzierung über den ei-nen Etat gab, als Sie die Mittel im anderen Etat gekürzthaben. Das ist stilbildend.
Kollege Duin ist vorhin auf die Frage der Steinkohleeingegangen. Es ist stilbildend, welches Personal Sienach Europa schicken. Es gab eine für Deutschlandwichtige Entscheidung zur Steinkohle, die von der Kom-mission getroffen wurde. Der zuständige Kommissar istein Deutscher; aber er war nicht einmal da. Solche Leuteschicken Sie nach Brüssel.
Lieber Kollege Schneider, die Uhrzeit ist halt so, wie
sie ist.
Ich wollte den letzten Satz sagen.
Ja, schön.
Das ist stilbildend für die Koalition: Sie sind Abstau-
ber und haben kein eigenes Konzept. Das wird sich bitter
rächen.
Vielen Dank.
Zusatzfragen können naturgemäß nur im Rahmen der
Redezeit zugelassen werden. Ich bitte um Nachsicht.
– Nein, das kann ich besser beurteilen.
Lieber Kollege Fuchs, Sie haben jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter HerrDuin, die Äußerungen, die Sie im Seeheimer Kreis ge-macht haben, waren weit sinnvoller als das, was Sie hierheute vorgetragen haben.
Ich habe mir einmal ein paar Punkte herausgesucht, dieSie dort geäußert haben. Sie sagten über die SPD:Sie steckt in einer schweren Identitätskrise.Sie sagten weiter über die SPD:Unsere Wirtschaftspolitik lässt kaum eine ord-nungspolitische Linie erkennen.
Das, was Sie in Ihrer Rede erkennen ließen, gibt demGanzen noch mehr Nahrung. Sie sollten das ändern; Siesollten die Dinge, die gut gelaufen sind und gut laufen,einfach anerkennen. Das würde Ihnen besser stehen.
Mit dem vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts2011 und dem vorliegenden Einzelplan 09 stärkt die Ko-alition gezielt und meiner Meinung nach sehr verantwor-tungsbewusst das Wachstum. In der Koalition vonCDU/CSU und FDP haben wir es zusammen geschafft,Wachstum in Deutschland hinzubekommen.
Das hätte uns eigentlich keiner zugetraut. Wenn wir amJahresanfang den Bundeswirtschaftsminister korrigierthätten, als er ein Wachstum von 1,4 Prozent prognosti-ziert hat, und gesagt hätten, dass wir ein Wachstum von3,5 Prozent, vielleicht sogar von 3,8 Prozent erreichenwerden, dann hätten Sie uns schlicht für verrückt erklärt.
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8210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Michael Fuchs
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Sie haben uns das, was passiert ist, in keiner Weise zuge-traut; Herr Gabriel hat das permanent gesagt.Wir werden aber ein Wachstum von 3,5 bis 3,8 Pro-zent erreichen. Wir werden im nächsten Jahr – die Com-merzbank hat das gestern bekannt gegeben – vermutlichein Wachstum von etwa 2,6 Prozent erreichen. Dasheißt, dass sich das Wachstum verstetigt. Das ist ausge-sprochen positiv. Das können wir gemeinsam erfreut zurKenntnis nehmen; denn das ist es, was wir brauchen.Wir brauchen ein vernünftiges Wachstum. Das hilft beider Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in jeder Hinsicht.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,sind gegen einen modernen Industrie- und Wirtschafts-standort. Sie träumen von einer klimaneutralen Welt,von einem Standort ohne Schwerindustrie und ohneWertschöpfungsketten. Sie verweigern, Sie blockieren.
Das Wirtschaftsministerium hat einen Beitrag zurKonsolidierung des Bundeshaushalts geleistet. DerHaushaltsansatz für 2011 ist gegenüber dem Haushalts-ansatz für 2010 nur leicht gesunken. Dennoch ist es demBundeswirtschaftsminister gelungen – dafür bin ich ihmausgesprochen dankbar –, dafür zu sorgen, dass die Mit-tel für Investitionen in Forschung und Entwicklung stei-gen. Das Haus hat gute Arbeit geleistet. Herr Bundes-minister, wir gratulieren Ihnen dazu.
Sie von der Opposition hingegen, insbesondere dieGrünen und die Linken, stehlen sich konsequent aus derhaushaltspolitischen Verantwortung.
Über die SPD braucht man gar nicht viel zu reden.Der SPD fehlt es derzeit gänzlich an Kontur – den Vor-sitzenden nehmen wir einmal aus –, ihr fehlt es an Profil,ihr fehlt es an Programm.
Herr Duin, ich darf Sie wieder zitieren. Sie haben ge-sagt:CDU und Grüne bestimmen die politischen Diskus-sionen, die SPD kommt kaum noch vor …Das ist ein wörtliches Zitat aus einem Papier des Seehei-mer Kreises.
So ist es halt. Wir stellen das fest. Deshalb macht es garnicht viel Sinn, sich an Ihrem Programm abzuarbeiten.Es ist nämlich nicht vorhanden.
Bemerkenswert ist allerdings, dass Sie sich von Be-währtem verabschieden, von Hartz IV und der Rente mit67. Auch das zeigt, wie ziel- und haltlos die SPD gewor-den ist. Das ist einfach traurig.Die Grünen überraschen uns seit dem Wochenendemit einer konsequenten Annäherungs- oder, besser: An-biederungspolitik gegenüber der Linkspartei. Sie gebenihr Ziel, mit Links zu koalieren, deutlich zu erkennen.Lieber Herr Kuhn, Sie waren einer der wenigen, die da-gegen gekämpft haben. Aber Ihnen ist das nicht allzu gutgelungen. Eine Zeitung hat zu Recht getitelt: „Das teureLand der Grünen“. Ich will nur ein paar Punkte nennen:Bis 2030 soll der Strom und bis 2040 die Wärme kom-plett, zu 100 Prozent, aus erneuerbaren Energien kom-men.
Das ist Deindustrialisierungspolitik, nichts anderes.
Sie wollen einen Energiesparfonds für Wärmedäm-mung auflegen – Kosten: 3 Milliarden Euro. Sie wolleneine Kindergrundsicherung, 330 Euro pro Kind – Kosten:18 Milliarden Euro. Sie wollen Hartz IV auf 420 Euroerhöhen – Kosten: 10 Milliarden Euro. Die sozialpoliti-schen Wohltaten – das sagen Sie selbst – kosten unge-fähr 60 Milliarden Euro. Steuerausfälle kommen nochhinzu.
Das ist angesichts einer gigantischen Staatsverschul-dung in der Größenordnung von 1,7 Billionen Euro inmeinen Augen absolut verantwortungslos in diesemLand.
Mit diesem Programm, das Sie in Freiburg aufgestellthaben, haben Sie Ihre Verantwortungslosigkeit bewie-sen.Gleichzeitig wollen Sie die Mittelschicht, vor allemdie Facharbeiter, in Deutschland treffen. Sie wollen dieBeitragsbemessungsgrenze bei der gesetzlichen Kran-kenversicherung von 3 750 auf 5 500 Euro anheben.
Was bedeutet das denn? Das bedeutet, dass der Fach-arbeiter 250 Euro mehr Beitrag zu entrichten hat.
– Nehmen Sie das doch einfach zur Kenntnis. – Sie wol-len die Abgeltungsteuer erhöhen, und Sie wollen die Ge-werbesteuer für Freiberufler einführen. Künstler, Archi-tekten – alle sollen in Zukunft Gewerbesteuer zahlen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8211
Dr. Michael Fuchs
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Lieber Herr Kuhn, wenn das eine vernünftige Politik ist,dann weiß ich es nicht. Das Ehegattensplitting soll abge-schafft werden. Sie treiben die Leistungsträger munteraus dem Land.
Darüber hinaus fordern Sie die Erdverkabelung, diebis zu zehnmal so teuer ist, je nachdem, welche Strom-leitung Sie legen. Es gibt ein wunderschönes Beispiel: InNiedersachsen soll eine Leitung von Ganderkesee nachSt. Hülfe gelegt werden. 10 Kilometer sollen unterir-disch verlegt werden, 50 Kilometer als Freileitung. Die50 Kilometer Freileitung kosten 60 Millionen Euro unddiese 10 Kilometer Erdkabel hingegen aber 100 Millio-nen Euro. Das Ganze wird demnächst über die Strom-rechnung auf die Verbraucher umgelegt. Das ist IhrePolitik. Sie greifen den Menschen an allen Ecken undKanten in die Tasche, und das in einer massiven Weise,die nicht mehr zu ertragen ist.
Meine Damen und Herren, was die Grünen auf ihremParteitag beschlossen haben, war mir bislang eigentlichnur von der Linkspartei bekannt. Für mich kommen IhreForderungen Enteignungsgedanken gleich.
Wie nah Sie an den Positionen der Linken sind, kannman an Ihren Forderungen sehen: Sie fordern die glei-chen Hartz-IV-Sätze. Was die Erhöhung des Kindergel-des auf 250 Euro angeht, hinken Sie noch ein bisschenhinterher. Ein Betreuungsgeld für alle Kinder bis20 Jahre haben Sie zwar noch nicht gefordert. Aber daswird wahrscheinlich auf dem nächsten Parteitag nachge-schoben.
Mit Ihren Vorschlägen zielen Sie auf die Mittel-schicht. Ich will dazu drei simple Zahlen nennen.
Bereits heute zahlen die obersten 5 Prozent der Einkom-mensteuerzahler 39,7 Prozent des gesamten Steuerauf-kommens. Die obersten 10 Prozent zahlen 52,7 Prozentund die obersten 25 Prozent zahlen 75,2 Prozent. Diesewollen Sie weiter intensiv belasten; anders würden IhreProgramme auch nicht funktionieren. Ich bin ziemlichsicher, dass Sie das selbst wissen. Sie tragen zwar dasgrüne Mäntelchen des Bürgertums, darunter ist abernichts anderes als nackter Sozialismus.
Sie entwickeln sich zu einer Enteignungspartei. Siemachen Ihrem Ruf einer Dagegen-Partei alle Ehre, in-dem Sie sagen: Wir wollen die Eisenbahn fördern undwir wollen, dass mehr Menschen den Zug benutzen, aberwir sind gegen Stuttgart 21. Wir wollen Pumpspeicher-kraftwerke, aber in Atorf im Schwarzwald sind wir da-gegen. – Sie sind praktisch gegen jedes Großprojekt inDeutschland. Überlegen Sie sich bitte einmal, was dieseHaltung für Unternehmen bedeutet. Wenn Firmen denZuschlag für einen Auftrag bekommen, Herr Kuhn, dannist doch klar, dass sie mit der Planung und Vorbereitungdes entsprechenden Projektes beginnen und beispiels-weise Mitarbeiter einstellen. Aber auf einmal ist diePolitik dagegen.Herr Kollege Brüderle hat Ihre Haltung am Beispielder Olympiabewerbung plastisch dargestellt. Ich kanndas überhaupt nicht verstehen. Was war die Fußballwelt-meisterschaft in Deutschland für ein Sommermärchen!Was war hier los! Welche Aufbruchstimmung hat das er-zeugt! Dass Sie jetzt gegen solche Projekte in Deutsch-land sind, ist für mich absolut unverständlich.Sie sind die Dagegen-Partei. Wir sind dafür, dass sichder Standort Deutschland weiterentwickelt. Wir sorgendafür, dass wir mit einer vernünftigen Politik den Haus-halt konsolidieren. Dafür bin ich den Haushältern undauch dem Bundeswirtschaftsminister außerordentlichdankbar. So kommt Deutschland nach vorne. Aber mitIhrer Dagegen-Einstellung geht es zurück.
Das Wort erhält der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächstzur Klarstellung: Die Linke steht für eine Wirtschafts-politik, die Mittelstand und Existenzgründern Zukunfts-chancen eröffnet und nicht verbaut,
die Arbeit schafft, von der Beschäftigte sorgenfrei lebenkönnen. Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die zumehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtig-keit gleichermaßen beiträgt.
Kleiner geht es nicht aus der Sicht einer kreativen undlustvollen Opposition. „Klar so weit?“, kann ich Sie danur fragen.Dort, wo die Linke Wirtschaftsminister stellt, werdendiese Grundsätze im Rahmen landespolitischer Möglich-keiten auch umgesetzt. Ganz anders Ihr Etat, Herr Minis-ter Brüderle. Ihr Etat steht für Ämterverwaltung plusLobbyismus für Raum- und Luftfahrt und Lobbyismusfür die Rüstungsindustrie.
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Roland Claus
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Damit für die Öffentlichkeit kein falscher Eindruck ent-steht: Mit diesem Etat machen wir nicht wirklich Indus-triepolitik. Wenn man die Steinkohle- und die Flugzeug-subventionen abzieht, beträgt dieser Etat etwa 1 Prozentdes Gesamthaushaltes. Das reicht zum Geschenkevertei-len, doch für eine vernünftige Wirtschaftspolitik reichtdas nicht.
Nun hat uns Minister Brüderle schon im Septembermit seiner Lyrik erfreut und gemeint, der Aufschwunghabe Flügel bekommen. Für die gewachsene Zahl derMillionäre mag das stimmen. Ich kann Ihnen dazu nursagen, Herr Minister Brüderle: Flügel sind ein Instru-ment zum Abheben. Wir stellen hingegen fest: Der Auf-schwung kommt bei den lohnabhängig Beschäftigten,bei den Rentnerinnen und Rentnern und bei den Men-schen, die nach wie vor Arbeit suchen, nicht an. Niedrig-lohn, Leih- und Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge ins-besondere für Berufseinsteiger sind Ergebnis IhrerPolitik. Einem Gegensteuern mit einem gesetzlichenMindestlohn, wie wir ihn fordern, verweigern Sie sich.Deshalb ist diese Politik nicht zu akzeptieren; sie brauchtweiterhin Alternativen.
Die Krise, von der hier viele Rednerinnen und Rednersagen, sie sei vorbei, ist für mich erst dann überwunden,wenn das Übergewicht der sogenannten Finanzwirt-schaft gegenüber der sogenannten Realwirtschaft, dasnoch vielfach anzutreffen ist, gebrochen wird.Ich will einige Fakten aus dem Osten der Republikbeisteuern, weil diese Republik auch wirtschaftspolitischimmer noch eine geteilte Republik ist. Auch wirtschafts-politisch nimmt der Abstand zwischen Ost und West seitzehn Jahren nicht ab, sondern zu. Der Anteil ostdeut-scher Produkte auf westdeutschen Märkten macht geradeeinmal 2,6 Prozent aus. Nur 5 Prozent der Ausgaben fürForschung und Entwicklung kommen im Osten zum Ein-satz. Keine einzige Firmenzentrale ist im Osten statio-niert.Nimmt man die 100 größten ostdeutschen Unterneh-men zusammen, erreichen sie nicht einmal die Hälfte derLeistungskraft von Daimler. Demgegenüber sind fast2 Millionen Ostdeutsche seit den 90er-Jahren der Arbeithinterher in den Westen gezogen und dort beschäftigt.Dabei sind es aber gerade die Standorte im Osten, dieden sozialökologischen Umbau vorbildhaft vollziehen.Diesen Erfahrungsvorsprung im Osten sollten wir end-lich nutzen und nicht brachliegen lassen.
Wir sehen das bei den erneuerbaren Energien, wir sehendas an vielen anderen Beispielen, merken aber wieder,dass bundespolitisch wirtschaftliches Denken ausschließ-lich als wirtschaftliches altes Denken stattfindet. Ich sageIhnen dazu: Aus der Krise führen nur neue Wege.
Noch einige Beispiele. Wir haben im Süden Sachsen-Anhalts und in Niedersachsen hervorragende Erfahrun-gen mit dem Altölrecycling gemacht. Da gibt es einentechnologischen Vorsprung. Wenn man in den USA ir-gendwann begreift, dass Erdöl nicht zum Verbrennen,sondern zum Veredeln geeignet ist, werden wir diesentechnologischen Vorsprung auch nutzen können.Wir haben an den ostdeutschen Chemiestandortenhervorragende Logistik, sehr gute Bedingungen für dieVereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreu-ung, ein Hand-in-Hand von Industriestandorten undKommunen, und wir haben neue Erfahrungen bei derKooperation von Landwirtschaft und Industrie in denNetzwerken der Ernährungswirtschaft gemacht. Deshalbsagen wir: Lassen Sie uns den Osten endlich als Chancebegreifen, Industriepolitik neu zu denken! Um mehroder weniger geht es hier nicht.
Zukunftsfähige Politik geht allerdings nicht mit ei-nem Bundesminister, der immer nur den alten Hut derSteuersenkungen bemüht und auch heute wieder fürseine Steuersenkungen wirbt – nun mit Charakter, wiewir gehört haben. Dieser Charakter sei einfach, niedrigund gerecht.Dazu ist festzustellen: Einfach, niedrig und gerechtsind in diesem Land im Moment nur die Umfragewerteder FDP.
Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Bonde für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Brüderle, es reicht einfach nicht, wenn man sichmit Zigarre und Ludwig-Erhard-Buch für große deutscheZeitungen ablichten lässt. Manchmal sollte man dasBuch auch lesen.
Das ist, glaube ich, die Konsequenz, die wir auch heutewieder aus Ihrer Rede ziehen müssen. Denn Ordnungs-politik hat wenig mit dem zu tun, was Sie an lobbyge-triebener Subventionspolitik als gesamte Koalition be-treiben, aber was auch ganz konkret die Bilanz voneinem Jahr Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister ist.
Sie haben vorhin ja wieder eine Karnevalsrede gehal-ten, die aus dem Wachstumstaumel gar nicht mehr he-rauskam. Vor lauter Wachstumstaumel stellen Sie sicheiner Frage nicht, nämlich der Frage: Wie nutzt man diegute Phase, die sich im Moment zum Glück abzeichnet– wir sind froh, dass wir mit diesem Aufschwung ausder Krise herauskommen –, um Vorsorge für schlechteZeiten zu treffen und um Fragen anzugehen, die man inguten Zeiten anpacken kann, wie die Frage der Ver-schuldung? Wir alle wissen, das ist das große Wachs-tumshemmnis der Zukunft, das ist das große Problem
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Alexander Bonde
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auch für unsere Volkswirtschaft. Dazu kommt von Ihnennichts. Im Gegenteil: Sie sind ein Schuldenrisiko in die-ser Koalition. Denn in dem Moment, in dem die Rekord-verschuldung einen Tick sinkt – sie ist dabei immer nochauf Rekordhöhe –, schreien Sie als Erster nach Steuer-senkungen. Das hat nichts mit Ordnungspolitik zu tun,und das hilft auch nicht, die Defizite unserer Volkswirt-schaft zu beheben.
Ich hätte von einem Wirtschaftsminister erwartet,dass er einmal ehrlich darüber spricht, was die Politikdieser Koalition für die Sozialversicherungen inDeutschland bedeutet. Wir erleben in der Gesundheits-politik, dass es für die Menschen teurer wird. Um die In-teressen einer ganz kleinen Klientel zu schützen – esgeht darum, Ihre Buddies aus der Pharmaindustrie zupampern –, wird das gesamte System teurer. Die Lohn-nebenkosten werden steigen. Es geht überhaupt nichtmehr darum, dass sich Leistung wieder lohnt. Denn fürdie Menschen im Land, die etwas leisten, wird es teurer.Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich hätte vom Wirt-schaftsminister erwartet, dass er etwas dazu sagt.
Bei der Bundesagentur für Arbeit geht es um die Bei-träge. Sie sanieren im Moment virtuell den Bundeshaus-halt, indem Sie der BA statt eines Zuschusses ein Darle-hen geben. Das heißt, Sie verschieben die Verschuldungzu den Beitragszahlern. Damit machen Sie Druck hin-sichtlich Beitragserhöhungen. Sie kassieren die Insol-venzumlage der Bundesagentur – das sind 1,1 MilliardenEuro – für Ihre Einsparungen ein. Das heißt, bei IhrerPolitik nehmen Sie bewusst in Kauf, dass die Beiträgesteigen. Das hat mit dem, was Sie hier erzählen, nichtszu tun. Das muss man an dieser Stelle festhalten, HerrBrüderle.
Bei allen großen Herausforderungen der Volks-wirtschaft sind Sie abgemeldet. Die Fragen sind: Wohingeht eigentlich unsere Wirtschaft? Wo sind die Märktevon morgen? Fehlanzeige bei Ihnen. Sie sind mit Vor-stellungen aus den 80er-Jahren unterwegs, die auf Betonund nicht auf eine intelligente Analyse der Lage setzen.Den Klimawandel halten Sie offensichtlich für eineVerschwörung. Mit Ressourcenmangel können Sie nichtumgehen. Sie schauen nur nach China wie das Kanin-chen auf die Schlange. Sie haben keine Vorstellung, wasEnergieeffizienz und ressourcenschonendes Wirtschaf-ten bedeuten, und das in einer Situation, in der unsereLeitbranchen – ich sage das als Baden-Württemberger –,der deutsche Maschinenbau, die deutsche Automobilin-dustrie, alle Branchen, die mit Mobilität zu tun haben, ander Schwelle stehen, an der sich entscheidet, ob wir denSprung schaffen, ob wir das Hightechpotenzial, das wirhaben, nutzen, um in die Märkte von morgen zu gehen.Was kommt vom Wirtschaftsminister? Nichts.Dieser Wirtschaftsminister ist dagegen, die Chancendes Klimawandels zu erkennen. Dieser Wirtschafts-minister ist dagegen, erneuerbare Energien verstärkt zunutzen. Dieser Wirtschaftsminister ist dagegen, Wettbe-werb auf dem Strommarkt zu schaffen, weil er lieber vierMonopolisten durch Laufzeitverlängerung de facto sub-ventioniert, anstatt auf Wettbewerb, auf Stadtwerke underneuerbare Energien zu setzen, die uns international un-abhängiger machen würden.
Insofern ist es logisch, dass Ihr Haushalt so aussieht,wie er aussieht. Es ist ein Bauchladen an Subventiön-chen und Fördertöpfchen. Jeder bekommt ein bisschen,aber niemand so viel, dass es wirklich hilft.
Ökologische Modernisierung findet sich in keinem der44 Förderprogramme, an keiner relevanten Stelle. Jetztmachen Sie eine kleine Bereinigung, indem Sie die Ex-portfördertöpfe für alle in einem großen Topf zusam-menfassen; aber die Unterprogramme bleiben genaugleich.
Ordnungspolitik als Fassade, darin ist dieser Wirt-schaftsminister gut. Aber immer wenn es darum geht,Weichen zu stellen und zu sagen, wo die Herausforde-rungen liegen, hält er nur wachstumstaumelnde Reden.Steuerversprechungen und Steuerlüge sind munter wei-ter Programm von Rainer Brüderle. Davon hat das Landnichts, Herr Wirtschaftsminister.
Ernst Hinsken ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
So kann es sein: Da verlässt der Redner das Redner-pult, und die Zuhörerinnen und Zuhörer haben gar nichtgemerkt, dass er fertig ist.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kol-leginnen und Kollegen! Die ganze Welt spricht vomdeutschen Jobwunder. Ein Wunder ist es nicht. Die Ent-wicklung beruht vielmehr auf den richtigen Weichenstel-lungen unserer Regierung, gerade in den letzten Jahren.
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8214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Ernst Hinsken
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Deutschland boomt. Kurzarbeit, Wachstumsbeschleu-nigungs- und Bürgerentlastungsgesetz, Konjunkturpro-gramme, zurückhaltende Gewerkschaften und der denDeutschen eigene Unternehmergeist, das sind die Grund-lagen dieses Erfolgsmodells, das wir weltweit vorwei-sen können.
Darauf sollten wir alle ganz besonders stolz sein – auchSie, Herr Heil; denn bei verschiedenen Programmen ha-ben Sie gut mit uns zusammengearbeitet und Weichen-stellungen in die Zukunft vorgenommen. Das soll hierheute auch gesagt werden.
Es sollte uns alle mit Stolz erfüllen, dass sich Deutsch-land zurzeit im Kreis der fünf wettbewerbsfähigsten Na-tionen der Welt befindet.Warum? Die Regierung Merkel hat die Chance ge-nutzt und nutzt sie weiterhin. Überall ist der Auf-schwung sichtbar.
Boomende Exporte, steigende Anlageinvestitionen, Zu-nahme des privaten Konsums, Anstieg der Reallöhne imVergleich zum Vorjahr usw.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Schlager„Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigerndas Bruttosozialprodukt“ ist aktueller denn je. Lassenwir ihn wieder aufleben.
In 18 von 30 international vergleichbaren Gruppensind die deutschen Maschinenbauer Weltmarktführer.Herr Minister Brüderle, Sie haben bereits darauf verwie-sen. Ich kann das nur doppelt und dreifach unterstrei-chen, wenn auf die Stärken der deutschen Wirtschaftverwiesen wird. In elf weiteren Ländern stehen sie aufdem Siegertreppchen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich meine schon,auf meinen Vorredner, Herrn Bonde, eingehen zu dürfen,wenn er auf Maschinenbau, Anlagenbau und dergleichenmehr verweist. Sicher, wir müssen uns anstrengen, umnicht überholt zu werden. Aber wir haben zum Beispielbeim Anlagenbau zur Fördertechnik zurzeit einen Anteilvon 20,2 Prozent vor China mit 11 Prozent und den USAvon 10,5 Prozent. Den gilt es zu halten. Den können wiraber nicht halten, wenn wir die Politik machen, die Siehier in der Bundesrepublik Deutschland gern umgesetzthaben wollen. Herr Kuhn, Sie nehme ich ausdrücklichaus. Sie sind im Gegensatz zu vielen, vielen anderen eineleuchtende Gestalt der Grünen.
Herr Kuhn, das steht jetzt im Protokoll. Sie können
beruhigt sein.
Zurzeit liegen wir in der Bundesrepublik Deutschlandbei 2,9 Millionen Arbeitslosen. Das sind gut 7 Prozent.In verschiedenen Gebieten liegen wir sogar nur bei 2,4bzw. 2,5 Prozent, 2,6 Prozent. Ein Teil meines Wahlkrei-ses war vor 30 Jahren das Armenhaus Deutschlands undist in der Zwischenzeit eine Spitzenregion Europas ge-worden – dank regionaler Wirtschaftspolitik. Das istnicht von selbst gegangen. Da hat der Staat mitgeholfen.Da haben wir die richtigen Weichenstellungen getroffen.
Herr Minister Brüderle, ich bin dankbar dafür, dassSie inzwischen auch dafür sind, dass die Mittel für dieregionale Wirtschaftsförderung nicht runtergefahren,sondern ein bisschen erhöht werden, weil sie sich so po-sitiv auswirken, insbesondere in strukturschwachen Be-reichen.Meine Damen und Herren, auch international könnenwir uns sehen lassen. Unsere Erwerbslosenquote liegt,wie gesagt, bei 7,5 Prozent. In den USA liegt sie bei9,6 Prozent, in der EU auch bei 9,6 Prozent, in Frank-reich bei 10,1 Prozent. In Spanien liegt sie sogar bei20,5 Prozent. Im Vergleich dazu: Im Jahr 2005 lag siebei 9,4 Prozent. Bei uns ist sie kleiner geworden, in Spa-nien doppelt so hoch.Deutschland hat mit 3,5 Prozent gegenwärtig diehöchsten Wachstumsraten unter den Industrieländern.Wir haben das stärkste Wachstum seit der Wiederverei-nigung. Ohne Deutschland würde die Wirtschaft in Eu-ropa nur um gut 1 Prozent wachsen.
Deutschland ist wieder die Wachstumslokomotive Num-mer eins in ganz Europa. Seien wir stolz darauf und fei-ern wir das.
Besonders erfreulich ist: Der Anstieg der Exporte unddie angesprungene Binnenkonjunktur gehen Hand inHand.Ein Beispiel. Ein wichtiger Faktor des Mittelstandes,das Handwerk, ist zurzeit – das wird deutlich, wennman Betriebsinhaber fragt –, so zufrieden wie langenicht mehr. 86 Prozent von ihnen beurteilen die Ge-schäftslage als zufriedenstellend oder gut. Dies sind17 Prozent mehr als zu Jahresbeginn. Man kann esschlicht und ergreifend auf folgenden Nenner bringen:Die erfolgreiche Politik der letzten eineinhalb Jahremuss fortgesetzt werden. Dafür werden wir sorgen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8215
Ernst Hinsken
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Lassen Sie mich zum Schluss, vor allem mit Blick aufdie linke Seite dieses Hauses,
Folgendes sagen: Was wir in der BundesrepublikDeutschland brauchen, sind Mutmacher und nicht Mies-macher wie Sie.
Die Grünen sind aus ideologischen und opportunisti-schen Gründen gegen Fortschritt. Sie sind fast immer da-gegen. „Grün“ nennen Sie sich, reden aber oft so, als obSie „Blau“ wären. Was Sie sagen, ist häufig völlig reali-tätsfern.
Kollege Hinsken.
Ihr Parteitag hat gezeigt: Sie sind eine Neinsagerpar-
tei. Sie blasen zum Generalangriff auf die Mittelschicht.
Sie wollen eine Steuererhöhungsorgie.
Sie wollen der Wirtschaft die Luft zum Atmen nehmen.
Damit gefährden Sie Arbeitsplätze der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so leicht kann man
es sich machen, wenn man einen Swimmingpool im
Garten hat, seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat
und keine Angst um den eigenen Arbeitsplatz haben
muss.
Wir hingegen sorgen dafür, dass auch in Zukunft Ar-
beitsplätze gesichert bzw. geschaffen werden und die
Wirtschaft Luft zum Atmen hat, damit sie weiterhin so
erfolgreich sein kann, wie sie es insbesondere in den
letzten Monaten war.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Peter Friedrich ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Hinsken, trotz Ihrer Rede möchte ich Ihnen zu
einem persönlichen Erfolg gratulieren. Sie haben es ge-
schafft, dafür zu sorgen, dass die Mittel für die Regio-
nalförderung nicht um 50 Millionen Euro, sondern nur
um 40 Millionen Euro gesenkt werden.
Ich glaube, das ist ein Stück weit Ihr Verdienst; denn Sie
haben gemeinsam mit uns gegen diese Senkung ge-
stimmt. Man hat sich also eines Besseren besonnen. Die
Senkung dieser Mittel ist um 10 Millionen Euro geringer
ausgefallen als geplant. Dafür mein persönlicher Glück-
wunsch! Nichtsdestotrotz ist die Regionalförderung kein
Beispiel für eine kontinuierliche und gute Wirtschafts-
politik. Denn man fährt die Mittel dort herunter, wo man
in der Fläche Gutes erreicht hat.
Meine Damen und Herren, was ist eigentlich aus dem
einstigen „Mister Mittelstand“ geworden?
– Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich bin gerne bereit,
mich zu korrigieren, falls ich etwas Falsches gesagt
habe.
Die Redezeit des Kollegen Hinsken wurde vom Präsi-
dium schon großzügig interpretiert. Bitte halten Sie Ihre
Zwischenfrage möglichst knapp.
Wir machen es ganz schnell.
Verehrter Herr Präsident, ich fasse mich ganz kurz.
Wenn etwas Falsches gesagt wird, muss es richtiggestellt
werden.
Kollege Friedrich hat gesagt, dass eine Senkung der
Mittel für die Regionalförderung um 50 Millionen Euro
vorgesehen war. Nein, geplant war eine Senkung um
24 Millionen Euro. Letztlich sind die Mittel aber nur um
14 Millionen Euro gesenkt worden. Wir haben es den
Haushaltspolitikern und tatkräftigen Mitarbeitern zu ver-
danken, dass zu guter Letzt doch noch ein Betrag von
10 Millionen Euro draufgesattelt wurde. Dafür möchte
ich mich im Rahmen dieser Haushaltsdebatte herzlich
bedanken.
Wir halten fest: Es wurde gekürzt.
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8216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Peter Friedrich
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– Okay, das können wir also festhalten. Dann sind wiruns einig.Was ist aus dem einstigen „Mister Mittelstand“,Rainer Brüderle, geworden? Herr Brüderle, nach einemJahr im Amt kann man sagen: Es war ein Jahr der Fehl-entscheidungen für den Mittelstand.Zunächst zum Haushalt. Wer hat eigentlich von derStädtebauförderung profitiert? Profitiert haben dasHandwerk und das Bau- und Ausbaugewerbe in genauden Städten, in denen Sie jetzt kürzen. Fehlanzeige fürden Mittelstand!Sie haben die Mittel für das Marktanreizprogrammgekürzt. Aufgrund Ihrer Kürzung werden Investitionenin Höhe von 1 Milliarde Euro ausbleiben. Dieses Geldlandet also nicht in Aufträgen für den Mittelstand, dasHandwerk und das Bau- und Ausbaugewerbe. Auch hierFehlanzeige für den Mittelstand!
Nun zum Zentralen Innovationsprogramm Mittel-stand, zum ZIM. Wo waren Sie eigentlich, als es galt,dafür zu kämpfen, dass die nicht verausgabten Mittel inden Jahren 2011 und 2012 ausgegeben werden können?Bei Rainer Brüderle war Fehlanzeige für den Mittel-stand!Auch jetzt, da es notwendig wäre, den Mittelstand zuunterstützen, damit er trotz schmalerer Eigenkapitalbasisweiterhin an Innovationen forschen kann, muss man sa-gen: Bei diesem Wirtschaftsminister ist absolute Fehlan-zeige!
Zum Thema Kreditversorgung: Sie wissen ganz ge-nau, dass es im Moment zwar keine Kreditklemme gibt,dass aber der Bankenaufschlag und der Risikoaufschlagerheblich sind und dass wir langfristig mit deutlich ver-teuerten Krediten rechnen müssen. Ihr Kreditmediator,Herr Brüderle, ist ein absoluter Flop. Sie kürzen ihmzwar jetzt die Mittel, damit der Flop nur noch3,5 Millionen Euro kostet, aber Sie schaffen ihn nicht ab,was sinnvoll gewesen wäre. Sie tun faktisch nichts dafür,dass es eine bessere Kreditausstattung und eine bessereKreditberatung gibt.
Da, wo es nicht einmal etwas gekostet hätte, nämlich beiden Bürgschaftsbanken, die weiterhin ihre Hybridpro-dukte an den Markt bringen und die einen großzügigerenEntscheidungsrahmen hätten bekommen sollen, habenSie die Hände in den Schoß gelegt und überhaupt nichtsgetan, obwohl es uns keinen müden Euro gekostet hätte,im Gegenteil. Totalausfall für den Mittelstand bei RainerBrüderle.
Beim Tourismus haben Sie noch immer kein schlüs-siges Konzept. Stattdessen subventionieren Sie die Ho-telketten; das haben wir heute schon einmal gehabt.
Auch hier gibt es überhaupt keine Unterstützung für diemittelständische Wirtschaft.
– Ich weiß, es tut weh, aber man kann es Ihnen nicht er-sparen.
Sie geben hier 1 Milliarde Euro aus, die an anderer Stellenötiger gewesen wäre. Marktanreizprogramme hätten zuInvestitionen geführt. Die jüngsten Bilanzen zeigen auchdort: keine Investitionen in diesem Bereich. Für den Mit-telstand wurde nichts getan.Beim Thema Gesundheitsreform erleben wir jetztBeitragserhöhungen und erhöhte Zuzahlungen, die ge-nau diejenigen treffen, nämlich Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die vom Aufschwung eigentlich etwashaben sollten. Damit treffen Sie übrigens auch die be-sonders lohnintensiven Unternehmen, den Mittelstandund das Handwerk, in denen der Lohnanteil auf derRechnung den wesentlichen Anteil ausmacht. Diese zah-len die Zeche für Ihre Abzockerreform, die Sie im Ge-sundheitswesen auf den Weg bringen. Das zeugt von ei-ner Mittelstandsfeindlichkeit von vorne bis hinten.
– Frau Flach, weil Sie so laut dazwischenrufen: SchauenSie sich einmal an, was Sie bei der Pharmaindustrie ge-macht haben. Die mittelständische Heilmittelindustrie,die pharmazeutischen Hersteller, die im Rahmen desZIM innovative Produkte auf den Weg bringen, sinddoch durch Ihre Änderungen bezüglich der Entschei-dungsverfahren beim IQWiG benachteiligt worden. Sie,nämlich der Mittelstand und die Angestellten im Mittel-stand, zahlen die Zeche für Ihre Gesundheitsreform.
Bei der Steuerpolitik haben Sie mit dem sogenanntenWachstumsbeschleunigungsgesetz dafür gesorgt,
dass Konzernstrukturen steuerbegünstigt verändert wer-den können. Die Zeche zahlt auch hier wieder der Mit-telstand, weil die Gemeinden durch die Bank die Gewer-besteuer, die Abgaben und die Gebühren erhöhenmüssen. Die Kommunen müssen jetzt flächendeckendihre Haushalte aufstellen. Überall gibt es Steuererhöhun-gen. Ich weiß, auch das hören Sie nicht gerne, weil dasder zweite Teil Ihrer Nettolüge ist. Mit dem, was Sie inder Steuerpolitik gemacht haben, schädigen Sie den Mit-telstand und helfen den Konzernen. Auch da gibt es einemittelstandspolitische Fehlanzeige bei diesem Wirt-schaftsminister.
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Peter Friedrich
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Dass Sie sich um das Thema Fachkräftemangel be-mühen wollen, kann ich verstehen. Wenn Sie sich gele-gentlich umgucken, werden Sie feststellen, dass es in derTat einen Fachkräftemangel gibt. Wir haben überhauptnichts dagegen, dass Sie sich um den Bereich der Spe-zialisten kümmern. Wir haben aber 2 Millionen jungeMenschen in Deutschland, die weder einen Schulab-schluss noch eine Ausbildung haben und die wir drin-gend gerade für das Handwerk und den Mittelstandbräuchten, weil die Industrie die besten Kräfte immerwieder abwirbt. Sie tun überhaupt nichts dafür, dassdiese jungen Menschen in eine Ausbildung kommen unddass sie eine Chance auf Weiterqualifizierung haben,dass aus An- und Ungelernten tatsächlich – –
– Meine Quelle ist zum Beispiel der Generalsekretär desZentralverbands des Deutschen Handwerks letztenSamstag auf der Freisprechungsfeier in Radolfzell. DieIndustrie wirbt die besten Kräfte ab. Aber Sie tun nichtsdafür, dass Fachkräfte tatsächlich nachkommen, obwohles in Deutschland 2 Millionen junge Menschen gibt, diedringend einen Schulabschluss und eine Ausbildungbrauchen, um damit einen Weg in Arbeit und Beschäfti-gung zu finden.
Beim Thema Atom- und Energiepolitik haben Siedas Erzeugungsmonopol für die vier großen Energiever-sorgungsunternehmen erneuert. Damit schaden Sie demMittelstand, den Anlagentechnikern und den Maschinen-bauern. Diese zahlen die Zeche dafür, dass die vier gro-ßen Energieversorgungsunternehmen mit Ihnen die bes-ten Gewinne aller Zeiten machen.
Herr Brüderle, die Wirtschaft hat sich daran gewöhnt,dass es eine Kanzlerin gibt, die nur in Industriekombina-ten denkt.
Aber dass es einen Wirtschaftsminister gibt, der als„Mister Mittelstand“ gestartet ist, der aber, seit er in derRegierung angekommen ist, nur noch Mist für den Mit-telstand macht, das hat die deutsche Industrie bei dem,was sie für den Aufschwung leistet, nicht verdient; amwenigsten Handwerk und Mittelstand.Danke schön.
Letzter Redner in der Aussprache zu diesem Einzel-
etat ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute Mor-gen ja viel gesagt und insbesondere vonseiten der Oppo-sition auch viel kritisiert worden. Man sollte vielleichtaber doch einmal die Fakten betrachten.Fakt ist doch – das ist unstrittig –, dass Deutschlandin Europa und auch weltweit mit am besten, wenn nichtam besten, durch diese Krise gekommen ist.
Statt 5 Millionen Arbeitslosen, die noch letztes Jahrvorausgesagt wurden, haben wir unter 3 Millionen Ar-beitslose. Wir haben aber nicht nur unter 3 Millionen Ar-beitslose, sondern wir haben auch das höchste Beschäfti-gungsniveau, das wir in Deutschland jemals hatten.
– Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keinerlei Spenden vonEnergieversorgungsunternehmen bekommen, weder vonEnBW noch von Photovoltaikunternehmen, weil ich we-der der Atomlobby noch der Solarmafia verpflichtet bin,wie Sie das vielleicht sind. Ich betreibe Politik an Faktenorientiert.
– Ja, Herr Kelber, Sie können auch ein Lied davon sin-gen.Statt minus 5 Prozent Wachstum wie im letzten Jahr,beträgt das Wachstum in Deutschland in diesem Jahr3,5 Prozent oder sogar noch mehr. Für das nächste Jahrwurden die Prognosen gerade gestern nach oben korri-giert; Kollege Fuchs hat es angesprochen. Deutschlandwird mit 2,6 Prozent wieder an der Spitze der Bewegungin Europa liegen.Statt der für dieses Jahr befürchteten Neuverschul-dung von 80 Milliarden Euro liegt sie unter 50 Milliar-den Euro.Statt dass wir erst 2013 oder 2014 die Maastricht-Kriterien wieder einhalten, wie es unsprünglich ange-dacht war, werden wir sie vielleicht schon im nächstenJahr – hoffentlich; wir sind guter Dinge –, auf jeden Fallaber 2012 wieder einhalten.Das sind die Fakten. Deshalb sage ich wirklich aucheinmal in Richtung Opposition: Nehmen Sie diese Fak-ten doch einfach einmal neidlos oder von mir aus auchneidvoll – das ist mir egal – zur Kenntnis, weil die Lagenun einmal so ist.
Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam stolz daraufsein.
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8218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Joachim Pfeiffer
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Dass es so gekommen ist, ist im Übrigen auch nichtgottgegeben. Das ist nicht vom Himmel gefallen, keinZufall und auch keine Selbstverständlichkeit. Es ist inder Tat das Ergebnis einer klugen Politik und eines ver-antwortlichen Handelns von Unternehmen und Arbeit-nehmern in der Krise, dass es in Deutschland eine andereEntwicklung als im übrigen Europa gibt.Schauen Sie sich andere Länder an. Wenn Sie sichSpanien oder die USA anschauen, dann sehen Sie, dassdie Arbeitslosigkeit dort drastisch gestiegen ist. InDeutschland ist das nicht der Fall. Wenn Sie in andereLänder fahren, dann wird Ihnen dort bestätigt, dassDeutschland eine gute Politik macht. Wenn Sie diesnicht tun, weil Sie lieber daheim bleiben und Ihren be-schränkten Horizont pflegen,
dann sollten Sie zumindest auch internationale Expertendazu hören. Fragen Sie einmal den OECD-Generalsekre-tär, der kürzlich auf die Frage, welche Finanz- und Wirt-schaftspolitik er empfehlen würde, gesagt hat: KaufenSie sich ein Flugticket und reisen Sie nach Deutschland.Dort können Sie sehen, wie es gemacht wird.
– Im Gegensatz zu Herrn Özdemir, der mit einem Hub-schrauber vom Stuttgarter Flughafen zu einer Veranstal-tung in Stuttgart geflogen ist, bin ich noch nicht mit ei-nem Hubschrauber geflogen. Ich fahre gerne mit demZug, Herr Kuhn. Es dauert nur acht Minuten vom Stutt-garter Flughafen zum Bahnhof. Man fährt die Streckeschneller mit dem Zug, als man sie mit dem Hubschrau-ber fliegt.
Herr Duin hat das Thema Industriestandort ange-sprochen. Diese Koalition ist eine Koalition des Indus-triestandortes Deutschland. Wir stärken diesen Industrie-standort.
Wir werden die Wertschöpfungstiefe erhalten. Deshalbhaben wir dort, wo es richtig und notwendig war, Kor-rekturen vorgenommen, nämlich bei den energieintensi-ven Industrien, sodass diese hier eine Perspektive haben.
Ich hoffe, wir werden hinsichtlich des indirektenCarbon Leakage und der Frage, wie der Emissionshan-del 2013 aussehen soll, in Deutschland gemeinsam eineStimme erheben – bei der SPD bin ich optimistisch, beiden Grünen eher weniger; die arbeiten in Brüssel näm-lich immer gegen uns – und das in Brüssel umsetzen. Ichsetze aber dabei lieber nicht auf die Grünen. Sie werdendas sicherlich wieder konterkarieren und gegen den In-dustriestandort Deutschland arbeiten.
Diese Koalition ist auch eine Koalition des Wett-bewerbs. Wir werden nämlich jetzt im Telekommunika-tionsbereich, im Postbereich und im Verkehrsbereich mitentsprechenden wachstums- und wettbewerbsorientier-ten Regulierungen für mehr Wettbewerb sorgen. Das ha-ben wir auch im Energiebereich getan, und wir werdenes weiterhin tun.
Diese Koalition ist eine Koalition der Rohstoffsiche-rung. Das ist schon angesprochen worden. Der Wirt-schaftsminister hat dort die Initiative ergriffen, wo indiesem Fall nicht die Politik, sondern die UnternehmenFehler gemacht haben, die sich in falsch verstandenerReduktion auf Kernkompetenzen zurückgezogen haben.Was die Wertschöpfung bei Firmen angeht, die es frühergab, wie Degussa und andere mehr, wurden Fehler ge-macht. Diese Firmen gibt es heute nicht mehr. Wir habenin der Wertschöpfungskette keinen direkten Zugangmehr zu den Rohstoffen. Insofern müssen wir wiederbesser werden und uns engagieren, und dies wahrschein-lich nicht im nationalen Alleingang, sondern gemeinsamauf europäischer Ebene. Denn sonst werden wir weltweitnicht vorankommen, wenn man bedenkt, wie sich beiChina, den USA und anderen Ländern die Gewichte ent-wickeln.Diese Koalition ist auch eine Koalition der Innova-tionen. Wir haben das Zentrale InnovationsprogrammMittelstand nicht nur auf die alten Bundesländer ausge-weitet, sondern die Mittel dafür erhöht, und wir werdenes jetzt auf höchstem Stand verstetigen.
Das könnten Sie in Ihren Wahlkreisen nachvollziehen.Wahrscheinlich sind Sie nie dort, sodass Sie es nichtwissen. In meinem Wahlkreis profitieren die mittelstän-dischen Unternehmen und schaffen neue innovative Pro-dukte und Dienstleistungen. Dort entstehen auch lang-fristig Arbeitsplätze und wettbewerbsfähige Produkte.
Jetzt kommen wir zur Partei der Scheinriesen, denGrünen. Von weitem sehen Sie groß und mächtig auswie bei Lukas, dem Lokomotivführer, in Lummerland:auf den ersten Blick kraftvoll. Aber wenn man näher-kommt, schrumpfen Sie zusammen, Herr Kuhn, undzwar nicht nur auf Normalmaß, sondern auf Kleinstmaß.Sie sind gegen alles – das ist schon angeklungen, aberman kann es nicht oft genug wiederholen –: gegen nach-haltige Verkehrspolitik und Verkehrsinfrastruktur auf derSchiene
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8219
Dr. Joachim Pfeiffer
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und gegen moderne Energiepolitik.Den Vogel schießen Sie mit den Olympischen Spie-len ab.
Dass Sie gegen Skifahren auf künstlichen Hügeln sind,kann man noch belächeln. Aber dass Sie gegen ein Infra-struktur- und Standortprogramm wie die OlympischenSpiele sind, ist unglaublich. Das ist ein Skandal. Es istkurzsichtig, und damit schaden Sie dem StandortDeutschland.
Wir wissen schon lange, dass Sie gegen alles sind.Seit dem Wochenende wissen wir aber auch, wofür Siesind. Das muss man sich in der Tat auf der Zunge zerge-hen lassen, und wir sollten es den Bürgerinnen und Bür-gern in diesem Land auch sagen. Sie wollen den Spitzen-steuersatz erhöhen. Sie wollen die Gewerbesteuerausweiten, statt die Freiberufler zu stärken. Sie wollendie Familienpolitik ändern, indem Sie die kostenloseMitversicherung von nicht berufstätigen Ehepartnern ab-schaffen. Sie wollen das Ehegattensplitting abschaffen,die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, die privateKrankenversicherung abschaffen und vieles mehr.
Ich sage Ihnen, was das für die Leistungsträger in un-serem Land bedeutet. Für einen Polizeivollzugsbeamtenim gehobenen Dienst mit einem Bruttojahresgehalt von54 000 Euro bedeutet das eine monatliche Mehrbelas-tung von 135 Euro. Das sind 1 620 Euro im Jahr. Das istdie leistungsfeindliche Politik, die Sie betreiben.
Für einen Angestellten mit einem Jahresgehalt von66 000 Euro brutto bedeutet dies sogar eine monatlicheMehrbelastung von rund 460 Euro. Das sind pro Jahr5 400 Euro mehr, mit denen Sie die Leistungsträger indiesem Land belasten. Das ist Ihre Politik.
Damit leisten Sie keinen Wachstumsbeitrag; Sie wür-gen vielmehr das Wachstum ab. Wir haben zum erstenMal seit langem in diesem Jahr wieder einen Wachs-tumsbeitrag durch die Binnenkonjunktur. Wenn ihnendas Geld fehlt oder sie Angst haben, werden die Men-schen kein Geld ausgeben und keinen Wachstumsbeitragleisten können. Insofern sind Ihre Politik und Ihre Vor-stellungen leistungsfeindlich, wachstumsfeindlich undfamilienfeindlich.
Wenn es ein Risiko für den Standort Deutschlandgibt, dann sind es neben Griechenland und Irland dieGrünen. Das ist das Wachstums- und Haushaltsrisiko inDeutschland.
Wir werden unseren konsequenten Wachstumskursmit Volldampf fortsetzen.
Dies tun wir zur Not auch ohne die SPD, aber vor allemohne die Grünen.
Damit wird Deutschland wieder dorthin kommen, wo eshingehört, nämlich an die Spitze der Wirtschaft inEuropa.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-logie, in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesenEtat? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich derStimme? – Damit ist der Einzelplan 09 mit den Stimmender Koalition gegen die Stimmen der Opposition ange-nommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:Einzelplan 16Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit– Drucksachen 17/3523, 17/3524 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard Schulte-DrüggelteSören BartolHeinz-Peter HausteinMichael LeutertSven-Christian KindlerDazu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion DieLinke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor, über den wir später namentlichabstimmen werden.
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8220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitagnach der Schlussabstimmung abstimmen werden.Einvernehmen gibt es hoffentlich auch darüber, dassdie Aussprache zu diesem Einzeletat ebenfalls 90 Minu-ten betragen soll. – Dazu gibt es keinen Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst demKollegen Sören Bartol für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst möchte ich mich bei dem Minister und seinemHaus für die guten Haushaltsberatungen und die offenenDiskussionen – auch wenn wir inhaltlich nicht immer ei-ner Meinung waren – bedanken.Wenn heute der Einzelplan 16 in der vorliegendenForm verabschiedet wird, dann hat ein Trauerspiel sei-nen zweiten und wahrscheinlich leider nicht letzten Akterreicht. Dann hat es die Koalition geschafft, unser An-sehen in der Welt zu ramponieren.Die Kanzlerin hat in Kopenhagen zusätzlich420 Millionen Euro jährlich für den internationalen Kli-maschutz zugesagt. Dann hat sie einen Haushalt vorge-legt, der diese Zusage nicht einmal im Ansatz einzuhal-ten versucht. Und heute beschließt Schwarz-Gelb diesenHaushalt. Wer so handelt, der trägt die Verantwortungdafür, dass wir auf internationalen Konferenzen zu Kli-mafragen kein ernst zu nehmender Verhandlungspartnermehr sind.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,sorgten gestern mit dem Haushalt des Entwicklungshil-feministeriums und sorgen heute mit dem Umwelthaus-halt dafür, dass wir bei der bevorstehenden Konferenz inCancún keine Basis haben, um für den Klimaschutz zukämpfen. Wie können wir von anderen Anstrengungenfordern, wenn wir unsere eigenen Zusagen nicht einhal-ten?
Wäre ich der zuständige Minister, dann würde ich michfür das Verhalten meiner Regierung in dieser Frage schä-men. Welch ein Trauerspiel!Trauerspiel ist das richtige Wort auch für die weiterenBereiche des Einzelplans 16. In der ersten Lesung am14. September sagten Sie, Herr Röttgen – ich zitiere –:Wir wollen, dass unser Land, dass Deutschland eineder effizientesten und klimafreundlichsten Volks-wirtschaften der Welt wird. … Das wollen wir auchdurch Energiepolitik erreichen. … Wir machen einenergiepolitisches Einstiegskonzept in erneuerbareEnergien und Energieeffizienz.Wenn Sie das wollen, Herr Minister, frage ich Sie: Wa-rum tun Sie denn nichts dafür? Sie sagen, dass diese Re-gierung den Einstieg in die erneuerbaren Energien will,doch Sie fördern den Umstieg nicht, sondern Sie behin-dern ihn.
Sie senken die Mittel für das Marktanreizpro-gramm. Das Marktanreizprogramm hat im Haushalt2010 eine bewegte Geschichte hinter sich: Kürzung, er-neute Aufstockung, Mittelsperrung und Mittelentsper-rung. Wir haben ausführlich über das Programm unddessen Wirkung gesprochen, auch darüber, dass dort je-der investierte Euro 7 bis 8 Euro von privater Seite mo-bilisiert, dass das Programm hochwirtschaftlich ist.Letztlich haben wir Übereinstimmung erzielt. Sonst wä-ren die Mittel für 2010 nicht freigegeben worden. Washaben Sie daraus für 2011 gelernt? Gar nichts! Sie redu-zieren die Mittel für das Programm um fast 70 MillionenEuro. Zudem haben Sie einzelne Fördersätze und Bonigekürzt sowie die Zahl der förderfähigen Anlagetypeneingeschränkt. Anlagen, die in Neubauten errichtet wer-den, und solarthermische Anlagen fallen nun aus demFörderkatalog. Viele Antragsteller werden so völlig leerausgehen. Das ist doch kein Einstieg. Das ist Teil einesAusstiegs aus der Förderung erneuerbarer Energien.
Die zweite Entscheidung, mit der Sie den Umstieg auferneuerbare Energien behindern, ist die Verlängerungder Laufzeiten von Atomkraftwerken. Es gibt keineneinzigen sinnvollen Grund dafür. Weder die Energiekos-ten noch die Versorgungssicherheit noch der Klima-schutz sind überzeugende Gründe. Der einzig wahreGrund ist, dass Sie den vier großen Stromanbietern dieLizenz zum Gelddrucken verlängern.
Diese Entscheidung haben Sie auch noch in einem Ver-fahren durchgesetzt, das die Rechte des Parlaments igno-riert. Sie befriedigen damit die Gier einzelner Konzerneauf Kosten unserer Sicherheit, auf Kosten der nächstenGeneration, die es nach wie vor mit der völlig ungelös-ten Endlagerfrage zu tun bekommt.
Diesen Eindruck muss auch haben, wer sich die Haus-haltsaspekte dieses Deals ansieht. Die Brennelemente-steuer wird nur befristet, bis 2016, erhoben. Ihre Höhewurde gegenüber dem ursprünglichen Ansatz auf zweiDrittel gedrückt. Die Kosten der sicherheitstechnischenNachrüstung von AKWs werden auf 500 Millionen Eurogedeckelt. Von da an zahlt dann wieder die Allgemein-heit diese nicht abschätzbaren Kosten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8221
Sören Bartol
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Somit bleibt beim Atomdeal nur eine Sache sicher,nämlich der Atommüll. Es gibt weltweit kein einzigesEndlager für stark radioaktiven Abfall. Trotzdem werdendurch die Laufzeitverlängerung zusätzlich 4 500 Tonnenhochradioaktiver Müll in Kauf genommen. Das ist eineTonne für jeden einzelnen Tag der Laufzeitverlängerung.Bei der Suche nach einem Endlager zeigt dieser Haus-halt klar, dass die Regierung einzig und allein Gorlebenim Visier hat. Es soll fast 26 Millionen Euro mehr Mittelfür Gorleben geben. Gleichzeitig kürzen Sie die Mittelzur Erforschung anderer Standorte um 500 000 Euro. Esist besonders auffällig, was im Bereich der Personalstel-len beim Bundesamt für Strahlenschutz geschieht. Dawerden 17 neue Stellen geschaffen, und diese Stellensind ausschließlich für den Bereich des geplanten End-lagers Gorleben gedacht. Dies ist eine unzulässige Fest-legung und Beschränkung. Wir müssen doch alle Res-sourcen für einen offenen Auswahlprozess nutzen. Sonststeuern wir in eine Sackgasse.
– Genau.Ohne Not haben Sie den gesellschaftlichen Konsensin der Frage des Atomausstiegs aufgekündigt. Derjüngste Castortransport hat gezeigt, dass die Menschendies nicht hinnehmen werden. Auch die Auswirkungenfür die erneuerbaren Energien sind fatal. Der Atomstromwird die Leitungen zulasten der erneuerbaren Energienverstopfen; denn Atommeiler lassen sich nicht kurzfris-tig ab- und anschalten, wie Sie wissen. Zu den Verliererndieses Deals gehören die kommunalen Versorger und diekleinen, neuen Energieunternehmen, die in den vergan-genen Jahren in hochmoderne und effiziente Anlagen in-vestiert haben.Wir Sozialdemokraten wollen einen tatsächlichenUmstieg auf erneuerbare Energien. Wir wollen ihn,weil er das Klima schützen hilft, weil er unser Land zu-kunftsfähig macht und weil er über die Schaffung vonArbeitsplätzen und die entsprechende Wertschöpfungden Menschen in unserem Land dient. Dem allen dientdie Umwelt- und Haushaltspolitik dieser Regierungnicht, lieber Herr Minister. Das machen wir nicht mit.Deswegen werden wir diesem schlechten Haushalt na-türlich nicht zustimmen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Schulte-
Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Ich möchte vorausschicken, dass die Regierung einklares, verlässliches und langfristiges Energiekonzepthat, das Orientierung bietet, Herr Kollege Bartol. So vielvorab. Da es sich um eine Haushaltsdebatte handelt,möchte ich nun auf den Haushalt des Umweltministe-riums eingehen.
– Ja, ich mache es.Dieser Haushalt hat ein Gesamtvolumen von 1,6 Mil-liarden Euro. Gegen den Trend hin zum Sparhaushalt isthier eine Steigerung um 3,1 Prozent im Vergleich zu2010 zu verzeichnen. Das ist ein sehr positives Zeichen.
Ich möchte eines ganz klar sagen: Die Ausgaben desUmweltministeriums sind nur eine Teilmenge der Ge-samtausgaben für den Umweltschutz. Diese Teilmengemacht nur 25 Prozent aus. Es ist uns doch völlig klar,dass Umweltschutz eine Querschnittsaufgabe ist unddass auch andere Ressorts einbezogen sind. Wenn wiralle Ressorts zusammennehmen, kommen wir auf einenGesamtbetrag von fast 6,5 Milliarden Euro. Das zeigtdie große Bedeutung, die Umwelt, Klimaschutz undNachhaltigkeit für diese Regierung und für diese Koali-tion haben.
Ich möchte Beispiele bringen. Durch das Wirtschafts-ministerium wird die Forschung zur sparsamen Energie-nutzung gefördert, das Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit stellt fast 1,3 MilliardenEuro für Umweltprojekte zur Verfügung, im Bau- undVerkehrsetat finden sich Ausgaben im Umweltschutzbe-reich von über 1 Milliarde Euro. Sie kennen die großenForschungsprojekte des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung. Viele davon betreffen den Umwelt-bereich. Selbst das Finanzministerium engagiert sich imRahmen des neuen Energie- und Klimafonds. Das ist et-was Neues, etwas Besonderes und zeigt die Zielrichtung,die wir haben.
– Ich habe Sie nicht verstanden. Fragen Sie einfach!
Ich möchte jetzt zum Haushalt kommen und darlegen,in welchen Bereichen es während der Beratungen Verän-derungen gegeben hat. Es gab zwei wesentliche Ände-rungen in den Haushaltsberatungen. Die erste Verände-rung betrifft das World Conference Center in Bonn.Dieses Kongresszentrum soll den VN-Campus ergänzen.Ich möchte ganz klar sagen, auch wenn Sie meinen, dasbestreiten zu müssen, dass sich Deutschland in der Welt-gemeinschaft engagiert. Umgekehrt zeigen auch die Ver-
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Bernhard Schulte-Drüggelte
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einten Nationen eine starke Präsenz in Deutschland, inder Bundesstadt Bonn. Bonn hat sich in den letzten Jah-ren zu einem wichtigen VN-Standort neben Wien undGenf entwickelt. Ich möchte das erläutern: Wir haben25 VN-Büros in Deutschland. Davon sind alleine 18 inBonn. In diesen Bonner Büros arbeiten mittlerweile rund800 Mitarbeiter. Vertreten sind so wichtige Organisatio-nen wie das Sekretariat der Klimarahmenkonvention.Das ist wichtig für unser Land.Der Bund unterstützt die Erweiterung des Kon-gresszentrums. Ich möchte aber jetzt nicht darauf einge-hen, wie es zu der schwierigen Lage in Bonn gekommenist. Die Haushälter waren eindeutig der Meinung, dass eszügig weitergehen muss; denn es handelt sich nicht umirgendein Bauvorhaben. Das ist auch kein lokalpoliti-sches Steckenpferd, sondern es geht um die Stärkung desVN-Standortes Bonn. Der Minister hat eindeutig gesagt:Das World Conference Center ist ein nationales Thema. –Deshalb wurden zusätzliche Mittel bereitgestellt, insge-samt 14 Millionen Euro, davon 4 Millionen Euro ausdem Haushalt des Umweltministers. Internationale Um-weltpolitik ist in unserem nationalen Interesse. Vielleichthätte auch die SPD zustimmen können.
Ich hatte bis jetzt immer gedacht, die Dagegen-Parteiseien die Grünen. Aber in diesem Punkt hat auch dieSPD nicht zugestimmt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kelber?
Ja, selbstverständlich. Ich habe gerade seine Heimat
gelobt.
Sie hatten ein nationales Interesse in meiner Heimat-
stadt gelobt, aber auch ein Lob dieser Stadt wäre gut ge-
wesen. – Ich finde es richtig, dass das Kongresszentrum
unterstützt wird. Es wäre aber fair gewesen, wenn Sie,
Herr Schulte-Drüggelte – ich kenne Sie als fairen Men-
schen –, deutlich gemacht hätten, dass die Haushälter
nicht den Inhalt kritisiert haben, sondern die Tatsache,
dass die Förderung nicht wie vorgesehen aus dem
Einzelplan 60 erfolgt, der dafür geschaffen wurde, son-
dern aus vier Einzelressorts.
Das hätte zur Fairness gehört.
Selbstverständlich ist das ein nationales Ziel, das wirerreichen wollen. Ich habe die Gesamtsumme genannt.Es gibt mehrere Finanzierungsquellen, nämlich das Um-weltministerium, das Auswärtige Amt, das Bundes-ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit undRückflüsse aus Entwicklungsprojekten. Das ist der Zu-sammenhang.Ich wollte nur ein bisschen Zeit haben. Schön, dassSie gefragt haben! So konnte ich es ein bisschen nähererläutern. Herzlichen Dank, Kollege Kelber.
Ich füge hinzu: Selbstverständlich befindet sich dasnicht mehr im Bereich des Umweltministeriums, son-dern – wie die anderen Standorte Genf und Wien – imBereich des Außenministeriums, was auch im Hinblickauf die zukünftige Entwicklung sehr vernünftig ist.Die zweite Veränderung, meine liebe Kolleginnenund Kollegen, betrifft das Projekt Gorleben, die Endla-gerung. Das ist gerade schon angesprochen worden. DerHaushaltsansatz wird von 21 Millionen Euro auf 47 Mil-lionen Euro erhöht. Dafür werden Ausrüstungen be-schafft. Die Erkundung wird – ich will es noch einmalsagen – ergebnisoffen durchgeführt. Es wird erforschtund kein Endlager gebaut, um auch das den Grünen nocheinmal klar zu sagen. Das sind Forschungsmittel.
– Warte doch mal ab!In den Beratungen wurde völlig klar, dass für die Er-forschung zusätzliche Stellen nötig sind. Es handelt sicherst einmal um 19 Stellen im Bundesamt für Strahlen-schutz. Es war auch richtig, dass wir das so beschlossenhaben. Auch die Endlagerung ist eine Querschnittsauf-gabe. Beteiligt ist nicht nur das Umweltministerium,sondern auch das Wirtschaftsministerium. Es geht umGrundlagenforschung zur Langzeitsicherheit.Im Wirtschaftsressort ist die Bundesanstalt für Geo-wissenschaften und Rohstoffe angesiedelt. In dem Be-reich gibt es, bezogen auf Gorleben, zusätzlich zwölfneue Stellen für die geowissenschaftlichen Erkundungs-arbeiten. Auch hierzu möchte ich sagen: Das Stichwortlautet „ergebnisoffen“. Denn neben der Erforschung derEndlagerung in Salzformationen betreibt die Bundesan-stalt auch Forschung in anderen Wirtsgesteinen.
– Ja! – Es gibt eine internationale Zusammenarbeit unteranderem mit Frankreich, der Schweiz und Schweden.
Das zeigt aus meiner Sicht doch eindeutig, dass esglaubwürdig ist, dass hier von einer ergebnisoffenenForschung in Bezug auf die Suche nach einem geeigne-ten Endlager gesprochen wird. Ich halte das auch für ei-nen richtigen Weg.
Es ist nötig, dass ausreichend Personal und eine aus-reichende Mittelausstattung vorhanden sind, damit die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8223
Bernhard Schulte-Drüggelte
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Frage der Endlagerung jetzt beantwortet wird. Es wäreunverantwortlich, wenn wir jetzt nicht nach einer Lö-sung suchen, sondern alles nach hinten schieben würden.Und es wäre verantwortungslos, das auf die nächstenGenerationen abschieben zu wollen. Das wäre eine un-verantwortliche Politik.
– Kommen wir jetzt mal wieder ein bisschen runter!Ich möchte am Ende dieser kurzen Rede zum Haus-halt sagen, dass wir in den Diskussionen, in den Bericht-erstattergesprächen doch überwiegend sachlich und auchüberwiegend zielorientiert waren. An dieser Stellemöchte ich mich als Hauptberichterstatter ganz herzlichauch bei meinen Mitberichterstattern für die Zusammen-arbeit bedanken. Es sind dies, Herr Präsident: Heinz-Peter Haustein, Sören Bartol, Sven Kindler und MichaelLeutert. Ganz besonders möchte ich mich beim Umwelt-ministerium und den Mitarbeitern bedanken.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nächste Woche beginnt in Cancún die Weltklimakonfe-renz. Eine Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit der Bun-desregierung im internationalen Klimaschutz wirdsein, inwieweit sich Deutschland an der Finanzierungvon Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen im glo-balen Süden beteiligt. Sie wissen, bis 2020 sollen dafürmindestens 100 Milliarden Dollar von den Industriestaa-ten in die Entwicklungsländer fließen. 2010 werden nunin diesem Land rund 350 Millionen Euro auf die Kopen-hagen-Zusage zum Waldschutz angerechnet. Diese Gel-der sind aber bereits auf der Biodiversitätskonferenz inBonn 2008 für den Schutz der biologischen Vielfalt ver-sprochen worden. Es wird also doppelt angerechnet.Insgesamt gab es in diesem Jahr nur 70 Millionen Euro– ich sage es jetzt einmal so – frisches Geld; und für2011 und 2012 sollen diese mageren 70 Millionen Eurosogar ganz gestrichen werden.Dann zu Herrn Niebel:
Es ist schlimm, dass der EntwicklungshilfeministerNiebel die Zusage für die Unterstützung des ITT-Pro-jektes in Ecuador zurückgezogen hat.
Die Regierung hat dort im August dieses Jahres einenFonds für den Yasuní-Nationalpark eingerichtet. Er hatzum Ziel, die Regenwälder zu erhalten und das Öl imBoden zu lassen. Alle Bundestagsfraktionen hier in die-sem Hause hatten dieses Projekt bislang unterstützt. Undjetzt? Herr Niebel gibt ihm den Dolchstoß.Dann kommen wir zur Klima-Kompensation derDienstreisen der Abgeordneten. Wir haben im Um-welt- und auch im Verkehrsausschuss lange dafür ge-kämpft, dass die Klimaschäden, die dadurch entstehen,dass Abgeordnete irgendwohin fliegen, durch Klima-schutzprojekte im globalen Süden kompensiert werden.Jetzt steht das ganze Vorhaben schon wieder vor demAus. Wir haben lange dafür gebraucht, dass diese Kom-pensation stattfindet. Schade, wirklich schade!
Auf der einen Seite will die Koalition am liebsten jeg-lichen Klimaschutz in den Emissionshandel pressen, oftin Systeme mit höchst zweifelhaftem Nutzen für denKlimaschutz. Auf der anderen Seite aber kappen Sie imZusammenhang mit dem Emissionshandel genau an denProjekten mit der höchsten ökologischen und sozialenGlaubwürdigkeit, nämlich bei Projekten mit dem „GoldStandard“, den zum Beispiel auch die Projekte von At-mosfair erhalten haben. Durch die Kompensation desjährlichen Treibhausgasausstoßes von rund 166 000Tonnen der von diesem Haus durchgeführten Flüge wer-den im Moment zwei sehr sinnvolle Projekte in Indienfinanziert. Das eine hat zum Ziel, zusätzliche Solarlam-pen im ländlichen Raum zu verteilen. Das spart Lam-penöl und CO2. In dem anderen wurde dank der deut-schen Gelder die Möglichkeit geschaffen, Senfernterestezu verwerten, was ebenfalls den CO2-Ausstoß mindert.Aber damit soll jetzt Schluss sein. Der Bundestag, derMilliarden für Rüstung und Straßenbau verpulvert – dagibt es ja noch einiges mehr –, kann nicht einmal 4 Mil-lionen Euro zusammenkratzen, um seine eigenen Dienst-reisen klimaneutral zu stellen. Ich halte das wirklich fürpeinlich.
Gleichzeitig verzichten Sie auf Einnahmen in Milliar-denhöhe – das sollten Sie sich anhören! –, und zwar ineinem Bereich, in dem es die großen Stromkonzernetreffen würde. Das kann man den Leuten, die diese De-batte jetzt gerade vor dem Fernseher verfolgen, nicht oftgenug sagen. So ist die gerade beschlossene Abschöp-fung von Sondergewinnen aus der AKW-Laufzeit-verlängerung einfach ein Witz. Die Atomkonzerne kas-sieren dank der Laufzeitverlängerung über die Jahrezusätzlich zwischen 78 Milliarden Euro und 114 Milliar-den Euro. Nach den Plänen der Bundesregierung sollweniger als die Hälfte davon abgeschöpft werden,
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Eva Bulling-Schröter
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vielleicht auch nur ein Drittel. Mal schauen, wie dienoch tricksen!Die Atomkonzerne – das wissen wir alle; das ist be-kannt in diesem Lande – sind ja findig. RWE will nochin diesem Jahr die Hälfte der 193 Brennelemente vonBiblis B austauschen. Der Konzern will damit schlichtdie Brennelementesteuer umgehen, die zum 1. Januar2011, also im nächsten Jahr, in Kraft tritt. RWE spart da-durch 280 Millionen Euro. Kein Wunder, dass andereAtomkonzerne nun Ähnliches vorhaben! Vielleicht istdas aber die „Unterstützung des Mittelstandes“, wie dieCDU/CSU das immer nennt.280 Millionen Euro durch einen Steuertrick, von demdie Bundesregierung vorher gewusst haben muss – ihrhabt es gewusst! –,
das ist ungefähr so viel, wie Deutschland 2011 den Ent-wicklungsländern für Klimaschutz und Anpassung zurVerfügung stellen will. Hätten Sie die AKW-Milliardendafür verwenden können, dann hätte es tatsächlich fri-sches Geld gegeben statt nur recycelter Zusagen.
Das Trauerspiel um die Besteuerung der Kraftwerks-betreiber muss jetzt endlich ein Ende haben. Deshalb for-dert die Linke, endlich jene Extraprofite abzuschöpfen,die die Konzerne aus den Preiseffekten des Emis-sionshandels ziehen. Dabei geht es nicht nur um dieAKW-Betreiber, sondern auch um die Kohlekraftwerks-betreiber. Es geht da nicht um Peanuts. Alle zusammenkassieren durch die kostenlose Vergabe von Emissions-rechten zig Milliarden Euro, und zwar leistungs- und ri-sikolos. In der zweiten Handelsperiode 2008 bis 2012 sol-len es rund 35,5 Milliarden Euro, also rund 7 MilliardenEuro pro Jahr, sein. Dieses Geld könnte man sehr sinnvollfür soziale und ökologische Projekte einsetzen. Auch aufdem Gebiet der Bekämpfung des Klimawandels – Stich-wort „Kompensation“ – wäre vieles möglich. Aber Siemachen den Konzernen Geschenke. Das ist Ihre Strate-gie, und die verfolgen Sie weiter.
Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Verehrte Gäste auf den Tribünen!Zuerst ein herzliches Dankeschön an das Ministeriumvon Umweltminister Röttgen! Er führt es sehr kompetentund sorgt dafür, dass es vorwärts geht in diesem Lande.
Der Haushalt 2011 umfasst nur 1,635 MilliardenEuro. Das sind 45 Millionen Euro mehr als in diesemJahr – und das trotz der Schuldenbremse. Das heißt, wirbekennen uns zum Sparen. Aber dort, wo es notwendigund dringend ist, machen wir mehr.
Wer aber denkt, diese 1,635 Milliarden Euro seien al-les, der irrt. Es ist ein Querschnittshaushalt: In weite-ren fünf Ministerien wird die Summe von rund 5 Mil-liarden Euro für den Umweltschutz bereitgestellt. Dazukommen Kredite der KfW und ERP-Mittel von 2,5 Mil-liarden Euro. Alles in allem werden für diesen Bereich inunserem Haushalt also 9 Milliarden Euro bereitgestellt.Ich meine, das kann sich sehen lassen.
Der Haushalt des Ministeriums für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit gliedert sich in einenStammhaushalt mit Mitteln in Höhe von 1,142 Milliar-den Euro und in einen weiteren Haushalt mit Mitteln fürden Endlagerbereich in Höhe von 497 Millionen Euro.Hier hat es einen Aufwuchs von 129,7 Millionen Eurogegeben. Hierfür werden also 35,5 Prozent mehr zurVerfügung gestellt; denn es ist wichtig, sich der Endla-gerproblematik zu widmen.Gerade auf diesem Gebiet herrschte zehn Jahre langStillstand.
Rot-Grün hat sich hinter einem Moratorium verstecktund unverantwortlicherweise nichts getan.
Jetzt gibt es endlich einen Minister, der sagt: Es geht los.
Wir machen etwas und suchen ein Endlager; denn das istwichtig. Wir stellen dafür 129 Millionen Euro mehr zurVerfügung und versuchen, ergebnisoffen vorzugehenund ein Endlager in Gorleben oder woanders zu finden.
Ich persönlich meine, wir sollten einmal darübernachdenken, ob es sinnvoll ist, ein europäisches Endla-ger zu finden und zu betreiben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8225
Heinz-Peter Haustein
(C)
(B)
– Das ist ein Gedankenanstoß. Ein europäisches Endla-ger unter Einbeziehung von Russland! Gut zuhören,meine sehr verehrten Damen und Herren!
Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Vogt von der SPD-Fraktion?
Bitte schön.
Herr Kollege, ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen
bekannt ist, wer im Jahr 2006 verhindert hat, dass der
Vorschlag von Bundesumweltminister Gabriel in der
Großen Koalition, die Suche nach alternativen Endla-
gern fortzusetzen, umgesetzt wurde. Ist Ihnen bekannt,
dass insbesondere die damaligen Ministerpräsidenten
Oettinger und Stoiber dagegen Sturm gelaufen sind?
Das ist mir bekannt. Doch es war richtig, festzustel-
len, dass man ein Gesamtkonzept braucht. Seitens der
Länder sollte man sich nicht auf die Bundesregierung,
die Bundesminister einschießen. Was Sie hier vorbrin-
gen, ist kein Argument.
– Ich möchte mit meiner Rede fortfahren.
