Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Aus dem Kuratorium der „Stiftung Archiv der Par-teien und Massenorganisationen der DDR“ scheidetder Kollege Markus Meckel als ordentliches Mitglied aus.Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Kolle-gen Gunter Weißgerber vor. Sind Sie mit diesem Vor-schlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.Damit ist der Kollege Weißgerber in das Kuratorium ent-sandt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieverbundene Tagesordnung dieser Woche um die ersteBeratung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionenzur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlag-steuern auf Drucksache 14/3762 erweitert werden. DerPunkt soll ohne Debatte behandelt werden. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istso beschlossen.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-punkt 1 – fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2001
– Drucksache 14/4000 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2000 bis 2004– Drucksache 14/4001 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussIch erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu-tige Aussprache insgesamt acht Stunden beschlossen ha-ben.Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung,Einzelplan 11. Das Wort hat Bundesminister WalterRiester.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Der Bundeshaushalt hat im Bereich des Einzelplanes 11im nächsten Jahr eine Dimension von 169,5 Milliar-den DM. Er ist damit Ausdruck aktiver Gestaltung des So-zialen in dieser Republik in den vergangenen Jahren undvor allem auch Ausdruck der Fortentwicklung des Sozia-len im nächsten Jahr. Soziale Gestaltung – dies sagen wirseit Jahren – misst sich vor allem daran, was wir aktiv fürdie Beschäftigung und für die Reduzierung der Arbeitslo-sigkeit tun.
Ich erinnere daran, dass im letzten Jahr mehrmals diebohrende Frage gestellt wurde: Wie entwickeln sich dieBeschäftigtenzahlen, die Erwerbstätigkeit und die Jobs?Im letzten Jahr waren wir aufgrund der Umstellung desStatistischen Bundesamtes leider nicht in der Lage, dieZahlen vorzulegen. Die Daten wurden nicht geliefert.Jetzt liegen sie vor. Die Messlatte kann angelegt werden,Bilanz kann gezogen werden.Meine Damen und Herren, im Juni 2000 hatten wir38,55Millionen Erwerbstätige in der Bundesrepublik unddamit mehr als eine Million Erwerbstätige mehr als zu Be-ginn des letzten Jahres. Dies ist die höchste Zahl der Er-werbstätigen seit 1991.
Damit ist eine dramatische Entwicklung der Beschäfti-gung nach unten in Deutschland gebrochen. Wir habenWirtschaftswachstum, die Beschäftigung steigt. Siesteigt im Bereich der Selbstständigen, sie steigt imBereich der abhängig Beschäftigten, sie steigt insgesamt.Dies hat viele Ursachen. Es liegt nicht nur an der Ar-beitsmarktpolitik. Eine gute Beschäftigungspolitik ist11285
118. SitzungBerlin, Donnerstag, den 14. September 2000Beginn: 9.00 Uhrdie Zusammenfassung von Steuerpolitik, Finanzpolitik,Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik, Qualifizierungspoli-tik und Arbeitsmarktpolitik. Dafür sind die Rahmen fest-gelegt worden. Das kann man von der Regierung erwar-ten. Die großen Bereiche der Konsolidierung desHaushaltes, die steuerpolitischen Maßnahmen, die denBürgern im Verlauf von sechs Jahren eine Entlastung voninsgesamt über 90 Milliarden DM bringen, und die Re-form unseres sozialen Sicherungssystems sind der Rah-men, den die Politik bestimmt, um wirtschaftlichesWachstum und die Entwicklung der Jobs zu fördern.Nehmen wir den engeren Bereich der sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten. Im Juni 2000 hatten wir27,9 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.Die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse sind hierbei nicht ein-bezogen worden. Das sind weit mehr als eine halbe Mil-lion Beschäftigungsverhältnisse mehr als im Jahr zuvor.
Mir ist ganz wichtig festzustellen, dass das nicht durch einHerauskaufen von Arbeitslosigkeit aus der Statistik er-folgt ist.Ich nenne Ihnen zwei Zahlen. Wir kennen die Kritik,die sich in der Bezeichnung „Wahlkampf-ABM“ verdich-tet hat. Wir haben jetzt 150 000 Menschen weniger inSAM und ABM. Ich weiß um die Schwierigkeiten imOsten; aber ich möchte keine ABM- und SAM-Politikmachen, die sozusagen nur die Statistik bereinigt.
Wir werden im Jahr 2000 rund eine halbe Million Ar-beitslose weniger als zum Zeitpunkt der Regierungsüber-nahme haben. Das reicht uns nicht aus.
An dieser Frage wird aktiv weitergearbeitet.Man kann inzwischen belegen, dass 71 Prozent desRückgangs der Arbeitslosigkeit eben nicht auf die Demo-graphie, sondern auf eine aktive Politik der Schaffung vonBeschäftigung zurückzuführen ist. Das ist die Basis, fürdie wir einstehen.
Doch bei all diesen positiven Entwicklungen darf mannicht übersehen, dass die arbeitsmarktpolitische Entwick-lung und die Beschäftigungsentwicklung uneinheitlichsind. Wir verzeichnen – darüber freuen wir uns – ein star-kes Ansteigen der Beschäftigung in der gewerblichenWirtschaft, und zwar sowohl in West als auch in Ost. Wirverzeichnen aber auch weiterhin schwierige Strukturpro-bleme und insbesondere große Beschäftigungsproblemeim Bereich der Bauwirtschaft Ost. Die Gründe kennenwir. Der Kanzler hat es gestern ausgeführt – ich brauchedas nicht zu wiederholen –: An diesen Fragen muss inten-siv weitergearbeitet werden. Ich kann Ihnen zusagen:Exakt das werden wir tun.
Ich komme nun zum engeren Teil der Arbeitsmarktpo-litik. Nach meinem Verständnis muss sich Arbeitsmarkt-politik denjenigen Gruppen der Bevölkerung verpflichtetfühlen, die vom Markt allein keine Arbeitsplatzangebotebekommen. Dabei denke ich vor allem an junge Men-schen, die in Gegenden wohnen, wo sie trotz guter Quali-fikation zu wenige Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkei-ten erhalten. Ich denke – das ist eine sehr bedrückendeSache – zum Beispiel an die 60 000 jungen Menschen, dieohne Hauptschulabschluss ins Berufsleben eintreten wol-len und kaum Chancen haben. Auch für diese jungenMenschen haben wir das JUMP-Programm aufgelegt,ein Programm, das uns alle mit Stolz erfüllen soll.
Unsere Zielgröße im Jahr 1999 war, 100 000 jungenMenschen zusätzliche Chancen in Ausbildung und Arbeitzu geben. Ich freue mich, Ihnen berichten zu können: Wirhaben 179 000 jungen Menschen Chancen in Ausbildungund Arbeit gegeben.
Nicht zuletzt deshalb sagen wir auch bei schwierigenHaushaltssituationen: Diese Förderung wird mindestensbis zum Jahr 2003 weitergeführt; denn die jungen Men-schen brauchen Sicherheit. Dieses Programm darf nichtnur kurz aufflackern.
Ich komme zum nächsten Teil der Arbeitnehmer, diebesonderer Hilfen durch arbeitsmarktpolitische Maßnah-men bedürfen, zu den älteren Arbeitnehmern. Es ist einebedrückende Situation, wenn in vielen Bereichen der Re-publik Arbeitslose mit 50 oder 55 Jahren kaum Vermitt-lungschancen haben. Dieses Problem muss man differen-ziert sehen. Wir haben über das Gesetz die Möglichkeitder Altersteilzeit verbessert und geben damit denjenigenMenschen, die früher ausscheiden wollen und können, dieChance, dies unter vertretbaren Bedingungen zu tun. Aberich weiß, das allein löst das Problem nicht. Es ist mindes-tens genauso wichtig, dass wir älteren Menschen dieChancen auf Erwerbstätigkeit bieten, und zwar indem wirdafür werben, dass auch über 50-Jährige Chancen im Ar-beitsleben erhalten. Beides ist wichtig.
Es war absolut richtig, in dem Vorschaltgesetz des letz-ten Jahres gerade für die älteren Menschen, vor allem fürdiejenigen aus den neuen Bundesländern, die arbeitslossind, besondere Chancen zu entwickeln.
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Bundesminister Walter Riester11286
Ziehen wir heute Bilanz: Für viele, die immer vonDemographieentlastung sprachen, war es überraschend,dass sich im Bereich der 55-Jährigen und Älteren bis zumAugust letzten Jahres in der Arbeitsmarktstatistik fastnichts bewegte. Aber jetzt greifen die von uns beschlos-senen Maßnahmen. Im Vergleich zum Vorjahresmonatgibt es im letzten Monat insgesamt über 100 000Arbeits-lose, die 55 Jahre oder älter sind, weniger. Über 100 000haben ihre Chancen in den Maßnahmen ergriffen.
Ich denke, dass das eine sehr gute Bilanz ist.Nun kommen wir zu einer weiteren Gruppe, die unse-rer Unterstützung bedarf, den Langzeitarbeitslosen.Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit war der Anstiegvon 1992 bis 1998 von 750 000 auf 1,5 Millionen gravie-rend. 1,5 Millionen Langzeitarbeitslose! Wir konnten die-sen Trend brechen und in den letzten beiden Jahren derenZahl um durchschnittlich 80 000 verringern. Das war einesehr schwierige Aufgabe. Damit ist das Problem nochnicht gelöst. Es zeigt aber, dass der Ansatz richtig ist.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, dass ichan dieser Stelle insbesondere einem Mann Dank ausspre-che: dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, dersich in einem Maße sowohl für die jungen Menschen alsauch für die älteren Menschen einsetzt, das mir alle Hoch-achtung abverlangt. Ich werde diesen Mann in besonde-rem Maße unterstützen.
Nun zu einer Gruppe, die der besonderen Unterstüt-zung bedarf, weil der Markt alleine nicht die entspre-chenden Möglichkeiten bietet. Es handelt sich um behin-derte Menschen. Die Situation hier ist bedrückend. Imersten Gespräch, das ich vor eineinhalb Jahren in meinemdamals neuen Amt mit Behinderten und deren Vertreternhatte, habe ich sehr viel gelernt. Es ist im Übrigen von ei-nem behinderten Kollegen der PDS-Fraktion angeregtworden. Ich habe gelernt, dass Behinderte besondereQualifikationen haben und dass es notwendig ist, diesenbesonderen Qualifikationen auch auf dem ersten MarktChancen zu eröffnen.
Deswegen ist es richtig und erfüllt mich mit Stolz, dass esgelungen ist, Vertreter der Wirtschaft, die Gewerkschaftenund die Behindertenverbände im Vorfeld an der Erarbei-tung eines Gesetzes zur Integration von Schwerbehinder-ten zu beteiligen. Das Gesetz alleine wird nicht ausrei-chen, sondern wir brauchen ihre weitere Unterstützung.Die Zielsetzung, 50 000 Behinderte in den nächsten zweiJahren zusätzlich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, istehrgeizig; aber ich weiß, dass sie richtig ist. Dafür werdenwir kämpfen.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus alldem, wasich Ihnen sagte, für den Haushalt 2001? Zuerst eine, dieich sehr erfreulich finde: Zum ersten Mal seit 1987 wirdvor dem Hintergrund dieser aktiven Beschäftigungspoli-tik die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Beitragszah-lungen wieder auskommen. Wir sehen keinen besonderenBundeszuschuss mehr vor. Erstmals seit 1987! Dies istdas Ergebnis aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Dafür haben wir gearbeitet, dafür haben wir uns ein-gesetzt.
– Ich höre gerade ein Grummeln vonseiten der Union. Ichmöchte da an die Haushaltsberatungen von vor einem Jahrerinnern, als diese Fraktion uns empfahl, schon damalsden Bundeszuschuss zu streichen.
Wohin wären wir denn dann gekommen? Die 2,4 Milliar-den DM, die wir jetzt aufgrund eines Verfassungs-gerichtsurteils, das sich gegen Sie wendet, zahlen müssen,hätten wir gar nicht.
An Sie persönlich gerichtet, Herr Austermann, sage ichdeswegen:
Diesen Zeitpunkt zu wählen ist richtig. Wir müssen jetztleider auch Belastungen aus Ihrer Regierungszeit, meineDamen und Herren von der Union, abtragen.
Was bedeutet dies nun für die Gestaltung der Arbeits-marktpolitik im Jahre 2001? Wir werden diese Arbeits-marktpolitik mit gutem Mitteleinsatz auf hohem Niveaufortsetzen, wobei sorgfältig geprüft wird. Wir werdenweiterhin insgesamt 44 Milliarden DM für die aktiveArbeitsmarktpolitik einsetzen.
Um Ihnen einen Vergleich aufzuzeigen: Im Jahr 1997,dem Jahr vor den Wahlkampf-ABM, hat die alte Regie-rung bei 4,4Millionen Arbeitslosen gerade einmal 37Mil-liarden DM eingesetzt. Wir setzen bei erwarteten 3,5 Mil-lionen Arbeitslosen rund 44 Milliarden DM ein, und zwargezielt in den Bereichen, in denen Menschen der Unter-stützung bedürfen, weil der Markt selbst, wie ich aufge-zeigt habe, diese Unterstützung nicht hergibt.
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Ich komme nun zum zweiten großen Komplex desHaushaltes, zu den Sozialversicherungssystemen, insbe-sondere zur Alterssicherung. Wir werden 137 Milliar-den DM für die Rentenversicherungssysteme einsetzen.Um zu verstehen, warum das notwendig ist, bedarf es ei-ner kurzen Bilanz dessen, was wir in diesem Bereich vor-gefunden haben, was wir gemacht haben und warum eineweitere Förderung in diesem Umfang notwendig ist.Wir haben im Jahr 1998 eine sprunghafte Entwicklungdes Beitrags und des Bundeszuschusses seit 1993 vorge-funden. Die Beitragsbelastung ist insgesamt um 44 Milli-arden DM gestiegen, der Beitrag von 17,5 Prozent auf20,3 Prozent. Das sind rund 44 Milliarden DM, die dieBetriebe und die Beschäftigten mehr an Beitragsleistungerbringen mussten. Gleichzeitig ist der Bundeszuschussin ähnlicher Größenordnung gestiegen. Rund 80 Milliar-den DM sind, um das einmal umzurechnen, das Volumenvon 5 Prozentpunkten Mehrwertsteuer.Sie hätten es, glaube ich, nicht gewagt, der Bevölke-rung zu sagen, es gibt fünf Jahre jedes Jahr eine Erhöhungder Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt.
Wir haben Sie bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer um1 Prozentpunkt unterstützt; denn hätten wir das nicht ge-macht, dann hätte der Rentenversicherungsbeitrag nicht20,3 Prozent, sondern 21,3 Prozent betragen.
Daran muss erinnert werden.Dafür gab es Gründe. Dafür gab es Gründe, die Sienicht zu verantworten hatten; es gab aber auch Gründe,die die Politik zu verantworten hat, gleich, ob man dieVerantwortung nun positiv oder negativ betrachtet. Es gabGründe, die im Prozess der deutschen Einigung lagen; esgab Gründe, die in der Frühverrentungspraxis lagen. Mitall diesen Dingen haben Sie sich zum Teil auseinander ge-setzt und haben wir uns auseinander gesetzt.Ein Punkt war, so genannte versicherungsfremdeLeistungen nicht mehr dem Beitragszahler aufzubürden.In diesem Ziel war sich das gesamte Parlament einig, par-teiübergreifend. Nun ist das von uns konkret umgesetztworden.Wir haben diesen Komplex als Erstes angepackt. Wirhaben die Rentenversicherung von solchen Aufgabenstel-lungen entlastet. Wir haben die Steuermittel, die wir dafüreinsetzen, über die Erhebung der Ökosteuer, die nun soheftig diskutiert wird, finanziert.Aber in all der Hektik der Diskussion dieser Tage einpaar ruhige Anmerkungen. Aus welchem Bereich derSteuer hätten wir das denn finanzieren sollen? Vor demHintergrund der von allen geforderten Senkung der Ein-kommensteuersätze doch wohl nicht über die Einkom-mensteuer, nach der gerade vollzogenen Erhöhung derMehrwertsteuer doch wohl nicht über die Mehrwert-steuer. Also bleibt nur dieser Bereich. Dann sollte manauch ehrlich und offen dazu stehen. Deswegen stehe ichauch dazu.
Nun gab es einige Berechnungen und Nachfragendazu, was mit dem Geld geschehen ist. Ich will es Ihnensagen: Die Einnahmen aus der Ökosteuer im Jahr 1999und im Jahr 2000 – in 2000 können wir nur den Ansatznehmen – werden voraussichtlich insgesamt bei etwasüber 25 Milliarden DM liegen. Wie haben wir die Entlas-tung vorgenommen? Wir haben den Beitrag zur Renten-versicherung um 1 Prozentpunkt abgesenkt und dadurchden Betrieben und den Beschäftigen jeweils 8 Milliar-den DM, also 16 Milliarden DM, zurückgegeben. Wir ha-ben aber zudem bei der Rentenversicherung über 8,4 Mil-liarden DM zusätzliche Rücklagen aufgebaut understmals seit 1994 die Rentenversicherung in die Lageversetzt, die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Schwan-kungsreserve für einen Monat Rentenzahlungen auch er-reichen zu können.
Ja, Kollege Blüm, es wäre gerechtfertigt, hier zu sagen,die Rente ist sicher. Damit das aber so bleibt, muss eini-ges getan werden.
Die jetzigen Regelungen allein reichen nicht aus.Damit die Rente – ich greife jetzt Ihren Spruch auf – si-cher und bezahlbar bleibt, werden wir eine Rentenreformeinleiten, für die die Eckpunkte schon feststehen und fürdie der entsprechende Gesetzentwurf in wenigen Tagenvorliegen wird. Unser Ziel ist es dabei – das werden wirrealisieren –, für die jungen Menschen klare Rahmenbe-dingungen zu schaffen und sie durch bezahlbare Renten-systeme abzusichern, und zwar über einen Zeitraum, dermindestens doppelt so lang ist wie der zugrunde liegendeZeitraum des Rentenversicherungsberichts, den die Bun-desregierung jährlich erstellen muss, also 30 Jahre.Wir werden den Beitragssatz, den wir abgesenkt haben,für mindestens 20 Jahre nicht wieder über 20 Prozent stei-gen lassen und damit eine langfristig planbare und sichereLinie für die erwerbstätige Generation und für die Be-triebe schaffen.
Wir wissen – ich bin dankbar, dass der Kanzler geradedieser Frage einen großen Teil seiner Rede gewidmet hat –,
dass es trotzdem ergänzender Unterstützungen bedarf.Wir wissen sehr genau, dass nicht alle Menschen zusätz-liche Versorgung ohne Unterstützung tragen können. Des-wegen müssen wir für diese Menschen die ergänzendeAltersvorsorge betrieblich, tariflich und privat fördern.Die richtige Forderung nach dieser Altersvorsorge bleibtaber eine Luftblase, wenn man nicht die Grundlagen dafürlegt, dass die Menschen sie in Anspruch nehmen können.Wir werden das tun. Der Finanzminister arbeitet in die-sem Punkt mit dem Arbeitsminister und mit dem Kanzlereng zusammen.
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Wir werden gerade die Verdiener mit geringem undmittlerem Einkommen sowie die Familien mit Kindern ineinem Maße unterstützen, das unserem Anspruch hin-sichtlich sozialer Gerechtigkeit gerecht wird.
Das Volumen von insgesamt 19,6 Milliarden DM, das wirin der Spitze und dann dauerhaft einsetzen, wird eine guteInvestition zur Stabilisierung und zur Sicherung der Al-tersversorgung aller Menschen, insbesondere der Gering-und Mittelverdiener und der Familien mit vielen Kindern,sein.Wir werden aber auch Klarheit über das Rentenniveauschaffen. Wir werden nicht mit der Rasenmähermethodevorgehen, sondern wir werden die Menschen in demMaße am Reformprozess beteiligen, in dem es ihre Leis-tungsfähigkeit erlaubt.
Da unterscheiden wir uns von denen, die undifferenzierteinen Demographiefaktor einführen wollen. Wir unter-scheiden uns von ihnen aber nicht in dem Punkt, dass diedemographischen Probleme beachtet werden müssen.Diese sehe ich möglicherweise als noch viel dringlicheran als manche in der Union.Wir werden darüber hinaus sicherstellen, dass sich dieverschämte Altersarmut nicht ausweitet. Sie ist heutequantitativ nur schlecht zu erfassen, weil sie nur verein-zelt erkennbar ist und daher statistisch gesehen nur einengeringen Anteil hat. Aber wenn ich die Situation gerade inden neuen Bundesländern betrachte, dann komme ich zudem Schluss, dass die in höherem Maße unterbrochenenErwerbsbiografien, die höhere Arbeitslosigkeit, die gerin-gere Anzahl von ergänzenden Alterssicherungssystemenund die geringere Vermögensbildung dazu führen, dassdort die Probleme der Altersarmut in 10 bis 15 Jahrendeutlicher zutage treten werden, als wir es heute vermu-ten können. Darauf muss die Politik reagieren.
Deswegen werden wir Regelungen korrigieren, die fürden von vielen Menschen als unwürdig empfundenenGang zum Sozialamt und für den Rückgriff auf die Kin-der verantwortlich sind.
All das, was ich Ihnen berichtet habe, ist nicht nur Be-standteil einer aktiven Beschäftigungspolitik und einergezielten Arbeitsmarktpolitik für die Teile der Bevölke-rung, die vom Markt keine Angebote bekommen, sondernist auch Bestandteil eines Aufbrechens des Reformstaus,der wie Mehltau über der Gesellschaft lag.
Der Haushalt 2001 wird die Grundlagen dafür schaffen,eine Politik fortzusetzen, die diesen Reformstau entschie-den aufbricht und der Bevölkerung das Gesicht eines so-zialen Deutschlands zeigt.
Dazu einige Punkte: Wir werden in der nächsten Wo-che im Kabinett eine Gesetzesinitiative zur Beschäfti-gungsförderung und zur Förderung der Teilzeit einbrin-gen.
Zum ersten Punkt, zur Beschäftigungsförderung:Ich sage klar – das habe ich auch den Gewerkschaftengesagt –, dass eine Abschaffung der Möglichkeiten desBeschäftigungsförderungsgesetzes nicht die bestehendenProbleme löst, sondern sie an anderer Stelle, in Bezug aufdie notwendige Flexibilisierung, verstärkt. Deswegengeht es darum, die Möglichkeiten, befristete Einstellun-gen vorzunehmen, von der Missbrauchspraxis, die sichzum Teil daraus entwickelt hat, abzutrennen. Das ist ent-scheidend.
Wir werden nach der vorgesehenen Novellierung nichtmehr zulassen, dass sich aus den richtigen Ansätzen einerbefristeten Beschäftigung kontinuierliche Kettenarbeits-verträge entwickeln.
– Jemand von der CDU/CSU sagt, das sei gar nicht mög-lich. Sie sollten sich einmal über die Praxis informieren.
Aus der Sicht der rechten Seite des Parlamentes ist diesvielleicht nicht denkbar; aus der Sicht der Praxis ist aberFolgendes festzustellen:
Leider ist es so, dass in zahllosen Fällen eine Befristungdes Arbeitsvertrages, die ohne sachlichen Grund erfolgtist, ergänzt wird durch eine Befristung mit sachlichemGrund und dass anschließend wieder eine zweijährige Be-fristung ohne sachlichen Grund erfolgt. Falls Sie daranZweifel haben sollten, sollten Sie sich einmal an die Be-triebsräte wenden. Diese werden Ihnen das sehr genauaufzeigen. Ein solche Aneinanderreihung von Befristun-gen werden wir künftig verhindern.
Für den Fall, dass Sie nicht wissen, wer das entsprechendeGesetz gemacht hat, kann ich Ihnen sagen, wer es einge-bracht hat: die damalige Regierung. Wir werden diessachgerecht korrigieren.
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Zum zweiten Punkt, zur Teilzeitarbeit:Mit Genuss habeich im „Spiegel“ dieser Woche Folgendes gelesen: Auf dieFrage nach seiner Meinung zu dem von uns geregelten Er-ziehungsurlaub, der statt auf drei nun auf acht Jahre verteiltwerden kann, antwortet Stoiber – ich zitiere –:Es muss nicht nur der Erziehungsurlaub von drei aufacht Jahre verteilt werden können, wir– ich weiß nicht, wer mit „wir“ gemeint ist –wollen zudem einen Rechtsanspruch auf Teilzeitar-beit auch in der freien Wirtschaft durchsetzen.Da hat der Edmund Recht.
Ich bin gespannt, ob er von Ihnen in der CDU/CSU un-terstützt wird, wenn wir diesen Gesetzentwurf einbringen.Sie haben da die Möglichkeit, einen Praxistest zu machen.
Den nächsten großen Komplex beim Aufbrechen einesReformstaus stellt die Betriebsverfassung dar. Die Be-triebsverfassung, das für die Betriebe wichtigste Regel-werk aus dem Jahre 1972, kann eigentlich nur den Blickder damaligen Arbeitswelt, also die der 60er-Jahre, wie-dergeben. Das ist nicht zu kritisieren; das ist ein Fakt. Kri-tisieren aber muss man, dass über 30 Jahre hinweg einRechtsstillstand herrschte. Wenn man sich einmal vor Au-gen führt, wie die Arbeitswelt vor 30 Jahren ausgesehenhat und wie sie heute aussieht, dann ist festzustellen, dassdiese aus der damaligen Zeit stammenden Regeln nichtmehr zu der heutigen Arbeitswelt passen.
– Jemand aus der Union ruft gerade zu: Weg mit der Be-triebsverfassung!
Das kann nur jemand sagen, der eine Beteiligung, Mit-wirkung und Mitbestimmung der Belegschaften ablehnt.Das werden wir nicht tun.
Wir wollen vielmehr eine sachgerechte, der neuen Ar-beitswelt entsprechende Beteiligung, Mitwirkung undMitbestimmung der Menschen. Deswegen werden wir dieBetriebsverfassung ändern. Wir werden sie novellieren.
Wir werden den Haushalt 2001 dafür einsetzen, das so-ziale Gesicht dieser Republik nicht nur im Hinblick aufdie Beschäftigungspolitik, die Arbeitsmarktpolitik unddie sozialen Sicherungssystemen, sondern auch im Hin-blick auf die Betriebe so zu verändern, dass Menschen zuRecht sagen können: Die jetzige Regierung steht für dassoziale Gesicht dieser Republik.Herzlichen Dank.
Herr Minister, gestat-
ten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Gerne. Dies ist eine Abschlussfrage.
Bitte schön, Frau Kol-
legin Luft.
Danke, Herr Minister. Ich sah,
dass Ihre Redezeit zu Ende ging, aber da Sie zu einem
Thema noch nichts gesagt haben und es Hunderttausende
Betroffene gibt, die sicherlich heute Morgen zuhören,
möchte ich Sie bitten, uns darüber zu informieren, wie der
Stand der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils zur Rentenüberleitung ist. Sie haben dazu bis zum
30. Juni 2001 Zeit, das heißt, dieser Zeitpunkt fällt in den
Etat des nächsten Jahres. Ich möchte Sie fragen, wie sich
die Umsetzung nach dem jetzigen Stand Ihrer Arbeit im
Etat Ihres Ministeriums widerspiegelt.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Frau Luft, ich möchte Ihnen diese Antwort
dann geben, wenn der Diskussions- und Vorbereitungs-
prozess abgeschlossen ist. Einen Zwischenbericht möchte
ich in diesem Fall nicht geben.
Nun hat das Wort derKollege Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.Horst Seehofer (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Es ist schon sehr enttäuschend, –
– dass der zuständige Minister auf das größte Reformpro-jekt, das angeblich für 30 Jahre Sicherheit schaffen soll,die Rentenreform, in seiner 30-minütigen Rede ganzedrei Minuten verwendet.
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Bundesminister Walter Riester11290
Herr Minister, wenn Sie heute die Vorlage eines Gesetz-entwurfs für nächste Woche ankündigen, wäre es auch ander Zeit gewesen, der Öffentlichkeit nach zehnmonatigerDiskussion endlich mitzuteilen, was Sie in der Renten-politik wirklich vorhaben.
Ich kann allerdings verstehen, dass Sie diesem Themaausweichen; denn die Rentenpolitik ist ohne Zweifel ei-ner der großen Schwachpunkte dieser Regierung.
Sie ist mangelhaft und konzeptionslos. Betrachtet man dieletzten zwei Jahre, so gab es nur Fehlentscheidungen,Kehrtwendungen und Wortbrüche.
Erste Fehlentscheidung: Sie nehmen die Rentenreformvon Norbert Blüm, die den demographischen Faktorberücksichtigte und nicht nur kurzfristig, sondern auchlangfristig mehr Stabilisierung in der Rentenversicherunggeschaffen hätte, zurück. Das war ein großer Fehler.
Viele Experten haben Ihnen damals gesagt: Das wirdteuer. Jetzt müssen Sie diese Rechnung einlösen. Sie spre-chen vom Reformstau, und die große Rentenreform neh-men Sie zurück. Es war nicht nur ein großer Fehler, es warauch töricht.
Meine Damen und Herren, hätten Sie den demographi-schen Faktor, der ab 1999 gewirkt hätte, in Kraft gelassen,dann hätten Sie die gesetzliche Rente im Jahr 2001 alleindurch den demographischen Faktor in einer Größenord-nung zwischen 5 und 6 Milliarden DM entlastet. Dienächste Stufe der Ökosteuer zum 1. Januar 2001, die Siebeschlossen haben und gegen deren Aussetzung Sie sichwenden, führt zu zusätzlichen Einnahmen von 5,4 Milli-arden DM. Das macht das Dilemma deutlich, das Sie mitder Rücknahme der Blüm’schen Rentenreform angerich-tet haben.
Hätten Sie den Demographiefaktor in Kraft gelassen,dann müssten Sie im nächsten Jahr die nächste Stufe derÖkosteuer nicht in Kraft treten lassen, weil der De-mographiefaktor für die Rentenversicherung finanzielldie gleiche Wirkung gehabt hätte wie die Ökosteuer.
Meine Damen und Herren, die Regierung hat hier genaudie Falle aufgestellt, in der sie jetzt selber sitzt.Zweiter Fehler: Wortbruch. Es gab große Töne vor derWahl: An die Renten wird nicht herangegangen, die Ren-ten werden nicht angetastet. Noch im Februar 1999 hat derBundeskanzler in Bayern erklärt: Ich stehe dafür, dass dieRenten in Zukunft so steigen wie die Nettolöhne.
Wenige Monate später werden die 40-jährige Sozialtradi-tion in Deutschland, das Wahlversprechen und das Wortdes Kanzlers vom Februar 1999 gebrochen, und die Ren-tenanpassung wird für zwei Jahre von der Nettolohn-entwicklung abgekoppelt. Gestern sprach der Kanzlervon der Verantwortungsgemeinschaft und der Moral inder Politik. Das Verhalten gegenüber den Rentnern in denletzten zwei Jahren war unmoralisch und verantwor-tungslos.
Dann haben Sie gesagt: Regt euch nicht so stark auf,ihr Rentner, wir sichern euch doch den Kaufkraft-ausgleich. Das war der dritte Wortbruch.
Herr Riester, Sie haben noch im September 1999gesagt: Die Rentenanpassungen entsprechen der Preis-steigerungsrate in den Jahren 2000 und 2001, und diesbedeutet nichts anderes als die Sicherung der Kaufkraft.Sie haben also Kaufkraftsicherung für die Rentner ver-sprochen. Mit der Rentenerhöhung für dieses Jahr am1. Juli 2000 haben Sie das Gegenteil gemacht. Sie habenmit dem Trick gearbeitet, dass Sie die Inflationsrate desVorjahres von 0,6 Prozent gewählt haben, –
– während die Inflationsrate im Juli dieses Jahres bei1,9 Prozent lag. Das heißt, die Höhe Ihrer Rentenanpas-sung am 1. Juli dieses Jahres war dreimal niedriger als dieaktuelle Inflationsrate.
Sie haben also Ihr Versprechen der Kaufkraftsicherungfür die Rentner nicht eingelöst.
Tatsächlich sind also die Renten gekürzt worden. Diestrifft insbesondere die Rentner in den neuen Ländern. Wasmacht es für einen Sinn, wenn der Bundeskanzler die Ost-problematik zur Chefsache macht, aber sein Arbeitsmi-nister die Renten im Osten kürzt? Dies ist die Folge die-ser Rentenanpassung.
Dritter Punkt der Fehlentscheidungen und Wortbrüche:Sie machen sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen,aber was haben Sie tatsächlich getan? Sie haben dieBeiträge zurRentenversicherung für Bezieher von Ar-beitslosenhilfe, die der Bund zahlt, fast um die Hälftegekürzt. Arbeitslosenhilfe beziehen aber bekanntlich dieMenschen, die länger arbeitslos sind. Dies ist auch wiederinsbesondere in den neuen Ländern ein Problem, wo nichtnur die Arbeitslosenquote doppelt so hoch ist wie im Wes-ten, sondern wo die Menschen typischerweise auch längerarbeitslos sind. Deswegen sind sie von der Absenkung derRentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezie-her auch besonders betroffen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Horst Seehofer11291
Sie haben die Beiträge um fast die Hälfte gesenkt. Undda machen Sie sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen?Tatsächlich haben Sie für jemanden, der vier oder fünfJahre lang Arbeitslosenhilfe bezieht, die monatliche Renteum 100 DM gekürzt. Herr Riester, nehmen Sie diese un-soziale Maßnahme zurück!
Jetzt ist da auch noch dieser soziale und ökologischeKrüppel der Ökosteuer: Dies ist eine doppelte Ohrfeigefür die Rentner. Die Rentner zahlen überproportionalhohe Energiepreise, aber die Senkung der Rentenversi-cherungsbeiträge, die Sie der Bürgerschaft immer als aus-gleichende Entlastung verkaufen, hat für die Rentnerin-nen und Rentner keine Bedeutung, weil sie keine Beiträgemehr bezahlen. Die Ökosteuer ist eine reine Strafaktiongegen die 18 Millionen Rentnerinnen und Rentner.
Dann sagen Sie, dass für die Aktiven die Beiträge ge-senkt werden. Ich habe mir jetzt noch einmal die ver-schiedenen Berechnungen besorgt. Der Rentenversiche-rungsbeitrag im Jahre 2000 beträgt 19,3 Prozent. DerRentenversicherungsbeitrag im Jahre 2001 beträgt19,3 Prozent. Sagen Sie der deutschen Öffentlichkeit dieWahrheit, dass im nächsten Jahr die Ökosteuer steigt – Siehaben sie beschlossen – und der Rentenversicherungsbei-trag gleich bleibt. Dies ist eine Zusatzbelastung, eineStrafaktion, und trifft insbesondere die ältere Generation.
Rücknahme der Rentenreform, Wortbruch bei der Net-tolohnanpassung, Wortbruch beim Kaufkraftausgleich,Strafaktion mit der Ökosteuer und ein Feldzug gegen dieLangzeitarbeitslosen durch die Kürzung der Rentenver-sicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher! HerrRiester, ich bin schon lange auf dem sozialpolitischen Ge-biet tätig und traue mir hier wirklich ein Urteil zu. Einessteht fest: In der deutschen Sozialgeschichte hat noch keinSozialminister in so kurzer Zeit Jung und Alt hinsichtlichder Alterssicherung so verunsichert und die Rentner sobestraft, wie Sie das in den letzten zwei Jahren gemachthaben, Herr Riester.
Das größte innenpolitische und sozialpolitische Reform-projekt ist in der Tat die Rentenreform, wo Sie – ich wie-derhole es – den akuten Handlungsbedarf durch die Rück-nahme unserer Rentenreform aus dem Jahre 1996/1997verschärft haben. Auch hier unterscheiden wir uns funda-mental. Wir haben uns – das war der Vorschlag vonWolfgang Schäuble und Edmund Stoiber – im November1999 bereit erklärt, an die große Tradition anzuknüpfenund die Alterssicherung parteiübergreifend und im Kon-sens zu lösen. Wir stehen auch zu unserem Vorschlag.Dies ist kein Blankoscheck für die Regierung; die Inhaltemüssen stimmen. Aber hiermit unterscheiden wir uns fun-damental von Ihrer – Sie waren damals in der IG-Metallan führender Position verantwortlich – und von der Ver-haltensweise der Sozialdemokraten.Sie waren 1996/97 nicht nur nicht zum Konsens bereit,sondern haben mit uns nicht einmal über eine Rentenre-form gesprochen, weil Sie damals Blockadepolitik zumSchaden unseres Landes betrieben haben. Da unterschei-den wir uns entscheidend.