Wir sind gerade bei den Kernkraftwerken. Hier
wurde gesagt, es sei unverantwortlich, dass wir sichere,
gute Kernkraftwerke weiter betreiben. Ich nenne Ihnen
reine Zahlen: Es gibt weltweit 436 Kernkraftwerke;
29 sind im Bau, 120 in Planung.
Sie wollen die zwölf sichersten Kernkraftwerke der Welt
abschalten und das Volksvermögen zum Fenster hinaus-
schmeißen. Das machen wir nicht mit!
Ich möchte kurz auf das Marktanreizprogramm ein-
gehen; Sören Bartol hat es angesprochen. Das Marktan-
reizprogramm wurde von Herrn Gabriel installiert. Es
war so aufgebaut: Die Erlöse aus dem Verkauf von CO2-
Emissionszertifikaten wurden genommen, um das
Marktanreizprogramm zu speisen, über das sinnvolle
Projekte finanziert werden.
So war es bis jetzt. Wir haben im letzten Jahr diese un-
sägliche, sehr variable, unzuverlässige Speisung aufge-
geben. Wir haben gesagt: Das Marktanreizprogramm
wird direkt aus den allgemeinen Steuereinnahmen finan-
ziert.
Es ist nämlich besser, ein Marktanreizprogramm auf
Granitfüße zu stellen als auf tönerne Füße wie vorher bei
Rot-Grün.
Liebe Freunde, ich komme zum Thema Naturschutz.
Für uns ist Naturschutz sowieso Herzenssache.
Wir haben einen Titel „Artenvielfalt“ geschaffen:
15 Millionen Euro für den Erhalt der Artenvielfalt. Auch
das gehört dazu.
Sie sehen also: Alles in allem betreiben wir mit Ver-
nunft und Weitblick eine gute Politik, auch im Bereich
des Umwelt- und Naturschutzes. Wir tun alles, damit un-
sere Kernkraftwerke noch sicherer werden.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzge-
birge.
Das Wort hat nun Dorothea Steiner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habePost vom Deutschen Atomforum gekriegt: „Über17 Brücken musst du gehen.“ Im Text heißt es:Gut, dass wir in Deutschland 17 verlässliche undbelastbare Kernkraftwerke haben, die eine sichereBrücke in die Energiezukunft bilden!Ein Satz, drei Lügen. Zudem missbraucht diese Karteaus der Fälscherwerkstatt der Atomindustrie
schamlos das Copyright von Peter Maffay.
Ich will Ihnen einmal sagen, was die Lügen sind:Erstens: „17 verlässliche … Kernkraftwerke“. Krüm-mel usw. verlässlich?Zweitens: „sichere Brücke in die Energiezukunft“. Si-cher? Voll gelogen.
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8226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dorothea Steiner
(C)
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Drittens: „Gut, dass wir … Kernkraftwerke haben“.Voll gelogen! 70 Prozent der Bevölkerung sind der Mei-nung, dass man die Atomkraftwerke abschalten undohne Atomkraft auskommen sollte.
All das ist Täuschung, genau wie die Ankündigungvon Angela Merkel und ihrem Knappen, dem Atom-minister Röttgen, mit ihrem Energiekonzept und ihrenAtomgesetzen eine Energierevolution einzuleiten. HerrRöttgen, das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen uns nurIhren Umwelthaushalt anzusehen: Es ist kein Haushalt,der die erneuerbaren Energien nach vorne bringt, son-dern ein Atomhaushalt.
Der Programmhaushalt des BMU wird massiv gekürzt.Der Atom- und Endlagerbereich wird auf fast ein Drit-tel des Gesamtetats gesteigert.Man muss Ihre Zahlen auseinandernehmen. Währenddie Ausgaben für den Betrieb des Standorts Gorlebenmit 21 Millionen Euro auf bisheriger Höhe bleiben, sind26 Millionen Euro allein für die Erkundung vorgesehen.Es ist völlig überzogen, so viel Geld vorzusehen, umeine Strecke aufzufahren. Es ist Beleg dafür, dass hiernicht mehr erkundet, sondern gebaut wird. Was soll ichdazu anderes sagen als „Schwarzbau“, Herr Röttgen?
Natürlich wird die GRS, die Gesellschaft für Anla-gen- und Reaktorsicherheit, in Millionenhöhe subven-tioniert. Ihr wird die Sicherheitsanalyse für Gorleben zu-geschoben, damit unter Leitung des AtommanagersThomauske das gewünschte standortspezifische Ergeb-nis herauskommt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flachsbarth?
Ich möchte noch einen Satz sagen, danach gerne. –
Herr Röttgen, vom Bundesamt für Strahlenschutz hätten
Sie es preiswerter und vor allem wissenschaftlich objek-
tiver bekommen.
Bitte schön, Kollegin Flachsbarth.
Frau Kollegin Steiner, das Argument des Schwarz-
baus ist ja ein wunderschönes, durch vielfache Wieder-
holung wird es aber nicht wirklich besser. Ist Ihnen be-
kannt, dass der Bundesgerichtshof in den Jahren 1990
und 1995 höchstrichterlich festgestellt hat, dass die Er-
kundung des Salzstocks Gorleben erstens nach Berg-
recht so höchstrichterlich sanktioniert wird und zweitens
auch die Dimensionierung der Schächte und der Stre-
cken aus bergbautechnischen Gründen so rechtlich ange-
messen und völlig in Ordnung ist?
Sollte Ihnen das bekannt sein, schließe ich die Frage
an: Wie sieht das Demokratie- und Rechtsstaatlichkeits-
verständnis der Grünen aus, wenn sie diese Gerichts-
urteile ignorieren?
Sollte auch das an Ihnen vorbeigehen, lautet meine
Frage: Warum hat Herr Bundesumweltminister Trittin zu
der Zeit, zu der er Minister war und die Möglichkeit
hatte, dieses Erkundungsbergwerk endgültig stillzule-
gen, aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht ebendieses
getan?
Frau Kollegin Flachsbarth, selbstverständlich ist mirdiese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bekannt.Sie haben die Daten genannt. Letztes Datum: 1995. Ichhabe von den jetzigen Erkundungen gesprochen und ge-sagt, dass diese Art von Erkundung mit dieser immensenSumme nur bedeuten kann, dass das ein Ausbau ist.
– Lassen Sie mich doch einmal antworten! – Wenn ichzu diesem Vorhaben „Schwarzbau“ sage, dann möchteich Sie auch daran erinnern, dass dieses Unternehmennach Urururaltbergrecht statt nach Atomrecht stattfindet.Wenn wir uns darüber streiten, ob das Erkundung oderBau ist, darf ich diese Frage wohl aufwerfen. Ganz abge-sehen davon ist es eine Täuschung, wenn man nach demBergrecht von 1983 vorgeht, weil das Bundesumweltmi-nisterium danach so behandelt wird, als würde es als Un-ternehmer Salz abbauen und nicht ein atomares Endlagererkunden und bauen wollen.Von daher ist das sicherlich keine Missachtung desBundesgerichtshofs und demokratischer Prinzipien, son-dern ich konstatiere eher, was sich vor unserer Nase bzw.unter unseren Füßen in Gorleben gerade abspielt.
Deswegen halte ich den Begriff „Schwarzbau“ aufrecht.Ich kann leider nicht nur auf Gorleben eingehen; dennich muss – das ist das Problem – auch noch etwas zumRest des Haushalts sagen. Eines muss ich aber noch auf-greifen: Angesichts dieser Fakten und Zahlen betonenSie hier die angebliche Ergebnisoffenheit. Ich sage: Fürmich lässt sich aus den Zahlen ableiten, dass das über-haupt nicht ergebnisoffen ist. Das ist die vorzeitigeSchaffung von Fakten. Deswegen wollen wir diese31 Millionen Euro voll aus dem Haushalt herausstrei-chen.
Ihr nächster Streich im Zusammenhang mit Atom-kraft und Energie: Das Sondervermögen Energie- und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8227
Dorothea Steiner
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Klimafonds, das Sie hier als innovativ preisen, ist nichtsanderes als ein PR-Gag, um die Milliardenprofite derAtomkonzerne zu legitimieren. Das hat auch noch denschönen Nebeneffekt, dass sonstige, normale Ausgabenaus dem Programmhaushalt des Umweltministeriumselegant verschoben werden können.
Die Beteiligung der Atomkonzerne an diesem Fonds istlächerlich.
– Danke. Streiten wir uns darüber, wer hier lächerlich ist.Ich würde sagen: Argumentieren wir lieber!Auch an anderen Punkten, zum Beispiel bei der Ener-giesteuer, haben sich der Umwelt- und der FinanzministerAusnahmen und Zugeständnisse abverhandeln lassen. Sieverzichten auf die ökologische Lenkungswirkung. Diebrauchen sie nicht. Die wollen sie nicht.Noch eine kleine Bemerkung zur Brennelemente-steuer, auch wenn das nicht den Einzelplan 16, sondernden Einzelplan 12 betrifft; aber das gehört ja zum Be-reich des Umweltministeriums. Daran können Sie genausehen, wie das funktioniert hat: Erst 3,1 Milliarden Euro,dann 2,3 Milliarden Euro, und jetzt ist man bei 1,5 Mil-liarden Euro angekommen. Davon sind noch mindestens300 Millionen, vielleicht auch 400 Millionen Euro abzu-ziehen, weil die Kommunen die ausfallende Gewerbe-und Körperschaftsteuer vom Bund zurückerstattet habenwollen. Lächerlich! Wie ein Bettvorleger! Wie ein zahn-loser Tiger! 1 Milliarde bei 70 Milliarden Euro Nettoge-winn der Atomwirtschaft!
Noch eine kurze Bemerkung: Wenn es nicht um dieGroßen, sondern um die Kleinen geht, zum Beispiel beider Fernwärme, kürzen Sie ohne Vorwarnung. Damitverursachen Sie eine massive finanzielle Belastung beiden Millionen kleiner Privathaushalte, die Fernwärmebeziehen. Genauso verzichten Sie auf eine Aufstockungdes Marktanreizprogramms. Wir wollen 160 Millio-nen Euro. Das wäre eine echte Mittelstandsförderungund keine Förderung der Großen. Aber auch das wollenSie nicht. Die Großindustrie steht Ihnen näher und liegtIhnen mehr am Herzen.Deswegen kann ich nur sagen: Wir können nicht an-ders, als diesen Haushalt abzulehnen. Wir haben einenökologischen und modernen Gegenentwurf vorgelegt. Erist nicht nur solide gegenfinanziert, sondern er zeigtauch, wie wir ohne die teuren und wackligen Atom-brücken einer zukünftigen Versorgung mit 100 Prozenterneuerbaren Energien näher kommen; denn dahin wol-len wir.Vielen Dank.
Jetzt folgt eine Kurzintervention der Kollegin
Enkelmann.
Frau Kollegin Steiner, ich gebe gerne zu, auch wir
DDR-Bürger haben uns damals gefreut, als Peter Maffay
das Lied „Über sieben Brücken“ gesungen hat. Er hat
dies allerdings, ein Jahr nachdem die DDR-Band Karat
diesen Titel herausgebracht hat – der Text ist von
Helmut Richter –, getan.
Im Übrigen hat Karat 1984 für diesen Titel in der
Bundesrepublik die Goldene Schallplatte bekommen.
Daher sollten wir darauf hinweisen: Das Copyright liegt
bei der Band Karat, die heute noch erfolgreich ist.
Nun Frau Kollegin Steiner zur Erwiderung.
Sie haben natürlich recht. Wir wollen das Licht der
Band Karat sozusagen nicht unter den Scheffel stellen.
Angesichts der recht perfiden Anspielung des Atom-
forums ist es mir besonders wichtig, festzustellen, dass
es im Lied heißt:
Über sieben Brücken musst du gehen, sieben
dunkle Jahre überstehen …
Und dann:
Aber einmal auch der helle Schein …
Jetzt kommt uns die Atomindustrie mit 17 Brücken in
ihre atomare Zukunft. Das finde ich einfach perfide.
Nun hat Bundesminister Röttgen das Wort. – Bitteschön.Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Enkelmann, ich muss gestehen, Siehaben den Anfang meiner Rede vorweggenommen.
Aber das ist eine Kooperation, die ich durchaus akzep-tiere.
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8228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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Frau Kollegin Steiner, Sie haben sich nicht nur beidem Lied ein bisschen geirrt, sondern bei Ihnen sindauch Entscheidungen des BGH und des Bundesverfas-sungsgerichts ein wenig durcheinandergekommen. Dasübersehe ich mit einer gewissen Großzügigkeit. Ichhoffe aber, dass Ihr Beitrag nicht repräsentativ für denumweltpolitischen Anspruch Ihrer Fraktion ist. Das warnämlich inhaltlich nichts; Ihre Argumente waren nichtstichhaltig.
Das war eine alte Schallplatte mit vielen falschen Argu-menten.
Ich will versuchen, zu einer Versachlichung der um-weltpolitischen Debatte zurückzukommen.
– Ich glaube, wer Ihrer Rede genau zugehört hat, derweiß, dass Sie das eine oder andere Argument gut ge-brauchen können.Ich möchte einmal der Frage nachgehen – das istdurchaus ein roter Faden in unserer haushaltspolitischenDebatte –, was der Beitrag der Umwelt- und Klimapoli-tik und der erneuerbaren Energien zu Wachstum undwirtschaftlicher Entwicklung in unserem Land ist. DieFrage, was Klima- und Umweltschutz, erneuerbareEnergien und Energieeffizienz schon heute zur wirt-schaftlichen Entwicklung, zur Wertschöpfung und zurtechnologischen Entwicklung in unserem Land beitra-gen, ist eine der wichtigen Fragen, deren Beantwortungauch für unser wirtschaftspolitisches Grundverständnishinsichtlich der Entwicklung in den nächsten Jahren ab-solut entscheidend sein wird.Zunächst möchte ich ein paar Zahlen präsentieren.Diese Zahlen sprechen fern jeder politischen Wertungeinfach für sich.Das Weltmarktvolumen der Umwelttechnologien be-trägt in diesem Jahr rund 1,5 Billionen Euro. Es wirdsich in den nächsten zehn Jahren sicher auf über3 Billionen Euro verdoppeln. Unser Land mit seinen In-genieuren hat den relativ größten Weltmarktanteil mit16 Prozent.
Das ist ein Volumen von umgerechnet 224 MilliardenEuro. Der Erfolg drückt sich inzwischen auch in derZahl der Arbeitsplätze aus.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber aufregen.Man kann sich doch auch einmal darüber freuen, wennunser Land erfolgreich ist. Warum müssen Sie sich im-mer darüber empören?
Es macht Sie nicht sympathischer und Ihre Position nichtüberzeugender, wenn Sie missgünstig die Fakten igno-rieren, die den Erfolg unseres Landes zeigen.
Inzwischen sind 1,8 Millionen Arbeitsplätze in dieserBranche entstanden, darunter 340 000 Arbeitsplätze al-lein im Bereich der erneuerbaren Energien. Das zeigt dasdynamische Wachstum der Arbeitsplätze in diesen Be-reichen.
Alle Untersuchungen gehen davon aus, dass sich in dennächsten Jahren dieses Wachstum bei den Arbeitsplät-zen, gerade was die grünen Dienstleistungen betrifft, mitder Schaffung von mehreren 100 000 Arbeitsplätzenweiter dynamisch gestalten wird.Es sind enorme internationale Weltmarktanteile, diewir auch im Export von Umweltschutzgütern halten.Hier betragen die Anteile zwischen 5 und 30 Prozent.Insbesondere umweltfreundliche Energieerzeugung,Trennung und Verwertung von Abfall sind unsere Kern-kompetenzen.Trotz Wirtschaftskrise sind in der Branche der erneuer-baren Energien im letzten Jahr über 20 Milliarden Euroin die Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in-vestiert worden. Das heißt, selbst in Krisenzeiten, inwirtschaftlichen Rezessionszeiten sind die Investitionenin die Branche der erneuerbaren Energien ein Wachs-tumstreiber gewesen. Das ist etwas, was wir hervorhe-ben sollten.Ich komme zum Thema Materialeffizienz. Die Deut-sche Materialeffizienzagentur schätzt, dass die Material-kosten der deutschen Wirtschaft um rund 100 MilliardenEuro – das sind 20 Prozent – sinken könnten. Hier liegtalso ein großes Potenzial der Kostensenkung.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage desKollegen Fell?Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Nein, im Moment nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8229
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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Die Materialkostenanteile im produzierenden Ge-werbe belaufen sich auf rund 46 Prozent; die Lohnan-teile liegen bei unter 20 Prozent. Das heißt, hier Effi-zienzpotenziale zu heben, bedeutet eine Kostensenkungfür die Wirtschaft.
Genauso zeigt sich das bei den Patentanmeldungen,die ja Ausdruck der technologischen Leistungsfähigkeitsind. 23 Prozent aller vom Europäischen Patentamt jähr-lich erteilten Patente im Umwelt- und Energiesektor ent-fallen auf deutsche Unternehmen. Man könnte die Listemit Biogasanlagenherstellern, Umwelttechnik und ande-ren Elementen fortsetzen.Meine Damen und Herren, ich trage das deshalb vor,um mich einer Frage zu nähern, nämlich: Wie viel Um-weltpolitik können wir uns wirtschaftlich leisten? Ichfinde, dass die genannten Zahlen belegen, dass dieseFrage schon im Ansatz falsch gestellt ist.
Die Antwort und These lautet: Wir können es uns wirt-schaftlich nicht leisten, auf Umweltpolitik zu verzichten.
Das ist die Linie unserer integrierten Umwelt- undWirtschaftspolitik. Das ist eben der Unterschied: Wäh-rend Sie offensichtlich geistig immer noch in irgendwel-chen Schützengräben sind, hat diese Koalition den Wi-derspruch und Antagonismus hinsichtlich Ökonomieund Ökologie endgültig hinter sich gelassen.
Ökonomie kann nur erfolgreich sein, wenn wir ökolo-gisch verantwortlich handeln. Das ist der Punkt.Die richtige Frage muss lauten: Wie müssen wir Um-weltpolitik gestalten, damit wir auch in Zukunft wirt-schaftlich an der Spitze bleiben? Ich glaube übrigens,das ist eine wesentliche politische Wettbewerbsfrage.Auch an dieser Stelle sage ich: Es wird nicht mehr langedauern, bis sich die Bürgerinnen und Bürger die Partei-tagsbeschlüsse durchlesen werden, die Sie auf IhremGrünen-Parteitag gefasst haben. Da gibt es ja nicht nurdie Peinlichkeit des Olympia-Beschlusses, den Sie ge-fasst haben; vielmehr zieht sich das geistige Niveau desOlympia-Beschlusses durch Ihr ganzes energiepoliti-sches Programm.
Das ist nicht finanzierbar. Das ist kein Wachstumstrei-ber. Sie schaffen es eben nicht, Ihren – von mir aus –umweltpolitisch guten Willen mit wirtschaftlicher Ver-nunft zu verknüpfen.
Sie haben gerade wieder in Ihren Beschlüssen bewiesen,dass Sie beides noch nicht zusammengebracht haben.
Wir hingegen machen das konsequent; denn das istdas Markenzeichen dieser Koalition. Wir haben einEnergiekonzept mit einer klaren Orientierung verab-schiedet. Überhaupt muss es ein Energiekonzept geben;denn man kann keine Energiepolitik machen, wenn sienicht langfristig gedacht ist.
Wir haben klare Ziele, und die Ziele, die wir uns in die-sem Energiekonzept gesetzt haben – deshalb habe ichdie Zahlen vorgetragen –, sind an den Wachstumsmög-lichkeiten und Potenzialen orientiert, die in Effizienzund in erneuerbaren Energien liegen.Darum sagen wir: 80 Prozent erneuerbare Energien.Darum sagen wir: mindestens 80 Prozent CO2-Reduzie-rung. Darum sagen wir: 50 Prozent Energieverbrauchs-reduzierung durch Effizienzpotenziale.
Die Fortsetzung dieses wirtschaftlich erfolgreichen Kur-ses durch Umwelt- und Klimapolitik ist Ausdruck undInhalt unseres Energiekonzepts.
Wir setzen das aber nicht nur in der Energiepolitikdurch, sondern wir machen es auch auf anderen Gebie-ten. Ich nenne die biologische Vielfalt. Ich glaube, Kol-lege Haustein ist darauf schon eingegangen. Von biolo-gischer Vielfalt haben Sie auch immer viel geredet,
Sie hatten ja grüne und sozialdemokratische Bundes-minister. Aber diese Koalition war die erste, die ein Bun-desprogramm Biologische Vielfalt etabliert und mit15 Millionen Euro ausgestattet hat.
Das ist jetzt zum ersten Mal geschehen; Sie haben esnicht gemacht.
Wir haben gemeinsam die Konferenz zur biologi-schen Vielfalt in Nagoya zu einem Erfolg gebracht. Dasheißt, nationale und internationale Politik gehen Hand in
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8230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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Hand. Wir sind auch deshalb international erfolgreich,weil wir national glaubwürdig handeln.
Das ist übrigens eine Gemeinsamkeit, die sich über Jahreentwickelt hat; ganz viele Umweltminister haben daranmitgewirkt.Genauso wird es bei der Klimakonferenz sein, zu derwir Anfang Dezember aufbrechen werden. Auch im Be-reich Klimaschutz setzen wir diese Politik fort; dennauch hier geht es um die Endlichkeit von Ressourcen.Man kann es sich wie folgt vorstellen: Jedes Land, ins-besondere die Industrieländer, haben ein begrenztesBudget an CO2-Emissionen zur Verfügung. Wenn wirdieses Budget überschreiten – es macht ungefähr 10 bis15 Prozent unserer heutigen CO2-Emissionen aus –, wer-den wir die Erderwärmung nicht unter Kontrolle halten.Das ist unsere nationale Politik; diese müssen wir inter-national flankieren. Dem gilt unser voller Einsatz alsdeutsche Bundesregierung und als Koalition.
Es geht nicht nur um irgendwelche Zahlen, irgend-welche Technologien, sondern um den grundlegendenTransformationsprozess von der ressourcenverbrauchen-den, energieverbrauchenden, CO2-emittierenden Wirt-schafts- und Lebensweise zu einer ressourceneffizienten,energieeffizienten, CO2-sparsamen Wirtschafts- und Le-bensweise. Diesen Prozess gestalten wir für unser Land.
Wir wollen und werden dies – diesen Gedankenmöchte ich noch anfügen – weiter in das Konzept sozia-ler Marktwirtschaft einbinden. Darum war es richtig, diePhotovoltaikförderung, die staatliche Vergütung zu sen-ken. Denn die Branche ist erfolgreich, und die Preisesind gefallen. Diese Senkung ist Teil der Einbindung insoziale Marktwirtschaft.Ich sage all denen, die jetzt Strompreiserhöhungenmit den Kosten durch erneuerbare Energien begründen:Lesen Sie sich die Anmerkungen des Präsidenten derBundesnetzagentur durch. Erneuerbare Energien und de-ren Einspeisevorrang sorgen dafür, dass die Großhan-delspreise sinken. Darum sind die erneuerbaren Energienund ihre Förderung keine angemessene Begründung fürStrompreiserhöhungen. Das möchte ich an dieser Stelleausdrücklich sagen.
Gerade durch die erneuerbaren Energien entstehen Ge-winnmargen.Abschließend möchte ich sagen: Neben der Einbet-tung in soziale Marktwirtschaft müssen wir selbstver-ständlich für die demokratische Akzeptanz sorgen. Hierdenke ich an den Leitungsausbau. Ich glaube, dass Ak-zeptanz entscheidend mit der Bereitschaft zum Dialogund mit der Erfüllung einer Begründungspflicht der Poli-tik zusammenhängt. Wir stehen in der Pflicht, Infra-strukturprojekte zu begründen. Leitungsausbau ist miterneuerbaren Energien verknüpft; das müssen wir denLeuten sagen. Wer auf erneuerbare Energien umsteigenwill, wer CO2-Einsparungen erreichen will, muss denLeitungsausbau akzeptieren. Beides gehört zusammen;man kann es nicht voneinander trennen.
Dazu gehört auch, die Folgen der Energienutzung derVergangenheit und der Brückentechnologie zu begrün-den und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ichnenne das Stichwort Gorleben. Herr Trittin hatte recht,als er gesagt hat: Es gibt keinen vernünftigen Grund, ge-gen das Zwischenlager Gorleben zu demonstrieren; dennes ist die Aufnahmestätte für genutzte Brennelemente,deren Nutzung politischem Willen entsprochen hat.
Mit dieser These hatte er völlig recht. Jetzt soll er auchdazu stehen.Genauso stehen wir in der Verantwortung – das sagenauch Sie –, eine sichere Endlagerstätte zu finden. Esmuss ermittelt werden, ob Gorleben geeignet ist odernicht. Das muss im Dialog und transparent geschehen.Das muss und wird rechtsstaatlich geschehen. Ich binselbstverständlich zu diesem Dialog bereit.
Ich sehe mich in der Pflicht, diesen Dialog zu führen,und ich möchte diesen Dialog führen. Darum werde ichheute in einer Woche nach Gorleben reisen, den Dialogvor Ort führen, die Kritik entgegennehmen und mir diedifferenzierten Argumente anhören. Dieser Dialog findetnicht nur an einem Tag statt, sondern es wird der Beginneines Dialogprozesses sein, den Sie schon lange hätteneinleiten können.
Fordern Sie nicht von uns, was Sie selber nicht er-bracht haben. Dialog ist ein Instrument demokratischerWillensbildung. Wir haben eine Bringschuld. Im Stil undin der Sache müssen wir diese zukunftsweisende Politikbegründen. Der Punkt ist: Wir können es begründen.Denn wir machen keine ideologisch motivierte Energie-politik,
sondern eine Energie-, Klima- und Umweltpolitik, diedie Natur schont und daraus ein wirtschaftliches Wachs-
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Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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tumsprogramm entwickelt. Das sind unser Anspruch undAnsatz in der Umwelt- und Klimapolitik.Danke sehr.
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Hans-
Josef Fell das Wort.
Herr Minister Röttgen, Ihre wunderbaren Reden zu
erneuerbaren Energien sind ja inzwischen allseits be-
kannt. Ich will darauf eingehen, dass diese Reden und
Ihre Taten weit auseinanderklaffen, und zwar sowohl in
der Vergangenheit als auch heute. Es ist wunderbar, zu
hören, wie stark Sie heute die Wirtschaftskraft der erneu-
erbaren Energien gelobt haben. Sie haben auch viele
Falschargumente bezüglich der hohen Kosten und ande-
res ausgeräumt. Dafür herzlichen Dank.
Sie haben auch gesagt, dass dies eine Wirtschaftsent-
wicklung darstellt, die phänomenal ist – sinngemäß zu-
mindest – und auf die wir stolz sein sollten. Ich frage
Sie: Wo war denn Ihr Weitblick und der Ihrer Partei, dies
frühzeitig zu erkennen? In der Tat geht das minimal auf
das alte Stromeinspeisegesetz zurück, das damals in ei-
ner interfraktionellen Aktion von dem inzwischen leider
verstorbenen Hermann Scheer von der SPD, Herrn
Engelsberger von der CDU/CSU und Herrn Daniels von
den Grünen auf den Weg gebracht und – mit der Mehr-
heit der Union, ohne Zweifel – verabschiedet wurde.
Als dann in den Folgejahren der 90er-Jahre die Er-
kenntnisse bezüglich der erneuerbaren Energien immer
mehr in das Bewusstsein drangen und eine Novelle zu
diesem Gesetz zwingend erforderlich war, weil mit der
Liberalisierung die Strompreise für die Windkraft und
damit auch die Einspeisevergütung sanken und die er-
neuerbaren Energien unter die Räder kamen, da haben
Sie nicht mehr mitgemacht. Sie haben auch bei der Inte-
gration der Photovoltaik und der Bioenergien und der
Verankerung einer Festpreisvergütung im Erneuerbare-
Energien-Gesetz im Jahr 2000, das das eigentliche Fun-
dament für das deutsche Wirtschaftswunder der erneu-
erbaren Energien war, nicht mitgemacht. Sie persönlich
haben damals, ohne Weitblick zu haben, gegen dieses
Gesetz gestimmt.
Im Hinblick darauf sollten Sie einmal Ihre Vergan-
genheit beleuchten. 2004 haben Sie gegen die Novelle
zu diesem Gesetz gestimmt, obwohl Sie damals zustim-
men wollten. Frau Merkel hatte aber diktiert: Eine Zu-
stimmung der Union gibt es nur, wenn das Gesetz 2007
abgeschafft wird. Wo also bleibt Ihr Weitblick?
Auch Ihre Landes-CDU hat keinen Weitblick gehabt.
Noch 2005 wurde unter der Regierung Rüttgers in einem
Koalitionsvertrag festgelegt, eine Bundesratsinitiative
zur Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu
ergreifen.
Gott sei Dank hat sie nicht gegriffen, obwohl beispiels-
weise von der CSU mehrfach der Antrag in den Bundes-
rat eingebracht wurde, dieses Gesetz abzuschaffen. Dies
ist die wahre Historie, die belegt: Sie haben keinen Weit-
blick gehabt, sondern ernten heute nur den Erfolg. Im-
merhin bestätigen Sie den Erfolg.
Nun zur heutigen Fehleinschätzung.
Sie sagen, es sei ein tolles Energiekonzept, das Sie – mit
35 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis 2020
und 80 Prozent bis 2050 – auf den Weg bringen. Sie sa-
gen, so sehe der Ausbau der erneuerbaren Energien auf
heutigem Niveau aus.
Ich habe Sie mehrfach nach den Detailzahlen gefragt,
die Ihnen im Prognos-Gutachten als Grundlage für die
Begründung der Laufzeitverlängerung dargelegt wurden.
Dort sind folgende Zahlen angenommen: minus 85 Pro-
zent gegenüber dem heutigen Ausbau bei Bioenergien,
minus 75 Prozent bei Solarenergie, minus 65 Prozent bei
Wind onshore. Sie haben mir immer wieder die eigenen
Zahlen verweigert. Ich bitte Sie heute, endlich die jährli-
chen Zubauraten, die Sie in Ihrem Energiekonzept zu-
grunde legen, zu nennen. Wenn Sie höhere Zahlen als
Prognos und EWI haben, müssen Sie mehr als 35 Pro-
zent Strom bis 2020 annehmen. Dann gibt es keine Be-
gründung mehr für die Laufzeitverlängerung der Atom-
kraft.
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Sehr geehrter Herr Kollege Fell, ich muss schon sa-gen, dass ich es bemerkenswert und bezeichnend finde,dass Sie den wesentlichen Teil Ihrer Kurzintervention,gewissermaßen als Replik auf die Umweltpolitik imJahre 2010, mit historischen Ausführungen zugebrachthaben. Das zeigt eigentlich, dass Sie in der Geschichteder Umweltpolitik etwas präsenter sind als in der Gegen-wart.
Das drückt das doch ganz eindeutig aus. Ich kann dasnicht anders sagen. Ich rede über die Umweltpolitik imJahr 2010 mit der Perspektive Zukunft, und Sie redenvon der Vergangenheit.Das ist auch ein bisschen Ihre Mentalität. Die Grünenempfinden sich, ein bisschen selbstgerecht und selbstzu-
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8232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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frieden, als die Erfinder und Inhaber des Steins der Wei-sen.
Vielleicht kommen Sie ein bisschen von Ihrer Selbstzu-friedenheit herunter und stellen sich der Auseinanderset-zung heute. Das wäre eine Alternative.
Davon habe ich gesprochen.Sie können Ihr Konzept hier verteidigen. Es ist wirk-lich bemerkenswert, dass Ihre Sprecherin Ihr Konzept,das ganz frisch ist und gerade erst auf Ihrem Parteitagbeschlossen wurde, nicht erwähnt hat. Vielleicht hörtman auch im Deutschen Bundestag einmal etwas davon,was Sie beschlossen haben.
Kennen Sie Ihr Konzept gar nicht? Oder ist es Ihnen, wieandere Ihrer Beschlüsse auch, ein bisschen unange-nehm? Es wäre schön, wenn Sie etwas zum Inhalt Ihrereigenen Politik sagen würden.
Im Übrigen ist es überhaupt nicht mein Ehrgeiz, zusagen, dass das internationale Renommee, das sichDeutschland erarbeitet hat, nur der Politik von CDU/CSU und FDP zu verdanken ist; so hat es vorhin derKollege Bartol in völliger Verkennung der Lage, wie ichglaube, dargestellt. Ich bin erst seit gut einem Jahr imAmt. Ich glaube, dass ich das vorhandene Kapital nichtgeschmälert habe. Aufgebaut haben es allerdings meineVorgänger.
Davon nehme ich keinen Einzigen aus.Unser Land, Deutschland, hat auf diesem Politikgebiet– Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutzpolitik habenübrigens auch eine außenpolitische und geopolitische Be-deutung – ein außerordentlich hohes Ansehen und großeKompetenz. Uns wird sogar eine enorme Führungskraftzugesprochen. Manchmal muss man sich wirklich dieFrage stellen: Können wir die Erwartungen der anderenüberhaupt erfüllen?
Das ist gemeinsam erarbeitet worden,
auch von den Grünen, aber bei weitem nicht nur von ih-nen.Gestern haben wir das 20-jährige Jubiläum des DSDgewürdigt und gefeiert. Die Themen Kreislaufwirtschaftund Recyclingwirtschaft sind übrigens von Klaus Töpferin die deutsche Politik eingebracht worden; damals wa-ren die Grünen nicht dabei. Heute können wir beimHausmüll Recyclingraten von 75 Prozent verzeichnen.
Eines ist natürlich klar: Wenn diese Koalition dasEEG auf den Weg gebracht hätte, wäre es noch bessergeworden, als es schon ist; auch das dürfte keine Fragesein. Natürlich ist es immer weiter fortzuentwickeln.Abschließend möchte ich auf das Thema Photovoltaikeingehen.
– Dazu komme ich noch. – Wir haben hier darüber ge-stritten, ob eine Senkung der Photovoltaikvergütung not-wendig ist, um die Photovoltaik zu erhalten. Damals ha-ben Sie wildes Geheul angestimmt und kritisiert, dannwürde die Branche untergehen. Wie ist die Situationheute? Die Branche boomt, nicht obwohl, sondern weilwir eine Senkung der Photovoltaikvergütung vorgenom-men haben. Das ist die Wahrheit.
Nun zu den Ausbauzielen. Sie insistieren darauf, dasGutachten der Forschungsinstitute sei die Politik. Ichhabe Ihnen schon mehrmals gesagt: Das Gutachten derForschungsinstitute ist eine Grundlage für politischeEntscheidungen. Es ersetzt politische Entscheidungenaber nicht. Politik wird im Deutschen Bundestag ge-macht und nicht in irgendwelchen Forschungseinrich-tungen.
In unserem Energiekonzept haben wir für die ver-schiedenen Dekaden klare Zahlen genannt.
Wir haben für die einzelnen Bereiche der erneuerbareEnergien, zum Beispiel für Wind- und Sonnenenergie,für jede Dekade Ausbauzahlen festgelegt.
Wir wollen das Ziel erreichen, bis zum Jahre 205080 Prozent unseres Energiebedarfs aus erneuerbarenEnergien zu decken. Zu diesem Zweck haben wir einenÜberprüfungsmechanismus etabliert.
Alle drei Jahre wird überprüft: Befinden wir uns auf demPfad der Zielerreichung, oder müssen wir nachsteuern?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8233
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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Sie können sich darauf verlassen, dass wir dem richtigenPfad folgen und, um unsere Ziele zu erreichen, eineSelbstverpflichtung eingehen, sowohl was die Zwi-schenschritte als auch was das Endziel betrifft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte solche
Zwiegespräche nicht zur Regel werden lassen. Beide ha-
ben die erlaubte Redezeit von drei Minuten gnadenlos
überzogen. Da Herr Fell seine Redezeit überzogen hat,
musste ich aus Fairnessgründen auch den Minister über-
ziehen lassen; das gehört sich so.
Wir wollen das aber nicht zur Regel werden lassen.
Nun erteile ich das Wort Kollegen Ulrich Kelber für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die gefällige Rede des Ministers hatte sehr wenigmit dem, was im Haushalt steht, zu tun.
Noch weniger hatte sie damit zu tun, wie der Ministerhandelt.
Wir haben ein geschlagenes halbes Jahr dabei zusehenmüssen, dass er das Amt des Bundesumweltministersseinen parteipolitischen Ambitionen in Nordrhein-West-falen untergeordnet hat.
Damit muss Schluss sein.Die Stimmung im BMU ist nicht gut. Es herrscht eineKultur des Misstrauens der Leitung gegenüber den Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern.
In vielen wichtigen Feldern werden keinerlei Initiativenmehr ergriffen, und zahlreiche Entwürfe des Hauses ver-sauern auf den Schreibtischen von Staatssekretär undMinister.Der Titel „Bundesminister für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit“ formuliert einen hohen Anspruch.Die Bilanz dieses Jahres hingegen ist armselig. Darüberkann keine noch so ausgefeilte Rede hinwegtäuschen.Auch das Aufführen als „Häuptling fremde Feder“täuscht darüber nicht hinweg.
In vielen Feldern handelt der Minister gar nicht, in an-deren Feldern handelt er genau entgegengesetzt zu dem,was er in seinen Reden sagt. Im Alltag kürzt Bundes-minister Röttgen bei den wichtigsten ökologischen Pro-grammen, verweigert die Weiterentwicklung einer öko-logisch ambitionierten Gesetzgebung und bedient dieAtomkonzerne.Ich möchte das an Details belegen:Im Umweltschutz rühmt sich der Minister auf einerPressekonferenz des Rekords bei der Förderung vonökologisch-innovativen Technologien aus dem Markt-anreizprogramm. Wenn man genauer hinschaut, stelltman fest: Die Rekordzahlen sind aus dem Jahr 2009. Zu90 Prozent der Zeit dieses Jahres war er nicht Minister.Minister ist er in 2010: Da wird das Programm gekürzt.Minister will er in 2011 bleiben: Da ist eine erneute Kür-zung des Programms vorgesehen. Er rühmt sich also fürdie Vorgängertaten, die er selber zerstört.
Die Ziele des Energieeffizienzgesetzes, das die Unter-schrift von Norbert Röttgen trägt, liegen deutlich unterdem, was sich Deutschland im Rahmen der nationalenNachhaltigkeitsstrategie vorgenommen hat. Es darf nurnoch der EU-Minimalkonsens umgesetzt werden, das be-rühmte „Eins zu eins“. Das heißt, das HightechlandDeutschland, das Energieeffizienztechnologien in dieganze Welt verkaufen will, schafft für seinen Heimat-markt Regeln, die eigentlich für die ärmsten südosteuro-päischen Transformationsländer vorgesehen waren. Dasist der Hightechanspruch von Schwarz-Gelb und NorbertRöttgen.
Im Bereich des Klimaschutzes – der Kollege Bartolhat schon darauf verwiesen – sind alle Versprechen ge-brochen worden. Wir hatten zugesagt, dass alle Mittelfür den Klimaschutz zusätzlich zu den Mitteln für dieArmutsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden sol-len. Schwarz-Gelb verrechnet jetzt die Mittel für denKlimaschutz mit den Mitteln für die Armutsbekämp-fung.
Das ist schändlich.
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8234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Ulrich Kelber
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Jetzt zum Angriff auf die Erneuerbaren. Die Zahlenvom Kollegen Fell stimmten. Man hätte sie vielleichtnoch etwas zusammenfassen können.Ich habe die Bundesregierung in einer Kleinen An-frage gefragt: Teilen Sie die Zahlen der Gutachter zumEnergiekonzept? Antwort – sie ist mit Ihnen abgestimmt,Herr Röttgen; denn das ist das Vorgehen in der Bundesre-gierung –: Ja, diese Zahlen sind glaubwürdig und sinn-voll. – Dann sollte man die Zahlen auch nennen. Hans-Josef Fell hat sie für 2020 genannt. Die Abschätzungendieser Politik für 2030 sind noch abenteuerlicher: minus98 Prozent beim Windausbau, minus 99 Prozent bei derPhotovoltaik, minus 100 Prozent bei Biomasse. Das istdie Erneuerbare-Energien-Politik à la Norbert Röttgen.
Der zweite Teil des Titels ist der Naturschutz. In Na-goya haben Sie die Schwellen- und Entwicklungsländerzum Schutz der Regenwälder aufgefordert. Diese Auffor-derung unterstützen wir, Herr Minister. Ich frage michnur: Wo ist der deutsche Umweltminister, wenn inDeutschland durch Schwarz-Gelb ein Waldgesetz ge-macht wird und in diesem Waldgesetz noch nicht einmaldie Festschreibung „nachhaltige Waldbewirtschaftung“erfolgen darf, was es in der deutschen Gesetzgebung zumWald schon vor 200 Jahren gegeben hat? Sie sind hinteretwas zurückgefallen, was es in Deutschland schon vor200 Jahren gegeben hat.
Wo ist der deutsche Umweltminister, wenn Moore inDeutschland noch immer unter den Pflug kommen, mitall den CO2-Emissionen, mit all der Vernichtung der dor-tigen Artenvielfalt? Wir können doch nicht von anderenLändern etwas fordern, wozu wir im eigenen Land we-gen Klientelbedienung nicht bereit sind. Reagieren Sieendlich auch im Bereich Naturschutz, Herr Minister!
Wir sind in der Haushaltsberatung, Herr KollegeSchulte-Drüggelte. Deswegen ist es richtig, in den Haus-halt zu schauen. In der Tat gibt es einen Aufwuchs imBereich der Atomenergie, nämlich 35 Prozent, und esgibt eine Kürzung bei Natur, Umwelt und Klimaschutzum 10 Prozent. Auch das ist der Haushalt von NorbertRöttgen.Bleibt zuletzt die politische Zuständigkeit für den Na-turschutz. Der Abteilungsleiter wurde sofort nach Amts-antritt des Ministers entlassen. Das machen die meistenMinister aller Couleur.
Acht Monate lang wurde der Posten nicht besetzt. Manhat scheinbar niemanden mit passendem Parteibuch ge-funden. Nach dem aktuellen Organigramm auf IhrerWebsite wird die Abteilung Naturschutz jetzt im Neben-amt durch die Büroleiterin des Ministers geleitet. Das istder aktuelle Stand auf der Website des Umweltministeri-ums. Das ist eine spannende Zuständigkeit für Natur-schutz.
Einem Bereich seines Amtes widmet sich der Minis-ter tatsächlich; das ist der Bereich Atomenergie. Aller-dings heißt er eigentlich „Minister für Reaktorsicher-heit“.
Deswegen nahm er eine seiner ersten Amtshandlungenim Bereich Reaktorsicherheit vor. Er hat nämlich das mo-dernisierte kerntechnische Regelwerk wieder außer Kraftgesetzt, in dem höhere Sicherheitsanforderungen fürAtomkraftwerke standen. Danach gab es den Versuch, dieErkundung der Endlager zu privatisieren, um kritischeBundesbehörden auszuschalten und den Atomkonzerneneinen Zugriff zu ermöglichen. Jetzt lässt er sich in Gorle-ben die Gutachten von einem Atomlobbyisten schreiben,der von Vattenfall wegen der Pannen in Krümmel undBrunsbüttel entlassen wurde.Die Bürgerbeteiligung, die mit Transparenz und „Wirnehmen doch alle mit“ vorneweg getragen wird, wirdwie folgt behandelt: Bei Gorleben wird auf ein vor20 Jahren abgeschafftes Uraltrecht zurückgegriffen, umkeine Bürgerbeteiligung machen zu müssen. Alle aktuel-len Gesetze sehen die Bürgerbeteiligung vor. Im Atom-gesetz führen Sie etwas Neues ein, um ein Urteil desBundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2008, wo-nach Anwohner von Atomkraftwerken wegen mangeln-der Sicherheitseinrichtungen klagen können, zu umge-hen. Das ist Bürgerbeteiligung à la Norbert Röttgen.
Zum Thema Russlandtransporte. Ich bin Ihnendankbar, dass einer aus dieser Koalition gesagt hat, dassei Teil ihres Konzepts. Aus einem deutschen Zwischen-lager wird Atommüll nach Russland gebracht, und wirwissen nicht genau, wie und unter welchen Sicherheits-bedingungen dieser Atommüll dort, in einem der amstärksten radioaktiv verstrahlten Orte der Welt, behan-delt werden wird. Sie haben das erneut mit Geheim-papieren vorbereitet. Das scheint bei Ihnen ja zur Modegeworden zu sein, Herr Minister.Sie verweisen dabei auf einen Vertrag, durch den Sieangeblich dazu verpflichtet sind. Wenn man in den Ver-trag hineinschaut, dann stellt man fest, dass dieser Ver-trag dafür gedacht war, waffenfähiges Material aus zer-fallenden Staaten Osteuropas und Zentralasiens, dasgesichert wurde, nach Russland zu schicken. Wir schi-cken jetzt nicht waffenfähiges Material aus sicheren
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8235
Ulrich Kelber
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deutschen Zwischenlagern zur Aufarbeitung nach Russ-land, sodass daraus erst waffenfähiges Material wird.Das ist ein Abgrund an Unehrlichkeit, der einem deut-schen Minister nicht zusteht.
Walter Wallmann, Klaus Töpfer, Angela Merkel ha-ben eine Gemeinsamkeit mit Norbert Röttgen: Auch siesind CDU-Mitglieder und waren Bundesumweltminister.Diese drei haben in ihrem Amt aber Verschlechterungenin der Umweltgesetzgebung und bei den ökologischenFörderprogrammen verhindert. Das ist der entschei-dende Unterschied.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die
Rede von Herrn Kelber war voller Fehler. Er hat behaup-
tet, ein Abteilungsleiter sei entlassen worden, obwohl
die eigene Regierung diesen Mann während der Großen
Koalition noch zum Präsidenten des Umweltbundesam-
tes gemacht hat. Das zeigt, wie ernst Sie es mit der
Wahrheit nehmen, Herr Kelber.
Deswegen will ich mich damit auch gar nicht auseinan-
dersetzen, sondern ich möchte darauf eingehen, was
diese Bundesregierung hinsichtlich der finanziellen Aus-
stattung im Bereich der Umweltpolitik erfolgreich ge-
leistet hat.
Mit dem Gesetz zur Errichtung eines Sondervermö-
gens „Energie- und Klimafonds“ haben wir das größte
Förderprogramm für erneuerbare Energien auf den Weg
gebracht, das dieses Land je gesehen hat.
Sie sind hier wahrscheinlich deswegen so polemisch,
liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den
Grünen, weil Sie das, was wir geschafft haben, nicht auf
die Reihe bekommen haben.
Wir haben nämlich zusätzliche Mittel für den Umwelt-
und Klimaschutz bereitgestellt. Das steht im Gesetz, und
das wird durch den Wirtschaftsplan deutlich.
Wir haben hier zum einen die Erlöse aus den Kern-
kraftwerken genutzt, zum anderen haben wir aber auch
etwas getan, was uns alle Umweltverbände immer vor-
geschlagen haben und was Sie, die SPD, in Ihrer Regie-
rungszeit zwar immer gefordert, aber nie auf die Reihe
bekommen haben, dass nämlich die Erlöse aus den Ver-
steigerungen von CO2-Emissionsrechten für den Um-
welt- und Klimaschutz ausgegeben werden. Wir machen
das ab 2013 zu 100 Prozent. Niemand muss mehr für die
Umweltpolitik zum Finanzminister betteln gehen. Wir
haben für eine gesicherte Finanzierung der zusätzlichen
Programme der nächsten Jahre gesorgt. Das haben nicht
Sie, sondern das hat diese Koalition aus FDP und Union
geschafft.
FDP und Union haben nicht nur für die Finanzierung
erneuerbarer Energien gesorgt, nein, wir haben auch
die Zielmarke, wie hoch der Anteil des Stroms sein soll,
der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, so hoch
gesetzt, wie es keine andere Regierung in diesem Land
je getan hat. Wir wollen bis 2050 einen Anteil des Öko-
stroms von 80 Prozent erreichen. Dafür, wie das gelin-
gen kann, haben wir ein realistisches Szenario und kein
Wolkenkuckucksheim aufgebaut, wie die Opposition das
tut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
haben Ihren Beschluss vom Bundesparteitag hier ver-
steckt, weil er Ihnen wahrscheinlich peinlich ist; denn
ohne ausgebaute Stromnetze und ohne Speicher wird es
nicht möglich sein, bis 2030 eine Stromversorgung zu
100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu erreichen.
Sie belügen die deutsche Bevölkerung mit Ihren Wol-
kenkuckucksheimen, die Sie hier aufbauen.
Es ist reiner Populismus, was Sie zum Beispiel zum
Netzausbau sagen. Sie wissen, dass es Widerstand gibt,
und deshalb versprechen Sie allen Erdkabel. Sie wissen
aber auch – das ist gestern höchstamtlich bestätigt wor-
den –, dass das 20 Milliarden Euro mehr kosten wird.
Das wird dann auf die Strompreise umgelegt. Das ist
vielleicht für Ihre besserverdienende Klientel kein Pro-
blem, für den Normalbürger in Deutschland aber sehr
wohl.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage ausder Fraktion der Grünen?
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8236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
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Sehr gerne.
Bitte schön.
Sie kommen wie ich aus Nordrhein-Westfalen, wenn
ich richtig informiert bin. Dort gab es bis vor einigen
Monaten eine schwarz-gelbe Landesregierung. Ist Ihnen
bekannt, dass diese Landesregierung, um den Netzaus-
bau voranzubringen, ein Ausbaugesetz, das die Grünen
im Landtag gefordert haben und das es im Land Nieder-
sachsen bereits gibt, systematisch durch entsprechende
Initiativen im Landtag verhindert hat, dass sie die Be-
denken aus der Bevölkerung nicht ernst genommen hat
und wir deshalb in Nordrhein-Westfalen dieselben Pro-
bleme mit dem Netzausbau haben wie andere Länder?
Ich habe noch eine zweite Frage. Sie haben eben ge-
sagt, wir würden unseren Parteitagsbeschluss verste-
cken. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben ihn als
Antrag eingebracht. Als Sie ausschließlich Gesetzesno-
vellen zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke
eingebracht haben, haben wir unser Energiekonzept im
Umweltausschuss zur Abstimmung gestellt. Ihre Frak-
tion hat zusammen mit der CDU/CSU unseren Antrag
von der Tagesordnung genommen, weil Sie sich nicht
damit auseinandersetzen wollen. Warum haben Sie das
gemacht und werfen uns jetzt vor, dass das hier nicht zur
Debatte steht?
Lieber Kollege, wir als Koalition aus FDP und Union
werden den Netzausbau durch Bundesaktivitäten für alle
Bundesländer voranbringen, indem wir beispielsweise
Planungsvorgaben, soweit sie in der Kompetenz des
Bundes liegen, vereinfachen. Wir werden beispielsweise
– das hat der Wirtschaftsminister angekündigt – die Ak-
zeptanz dadurch stärken, dass wir mit den Betroffenen
und den Verbänden in einen Dialog eintreten.
Man kann nicht nur hier in Berlin Versprechungen
machen, sondern man muss auch vor Ort dafür gerade-
stehen. Ihre grünen Kreisverbände demonstrieren überall
dort, wo es eine Bürgerinitiative gibt, gegen den Netz-
ausbau, und hier stellen Sie sich als Musterknaben dar.
Das ist der Widerspruch Ihrer grünen Politik: Hier sind
Sie für erneuerbare Energien und vor Ort dagegen. Sie
können nur dagegen sein. Das ist Ihre Politik.
Diese Dagegen-Politik zeigt sich deutlich. Sie sind
gegen Netzausbau. Sie sind gegen CCS im Bereich In-
dustrie und Biomasse, womit man CO2 sogar aus der At-
mosphäre herausholen kann. Sie sind gegen den Ersatz
alter Kohlekraftwerke und senken deshalb die Klima-
schutzziele in NRW. Sie sind gegen ein Endlager, haben
aber zehn Jahre lang nichts getan, wohl wissend, dass
wir eine Lösung finden müssen. Sie sind immer dage-
gen.
Ein Blick in Ihren Antrag, der gleich zur Abstimmung
steht, zeigt das auch. Ihr grüner Umwelthaushalt sieht so
aus, dass Sie einfach mehr Geld fordern. Generationen-
gerechtigkeit ist Ihnen völlig egal. Wir sehen das auf
Bundesebene. Dort senken wir die Neuverschuldung um
40 Prozent, Rot-Grün in NRW erhöht sie um 35 Prozent.
Das ist Ihre Nachhaltigkeitspolitik.
Herr Kollege, Sie müssen allmählich zum Ende kom-
men.
Ich komme sofort zum Ende. – Ihre billigen Gegen-
finanzierungsvorschläge – je 1,1 Milliarden Euro bei den
Ausnahmen von der Ökosteuer und durch die Besteue-
rung von Erdöl – sind nur heiße Luft. Damit vertreiben
Sie die Arbeitsplätze aus der Chemieindustrie in die
Ukraine und in andere Länder im Osten, die keinen Kli-
maschutz betreiben. Das ist nicht verantwortbar. Es ist
nicht nachhaltig. Damit bedienen Sie nur Ihre eigene
Klientel.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Kelber
das Wort.
Ich habe vorhin Herrn Minister Röttgen vorgeworfen,
den Abteilungsleiter für Naturschutz entlassen, die Stelle
dann acht Monate nicht besetzt zu haben und sie heute
im Nebenamt verwalten zu lassen. In der Tat hat der
Minister Abteilungsleiter entlassen. Ich habe aber zwei
Ressorts verwechselt. Der Abteilungsleiter Naturschutz
ist vorher gegangen. Ich habe das öffentlich behauptet,
und ich möchte es öffentlich korrigieren.
Das Wort hat nun Kollege Ralph Lenkert für die Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Morgen ist Vorlesetag in der Bundes-republik, und die Redner der Regierungskoalition könn-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8237
Ralph Lenkert
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ten daran mit ihren Reden unter dem Motto „Geschich-ten aus dem Märchenland“ teilnehmen.
Wer Laufzeiten verlängert, muss für eine sichere Atom-mülllagerung sorgen, damit diese tödliche Fracht wegist.Das Endlagerungskonzept in der Asse ist gescheitert.In Gorleben gibt es undefinierte geologische Strukturen,Erdöl im Salzstock, Erdgas im und unter dem Salz. Werin diesem explosiven Gemisch Atommüll einlagert,spielt russisches Roulette.
Er weiß um die tödliche Gefahr und hofft, dass es ihnnicht trifft. Beenden Sie dieses Hasardspiel, verschwen-den Sie nicht weitere Millionen in diesem Salzstock undsetzen Sie das Geld – wie von uns gefordert – ein, umeine sichere Aufbewahrungslösung für diesen tödlichenMüll zu finden.
Kein Werbeetat wird aus Gorleben, Asse und SchachtKonrad technisch akzeptable und sichere Endlager ma-chen. Das Werbegeld gehört deshalb aus dem Haushaltgestrichen. Und kein oscarreifer Auftritt des Umweltmi-nisters wird darüber hinwegtäuschen –
– ich meine den Oscar-Preis aus Hollywood –, dass die-ser Haushalt von dem Ziel, Strom aus erneuerbarenEnergien zu 100 Prozent im Jahr 2050, wegführt.
Das größte technische Problem regenerativer Stromer-zeugung ist die nicht ständige Verfügbarkeit von Windund Sonne. Das Entwickeln neuer Stromspeichertech-nologien mit hohem Wirkungsgrad ist deshalb unerläss-lich. Das Fraunhofer-Institut entwickelte ein Verfahrenzur Erzeugung von künstlichem Methan aus Wasser undKohlendioxid mithilfe von elektrischem Strom. Das isteine Möglichkeit, um das Speicherproblem zu lösen.Leider entsteht die Testanlage in Österreich und nicht inDeutschland.Damit solche innovativen Lösungen zukünftig in derBundesrepublik und nicht in anderen Ländern installiertwerden, fordert die Linke zusätzliche 490 MillionenEuro für solche zukunftsweisende Projekte.
Wir beantragen einen Energiesparfonds in Höhe von2,5 Milliarden Euro jährlich, finanziert aus den Gewin-nen der Energiekonzerne. Heute früh habe ich in derARD gesehen, dass Eon, RWE und EnBW im Jahre 2002einen Gewinn in Höhe von 5,8 Milliarden Euro erziel-ten. Im Jahre 2009 waren es bereits 23 Milliarden Euro.Wenn wir ihnen etwas wegnehmen, werden sie – dasglaube ich – schon nicht verhungern.Mit diesem Fonds sollen Förderprogramme zur Ener-gieeinsparung und Energiekostensenkung durchgeführtwerden. Die Umsetzung zum Beispiel in öffentlichenVerwaltungen wirkt mehrfach. Lokale Firmen erhaltenAufträge und steigern damit die regionale Wirtschafts-kraft, und auch die finanzielle Lage von Ländern undKommunen verbessert sich, weil die Heizkosten undEnergierechnungen für öffentliche Gebäude sinken.In Ihrem Energiekonzept fordern Sie einen besserenWärmeschutz. Dieser kostet etwa 500 Euro oder mehrje Quadratmeter. Bei 100 Quadratmetern selbstgenutz-tem Wohnraum wären das 50 000 Euro an Aufwand. FürMieter würde dies Kaltmietensteigerungen von mindes-tens 5 Euro je Quadratmeter bedeuten. In Gera wärendann durchschnittlich 9 Euro und in Jena sogar 12 EuroKaltmiete je Quadratmeter zu erwarten. Ihre Antwort aufdieses durch Ihr Energiekonzept ausgelöste soziale Hor-rorszenario lautet: Kürzung des Marktanreizprogrammsund des CO2-Gebäudesanierungsprogramms. Das ist in-akzeptabel.
Bezahlbares Wohnen ist ein Menschenrecht. Deshalbfordert die Linke beim Wärmeschutz einen vernünftigenAbgleich zwischen Wärmedämmung und Kostenauf-wand sowie ein unterstützendes Investitionsprogramm.Die 2,5 Milliarden Euro des Energiesparfonds wären einSchritt zum sozialökologischen Umbau der Gesellschaftund ein Beitrag zur Stärkung der Kommunen.Meine Damen und Herren, mit dem Haushalt sichernSie die Profite der vier Konzerne. Mittelständler, Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer, Handwerker, Selbst-ständige, zukünftige Generationen und die Umwelt wür-den von unseren Vorschlägen profitieren. Ich empfehleIhnen deshalb, unsere Änderungsanträge anzunehmen.
Das Wort hat nun Hermann Ott für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Lieber Herr Röttgen, vielen Dank dafür, dass Sie dierot-grünen Erfolge in der Energiepolitik hier so gelobthaben, in denen Sie sich jetzt sonnen können. Schadenur, dass Sie es nicht auch so gut machen können. Ich er-innere mich an die Debatte vor ziemlich genau einemJahr. In der Kopenhagen-Debatte am 3. Dezember 2009habe ich hier gesagt: Die wahren Gegner Ihrer Politiksitzen nicht hier auf den harten Oppositionsbänken.Nein, die Gegner Ihrer Politik sitzen dort bei Ihnen aufder Regierungsbank.
Es ist fast schon unheimlich, wie sich diese Vorhersagebestätigt hat.
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8238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Hermann Ott
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Von Ihren hochfliegenden Plänen ist nichts, aber auchgar nichts übrig geblieben. Sie haben beim Klima- undUmweltschutz auf ganzer Linie verloren gegen Ihre wer-ten Kollegen Brüderle, Niebel und Schäuble. Das siehtman dann auch und gerade am Haushalt; denn im Haus-halt liegt die Wahrheit. In der Verteilung von Ressourcendrücken sich Präferenzen aus. Die Präferenzen sind inIhrem Fall eindeutig. Bedacht wird die energieintensiveIndustrie durch Ausnahmen von der Ökosteuer. Bedachtwird die Atommafia durch die vereinbarte völlig unsin-nige und gefährliche Laufzeitverlängerung. Gekürztwird dagegen bei den erneuerbaren Energien. Gekürztwird beim Marktanreizprogramm. Gekürzt wird bei derGebäudedämmung. Gestrichen wird schließlich auchnoch die Förderung von Fernwärme. Das, meine verehr-ten Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoali-tion, haben Sie noch nicht einmal mitbekommen. Daswurde Ihnen von der Bundesregierung und den Haushäl-tern einfach untergeschoben.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Die Bundesre-gierung lässt sich nicht beirren von den sogenannten Kli-maskeptikern oder Klimawandelleugnern. Sie ist über-zeugt, dass der Klimawandel menschengemacht ist undvertraut den Berichten des IPCC. Ihre Antwort auf un-sere entsprechende Kleine Anfrage ist eindeutig. Das isterfreulich; denn in den letzten Monaten gab es dazu auchandere Stimmen aus der Regierungskoalition. Wenn Sieaber der Analyse des IPCC folgen, dann stellt sich dieFrage, warum sich dies in Ihrer Politik nicht wiederfin-det. Schließlich sind die vom IPCC beschriebenen Aus-wirkungen des Klimawandels gravierend, und er ver-langt von der Politik entschiedenes Handeln.Doch was Sie national nicht leisten, setzen Sie konse-quent auf internationaler Ebene fort. Wo sind die vonFrau Merkel in Kopenhagen zugesagten Klimaschutz-mittel für Entwicklungsländer? Meine Vorredner habenschon vom fast magischen Verschwinden der Millionenin den Haushaltsentwürfen berichtet. Die Finanzzusagendieser Bundesregierung sind wie schillernde Seifenbla-sen: schön anzusehen, aber schnell wieder weg. DieKanzlerin hat damals in Kopenhagen natürlich auch ver-gessen, hinzuzufügen, dass sie die Klimamittel mit dersogenannten ODA-Quote verrechnen will, also mit denMitteln für die Entwicklungszusammenarbeit. MeinenSie denn, dass die Diplomaten aus den Entwicklungslän-dern das nicht merken? So funktioniert das doch nicht.Glauben Sie im Ernst, dass Ihre Klimapolitik internatio-nal noch als glaubwürdig wahrgenommen wird? Nein, estut mir leid, aber dieser Haushalt ist nicht wirklich einKlimaschutzhaushalt. Dieser Haushalt ist ein Klima-schmutzhaushalt.
Wenn es wenigstens ein Gebiet gäbe, wo diese Bundes-regierung etwas leistete! Hier wäre doch im Internationa-len Jahr der Biodiversität eine große Chance gewesen,zumal unter deutscher Präsidentschaft der Biodiversitäts-konvention. Aber Sie, Herr Röttgen, waren noch nichteinmal da, als dort Beschlüsse gefasst wurden, weil Siehier die Atomgesetze durchpeitschen mussten. Sie habenin Ihrer Rede die biologische Vielfalt noch nicht einmalerwähnt.
Dass Sie jetzt ein Bundesprogramm für die biologischeVielfalt auflegen wollen, ist drei Jahre nach der Verab-schiedung der Strategie mehr als überfällig. „Ambitio-niert“ wäre dafür das falsche Wort. Wir schlagen einedeutliche Aufstockung auf 22,5 Millionen Euro und zu-sätzlich 2,5 Millionen Euro vor, um die Einrichtung ei-nes nationalen Monitoringzentrums vorzubereiten.
Klimaschutz und Schutz der biologischen Vielfaltsind elementar für das Überleben unserer Spezies aufdiesem Planeten. Sie sind elementar für den Schutz allesLebendigen.
Die Kanzlerin hat auf ihrem letzten Parteitag eine ver-stärkte Hinwendung der CDU/CSU zum Christentumangemahnt. Dann fangen Sie mal damit an und haltenSie das, was Sie versprechen! Reden Sie nicht immer nurvom Klimaschutz, sondern stellen Sie die Mittel dafürbereit!
Reden Sie nicht immer nur von der Bewahrung derSchöpfung, sondern handeln Sie auch so! Denn wieheißt es bei Johannes und Matthäus: „An ihren Tatensollt ihr sie erkennen.“Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Ulrich Petzold für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt2011 ist ohne Zweifel ein Konsolidierungshaushalt. Auf-grund der größten Wirtschaftskrise seit 1929 sind dieStaatseinnahmen in einer Art und Weise zusammenge-brochen, wie es bisher in der Bundesrepublik noch nieerlebt wurde. So sind die voraussehbaren Einnahmenfür das Jahr 2010 vergleichbar mit den Einnahmen von2006. Das wird vor dem Hintergrund leichter Verbesse-rungen bei den Einnahmen häufig vergessen. Der Haus-halt von 2006 war ein Übergangshaushalt. Er war nochvon den Vorgaben von Rot-Grün bestimmt. Es lohnt sichalso durchaus, insbesondere für die Damen und Herrender Opposition, die heute scharfe Kritik an dem Umwelt-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8239
Ulrich Petzold
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haushalt üben, einmal hinzusehen, wie bei gleichen Ein-nahmen die Ausgaben gewichtet wurden.Im Jahr 2006 hatten wir bei Steuereinnahmen in Höhevon 233,1 Milliarden Euro einen Umwelthaushalt inHöhe von 774 Millionen Euro. Im Jahr 2010 sind bei ge-planten Steuereinnahmen in Höhe von 239 MilliardenEuro 1,59 Milliarden Euro für den Umwelthaushalt vor-gesehen.
Das bedeutet letztendlich, dass wir bei einem fast glei-chen Einnahmevolumen das Ausgabenvolumen im Be-reich des Umwelthaushaltes auf 205 Prozent erhöht ha-ben. Wer also heute von Rot-Grün den Umwelthaushaltkritisiert, muss sich demzufolge als Erstes fragen lassen,was er denn selbst gestaltet hat.Dieser Haushalt erfährt im Haushaltsjahr 2011 nocheinmal einen Zuwachs von 3,1 Prozent. Nun kritisiert dieOpposition, dass dieser Haushaltszuwachs nur demMehrbedarf im Endlagerbereich zugutekommt. Ja, derMehrbedarf war nach dem Stillstand der letzten Jahre un-bedingt nötig, zwingend und absehbar. Von dem Mehrbe-darf von 129 Millionen Euro im Aufgabenbereich desBundesamtes für Strahlenschutz fließen 99 MillionenEuro – das sind mehr als 75 Prozent – in das EndlagerKonrad, das nun wirklich auch ein Endlager für Materia-lien aus Forschung und Medizin ist. Unabhängig von derNutzung der Kernenergie für die Stromerzeugung ist die-ses Endlager erforderlich.Nun wurde immer wieder die Kürzung der Mittel fürdas Marktanreizprogramm und das CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm angesprochen. Entschuldigen Sie, meinesehr geehrten Damen und Herren, wir sorgen für eine Ver-stetigung dieser Programme. Ich bitte Sie, das unbedingtanzuerkennen.
– Halt, Sie wissen ganz genau, dass zum Beispiel dasMarktanreizprogramm an die Erlöse aus dem Emissions-handel gekoppelt war. Diese Erlöse sind dramatisch ein-gebrochen. Schon allein deswegen ist die Verstetigungeine wichtige und positive Entwicklung. – In jedem Fallist es falsch, nur die negativen Seiten des Haushalts auf-zuzählen. Wir haben in sehr wichtigen Bereichen einenHaushaltsaufwuchs. So werden bei dem Titel für For-schung und Entwicklung die Mittel für Umweltschutz-forschung und Naturschutzforschung erhöht. Das giltauch für die erneuerbaren Energien, für die die Mittelum 8,5 Millionen Euro auf 129 Millionen Euro erhöhtwerden. Auch im Naturschutzbereich fließen mehr Mit-tel. So wird das Bundesprogramm für die biologischeVielfalt um 15 Millionen Euro aufgestockt. Für Natur-schutzprojekte geben wir Geld in einer bisher nie ge-kannten Größenordnung aus.
Wir als Umweltschützer sollten uns durchaus anrechnen,dass im Verkehrshaushalt zur Wiedervernetzung von Bio-topen ein wirklich großer Betrag ausgegeben wird.Natürlich ist es richtig, Personalkosten zugunstendes Programmhaushalts abzusenken. Eine Absenkungdes Personalkostenanteils von 28 Prozent im Jahr 2005auf 16,5 Prozent im Jahr 2011 kann sich schon sehen las-sen. Wir müssen aber auch hier Grenzen beachten, umdie Arbeit der Behörden nicht zu gefährden. Es ist rich-tig, Verwaltungskosten im allgemeinen Verwaltungsbe-reich abzusenken. Doch dort, wo die Behörden alsDienstleister auftreten und die Dienstleistungen infolgefehlenden Personals nicht in der erforderlichen Qualitätoder nicht in einem vertretbaren Zeitrahmen geleistetwerden können, ist ein Umsteuern erforderlich.Dass bereits jetzt refinanzierte Stellen aus den Perso-nalkürzungen ausgenommen werden und eine, wennauch geringfügige, Personalzuführung in diesem Haus-halt vorgesehen ist, ist richtig. Die zukünftige Richtungmuss jedoch heißen: Dienstleistungen der Behörden sindzu refinanzieren. Für diese Dienstleistungen ist das er-forderliche refinanzierte Personal zur Verfügung zu stel-len. Herr Bundesminister, ich bitte Sie, dafür die Voraus-setzungen zu schaffen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Frank Schwabe für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ichweiß, wenn der Herr Minister redet, immer nicht so ge-nau, ob ich fasziniert oder eher angewidert sein soll inBezug auf das, was er hier vorführt.
Er erzählt eigentlich immer wieder dasselbe. Das alleshört sich ganz schön an, aber er macht etwas anderes –und das mittlerweile seit einem Jahr.Klar ist, dass aus einer ambitionierten Klimaschutz-politik, aus einer internationalen Vorreiterrolle längsteine Klimapolitik ohne Anspruch geworden ist. Wenndas noch eines Beweises bedurft hätte, wäre es in der Tatder vorliegende Umwelthaushalt. Sie haben vorhin, wasden nationalen Bereich angeht, wieder die ganze Zeitüber von Effizienz geredet. In Ihr sogenanntes Energie-konzept schreiben Sie eine Effizienzquote von 2,1 Pro-zent hinein. In diesem Haushalt kürzen Sie aber ganzkonkret bei der Gebäudesanierung. Da merkt man doch,dass Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammenpassen.
Es ist ein hartes Wort, aber man kann es nicht anderssagen: Sie lügen in der internationalen Klimapolitik.Sie haben gerade davon geredet, welche Reputation sichDeutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf-gebaut hat. Sie sagten, Sie wüssten vielleicht nicht so ge-
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8240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Frank Schwabe
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nau, ob Sie diesem Anspruch gerecht werden können.Ich glaube, wir können das heute beantworten: Sie wer-den diesem Anspruch nicht gerecht, Herr MinisterRöttgen.Daniel Dagan, israelischer Journalist, hat mal gesagt:Glaubwürdigkeit ist doch eine einfache Sache. Man sagt,was man tut, und tut, was man sagt. – Wenn man sichIhre Rede durchliest, kann man überall Anmerkungenmachen. Dann wird man merken, dass das bei Ihnennicht zusammenpasst. Vor allem passt es nicht in der in-ternationalen Politik zusammen. Im Rahmen des Copen-hagen Accords haben Sie nämlich für drei Jahre je420 Millionen Euro an zusätzlichen Geldern für die in-ternationale Klimapolitik zugesagt. Das sind 1,26 Mil-liarden Euro von 2010 bis 2012. Im letzten Haushalts-jahr haben Sie – nach langer Debatte und vielenEinwürfen der Opposition – immerhin schamhafte70 Millionen Euro eingestellt. Darauf ist im Übrigenkein Redner der Koalitionsfraktionen eingegangen.Wenn man sich die Zahlen genau anguckt, stellt manfest, dass am Ende gerade mal 10 Prozent der zusätzlichzugesagten Gelder im Haushalt stehen werden. Das isteine Lüge und nichts anderes. Damit ruinieren Sie die in-ternationalen Klimaverhandlungen.
Wie wollen Sie es hinbekommen, in Ländern wie Tu-valu und den Malediven, die im wahrsten Sinne desWortes dagegen kämpfen, abzusaufen, in Ländern wieGuatemala und El Salvador, die heute mit dramatischenWirbelstürmen zu kämpfen haben, sowie in Ländern wieChina und Indien, die darum ringen, international eineprogressive Rolle in der Klimapolitik spielen zu können,dafür Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen, wennSie in den Haushaltsberatungen so vorgehen?Christiana Figueres, die neue Chefin des UN-Klima-sekretariats, hat in Bezug auf Cancún und die internatio-nal zugesagten Gelder von einem goldenen Schlüssel ge-sprochen. Es wird deutlich, dass Sie den goldenenSchlüssel zerbrechen. Das machen Sie mit diesem Haus-halt. Es geht einfach nicht anders, als das als Lüge zu be-zeichnen.
Herr Röttgen, Sie sind heute in eine neue Phase Ihrer„rhetorischen Politik“ eingetreten. Das fing mit der An-kündigung an und ging über in ein gewisses Maß an Ag-gressivität und Hochnäsigkeit in der Atomdebatte. Heuteist es eine Mischung aus beidem. Sie haben wirklich einebesondere Chuzpe, das vorzutragen. Im Kern allerdingsist Ihre Mission spätestens mit diesem Bundeshaushaltgescheitert.Sie waren dafür vorgesehen, die Union – auch beigrünen Themen – zu öffnen und zu modernisieren. He-rausgekommen ist, dass Sie gefesselt sind von Ihrer ei-genen Fraktion, gefesselt sind von einem unmodernenKonservativismus. Man könnte zwar auch in dieser poli-tischen Richtung noch etwas Gutes erkennen, wenn manKonservativismus so interpretieren würde, dass es umNaturschutz, um Erhalt der Ressourcen und um Erhaltder Umwelt geht. Darum geht es aber nicht. Es ist einezutiefst unmoderne Politik, die die Unionsfraktion be-treibt, und der Minister ist Gefangener dieser Politik.
Ich habe leider nicht die Zeit, noch einmal umfassendauf Ihr Atomkonzept einzugehen. Hätten Sie die Zeit lie-ber genutzt – Sie haben es im Koalitionsvertrag verspro-chen –, das Integrierte Energie- und Klimaprogramm derVorgängerregierung zu überprüfen und zu erneuern. Dashaben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag zugesagt. Ich bingespannt, ob es bis Weihnachten noch eine entspre-chende Überprüfung geben wird.Sie hätten ein Klimaschutzgesetz für Deutschlandmachen können. Das wollten Sie. Das waren die Anfor-derungen Ihres Ministeriums an das sogenannte Energie-konzept. Nichts davon ist durchgesetzt worden.Zurück auf die internationale Ebene. Internationalgeht es im Kern um zwei Dinge: Es geht zum einen umdie Frage von Finanztransfers; darüber habe ich geradegeredet. Es geht zum anderen um die Frage eigener Re-duktionsanstrengungen im Bereich des CO2-Ausstoßes.Herr Röttgen, Sie haben am 15. Juli in einem zusam-men mit Kollegen aus anderen europäischen Ländernverfassten Aufsatz geschrieben, dass Sie sich für das30-Prozent-Ziel innerhalb der Europäischen Union ein-setzen. Das war vor etwas mehr als vier Monaten. Wasdavon ist eigentlich Regierungspolitik in Deutschlandgeworden? An der Stelle wird deutlich, dass Sie Ankün-digungen machen und am Ende keine Rolle in der realenPolitik dieser Bundesregierung spielen.
In der Sache wäre das aber geboten. In der EuropäischenUnion beträgt die Reduktion jetzt nämlich schon17,3 Prozent gegenüber dem Jahr 1990, und wir werdenwahrscheinlich in Kürze das 20-Prozent-Ziel erreichen.Insofern müsste man vor dem Hintergrund des bisheri-gen Ziels nun mehrere Jahre gar keine Klimaschutzpoli-tik mehr betreiben. Deswegen ist vollkommen klar: Daseuropäische Ziel muss angepasst und auf 30 Prozent an-gehoben werden. Ich gebe einmal die Prognose ab: Eswird im nächsten Jahr auch zu dieser Anpassung kom-men. Sie allerdings werden in dieser Debatte keine Rollespielen, sondern das wird nach dem Motto ablaufen:Halb zog es ihn, halb sank er hin. Eine Vorreiterrolle inder internationalen Klimapolitik sieht in der Tat kom-plett anders aus.
Es hilft nichts, Herr Minister: Sie sind ein Ministerder in der Tat passablen Rhetorik, allerdings auch dermiserablen Bilanz, der gewachsenen Aggressivität unddes Hochmuts. Sie sind ein Minister des nationalenRückschritts und der internationalen Unglaubwürdig-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8241
Frank Schwabe
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keit. Für Sie persönlich scheint es ja durchaus ein Fort-kommen zu geben, wie man in den letzten Monaten sah,inhaltlich sind Sie allerdings – ich glaube, das wissen Sieauch – längst gescheitert.Glück auf aus dem Ruhrgebiet!
Das Wort hat nun Horst Meierhofer für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man fragt sich, in welchem Land man lebt, wenn man
hier hört, was alles in Deutschland angeblich beim Kli-
maschutz falsch läuft.
Ich halte es für einen wirklichen Wahnsinn und für einen
Skandal, wie sehr man verkennt, was wir in Deutschland
leisten und auch, zugegebenermaßen, in der Vergangen-
heit geleistet haben.
Deshalb muss man doch anerkennen, dass es nach vorne
geht und dass noch nie so viel Geld wie in diesem Jahr
und in den kommenden Jahren für Klimaschutz ausgege-
ben wird. Es ist für mich unbegreiflich, mit welchen
Scheuklappen Sie in den Umweltetat schauen, dass Sie
nicht zur Kenntnis nehmen, dass wir das Geld dafür aus
der Wirtschaft holen. Das müsste doch eigentlich den
Linken passen.
Herr Lenkert, Sie haben darauf hingewiesen, dass es
für die Mieter immer teurer wird. Gleichzeitig wollen
Sie aber, dass man keinerlei Kürzungen bei den erneuer-
baren Energien in der Weise vornimmt, dass die Preise
günstiger werden. Wir nehmen das Geld von den Kon-
zernen, aus der Wirtschaft. Sie wollen es von den Ver-
brauchern und den kleinen Mietern nehmen. Das ist das
Absurde. Hier passen Anspruch und Wirklichkeit nicht
zusammen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Bulling-Schröter?
Gerne.
Danke schön, Herr Kollege. – Sie haben über die
Steuern gesprochen, die jetzt von den Unternehmen er-
hoben werden. Nehmen wir einmal die Brennelemente-
steuer. Es gibt ja mehrere ökologische Steuern. Die Ein-
führung einer Brennelementesteuer haben auch die
Linken schon seit Jahren befürwortet. Es gibt aber auch
die Flugsteuer, die rückwirkend zum 1. September die-
ses Jahres erhoben wird.
Warum wurde nicht beschlossen, auch die Brennele-
mentesteuer rückwirkend zu erheben? Es war doch für
Teile der Koalition absehbar, dass die Energiekonzerne
– ich sage es einmal so locker – ein bisschen tricksen
werden, um Steuern zu sparen. Das möchte eigentlich je-
der, der Steuern zahlt. Bloß gelingt es den meisten Bür-
gerinnen und Bürgern nicht, den großen Konzernen aber
schon.
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir uns hier mehrfür die Mieter und für die Kleinverdiener einsetzen wol-len, als Sie es tun.
Darauf haben Sie sich bezogen.Unser Ziel erreichen wir dadurch, dass wir die Indus-trie und die Wirtschaft beteiligen. Sie würden am liebs-ten unendlich viel in erneuerbare Energien investieren,am besten morgen, wobei sämtliche Kosten zulasten derStromkunden gehen sollen. Schließlich wollen Sie, dasswir sofort aus der Kernkraft aussteigen. Würden wir diestun, würden zig Milliarden an zusätzlichen Haushalts-mitteln fehlen, um diesen Umstieg zu schaffen. Sie sindnicht bereit, zu akzeptieren, dass man das eine nicht tunkann, ohne dass man dafür das nötige Geld zur Verfü-gung hat. Was hat das mit nachhaltiger Umweltpolitik zutun, heute Geld auszugeben, das man nicht hat? Sie for-dern immer eine nachhaltige Umweltpolitik. Aber wennes um den Haushalt geht, dann ist bei Ihnen von Nach-haltigkeit nichts zu spüren.Jetzt möchte ich noch etwas zur Brennelementesteuersagen. Sie wollten die Brennelementesteuer, und wir ha-ben sie eingeführt. Das ist der Unterschied zwischen derLinken und der FDP zusammen mit der CDU/CSU.
Die Umweltetats sahen in der Vergangenheit an vielenStellen viel Geld vor; das ist auch in Ordnung. Man hatdie unterschiedlichsten Initiativen unterstützt. Man hatMittel dafür zur Verfügung gestellt, dass sich das DGB-Bildungswerk für Ressourceneffizienz für Betriebsräteeinsetzt. Man hat auch Germanwatch 140 000 Euro ge-geben, damit es sich zu CCS äußert. Das Ergebnis warenzwei oder drei Abschnitte Text und zusätzlich ein kleinerNewsletter. Auch dies war Geld, das man an andererStelle vielleicht besser hätte ausgeben können. Auchwird das Projekt „Frauen aktiv gegen Atomenergie“ in
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8242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Horst Meierhofer
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Zukunft nicht mehr mit 100 000 Euro, wie es zuvor derFall war, gefördert werden.Ich möchte darauf hinweisen, dass wir jetzt Schwer-punkte setzen. Wir setzen uns für drei verschiedene Be-reiche ein, die vorher in einem Wirrwarr untergegangensind. Diese drei Bereiche möchte ich Ihnen kurz vorstel-len.Das ist zum einen der Bereich erneuerbare Ener-gien. In diesen Bereich wird Geld von Stromkunden in-vestiert, und zwar in einer Höhe, wie es in Deutschlandnoch nie der Fall war. Es gibt in Deutschland Ausbauzu-wächse wie nie zuvor. Ich frage mich schon, was mandaran zu kritisieren hat, wie man daran zweifeln kann– Herr Fell, Sie haben sich in der Vergangenheit für dieerneuerbaren Energien starkgemacht – und wie mangleichzeitig dagegen sein kann, dass es in dieser Phaseso unglaubliche Zuwächse gibt. In der Branche gibt eseine Begeisterung wie nie zuvor.
Wir haben deutlich mehr Geld für den Bereich Natur-schutz ausgegeben. Deshalb verstehe ich nicht, wie Sieauf die Idee kommen, uns vorzuwerfen, dass wir überallkürzen. Wir haben im letzten Jahr 30 Millionen Euro fürden Bereich Naturschutz zur Verfügung gestellt; in die-sem Jahr stehen dafür 50 Millionen Euro zur Verfügung.So etwas hat es vorher nicht gegeben. Unser MinisterRöttgen war auf der Naturschutzkonferenz. Sie war übri-gens sehr erfolgreich, Herr Kollege Kelber. Ihre Kolle-gen haben sich im Gegensatz zu Ihnen
– Ihre SPD-Kollegen! – darüber beschwert, dass er nichtbis zu den letzten Tagen an dieser Konferenz teilgenom-men hat und gleichzeitig darüber,
dass er während der Konferenzverhandlungen nicht hierim Umweltausschuss war. Er kann natürlich unmöglichan zwei Orten gleichzeitig sein. Ich glaube, dass die Er-gebnisse, die dort erzielt worden sind, sehr viel besserals alle in der Vergangenheit sind.
Was den Bereich Endlagerung betrifft, müssen wirjetzt – das gebe ich gerne zu – sehr viel Geld in die Handnehmen. Das müssen wir vor allem deswegen, weil Siezehn oder elf Jahre lang geschlafen und nichts getan ha-ben.
Das ist das Schlimme. Wenn man über Jahre hinweg im-mer mehr Schulden macht und sich nicht darum küm-mert, Lösungen zu finden, weil man mit den Ängsten derBevölkerung spielen will, dann darf man sich nicht da-rüber beschweren, dass andere ein Thema aufgreifen undzur Bewältigung der Probleme eine Menge Geld inves-tieren müssen. Leider müssen wir das; wir haben keineandere Möglichkeit.Ich möchte noch etwas zu den Grünen sagen. DieOlympiabewerbung interessiert mich als Bayern. Hier-bei geht es auch um die ökologischen Auswirkungen.Was die Grünen hier so treiben, ist ein wunderbares Bei-spiel für eine Politik, bei der man überhaupt nicht da-rüber nachdenkt, was etwas insgesamt und internationalbedeutet.
Eine Alternative dazu wäre, dass in Frankreich eine wei-tere Trabantenstadt in die Alpen gepflanzt wird. In Mün-chen dagegen besteht die Möglichkeit, zu 90 Prozent be-stehende Einrichtungen zu nutzen. Es könnten absolutklimaneutrale Spiele stattfinden. Das hat es noch nie ge-geben.
Man könnte Plusenergiehäuser in Bayern bauen. Daswürde dazu führen, dass der Atmosphäre sogar nochCO2 entzogen würde. Das wären die nachhaltigsten undökologischsten Spiele, die es je gegeben hat.Ihr Motto lautet: Heiliger Sankt Florian, beschützemein Haus, zünde das anderer an. Alles andere ist Ihnenegal. Das ist Ihre Politik. Ich glaube, mit dieser Politikwerden Sie in Zukunft in Deutschland nicht mehr weitkommen.Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Lenkert.
Kollege Meierhofer, Sie führen sich hier als der Ver-teidiger der normalen Gesellschaft auf. Ich weise Sie da-rauf hin: Ihr Sachverständiger hat in der Anhörung zurLaufzeitverlängerung auf meine Frage, ob die Kosten fürdie dauerhafte Lagerung des Atommülls in die Kalkula-tion der Wirtschaftlichkeit des Atomstroms eingegangensind, sinngemäß gesagt: Nein, die Entsorgungskostenseien „nicht berücksichtigt“, weil bei diesen „großeUnsicherheiten“ bestünden; das wird also später vomSteuerzahler bezahlt. – So verdrehen Sie die Tatsachen.Tatsache ist: Sie erhöhen die Kosten für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher.Noch ein Hinweis: Im aktuellen Strompreis sind Kos-ten für den Kauf an der Strombörse von etwa 4 Cent jeKilowattstunde enthalten, etwa 6 Cent Durchleitungsge-bühren, zukünftig etwa 3,5 Cent für die EEG-Umlageund etwa 2 Cent Ökosteuer. Wenn ich 21 Cent pro Kilo-wattstunde bezahle, schiebe ich den Konzernen einenProfit von 8 bis 9 Cent in die Tasche. Da müssen Sie he-rangehen. Wenn Sie das machen würden, dann könntenSie sagen, dass Sie für die kleinen Leute arbeiten. Da Siedas aber nicht machen und die Profite der Konzerne er-halten, sollten Sie solche Aussagen bitte lassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8243
Ralph Lenkert
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Kollege Meierhofer, Sie können replizieren.
Herr Lenkert, ich habe auf die Tatsache hingewiesen,
dass wir die Wirtschaft in die Finanzierung einbeziehen;
das gilt übrigens in erheblichem Maße auch für den Be-
reich der Endlagerung. Damit geht die Wirtschaft über
das hinaus, wofür sie eigentlich verantwortlich gewesen
wäre; sie zahlt Milliarden Euro extra. Für diesen Bereich
müssten ansonsten die Steuerzahler und damit auch die
kleinen Leute aufkommen. Dabei möchte ich die De-
batte um die Mehrwertsteuer – auch hier kommt mehr
Geld rein – außen vor lassen. Wenn Sie meinen, dass der
Strom aufgrund der Tatsache, dass wir die Laufzeiten der
Kernkraftwerke verlängern, teurer wird, als wenn wir die
Kernkraftwerke gleich abschalten würden, dann frage
ich mich, welche Zusammenhänge Sie da im Kopf ha-
ben.
Es könnte passieren, dass das eine oder andere Kohle-
kraftwerk, das CO2 emittiert, abgeschaltet werden
muss, wenn die Laufzeitverlängerung kommt; das
möchte ich nicht ausschließen. Als Umweltpolitiker der
Linken sind Sie im Gegensatz zu den anderen Politikern
der Linken gegen die Kohle. Insofern würde es mich
sehr interessieren, welche Meinung Sie dazu haben: Wie
wollen Sie von den Linken die Klimaschutzziele errei-
chen, wenn Sie die Kohle bis zum jüngsten Tage weiter
nutzen wollen?
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
legen Christian Ruck für die CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Ich möchte zum Schluss dieser Debatte zum Haus-halt des Umweltministeriums auf den Ausgangspunktzurückkommen. Wir befinden uns in einem Herbst derEntscheidungen, inmitten einer Auseinandersetzung umdie Energiepolitik und zwischen zwei wichtigen interna-tionalen Konferenzen, denen in Nagoya und Cancún.Einmal mehr gilt, dass wir mit unserem Handeln Ein-fluss auf internationales Geschehen nehmen können, mitunserer Wirtschaftskraft, unserer Technologie, unseremEngagement und Vorbild. Darauf sollten wir uns kon-zentrieren: Wir sollten zu einer seriösen Debatte zurück-kehren. Dazu sind aber Teile von Rot-Grün und einigemeiner Vorredner offensichtlich nicht imstande oder wil-lens.
Herr Schwabe, wenn fünfmal von einer Lüge desBundesumweltministers die Rede ist, dann zeigt das: Ei-nige von Ihnen lassen jegliches Niveau vermissen.
Das tut mir leid; denn es geht um Schicksalsfragen fürunsere Bevölkerung und für unsere Republik.Lieber Norbert Röttgen, ich möchte ausdrücklichDank sagen und dir zu den Erfolgen der deutschen Dele-gation auf dem Weltnaturschutzgipfel in Nagoya gratu-lieren.
Das war ein wichtiger Erfolg, ein Erfolg auch dieserBundesregierung. Es war auch der Erfolg eines inter-fraktionellen Antrages, der von der Union ausging, demsich aber auch Rot-Grün angeschlossen haben. Insofernist der Vorwurf, dass wir eine schlechte Umweltpolitikbetreiben, an dieser Stelle völlig unsinnig.Zum Thema Biodiversität und Erhaltung derSchöpfung. Hier haben die Grünen große Töne ge-spuckt. Ich möchte an dieser Stelle sagen, wo wir imJahr 2005, als die Grünen aus der Bundesregierung aus-scheiden mussten, im Bereich des Entwicklungshilfe-haushalts standen: Dort waren 20 Millionen Euro für denErhalt der Biodiversität vorgesehen; jetzt liegen wir bei309 Millionen Euro. Das ist mehr als das 15-Fache vondamals. Ich kann deswegen nur sagen: Ich begrüße es,wenn die Bundesregierung die Themen Klimaschutz undErhaltung der Schöpfung ressortübergreifend aufgreift.Ich finde es unterirdisch und kleinkariert, wenn man im-mer auf nur einen Haushalt starrt und behauptet, dass dieBundesregierung die einzelnen Haushalte nicht koordi-niert.
Herr Ott, da Sie aus Nordrhein-Westfalen sind,möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Ich finde es richtig,dass im Haushalt des BMU die Mittel für den Natur-schutz hochgefahren werden. Ich erinnere an das äußersterfolgreiche Programm für die großen Naturschutzge-biete in Deutschland. Ich finde es auch richtig, dass esein neues Programm für die Biodiversität im eigenenLand und für die Wiedervernetzung gibt. Das alles istrichtig, und es sind neue Initiativen aus dem BMU. DaSie aus Nordrhein-Westfalen sind, darf ich Sie daran er-innern, dass Naturschutz in Deutschland Ländersacheist. Daher möchte ich Sie auffordern: Gehen Sie zu IhrenKoalitionären in Nordrhein-Westfalen und sorgen Siedafür, dass auch in Nordrhein-Westfalen eine ordentlicheNaturschutzpolitik betrieben wird. Das wäre Ihr Job.
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8244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Christian Ruck
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Wenn hier im Zusammenhang mit der Konferenz inCancún von Lüge gesprochen wird, möchte ich Sie, auchSie, Herr Kelber, von Kollege zu Kollege bitten, erstensaufzuhören, so zu tun, als wäre Umweltpolitik im Rah-men der Entwicklungszusammenarbeit keine Entwick-lungszusammenarbeit. Es war immer Konsens, auch mitIhnen in der letzten Regierung,
dass Umweltpolitik im BMZ ein überaus wichtiger Pfei-ler ist und sie hinsichtlich der ODA-Quote natürlich be-rücksichtigt werden kann. Das ist das Erste.
Die zweite Bemerkung zum Thema Lüge. Ich bittedarum, dass Sie sich noch einmal alle einschlägigenPositionen in allen Haushalten, die mit Cancún in Zu-sammenhang stehen – Clean Technology Fund der Welt-bank, IKI, das Programm des BMU, und die konkretenbilateralen Zusagen des BMZ –, anschauen und wir 2013Bilanz ziehen; denn erst dann ist klar, was die beidenHäuser im Bereich Klimaschutzpolitik zusätzlich be-schlossen haben.
Herr Kelber, die beiden Häuser, BMU und BMZ, ha-ben gesagt, dass sie im Rahmen ihrer bilateralen Arbeitdie Zusagen nach der Konferenz in Cancún erfüllen wer-den. Es ist ein Gebot der Fairness, dass man abwartet, obihnen das in den nächsten zwei, drei Jahren gelingt odernicht.
Um zum Schluss zu kommen: Für Deutschland ist eswichtig, dass wir in Cancún mit einem Energiepro-gramm auftreten, das so ehrgeizige Ziele enthält, wie zu-vor keine Industrienation sie formuliert hat, dass derEnergie- und Klimafonds so gut ausgestattet wurde, wiedas bisher bei keiner anderen Industrienation der Fallwar, und dass wir mit einer konsistenten Energiepolitikantreten, die eben kein rot-grüner Blindflug ist, sondernauch berücksichtigt, dass wir die Klimaschutzziele mitdem Schutz von Arbeitsplätzen zusammenbringen müs-sen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Zig Millionen Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel,
wenn uns der Strompreis völlig aus dem Ruder läuft.
Das ist Ihnen völlig gleichgültig; das ist aber eine tra-
gende Säule unseres Programms.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-
gen Frank Schwabe.
Herr Dr. Ruck, es hilft nichts: Ich bleibe bei dem Vor-
wurf. In Kopenhagen wurden neue, zusätzliche Gelder
zugesagt. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang
die wunderbare Tabelle von Oxfam und die wunderbare
Website der niederländischen Regierung, auf der man
sich informieren kann; es gibt nämlich Länder, die ihre
Zusagen einhalten.
Wenn neue und zusätzliche Gelder in Höhe von
420 Millionen Euro pro Jahr und von 1,26 Milliarden
Euro über die drei Jahre von 2010 bis 2012 zugesagt
werden, aber am Ende der Anteil der neuen und zusätzli-
chen Gelder nur 10 Prozent beträgt, dann ist das eine
Lüge. Es hilft alles nichts. So verliert man die Glaubwür-
digkeit auf dem internationalen Parkett.
Sie meinen, dass es kurzsichtig ist, sich nur auf den
BMU-Haushalt zu beziehen und den Haushalt des BMZ
nicht zu sehen. Ihre Kritik trifft nicht zu; denn ich be-
ziehe mich auf beide Haushalte. Letztes Jahr hatten wir
Haushaltstitel in Höhe von 35 Millionen Euro in beiden
Haushalten. Diese sind jetzt gestrichen worden. Es bleibt
nichts übrig. Die Wahrheit ist: Es ist nichts neu und zu-
sätzlich hinzugekommen. Das ist eine große Hypothek
für Cancún.
Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Straubinger das Wort.
Herr Kollege Ruck, Sie haben auch das Energiekon-zept der Bundesregierung angesprochen. Dagegen gabund gibt es Demonstrationen. Eine davon fand in Mün-chen statt. Da hat sich der Oberbürgermeister der StadtMünchen, Christian Ude, in die Menschenkette mit ein-gereiht und skandiert: Abschalten! Abschalten!.
Jetzt ist aber die Stadt München mit 25 Prozent amKernkraftwerk Isar 2 beteiligt.
Der rot-grüne Münchner Stadtrat versucht seit mehrerenJahren – nach eigenen Angaben: ohne Erfolg –, diesenAnteil zu verkaufen. Würden Sie angesichts der großenBeteiligung an diesem Kernkraftwerk dieses Verhaltenals unredliche oder sogar als verlogene Politik von SPDund Grünen in München bewerten?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8245
(C)
(B)
Kollege Ruck, wollen Sie noch kurz erwidern? – Bitte
schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
Ich gehe zunächst auf die letzte Kurzintervention ein.
Was mich wirklich ärgert, ist die Scheinheiligkeit,
mit der Rot-Grün diese Debatte führt. Natürlich ist es so,
dass der größte Einnahmeposten der Stadtwerke Mün-
chen aus der Beteiligung an Isar 2 resultiert. Natürlich
denken sie überhaupt nicht daran, aus dieser Beteiligung
auszusteigen.
Es ist eine Unverschämtheit gegenüber den Demonstran-
ten, wenn der Oberbürgermeister an der Spitze des Zu-
ges marschiert und das Gegenteil von dem fordert, was
er jeden Tag macht. Das ist einfach scheinheilig.
Auch Ihre Demonstrationen gegen Pumpspeicher-
kraftwerke in Niederbayern und gegen den Bau neuer
Stromnetze in Thüringen zeigen dieselbe Scheinheilig-
keit.
Jetzt zu Ihnen, Herr Schwabe. Ich sage noch einmal:
Sie sind schlecht informiert und haben keine Ahnung,
wenn Sie nur auf den BMU-Haushalt schauen. Alleine
die Beteiligung des BMZ an dem Weltbankvorhaben
weist ein Volumen von 500 Millionen Euro auf. Hinzu
kommen die jährlichen 110 Millionen Euro von IKI. Ich
habe weiterhin gesagt: Den Rest haben die Häuser in bi-
lateralen Verträgen zugesagt. So arbeitet das BMZ. Herr
Schwabe, wenn Sie keine Ahnung von der Arbeit des
BMZ haben, dann hören Sie auf, darüber zu reden.
– Doch. Es ist zusätzlich.
Bevor Sie jemand anderen der Lüge zeihen, sollten
Sie selber mit dem Lügen aufhören. Das ist meine Mei-
nung.
und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3856, zu
dem namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen.
Sind die vorgesehenen Plätze an den aufgestellten Ur-
nen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zu
den drei Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/3838. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dage-
gen haben gestimmt CDU/CSU, SPD, FDP. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten, und die Linke
hat dafür gestimmt. Damit ist der Änderungsantrag ab-
gelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Druck-
sache 17/3839. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stim-
men der Linken und der Grünen abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Druck-
sache 17/3840. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 586. MitJa haben gestimmt 136 Kolleginnen und Kollegen, mitNein haben 316 gestimmt, es gab 134 Enthaltungen. Da-mit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
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8246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 581;davonja: 131nein: 316enthalten: 134JaDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldSteffen BockhahnEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberDr. Kirsten TackmannFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeVolker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarNicole MaischAgnes MalczakKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausGitta ConnemannLeo DautzenbergAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnHolger HaibachDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenDr. Kristina SchröderManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8247
Vizepräsidentin Petra Pau
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Dr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Nadine Schön
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Johannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
EnthaltenSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnUlla BurchardtPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip Juratovic
Metadaten/Kopzeile:
8248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
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Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD,zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie Die Bundesregierung bzw. die Bundesminister, die fürnen vor. Über den Änderungnis 90/Die Grünen werden wimen. Außerdem hat die FEntschließungsantrag eingebnach der SchlussabstimmungNach einer interfraktionedie Aussprache anderthalb Shöre keinen Widerspruch. DaIch eröffne die AusspracheOlaf Scholz für die SPD-Frak
amen und Herren! Wir dis-s Thema, das gerade in dern und Bürger und all dieje-t in diesem Lande verant-lassen, dass sich die SozialdeDeutschen Bundestag in diesNatürlich müssen wir unsob unsere SicherheitsorganeEs reicht nicht, immer nurnämlich auch ganz konkretemuss sichergestellt werden,Sicherheitsbehörden genügeMitarbeiter tätig sind.
chlossen, dabei zu helfen,ngen kommt. Die Maßnah-Weg gebracht worden sind,cht aus. Wir müssen dafürehörden unseres Landes guttelle darf trotz schwierigerein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- diesen Bereich zuständig sind, können sich darauf ver-Oliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixWir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 16 ist mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-men der Oppositionsfraktionen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf:Einzelplan 06Bundesministerium des Innern– Drucksachen 17/3506, 17/3523 –Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen HerrmannNorbert BarthleDr. Peter DanckertFlorian ToncarSteffen BockhahnStephan KühnDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenWerner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte Zyprieswortlich sind, bewegt. Ja, wir sind beim Thema „innereSicherheit“ mit neuen Herausforderungen konfrontiert,Herausforderungen, die damit zu tun haben, dass sichder internationale Terrorismus mehr als in der Vergan-genheit für Anschlagsziele in der BundesrepublikDeutschland interessiert. Das ist ein großes Problem.Deshalb ist es wichtig, dass wir versuchen, in der Frageder Bekämpfung dieser Bedrohung zusammenzustehen.Ich glaube, hier darf nicht das einfache Spiel zwi-schen Regierung und Opposition stattfinden. Es ist not-wendig, dass Regierung und Opposition gemeinsam ver-suchen, die richtige Politik zu machen, damit imHinblick auf die Sicherheitslage Vertrauen gewährleistetist.
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Haushaltslage nicht gespart werden. Sie, die Regierung,sollten diesem Antrag folgen.
Dass bei Ihnen schon manches in Bewegung ist, ha-ben wir zur Kenntnis genommen. So sind zumindest dieVollzugskräfte von linearen Stellenkürzungen nichtkomplett betroffen.
Im Bereich der inneren Sicherheit gibt es aber nicht nurVollzugskräfte; auch das muss festgestellt werden. Dieübrigen Mitarbeiter sind für die Erledigung der Aufga-ben in unserem Land ebenfalls wichtig. Darüber hinauskommt es aufgrund der Kompensation der Arbeitszeit-verlängerung zu weiteren Stelleneinsparungen. All dasmuss man als Gesamtheit betrachten. Wir glauben, dassman die Entscheidungen, die bisher getroffen wurden,zurücknehmen muss, wenn man eine ordentliche Sicher-heitslage in unserem Land gewährleisten will.Wenn wir über die schwierige neue Situation spre-chen, dann geht es immer auch um den Ton. Ich will aus-drücklich sagen, dass mir der bisherige Ton der öffentli-chen Diskussion über die Sicherheitssituation inDeutschland sehr gut gefällt. Wir befürworten es, wennnicht drum herumgeredet, sondern ernst gesprochenwird, allerdings ohne zu übertreiben. Genau so empfin-den wir es im Wesentlichen.
Man darf nicht drum herumreden, also durch einenverzerrten Optimismus den Eindruck erwecken, als seinichts los. Es ist etwas los, und das kann man sehr kon-kret beschreiben. Man darf aber die Hoffnung vermit-teln, dass, wenn wir uns gemeinsam anstrengen, all dieGefahren, die entstehen könnten, sich nicht realisieren.Es ist wichtig, deutlich zu machen: Wir dürfen wederübertreiben noch untertreiben. Im Übrigen ist das diebeste Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnen undBürger unseres Landes unseren öffentlichen Aussagenim Hinblick auf die innere Sicherheit glauben. Wenn wirdabei erwischt würden, dass wir etwas verharmlost ha-ben, würden sie uns nichts mehr glauben. Wenn wir da-bei erwischt würden, dass wir völlig übertrieben haben,würden sie uns auch nichts mehr glauben. Es geht alsodarum, sich sehr konkret und sachlich zu äußern und fal-sche Tonlagen zu vermeiden.Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir unsin den letzten Wochen nicht ganz sicher waren, ob jedeInformation und jede Aktivität ganz präzise zum richti-gen Zeitpunkt und im richtigen Umfang erfolgt ist. Daswollen wir allerdings gerne auf das Konto verbuchen,dass sich die Lage für alle Beteiligten überraschend ver-ändert hat. Wir hoffen, dass dies in Zukunft anders seinwird; denn sowohl für die Verantwortlichen als auch fürdie Bürger ist wichtig, dass sie immer nach diesen Prin-zipien informiert und beteiligt werden.Derzeit hört man viele Vorschläge, was zu tun ist, so-gar ganz verrückte. Manch einer kommt zum Beispielauf die Idee, in bestimmten Fällen Flugzeuge abschießenzu lassen.Ich finde, dieser Vorschlag muss endlich vom Tisch.Er wird nicht besser dadurch, dass er immer wieder ein-mal wiederholt wird.
Ich habe den Eindruck, dass die Leute, die so etwas vor-schlagen, das gar nicht ernst meinen. Manchmal hinter-lässt man in der Frage der inneren Sicherheit gern einenmartialischen Eindruck.
Dies ist ein guter Weg, das zu tun. Aber Gott sei Dankgibt es Gesetzgebungsmehrheiten, die dafür sorgen wer-den, dass das niemals so kommt.Das gilt auch für den Vorschlag eines Abgeordneten,man müsse in diesem Zusammenhang über die Presse-freiheit diskutieren.
Auch dieser Vorschlag ist nicht gut, und zwar deshalbnicht, weil das Vertrauen, über das ich eben gesprochenhabe, nicht besser wird, wenn man das Gefühl hat, dassnach Wegen gesucht wird, wie man verhindern kann,dass über alles ordentlich berichtet wird.Es gibt ein paar Dinge der letzten Jahre, die wir gerneals Niveau an erreichter innerer Sicherheit aufrechtzuer-halten bereit sind. Wir als Oppositionspartei sind gernebereit, der Regierung den Stand, der zum Beispiel in denelf Jahren sozialdemokratischer Regierungsbeteiligungin der inneren Sicherheit errungen worden ist, auch wei-terhin zu ermöglichen.
Es gibt ein paar Gesetzgebungsvorhaben, bei denennichts vorangeht und bei denen man sich fragt, warumdie Regierung da nichts tut, etwa wenn es um die Fragegeht, was mit den Mindestspeicherungsfristen bei Ver-bindungsdaten werden soll. Es hat einen guten Sinn fürdie Gesetze gegeben, die der Bundestag beschlossen hat.Das Bundesverfassungsgericht hat zwar gesagt, dass dasso nicht geht, aber es hat auch gesagt, wie es geht. Inso-fern erwarten wir jetzt von der Bundesregierung einenGesetzentwurf zur Speicherung von Verbindungsda-ten, der die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtsbeachtet.
Der Hinweis auf Quick Freeze reicht nicht aus; das willich ausdrücklich dazu sagen. Wir erwarten auch, dassVorschläge dazu kommen, wie wir nun mit der Quellen-TKÜ umgehen wollen, die auch zu unserer gesetzlichenSicherheitsarchitektur gehört.
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Olaf Scholz
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Ich jedenfalls versichere Ihnen gerne, dass die Sozial-demokratische Partei, wenn Sie das aufrechterhaltenwollen, was schon einmal da war, oder in einer gesetz-lich neuen Fassung wiederherstellen wollen, Ihnen Un-terstützung leistet. Das gilt für all die Sicherheitsgesetze,die in den letzten Jahren zustande gekommen sind. SeienSie sicher: Auf uns können Sie sich verlassen. Ob Sie et-was vorlegen werden, weiß ich nicht; das wäre aber gut.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Bei der innerenSicherheit geht es um einen klaren, kühlen Kopf. Es gehtnicht um aufgeregte laute Reden, und niemand sollteaufgeregte laute Reden halten. Aber wenn wir einen kla-ren, kühlen Kopf haben, dann glauben uns die Bürger,dass wir die Sache im Griff haben, dass wir das Erfor-derliche tun. Dann werden wir den einen oder anderen,der böse Absichten im Schilde führt, daran hindern kön-nen, sie umzusetzen.Schönen Dank.
Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Jürgen
Herrmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschlie-ßen am heutigen Tag den Einzelplan 06. Vorausgegan-gen sind viele Gespräche mit den Berichterstattern insehr angenehmer Atmosphäre, aber auch im Ministeriumund im Haushaltsausschuss. Herzlichen Dank sage ichganz besonders dem Innenministerium und Ihnen, HerrMinister, für die hervorragende Zusammenarbeit und fürdie Zurverfügungstellung aller Informationen, die wirgebraucht haben. Sie sind umgehend geliefert worden.Das hat unsere Arbeit erheblich erleichtert.Die Koalition ist – das stand schon fest – weiterhinauf Konsolidierungskurs, auch was diesen Haushalt an-geht. Das betrifft auch den Einzelplan 06. Die Konsoli-dierungsmaßnahmen sind über den gesamten Etat ver-teilt worden, sodass sie von allen 18 Behörden, die demInnenministerium unterstellt sind, erbracht werden. Ichdenke, das ist richtig. Wer weiß, wie wir die Haushalts-beratungen geführt hätten, wenn die Situation, die wirzurzeit haben, schon im Laufe des Sommers eingetretenwäre. Aber egal wie viele Mittel man zur Verfügungstellt, man muss feststellen: Ein hundertprozentigerSchutz ist niemals möglich. Aber wir sind gefordert, al-les zu tun – und das tun wir –, damit die Gefahren redu-ziert werden.Man kann argumentieren, dass es in TeilbereichenGlück war, dass Anschläge nicht stattgefunden haben.Ich nenne hier die Kofferbomben, die nicht explodiertsind. Aber aus meiner Sicht geht es vielmehr darum, zusagen, dass wir letztendlich durch einen vernünftigenAufbau von Frühwarnsystemen, in den alle Behördendes Landes mit eingebunden sind, Anschläge verhindernkonnten. Die Zerschlagung der sogenannten Sauerland-Gruppe ist hierfür ein gutes Beispiel. – Im Bereich derSicherheitsbehörden sind wir also gut aufgestellt; dasmuss man an dieser Stelle einmal sagen. Auch dasEquipment, das zur Verfügung gestellt wird, ist weitest-gehend auf dem neuesten Stand.Wir sind aber gefordert, zukunftsweisend zu denken;das heißt, wir müssen uns damit beschäftigen, was aufuns zukommen kann. Die Werthebach-Kommission, diejetzt im Hause des Innenministers eingesetzt worden ist,leistet sicherlich Erhebliches, um hier voranzukommen.Das Ergebnis wird demnächst auf dem Tisch liegen.Dann werden wir sehen, welche Synergieeffekte es gibt,welche Behörden zusammengelegt und wo neue Struktu-ren geschaffen werden können.Wir sind auch im Rahmen der Globalisierung gefor-dert; denn die Grenzen sind jetzt nicht mehr direkt beiuns, sondern wir müssen weiter in die Welt schauen.Letztendlich werden wir massiv mit organisierter Krimi-nalität, internationalem Terrorismus und asymmetri-schen Bedrohungen konfrontiert sein. Weitere Themen,die auf uns zukommen werden – hier werden das BKAund das BSI noch viel tun müssen –, sind Cyber War undCyber Defense, also die Bedrohung über das Internet.Der Staat muss seiner Aufgabe nachkommen, dieBürger zu schützen. Hierfür stellen wir personelle undfinanzielle Ressourcen bereit. Der Bundeshaushalt desBMI umfasst in diesem Jahr etwas mehr als5,4 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren auf derTribüne, ich möchte das an dieser Stelle einmal ganzdeutlich ausdrücken: Mehr als zwei Drittel der Mitteldieses Haushaltes werden für den Bereich der innerenSicherheit verwendet. Ich glaube, das ist gerade in dieserZeit ein gutes Zeichen.
Wir tun viel für die innere Sicherheit und haben daslangfristig ausgelegt, aber wir haben auch lageangepasstreagiert. In diesem Zusammenhang – Herr Scholz, ichfand es gut, dass Sie dies ebenfalls erwähnt haben –spreche ich dem Minister noch einmal ein großes Lobaus, der in dieser schwierigen Situation richtig reagierthat. Er hat die Bevölkerung auf Gefahren hingewiesen,ohne zu übertreiben und populistische Maßnahmen zufordern. Ich glaube, das ist der richtige Weg, wie manmit einer solchen Situation umgeht. Der Appell, wach-sam zu sein, aber nicht hysterisch zu reagieren, ist voll-kommen richtig. Dafür noch einmal herzlichen Dank,Herr Minister.
Ich habe gesagt, dass wir lage- und situationsange-passt reagiert haben. Das gilt insbesondere für den Be-reich der Luftfrachtsicherheit. Die Sachverhalte sindbekannt; sie standen in der Presse. Wenn man weiß, dasswir 10 Prozent des weltweiten Luftfrachtaufkommens inDeutschland umschlagen, dann weiß man auch, vor wel-cher großen Aufgabe wir letztendlich stehen. Ich binfroh, dass sich der Arbeitsstab im BMI jetzt mit den Fra-gen beschäftigt, die noch zu beantworten sind, um dann
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konzentriert die Arbeit aufzunehmen und eine neue Or-ganisation aufzubauen, die die Aufgaben dann langfris-tig bewältigen kann. In der Bereinigungssitzung habenwir 450 Stellen für diesen Bereich zur Verfügung ge-stellt, die in dem Moment abgerufen werden können,wenn der Aufbau der Organisation abgeschlossen ist.Ich sage an dieser Stelle auch noch etwas zu den Stel-lenkürzungen, Herr Scholz, weil Sie das eben anspra-chen. Wir tragen sicherlich dazu bei, dass es zum Teil zuStellenkürzungen kommt; aber eines muss man hier ganzdeutlich sagen: Seit 1998 ist beim BKA ein Personalauf-wuchs um 17 Prozent und bei der Bundespolizei um6 Prozent erfolgt. Bei den Stellen der Polizeivollzugsbe-amten wird nicht gekürzt. Ich denke, das ist ein wichti-ges Zeichen dafür, dass wir zur inneren Sicherheit ste-hen. Es gibt also keine Kürzungsorgien, von denen dieOpposition teilweise spricht.
Bei der Luftfrachtkontrolle stellt sich die Frage, wernachher die Arbeit übernimmt.
Für mich als Polizeibeamten und Berichterstatter imHaushaltsausschuss stellt sich diese Frage eigentlichnicht. Ich sage es ganz deutlich: Security gehört in denBereich des BMI.
Ich hoffe, dass wir auch hier zu einer entsprechendenLösung kommen, wobei dann natürlich alle anderen Be-hörden, die im Bereich der Luftfrachtkontrolle tätig sind,zusammengefasst werden müssten, sodass es zu einerZentralisierung kommt und wir so letztendlich den größ-ten Erfolg haben.An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen,dass gerade das BKA, die Bundespolizei und auch wei-tere Dienste im Bereich der inneren Sicherheit eine he-rausragende Stellung einnehmen, um staatliche Interes-sen zu schützen. Neben dem Schutz von Bahnanlagen,Demonstrationen und Grenzsicherungen stehen geradein diesen Tagen Tausende von Beamtinnen und Beamtenzur Verfügung, um Objekt- und Raumschutzaufgaben zuübernehmen und den Staat und somit die Bürger vor ter-roristischen Anschlägen zu schützen. Uns wird das jedenTag bewusst, wenn wir den Reichstag betreten. Eine sol-che Situation haben wir in der Form noch nicht erlebt.Von daher gilt mein Dank insbesondere denjenigen, diediese Sicherheit zurzeit gewährleisten. Es ist sicherlichnicht einfach, 24 Stunden, rund um die Uhr, bei diesenWitterungsbedingungen den Dienst zu verrichten. Dafürherzlichen Dank.
Staatliche Vorsorge nicht nur im engeren Sinne aufdie innere Sicherheit bezogen bedeutet auch, dass wir fürden Katastrophenfall oder für Großschadenslagen Vor-sorge treffen müssen. Das ist der zweite Bereich, den ichansprechen möchte. Ich möchte in diesem Zusammen-hang exemplarisch das THW erwähnen.
– Das sehe ich ganz anders. Wenn Sie die Gesprächevernünftig verfolgt hätten, dann wüssten Sie, wie inten-siv das diskutiert wurde. Der Präsident – er ist heute an-wesend – hat uns mit auf den Weg gegeben, was für dasTHW zu machen ist.
– Hören Sie doch einmal zu, dann wissen Sie es! – Wirhaben es mit unseren Anträgen – auch mit Zustimmungder Oppositionsparteien – geschafft, die Stellung desTHW mit seinen 80 000 ehrenamtlichen Helferinnenund Helfer deutlich zu verbessern. Die Maßnahmen stär-ken das Ehrenamt insgesamt. Angesichts der vielen Ein-satzszenarien im In- und Ausland, die das THW bedient,ist das sehr wichtig. Ich danke daher neben der Feuer-wehr auch all denjenigen, die beim THW mit600 freiwilligen Kräften aus 50 Ortsverbänden beimSturmtief „Carmen“ so erfolgreich geholfen haben. Daszeigt, wie effektiv das Geld hier eingesetzt wird.
Konkret bedeutet das bei der Umsetzung im Haushalt,dass wir es endlich geschafft haben, das THW in den Be-reich der sogenannten Sicherheitsbehörden aufzuneh-men. Das bedingt letztendlich auch, dass zukünftig keineallgemeinen Stellenstreichungen mehr vorgenommenwerden und damit der Bestand von 803,5 Stellen erhal-ten wird. Das ist sicherlich ein wichtiges Zeichen fürdiejenigen, die dort hauptamtlich beschäftigt sind.
Aber damit nicht genug: Wir haben zusätzlich noch13,5 „nackte“ kw-Vermerke streichen können, sodassdie Stellen nicht wegfallen, und auch eine Verlängerungvon 14,5 kw-Stellen vorgesehen. Das trägt dazu bei, dasswir insbesondere in diesem Bereich dem Nachwuchseine Chance geben, damit es keine Lücke gibt, wennMitarbeiter ausscheiden.Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit – das be-trifft auch andere Behörden in diesem Einzelplan –: Ins-gesamt haben wir dort 37 Stellen geschaffen. Zusätzlichhaben wir 2 Millionen Euro für den Erwerb von Fahr-zeugen zur Verfügung gestellt. Ich glaube, auch dieszeigt deutlich, wie wichtig uns die Arbeit ist.
Mit dem vorliegenden Haushalt des Einzelplanes 06sind wir auf dem Weg, vieles in die richtige Richtung zulenken und innere Sicherheit für die Menschen in unse-
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rem Land zu generieren. Ich bin der festen Überzeugung,dass es uns, wenn wir auch die zukünftigen Aufgabengemeinsam angehen, gelingen wird, diesen Bereich wei-ter auszubauen und immer auf der sicheren Seite zu sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sind in der Tat in einer schwierigen, angespanntenSituation. Bundesinnenminister de Maizière hat es tref-fend ausgedrückt: Es gibt Grund zur Sorge, aber keinenGrund zu Hysterie. – Das ist in der Tat – das muss auchich als Oppositionspolitiker sagen – im Gegensatz zuseinen Vorgängern ein Stil, den ich für der Sache sehrangemessen halte, um das einmal lobend zu erwähnen.Ich denke, die Bevölkerung reagiert besonnen undaufmerksam, wie wir erleben können; sie ist vor allemnicht hysterisch. Das gilt allerdings vor allem für die Be-völkerung, aber nicht für die Politiker aus den eigenenReihen der Unionsfraktion.Um ein paar Beispiele zu nennen: Der Innenministervon Niedersachsen, Schünemann, fordert „verstärkte Po-lizeipräsenz in islamisch geprägten Stadtvierteln“ oder„ein Handy- und Computerverbot“ für sogenannte „Ge-fährder“. Tolle Idee!
Der Kollege Uhl fordert Folgendes:Wer sich jetzt noch gegen die Vorratsdatenspeiche-rung wehrt, hat die Bedrohungslage nicht verstan-den.Der Kollege Geis – auch er ist aus Ihren Reihen; daswird ja immer doller – möchte eventuelle Gefährder „vo-rübergehend in Gewahrsam nehmen“.Nun kommt wirklich der Kracher der Woche: DerVorsitzende des Rechtsausschusses – ausgerechnet derVorsitzende des Rechtsausschusses! – plädiert dafür, diePressefreiheit einzuschränken. Das ist in der Tat nichtbesonnen, und damit fällt man übrigens dem eigenen In-nenminister voll in den Rücken. Das ist die Wahrheit.
Ich will es klar sagen: In so einer Situation, in der dieAngst umgeht, in der Verunsicherung herrscht und in deres um eine Gefahrenlage geht, schüren gerade solcheAussagen Hysterie. Es ist verantwortungslos, und vor al-lem führt es zu Angst. Angst ist ein denkbar schlechterRatgeber, um in einer Situation wie dieser mit kühlemKopf über die Sicherheitsarchitektur zu diskutieren,nachzudenken und abzuwägen. Deswegen fordere ichden Innenminister auf: Sprechen Sie ein Machtwort! Sa-gen Sie Ihren eigenen Leuten, dass wir so nicht weiter-kommen! Stoppen Sie die Rechtsaußenausleger in Ihrereigenen Fraktion! Das ist der Sache nämlich nicht dien-lich.
In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal aufden Kollegen Uhl – ich hatte ihn bereits erwähnt – undseine Äußerung zum Thema Vorratsdatenspeicherungeingehen und dabei in Erinnerung rufen, was das Bun-desverfassungsgericht gesagt hat: So, wie die Regelunggewesen ist, geht es überhaupt nicht. – Deswegen könnteman in einer solchen Situation innehalten und in Ruhedarüber nachdenken, ob wir dieses Instrument überhauptbrauchen. Wir glauben, wir brauchen es nicht. Sie habenin diesem Fall, Frau Justizministerin, die Linke gegenIhren eigenen Koalitionspartner an Ihrer Seite. Das istdoch einmal etwas.
Ich hoffe, dass Sie in dieser Frage nicht einknicken.Wenn wir nun also sachlich differenziert über dieseFragen in dieser Situation nachdenken wollen, müssenwir die Innenpolitik und den Haushalt insgesamt in denBlick nehmen. Folgendes ist doch interessant: Die War-nungen, die uns erreicht haben und der Bevölkerung unddem Parlament vom Innenminister dargestellt wordensind, haben eines gezeigt: Die Instrumente, die uns imMoment zur Verfügung stehen, haben offensichtlich aus-gereicht. Es wurde gute Arbeit geleistet. Auch das isteinmal zur Kenntnis zu nehmen, und insofern brauchenwir keine weiteren Überwachungsmaßnahmen oderanderes. Vielmehr brauchen wir top ausgebildetes Perso-nal. Wenn wir darüber diskutieren, dass das Frachtauf-kommen von 2000 bis 2008 um über 60 Prozent gestie-gen ist, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass dasPassagieraufkommen im Flugverkehr im selben Zeit-raum um über 40 Prozent gestiegen ist, dann müssen wirauch schauen, ob die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter, die an sicherheitsneuralgischen Punkten einge-setzt werden, im gleichen Umfang angestiegen ist. Hiergibt es einiges nachzuholen, und das ist der richtigeWeg, um für Sicherheit zu sorgen.
In diesem Zusammenhang muss es darum gehen– und das haben auch Sie mit zu verantworten –, dasswir die Privatisierung von Sicherheit zurückdrängen.Wir brauchen eine höhere staatliche Quote. Das ist nichtAufgabe von privaten Unternehmen. Das muss in derHoheit von Bundespolizei und anderen liegen.
Hierfür brauchen wir erstens top geschultes, zweitenstop bezahltes und drittens vor allem top ausgeschlafenesPersonal. Dieses verheizt man aber, wenn man es zu-gunsten der Atomlobby tagelang für Castortransporte
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einsetzt. Das gefährdet die innere Sicherheit, um es klarzu sagen.
Ich glaube, dass wir in dieser Situation mehr auf Men-schen statt auf elektronische Großprojekte setzen sollten.Ich glaube, dass wir nach außen hin deutlich machenmüssen, dass wir den demokratischen und sozialenRechtsstaat bis aufs Letzte verteidigen und dass es de-mokratische Grund- und Freiheitsrechte gibt, die inden letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten unter großenOpfern erkämpft worden sind, dass wir dafür stehen, De-mokratie offen und aufmüpfig zu leben, dass wir indivi-duelle Freiheitsrechte verteidigen und die Leute auffor-dern, sie auch wahrzunehmen, und dass wir dendemokratischen Sozialstaat nicht abbauen, sondern aus-bauen müssen. Das wäre die richtige Antwort, die wirgeben sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deswegen hoffe ich, dass der Innenminister – in die-sem Fall vielleicht auch die Kanzlerin – den eigenenScharfmachern Einhalt gebietet und dass man in Ruheabwägt und nachdenkt. Im Übrigen müsste die SPD einePosition finden, wie sie denn weitermachen will.Wiefelspütz sagt nämlich das eine, und die anderen inder SPD sagen das andere. Insofern muss die SPD ihreeigene Linie erst noch finden.
Wir sollten gemeinsam in Ruhe nachdenken und nichtHysterie schüren, wie das einige in diesem Hause tun;das ist verantwortungslos. Die Linke ist nicht nur in die-sen Zeiten, sondern immer an einer sachlichen Aus-einandersetzung interessiert. Das wäre der richtige Weg.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wenn man über den Haushalt des Bundesministe-riums des Innern an einem Tag wie diesem diskutiert,gehört es sich, wie ich finde, an allererster Stelle denenzu danken, die es uns ermöglichen, hier zu diskutierenund zu beraten, nämlich all den Polizistinnen und Poli-zisten, die diesen Reichstag beschützen, und vor allenDingen den Sicherheitsbehörden, deren erfolgreichemEinsatz es zu verdanken ist, dass in Deutschland bishernicht mehr passiert ist. Ich glaube, das sollte uns heutevor allen Dingen einen. Ich wäre dankbar, wenn auch dieOpposition das zur Kenntnis nehmen könnte.
Weiterhin möchte ich Ihnen, Herr Innenminister deMaizière, ausdrücklich danken. Ich schließe mich denWorten von Jürgen Herrmann an. Mit Ihrer besonnenen,ruhigen Art haben Sie sicherlich dazu beigetragen, dasses keine aufgeregte Diskussion gegeben hat. Das ist derSituation angemessen; vieles, was wir sonst gehört ha-ben und was gesagt wurde, war es nicht. Dafür mein per-sönlicher Dank – auch im Namen meiner Fraktion – anSie.
Wir müssen aber auch erkennen, dass es Handlungs-bedarf bei der Aufstellung unserer Sicherheitsbehördenund beim Personal gibt. Herr Scholz, Sie haben gesagt,Sie wollten heute konkret sein und sachlich sprechen.Das haben Sie in weiten Teilen erfreulicherweise getan.Aber über Ihre Bemerkungen zum Personal war ichschon verwundert; denn es gibt keine Personalkürzun-gen, im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als es un-ter Ihrer Ägide bzw. Ihrer Beteiligung oft zu Kürzungenzum Beispiel beim BKA gekommen ist. Damals habeich vergeblich darauf gehofft, dass Sie Ihre Stimme erhe-ben, wenn es darum ging, mehr Geld für die Sicherheitauszugeben. Ich persönlich finde auch interessant: Da,wo Sie noch mitregieren oder regieren, haben Sie in derRegel Polizeikräfte abgebaut und nicht neu eingestellt.
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Da-für muss man gar nicht weit schauen. In Brandenburg re-formieren Sie gerade die Polizei, und zwar zulasten derSicherheit. Ich finde es nicht in Ordnung, hier zu sagen,man wolle sachlich diskutieren, und gleichzeitig dort,wo man Verantwortung hat, das Gegenteil zu tun. Das istweder richtig noch fair und der Situation nicht angemes-sen.
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir dieWerthebach-Kommission eingesetzt; denn nichts ist sogut, dass es nicht verbessert werden kann. Es gibt Dop-pelzuständigkeiten bei Landespolizei, Bundespolizeiund Zoll. Diese müssen im Detail überprüft werden. Indiesen Zeiten müssen wir vor allen Dingen Ressourcenheben. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Bei-spiel der Zoll bei der Luftfracht jedes Paket darauf über-prüft, ob es richtig verzollt ist, aber nicht, ob die Sicher-heit gewährleistet ist. Angesichts von 35 000 Mitarbei-tern des Zolls können wir uns das im Sinne unserer Si-cherheit nicht mehr leisten. Hier muss man genau hin-schauen. Das muss man verbessern. Die Ressourcenmüssen besser genutzt werden. Wir sind sehr gespannt,was die Werthebach-Kommission sagt.
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Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wieland?
Ich habe es schon vermisst.
Das ist sehr nett, Frau Kollegin Piltz. – Auch ich bin
sehr gespannt, was uns die Werthebach-Kommission
vorschlagen wird. Können Sie mir erklären, wie es
kommt, dass nun ausgerechnet Ihre Fraktionskollegen in
dieser Woche einen Reigen von Vorschlägen machten,
die genau die Ergebnisse der Werthebach-Kommission
vorwegnehmen? Warum warten Sie nicht so ruhig ab,
wie Sie es gesagt haben, um dann gemeinsam mit der
Opposition über die Vorschläge zu debattieren?
Herr Wieland, vielen Dank für Ihre Frage und für dasdamit verbundene Kompliment. Denn Sie haben gesagt,wir seien in der Lage, die Ergebnisse der Werthebach-Kommission vorwegzunehmen. Wenn wir das könnten,dann wären wir noch besser, als wir glauben. Das könnenwir tatsächlich nicht. Aber wir können die Debatte beglei-ten.Ich bin keine Haushälterin und erst recht nicht Mit-glied in dem geheim tagenden Gremium. Deshalb kannich bezüglich des MAD nur aus der Zeitung zitieren. DerHaushalt wird diese Woche verabschiedet, sonst würdenwir nicht über den Haushalt debattieren. Das heißt, wennwir über eine Veränderung beim MAD, beim Bundesamtfür Verfassungsschutz und beim BND reden, dann redenwir natürlich im Rahmen des Haushalts darüber.
Ich finde, es ist nichts Verwerfliches, wenn wir auchin diesem Bereich unsere Sicherheitsbehörden besseraufstellen. Wir sind uns – Beispiel Zoll – mit unseremKoalitionspartner in weiten Bereichen einig. Man mussaber auch feststellen: Der Zoll darf Sachen, von denenich bisher nicht geglaubt habe, dass er sie darf. Der Zollhat Onlinedurchsuchungen durchgeführt, der Zoll führtTelekommunikationsüberwachung durch, der Zoll hateine eigene Eingreiftruppe, die der GSG 9 gleicht. Ichfrage Sie: Vermuten Sie so etwas beim Zoll? Das gehörtaus unserer Sicht eher in den Sicherheitsbereich als inden Bereich des Bundesfinanzministeriums.
Man muss im Einzelnen genau hinschauen. Diese De-batte muss in der Tat sachlich geführt werden. Das habeich getan.Die Forderung nach mehr Gesetzen ist nicht immersinnvoll. Für diese Aussage habe ich einen guten Kronzeu-gen, nämlich den Präsidenten des BKA, Herrn Ziercke,der gesagt hat, dass er manche Festplatten gar nichtüberprüfen könne, weil diese drei Jahre im Keller lägen,da er das Personal zur Überprüfung nicht habe. Das müs-sen wir ändern. Dafür bedarf es aber keiner Gesetzesän-derung.Ähnlich verhält es sich mit der durchaus umstrittenenVorratsdatenspeicherung. Eines ist klar: Wir haben dasGesetz nicht gemacht. Andere sind vor dem Bundesver-fassungsgericht gescheitert.
Was mich persönlich manchmal wirklich bedrückt, ist,wie man mit den Fakten umgeht. Wenn man es im Zu-sammenhang mit dem Urheberrecht schafft, allein beider Telekom im letzten Jahr 2,7 Millionen IP-Adressenabzufragen, dann frage ich mich, warum die Polizei dasnicht kann, insbesondere dann, wenn es nicht um Geld,sondern um den schäbigen Missbrauch von unseren Kin-dern geht. Das ist die Frage, die man sich stellen muss,
nicht aber die Frage, ob man unendlich Daten speichernsoll.
Deshalb haben wir das sogenannte Quick-Freeze-Ver-fahren in die Diskussion eingebracht. Damit kommendie Amerikaner ganz gut zurecht.
Ehrlich gesagt, die Amerikaner sind nicht immer meinVorbild, aber in diesem Fall könnten sie es sein. Ichglaube, es lohnt sich, in aller Ruhe über diesen Vorschlagzu sprechen.Der Haushalt des Bundesinnenministeriums umfasstaber mehr als nur Titel zur Sicherheit. Er umfasst auchden Sport. Wir sind sehr stolz darauf, dass die Mittel fürden Bereich des Sports nicht reduziert wurden. Uns ist esvielmehr gelungen, durch kluge Umverteilung und Um-schichtung diesen Haushalt zu konsolidieren. Das isteine Leistung, auf die wir stolz sein können.
Wir brauchen die Mittel dringend für die Bewerbung umdie Olympischen Spiele 2018 in München. Ich finde, dasist eine Herausforderung für dieses Land und keine Be-drohung, wie das offensichtlich für Sie der Fall ist.
– Für die Grünen. Ich glaube nicht, dass ich geschielthabe. –
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Gisela Piltz
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Ich würde gerne wissen, wie sich heute die Fraktionder Grünen im Münchener Stadtrat fühlt. Wahrscheinlichfühlt sie sich von Ihnen ziemlich alleingelassen. Es istschon interessant, dass die Kollegin Roth monatelangdurch die Gegend reist, die Olympischen Spiele als dieökologischsten Spiele bezeichnet und sich als Botschaf-terin des Sports und der Olympischen Spiele 2018 prä-sentiert, sie aber, sobald es einen Beschluss des Partei-tags gibt,
von ihrer Funktion zurücktritt. Das Problem ist: Entwe-der hat sie kein Rückgrat, oder Sie haben es nicht. DieBeantwortung dieser Frage muss ich Ihnen überlassen.Apropos Sport, ich bin sehr gespannt, wann diese popu-listische Welle, auf der Sie im Moment sehr erfolgreichsurfen, am nächsten Felsen zerschellt. Das Bild passtzwar eher zu den Sommerspielen, gilt in diesem Fallaber auch für die Winterspiele.
Mein letzter Punkt betrifft den Datenschutz. So vielGeld wie im nächsten Haushalt hat es noch nie für denBundesbeauftragten für den Datenschutz und die Infor-mationsfreiheit gegeben. Das ist der Unterschied zwi-schen der christlich-liberalen Koalition und den Koali-tionen, bei denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der SPD, dabei gewesen sind. Gerade HerrWiefelspütz hat immer nach den Haushaltsberatungengesagt, er wolle mehr Geld für den Bundesdatenschutz-beauftragten. Wir machen das vorher.
– Ja, das kann ich nur unterschreiben. Endlich erkennenSie es.Ich kann nur eines sagen: Wir arbeiten am Arbeitneh-merdatenschutz. Wir haben für eine Stiftung Daten-schutz 10 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt.Dafür mein ganz persönlicher Dank auch an die Haus-hälter.Um das zusammenzufassen: Diese christliche-libe-ral – –, christlich-liberale Koalition kann – –
– Wenn ich so nach links gucke, habe ich dann dochProbleme mit „li“. Aber das werden Sie nie verstehen.Was können wir? Wir können Zukunft, wir könnenFreiheit, wir können Datenschutz, und wir können Si-cherheit. Sie können das nicht.Vielen Dank.
Der Kollege Josef Winkler hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegin Piltz, zu Ihnen will ich nur sagen: DieWelle, auf der die FDP geritten ist, ist jedenfalls schonlange gebrochen. In dieser Richtung wollen wir unsnicht in den Wettbewerb mit der FDP begeben.
Den Antiterrorkampf muss man – das wurde schonvon anderen gesagt – mit Besonnenheit und nicht mithektischem Aktionismus führen. Insofern ist es gut, HerrInnenminister, dass Sie der Bevölkerung die notwendi-gen Maßnahmen ruhig erläutert haben und sie jetzt auchumsetzen.
Weniger gut finde ich da so manche Einlassung – vonHerrn Wiefelspütz sowieso – von Innenministern derLänder sowie auch Forderungen aus den Reihen derUnionsfraktionen nach schärferen Sicherheitsgesetzen.
Insbesondere der bereits angesprochene niedersächsi-sche Innenminister Schünemann verunsichert die Bevöl-kerung durch seine ständig neuen und im Übrigen meistsinnlosen Vorschläge zu Gesetzesverschärfungen. Manmuss sich nur einmal einen Vorschlag auf der Zunge zer-gehen lassen: Ein Frachtflugzeug, das durch eine Bombein die Luft gesprengt zu werden droht, soll zum eigenenSchutz abgeschossen werden. Dazu muss ich sagen: Esist unverantwortlich, solche Forderungen aufzustellen.Das muss endlich aufhören. Sie müssen den stoppen.
Auch wer anlässlich der aktuellen Terrorwarnungeneinmal wieder den Einsatz der Bundeswehr im Innernfordert, beschädigt das Vertrauen der Bevölkerung in diepolizeilichen Sicherheitsmaßnahmen. Außerdem wirddabei nebenbei noch der Eindruck erweckt, dass wir unsim Kriegszustand befänden. Das ist ebenfalls unverant-wortlich und bringt uns in der Sache nicht weiter.Das Gleiche gilt für die Forderung nach anlassloserSpeicherung sämtlicher Telefon-, Handy- und Internet-daten auf Vorrat. Herr Kollege Scholz, da unterscheidenwir uns. Wir finden, man muss nicht 82 Millionen Bür-gerinnen und Bürger unter Generalverdacht stellen. Des-wegen lehnen wir dieses Ansinnen durchweg ab.
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8256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Josef Philip Winkler
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Vielmehr sehen wir im Moment die größte Gefähr-dung bei der Luftfracht. Wir fordern als Sofortmaß-nahme – nicht nur, wie es die Bundesregierung bereitsumgesetzt hat, dass das Herrn Ramsauer entzogen wirdund jetzt von fachkundigen Politikern bearbeitet wird –,dass die Fracht, die in ein Passagierflugzeug zugeladenwird, zwingend die gleichen Kontrollen durchlaufenmuss wie die Passagiere und ihr Gepäck, die sich imgleichen Flugzeug befinden.
Dies wird – das ist klar – auch Geld kosten; aber der bis-herige Zustand ist aus Sicht meiner Fraktion den Flug-gästen nicht länger zuzumuten.
In der Zeit der rot-grünen Regierung haben wir mitden Antiterrorgesetzen und der Einrichtung des Anti-terrorzentrums in Berlin-Treptow die nach dem11. September notwendigen Konsequenzen gezogen. Siewerden sich erinnern: In diesem Lande blieb zu dieserZeit – nicht nur zu unserer Freude, aber offensichtlichwar das in vielen Bereichen notwendig – kein Sicher-heitsgesetz unüberarbeitet.Deswegen können wir sagen: Terrorwarnungen sindstets auch die Bewährungsstunde für die Grundsätze un-seres Rechtsstaates. Der Terrorismus will unserenRechtsstaat und die Demokratie nach unserer Prägungbeseitigen. Deshalb müssen wir diese bewahren und ver-teidigen und nicht die Rechte der Bürgerinnen und Bür-ger einschränken.Zur Diskussion um die Reform der Geheimdienstemöchte ich – die Werthebach-Kommission und ihre nochnicht veröffentlichen, aber bereits diskutierten Vor-schläge wurden schon angesprochen – sagen: Wir sehenin einigen Bereichen natürlich Doppelstrukturen und un-klare Kompetenzverteilungen. Richtschnur jeder Reformmuss aus grüner Sicht aber sein, dass zwingend dieRechtsstaatlichkeit erhalten bleibt. Damit meine ich dieEinhaltung des Gebots der Trennung zwischen der Poli-zei und den Geheimdiensten. Das ist für uns nicht ver-handelbar; denn Geheimdienste konzentrieren sich nuneinmal unter Einsatz ihrer speziellen Mittel darauf, La-geanalysen und -einschätzungen zu gewinnen. Das darfman nicht vermischen mit den exekutiven Kompetenzender Polizei. Das würde zu einer Art Geheimpolizei füh-ren. Das wollen wir nicht.Jetzt möchte ich noch kurz etwas zu einem anderenThema sagen, und zwar zum Thema Integrationskurse;diese werden vom ganzen Hause hier unbestritten fürwichtig erachtet. Fakt ist: Die im Haushaltsentwurf vor-gesehenen Mittel von 218 Millionen Euro reichen füreine flächendeckende und hochwertige Durchführungder stark nachgefragten Integrationskurse nicht aus.
Derselbe Betrag hat bereits in diesem Jahr nicht für daserforderliche Kursangebot ausgereicht, weswegen dieBundesregierung im April und Juli sogenannte mittelein-sparende Steuerungsmaßnahmen angeordnet hat. Dasbetrifft insbesondere die Gruppe, die nicht verpflichtetist, einen Sprach- bzw. Integrationskurs zu besuchen,sondern ihn freiwillig besuchen möchte, weil sie den Be-darf sieht, Deutsch zu lernen. Es ist ein großes Problem,dass es hier Wartelisten gibt und man monatelang auf ei-nen Platz warten muss.
Ein anderer Problempunkt ist der Kostenerstattungs-satz für die Integrationskurse, der pro Stunde und proTeilnehmer im Moment 2,35 Euro beträgt. Dieser Betragreicht nicht, um die Honorarkräfte angemessen zu be-zahlen; das muss man einmal sagen. Er reicht auch nicht,um ein am tatsächlichen Bedarf orientiertes Kursangebotanbieten zu können. Beides wäre aber für ein qualitativhochwertiges Kursangebot wichtig. Das muss besserwerden.
Zu Recht forderte daher im Übrigen die Christlich-Soziale Union im Oktober 2010 – Herr Dr. Uhl, hörenSie gerade einmal zu, wenn es geht – in ihrem Sieben-Punkte-Integrationsplan „Für ein soziales Miteinanderund gemeinsame Werte in Deutschland“:Jeder Integrationswillige bekommt einen Platz inIntegrations- und Deutschkursen.
Dafür stellt der Bund ein flächendeckendes Ange-bot an Integrationskursen sicher, die Finanzierungdazu wird aufgestockt.Wo ist das entsprechende Papier, in dem steht, dass Siedies machen, Herr Uhl?
Der bisherige Ansatz jedenfalls reicht nicht aus, ent-sprechende Plätze auch für die 20 000 Menschen anzu-bieten, die auf der Warteliste stehen. Wir haben deshalbeinen Antrag in den Bundestag eingebracht, über denauch namentlich abgestimmt wird. Da wollen wir einmalsehen, ob sich die CSU-Kollegen so an ihre Parteitags-beschlüsse halten wie unsere Parteivorsitzende sich anunsere.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern,Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Dem englischen Schriftsteller Samuel Smiles aus
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8257
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizièredem letzten Jahrhundert wird folgendes Zitat zugeschrie-ben:Die Sparsamkeit ist die Tochter der Vorsicht, dieSchwester der Mäßigung und die Mutter der Frei-heit.Sparsamkeit brauchen wir angesichts der Haushaltslage.Vorsicht brauchen wir, um in der derzeitig angespanntenSicherheitslage die richtigen Entscheidungen zu treffen.Mäßigung brauchen wir, um bei unseren Maßnahmen imKampf gegen den internationalen Terrorismus Maß zuhalten und die richtige Haltung zu bewahren. Und Frei-heit: Sie ist der Grund, die Methode und das Ziel unsererdemokratischen Gesellschaftsordnung.
Sicherheit in Freiheit, das lässt sich nicht allein inZahlenkolonnen beziffern. Deshalb ist unsere Haltung,unser persönliches Eintreten für unsere freiheitlich-de-mokratische Grundordnung gerade in Anbetracht ihrerBedrohung der wichtigste und stärkste Beweis dafür, wievital unsere Gesellschaft und wie groß der Konsens derDemokraten ist.Gerade im Verhältnis zur ersten Lesung gibt esGrund, Dank zu sagen, und natürlich auch angesichts derLage, über die schon gesprochen worden ist. Ich be-danke mich ausdrücklich für die Unterstützung, die auchich persönlich in den letzten Tagen im Haus, von derganzen Opposition und auch von der Publizistik erfahrenhabe. Ich bedanke mich noch mehr für das Vertrauen,das den Sicherheitsbehörden von der Bevölkerung, vonder Politik und vom Parlament in der jetzigen Lage ent-gegengebracht wird. Ich sage Ihnen auch: Wir solltenuns an dieses Vertrauen auch erinnern, wenn die jetzigeLage nicht mehr so ist, wie sie ist. Unsere Sicherheitsbe-hörden brauchen und verdienen Vertrauen auch bei derEinräumung und Wahrnehmung hoheitlicher Befugnissefür die Sicherheit der Bürger.
Ich erinnere alle daran, dass, wenn bald wieder die De-batten beginnen, manche Sicherheitsbehörden vor allemmit Misstrauen überzogen werden und dass ihnen nichtmit Vertrauen begegnet wird.
Ein weiterer Dank gilt dem Haushaltsausschuss die-ses Parlaments. Dank seiner Unterstützung wurden zu-sätzlich 450 Stellen im Rahmen eines noch abzustim-menden Konzeptes zur Verbesserung der Luftfracht-kontrollen geschaffen. Es war nicht selbstverständlich,einen, wenn man so will, noch nicht fertigen Antrag zustellen und das Nötige zu beziffern, und das in einer Zeit,in der Personal abgebaut wird. Ich denke, das verdienteinen ausdrücklichen Dank.Ich bedanke mich auch für die Entscheidung bei derPersonalausstattung. Vielleicht kann Herr Oppermannjedenfalls nach Freitag aufhören, ständig von Perso-nalabbau zu reden. Herr Herrmann hat Ihnen schon ge-sagt: Es hat in den letzten Jahren, auch unter Ihrer Mit-verantwortung, einen Personalaufbau bei den Sicher-heitsbehörden gegeben. Von der pauschalen Stellenkür-zung um 1,5 Prozent sind die Polizeivollzugs- und sons-tigen Vollzugsbeamten bei den Sicherheitsbehörden aus-drücklich ausgenommen. In der Bereinigungssitzung istebenfalls beschlossen worden: Die Sicherheitsbehördenwerden, wenn es vernünftige Gründe gibt, vom Aus-gleich der Personalmehrarbeit, diesen 0,4 Prozent – da-bei geht es gar nicht um einen Personalabbau, sondernum eine Kompensation; in Wahrheit ist das gar keineEinsparung – ausgenommen, sodass es faktisch ein Mehran Sicherheit geben kann.
Ich finde, das ist gut und schnell entschieden worden.Ich bedanke mich für die Unterstützung im Innenaus-schuss und im Haushaltsausschuss, auch durch die So-zialdemokraten. Es wäre nett, wenn Sie das auch HerrnOppermann sagen.Ich möchte mich darüber hinaus – ich will das jetztaus Zeitgründen nicht lange ausführen; auch Frau Piltzhatte das angesprochen – ausdrücklich für die 10 Mil-lionen Euro für die Stiftung Datenschutz bedanken.Diese Mittel konnten in den Haushaltsentwurf der Re-gierung noch nicht einfließen. Dadurch, dass sie jetzteingeplant sind, geht nicht ein Jahr verloren, um dieseStiftung aufzubauen.Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Sicherheits-architektur machen. Da ist durch die Ideen im Vertrau-ensgremium, durch allerlei Ideen, die zuletzt geäußertwurden, mittlerweile ziemlich viel durcheinandergegan-gen. Ich möchte klarstellen: Die Werthebach-Kommis-sion fußt auf der Koalitionsvereinbarung, die Frau Piltzschon erwähnt hat. Diese Kommission beschäftigt sichnicht mit dem Nachrichtendienst, und sie beschäftigt sichnicht mit aktuellen Auswirkungen der Terrorabwehr. Sieist im April dieses Jahres von Herrn Schäuble und mireingesetzt worden. Sie beschäftigt sich insbesondere mitden Schnittstellen von Bundespolizei, Bundeskriminal-amt und Zoll. Diese Kommission hat eine wichtige, großeAufgabe. Am 9. Dezember wird uns ihr Bericht vorlie-gen, und dann werden wir darüber diskutieren.Ich weiß wohl, dass die Umorganisation von Sicher-heitsbehörden besonders kompliziert ist. Veränderungdort kann gut sein; aber Veränderung bindet auch Kräftenach innen, gerade bei Sicherheitsbehörden. Deswegenkommt es nicht nur auf das an, was wir beschließen, waswir als irgendwann anzustrebendes Ziel ansehen, son-dern auch darauf, dass wir klug beraten und entscheiden,wie wir von A nach B kommen, sodass wir gute Ergeb-nisse erhalten, aber keine zu starke Binnenorientierungder Sicherheitsbehörden auf ihre eigene Veränderunghin. Da müssen wir einen guten Weg finden. Ich glaube,das wird gelingen.
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8258 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de MaizièreEin Wort zur Mindestspeicherfrist von Telekommu-nikationsverbindungsdaten. Meine Position ist be-kannt. Ich freue mich über wachsende Zustimmung. Siereicht vom Stern bis zur Zeit; das hätte ich gar nicht ge-dacht. Ich sage Ihnen: Das diskutieren wir intern undnicht extern im Angesicht der Opposition. Das machenwir dann, wenn wir uns geeinigt haben, nicht jetzt.
– Bestimmt. Das kann ich Ihnen ganz sicher zusagen.Ich möchte es aber gern ein bisschen schneller haben alsvor Ende der Legislaturperiode.
Nun ein Wort zur Integration. Bezüglich der großenDebatte, die wir geführt haben, haben viele vorherge-sagt, sie werde abklingen. Ich bin dagegen. Ich finde, wirmüssen die große Debatte um Integration unabhängigvon Terminen, Wahlterminen und Auflagen von irgend-welchen Büchern führen.
Wir sollten weiterhin diskutieren. Meines Erachtenssollte diese Diskussion mit zwei ganz klaren Botschaftenverbunden sein: Einerseits sind alle Ausländer und alleMigranten, die hier rechtmäßig leben, die ihren Lebens-unterhalt sichern und die sich zu unserer Werteordnungbekennen, in Deutschland herzlich willkommen, unab-hängig von der Frage, welcher Religion sie angehören.Das ist eine klare Position, die wir haben sollten.
Dazu gehört auch der Besuch von Integrationskursen.Ich kann dazu nur sagen: Der Sachverhalt, den Sie indiesem Zusammenhang geschildert haben, stimmt nicht.Ich glaube, Herr Grindel wird später darauf eingehen.Ich will einen kurzen Satz an die Haushälter, HerrnDanckert und andere, richten: Ich werde noch in diesemHaushaltsjahr dafür Sorge tragen, dass etwaige Vorbelas-tungen für das kommende Haushaltsjahr nicht stattfin-den. Rechnungen, die jetzt vorliegen, werden also nichtins nächste Jahr geschoben – das ist im letzten Jahr ge-schehen; das hat einen Teil der Probleme verursacht –;das entlastet den Haushalt. Damit ist der vorliegendeÄnderungsantrag erst recht überflüssig; denn das Geldwird auskömmlich sein.Wir brauchen nicht nur die Botschaft, dass diejenigenMigranten, die hier rechtmäßig leben, die ihren Lebens-unterhalt sichern und die unsere Werteordnung anerken-nen, willkommen sind. Wir brauchen genauso die Bot-schaft an diejenigen Migranten, die sich anders verhalten,dass wir ihr Verhalten ablehnen und es nicht dulden. Dazugehört die Überprüfung des Aufenthaltsstatus, etwa beiNichtteilnahme an einem verpflichtenden Integrations-kurs. Dazu kann die Kürzung von Hartz-IV-Geldern ge-hören. Dazu wird die Bekämpfung von Zwangsheirat undScheinehen gehören. Dazu gehört nach meiner Auffas-sung auch die Prüfung erweiterter bzw. durchsetzbarerAbschiebemöglichkeiten.