– Herr Schlauch, wer laut schreit, hat keine Argumenteoder, wie wir in Bayern sagen: Die lautesten Kühe gebendie wenigste Milch.
Herr Schlauch, die wirkliche Reform- und Konsens-bremse sitzt in der Regierung. Wir wissen nämlich biszum heutigen Tag nicht – wir haben es auch heute nichterfahren –, was die Regierung jetzt eigentlich will, außerallgemeinen Grundsätzen.Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, warendrei völlig unterschiedliche Konzepte zur Rentenreform.Das ist jetzt nicht meine Konstruktion als Opposition. DieFrau Engelen-Kefer –
– hat Ihnen am 4. Juli, ausgerechnet an meinem Geburts-tag, einen netten Brief geschrieben, Herr Riester. Ich lesejetzt gar nicht vor, was sie zu Demagogie und Diffamie-rung geschrieben hat. Ich lese Ihnen nur vor: Ich will gernzugestehen, dass wir nicht so flexibel sind wie du, WalterRiester. Immerhin ist es dir gelungen, während deinerAmtszeit als Minister mindestens drei unterschiedlicheRentenkonzepte vorzulegen.
Das war am 4. Juli dieses Jahres. Mittlerweile basteln Sieam vierten Konzept, meine Damen und Herren. Sie kön-nen froh sein, dass Sie als Partner eine christliche Parteihaben, die die Tugend der Barmherzigkeit beherrscht.
Aber lange hält unser Langmut mit Ihrer Herumstöpseleinicht mehr.
Nachdem Sie für nächste Woche ein Rentenreformge-setz angekündigt haben – von dem ich prognostiziere,dass es erst über- oder überübernächste Woche vorgelegt
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werden wird –, möchte ich Ihnen vorsorglich noch einmalklipp und klar sagen, worauf es uns ankommt, –
– und zwar etwas konkreter als Sie.Herr Riester, was ich an Ihren Einlassungen, auchheute wieder, entscheidend bemängele, ist Folgendes. Siehaben keine rentenpolitische Konzeption.
Sie verfechten nicht eine Idee, sondern: Wer zuletzt mitIhnen gesprochen hat, hat Recht bei der Rentenreform.Das ist Ihre Vorgehensweise.
– Nein.
Herr Seehofer?
Nein. Wir waren ge-rade gemeinsam im Fernsehen. Ich weiß, was er sagenwill.
Es reicht nicht, Herr Riester, Rentenformeln und Fak-toren nur handwerklich abzuarbeiten. Die Menschen wol-len von Ihnen endlich wissen, welche rentenpolitischePhilosophie Sie haben, was Sie mit einer Rentenversiche-rung erreichen wollen.
Ich muss Ihnen erstens sagen. Das Wichtigste ist, dasswir den Menschen sagen: Die Alterssicherung muss auchin der Zukunft Lebensstandardsicherung bedeuten. Werein ganzes Leben lang gearbeitet hat, muss darauf ver-trauen können, dass er im Alter seinen Lebensstandardwie im aktiven Erwerbsleben fortführen kann.
Das sind keine Selbstverständlichkeiten, meine Damenund Herren. Bis 1957, bis zur großen Rentenreform unterKonrad Adenauer mit der Handschrift der Union, war diegesetzliche Rente mehr oder weniger eine Überlebens-hilfe. Erst die Einführung der dynamischen Rente 1957hat zu einer Lebensstandardsicherung geführt, das heißt,die Rente ist ein Spiegelbild der beruflichen Lebensleis-tung. Wir werden alles tun, dass diese Grundphilosophieder Lebensstandardsicherung nicht ausgerechnet von So-zialdemokraten zerstört wird.Es wäre gut, wenn Sie der Öffentlichkeit einmal sagenwürden, –
welches Ziel Sie mit der Rentenreform eigentlich verfol-gen. Ist es Armutsvermeidung oder Lebensstandardsiche-rung? Wir wollen Lebensstandardsicherung.
Zweitens. Wir wollen, dass wir mit der Rentenreformnicht Altersarmut produzieren. Deshalb halten wir andem Ziel fest, das wir vor der Bundestagswahl in unsereRentenreform geschrieben haben, dass das Rentenniveauin der gesetzlichen Rente nicht unter 64 Prozent einesNettodurchschnittsverdienstes sinken darf.
Meine Damen und Herren, wenn es darunter sinkt, heißtdas, dass auch für langjährig Versicherte im Alter Armutangesagt ist. Es ist übrigens einer der größten Erfolge derdynamischen Rente, dass Altersarmut heute in Deutsch-land zwar nicht ausgeschlossen, aber kein Massenphäno-men ist.Die Höhe des Rentenniveaus ist nicht nur eine mathe-matische Größe. Sie ist insbesondere für jene Menschenwichtig, die eben nicht 45 oder 40 Versicherungsjahrevorweisen können. Dies sind bisher typischerweiseFrauen; sie kommen vielleicht auf 27 oder 28 Versiche-rungsjahre. Herr Riester, die Rentenversicherungsträgersagen uns – wir bekommen von Ihnen seit acht Wochenkeine Berechnungen bezüglich der Rentenreform; des-halb muss ich mich auf die Rentenversicherungsträger be-rufen –, dass nach Ihren Vorstellungen von einer Renten-reform das Rentenniveau nicht, wie gegenüber Ihrereigenen Fraktion versprochen, bei 64 oder 65 Prozent lie-gen wird, sondern bei 61 Prozent. Wenn Sie einen Kon-sens mit uns wollen, dann müssen Sie uns das erklären.Ich sage Ihnen aber heute schon prophylaktisch: WennIhre Reform tatsächlich zu einem Rentenniveau von61 Prozent führen sollte, dann wird es keinen Rentenkon-sens mit uns geben; denn das entspräche einer organisier-ten Altersarmut.
Das Dritte hatten Sie eigentlich aufgegeben, aber ichhabe gehört, dass es unter dem Druck der Gewerkschaf-ten und auch Ihrer Fraktion wieder aufleben kann: die be-darfsabhängige Grundsicherung. Meine Damen undHerren, die gesetzliche Rente muss ein Spiegelbild derLebensarbeitsleistung, muss leistungsbezogen bleiben:Wer mehr und wer länger Beiträge einzahlt, muss einehöhere Rente bekommen als der, der das nicht tut.
Damit verträgt sich der Gedanke einer bedarfsabhängigenGrundsicherung nicht.Man muss es der Öffentlichkeit einmal sagen: Bei derGrundsicherung handelt es sich nicht um 800 oder900 DM, wie es die Grünen in den 80er-Jahren diskutierthaben. Sie selbst haben Professor Hauser beauftragt, einGutachten vorzulegen, aus dem hervorgeht, wie hochdie Grundsicherung jetzt wäre. Er kommt zu dem Ergeb-nis, dass nach Ihren ursprünglichen Vorstellungen inDeutschland an ein Rentnerehepaar mit über 65 Jahren,das Bedarf hat, im Monat 2 000 DM plus Kranken- und
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Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 150 DM, alsoinsgesamt 2 150 DM, an Grundsicherung zu zahlen wä-ren. Um eine Rente in Höhe von 2 100 DM erhalten zukönnen, muss aber ein Durchschnittsverdiener 45 Jahre indie gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.Wenn Sie also zu diesem Vorschlag zurückkehren – ichhoffe es nicht; denn dann gäbe es keinen Konsens –,würde jemand, der wenig oder überhaupt nichts in die ge-setzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, wegen Ihrerbedarfsabhän-gigen Grundsicherung am Ende genausoviel erhalten wie derjenige, der das ganze Leben hart ge-arbeitet, geschuftet und Beiträge eingezahlt hat. Das wäredas Ende der guten alten gesetzlichen Rentenversiche-rung.
Dass Sie wieder zur Nettolohnanpassung zurückkeh-ren wollen, begrüßen wir. Das war immer unsere Forde-rung; wir müssen weg von der Willkür. Uns geht es dabeigar nicht so sehr um die Größenordnung. Aber es ist schonerstaunlich, meine Damen und Herren: Solange die Infla-tionsrate bei 0,6 Prozent lag, haben Sie die Anpassungnach der Inflationsrate vorgenommen. Jetzt, wo sich dieInflationsrate allmählich der Nettolohnentwicklung an-nähert, nehmen Sie wieder Abstand davon – weil derSpareffekt weg ist.
Was sollen die Leute eigentlich denken, wenn die Ren-tenanpassung alle halbe Jahre nach neuen Parametern er-folgt, je nach Kassenlage und wie es dem Arbeitsministergerade passt? Das zerstört Verlässlichkeit und Vertrauen.
Aber Vorsicht, meine Damen und Herren: Der Bundes-kanzler hat gesagt, er kehre zu den „Grundzügen“ der Net-tolohnanpassung zurück. Es könnte also sein, dass Sie dasmachen, was Sie ursprünglich vorhatten, nämlich eineAnpassung nach der Inflationsrate, die Sie dann ein-fach Nettolohnanpassung nennen. Solche semantischenSchwindel sind ja in den letzten Monaten öfter erfolgt.
Deshalb werden wir uns sehr genau anschauen, was hierpassiert.Es ist ein großer Schwachpunkt, Herr Arbeitsminister,dass Sie den Demographiefaktor von Blüm auf Gedeihund Verderb nicht wollen, obwohl Sie jetzt eingesehen ha-ben, dass Sie vom Inhalt her das Gleiche machen müssen.Ich sichere Ihnen zu: Sie können es anders nennen. Abernehmen Sie den Gedanken des Demographiefaktors wie-der auf; denn er ist angesichts der Alterspyramide die ge-rechteste Lösung, weil er die Lasten auf Jung und Alt ge-recht verteilt.Sie wollen einen Ausgleichsfaktor, nach dem jeder,der ab dem Jahr 2011 in Rente geht, einen jährlichen Ab-schlag – deshalb ist es auch kein Ausgleichsfaktor, son-dern ein „Kürzungsfaktor“ – von 0,3 Prozent über 20 Jah-re hinweg hinzunehmen hat. Das entspricht innerhalb von20 Jahren einer Rentenkürzung von 6 Prozentpunkten.Die Wirkung ist erstens: Je später man in Rente geht,desto höher ist der Abschlag. Die Wirkung ist zweitens,dass nur die junge Generation davon betroffen ist.
Wenn gestern, auch vom Finanzminister und vom Bun-deskanzler, so oft gesagt worden ist, die Sozialdimensionhat eine Gegenwartsfunktion und eine Zukunftsfunktion,und man darf in der Gegenwart nicht die Zukunft zulastender kommenden Generationen „verfrühstücken“, danntun Sie jetzt bei der Rente genau das Gegenteil. Von IhrerRentenreform ist die junge Generation am stärksten be-troffen.
Ich fordere Sie auf, dass Sie diesen Ausgleichsfaktor– der in Wahrheit ein Kürzungsfaktor ist – aufgeben undeinen Vorschlag vorlegen, wie Sie die Generationenge-rechtigkeit wirklich herstellen wollen und wie Sie auchlangfristig einen Beitragsatz von 22 Prozent für die jungeGeneration vermeiden wollen; denn es kann nicht sein,dass diese junge Generation nach Ihrer Rentenreform diehöchsten Beiträge, das geringste Rentenniveau, die längs-te Lebensarbeitszeit und die höchsten Abschläge hat. DieGenerationengerechtigkeit muss hergestellt werden!
Ein Letztes. Herr Riester, wir bitten Sie noch einmaldringendst – das ist ein dringender Wunsch meiner Frak-tion –, nach Möglichkeiten zu suchen, das Solidarprin-zip dadurch zu stärken, dass Menschen, die 45 Jahre in dieSolidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversiche-rung eingezahlt haben, in Rente gehen können, ohne dasssie einen rentenversicherungsmathematischen Abschlagbekommen. Wenden Sie sich dieser Sache noch einmalzu. Das ist ein dringender Wunsch meiner Fraktion. Da-rüber muss noch einmal gesprochen werden.
Herr Riester, ich rate Ihnen dringend: Nehmen Sie un-sere Vorschläge auf. Es sind keine neuen Vorschläge. Wirmachen sie seit Monaten. Scheibchenweise, Zug um Zug,scheinen Sie uns entgegenzukommen. Aber entscheidendkommt es darauf an, was Sie schwarz auf weiß vorlegen.
Hören Sie endlich mit dem Zickzackkurs auf, dass Siein sieben Monaten vier Rentenkonzepte vorlegen. SorgenSie bitte dafür, dass Verlässlichkeit, Beständigkeit undVertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung einzie-hen. Wir wissen – auch das sagen wir der Öffentlichkeit –,dass die Lebensstandardsicherung durch die gesetzlicheRente allein nicht mehr gewährleistet werden kann, son-dern durch die private Vorsorge ergänzt werden muss. Dashaben wir früher als Sie gesagt. Aber es muss so ausge-staltet werden, dass man es auch gegenüber den Klein-verdienern und den Familien mit Kindern verantwortenkann.Wenn Sie hierbei unseren Vorschlägen folgen, dann ha-ben Sie uns bei einem Rentenkonsens als verlässlichenPartner an Ihrer Seite. Wenn Sie das nicht tun, haben Sie
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uns in der Rentenpolitik der nächsten Monate als ent-schiedenen Gegner.
Nun erteile ich der
Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Herr Seehofer hat uns eben wieder einige Rätsel aufgege-ben. Er hat viel über die Vergangenheit gesprochen. Aberleider, Herr Seehofer, haben Sie uns immer noch nichtverraten, an welcher Stelle und wie Sie sich die zukünf-tige Konzeption vorstellen.
Aber wir werden Rentenkonsensgespräche haben. Dortwerden wir zur Sache kommen. Wir warten dann auf IhreAntworten. Was ich jetzt machen möchte, ist, nicht so sehrüber die Vergangenheit zu reden, wie Sie das gerade ge-tan haben. Es würde sich anbieten, weil wir natürlich ei-niges von dem aufzeigen könnten, was Sie uns hinterlas-sen haben. Aber ich möchte doch lieber über das Heuteund das Morgen reden.Ich glaube, dass die letzten zwei Jahre der rot-grünenKoalition eines sehr deutlich gezeigt haben: Sie haben derBevölkerung konsequent deutlich machen können, dasssoziale Gerechtigkeit auch und insbesondere eine Zu-kunftsdimension hat, dass es bei den Themen, über die wirreden, Sozialpolitik und Haushaltspolitik, darum geht,über das Heute und das Morgen zu sprechen.
Ich denke, dass die Bevölkerung sehr eindrücklich ver-standen hat, dass der Sozialstaat heute nicht mehr wie inder Vergangenheit von der Hand in den Mund leben kann,sondern dass es auch eine sozialpolitische Aufgabe ist,den großen Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben,Stück für Stück abzutragen.
Ich finde es gerade auch unter sozialpolitischer Perspek-tive sehr beglückend, dass wir es geschafft haben, in die-sem Jahr zweierlei zu erreichen, nämlich die Schulden ab-zubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Dashaben Sie in der letzten Zeit nicht fertig bringen können,und es ist ein Gewinn für die Gesellschaft, der uns Zu-kunftsperspektiven öffnet.
Es ist für Sozialpolitiker manchmal ganz schwer, aberich glaube, gerade an dieser Haushalts- und Finanzpolitik,die den Rahmen liefert, wird sehr deutlich: Sozialpolitikist ein Teil eines Gesamtkonzeptes. Sozialpolitik ist auchein Teil einer Finanzpolitik der Konsolidierung, einerPolitik der Steuer- und der Abgabensenkung. Nur darübererhalten wir den Handlungsspielraum, um zukünftig an-stehende Modernisierungen des Sozialstaates vorzuberei-ten und in Angriff zu nehmen.Ich denke, dass die Politik der letzten zwei Jahre schonFrüchte trägt. Wir sehen das an ganz knallharten Daten,die positiv sind: 3,3 Prozent reales Wachstum in diesemJahr, 1,8 Prozent Inflationsrate – das kann sich im euro-päischen Vergleich wirklich sehen lassen – und dabeigleichzeitig und kontinuierlich seit dem letzten Herbst einAbbau der Arbeitslosigkeit, eine kontinuierliche Steige-rung der Beschäftigung. Das macht wirklich froh für dieZukunft, für den Gestaltungsspielraum, den wir brauchen.Ich glaube, an diesen Zahlen wird deutlich: Wir habenes in den ersten zwei Jahren von Rot-Grün geschafft, dieersten Schritte eines Perspektivwechsels in der Politikumzusetzen – einer Politik, die endlich Fairness auch ge-genüber der zukünftigen Generation walten lässt, die mitdem Konzept aufhört, die Problematik der Schulden wei-ter in die Zukunft schieben zu wollen.
Meine Damen und Herren, der Sozialetat ist der größteEtat in diesem Haushalt. Deswegen wird der Löwenanteildieser Politik der Konsolidierung und der Neukonzep-tionierung in diesem Haushalt vollbracht. Ohne dieReformbereitschaft und übrigens auch den Mut, gesell-schaftliche Konflikte auch anzugehen, ohne diese Hal-tung des Arbeitsministers Riester wäre die Konsoli-dierungspolitik der gesamten Regierung, wäre die Finanz-und Haushaltspolitik auf Sand gebaut. Wir, der Minister,die Sozialpolitik sind das Rückgrat dafür, dass die Politikder Konsolidierung und der Generationengerechtigkeitauch in die Zukunft wirken kann.Die rot-grüne Koalition hat bei allem, was wir in denletzten zwei Jahren gemacht haben, und bei dem, was fürdie nächsten Jahre veranschlagt ist, eines ins Zentrum ge-stellt: mehr soziale Gerechtigkeit für die kleinen Leute– und zwar nachrechenbar in ihrer Kasse – zu schaffen.Wir haben im Jahre 2001 durch die Steuerreform 45 Mil-liarden DM, die an die Unternehmer und die Arbeitneh-mer und Arbeitnehmerinnen sowie an die Bevölkerungzurückgegeben werden. Es klingelt auch in der kleinenGeldbörse.
Hinzu kommen besonders für die kleinen Einkommen:die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes, die Erhö-hung des Kindergeldes auch für Sozialhilfeempfänger,der höhere Kinderfreibetrag, die BAföG-Erhöhung undnach zehn Jahren endlich zum ersten Mal wieder eineWohngelderhöhung.
Ich finde, das markiert deutlich und zu Recht, wo un-sere Politik hinläuft: Für eine vierköpfige Familie mit
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jährlich 60 000 DM brutto im nächsten Jahr 2 900 DMmehr in der Tasche – und zwar real –, für eine allein ste-hende Frau mit jährlich 40 000 DM brutto im nächstenJahr 1 209 DM mehr Entlastung. Es ist wirklich real, wasbei den Menschen ankommt.Aber wir haben in der Sozialpolitik sehr viel mehr zuleisten, als diese Beiträge zur Konsolidierung zu erbrin-gen und neu zu gestalten.
Wir müssen an die sozialen Sicherungssysteme heran,weil sich der gesellschaftliche Zusammenhang, der Le-benszusammenhang und die Arbeitswelt sehr stark verän-dert haben. Die Sicherungssysteme müssen auch an dieveränderten Arbeits- und Lebensbedingungen angepasstwerden. Ich glaube, hier ist wirklich Ehrlichkeit gefordert.Verändert hat sich ungeheuer viel: die Lebenszeit ver-längert sich; die Geburtenrate geht zurück; die Allein-erziehenden werden zahlreicher; die Scheidungsratensteigen; in der Zukunft werden immer weniger Leute eshinbekommen, 45 Jahre lang in einem Beruf tätig zu sein.Alle diese Faktoren waren bei der Konstruktion unseresjetzigen Sozialsystems ausschlaggebend. Darauf ist eseingestellt.Wir müssen die Philosophie, aber auch die Grundlagenund die Struktur der Sozialsysteme an diese Veränderun-gen anpassen. Da müssen wir eine sehr offene und ehrli-che Diskussion führen. Heute sind es 2,3 Erwerbstätige,die auf einen Rentner, eine Rentnerin kommen. Schon imJahre 2030 werden es nur noch 1,3 Erwerbstätige sein. Je-dem in der Bevölkerung, der rechnen kann – und die kön-nen rechnen –, wird doch klar, dass ein umlagefinanzier-tes Rentensystem allein zukünftigen Generationen nichtmehr den Lebensstandard sichern kann.Herr Seehofer hat hier Ehrlichkeit in der Debatte ein-geklagt. Ehrlichkeit muss genau an dieser Stelle ansetzen:Wir müssen sagen, dass wir das umlagefinanzierte Systemdurch eine private Säule und eine betriebliche Säule er-gänzen müssen. Diese Ehrlichkeit bringen wir auf.
Sie dagegen stellen sich hier hin und behaupten, der Le-bensstandard sei weiterhin über das umlagefinanzierteSystem zu sichern. Das haben Sie hier gerade wiederumgemacht. Wir und auch unser Sozialminister bringen denMut auf, –
– die Wahrheit der demographischen Entwicklung in derGesellschaft zu diskutieren.
Wer heute immer noch behauptet, dass die Beitrags-entwicklung in den sozialen Sicherungssystemen nicht sowichtig sei, und wer uns rät, in dieser Debatte über dieRentenstrukturreform den Konsolidierungskurs zu ver-lassen, der hat die Schärfe des Problems überhaupt nichterkannt. Weder in der Rentenversicherung noch in den an-deren Versicherungssystemen können wir Reformen ma-chen, die mit einer Steigerung der Beitragssätze verbun-den sind. Wir brauchen die Beitragsstabilität. Sie ist einwichtiger Beitrag zur künftigen Beschäftigungsentwick-lung.Bei aller Offenheit in der Debatte um die Rentenstruk-turreform ist eines vollständig klar, die Schmerzgrenzeder Beitragssatzentwicklung ist in dem Konzept der Bun-desregierung benannt: bis zum Jahre 2020 unter 20 Pro-zent – das ist wirklich eine reife Leistung – und bis zumJahre 2030 nicht über 22 Prozent. Diese Schmerzgrenzekönnen wir nicht überschreiten. Wir brauchen Fairnessgegenüber der jungen Generation.Meine Damen und Herren, in den Rentenkonsensge-sprächen sind die wesentlichen Punkte für die Rentenre-form genannt worden. Herr Seehofer sagte erst, es gebekein Konzept; jetzt hat er beklagt, dass es vier Konzeptegebe.
Herr Seehofer, Sie waren derjenige, der uns in den Ren-tenkonsensgesprächen hinter geschlossenen Türen – daswill ich deutlich sagen, damit es jeder hört – mehrfach be-stätigt hat, dass die Eckpunkte der rot-grünen Regierung,die dort vorgelegt wurden, ein mutiges und der Zukunftzugewandtes Konzept sind, das das Problem der Genera-tionengerechtigkeit ernst nimmt.
– Genau! Herr Seehofer hat in Bezug auf das Regierungs-konzept sogar von einem „Quantensprung“ in der Ren-tenpolitik geredet. – Herr Seehofer, entscheiden Sie sich!Sie wissen, die Gespräche laufen weiter.Eines will ich Ihnen und der CDU/CSU insgesamt sa-gen: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie bei derSteuerreform! Danach sieht es fast aus. Folgen Sie nichtStoiber, sondern folgen Sie der Vernunft bei der Frage derRentenstrukturreform! Denn sie bietet Ihnen eine Chance,ein Stück Ihrer Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. DieKampagne gegen die Ökosteuer, die Sie im Moment be-treiben und mit der Sie Verwirrung auslösen, ist unglaub-würdig und an Unseriosität und Unredlichkeit gerade imZusammenhang mit der Rentenreform wirklich nicht zuüberbieten.
Herr Merz hat gestern die Eckpunkte der CDU/CSU-Fraktion genannt, von denen die zwei ersten sehr interes-sant sind.
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Dr. Thea Dückert11296
Die erste Forderung war: Das Niveau der heutigen Ren-ten muss gehalten werden. Ich erinnere Sie daran – Sie ha-ben eben gerade wieder erwähnt, der demographischeFaktor sei die Lösung –, dass der demographische Faktoralle Generationen, mit Ausnahme der jetzigen Rentner-generation, nach der Rasenmähermethode betreffenwürde. Bleiben Sie redlich in Ihrer Argumentation!
– Sie fordern den demographischen Faktor immer noch.Wir haben eine bessere Antwort, die im Sinne der Gene-rationengerechtigkeit auch ehrlicher ist.Die zweite Forderung – da wird es interessant, wenndie beiden Dinge zusammenkommen – von Herrn Merzlautete: Die Beiträge dürfen dauerhaft nicht höher sein alszurzeit. Wir haben zurzeit einen Beitragssatz von19,3 Prozent. Dieser Beitragssatz – das wissen Sie auch –ist wegen der Ökosteuer zustande gekommen. Ohne Öko-steuer läge in diesem Jahr der Beitragssatz in derRentenversicherung um einen Prozentpunkt höher, dasheißt, wir wären bei über 20 Prozent. Deshalb ist die Ar-gumentation an dieser Stelle höchst unredlich.Wie Sie wissen, fließen die Einnahmen aus der Öko-steuer in die Rentenkassen. Wenn Sie hier über Beitrags-sätze reden, die wir erreicht haben, und diese zur Grund-lage Ihrer eigenen Vorstellungen machen, dann aber dieÖkosteuer abschaffen wollen, schlagen Sie – das wissenauch Sie – dem Rentensystem ein Bein weg. Sagen Sie,wie Sie es finanzieren wollen, beispielsweise über Bei-tragserhöhungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer odereine höhere Nettoneuverschuldung! Meine Damen undHerren von der CDU, eine solche unehrliche Politik wer-den wir nicht mitmachen.
Ich schlage Ihnen in aller Freundschaft – die Diskus-sionen sind oft sehr anregend – vor, von der Straße, vonder Zapfsäule zurückzukehren und wieder in die Renten-konsensgespräche einzusteigen. Die Konzepte liegen vor,wir werden weiter diskutieren. Sie haben Ihre Punkte jabenannt. Ich denke, Sie rennen mit Ihren Forderungen of-fene Türen ein.Die betriebliche und private Vorsorge muss natür-lich weiter ausgebaut werden. Aber der Kanzler hat Ihnendoch schon angeboten, noch einmal 20 Milliarden DM indie Hand zu nehmen, um gerade Beziehern kleiner Ein-kommen den Gang in die private und betriebliche Vor-sorge zu erleichtern, und zwar mittels einer – was wirGrünen schon immer gefordert haben – Kinderkompo-nente. Darüber können wir doch reden, das ist doch über-haupt keine Frage. Sie brauchen doch nicht so zu tun, alsseien Sie hier auf einen unüberwindbaren Punkt gestoßen.Wir sind durchaus bereit, genau dieses zu tun.Das Ziel, für alle Altersvorsorgesysteme die nachgela-gerte Besteuerung zu erreichen, ist klar, über die Schrittemüssen wir aber reden. Aber das ist eine Frage des Weges;in einem Schritt geht es nicht. Wir müssen dazu natürlichauch die betriebliche Altersvorsorge attraktiver gestalten.Wir laden Sie ein, diesen Weg weiterzugehen. Ich denke,das ist auch für Sie sehr hilfreich.Wir haben in der Sozialpolitik noch sehr viel mehr zuleisten. Wir haben dank der positiven Konjunkturent-wicklung und dank der vorhin von mir genannten Datenim Moment eine sehr günstige Ausgangsposition.Mir bleibt nicht genügend Zeit, um die positive Ent-wicklung auf dem Arbeitsmarkt in Einzelheiten darzu-stellen. Klar ist aber, dass wir seit Herbst letzten Jahreshier eine kontinuierliche Verbesserung erleben. Klar ist,dass wir – entgegen allen Ihren Unkenrufen – in diesemJahr eine positive Entwicklung haben, die Zahl der Be-schäftigungsverhältnisse von Monat zu Monat zunimmt,allein im Mai dieses Jahres um mehr als 700 000. Dieslässt sich nicht allein durch die Demographie erklären,sondern ist Folge der positiven Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt.Diese positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarktmacht uns für die Zukunft eines möglich: Wir müssen ver-suchen – die Zeichen sind günstig –, spätestens im Jahre2002 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um0,8 bis 1 Prozent zu senken.
Ich denke, das können wir auch erreichen. Das wäre einguter Schritt, um mit den Lohnnebenkosten unter 40 Pro-zent zu kommen. Das wäre wiederum ein effektiver Bei-trag zur Beschäftigungsförderung und zu der positivenEntwicklung auf dem Arbeitsmarkt.Trotzdem werden die Aufgaben einer aktiven Arbeits-marktpolitik nicht kleiner werden, auch wenn das vieledenken mögen. Es gibt nach wie vor strukturelle Verwer-fungen zwischen Ost und West, insbesondere einen hohenAnteil an Langzeitarbeitslosigkeit, also an verfestigterArbeitslosigkeit. Aber die jetzige Situation gibt uns auchdie Chance, über Veränderungen in der Arbeitsmarktpoli-tik neu nachzudenken. Die Tatsache, dass ein großer Teilder Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, macht deutlich,dass wir mit unserer Arbeitsmarktpolitik zukünftig nichterst dann eingreifen dürfen, wenn sich die Langzeitar-beitslosigkeit schon verfestigt hat; vielmehr müssen wirdie Arbeitsmarktpolitik sehr viel stärker präventiv aus-richten, eher an die Betriebe herangehen und auf eine Ver-änderung des Qualifikationsniveaus setzen. Das sind allesAufgaben, die wir zu bewältigen haben.
Liebe Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Ja,ich weiß. Deswegen komme ich jetzt zum Schluss.Wir haben an dieser Stelle zwar viele Aufgaben zubewältigen. Aber: Wir kehren nicht mehr zur Politik derungedeckten Schecks zurück; vielmehr werden wir in derArbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik die Fairness
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Dr. Thea Dückert11297
gegenüber den zukünftigen Generationen in den Mittel-punkt stellen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun die
Kollegin Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir bisher indieser Debatte erlebt haben, ist ja wohl etwas bizarr: DerArbeitsminister flicht 30 Minuten lang Lorbeerblatt umLorbeerblatt zu einem Kranz zusammen, den er sich an-schließend selber aufsetzt.
Dabei hat er nichts, wirklich nichts zu den wichtigsten Re-formvorhaben gesagt, über die wir gerade diskutieren.Wer aber beschreibt die Verblüffung, als Herr Seehofernach dem Motto: „Was kümmern mich meine Sprüchevon gestern?“ eine Kehrtwende hin zu einer sicherlich gutgemeinten, aber doch in weiten Bereichen illusionärenPolitik von Norbert Blüm machte? Herr Seehofer, IhreForderung, es bei einem Rentenniveau von 64 Prozent zubelassen, ist – das haben die Rechnungen sehr klar ge-zeigt – entweder nur durch weitere massive Fütterung derRentenversicherung mit Steuern oder durch weitere mas-sive Beitragsanhebungen zu erfüllen. Wir waren uns zuBeginn der Rentenkonsensgespräche darüber im Klaren,dass eine solche Politik nicht zukunftsfähig ist, weil dieGrundlagen dafür nicht mehr vorhanden sind.
Wenn Sie, Herr Seehofer, eine solche Politik trotzdem for-dern, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind unverant-wortlich und tun nichts für einen Generationenausgleich,weil Sie nämlich nicht in der Lage sind, die Lasten so zuverteilen, wie sie verteilt werden sollten.
Lassen Sie mich zunächst den Aspekt ansprechen, dassein gewisser Anteil an Steuern in die Rentenversiche-rung fließt. Im Einzelplan 11, der mit knapp 170 Milliar-den DM wieder der mit Abstand größte Einzelplan desBundeshaushalts ist, werden die Zuschüsse zur Renten-versicherung für dieses Jahr immerhin mit 137 Milliar-den DM ausgewiesen. Die drastische Erhöhung des steu-erfinanzierten Zuschusses zur Rentenversicherung ist imWesentlichen darauf zurückzuführen, dass Sie seit zweiJahren das Aufkommen der Ökosteuer in die Rentenver-sicherung fließen lassen. Dies wollen Sie auch noch fürweitere zwei Jahre fortsetzen. Insofern ist das schon eineweitere Facette der Debatte über die Ökosteuer, die auchdie bisherige Haushaltdebatte sehr stark geprägt hat.Sie werden auch im nächsten Jahr wiederum 8 Milliar-den DM in die Rentenversicherung fließen lassen, die dieAutofahrer jetzt beim Tanken und all diejenigen, die nochHeizöl für den Winter brauchen, mit ihrer nächstenHeizölrechnung bezahlen. Damit liefert die Bundesregie-rung wieder einmal ein neues Stück Politik, das die Bür-ger in Deutschland nicht mehr verstehen. Vielleicht wardas der Grund, weshalb Herr Riester nur sehr knapp aufdie Rentenversicherung eingegangen ist.Die Diskussion um die Ökosteuer, meine Damen undHerren, zeigt nur, auf welch abschüssige Bahn sich dieBundesregierung damit begeben hat. Bis zum Jahre 2003werden die mobilitätshungrigen Deutschen mit ihrenTankfüllungen weitere 27 Milliarden DM in die Renten-kasse einzahlen. Sie wissen aber nicht, wo es bleibt. Siehatten damit gerechnet, dass so die Rentenversicherungs-beiträge gesenkt werden. Aber ab dem Jahr 2001 werdendie Rentenversicherungsbeiträge nicht mehr gesenkt. Diezusätzliche steuerliche Spritze dient ausschließlich dazu,den Rentenversicherungsbeitrag einigermaßen stabil zuhalten. Was wird dadurch erreicht? Nichts anderes, alsdass die Notwendigkeit von Reformen in der Rentenver-sicherung wieder einmal verschleiert wird,
einige wieder hasenfüßig werden und eine durchgreifendeRentenreform nicht mehr anpacken wollen.Selbst bei den Grünen kursiert inzwischen ein Papier,das diesen Weg der zunehmenden Steuerfinanzierung alsäußerst fragwürdig beschreibt. Ich weiß nicht, welchenStellenwert Herr Metzger heute noch in Ihrer Fraktionhat – zumindest ist nicht mehr sehr viel von ihm zuhören –, aber Herr Metzger hat in einem Papier ganz klarfestgestellt, dass dieses von den Grünen als Ideologie be-triebene Konzept, nämlich die Ökosteuer zu erhöhen undderen Aufkommen anschließend in die Rentenversiche-rung fließen zu lassen, der Bevölkerung nur schwer zuvermitteln ist und darüber hinaus die massiven Zuschüsseaus Steuermitteln das langfristige Konsolidierungsziel derBundesregierung gefährden. Hier kann ich nur die Fragestellen: Welche Konsequenzen werden die Grünen inner-halb der Koalition ziehen? Oder werden sie, wie in derVergangenheit, solche Dinge einfach übergehen undnichts für den Generationenausgleich tun?
Herr Riester, Sie sind in der fraktionsübergreifendenKonsensrunde zur Reform der Altersvorsorge in Deutsch-land gut gestartet. Das Ziel, eine Stabilisierung der Ren-tenversicherung bis 2030 zu erreichen, ist richtig undbleibt richtig. Die Entscheidung, die zwangsläufig ausdieser Umgestaltung entstehende geringere Versorgungaus der gesetzlichen Rentenversicherung frühzeitig durchden Aufbau einer privaten und einer betrieblichen Al-tersversorgung aufzufangen, ist richtig und bleibt rich-tig. Nach dem, was Herr Seehofer heute gesagt hat, ist esganz offensichtlich ein mutiges Konzept gewesen, demsich die größere Oppositionsfraktion derzeit noch nichtrecht anschließen kann. Die Entscheidung, die hoffentlichim Bundeshaushalt 2001 ihren Niederschlag findet, denAufbau der privaten Altersvorsorge für alle – nicht nur fürdiejenigen, die Steuern zahlen, auch für diejenigen, diekeine Steuern zahlen – massiv aus Steuermitteln zu unter-
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Dr. Thea Dückert11298
stützen, ist richtig und bleibt richtig. Falsch, Herr Riester,ist es, dass Sie vor den massiven Forderungen und Dro-hungen der Gewerkschaften innerhalb und außerhalb ih-rer eigenen Fraktion eingeknickt sind. Sie wollen die Ein-führung eines Abschlagsfaktors, den Sie eigentlich alseine Art demographischen Ausgleich ab dem Jahr 2011einsetzen wollten – das ist unserer Meinung nach sowiesozu spät –,
noch weiter hinausschieben. So können Sie niemandemerklären, wieso Sie zu der Behauptung kommen, dass derBeitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung bei22 Prozent stabil gehalten werden kann.