Integration scheitert durch Schönfärberei genauso wiedurch Schwarzmalerei. Integration braucht Realismus,Wahrheit, Fördern und Fordern,
Geduld und einen langen Atem.Nun ein letzter Punkt – Frau Piltz hat es schon ange-sprochen –: Olympia 2018. Vielleicht gelingt es mir,dass hier das ganze Hohe Haus klatscht. Die Bundesre-gierung hat jedenfalls alles Erforderliche getan; sie hatdie erforderlichen Beschlüsse gefasst, zu Garantien undallem, was damit verbunden ist. Das Bewerbungsbuchist fertig. Es wird jetzt übersetzt und, wie man das beiBewerbungsbüchern so macht, in Hochglanz gedruckt.Im Januar wird es abgegeben.Als Verfassungsminister sage ich den Grünen: Es gibtkein imperatives Mandat für Abgeordnete durch Partei-tagsbeschluss. Überlegen Sie es sich deswegen gut, obSie nicht doch Ihre Hände zum Beifall erheben, wennich jetzt sage: Ich würde mich freuen, wenn die Bundes-regierung mit der Unterstützung des ganzen Hohen Hau-ses im Juli nach Durban fahren und eine erfolgreiche Be-werbung nach Hause bringen könnte.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident, nachträglich alles Gutezu Ihrem Geburtstag! Werte Kolleginnen und Kollegen!Die vorangegangenen Reden haben es deutlich gemacht:Derzeit wird die Debatte im Bereich Innenpolitik vomThema der inneren Sicherheit oder, wie es der Bundes-minister gerne sagt, des inneren Friedens bestimmt. AlsZweites bleibt die Frage der Integration ganz oben aufder gesellschaftlichen Agenda; auch hier geht es sehrstark um die Frage des inneren Friedens.Frank-Walter Steinmeier hat es gestern in der Gene-raldebatte sehr treffend formuliert:Bildung und Integration, das sind die beiden The-men, die darüber entscheiden werden, ob uns dasnächste Jahrzehnt gelingt.Wie sind die Voraussetzungen dafür in der jetzigenRegierung? Gerade die Union gibt beim Thema Integra-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8259
Daniela Kolbe
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tion ein reichlich buntes, verqueres und nicht geradesehr schönes Bild ab: Die einen geben sich moderat undbeschreiben die Realität; dazu gehören der Bundespräsi-dent und sicherlich auch unser aktueller Minister. Dieanderen, zum Beispiel Herr Seehofer, bedienen sich kru-dester Ressentiments; das ist sehr traurig. Eine klareLinie sieht nun wirklich anders aus.Erschreckend einmütig dagegen ist die Regierungbeim Thema Integration, wenn es um die Finanzen geht.Es ist immer das gleiche Schema: Erst werden Maßnah-men angekündigt und mit viel medialem Buhei Integra-tionskonferenzen durchgeführt. Und dann? Dann pas-siert nichts. Im Gegenteil: Wenn es bei der Umsetzunghart auf hart kommt, wird der Rotstift angesetzt. Sie kür-zen bei der Integration. Das merkt man vielleicht nichtbeim ersten Blick auf den Einzelplan 06. Ein genauerBlick auf den gesamten Haushalt lohnt sich aber.Beispiel Stadtentwicklung: Sie kürzen beim Pro-gramm „Soziale Stadt“ nicht nur nominell, sondern auchganz substanziell.
Herr Döring von der FDP hat sich mit seiner kruden Vor-stellung durchgesetzt, dass eine soziale Stadt alleindurch Investitionen in Beton entstehen kann. Investitio-nen in Köpfe, in Integrationsprogramme und in Berufs-orientierungsprogramme sind ab 2011 ausgeschlossen,wie Herr Döring es wollte.
Zitat:Die Zeit der nichtinvestiven Maßnahmen, zum Bei-spiel zur Errichtung von Bibliotheken für Mädchenmit Migrationshintergrund, ist vorbei.So Herr Döring.Herr Döring, werte Kollegen der Koalition, Sie habenwirklich überhaupt keine Ahnung von den sozialen He-rausforderungen, vor denen Städte und Gemeinden heut-zutage stehen.
Worte und Taten passen bei Ihnen wirklich nicht zusam-men. Statt sich um praktische Integration zu kümmern,reden Sie über die Integrationsverweigerer und darüber,wie man sie härter sanktionieren kann, obwohl Sanktio-nen bereits derzeit rechtlich möglich sind. Es wird derEindruck erweckt, als würden die Menschen reihenweisedie Integrationskurse nicht antreten oder abbrechen. Aufdie konkreten Zahlen bin ich wirklich – ganz im Ernst –sehr gespannt.
– Hören Sie doch einmal zu. Herr Lindner, das ist keinProblem. Ich komme darauf noch zu sprechen.Die Umfrage unter den Ländern, die vor einigen Ta-gen in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt war, hat er-geben, dass sich die Anzahl dieser Fälle in den meistenLändern an einer Hand abzählen lässt.
Meine Besuche bei Integrationskursträgern – das emp-fehle ich auch Ihnen – bestätigen das. Wenn man sichvor Ort aus den Ordnern etwas über solche Abbruchfällevorlesen lässt, dann stellt man fest, dass Umzüge in an-dere Bundesländer, Schwangerschaften, Krankheitenund glücklicherweise hin und wieder auch die Aufnahmeeiner regulären Beschäftigung als Gründe angeführt wer-den. Nur zu einem kleinen Teil handelt es sich um echteVerweigerung.Herr Lindner, ich bin durchaus damit einverstanden,dass Sie Daten über die Anzahl und die Gründe der Inte-grationskursabbrüche erheben. Dann stehen Sie aberauch in der moralischen Pflicht, dass jeder, der dasmöchte, einen Integrationskurs belegen kann.
Bis zum Jahresende wird die Zahl Integrationswilli-ger, die Sie zum Warten verdammen, auf bis zu 20 000angeschwollen sein.
Sie verschieben keine Rechnungen ins neue Jahr, son-dern Sie verschieben die Nachfrage ins neue Jahr. Min-destens 9 000 Fälle waren es im Oktober.
– Bis zu 20 000 laut Volkshochschul-Verband.
– Darüber können wir im Ausschuss gerne weiter disku-tieren.Auch für 2011 sieht es nicht besser aus. SehendenAuges haben Sie wieder zu wenig Geld eingestellt.
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8260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Daniela Kolbe
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Stellen Sie endlich ausreichend Mittel für Integrations-kurse zur Verfügung, sonst erhärtet sich der Verdacht,dass die Integrationsverweigerer woanders sitzen.
Die Stimmung in den Integrationskursen, die ich be-sucht habe, ist wirklich gut. Die Leute sind begeistert,dass sie lernen können. Sie wollen lernen. Etwas anderssieht das in den Lehrerzimmern aus. Da sitzen hoch-engagierte Männer und Frauen. Angesprochen auf ihreLebenssituation sagen sie aber Sätze wie diesen – Zitat –:Man muss schon eine sehr große innere Motivation mit-bringen, sonst kann man sich diesen Job nicht leisten. –So schlecht sind die finanziellen Bedingungen, unter de-nen diese Beschäftigten wirklich gute Arbeit leisten. DasProblem ist hausgemacht; denn die Zuschüsse desBAMF in Höhe von 2,35 Euro pro Teilnehmer undStunde sind schlicht zu gering.Reden Sie nicht nur über Integration. Statten Sie sieendlich vernünftig aus. Wir geben Ihnen dazu die Mög-lichkeit. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zumEinzelplan 06 zu.
Kurz zu einem zweiten Thema: Im Einzelplan 06 istauch die Bundeszentrale für politische Bildung zuHause. In deren Kuratorium sitze ich mit sehr viel Begeis-terung; denn ich schätze die Arbeit der Bundeszentralesehr. Mit mir sitzen dort viele andere politisch Interes-sierte, Lehrerinnen und Lehrer, Studierende, Menschen,die sich vor einer Wahl beim Wahl-O-Mat über Pro-gramme informieren wollen usw.Leider fehlt dem Minister diese Begeisterung, zumin-dest hat es den Anschein. Obwohl die Bundesregierungbehauptet, bei Bildung würde nicht gekürzt, senken Siedie Zuschüsse für die Bundeszentrale. Schade, dass Sie,Herr de Maizière, nicht anerkennen, in welch hoherQualität hier Bildungsarbeit in der Bundeszentraleselbst, aber auch bei den Bildungsträgern geleistet wird.Schade, dass Sie diesem einzigartigen, vor allen Dingenparteiübergreifenden Instrument der politischen Bildungund einem großartigen Instrument der Prävention schondieses Jahr die Gelder streichen.Sie halten die Axt schon in der Hand, um 2012 und2013 in Größenordnungen zu kürzen, die nur zu Pleitenvon Bildungsträgern und großen Leistungseinschränkun-gen führen können. Rechnen Sie da mit unserem vehe-menten Widerstand!Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar von der
FDP-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Ich möchte mich vorab dem Dank an Ihr Hausanschließen, Herr Minister, an Sie persönlich und an IhreMitarbeiter. Das war ausgesprochen professionell, wiedas wieder vonstattengegangen ist. Das muss man wirk-lich betonen. Da war viel Einsatz dabei, diesen Haushaltso auf die Beine zu stellen.Wir haben beim Thema Sicherheit, das die Lage do-miniert, gerade als Liberale den Ansatz, dass wir sagen:Wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden geeignete In-strumente haben, dass man aber nicht ständig neueschafft, sondern das, was da ist, mit gut ausgestattetemund gut ausgerüstetem Personal vollzieht. Insofern ha-ben wir in der Koalition natürlich auch darauf geachtet,dass die Stellenausstattung und die Ressourcen der Si-cherheitsbehörden gut sind.Das ist entgegen manchen Verlautbarungen der letz-ten Tage auch gut gelungen. Ich will das noch einmal an-hand von Zahlen verdeutlichen. Der Minister hat schonauf die 450 bereitgestellten Stellen hingewiesen, die fürdie Luftfrachtsicherheit eingesetzt werden können.
Diese können übrigens verschoben werden. Wenn Sieden Haushalt lesen, Herr Kollege, wissen Sie, dass daseine vorläufige Verortung ist und dass am Ende entschie-den wird, wo diese Stellen am besten und am wirksams-ten eingesetzt werden, und dass das nicht nur beim Fi-nanzminister sein muss und sicherlich nicht allein dortsein wird.Man muss aber hervorheben, dass es dem Ministe-rium und der Koalition gelungen ist, innerhalb von weni-gen Tagen ein doch sehr komplexes Problem so in denHaushalt einzubringen, dass überhaupt gehandelt wer-den kann. Das ist auch handwerklich eine saubere Ar-beit, die dort im Interesse unserer Bürgerinnen und Bür-ger und der Luftsicherheit geleistet worden ist.
Wir haben die weitere Möglichkeit geschaffen, circa130 Stellen durch Ausnahmen von Stelleneinsparungenzu mobilisieren, also für den Fall, dass es nötig ist. Dasheißt, wir haben Vorsorge mit bis zu 600 weiteren Stel-len getroffen, die im Bereich der Sicherheit möglich sindund geschaffen werden können.Dazu kommt, dass keine Stellen für Vollzugsbeamteabgebaut werden, dass also die, die für die Bürger sicht-bar sind, die auf der Straße, in Bahnhöfen aktiv Sicher-heit schaffen, genau so, mit denselben Ressourcen wei-terarbeiten können, sodass es wirklich falsch ist, hier vonStellenabbau zu sprechen. Es wachsen Stellen im Sicher-heitsbereich auf, und es werden keine abgebaut.
Im Verwaltungsbereich haben wir Einsparungen wieüberall in unserer Verwaltung. Das ist zur Haushaltskon-solidierung nötig, die Sie immer dann nicht wollen,
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Florian Toncar
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wenn es konkret wird. Selbstverständlich können Ver-waltungsarbeiten, Schreibtischarbeiten mit modernerComputertechnik und anderen Dingen effizienter ge-macht werden, als das früher der Fall war. Es ist auchunter dem Gesichtspunkt der Sicherheit absolut vertret-bar, in allen Verwaltungsbehörden, beispielsweise auchbei der Verwaltung der Bundespolizei, in gewissemMaße einzusparen. Das sind weit weniger Stellen als die,die wir im Sicherheitsbereich neu schaffen. Insofern istes netto wirklich ein Zuwachs an Sicherheit, an perso-neller Kapazität. Das kann man gar nicht deutlich genugsagen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich darum bitten,dass Äußerungen wie die von Herrn Oppermann, derMinister sei sorglos etc., unterbleiben – gerade in Wo-chen wie diesen. Ich glaube, dass es erstens dafür fach-lich überhaupt keinen Anhaltspunkt gibt, solche Dingezu behaupten – die Zahlen sind einfach andere –, undzweitens ist das auch nicht besonders verantwortungsbe-wusst. Es ist eher sorglos, solche Dinge in die Welt zusetzen, ohne die Fakten zu kennen.
Wir haben ferner dafür gesorgt, dass das TechnischeHilfswerk entsprechend gut mit hauptamtlichen Mitar-beitern ausgestattet ist.
Das Technische Hilfswerk ist mit 80 000 ehrenamtlichenMitarbeitern mittlerweile weltweit tätig – natürlich über-wiegend in Deutschland – bei Naturkatastrophen. DieArbeitsbelastung nimmt zu. Es gibt mehr Aufträge, eswird dort mehr gearbeitet, und deswegen haben wir esgeschafft – das haben Sie übrigens nie hinbekommen –,dass das THW Sicherheitsbehörde ist und dass es vonpauschalen Stelleneinsparungen ausgenommen wird.
Es ist immer einfach, in der Opposition Anträge überDinge zu stellen, die man in der Regierung nicht ge-schafft hat. Wir haben es jetzt ins Gesetz geschrieben.Darin besteht der Unterschied zu Ihnen. Sie sollten daheretwas zurückhaltender sein.
Ich möchte noch auf das Thema Integrationskursezu sprechen kommen. Offenkundig gibt es im Zusam-menhang mit dem Einzelplan 06 und der Arbeit der Ko-alition nur wenige Themen, bei denen Sie eine Angriffs-fläche finden. Nur so kann ich mir erklären, dass voneiner Kürzung gesprochen wird, die es aber nicht gibt.
Wir haben im Haushalt wie auch im letzten Jahr für dieKurse 218 Millionen Euro eingestellt. In den Jahren2010 und 2011 wird für Integrationskurse Geld in nochnie dagewesener Höhe im Bundeshaushalt zur Verfü-gung gestellt.
Das sind die Taten, an denen wir uns messen lassen. Siedagegen haben Ihren Worten keine Taten folgen lassen.Sie sollten an dieser Stelle also vorsichtig sein.
Festzuhalten bleibt, dass wir bei den Integrationskur-sen den Mittelansatz auf Rekordniveau fortschreiben;denn wir wollen, dass diese Kurse stattfinden. Wir sehenaber auch, dass es bei diesen Kursen hinsichtlich derQualität und Effizienz noch Verbesserungsmöglichkei-ten gibt. Es ist beispielsweise so, dass mit dem Geld ausdiesem Haushaltstitel immer häufiger Fahrtkosten erstat-tet werden.
Dies dient der Integration aber nicht unmittelbar; denndie Erstattung dieser Kosten hat mit dem Kursinhaltnichts zu tun. Deshalb wird das Ministerium ein Konzeptvorlegen – es ist entsprechend vermerkt worden –, mitdem sichergestellt wird, dass man das Geld effizienterverwendet und dass es nicht mehr so häufig wie in denletzten Monaten für Dinge ausgegeben wird, die mit demeigentlichen Kurs nichts zu tun haben. Dieser sinnvolleAnsatz verbessert die Qualität der Kurse bei gleicherMittelausstattung.
Zu guter Letzt haben wir die Stiftung Datenschutzauf den Weg gebracht. Sie haben während der letztenHaushaltsberatungen immer gefragt, wann sie dennkommt. Jetzt gibt es sie, wie es im Koalitionsvertrag ver-einbart wurde. Herr Kollege Korte schuldet mir noch einLob, das er mir bei der Abschlussberatung über denHaushalt 2010 für den Fall versprochen hat, dass wir dieStiftung Datenschutz einrichten. Es kam leider nicht. Ichdenke aber, Sie haben es einfach vergessen.
Wir können festhalten: Es ist im Sinne des Datenschut-zes ein Erfolg dieser Koalition, dass es diese Stiftungjetzt gibt und dass sie entsprechend finanziell ausgestat-tet ist. Sie kann nun ihre Arbeit aufnehmen.Ich kann in diesem Etat nur sinnvolle Schwerpunkteerkennen. Ich glaube, die Koalition ist im Bereich der In-nenpolitik auf einem guten Weg.
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8262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
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Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich binsehr erstaunt, dass bei dieser Debatte Friede, Freude, Ei-erkuchen herrscht. Was wir in den Medien in diesen Ta-gen erfahren konnten, hat eigentlich nichts mit der De-batte zu tun, die wir heute führen.Die Sicherheitspolitiker von der rechten Seite diesesHauses haben sich zustimmend zu Bundeswehreinsät-zen, zu der vollständigen Wiedereinführung der Vorrats-datenspeicherung – sie ist, wie wir alle wissen, verfas-sungswidrig –, zu Videoüberwachung und Onlinedurch-suchung geäußert. Dazu will ich Ihnen eines sagen: Esgibt ein anderes Problem, das wirklich ernst zu nehmenist. Vorigen Freitag hat es in Berlin einen Anschlag aufeine Moschee gegeben, nämlich auf die Moschee amColumbiadamm. Ich habe mich gefragt: Wo waren dadie Sicherheitspolitiker dieses Hauses, die Solidaritätmit den Betroffenen gezeigt und Maßnahmen geforderthaben? Erst als sich die jüdische und die türkische Ge-meinde in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet haben, istdie Nachricht in den Medien erschienen, dass auf dieseMoschee ein Brandanschlag verübt wurde.Man muss einmal zur Kenntnis nehmen, wie Sie mitdiesem Anschlag auf der einen Seite und mit der aktuel-len Bedrohungslage auf der anderen Seite umgehen. Indiesen Tagen wie auch in den vergangenen Monaten hatdie rechte Seite des Hauses alles dafür getan, einen Ge-neralverdacht gegen Muslime zu äußern,
indem diese Menschen, die vermeintlichen Integrations-verweigerer – Herr Grindel weiß, was ich meine –, alsÜbeltäter dargestellt wurden.
Das Äußern dieses Generalverdachts hat dazu geführt– wir konnten das heute einer Äußerung von Herrn Kolatin der Frankfurter Rundschau entnehmen –, dass es eineWelle des Hasses gegen Muslime und eine zunehmendeMuslimfeindlichkeit in dieser Gesellschaft gibt. Dage-gen muss dieses Haus genauso vorgehen wie gegen denTerror, vor dem derzeit gewarnt wird. Jedenfalls ist dasder Anspruch der Linken.
Meine Damen und Herren, man muss schon Kartof-feln auf den Augen haben, um zu übersehen, dass imWindschatten dieser Terrorwarnungen weiterer Demo-kratieabbau geplant ist und stattfinden soll.
Ausgerechnet die FDP, die sich hier immer als Bürger-rechtspartei aufgespielt hat, will jetzt unter Einbezie-hung des Bundeskriminalamts, des Zolls und der Bun-despolizei eine zentrale Behörde schaffen, in derübrigens Zehntausende Beschäftigte arbeiten müssten.
Man muss schon sagen: Das ist sehr zentralistisch.
Aber von parlamentarischer Kontrolle, die wir heutenoch nicht ausreichend haben, habe ich bei Ihnen über-haupt nichts gelesen. So viel zum Demokratieabbau.Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist derBeschluss zum Bleiberecht, den die Innenministerkon-ferenz in der letzten Woche getroffen hat.
Das, was Sie hier vorgeführt haben, zeigt das ganzeElend Ihrer Integrationspolitik. Kinder, die in Deutsch-land aufgewachsen sind, sind integriert. Man muss sie,wie wir wissen, nicht mehr integrieren, wenn sie zurSchule gehen; das tun sie in der Regel. Es ist ein Skan-dal, wenn diese Bundesregierung jetzt sagt: Wenn siegute Zensuren haben, dürfen sie bleiben, aber ihre Elternmüssen gehen. Was ist eigentlich noch christlich in IhrerPartei, wenn Sie Familien auseinanderreißen und dabeinach den Verwertungsinteressen von Wirtschaft und Ka-pital vorgehen? Es kann doch wirklich nicht sein, dassdiese Politik in diesem Hause mitgetragen wird.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: Ihre kin-der- und familienfeindliche Politik in Bezug auf Asylbe-werber. In Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vonmir mussten Sie zugeben, dass das Asylbewerberleis-tungsgesetz verfassungswidrig ist. Ich bin der Meinung,es ist längst überfällig, dass das Asylbewerberleistungs-gesetz abgeschafft wird, dass die Flüchtlinge ihrem Be-dürfnis entsprechend Bildung bekommen und dass manihnen Arbeit gibt. Das Arbeitsverbot muss aufgehobenwerden. Man muss ein vernünftiges Bleiberecht schaffenund darf diese Menschen nicht immer hinhalten.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, beziehtsich auf die vielen Bündnisse gegen rechts, gegen Neo-faschisten, die es in diesem Land gibt. Die Regierungversucht immer rigider, diese Bündnisse auseinanderzu-bringen. Ich spreche hier den neuen Extremismuserlassvon Familienministerin Schröder an, der vorsieht, dassalle Projekte gegen Rechtsextremismus, die mit Bundes-mitteln gefördert werden, jetzt eine Erklärung unter-zeichnen müssen – viele erinnern sich bestimmt noch anden Radikalenerlass, der in den 70er- und 80er-JahrenBerufsverbote zur Folge hatte –, dass sie sich zur frei-heitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8263
Ulla Jelpke
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– Ja, so weit, so gut. Ich bin nicht verwundert, dass Siean dieser Stelle klatschen.Das Entscheidende ist, dass die Projekte auch diePartner, mit denen sie zusammenarbeiten, dahin gehendüberprüfen müssen. Das heißt, sie müssen selber im Ver-fassungsschutzbericht nachsehen, wer tendenziell extre-mistisch ist. Das betrifft beispielsweise die Vereinigungder Verfolgten des Naziregimes, die immer noch in ver-schiedenen Verfassungsschutzberichten steht.
Frau Kollegin Jelpke.
Das betrifft auch die Linke und andere.
Damit spalten Sie die Bewegung gegen rechts. Wir wer-
den auf jeden Fall gegen diese Methoden, solche Bünd-
nisse zu spalten, vorgehen.
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenuns hier zu Recht intensiv mit dem Thema innere Sicher-heit auseinandergesetzt. Dies macht auch zwei Dritteldes Etats aus. Ich möchte an dieser Stelle aber ein ande-res Thema ansprechen: die politische Bildung.Man ist sich schnell einig, wenn man den Satz vor-trägt: Wer bei der Bildung kürzt, spart an der Zukunft.Diese Verlautbarungen kommen ja auch aus Ihren Rei-hen.Entgegen diesen Verlautbarungen wird in diesem Haus-halt bei der Bildung gespart, nämlich 1,5 Millionen Eurobei der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildungund bei den freien Trägern der politischen Bildung. Ab2012 erreicht dieses Kürzungsvolumen 5 Millionen Eurobei einem Gesamtetat für die Bundeszentrale für politi-sche Bildung von gerade einmal 38 Millionen Euro. DerEtat der Bundeszentrale für politische Bildung machtnicht einmal 1 Prozent des Etats im Einzelplan 06 aus,muss aber mehr als das Fünffache an Konsolidierung er-bringen.Zum Vergleich: Der Etat der Bundeszentrale für poli-tische Bildung ist nur halb so groß wie der der parteina-hen politischen Stiftungen, deren Etats wiederum vonKürzungen verschont bzw. nicht von Kürzungen bedrohtsind. Sie kürzen bei der Bundeszentrale für politischeBildung, dort, wo weltanschauliche Neutralität gegebenist. Dies verwundert mich im Hinblick auf Ihre Prioritä-tensetzung. Bei der politischen Bildung wird gekürzt;aber es ist ausreichend Geld vorhanden, drei Wasserwer-fer für die Länderpolizeien zum Stückpreis von1 Million Euro anzuschaffen. Ich frage mich, was das füreine Priorität ist,
auch angesichts dessen, dass uns der Bundesrechnungs-hof jedes Jahr ganz klar ins Stammbuch schreibt, dasswir für die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständenund Fahrzeugen der Länderpolizei nicht zuständig sind.Den Kürzungen bei der politischen Bildungsarbeit istkeine Fachdebatte über die Ausrichtung der inhaltlichenArbeit der Bundeszentrale vorausgegangen.Herr Minister, Sie liegen sicherlich nicht ganz falschmit der Einschätzung, dass die politische Bildungsarbeitdie bildungsfernen Schichten noch zu wenig erreicht.Aber die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis kanndoch nicht eine Kürzung der Mittel für diese Bildungsar-beit sein.
Wo ist denn das inhaltliche Konzept? Wie wollen Siedenn die gesellschaftliche Ausgrenzung benachteiligterGruppen stoppen? Worin besteht denn Ihr Beitrag, derzunehmenden Politikverdrossenheit oder vielmehr Poli-tikerverdrossenheit bei Jugendlichen zu begegnen? Istdiese Kürzung Ihr Beitrag zur Lösung des Problems derzunehmenden Skepsis der jungen Generation gegenüberEntscheidungsformen der parlamentarischen Demokra-tie, wie uns die Shell-Studien leider immer wieder deut-lich machen? Ist das Ihre Strategie, das Bewusstsein fürDemokratie und politische Beteiligung zu schärfen?Die Kürzungen – insbesondere in den nächsten Jah-ren – werden in erheblichem Umfang dazu führen, dassdie Aufgaben der Bundeszentrale für politische Bildungnicht mehr so wie bisher erfüllt werden können. Die äu-ßerst erfolgreiche Onlinepräsenz der Bundeszentralewird hierunter leiden müssen. Veranstaltungen und Aus-stellungen, die insbesondere von Schulklassen im Rah-men des Unterrichts besucht werden, werden ebenfallsdarunter leiden.Als Ausgleichsleistung für die Kürzungen darf dieBundeszentrale jetzt die Regiestelle für das Programm„Zusammenhalt durch Teilhabe“ übernehmen. Hiersollen Projekte der demokratischen Teilhabe und gegenExtremismus in Ostdeutschland gefördert werden. Lei-der hat eine ideologische Aufladung dieses Programmsstattgefunden, die mit der Anti-Extremismus-Erklärungvon Antragstellern de facto in einer Art Gesinnungskon-trolle mündet.Leider muss man den Eindruck gewinnen, dass Teiledes demokratischen Engagements gegen rechts und ge-gen Antisemitismus in die linksextreme Ecke geschobenwerden sollen. Die Programmansätze sind nicht auf eineBekämpfung des Rechtsextremismus beschränkt. DieBekämpfung von Linksextremismus und Islamismuswird in einem Atemzug genannt. Der Schwerpunkt desProgramms liegt aber auf den strukturschwachen Regio-nen Ostdeutschlands.
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8264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Stephan Kühn
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Ich kann nur davor warnen, angesichts der hohenZahlen an Gewalttaten mit rechtsmotiviertem Hinter-grund und den Wahlerfolgen der NPD gerade in diesenstrukturschwachen Regionen im Osten so zu tun, als obman sich nur um die rechten Ränder kümmern müsseund bei dieser Gelegenheit noch den Rechts- und Links-extremismus in einen Topf werfen kann. Meine Damenund Herren, das sollten wir vermeiden.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Uhl von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Haushalt des Innenministeriums steht wie
alle Haushalte in der Pflicht, zu konsolidieren und zu
kürzen. Er wird um 90 Millionen Euro gekürzt auf
5,4 Milliarden Euro.
Lassen Sie mich auf ein Thema eingehen, das von der
SPD und den Grünen angesprochen wurde: Im Bereich
der Integrationskurse mit einem Etat in Höhe von
218 Millionen Euro wird auch im nächsten Jahr nicht ge-
kürzt.
Es ist auch gut, dass hier nicht gekürzt wird.
Ich finde es aber nicht gut, dass ausgerechnet Vertre-
ter der Grünen und der SPD sagen: 218 Millionen Euro
sind viel zu wenig.
– Herr Danckert, sieben Jahre lang war Rot-Grün an der
Regierung.
Sieben Jahre lang, bis 2005, war Multikulti an der Regie-
rung. In diesen sieben Jahren war jede Zuwanderung ein
Glücksfall für Deutschland. Kein Zuwanderer musste
mit der deutschen Sprache irgendwie befasst, betraut
und belästigt werden.
Sieben Jahre lang haben Sie gesagt: Es muss kein
Deutsch gelernt werden.
Das alles erledigt sich von selbst. – In den Haushalten,
die Sie in den sieben Jahren Ihrer Regierungsverantwor-
tung aufgestellt haben, stand hinter dem Titel „Integra-
tionskurse“ die Zahl Null;
das finden Sie wohl noch heute gut. Jetzt stellen Sie sich
aber breitbeinig hier hin und kritisieren: 218 Millionen
Euro sind viel zu wenig. – Ich halte das für zutiefst unse-
riös.
Lassen Sie mich ganz im Ernst auf die aktuellen terro-
ristischen Bedrohungen eingehen und eines vorwegsa-
gen: Wir werden die jetzige Bedrohungslage nicht in-
strumentalisieren, indem wir neue Sicherheitsgesetze
fordern.
Eine persönliche Anmerkung in Richtung des Kolle-
gen Wiefelspütz von der SPD – er war nämlich maßgeb-
lich beteiligt –:
Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam
vernünftige Sicherheitsgesetze auf den Weg gebracht.
Diese Sicherheitsgesetze müssen wir jetzt zur Anwen-
dung bringen. Wir haben das Bundeskriminalamt neu
aufgestellt und es im Hinblick auf den Terrorismus zu ei-
ner wirklichen Ermittlungsbehörde gemacht. Wir haben
die Bundespolizei reformiert. Nun ist sie eine schlagkräf-
tige Einheit, die auf Bahnhöfen, Plätzen und Flughäfen
vertreten ist und dort für Sicherheit und Ordnung sorgt.
Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kilic?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege Uhl, würden Sie bitte zur Kenntnis neh-men, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung imJahre 2005 zum ersten Mal in der bundesrepublikani-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8265
Memet Kilic
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schen Geschichte verpflichtende Sprachkurse für Neu-zuwanderer eingeführt hat?
Beantworten Sie mir vor diesem Hintergrund bitte auchdie Frage, warum die Unionsparteien so lange geschla-fen haben?
Im Jahr 2005 ging die rot-grüne Regierungszeit, wenn
ich mich recht erinnere, zu Ende. In den sieben Jahren
zuvor haben Sie für verpflichtende Sprachkurse keine
Mittel in den Haushalt eingestellt.
– Ich wiederhole: Dafür haben Sie keine Mittel in den
Haushalt eingestellt, aus welchen Gründen auch immer.
Sie hätten das jederzeit tun können. Sieben Jahre lang
haben Sie es aber nicht getan.
Ich erinnere mich sehr wohl daran, was in der Vergan-
genheit geschehen ist; ich beschäftige mich mit diesem
Thema nämlich weiß Gott schon länger. Ich erinnere
mich, dass ich früher beschimpft wurde, als ich auf die
Frage: „Was bedeutet Integration?“ geantwortet habe:
Integration heißt Deutsch lernen, Deutsch lernen und
nochmals Deutsch lernen. Dazu müssen wir die Auslän-
der verpflichten. – Dafür wurde ich in meiner früheren
Zeit im Münchener Rathaus mindestens zehn Jahre lang
beschimpft. Meinen Sie, das hätte ich vergessen? Ich
wurde damals übrigens von Grünen, die mir eine
Zwangsgermanisierung vorgeworfen haben, beschimpft.
Herr Kollege Uhl, auch der Kollege Scholz würde Ih-
nen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich würde gerne in meiner Rede fortfahren. Herr
Scholz, ich wollte Sie übrigens gerade loben.
Ich wollte Sie loben, weil wir beide in der letzten Legis-
laturperiode sehr vernünftige Sicherheitsgesetze auf den
Weg gebracht haben. Diese Gesetze müssen jetzt zur An-
wendung kommen.
Beim Thema Vorratsdatenspeicherung haben wir
geahnt, dass das Bundesverfassungsgericht möglicher-
weise gewisse Nachbesserungen von uns verlangt.
Das hat das Bundesverfassungsgericht im März dieses
Jahres getan. Diese Nachbesserungen werden wir nun in
der Koalition mit der FDP vornehmen. Wir werden sie
so organisieren, dass die Vorratsdatenspeicherung ver-
fassungsgemäß ist und in Deutschland durchgeführt wer-
den darf.
Herr Kollege Uhl, den Kollegen Scholz drängt es
nach wie vor, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.
Herr Scholz, bitte schön.
Bitte schön.
Nachdem Sie mich gelobt haben, möchte ich gerne
auf eine Bemerkung aus dem vorherigen Teil Ihrer Rede
zurückkommen. Sie haben gesagt: Multikulti ist geschei-
tert. – Meine Frage lautet: Meinten Sie damit die spe-
zielle Zusammensetzung der Regierungskoalition in
Hamburg?
Damit habe ich die Kollegen in Hamburg gewissnicht gemeint.
Ich beobachte das Hamburger Treiben aus der Ferne undwünsche viel Erfolg.
Ich will Sie nachher beim Thema Fachkräftezuwan-derung noch einmal loben, Herr Scholz. Aber lassen Siemich das noch kurz zu Ende führen.
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8266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Hans-Peter Uhl
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Bei der Visawarndatei sind wir mit unserer Arbeitnicht fertig geworden, Herr Wiefelspütz. Das müssenwir jetzt in dieser Koalition nachholen. Es kann dochnicht sein, dass deutsche Visabehörden im Ausland ausAhnungslosigkeit, wem sie ein Visum erteilen können,weil wir keine Terrorwarndatei haben, dem kommendenTerroristen ein Visum für Deutschland ausstellen, umihn für einen Terroranschlag ins Land zu lassen. In die-ser Gefahr befinden wir uns jetzt. Deswegen werden wirdie Visawarndatei einführen.
Ich habe den Eindruck, dass das Thema Quellen-TKÜ auf einem guten Weg ist. Wir werden auch dort un-sere Arbeit machen. Nur so kann Terror überwundenwerden: aufklären, abhören, in die Terrornetze hineinge-hen und erfahren, was die Verbrecher vorhaben. Wennder Terrorist mit der Bombe unter dem Arm bereits los-marschiert ist, dann hat der Staat verloren, und er kannseine Bürger nicht mehr schützen. Im Vorfeld etwas fest-zustellen, darin liegt unsere Chance. Deswegen ist Ab-hören und damit auch die Quellen-TKÜ das A und O.
Jetzt komme ich zum letzten Punkt, dem Fachkräfte-mangel. Ich will nicht den falschen Eindruck erwecken– die Bild-Zeitung hat das diese Woche getan –, als wollteich hier ausländerfeindliche Thesen verbreiten. Aber dieZahlen, die in der Bild-Zeitung standen, sind, wenn sierichtig sind – ich gehe davon aus, dass sie recherchiertworden sind –, natürlich schon problematisch. Wenn von37 000 Libanesen, die in Deutschland leben, 90 ProzentHartz-IV-Empfänger sind, wenn von 120 000 Irakern undAfghanen, die hier leben, über 60 Prozent Hartz-IV-Emp-fänger sind und wenn von 1,7 Millionen Menschen ausder Türkei jeder vierte Hartz-IV-Empfänger ist,
dann wird das Ausländerrecht – wir reden jetzt über denHaushalt – in hohem Maße kassenwirksam. Wenn wirdie falschen Ausländerrechtsregeln haben, beziehendiese Menschen Hartz-IV-Leistungen und soziale Leis-tungen in Milliardenhöhe. Angesichts der Tatsache, dassin Deutschland 110 000 Bedienstete jedes Jahr damit be-schäftigt sind, 50 Milliarden Euro an die Arbeitslosen indiesem Land zu verteilen, müssen wir mit dem ThemaZuwanderung sehr sorgfältig umgehen. Das müssen wirdoch spüren.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Bei der Zu-wanderung von Fachkräften werden wir in unserenÜberlegungen den Vorrang für deutsche und EU-Bürgerbeachten müssen. Wir haben gute Regeln für die Zuwan-derung. Wo es bei der Zuwanderung von Hochqualifi-zierten etwas nachzubessern gibt, werden wir demselbstverständlich nicht im Wege stehen. Aber wir wer-den beachten müssen, dass es keine Zuwanderung in dieSozialsysteme geben darf.
Ich möchte zum Schluss kommen und mich im Na-men der CDU/CSU-Fraktion bei Ihnen, Herr Minister,bedanken mit der Bitte, den Dank an alle Angehörigendes Bundesinnenministeriums weiterzugeben. Das istein Ministerium, das vorbildliche Arbeit leistet und vonallen Parteien zu Recht gelobt wird. So soll es sein, sosoll es bleiben.
Vielen Dank auch von unserer Seite. Möge uns Gott voreinem Terroranschlag in Deutschland bewahren. Die Si-cherheitsbehörden sind gut aufgestellt. Sie werden ver-suchen, alles zu verhindern. Darauf sollten wir alle Wertlegen und gemeinsam daran arbeiten.
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!Ich kann mich dem Lob anschließen, das hier einigeRedner schon zum Ausdruck gebracht haben. Insbeson-dere in den letzten Tagen, Herr Bundesinnenminister, ha-ben Sie die Sache sehr eindrucksvoll gestaltet. Abertrotzdem darf man einige kritische Anmerkungen ma-chen. Das kann man von der Opposition zu Recht erwar-ten.Ich will einmal das Thema ansprechen, das mich inden letzten Wochen am meisten berührt hat, nämlich dasThema Luftfracht. Es ist uns 2008 von der EU sozusa-gen auf den Tisch gelegt worden, dass wir da gesetzlicheRegelungen treffen sollen. Was ist eigentlich in diesemJahr dazu passiert? Nach dem, was ich höre, ist in denersten sechs Monaten zwischen Ihrem Haus und demBundesverkehrsministerium heftig darüber gestrittenworden, wer in dieser Frage zuständig ist.Wir erkennen, dass es ein hochbrisantes Thema ist,dass auf der einen Seite das Handgepäck und die Kofferder Fluggäste minutiös kontrolliert werden, während aufder anderen Seite Gepäck und Kisten im Frachtraumsind, die nicht oder jedenfalls nur unzulänglich kontrol-liert werden. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe. Durchdie Ereignisse in den letzten Wochen ist uns bewusst ge-worden, was Gefährliches und Schreckliches dort pas-sieren kann.Zwei Ministerien dieser Bundesregierung streitensich trotzdem wochenlang wie die Kesselflicker darüber,wer dafür zuständig sein soll. Das ist doch ein absolutes
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8267
Dr. Peter Danckert
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Unding. Ich hätte erwartet, dass wir hier sehr viel deutli-cher Ihre Handschrift sehen und Sie zum Ausdruck brin-gen: Das ist eine Aufgabe, die wir als Bundesinnen-ministerium gerne übernehmen, weil die Bundespolizeiohnehin dafür zuständig ist.Dieser Streit läuft aber immer weiter und ist bis heutenoch nicht beigelegt. Es ist bis heute noch keine Verstän-digung darüber erfolgt. Es wurden zwar 450 Stellen imEinzelplan 08, also beim Bundesfinanzministerium, ge-sperrt – das wurde sozusagen etatisiert –, wer aber fürdiese kritische Aufgabe zuständig ist, ist doch bis heutenicht geklärt worden. Ich finde, das ist ein erheblicherMangel, auf den man an dieser Stelle einmal hinweisendarf.
Zum Thema Stellenstreichungen. Ich kann nur sa-gen: An dieser Stelle gibt es ein totales Kommunika-tionschaos. Die Gewerkschaften – GdP etc.; das sind jaauch Fachleute – sprechen von einer Streichung von1 000 Stellen. Der Pressesprecher Ihres Hauses sagt: Esgibt hier keine Streichungen. – Von Mitarbeitern IhresHauses hört man – ich will die Namen hier jetzt nichtlaut verbreiten, aber Ihnen persönlich nenne ich sie –,dass jährlich 120 bis 140 Stellen gestrichen werden.Was ist an dieser Stelle eigentlich los? Ich finde, auchals Parlament muss man hier ganz klar sagen: Bei dieserSicherheitslage darf es keinen Zweifel geben, dass nichteine einzige Stelle gestrichen werden darf.
Das gilt übrigens auch für die Nachrichtendienste.Auch hier, Herr Minister, haben wir Stellenstreichungenzu erwarten. Man kann das an den endgültigen Zahlen zudiesem Punkt sehen. Ich finde, die Nachrichtendiensteverdienen unsere volle Unterstützung. An dieser Stelledarf nicht gespart werden. Ich finde, das ist ein unerträg-licher Zustand. – So viel zu dem Thema.Ich komme jetzt zum Thema THW. Bei allem Jubelwahrscheinlich im ganzen Haus darüber, dass wir es ge-schafft haben, lieber Jürgen Herrmann, lieber FlorianToncar, dass das THW jetzt doch zu den Sicherheitsein-richtungen gehört, die von den Stelleneinsparungen aus-genommen werden sollen, stelle ich erst einmal fest,dass das in § 20 Abs. 2 des Entwurfs der Bundesregie-rung eines Haushaltsgesetzes 2011 nicht der Fall war.Die Bundesregierung hat dazu also keinen Beitrag ge-leistet.
– Natürlich, dafür sind wir da. Dazu komme ich jetztgleich, lieber Jürgen Herrmann.Wir haben dann den Antrag angekündigt, das THW in§ 20 Abs. 2 des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes 2011aufzunehmen. Die Koalition wurde dabei etwas unruhig.Fakt ist doch, dass es noch während der Beratung im In-nenausschuss abgelehnt wurde, das THW an der Stellesozusagen zu privilegieren, was es verdient hat.
In allerletzter Minute – ich vermute einmal, nach denBesprechungen, die wir am Donnerstagmorgen hier imHause nicht weit von hier entfernt geführt haben – istdann sozusagen die letzte Ölung erteilt worden und hatdie Koalition in der Tat mitgezogen. Dafür sind wir alledankbar. Die Wahrheit ist aber: Man hat euch an dieserStelle zum Jagen tragen müssen. Das ist die Realität.
Beim THW sind übrigens erst Kürzungen erfolgt,
um die Mittel danach um 2 Millionen Euro aufzusto-cken, die aber dem Bundesamt für Bevölkerungsschutzund Katastrophenhilfe weggenommen wurden. Das isteine – ich sage es einmal so – sehr schräge Philosophie.Das Bundesamt hat wahrscheinlich nicht so viele Lobby-isten wie andere.Zu einem weiteren Thema, das mich interessiert,nämlich zu den Integrationskursen. Wir alle sind unsdarüber einig, dass das ein ganz zentrales Thema ist. Da-rüber gibt es ja wohl kaum noch unterschiedliche Mei-nungen. Die Frage an dieser Stelle ist aber, wie man die-ses Thema angeht.Im Haushalt 2009 – Herr Grindel wird darauf nachhermöglicherweise noch eingehen – hatte die alte Koalition,die Große Koalition, 174 Millionen Euro für diese Inte-grationskurse vorgesehen. Im Haushaltsplan 2010 kannman das nachsehen: Im Ist, also aktuell, sind es204 Millionen Euro. Das ist also schon einmal eine Auf-stockung. Wem sie zuzurechnen ist, lasse ich im Mo-ment einmal offen. Ob das in den letzten zwei Monaten2009 passiert ist oder schon vorher einvernehmlich gere-gelt war, ist hier jetzt nicht die Frage. Das sind204 Millionen Euro.Zudem haben wir im Haushalt 2010, wie Sie alle in-zwischen wissen, weitere 15 Millionen Euro für Aufga-ben vorgesehen, die im Jahr 2009 erfüllt wurden. Wennman das alles zusammenzählt und saldiert, dann kommtman auf 219 Millionen Euro, die im Jahr 2009 für Inte-grationskurse ausgegeben wurden. Wenn im Haushalt2011 dafür 218 Millionen Euro vorgesehen sind, dann istschon das weniger, Florian Toncar.Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Die Koali-tion hat ein Bildungsprogramm in Höhe von 12 Milliar-den Euro für diese Legislaturperiode beschlossen. Vondiesen 12 Milliarden Euro für Maßnahmen im BereichBildung und Forschung entfallen gerade einmal 1,5 Pro-zent auf das Bundesinnenministerium. Das nenne ichEtikettenschwindel. Hier passt der Ausdruck wirklich.Sie behalten den Ansatz von 218 Millionen für 2011bei und verweisen auf die 44 Millionen Euro je Haus-haltsjahr aus dem Bildungsprogramm, die darin enthal-ten sind. Da haben Sie doch echt gekürzt. Das ist eineeinfache und einwandfreie Rechnung. Sie haben den ur-sprünglichen Ansatz um 44 Millionen Euro gekürzt und
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8268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Peter Danckert
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dann 44 Millionen Euro aus dem Bildungsprogrammdraufgeschlagen. Das heißt, bei etwa 900 000 Menschen,die der Integrationskurse bedürfen, wird der Bedarf inden nächsten zehn Jahren nicht abgearbeitet.Deshalb gibt es einen Antrag meiner Fraktion, dieMittel um 48 Millionen Euro aufzustocken. Es gibt einenAntrag der Grünen, die Mittel um 51 Millionen Euroaufzustocken. Ich weiß nicht, wie in dem Fall gerechnetworden ist. Ich finde aber, dass beide Anträge die Unter-stützung dieses Hauses verdienen. Denn erst dann kannman die Situation richtig bewerten.
Ich würde gerne eine letzte Bemerkung machen,wenn der Präsident mir das gestattet.
Aber nur eine kurze.
Ich fasse mich ganz kurz. – Herr Bundesinnenminis-
ter, Ihre Kabinettskollegin Schröder hat den Bundesfrei-
willigendienst angesprochen. Bitte verwahren Sie sich
dagegen, dass dabei wieder zwischen Ost und West un-
terschieden wird. Im Osten soll es dafür monatlich
288 Euro und im Westen 330 Euro geben. Das ist uner-
träglich. Diese Zeiten sind vorbei.
Sie sind dafür verantwortlich, dass das nicht Eingang ins
Gesetz findet.
Vielen Dank.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Reinhard Grindel von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieIntegrationskurse sind mehrfach angesprochen wor-den. Sie sind im Vermittlungsverfahren im Zusammen-hang mit dem Zuwanderungsgesetz vereinbart worden.Das ist die Wahrheit. Rot-Grün, CDU/CSU und FDP ha-ben dies im Vermittlungsverfahren gemeinsam verein-bart.
Dann hat in der Tat Rot-Grün diese Integrationskursezum ersten Mal im Haushalt 2005 mit finanziellen Mit-teln ausgestattet.Das können wir vergleichen. Sie haben damals 102 Mil-lionen Euro dafür ausgegeben. Heute geben wir dafür218 Millionen Euro aus. Es gab pro Teilnehmer undKursstunde 2,05 Euro. Heute gibt es 2,35 Euro. Es gabdamals 100 Stunden für Alphabetisierungskurse. Heutesind es 300 Stunden. Es gab damals 600 Stunden für denIntegrationskurs. Heute sind es bis zu 900 Stunden. Wernicht sagt, dass wir diesen Bereich enorm ausgeweitet ha-ben und eine enorme Dynamik in die Integration hinein-gebracht haben, und zwar ganz praktisch vor Ort, der sagtnicht die Wahrheit, Herr Kollege Danckert.
Es stimmt auch nicht, dass Teilnehmer wegen man-gelnder Finanzen warten müssen. Ich will einmal deut-lich machen, wie auf der einen Seite polemisiert wirdund wie sich auf der anderen Seite die Wirklichkeit dar-stellt. Ein Kurs ist erst dann wirtschaftlich, wenn er min-destens zwölf Teilnehmer hat. Es gibt aber Städte, in de-nen es zum Beispiel fünf oder sechs Kursträger gibt.Kursträger A hat dann vielleicht zehn Anmeldungen,Kursträger B acht und Kursträger C vier Anmeldungen.Richtig wäre es in dem Fall, dass Kursteilnehmer gegen-seitig abgegeben werden, damit ein Kurs dort startenkann, wo die Mindestteilnehmerzahl erreicht ist.Das ist aber leider nicht die Wirklichkeit, weil wir dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge bis heute nichtin die Lage versetzt haben, das online anzuordnen. Des-wegen sage ich Ihnen: Weil die Kursträger, die auf ihrenAnmeldungen sitzen, nicht bereit und schon gar nichtdazu verpflichtet sind, Ausländer, die diese Kurse besu-chen wollen, an die Träger abzugeben, die die entspre-chende Kurse zum frühesten Termin anbieten, haben wirdie Probleme. Das hat nichts mit finanziellen, sondernmit organisatorischen Fragen zu tun.
Und diese Probleme lösen wir jetzt mit unserem aufent-haltsrechtlichen Paket, mit dem die Daten übermitteltwerden müssen. Das ist der Sachverhalt.
Es ist die Bleiberechtsregelung angesprochen wor-den. Wir haben gesagt, dass Familien bei uns bleibenkönnen, wenn ihre Kinder die Schule erfolgreich besu-chen. Ich kann nicht verstehen, was dagegenspricht.Denn es geht doch darum, dass wir einen Anreiz setzen,sich hier in Deutschland zu integrieren.Die Botschaft der Bleiberechtsregelung, die wir an-streben, lautet: Die Erwachsenen, also die Väter undMütter, sollen ihren Lebensunterhalt selbst bestreitenund nicht von Sozialleistungen leben. Und sie sollen da-für sorgen, dass ihre Kinder in die Schule gehen undauch weiterführende Schulen besuchen dürfen; das giltgerade für Mädchen mit muslimischem Hintergrund.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8269
Reinhard Grindel
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Dann sagen wir: Wenn ihr so demonstriert, dass ihr euchintegrieren wollt, dann wird euch auch ein Bleiberechteingeräumt und ihr erhaltet eine Daueraufenthaltsper-spektive in Deutschland. Wer aber straffällig wird, werkein Deutsch lernt und wer nur von Sozialleistungenlebt, der erhält diese Bleiberechtsperspektive nicht. Ichhalte dies integrationspolitisch für völlig richtig.
Dann haben Sie, Herr Kollege Korte, es sich für dieLinkspartei nicht verkneifen können, den Polizeieinsatzbei den Castortransporten anzusprechen.
– Jetzt sagen Sie auch noch „richtig“. Ich will Ihnen ei-nes sagen: Wer wie Sie und viele aus der Linkspartei vorBeginn der Castortransporte zum Schottern der Bahn-gleise aufruft und uns anschließend vorwirft, wir hättenPolizeikräfte verheizt, der betreibt puren, blanken Zynis-mus und verhält sich den Polizeibeamten gegenüber un-verschämt, Herr Kollege.
Ich will hier ausdrücklich erwähnen, dass ich die Ton-lage und die Rede des Kollegen Scholz als der Lage an-gemessen empfunden habe. Ich finde auch, dass sich dieOpposition über die Information durch den Bundesin-nenminister nicht beklagen kann; schließlich werden Sieständig über die aktuelle Sicherheitslage informiert. Ichunterstreiche noch einmal, dass vieles von dem, was derKollege Scholz hier gesagt hat, sehr richtig war. Geradedeshalb darf hier nicht stehen bleiben, was der KollegeOppermann, der hier schon mehrfach angesprochen wor-den ist, bei seinem Pressegespräch vorgestern gesagt hat.Herr Oppermann hat gesagt – Zitat –:Der Innenminister habe sich gegenüber den tatsäch-lichen Gefahren zu lange sorglos verhalten, um sein„liberales Image zu pflegen“.Ich schlage vor, dass der Kollege Oppermann diese Aus-sage unverzüglich zurücknimmt. Das ist nicht in Ord-nung, und so kann man mit unserem Bundesinnenminis-ter nicht umgehen.
Hier ist gesagt worden, wir würden Muslime unterGeneralverdacht stellen. Das ist natürlich nicht richtig.
Ich will ausdrücklich sagen, dass ich es kritisiere,
dass – das hören wir jetzt vom Zentralrat der Muslime –Moscheen und Vereine, die sich auch für Integration ein-setzen, jetzt Hass-Mails erhalten.Über unserer Debatte steht allerdings das Motto„Wachsamkeit und Entschlossenheit“, und wenn es umWachsamkeit geht, gehört zur Wahrheit eben auch, dassdie Vorbereitungen für die Anschläge vom 11. Septem-ber in einer Hamburger Moschee getroffen wurden. Undes ist auch so, dass Islamisten, die wir als Gefährderidentifiziert haben, vor allen Dingen über MoscheenKontakt halten und wir nicht ausschließen können, dasssie dort auch Aktionen vorbereiten. Deswegen möchteich völlig unaufgeregt, aber ernsthaft sagen: Ich erwarte,dass die Sprecher der Muslime nicht nur ein Klima derAngst beklagen, sondern dass sie die Muslime aufrufen,durch Wachsamkeit in den Moscheen dazu beizutragen,
dass niemand in unserem Land Angst haben muss, liebeKolleginnen und Kollegen.
Der Etat des Bundesinnenministers ist auch der Sport-etat, und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen, kann ich es Ihnen nicht ersparen, auf denBeschluss des Freiburger Bundesparteitages einzugehen.
Wie ein roter oder grüner Faden zieht sich durch unsereDebatte die Erkenntnis, dass Sie wirklich die Dagegen-Partei sind.
Ihre Entscheidung über die Bewerbung Münchens für dieOlympischen Winterspiele im Jahr 2018 ist dafür einguter Beleg. Da Sie, Frau Künast und Herr Beck, so hä-misch jubeln, möchte ich Ihnen vorhalten, was WinfriedHermann, der sportpolitische Sprecher Ihrer Fraktion, am23. November 2010 im Tagesspiegel gesagt hat: „Alleökologischen Vorschläge sind umgesetzt …“ MichaelVesper, der, glaube ich, noch immer Mitglied Ihrer Parteiist und einst für die Grünen stellvertretender Ministerprä-sident in Nordrhein-Westfalen war, sagt: Nach denGrundsätzen des Beschlusses zur Münchener Olympia-bewerbung hätte es nie eine Fußballweltmeisterschaft inDeutschland geben dürfen. – Wie viele – insbesonderejunge – Leute würden sich gerade im Süden Deutschlandsfreuen, einmal Olympische Winterspiele vor der Haustürzu erleben! Für wie viele Kinder und Jugendliche wäreein solches Erlebnis in Deutschland auch Anlass, Sport zutreiben und Mitglied in einem Sportverein zu werden!
Ich sage Ihnen: Mit Ihrem Beschluss schaden Sie demSport in Deutschland.
Der Tagesspiegel fragt Winfried Hermann in dem be-reits erwähnten Interview weiter:
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8270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Reinhard Grindel
(C)
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Ist denn für die Grünen Sport immer noch Federballohne Zählen?Darauf antwortet Herr Hermann – ich bitte, wirklich gutzuzuhören –:Wahrscheinlich fährt auch der halbe bayerischeLandesverband selbst Ski auf den ökologisch so un-möglichen Pisten, die mit Schneekanonen beschneitwerden.Sie sind nicht nur die Dagegen-Partei. Sie sind in dieserFrage auch nahe daran, Ihre Wähler zu betrügen, wennWinfried Hermann eine solche Aussage über Ihren baye-rischen Landesverband trifft.
Der Etat des Bundesinnenministers ist die in Zahlengegossene Politik des Bundesinnenministers. Ich darf fürdie Koalitionsfraktionen sagen, Herr Bundesinnenminis-ter: Wir unterstützen Ihre Arbeit. Wir unterstützen IhrenEtat.
Wir wissen um Ihre Verantwortung in diesen schwieri-gen Tagen und Wochen. Ich möchte Ihnen ausdrücklichzumindest im Namen der Koalition – ich hoffe, im Na-men des ganzen Hauses – sagen: Ich wünsche Ihnen fürIhre schwierige Aufgabe alles Gute, Glück, viel Kraftund Gottes Segen.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gibt es noch
zwei Wünsche nach Kurzinterventionen.
Zuerst der Wunsch des Kollegen Jan Korte für die
Fraktion Die Linke. – Bitte schön.
Da ich vom Kollegen Grindel direkt angesprochen
wurde, will ich ein paar Klarstellungen vornehmen, wie
ich das sehe. – Herr Grindel, mit Ihrer Rede zur Integra-
tionspolitik schüren Sie ein unerträgliches Klima in die-
sem Land.
Ihren Versuch, Inländer gegen Ausländer auszuspielen,
lassen wir Ihnen nicht durchgehen, um das klar zu sagen.
Des Weiteren will ich Ihnen noch etwas Grundsätzli-
ches sagen. Ein Mensch ist ein Mensch. Dabei ist es
scheißegal, ob er Sozialleistungen bekommt oder nicht,
um auch das einmal klar zu sagen. Ein Mensch ist ein
Mensch!
Nun zu einem anderen Punkt in meiner Rede, den
Einsatz der Polizeibeamten im Wendland, den Sie
ebenfalls angesprochen haben. Es ist so, dass für Ihre
Gefälligkeitspolitik gegenüber der Atomlobby Tausende
Beamte für nichts und wieder nichts und nur für die
Wahrnehmung der Interessen der Atomlobby im Wend-
land eingesetzt werden und nicht für die Erfüllung der
Aufgabe, für die sie eigentlich zuständig sind, nämlich
für Sicherheit zu sorgen. Das habe ich gesagt. Das ist
schlicht die Wahrheit.
Das wollte ich klarstellen. Das, was Sie abgeliefert
haben, hat nichts mit der sachlichen Debatte zu tun, die
wir eben geführt haben.
Jetzt hat die Kollegin Aydan Özoğuz das Wort zu ei-
ner Kurzintervention.
Herr Kollege Grindel, mir geht es um einen einzigen
Punkt. Aufgrund der Stimmung und der Atmosphäre in
diesem Land sowie der Terrorbedrohung, die uns allen
große Angst macht, halte ich es für unverantwortlich,
dass Sie sich hier hinstellen und einfach behaupten, Ter-
roristen würden hauptsächlich über Moscheen Kontakt
halten.
Das haben Sie gesagt. Ich halte es wirklich für verant-
wortungslos, dass Sie so etwas in diesem Hause in die-
sen Tagen sagen.
Herr Grindel verzichtet auf eine Erwiderung.
Deswegen schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 06, Bundesministerium des Innern, in der Aus-schussfassung. Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor,über die wir zuerst abstimmen. Ich gebe Ihnen noch be-kannt, dass es eine Reihe von Erklärungen nach § 31 derGeschäftsordnung gibt, die wir zu Protokoll nehmen.1)Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3857, zudem namentliche Abstimmung verlangt wurde. Haben1) Anlage 2
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8271
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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nein: 307 Dr. Edgar Franke Fritz Rudolf Körper Bernd ScheelenJaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnUlla BurchardtPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixUlla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerBrigitte ZypriesPeter Friedrich Nicolette Kressl Werner Schieder
die Schriftführerinnen und Sden Urnen besetzt? – Das ist dstimmung und bitte, die KarteVizepräsidentin Katrin GIst noch ein Mitglied des HStimmkarte nicht abgeben kdie glauben, man könne nur iGibt es jetzt noch Abgeornicht abgeben konnten? – Dschließe die Abstimmung unnen und Schriftführer, mit deWir stimmen nun über dträge ab. Wir kommen zunäder Fraktion der SPD aufstimmt dafür? – Die GegensDamit ist der Änderungsantmung durch die Oppositionsfraktionen haben im WesentliWir kommen zu den beidFraktion Die Linke. Zunächsderungsantrag auf Drucksachfür? – Wer ist dagegen? – Erungsantrag ist abgelehnt bEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 567;davonja: 260chriftführer die Plätze aner Fall. Ich eröffne die Ab-n einzuwerfen.öring-Eckardt:auses anwesend, das seineonnte? – Es gibt Kollegen,n einer Ecke abstimmen.dnete, die ihre Stimmkarteas ist nicht der Fall. Ichd bitte die Schriftführerin-r Auszählung zu beginnen.ie weiteren Änderungsan-chst zum ÄnderungsantragDrucksache 17/3841. Wertimmen! – Enthaltungen? –rag abgelehnt bei Zustim-fraktionen, die Koalitions-chen dagegen gestimmt.en Änderungsanträgen dert stimmen wir über den Än-e 17/3842 ab. Wer ist da-nthaltungen? – Der Ände-ei Zustimmung durch dieDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele Fograschereinbringende Fraktion, dagegCSU und FDP, Bündnis 90/Dsich enthalten.Wir kommen zum Änderu17/3843. Wer stimmt dafür?Enthaltungen? – Der Änderugelehnt. Die Linke hat dafürGrünen und die Koalitionsfrastimmt, die SPD hat sich enthBis zum Vorliegen des ErAbstimmung unterbreche ich
öring-Eckardt: ist wieder eröffnet.en Schriftführerinnen undgebnis der namentlichening um den Einzelplan 06,riums des Innern, und hierauf Drucksache 17/3857.it Ja haben gestimmt 260,. Damit ist der Änderungs-Dr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Anton SchaafAxel Schäfer
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8272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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DIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićPetra PauJens PetermannYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberDr. Kirsten TackmannFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeVolker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarNicole MaischAgnes MalczakKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnHolger HaibachDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenDr. Kristina SchröderManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael Meister
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8273
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Sibylle PfeifferStephan StrackeMax StraubingerReiner Deutschmann Dirk NiebelHans-Joachim OttoRonald PofallaChristoph PolandEckhard PolsDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffWir kommen zur Abstiplan 06 – Bundesministeriumschussfassung. Wer stimmt dgen? – Enthaltungen? – DamZustimmung durch CDU/CSSPD, Linke und Bündnis 90/gestimmt.Ich rufe jetzt den Tagesorda) Einzelplan 07Bundesministerium d– Drucksachen 17/350Berichterstattung:Abgeordnete Ewald SThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli Zylajewmmung über den Einzel- des Innern – in der Aus-afür? – Wer stimmt dage-it ist der Einzelplan 06 beiU und FDP angenommen;Die Grünen haben dagegennungspunkt I.15 auf:er Justiz7, 17/3523 –churerPatrick DöringMechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Alexander FunkFlorian ToncarSteffen BockhahnManuel Sarrazinb) Einzelplan 19Bundesverfassungsge– Drucksache 17/3524Berichterstattung:Abgeordnete AlexandDr. Peter DanckertFlorian ToncarDr. Dietmar BartschManuel SarrazinCornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
richt –er FunkBeatrix Philipp Karin StrenzDr. Bijan Djir-Sarai
Maria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerStefan Müller
Nadine Schön
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Johannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubHeinz LanfermannHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
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8274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Verabredet ist, zu diesen Einzelplänen eineinhalbStunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort demKollegen Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Frau Minister! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der Einzelplan 07 ist von der Größenordnungher überschaubar. Im Gegensatz dazu stehen die Bedeu-tung des Justizministeriums sowie der entsprechendenÄmter und Höfe.Ich darf mich erst einmal ganz herzlich bei den Kolle-gen Mitberichterstattern für die kollegiale Zusammenar-beit bedanken, aber auch beim Hause für eine sehr prä-zise und gut strukturierte Zuarbeit. Man konnte zu jederZeit auch aus der Opposition heraus alle Dinge sehr gutnachvollziehen. Dafür einen ganz herzlichen Dank! DieZuarbeit war wirklich klasse. Dieses Lob haben Sie ver-dient.Wenn wir in den Haushalt blicken, stellen wir fest– das ist für die Fachkundigen natürlich klar –: Das Aus-gabevolumen beträgt rund 493 Millionen Euro, dem ste-hen rund 415 Millionen Euro an Einnahmen gegenüber.Das ist ein Novum. Wenn wir diese hohe Deckung beimgesamten Haushalt hätten, wären wir unsere Sorgenbeim Bundeshaushalt mehr oder minder los. Das ist abernicht generell so.Neben dem Kapitel für das Haus selbst gibt es die Ka-pitel „Allgemeine Bewilligungen“, „Bundesgerichts-hof“, „Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichts-hof“, „Bundesverwaltungsgericht“, „Bundesfinanzhof“,„Bundespatentgericht“, „Bundesamt für Justiz“, „Deut-sches Patent- und Markenamt“ – ökonomisch und auchinhaltlich ein Schwergewicht – sowie „Versorgung derBeamtinnen und Beamten sowie der Richterinnen undRichter des Einzelplans 07“.Mit einer Deckungsquote von 84 Prozent ist einehohe Gegenfinanzierung vorhanden. Was für den Haus-halt strukturell wichtig ist: 76 Prozent der Ausgaben,also rund drei Viertel des gesamten Haushaltsumfangs,sind Personalausgaben. Dieses Geld fließt in – das bringtdie Sache mit sich; davon gehe ich aus – hochqualifi-zierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit entsprechen-dem juristischen Sachverstand.Für das Rechtsleben der Republik auch in Zeiten wiediesen sind Sicherheitsgesetze und die Diskussion da-rüber von großer Bedeutung. Ich glaube, dass die Funk-tionsfähigkeit des Staates – Stichwort „Gewaltentei-lung“ – sehr wichtig ist. Das Justizwesen hat in denAugen der Menschen eine hohe Bedeutung, nicht nur beiBedrohungslagen, wie wir sie im Augenblick leider erle-ben müssen. Es gibt so etwas wie eine Kompetenzanmu-tung, eine Vertrauenserwartung der Bürgerinnen undBürger an die Demokratie. Dazu gehört selbstverständ-lich das Justizwesen. Der Justizgewährungsanspruchoder die Gewährleistung der Strafverfolgungspflichtsind in diesem Zusammenhang wichtige Begrifflichkei-ten.Das Aushängeschild, was die Größenordnung angeht,ist das von mir schon zitierte DPMA. Das ist eine Zen-tralbehörde. Sie ist das Kompetenzzentrum auf dem Ge-biet des gewerblichen Rechtsschutzes. Man muss sagen:Das ist schon bedeutend. Denn 71 Prozent aller imEinzelplan 07 veranschlagten Einnahmen werden durchdiese Institution erzielt. In München, wo sie ihren Sitzhat, sind 2 600 qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter beschäftigt. Im Jahr 2009 wurden 60 000 Patent-anmeldungen gehandelt; das ist sehr viel. 32 000 Patent-prüfungsverfahren sind durch das DPMA durchgeführtworden. Ende 2009 gab es 800 000 Marken, die beimDeutschen Patent- und Markenamt registriert waren.Hinzu kommen 534 Patente, die international in Kraftgetreten sind.Wichtig ist mir auch, festzustellen, dass das im Jahr2007 neu geschaffene Bundesamt für Justiz – die Mit-tel sind in Kapitel 0708 veranschlagt – als die zentraleDienstleistungsbehörde der Bundesjustiz offensichtlicheine große Hilfe zur Schaffung von Bürgernähe ist. Auchwurde durch dieses Amt eine größere Transparenz er-reicht. Seine wesentlichen Aufgaben sind das Register-wesen und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. InMünchener Boulevardzeitungen konnte man im Zusam-menhang mit dem seit 1. November 2010 bestehendenEuGeldG, Geldsanktionsgesetz, lesen: Nun ist das Abzo-cken bei Verkehrsverstößen im europäischen Ausland le-gal, weil es eine Rechtsgrundlage gibt; rechtskräftigeEntscheidungen über die Zahlung von Geldstrafen undGeldbußen über die Grenzen hinweg. Diesbezüglich gabes lange Zeit viele Berichte und große Aufregung. Dasmöchte ich an dieser Stelle anmerken.Wichtig ist für mich – ich verweise auf die politischeBedeutung dieses Themas –: Es wurden mit Unterstüt-zung der Opposition, also auch der SPD, 10 MillionenEuro für die Magnus-Hirschfeld-Stiftung ausgebracht.Dabei geht es darum, endlich die Verfolgung homosexu-eller Menschen in der Nazizeit aufzuarbeiten, zu erfor-schen und Bildungs- und Öffentlichkeitsmaßnahmen indiesem Zusammenhang zu befördern.Sorgen macht mir, Frau Minister, Titel 681 01, „Här-teleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“.Wir wissen, dass es für Opfer linksextremistischer Über-griffe – sie sind nicht zu leugnen, und sie sind genausoschlimm wie alle anderen extremistischen Übergriffe –
die Versorgungswerke der Polizei und staatliche Einrich-tungen gibt. Offensichtlich ist: Obwohl die rechts-extreme Gewalt – sie richtet sich im Wesentlichen gegenMenschen aus der Zivilgesellschaft – anhaltend hoch ist,ist der Abfluss der Mittel für die Opfer – 2011 sollenwieder 1 Million Euro zur Verfügung stehen – sehrschlecht.Ich habe damals nachgefragt, woran das liegt. Offen-sichtlich sind die Opferverbände immer noch nicht ent-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8275
Ewald Schurer
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sprechend in die Kommunikation eingebunden. Der Ab-ruf der vorhandenen Mittel ist mau, und er macht mirSorgen. Wir wissen über alle Fraktionen hinweg, dassdie rechtsradikale Gewalt leider anhaltend zunimmt undfür die Menschen im zivilen Leben eine reale Bedrohungdarstellt.Es beschäftigt mich sehr, was der Koalitionsvertragvon Schwarz-Gelb im Zusammenhang mit einer großenJustizreform vorsieht. Ich weiß, dass die Mietrechtsre-form für Sie nicht die erste Priorität hat. Die FDP willaber offensichtlich künftig begründete Mietminderungenerschweren. Sie wollen, soweit ich das mitbekommenhabe – man kann das im Koalitionsvertrag, der da sehrim Ungefähren bleibt, nachlesen –, die Kündigungsfris-ten zuungunsten der Mieter abbauen. Sie wollen beimThema Maklercourtage bzw. -provision eine einseitigeVeränderung zulasten der Mieter und zur Besserstellungder Vermieter durchbringen. Frau Ministerin, da frageich Sie schon: Welche Rolle werden Sie in der Zukunftspielen? Das ausgewogene Mietrecht ist in diesemLande ein hohes Gut. Das ist auch vor dem sozialen Hin-tergrund zu sehen, den wir bei Integration, Migrationund sozialer Stadtarbeit in unserer Gesellschaft diskutie-ren.
Ein weiteres Thema macht mir Sorgen; ich sage dasauch als vierfacher Familienvater. Wir alle wissen: Esgibt fast kein größeres Verbrechen als sexuelle Gewaltgegen Kinder und Jugendliche. Wir haben in der Öf-fentlichkeit groß über dieses Thema diskutiert. Es wur-den mit Fug und Recht runde Tische eingerichtet; das istwichtig, um dieses Thema – die Grausamkeit und Bruta-lität gegen die Seele von Kindern und Jugendlichen – inder Öffentlichkeit darzustellen. Das reicht aber nicht aus.Ich frage Sie ganz konkret: Sind Sie bereit, dem sehrguten Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktionzuzustimmen, der seit dem 9. November 2010 vorliegt– er wurde von meinen Kolleginnen und Kollegen imAusschuss erarbeitet – und vorsieht, die straf- und zivil-rechtlichen Verjährungsfristen auf 20 Jahre respektive30 Jahre zu verlängern? Ich halte das in der öffentlichenDiskussion für einen richtigen Fingerzeig. Ich würde mirhier wünschen – das sage ich ohne jede Polemik –, dassdie Koalition dazu bereit ist. Öffentliches Bewusstseinaufzubauen, ist das eine. Dieses Bewusstsein mit gesell-schaftlicher Ächtung und mit einer entsprechenden Ge-setzesänderung zu unterlegen, ist das andere. Die Bun-desregierung sollte das in den nächsten Jahrenunterstützen.
Ich finde es schade – hier spreche ich die CSU unddie Union insgesamt an –, dass Sie bei jeder krisenhaftengesellschaftlichen Entwicklung im Appendix, also imAnhang, reflexartig Verschärfungen der Gesetze for-dern, obwohl Sie wissen, dass der Rechtsstaat in der jetztdurchaus vorhandenen Bedrohungslage mit Gesetzen aufhohem Level ausgestattet ist. Es kommt darauf an, un-sere Behörden, die Justiz und die Polizei, so auszustat-ten, dass die Sicherheitsmaßnahmen des Rechtsstaatsvollzogen werden können.Ich verstehe es nicht, wieso aus Ihren Reihen die For-derung nach einer Einschränkung der Pressefreiheitkommt: Was hat das für einen Sinn?
Das hat nur den Sinn, Ängste zu schüren. So zieht manaus einer Entwicklung, die in der Tat nicht einfach ist,die falschen Konsequenzen. Sie alle wissen doch: DieForderung nach einer Verschärfung bestehender Sicher-heitsgesetze ist purer Populismus, der uns nicht weiter-bringt. Man muss die Krise mit Bedacht meistern. Dazugehört, dass wir den Rechtsstaat hochhalten und ihn miteinem entsprechenden inhaltlichen Anspruch des Justiz-ministeriums versehen. Ich wünsche mir eine sehr sach-liche Diskussion.Frau Ministerin, ich mache Ihnen hier Mut: LassenSie die Angriffe der CSU gegen Sie – auch persönlicherArt – ins Leere laufen. Die CSU hat oft gebellt, abernachher inhaltlich nicht so viel gebracht, wie man ge-dacht hat.
Seien Sie mutig! Stehen Sie wie bisher Ihre Frau! StellenSie sich gegen Verschärfungen im Bereich Justiz! Dasbringt, wie wir alle wissen, substanziell nichts.Herzlichen Dank.
Alexander Funk ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich zunächst meinen Kolleginnenund Kollegen im Haushaltsausschuss, aber auch denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesministe-rium der Justiz und im Bundesverfassungsgericht für diekonstruktive Zusammenarbeit danken, die die Wochenzwischen der ersten Lesung des Etats und der Bereini-gungssitzung geprägt hat. Es hat sich einmal mehr ge-zeigt, dass ungeachtet aller inhaltlichen Differenzen überdie Fraktionsgrenzen hinweg durchaus eine sachliche,zielführende Diskussion möglich ist. Das hat auch derKollege Schurer in seinem Beitrag gezeigt.Dies ist umso wichtiger, als es gerade im Bereich derJustiz um elementare Fragen des geordneten Zusammen-lebens in einer Gesellschaft geht. Welche Bedeutung dasRechtswesen hat, ist in diesen Tagen überdeutlich zuspüren und, wenn Sie sich das Umfeld des Reichstagesansehen, geradezu mit Händen zu greifen. Die Sicher-heitsmaßnahmen sind verstärkt worden. Darüber hi-naus gibt es aber auch den Ruf nach neuen oder schärfe-
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8276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Alexander Funk
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ren Gesetzen. Ich persönlich glaube, dass wir gut beratensind, in dieser Stimmungslage keine neuen Sicherheits-gesetze zu beschließen. Wovon ich allerdings überzeugtbin, ist, dass wir die vorhandenen Instrumentarien unse-res freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats konse-quent ausschöpfen müssen, insbesondere im Bereich derInternetkommunikation. Wir müssen unseren Ermitt-lungsbehörden den Raum lassen, den sie zur Bekämp-fung des Terrorismus benötigen.Die Beratungen über den Haushalt 2011 standen er-neut unter dem Diktat des unbedingten Sparzwangs. Esliegt auf der Hand, dass der Justizetat zur Haushaltskon-solidierung nur bedingt beitragen kann. Dennoch habenwir im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeitenversucht, den Sparvorgaben gerecht zu werden. Richtigist: Der Justizetat wird beherrscht von unabweisbarenAusgaben, vor allem im Personalbereich. Damit sind diepolitischen Handlungsspielräume von vornherein vorge-geben und stark eingeschränkt. Dennoch war es unsmöglich, auch mit geringen Mitteln Akzente zu setzen.Der Bundeshaushalt 2011 ist der erste, der ausschließ-lich – ich möchte sagen: endlich – von den Vorstellungenund politischen Zielsetzungen der christlich-liberalenKoalition geprägt ist. Dies hat erwartungsgemäß Aus-wirkungen auf den Justizetat, was ich an einigen Bei-spielen belegen möchte.Bereits für den laufenden Etat haben wir den Titel fürdie Entschädigung von Opfern extremistischer Ge-walt erhöht, und zwar auf 1 Million Euro. Die Opposi-tion hat dies natürlich abgelehnt.
Allerdings ist für mich diese Thematik noch nicht abge-schlossen. Herr Schurer, Sie haben vollkommen rechtdamit, dass der Mittelabfluss derzeit Sorgen bereitet. Ichglaube, dass das vor allen Dingen an der entsprechendenRichtlinie liegt. Sie ist passgenau auf die Opfer rechterGewalt zugeschnitten. Opfer linker Gewalt gehen dage-gen weitgehend leer aus. Dies ist ein Relikt der Denk-weise aus rot-grünen Zeiten, in denen einseitig Opfervon rechter Gewalt beklagt wurden, die Gewalt vonLinksextremisten dagegen verharmlost wurde.
Wenn linke Gewalttäter gerade hier in Berlin um den1. Mai herum zu Pflastersteinen und Brandsätzen grei-fen, um unseren freiheitlichen demokratischen Rechts-staat zu bekämpfen, darf man die Verletzten nicht alsKollateralschäden hinnehmen.