Sie belasten die Rentenversicherung stärker, Sie entlastensie an keiner anderen Stelle. Und das soll zum gleichenBeitragssatz gehen? Wir wissen doch, wer dann Beiträgezahlen wird, da sie alle schon heute geboren sind. – DasGanze wird nicht funktionieren. Herr Riester, seien Siebitte ehrlich und sagen Sie, dass dies die falsche Ent-scheidung ist, wenn Sie wirklich am Ziel der langfristigenStabilisierung festhalten wollen.
Ich appelliere an Sie, wieder zu dem ziemlich radikalenReformer zu werden, der Sie zu Beginn dieses Jahres wa-ren.Dennoch muss man auch die OppositionsparteienCDU und CSU auffordern, auf den Boden der Realitä-ten zurückzukehren. Herr Seehofer, Sie haben wirklichnicht erklärt, wie Sie es schaffen wollen, mit einem Bei-tragssatz von 22 Prozent oder weniger ein Rentenniveauvon 64 Prozent beim „Standardrentner“ zu erhalten. Dasgeht nicht. Das wird Ihnen sicherlich auch Ihr Renten-experte, Herr Storm, erklären. Insofern sind Sie hier wirk-lich noch Aufklärung schuldig, wie Sie dies tatsächlichmachen wollen.Der Bundeskanzler hat in seiner Rede gestern an einerStelle schon darauf hingewiesen, dass es in Zukunft, näm-lich bei den Rentnern der Jahre 2015/2020/2030, nicht da-rauf ankommen wird, was sie aus der gesetzlichen Ren-tenversicherung bekommen. Was für sie vielmehr zählenwird, ist, dass der Lebensstandard insgesamt gesichertwird. Das heißt, aus der gesetzlichen Rentenversicherungund aus der privaten Vorsorge und aus der betrieblichenAltersversorgung setzt sich das Einkommen zusammen,aus dem die Lebensstandardsicherung erfolgen soll.
Das war auch unser Ausgangspunkt. Übrigens, dieF.D.P. hat dies leichten Herzens getan, weil wir es seit15 Jahren fordern. Wir freuen uns, dass es inzwischen dieeine oder andere Fraktion in diesem Hause gibt, die unsauf diesem Wege folgen will. Entscheidend ist also dieLebensstandardsicherung, aufbauend auf allen drei Säu-len. Ich appelliere an die CDU, auch hier wieder auf denBoden der Tatsachen zurückzukehren.
Die F.D.P. ist nach wie vor der Meinung, dass der de-mographische Ausgleich nicht erst im Jahre 2011 einset-zen darf. Er muss früher einsetzen.
Für die F.D.P. gilt ganz genauso, dass es Möglichkeitender Verlängerung der Lebensarbeitzeit gibt: indem manSchulzeiten verkürzt, nämlich beim Abitur von 13 aufzwölf Jahre, indem man Studienzeiten verkürzt –
– und indem man möglicherweise, darüber werden wir amnächsten Sonntag einen Beschluss fassen, eine Freiwilli-genarmee schafft.Das würde drastische Erleichterungen in der Renten-versicherung bringen. Man muss über eine Verlängerungder Lebensarbeitszeit über 65 Jahre hinaus zum jetzigenZeitpunkt gar nicht diskutieren. Unser Drängen auf einenniedrigen Beitragssatz ist keine Marotte, sondern im Hin-blick auf den Arbeitsmarkt schiere Notwendigkeit. Ausdiesem Grund unterstützen der DIHT, also der DeutscheIndustrie- und Handelstag, aber auch die Arbeit-geberverbände unser Drängen, vom jetzt eingeschlagenenKurs der alten Gefälligkeitspolitik wieder zur Vernunftzurückzukehren.Der Kuhhandel, der bei der Zusammenkunft von Re-gierung und Gewerkschaften getrieben wurde, hat abernoch zwei weitere negative Konsequenzen gehabt. Ganzoffensichtlich soll jetzt die auch von mehreren SPD-Län-dern gewollte Reform des Ladenschlussgesetzes für dieseLegislaturperiode wieder von der Agenda gestrichen wer-den. Aber so blind können doch eigentlich nur noch Men-schen sein, die ihre Milch nicht selber einkaufen, dass sienicht sehen, wie ganz legal – manchmal auch an derGrenze der Legalität – das antiquierte Ladenschlussge-setz unterlaufen wird.Dies alles geschieht nur, damit die Gewerkschaft Han-del, Banken und Versicherungen zufrieden ist. Die Tank-stellen werden sich freuen, aber wir, die F.D.P., würdengerne für Verbraucher, aber auch für moderne Einzel-händler noch in dieser Legislaturperiode eine Abschaf-fung des Ladenschlussgesetzes sehen.
Das ist Reformbereitschaft, die im Übrigen auch die Grü-nen immer wieder einfordern. Also: Machen Sie es, un-terstützen Sie unseren Antrag und setzen Sie sich gegen-über den Gewerkschaften durch!Unter die Räder gekommen ist im Gespräch mit denGewerkschaften auch der Ansatz zur Flexibilisierung desArbeitsmarktes, den die alte Bundesregierung in ihremBeschäftigungsförderungsgesetz auf den Weg gebrachthat. Der Abschluss befristeter Arbeitsverträge hat sich ge-rade in Zeiten des Umbruchs in vielen Betrieben bewährt.Da geht es darum, durch flexible Maßnahmen zusätzlicheAufträge bewältigen zu können, ohne dass man weiß, obes auch einen Nachfolgeauftrag gibt. Die bürokratischeKrücke, Herr Riester, die derzeit in Ihrem Ministerium
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Dr. Irmgard Schwaetzer11299
vorbereitet wird und die Sie als Gesetzentwurf vorlegenwollen, ist für den Abschluss befristeter Arbeitsverträgeso etwas wie der Tod. Damit werden Sie wieder eineMenge zusätzlicher Investitionen in osteuropäischen Län-dern bewirken, aber sicherlich wenig zusätzliche Investi-tionen in Deutschland.
Aber es gibt – ich sehe das an der Reaktion – viele, diediese Realität in Deutschland nicht wahrnehmen wollen.Diese sind eher bereit, auf mehr Beschäftigung zu ver-zichten, als über ihren eigenen Schatten zu springen.
Die F.D.P.-Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurffür befristete Arbeitsverhältnisse in den Bundestag einge-bracht. Wir laden die Modernisierer in der Koalition ein,uns dabei zu unterstützen.
Deswegen freue ich mich, auch bei den Haushaltsbera-tungen, noch auf viele interessante Diskussionen.Danke schön.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich hier heuteMorgen von verschiedenen Seiten Stellungnahmen zurRente gehört habe, bin ich wirklich auf Ihren möglichenKonsens gespannt.Für mich steht nach zwei Jahren rot-grüner Regie-rungspolitik fest: Jawohl, es hat ein Politikwechsel statt-gefunden, aber, ich fürchte, er wird vielen nicht gefallen,die noch 1998 ihre Hoffnung auf Rot-Grün gerichtet hat-ten. Ich gebe offen zu: Ich schließe mich dabei nicht aus.Ich werde mich deshalb bei meiner Rede vor allen Dingenauf die Punkte konzentrieren, die es zu kritisieren gilt, un-abhängig davon, dass es auch das eine oder andere gege-ben hat, dem wir frohen Herzens zustimmen konnten.Wollte noch Bundeskanzler Schröder bei seinem Re-gierungsantritt den Abbau der Arbeitslosigkeit zur Mess-latte über Erfolg und Misserfolg seiner Politik machen, istes nun der Bundesfinanzminister, der mit seiner Konso-lidierungspolitik allen den Rang abläuft. Sparen hatoberste Priorität, Schuldenabbau wird bei Ihnen zum Ga-ranten für soziale Gerechtigkeit heute und in Zukunfthochgeredet. Ich sage Ihnen: Schuldenabbau per se hatweder etwas mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Innova-tion zu tun, wenn die Richtung nicht stimmt.
Ich finde, Sie sparen an den Falschen. Schon das ersteeichelsche Sparpaket vom letzten Sommer – 30 Milliar-den DM, Sie erinnern sich – ging eindeutig zulasten vonRentnerinnen und Rentnern, Erwerbslosen und Sozial-hilfeberechtigten. Allein bei den Langzeitarbeitslosenhaben Sie im Rahmen dieses Pakets durch die Kürzungder Rentenbeiträge 4,5 Milliarden DM gespart. Hier kannich Herrn Seehofers Kritik ausdrücklich zustimmen. Dieneuen Maßnahmen, die Sie für diese Bevölkerungsgrup-pen einleiten, werden diesen Kurs leider noch verschär-fen, weil Sie penetrant die wirklich Vermögenden undBesserverdienenden, die so genannten Leistungsträger,ins Zentrum Ihrer Politik stellen und aus allen Belastun-gen herauslassen.Sie sind nicht nur dabei, die Sozialsysteme in der Bun-desrepublik von der Reichtumsentwicklung abzukoppeln,sondern sie sind auch dabei, den Sozialstaat auf seinewettbewerbsfördernde Funktion einzudampfen. Dabei– das ist ja auch klar – wird dann eben zu oft nur noch nachNützlichkeitsgesichtspunkten entschieden und nicht vor-rangig danach, was der Sozialstaat heute und vor allenDingen in Zukunft leisten muss und leisten soll, um densozialen Wandel in dieser Gesellschaft gestaltbar zu ma-chen.Der berühmte Reformstau, den auch Sie jetzt immerbemühen, wird doch nicht allein dadurch aufgelöst, dassSozialleistungen gekürzt und Sozialkosten gedeckelt wer-den. Der Reformstau ist erst dann wirklich aufgelöst,wenn den tatsächlich vorhandenen Umbrüchen in unse-rem Arbeitssystem aufgrund der Veränderung von Be-schäftigungsverhältnissen und der Bevölkerungsstrukturstaatliche Konzepte gegenübergestellt werden, die auf so-zialer Sicherheit und Solidarität aufbauen und eben nichtauf Privatisierung sozialer Risiken und Eigenverantwor-tung.
Sie sind aber genau auf diesem Weg der Privatisierung so-zialer Risiken. Dabei verletzen oder verändern Sie will-kürlich grundlegende Prinzipien unseres sozialen Siche-rungssystems.Das Abkoppeln der Rentenerhöhungen von der Netto-lohnentwicklung für zwei Jahre war ein erster Schrittdorthin. Nun schrecken Sie auch nicht davor zurück, dieparitätische Finanzierung der Rente aufzukündigen. Ge-trieben von der fixen Idee – das sage ich ausdrücklichauch noch einmal an die Adresse der Kollegin TheaDückert –, die Unternehmen bei den Lohnkosten zu ent-lasten, wollen Sie die Rentenkassen einseitig durch pri-vate Vorsorge der abhängig Beschäftigten sanieren. Das,liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch weder gerechtnoch eine Reform, die diesen Namen wirklich verdient.Nun hat uns gestern der Bundeskanzler in seiner Rededarüber belehrt, dass private Vorsorge noch nie paritä-tisch finanziert worden sei.
Das ist wohl wahr. Der feine Unterschied besteht aller-dings darin: Sie wollen das Rentenniveau absenken. Da-mit wird die private Vorsorge im Prinzip zur Pflicht für alldiejenigen, die auch in Zukunft eine Rente in der Höhe ha-ben wollen, die die gesetzliche Rentenversicherung heutenoch garantiert. Das heißt doch, die private Vorsorge wirdbei Ihnen zum Ausfallbürgen Ihrer Rentenkürzungspläne.
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Dr. Irmgard Schwaetzer11300
Das ist der Ausstieg aus der solidarisch finanzierten Al-terssicherung. Das führt dazu, dass die Rente nicht sicherist, dass die Leistungen für die heutigen Rentnerinnen undRentner gekürzt werden und dass die jungen Generatio-nen unverantwortlich belastet werden.
– Das Rentenniveau wird doch wohl abgesenkt; darüberwaren wir uns hier schon einig.Diesen Weg gehen wir jedenfalls nicht mit. Die PDShat Alternativen für eine Rentenreform vorgelegt. Sie sindbezahlbar, sie sind solidarisch, sie sind zukunftsfähig undsie verhindern Altersarmut. Das ist für uns der wichtigstePunkt.
Ich empfehle Ihnen: Holen Sie uns mit an den Tisch.Die soziale Grundsicherung, die Sie, Herr MinisterRiester, heute wieder angeführt haben und die Sie ver-sprochen haben, als Sie die Rentenbeiträge der Langzeit-arbeitslosen abgesenkt haben, werden Sie mit dieser Seitejedenfalls nicht durchsetzen. Das sollte Ihnen klar sein.
Wenn Sie das Vertrauen in den Sozialstaat und in dieRente nicht ganz verspielen wollen, dann folgen Sie un-serem Vorschlag und nutzen Sie einen kleinen, einen win-zigen Teil der UMTS-Erlöse, um rückwirkend auch fürdas Jahr 2000 zur Nettolohnanbindung der Rente zurück-zukehren.
Eine letzte Bemerkung zur Rente. Herr Minister, IhreAntwort auf die Frage meiner Kollegin Luft ist ja äußerstdürftig ausgefallen. Ich will es Ihnen noch einmal deutlichsagen: Die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschlandwarten darauf, dass Sie endlich die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts umsetzen und die Überfüh-rungslücken im Rentenrecht schließen.
Ich finde, nach zehn Jahren Einheitspolitik müsste Rot-Grün dies aus eigenem Antrieb tun und endlich das Ren-tenunrecht beseitigen. Im Übrigen: Die Rentnerinnen undRentner in Ostdeutschland wollen die Anpassung desRentenwerts Ost an den Rentenwert West noch bei Leb-zeiten mitbekommen.
In der Behindertenpolitik hat es zaghafte Schrittevoran gegeben, besonders beim Abbau der Arbeitslosig-keit Schwerbehinderter. Aber ich sage auch: Der von denBetroffenen ersehnte Schub zu einem wirklichen Nach-teilsausgleich ist bisher ausgeblieben. Verunsicherunghinsichtlich der Zukunft der Erwerbs- und Berufsun-fähigkeitsrente herrscht gegenwärtig gerade bei den Men-schen mit Behinderungen. Da müssen Sie endlich „ausdem Knick“ kommen.
Nun zu Ihrer Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitslosen-zahlen sinken seit einigen Monaten. Das ist gut so. DieRegierung, allen voran der Bundeskanzler, ist zufrieden.Aber ich sage Ihnen: Für Selbstzufriedenheit fehlt jedeGrundlage. Die Veränderungen in unserer Arbeitsgesell-schaft, die zunehmende Auflösung des Normalarbeitsver-hältnisses, die notwendige Neuverteilung bezahlter undunbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern sind allesHerausforderungen, die wir angehen müssen. Die Men-schen, die uns in der Politik begleiten, erwarten, dass wirendlich Lösungen anbieten.Da drängt sich mir die Frage auf: Was ist eigentlich mitdem Bündnis für Arbeit? Seit zwei Jahren dümpelt es da-hin. Es beschäftigt sich mit diesem und jenem und dientvor allen Dingen dazu, die Gewerkschaften in die Kon-senspolitik der Bundesregierung einzubinden. Auf Vor-schläge, die dazu führen, die Arbeitslosigkeit in diesemLand wirksam abzubauen, warten wir bisher vergeblich.Was ist mit dem Überstundenabbau? Was ist mit einerRegelung zur sinnvollen Arbeitszeitverkürzung? All dieseSchritte wären aber notwendig, um beim Abbau derArbeitslosigkeit vom Trippelschritt zum Laufschritt zukommen.
Natürlich, Herr Minister – ich habe alle Ihre Zahlenhier zur Kenntnis genommen –, bin auch ich froh über je-den neuen Arbeitsplatz. Aber das bisschen Licht am Endedes Tunnels ist noch keine Trendwende und schon garnicht ein Anlass, in der Arbeitsmarktpolitik nachzulassen,wie Sie es beabsichtigen.Natürlich – dagegen können Sie anreden, wie immerSie wollen – ist es vor allem der Rückgang der Zahl derErwerbstätigen, der die Statistik im Moment schön macht.Die Zahl ist innerhalb von zwei Jahren um 361 000 gesun-ken. Die Einbeziehung der 630-Mark-Jobs macht die Sta-tistik noch ein bisschen schöner. Ein echter Beschäfti-gungseffekt ist leider noch nicht zustande gekommen,vielleicht mit Ausnahme der zurzeit boomenden Export-wirtschaft Westdeutschlands. In anderen Gebieten sinddie Prognosen düster. Ich erinnere nur an die Bauwirt-schaft. Gerade gestern hat sie verkündet: 60 000 Arbeits-plätze stehen auf dem Spiel.In Ostdeutschland ist die Lage nach wie vor zutiefst de-primierend. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es dort einenStillstand. Die Arbeitslosenquote ist dort mit 17 Prozentnoch immer mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutsch-land. Auch in diesem Jahr stehen wieder Zehntausendejunge Menschen ohne eine Ausbildungsplatzperspektiveauf der Straße. Das JUMP-Programm allein löst dieseProbleme nicht.
In dieser Situation – das sage ich hier wirklich mit al-lem Nachdruck – den Bundeszuschuss an die Bundesan-stalt für Arbeit für das kommende Jahr komplett zu strei-chen halte ich für politisch völlig verantwortungslos.
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Dr. Heidi Knake-Werner11301
Jede Einschränkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik führtim Osten Deutschlands zu dramatischen Einbrüchen. Dashat sich im letzten Jahr allein daran gezeigt, dass Sie dieKürzung der Sachkostenzuschüsse für AB-Maßnahmendurchgesetzt haben.In Sachsen-Anhalt macht der Anteil der Teilnehmer anarbeitsmarktpolitischen Maßnahmen 26,1 Prozent allerBeschäftigten aus. Während in Westdeutschland auf einefreie Stelle sieben Arbeitslose kommen, sind es in Sach-sen-Anhalt 21. Ohne die Beibehaltung und Verstärkungder aktiven Arbeitsmarktpolitik geht hier gar nichts. DasMotto „Chefsache Ost“ ernst zu nehmen bedeutet, endlichZeichen zu setzen. Falsche Zeichen sind, AB-Maßnah-men weiter auszubluten, die Kosten für Strukturanpas-sungsmaßnahmen – zumindest in gleicher Höhe – nicht zuübernehmen und beim Kampf gegen die Jugendarbeitslo-sigkeit nachzulassen.Nun gibt es ja im Einzelplan 11 den wunderschönen Ti-tel „Förderung der Erprobung und Entwicklung innovati-ver Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“.Sie wissen, das ist eines meiner Lieblingsthemen. Ich binnach wie vor enttäuscht und entsetzt darüber, was mit die-sem Titel angestellt wird. 60 Prozent der dort eingestell-ten Gelder werden zur Förderung der Beschäftigung imNiedriglohnbereich eingesetzt. Das ist, so finde ich, keinbisschen innovativ. Es gibt zahlreiche Beschäftigte, dieheute darum bangen, ob sie in Zukunft ein Einkommen er-zielen können, von dem sie und ihre Familien leben kön-nen. Angesichts dessen, dass in diesem ZusammenhangModellversuche gemacht werden, muss ich Sie fragen:Was ist eigentlich der Erkenntniswert daraus?Wir brauchen endlich den Einstieg in den öffentlichgeförderten Beschäftigungssektor.
Frau Kollegin, Sie ha-
ben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Ich komme sofort
zum Ende. – Schauen Sie doch einmal nach Mecklenburg-
Vorpommern. Dort versucht die Regierung aus eigener
Kraft, die Langzeitarbeitslosigkeit durch den Einstieg in
den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu
bekämpfen. Hier könnten Sie auf innovative Weise för-
dernd eingreifen. Dies wäre hier am Platz. Ich empfehle
Ihnen diese Stoßrichtung dringend für die Zukunft, damit
wir mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig werden.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulla Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten: Wir sindeine reiche Gesellschaft. Sie ist reicher als vor 100 oder200 Jahren. Aber der Reichtum ist ungleich verteilt. Des-halb möchte ich im Rahmen dieser Debatte einmal fest-stellen, dass der Sozialstaat deutscher und europäischerPrägung die wohl größte kulturelle Errungenschaft desletzten Jahrhunderts gewesen ist.
Wenn dieser Sozialstaat erhalten werden soll – diesist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhun-derts –, dann hat das nichts damit zu tun, Frau KolleginKnake-Werner, dass er einfach nur wettbewerbskompati-bel gemacht werden soll. Vielmehr ist zu sagen: Wer denSozialstaat erhalten will, der muss Reformen einleiten,damit die Wirklichkeit mit den Maßnahmen in Überein-stimmung gebracht wird, die wir zu leisten haben.
Wir müssen ihn in Übereinstimmung mit der sich verän-dernden Arbeitswelt bringen. Wir müssen ihn in Überein-stimmung mit der Tatsache bringen – diese Entwicklungerfolgt Gott sei Dank –, dass die Lebenserwartung derMenschen auf der einen Seite aufgrund des medizinischenFortschritts und auf der anderen Seite – das möchte ich andieser Stelle ganz besonders betonen – aufgrund des Er-folges des Kampfes der Gewerkschaften um humane Ar-beitsbedingungen in den Betrieben, um Jugendarbeits-schutz und um das Verbot von Kinderarbeit immer größerwird. Das ist gut so; das halte ich für positiv. Wir allefreuen uns darüber, weil wir hoffen, davon profitieren zukönnen.
Trotzdem besteht das Problem, dass es angesichts die-ser wachsenden Lebenserwartung eine immer geringerwerdende Zahl an Menschen gibt, die am Erwerbslebenteilnehmen und die die Leistungen für diejenigen aufzu-bringen haben, die entweder noch nicht erwerbstätig seinkönnen oder die, weil sie die Altersgrenze erreicht haben,nicht mehr erwerbstätig sein müssen oder die nicht mehrim Arbeitsleben stehen, weil es eine Massenarbeitslosig-keit gibt. Wenn es so bleibt, dass die entsprechenden Leis-tungen immer umfangreicher werden, dann verliert derSozialstaat seine Akzeptanz. Bei den jungen Menschenwird dann der Trend, sich aus diesem Sozialstaat zu ver-abschieden, immer größer werden.Deshalb glaube ich, dass eine der wichtigsten Fragenim Rahmen des Einzelplans 11 ist – auch der Bundesar-beitsminister hat sie heute angesprochen –: Was müssenwir tun, um die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden?Wie können wir wieder in Menschen investieren, umdahin zu kommen, dass die Menschen in diesem Land fürihre Arbeit bezahlt werden und sie nicht vom Staat bezahltwerden müssen, weil sie nicht arbeiten dürfen und nichtihr eigenes Geld verdienen können?
Wir haben eine ganze Menge getan. Dass jemand vonIhnen jetzt einen Zwischenruf über Sozialabgaben macht,
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Dr. Heidi Knake-Werner11302
ist ein wenig früh, da Sie doch erst zwei Jahre aus der Re-gierung sind.
Denn als wir die Mehrheit erhielten, hatten wir die höchs-te Abgabenquote, die es in Deutschland jemals gegebenhat.
Diese hohe Abgabenquote hat nicht dazu geführt, dass dieöffentlichen Haushalte saniert wurden. Nein, zu den Ab-gaben, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unddie Unternehmen in diesem Land erbringen mussten, kamauch noch die höchste Steuerbelastung, die es je inDeutschland gegeben hat.
– Nein, nicht weil wir die Steuerreform blockiert haben.Uns ging es immer darum, eine Steuerreform zu ma-chen, die sozial gerecht ist, die Beschäftigung fördert unddie den Familien wieder das gibt, was sie brauchen, damitsie ohne soziale Sorgen leben und ihre Kinder großziehenkönnen. Das, meine Damen und Herren, ist Fakt.
In zwei Jahren haben wir schon eine ganze Mengegeschafft. Die Investitionsstimmung ist viel positivergeworden. Es kommen auch wieder Menschen nachDeutschland, die sagen: Wir wollen investieren, wirschaffen Arbeitsplätze. – Das hat nicht allein mit der de-mographischen Entwicklung zu tun. Ich habe es schoneinmal gesagt: Demjenigen, der das immer wieder be-hauptet, biete ich an, die Statistiken gemeinsam mit ihmzu lesen. Dann ist er nämlich schlauer.
Darum sage ich: Es ist unser Erfolg, dass die Zahl derBeschäftigten in Deutschland wieder steigt.
In diesem Jahr nahm sie um 730 000 gegenüber dem Vor-vorjahr zu und gleichzeitig – da können Sie lachen – sankdie Zahl der Erwerbslosen. Vielleicht sollten Sie liebernicht lachen, sondern sich freuen, –
– dass die Zahl der Erwerbslosen sinkt und wieder mehrMenschen eine Beschäftigung finden. Das wäre in derUnion, die sich christlich nennt, angebrachter, als darüberzu lachen.
Trotz dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklungbraucht die Beschäftigungspolitik eine sozialstaatlicheFlankierung; denn wir brauchen einen Arbeitsmarkt, derfür alle, für Frauen und Männer, attraktiv ist und in demalle, die arbeiten wollen, auch ihren Platz finden. Wirbrauchen einen Arbeitsmarkt, der nicht nur auf wirt-schaftliche Interessen ausgerichtet ist, sondern auchdenjenigen, die weniger leistungsfähig sind, wieder eineChance eröffnet. Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, derauf familiäre Belange Rücksicht nimmt.Deshalb ist für mich eindeutig: Bei allem, was wir imBereich Arbeit und Soziales machen, steht der Mensch imMittelpunkt, der junge Mensch, der Mensch mittleren Al-ters und der ältere Mensch. In sie müssen wir investieren,sie wollen wir qualifizieren. Für sie wollen wir die Vo-raussetzungen für lebensbegleitendes Lernen schaffen,damit nicht nur der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ge-fördert wird, sondern auch die Zeiten zwischen demWechsel von zwei Arbeitsplätzen wieder kürzer werdenund die Qualifikation der Menschen erhalten bleibt, damitsie weiterhin ihre Arbeitskraft einsetzen können.
Meine Damen und Herren, deshalb verbirgt sich hinterdem Einzelplan 11 die grundsätzliche Verpflichtung desStaates, sozial verantwortlich zu handeln. Das betrifftnicht nur die Ausgaben für Arbeitslosengeld und Ar-beitslosenhilfe oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,sondern auch die Möglichkeit, für die Problemgruppendes Arbeitsmarktes initiativ zu werden und das geltendeArbeitsförderungsrecht, das weitgehend auf passiveLeistungen und, weil das so war, auf eine Beschränkungdes Ausgabenvolumens bei anwachsenden Arbeitslosen-zahlen gesetzt hat, so weiterzuentwickeln, dass es tatsäch-lich ein aktivierendes Arbeitsförderungsrecht wird und je-dem Menschen die auf ihn abgestimmte individuelleBeratung gibt und Wiedereingliederung in den Arbeits-markt ermöglicht.
Eine der Gruppen, mit denen wir heute noch bei derEntwicklung des Arbeitsmarkts Probleme haben, sindzweifellos die älteren Arbeitslosen. Ich begrüße es des-halb, dass die Bundesanstalt für Arbeit eine Vermittlungs-offensive unter dem Motto „50 Plus“ anlaufen lässt. Essoll dabei vor allen Dingen darauf ankommen, die Vorbe-halte der Wirtschaft gegenüber der Einstellung ältererarbeitsloser Menschen abzubauen. Ich kann nur an dieWirtschaft appellieren, dass sie sich darauf einlässt. Dennwenn wir auf der einen Seite die demographische Ent-wicklung beklagen und auch wissen, dass es in absehba-rer Zeit einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ge-ben wird, muss die Wirtschaft auf der anderen Seite einInteresse daran haben, die Qualifikation, die Fähigkeitenund die Kenntnisse der älteren Arbeitslosen für ihren Be-trieb zu erhalten.Ich nenne noch einen zweiten Punkt, der auch die Ren-tenreform – sie ist wichtig – betrifft. Wenn wir wollen– das wird auch von der Wirtschaft gefordert –, dass dastatsächliche Renteneintrittsalterwieder mit dem gesetz-lichen Renteneintrittsalter übereinstimmt, dann kann unddarf es nicht sein, dass Menschen mit 58 oder 59 Jahren,
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Ulla Schmidt
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die bis 65 arbeiten wollen, auf diesem Arbeitsmarkt keineChance mehr haben.
Ich glaube, dass es eine Vielzahl von Instrumentengibt, um auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes Einflusszu nehmen. Hier möchte ich gar nicht weiter auf die In-strumente des Arbeitsförderungsrechts, sondern auf zweiandere Punkte eingehen, die auch hier angesprochen wur-den. Das eine ist die Frage, wie wir mehr Teilzeitarbeitorganisieren können. Deshalb halte ich im Gegensatz zuanderen, die sich heute dazu geäußert haben, die Initiativeder Bundesregierung zur Förderung der Teilzeitarbeit füreine adäquate Antwort nicht nur auf die Bedürfnisse derMenschen, die in vielen verschiedenen Formen erwerbs-tätig sein wollen, sondern auch auf die lange geforderteFlexibilisierung in der Wirtschaft. Denn wir müssen dahinkommen, dass die individuelle Arbeitszeit von Maschi-nenlaufzeiten oder anderen Dingen losgelöst wird. Wirmüssen versuchen, dies in Einklang zu bringen.Auf der einen Seite haben wir die Bedürfnisse derMenschen, die weniger arbeiten möchten, weil sie die Fa-milie versorgen, weil sie sich weiterbilden oder andereDinge machen wollen. Auf der anderen Seite stehen wirvor der Frage, wie wir Arbeit auf mehr Schultern vertei-len können. Das ist vorausschauende Sozialpolitik. Wenndie Erwerbsarbeit auf mehr Schultern verteilt wird undMänner und Frauen gleichermaßen erwerbstätig sein kön-nen, sichert dies die soziale und finanzielle Situation derFamilien. Dadurch haben sie die Möglichkeit, dass dann,wenn der eine arbeitslos ist, der andere für den Lebens-unterhalt sorgen kann. Deshalb kommt eine vorausschau-ende Sozialpolitik an einer Arbeitszeitflexibilisierung undder Beendigung der Diskriminierung von Teilzeitarbeitnicht vorbei. Dies haben uns andere europäische Ländergezeigt, die dabei viel weiter sind und ihre Arbeitslosen-quote ganz dramatisch senken konnten. Diesen Weg wol-len auch wir gehen.
Kollegin Schmidt, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion?
Nein, ich möchte diesabschließen.Wenn wir über Teilzeitarbeitzeit reden, dürfen wir diesnicht nur auf Altersteilzeit beschränken, auch wenn esdazu sehr viele Fragen gibt. Ich nenne noch einige Zah-len: Wir haben 6,3 Millionen Teilzeitbeschäftigte. Davonsind 87 Prozent Frauen. Wir haben aber auch über 300 000Menschen, die eine Teilzeitstelle suchen. Wir sollten auchderen Chancen verbessern.Im Rahmen der Rentenreform haben wir vor, die Zei-ten, in denen ein Vater oder eine Mutter bis zu dem Zeit-punkt, an dem das jüngste Kind zehn Jahre alt ist, seinewöchentliche Arbeitszeit reduziert, bei den Renten-anwartschaften um 50 Prozent bis maximal zum Durch-schnittseinkommen höher zu bewerten. Wir bieten nichtnur finanzielle Sicherheit in der Zeit, in der die Familiedavon leben muss, sondern wir sagen auch, dass derje-nige, der dies aus familiären Gründen macht, im Alternicht durch eine geringere Rente gegenüber denjenigen,die Vollzeit arbeiten konnten, bestraft werden darf.
Genauso viel Abwehr ruft jetzt das Beschäftigungs-förderungsgesetz hervor. Dazu lese ich von Herrn Hundt,dass dies die wirtschaftliche Entwicklung behindere. Aberich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, Frau Kolle-gin Schwaetzer. Ich bin für Flexibilisierung, weil ichglaube – ich bin auch ein sehr flexibler Mensch –, dassdiese Welt ohne Flexibilisierung nicht gestaltet werdenkann –
– Kollege Fuchtel, vielleicht gilt das auch für Baden-Württemberg –, aber Flexibilisierung ist nicht gleichzu-setzen mit Schutzlosigkeit. Darauf kommt es an.
Das muss man sich doch einmal vorstellen. Ich bin jafür dieses Instrument. Die Abschaffung dieses Instrumen-tes würde bedeuten, dass man in Überstunden, Leiharbeitoder Sonstiges ausweichen würde. Das ist keine Frage.Nach zwei Jahren muss ein Unternehmen wissen, obes eine Arbeitskraft braucht. Das ist – glaube ich – einelange Zeit: drei Mal Verlängerung, 24 Monate. Man musssich doch einmal in die Situation desjenigen versetzen,der beschäftigt ist: Er weiß dann immer noch nicht, ob erin sechs Monaten wieder einen festen Arbeitsplatz hat.Es macht vielen auch Probleme bei Bankgeschäften oderMietverträgen. Das Instrument erhalten, Missbrauch be-kämpfen und den Menschen, die in diesen Verhältnissenbeschäftigt sind, wieder soziale Sicherheit zu geben, dasist die Herausforderung der Zukunft. Diese werden wirannehmen und nicht das Instrument abschaffen.
Jetzt komme ich zu einigem, was der KollegeSeehofer gesagt hat.
– So wichtig ist er ja auch nicht.
Mir ist wichtiger, dass die Menschen, die hier zuschauen,auch diejenigen vor den Fernsehgeräten, hören, waswir wirklich zur Zukunftssicherung in dieser Gesell-schaft vorhaben, und ich will nicht den KollegenSeehofer mit der Antwort befriedigen.
Herr Kollege Seehofer, es hat mich schon gewundert,dass Sie hier sagen: Die große Rentenreform Norbert
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Blümsmit dem demographischen Faktor nehmen Sie nunzurück. – Ich erinnere mich noch an die Gespräche, diewir hatten, in denen Sie gesagt haben, die RentenreformNorbert Blüms greife zu kurz. Das, worüber wir jetzt dis-kutieren und was wir gemeinsam machen wollen – ichhoffe: auch werden –, ist ein Quantensprung.
– Es ist nicht nur bei uns ein Quantensprung.Ich will nur auf drei Dinge eingehen, die Sie hier ge-sagt haben, Herr Kollege Seehofer.Blüms Modell war: 64 Prozent für alle spätestens 2015,ohne dass auch nur eine einzige Initiative zum Aufbau derkapitalgestützten Säule eingeleitet worden wäre, –
– ohne dass auch nur einmal diskutiert worden wäre, wasdenn getan werden muss, damit wir die Hemmnisse, dieheute im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge beste-hen, beseitigen, –
– und ohne dass nur ein Wort dazu gesagt worden wäre,was wir denn tun müssen, um dann, wenn das Renten-niveau sinkt, die bestehenden Anwartschaften von Men-schen, die wenig verdienen oder die, wie ich eben gesagthabe, aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten, auszu-bauen. Das führt dazu, dass letztendlich das Niveau keineRolle mehr spielt, wenn das, was faktisch in der Tascheist, mehr ist, nachdem man jahrelang dafür gearbeitet hat.Das will ich nur festhalten.
Sie haben gesagt: Die Rente muss lebensstandard-sichernd sein.
Wir sagen: Eine angemessene Lebensstandardsiche-rung wird es nur dann geben, wenn wir neben der umla-gefinanzierten Säule auch die kapitalgestützte Säulefördern.
Vielleicht sollten Sie sich eine Untersuchung, die ges-tern veröffentlicht wurde, besorgen. Diese Untersuchungbesagt, dass das, was Minister Riester in Bezug auf die ka-pitalgestützte Säule vorgelegt hat, dazu führt, dass dasRentenniveau für diejenigen, die heute jung sind, das heu-tige übertreffen wird.
Das ist Fakt. So werden wir es auch machen.
– Ich habe da keine Probleme. Ich kenne meine Fraktion.Auf die Frage der Generationengerechtigkeitmöchteich nur kurz eingehen. Ich glaube, wir machen es uns zueinfach, wenn wir Generationengerechtigkeit allein daranmessen, was die heutige Generation an Rentenbeiträgenzu zahlen hat. Ich werde oft dafür ausgelacht, aber trotz-dem möchte ich es hier sagen: Wenn wir über Generatio-nengerechtigkeit reden, müssen wir auch die eigene Ge-schichte einer jeden Generation bedenken.