Sie haben denselben Anspruch auf Fürsorge durch denStaat wie die Opfer der dumpfen rechtsradikalen Gewalt.Um es unmissverständlich zu sagen: Ich will, dass alleOpfer von Gewalttätern einen Anspruch auf Entschädi-gung haben; denn für sie macht es keinen Unterschied,wer sie zusammengeschlagen oder mit Pflastersteinenbeworfen und verletzt hat.
Ich setze mich auch für eine Änderung der Richtlinieein, um beispielsweise auch bei materiellen Schäden hel-fen zu können, sofern diese nicht durch Versicherungenabgedeckt sind. Eingeworfene Fensterscheiben gehörenebenso dazu wie in Brand gesteckte Autos.
Die Richtlinie greift in ihrer aktuellen Fassung nur beiKörperschäden und Verletzungen des allgemeinen Per-sönlichkeitsrechts und schließt Eigentumsdelikte aus.Dies sollte man zumindest einmal überdenken und prü-fen, ob die Richtlinie nicht neu zu fassen ist.Sehr froh bin ich darüber, dass sich die Koalition aufeine weitere Unterstützung des Projekts „Dunkelfeld“geeinigt hat. „Dunkelfeld“ ist deutschlandweit die ersteInitiative, die im Umgang mit pädophilen sexuellen Stö-rungen auf Prävention setzt. Das von der Berliner Cha-rité geleitete Forschungsprojekt bietet Hilfe für Men-schen an, die sich aufgrund ihrer pädophilen Neigungselbst als Gefahr wahrnehmen und sich zum Schutz derKinder um eine Therapie bemühen. Vorrangiges Ziel istes, die Nutzung von Kinderpornografie zu senken undauf diesem Weg sexuellem Kindesmissbrauch vorzubeu-gen. Die Forschungen tragen dazu bei, mehr über Nutzerund Nutzungsverhalten zu erfahren, das Dunkelfeld derKinderpornografie zu beleuchten und so Therapieange-bote in Zukunft verbessern zu können. Ich bin meinenKolleginnen und Kollegen dankbar, dass die For-schungsförderung in den kommenden drei Jahren fortge-setzt werden kann.
Als ausgesprochen weitsichtig betrachte ich es, dassdas Deutsche Patent- und Markenamt von der eigent-lich vorgesehen linearen Stelleneinsparung im öffentli-chen Dienst größtenteils ausgenommen wurde. Deutsch-land ist ein Land der Ideen. Unser Reichtum beruht aufder Kreativität unserer Menschen und der Erfindungen,die sie zum Patent anmelden. Wir sind davon überzeugt,dass dem Deutschen Patent- und Markenamt hier eine im-mense Bedeutung zukommt und wir es nicht schwächendürfen. Es kann nicht angehen, dass deutsche Erfindun-gen nicht patentiert werden können bzw. dies erst nachlangen Wartefristen geschieht, weil es im Deutschen Pa-tent- und Markenamt zu wenig Personal gibt. Früher gabes das geflügelte Wort vom Blaupausenexport. Die Tech-niken haben sich verfeinert. Aber von ebendiesen Blau-pausen hängen auch heute noch unsere Wirtschaft und da-mit unser aller Wohlstand maßgeblich ab.Natürlich mussten unsere Änderungsanträge auch ge-genfinanziert werden. Dazu ist es erforderlich, an ande-ren Stellen zu sparen. Hier hat es in den vergangenenWochen Kritik gegeben. Auch gestern hat die Kolleginder SPD, Frau Drobinski-Weiß, in der Debatte Kürzun-gen im Einzelplan der Justiz kritisiert. Es geht konkret
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8277
Alexander Funk
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um das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland,EVZ, in Kehl, das im kommenden Jahr 25 000 Euro we-niger erhalten soll. Von einem Affront gegenüber Frank-reich und einer Schwächung des europäischen Verbrau-cherschutzes war die Rede. Mit Verlaub: Das ist Unsinn.Tatsache ist, dass in diesem Jahr 210 000 Euro im Haus-halt zur Verfügung standen. Tatsache ist, dass im Ent-wurf der Regierung für das Jahr 2011 174 000 Euro vor-gesehen sind, wir also diesen Titel um circa 25 000 Eurogekürzt haben.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Sarrazin zulassen?
Nein, ich möchte zunächst einmal die Tatsachen dar-
legen. – Tatsache ist auch, dass in diesem wie übrigens
auch im vergangenen Jahr lediglich 150 000 Euro abge-
rufen werden konnten. Es handelt sich nämlich um eine
Kofinanzierung. Die EU hatte die Ausgaben auf
150 000 Euro gedeckelt.
Jetzt rate ich der Opposition, ihren Zettelkasten ein-
mal zu sortieren. Einerseits hat die SPD im Ausschuss
beantragt, Titelansätze sollten dem tatsächlichen Bedarf
angepasst werden, und andererseits kritisieren Sie uns,
wenn wir es wie in diesem Fall tun. Das passt nicht ganz
zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass eine De-facto-
Einsparung von 1 000 Euro nicht zu der befürchteten
Schwächung des europäischen Verbraucherschutzes
führt.
Einen Dank möchte ich an dieser Stelle an alle Ange-
hörigen des Bundesverfassungsgerichtes richten. Sie
arbeiten derzeit unter erschwerten räumlichen Bedingun-
gen – und dies freiwillig und ohne zu murren. Selbst-
kritisch möchte ich an uns alle die Frage richten, ob wir
angesichts der permanenten Sanierungsarbeiten in den
Bundestagsbauten bereit wären, für einige Jahre in eine
stillgelegte Kaserne umzuziehen – wahrscheinlich eher
nicht. Umso mehr ist die Bereitschaft der Karlsruher
Richterinnen und Richter und aller übrigen Beschäftig-
ten anzuerkennen, ebendies auf sich zu nehmen. Wir ha-
ben dem Etat des Bundesverfassungsgerichtes einver-
nehmlich und ohne Änderungsanträge zugestimmt und
damit auch die notwendigen Haushaltsmittel für die Re-
novierungsarbeiten bereitgestellt. Auch hierfür bedanke
ich mich als Hauptberichterstatter bei meinen Kollegen
recht herzlich.
Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass die Einzel-
pläne 07 und 19 sparsam aufgestellt sind. Dennoch kön-
nen wichtige Vorhaben realisiert werden. Wir haben zu-
sätzlich noch eigene Akzente gesetzt. Ich bitte daher um
Zustimmung.
Jens Petermann ist der nächste Redner für Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehrgeehrte Damen und Herren! 0,008 Prozent des gesamtenBundeshaushalts – das sind circa 25 Millionen Euro –werden für die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichtsim Jahre 2011 eingeplant. Angesichts der milliarden-schweren Entscheidungen, die dort zu treffen sind, istdies ein vergleichsweise geringer Betrag.Das Bundesverfassungsgericht besteht zurzeit aus zweiSenaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern, dievon 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstütztwerden. Seit 2001 ist die Zahl der eingegangenen Verfah-ren um 30 Prozent, das heißt auf 6 500 jährlich gestiegen.Die Anzahl der Erledigungen indes stagniert seit vierJahren bei circa 6 200; das heißt, es werden erheblicheBestände aufgebaut. Zwei Drittel der Verfahren werdennach durchschnittlich einem Jahr abgeschlossen, aberTausende Prozesse werden erst nach zwei und mehr Jah-ren entschieden. Es ist somit nur eine Frage der Zeit, bisder Ruf nach einer besseren personellen Ausstattung,also beispielsweise nach einem dritten Senat, ertönenwird.
Grund dafür sind nicht nur die zunehmenden Klagenaus der Bevölkerung; Ursache ist auch, dass die Bundes-regierung in schöner Regelmäßigkeit verfassungswid-rige Gesetze ins Parlament einbringt und von der Koali-tionsmehrheit im Schweinsgalopp absegnen lässt.
Die notwendige Akzeptanz für die Gesetzgebung gehtin der Bevölkerung damit verloren, und ich sage: völligzu Recht. Schwarz-Gelb hat mit dem Herbst der Fehlent-scheidungen dem Ganzen die Krone aufgesetzt. DieReihe der Gesetze, denen die Verfassungsgemäßheit ab-gesprochen werden muss, nimmt leider kein Ende.
Ein paar Beispiele: Bei der Sicherungsverwahrungversuchen Sie mit Taschenspielertricks, entgegen denverfassungsrechtlichen Anforderungen und entgegenArt. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eineRegelung auch gegen wissenschaftlichen Sachverstanddurchzudrücken, die jeden fortschrittlichen Ansatz ver-missen lässt.
Mit den Gesetzen über die Verlängerung der Laufzei-ten für Atomkraftwerke haben Sie ein Paradebeispiel fürein undemokratisches Gesetzgebungsverfahren und ne-gative Lobbyarbeit geliefert; auch damit werden Siebeim Bundesverfassungsgericht scheitern.
Der nächste Bock ist schon unterwegs. Mit der beab-sichtigten Hartz-IV-Novelle werden Sie nicht nur bei
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8278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Jens Petermann
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den chronisch überlasteten Sozialgerichten eine Klage-welle provozieren. Ihr Gesetz wird auch wegen Missach-tung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtsvom 9. Februar dieses Jahres erneut in Karlsruhe landenund dort kassiert werden.
Es ist schon atemberaubend, mit welcher Ignoranz Sieden Argumenten der Experten der Bundestagsanhörungbegegnen. Sie ignorieren die Warnrufe der wissenschaft-lichen Sachverständigen und setzen stattdessen auf diekreative Buchführung Ihrer eigenen Spezialisten. Das istunseriös.
Sie befinden sich nunmehr seit Wochen auf einer verfas-sungsrechtlichen Geisterfahrt; diese wird in einer Sack-gasse enden.
Die Justiz, insbesondere das Bundesverfassungsge-richt, aber auch die Sozialgerichtsbarkeit als Reparatur-betrieb politischer Fehlentscheidungen haben ihreKapazitätsgrenzen längst erreicht, werden auf Ver-schleiß gefahren und damit immer mehr überlastet.Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Siekönnten unseren Gerichten eine Menge Arbeit ersparen.Es ist ganz einfach: Nehmen Sie die Vorschläge der Sach-verständigen, der Wohlfahrtsverbände, aber auch derkommunalen Gremien und nicht zuletzt der Oppositionendlich ernst, und bringen Sie verfassungskonforme Ge-setzesinitiativen in die parlamentarische Beratung ein.
Vielleicht hören Sie dann auch einmal ein Lob aus Karls-ruhe.Eine Stärkung der Justiz als der dritten Gewalt in un-serem Verfassungsgefüge ist ohnehin längst überfällig.Eine Aussage hierzu sucht man allerdings im vorliegen-den Haushaltsentwurf vergeblich. Wie sieht es denn tat-sächlich mit der vielgepriesenen Unabhängigkeit der Ge-richte aus? Wir gehören hinsichtlich der Struktur leiderzu den Schlusslichtern in Europa. In der Bundesrepublikbestimmt die Regierung, wer in den Richterstand beru-fen wird und wer befördert wird – ganz nach dem Mottodes preußischen Justizministers Leonhardt, der vor fast150 Jahren ausführte, dass er den Richtern gern ihre Un-abhängigkeit belasse, sofern er entscheiden könne, werzum Richter ernannt und befördert wird.
So ist das bis heute in Deutschland – ein absurder Zu-stand, weil die Justiz als eigenständige Gewalt auch eineKontrollfunktion gegenüber der Verwaltung hat.Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt denRichterinnen und Richtern anvertraut. Tatsächlich aberwerden die Gerichte von hierarchisch gegliederten Jus-tizbehörden geleitet. Eine wirkliche Unabhängigkeitwird erst durch die Abnabelung der Gerichte und Staats-anwaltschaften von den Justizministerien erreicht.
Die Autonomie der Justiz ist ein Grundsatz der Verfas-sung
und erfordert eine von der Regierung unabhängige,selbstverwaltete Justiz, die finanziell entsprechend ihrenAufgaben auszustatten ist. Die Richterinnen und Richtersollen ihre Entscheidungen schließlich im Namen desVolkes und nicht im Namen einer Regierung sprechen.
Das sehen übrigens auch namhafte Richterverbändeso und haben entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt.Als ehemaliger Richter kann ich Ihnen diese Lektüre nurempfehlen und lade Sie gerne zu einer Diskussion da-rüber ein. Selbst die Parlamentarische Versammlung desEuroparates forderte Deutschland ausdrücklich auf, zurSicherung der Unabhängigkeit der Justiz eine gerichtli-che Selbstverwaltung nach dem Vorbild der Justizräte inder überwiegenden Mehrheit der europäischen Staateneinzurichten und die Unabhängigkeit der Staatsanwalt-schaften zu stärken. Die Bundesregierung muss hier alsoendlich handeln.Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie gute Beziehungenzu den europäischen Institutionen, insbesondere zur Jus-tizkommissarin, pflegen. Lassen Sie sich von deren Vor-schlägen bitte noch mehr anregen, und erweisen Sie ge-rade jetzt den deutsch-französischen Beziehungen imVerbraucherschutz einen guten Dienst, indem Sie – dasist bereits angesprochen worden – die geplanten Kürzun-gen der Mittel für das Europäische Verbraucherzentrumin Kehl zurücknehmen. Es geht um schlappe25 000 Euro, aber die Wellen sind dennoch sehr hochge-schlagen. Das ist aus meiner Sicht keine Petitesse.
Zu guter Letzt noch ein Hinweis: Entgegen den man-trahaft wiederholten Mutmaßungen der Koalition gibt esim Jahre 2010 bislang nicht einen einzigen Antrag aufBewilligung einer Härteleistung für Betroffene links-extremistisch oder islamistisch motivierter Übergriffe.Dagegen werden bis zu 100 Betroffene rechtsextremis-tisch motivierter Übergriffe einen Entschädigungsantragstellen oder haben dies bereits getan; dies ergibt sich ausder Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage. Dieeingeplanten 1 Million Euro werden also sehr wahr-scheinlich nicht ausgeschöpft. Wir haben deswegen vor-geschlagen, den Titel zu splitten und 500 000 Euro fürHärteleistungen für Opfer sexueller Gewalt gegen Kin-der einzustellen. Sie haben dies ohne nachvollziehbareBegründung abgelehnt. Sie sollten sich einen Ruck ge-ben und diese Änderung beschließen. Machen Sie dasmeinetwegen in Ihrem eigenen Namen – wir werden Ih-nen trotzdem zustimmen; das versprechen wir Ihnen.Danke.
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Christian Ahrendt hat jetzt das Wort für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Der Deutsche Bundestag ist eines der offens-ten Parlamente der Welt. Wir freuen uns, dass zahlreicheBesuchergruppen dieses Parlament besuchen. Wir freuenuns, dass Bürgerinnen und Bürger die Debatten hier imHohen Haus von den Rängen aus verfolgen. In diesenTagen ist es jedoch anders: Der Bundestag ist von Sperr-gittern umstellt. Polizisten mit Schnellfeuerwaffen müs-sen die Debatten hier im Haus aufgrund der aktuellen Si-cherheitslage absichern.Das ist angesichts dessen, was wir wissen, angemes-sen. Aber wir erleben auch, dass diese Situation zu ei-nem Beklommenheitsgefühl führt. Das zeigen auch dieVorschläge, die wir in den letzten Tagen zu Fragen derinneren Sicherheit gehört haben. Wir wissen, dass dieterroristische Bedrohung fühlbar geworden ist und einewirkliche Gefahr und Herausforderung für unseren frei-heitlichen demokratischen Rechtsstaat darstellt. Wir wis-sen aber auch, dass es falsch wäre, unsere Freiheits-rechte mit diesen Sperrgittern einzumauern; dies dürfenwir nicht tun.Wir müssen ganz klar feststellen: Wir haben aufgrundeiner über Jahre in vielen Teilen ausgewogenen Sicher-heitsgesetzgebung – das sage ich als Liberaler – die Si-cherheitslücken geschlossen. Wir haben heute keine Ge-setzesdefizite mehr. Deswegen muss an dieser Stelledeutlich gesagt werden, dass Freiheit keine weiterenSperrgitter verträgt.
Aus diesem Grunde ist es gut, wenn diese Koalitionsagen kann, dass wir die Freiheitsrechte in dieser Situa-tion stärken. Wir haben über § 160 a StPO beraten. Wirstellen das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant undAnwalt wieder her und schützen es, weil dieses Vertrau-ensverhältnis Grundlage für die Rechtsstaatsgarantie un-seres Grundgesetzes ist. Mit einem Gesetz zur Stärkungder Pressefreiheit, dessen Entwurf die Justizministerinvorgelegt hat, wollen wir die Pressefreiheit stärken; esist in diesen Tagen richtig, das zu betonen.
Insofern, lieber Kollege Kauder, halte ich den Vor-schlag, den Sie gemacht haben, nicht für richtig.
Ich möchte eines ganz bewusst sagen: Als die Sauerland-Gruppe in Haft genommen wurde, wussten viele Presse-vertreter von den Ermittlungen. Sie haben darüber abernicht berichtet, um die staatlichen Ermittlungen nicht zugefährden; das war klug. Die Berichterstattung in diesenTagen hat nicht unbedingt gezeigt, dass immer die rich-tige Abwägung vorgenommen wird, wie man mit Frei-heit umgeht; auch das muss an dieser Stelle deutlich ge-sagt werden. Wenn Sie das mit Ihrem Einwurf in dieDebatte gemeint haben, dann stimme ich Ihnen, was denkritischen Grundton betrifft, durchaus zu, Herr Kollege.
Die Diskussion über Sicherheit und Sicherheitsgesetzeist das eine. Es gibt aber auch zahlreiche andere wichtigeThemen, die wir im zurückliegenden Jahr aufgegriffenhaben. Wir haben vor wenigen Tagen das Restrukturie-rungsgesetz beraten. Mit diesem Gesetz haben wir dasPrimat der Politik im Hinblick auf die Finanzmärkte einStück weit zurückgewonnen. Wir haben den Sanierungs-gedanken in den Vordergrund gestellt. Dasselbe wirdauch im Bereich des Insolvenzrechts geschehen, undzwar durch die Insolvenzrechtsreform; einen entspre-chenden Vorschlag werden wir vorlegen.Es freut mich, dass es uns in den Haushaltberatungengelungen ist, die Vorrechte, die man zugunsten der fiska-len Interessen des Staates gerne in die Insolvenzordnungaufgenommen hätte, herauszuhalten. Diese stehen demSanierungsgedanken nämlich grundsätzlich entgegen.Ich bedanke mich bei den Kollegen aus dem Haushalts-ausschuss und von der Union dafür, dass wir das ge-meinsam erreichen konnten. Herr Gunkel, auch Sie ha-ben viel dazu beigetragen.
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Auch im Be-reich des Zivilrechts befinden wir uns auf einem gutenWeg. Wir werden den Rechtsschutz stärken. Wir wollendie Berufung bei hohen Gerichten für die Menschenmöglich machen. Deswegen werden wir § 522 ZPO än-dern und eine Nichtzulassungsbeschwerde einführen.Wir wollen die Gerichtsverfahren verkürzen. Die Justiz-ministerin hat ein sehr gutes Gesetz zur Beschleunigungund gegen die Verschleppung überlanger Gerichtsver-fahren vorgelegt. Auch das sind klare Signale einer kon-servativ-liberalen Rechtspolitik. Diese ist gut und hatnach einem Jahr klar gezeigt, dass wir uns auf dem rich-tigen Weg befinden, die Fehler der Vergangenheit zukorrigieren.Ich will einen letzten Punkt ansprechen, der vorhinschon in dieser Debatte angeklungen ist: die Verjährungbei Kindesmissbrauch. Wir haben den Antrag der Op-position zur Kenntnis genommen und sorgfältig geprüft.Ich muss Ihnen aber sagen – darauf habe ich in dieserDebatte bereits hingewiesen –: Sie befassen sich in Ih-rem Antrag nur mit einem einzigen kleinen Aspekt.
Wir befinden uns noch mitten in den Beratungen, auchim Rahmen des runden Tisches. Ich finde, es ist unklug,
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8280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Christian Ahrendt
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nur einen Aspekt aufzugreifen. Über das Thema Verjäh-rung müssen wir nachdenken. Wir werden diesen Pro-zess begleiten. Mit Ihrem Antrag sind Sie aber etwas zukurz gesprungen.Ich glaube, wir werden in der Rechtspolitik ein er-folgreiches Jahr erleben. Ich freue mich, dass die Oppo-sition an den Debatten zur Sicherungsverwahrung teil-nimmt und sie konstruktiv begleitet.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat Ingrid Hönlinger das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Vor kurzemwurde in diesem Haus das Elfte Änderungsgesetz zumAtomgesetz beschlossen, das Gesetz zur Verlängerungder Laufzeiten von Atomkraftwerken.
Im Vorfeld kam die Frage auf, ob die Zustimmung desBundesrates zu diesem Gesetz notwendig ist. ZahlreicheExperten, auch Experten, die die Bundesregierung be-nannt hat, haben diese Frage bejaht. Über all diese Be-denken haben sich die Regierungsfraktionen hinwegge-setzt und das Gesetz im gestreckten Galopp durch dieGremien gejagt.
Für diese Vorgehensweise erntete die Koalition selbstaus den eigenen Reihen herbe Kritik. So äußerte IhrCDU-Kollege Bundestagspräsident Professor Lammert,dass dieses Verfahren den Verdacht der mangelndenSorgfalt in sich trage. Es handele sich nicht um einGlanzstück von Parlamentsarbeit.
Würde man diese Bewertung in Schulnoten ausdrücken,wäre das eine glatte Fünf, einfach mangelhaft.
Wir meinen, dass wir uns in diesem Hause keinensolch schlechten Standard leisten dürfen und dass diesdie Arbeit im Parlament massiv beschädigt. Wir dürfenuns auch nicht wundern, dass so viele Menschen ihrenProtest gegen diese Politik zum Ausdruck bringen und ingroßer Zahl auf die Straße gehen. Sie selbst sorgen syste-matisch dafür, dass der soziale Frieden bei diesem Themaund bei anderen Themen gefährdet wird. Die Begünsti-gung von Lobbygruppen, hier der Atomlobby, führtdazu, dass die parlamentarische Arbeit an ihre Belas-tungsgrenze geführt wird, die der Bürger und der Polizeimanchmal sogar über die Belastungsgrenze hinaus.Wir Grünen sind gegen diese Art von Politik.
Wir stehen für eine sorgfältige und ausgewogene Politik.Wir wollen verfassungsrechtliche Fragen gerne hier imParlament beraten und dies nicht dem Bundesverfas-sungsgericht überlassen.
Das gilt genauso für das Zugangserschwerungsgesetz,besser bekannt unter dem Stichwort „Netzsperren“. Zudiesem Gesetz fanden im Bundestag verschiedene Anhö-rungen statt; erst vor kurzem wurde eine Anhörung imUnterausschuss Neue Medien durchgeführt. Es wurdedeutlich: Netzsperren sind ineffektiv und im Kampf ge-gen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Netz so-gar kontraproduktiv. Denn sie könnten ein Frühwarnsys-tem für Täter sein, mit der Folge, dass sie sich derVerfolgung entziehen könnten.
– Danke für den Beifall.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht kamen auch die Ex-perten im Rechtsausschuss zu einem interessantenSchluss. Sie sagten, das Zugangserschwerungsgesetz seimit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Vor allem dieAussetzung des Gesetzes durch Ministererlass und damiteinhergehend die Umgehung des Parlaments waren inder Geschichte dieser Republik einmalig. Das ist keinesorgfältige Rechtspolitik, meine Damen und Herren.
Ein weiteres Thema, das uns in der Rechtspolitik be-schäftigt, ist die Vorratsdatenspeicherung. Wir alle wis-sen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorrats-datenspeicherung in ihrer bisherigen Form fürverfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Vor al-lem aus verschiedenen Bundesländern wird in letzterZeit der Ruf nach der raschen Wiedereinführung der ver-dachtsunabhängigen Speicherung von Telekommunika-tionsdaten aller Bürgerinnen und Bürger laut.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8281
Ingrid Hönlinger
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Genau das ist Vorratsdatenspeicherung: die massenhafteund anlasslose Speicherung von Daten unbescholtenerBürger. Es ist schade, dass Ihnen nichts Besseres einfällt,als diese alten, verstaubten Vorschläge aus dem Hut zuziehen.Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle beimBundesinnenminister, der klargestellt hat: Jetzt ist nichtder Gesetzgeber gefragt. – Es ist vollkommen richtig:Bei Hinweisen auf eine Gefährdungs- oder Bedrohungs-lage ist es die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, zu han-deln. Wir, die Politik, sollten sie dabei bestmöglich un-terstützen. Wir sollten keine Panik machen, und wirsollten auch kein parteipolitisches Kalkül im Blick ha-ben. Mit Verlaub, Herr Kollege Kauder, auch ich mussbetonen: Auch der Ruf nach einer Einschränkung derPressefreiheit ist hier fehl am Platze.
Vorratsdatenspeicherung ist – da sind sich die Fach-leute einig – kein wirkungsvolles Mittel der Terroris-musbekämpfung. Der demokratische Schaden steht inkeinem angemessenen Verhältnis zum sicherheitspoliti-schen Nutzen.
Gerade in Zeiten einer erhöhten Gefährdung sollten wirdie Grundsätze unseres Rechtsstaates und unserer De-mokratie hochhalten.
Das sollten Sie, sehr geehrte Damen und Herren von derUnion, bitte auch Ihren Kolleginnen und Kollegen in denLändern deutlich machen.
Wir sollten bedenken, dass die EU-Richtlinie zur Vor-ratsdatenspeicherung gerade auf dem Prüfstand steht undes sich dabei um einen ergebnisoffenen Prozess handelt.
Wir stimmen mit der Justizministerin überein: Wir soll-ten das Ergebnis dieser Evaluierung abwarten. Würdenwir jetzt überhastet einen neuen Gesetzentwurf vorlegen,müssten wir unsere Entscheidung in wenigen Monatenrevidieren. Das wäre nicht gerade sinnfördernd.Wir sollten jetzt die Gelegenheit nutzen, uns gemein-sam Gedanken zu machen, wie wir ein hohes Maß anSicherheit gewährleisten, gleichzeitig aber auch dafürsorgen können, dass wir die Bürgerrechte, die verfas-sungsrechtlich verbürgten Bürgerrechte, nicht aufwei-chen. Denn, um es mit Carl Friedrich von Weizsäcker zusagen, Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst,aber durch Nichtgebrauch dahinschwindet.Frau Ministerin, meine Damen und Herren, unsereAufgabe im Parlament besteht darin, verfassungskon-forme Gesetze zu machen. Es darf nicht sein, dass wirdas verfassungsmäßige Recht erst vor dem Bundesver-fassungsgericht erkämpfen müssen. Wir müssen sorgfäl-tig darauf achten, dass wir die Balance zwischen denAnsprüchen einer rechtsstaatlichen Demokratie und ei-nes demokratischen Rechtsstaats halten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Justizetat – darauf habe einige Redner be-reits hingewiesen – ist in der Tat ein sehr kleiner Etat.Wenn man einmal rechnet, stellt man fest, dass die Bun-desjustiz den Bürger pro Jahr weniger als 1 Euro kostet.Aber das ist wirklich nicht entscheidend. Es ist insge-samt ein politischer Fehlschluss, die Bedeutung einesPolitikgebiets primär am Geldausgeben zu messen. Ins-besondere in der Rechtspolitik ist das ein Fehlschluss.Gute Politik muss am Output, am Ergebnis gemessenwerden und nicht daran, wie viel Geld man ausgibt. Dassollte spätestens in Zeiten von notwendigen und richti-gen Sparbemühungen ankommen.
Bei der Rechtspolitik ist es besonders augenfällig;denn der Rechtsstaat braucht natürlich auch Geld. Erbraucht Geld für Gerichte, Behörden usw.; aber erbraucht eben deutlich mehr als Geld und Wichtigeres alsGeld. Er braucht vor allem die Akzeptanz seiner Regelndurch die Bürger, und er braucht die Einhaltung undDurchsetzung dieser Regeln durch staatliche Organe. Dasschließt selbstverständlich die Möglichkeit zu Protestengegen Entscheidungen ein. Proteste und Demonstratio-nen, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben,werden von Art. 8 des Grundgesetzes selbstverständlichgeschützt, solange sie friedlich sind und nur solange siefriedlich sind. Aber wer daraus ableitet und in diesemKontext argumentiert, dass er prinzipiell die Geltungvon Rechtsregeln ablehne, wer sozusagen generell dieLegitimation demokratischer Entscheidungen infragestellt, der tut nicht weniger, als dass er den Rechtsstaat inseinen Grundfesten angreift, dass er den Rechtsstaat alssolchen angreift.
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8282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Günter Krings
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Es ist vollkommen inakzeptabel, wenn Demonstrationenzum Beispiel mit dem Anspruch durchgeführt werden,dass auf der Straße eine Entscheidung des Gesetzgeberskorrigiert werden soll,
und wenn das notfalls sogar mit Gewalt passiert.
In unserem Rechtsstaat kann offener Rechtsbruch nie-mals legitim sein.
Die Geltung der Rechtsordnung steht nicht unter demVorbehalt der politischen Gesinnung Einzelner, auchnicht der von Herrn Ströbele.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Das macht es noch schlimmer.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass die Willensbildung – ob mit oder ohne Mit-
wirkung der Parteien – nach dem Grundgesetz auch auf
der Straße und auf Plätzen im Rahmen der Versamm-
lungsfreiheit vorgesehen ist? Und die Willensbildung
kann sich auf jeden Gegenstand des gesellschaftlichen
Lebens beziehen, also auch auf Gesetzesvorhaben, schon
erlassene Gesetze oder auch auf Gerichtsentscheidun-
gen.
Lieber Herr Kollege Ströbele, ich bin immer bereit,
Selbstverständlichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Dazu
hätte es Ihrer Nachfrage nicht bedurft.
Ich freue mich aber über die Gelegenheit, darauf – und
zwar ohne Anrechnung auf meine Redezeit – zu antwor-
ten. Es geht doch gar nicht darum, dass die Willensbil-
dung auch durch Demonstrationen – solange sie fried-
lich geschehen, was nicht immer der Fall war –
beeinflusst werden kann. Die Frage ist aber, ob man sol-
che Demonstrationen mit dem Anspruch und der klaren
Zielsetzung durchführt, nicht nur die Willensbildung,
sondern auch die Entscheidung auf die Straße zu tragen.
Das ist etwas grundlegend anderes. Zur Willensbildung
kann man mit Demonstrationen, mit allen Mitteln beitra-
gen. Man kann diese Entscheidung aber nicht blockie-
ren, indem man beispielsweise Sitzblockaden für die
höchste Instanz in diesem Land hält. Das geht nicht, und
das ist nicht mehr rechtsstaatlich. – Vielen Dank.
Wie ich schon sagte: Die Geltung der Rechtsordnung
steht auch bei Projekten wie Stuttgart 21 und den Castor-
transporten eben nicht unter dem Vorbehalt einer politi-
schen Gesinnung. Sitzblockaden sind nicht Teil eines
Entscheidungsprozesses. Sie können, wenn es bei De-
monstrationen Willensbildungsbeiträge gibt, natürlich
gemacht werden und sind sogar erwünscht. Aber sie
können Entscheidungen nicht im wahrsten Sinne des
Wortes blockieren.
Herr Kollege Krings, auch der Kollege von Notz
würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich trage jetzt erst einmal im Zusammenhang vor. Esist nett, dass Sie meine Redezeit verlängern wollen; aberich trage das jetzt erst einmal in sich geschlossen vor.Vielleicht schafft mein Vortrag ein bisschen Mehrwertund löst einen gewissen Lerneffekt bei den Grünen aus.
Meine Damen und Herren, in der parlamentarischenDemokratie werden Entscheidungen nach demokrati-schen Regeln in einem von der Verfassung vorgesehenenVerfahren getroffen. Dafür ist Stuttgart 21 ein beson-ders gutes Beispiel.Um nur ein paar Entscheidungen zu nennen: DerLandtag von Baden-Württemberg hat im Oktober 2006mit 115 zu 15 Stimmen für das Projekt votiert. Für dieje-nigen, die sich inzwischen angesichts der Umfragewertenicht mehr ganz sicher sind: Die 15 Stimmen kamen vonden Grünen. Inzwischen könnten sie aufgrund des arith-metischen Verhältnisses vielleicht auch von der SPDkommen. Es war also eine überwältigende Mehrheit indiesem Landtag dafür. Das war nicht die einzige Ent-scheidung. Es gab dann auch noch Beschlüsse und Ge-richtsentscheidungen, mit denen die Verwaltungsent-scheidungen zu diesem Projekt bestätigt wurden.Ich halte es in der Tat nicht für einen Beitrag bei-spielsweise zur politischen Bildung, dass ganze Schul-klassen während der Unterrichtszeit zu Demonstrationengeführt werden und damit auch der Anspruch verbundenist, nicht nur auf die Willensbildung, wie Sie so schönsagen, Einfluss zu nehmen, sondern auch wirklich zublockieren und rechtsstaatliche Maßnahmen zu unterbin-den.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8283
Dr. Günter Krings
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Das ist etwas grundlegend anderes als Demonstrations-freiheit. Sitzblockaden und die Blockade von Entschei-dungen notfalls durch Gewalt sind rechtsstaatlich nichtin Ordnung.
Dabei ist natürlich vollkommen klar, dass es bei sol-chen Projekten zum Teil aberwitzig lange Planverfahrengibt und dass die Akzeptanz solcher Großvorhaben da-durch natürlich keineswegs gefördert wird. Ebenso mussman hier feststellen, dass es bei manchen Großprojekteneine – ich sage das einmal etwas euphemistisch – etwaszurückhaltende Kommunikationsstrategie gibt. Es istauch richtig, dass Verwaltungen und Planungsbehördeneher um die Beteiligung der Bürger werben sollten, alssie als Bedrohung zu empfinden.Wer aus diesen zugegebenermaßen faktischen Unzu-länglichkeiten ein Widerstandsrecht gegen rechtsstaat-lich getroffene und demokratisch legitimierte Entschei-dungen ableiten möchte, der ist nicht nur auf demHolzweg, sondern der verkennt auch gerade den inDeutschland historisch so besonders bedeutsamen Cha-rakter dieses Widerstandsrechts. Dieses Widerstands-recht war die Antwort auf einen dunklen Teil der deut-schen Geschichte. Ich finde, wenn man hier mit dem„Widerstandsrecht der kleinen Münze“ argumentiert,dann verhöhnt man nicht nur diejenigen, die weltweitgegen Diktaturen und totalitäre Regime aufstehen, son-dern man verhöhnt in gewisser Weise auch die Opfer, diedie Menschen bringen, die wirklich gegen Totalitarismusund Gewalt aufstehen, und zwar in der Tat mit einemmoralischen und vielleicht auch juristischen Wider-standsrecht.Meine Damen und Herren, das Schöne an der Demo-kratie ist ja, dass in der Wahlkabine immer auch dieMenschen zu Wort kommen, die sich beispielsweise ausfamiliären oder beruflichen Gründen nicht tagelang fürDemonstrationen frei machen können. Das sind übrigensoft die gleichen Menschen, die es in ihrem persönlichenLeben gewohnt sind, zu gestalten und anzupacken, unddie auch von den Politikern erwarten, dass sie gestaltenund anpacken und nicht immer nur dagegen sind. DieseMenschen werden „die schweigende Mehrheit“ genannt.Dieser schweigenden Mehrheit in unserem Landewird es nicht gelingen, die Schreihälse von Protestierernzu übertönen.
Sie kann sie aber in der Wahlkabine überstimmen. Ge-nau das ist am 27. September des letzten Jahres bei derBundestagswahl geschehen. Die schweigende Mehrheithat damals nämlich unter anderem auch eine Entschei-dung für die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerkegetroffen.
Das war eine zentrale Wahlkampfaussage von Unionund FDP. Dafür haben wir in den Diskussionen und imWahlkampf auch manche Kritik eingesteckt – gar keineFrage. Wir haben hier viel Überzeugungsarbeit leistenmüssen, weil das ohne Frage erst einmal begründungs-bedürftig ist.
Die Menschen haben diese Koalition in dem klaren Wis-sen gewählt, dass das eine der zentralen Wahlkampfaus-sagen ist.Es mag aus Ihrer Sicht altmodisch sein, dass mannach der Wahl auch das tut, was man vor der Wahl ange-kündigt hat. Es gibt in diesem Hause ja viele Gegenbei-spiele dafür. Wir haben das getan. Ich glaube, auch dasist für einen Rechtsstaat gar nicht so unwichtig. EinRechtsstaat braucht auf Dauer verlässliche Parteien, dienach der Wahl nicht etwas gänzlich anderes machen, alssie vor der Wahl angekündigt haben.
Die Mehrzahl der Bürger hat eigentlich recht beschei-dene Ansprüche an den Staat. Sie wollen einen Staat, aufden sie sich verlassen können, vor allem in Fragen derSicherheit. Das wird in diesen Tagen ja besonders deut-lich.Von dem 2008 verstorbenen Rechtspolitiker und vorallem Richter Rudolf Wassermann stammt der schöneSatz:Der Schutz der Bürger vor dem Staat war das großeThema der 70er- und 80er-Jahre. Die 90er-Jahre –ich ergänze: sicherlich auch unser Jahrzehnt –werden von dem neuen großen Thema beherrschtwerden, dem Schutz der Bürger vor Gewalt und vorVerbrechen.Aufgrund der aktuellen Gefährdungslage sind wir na-türlich auch weiterhin gefordert, Defizite und Schutzlü-cken zu erkennen und zu beseitigen. Jetzt ist die Stundeder Exekutive. Das steht außer Frage. Darin stimme ichden Vorrednern aus der letzten Debatte zu. Es ist abernicht die Stunde für gänzlich neue rechtspolitische For-derungen. Das ist ebenfalls richtig.Aber jede Steigerung der Gefährdung erinnert uns da-ran, dass wir noch rechtspolitische Baustellen abzuarbei-ten haben, zum Teil schon seit mehreren Jahren. Ichnenne nur zwei Beispiele: die Visawarndatei und dieMindestspeicherfristen, früher als Vorratsdatenspeiche-rung bekannt. Sie waren schon vor der Terrorwarnungrichtig, und sie werden nach der Terrorwarnung nichtfalsch. Sie bleiben richtig; denn sie waren vorher schonrichtig.Ich denke, wir müssen jetzt mit den entsprechendenMaßnahmen zügig voranschreiten. Das gilt zum einenfür die Visawarndatei, für die das Innenministerium zu-ständig ist, bei der sich aber, wie ich finde, zu Recht, dasJustizministerium in die Diskussion mit eingebracht hat.
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8284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dr. Günter Krings
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Ich erinnere an die beiden Kofferbomber 2006 in Köln,wo zwei Sprengsätze nur deshalb nicht explodiert sind,weil es einen technischen Fehler beim Zusammenbaugegeben hat. Der eine der beiden hatte zuvor ein Visumbeantragt, das ihm gewährt worden ist, weil es ebenkeine Visawarndatei gab. Derjenige, der das Visum fürihn beantragt hat, war den Sicherheitsbehörden einschlä-gig bekannt. Die Informationen erreichten sie nicht. Erkonnte seine Tat ausführen. Wir hatten nur Glück, dasses nicht zu schlimmen Folgen kam.Ähnliches gilt bei den Mindestspeicherfristen imTelekommunikationsbereich. Seitdem die Telekommu-nikationsunternehmen vorwiegend Flatrates anbieten,werden Verbindungsdaten bei den meisten nur noch füreinige Tage gespeichert. Wenn wir Verbrechen aufklärenund damit auch neue verhindern wollen, dann müssenwir die Speicherfristen wieder auf sechs Monate verlän-gern.
Die Bandbreite der Taten, um die es dabei geht, reichtvon Internetkriminalität über Sexualdelikte bis hin zuterroristischen Taten.Zurzeit laufen drei von vier Anfragen der Sicherheits-behörden ins Leere. Teilweise ist die Internetadresse dereinzige Anknüpfungspunkt einer Ermittlung. Wenn wirsie nicht kennen, gibt es keine Strafermittlung und Straf-verfolgung. Deswegen hat uns das Verfassungsgerichteinen, wie ich finde, richtigen und klaren Weg gewiesen.Es hat die prinzipielle Verfassungsgemäßheit einer Min-destspeicherfrist und auch die Tauglichkeit dieses Instru-ments bestätigt. Es hat zwar gesagt, dass wir anders ver-fahren müssen als bisher, aber es hat auch festgestellt,dass es einen verfassungsgemäßen Weg gibt. Den wollenwir als Union gerne einschlagen, um damit den gesetzlo-sen und europarechtswidrigen Zustand zu beenden.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ich bin sehroptimistisch, dass unser Vorhaben gelingt. Es gibt zweischöne Beispiele, die zeigen, wo wir in der KoalitionSchutzlücken schließen. Das ist zum einen die Neuord-nung der Sicherungsverwahrung und zum anderen dasThema Zwangsheirat, bei dem wir mit dem Verbot undmit strafrechtlichen Sanktionen eine gute Lösung gefun-den haben. Es ist ein richtiges und starkes Signal, dasswir dafür einen eigenen Paragrafen haben. Ich glaube,das darf man am heutigen Tage sagen. Heute ist nämlichder Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen.Der Rechtsstaat bewährt sich in Zeiten seiner Bedro-hung. Es ist nicht die Zeit, neue Forderungen zu erheben;es ist die Zeit, alte Baustellen abzuarbeiten. Daran wol-len wir in der Koalition gemeinsam arbeiten. Deswegensteht die Union wie die Koalition in der Rechtspolitik füreine Politik mit Maß und Mitte.Vielen herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Konstantin von Notz das Wort.
Herr Kollege Krings, ich will deutlich machen, wo es
bezüglich des Maßes und der Mitte meiner Ansicht nach
hinkt. Wenn Sie in einer rechtspolitischen Rede die De-
monstrationen zu Stuttgart 21 erwähnen und nicht
gleichzeitig dazu Stellung beziehen, was an besagtem
Tag im Schlossgarten bei der Demonstration und den
zum Teil harten Übergriffen von Polizeiseite bzw. von
staatlicher Seite passiert ist, dann hinkt Ihre Betrachtung
der Demonstrationsgeschehnisse in diesem Land.
Wenn Sie weglassen, dass im Falle einer Kruzifix-
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die CSU
selbstverständlich geschlossen für das Kruzifix in Klas-
senzimmern auf die Straße geht, der Ministerpräsident
vorneweg, um auf das politische Geschehen Einfluss zu
nehmen, dann hinkt der Vergleich.
– Er hat nicht geschottert. Das ist richtig. Aber er hat
trotzdem versucht, den Protest auf die Straße zu tragen.
Das ist in Bayern übrigens durchaus populär. Das blen-
den Sie aus. Insofern hinkt der Vergleich.
Wenn Sie wirklich glauben – was ich mir nicht recht
vorstellen kann –, aus einem Bundestagswahlergebnis
einen Freibrief für die Wahlperiode ableiten zu können,
um nicht mehr darauf achten zu müssen, was auf der
Straße los ist, wenn sich die Menschen beschweren, weil
Sie die Mehrheit haben, dann sind Sie meiner Ansicht
nach im falschen Film.
Herr Krings, zur Erwiderung
Herr von Notz, ich habe ausdrücklich gesagt – und ichsage es gern auch für Sie noch einmal zum Mitschrei-ben –, dass Proteste natürlich Teil der demokratischenKultur und auch vom Grundgesetz geschützt sind. Siemüssen allerdings friedlich stattfinden.Was wir im Hofgarten in Stuttgart erlebt haben, warzu einem ganz erheblichen Teil nicht friedlich,
und insofern muss man die friedlichen Demonstrantenvor den unfriedlichen in Schutz nehmen. Das tun wir alsUnion, und genau in dem Sinne habe ich auch gespro-chen.
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– Das möchte ich gern aufgreifen. Ja, es gibt einen Un-tersuchungsausschuss zu diesem Thema, der sich auchdamit beschäftigt, ob es in anderen Bereichen Fehler ge-geben hat. Dem sollten wir an dieser Stelle nicht vorgrei-fen.Ich habe hier eine Einstellung zum Gegenstand mei-ner Kritik gemacht. Es ist meiner Einschätzung nach le-gitim, auf der Straße zu protestieren. Es entspricht aller-dings nicht meinem Verständnis einer politischen,rechtsstaatlich geprägten Kultur, Entscheidungen, dierechtsstaatlich getroffen worden sind, im wahrsten Sinnedes Wortes zu blockieren.Interessant war Ihr Ansatz, zu sagen, es reiche nichtaus, dass die die Koalition stellenden Parteien die Wahlgewonnen hätten. Ich weiß nicht genau, wie Sie es mei-nen, aber vielleicht meinen Sie, dass man sich monat-lich, wöchentlich oder gar täglich angucken müsse, wiebei bestimmten Projekten die Mehrheiten aussehen. Ichgebe hier ausdrücklich zu Protokoll, dass dies nicht meinDemokratieverständnis ist. Ich glaube, dass die parla-mentarische Demokratie eine der größten Errungen-schaften der deutschen Geschichte ist, und an dieserwollen wir gerne festhalten.
Wesen dieser parlamentarischen Demokratie ist, dassParteien vor der Wahl – jedenfalls zu den wichtigenPunkten – Erklärungen abgeben und nach der Wahlschauen – natürlich muss in einer Koalition nach einemKompromiss gesucht werden; das ist ganz selbstver-ständlich –, dass sie möglichst viel von dem, was sie vorder Wahl erklärt haben, nachher in praktische Politikumsetzen. Wenn das auf Ihren Widerspruch stößt, wenndas nicht Ihrem Politikkonzept entspricht – Sie sagten jaauf Ihrem Bundesparteitag, dass Sie gegen Stuttgart 21seien; gleichzeitig räumten Sie ein, dass Sie es nicht ver-hindern könnten –,
dann ist dies das diametrale Gegenteil von meinem Poli-tikverständnis, und ich bin froh, dass wir dieses Politik-verständnis hier in diesem Hause zu Politik erheben kön-nen.Herzlichen Dank.
Christine Lambrecht hat das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Ministerin, da unser Berichterstatter für denHaushaltsausschuss, Ewald Schurer, bereits einiges zumHaushalt gesagt hat, bleibt es mir jetzt vorbehalten, ei-nige Themen inhaltlicher Art aus der Rechtspolitik anzu-sprechen, und es freut mich, dass die Frau Ministerin an-schließend sprechen und vielleicht zu der einen oderanderen Frage Stellung nehmen wird.Meine Damen und Herren, ich bin etwas verwundertdarüber, dass ein Thema in der heutigen Debatte so gutwie gar keine Rolle gespielt hat. Dieses Thema müssteuns als Rechtspolitikern eigentlich unglaublich unter denNägeln brennen, zumal es in der nächsten Woche – so-fern ich richtig informiert bin – abgeschlossen werdensoll. Ich meine den Umgang mit der Sicherungsver-wahrung.Um was geht es da? Es geht um Menschen, die ihreHaftstrafe für eine Tat, derentwegen sie in Haftanstalteneinsaßen, verbüßt haben und deren enorme Gefährlich-keit von Gutachtern festgestellt worden ist. Wir redenvon einer ganz geringen Anzahl von Menschen, bei de-nen davon auszugehen ist, dass sie erneut Straftaten be-gehen werden.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatEnde Dezember 2009, also letztes Jahr, entschieden,dass die Sicherungsverwahrung, die ursprünglich aufzehn Jahre begrenzt war, vom damaligen Gesetzgebernicht rückwirkend hätte verlängert werden dürfen. Dasist allerdings 1998 geschehen, und wir stehen nun vorder Aufgabe, die Sicherungsverwahrung neu zu regeln.Wir haben am 10. November eine Anhörung zu die-sem Thema durchgeführt. Das Protokoll liegt uns zwarnoch nicht vor, aber nichtsdestotrotz haben auch ohnedieses Protokoll bereits Berichterstattergespräche in al-len Fraktionen stattgefunden.Aus dieser Anhörung ergeben sich unglaublich vieleFragen. Die erste Frage, die für mich noch nicht beant-wortet ist und die wir selbstverständlich noch erörternmüssen, betrifft die Anlasstaten. Welche Anlasstatensind geeignet, dass nach Verbüßung der Strafe die Siche-rungsverwahrung angeordnet werden kann? Dies ist einganz wesentlicher Eingriff, der meiner Meinung nachauf wenige Taten beschränkt sein sollte.Frau Ministerin, Sie haben es darauf beschränkt – dashat uns alle sehr gefreut, und wir alle haben es sehr be-fürwortet –, dass Anlasstaten Taten gegen das Leben, diekörperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbe-stimmung sein sollen. Es würde mich freuen, wenn wirzu diesem Katalog kommen würden.
Nur, das, was momentan im Gesetzentwurf steht, ent-spricht dem nicht.Der Entwurf geht weiterhin davon aus, dass auch Ver-mögensdelikte zu den Anlasstaten gerechnet werden, al-lerdings nur dann, wenn sie bandenmäßig oder gewerbs-mäßig begangen werden. Nichtsdestotrotz handelt es
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sich nur um Vermögensdelikte. Ich sage ganz klar: Sol-che Delikte gehören nicht in den Anlasstatenkatalog.
Wenn Sie bis nächste Woche keine entsprechenden Än-derungen vornehmen, werden Sie mit Änderungsanträ-gen unsererseits rechnen müssen.Ich möchte einen die ganze Absurdität aufzeigendenTatbestand aufgreifen, der noch immer vom Anlasstaten-katalog zur Sicherungsverwahrung erfasst wird, obwohlich selbst davon ausgehe, dass kein vernünftiger Richterjemals die Sicherungsverwahrung aufgrund eines sol-chen Delikts verhängen wird. § 332 StGB – Bestechlich-keit von Richtern oder Schiedsrichtern – ist noch immererfasst. Wir können doch nicht allen Ernstes wollen, dassdieser Tatbestand Anlasstat für die Anordnung der Si-cherungsverwahrung ist. Denken Sie darüber noch ein-mal nach!
– Wenn es doch keinen solchen Fall gibt, Herr Krings,dann lassen Sie uns doch diesen Tatbestand streichen.Da sind wir d’accord. Das können wir dann ganz ent-spannt machen.
Ein weiteres Problemfeld, das sich nicht erst durchdie Anhörung – dort wurde das nur bestätigt – ergebenhat, ist die Frage, ob die nachträgliche Sicherungsver-wahrung für sogenannte Altfälle gelten soll, also für die-jenigen, die entsprechende Taten bis zum Inkrafttretendes neuen Gesetzes verüben. Fast alle Sachverständigenhaben deutlich gemacht, dass das gegen Art. 7 der Men-schenrechtskonvention verstoßen könnte. Es lohnt sich,noch einmal zu erörtern, ob wir nicht eine andere Lö-sung für höchstgefährliche Straftäter finden können, diein dem entsprechenden Zeitraum Straftaten begehen, diezu den Anlasstaten gehören.Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ichebenfalls für erörterungswürdig halte, auch wenn nurnoch eine Woche Zeit ist. Hier geht es um die Frage, wiewir mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung vonJugendlichen umgehen. Wir wollen jetzt eigentlich einGesamtkonzept aufstellen. Es widerspricht einem Ge-samtkonzept, wenn wir die nachträgliche Sicherungsver-wahrung ausgerechnet für Jugendliche bestehen lassenund erst später entsprechende Änderungen vornehmen;denn es handelt sich hier um ein ganz heikles und sen-sibles Thema und uns wurde deutlich gesagt, dass hierdie nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mehrmöglich ist. Auch zu diesem Thema werden Sie mit Än-derungsanträgen unsererseits rechnen müssen.
Ich möchte noch etwas zum TUG, dem Therapie- undUnterbringungsgesetz, sagen, das für Täter vorgesehenist, die jetzt entlassen werden mussten oder bei denen dieEntlassung aus der Sicherungsverwahrung ansteht. Wiegeht man mit diesen Tätern um? Ich gehe davon aus,dass das TUG nur sehr wenige, die allerschwersten Fälleerfassen wird, weil seine Anwendung an ganz enge Vo-raussetzungen geknüpft ist. Weiterhin fehlt aber aus mei-ner Sicht – dazu haben die Sachverständigen einigesgesagt – eine engere Definition des Begriffs der psychi-schen Störung. So wie er momentan im Gesetz steht, er-scheint er noch immer problematisch, weil nicht präzisegenug. Dieser Begriff muss gerichtsfest und überprüfbarsein. Wir werden auch zu diesem Punkt Änderungs-anträge einbringen, um die Begrifflichkeit zu präzisie-ren.Ich sage ausdrücklich: Wir verweigern uns nicht derVerantwortung gegenüber höchstgefährlichen Straftä-tern, die zum Schutz der Bevölkerung untergebrachtwerden müssen. Aber wir müssen dabei sensibel vorge-hen. Die Sicherungsverwahrung darf nur die letzte Mög-lichkeit, die Ultima Ratio sein. Nur in diesem Sinnemüssen entsprechende Möglichkeiten geschaffen wer-den.
Alle Rechtspolitiker sollten das so sehen. Wir alle wis-sen nach dem Urteil, dass es nicht darauf ankommt, wasim Gesetz steht, sondern darauf, wie es tatsächlich aus-gestaltet ist. Wie wird in Zukunft die Sicherungsverwah-rung aussehen? Wie wird die Unterbringung nach demTUG aussehen? Mit der Beantwortung dieser Fragensteht und fällt alles, was wir beschließen. Es ist daherwichtig, dass wir den Ländern, die in Zukunft sehr vielGeld aufwenden und die Bedingungen völlig anders ge-stalten müssen, das Signal geben, dass sich der Bund sei-ner finanziellen Verantwortung nicht entzieht. Wenn wirentsprechende Regelungen vorgeben und die Länder fürderen Umsetzung viel Geld aufwenden müssen, dannstehen wir, der Bund, auch in der finanziellen Verant-wortung. Das wäre ein wichtiges und richtiges Signal andie Bundesländer.
Herr Kollege Schurer und Herr Ahrendt haben es be-reits angesprochen: Wir, die SPD-Fraktion, haben einenAntrag zur Verlängerung der Verjährungsfristen beisexuellem Missbrauch eingebracht. Da einige von Ih-nen nicht anwesend waren, nutze ich jetzt die Gelegen-heit, noch einmal dafür zu werben. Es geht uns darum,Opfern, die vor langer Zeit eine solch schreckliche, grau-same Erfahrung gemacht haben, nicht im Regen stehenzu lassen. Man kann nicht einfach sagen: Es tut uns leid,was dort passiert ist; aber der Rechtsstaat reagiert nichtdarauf.Wir wollen vielmehr nach einer Phase der Traumati-sierung – diese durchlebt nun einmal jedes Opfer, das einsolches Geschehen erlitten hat – die Möglichkeit zurStrafverfolgung eröffnen. Jetzt wird eingewendet, 20 Jah-re seien eine lange Zeit und es gebe vielleicht Beweis-schwierigkeiten. Die lange Verjährungsfrist gibt es aberschon heute, beispielsweise bei der Vergewaltigung. Esgibt durchaus die Möglichkeit, bei entsprechenden Fäl-len Verurteilungen auszusprechen. Deshalb möchte ichan dieser Stelle für unser Anliegen werben. Das ist na-
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türlich nur ein Einzelpunkt in einem Gesamtpaket, aberes ist ein Einzelpunkt, bei dem wir als Rechtspolitikerein Zeichen setzen können, indem wir die Belange derBetroffenen aufgreifen.
Deshalb werbe ich dafür. Es freut mich, dass es auf derSeite der Koalition keine Totalverweigerung gibt.Ich will noch einen Punkt ansprechen, über den wiruns wahrscheinlich nicht einigen werden. Ich sprechevom Mietrecht. Das von der Bundesregierung anvisierteZiel, die Rate der energetischen Modernisierung zu ver-doppeln und den Wärmeverbrauch deutlich zu reduzie-ren, begrüße ich ausdrücklich. Das ist Inhalt diesesneuen Entwurfs. Irritiert bin ich allerdings durch denUmstand, dass dieses ehrenwerte Ziel durch die gleich-zeitige Reduzierung der Mittel für das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm auf dem Rücken der Mieter ver-wirklicht werden soll. Der Deutsche Mieterbund beklagtzu Recht, dass Mietrechtsverschlechterungen kein Ersatzfür öffentliche Förderung sind. Daran sollten Sie sichhalten.
Wir haben heute während dieser Debatte und währendder Debatte zur Innenpolitik Einschätzungen über dieSicherheitslage gehört und unterschiedliche Reaktionendarauf vernommen. Es gibt die Position, man müssenichts unternehmen, und es gibt die Position, dass manetwas machen müsse. Ich bin fast schon amüsiert, wennich beobachte, wie sich die unterschiedlichen Positionenin der Koalition darstellen. Wir sind eigentlich gewohnt,dass durch die Koalition ein Riss geht. Ich weiß auch,dass manchmal ein Riss durch CDU und CSU geht. Ichkann mich sehr gut an die Debatten über das Unterhalts-recht erinnern. Seit dieser Woche gibt es eine neue Qua-lität des Streits in der Koalition. Mittlerweile gibt es so-gar Streit innerhalb der Familie. Der Fall heißt Kaudergegen Kauder und andere.
Dieser Fall ist heute schon angesprochen worden. Aus-gerechnet der Vorsitzende des Rechtsausschusses schlägtvor, die Pressefreiheit einzuschränken. Sehr geehrterHerr Kauder, das war Quatsch, und dabei sollten wir esbelassen.
Ich bin den Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich dankbar – insbesondere Ih-rem Bruder –, dass sie das so klar benannt haben. Siesollten solche Vorschläge lassen und sich in Zukunftwieder um die Sachpolitik kümmern. Da gibt es genugzu tun. Ich glaube, damit wären wir alle zufrieden.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kauder zu einer Kurzintervention, bitte schön.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Frau Kollegin Lambrecht, wäre es Ihnen eigentlich
lieber, wenn zwei Parlamentarier immer die gleiche Mei-
nung hätten und gleichgeschaltet wären, nur weil sie
Brüder sind? Man darf nicht verkennen, dass Demokra-
tie davon lebt, dass man Meinungsunterschiede austrägt.
Es wäre schlimm, wenn wir in diesem Hause alle die
gleiche Meinung hätten. Dann brauchte nur einer hierher
zu kommen. Das kann nicht sein.
Man braucht die Pressefreiheit nicht einzuschränken.
Die Pressefreiheit ist aufgrund des Art. 5 Abs. 2 des
Grundgesetzes durch die allgemeinen Gesetze einge-
schränkt. Ich bitte um Verständnis dafür, dass mir ein un-
gelöstes Problem immer wieder durch den Kopf geht.
Ich bin seit sieben Jahren Mitglied wechselnder Untersu-
chungsausschüsse. In keinem einzigen Untersuchungs-
ausschuss ist es gelungen, dafür zu sorgen, dass
Geheimnisse nicht nach außen sickern. Das ist eine
schwierige Situation; denn Sie wissen ganz genau, dass
wir dann, wenn wir schwere Straftaten aufzudecken ha-
ben, auf Informationen von Diensten angewiesen sind.
Wenn wir Diensten befreundeter Staaten nicht garantie-
ren können, dass das, was wir von ihnen nichtöffentlich
mitgeteilt bekommen, nichtöffentlich bleibt, leidet da-
runter die innere Sicherheit.
Es gibt nicht nur die Pressefreiheit, sondern es gibt
auch einen Anspruch des Bürgers auf innere Sicherheit.
Diese Grundrechte sind gegeneinander abzuwägen. Das
Recht auf innere Sicherheit ist ein grundrechtsgleiches
Recht; hier gilt das Prinzip der praktischen Konkordanz.
Machen wir uns doch lieber gemeinsam Gedanken da-
rüber, wie wir in Zukunft sicherstellen können, dass das,
was geheim sein soll, auch geheim bleiben kann. Nun zu
sagen: „Suchen Sie das Leck in den eigenen Reihen“, ist
ein bisschen wenig. – Nichts anderes habe ich gesagt.
Alle, die an diesem Staat mit Rechten beteiligt sind,
haben auch Pflichten. Deswegen darf man miteinander
darüber reden, ob man Geheimnisse so wahren kann,
dass sie geheim bleiben. Dazu habe ich die Presse einge-
laden, nicht mehr und nicht weniger. Wer daraus schluss-
folgert, ich wolle die Grundrechte der Meinungsfreiheit
und Pressefreiheit angreifen, der ist falsch gewickelt.
Das Wort zur Beantwortung hat Frau Lambrecht.
Ob Ihr Bruder, der Sie ja dafür gerügt und erklärt hat,das sei nur eine Einzelmeinung, falsch gewickelt ist odernicht, dass sollten Sie vielleicht besser innerhalb der Fa-milie klären. Ich glaube, das ist kein Thema für eine par-lamentarische Auseinandersetzung.Wenn Sie, Herr Kauder, aber sagen, das Problem liegedarin, dass Politiker Informationen aus geheimen Gre-mien an die Presse weitergeben – es können ja nur Politi-ker oder Beamte sein, also entweder diese oder jene; viel
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8288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Christine Lambrecht
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mehr andere nehmen ja hoffentlich an solchen Geheim-sitzungen nicht teil; ich weiß ja nicht, wer sonst noch da-bei ist –, dann behebt man, Herr Kauder, dieses Problemganz bestimmt nicht, indem man die Pressefreiheit ein-schränkt.
Vielleicht sollten sich alle, die in solchen Gremien sit-zen, mal ein bisschen am Riemen reißen und sich be-wusst machen, warum sie da sitzen und warum dieseGremien in geheimer Sitzung tagen.Ich habe große Sympathie dafür, dass die Gedankenfrei sind und dass man durchaus auch unterschiedlicherAuffassung sein kann, aber ich finde, es gibt Grenzen.Gerade Sie als Vorsitzender des Rechtsausschusses ha-ben diese Grenzen ganz besonders zu beachten.Die Pressefreiheit ist für mich ein so hohes Gut– nicht nur für mich, das haben Sie ja am Aufschrei, derauch aus den eigenen Reihen kam, gemerkt –, dass mandarüber nicht mal laut nachdenken sollte. Man sollte sichgut überlegen, ob man die Axt daran legen sollte, HerrKauder.
Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, SabineLeutheusser-Schnarrenberger.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Auch ich darf in dieser Haushaltsdebatte mit demDank an alle Berichterstatter des Haushaltsausschussesbeginnen, aber auch mit dem Dank für die Unterstützungbei den berechtigten Anliegen, die mit den Haushaltsan-sätzen in meinem wirklich kleinen, sehr überschaubarenEtat verfolgt werden. Ich kann nur sagen: Wir haben hierwirklich Weichen gestellt. Nachdem die 10 MillionenEuro zur Verfügung gestellt wurden, die ich teilweiseauch aus meinem Etat – aber natürlich nicht komplett –selbst mit erbringe, kann nun ein Vorhaben umgesetztwerden, das sich der Bundestag vor zehn Jahren mit ei-ner einstimmigen Beschlussfassung vorgenommen hat.Er hat nämlich beschlossen, eine Stiftung zu gründen,die sich mit der Erforschung der Opfer von Verfolgungwegen Homosexualität in der NS-Zeit – zu Zeiten desNS-Unrechtssystems – befassen soll. Sie wird sich aberauch mit Diskriminierung beim Zusammenleben heutebefassen. Ich denke, dass wir das jetzt, wo wir zu Rechteinen Sparhaushalt haben, gemeinsam hinbekommen ha-ben, ist nur dank Ihrer Unterstützung möglich gewesen.
Es ist an der Zeit, über einige wichtige rechtspoliti-sche Vorhaben zu sprechen, und zwar durchaus auchkontrovers; manche Kolleginnen und Kollegen habendas in der Debatte auch schon getan. Herr Kauder, Siehaben recht: Natürlich ist es ganz normal, zu bestimmtenThemen unterschiedliche Auffassungen und Herange-hensweisen zu haben. Es ist immer die Art der Aus-einandersetzung, die das Klima einer Debatte prägt. Ichsage offen: Ich habe Sie nicht so verstanden, dass Siejetzt Gesetze ändern wollen. Ich habe Ihre Worte mehrals einen Appell, als Aufruf verstanden.Das, was wir uns konkret vorgenommen und schonauf den Weg gebracht haben, ist wirklich umfangreichund kann sich blicken lassen. Lassen Sie mich, FrauLambrecht, gerade zu den größten Vorhaben – nicht nurvom Umfang der Seiten her, sondern, wie ich denke,auch vom inhaltlichen Anspruch her – hier einige Wortesagen. Da geht es einmal um die Neuausrichtung derSicherungsverwahrung. Mit Blick auf vielerlei Gesetz-gebung in den letzten zwölf Jahren, die Auswirkung aufGerichtsentscheidungen – aber nicht nur – hatte, ist zusagen, dass unser System wirklich unübersichtlich undin sich nicht widerspruchsfrei ist. Dass wir das neu aus-richten, ist schon eine gewaltige Leistung.An das Thema „Anlasstaten und Umfang von Anlass-taten“ muss man systematisch herangehen. Nur alle Pa-ragrafen aufzuzählen, wäre eine Herangehensweise, dienicht unbedingt zu Klarheit, Übersichtlichkeit und Sys-tematik beiträgt. Hier zu einer verantwortbaren Reduzie-rung zu kommen, ist auch das Anliegen der Koalitions-fraktionen. Ich hoffe, dass wir uns in den Gesprächendabei noch aufeinander zubewegen können. In dernächsten Woche steht ja die intensive Beratung imRechtsausschuss an, in der wir uns mit Ihren Änderungs-anträgen, aber auch mit den Vorschlägen, die die Koali-tionsfraktionen machen, intensiv befassen werden.Dass das ein komplexes Vorhaben ist, sieht man auchdaran, dass wir mit dem Therapie- und Unterbringungs-gesetz genau den Weg gehen, den uns die EuropäischeMenschenrechtskonvention eröffnet. Das tun wir zwar inenger Anlehnung an diese, aber auch in verantwortbarerWeise; denn die Situation – ich muss sie hier nicht schil-dern – ist eine extrem schwierige. Es geht hier um einigeentscheidende Fälle; von diesem Gesetz werden alsonicht Hunderte von Menschen erfasst.Die Debatte zu diesem Thema – es geht hier um ge-fährliche Täter, die auch nach Haftverbüßung nicht inFreiheit leben können und sollen, weil das nicht verant-wortbar wäre – lenkt natürlich den Blick auch auf dieHerausforderungen, denen wir insgesamt gegenüber-stehen. Hier ist es doch ganz normal, dass selbstständigeFraktionen einer Koalition, die sich einem gemeinsamenZiel verpflichtet hat, mit unterschiedlichen Vorstellun-gen an Fragen herangehen. Das trifft insbesondere aufdie Frage des Umgangs mit der Vorratsdatenspeiche-rung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts im März dieses Jahres zu. Ich brauche hier nichtauf alle Fakten einzugehen. Ich möchte nur erwähnen,dass es derzeit sehr wohl Bestandsdaten gibt, auf dieman zugreifen kann. Wenn man das möglichst zeitnahund nicht retrograd tut, braucht man auch keine sechs-monatige Speicherungsfrist.Dass wir als FDP das Thema von unserem Verständ-nis der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit so-
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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wie von unserer Auffassung der Sparsamkeit bei Daten-sammlungen anders sehen als unser Koalitionspartner,ist bekannt. Damit gehen wir aber fair und sachlich um.Es bringt nämlich, wie ich glaube, nichts, hier einfach zusagen: Da haben wir kein Problem. – Nein, wir habenhier unterschiedliche Vorstellungen und gehen unter-schiedlich an dieses Thema heran. Deshalb hat die FDP-Fraktion beschlossen, in dieser Frage anlassbezogen vor-zugehen, statt massenweise Datensammlungen anzule-gen.
Auf der Grundlage eines Vorschlages werden wir kon-struktiv miteinander über dieses Thema reden und dannauch, wie ich denke, zu einem richtigen Ergebnis kom-men.Vonseiten der Opposition wie auch von Herrn Funkwurde der Fonds für die Opfer extremistischer Über-griffe angesprochen. Auch mich treibt um, dass – daraufhaben ja auch Sie, Herr Schurer, hingewiesen – bisherwenig Geld abgeflossen ist, dass bisher wenige Anträgevorliegen, und zwar derzeit so wenige, dass der Haus-haltsansatz auf gar keinen Fall ausgeschöpft wird unddas vorgesehene Geld auch nicht annähernd abfließenwird. Wir haben noch einmal eine Werbe- und Informa-tionsaktion gestartet. Ich denke, es ist richtig, dass wir zudiesem Zeitpunkt den Haushaltsansatz belassen, unsdann aber im nächsten Jahr durch Aufklärung und Infor-mation über den Umfang der Leistungen gemeinsam be-mühen, dass das Geld denjenigen zugutekommt, die Op-fer von extremistischen Übergriffen geworden sind undauf andere Art und Weise nicht für ihr Leid und ihrenSchmerz entschädigt werden können.Frau Lambrecht, Sie haben die Verjährungsfristen imZusammenhang mit sexuellem Missbrauch angespro-chen. Der runde Tisch wird nächste Woche zusammen-kommen und über den ersten Zwischenbericht beraten.Von der Arbeitsgruppe, die unter der Leitung meinesHauses steht, ist ein Konzept erarbeitet worden, wieOpferrechte gestärkt werden können. Da haben wir unsdank der konstruktiven Mitarbeit vieler bei diesemThema auf ein Konzept verständigt.Wir haben uns abschließend noch nicht mit anderenrechtspolitischen Folgerungen auseinandergesetzt. Ichdenke, das gehört zusammen. Da gibt es zu Recht Pround Kontra. Wir sehen in jedem Fall die Notwendigkeit,bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen etwas zutun; denn da ist die Frist sehr kurz. Bei den strafrechtli-chen Verjährungsansprüchen wollen wir in der Sachediskutieren und abwägen, ob es Gründe dagegen gibt.Ich meine, es ist aller Sachlichkeit und Ernsthaftigkeitwert, darüber am Ende zu gemeinsamen Entscheidungenzu kommen.Vielen Dank.
Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! FrauMinisterin, wie Sie wissen, hat die Bundesrepublik seiteiniger Zeit einen neuen Namen: Protestrepublik. VielFantasie war für diese Wortschöpfung nicht nötig; dennes ist nicht zu übersehen: Ob Atompolitik, teurer Bahn-hof oder Flugrouten – Bürger protestieren dagegen, dasssie in die Entscheidungen der Politik nicht einbezogenwerden. Sie protestieren dagegen, dass Politiker sichnicht als Diener des Volkes verstehen, sondern sich alsHerren aufspielen, und dagegen, dass unsere Demokratieoffensichtlich einen Mangel an Demokratie aufweist.
Das besonders Schlimme daran: Der demokratischeMangel in Gesetzgebung und Regierungsentscheidungenhat einen Dominoeffekt. Die ausführenden Kräfte sindgezwungen, die zweifelhaft zustande gekommenen Be-stimmungen gegen den Willen der Bürger zu vollziehen.Konrad Freiberg, kürzlich in den Ruhestand getretenerChef der Polizeigewerkschaft, hat dies öffentlich aufeine einfache Formel gebracht: Die Bundesregierungtrage die gesellschaftlichen Probleme auf dem Rückender Sicherheitskräfte aus, die für die ungelösten Kon-flikte den Kopf hinhalten müssten.
Die Kettenreaktion dieses Demokratiedefizits endetnicht bei der vollziehenden Gewalt. Sie setzt sich auch inder Justiz fort. Richter werden damit belastet, Gesetzeanzuwenden, die an der Lebenswirklichkeit der Men-schen im Land vorbeigehen. Das bedeutet nicht nur un-demokratische Bürgerferne in der Rechtsprechung, son-dern – wir reden hier ja über den Haushalt – das kostetauch Geld, und zwar meistens das Geld der Länder.Beispiel Berlin. Am Sozialgericht Berlin ist imSommer die 100 000. Klage gegen Hartz IV eingegan-gen. Regelmäßig lädt das Gericht zu Pressekonferenzen,in denen die Richter um Hilfe bitten, weil die Flut derKlagen nicht zu bewältigen sei. Ihr Ruf hatte insoweitErfolg, als dass der sehr lobenswerte rot-rote Senat dieZahl der Richterstellen am Sozialgericht seit Einführungvon Hartz IV immerhin verdoppelt hat.
Das war richtig, und das war notwendig, aber auch eineziemliche Bürde für ein Land, das auf einem Schulden-berg von 60 Milliarden Euro sitzt, übrigens auf einemSchuldenberg, den andere Regierungen aufgetürmt ha-ben. Das Geld könnte an anderer Stelle sicher sinnvollerausgegeben werden. Denn leider dient die Aufstockungdes Personals nur der Bekämpfung der Symptome, nichtder Ursachen. Eine wirkliche Ursachenbeseitigung wäredie Abschaffung dieses zutiefst ungerechten, an vielenStellen völlig unausgegorenen und fehlerhaften Gesetzes.Genauso eine Verschwendung der Ressourcen bedeu-tet es, wenn das höchste Gericht übernehmen muss, waseigentlich Aufgabe der Politik wäre:
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8290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Raju Sharma
(C)
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Gesetze zu erlassen, die mit der Verfassung vereinbarsind.Das fröhliche Beschäftigen der Verfassungsrichterhat freilich Tradition. So hat seinerzeit die rot-grüne Ko-alition ein Luftsicherheitsgesetz mit einer „Abschuss-erlaubnis“ für entführte Flugzeuge durch den Bundestaggepeitscht, obwohl die Verfassungswidrigkeit praktischauf der Hand lag. Schließlich ist es Lehrstoff des erstenSemesters im Jurastudium, dass Menschenleben nichtgegeneinander aufgewogen werden können.
Allerdings hat auch die folgende Regierung aus sol-chen Fehlern nichts gelernt. Bei der Vorratsdatenspeiche-rung hat das Bundesverfassungsgericht ihr die Blindheitfür die Werte unseres Grundgesetzes erneut amtlich be-scheinigt. Nun sind die Unionsparteien sogar so unver-besserlich, dass sie sich diese Schlappe am liebsten gleichnoch einmal abholen möchten. Mit Pawlow‘schem Re-flex reagieren Sie auf die Terrorwarnungen mit neuen al-ten Forderungen nach der totalen Überwachung. Auchdavon haben wir heute etwas gehört.
Ich hoffe, dass wenigstens Sie, Frau Ministerin,standhaft bei Ihrer Ablehnung und fest auf dem Bodendes Grundgesetzes bleiben. Der Unterstützung der Lin-ken können Sie sich dabei gewiss sein – wie bei jederbürgerrechtskonformen Politik Ihres Ministeriums.
Leider war den Damen und Herren Freidemokratenbei ihrem Atomdeal nicht so viel Weisheit beschieden.Wie gewohnt waren ihnen die Interessen der großenKonzerne wichtiger als Wille und Sorgen der Bürger.Wir Linken werden wie viele andere diese undemokrati-sche Lobbyarbeit nicht hinnehmen und die einzige Mög-lichkeit nutzen, um diese Unverschämtheit gegenüberden Wählern zu kippen: mithilfe der Verfassungsrichter.Ja, auch das wird Geld kosten. Uns bleibt aber – andersals Ihnen – keine andere Wahl. Sie hätten dieses Gesetzgar nicht erst verabschieden müssen.
Sie hätten sich auf die Verfassung besinnen müssen.Ich komme zum Schluss. Nehmen Sie sich einfacheinmal die Zeit, einen Blick ins Grundgesetz zu werfen.Darin steht ziemlich weit vorne etwas ganz Interessan-tes, nämlich in Art. 20 Abs. 2: „Alle Staatsgewalt gehtvom Volke aus.“ Erinnern Sie sich? Nein? Dann werdenwir Sie erinnern.Vielen Dank.
Jetzt hat Manuel Sarrazin das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Herr Krings, gestatten Sie mir eine Bemerkungzum Thema „Demokratie und Straße“. Wir sind uns ei-nig über die Bedeutung der Parlamente; auch wir sindstrenggläubige Parlamentarier.
Deswegen engagieren wir uns hier mit ziemlich viel Ein-satz; das wollen Sie uns, glaube ich, zugutehalten. Wirhaben aber doch das Problem vor Augen, dass die Legi-timität der Entscheidungen nicht nur von ihrer formel-len Richtigkeit abhängt; auch die Reflexion der Bürgerist ein wichtiger Punkt. Die Bürger müssen – dafür sindbeide Seiten verantwortlich – das Gefühl haben, dass dieEntscheidungen, die wir hier treffen, auch für die, dieunterlegen sind, legitim sind. Warum? Wegen der Frie-denspflicht, der Friedenswirkung, die von diesem Hausausgehen kann, indem es die Interessen repräsentiert undanschließend den Entscheidungsprozess formal richtigzu Ende führt.
Gerade um die Friedenswirkung, die aufgrund ver-schiedener gesellschaftlicher Entwicklungen an ver-schiedenen Stellen infrage steht, zu wahren, ist es wich-tig, den engagierten Bürger ernst zu nehmen. Ich warneulich bei einem Fußballspiel in Stuttgart. Abends habeich die Verkäuferin im Kiosk unten am Bahnsteig ge-fragt, was sie von Stuttgart 21 hält. Sie konnte mir20 Minuten lang Details zur Bahnhofsplanung nennen;übrigens war sie dafür. Die ganze Stadt diskutiert da-rüber. Wenn wir den Zoon Politikon, den politischenMenschen, als Idealbild vor Augen haben, kann es füruns gar nichts Besseres geben.
Sie werfen uns vor, wir seien eine Dagegen-Partei.Früher war es einmal so: Sie waren gegen rechtsfreieRäume. Heute sind wir gegen Verfassungsbruch undmüssen nach Karlsruhe ziehen. Das haben Sie uns frühergepredigt; das sollten Sie uns jetzt nicht vorwerfen.
Herr Krings, uns verbindet beim Europäischen Ver-braucherzentrum Deutschland ein gemeinsames Anliegen.Der Kollege Funk hat gesagt, es sei „Unsinn“, angesichtsder Kürzung der Mittel für diese deutsche Verbindungs-stelle von einem Affront gegenüber Frankreich zu reden.Herr Lamassoure, ein großer Konservativer von der UMPin Frankreich und Vorsitzender des Haushaltsausschussesdes Europäischen Parlaments, empfindet aber die Kür-zung der Mittel als einen „Affront gegenüber dem franzö-sischen Nachbarn“.
Wenn Sie jetzt sagen, dass die UMP unsinnige Politikmacht, würde ich Ihnen in fast allen Punkten zustimmen;
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Manuel Sarrazin
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aber in diesem Punkt hat Herr Lamassoure ausdrücklichrecht. Es ist schade, dass diese Entscheidung zustandegekommen ist.
Die deutsch-französische Freundschaft kann auchdurch Streichungen in solch einem kleinen Haushaltmanchmal Schaden nehmen. Ich denke, wir sollten unshier, aber auch bei Bruegel Gedanken machen, wie wirin Zukunft damit umgehen.Ein anderes Beispiel für eine kleine Entscheidung, diewichtig ist: die Einrichtung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Frau Ministerin, wir unterstützen Sie grund-sätzlich in diesem Anliegen, finden es aber schade, dassanders als in früheren Entwürfen aus der FDP-Fraktiondie Förderung von Bürgerarbeit und internationalerMenschenrechtsarbeit beim Stiftungszweck ausgespartwurde. Dabei wäre es aus unserer Sicht gerade hier not-wendig und wichtig gewesen, nicht nur auf die HistorieBezug zu nehmen, sondern auch die aktuelle Auseinan-dersetzung mit diesem Thema, die uns die Geschichtevor Augen führt, zu fördern. Deswegen tragen wir denVorschlag zwar mit, finden aber, dass er zu kurz greiftund hinter dem Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2000zurückbleibt.
Zur Frage des rechten und linken Extremismus.Diese Debatte langweilt uns ein bisschen; denn sie wirdimmer wieder politisch aufgeladen. Wir sehen einfach,dass die Frage des Extremismusbegriffs von Ihnen nurherangezogen wurde, um etwas zu exekutieren, was Siein einem anderen Politikfeld erreichen wollen, nämlicheine Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt. Ichwill gar nicht sagen, dass ich irgendwelche Sympathienfür linke Gewalttaten auf der Schanze habe; ich kommeaus Hamburg. Ich finde das absolut nicht in Ordnung.
Ich finde aber, dass Sie hier durch einen unklaren Extre-mismusbegriff – nämlich „Extremismus jeder Art“ –nicht für eine Verbesserung der Situation gesorgt haben,sondern für mehr Unklarheit. Ich finde, Sie sollten sicheingestehen, dass das bisher so nicht funktioniert hat.Darum müssen wir das gemeinsam angehen.
Sowohl der Haushalt des Justizministeriums als auchder Haushalt des Verfassungsgerichts sind klein, aberoho. Die Berichterstatter arbeiten auf der Basis der sehrguten Vorbereitungen durch beide Häuser sehr kollegialzusammen. Dafür möchte ich mich bedanken. Ehrlichgesagt: Ich freue mich immer ein bisschen auf die Unter-lagen aus diesen Häusern. Darum freue ich mich jetztschon auf die Beratungen im nächsten Jahr. Dann wer-den wir gemeinsam weiterarbeiten.Danke sehr.
Stephan Mayer hat das Wort für die Unionsfraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Eine jüngst veröffent-lichte Studie einer deutschen Rechtsschutzversicherunghat zutage gefördert, dass die Justiz in Deutschland eineausgesprochen hohe Akzeptanz genießt, im Gegensatzzu anderen staatlichen, gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Institutionen. Nach dieser Studie habenzwei Drittel aller Deutschen viel oder ziemlich viel Ver-trauen in die deutschen Gerichte. Nur zwei Institutionenliegen vor der Justiz, was die Akzeptanz anbelangt. Zumeinen ist das die Polizei als Hüterin von Sicherheit undOrdnung mit 74 Prozent und zum anderen der deutscheMittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft mit71 Prozent.Die Zahlen belegen die hohe Wertschätzung, die diedeutsche Justiz und die deutschen Sicherheitsbehördenin der deutschen Bevölkerung genießen. Diese Zahlensind meines Erachtens aber auch eine Aufforderung ins-besondere an die Politik, Sicherheit und Vertrauen in dieStrafverfolgungsbehörden und die Justiz aufrechtzuer-halten und weiter zu gewährleisten.Der Haushalt des Justizministeriums ist zwar kleinund schmal, aber er ist deswegen nicht unwichtig, ganzim Gegenteil. Ich möchte hinzufügen, dass es neben derordentlichen finanziellen Ausstattung der Beamtinnenund Beamten und der Richterinnen und Richter im Be-reich der deutschen Justiz notwendig ist, ihnen die erfor-derlichen gesetzlichen Mittel an die Hand zu geben.Herr Kollege Schurer, Sie haben die Forderung derCSU nach einer vernünftigen, verfassungsgemäßen undeffektiven Ausgestaltung einer Verbindungsdatenspei-cherung angesprochen. An dieser Stelle kann ich nurzurückweisen, dass es hierbei um Aktionismus oder einwie auch immer geartetes reflexartiges Verhalten geht.Schon gar nicht geht es um Populismus. Diese Forde-rung ist nämlich nichts Neues. Diese Forderung erhebenwir nicht erst aufgrund dieser schrecklichen und außer-ordentlich angespannten Bedrohungssituation, in der wirleben. Dies ist eine alte Forderung der CSU. Diese For-derung steht auch nicht im luftleeren Raum. Mittlerweilehaben 20 der insgesamt 27 Mitgliedsländer der Europäi-schen Union die einschlägige EU-Richtlinie umgesetzt.Ich sage es ganz offen: Trotz des Urteils des Bundesver-fassungsgerichts vom März dieses Jahres wird auch unsnichts anderes übrig bleiben, als die EU-Richtlinie ver-fassungsgemäß und europarechtskonform in deutschesRecht umzusetzen.
Die CDU/CSU-Fraktion wird alles daransetzen, dasswir hier über eine sachliche und konstruktive Diskussionzu einer Lösung kommen, die den Anforderungen derdeutschen Sicherheitsbehörden genügt. Ich glaube nicht,dass der Präsident des BKA ein Parteigänger der CDU,der CSU oder der FDP ist. Deswegen kann ich ihn offen-
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Stephan Mayer
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siv erwähnen. Herr Ziercke hat am 6. September diesesJahres in seiner jährlichen Pressekonferenz händerin-gend darum gebeten, dass eine vernünftige und effektiveRegelung der Verbindungsdatenspeicherung gefundenwird. Ich glaube, das ist sehr ernst zu nehmen. HerrZiercke wies in der Pressekonferenz eindeutig daraufhin, dass es seit dem Urteil des Verfassungsgerichts nurnoch in 7 von 1 000 Fällen möglich ist, den Inhaber ei-ner IP-Adresse ausfindig zu machen. Bevor das Urteilgesprochen wurde, war es immerhin noch möglich, 800von 1 000 Inhabern von IP-Adressen namentlich ausfin-dig zu machen. Ich glaube, diese Zahlen belegen eindeu-tig und unzweifelhaft, dass es dringend erforderlich ist,eine effektive und vernünftige Lösung zu finden. Ausmeiner Sicht wäre es verfehlt, darauf zu hoffen – ichsage das in Anführungszeichen –, dass sich im großenStil etwas an den bisherigen Vorgaben durch die europäi-sche Gesetzgebung ändert.Es gibt – das ist richtig – eine Evaluierung der EU-Richtlinie; diese wird aber noch einige Zeit in Anspruchnehmen. Aus meiner Sicht ist mit einer neuen EU-Richt-linie frühestens in zwei bis drei Jahren zu rechnen. Eswäre also verfehlt, nur aufgrund der Diskussion in Eu-ropa jetzt auf eine verfassungsgemäße und menschen-rechtskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie zu ver-zichten – ganz im Gegenteil.In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuwei-sen, dass Quick Freeze, also das schnelle Einfrieren vonvorhandenen Daten, keine ausreichende Lösung ist. Mankann ja nur das einfrieren, was tatsächlich vorhanden ist.Das Problem ist aber, dass die Telekommunikationsun-ternehmen aufgrund der Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts heute kaum mehr – mit Ausnahme derTelekom, die die Daten noch für eine Woche speichert –über Daten verfügen. Es ist also momentan überhauptnichts vorhanden, was – in Anführungszeichen – schnelleingefroren werden kann.Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt,im Rahmen einer konstruktiven und sachlichen Debattehier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen; dennauch bei anderen Gesetzgebungsvorhaben hat die christ-lich-liberale Koalition in den letzten Monaten in brillan-ter Weise unter Beweis gestellt, dass sie im Bereich derInnen- und Rechtspolitik allen Unkenrufen zum Trotzhandlungsfähig ist.
Das Thema Sicherungsverwahrung ist schon ge-nannt worden. Jetzt dachten viele, die uns nicht so wohl-gesonnen sind, dass es uns am Ende des Tages nicht ge-lingt, eine vernünftige Lösung zur Neuordnung derSicherungsverwahrung zu erreichen.
Wir haben diese Stimmen Lügen gestraft; denn wir ste-hen kurz davor, eine endgültige Lösung zu präsentieren.
Wir hatten zu Beginn der Debatte natürlich völlig unter-schiedliche Positionen. Ich bin Ihnen, Frau Bundes-ministerin, sehr dankbar dafür, dass wir in einem ver-nünftigen und ausgewogenen Dialog jetzt zu einerangemessenen Lösung kommen. Man wird über das eineoder andere noch debattieren müssen. Ich denke in die-sem Zusammenhang an eine mögliche Verlängerung derRückfallverjährungsfrist.Das Thema Sicherungsverwahrung hat es gezeigt und– da bin ich mir sicher – das Thema Verbindungsdaten-speicherung wird es zeigen, dass die christlich-liberaleKoalition ein Garant für eine solide, überlegte und effek-tive Rechtspolitik ist.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Professor Dr. Patrick Sensburg hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Ministerin! Wir debattierenjetzt – das ist schon erwähnt worden – über den kleinstenHaushalt eines Ministeriums mit einem Volumen von493 Millionen Euro. Der Anteil am Gesamthaushalt be-trägt 0,16 Prozent. Bei einer Deckungsquote von 85 Pro-zent ergeben sich Einnahmen von 415 Millionen Euro.Der Haushalt 2011 trägt allerdings nicht zur Konsoli-dierung bei. Wir sehen, dass im Vergleich zum Haushalt2010 ein Zuwachs von 3,73 Millionen Euro zu verzeich-nen ist. Das liegt daran, dass wir die vorhin erwähnteMagnus-Hirschfeld-Stiftung mit 5 Millionen Euro, diewir aus dem Haushalt nehmen, und mit 5 Millionen Euroaus den flexiblen Titeln, wie es die Ministerin eben ge-sagt hat, gründen.Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung hat das Ziel, einenkollektiven Ausgleich für die homosexuellen Opfer vonGewalt während des NS-Regimes zu erreichen und inter-disziplinäre Forschung und Bildung bezüglich der Dis-kriminierung homosexueller Männer und Frauen zu er-möglichen. Ich unterstütze diese Forderung und Ziel-setzung nachdrücklich. Ich hätte mir allerdings ge-wünscht, dass der Haushalt trotzdem zur Konsolidierungbeigetragen hätte.Daneben würde ich mir wünschen, dass wir über denNamen dieser Stiftung noch einmal nachdenken; denndie Person Magnus Hirschfeld ist nicht nur positiv zu se-hen. Er hat nämlich in seinen Schriften Themen im Be-reich der Eugenik gestreift und dabei bestimmte Völkerherabgewürdigt. Über den Namen dieser Stiftung müs-sen wir also noch einmal nachdenken.
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Dr. Patrick Sensburg
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Wir sollten im Jahre 2011 in Ruhe darüber diskutieren,in welche Richtung wir mit dieser Stiftung gehen wol-len.Gute Rechtspolitik bemisst sich – das ist bereits ge-sagt worden – nicht an der Höhe des Haushaltsansatzes,sondern an den rechtspolitischen Inhalten. Ich möchtedrei Inhalte besonders herausgreifen.Der erste Aspekt, den ich nennen möchte, betrifft dasVerhindern von Kinderpornografie im Internet. Wirhaben über dieses Thema schon mehrmals diskutiert,und wir bleiben dabei: Als Ultima Ratio muss es mög-lich sein, kinderpornografische Internetseiten zu sperren.Das hat – anders als Sie, Frau Kollegin Hönlinger, esdargestellt haben – die Expertenanhörung vom 10. No-vember im Rechtsausschuss ergeben. Die Experten ha-ben klar gezeigt, dass das Sperren möglich ist, und es hatsich gezeigt, dass sich die Argumente der Experten derOpposition widersprochen haben. Ich kann nicht sagen:„Sperren geht gar nicht“, und dann sage ich im selbenSatz: Aber wir haben die Sorge, dass Sie das Sperren aufandere ausdehnen werden. – Das ist widersprüchlich undstimmt einfach nicht. Das hat die Expertenanhörung ge-zeigt.
Da Sie immer behaupten, dass dieses Sperren nichtgehe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
sage ich Ihnen: Ihr Abgeordnetenkollege im letzten Bun-destag, Herr Lutz Heilmann, hat ja seine Internetseite beiWikipedia sperren lassen. Da hat es ja anscheinend ge-klappt. Dann können Sie doch nicht immer behaupten,dass das Sperren überhaupt nicht funktionieren würde.
Als Ultima Ratio muss es möglich sein, und daran wer-den wir festhalten.Sie wollen mehr Polizisten. Ich unterstütze diesenWunsch. Insbesondere bin ich für die Bezirkspolizisten,die lokal patrouillieren und dann vor Ort auch wissen,was passiert. Aber Sie glauben doch selber nicht, dassich bei dieser Art Kriminalität neben jede Person einenPolizisten stellen kann. Von welchem Weltbild gehen Siehier denn aus? Wollen Sie einen Polizeistaat, wo nebenjedem Internetuser ein Polizist steht? Das ist weltfremd,was Sie hier machen, meine Damen und Herren. Dasgeht nicht. Wir müssen der Polizei die richtigen Mittelgeben. Darum geht es.
Beim Thema Vorratsdatenspeicherung haben dieKollegen Krings und Mayer, glaube ich, bereits die rich-tigen Aspekte genannt, sodass ich das nicht vertiefenmuss. Die Ministerin hat auch aufgezeigt, dass wir hierum Lösungen ringen.Ich möchte Ihnen das einmal an einem Beispiel deut-lich machen. Stellen Sie sich mal vor, auf Ihrem Kontowird im Rahmen des Onlinebanking Missbrauch betrie-ben. Dann gehen Sie zu Ihrer Bank und sagen: DieseÜberweisungen habe ich doch gar nicht getätigt. – Da-rauf sagt der Bankmitarbeiter: Entschuldigung, wir spei-chern keine Daten mehr; sehen Sie zu, wie Sie wieder zuIhrem Geld kommen. – Dann werden auch Sie ganzschnell überlegen, ob das Speichern von Internetdatennicht eine sinnvolle Einrichtung ist und zu Ihrem Schutzbeiträgt. Wir suchen nach Lösungen, und von den Grü-nen höre ich immer nur: Wir sind dagegen; wir machenes nicht mit.
Das reicht leider für eine Politik nicht aus.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wolfgang Wieland zulassen?
Ja, die lasse ich sehr gern zu.
Bitte schön.
Herr Kollege, wäre es nicht sinnvoller, bevor Sie nun
auf die Grünen einprügeln, sich zu überlegen, ob es für
eine Regierung, wenn ihr ein Problem seit März dieses
Jahres bekannt ist – inzwischen haben wir Ende Novem-
ber –, spricht, dass Vertreter dieser Regierungskoalition
miteinander völlig unvereinbare Standpunkte vortra-
gen? Die Ministerin sagt mit guten Argumenten: Für
meine Fraktion kommt das nur anlassbezogen infrage;
Quick Freeze kommt in Betracht. – Alle Redner Ihrer
Fraktion und auch Sie sagen: Das langt nicht; was nicht
da ist, kann ich nicht mehr einfrieren. – Ist es denn nicht
primär an einer Regierung, zu handeln, hier einen Ge-
setzentwurf, der verfassungsfest ist, einzubringen, bevor
sie auf die Opposition einprügelt?
Herzlichen Dank für Ihre Nachfrage. – Es ist richtig,es ist an der Regierung, einen Gesetzesvorschlag einzu-bringen.
Das werden wir auch tun. Wir werden einen Gesetzes-vorschlag einbringen, der praktikabel und effektiv ist,der auch berücksichtigt, dass ich Daten retrograd nach-
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Dr. Patrick Sensburg
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vollziehen können muss. Es gibt da bestimmte Delikte,und ich möchte Ihnen von einem zur Veranschaulichungberichten.
– Doch, das muss ich, wenn Sie die Frage beantwortethaben wollen, wenn es denn eine Frage gewesen seinsoll.Da schreibt ein Mann im Internet, dass er sein Kindam nächsten Wochenende missbrauchen will. Das weißman. Wenn man das dann nicht rückwirkend nachvoll-ziehen kann, retrograd, dann wird man nicht herauskrie-gen, was da wirklich gewesen ist, wer dieser Mann wirk-lich ist, und wird nichts machen können. Dann ist mandarauf angewiesen, dass er bald wieder ins Internet geht.Deswegen brauchen wir auch das retrograde Nachvoll-ziehen.
Deswegen werden wir gemeinsam – ich erkenne IhrenFingerzeig – zu einer Lösung finden. Nur, es ist auchAufgabe der Opposition,
sich nicht nur in „Nein, Nein“ zu ergehen, sondern aucheigene Ideen zu haben. Und ich sehe von Ihrer Seitekeine Alternativen, wie man diese Probleme lösen kann.
Wir in der Koalition werden sie finden,
und dann werden Sie schon sehen, wie gut diese Lösun-gen sind. Ich danke Ihnen für Ihre Frage.Vielleicht noch etwas zur Glaubwürdigkeit. Ich wollteeigentlich gar nicht mehr viel zu Bündnis 90/Die Grünensagen.Wenn man aber, wie Ihr Parteivorsitzender, mit demFlugzeug von Berlin nach Stuttgart fliegt und meint,man müsse mit dem Hubschrauber vom Stuttgarter Flug-hafen in die Innenstadt fliegen, weil einem die Bahn zulangsam ist, und wenn man meint, man müsse denDienstwagen von der Polizei bewachen lassen und dannauf einen Trecker steigen, dann frage ich mich, ob manglaubwürdig ist.
– Nein, für Herrn Gysi nehme ich jetzt den KollegenSharma in Haftung. Er hat nämlich aus Art. 20 desGrundgesetzes zitiert:Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.Leider haben Sie nur die Hälfte zitiert. Wenn Sie ausArt. 20 zitieren, dann müssen Sie auch weiter zitieren:Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungenund durch besondere Organe der Gesetzgebung, dervollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus-geübt.Sie wird also eben nicht durch Sitzblockaden und ge-walttätige Aktionen wie das Schottern ausgeübt; das ge-hört nicht dazu. Man muss das Ganze lesen, Herr Kol-lege.
Um diesen Punkt ging es auch meinen Vorrednern.Natürlich sind die Versammlungsfreiheit und das De-monstrationsrecht geschützt. Das gewährleistet diePolizei zurzeit. Sie schützt auch die Demonstranten.Aber es gibt anscheinend viele Demonstranten – mit die-sen sympathisieren Sie –, die dieses Demonstrations-recht missbrauchen, zu Gewalttaten aufrufen und Schot-ter aus dem Gleisbett nehmen. Das gefährdet auchdiejenigen, die demnächst mit dem Zug über diesesGleisbett fahren. Deswegen muss die Polizei eingesetztwerden.
Das ist das Problem. Da muss man sehr sauber differen-zieren.Wir machen Rechtspolitik, die nicht ideologisch ge-prägt ist,
sondern eine ausgewogene Rechtspolitik, die auf der ei-nen Seite die Sicherheitsgewährung durch den Staat be-rücksichtigt und auf der anderen Seite die Freiheit derBürger gewährleistet.
Herr Kollege Sensburg, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Sharma?
Das werde ich machen, obwohl ich fast am Ende mei-
ner Rede bin.
– Deswegen lasse ich die Frage zu.
Bitte schön.
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Herr Kollege, Sie haben, wie viele Ihrer Vorredner
von der Regierungskoalition, das Thema Schottern ange-
sprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf et-
was hinweisen. Sie haben das Demonstrationsrecht zwar
als legitim anerkannt, aber gemeint, es sei missbraucht
worden. Ich möchte Folgendes festhalten.
– Frage? Nein, lassen Sie das einmal.
Das Problem ist doch Folgendes: Mit Ihren verfas-
sungswidrigen Gesetzen, mit Gesetzen, die an den Bür-
gern komplett vorbeigehen, mit der Legitimation von
gewalttätigen Übergriffen von Polizeikräften auf De-
monstranten –
– Moment, ganz ruhig; Herr Krings, entspannen Sie sich
einmal – unterhöhlen Sie das Vertrauen der Menschen in
den Rechtsstaat. Sie sind die Schotterer der Demokratie.
Herr Kollege Sharma, ich warte auf die Frage. Das
waren ja schöne Aussagen. Aber kann ich auch etwas
beantworten?
Nein, wir sind nicht die Schotterer der Demokratie, Herr
Kollege Sharma.
Wir betreiben eine ausgewogene Rechtspolitik. Si-
cherheit für die Bürger auf der einen Seite, Gewährung
von Freiheit und Recht auf der anderen Seite – ich
glaube, das macht den Haushalt des Bundesjustizminis-
teriums aus. Dafür danke ich als letzter Redner zu die-
sem Einzelplan der Justizministerin ganz nachhaltig. Ich
bitte alle um die Zustimmung zu diesem Haushalt.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Aus-
schussfassung. Wer für den Einzelplan 07, Bundesminis-
terium der Justiz, in der Ausschussfassung stimmt, den
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Einzelplan ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt dafür? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 19 ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– Drucksachen 17/3516, 17/3523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Rolf Schwanitz
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der
SPD und der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Dagmar Ziegler von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Sozialer Fortschritt durch Zusammenhalt und Solidari-tät“, so ist das Kapitel im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP zur Familien- und Gleichstellungspolitikvollmundig überschrieben. Nachdem Frau Schröder ihrAmt ein Jahr innehat – ich will nicht sagen: ausübt; daswäre zu viel der Ehre –,
kann die Bilanz nur lauten: sozialer Rückschritt durchSpaltung und Entsolidarisierung.Was haben Sie nicht alles versprochen, FrauSchröder? Versprochen haben Sie, dass jeder Jugendli-che dabei unterstützt wird, einen Schulabschluss zu er-reichen und eine Ausbildungsstelle zu finden. Bekom-men haben die Jugendlichen, dass ihnen das Recht aufeinen nachholenden Schulabschluss gestrichen wurde.Bekommen haben die Jugendlichen außerdem einen„Ausbildungspakt light“, der einseitig auf die Interessender Wirtschaft ausgerichtet war und aus dem der Deut-sche Gewerkschaftsbund kurz vor der Unterzeichnungherausgemobbt wurde.Versprochen haben Sie auch, Alleinerziehende miteinem höheren Unterhaltsvorschuss, steuerlichen Entlas-tungen und einem Maßnahmenpaket besser zu unterstüt-
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Dagmar Ziegler
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zen. Bekommen haben die Alleinerziehenden unter an-derem dramatische Kürzungen bei der Eingliederung inden Arbeitsmarkt.Versprochen haben Sie, das Elterngeld auszuweitenmit einem Teilelterngeld und einer Stärkung der Partner-monate. Bekommen haben die Eltern ein verstümmeltesElterngeld, an dem ohne erkennbares System mal hierund mal dort herumgeschnippelt worden ist, und zwarwieder einmal – das muss man deutlich sagen – im We-sentlichen zulasten derjenigen, die sich am unteren Endeder Einkommensskala befinden. Wer ohnehin wenigEinkommen hat, bekommt künftig weniger Elterngeld.Wer gar kein Einkommen hat, bekommt gar kein Eltern-geld mehr. Das ist die schwarz-gelbe Logik zur Sanie-rung des Haushalts.Was Sie beim Elterngeld veranstalten, ist nicht nur so-zial ungerecht; unserer Meinung nach ist es auch nichtverfassungskonform. Darüber wird noch zu reden sein;denn diese Kürzungsorgie folgt keiner sachlichen Be-gründung, sondern ist ganz willkürlich gewählt worden.
Die alleinerziehende Mutter, die zehn Jahre lang er-werbstätig war, arbeitslos wurde und dann ein Kind be-kommt, erhält keinen Cent Elterngeld mehr. Die Ehe-frau, die nie erwerbstätig war, deren Mann aber als Notarvielleicht 400 000 Euro im Jahr verdient, bekommt wei-ter das Mindestelterngeld von 300 Euro.
– Verstehen Sie nicht, was dahintersteht?
– Das tut mir leid; aber das ist ja Ihr Problem, nichtmeins.
Wenn dann die Streichung des Elterngelds für die al-leinerziehende Mutter auch noch mit Erwerbsanreizenbegründet wird, wie es die Ministerin vorträgt, dann istdas purer Hohn und unanständig.
Anstatt sich um Strukturentwicklung für die Kinder-betreuung zu kümmern, damit es überhaupt möglich ist,dass junge Mütter und junge Väter erwerbstätig seinkönnen, tun Sie auf diesem Feld gar nichts und lassendie Städte und Kommunen alleine. Diese werden denRechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz im Jahr 2013wahrscheinlich nicht umsetzen können. Das kümmertSie überhaupt nicht. Sie machen keinen nationalen Kin-derpark. Sie machen keine Konferenz, um die einzelnenEbenen zusammenzuführen, was wir Ihnen immer wie-der vorgeschlagen haben. Nichts tun Sie in diesem Be-reich. Sie sagen nur: Das ist ein Rechtsanspruch, der zuverwirklichen ist. – Die Menschen stehen aber, wenn siediesen Rechtsanspruch einfordern wollen, nicht bei FrauSchröder, sondern bei jedem einzelnen Bürgermeister,auch in Ihren Kommunen, und sagen: Ich habe einenRechtsanspruch, und das will ich jetzt umgesetzt haben.Damit lässt der Bund die Kommunen und die Ländervöllig alleine.
Frau Schröder, weil wir heute eine Haushaltsdebatteführen, muss ich Ihnen sagen: Kaum ein Haushalt hat sodrastische Kürzungen hinnehmen müssen wie der, fürden Sie verantwortlich sind. Man muss sich wirklich fra-gen, ob die Kürzungen ohne Ihr Zutun nicht vielleichtsogar sozialverträglicher ausgefallen wären.
Mittlerweile kommt eine zweite Frage hinzu: Wären dieFrauen in diesem Land ohne eine FrauenministerinSchröder nicht vielleicht sogar besser dran?
Sie lehnen gesetzliche Regelungen zur Verbesserungder Chancen von Frauen im Erwerbsleben nach wievor ab. Es ficht Sie nicht an, dass im Jahre neun nach derfreiwilligen Vereinbarung zwischen Bundesregierungund Wirtschaft noch keine Fortschritte erzielt wurden.Es ficht Sie nicht an, dass Frauen für die gleiche Arbeitimmer noch rund ein Viertel weniger als Männer verdie-nen. Sie sagen: selbst schuld. – Das ist eine Verhöhnungder Frauen in unserem Land. Es ficht Sie auch nicht an,dass Frauen in Vorstandsetagen immer noch Ringeltau-ben spielen.
Frau Ministerin, Sie werden sogar von der Justiz-ministerkonferenz – wahrlich kein Hort linken Sektierer-tums – überholt. Diese hat sich nämlich vor wenigenWochen – vielleicht haben Sie es gelesen – für gesetzli-che Quoten für Frauen in Führungspositionen ausgespro-chen.
Sie hingegen halten an Ihrer Überzeugung fest, die Ein-führung solcher Quoten sei eine Kapitulation der Politik.
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Dagmar Ziegler
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Ich sage Ihnen: Auf Quoten zu verzichten, wäre eine Ka-pitulation der Bundesregierung vor sich selbst. Dies of-fenbart, wie auf jedem Ihrer Betätigungsfelder, IhreSchwäche.Frau Schröder, Ihre Schwäche schwächt die Familienin unserem Land, die Frauen und die Alleinerziehenden.Ihre Schwäche schwächt die Menschen in unseremLand, die diese Gesellschaft tragen und die sie auch inZukunft tragen sollen. Sie sind ein absoluter Fehlgriff.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Andreas Mattfeldt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte FrauMinisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Da wir heute über Fa-milienpolitik reden und vonseiten der Opposition, wiegerade von Frau Ziegler, Kritik geäußert wurde, solltenwir uns einmal vor Augen führen, welchen Stellenwertdie Familienpolitik unter Grün-Rot genossen hat. Viel-leicht erinnern Sie sich: Ihr ehemaliger BundeskanzlerGerhard Schröder hat die Familienpolitik bei der Verei-digung seines Kabinetts im Jahre 1998 als „Frauenpoli-tik und so Gedöns“ abgewertet. Ich kann nur sagen: Einsolches Bild ist erschreckend. Leider war bei dem grü-nen Koalitionspartner damals so gut wie keine Reaktionzu sehen.
Mehr Gleichgültigkeit kann man bei einem so wichtigenThema nicht an den Tag legen.
Für uns Christlich-Liberale ist Familienpolitik dasSchwerpunktthema.
Deshalb geben wir im kommenden Jahr 6,47 MilliardenEuro für Familienpolitik aus. Nur durch eine vernünftigeFamilien- und Jugendpolitik mit ganz klaren Schwer-punkten werden wir die Herausforderungen unserer sichverändernden Gesellschaft bewältigen. Hierzu gehörtauch, dass wir als gewählte Volksvertreter verpflichtetsind, allen Menschen – ich betone: allen –, der jungen,der mittleren und der älteren Generation, Perspektivenfür die Zukunft zu bieten.
Solche Perspektiven kann es aber nur geben, wenn wirdurch verantwortungsvolle Ausgabenpolitik zukünftigenGenerationen Möglichkeiten bieten, ihre Wünsche undIdeen zu verwirklichen.
Ich möchte der Bundesfamilienministerin KristinaSchröder für ihren Einsatz für alle Generationen in die-sem Land an dieser Stelle ganz ausdrücklich danken.Insbesondere Familien erfahren eine ehrliche Wertschät-zung. Durch den Einsatz unserer Familienministerin istes gelungen, im Rahmen des Wachstumsbeschleuni-gungsgesetzes das Kindergeld zu erhöhen und höhereKinderfreibeträge einzuführen. Dies hat eine erheblicheEntlastung der Familien zur Folge. Das ist für uns kon-krete Politik für Familien.
Wir Christlich-Liberale nehmen Familienpolitik sehrernst; denn wir wissen, dass unser Land ohne Familienund ihr Einstehen für Werte eine arme Zukunft hätte.Deshalb gilt es Familien zu schützen und zu unterstüt-zen.
Regelrecht entsetzt war ich über die Anträge, die dieFraktion Die Linke in die Beratungen eingebracht hat.
Diese sehen Mehrausgaben in Höhe von insgesamt9,5 Milliarden Euro vor.
Von Vorschlägen zur Gegenfinanzierung – das hat michnicht gewundert – ist allerdings keine Spur. So funktio-niert Politik nicht. Ich fordere Sie auf, konkret zu sagen,wo das Geld eingespart werden soll, das Sie so schönverteilen wollen.
Ich sage Ihnen deutlich: Ohne Sparvorschläge ist das,was Sie fordern, Herr Bockhahn, noch nicht einmal gutgemeint und schon gar nicht gut gemacht; denn bezahlenmüssen Ihre vermeintliche Großzügigkeit letztendlichunsere Kinder.
– Mit immer höheren Staatsschulden tun Sie Ihren undmeinen Kindern keinen Gefallen.
– Herr Bockhahn, ich frage Sie: Wie sollen denn unsereKinder Ihre Ideen umsetzen, wenn sie dann vor einem
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Andreas Mattfeldt
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noch größeren Schuldenberg stehen, als wir ihn schonhaben? Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus.Verantwortungsvolle Politik betreibt die Familien-ministerin auch, wenn sie sagt: Wir sparen nicht an denKindern; wir sparen für die Kinder. – Deshalb zeugt esvon großer Verantwortung, dass auch im FamilienetatMöglichkeiten zu Einsparungen gesucht und umgesetztwurden. Wir kürzen allerdings gemeinsam mit derMinisterin nicht ohne Sinn und Verstand, sondern genauan den richtigen Stellen.Ich sage Ihnen auch deutlich: Dort, wo Geld bei denMenschen und bei den Kindern ankommt, wo es sinnvolleingesetzt wird, geben wir mit gutem Grund mehr Geldaus, zum Beispiel für die Bildung der Kinder. Bil-dungschancen entscheiden über die Zukunft der Kinder,über Arm und Reich.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Op-position, Sie prangern doch immer die Armut in diesemLand an.
Sie haben aber in Ihrer Regierungsverantwortung, ge-rade als Grün-Rot regierte, nichts dafür getan, dass Kin-der aus ärmeren Verhältnissen die gleichen Startchancenhaben wie ihre wohlhabenderen Schulkameraden. Wirsprechen nicht nur davon, dass alle Kinder die gleichenStartchancen haben sollen, sondern wir tun es auch. Des-halb werden von 2011 bis 2014 400 Millionen Euro fürdie frühkindliche Sprachförderung ausgegeben. Die-ses Geld hilft Kindern ausländischer Herkunft genausowie deutschen Kindern mit Sprachdefiziten und ermög-licht ihnen einen guten Start in ihren Bildungs-, Berufs-und damit Lebensweg.
Aus praktischer Erfahrung weiß ich, wie wichtig und er-folgreich gerade in Kindertagesstätten mit hohem För-derbedarf eine solche Unterstützung sein kann. So erhal-ten zukünftig circa 4 000 Kitas mit Förderbedarf proJahr eine zusätzlich von uns mit je 25 000 Euro finan-zierte Halbtagsstelle für qualifizierte Sprachförderung.Diese zusätzlichen Kräfte werden direkt – das waruns wichtig – in den Kitas eingesetzt und leisten dort ef-fektive Arbeit. Es ist eben besser, die Förderung ganzfrüh anzusetzen, als in späteren Jahren nur noch die ne-gativen Auswirkungen einer nicht optimalen Förderungnotdürftig zu behandeln. Deshalb geben wir diese400 Millionen Euro in die Kindertagesstätten, obwohldies nicht originäre Aufgabe des Bundes ist, sondern imVerantwortungsbereich der Länder und der Kommunenliegt. Es hilft doch nicht, wenn wir uns hier in Berlintolle Programme für die kommunale Ebene überlegenund vergessen, das Geld zur Finanzierung mitzugeben.Das war vielleicht in Ihrer Regierungszeit üblich. Wirverstehen gemeinsame Politik und vor allen Dingen Un-terstützung von Kommunen anders.
Außerdem hat Kristina Schröder durchgesetzt, dassdiejenigen Kinder, deren Eltern ein geringes Einkommenund Kinderzuschlag erhalten, genauso vom Bildungs-paket profitieren wie die Kinder von Hartz-IV-Empfän-gern. Dafür bin ich Ihnen, Frau Ministerin, sehr dankbar.Ich denke, der Einsatz hat sich gelohnt.
Gerade diese Eltern müssen wir dafür belohnen, dass siearbeiten gehen. Deshalb müssen auch diese Kinder vomBildungspaket profitieren.
Ein weiterer Mitteleinsatz in diesem Haushalt war ge-rade unseren Familienpolitikern wichtig. Es werdenerste Mittel bereitgestellt, um bundesweit eine Notruf-nummer bei Gewalt gegen Frauen einzurichten. Leidererreichen wir mit den bestehenden Hilfestrukturen vielevon Gewalt betroffene Frauen nicht. Häufig ist das Hil-fesystem entweder nicht bekannt, oder es gibt falscheoder unklare Vorstellungen über das Beratungsangebotund die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme. Miteiner bundesweiten Notrufnummer „Gewalt gegenFrauen“ möchten wir die bestehenden Lücken im Hilfe-system schließen. Von Gewalt betroffenen Frauen solldamit ein niedrigschwelliges, gut erreichbares und ano-nymes Erstberatungsangebot gemacht werden. Mit die-sem Projekt soll zwar erst 2012 gestartet werden, aberbereits 2011 wird es erste Ansätze einer Konzeption ge-ben.Eine weitere Frage, die uns bei den Haushaltsberatun-gen stark beschäftigt hat, war, wie es nach der Aufhe-bung der Wehrpflicht mit dem Zivildienst weitergeht.Bei einer so wichtigen Frage wollten wir, die Unions-fraktion, uns aus nachvollziehbaren Gründen innerpar-teilich Unterstützung holen. Die haben wir jetzt. Ichhalte – das sage ich hier auch persönlich sehr deutlich –die Aussetzung der Wehrpflicht aufgrund der veränder-ten sicherheitspolitischen Lage, aus einsatztaktischenGründen und auch mit Blick auf demografische Verän-derungen und die Wehrgerechtigkeit für eine notwendigeEntscheidung. Damit Anschlusslösungen für den Zivil-dienst umgesetzt werden können, haben wir Vorsorgegetroffen und entsprechende Anträge eingebracht. Da-durch erhält das Ministerium die nötige Flexibilität, umauf die Aussetzung zu reagieren, die bei der Haushalts-aufstellung noch nicht absehbar war. Deshalb bin ichdem Familienministerium dankbar, dass schnell Vorstel-lungen für einen freiwilligen Zivildienst erarbeitet wur-den und mit dem Gesetzgebungsverfahren zügig begon-nen werden kann.Meine Damen und Herren, John F. Kennedy hat ein-mal einen sehr klugen Satz gesagt
– hören Sie ruhig zu! –, der auch die Arbeit der christ-lich-liberalen Koalition charakterisiert. John F. Kennedysagte:
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Andreas Mattfeldt
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Einen großen Vorsprung im Leben hat, wer daschon handelt, wo die anderen noch reden.Ich sage Ihnen deutlich: Während Sie von der Opposi-tion noch nicht einmal über die entscheidenden Dingesprechen, haben wir, die christlich-liberale Koalition,das Zepter in die Hand genommen und die notwendigenEntscheidungen getroffen. Ich lade Sie herzlich ein,hieran aktiv mitzuwirken und zukunftsweisend zu arbei-ten, anstatt mal wieder dagegen zu sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von
der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ab dem kommenden Jahr ist die Wehrpflicht ausge-setzt. Die Abschaffung wäre selbstverständlich das Rich-tige gewesen, aber die Wehrpflicht ist nur ausgesetzt.Insofern ist es folgerichtig, dass man auch die Parallel-struktur nicht vollständig abschafft; denn genauso, wieSie die Wehrpflicht jetzt Hals über Kopf ausgesetzt ha-ben, traue ich Ihnen zu, dass Sie sie auch wieder einset-zen.
Insofern ist es notwendig, eine Parallelstruktur aufrecht-zuerhalten,
und insofern kann man auch gut erklären, dass es einenfreiwilligen Zivildienst gibt. Das ist natürlich die Folgeder Aussetzung der Wehrpflicht. Dass Sie diese Strukturaufrechterhalten, ändert nichts daran, dass es in diesemganzen Bereich einen gravierenden Strukturwandel ge-ben wird; das ist ganz klar. Das wird allein dadurch deut-lich, dass Sie die Zahl der Dienststellen von 90 000 auf35 000 reduzieren.Sie haben jetzt natürlich die Chance, ihre eigenen An-sprüche an den Zivildienst zu erfüllen. Sie können jetztzeigen, dass es sich tatsächlich um zusätzliche Stellenund nicht um Billiglohnjobs handelt. Sie haben die Mög-lichkeit, dafür zu sorgen, dass Berufsorientierung undBildungselemente in diesem freiwilligen Zivildienstendlich eine größere Rolle spielen, als das vorher im un-freiwilligen Zivildienst der Fall gewesen ist. Bei allem,was ich positiv an diesem Element zu sehen bereit bin,frage ich mich: Was unterscheidet eigentlich einen west-deutschen Zivildienstleistenden von einem ostdeut-schen?
Warum bekommt der westdeutsche bis zu 324 Euro undder ostdeutsche nur bis zu 273 Euro?
Das sind 16 Prozent Unterschied. 20 Jahre nach derdeutschen Einheit degradieren Sie Ostdeutsche ein wei-teres Mal und geben ihnen 16 Prozent weniger Geld. Da-für sollten Sie sich schämen.
Außerdem mache ich mir jetzt schon Sorgen, was Ih-nen zum freiwilligen Zivildienst noch alles einfällt.Nachdem wir in den letzten Tagen und Wochen immerwieder erfahren durften, wie kreativ Sie bei den Arbeits-losenstatistiken sind, warte ich nur darauf, dass der frei-willige Zivildienst ein freiwilliger Dienst für Arbeitslosewird, damit sie aus der Statistik fallen. Ich hoffe, dassSie das bisher noch nicht in Betracht gezogen haben unddass Sie das auch künftig nicht werden.Wir reden hier über ein hohes Maß an Engagement imFreiwilligenbereich. Das gibt es in dieser Gesellschaftauch woanders, nämlich beim Einsatz für Demokratieund Toleranz, vor allen Dingen beim Kampf gegenRechtsextremismus. Es ist gut, dass bei den Mitteln fürden Kampf gegen Rechtsextremismus in diesem Jahrnicht gespart wird. Viele ambitionierte Projekte, dieüberall im Land große Beachtung finden, sind ein Belegdafür, dass immer wieder gute Arbeit geleistet wird.Selbstverständlich gibt es immer wieder CDU-Land-räte und -Bürgermeister, die sich erfreut bei entsprechen-den Anlässen im Zusammenhang mit solchen Initiativenund Kampagnen zeigen, wo es sich gut macht. Aberlangsam scheinen Ihnen die Interessenten für Ihre neuenProgramme auszugehen. Der Grund dafür ist relativ ein-fach: Die Träger wollen nicht mehr; denn ab sofort ver-langen Sie die Unterschrift unter eine Erklärung, die äu-ßerst problematisch ist. Um es klar zu sagen: Es ist nichtzu viel verlangt, dass sich die Träger von Projekten, diesich aus Steuermitteln finanzieren, zum Grundgesetz be-kennen. Ich kann aber nicht sehen, dass das bisher nichtder Fall war. Künftig soll Folgendes unterschrieben wer-den:Hiermit bestätigen wir, dass wir– uns zu der freiheitlichen demokratischen Grund-ordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennenund– eine den Zielen des Grundgesetzes förderlicheArbeit gewährleisten.Das ist kein Problem. Aber dann geht es weiter:Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wirzudem im Rahmen unserer Möglichkeiten … undauf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen,dass die als Partner ausgewählten Organisationen,
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Steffen Bockhahn
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Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen desGrundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dasskeinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dasseiner Unterstützung extremistischer Strukturendurch die Gewährung materieller oder immateriel-ler Leistungen Vorschub geleistet wird.
So weit, so gut. Unabhängig davon, dass jeder Laie er-kennt, dass das nicht justiziabel ist, verlagern Sie dieVerantwortung auf die Träger. Das ist unglaublich; daskann niemand leisten. Das wissen die Träger, und des-wegen laufen sie Sturm.Im Übrigen gehen Sie dabei von einem hochinteres-santen Linksextremismus-Begriff aus; denn Linksextre-mismus beschreibt Ihrer Meinung nach „Bestrebungenvon Personenzusammenhängen …, die anstelle der be-stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine sozia-listische bzw. kommunistische Gesellschaft … etablie-ren wollen“. Das sind zwar durchaus Dinge, die Sie nichtmögen. Sie sind aber im Zweifel unter bestimmten Be-dingungen sogar vom Grundgesetz gedeckt. Viel drama-tischer ist aber, dass Sie damit Trägern untersagen, nichtnur nicht mit uns, sondern auch nicht mit der SPD zu-sammenzuarbeiten. Sie will auch den demokratischenSozialismus. Aber linksextrem ist sie nicht; das kann ichIhnen versichern.Der entscheidende Punkt ist, dass Sie an der Stelleeine haushalterische Gleichsetzung vornehmen. Sie sa-gen immer: Haushaltspolitik ist in Zahlen gegossenePolitik. Sie setzen Dinge gleich, die nicht gleichzusetzensind. Auch wenn es Ihnen nicht gefallen mag, das immerwieder zu hören: Es hat seit 1990 143 Todesopfer durchrechtsextreme Gewalt gegeben. Es gab aber seit 1990nicht ein einziges Opfer linksextremer Gewalt, HerrToncar. Hören Sie genau hin!
Das mag Ihnen nicht gefallen. Trotzdem sind es die Fak-ten. Sie setzen Dinge gleich, die nicht gleichzusetzensind. Das ist kreuzgefährlich.
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haus-halt 2011 ist unverkennbar ein Sparhaushalt. Es ist einHaushalt, in dem auch schwierige Entscheidungen ge-troffen werden müssen. Der Unterschied zwischen einerRegierung und einer Opposition ist offenkundig, dassdie Regierung anhand von Zahlen konkret belegt, woman spart und wie man den Haushalt konsolidiert, stattallen alles zu versprechen und dann gegen jede einzelneMaßnahme zu sein.
Wir sind davon überzeugt, dass die Schuldenreduzie-rung, die diese Koalition vornimmt und die sie Jahr fürJahr fortsetzen und steigern wird, ein Zukunftsprojektist, das auch im Interesse der jungen Menschen, der Kin-der und der noch gar nicht geborenen Menschen inDeutschland liegt, und dass es nicht zuletzt deshalb Zu-kunftspolitik ist, weil es die Handlungsfähigkeit desStaates auch in den Jahren 2020 und 2030 und in den zu-künftigen Jahrzehnten sichert. Das nutzt niemandemmehr als den jungen Menschen und den künftigen Gene-rationen.
Dieses Spannungsverhältnis spiegelt sich letztenEndes im Haushalt wider. Wir haben auf der einen Seitemit der Qualifizierungsoffensive eine deutliche Schwer-punktsetzung im Etat, auf die wir stolz sind. Das bedeu-tet, dass wir seitens des Bundes freiwillig, weil wir es fürrichtig halten, Kindertagesstätten unterstützen und ihnenmehr Personal für Sprachförderung und die Qualifizie-rung gerade von benachteiligten Kindern ermöglichen.Es geht um kleine Kinder, die in ihren Familien nichtoder nicht ausreichend lernen. Das ist eine wichtige so-zialpolitische Aufgabe. Es dient der Integration und trägtdazu bei, dass die Voraussetzungen dafür geschaffenwerden, dass diese Kinder dann, wenn sie in den Kinder-garten kommen, Kontakte schließen können und späterauch in der Schule mitkommen. Das ist weit wirksamerals viele andere Maßnahmen, die es bisher in der Fami-lienpolitik gegeben hat.
Auf der anderen Seite sind im Zuge dieses Haushaltesund des Haushaltsbegleitgesetzes bzw. des SparpaketsMaßnahmen vorgesehen, die niemandem leichtfallen.Dazu zählen zweifelsohne auch die Einsparungen beimElterngeld. Aber die Haushaltslage erfordert gelegent-lich, dass man sich auch an der einen oder anderen Stellemit solchen Dingen auseinandersetzen muss. Darüber hi-naus möchte ich in Erinnerung rufen, dass das Kinder-geld und die Kinderfreibeträge, die den Kindern in allenAltersgruppen zur Verfügung stehen und zugutekom-men, erhöht worden sind. Das muss man im Zusammen-hang sehen.
Zweifelsohne fällt uns das Thema Elterngeld nichtleicht, ist aber von der Sache her richtig. Es ist übrigenssystemgerecht, dass es auf das Arbeitslosengeld II ange-rechnet wird, ebenso wie die Regelung, die Rot-Grün ein-geführt hat, generell vorsieht, dass alle Einkünfte – egalwoher sie kommen – auf die Leistungen angerechnet wer-den. Das ist gerade eine der zentralen Neuerungen diesesSystems gewesen, und letzten Endes sind die Änderun-gen, die wir hier vornehmen, auch konsequent.
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Florian Toncar
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Es gibt übrigens einen entscheidenden Unterschiedzwischen einer Familie, die Arbeitslosengeld II bezieht,und einer Arbeitnehmerfamilie, die das Elterngeld erhält.Erstere bekommt über das SGB II, über die Jobcenter, ih-ren Bedarf abgedeckt. Der Elternteil, der wegen desElterngeldes pausiert, bekommt hingegen kein Ersatzein-kommen. Aber genau das ist die Funktion des Elterngel-des. Das heißt, da ist nichts anderes vorhanden, was denBedarf abdeckt.
Auch vor diesem Hintergrund glauben wir, dass die Lö-sung, die wir beim Elterngeld gefunden haben, richtigist.Wir haben darüber hinaus bei bestimmten ProjektenEinsparungen vorgenommen. Diese Einsparungen be-treffen keine laufenden Projekte, sondern schränken dieMöglichkeit ein, zukünftig neue Projekte in unterschied-lichen Bereichen anzugehen. Es wird natürlich auch zu-künftig neue Projekte geben, allerdings nicht in demUmfang, den man vielleicht vor zwei oder drei Jahrenhätte vorhersehen können. Das ist der Haushaltslage ge-schuldet und dient mit Sicherheit auch der Reduzierungder Neuverschuldung.Wir haben ein Projekt, das uns als Koalition wichtigist, ganz bewusst neu eingeführt. Das ist – das ist schonvom Kollegen Mattfeldt angesprochen worden – das Hil-fetelefon für Frauen, die von Gewalt betroffen sind.Dieses niedrigschwellige Angebot soll bundesweit einge-führt werden, damit für die Frauen ein Ansprechpartnervorhanden ist. Das ist ein Schwerpunkt, den wir setzenwollen, und dieses Projekt wollen wir in den nächstenJahren etablieren und weiterentwickeln. Das zeigt, dasswir uns auch in Zeiten, in denen gespart werden muss,sehr genau überlegen, welche Schwerpunkte wichtig undsinnvoll sind.
Auf einen Punkt, der auf Kritik gestoßen ist, möchteich noch einmal eingehen. Das ist, Frau Kollegin Ziegler,das Thema Alleinerziehende. Sie haben gesagt, diesenMenschen würde die Eingliederungsleistung gekürzt.Das ist so natürlich nicht richtig. Es ist richtig, dass ge-rade Alleinerziehende Hilfe von den Jobcentern benöti-gen und dass sie in hohem Maße Eingliederungsleistun-gen in Anspruch nehmen. Es ist in der Tat ein traurigesPhänomen, dass für diese Gruppe der Zugang zum Ar-beitsmarkt besonders schwierig ist. Hinsichtlich der Ein-sparungen, die in diesem Bereich stattfinden – das mussman einfach einmal ins richtige Verhältnis setzen –, ist esso, dass wir heute für 3 Millionen Arbeitslose denselbenBetrag für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügungstellen, der 2005 für fast 5 Millionen Arbeitslose zur Ver-fügung stand. Das möchte ich in Erinnerung rufen. Inso-fern steht für die einzelne Person mehr Geld für die Ein-gliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung als nochim Jahr 2005. Das wollen wir auch. Denn wir halten es fürrichtig. Man muss es jedoch klarstellen, damit hier keinefalschen Tatsachen im Raume stehen.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler vonBündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Ministerin Schröder! Wir haben heuteden 25. November. Der 25. November ist der Internatio-nale Tag gegen Gewalt an Frauen, und leider brauchenwir diesen Tag immer noch. Wir finden in diesem Haus-halt endlich Gelder für eine bundesweite Hotline fürFrauen, die von Gewalt betroffen sind. Das finde ich gut,aber dies reicht bei weitem noch nicht aus. Wir brauchenein breites überparteiliches und gesellschaftliches Bünd-nis, um Gewalt gegen Frauen nicht nur heute, sondern anjedem Tag in jedem Monat im ganzen Jahr zu ächten.
Gewalt an Frauen bedeutet beispielsweise Genitalver-stümmelung. Jeden Tag werden 8 000 Mädchen Opfervon Genitalverstümmelung. Gewalt gegen Frauen bedeu-tet aber auch Gewalt, die zu Hause stattfindet. Noch im-mer ist das eigene Heim der gefährlichste Ort für Frauen,und das ist unabhängig von Bildung, Einkommen, Alteroder Religionszugehörigkeit. Inzwischen ist jede vierteFrau Opfer von häuslicher Gewalt. Ich finde, kein Mannhat das Recht, eine Frau zu schlagen, und niemand hat dasRecht, dabei wegzuschauen.
In den letzten Wochen, Frau Schröder, haben Sie mitmarkigen Sprüchen vor einer sogenannten Deutschen-feindlichkeit gewarnt. Um es ganz klar zu sagen, damitkeine Missverständnisse aufkommen: Wir Grüne sind ge-gen Mobbing und Gewalt gegen Menschen; das habenwir immer klar betont. Dazu stehen wir auch. Aber in die-sem Diskurs geht es darum ausdrücklich nicht. Auf un-sere Frage, auf welche Erkenntnisse und Studien Sie sichdenn bei dieser sogenannten Deutschenfeindlichkeit stüt-zen, kam nicht viel von Ihrem Ministerium. Sie haben un-ter anderem auf die GEW und das Kriminologische For-schungsinstitut Niedersachsen verwiesen. Interessant istallerdings, dass sich sowohl die GEW als auch das Institutklar und eindeutig von Ihnen und Ihrem Diskurs um diesogenannte Deutschenfeindlichkeit distanzieren. Es istschon eine ganz peinliche Nummer, dass Sie keinerlei Be-lege für Ihre Phantomdebatte vorweisen können.
Das ist aber auch logisch. Wer sich einmal mit Criti-cal Whiteness, also kritischer Weißseinsforschung, be-
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Sven-Christian Kindler
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fasst hat, weiß, dass Angehörige der weißen deutschenMehrheitsgesellschaft keinem strukturellen Rassismusausgesetzt sind. Gerade Menschen mit Migrationsge-schichte und nichtweiße Deutsche werden auf dem Ar-beitsmarkt und im Bildungssystem diskriminiert. Gegendiese strukturelle Diskriminierung, gegen diese Aus-grenzung müssen wir gezielt vorgehen.
Trotzdem befeuern Sie, Frau Schröder, wider besseresWissen wieder diese Scheindebatte. Mir ist auch klar,warum Sie das machen, worum es hier geht. Der Bankerund Politiker Thilo Sarrazin hat ein Buch veröffentlicht,in dem er sein rassistisches Weltbild aufgeschrieben hat.In der Folge haben wir eine eklige, unsägliche und zumTeil rassistische Debatte über Einwanderung und Inte-gration in Deutschland erlebt. Zeitgleich mit Ihren Be-hauptungen von der Deutschenfeindlichkeit hat dieFriedrich-Ebert-Stiftung eine wertvolle Studie vorgelegt,in der sie klar zeigt, dass Antisemitismus, Rassismus undIslamfeindlichkeit nicht nur bei Nazis, sondern auch ins-besondere in der Mitte der Gesellschaft vorkommen.Von diesen Erkenntnissen, von diesem Rassismus derMitte wollen Sie, Frau Schröder, mit Ihrem rechten Ak-tionismus und Ihrer Scheindebatte ablenken. Sie machengezielt Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten.Ich finde, das ist unverantwortlich, weil Sie damit dieGesellschaft spalten.
Weil Sie eben nicht über Rassismus in der Mitte derGesellschaft sprechen wollen, versuchen Sie, Menschen,die sich gegen Nazis, aber auch gegen gesellschaftlichenRassismus engagieren, zu diskreditieren. Mit Ihrem pseu-dowissenschaftlichen und gefährlichen Extremismus-ansatz wird bewusst gruppenbezogene Menschenfeind-lichkeit in der Mitte der Gesellschaft verharmlost. Damitwird auch Neonazigewalt verharmlost und werden antifa-schistische Initiativen diskreditiert. Deswegen finde iches besonders mutig und außerordentlich bewundernswert,dass die Initiative AKuBiZ in Pirna den sächsischen De-mokratiepreis abgelehnt hat, weil sie keine Extremismus-erklärung unterschreiben wollte. Darum geht es: Wirbrauchen keine Scheindebatte über Extremismus, son-dern müssen Menschen stärken, die sich gegen Nazis,Rassismus und Antisemitismus zur Wehr setzen.
Frau Schröder, Sie machen auch Politik gegen Femi-nistinnen und profilieren sich als Antifeministin. In derGleichstellungspolitik haben Sie bisher nichts vorge-legt. Das Gleiche gilt für die Frauenpolitik. Stattdessenäußern Sie sich gerne in Interviews, so auch im Spiegel,und sagen unter anderem zu den Lohnunterschieden beiMännern und Frauen: Die Frauen sind selbst schuld. Siekönnen ja etwas anderes studieren. – Das finde ich wirk-lich unglaublich. Anstatt die himmelschreiende Unge-rechtigkeit bei den Löhnen zu kritisieren, verteidigen Siedie herrschenden Zustände. Dabei ist doch völlig klar:Wir brauchen endlich gleichen Lohn für gleichwertigeArbeit.
Eine Frauenquote für Aufsichtsräte bezeichnen Sie als„Kapitulation der Politik“. Es ist schon bezeichnend,dass Sie beim Thema Quote noch rückständiger sind alsdie CSU, Frau Schröder.
Nun gut, ich kann verstehen, dass ein CDU-Finanz-minister oder ein CSU-Verkehrsminister keine Frauen-politik macht und nicht für Feminismus streitet. Das istnicht toll, aber das war nicht anders zu erwarten. Dassaber die zuständige Ministerin für Frauenpolitik eine sodreiste Retropolitik gegen die Gleichstellung macht, daszeugt wirklich von Arbeitsverweigerung und zeigt, dassSie die falsche Frau für dieses Ministerium sind.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. KristinaSchröder.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esmangelt im Einzelplan 17 nicht an interessanten Zahlen.Die familienpolitische Debatte der letzten Wochen hataber eine Zahl bestimmt, die überhaupt nicht in unseremHaushalt steht, nämlich die Zahl 17 402. Es sind nämlichim Jahr 2009 17 402 Kinder weniger geboren wordenals 2008.Diesen Rückgang der Geburtenzahl nehmen vielezum Anlass, familienpolitische Leistungen für geschei-tert zu erklären. Damit stellen sie den Sinn und Zweck fa-milienpolitischer Leistungen generell infrage. Ich sage,dass diese Argumentation ebenso schlicht wie gefährlichist; denn damit wird Familienpolitik ausschließlich zurBevölkerungspolitik degradiert. Ich hoffe, dass wir unsbei allem Dissens, den wir hier natürlich haben,
in diesem Punkt einig sind, nämlich dass die Antwort aufdie Frage, ob Familienpolitik wirkt, sich nicht an Statis-tiken wie der Geburtenrate ablesen lässt.
Die Antwort auf die Frage, ob sich Mütter bei derVereinbarkeit von Familie und Beruf zerreißen, ob VäterZeit mit ihren Kindern verbringen, ob wir in Unterneh-
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Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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men zunehmend eine Kultur haben, die Respekt vor pri-vaten Verpflichtungen hat, kann man nicht an der Gebur-tenrate ablesen.
Die Antwort auf diese Fragen ist aber für den gesell-schaftlichen Zusammenhalt und die Lebensqualität vonFamilien essenziell.
Deshalb sollten wir hier feststellen: Das Elterngeld istkeine Gebärprämie.
– Ich habe nie behauptet, dass das von Ihnen kommt. Re-gen Sie sich doch einmal ab! – Das Elterngeld ermög-licht vielmehr Familien, im ersten Jahr nach der Geburtdas zu tun, was sie sich am sehnlichsten wünschen, näm-lich dass Mütter und Väter Zeit mit ihren Kindern ver-bringen können.
Ich danke allen, die in den parlamentarischen Beratun-gen dazu beigetragen haben, dass Familienpolitik in die-sem Geist gemacht wird. Ich danke den Mitgliedern desFamilienausschusses, den Berichterstattern Herrn Bockhahn,Herrn Mattfeldt, Herrn Toncar, Herrn Schwanitz undHerrn Kindler.Ich denke, dass man sagen kann, dass die Veränderun-gen, die gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vorge-nommen wurden, vor allen Dingen Familien mit kleinenEinkommen zugutekommen; denn wir haben beimElterngeld Sonderregelungen für Minijobber und Auf-stocker gefunden, wie ich das am Anfang des Gesetzge-bungsverfahrens zugesagt habe.
Die pauschal besteuerten Einkünfte – das betrifft vor al-lem die Minijobber – werden auch in Zukunft bei derBerechnung des Elterngelds voll einbezogen. Eltern, dieArbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag be-kommen, aber vor der Geburt eines Kindes als Aufsto-cker gearbeitet haben, bekommen weiterhin Elterngeld.Das heißt, derjenige, der vor der Geburt des Kindes gear-beitet hat, steht besser da als der, der nicht gearbeitet hat.Das ist richtig; denn Arbeit schafft Zukunftsperspektivenfür Eltern und Kinder, und das wollen wir unterstützen.
Zukunftsperspektiven schafft auch die zweite Ände-rung, die wir durchgesetzt haben. Ich habe durchgesetzt,dass im Rahmen der Anpassung der Hartz-IV-Regelsätzeauch Kinder von Geringverdienern Anspruch auf dasBildungs- und Teilhabepaket haben. Obwohl uns dasBundesverfassungsgericht das nicht vorgeschrieben hat,geben wir dafür 98 Millionen Euro aus. Davon profitie-ren 300 000 Kinder in Deutschland, deren Eltern denKinderzuschlag bekommen. Diese Kinder haben zukünf-tig genauso wie die Kinder im Hartz-IV-Bezug einenAnspruch auf Nachhilfe, auf Schulausflüge und auf dasMittagessen in Kindergärten und Schulen. Das sichertHunderttausenden Kindern faire Chancen. Es ist ein Si-gnal an die Kinder: Du bist mit dabei. Das ist ein Signalan die Eltern, die für geringes Einkommen hart arbeiten,dass ihr Fleiß sich lohnt.
Dies entspricht auch dem Menschenbild von Unionund FDP. Wir wollen nämlich keinen Staat, der dieSchwachen quasi dauerhaft abschreibt und sagt, ihr be-kommt staatliche Almosen und damit ist es gut, sondernwir wollen einen Staat, der Chancen sichert. Deshalbmüssen wir bei den Bildungschancen der Kindern anfan-gen, und das tun wir hiermit.
Deshalb ist auch die Offensive „Frühe Chancen“ sowichtig. Im Rahmen der Offensive „Frühe Chancen“– Herr Mattfeldt und Herr Toncar haben es schon er-wähnt – haben wir 4 000 Stellen für die Sprachförde-rung geschaffen.
Jetzt sagen Sie: Alles ganz toll, aber Peanuts. Ichkann Ihnen nur sagen: Es haben sich schon über1 000 Kitas aus ganz Deutschland um diese Stellen be-worben. Alle 16 Bundesländer – unabhängig von derPartei, von der sie regiert werden – haben die Koopera-tionsvereinbarung unterschrieben. Sie machen mit. Viel-leicht ist das auch einmal ein Hinweis an die Opposition:Man muss nicht immer nur stupide krakeelen und allesschlecht finden. Vielleicht ist es, wenn es um die Chan-cen unserer Kinder geht, auch einmal angesagt, auf die-sem Gebiet zusammenzuarbeiten, meine Damen undHerren.
Faire Chancen brauchen Menschen, die sich Zeit fürVerantwortung nehmen. Damit komme ich zum Geset-zesentwurf für den Bundesfreiwilligendienst. Dasdrückt sich im Haushalt nur andeutungsweise aus; aberdieser Gesetzentwurf wurde vorgelegt. Herr Bockhahn,Sie haben es angesprochen: In der Tat ist in diesem Refe-rentenentwurf noch eine unterschiedliche Bezahlung fürOst und West vorgesehen. Wir orientieren uns dabei anden Ländern, die seit Jahren im FSJ und im FÖJ unter-schiedliche Höchstgrenzen haben. Ich aber sage: Ich willalles dafür tun, dass wir hier eine gleiche Bezahlung– sowohl bei den Zuschüssen als auch bei den Taschen-geldern – für den Osten wie für den Westen hinbekom-men.
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8304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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Zeit für Verantwortung ist natürlich auch das Themain der Arbeitswelt. Hier leistet das Elterngeld einen ent-scheidenden Beitrag, weil es Eltern ermöglicht, eine Zeitlang zu pausieren, und weil es ihnen die Möglichkeitgibt, gemeinsam und partnerschaftlich Verantwortungfür ihre Kinder zu übernehmen. Auch Väter wollen dieseVerantwortung übernehmen. Sie fordern das auch immermehr bei ihren Arbeitgebern ein. Auch wenn mir klar ist,dass die Väter immer noch kürzere Zeiten als die Mütternehmen, ist das dennoch ein Riesenfortschritt, denn dasführt auch zu einem Wandel in der Arbeitswelt.
Diesen Wandel in der Arbeitswelt brauchen wir. Denn esist doch richtig: In der Arbeitswelt, gerade auch in denFührungsetagen, ist das immer noch stark auf Männer– oder, anders ausgedrückt, auf Menschen, die die Ver-antwortung für Familie delegieren können – zugeschnit-ten. Deswegen haben wir in der Tat das klassische Mus-ter bei den Menschen, die zwischen 30 und 40 Jahre altsind. Der Mann nimmt zwei, drei Karriereschritte aufeinmal, die Frau macht zwei, drei Jobs auf einmal: Kin-dererziehung, Haushalt und Berufstätigkeit. Die Ursa-chen hierfür sind Rollenverteilungen in den Familien,aber eben auch die Strukturen in der Arbeitswelt.An beiden Punkten setzt das Elterngeld an. Sie kön-nen den Erfolg auf Spielplätzen, in Arztpraxen und beiElternabenden sehen. Überall sehen Sie immer mehr Vä-ter, und immer mehr Unternehmen setzen sich für einefamilienfreundliche Arbeitskultur und Wiedereinstiegein.
Deswegen haben wir mit dem Elterngeld so viel er-reicht. Es ist ganz klar: Die Arbeitswelt muss familien-freundlicher werden, damit unsere Gesellschaft fami-lienfreundlicher wird. Wir dürfen nicht weiter fragen,wie sich Familie ändern muss, um an die Arbeitswelt an-gepasst zu sein, sondern wir müssen die Arbeitswelt denBedürfnissen von Familien anpassen. Hier ist das Eltern-geld ein ganz wichtiger Ansatz.
Das spiegelt sich im Einzelplan 17 wider. Deshalb sinddie 4,4 Milliarden, die wir für das Elterngeld ausgeben,gut angelegtes Geld, denn sie erreichen ihren Zweck so-wohl familienpolitisch als auch gleichstellungspolitisch.
Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Ministerin Schröder, ich will Ihnen, aberauch den Mitarbeitern des Hauses zuallererst für die Zu-sammenarbeit in den Haushaltsberatungen danken. Dashat noch keiner hier getan. Deswegen will ich das ma-chen. Das ist das eine.Die Kritik an Ihrem Haushaltsentwurf ist das andere.Dazu gibt es allen Grund. Ich will aus Ihrer Rede nur ei-nen Punkt aufgreifen, der mich in besonderer Art undWeise berührt. Was soll es heißen, Sie setzen sich dafürein, dass es beim Bundesfreiwilligendienst dasselbe Ta-schengeld gibt? Das ist Ihr Gesetzentwurf; den haben Sievorgestellt.
Dann legen Sie gefälligst einen anderen vor!Meine Damen und Herren, nur selten war ein Haus-haltsentwurf so sehr ein Spiegelbild für den Fehlstart ei-ner neuen Ministerin.
Dafür gibt es viele Gründe. Ich will mich bloß auf dreiFelder konzentrieren.Das erste Feld ist, Frau Ministerin Schröder, wie Siein die Aufstellung und in die Beratung dieses Haushalteshineingegangen sind. Während Sie vorn Ihren Einzel-plan 17 als Steinbruch für die Haushaltskonsolidierungangeboten haben – Stichwort Elterngeld –, fliegt Ihnenhinten an vielen Stellen in Ihrem Einzelplan alles um dieOhren, weil schlicht und einfach das Geld fehlt. Ichnenne dafür einmal drei Beispiele:Erstes Beispiel: Begonnen hat alles mit der Aufstel-lung des Haushaltes 2010; daran erinnere ich noch ein-mal. Als wir über den Haushalt 2010 in der Bereini-gungssitzung im März dieses Jahres geredet haben,wurde eine globale Minderausgabe beim Bundesamtfür Zivildienst eingebracht. Es sollten Gelder in Höhevon 14,2 Millionen Euro eingespart werden. Das wurdeheftig kritisiert, auch hier im Plenum, weil diese Minder-ausgabe mit zurückgehenden Zahlen bei den Zivildienst-leistenden begründet wurde. Wir haben gesagt, das istschiefe Informationspolitik; denn darüber ist nie geredetworden. Nun gibt es einen Brief von Ihnen, den dasBMF dem Haushaltsausschuss vorgelegt hat. In diesemgeht es nicht um die Einsparung in Höhe von 14,2 Mil-lionen Euro, sondern in diesem bitten Sie, Frau Ministe-rin, den Haushaltsausschuss, in der nächsten WocheMehrausgaben in Höhe von 38 Millionen Euro über Planwegen höherer Zivildienstzahlen zu genehmigen. Das istdie Situation: Sieben Monate hat es seit dieser März-Ak-tion gedauert, bis Sie hier quasi einen Offenbarungseidleisten mussten.
Zweites Beispiel: Bildungs- und Teilhabepaket fürFamilien mit Kinderzuschlag. Hier treten nach demHaushaltsentwurf in 2011 und 2012 Mehrkosten in Höhe
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Rolf Schwanitz
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von jeweils 60 Millionen Euro auf. Für diese gibt es fak-tisch keine Deckung. Das heißt, das ist eine Leistung, diein diesem Haushalt auf Pump finanziert wird.Drittes Beispiel: Kinderregelbedarfe bei Hartz-IV-Familien. Hier ist laut dem Gesetzentwurf im Einzel-plan 17 nicht nur die Summe von 98 Millionen Euro fürdie Grundkosten zu finanzieren, sondern laut dem Ge-setzentwurf fallen weitere Mehrkosten durch eine Verän-derung der Erwerbstätigenfreibeträge beim Kinderzu-schlag in Höhe von 25 Millionen Euro an. Das ist schlichtund einfach in 2011 nicht etatisiert, also quasi vergessenworden. Ich sage einmal voraus: Es wird wenige Monatedauern, und dann werden Sie im Haushaltsausschuss eineüberplanmäßige Ausgabe hierfür beantragen.Dies alles hat mit Haushaltswahrheit und Haushalts-klarheit überhaupt nichts mehr zu tun.
Sie geben vorn die Einsparministerin, und hinten fliegtIhnen der ganze Etat um die Ohren.
Das ist nichts anderes als ein Komplettversagen in denHaushaltsberatungen. Das ist das Erste, was ich Ihnenvorhalte.Das zweite Feld, das ich ansprechen möchte, ist diePrävention gegen Rechtsextremismus. Auch das, washier geschieht, ist aus meiner Sicht ein Spiegelbild füreinen glatten Fehlstart. Sie haben gegen allen Rat diedrei Präventionstitel zusammengeworfen und stellen nunmit Ihrer Verfassungstreueerklärung alle Initiativen ge-gen rechts quasi unter Extremismusverdacht. Zugleichstampfen Sie Projekte gegen Linksextremismus aus demBoden, deren Sinnhaftigkeit wirklich bezweifelt werdenmuss.Ein Beispiel will ich nennen: Ihr ParlamentarischerStaatssekretär, Herr Kues, hat uns am 15. Novemberschriftlich informiert, welche Projekte das sind und dassein Projekt mit der Bezeichnung „Wir fahren nach Ber-lin!“ auch von der Jungen Union getragen wird.
Ein Blick auf die Homepage der Jungen Union in Kölnkann da weitere interessante Details vermitteln. Ich zi-tiere:Kurzfristig können wir allen JUlern aus Köln undUmgebung noch für dieses Jahr eine Fahrt nachBerlin anbieten. Unter dem Oberthema „Links-extremismus“ werden wir u. a. beim CheckpointCharlie vorbeischauen, uns mit unseren KölnerBundestagsabgeordneten austauschen und mit un-seren Freunden des JU-Deutschlandrates im Felixfeiern.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nochnicht einmal wusste, was das „Felix“ ist. Ich darf deshalbvon der Homepage des „Felix“ zitieren:… eine einzigartige Symbiose für anspruchsvollesClubbing, denn das FELIX ClubRestaurant ist einOrt, an dem man sehen und gesehen werden möchteund in pulsierender Clubatmosphäre elegant undausgelassen feiert.
Den Initiativen gegen Rechtsextremismus Knüppel zwi-schen die Beine werfen und gleichzeitig unter demOberthema „Linksextremismus“ Vergnügungsreisen derJungen Union finanzieren: Wenn so Ihre Extremis-musprävention aussieht, dann sollten Sie aufhören.
Ich will zum Schluss noch ein Wort zu Ihrer Qualifi-zierungsoffensive sagen. Wir schelten Sie nicht für dasZiel dieser Initiative; denn frühkindliche Bildung, nochdazu in den Kindertagesstätten, ist ein wichtiges Thema.Aber dass Sie das gescheiterte Instrument des Modell-projekts, dessen sich Ihre Amtsvorgängerin beim Besuchvon Mehrgenerationenhäusern wohl eher wegen Fototer-minen bedient hat, benutzen, das ist fahrlässig. Dassollte man bei einem Kernthema Ihres Hauses nicht tun.Wenn Sie von dieser Idee nicht Abstand nehmen undnicht versuchen, nachhaltige Strukturen zu schaffen,dann wird auch dieses Projekt zum Scheitern verurteiltsein.Herzlichen Dank.
Florian Bernschneider von der FDP-Fraktion ist der
nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Aussetzung der Wehrpflicht, der Verzicht aufden Zivildienst und damit auch ein engagementpoliti-scher historischer Wandel stehen unmittelbar bevor.Diese Koalition setzt zukünftig auf Freiwilligkeit anstattauf Pflichtdienste. Ich kann Ihnen versichern, auch mirals Liberalem kann es gar nicht schnell genug gehen,diesen Wandel zu vollziehen. Schließlich haben geradeSPD und Grüne wichtige Regierungsjahre verpasst, umdiesen Wandel endlich anzupacken.