Jetzt sage ich Ihnen einmal eines: Als ich 17 war, standich vor dem Abitur. Als mein Vater 17 war, hat man ihn inden Zweiten Weltkrieg geschickt.
Als meine Mutter 17 war, war ihre Ausbildung schon zuEnde. Meine Eltern – nicht nur meine Eltern, sondern Ih-rer aller Eltern – haben sich nicht ausgesucht, dass sie inden Krieg hineingeboren wurden. Sie haben sich auchnicht ausgesucht, dass sie in Diktaturen hineingeborenwurden. Sie hatten nicht das zur Verfügung, was sich zumBeispiel mir eröffnete, nicht die Infrastruktur, nicht dieAusbildungs- und Beschäftigungschancen.
Sie konnten nicht wissen, was sie würden aufbauen kön-nen.Deshalb, Kollege Seehofer, glaube ich, dass wir unab-hängig von der Berücksichtigung der demographischenEntwicklung – im Übrigen hat die gesetzliche Rentenver-sicherung heute nicht nur ein Einnahmen-, sondern auchein Ausgabenproblem –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Schmidt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
– die Generationen un-terschiedlich behandeln müssen.
Diejenigen, die jetzt 55 Jahre alt oder älter sind, haben defacto keine Chance mehr, eine kapitalgestützte Säule auf-zubauen, wenn sie nicht schon vorher damit begonnenhaben. Und die Menschen in den neuen Bundesländernleben zu 90 Prozent allein von den Leistungen der gesetz-lichen Rentenversicherung. Deshalb bin ich dafür, diesenWeg Zug um Zug zu gehen, begleitet durch den Aufbaueiner kapitalgestützten Säule. Wir wollen deutlich ma-chen: Wir helfen euch, der jüngeren Generation. Wir ge-ben euch Geld, wenn es anders nicht geht, damit ihr dieprivate Säule aufbauen könnt.
Wir halten die Rentenbeiträge stabil, damit ihr Spiel-räume habt, und wir versuchen, durch eine konsequenteAusbildungs- und Arbeitsmarktpolitik wieder Beschäf-tigungschancen für euch zu schaffen. – Das ist unser
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Angebot an die junge Generation. Deshalb bin ich für eineZweiteilung in der Rentenversicherung.
Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Klaus Grehn,
PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Kollegin Schmidt, von
den vielen Widersprüchen, die in Ihrer Rede aufgetaucht
sind, möchte ich drei herausgreifen.
Erstens. Sie haben davon gesprochen, dass die 58- und
59-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt eine größere Chance
haben sollen. Ist Ihnen nicht bekannt, dass Frauen sogar
schon ab 40 und Männer ab 45 Jahren in beängstigendem
Maße zunehmend geringere Chancen auf dem Arbeits-
markt haben?
Zweitens. Sie haben von dem Programm „50 plus“ der
Bundesanstalt für Arbeit gesprochen. Mich interessiert,
wie Sie die Ergebnisse in jenen Ländern einschätzen, in
denen dieses Programm bereits seit Jahren läuft. Viel-
leicht würden Sie Ihre Hoffnungen dann etwas herunter-
schrauben.
Drittens. Sie haben von der Möglichkeit gesprochen,
durch Teilzeitarbeit Menschen in Arbeit zu bringen. Vor-
her haben Sie gesagt, dass insbesondere Problemgruppen
arbeitslos sind, und Problemgruppen sind Niedriglohn-
bezieher. Aber ist Ihnen nicht bekannt, dass Niedriglohn-
arbeit als Teilzeitarbeit keine existenzsichernde Arbeit
ist? Teilzeitarbeit muss man sich leisten können. Wir Ab-
geordnete könnten uns Teilzeitarbeit leisten und trotzdem
existieren. Die Gruppen aber, um die es geht, können sich
Teilzeitarbeit unter dem Aspekt der Sicherung der Le-
bensqualität und des Existenzminimums nicht leisten.
Insofern wüsste ich gern, wie Sie diesen Widerspruch auf-
lösen oder diese Fata Morgana zu einem richtigen Bild
ausmalen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Schmidt, möchten Sie erwidern? – Bitte, ich erteile Ihnen
das Wort.
Ich hätte gedacht, dass
jemand wie Sie, der insbesondere die Interessen der Men-
schen in den neuen Ländern vertritt, weiß, dass wir gerade
dort die arbeitsmarkpolitischen Instrumente intensiviert
haben, dass wir im letzten Jahr durch ein Vorschaltgesetz
ermöglicht haben, dass Menschen, wenn sie 55 Jahre alt
sind, im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen bis
zum 60. Lebensjahr stetig weiterarbeiten können, und
dass wir die Eingliederungszuschüsse für ältere Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen erhöht haben.
Die Tatsache, dass es Arbeitslosigkeit gibt und dass
Frauen über 40 bzw. 45 Jahren besonders in den neuen
Ländern davon betroffen sind, ist doch kein Widerspruch
dazu, dass ich sage: Man muss die Mittel konzentrieren.
Das haben wir im Bereich von Ausbildungsplätzen für
junge Menschen getan. Sie wissen, dass mehr als die
Hälfte der Mittel des JUMP-Programms in die neuen
Bundesländer geflossen ist, weil wir wissen, dass dort die
Entwicklung in den Betrieben noch nicht so weit ist, dass
genügend Ausbildungsplätze angeboten werden können.
Ich bin der Meinung, dass auf dem ersten Arbeitsmarkt
alle außerhalb der Problemgruppen eher einen Arbeits-
platz finden. Aber wir wollen das nicht hinnehmen. Wir
wollen für Männer und Frauen gleiche Beschäfti-
gungschancen haben. Wir wollen, dass die neuen Bun-
desländer von dem Strukturwandel, den wir einleiten, pro-
fitieren.
Bei der Teilzeitarbeit habe ich nicht von Hungerlöhnen
gesprochen, Herr Kollege. Mir geht es um sozialversiche-
rungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze.
Wenn in einer Familie zwei Personen zumindest einen
Teilzeitarbeitsplatz haben, dann ist das manchmal mehr,
als wenn einer acht Stunden am Tag arbeiten geht, und die
Frau, die zu Hause bleibt und für den Haushalt zu sorgen
hat, für sich selber nichts verdienen kann.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner in
der Debatte ist der Kollege Hans-Joachim Fuchtel für die
Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Zunächst wende ich michdirekt an den Minister. Herr Minister, aus haushaltspoliti-scher Sicht ist eines ganz klar: Über Ihrem Haushalt hängtdas Damoklesschwert der Ökosteuer. Das ist Ihr größtesProblem und wird es auch bleiben.
Die direkte Verknüpfung von Energie und Rente istkontraproduktiv. Das sagen wir nicht erst seit heute, seitSie die Probleme sehr handfest zu spüren bekommen, son-dern von Anfang an. Sie brauchen, um das Finanzie-rungssystem aufrechterhalten zu können, immer höhereBeiträge aus den Energiesteuern. Es ist doch keine ver-nünftige Zusammenstellung von Haushaltsproportionen,die wir hier in Milliardenhöhe vorfinden, dass man Ab-hängigkeiten schafft. Jede Turbulenz, die auf dem Ener-giesektor auftritt, führt automatisch zu Verunsicherungenbei der Rente. Das darf doch nicht sein. Das hat die vielbeschworene ältere Generation, Frau Schmidt, ganz si-cher nicht verdient.
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Nur Ideologen können solchen volkswirtschaftlichen,hauswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Unsinnproduzieren.
Man muss das Kleingedruckte lesen. Ich dachte, wirsind in der Haushaltsdebatte. Manchmal erscheint es mir,als hätte ich etwas versäumt. Man hat zum Beispiel fest-gestellt, dass man für die Landwirtschaft Geld gebrauchthat. Deshalb hat auf einmal nicht mehr so viel Ökosteuersein sollen. Dazu heißt es: Dies bedeutet, dass das demBMA zugeordnete Aufkommen aus der Ökosteuer imJahre 2001 um 460 Millionen DM, im Jahre 2002 um580 Millionen DM und ab 2003 jährlich um 700 Milli-onen DM geringer ist als bisher unterstellt.Wenn man die Rentenversicherung davon abhängigmacht, dass man heute etwas in die Landwirtschaft undmorgen in einen anderen Bereich geben muss, dann frageich: Wie soll man denn dann die Sicherheit der Renten ga-rantieren können? Es glaubt Ihnen doch niemand, dass Siedas können. Sie sitzen in der selbst gemachten Ökofalle.Aus dieser müssen Sie sich lösen.Eine ganz wichtige Forderung meiner Fraktion ist, dasswir eine Entkoppelung zwischen der Rentenfinanzierungund der Ökosteuer herbeiführen.
Das Zweite, was wir fordern, ist eine Absenkung derArbeitslosenversicherungsbeiträge. Die Zeit ist reif,dass wir diesen Schritt gehen. Jetzt, da die Konjunktur an-springt, muss ein weiteres Zeichen gegeben werden.
Ich sage Ihnen auch, warum: Hinter Arbeitslosigkeit ste-hen Einzelschicksale. Das wissen wir alle; das nehmenwir alle sehr ernst. Arbeitslosigkeit ist nach zwei JahrenSchröder immer noch das beherrschende Problem inDeutschland; von wegen: Wir sind bereit.
Wir haben eine gute Konjunktur. Dazu haben Sie mitIhrer Politik wenig beigetragen. Selbst vom Kanzler wirdbei entsprechenden Industrieveranstaltungen akzeptiert,wenn das gesagt wird. Aber eines ist auch klar: Im drittenRegierungsjahr gehen Sie mit einem äußerst bescheide-nen Beschäftigungszuwachs in diesen Haushalt. Wenn ichdas nicht als ein Versagen bezeichnen soll, dann weiß ichnicht, was Versagen eigentlich ist. In Ostdeutschland sta-bilisieren Sie Arbeitslosigkeit auf einem sehr hohen Ni-veau. Das ist nicht tragbar. Deswegen muss hier mehr ge-schehen.Was sind denn 120 000 zusätzliche Beschäftigungs-verhältnisse bei einer solchen konjunkturellen Entwick-lung?
200 000 Beschäftigungsverhältnisse müssen Sie ausGründen der Demographie ja abziehen, die können Siedoch gar nicht dazuzählen. Dann sehen Sie, wie mickrigall Ihre Versprechungen sind, dass sie wie ein Kartenhauszusammenfallen und dass Sie all die Menschen mit IhrenWahlaussagen 1998 betrogen haben. Deswegen solltenSie wenigstens einen Schritt der Wiedergutmachung tun.
Sie sollten den Mut haben, mit uns zusammen an derSenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu arbei-ten. Wir können hier mit Sicherheit 0,5 Beitragsprozent-punkte erreichen. Das ist im Übrigen die ganze Marge derÖkosteuer, die Sie dem Volk zumuten wollen. Also: Stattder Erhöhung in der nächsten Stufe der Ökosteuer machenwir uns auf und senken wir die Arbeitslosenversiche-rungsbeiträge um 0,5 Prozentpunkte. Millionen von Men-schen werden es uns danken.
Der Spielraum ist vorhanden.
– Er ist auf jeden Fall vorhanden.Zunächst einmal dürfen Sie keinen Sand in das Ge-triebe werfen. Wenn ich höre, was Sie alles mit dem Be-schäftigungsförderungsgesetz vorhaben, kann ich Ihnennur sagen: Sobald Sie anfangen, den Einstieg in den Ar-beitsmarkt wieder zu erschweren, werden wir feststellen,dass die Leute lieber Überstunden und nicht zusätzlicheBeschäftigungen wählen. Was wir aber als Allererstesbrauchen, ist zusätzliche Beschäftigung.Deswegen: Lassen Sie bei diesem Punkt die Händeweg von einer Veränderung bei dem Beschäftigungsför-derungsgesetz. Sie können zu Kleinbetrieben gehen, dawerden Sie das hören, und Sie können zu großen Firmengehen – ob zu Porsche oder zu Daimler –, überall imLande werden Sie das hören.Es stimmt eben nicht, dass die Zahl der befristeten Ar-beitsverhältnisse so dramatisch zugenommen hätte, wiees diejenigen behaupten, die jetzt ihre Spielchen machenwollen. Manus manum lavat – eine Hand wäscht dieandere –: bei der Rente etwas Nachgeben der Gewerk-schaften, dafür beim Beschäftigungsförderungsgesetzjetzt entsprechend zupacken. Das ist die alte Gewerk-schaftsmauschelei, Herr Riester, die Sie jetzt wieder in diePolitik einführen, die aber aus der Politik herausgehaltengehört – viel mehr, als Sie das hier in Ihrer Person ver-körpern.
Das kritisieren wir ganz besonders. Wir können die Ein-stellungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem An-wachsen der Konjunktur nur dann nutzen, wenn nichtneuer Sand ins Getriebe geworfen wird.Ein anderes Thema, worüber auch einmal gesprochenwerden muss. Ich komme aus dem Wahlkreis Calw-Freu-denstadt. Dort herrschen 3,7 Prozent Arbeitslosigkeit. Esgibt in der Zwischenzeit 27 Arbeitsamtsbezirke, in denen
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Hans-Joachim Fuchtel11307
die Arbeitslosigkeit unter 5 Prozent liegt. Auf der anderenSeite haben wir 29 Arbeitsamtsbezirke, in denen die Ar-beitslosigkeit zwischen 15 Prozent und 22 Prozent liegt.Ich frage mich: Was ist das für ein Arbeitsmarkt? Der Ar-beitsmarkt müsste doch eigentlich in der Lage sein, einenAusgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu organi-sieren.
Herr Minister, wo ist Ihr Konzept für diesen Ansatz? Esist kein Konzept vorhanden. Wir brauchen – das fordernwir – eine neue Partnerschaft zwischen Regionen mitganz niedriger Arbeitslosigkeit und Regionen mit sehr ho-her Arbeitslosigkeit,
damit wir mit intelligent angesetzten arbeitsmarktpoliti-schen Konzeptionen wieder einen Arbeitsmarkt schaffenund allen helfen.
– Wenn Sie mir bitte eine Zwischenfrage stellen würden,könnte ich das noch ausführlicher beantworten; so kannich es leider nicht tun.Meine Damen und Herren, ich habe mich bei der Bun-desanstalt für Arbeit auf den heutigen Tag hin informiert,was es in diesem Zusammenhang an Instrumenten gibt.Was hat man mir gesagt? Man tut schon ein bisschen et-was, aber man werde jetzt – ich denke, auch weil ich dieseAnfrage als Haushaltsberichterstatter gemacht habe – eineneue Rundverfügung erarbeiten. Sie sei noch nicht fertig;aber man wolle in diesem Sinne neue Initiativen ergreifen.Lieber Herr Riester, wo war Ihre Initiative auf diesem Ge-biet bisher? Hätten Sie Ihrem Kanzler mit auf den Wegnach Ostdeutschland gegeben, dass er in die Bezirken mithoher Arbeitslosigkeit gehen und dort Vorschläge machensoll, dann wäre die gesamte Aktion nicht nur Volksschau-spielerei in der Sommerpause gewesen, sondern wäretatsächlich von großem politischem Nutzen gewesen.
Wenn jetzt die Arbeitslosenquote zurückgeht, dann er-warten wir, dass auch die Bundesanstalt selber schlankerwird.
Es kann nicht sein, dass die Arbeitslosenzahlen zurückge-hen, aber die Beamten bleiben. Es muss daran gearbeitetwerden, hier eine Reduzierung zu erreichen.Meine Damen und Herren, eines können wir Ihnennicht durchgehen lassen. Sie haben uns im Zusammen-hang mit der deutschen Einheit ständig gescholten, dasswir Aufgaben nicht im Steuerteil des Haushalts finanzier-ten, sondern auf die Bundesanstalt für Arbeit abdrückten.Im Entwurf zum Haushaltsgesetz 2001 sehen wir, dassdieses Abdrücken ohne Not noch verstärkt wird. Bisjetzt hatten wir ein Langzeitarbeitslosenprogramm mit750 Millionen DM im Bundeshaushalt, ein Struktur-anpassungsprogramm Ost mit 1,7 Milliarden DM, ganzam Anfang sogar JUMP mit 2 Milliarden DM, also ins-gesamt 4,4 Milliarden DM. Das schieben Sie jetzt ganzeinfach in die Bundesanstalt für Arbeit. Im klein ge-druckten Riester-Deutsch heißt das: Gleichzeitig wird dieKostentragung für die aktiveArbeitsmarktpolitik ab 2001im Haushalt der Bundesanstalt konzentriert. – Hokuspo-kus-Verschwindibus bei der Bundesanstalt für Arbeit!Eichel macht sich eine weiße Weste und sagt, er senke dieNeuverschuldung. So primitiv sollten Sie mit diesem Par-lament nicht umgehen.
Wenn die Arbeitslosenversicherung eine Versicherungist, wenn Leute, die von ihr Geld wollen, zuvor Anwart-schaften ansammeln müssen, dann kann man doch derVersichertengemeinschaft nicht einfach 5 Milliarden DMohne Gegenleistung auflasten. Das gehört in den steuer-finanzierten Teil. Dann sehen die Rechnungen ganz an-ders aus. Sie sollten den Mut haben, das hier zu sagen.Inwieweit Sie dazu in der Lage sind, weiß ich nicht. Alsder zuständige Haushaltspolitiker habe ich zur Kenntnisgenommen, dass Sie extra für Ihre Medienauftritte einenBerater brauchen.
Das muss die Öffentlichkeit wissen. Offensichtlich habenSie vor jeder Pressekonferenz die Hosen so voll, dass Sieeinen zusätzlichen Berater brauchen, der den Steuerzahlernicht weniger als 130 000 DM kostet.
Das ist doch keine Leistung!Es ist schon gar keine Leistung – damit komme ichzum Schluss, Frau Präsidentin –, wenn Sie in diesenHaushalt einen neuen Haushaltstitel aufnehmen. Manglaubt es gar nicht: Man braucht 400 000 DM für Aus-landsreisen, die der Herr Minister künftig zusammen mitVertretern aus dem Tarifbereich durchführen möchte.Meine Damen und Herren, wer den Rentnern Einsparun-gen zumutet, wer den Arbeitslosenhilfebeziehern riesigeEinsparungen zumutet, der sollte in dieser Phase nicht somit Geld um sich werfen und für Auslandsreisen mit sei-ner direkten Umgebung 400 000 DM in einen Sparhaus-halt einstellen.