Dieser Haushalt kann nur das abbilden, was die aktu-elle Gesetzeslage ist. Mit ihm kann die Aussetzung der
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Florian Bernschneider
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Wehrpflicht vorbereitet werden. Durch ihn kann sie na-türlich noch nicht vollzogen werden. Es freut mich zwar,dass die SPD mit ihrem Änderungsantrag zum Ausdruckbringt, dass sie unser Konzept der Stärkung der Freiwil-ligendienste anscheinend so gut findet, dass sie amliebsten schon jetzt die Mittel dafür einstellen will.Trotzdem sollte man dem Weg folgen, erst die gesetzli-chen Grundlagen zu schaffen und dann die Mittel imHaushalt bereitzustellen. Das empfiehlt sich.Klar ist auch: Noch bevor wir den Haushalt auf diesenwichtigen Wandel vorbereiten, müssen wir die Trägerund die Einsatzstellen vor Ort darauf einstellen. Deswe-gen war es wichtig und richtig, dass die Koalition in dervergangenen Woche ihre Eckpunkte zu der Reform desfreiwilligen Engagements vorgestellt hat. Ich glaube,dass sich diese Eckpunkte sehen lassen können. Es solleinen Förderzuwachs von 72 Euro auf 200 Euro beimFSJ – und nicht nur da, sondern bei allen Freiwilligen-diensten – geben. Damit machen wir endlich Schluss mitder Unübersichtlichkeit der verschiedenen Fördersätze.Zukünftig stehen FSJ Kultur, FSJ Sport, das klassischeFSJ und das FÖJ für Vielfalt, und 200 Euro Förderpau-schale stehen für Klarheit in den Strukturen.Jugendliche mit besonderem pädagogischen Förder-bedarf erhalten zusätzlich 50 Euro Förderung. Wir ermu-tigen gerade kleinere Träger von Integrationsprojekten,sich bei den Freiwilligendiensten zu engagieren. DerVorwurf der SPD, wir sparten bei der Integration, ist un-begründet. Gleichzeitig heben wir die Kontingentierungder Platzzahlen auf und sorgen damit für den größtenquantitativen wie qualitativen Zuwachs in der Ge-schichte der klassischen Freiwilligendienste.Daneben bauen wir mit dem Bundesfreiwilligen-dienst eine zweite Säule auf. Sie erklären jetzt, dass Sieeine Konkurrenz zwischen dem Bundesfreiwilligen-dienst und den klassischen Freiwilligendiensten befürch-ten. Diese Befürchtung kann ich durchaus nachvollzie-hen. Auch wir von der FDP haben von Beginn an gesagt:Das darf nicht passieren; der neue Bundesfreiwilligen-dienst darf die bisherigen Freiwilligendienste nicht in ih-rer Existenz bedrohen.Wenn Sie sich die Eckpunkte anschauen, dann wer-den Sie feststellen, dass das nicht passiert, nicht nur, weilwir mit dem Kopplungsmodell einen Bestandsschutz füralle bestehenden Plätze schaffen, sondern auch, weil wirexakt die gleichen Rahmenbedingungen bieten. Ganzgleich, ob man Bundesfreiwilligendienstleistender oderFSJler ist: Beide haben am Monatsende netto das Glei-che in der Tasche; da sind die unterschiedlichen Ansprü-che auf Kindergeld schon eingerechnet. Ganz gleich, inwelcher Säule sich die Freiwilligen bewegen: Alle habenden Anspruch auf 25 Bildungstage im Jahr, den gleichenUrlaubsanspruch und die gleiche Arbeitszeit.Wir schaffen damit 70 000 Freiwilligendienstplätzeund investieren 300 Millionen Euro mehr für freiwilligesEngagement in diesem Land. Trotzdem bleiben die Grü-nen bei ihrer bewährten Linie: Sie sind dagegen.
– Ja, natürlich muss das kommen. Lieber Sven-ChristianKindler, ich bin nicht einmal böse, dass die Grünen die-ses Mal dagegen sind; denn das beweist tatsächlich, werin diesem Land für Freiwilligendienste und bürger-schaftliches Engagement steht: nicht die Grünen, son-dern diese Koalition.
Ich will etwas zur Extremismusprävention sagen;das wurde immer wieder heiß diskutiert. Ich will dieKollegen daran erinnern, dass es immer wieder hieß, wirwürden bei der Bekämpfung von Rechtsextremismussparen, um gegen Linksextremismus vorzugehen.
– Doch, Herr Bockhahn, das haben Sie hier im Plenumgesagt.
– Ich zeige Ihnen das gerne im Anschluss. –
Dieser Haushalt beweist, dass es nicht so ist. Wir erwei-tern den Blick auf andere Extremismusformen; aber wirerhöhen auch die entsprechenden Mittel. Ich weiß, dassSie alle nicht gern über Linksextremismus reden. Geradein diesen Tagen müssen Sie jedoch der Regierung rechtgeben, dass es ein richtiger Weg war, auch in der Fragedes religiösen Extremismus frühzeitig auf Prävention zusetzen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
– Nein. – Das Wort hat jetzt der Kollege Wunderlichvon der Fraktion Die Linke.
– Nein, Entschuldigung. Das Wort hat der KollegeWunderlich.
– Das ist vorbei.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerEinzelplan 17 des Haushaltes ist im Grunde beschä-mend. Zwar wird nun seitens der Regierung ständig ver-sucht, zu erklären, dass eigentlich alle Maßnahmen tollsind, wir aber sparen müssen. Dabei übersieht die Regie-rung allerdings, dass diejenigen, die am Monatsendenichts mehr im Portemonnaie haben, nicht in der Lagesind, zu sparen. Genau bei denen langt die Regierung zu.Nehmen wir als Beispiel die Kürzungen beim Eltern-geld. Ursprünglich wurde über einen Zeitraum von zweiJahren das Erziehungsgeld gezahlt, damals in Höhe von600 DM monatlich und bei Sozialleistungsbezug anrech-nungsfrei. Dies hatte den Grund, dass durch den Nach-wuchs verursachte finanzielle Mehrbelastungen der Fa-milien abgefedert werden sollten. Ab einer gewissenEinkommensgrenze gab es nichts mehr; denn man ver-diente – damals noch – genug.Das Erziehungsgeld wurde dann vom Elterngeld ab-gelöst, welches als Lohnersatzleistung ausgelegt war. Esging auch darum, dass die Akademikerinnen mehr Kin-der bekommen sollten. Dann kamen Bedenken auf: Wasist mit dem sozialen Aspekt? Er fällt ja völlig weg. –Dann kam man auf die Idee, einen Sockelbetrag von300 Euro einzuführen, den jeder bekommen sollte. Da-durch gab es einen sozialen Ausgleich; der soziale As-pekt war berücksichtigt. Immerhin war es eine Kürzungum nur 50 Prozent: Das Erziehungsgeld gab es für zweiJahre, das Elterngeld für nur ein Jahr.Inzwischen hat die Regierung festgestellt – Sie habendas angeführt –, dass die Zahlung des Sockelbetrags anErwerbslose eigentlich systemwidrig ist und deshalb vollauf die Transferleistung anzurechnen ist. So etwas gab esbeim Erziehungsgeld nicht. Im Klartext heißt das: Fami-lien, denen früher aus sozialpolitischen Gründen Mittelbewilligt worden sind, wird jetzt alles weggenommen.Auch das Argument, es gebe ja Sonderzahlungen fürdie Erstlingsausstattung und einen eigenen Bedarfssatz,darf doch nicht zählen. Wie ist es denn mit einer Beam-tengattin? Sie bringt ein Kind zur Welt, es gibt eine Ein-malzahlung wegen der Geburt, einen erhöhten Familien-zuschlag und das Kindergeld, das beim Arbeitslosenangerechnet wird. Sind diese Mehrkosten etwa den Steu-erzahlern zuzumuten? Da wird nicht gestrichen.Ihre Scheinargumentation hinkt doch: Sie präsentie-ren Beispielrechnungen für Familien, in denen die Elterneiner Erwerbstätigkeit nachgehen, und sagen, sie müss-ten soundso viel verdienen, um auf den entsprechendenBetrag zu kommen. Zahlen Sie anständige Mindest-löhne, dann hat sich dieses Argument erledigt.
Aber das will diese sich selbst christlich-liberal nen-nende Regierung gerade nicht. Lieber will sie nicht exis-tenzsichernde Löhne und ein Existenzminimum, dasnoch darunter liegt. Das nenne ich Sozialraub in Raten,und das ist gemeinsam mit der Linken nicht zu machen.
Die Eltern, die noch ein Restvertrauen in diese Regie-rung hatten und die Auszahlung des Elterngeldes aufzwei Jahre gestreckt haben, sollen ab Januar 2011 nichtsmehr bekommen. Nach Aussage der Regierung gibt esda keinen Vertrauensschutz. Diese Eltern müssen jetztdie sofortige Auszahlung beantragen, und sie muss auchnoch in diesem Jahr erfolgen, weil das Geld sonst wegist. Das nennen Sie Verantwortung für die Zukunft? Wel-che Eltern sollen in Zukunft noch Vertrauen in Sie ha-ben?Frau Gruß hat in der Novemberausgabe der Zeit-schrift des Zukunftsforums Familie e. V. gesagt – ich zi-tiere –:Die Familienpolitik der christlich-liberalen Koali-tion ist vor allem eines: treffsicher.Da hat sie recht. Treffsicher ist sie. Sie trifft die Fami-lien, die Solidarität und Unterstützung brauchen, beson-ders hart. Zielgerichtete, treffsichere Politik, aber nichtim Sinne der Familien.
Frau Bär hat in der Novemberausgabe dieser Zeit-schrift von furioser Familienpolitik gesprochen. Da kannich ihr auch nur beipflichten. „Furios“ bedeutet unter an-derem bärbeißig. Ein anderes Synonym für „furios“ ist„enthemmt“. Die Kürzungspolitik dieser Koalition beiden Ärmsten der Gesellschaft ist wirklich hemmungslos.Das angeführte Argument der Generationengerechtig-keit hat sich spätestens seit den Beschlüssen über dieVerlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken erle-digt.
Generationengerechtigkeit gibt es nur dann, wenn es die-ser Koalition in den Kram passt. Das ist die Politik die-ser Regierung.Es wird in frühkindliche Bildung investiert. Das ist jaganz schön. Auf der anderen Seite kommt von CDU-re-gierten Ländern aber der Vorschlag, Flüchtlingsfami-lien abzuschieben, wenn die Kinder in der Schule keineLeistung bringen. Wo ist da Frau Schröder? Wie bringtsie sich in solche Debatten ein? Was ist das für eine Kin-der- und Familienpolitik, die eine solche Entscheidungauf die Schultern der Kinder legt? Was macht unsere Fa-milienministerin? Dazu ist kaum etwas von ihr zu hören.Man sieht nichts von ihr, man hört nichts von ihr. Wennsie sich mal zu Wort meldet, denke ich: Wir können frohsein, dass sie so selten aktiv ist. Wenn sie behauptet, dieKürzungsorgie sei nicht Konsolidierung auf Kosten derKinder, sondern für die Kinder, dann muss sie sich schondie Frage stellen lassen, ob sie überhaupt weiß, für wensie in der Regierung ist.Familienpolitische Debatten finden eher trotz als we-gen ihr statt. Weiterhin leben in Deutschland MillionenKinder unterhalb der Armutsgrenze. Danke für diesechristlich-liberale, treffsichere Politik, Frau Ministerin!Zurück zum Elterngeld. Die Linke möchte entspre-chend ihrem Antrag das Elterngeld sozial und gerecht
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Jörn Wunderlich
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ausgestalten. Heute kam schon die Frage, woher dasGeld dafür kommen soll. Woher kommt das Geld, damitman die Kürzungen nicht durchführen muss? DieseFrage stellt sich natürlich. Aber warum wurde dieseFrage nicht gestellt, als unser guter KriegsministerGuttenberg vor wenigen Tagen 500 Millionen Euro Zu-schuss für den Airbus A400M lockergemacht hat?
Kein Mensch fragt danach, woher diese 500 Millio-nen Euro kommen. Für die Rüstungsindustrie ist Geldda. Solche Zeiten hatten wir schon einmal. Ich hatte ge-hofft, sie wären vorbei. Diese Haushaltspolitik wird je-denfalls von der Linken nicht mitgetragen.
– Frau Bär, es ist mir klar, dass Sie das nicht hören wol-len.
Wir möchten lieber in die Zukunft unserer Kinder in-vestieren und nicht in Rüstung und Kriege.
Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz von
Bündnis 90/Die Grünen.
Irgendetwas muss ich falsch machen. – Herr Präsi-dent! Liebe Dorothee Bär, ich würde dich jetzt gerne er-freuen, aber ich muss leider sagen: Ich bin von der Rededer Ministerin ein bisschen enttäuscht.
Ich will auch sagen, warum: Wir leben in einer Ge-sellschaft, in einer Zeit, in der wir in der Politik über dasAuseinanderdriften der Milieus reden. Wir reden überKinderarmut. Wir reden darüber, dass Frauen, die auf-steigen wollen, nicht aufsteigen können, weil sie an diegläserne Decke stoßen. Wir reden darüber, dass Frauenbei gleichwertiger Arbeit und gleicher Qualifikationnicht den gleichen Lohn erhalten. Wir reden über Gewaltin der Familie und über sexuellen Missbrauch. Wir redenüber die Herausforderungen einer sich entwickelndenGesellschaft, aber ich habe eine Ministerin erlebt, die aufall diese Fragen keine einzige Antwort gegeben hat.
In einem Punkt war sie allerdings Musterschülerin.Als es darum ging, ihren Haushalt, der einer der kleins-ten ist, und damit ihre Klientel zu verteidigen, ist sie alsAllererste herausgerannt und hat Kürzungsvorschlägegemacht. Da war sie eine Musterschülerin, aber nicht un-bedingt im Sinne ihres Amtes.
Herr Mattfeldt, Sie irren sich, wenn Sie glauben, dasElterngeld sei nur eine Lohnersatzleistung. Es ist aucheine Leistung, um eine Schonzeit im ersten Jahr nach derGeburt zu ermöglichen.
Diese Schonzeit muss für Menschen mit und ohne Geldgelten; denn sie ist an die Geburt des Kindes gebunden.Erklären Sie mir einmal, warum jemandem, derALG II bekommt, diese Schonzeit, nur weil er wenigGeld hat, nicht zugestanden wird im Gegensatz zu je-mandem, der viel verdient und der den Kinderfreibetragausnutzen kann. Wer viel verdient, bekommt nämlichmonatlich bis zu 90 Euro mehr Kindergeld und bis zu600 Euro mehr Geld über das Ehegattensplitting. DieseFamilien erhalten nach wie vor den Sockelbetrag, aberfür die alleinerziehende Mutter mit ALG II heißt es: Gehputzen, damit du das Elterngeld überhaupt bekommst! –Das ist Ihre Politik. Erklären Sie mir einmal, wie siediese Unterschiede rechtfertigen wollen und was daransozial sein soll!
Die Kinderregelsätze zu überprüfen und Armut zuverhindern, war ein Auftrag des Bundesverfassungsge-richts. Ich hätte mir da eine engagierte Ministerin ge-wünscht, die die Jugendhilfe verteidigt, indem sie sagt:Wir brauchen keine Nachhilfe, sondern wir brauchengute Schulen, gute Bildungseinrichtungen und Kinder-gärten, damit die Kinder eben keine Nachhilfe benöti-gen. – Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie habengewisse Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes bei ei-ner Chipkarte geäußert; diese mögen vielleicht berech-tigt sein, vielleicht auch nicht. Ist das Ihre Antwort aufdie Frage, wie man Chancengleichheit sicherstellenkann? Das kann doch nicht wahr sein.
Liebe Frau Ministerin, das kann doch nicht Ihre Politiksein! So können Sie die Zukunft nicht gestalten.Für die Spracherziehung werden 100 Millionen Euroim Monat zur Verfügung gestellt – wunderbar! –; dennSpracherziehung ist sehr wichtig. Sie sagen außerdem:
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Ekin Deligöz
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Ich sorge dafür, dass die Mittel für den Krippenausbaunicht gekürzt werden. – Ich bitte Sie! Es ist Ihr Job, zuverhindern, dass da gekürzt wird. Verkaufen Sie unsdoch nicht solche Selbstverständlichkeiten.
Der Krippenausbau wurde nicht in dieser Wahlperiode,sondern in der letzten Wahlperiode beschlossen.
Es ist Ihre Aufgabe, diesen Ausbau zu verteidigen. He-ben Sie nicht etwas hervor, was eigentlich selbstver-ständlich ist.
Ich komme zu den Freiwilligendiensten. Sie greifenuns an, indem Sie sagen, dass wir dagegen seien. Wirtreten dafür ein, diese Dienste auf eine stabile Grundlagezu stellen und nicht mit zweierlei Maß zu messen. Wirmüssen verlässlich sein und Vertrauen schaffen. Wirmüssen anerkennen, was vor Ort geleistet wird. Das istdie Forderung der Grünen. Wenn sich die Kritik der FDPnur darin erschöpft, zu sagen, dass wir dagegen seien, istdas zu billig.
Außerdem verunsichern Sie die Menschen, die eigent-lich Antworten auf Fragen brauchen.Es ist ein Running Gag – da haben Sie sich alle mitentsprechenden Textbausteinen eingedeckt –, immerwieder zu erklären, wogegen die Grünen sind. Ich kannIhnen sagen, wogegen ich bin und wofür ich bin. Aberwas ist mit Ihnen? Bei Ihrem Projekt Betreuungsgeldwissen Sie nicht, ob Sie dafür oder dagegen sind. Sie sa-gen nur, dass es das Betreuungsgeld irgendwann einmalgeben soll. Beziehen Sie doch einmal Position! WollenSie es oder wollen Sie es nicht? Sagen Sie doch einmal,was Sie wollen!
Wenn Sie dafür sind, dann sagen Sie: Wir wollen nicht,dass Kinder in Kinderkrippen betreut werden. Stehen Siezu Ihrer Meinung, und eiern Sie nicht herum, indem Sieerklären, eine Entscheidung erst dann fällen zu wollen,wenn es so weit ist. Es geht darum, jetzt zu handeln, zugestalten und zu verändern.Liebe Frau Ministerin, es gibt wahrhaftig viel zu tun.Der Auftrag, den Sie haben, ist zukunftsweisend und for-dert von Ihnen viel Einsatz, neue Ideen und neue Gestal-tungskonzepte. Aber was wir von Ihnen hören, ist nichts;es ist weniger als nichts. Das ist sehr enttäuschend. Voneiner Ministerin erwarte ich etwas mehr. Ich kann Sienur auffordern, endlich in Ihrem Amt anzukommen. Siesind eben keine Schülerin mehr, sondern eine Ministerin.
Machen Sie endlich Ihren Job!
Es wäre an der Zeit.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrKollege Schwanitz, dass Sie das „Felix“ nicht kennen,ist nicht weiter schlimm. Sie werden es wahrscheinlichauch nicht kennenlernen, weil es dort sehr strenge Tür-steher gibt.
– Lieber Kollege Rix, wenn Sie sagen, dass das billig ist,dann muss ich erwidern: Was der Kollege Schwanitzhier abgeliefert hat, ist an Billigkeit nicht zu überbieten.
– Nicht schreien, sondern zuhören.Die Junge Union macht sehr viele Programme, unddie Junge Union ist eine höchst engagierte Jugendorga-nisation,
die über – man sage und schreibe – 127 000 Mitgliederbundesweit hat. Da möchte ich Sie doch einmal fragen:Wie schaut es denn auf der anderen Seite mit den Jusosaus?
– Mal zuhören! Das ist jetzt nämlich ganz spannend. –Wir haben 127 000 Mitglieder, die sich wirklich ent-schieden nicht nur gegen Linksextremismus, auch gegenRechtsextremismus einsetzen.
Wir haben 127 000 Mitglieder. Wenn man einmal nach-fragt, wie viele Mitglieder eigentlich die Jusos inDeutschland haben –
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8310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Dorothee Bär
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– fragen Sie doch einmal den Kollegen Schwanitz, derdas Fass aufgemacht hat! –, dann stellt man fest: Seit2007 haben die Jusos keine einzige Zahl mehr veröffent-licht. Nach einer Dunkelziffer geht man so von maximal50 000 aus.
Man muss dabei aber berücksichtigen, dass es bei derSPD eine Zwangsverpflichtung für die unter 35-Jährigengibt. Die sind automatisch Mitglied der Jusos, ob siewollen oder nicht.
Deswegen möchte ich, weil das wichtig ist, an dieserStelle sagen: Hochpolitisch, hochmotiviert, hochkämp-fend gegen Rechts- und gegen Linksextremismus – auchwenn dann am Abend mal zusätzlich eine Feier gemachtwird. Wenn man bei den Jusos nur Kamillentee trinkt,dann wundert es mich nicht, dass da nur 50 000 Mitglie-der sind.
Ich sage nur, das ist keine Jugendorganisation, bei derich gern Mitglied geworden wäre.Herr Schwanitz, Sie haben ja gemeint, Sie könntenhier ein bisschen Kölle Alaaf machen. Wir kommen jetztmal wirklich zum Bundeshaushalt. Wir haben ja schonalle festgestellt – auch die Vorredner –, dass es natürlichniemandem leichtfällt, dass wir in unserem Bundeshaus-halt auch Einschnitte hinnehmen müssen. Das machtdoch keiner mit Freude und Juchhu. Die Ministerin hatengagiert gekämpft, aber natürlich muss an dieser Stellejeder seinen Beitrag leisten. Selbstverständlich ist unsdas bei unserem Erfolgsmodell nicht leichtgefallen.Trotzdem haben wir viele Erfolge zu verzeichnen.Ich möchte jetzt einmal, wenn ich darf, Herr Präsi-dent, mich selbst zitieren,
nämlich aus meiner letzten Haushaltsrede. Bei der letz-ten Haushaltsrede war es so, dass die Kollegin Gruß undich versprochen haben – Zitat –:Weil mehrfach nachgefragt, es aber offensichtlichnicht kapiert wurde, richte ich die nächste Bemer-kung an Frau Dörner und Frau Golze –– Frau Dörner ist ja heute auch hier, Frau Golze von denLinken leider nicht –durch ständiges Wiederholen verstehen es vielleichtdie einen oder anderen doch –:Dann weiter:Ich freue mich ganz besonders, dass wir es erreichthaben, dass das Elterngeld für Aufstocker auchkünftig nicht gekürzt wird
und es für Minijobber bei der bisherigen Regelungbleibt.Zwischenruf von Frau Dörner damals:Wo steht denn das?Daraufhin meine Antwort an Frau Dörner:Frau Dörner, zur Politik gehört auch ein bisschengegenseitiges Vertrauen.… und wir werden es auch durchsetzen.Große Ungläubigkeit, und was ist jetzt? Wir haben esdurchgesetzt, und jetzt möchte ich bitte, dass das auchvon den Grünen, auch von der Linken zur Kenntnis ge-nommen wird. Frau Gruß und ich haben es versprochen,und es gilt: Versprochen, gehalten. An dieser Stelle er-warte ich auch einmal ein Dankeschön von den Opposi-tionsfraktionen dafür, dass wir das durchgesetzt haben.
Ich freue mich ja, dass der Kollege Kindler ein sol-cher Kämpfer für die Frauenrechte ist –
ich bin das auch –, und er hat die CSU gelobt. Auchwenn das jetzt für Sie rufschädigend ist, Herr Kindler,aber ich bin dankbar, dass Sie es gemacht haben.Wir tun auch in diesem Haushalt mehr für die Gleich-stellung. Deswegen freut es mich ganz besonders, dasswir bei der Realisierung eines Projekts aus dem Koali-tionsvertrag, nämlich der Einrichtung des bundesweitenHilfetelefons bei Gewalt gegen Frauen – der KollegeMattfeldt hat es angesprochen – ein ganz gutes Stückweitergekommen sind.
Wir haben eine eigene Haushaltsstelle eingerichtet,und wir machen natürlich auch im Bereich Entgelt-gleichheit einiges, was wir in den nächsten Jahren voran-treiben wollen.Ich habe einen weiteren Punkt schon in meiner letztenHaushaltsrede angesprochen, auch in meiner letztenRede zu den Anträgen der SPD, die damals gestellt wur-den, weil wir für die topqualifizierten Frauen im Landetwas tun wollen. Wir sagen ebenfalls – auch das ist jamehrfach nachlesbar; das können die Kolleginnen, dieKollegin Marks war in der letzten Sitzung anwesend, be-stätigen –: Wir setzen unseren Stufenplan um. Wenn dasaber nicht funktioniert, dann ist für uns die Quote hierdie Ultima Ratio. Wir sagen, dass Frauen nicht nur inFührungspositionen unterrepräsentiert sind. Das ist dereine Teil, um den wir uns natürlich kümmern müssen.Wir kümmern uns aber auf der anderen Seite auch umdie Frauen im kommunalpolitischen Bereich. Deswegenhaben wir in unserem Einzelplan Mittel für die Förde-rung der politischen Partizipation von Frauen vorgese-hen. Deswegen haben wir eine Zusammenführung derAktivitäten der Kampagne „Frauen Macht Kommune“
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8311
Dorothee Bär
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und des Helene-Weber-Preises ermöglicht. Wir ermögli-chen dazu auch einen Austausch der kommunalen Ak-teure.
Frau Kollegin Bär, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Deligöz?
Bitte.
Bitte schön.
Frau Bär, ich habe zwei Aussagen von Ihnen gelesen.
Die eine Aussage war in der taz, der Sie gemeinsam mit
meiner Kollegin ein Interview gegeben haben, in dem
Sie sich gegen die Quote als ein unnötiges Instrument
ausgesprochen haben. Die andere Aussage war im Fo-
cus, in dem Sie die Quote verteidigt haben mit den Wor-
ten: Es ist an der Zeit, etwas zu verändern. Zwischen die-
sen beiden Positionen gibt es gewisse Differenzen. Mich
würde brennend interessieren, ob Sie einen Meinungs-
wechsel vollzogen haben oder ob das ein Missverständ-
nis im Focus war.
Ich habe beide Male gesagt, dass wir - wahrscheinlich
im Gegensatz zu Ihnen – nicht Halleluja rufend in Rich-
tung der Quote laufen und die Quote für uns immer die
Ultima Ratio ist. Ich sage Ihnen auch: Wir wollen die
Gleichstellung in allen Bereichen, nicht nur beim Lohn.
Deswegen sage ich – Sie können das im Protokoll nach-
lesen –: Es ist für uns die Ultima Ratio. Wenn es keine
Verbesserung gibt, dann wird auf dieses Mittel zurück-
gegriffen werden müssen.
So viel dazu. Das war, denke ich, an dieser Stelle eindeu-
tig.
– Ich habe die Frage beantwortet. Sie können das gerne
im Protokoll nachlesen. Sie haben es ja offensichtlich
auch im Focus richtig nachgelesen, Frau Deligöz.
Ich antworte noch auf die Frage von Frau Deligöz. Ich
möchte nicht, dass dies von meiner Redezeit abgezogen
wird.
Die Antwort ist zu Ende. Sie hat sich gesetzt. Dann
läuft die Redezeit weiter.
Wenn sie sich setzt, ist es vorbei? – Okay. Das macht
nichts.
Wir haben das Projekt „Perspektive Wiedereinstieg“
auf den Weg gebracht, weil wir festgestellt haben, dass
Frauen ihre Erwerbstätigkeit oft nicht nur für kurze Zeit
unterbrechen, sondern sie vorübergehend ganz aufgeben.
Wir sagen, dass sie nach der Familienphase Unterstüt-
zung brauchen. Hier sehen wir eine Notwendigkeit.
Auch älteren Frauen muss es erleichtert werden, wieder
in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Wir fördern mit die-
sem Programm nicht nur Initiativen, sondern es ist uns
auch wichtig, die Arbeitgeber zu sensibilisieren und ih-
nen deutlich zu machen, dass sie mit Wiedereinsteigerin-
nen leistungsfähige Mitarbeiterinnen mit Lebenserfah-
rung gewinnen.
Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich – vor allem
Ihnen, Frau Deligöz, auch wenn Sie gerade nicht zuhö-
ren –:
Ich kann Ihnen versichern, dass wir, genauso wie Herr
Kindler, absolut an der Seite der Frauen sind, nicht nur
unsere Arbeitsgruppe, nicht nur die Gruppe der Frauen,
sondern auch die Ministerin. Das lässt sich wie folgt zu-
sammenfassen: Wir, die christlich-liberale Koalition,
tragen die Regierung, der die Frauen vertrauen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Sönke Rix von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, es erübrigt sich, darauf einzugehen, was Sie,Frau Kollegin Bär, gerade zur Jungen Union, zu den Ju-sos, zum „Felix“ usw. gesagt haben. Das diskreditiertSie. Sie haben das Thema selbst erledigt; denn Sie sindnicht auf einen einzigen Fakt eingegangen.
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8312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Sönke Rix
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Herr Schwanitz hat hier über die Zahlen im aktuellenHaushalt gesprochen, über einen Fakt, der zu diesemHaushalt gehört. Die Mitgliedszahlen der Jungen Unionund der Jusos gehören nicht dazu.
Niemand streitet ab, dass die Junge Union vielleicht so-gar mehr Mitglieder hat als die anderen; aber Sie sindauf keinen Fakt eingegangen. Hätten Sie das Thema bes-ser nicht angeschnitten.
Sie haben sich auch noch selbst zitiert. Sie hätten es lie-ber Ihrem Kollegen gleichtun und Kennedy zitieren sol-len. Er hat zumindest wahre und richtige Sachen gesagt.
Ich möchte auf den neuen Gesetzentwurf zum Bun-desfreiwilligendienst eingehen. Er ist – das haben Siegerade richtig gesagt – noch nicht konkreter Bestandteildieses Haushaltes, aber er wird uns in den nächsten Jah-ren intensiv begleiten und beschäftigen. Wir finden dieForm dessen, was jetzt auf den Weg gebracht wird, nichtin Ordnung. Denn neben den erfolgreichen Strukturendes Freiwilligen Sozialen Jahres und des FreiwilligenÖkologischen Jahres wird ein neuer Dienst etabliert: derBundesfreiwilligendienst. In vorigen Eckpunktepapierenhieß er freiwilliger Zivildienst.Immer wieder betonen Sie und auch die anderen Kol-leginnen und Kollegen der Koalition, dass diese beidenDienste gleichbehandelt werden sollen. Der eine sollnicht besser als der andere sein. Es hat sich noch nichtgezeigt, ob das tatsächlich stimmt. Bei Kindergeldrege-lung, Bezahlung, Taschengeld, Förderung und anderemmüssen Sie noch beweisen, dass die Dienste tatsächlichgleichbehandelt werden.Aber wenn sie denn tatsächlich gleichbehandelt werdensollen und eigentlich auch das Gleiche bewirken sollen,frage ich Sie an dieser Stelle nochmals: Warum dannzwei Dienste? Diese Frage haben Sie bis heute immernoch nicht beantwortet. Sie betonen zwar immer: Siesind gleich, sie sollen gleich ausgestattet sein, sindgleich wichtig. Aber keiner beantwortet die Frage, wa-rum es dann zwei sein sollen.
Ab und zu kommt einmal das Argument: Ja, was istdenn, wenn wir die Wehrpflicht wieder einführen, wennwir das Aussetzen der Wehrpflicht zurücknehmen? Dannbrauchen wir ja die Strukturen des Zivildienstes. – EinBlick ins Grundgesetz zeigt das nicht. Lesen Sie einmalim Grundgesetz nach. Da steht zwar, dass wir, wenn wirdie Wehrpflicht wieder haben, einen Wehrersatzdienstbrauchen, aber darin steht nicht, dass es der Zivildienstsein muss und dass wir dazu das Bundesamt für Zivil-dienst brauchen usw. Das steht nicht im Grundgesetz. Eskann auch ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Frei-williges Ökologisches Jahr sein. Das ist übrigens schonheute nach § 14 c möglich. – Dieses Argument zählt alsoschon einmal nicht.
Natürlich kann ich verstehen, dass Sie sagen: Wirwollen die guten Strukturen, die der Zivildienst hatte, er-halten. Keine Frage, all die Dienstleister, die ihre Arbeitgemacht haben, haben meistens gute Arbeit geleistet.Der Zivildienst ist über die Jahre zu einem positivenFaktor geworden. Die Zivildienstleistenden sind nichtDrückeberger gewesen, sondern haben sich wirklich en-gagiert und haben ihren Dienst auch gerne gemacht. Ichkann verstehen, wenn Sie sagen: Die guten Strukturenund die guten Bestandteile wollen wir natürlich erhalten.Dazu gehört zum Beispiel, was wir in der Großen Ko-alition versucht haben auf den Weg zu bringen – nachmeinen Vorstellungen nicht ganz erfolgreich –, der Bil-dungsdienst, Zivildienst als Lerndienst. In dem neuenBundesfreiwilligendienst ist davon herzlich wenig zu se-hen. Ich bitte Sie, an dieser Stelle nachzuarbeiten oder zusagen: Wir machen es wie beim FSJ und FÖJ. Dannbrauchen wir den Bundesfreiwilligendienst nicht; denndarin sind genügend Bundesanteile enthalten. Ich kannja verstehen, dass es bei einer Übergangslösung viel-leicht sogar zwei Strukturen nebeneinander geben muss.Wenn Sie nämlich in diesem Ad-hoc-Verfahren, mit demSie jetzt die Aussetzung des Wehrdienstes übers Kniebrechen, keine Übergangslösung schaffen, werden Sieum Doppelstrukturen nicht herumkommen. Ich bitte Sie:Denken Sie darüber nach, schaffen Sie keine Doppel-strukturen, schaffen Sie keine unnötigen Konkurrenzsi-tuationen.
Mir ist aufgefallen, Sie – ich glaube, von der FDP –haben gesagt, Sie seien diejenigen, die das bürgerschaft-liche Engagement verteidigten. Gerade weil Sie diesenBundesfreiwilligendienst mit auf den Weg brächten,seien Sie quasi die Menschen, die die Fahne für das bür-gerschaftliche Engagement hochhielten.
Wie kommen dann aber zum Beispiel 600 000 Euro we-niger für Freiwilligendienste für Menschen mit Migra-tionshintergrund zustande – ist das die Förderung vonbürgerschaftlichem Engagement? –, 400 000 Euro weni-ger für die Infrastruktur des bürgerschaftlichen Engage-ments oder 2,5 Millionen Euro weniger für Modellvor-haben des bürgerschaftlichen Engagements? Dannstellen Sie sich hier hin und sagen, Sie seien die Koali-tion, die das bürgerschaftliche Engagement fördere. In-dem Sie kürzen, oder wie machen Sie das? Wie stellenSie sich das vor?
– Aber treffsicher!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8313
Sönke Rix
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Noch eine Bemerkung zur Perspektive. Wenn manüber den Haushalt redet, redet man ja nicht nur überFrauenpolitik – darüber ist heute schon geredet worden –,sondern auch über Jugendpolitik. Darüber redet man al-lerdings ein bisschen weniger. Sie haben von der vorhe-rigen Ministerin quasi große Schuhe übernommen, sindin große Fußstapfen getreten. Diese hatte noch den Vor-teil, dass sie die SPD als Koalitionspartner an ihrer Seitehatte. Deshalb hat sie gar keinen so schlechten Job ge-macht.
In einer Sache haben Sie es ihr gleich gemacht: Jugend-politik findet bei Ihnen gar nicht statt.
Da haben Sie noch ordentlich Aufholbedarf. Da ist – dasmuss ich Ihnen so sagen – ganz deutlich ein Minus zusehen. Noch nicht einmal, wie in anderen Bereichen,Ankündigungen, sondern gar nichts. Das ist traurig.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Heinz Golombeck von der
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit diesem Haushalt macht die Koalition den
Weg frei für mehr bürgerschaftliches Engagement
und setzt einen weiteren Teil des Koalitionsvertrages
um.
Ein Beispiel hierfür ist die jüngst verabschiedete natio-
nale Engagementstrategie. Die Strategie entspricht dem
Geist der Zeit; denn sie berücksichtigt die demografische
Entwicklung und die gesellschaftliche Integration in un-
serem Land.
Innerhalb dieser Strategie legen wir einen besonderen
Schwerpunkt auf die Motivation von Migrantinnen und
Migranten für ein bürgerschaftliches Engagement.
Denn das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und
Bürgern sorgt für Zusammenhalt in unserer Gesellschaft,
und zwar in einem Maß, wie es der Staat alleine nie be-
wirken könnte.
Um eine frühzeitige Einbindung junger Migrantinnen
und Migranten in unseren Alltag zu ermöglichen, brau-
chen wir mehr frühkindliche Bildung. In diesem Be-
reich setzt die christlich-liberale Koalition neue Ak-
zente. Mit der Initiative „Offensive Frühe Chancen“
stellt der Bund in den nächsten vier Jahren rund
400 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln
werden bis zu 4 000 Einrichtungen zu „Schwerpunkt-Ki-
tas Sprache & Integration“ ausgebaut. Die FDP hat sich
immer für gleiche Chancen am Start engagiert. Sprache
ist hierbei von entscheidender Bedeutung.
Die nationale Engagementstrategie hat auch das Ziel,
ältere Menschen für ein bürgerschaftliches Engagement
zu gewinnen. Denn Tatsache ist: Die meisten älteren
Menschen streben keineswegs einen völligen Rückzug
aus dem gesellschaftlich aktiven Bereich an. Zurzeit bie-
ten die Freiwilligendienste aller Generationen Mög-
lichkeiten des Engagements in fast allen Themenfeldern
an. Auch die Einbeziehung von Senioren in den Bundes-
freiwilligendienst zeigt: Ältere Menschen haben künftig
eine Vielfalt an Möglichkeiten, sich einzubringen.
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, starten wir zusätz-
lich eine breit angelegte Initiative zum Thema „Alter neu
denken“; denn Politik für ältere Menschen ist Teil einer
übergreifenden Generationenpolitik.
Ein besonderes Anliegen der FDP ist seit jeher ein ak-
tives Vorgehen gegen Gewalt, insbesondere gegen häus-
liche Gewalt. Es trifft zumeist Frauen, unabhängig von
ihrer sozialen Schicht, ihrem Alter und ihrer Konfession.
Wir haben in der letzten Sitzungswoche erreicht, dass
die bundesweite Notrufnummer für Opfer von häuslicher
Gewalt nun doch bereits für 2011 auf den Weg gebracht
wurde.
Der Notruf für Frauen und Kinder, die dringend Hilfe
benötigen, ist jetzt in der Entwicklungsphase.
Für das Haushaltsjahr 2011 wurden für die Konzipie-
rung bereits 20 000 Euro eingestellt. Unter der bundes-
weit einheitlichen Telefonnummer werden rund um die
Uhr verschiedensprachige Ansprechpartner zur Verfü-
gung stehen, die sofort die richtige Hilfe vermitteln kön-
nen; auch hiermit halten wir unser Versprechen aus dem
Koalitionsvertrag. Frauen und Kinder, denen Gewalt an-
getan wurde, haben Anspruch auf sofortige Hilfe.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Erwin Rüddel von derCDU/CSU-Fraktion.
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8314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministe-rin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Konsolidie-rungskurs der Koalition des Aufschwungs
ist ein Gebot der Vernunft, gerade mit Blick auf den Ge-nerationenvertrag.
Die Schulden von heute müssen schließlich von unserenKindern und Kindeskindern mit Zins und Zinseszins zu-rückgezahlt werden. Es war richtig, dass der Staat mehrGeld in die Hand genommen hat, um die Folgen derweltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise besser abfedernzu können. Das ist uns gelungen. Deutschland ist besserund schneller aus der Krise gekommen als alle anderenhoch entwickelten Industrieländer.
Unsere Zahlen in Sachen Wachstum und Beschäfti-gung können sich sehen lassen. Das ist wahre Sozialpoli-tik. Aber gerade weil es uns besser geht, müssen wir dieNeuverschuldung jetzt deutlich herunterfahren. Wann,wenn nicht jetzt, sollten wir das in Angriff nehmen?
Wir sind es den nachfolgenden Generationen schul-dig, Handlungsspielräume für die Erledigung der Aufga-ben von morgen zu erwirtschaften; die Große Koalitionhat völlig zu Recht die Schuldenbremse eingeführt.Dazu muss auch das Familienministerium seinen Beitragleisten. Welcher Politikbereich sollte mehr Verständnisfür eine Konsolidierungspolitik aufbringen als der Be-reich, der für Generationengerechtigkeit und Zukunftsteht?Uns ist es gelungen, die finanziellen Mittel, die wirhaben, gezielt dort einzusetzen, wo sie im Hinblick auffaire Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichenam meisten bewirken. Wir beweisen damit, dass sichSparen und Gestalten nicht ausschließen. Wir konsoli-dieren den Haushalt, und wir investieren in die Zukunfts-chancen unserer Kinder.
Mit der Initiative „Offensive Frühe Chancen“ ste-hen rund 400 Millionen Euro für die sprachliche Früh-förderung in Kitas bereit. Damit können in den nächstenvier Jahren bis zu 4 000 Kitas eine jährliche Förderungvon 25 000 Euro für eine Halbtagskraft erhalten, die spe-ziell für die Sprachförderung zuständig ist. Das Angebotgilt für alle, aber besonders für Kinder von Migrantenund aus sozial schwachen Familien.
Nicht zuletzt mit Blick auf die aktuelle Debatte über dieIntegration ist das der richtige Ansatz, um Kinder auslän-discher Herkunft, aber auch deutsche Kinder mit Sprach-schwierigkeiten zu fördern. Auf den Anfang kommt esan. Die Sprache ist die Grundlage für den Start in den Bil-dungsweg. Diese Initiative der Frau Ministerin kann ichdeshalb nur ganz besonders loben.
Wir haben bereits mit dem Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz Familien und kleine Unternehmen um mehrals 8 Milliarden Euro entlastet. Wir haben das Kinder-geld und den Kinderfreibetrag erhöht.
Wir sparen nicht beim Bundeszuschuss für den Ausbauder Kinderbetreuungsplätze,
und wir sparen nicht bei den Zuschüssen für die Wohl-fahrtsverbände, weil wir bewährte Strukturen erhaltenwollen.
Nur zwei Bemerkungen zum Elterngeld, weil dieOpposition in diesem Haus auch heute wieder den Ein-druck erweckt, als könne sie Lohnersatzleistungen nichtvon Leistungen im Rahmen des Arbeitslosengeldes IIund der Sozialhilfe unterscheiden. Das Elterngeld isteine reine Lohnersatzleistung,
die nichts mit der Sozialhilfe zu tun hat. Es geht um dieMenschen, die für Kindererziehung auf ihre Erwerbsar-beit verzichten und zu Hause bleiben.
Auch für Aufstocker und Minijobber haben wir eine guteLösung gefunden. Wir setzen gezielt Anreize, um eineArbeit aufzunehmen. Außerdem trägt die Neuregelungbeim Elterngeld dem Lohnabstandsgebot Rechnung.
Es kann doch nicht sein, dass eine vierköpfige Familie,die ausschließlich von Hartz IV lebt, inklusive Wohngeld
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8315
Erwin Rüddel
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und sonstiger Leistungen unter dem Strich womöglichüber dasselbe Nettoeinkommen verfügt wie eine ver-gleichbare Familie mit einem Erwerbstätigen.Uns geht es darum, dass alle Eltern, die vor der Ge-burt eines Kindes erwerbstätig waren, ihre Tätigkeit un-terbrechen können, ohne dass dies allzu große Nachteilefür ihr Einkommen zur Folge hat. Es geht uns geradenicht um zusätzliche Leistungen für Menschen, die nichterwerbstätig sind.
Man fragt sich bei diesem Thema wirklich, ob die Oppo-sition gelegentlich auch einmal an diejenigen denkt, diemit ihrer Arbeit und mit ihren Steuern überhaupt erst da-für sorgen, dass anderen Transferleistungen gezahlt wer-den können.
Ich möchte in dieser Debatte nicht versäumen, derMinisterin für ihr Konzept zum Bundesfreiwilligen-dienst meinen Respekt auszusprechen.
Indem der neue Freiwilligendienst auch Frauen und älte-ren Menschen offenstehen wird, leistet er einen höchstbedeutsamen Beitrag zur Stärkung des bürgerschaftlichenEngagements. Neben dem Einsatz im sozialen Bereichwird der neue Dienst auch anderen Feldern geöffnet wer-den – wie dem Sport, der Kultur und der Integration.
Die finanzielle Förderung sieht gleichwertige Bezügeder Freiwilligen in beiden Formaten vor, und die Bun-desförderung für bereits existierende Angebote der Län-der wird kräftig aufgestockt. Mit insgesamt 70 000 Plät-zen – je 35 000 im Bundesfreiwilligendienst und denJugendfreiwilligendiensten – bieten diese Dienste ein at-traktives Angebot zum Engagement von Frauen undMännern, von Jüngeren und Älteren.
Noch nie sind so viele Menschen so alt geworden wieheute. Noch nie waren sie dabei so gesund und so gutausgebildet. Unsere Volkswirtschaft, aber genauso un-sere Gesellschaft insgesamt braucht ihr Wissen, ihre Er-fahrung und ihre Potenziale für ein lebendiges Miteinan-der der Generationen. Genau darauf zielt das Konzeptder Ministerin. Deshalb ist es ein wichtiger Baustein zuder Zivilgesellschaft, die wir wollen – einer Gesell-schaft, in der ehrenamtliche und freiwillige Dienste dazubeitragen, die Fähigkeiten und Kenntnisse aller Alters-gruppen für den Zusammenhalt in unserem Land zu mo-bilisieren.Ich möchte der Ministerin ferner meinen Dank für dasvon ihr vorgelegte Konzept zur besseren Vereinbarkeitvon Beruf und Pflege aussprechen; denn eine Bürgerge-sellschaft beweist sich nicht zuletzt durch die Wertschät-zung älterer Menschen und durch die Sorge für ihreschwächsten und gebrechlichsten Glieder.
Dass wir das Thema Pflegezeit jetzt konkret bearbei-ten, begrüße ich nachdrücklich; denn die Lasten derhäuslichen Pflege betreffen bekanntlich in aller Regeldie Frauen. Deswegen will ich abschließend sagen: So-wohl durch den neuen Freiwilligendienst als auch durchdas Konzept für die Pflegezeit zeigt die Ministerin, dasssie nicht nur Politik für die Familien, die Jugend und dieÄlteren macht, sondern vor allem auch für die Frauen.
Daher werden wir sie bei den Themen Gleichstellungund Entgeltgleichheit, bei den Konzepten zum Wieder-einstieg, bei der Diskussion über die Möglichkeiten zurAnrechnung der Pflegezeit und ganz besonders beimThema Frauen in Führungspositionen weiterhin kraftvollunterstützen.Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Haushalt hat die Kolle-
gin Caren Marks von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kraft wird die Minis-terin brauchen. Bisher war davon wenig zu spüren.Herr Rüddel, es ist schon traurig, dass Sie die Syste-matik des Elterngeldes nach wie vor nicht begriffen ha-ben. Ich habe jetzt auch keine Lust, Ihnen noch einmalzu erklären, was es mit der Erziehungsleistung für alleauf sich hat, und ich denke, es lohnt sich auch für Sie,das noch einmal nachzulesen.Anfang dieses Jahres habe ich hier bereits gesagt, dieRegierung werde nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen die Katze aus dem Sack lassen. Ja, so ist esleider auch gekommen. Mit dem Entwurf des Bundes-haushaltes für das Jahr 2011, den wir jetzt beraten, über-treffen Sie sogar alle Befürchtungen. Er enthält ganzdrastische Einsparungen für zahlreiche Familien, Kin-der, Jugendliche und ältere Menschen, und zwar in vie-len Bereichen. Nicht ein einziges Mal war ein entspre-chender Einspruch von der Ministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend zu hören.Es wurde kein Einspruch gegen die Kürzung beimBund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ erhoben, durchdas ein großer Beitrag für die Integration vor Ort geleistetwird. In dem Entwurf des Bundeshaushalts 2011 wurdeauch der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld gestrichen.
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8316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Caren Marks
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Daneben nenne ich den Wegfall der Rentenversiche-rungsbeiträge für Hartz-IV-Bezieherinnen und -bezieherund das skandalöse Auslaufen des Ausbildungsbonus fürbenachteiligte Jugendliche. Die Liste der unsozialen Ein-schnitte ist wirklich lang. Bei den vielen Menschen, diehiervon betroffen sind – insbesondere Familien, Senio-ren, Frauen und Jugendliche –, hätte man sich wirklichgewünscht, dazu einmal etwas Sinnvolles von Ihnen zuhören, Frau Schröder.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ein Beispielnennen, das uns Familienpolitikerinnen und -politikerganz besonders empört, weil das nämlich die Schwächs-ten in unserer Gesellschaft betrifft. Die Bundesregierungnimmt den Menschen, die Hartz IV beziehen, künftigdas komplette Mindestelterngeld von 300 Euro im Mo-nat weg. Besonders dreist dabei ist, dass es keinerlei Ver-trauensschutz für die Familien gibt. Hartz-IV-Empfän-gern, die schon jetzt Elterngeld beziehen, weil das KindMitte dieses Jahres geboren wurde, wird dieses Geld abdem 1. Januar 2011 gestrichen. Diese Eltern verlierennun also Elterngeld, mit dem sie noch nach der Geburtdes Kindes in diesem Jahr fest haben rechnen können.Frau Ministerin Schröder, ich frage Sie: Wo bleibt IhrEngagement für Familien, und zwar für alle Familien inunserem Land?
Wo bleiben Unterstützung und Planungssicherheit geradekurz nach der Geburt eines Kindes? Sogar der Familien-bund der Katholiken prangert Sie für diese Entscheidungan. Das sollte Ihnen doch eigentlich zu denken geben undmehr als ein müdes Lächeln abringen.
Empörend finde ich auch die soziale Schieflage, diedas gesamte Kürzungspaket aufweist. So sollen im so-zialen Bereich 2011 bis 2014 insgesamt 37 Prozent ein-gespart werden. Das ist der größte Anteil innerhalb dessogenannten Sparpakets.Das wird genau die Familien, Alleinerziehenden,Kinder und Jugendlichen sowie zahlreiche Seniorinnenund Senioren hart treffen, die ohnehin ein geringesHaushaltseinkommen haben. Wenn das eine vernünftigeKonsolidierungspolitik sein soll, dann müssen Sie sich,denke ich, fragen, wie Sie „vernünftig“ definieren, FrauMinisterin.
Der Finanzsektor, der zu einem wesentlichen Anteil diegrößte Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeitverursacht hat, wird hingegen komplett verschont, undzwar von der gesamten Bundesregierung.Wie benachteiligte Menschen und strukturschwacheKommunen die harten Einschnitte im Sozialbereichwegstecken, interessiert diese Bundesregierung über-haupt nicht und Sie schon dreimal nicht. Die schwarz-gelbe Haushaltspolitik fördert weder ein solidarischesMiteinander noch eine soziale Balance.
Dies würden eigentlich die meisten Menschen unter demWort „christlich“ verstehen, Frau Fischbach, nicht aberdas, was Sie machen.
Sie fördern mit Ihrer Politik genau das Gegenteil: Ein-zelkämpfertum, Ellenbogendenken und letztlich die Ent-solidarisierung unserer Gesellschaft.Dieses zutiefst unsoziale Denken und Handeln ziehtsich wie ein roter Faden durch die gesamten Haushalts-beratungen der letzten Wochen. Sie, Frau Ministerin,hätten durchaus die Chance gehabt, Ihre Kürzungs- undStreichpläne im Einzelplan 17 zurückzunehmen, wievon der SPD und anderen Oppositionsparteien gefordertwurde.Sie hätten auch unseren Antrag, den 500 Mehrgene-rationenhäusern Planungssicherheit zu geben, aufgrei-fen können. Denn damit wäre gewährleistet, dass derdort so erfolgreich gelebte Zusammenhalt der Generatio-nen nicht nur in Ihren Wohlfühlreden stattfindet, sondernauch zukünftig gelebt werden kann, Frau Ministerin.
Sie haben die Kürzungen aber sogar noch verschärft,Frau Schröder, und dafür wahrscheinlich ein „Brav, FrauKollegin!“ von Herrn Schäuble gehört. Bei den familien-,gleichstellungs- und seniorenpolitischen Maßnahmenkürzen Sie ab 2011 zusätzlich um fast 1,7 MillionenEuro. Bei den Modellvorhaben zur Stärkung des bürger-schaftlichen Engagements sind es 2,5 Millionen Euro.Bei modellhaften Bauprojekten für Senioren und Men-schen mit Behinderungen ist eine weitere Kürzung vor-gesehen.Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, aktuell führen Sie wieder einmal eine Debatte überSteuersenkungen. Darüber kann ich angesichts diesesHaushalts und der sozialen Einschnitte nur den Kopfschütteln. Statt neue Steuergeschenke zu verkünden,sollten Sie lieber die Kürzungen auf dem Rücken der Fa-milien zurücknehmen. Sie sollten den Städten und Ge-meinden Planungssicherheit geben, damit sie das umset-zen können, was vor Ort gebraucht wird. Alles andere istverantwortungslos.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8317
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 – Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend – in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/3844: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist ab-
gelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/3845: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist ab-
gelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
vom Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-
Fraktion und Zustimmung der Fraktion Die Linke.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Ein-
zelplan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
für? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 17 ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Oppositionsfraktionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
– Drucksachen 17/3520, 17/3523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an
die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Klaus Hagemann von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Pünktlich zum CDU-Parteitag in der vorigenWoche erschien in fast allen großen Zeitungen eine An-zeige der Bundesregierung, Frau stellvertretende Vor-sitzende der CDU, die eine Beweihräucherung mitSelbstlob enthielt, und darin ging man natürlich auf denBildungsbereich ein. Der Informationswert dieser gro-ßen Anzeige in fast allen großen Zeitungen war fast null.Erwähnt wurde auch das Stichwort der Bildungsrepu-blik,
obwohl wir drei gescheiterte Bildungsgipfel hinter unshaben.Die Kosten für diese Anzeige, die – ich sagte es eben –in fast allen großen Zeitungen erschien, werden mit etwa5 Millionen Euro angesetzt. Es wäre sicherlich sinnvol-ler gehandelt worden, wenn man mit diesen 5 MillionenEuro vielleicht zwei Ganztagsschulen ausgebaut oder er-weitert hätte,
um die entsprechende Infrastruktur vorzuhalten und dieGemeinden dabei zu unterstützen, das Ganztagsschul-programm voranzubringen. Jedenfalls wäre es nachhalti-ger gewesen als diese Anzeige.
Das Bundesprogramm für den Ausbau der Ganz-tagsschulen, das in den Jahren 2002/2003 aufgelegtworden ist, ist ein sehr erfolgreiches Programm. DasBundesbildungsministerium hat eine Studie in Auftraggegeben – Frau Ministerin, Sie haben diese Studie vorkurzem vorgestellt –, deren Ergebnis lautet, dass geradedie Ganztagsschule eine tolle Einrichtung ist und dasssie viele – leider nicht alle – Probleme lösen kann. Unddiejenigen, die hier schon länger sind, erinnern sich nochgut daran, gegen welche Widerstände bei der Union undbei der FDP dieses Ganztagsschulprogramm durchge-setzt werden musste.
In den Medien wird zutreffend dargestellt, dass dierichtigen Antworten auf Bildungs- und Gesellschaftspro-bleme von heute und morgen über die Ganztagsschulegegeben werden können. Die Frankfurter AllgemeineZeitung schreibt: „Ganztagsschule fördert Leistung.“ –Die Süddeutsche Zeitung schreibt:Wissbegierig und fleißig – Kinder profitieren vonGanztagsschulen. Ganztagsangebote erhöhen dieMotivation von Schülern und verringern das Risikodes Sitzenbleibens.Frau Ministerin, Sie kommentieren – zumindest sindSie so zitiert worden – meiner Ansicht nach völlig zu-treffend – ich zitiere –: „Damit tragen Ganztagsschulenzum Abbau der Bildungsarmut bei.“Das ist zwar völlig richtig, Frau Schavan, aber einenfehlenden Satz von Ihnen möchte ich noch virtuell er-gänzen: 2002 war ich als damalige Landesministerin da-gegen, dieses Ganztagsschulprogramm aufzulegen. Ichhabe es falsch eingeschätzt.Diese Erkenntnis hätten Sie ruhig mit dazu sagenkönnen, sehr geehrte Frau Ministerin. Ich möchte hieraus einem Artikel vom 8. September 2002 – dieser ist
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8318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Klaus Hagemann
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ebenfalls in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung er-schienen – zitieren: Die Ganztagsschule ist nicht dieAntwort auf unsere Bildungsprobleme. – Das sagte diedamalige Landesministerin Annette Schavan. Mit demGeld solle man andere Dinge fördern.Sie ist von der Saula zur Paula geworden.
Das ist sicherlich gut, und deswegen ist es sinnvoll, die-ses Ganztagsschulprogramm auch weiterzuführen. Dasist nämlich die politische Forderung, die wir als SPDstellen: Das Ganztagsschulprogramm muss weiterge-führt und ausgebaut werden.
Es muss ein Ganztagsschulprogramm II kommen, undes muss auch ein Masterplan aufgestellt werden. Bereitsin der vorangegangenen Debatte über die Kleinkinderbe-treuung wurde herausgestellt, dass die Infrastrukturenvorhanden sein müssen, damit die Kinder in die Ganz-tagsschule gehen und dort betreut werden können. Ent-sprechende Baumaßnahmen müssen durchgeführt wer-den. Personal muss zur Verfügung gestellt werden. DieLänder müssen dabei finanziell unterstützt werden. Wirhaben im Haushaltsausschuss zudem den Antrag einge-bracht, ein Programm für die zunehmend notwendigerwerdende Schulsozialarbeit aufzulegen. Wir hatten alsersten Schritt 100 Millionen Euro beantragt. Dieser Be-trag sollte weiter aufwachsen. Leider ist dieser Antragvon der Mehrheit abgelehnt worden.Die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern undGemeinden ist gerade in der Bildungspolitik dringendnotwendig. Sie entziehen aber den Ländern durch IhreBeschlüsse zur Steuerpolitik Geld, das sie dringendbrauchen, um weiterhin ihre Aufgaben wahrzunehmen.Die Diskussion über die Gewerbesteuer und ihren Er-halt sorgt nicht gerade für Planungssicherheit in den Ge-meinden. Das ist nicht das, was wir erwarten.
Uns vereint, dass wir das 7-Prozent-Ziel erreichenwollen. 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen fürBildung ausgegeben werden. Das können meiner An-sicht nach Bund, Länder und Gemeinden nur gemeinsamerreichen. Der Bund hat mehr zu leisten als den bereitsvon Ihnen erhöhten Betrag für den Bildungsbereich. Wirwollen als Einstieg noch einmal 300 Millionen Euro Pla-fond erhöhend obendrauf packen, sodass die Milliarden-grenze überschritten wird. Dann könnte das 7-Prozent-Ziel erreicht werden.
Dann bekommen wir die solidarische Bildungsrepu-blik, die wir alle sicherlich anstreben. Aber alle Anträge,die wir dazu gestellt haben, haben Sie leider abgelehnt,meine Damen und Herren von der Koalition. Das findeich ein bisschen kleinkariert. Wir haben sehr vielen An-trägen der Koalition zugestimmt. Es wäre in der Sachesicherlich sinnvoll gewesen, wenn Sie den einen oderanderen Gedanken aus unseren Anträgen aufgegriffenhätten.Sie finanzieren nun mehrere Programme oder Initiati-ven weiter, die schon von Rot-Grün oder der Großen Ko-alition gestartet worden sind, wie den Pakt für For-schung und Innovation, die Exzellenzinitiative, die sehrviel frischen Wind in die Universitäten gebracht hat,oder die Hochschulpakte I bis III. Wir, die SPD-Frak-tion, haben zwei Drittel von dem, was Sie nun obendraufpacken, angestoßen und mitbeschlossen. Das möchte ichdeutlich herausstellen.Wir wissen, dass die Herausforderungen an denHochschulen in den nächsten Jahren erheblich sein wer-den. Zwei Jahrgänge werden gleichzeitig Abitur ma-chen. Deswegen gibt es den Hochschulpakt. Wir wolleneine bessere Umsetzung des Bachelor-Master-Reform-programms. Der Wissenschaftsrat hat mehr Geld für denQualitätspakt für die Lehre gefordert. Wir haben ver-sucht, das bei Ihnen per Antrag durchzusetzen. Leiderhaben wir nicht erreicht, dass mehr Mittel für diesenPakt und die Studierenden zur Verfügung gestellt wer-den.Das Bundesverteidigungsministerium, über dessenEtat wir gestern debattiert haben, will zum 1. Juli 2011die Wehrpflicht aussetzen. Liebe Frau Ministerin undliebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und derFDP, wo ist hierfür Vorsorge getroffen? Denn es werdenmehr Studierende in die Universitäten drängen, die sonstZivildienstleistende oder Grundwehrdienstleistende ge-wesen wären. Wir hatten beantragt, hier mehr Mittel zurVerfügung zu stellen. Leider haben Sie auch diesen An-trag abgelehnt.Für Sie war die Einführung des nationalen Stipen-dienprogramms wichtig. Sie haben große Worte ge-macht und von 160 000 Stipendien gesprochen. Tatsäch-lich sind es gerade einmal 6 000. 10 Millionen Eurostehen zur Verfügung. Von diesen gehen allein 20 Pro-zent für Werbung drauf.Mir hat ein Student einer hessischen Hochschule ge-schrieben, ihm sei mitgeteilt worden, er könne ein Sti-pendium in Höhe von 150 Euro bekommen, für die wei-teren 150 Euro solle er sich aber selbst einen Sponsorbesorgen. So stelle ich mir das Stipendienprogrammnicht vor. Wir müssten eigentlich das BAföG deutlichererhöhen und dafür Mittel zur Verfügung stellen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl, Herr Präsident. – Auch bei den Begabtenför-derwerken haben Sie dazwischengefunkt und Geld ge-strichen. Die SPD hat in der Großen Koalition dazu bei-getragen, dass die Begabtenförderwerke ausgebautwerden. Leider haben Sie unsere Anträge abgelehnt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8319
Klaus Hagemann
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Wir müssen mehr im Bereich Bildung und For-schung tun, um das 10-Prozent-Ziel zu erreichen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. – Es
geht natürlich nicht, dass jedes Jahr vom Ministerium
weniger Mittel ausgegeben werden, als vom Parlament
zur Verfügung gestellt werden. Zwischenzeitlich haben
wir in der Amtszeit von Ministerin Schavan die 500-Mil-
lionen-Euro-Grenze überschritten.
Herr Kollege.
Wir haben dem Antrag der Koalition auf Übertragung
zugestimmt, damit diese 88 Millionen Euro für 2010
nicht verloren gehen.
Vielen Dank.
Das sind immer so lange Sätze, die kein Ende finden.
Als Nächster hat Kollege Eckhardt Rehberg von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Kollege Hagemann, um 17.38 Uhr – das war dieletzte Kontrolle auf Ihrer Homepage – habe ich mir Ihrsogenanntes Schwarzbuch Schavan angeschaut.
Erste Bemerkung an dieser Stelle: Ich hätte gehofft,dass Sie mit dem Begriff „Schwarzbuch“ etwas andersumgehen. Das ist nach meinem Dafürhalten grenzwertig.
Aber was steckt eigentlich inhaltlich dahinter? Ichhätte von Ihnen wenigstens erwartet, dass Sie, nachdemSie unseren Anträgen zugestimmt haben – das haben Sieausgeführt; da sehen Sie einmal, wie gut CDU/CSU undFDP im Bereich Bildung und Forschung arbeiten –,
dieses sogenannte Schwarzbuch aktualisiert hätten. HerrHagemann, Sie erzählen hier, dass 500 Millionen Euronicht ausgegeben worden sind. Ich habe die Schavan-Kurve aktualisiert. Unser Weg sieht vor – diese Grafikzeigt es –, die Mittel für Bildung und Forschung biszum Jahr 2014 auf 13,4 Milliarden Euro anwachsen zulassen.
Das ist in einem Jahrzehnt fast eine Verdoppelung derMittel in diesem Bereich, nachdem gerade unter Rot-Grün in den Jahren 1999 bis 2005 eine relative Stagna-tion eingetreten ist.
Herr Kollege, hören Sie auf, uns weiszumachen, dasswir das Geld für Bildung nicht ausgeben! Wir haben we-gen des Urteils aus Karlsruhe im Februar dieses JahresIhren Pfusch erst einmal beseitigen müssen, und zwar imBereich der Bildung und Teilhabe von Kindern, derenEltern Arbeitslosengeld II beziehen. Das heißt, Sie ha-ben zu verantworten, dass wir nachsteuern mussten.
Deswegen wurden – das wissen Sie genauso gut wieich – 480 Millionen Euro nach Verabschiedung desHaushaltes 2010 in den Haushalt des Arbeits- und So-zialministeriums transferiert. Sie befinden sich weiterhinauf dem Holzweg, wenn Sie ständig erzählen, diesesGeld könne man besser für Kitas, Ganztagsschulen usw.einsetzen. Nein, Karlsruhe hat uns aufgegeben, dass dieMittel für Bildung und für Teilhabe auf das Kind bezo-gen ausgegeben werden müssen. Mit Ihrem politischenAnsatz erfüllen Sie die Vorgaben des Urteils vom Fe-bruar dieses Jahres in keiner Weise.
Genau dieses Bildungspaket müssen Sie dazuzählen.Insgesamt umfasst dieses Bildungspaket rund 722 Mil-lionen Euro. Damit bei der Bildung kein Geld verfällt,haben wir den Weg gewählt, die Ausgabereste titelscharfzu übertragen. Deswegen stimmen Ihre Vorwürfe nicht.Stichwort „Sprachlernförderung“: Hier verstärkenwir um 6 Millionen Euro, weil wir meinen, dass geradedas Erlernen der Sprache sowohl für deutsche als auchfür Migrationskinder die Voraussetzung für Bildung ist.Bei den lokalen Bildungsbündnissen stellt das Bildungs-paket bereits einen ersten Schritt dar.
Ich komme zum Thema Berufsbildungsstätten. HerrKollege Hagemann, Ehrlichkeit gehört dazu. Es stehennicht 29 Millionen Euro zur Verfügung, sondern 40 Mil-lionen Euro werden zur Verfügung stehen,
gerade um in diesem Bereich Nachholbedarfe – das sageich auch sehr selbstbewusst – besonders in den altenBundesländern zu decken. Denn in den neuen Bundes-ländern haben wir in diesem Bereich eine relativ gute In-frastruktur.Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientie-rung: Es wundert mich besonders, dass Sie das beklagen.Vor drei Tagen ist, was dieses Thema anbelangt, ein Pro-jekt beschieden worden, und zwar im Bereich der Stadt
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Eckhardt Rehberg
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Worms. Hier erhöhen wir wieder auf den Betrag von fast40 Millionen Euro.Wir verstärken, zum Beispiel im Bereich der Bil-dungsketten, die Ausfinanzierung der Potenzialanalysen.Dies ist auch deswegen besonders wichtig, weil, was diedemografische Entwicklung anbelangt, das Thema Fach-kräfte für die nächsten Jahre ein Kernthema sein wird.
Lassen Sie mich meine politische Einstellung zu die-sem Thema sagen. Mir ist es wichtig, dass wir alle Ju-gendlichen im Land, die gerade bei SchulabschlüssenSchwierigkeiten haben oder keinen Abschluss erreichen,in Übergangssysteme bekommen, damit sie eine Chancehaben, in der dualen Ausbildung einen vernünftigen Be-rufsabschluss zu machen.
Stichwort „Begabtenförderung“: Herr KollegeHagemann, wir konnten oder das Ministerium konnte imJahr 2010 nicht Verpflichtungen eingehen, bevor nichtsichergestellt war, dass das im Jahr 2011 ausfinanziertwerden kann. Deswegen haben wir hier 33 MillionenEuro – und zwar für die Büchergelderhöhung und dasNachvollziehen der BAföG-Erhöhung – übertragen.Wir haben zum Beispiel die Mittel im Bereich „Stu-denten- und Wissenschaftleraustausch“, Stichwort„DAAD“, verstärkt.Wenn Sie jetzt beklagen, dass wir keine Vorbereitun-gen im Hinblick auf die Aussetzung des Wehrdienstestreffen würden, und wenn Sie fragen, was dann aus denFreiwilligendiensten wird, muss ich Ihnen ganz selbstbe-wusst sagen: Zwischen Dresden und Rostock ist in vie-len Universitäten und Fachhochschulen noch ungeheuerviel Platz.
Wir haben eine sehr günstige Betreuungsrelation zwi-schen Professoren und Studenten. Deswegen kann ichnur sagen: Die Türen der Universitäten und Fachhoch-schulen in den neuen Bundesländern stehen sehr, sehrweit offen,
weil hier in den letzten zwei Jahrzehnten durch Solidari-tät des Westens eine super Infrastruktur geschaffen wor-den ist. Ich glaube, Ihre Befürchtungen haben überhauptkeine Basis.Herr Kollege Hagemann, Sie sprechen von drei ge-scheiterten Bildungsgipfeln. Dazu muss ich Ihnen sagen:Es gab bei den Erstsemestern im Sommer wie im Win-ter eine Steigerung um 4 Prozent. Wir hatten in Deutsch-land noch nie 442 000 Studenten im Erstsemester.
Wir hatten noch nie so viel Studierende wie heute, näm-lich 2,2 Millionen. Wir hatten noch nie so viel Studie-rende in einem Jahrgang, und zwar 46 Prozent.
Herr Kollege Hagemann, dies ist erfolgreiche Bildungs-politik unter Bundesbildungsministerin Frau Schavanseit dem Jahr 2005. Sie hat die Grundlagen dafür gelegt,dass Deutschland ein anerkannter Wissenschafts- undBildungsstandort ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn hierin Bezug auf das Thema Forschungsprämie Klagen lautwerden, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich hatte ge-dacht, das klappt. Ich habe mich in der letzten Legisla-turperiode persönlich sehr dafür eingesetzt, dass diegemeinnützigen Forschungs-GmbHs in den neuen Bun-desländern mit dabei sind. Aber ich hätte nicht vermutet,dass die Wirtschaft eine Denke hat, die da heißt: Wenndas Geld nicht in meiner eigenen Tasche landet, dannmache ich mich gar nicht auf den Weg zu Fachhochschu-len oder Universitäten. – Es ist nämlich insbesondere da-ran gescheitert, dass das Geld natürlich bei der Wissen-schaft landen sollte. Es gab vielfältige Bemühungenvonseiten des Ministeriums, der IHKs und der Unterneh-merverbände. Diese Bemühungen haben nicht gefruch-tet. Da muss man ganz einfach sagen: Das hat nicht ge-klappt.
Herr Kollege Hagemann, ein bisschen Bigotterie istdoch dabei, wenn Sie jetzt hier sagen, das sei mangelsErfolg eingestellt worden. Sie haben es doch selber be-grüßt und bejubelt. Ich nehme mal Ihre Pressemitteilungvom 1. Februar 2007 – Hagemann, Röspel und Tauss –und zitiere:Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Start derForschungsprämie und bewertet dieses neue Instru-ment als einen ersten wichtigen Beitrag, um struk-turbedingte Defizite in der öffentlichen Forschungbei der Kooperation mit der Wirtschaft abzubauen.So viel dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ebenso bigott ist es, wenn man wie Sie beklagt, dassangeblich nur ein paar Hundert Arbeitsplätze durch dieInnovationsallianzen geschaffen worden seien. KollegeHagemann, Sie fordern ja sehr gerne Berichte an. WennSie den Bericht zu den Innovationsallianzen vom Früh-sommer dieses Jahres richtig gelesen hätten, dann hättenSie nachvollziehen können, dass mit Mitteln der öffentli-chen Hand in Höhe von 600 Millionen Euro 3 MilliardenEuro aufseiten der Wirtschaft im Bereich der Grundla-genforschung und im Bereich der Anwendungsfor-schung mobilisiert worden sind. Wir haben also eine He-
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belwirkung von 5 bezogen auf 1 Euro der öffentlichenHand. Das ist aus meiner Sicht ein hervorragendes Er-gebnis.Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, was un-sere Bundesbildungs- und -forschungsministerin FrauSchavan in den letzten sechs Jahren auf den Weg ge-bracht hat, nur, damit das nicht in Vergessenheit gerät,und verspreche Ihnen: Wir werden 2013 hundertprozen-tig unser Ziel bei der Haushaltsentwicklung erreichen, sowie ich es Ihnen gezeigt habe. Herr Kollege Hagemann,die Grundlagen dafür wurden in der Großen Koalitionmit gelegt. Wir führen das verstärkt fort. Ich sage Ihnenaber: Wer ständig nur in der Vergangenheit herumkreistund irrlichtert, so wie Sie es eben gemacht haben, der istnicht in der Lage, die Zukunft zu gestalten. Wir wollenführen in Deutschland, Zukunft gestalten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Michael Leutert für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, Bildungspolitik ist ja eines der Herz-stücke Ihrer Politik. Sie rühmen sich immer, dass trotzKrise und trotz Schuldenbremse bei Bildung nicht ge-spart werde. Man muss natürlich deutlich sagen: Dasstimmt so nicht. Sie machen der Öffentlichkeit etwasvor. Es ist ein reines Luftschloss, was hier aufgebautwird. – Das möchte ich auch gerne aufzeigen, und zwaran den drei Beispielen: dass Ihr Ministerium ohne Kon-zepte arbeitet, dass, wenn agiert wird, ein heillosesDurcheinander herrscht und dass es sich, wenn Sie sichan irgendetwas festbeißen, um die falschen Projekte han-delt.
Erster Punkt: Konzeptionslosigkeit. Sie haben im Ko-alitionsvertrag – das wurde gerade eben angesprochen –die sogenannten lokalen Bildungsbündnisse festge-schrieben. Kindern zwischen fünf und zehn Jahren, diepotenziell von Bildungsarmut betroffen sind, sollte gehol-fen werden, unseres Erachtens mit fragwürdigen Metho-den, mit sogenannten Bildungsschecks – aber immerhin!Mit großem Pomp wurde das angekündigt und Verpflich-tungsermächtigungen in Höhe von 1,67 Milliarden Euroin den letzten Haushalt eingebracht. Wir haben schon da-mals ein Konzept dafür verlangt. Selbst im Sommer die-ses Jahres hat es noch nicht vorgelegen. Es gab nur dieAuskunft: Es wird am Konzept gearbeitet. – Das warselbst der Koalition zu viel, und 1,55 Milliarden Eurowurden gesperrt. Das gilt bis heute.
So sieht die Realität aus. Im neuen Haushalt findet sichder Begriff „lokale Bildungsbündnisse“ überhaupt nichtmehr, obwohl sie als zentrales Projekt im Koalitionsver-trag festgeschrieben worden sind.Zweiter Punkt: Zukunftskonten. Dieses Bildungsspa-ren, wie es auch genannt wurde, war groß angekündigt.Auch hierfür wurde ein Konzept eingefordert. Nicht ein-mal eine DIN-A4-Seite haben wir bekommen. Es hießnur, es solle analog zum Bausparvertrag bei einem Immo-bilienerwerb behandelt werden. Im Haushalt 2010 waren5 Millionen Euro zur Erarbeitung eines Konzeptes vorge-sehen. Diese Zukunftskonten finden sich im neuen Haus-haltsentwurf nicht mehr. Das begrüßen wir Linken natür-lich, weil wir das eh von Anfang an für ein falschesProjekt gehalten haben.Dritter Punkt: Weiterbildungsallianzen. GleichesThema, gleiches Problem. Angekündigt, kein Konzept,gestrichen.Mit diesem Arbeitsstil, Frau Ministerin – das mussman Ihnen lassen –, wären Sie eine hervorragende Fi-nanzministerin. Allerdings spricht dagegen das Chaos,was bei einigen Projekten herrscht.Das Herzstück Ihrer Bildungsankündigungen ist ja das12-Milliarden-Euro-Programm: Es sollen 6 MilliardenEuro zu gleichen Teilen in Bildung und Forschung übermehrere Jahre verteilt investiert werden. Der Vergleichs-maßstab ist der erste Regierungsentwurf für den Haushalt2010, noch von der Großen Koalition aufgestellt. Wir ha-ben in den diesjährigen Haushaltsverhandlungen einenBericht mit titelscharfer Darstellung angefordert. Diesenhaben wir dann auch zur Bereinigungssitzung bekom-men. Leider waren keine Vergleichszahlen enthalten.Wenn man sich aber einmal stichprobenartig die Ver-gleichszahlen zum Titel „Weiterbildung und Lebenslan-ges Lernen“ heraussucht, stellt man fest, dass im Regie-rungsentwurf 2010 37 Millionen Euro standen. Siehaben angekündigt, dass für das Jahr 2010 zusätzlich,also on top, 12,5 Millionen Euro und für das Jahr 2011zusätzlich 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wer-den. Das bedeutet, dass im Haushaltsentwurf 201140 Millionen Euro veranschlagt sein müssen. In denHaushalt 2010 hätten 50 Millionen Euro eingestellt seinmüssen. Im Haushalt 2010 waren aber nur 44 MillionenEuro veranschlagt, und im Haushaltsentwurf 2011 sindlediglich 35 Millionen Euro eingeplant. Das sind sageund schreibe 3,5 Millionen Euro weniger, als 2009 abge-flossen sind. So sieht es mit dem 12-Milliarden-Euro-Programm aus, wenn man in die Tiefe geht: Letztendlichwerden nicht mehr, sondern weniger Mittel zur Verfü-gung gestellt.
Ein weiterer Punkt sind die falschen Prioritäten. Ichspreche hier ein bestimmtes Programm an, das ebenschon erwähnt worden ist; es ist Gott sei Dank fast beer-digt. Statt das BAföG zu erhöhen und den Studierenden,die aus einkommensschwachen Schichten kommen, sozu ermöglichen, zu studieren, wollten Sie das nationaleStipendienprogramm installieren,
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Michael Leutert
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das ebenfalls zur Hälfte von Wirtschaft und Staat getra-gen werden sollte. Zielgröße sind 160 000 Studierende.Für sie sind 240 Millionen Euro, ebenfalls als Verpflich-tungsermächtigung, vorgesehen. Eingestellt davon sindlediglich 10 Millionen Euro. Wie bereits angesprochenwurde, könnten mit diesem Geld maximal 6 000 Studie-rende gefördert werden.
Man bräuchte also 15 Jahre oder länger, um die Ziel-größe von 160 000 Studierenden zu erreichen.Fast alle Experten haben gesagt: Das ist hinausgewor-fenes Geld, schon aus dem Grunde, weil dadurch dieje-nigen Studierenden gefördert werden, die auf diesesGeld im Zweifelsfall überhaupt nicht angewiesen sind.Deshalb haben wir es abgelehnt. Mittlerweile ist dieLage so schlimm, dass Sie von den im Haushalt veran-schlagten 10 Millionen Euro Geld abzweigen müssen,um die Unis und die Fachhochschulen darin zu schulen,wie sie Spenden eintreiben können.
Selbst dort hält sich der Andrang in Grenzen, wie mander Zeitung entnehmen kann.
Frau Schavan, liebe Kollegen von der Koalition, ichkann Sie nur auffordern: Beerdigen Sie dieses Programmebenfalls!
Ich meine, ob ein angekündigtes Programm mehr oderweniger beerdigt wird, darauf kommt es hier nicht mehran.
Ich schlage Ihnen vor: Kümmern Sie sich um diewirklich wichtigen Sachen; sie sind heute hier schon an-gesprochen worden. Dazu gehört die Knappheit an Stu-dienplätzen. Wir haben das Problem, dass durch dieAussetzung der Wehrpflicht mehr Menschen an die Uni-versitäten und an die anderen Hochschulen gehen wer-den. Wir haben das Problem der Masterstudiengänge. Esgibt mittlerweile Menschen, die sich in Masterstudien-gänge hineinklagen, und zwar erfolgreich – was ich her-vorragend finde.
Kümmern Sie sich um diese Dinge! Wenn das geschehenist und Sie realitätstaugliche Konzepte vorgelegt haben,dann kann man darüber sprechen, ob man so einemHaushalt eventuell zustimmt. Solange aber keine reali-sierbaren Konzepte vorgelegt werden, können wir denHaushalt nur ablehnen.
Das Wort hat nun Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuden Markenzeichen dieser Koalition, liebe Kollegen vonder Opposition, gehört nun einmal dieses Riesenbil-dungspaket; das ist so. Bildung und Forschung werdenin dieser Legislaturperiode mit bis zu 12 Milliarden Eurobedacht werden. Das ist ein Wunschtraum von Ihnen,Herr Hagemann, gewesen, den Sie in den elf Jahren IhrerRegierungszeit nie haben erfüllen können.
Jetzt wird er erfüllt. Gott sei Dank ist die FDP dabei, undGott sei Dank haben wir unser Vorhaben in den Koali-tionsverhandlungen zusammen mit Frau Schavan durch-gesetzt.
Wir haben einen Einzelplan 30 mit einem Volumenvon 11,6 Milliarden Euro. Sie können diesen Einzelplannoch so schlechtreden, Sie können sich noch so bemü-hen: Diese Gelder fließen in die Bildungslandschaft, sowie wir es versprochen haben. Das Ganze wird erfolg-reich sein. Da können Sie so viel herumnölen, wie Siewollen.
Wir tun übrigens auch etwas bei Projekten – ich wärefroh, wenn Sie einmal in die „Ehrlich-machen-AG“ derGrünen gingen, Herr Hagemann –,
die in der Vergangenheit erfolgreich angestoßen wordensind. Selbstverständlich stehen wir zum Hochschulpakt,für den immerhin 910 Millionen Euro vorgesehen sind.Wir stehen zur Exzellenzinitiative, für die 326 MillionenEuro veranschlagt sind. Wir geben mehr Geld für dieVielzahl der Forschungsinstitutionen aus. 5 Prozentmehr pro Jahr, das ist ein Akt. Das setzen wir durch. Neudazu kommt der Qualitätspakt Lehre. Er ist eine dritteSäule zur Verbesserung der Studienqualität. Hierfür wer-den wir bis 2020 rund 2 Milliarden Euro ausgeben.
Da ist nichts schlechtzureden.Auch das Stipendienprogramm ist neu; Sie versu-chen seit vielen Monaten, es schlechtzureden.
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Ulrike Flach
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– Meine Güte! In Nordrhein-Westfalen wird gezeigt,dass das gut läuft und gerade den Schichten hilft, um dieSie angeblich so besorgt sind.
Hier wird versucht, das Programm auf das ganze Landauszudehnen. An wem scheitert es? Natürlich an denSPD-regierten Ländern!
Ihretwegen konnten wir noch nicht zu Potte kommen.Jetzt, wo wir den Ländern wieder zusätzliches Geld ge-ben, haben wir uns geeinigt. Das ist wirklich eineSchande für die SPD-regierten Länder.
Das Programm wird gut laufen. Bis zu 10 000 jungeMenschen in diesem Land werden ein Stipendium erhal-ten. Sie werden glücklich sein und studieren können.
Sie können sich noch so sehr darüber beschweren: Daswird gut laufen.Wir haben das BAföG erhöht. Auch das wurde langevon Ihnen bekämpft.
– Ja, natürlich, die SPD-geführten Länder haben nichtmitgezogen. Jetzt läuft es.
Außerdem haben wir Folgendes gemacht – KollegeRehberg hat eben schon darauf hingewiesen –: Wir ha-ben die Gelder, die im Laufe des normalen Haushaltsver-fahrens nicht abgeflossen sind, nicht dem jeweiligen Fi-nanzminister gegeben, sondern gesammelt. Wir habendamit nicht, wie Sie das jahrelang gemacht haben, dieGMA, die globale Minderausgabe, gefüttert. Wir habenneue Programme aufgesetzt. Das heißt, wir haben andieser Stelle wirklich einmal kontinuierlich dafür ge-sorgt, dass das Geld eingesetzt wird und nicht bei denwie immer mit offenen Händen dastehenden Finanzmi-nistern landet.Wir haben damit die Begabtenförderungswerke, dieWissenschaftskooperationen, die Weiterbildung und dieBerufsbildungszentren gestärkt.
Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Anstatt sich je-des Mal darüber zu beschweren, dass wir alle zusammendie Folgen einer Föderalismusreform erleiden müssen,die Sie mit Ihren Stimmen überhaupt erst auf den Weggebracht haben,
sollten Sie einmal darüber nachdenken, welchen Zweigwir noch stärker unterstützen und fördern sollten: dieBerufsbildung. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungenist, im nächsten Jahr zusätzlich 10 Millionen Euro fürden Ausbau von Berufsbildungszentren in den altenBundesländern einzustellen, die hier seit 1990 derbe zu-rückhängen; Gott sei Dank haben wir in den neuen Län-dern inzwischen viel aufgeholt. Das ist doch etwas. Dafreuen sich genau die Menschen in unserem Lande, dienicht vom Glück gesegnet sind und eine Unterstützungbrauchen, wenn sie ihre berufliche Ausbildung angehen.
Lieber Herr Hagemann, wir haben übrigens Ihnen zu-liebe das Technikum eingestellt.
Wir haben uns einen ganzen Abend lang darüber gefreut.Das Technikum ist von Ihnen eingeführt worden; es istnie gut gelaufen. Kaum sind wir – Herr Rehberg und ich –an der Macht, haben wir es eingestellt.
So läuft das, wenn die christlich-liberale Koalition arbei-tet. Das war erfolgreich.Wir haben sehr viele Stellen in diesem Haushalt zurVerfügung gestellt. Die Gesundheitszentren werden ent-sprechend versorgt werden, die Leopoldina und acatechbekommen Personal. Damit haben wir natürlich einenGrundstein dafür gelegt, dass in diesen Bereichen auchin Zukunft ordentlich gearbeitet werden kann.
Der Präsident stoppt leider gerade meinen Redefluss.Unter dem Strich gilt: Diese christlich-liberale Koalitionist auf dem besten Wege, ihr größtes und wichtigstesVersprechen einzuhalten: Wir sind bereit, viel Geld fürBildung und Forschung auszugeben. Wir beide – HerrRehberg und ich – werden dafür sorgen, dass es tatsäch-lich dazu kommt.Danke.
Das Wort hat nun Priska Hinz für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.
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Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorhin ha-ben wir über den Etat einer Ministerin diskutiert, die beiwenig Geld im Etat konzeptionslos agiert. Jetzt diskutie-ren wir über den Etat einer Ministerin, in deren Etat zwarviel Geld ist, die aber leider ebenfalls konzeptionslosagiert.
Das zeigt sich schon allein daran, dass Sie Haushalts-reste in Höhe von fast 90 Millionen Euro in der Bereini-gungssitzung – in letzter Minute – in das kommendeJahr übertragen mussten. Frau Schavan hat zwar vielGeld, das wir, das Parlament, ihr überantwortet haben,aber sie ist nicht in der Lage, gute Konzeptionen zu erar-beiten und sie so zu gestalten, dass sie umsetzbar sindund das Geld ausgegeben werden kann.
Von einem Aufwuchs in Höhe von 750 Millionen Euro90 Millionen Euro nicht auszugeben, das ist, finde ich,eine stolze Leistung einer Ministerin.
Wenn man schon damit überfordert ist, Geld für guteBildung auszugeben, dann ist man natürlich auch über-fordert, wenn es darum geht, deutlich zu machen, wasmit dem Aufwuchs von 12 Milliarden Euro, für denwir alle sind, in dieser Wahlperiode geschehen soll. DerBericht, den der Kollege Leutert schon angesprochenhat, ist nicht titelscharf formuliert.
Es gibt keinen Vergleichsmaßstab, weil die Finanzpla-nung für 2010 nur sehr grob ist. Titelscharf wurde aberbelegt, dass das Auswärtige Amt von dem Geld, das ausdem 12-Milliarden-Topf rüberwächst, mehr Geld fürAuslandsschulen ausgibt, zumindest angeblich.
De facto ist das aber ganz anders: In der Bereinigungssit-zung haben wir erfahren, dass das Auswärtige Amt dieMittel für den entsprechenden Titel in Wirklichkeit ge-kürzt hat, um dann 50 Millionen Euro aus dem 12-Mil-liarden-Topf zu nehmen und zu sagen: Es ist doch allesgut; wir geben mehr Geld für Bildung aus.
Liebe Leute, das ist Augenwischerei! Wenn das in derKoalition so weitergeht, dann wird das Ziel, diese12 Milliarden Euro für eine bessere Bildung in diesemLand auszugeben, nicht erreicht.
Frau Ministerin, Sie sind nicht in der Lage, gutesGeld für Bildung auszugeben und dem Parlament gegen-über transparent nachzuweisen, wie das Geld ausgege-ben wird. Bei dem sogenannten Bildungspaket habenSie sich aber völlig weggeduckt. Es ist ziemlich peinlich,dass die Bildungsministerin zu der entscheidendenFrage, wie Bildung bzw. Lernförderung für Kinder ausarmen Familien organisiert werden soll, nichts zu sagenhat. Sie gibt das Geld weg und kümmert sich nicht mehrdarum, was mit diesem Geld passiert.
Statt die Schulen bei der Gestaltung guter Lernbedin-gungen zu unterstützen, werden jetzt private Nachhil-feinstitutionen gefüttert. Bei der BA, bei den Kommunenund bei der Familienkasse werden mindestens135 Millionen Euro für Verwaltungskosten ausgegeben.
– Nein, Frau Flach. Mir ist es nicht erinnerlich, dassCDU/CSU und FDP damals, als es um das ALG II ging,mehr Geld gefordert haben, weder im Vermittlungsaus-schuss noch hinterher hier im Bundestag. Mir ist nichterinnerlich, dass Sie mehr Geld für die Kinder habenwollten.
Mir ist erinnerlich, dass Ihnen die Zahlungen beimALG II damals eigentlich sogar zu hoch waren. Also,vergießen Sie hier keine Krokodilstränen!
Die FDP ist doch angeblich immer für weniger Büro-kratie. Wissen Sie, wo Sie Ihre Stimme erheben sollten?Sie sollten Ihre Stimme erheben, um zu verhindern, dassdie Regierung über die Jobcenter Geld an Familien imRegelbezug verteilt. Das Personal ist dafür nämlich nichtgeeignet. Auch die Kommunen sollen aus diesem Topfgespeist werden, um ALG-II-Familien bedienen zu kön-nen. Außerdem soll eine neue Institution für den Zivil-dienst geschaffen werden, weil man nicht weiß, wo mandas Personal unterbringen soll. Diese drei Organisatio-nen sollen diejenigen Familien beglücken, die den Kin-derzuschlag erhalten. Das sind drei verschiedene Organi-sationen, die damit beschäftigt werden, Kinder ausarmen Familien zu fördern. Dagegen müssten Sie IhreStimme einmal erheben und ein besseres Programm vor-schlagen. Besser noch wäre es, wenn Sie sich an unse-rem Programm orientieren würden.
Wir haben vorgeschlagen, dass man die Lernförde-rung schulnah organisiert, zusammen mit den Jugend-hilfeträgern und den außerschulischen Kooperationspart-nern. Die Lernförderung sollte dort stattfinden, wo dieKinder sind: in den Kindergärten, in den Schulen und in
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Priska Hinz
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den Horten. Dort kann man Lernförderung betreiben.Dort können Vereine gute Angebote machen. Das wäreauch im Hinblick auf einen Zuwachs bei den Ganztags-angeboten sinnvoll. Wir müssen an den vorhandenenStrukturen andocken, um die Kinder aus armen Familienzu erreichen. Die Lernförderung muss da stattfinden, wodie Kinder hinkommen. Ansonsten geht das Programmfehl; das sage ich Ihnen schon jetzt. Die Familien wer-den es nicht schaffen, die Kinder in eine 20 Kilometerentfernte Musikschule oder eine 10 Kilometer entfernteNachhilfeinstitution zu bringen. Nein, wir müssen diebildungsnahen Strukturen fördern. Hier versagen Sie lei-der.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, dermir sehr am Herzen liegt. Weder für den Bereich derWeiterbildung noch für den Bereich der Berufsausbil-dung oder der steuerlichen Forschungsförderung ist vonIhnen ein Konzept vorgelegt worden. Wir können des-wegen nichts anderes tun, als zu Ihrem Haushalt Nein zusagen. Solange Sie so konzeptionslos sind, haben Sie esnicht verdient, mehr Geld zu erhalten.Danke schön.
Das Wort hat nun Bundesministerin Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der Erfolg von Politik ent-scheidet sich nicht an der Bewertung durch die Opposi-tion.
Der Erfolg von Politik entscheidet sich auch nicht andem Geschmack eines Einzelnen, sondern an Fakten.
– Ich verstehe ja, dass Sie ein bisschen deprimiert sind.Das wäre ich an Ihrer Stelle auch.Sie wissen sehr genau, dass wir ein großes Stück vo-rangekommen sind. Wir haben das BAföG weiterentwi-ckelt und die Sätze erhöht. Nachdem Jahre und Jahr-zehnte darüber in Deutschland gesprochen wurde, habenwir damit begonnen, eine Stipendienkultur aufzubauen.
Wir haben endlich etwas dafür getan – die Vorredner ha-ben schon darauf hingewiesen –, dass armen KindernBildungsteilhabe ermöglicht wird.
Sie haben es nicht getan, sondern Sie haben in den Bil-dungsbereich eine Null geschrieben.
Wir haben endlich – auch das hätte man schon vielfrüher tun können – die Anerkennung von im Auslanderworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen auf denWeg gebracht; denn es ist nicht in Ordnung, dass bei-spielsweise derjenige, der woanders Physik studiert hat,in Deutschland nicht mehr machen kann, als Taxi zu fah-ren. Die Anerkennung bedeutet Gerechtigkeit. Sie hättenviele Jahre die Gelegenheit dazu gehabt.
Wir haben viele Einzelmaßnahmen zu dem zusam-mengefügt, was Bildungskette heißt.
Wir haben in den vergangenen Jahren eine deutliche Re-duzierung der Zahl der Schüler, die keinen Schulab-schluss haben, erreicht. Ein Schulabschluss ist für einenSchüler die entscheidende Eintrittskarte in Ausbildungoder Studium. Es war ein wichtiger Schritt, dass sichBildungslotsen ab der siebten Klasse um die Schülerkümmern. Wir wollen nicht warten, bis das Kind in denBrunnen gefallen ist. Wir gestalten den Übergang vonder Schule in die Ausbildung besser. Darin spiegelt sichdas wider, was eine gute Pädagogik ausmacht: Aufmerk-samkeit für den einzelnen Jugendlichen. Große ideologi-sche Pläne, mit denen man an die Jugendlichen letztlichüberhaupt nicht herankommt, nutzen da wenig.
Mit dem Projekt „Bildungsgutscheine“ im Bereichder Weiterbildung haben wir einen erheblichen Motiva-tionsschub erreicht. Die meisten Bildungsgutscheinegehen an erwachsene Menschen, die bis dahin nochnicht auf die Idee gekommen sind, sich weiterzubilden.Dass sie diesen Zugang heute bekommen, ist ein Erfolgund ein ganz wichtiger Schritt, um Weiterbildung inDeutschland zu stärken.
Lieber Herr Hagemann, ich will nur auf einen einzi-gen Punkt Ihrer Ausführungen eingehen. Ich finde es su-per, dass Sie Zitate von mir aus dem Jahre 2002 gefun-den haben. Ich könnte Ihnen Zitate nennen, in denen ichmich noch viel drastischer zu diesem Programm geäu-ßert habe. Ich habe das Programm damals ein Suppenkü-chenprogramm genannt. Wenn man sich die Studie, diesich mit diesem Programm beschäftigt, ansieht, dannkann man erkennen, dass das Bauen von Ganztagsschu-len nicht unwichtig war. Aber die Einschätzung von da-
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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mals gilt auch heute noch: Das Bauen macht nur Sinn inVerbindung mit einer pädagogischen Entwicklung derSchulen.
Dazu ist es notwendig, dass die Länder genügend Perso-nal zur Verfügung stellen.
Außerdem muss das geschehen, womit wir in der Gro-ßen Koalition angefangen haben – dabei geht es nichtum den Bau einer Mensa –, nämlich den Schulen zu hel-fen, Konzepte zu entwickeln. Das führt zu besserenSchulen und zu einer größeren pädagogischen Qualität.So setzen wir das Programm sinnvoll um.
Frau Hinz, ich würde mich als Opposition jetzt viel-leicht auch so darauf stürzen – auf irgendetwas mussman sich ja stürzen –; aber Sie wissen doch ganz genau,dass die Antwort der Bundesregierung auf das Urteil desBundesverfassungsgerichts zu Hartz IV kein Infrastruk-turprogramm oder irgendein Programm für Schulen seinkonnte. Der Auftrag war ein anderer.
Der Auftrag richtet sich auf das Individuum, die Förde-rung von Subjekten. Das ist die Antwort, die Sie verges-sen haben; sie ist auf Kinder ausgerichtet und nicht aufInstitutionen.
Zu den Fakten gehört auch: Als wir 2005 in der Gro-ßen Koalition angefangen haben,
lag eine jahrelange besorgniserregende Stagnation derStudienanfängerzahlen hinter uns. Alle hatten den Ein-druck, in Deutschland wollten junge Leute nicht studie-ren. 2010, nur fünf Jahre später, hat sich die Zahl derStudienanfänger auf über 46 Prozent erhöht; das ist eineSteigerung um 10 Prozent. Das hat es nie zuvor in derGeschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben.
Wie ist diese Steigerung zu erklären? Die jungenLeute merken natürlich, dass Bildung, Wissenschaft undForschung in diesem Land wieder einen höheren Stellen-wert haben. Sie merken, dass in Berlin die richtige Poli-tik gemacht wird
– Herr Schulz, Sie kommen ja gleich noch dran; aberwenn ich Sie wäre, wäre ich jetzt mal ganz vorsichtig;Sie werden in den nächsten Monaten noch erleben, wiehier über Bildungspolitik in Berlin diskutiert werdenwird –, trotz der notwendigen Konsolidierung der Haus-halte, trotz aller Schwierigkeiten, die wir übrigens auchin den Haushalten anderer Länder in Europa erleben.
Diese jungen Leute spüren, dass Deutschland für Studie-rende attraktiv ist; nach den Vereinigten Staaten undGroßbritannien ist es das drittbeliebteste Land. Diesejungen Leute spüren, dass sich Bildung lohnt und dasssie ihr Studium wieder finanzieren können, weil es nichtnur BAföG gibt, sondern im Laufe der Jahre auch eineStipendienkultur, die ihnen mehr Möglichkeiten ver-schafft als die Grundsicherung über BAföG.
Diese jungen Leute spüren auch, dass Verlässlichkeitin die Politik gekommen ist.
Diese Bundesregierung ist ein verlässlicher Partner derStudierenden, sie ist ein verlässlicher Partner der Hoch-schulen, sie ist ein verlässlicher Partner der Forschungs-organisationen, und zwar über einen langen Zeitraum;denn wir fahren nicht nur auf Sicht, sondern haben die12 Milliarden Euro ganz klar im Koalitionsvertrag ver-ankert.
Jetzt kommt das Thema Wehrpflicht.
– Ich glaube, dass für die Hochschulen ein späterer Zeit-punkt günstiger wäre; das ist doch gar keine Frage.
Jetzt wägen Sie aber doch einmal ab: zwischen der Auf-gabe, neue Studienplätze zu schaffen, und unserer Fach-kräftediskussion. Wir diskutieren täglich über die Frage,wie wir den Fachkräftebedarf in den nächsten zehnJahren in Deutschland decken können, wenn wir denWohlstand halten wollen, den wir haben. Alle, die etwasdavon verstehen, sagen, schon in den nächsten fünf Jah-ren werden auf 100 Akademiker, die in den Ruhestandgehen, nur 90 folgen.
Angesichts dessen ist es eine Chance, wenn nun mehrjunge Leute ein Studium beginnen.Außerdem haben wir einen Hochschulpakt mit275 000 zusätzlichen Studienplätzen bis 2015.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8327
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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– Herr Hagemann, am Hochschulpakt 2005 bis 2010können Sie erkennen, dass nicht schon vorab festgelegtwar, wie viele Studienplätze in einem Jahr geschaffenwerden. Das heißt, Länder können natürlich statt in 2012oder 2013 bereits 2011 einen höheren Anteil Studien-plätze in Anspruch nehmen.
Wir reden 2013 darüber, was für 2014 und 2015 gegebe-nenfalls notwendig ist. Dann werde ich das sagen, wasich auch dieser Tage gesagt habe: Die Bundesregierungsteht zum Hochschulpakt. Sie steht auch zur Weiterent-wicklung des Hochschulpaktes. Sie wird ihn für 2015 bis2020 aushandeln. Dann muss für uns klar sein: Diejeni-gen, die Abitur machen und sich um einen Studienplatzbemühen, werden nicht in die Warteschleife geschickt.Ich erwarte von den Ländern, dass sie den Hochschulenjetzt nicht Rücklagen wegnehmen, sondern ihnen Rück-lagen lassen und investieren.
Das ist ein Teil der Fakten. Die jungen Leute habendie Fakten verstanden. Das Thema Bildung und Wissen-schaft hat in diesem Land einen völlig anderen Klang alsnoch vor einigen Jahren. Ich möchte allen danken, diedazu beigetragen haben – den Berichterstattern, den Re-gierungsfraktionen, dem Haushaltsausschuss, der harteArbeit zu leisten hat –, dass es uns gelungen ist, auch imnächsten Jahr Zusagen einzuhalten, verlässlich zu blei-ben und dem gerecht zu werden, was in dem Satz steckt,dass Lehren und Lernen zu den besten Seiten des Men-schen gehören.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrteFrau Ministerin Schavan, zunächst kurz einen Satz zuBerlin: So wahnsinnig schlecht kann die Bildungspolitikim Land Berlin – von SPD und Linken regiert – nichtsein. Denn sehr viele Studierende wollen hier in Berlinstudieren.
Viele andere Länder sollten sich ein Beispiel an Berlinnehmen. So herum wird ein Schuh daraus.
Die Koalition legt starke Haushaltszahlen vor, jeden-falls auf den ersten Blick. Wenn man sich den Haushaltund die Politik der Bundesregierung im Bereich Bildungaber genauer anschaut, kommt man zu dem Fazit: VielMoos, aber nix los.
Sie kennen doch das Märchen vom Hans im Glück.So kommt mir auch Ministerin Schavan vor: Annette imGlück. Im Märchen erhält Hans von seinem Herrn eingroßes Stück Gold. In der Politik hat Frau Schavan sogardoppeltes Glück. Das Thema Bildung und Forschung istangesagt. Es gibt so viel öffentlichen Druck, da kann derBundesfinanzminister eigentlich gar nicht anders, alsganz viel Gold – besser gesagt: Geld – zur Verfügung zustellen. Darüber hinaus hat die SPD in Rot-Grün und inder Großen Koalition erfolgreich gearbeitet. Exzellenz-initiative, Pakt für Forschung, Hochschulpakt, gutesBAföG – ohne die SPD gäbe es all das nicht, Frau Flach.
Was aber macht Frau Schavan jetzt mit all dem Gold?Sie verplempert es. Ein großer Teil des Geldes – dashaben wir schon gehört – wurde in 2010 gar nicht erstausgegeben. Ein anderer Teil des Geldes wird ver-schwendet. Wir haben ein Schwarzbuch erstellt, in demdie Fehlausgaben aufgelistet sind, etwa die Ausgaben fürdas missratene Technikum, bei dem 4 Millionen Euro für31 Praktikantenplätze ausgegeben wurden.
Das sind sage und schreibe 129 000 Euro für jedes Prak-tikum.Ein anderer Teil des Geldes wird für falsche Projekteausgegeben, zum Beispiel für das Stipendienprogramm.Es wurde groß angekündigt, jetzt aber auf ein Mindest-maß reduziert: von 160 000 auf nur noch 6 000 Stipen-dien im nächsten Jahr.
In den Ausschussberatungen hat Kollege Schipanskiganz selbstbewusst gesagt, dass die privaten Stipendien-geber auf den Startschuss warten, als ob die Hochschu-len sich vor dem Ansturm der Mäzene kaum retten könn-ten. Jetzt – man weiß gar nicht, ob man lachen oderweinen soll – bietet die Bundesregierung den Hochschu-len Kurse an, um ihnen beizubringen, wie man Stipen-dien einwirbt.
Meine Güte, wie verzweifelt müssen Sie sein, wie großist wohl die Sorge, dass dieses bereits auf ein Minimumabgespeckte Programm nicht funktioniert?
Aber Sie geben erst einmal viel Geld für Verwaltung, fürÖffentlichkeitsarbeit und für diese Kurse aus.
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8328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Swen Schulz
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Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Re-gierungskoalition, seien Sie doch ehrlich. Das Einzige,was vernünftig läuft, sind die durch die SPD angescho-benen Programme.
Darum wäre es gut, Sie würden einmal richtig auf unshören. Wir haben ein Programm zur Verbesserung derLehre vorgeschlagen. Sie kleckern nur hinterher.
Wir haben eine deutliche BAföG-Verbesserung vorge-schlagen. Sie zuckeln halbherzig nach.Wir haben Sie von Anfang an vor der katastrophalenFinanzpolitik der Regierungskoalition gewarnt, weildiese den Ländern und Kommunen die Basis für einegute Bildungspolitik zerstört. Sie haben nichts dagegenunternommen. Im Gegenteil, Sie schieben jetzt den Län-dern den Schwarzen Peter zu.Es geht ja schon wieder mit der Debatte um Steuer-senkungen los. Dabei müssten Sie, Frau Ministerin, end-lich einmal gemeinsam mit den Ländern und Kommunenetwas Sinnvolles für die Bildung unternehmen. Wo sindSie denn tatsächlich etwa in der Debatte über Bildungs-teilhabe, bei der Förderung von armen Kindern und Ju-gendlichen? Sie wollen sich hier wortreich herausreden.Das sogenannte Bildungspaket ist doch eher ein Bil-dungspäckchen. Ein paar Gutscheine mit großem büro-kratischen Aufwand verteilen – das ist nicht die Lösung.
Wir von der SPD haben Investitionen in die Schulen ge-fordert, damit alle und direkt optimal gefördert werden.Herr Kollege Rupprecht, wir haben in diesen Haushalts-beratungen 100 Millionen Euro für Schulsozialarbeitervorgeschlagen.
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat das abge-lehnt. Ich habe Sie, Frau Ministerin, im Ausschuss ge-fragt: Wie sieht es denn mit Investitionen direkt in dieSchulen aus? – Sie wollen das nicht.Wir wollen ein neues Ganztagsschulprogramm.
Da stehen wir nicht allein. Das ist nicht etwa einfach nureine Oppositionsforderung, sondern es gibt viele wich-tige Kräfte in der Gesellschaft, die das unterstützen. ZumBeispiel die Evangelische Kirche hat das jüngst auf ihrerSynode beschlossen. Sogar die Wirtschaftsweisen habenin ihrem aktuellen Jahresgutachten eine Bildungsoffen-sive mit flächendeckenden Ganztagsschulen gefordert.Wir reden nicht nur, sondern wir haben da schon vor-gearbeitet – übrigens gegen Ihren Widerstand.
Das erste Ganztagsschulprogramm der RegierungGerhard Schröder ist von der konservativen Seite nochmassiv bekämpft worden.
Jetzt haben Sie, Frau Ministerin – das ist ja schon ange-klungen –, ganz stolz die Ergebnisse einer Studie vorge-stellt, wonach die Ganztagsschulen lauter positive Effektehaben: auf die Schulleistungen, auf das Sozialverhalten,auf das häusliche Familienklima. Und welche Konse-quenzen ziehen Sie daraus, liebe Frau Ministerin, wennSie sagen, dass das erste Ganztagsschulprogramm zuwenig war? Was machen Sie denn jetzt?
Gar nichts machen Sie. Das ist nicht nur zu wenig, son-dern das nenne ich Arbeitsverweigerung.
Anderes Thema. Sie bejubeln die steigende Studier-neigung. Das ist ja auch toll, keine Frage. Doch das be-deutet auch eine Verpflichtung. Auch die Hochschulrek-torenkonferenz fordert, dass Bund und Länder deutlichmehr Studienplätze bereitstellen, über das Bisherige hi-naus. Wo ist Ihr Beitrag, Frau Schavan?Seit Monaten diskutieren wir über die Konsequenzender geplanten Aussetzung der Wehrpflicht. Da kommennatürlich im nächsten Jahr mehr Bewerberinnen und Be-werber auf die Hochschulen zu. Da muss sofort agiertwerden, um ausreichend Studienplätze zu schaffen. Dasgeht nicht über Nacht. 60 000 Plätze müssen nach Anga-ben der Länder zusätzlich her.Herr Rehberg, es ist doch ganz klar, dass der BundVerursacher dieser Situation ist. Darum muss er auch da-für geradestehen. Das sagen wir seit langem. Aber washaben wir von der Bundesregierung bisher gehört? Ab-warten, Beschwichtigungen, Kompetenzgeschiebe. Undheute geht das weiter. Frau Ministerin, Ihrer Rede habeich entnommen, dass Sie in dieser Frage überhauptnichts tun wollen und das alles den Ländern überlassen.Das ist nicht verantwortungsbewusst. Das ist kurzsich-tig. Das kann so nicht gehen.
Frau Ministerin, Sie haben eigentlich alle Möglich-keiten. Aber Sie machen nichts daraus. Jetzt stehen Sieda wie am Ende der Hans im Glück im Märchen. Der hatnämlich sein Gold im Laufe der Fehlentscheidungen ver-loren und hat dann eben nichts mehr. Dabei ist er aber,genau wie Sie, Frau Ministerin, auch noch froh. AmEnde des Märchens heißt es:„So glücklich wie ich“, rief er aus, „gibt es keinenMenschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzenund frei von aller Last sprang er nun fort, bis er da-heim bei seiner Mutter war.Sie aber, Frau Ministerin, sollten endlich einmal richtigarbeiten.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8329
Swen Schulz
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Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, anIhrer Stelle würde ich mich nicht so weit aus dem Fens-ter lehnen. Gerade einmal 8,2 Milliarden Euro waren imletzten Bundeshaushalt von Rot-Grün für Bildung undForschung vorgesehen.
Die Ausgaben für Bildung und Forschung steigen in die-sem Jahr auf insgesamt 11,7 Milliarden Euro. Das sind3,5 Milliarden Euro mehr als zu Ihrer Regierungszeit.Keine Bundesregierung hat jemals so viel Geld in Bil-dung und Forschung und damit in die Zukunft unseresLandes investiert.
Das, was wir gerade erlebt haben, war wirklich un-glaublich. Das war fast schon eine Märchenstunde, dieuns hier präsentiert worden ist.
Die Koalition der Mitte
setzt auf eine Politik für mehr Bildung, für mehr For-schung und für mehr Innovation in Deutschland. Auchwenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Wir wollen undwerden dadurch den Bildungsaufstieg ermöglichen, dieForschungsdynamik erhöhen und dafür sorgen, dassDeutschland weiterhin eines der führenden Innovations-länder in Europa ist. Das ist das Ziel dieser Regierungs-politik.
Bei der notwendigen Ausrichtung der Hightech-Stra-tegie haben wir nicht zuletzt die globalen Herausforde-rungen vor Augen. Wir fördern die neuen Technologienmit 709 Millionen Euro und setzen mit dem Schwer-punkt Elektromobilität ein klares Signal, auch hinsicht-lich der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Mit derNationalen Forschungsstrategie Bioökonomie werdenwir zusätzliche Akzente setzen. Mit diesen Maßnahmenwollen wir in die Zukunft dieses Landes investieren. Wirunterstützen die Forschung, und zwar die Forschung, dieden Menschen dient. Das ist eine Grundlage unserer ge-meinsamen Regierungspolitik.
Die Kernelemente unserer forschungspolitischenAgenda werden deutlich, wenn man sieht, welchenSchwerpunkt wir beim Aufbau der Deutschen Zentrender Gesundheitsforschung legen. Bereits vor wenigenTagen wurde das Kompetenz-Zentrum Diabetes eröffnet.Im nächsten Jahr sind vier weitere Zentren geplant: fürInfektiologie, Onkologie, Pneumologie und Kardiologie.Dies stärkt unsere Position im Kampf gegen die soge-nannten Volkskrankheiten und hilft den Menschen in un-serem Land direkt. Es zeigt, dass wir eine Politik nahebei den Menschen machen, mit der richtigen ordnungs-politischen und forschungspolitischen Ausrichtung.
Die Koalition der Mitte,
Herr Kollege, steht weiterhin zu der im Pakt für For-schung und Innovation mit den Forschungsorganisatio-nen eingegangenen Verpflichtung und baut diese weiteraus. Im Rahmen der Hightech-Strategie tun wir dies ineiner ganzen Reihe von Bedarfsfeldern.
Es ist richtig und gut, dass weitere Förderinstrumenteebenfalls eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel derSpitzencluster-Wettbewerb,
der Industrie-Forschungs-Campus und endlich auch dieValidierungsförderung, der Brückenschlag von Grundla-genforschung zu anwendungsorientierter Forschung.Damit machen wir Deutschland zukunftsfähig. So entwi-ckeln wir die Forschungsrepublik Deutschland.
Wir haben die Forschungsbemühungen gerade dermittelständischen Unternehmen mit einem umfangrei-chen Spektrum von Maßnahmen gefördert und werdenweiterhin daran arbeiten, die Bedingungen für diese Un-ternehmen zu verbessern. Die Rahmenbedingungenmüssen positiv fortentwickelt werden.Diese Rahmenbedingungen hat der Stifterverband fürdie Deutsche Wissenschaft sehr gut auf den Punkt ge-bracht. Er hat darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftihre Forschungsanstrengungen im Jahre 2010 sogar er-höht hat. Dies ist ein Hinweis, wie wir erfolgreiche Rah-menbedingungen für eine sinnvolle Forschungspolitiksetzen können.Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich, dass die for-schenden Unternehmen, die gerade in der Wirtschafts-
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8330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Patrick Meinhardt
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krise bereit waren, zusätzliche Mittel in die Forschungzu investieren, diejenigen Unternehmen sind, die diesesLand voranbringen, im Hinblick auf Arbeitsplätze, Aus-bildungsplätze und Wirtschaftsfähigkeit. Dafür sollteman an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen.
Beim Thema Bildungsgerechtigkeit geht es auch umdie Frage, wie wir die berufliche Bildung fördern. Welchhohe Anerkennung sie in diesem Haushalt genießt, zeigtsich in den entsprechenden Aufwüchsen: Maßnahmenzur Verbesserung der Berufsorientierung: plus 18 Millio-nen Euro; Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbil-dung: plus 16 Millionen Euro; Begabtenförderung in derberuflichen Bildung: plus 9 Millionen Euro; Strukturent-wicklung beruflicher Bildung: plus 11,5 Millionen Euro;überbetriebliche Bildungsstätten: plus 11 MillionenEuro. Das alles zusammen macht deutlich, dass wir einganz klares Ziel setzen. Berufliche Bildung hat bei unshohe Priorität und genießt dieselbe, gleichberechtigteAnerkennung wie die akademische Bildung in dieserBundesregierung.
Die BAföG-Novelle haben wir in die Wege geleitet,sodass im kommenden Jahr in der Summe alle Beteilig-ten zusammen 500 Millionen Euro mehr erhalten, undzwar rückwirkend zum Wintersemester. Ich bin sehr frohdarüber, dass dies erreicht werden konnte.Sie wundern sich wahrscheinlich nicht, dass ich auchsehr froh darüber bin, dass in diesem Land mit dem na-tionalen Stipendienprogramm eine weitere Säule derTalentförderung in der Bundesrepublik Deutschland eta-bliert werden kann. 20 000 junge Menschen werden inden Begabungsförderungswerken durch die Finanzie-rung der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Imkommenden Jahr legen wir als ersten Schritt ein Pro-gramm auf, das zusätzlich 10 000 Studierenden dieMöglichkeit dazu gibt. Wir erhöhen also den Anteil deröffentlich geförderten Stipendien in der BundesrepublikDeutschland um 50 Prozent. Das ist eine ganz großartigeLeistung dieser Bundesregierung.
Die 150 Euro Büchergeld, die künftig jeder Studie-rende im Bereich der Begabungsförderungswerke be-kommt, also auch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei derHeinrich-Böll-Stiftung und bei der Rosa-Luxemburg-Stif-tung, sind ein weiteres positives Ergebnis, weil wir nurbeides zusammen in der richtigen Art und Weise machenkönnen, nämlich eine Förderung der hervorragenden Ar-beit der Begabungsförderungswerke und die Implemen-tierung einer neuen Förderlinie, indem Universitäten undFachhochschulen die Chance haben, hier aktiv zu wer-den und zusammen mit Fördervereinen, mit Alumni undder Wirtschaft eine neue Trendwende in der Stipendien-kultur der Bundesrepublik Deutschland hinzubekom-men.
Auf die Situation bei den Studienanfängern ist hin-länglich verwiesen worden. Mit 462 600 jungen Men-schen, die sich dazu entschlossen haben, ein Studiumaufzunehmen – das sind 20 000 mehr als im vergange-nen Jahr –, haben wir ein deutliches Zeichen der Attrak-tivität des Studiums in der Bundesrepublik Deutschland.Insgesamt haben wir in der Politik schon im Vorfeld – danatürlich schon unter dem Hochschulpakt – unsere Ak-zente gesetzt. Es ist auch ein gutes und richtiges Zei-chen, dass diese Regierungskoalition einen Qualitäts-pakt Lehre mit 2 Milliarden Euro mehr in der Summein die Wege geleitet hat. Das ist eine wirklich ganz au-ßergewöhnliche Leistung, die wir deutlich hervorhebensollten.
Die Bildungs- und die Forschungspolitik genießenabsolute Priorität in dieser Bundesregierung. 12 Milliar-den Euro mehr, die wir investieren, sind nicht nur eindeutliches Zeichen; es ist die höchste Steigerung, die esin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je ge-geben hat. Weil Sie von der Opposition den Äußerungender Vertreterinnen und Vertreter dieser Regierungskoali-tion kein großes Vertrauen schenken, möchte ich zumSchluss meiner Rede als Zitat Herrn Professor MatthiasKleiner, den Präsidenten der Deutschen Forschungsge-meinschaft, anführen: Bildung und Forschung sind dieeinzigen großen Bereiche im Bundeshaushalt, die vonden allgemeinen Sparanstrengungen nicht nur ausge-nommen sind, sogar noch aufgestockt werden. Das istein starkes Signal, und ich bin zutiefst davon überzeugt,dass diese Entscheidung richtig ist!Vielen Dank.
Das Wort hat nun Agnes Alpers für die Fraktion Die
Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-ben zwar heute von der Koalition und auch von der Bil-dungsministerin erst wenig dazu gehört; aber die berufli-che Bildung ist ihr Vorzeigeobjekt, ihr Flaggschiff; dasbehauptet sie sonst zumindest immer.Vor einem Jahr ging es Frau Schavan bei der Regie-rungserklärung um die Frage, wie wir die Qualität undAusbildungsreife so entwickeln, dass jeder eine Ausbil-dung antreten kann. Dies soll nun durch die Bildungs-ketten garantiert werden. 1 000 Berufseinstiegsbegleitersollen an 1 000 Schulen 30 000 Schülerinnen und Schü-ler betreuen, damit diese einen höherwertigen Schulab-schluss erreichen und eine gute berufliche Orientierungerhalten.Dabei sollen sie von 1 000 ehrenamtlichen Seniorex-perten unterstützt werden. Das alte Programm der Be-rufseinstiegsbegleiter hat nun einen neuen Namen be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8331
Agnes Alpers
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kommen, nämlich Bildungsketten. Die grundlegendenProbleme, eine gute Berufsorientierung für alle zu ge-währleisten und auf Ausbildungsplätze für alle hinzuar-beiten, bleiben aber weiterhin bestehen.2008 gab es über 760 000 Schulabgängerinnen undSchulabgänger an den Hauptschulen. Nur 30 000 von ih-nen, also nur 4 Prozent, sollen durch die Bildungskettenunterstützt werden. Der Rest geht wieder einmal leeraus, und das, obwohl die Hälfte aller Hauptschulabgän-gerinnen und -abgänger keinen Ausbildungsplatz be-kommt. Ich frage Sie, Frau Schavan: Wann kümmern Siesich endlich um die Zukunft aller jungen Menschen?
Stattdessen brüstet sich unsere Regierung natürlichimmer wieder mit den zusätzlichen 12 Milliarden Euro.Es wird immer zusätzlich investiert, aber für die berufli-che Bildung gilt das in vielen Bereichen nicht. Wenn wiruns noch einmal die Bildungsketten anschauen, dann se-hen wir, dass hier zwar etwas investiert wird, statt dasGeld aber für alle zu investieren, reduzieren Sie die Mit-tel für die Berufsorientierung um 13 Millionen Euro.Ich sage Ihnen, Frau Schavan: Wir brauchen nicht nureine gute finanzielle Ausstattung, sondern auch ein Kon-zept, um den verlässlichen Übergang in Ausbildung füralle zu gestalten.
Auch hier ist unsere Bundesregierung wieder ideenlosund handlungsunfähig.Kommen wir auf das Sonderprogramm „Ausbil-dungsplatzprogramm Ost“ zu sprechen. Das soll die-ses Jahr beendet werden. Im letzten Jahr ist deshalb inunserem Haushalt das Programm für strukturschwacheRegionen verankert worden. Dieses haben Sie aber ganzschnell sang- und klanglos wieder abgeschafft. Das gibtes nicht mehr. 45 Millionen Euro werden genau da ge-kürzt, wo sie wichtig wären, um Ausbildungsplätze zuschaffen und Unternehmen anzusiedeln. Ganze Landstri-che bluten aus. Es ist höchste Zeit, dass wir diesen Pro-zess jetzt stoppen.
Wir müssen die Ausbildung vor Ort sichern, da, wo diejungen Menschen mit ihren Freunden und Familien le-ben.
Mehr denn je brauchen wir also das Programm für diestrukturschwachen Gebiete.Wir müssen aber auch die Berufsausbildungsbeihil-fen erhöhen, damit sich die Jugendlichen durch ihreAusbildung ein selbstständiges Leben aufbauen können.Als Berufsschullehrerin sage ich Ihnen: Wenn wir dieZukunft gestalten wollen, dann müssen wir gute Über-gänge in Ausbildung absichern und Ausbildungsplätzefür alle gewährleisten.
Wie aber gestaltet die Regierung den kommendenHaushalt, um die wesentlichen Probleme bei der berufli-chen Bildung zu lösen? Wir haben es gerade gehört:„Der Erfolg von Politik entscheidet sich … an Fakten“.Frau Schavan, was tun Sie aber für die 1,5 Millionenjungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Be-rufsausbildung? Hierfür setzen Sie im Bildungshaushaltkeinen Schwerpunkt. Was tun Sie für die jungen Men-schen mit Migrationshintergrund, von denen nur einDrittel einen Ausbildungsplatz erhält? Auch hierfür wirdim Bildungshaushalt kein Schwerpunkt gesetzt. Was tunSie für die Ausbildungsbeteiligung von jungen Frauen,die nach wie vor nur ein Viertel aller Ausbildungsplätzebelegen? Auch hierfür wird im Bildungshaushalt keinSchwerpunkt gesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bildungsminis-terin betont gerne – ich zitiere –:Der Koalitionsvertrag sendet starke Signale an diejunge Generation.
Was sind denn das für Signale? Wer reich ist und in derrichtigen Gegend lebt, wird einbezogen, wer aber armund auf Unterstützung angewiesen ist, wird wieder ein-mal ausgegrenzt.
Bildung und auch Ausbildung sind Grundrechte, dieallen Menschen zustehen:
der Tochter des Abgeordneten ebenso wie dem Sohn desHartz-IV-Empfängers. Das ist unser politischer Ansatz.Nehmen Sie sich bitte einmal ein Beispiel daran.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sievon der schwarz-gelben Minderheitsregierung scheinenoffensichtlich gerade die Parteienlandschaft in Dafür-und Dagegen-Parteien zu sortieren. Gerade die FDP-At-tacken gegen die Grünen zeigen uns, dass WilhelmBusch wohl doch recht hatte, als er sagte: „Der Neid istdie aufrichtigste Form der Anerkennung.“
Ich halte es für wichtig, an dieser Stelle die Unter-schiede zwischen Schwarz-Gelb auf der einen Seite undden Grünen auf der anderen Seite deutlich zu machen.
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8332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Kai Gehring
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Sie von der schwarz-gelben Koalition sind für ein bil-dungsfeindliches Betreuungsgeld als Zuhause-bleib-Prä-mie für Mütter und Kinder. Wir Grünen sind dafür, dassalle Kinder eine gute Kindertagesstätte besuchen kön-nen.
Sie sind für ein mehrgliedriges Schulsystem, das Kin-dern schon im Alter von zehn Jahren Berufsaussichtenzuordnet. Wir Grünen sind trotz Rückschlägen weiterhinfür längeres gemeinsames Lernen, für echte Integration,Inklusion und für individuelle Förderung.
Sie von der Koalition sind für ungerechte Studienge-bühren und für ein Bezahlstudium für alle. Wir Grünensind für Studiengebührenfreiheit und Bildungsaufstiegfür alle.
Sie von der Koalition boxen ein elitäres Deutschland-Stipendienprogramm durch, und dann schwadronierenSie tatsächlich heute darüber, dass Sie eine neue Stipen-dienkultur begründen würden.
Das ist ein Witz. Wenn Sie mit den Haushaltsberatungendurch sind, dann wird kein Deutschland-Stipendienpro-gramm, sondern ein Gartenzwergprogramm übriggeblie-ben sein. Ihr 8-Prozent-Ziel werden Sie frühestens in20 Jahren erreichen, wenn Sie mit diesen Trippelschrit-ten vorangehen.
Wir Grünen sind für den massiven Ausbau desBAföG. Wir wollen das Ganze zu einem Zweisäulenmo-dell weiterentwickeln, weil man dadurch für die Bil-dungsgerechtigkeit viel mehr erreichen kann.Die Liste ließe sich deutlich verlängern. Die Beispielezeigen: Wir Grünen stehen für Modernität und Zukunft.Sie von der Koalition stehen für altes Denken und Ver-gangenheit.
Wir wollen definitiv höhere Qualität, bessere Struktu-ren und mehr Geld im Bildungssystem. Soziale Spaltungund Bildungsarmut sind uns eben nicht egal. Das merktman Ihrem Haushalt nicht an.Frau Schavan, ich hätte von Ihnen ein Konzept erwar-tet, wie Sie die zerrütteten Bund-Länder-Beziehungenim Bildungsbereich wieder kitten wollen.
Wir haben in den letzten Monaten einiges erlebt. Ichfinde, dass Sie als Ministerin schlafmützig reagieren,weil Sie im Haushalt absehbare hochschulpolitischeHerausforderungen nicht anpacken. Während ganzDeutschland über Fachkräftemangel diskutiert, verwal-ten Sie Studienplatzmangel und Ausbildungsmisere.
– Ja, so ist es doch.Im letzten Frühjahr ist Minister Guttenberg mit demüberfälligen Ausstieg aus der Wehrpflicht vorgeprescht.Zivildienstministerin Schröder stolpert hinterher, underst vor wenigen Tagen hat die Bundesbildungsministe-rin gemerkt, dass im Jahr 2011 150 000 junge Männerzusätzlich einen Ausbildungs- oder Studienplatz brau-chen. Sie haben monatelang nichts dafür getan. Im Haus-halt 2011 treffen Sie keine Vorsorge dafür. Sie dürfenden Bildungsaufstieg dieser ganzen Generation nichtvermasseln. Sie müssen deshalb Wege für den Bildungs-aufstieg eröffnen.
Wir kritisieren seit Jahren, dass Ihr Hochschulpaktunterfinanziert und unterdimensioniert ist. Aus neuenUntersuchungen geht hervor, dass im Hochschulpakt bis2015 fast doppelt so viele Plätze geschaffen werdenmüssen wie ursprünglich vereinbart. Darauf müssen Siedoch eine Antwort geben, und zwar nicht nach demMotto „Darüber werden wir mal reden“. Wir hättenheute von Ihnen erwartet, dass Sie der jungen Genera-tion an Studienberechtigten, den Hochschulen, die Pla-nungs- und Finanzierungssicherheit erwarten, und auchden Bundesländern, die sich – allen voran übrigens Bay-ern – schon per Brief hilfesuchend an Sie und die Kanz-lerin gewendet haben, ein klares Ausbau- und Auf-bruchssignal geben.
Der Ansturm der Studienberechtigten ist eine riesigeChance, die nicht verspielt werden darf. Bauen Sie dieHochschulen in unserem Land schneller aus! Ziehen Siebeim Hochschulpakt die Ausbaustufe 2012 vor! BauenSie den Hochschulpakt besser aus und finanzieren Sieihn insgesamt besser! Nur so lassen sich Studienplatz-mangel und Fachkräftemangel beseitigen.
Als Nächster hat Kollege Albert Rupprecht für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Hagemann, Sie haben im Zusammenhang mit demHaushalt vor Kurzem Ihr Dokument mit dem Titel„Schwarzbuch Schavan“ veröffentlicht.
Ein Schwarzbuch ist definiert als ein – ich zitiere – Ent-hüllungsbuch, in dem unmoralische, illegale oder krimi-nelle Missstände aufgedeckt werden. Herr Hagemann,Sie liegen nicht nur inhaltlich bei vielem, was Sie schrei-ben, falsch. Vielmehr bin ich auch der Ansicht, dass esvom Stil her unangemessen ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010 8333
Albert Rupprecht
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Herr Hagemann, ich bin der Überzeugung – und dasist objektiv nachweisbar –, dass Sie in keiner WeiseMinisterin Schavan mit Ihren Ausführungen gerechtwerden. Ministerin Schavan ist gemessen an den Haus-haltsmitteln für Bildung und Forschung nachweislichund objektiv die erfolgreichste Forschungs- und Bil-dungsministerin, die es im Nachkriegsdeutschland je-mals gegeben hat.
Der Haushalt ist unter Rot-Grün in sieben Jahren um1,2 Milliarden Euro gewachsen. Wir hingegen haben ihnin fünf Jahren um mehr als 4 Milliarden Euro aufge-stockt, und das ist gemessen an 2005 eine Steigerung um74 Prozent. Die Wahrheit ist und bleibt: Wir beschließenmorgen den höchsten Bildungs- und Forschungshaushaltseit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, sehr ge-ehrte Damen und Herren.
Das machen wir trotz Schuldenbremse und trotz desZwangs, in dieser Legislaturperiode 80 Milliarden Euroim Gesamthaushalt einzusparen. In den Ländern um unsherum – ob in Frankreich, den USA oder in Großbritan-nien – wird in Zeiten der Krise bei Forschung und Bil-dung massiv gestrichen.
Wir geben massiv mehr aus.
Das meint Angela Merkel, wenn sie sagt: Deutsch-land muss international gestärkt aus der Krise hervorge-hen. – Das ist unter anderem eine Ursache dafür, dass dieLänder um uns herum mit Neid auf Deutschland blickenund vom neuen Wirtschaftswunder in Deutschland re-den, sehr geehrte Damen und Herren. Wir beten tagtäg-lich dafür, dass Rot-Rot-Grün hier niemals regierenmöge.
Die SPD ist nach dem Rückzug von Müntefering,Struck und Steinbrück auch in der Forschung und Bil-dung zur Partei der Beliebigkeit geworden. Beispiele:Gestern waren Sie noch für die Fusionsforschung, undheute wollen Sie sich am liebsten von ITER verabschie-den. Gestern waren Sie noch voller Begeisterung für dieNanotechnologie, und heute reden Sie nur noch über dieRisiken.
– In Ihren Dokumenten und Anfragen zur Nanotechnolo-gie, mit Verlaub.
Die Grünen sind spätestens seit ihrem Parteitag amvergangenen Wochenende wieder da angekommen, wosie vor 30 Jahren gestartet sind:
ein unberechenbarer Haufen. Ihr chaotisches Verhaltenzur bayerischen Olympiabewerbung ist unverantwortlichgegenüber den Betroffenen, sehr geehrte Damen undHerren.
Sie sind darüber hinaus gegen alles, was den Innova-tionsstandort Deutschland stärkt. Forschung und Innova-tion brauchen Verlässlichkeit. Sie bieten allerdings keineVerlässlichkeit. Sie sind dagegen – gegen den Ausbauder Stromnetze, gegen bezahlbaren Strom, gegen denAusbau von Straßen und Schienennetzen. Das ist IhrePolitik. Rot und Grün fordern viel, liefern aber selbstherzlich wenig.
Trotzdem wage ich den Blick in die Vergangenheit.
Beispiel Studienfinanzierung: Was forderte Rot-Grünbei jedem Redebeitrag? Die Studienfinanzierung mussausgeweitet werden.Was haben Sie unter Rot-Grün 2005 gemacht? DerBund hat 2005 für die Studienfinanzierung 1,1 Milliar-den Euro zur Verfügung gestellt. Wir haben die Mittelseit 2005 um ganze 53 Prozent auf 1,7 Milliarden Euroerhöht.
Das ist unsere Politik.
Beispiel Projektförderung: Die Projektförderung lag2005 bei 1,2 Milliarden Euro. Jetzt liegt sie bei2,1 Milliarden Euro. Das ist kein Zahlendreher, sonderneine Steigerung um 70 Prozent.Herr Hagemann, Sie schreiben in Ihrem Pamphletüber Kürzungen, Ankündigungen und Verschiebungen.Als Erstes zu den Kürzungen. Sie haben das Themaüberbetriebliche Bildungsstätten angesprochen. Siebehaupten in Ihrem Schreiben, dass hierzu nur noch29 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das istschlichtweg falsch. Wir beschließen morgen 40 Millio-nen Euro für überbetriebliche Bildungsstätten. Damitsind wir ein verlässlicher Partner des Handwerks, aberauch der jungen Menschen, die in die Lehre gehen.
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8334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2010
Albert Rupprecht
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– Wir werden es morgen beschließen. So sehen das par-lamentarische Verfahren und die Verhandlungen aus.Das ist unsere Meinung, und das ist unser Wille.Zweitens. Sie sprechen von Ankündigungen und Ver-schiebungen. Sie haben – das ist mehrfach angesprochenworden – bei einer wesentlichen Maßnahme recht: Beiden lokalen Bildungsbündnissen sorgen wir in der Tatfür eine Verschiebung von 2011 auf 2013. Zur Klarheitund Wahrheit gehört aber dazu, zu sagen, dass wir dasdeswegen tun, weil wir mit einem verfassungswidrigenHartz-IV-Gesetz konfrontiert sind, das Rot-Grün 2005verabschiedet hat.
– Wer hatte damals die Richtlinienkompetenz? – IhrKanzler! Wer hat damals die Regierung gestellt? – Rot-Grün! Sie haben diesen Gesetzentwurf verabschiedet.
Wir müssen pro Jahr 480 Millionen Euro zugunstenvon Hartz-IV-Kindern im Bildungsbereich umschichten.Das haben Sie uns durch Ihre Gesetzgebung 2005 einge-brockt.
Obwohl eine Legislaturperiode vier Jahre dauert, ha-ben wir bereits nach einem Jahr einen Großteil derPunkte aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt: Weiterent-wicklung der Hightech-Strategie, Fortsetzung des Hoch-schulpaktes und der Exzellenzinitiative, neue Runde imSpitzenclusterwettbewerb, BAföG-Erhöhung, 6 Milliar-den Euro für die Gesundheitsforschung, Gesundheits-zentren für die großen Volkskrankheiten, Deutschland-stipendien und Validierungsförderung. Insgesamt gebenwir in den nächsten Jahren mehrere Hundert MillionenEuro im Bereich der Bildungsketten aus. Darüber hinaustun wir noch viel mehr.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. Wir bieten Verlässlichkeit.
Wir kündigen nicht nur an, sondern setzen auch um. Bil-
dung und Forschung haben bei uns nachweislich abso-
lute Priorität.
Das Wort hat Ernst Dieter Rossmann für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man könnte die Ausführungen der Redner von der Re-gierungskoalition nun endlos fortsetzen. Aber das würdeuns nur langweilen und Ihren und unseren Verstand be-leidigen. Kollege Rehberg, ich komme deshalb auf daszurück, was Sie gesagt haben: Zukunft gestalten. Ich willmeine fünf Minuten Redezeit nutzen, um bei Ihnen fürdrei Punkte, die der SPD besonders wichtig sind, zu wer-ben.Der erste Punkt bezieht sich auf die Bildungsteil-habe. Ich gehe jetzt nicht auf unsere und Ihre Zustim-mung – von den Grünen bis zur CSU – zu den Hartz-IV-Gesetzen ein. Wir müssen jetzt etwas richtig Gutes fürdie Kinder und die Bildung daraus machen. Sie wollenein Paket der Sozialministerin umsetzen. Wir werben beiIhnen um die Einsicht, es nicht allein bei individualisier-ten Leistungen zu belassen. Frau Hinz hat ja recht: Esmuss eine Struktur geben, die gewährleistet, dass dieLeistungen die betroffenen Eltern und insbesondere dieKinder tatsächlich erreicht. Sonst käme man vielleichtauf den Gedanken, dass es Ihnen – weil Sie keine ent-sprechenden Strukturen aufbauen – gar nicht wehtut,wenn die Mittel nicht abfließen und nicht zu den Kin-dern gelangen. Frau Hinz hat genau in unserem Sinnedie Überlegung angestellt, ob man das in die Jugendhil-festrukturen, die nicht nur von Ihren Kommunalpoliti-kern, sondern auch von denen der Opposition gut aufge-baut worden sind, integrieren kann. Unser konkretesAnliegen ist die Schulsozialarbeit. Wir sprechen hier von„starker Schule“. Die Schulen, die bisher Lehrerschulenwaren, sollen gestärkt werden und die Kompetenz vonMenschen nutzen, die sich jenseits des Unterrichts umKinder kümmern können, die angesprochen, motiviertund eingebunden werden müssen.Des Weiteren darf das Teilhabepaket nicht nur in Be-zug auf Armut und arme Kinder wahrgenommen wer-den. Man muss sich auch um Kinder von Eltern, dieAufstocker sind, hinzuverdienen oder Wohngeldempfän-ger sind, und um Kinder aus besten Familien kümmern.Bei der Schulsozialarbeit werden alle einbezogen. Esgeht hier um eine andere Form von Schule. Wir werbendafür, diesen Ansatz aufzunehmen und mitzutragen. Ernutzt nicht nur Ihnen und uns, sondern vor allem denKindern und der Schule. Er führt zu einer besseren Teil-habe. Dafür kämpft die SPD.
Anstatt ständig Rückzugsgefechte zu führen, sollten Siediesmal etwas vorwegnehmen, das wir in ein, zwei Jah-ren als Erfolg verzeichnen wollen, nämlich dass mehrKinder von Bildungsteilhabe profitieren und eine andereForm von Schule erleben. Das ist der erste Punkt, fürden wir bei Ihnen um Einsicht streiten.Zweiter Punkt. Die Kollegin Alpers von der Linkenhat das schon angesprochen: Frau Ministerin, die Zahlderjenigen, die von der Schule ohne Abschluss abgehen– man geht von 60 000 bis 70 000 aus –, ist zu relativie-ren. Tatsächlich muss man sehen, wie viele noch im Un-terschied zu früher insgesamt zur Schule gehen. MancheZahl relativiert sich durch den Schülerrückgang. Abereine Zahl relativiert sich nicht – es stimmt, dass diesesProblem aus einer gemeinsamen Vergangenheit erwach-sen ist –: 1,5 Millionen der 20- bis 30-Jährigen haben
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Dr. Ernst Dieter Rossmann
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keine Berufsausbildung. Die Frage, was man mit diesenanfängt, bekommt angesichts des Fachkräftemangelseine ganz andere Qualität. Wir müssen jetzt entspre-chende Instrumente entwickeln und dabei berücksichti-gen, dass ein Teil dieser Menschen einen Beruf ohneBerufsausbildung ausübt. Es geht hier also um Qualifi-zierung parallel zum Beruf. Dafür müssen Sie jetzt Vor-sorge treffen und aktiv werden.Wir werben daher auch dafür, dass diese Regierungvernetzt denkt. Auch der Haushalt der Bundesagenturfür Arbeit ist ein Solidarhaushalt, und die Bundesagenturkann und muss dieses Potenzial für Fachkräfte erschlie-ßen helfen. Wir erwarten, dass so etwas geschieht.Vor zwei Jahren haben wir darüber diskutiert, wiehoch die Zahl derjenigen ist, die im Ausland eine hoheQualifikation erworben haben, die bei uns nichtanerkannt wird. Viele wussten nicht, dass die Zahl500 000 beträgt. Wir hoffen, dass jetzt das Anerken-nungsgesetz kommt. Sie tun immer so, als ob es schonverabschiedet sei. Wenn dieses Gesetz kommt, dann istdie eine Frage die der Feststellung des Abschlusses, dieandere Frage betrifft die Förderung. Wie verhält es sichdenn mit den Anerkennungs- und Förderprogrammen,damit Qualifikationen nachträglich erworben werdenkönnen, wenn die im Ausland erworbenen Qualifikatio-nen nicht in jedem Punkt von uns anerkannt werden kön-nen? Solche Programme müssen doch materiell unterlegtsein. Sie haben dafür bisher nicht vorgesorgt.Wir werden in vier, fünf Monaten außerdem darüberdiskutieren, dass es in Deutschland zwischen 4 und5 Millionen funktionale Analphabeten gibt. Das sindMenschen, die einmal lesen, schreiben und rechnenkonnten, diese Fähigkeiten aber wieder verlernt habenund in der Gesellschaft abgehängt werden, wenn wir unsihrer nicht annehmen und sie nicht qualifizieren. Aktuellfindet eine Sachstandserhebung statt. Aber in vier oderfünf Monaten wird man fragen, was denn in der Initia-tive von Bund, Ländern und Kommunen zur Förderungdieser Menschen, die diese Grundbildung brauchen, ge-schieht. Darüber müssen Sie sich schon jetzt Gedankenmachen. Dazu müssen wir schon jetzt im Haushalt Vor-bereitungen treffen.
Schließlich der dritte Punkt: Die 275 000 Studien-plätze im Rahmen des Hochschulpakts sind gegenüberden Studierenden in Deutschland damit begründet wor-den, dass diese Zahl reicht, aber nicht damit, dass dieseZahl im Zusammenhang mit der Reform der Wehrpflichtund des Zivildienstes steht. Das sind alles kluge Leute.Sie merken, ob sie hinter die Fichte geführt werden undob man mit einem Mal sagt: „Jetzt reicht es“, oder ob eseinen neuen Sachverhalt und eine neue Initiative gibt.Ich kann verstehen, dass Sie am liebsten den Hochschul-pakt II in der jetzigen Form weiterführen würden. Denndas würde die 50/50-Finanzierung bedeuten. Das lassenIhnen aber weder die Länder noch die Studierendendurchgehen. Wenn Sie das Signal nicht setzen, dass eseinen neuen Sachverhalt und eine neue Initiative gibt,und wenn Sie keinen neuen Hochschulpakt II plus ini-tiieren, dann bleibt das Drama an den Hochschulen, dassich abzeichnet, an Frau Schavan hängen. Wenn sienichts tut, ist es auch richtig so, wenn es an ihr hängen-bleibt. Aktuell lauten die Überschriften noch: Statt Ka-serne Uni. – Wenn sich erst herausstellt, dass die Unihinsichtlich der Studienbedingungen wie eine Kaserneist, dann haben Sie ein Problem. Dann werden Sie auchnicht mehr mit Ihren Diffamierungen gegenüber protes-tierenden Studenten, es handle sich um ewig Gestrige,durchkommen. Vielmehr müssen Sie etwas liefern. Also,setzen Sie dieses Zeichen, liefern Sie jetzt.Einen Punkt möchte ich noch erwähnen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Für Forschung wird viel Geld ausgegeben. Herr
Rehberg, wir verstehen nicht, warum Sie bei den Milliar-
denausgaben nicht bereit sind, den kleinen Betrag von
5 Millionen Euro zusätzlich für die Friedensforschung
vorzusehen. Souveränität sieht anders aus.
Souveränität zeichnet sich dadurch aus, dass man Gelder
nicht einseitig und nach politischer Opportunität verteilt.
Vielmehr sollte man bei der Förderung die Gesamtheit
im Auge haben. Werden Sie endlich souverän.
Als letzter Rednerin des heutigen Tages gebe ich Kol-
legin Anette Hübinger von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AlsBildungs- und Forschungspolitikerin freue ich mich,weil endlich die Bildungspolitik und die Forschungspoli-tik in den Mittelpunkt gestellt werden und wir die vor fünfJahren begonnenen Wege konsequent fortsetzen. Die imEinzelplan 30 vorgesehene Steigerung von 7,2 Prozentauf 11,6 Milliarden Euro – Kollege Rupprecht hat es er-wähnt – ist einzigartig im europäischen Kontext.
Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich kürzenihre Bildungs- und Forschungshaushalte. Andere Mit-gliedstaaten erhöhen diese Etats nur ganz gering, wennsie es überhaupt tun. Wir in Deutschland gehen einen an-deren Weg, den umgekehrten Weg. Wir als christlich-li-berale Koalition erhöhen den Haushalt und räumen da-mit Bildung und Forschung Vorrang ein; denn wir
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Anette Hübinger
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wissen haargenau: In Bildung und Forschung liegt dieZukunft unseres Landes.
Der vorliegende Einzelplan 30 ist ein beeindrucken-des Bekenntnis zur Bildungsrepublik Deutschland.Die christlich-liberale Koalition hat sich das ehrgeizigeZiel gesetzt, die deutsche Bildungs- und Forschungs-landschaft mit einem 12-Milliarden-Euro-Programm indieser Wahlperiode zu stärken. Dieses Ziel ist richtig undwichtig; denn Bildung und Forschung genießen trotzSchuldenbremse bei uns absolute Priorität.
In den nächsten Jahren – ein Blick in die Verpflich-tungsermächtigung im Haushalt belegt dies – werden dieInvestitionen des Bundes in die deutsche Bildungs- undForschungslandschaft deshalb stetig steigen. Verlässlich-keit ist gerade in diesem Bereich ein hohes Gut, und da-für stehen wir in der christlich-liberalen Koalition. Beiuns werden Bildung und Forschung groß geschrieben.Mein Dank geht auch an die Haushälter, die diesen Weguneingeschränkt mit unterstützen.
Da trotz eines satten Plus die Finanzmittel auch in un-serem Einzelplan begrenzt sind, müssen wir inhaltlicheSchwerpunkte setzen. Dabei hat die BundesministerinSchavan genau die richtigen Themen, die für die Zu-kunft unseres Landes von großer Bedeutung sind, aufge-griffen.Die Prioritäten liegen im Bildungsbereich bei der Stär-kung des Fachkräftenachwuchses, der Hochschulen sowiebei der Förderung benachteiligter Kinder und Jugendli-cher. Das Bildungspaket für Kinder, die in Hartz-IV-Haushalten leben, umfasst dabei 480 Millionen Euro.Damit sind fast 2 Milliarden Euro, also ein Drittel der6 Milliarden Euro für Bildung aus dem 12-Milliarden-Paket, reserviert und in den nächsten vier Jahren ebengebunden. Das hinterlässt natürlich auch Spuren in denBildungstiteln unseres Einzelplans. Es ist aber wichtig,dass so früh wie möglich die Bildungschancen jungerMenschen positiv beeinflusst werden. Die Stärkung derfrühkindlichen Bildung und Sprachförderung sowie derweitere Ausbau der individuellen Förderung Leistungs-schwacher mittels Bildungsketten gehen da genau in dierichtige Richtung.Weitere Punkte sind die Stärkung des BAföGs und dieEinführung des Deutschlandstipendiums. Beide Punktewerden wichtige Akzente setzen, damit Studierwilligetrotz schmalen Geldbeutels tatsächlich ein Studium be-ginnen können. Die Stärkung der etablierten Stipendiendurch Erhöhung des Büchergeldes gehört ebenso dazu.Denn nicht nur der Lebensunterhalt der Studierendenmuss gewährleistet werden, sondern herausragendeLeistungen müssen auch belohnt werden.
Die Einbindung von Unternehmen in die Finanzie-rung des Deutschlandstipendiums unterstreicht derengesellschaftspolitische Verantwortung. Denn eines mussuns doch allen klar sein: Trotz des großen Engagementsdes Bundes können wir allein nicht alles stemmen. Allegesellschaftlichen Akteure sind gefragt. Ich spreche dainsbesondere die Bundesländer und die Wirtschaft an.
– Wir haben bereits im letzten Jahr einen Fonds, eineStiftung gegründet, um daraus Stipendien zu finanzieren.Das ist womöglich ein gutes Beispiel.
Wir müssen im Interesse Deutschlands in Fragen vonBildung und Forschung alle an einem Strang ziehen.Dem Bund kann man an dieser Stelle zu Recht attestie-ren, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat. Denn derBund und die christlich-liberale Koalition nehmen ihreVerpflichtungen gegenüber der jungen Generation sehrernst. Das erkennt man beispielsweise an der Über-nahme der Overhead-Kosten der Universitäten – als Ent-lastung für die Länder im Zusammenhang mit demBAföG – ebenso wie beim Hochschulpakt, beim Quali-tätspakt Lehre und bei der frühkindlichen Förderung.Wir tun dies, weil wir wollen, dass junge Menschen faireChancen im deutschen Bildungssystem haben und ihnenauch die erforderliche Unterstützung zuteil wird.Auch was die Forschung angeht, brauchen wir unsnicht zu verstecken. In der Forschung stehen wir fürKontinuität. Wir wissen genau, wie wichtig dieser Be-reich für die Zukunft unseres Landes ist. Mit der Fort-schreibung des Paktes für Forschung und Innovationerhalten die deutschen Forschungseinrichtungen finan-zielle Planungssicherheit. Bis 2015 werden die Zu-schüsse jährlich um 5 Prozent steigen.Einen weiteren wichtigen Baustein stellt die „High-tech-Strategie 2020 für Deutschland“ dar. Diese ressort-übergreifende Innovationsstrategie setzt neue Akzenteund geht noch stärker auf aktuelle globale Herausforde-rungen ein.Die fünf von der Bundesregierung vorgegebenen Be-darfsfelder Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Mo-bilität, Sicherheit und Kommunikation spiegeln diewichtigsten Fragen des 21. Jahrhunderts wider.Globale Lösungen für globale Probleme erforderneine internationale Vernetzung. Sie beginnt beimDAAD-Stipendienprogramm und setzt sich in gemeinsa-men Forschungsprojekten fort. Daher auch hier meinDank an die Haushälter, die mit zusätzlich 6 MillionenEuro das Stipendienprogramm des DAAD gestärkt ha-ben.
– Ich habe Ihnen doch gerade gesagt: 480 MillionenEuro hinterlassen eben Spuren. Darüber muss man nocheinmal nachdenken.
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Anette Hübinger
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Wir haben darüber nachgedacht, und wir werden morgeneinen Haushalt mit erhöhten Ansätzen auf den Weg brin-gen.
Ein weiteres Feld in der internationalen Zusammenar-beit stellt die Gesundheitsforschung dar. Im Rahmendes neuen Gesundheitsforschungsprogramms wurde dieErforschung von vernachlässigten tropischen Krankhei-ten, die besonders Menschen in Entwicklungsländerntreffen, gestärkt und wurden neue Wege eingeschlagen.Es handelt sich dabei um die erstmalige Förderung durchdas Bundesministerium für Bildung und Forschung vonsogenannten Produktentwicklungspartnerschaften, abge-kürzt PDPs. Diese Förderung war längst überfällig. Diechristlich-liberale Koalition unterstützt daher dieses An-liegen mit der Erhöhung der vorgesehenen Fördersummeum 2 Millionen Euro im Jahr 2011.
Mit der Ausschreibung der neuen Fördermaßnahme fürPDPs stellen wir uns in der Erforschung dieser Krank-heiten strategisch neu auf und nutzen mit den PDPs ei-nen innovativen Forschungszugang.Zum Schluss. Werte Kolleginnen und Kollegen, derEinzelplan 30 setzt in der vorliegenden Fassung die rich-tigen Schwerpunkte für die Zukunftsbereiche in Bildungund Forschung. Stimmen Sie zu, wenn Ihnen Bildungund Forschung und die Zukunft unseres Landes am Her-zen liegen!Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30
– Bundesministerium für Bildung und Forschung – in
der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 30
in der Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der
beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei
Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 26. November 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen noch einen freundlichen Abend.