Das ist nicht in Ordnung, Herr Minister. Verzichten Siewenigstens auf diesen Haushaltsansatz!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin istdie Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Hans-Joachim Fuchtel11308
HerrKollege Fuchtel! Ich möchte einmal ganz kurz zusam-menfassen, was hier schon alles gesagt wurde. DieStaatsverschuldung sinkt. Die Einkommensteuern sin-ken. Familien bekommen über Kindergelderhöhung undFamilienlastenausgleich mehr Geld. Die Nettolöhnesteigen. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist die Antwortauf die Probleme, die die rot-grüne Regierung der jun-gen Generation bietet.
Welche Antworten bieten Sie mir und meiner Genera-tion? Auf diese Frage möchte ich Antworten hören, undzwar auf einem Niveau, das diesem Thema gerecht wird,und nicht auf dem von Ihnen praktizierten Niveau, dasübrigens gestern in den Nachrichten als für das Parlamentbeschämend bezeichnet wurde. Dieses Niveau möchte ich– ich spreche im Namen meiner Generation – hier nichtweiterführen.
Wenn die Reduzierung der Arbeitslosigkeit die besteSozialpolitik ist, wie Sie, Herr Blüm, immer gesagt haben,sind wir doch jetzt auf dem besten Weg dazu. Vor einemJahr hatten wir noch eine Jugendarbeitslosigkeit von10 Prozent, inzwischen sind es nur noch 7 Prozent. Aufdiesen Lorbeeren wollen wir uns nicht ausruhen. Ichmöchte festhalten: Wir haben die niedrigste Jugend-arbeitslosigkeit in ganz Europa und das ist ein Verdienst,das sich sehen lassen kann.
Wir haben die Rahmenbedingungen für die wirtschaft-liche Entwicklung verbessert, wir haben mit dem JUMP-Programm ein sehr erfolgreiches Programm gegen die Ju-gendarbeitslosigkeit aufgelegt. Es handelt sich um einProgramm, das vielen Jugendlichen geholfen hat, diesonst vielleicht aus der Arbeitslosenstatistik herausgefal-len wären, keine Arbeit gefunden hätten oder nicht die lei-seste Hoffnung gehabt hätten, eine wirkliche Integrationauf dem Arbeitsmarkt zu erfahren.Ich freue mich von daher ganz besonders, dass wir sa-gen können: Wir setzen JUMP fort, weil es erfolgreichwar und weil es konkrete Früchte trägt. Wir setzen es so-wohl in diesem Jahr als auch im kommenden Jahr fort.
Wir bleiben am Ball, was die Reform der beruflichenBildung angeht. 30 000 Ausbildungsverträge wurden imvergangenen Jahr in Berufen geschlossen, die erst in denvergangenen zwei Jahren entstanden sind. Wir moderni-sieren derzeit 50 Ausbildungsberufe, wir setzen sie in-stand, wir aktualisieren sie und bereiten sie für die Jugendvon morgen und deren Zukunftschancen vor. Wir redennicht über Green Card oder Ausbildung, sondern wir sa-gen: gezielte Zuwanderung und Ausbildung. Beides zu-sammen bürgt dafür, dass wir Zukunftschancen für die Ju-gend schaffen, diese Zukunftschancen nutzen und somitdiese Gesellschaft weiterentwickeln.Es gibt bei der Ausbildung aber natürlich auch Pro-bleme. Mehr als 50 Prozent der Auszubildenden lassensich in Berufen ausbilden, in denen nur 25 Prozent der Be-rufstätigen arbeiten. 25 Prozent aller Azubis brechen ihreAusbildung ab. Das sind Zahlen, die wir kennen und aufdie wir reagieren müssen. Wir brauchen – auch von derBundesanstalt für Arbeit – spezifische Angebote für Be-nachteiligte, eine bessere Berufsberatung, eine Ausbil-dung, die die Jugendlichen motiviert und sie mitreißt, undnicht zuletzt zusätzliche Schlüsselqualifikationen für dieBerufswelt von morgen. Kreativität, Team- und Kommu-nikationsfähigkeit müssen in die Ausbildung integriertwerden und dürfen nicht nur auf dem Papier stehen.
Wir brauchen keine Debatte über die Probleme vongestern, wir brauchen vielmehr eine Debatte über Aus-und Weiterbildung und über zukunftsweisende Konzeptefür morgen. Wir brauchen eine Ausbildung in Modulen,aber nicht, um das duale System zu unterwandern, son-dern – ganz im Gegenteil – um das duale System zu stär-ken, da dieses Ausbildungssystem ebenso verbesserungs-bedürftig wie verbesserungsfähig ist.Es besteht ein Unterschied zu Ihnen: Wir schauen nichteinfach nur zu, wir kommentieren nicht nur, sondern wirsind aktiv. Wir spielen die Arbeitslosigkeit auch nicht ge-gen andere sozialpolitische Notwendigkeiten aus. Im Ge-genteil: Wir erkennen und stehen dazu, dass es in diesemLand Armut gibt. Vorhin gab es eine Andeutung, Armutbetreffe ja nicht so viele Rentner im Alter. Ich möchtenicht diejenige sein, die sagt: Armut im Alter ist einfacherzu bewältigen als Armut in der Jugend. Es ist nicht unsereAufgabe, das zu bewerten. Armut ist kein Naturschicksal,sie ist in dieser Gesellschaft vorhanden und eine Heraus-forderung für die Politik, eine Herausforderung, vor derwir die Augen nicht verschließen dürfen.
Wir haben mit der Neuregelung des Familienlasten-ausgleichs bereits sehr viel für die Familien getan. Es istbereits beschlossen worden, dass Familien für die erstenbeiden Kinder je 600 DM zusätzlich pro Jahr an Kinder-geld bekommen. Erstmals profitieren auch Sozialhilfe-empfängerinnen und -empfänger von der Kindergeld-erhöhung. Genau das, was ich vor einem Jahr für meineFraktion gefordert habe, haben wir also in praktische Po-litik umgesetzt. Diese Umverteilung war dringend not-wendig.Unser Leitspruch für die kommende Zeit wird sein:Kinder dürfen in dieser Gesellschaft kein Armutsrisikomehr sein.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11309
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Forderung derFamilienverbände nach einem Kindergeld, das das so-zio-kulturelle Existenzminimum tatsächlich abdeckt.Aber dies wird nur schrittweise zu verwirklichen sein. Wirwollen – darauf steuern wir bereits mit großen Schrittenzu – am 1. Januar 2000 – hoffentlich – ein Kindergeld inHöhe von mindestens 300 DM vorweisen können.
– 2001!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Mein
letzter Satz: Diese Koalition meint es mit der Generatio-
nengerechtigkeit tatsächlich ernst. Diese Koalition bietet
Antworten auf die Fragen meiner Generation. Diese Ko-
alition wird ihre Politik in diesem und im nächsten Jahr
sowie in den weiteren Jahren fortsetzen.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung ju-belt über die leicht zurückgehenden Arbeitslosenzahlen.Das ist verständlich. Auch ich freue mich über jeden ein-zelnen Arbeitslosen, den es weniger gibt. Aber es ist un-redlich, so zu tun, als sei dies das Ergebnis der grandiosenArbeitsmarktpolitik dieser Regierung.Wir alle wissen, dass allein aufgrund der demographi-schen Entwicklung 200 000 Arbeitslose weniger zu ver-zeichnen sind. Wir wissen auch, dass ein großer Teil desZuwachses an Beschäftigung, den es glücklicherweisegibt, leider aufgrund der Euroschwäche zu verzeichnenist. Dessen ungeachtet bestehen bereits heute deutlicheSpielräume für die Senkung der Beiträge zur Arbeitslo-senversicherung.
Die Beiträge könnten schon heute um mindestens 0,5 Pro-zentpunkte gesenkt werden. Aber es gibt noch weitausgrößere Spielräume, auf die ich Sie hinweisen möchte.Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten umgut 1 Prozentpunkt gesenkt werden, wenn der Bereich deraktiven Arbeitsmarktpolitik nicht so von Ihnen aufgeblähtworden wäre. Eine neue Studie des Zentrums für Europä-ische Wirtschaftsforschung bestätigt nicht nur das, waswir schon immer gesagt haben, nämlich dass übersteiger-te Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpas-sungsmaßnahmen die ungeförderte Beschäftigung behin-dern. Nein, es wird auch festgestellt, dass – erstens – denTeilnehmern an diesen Maßnahmen die Teilnahme alssolches schadet, da sich diese während der Dauer derMaßnahme weit weniger bemühen, eine ungeförderte Be-schäftigung aufzunehmen, und dass – zweitens – viele Ar-beitgeber die Teilnahme an einer ABM als Manko verste-hen.
Sie verschieben 2 Milliarden DM, die für das so ge-nannte JUMP-Programm gedacht sind, in den Haushaltder Bundesanstalt für Arbeit und entlasten den Haushaltdes Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. DamitHerr Eichel sich einen schlanken Fuß machen kann, wer-den zulasten der Beitragszahler insgesamt über 4 Milliar-den DM in den BA-Haushalt verschoben. Hier wärenEinsparmöglichkeiten.
Die Einbeziehung von Einmalzahlungen wie Urlaubs-und Weihnachtsgeld in die Berechnung des Arbeitslosen-geldes war ein großer Fehler. Die Gewährung von Leis-tungen auf Einmalzahlungen geht in die völlig falscheRichtung, weil sich dadurch die Beitragslast erhöht. Wirhätten hier Beitragsspielräume nutzen können, weil keineinziger Mensch weniger Leistungen bekommen hätte,wenn Sie einfach die Einmalzahlungen freigestellt undauf die Leistungsausweitung verzichtet hätten.
– Frau Dückert, wenn ich daran denke, was Sie und IhreKollegin Deligöz über die Akzeptanz grüner Politik in derjungen Generation gesagt haben, kann ich Ihnen nur miteinem guten deutschen Sprichwort antworten: Wer imSchlachthaus sitzt, soll nicht mit Schweinen werfen.
Was die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs angeht,muss ich Ihnen sagen: Von einer Risikoabsicherung sindwir mehr und mehr auf dem Weg zu einer Daueralimen-tierung. Wir brauchen dringend eine Neuregelung mit ei-ner Bezugsdauer von 12 bis 18 Monaten. Dann hätten wireine Beitragsentlastung von 1 Prozentpunkt für die Ar-beitnehmer und für die Arbeitgeber. Auf diesem Wege
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Ekin Deligöz11310
könnten wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen.Das ist das Beste, was wir für die Versichertengemein-schaft tun können. Neue Beschäftigungen haben doppelteEffekte: Erstens spart man Geld, weil man wenigerBeiträge zahlt, und zweitens kommen mehr Arbeitslose inArbeit, was wiederum die Beitragskosten senkt. So könn-ten wir die Arbeitslosigkeit zum Teil bekämpfen.
Nichtsdestotrotz müssen wir auch an die Strukturender Bundesanstalt für Arbeit herangehen. Das habenwir heute schon gehört. Der Arbeitsmarkt in Görlitz isthalt anders als in Berlin oder in Heidelberg.
Seien Sie mutig. Machen Sie wenigstens einen Mo-dellversuch, indem Sie dezentralisieren, indem Sie einemModellarbeitsamt einen Globalhaushalt zur Verfügungstellen, damit dieses Arbeitsamt inklusive Personalhaus-halt vor Ort probieren kann, was der richtige Weg ist, umden Arbeitsmarktausgleich herbeizuführen.
Dann kann der Direktor entscheiden, ob er 150 000DM füreinen zusätzlichen Arbeitsvermittler investieren möchte,der Langzeitarbeitslose assistierend vermittelt und sienachgehend betreut, oder ob er 150 000 DM in eine Ar-beitsbeschaffungsmaßnahme steckt.
Mittelfristig stellt sich die Frage, inwieweit die Ver-waltungsstrukturen der Bundesanstalt für Arbeit noch zu-kunftsfähig sind. Hier müssen wir feststellen, dass eineVerwaltungsebene locker eingespart werden könnte. DieRahmenbedingung soll die Hauptstelle setzen. Die Ar-beitsmarktpolitik vor Ort ist regional so unterschiedlich,dass wir den örtlichen Arbeitsämtern die Mittel an dieHand geben sollten. Der Wasserkopf Landesarbeitsämterreicht als Stabsstelle beim besten Willen aus oder kannmeinetwegen auch völlig abgeschafft werden. Hier kön-nen wir die bürgernahe Verwaltung umsetzen.
Ich möchte Sie herzlich auffordern, das einmal in einemModellprojekt auszuprobieren, Herr Riester. Seien Siemutig, damit wir langfristig neue Wege gehen, auch wasdie Verwaltung angeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Niebel,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, indem
ich Ihnen eine letzte Bitte auf den Weg mitgeben möchte.
Sie haben die Zusammenarbeit der Arbeitsämter mit
den Sozialämtern verbessert. Gehen Sie diesen Weg mu-
tig weiter. Es kann nicht sein, dass unterschiedliche öf-
fentliche Haushalte versuchen, ihre Leistungsempfänger
auf Kosten eines anderen Haushaltes hin- und herzu-
schieben. Versuchen Sie endlich, die Zusammenfassung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinanzierte
Lohnersatzleistung auf den Weg zu bringen. Ich weiß,
dass das schwierig ist. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
wird Sie dabei nach allen Kräften unterstützen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Karl-Josef Laumann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-ehrter Herr Arbeitsminister, die heutige Debatte hat einesgezeigt: Sie und die sozialdemokratische Partei haben bisheute noch keine Philosophie ihrer Sozialpolitik gefun-den. Man kann sie einfach nicht erkennen.
In der Vergangenheit haben wir immer Grundsätze inder Sozialpolitik gehabt. Die haben wir auch heute noch.Ein Grundsatz ist der soziale Ausgleich. In der Sozialver-sicherung ist es die Beitragsbezogenheit. Ganz wichtig istdie Verlässlichkeit. Wenn man Arbeitsminister ist undman zwei Millionen Einsprüche gegen die Rentenanpas-sungen vom Juli hat, ist das der schlagende Beweis dafür,dass in diesem Land kaum ein Rentner Riester undSchröder noch ein Wort glaubt.
Zu den Grundsätzen gehört auch die Generationen-gerechtigkeit. Bei Ihnen ist es so, dass Sie sich von Vor-gaben des Bündnisses für Arbeit über Vorgaben des Kanz-leramtes bis hin zu europäischen Vorgaben Punkt fürPunkt durch die Probleme hangeln. Denken Sie einmalzurück. Beim 630-Mark-Gesetz hat der Kanzler Ihnen dasGesetz diktiert. Bei der Scheinselbstständigkeit war eseine eingesetzte Kommission. Seitdem Sie im Arbeitsmi-nisterium sind, kommt aus eigener Kraft gar nichts mehr.In den zehn Jahren, in denen ich dem Sozialausschuss an-gehöre, sind in diesem Jahr zum ersten Mal Sitzungenausgefallen, weil es keine Initiativen der Bundesregierunggab. Dies ist ein Vorgang, der seinesgleichen sucht.
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie die leichten Ver-besserungen auf dem Arbeitsmarkt hier als Ihren Erfolgfeiern. Aber können Sie, Herr Riester, mir eigentlich er-klären, warum in dem Zeitraum, da Sie Minister sind, dieArbeitslosigkeit in Frankreich um 2 Prozentpunkte, inSpanien um 4 Punkte, in Finnland um 2 Punkte und inDeutschland nur um 1 Prozentpunkt abgenommen hat?Die stellvertretende Vorsitzende des DGB sagte vorkurzem, dass wir in Deutschland eine Stagnation aufdem Arbeitsmarkt haben. Auch die EU-Kommissionkritisiert die Beschäftigungspolitik in Deutschland und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Dirk Niebel11311
stellt fest: Es gibt kein Land in der Europäischen Ge-meinschaft, in dem die Belastungen auf Arbeit durchSteuern und Abgaben so hoch wie bei uns sind.
– Zu dem, was Sie, die Sozialpolitiker der SPD, in denletzten zwei Jahren alles verteidigt haben, kann ich Ihnennur noch eines sagen: Ich erkenne bei Ihnen nicht mehrdas Rückgrat, das Gewerkschafter eigentlich haben soll-ten. Sie haben im Rücken mittlerweile eine Fischgräte,damit Sie all die Windungen überhaupt noch hinbekom-men, die Sie in den letzten Jahren zu verantworten hatten.
Sie wissen doch, dass Sie mittlerweile in jedem Kreisvor-stand des DGB für Ihre Lügen im Wahlkampf verprügeltwerden und dass Ihnen beim DGB heute keiner mehr8 Millionen DM für den Wahlkampf geben würde, wie esgeschehen ist. Denn die Politik, die Sie jetzt machen, ha-ben die Leute nicht gewollt.
Was ich Ihnen wirklich übel nehme, ist, dass Sie bei ei-nem anspringenden Arbeitsmarkt nicht einmal eine ein-zige Idee entwickelt haben, wie wir mehr ältere Arbeit-nehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt halten können. Wirwissen alle, dass Sie der Entwicklung, die Alten „heraus-zubomben“, die in den Unternehmen, vor allem in denGroßunternehmen, bei den Großbanken, bei der Ver-schmelzung von RWE und VEW – in meiner Region er-lebe ich mit, wie viel Geld in die Hand genommen wird,um 50- oder 55-Jährige herauszunehmen – anläuft, nichtsentgegensetzen.Wir haben im Deutschen Bundestag einen Antrag zurFörderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer einge-bracht, in dem wir klare Vorschläge machen. Von Ihnen istbis heute kein Vorschlag gekommen. Wir diskutieren mitIhnen in diesen Fragen wie mit einer alten Wand. Ich willIhnen auch sagen, warum Sie wie eine alte Wand sind:weil sich noch vor einem Jahr zwei alte Männer inDeutschland getroffen haben, um zum letzten Mal einenStreit für alte Männer auszutragen, indem sie nämlich die„Rente mit 60“ vereinbaren wollten. Diese Personenhießen Riester und Zwickel. Sie haben das natürlichunterstützt. Wer eine solche Politik macht, der muss sichnicht wundern, dass niemand mehr in die Weiterbildungvon 55-Jährigen investiert.Eines sage ich uns allen voraus: Wir werden die Pro-bleme bei der Alterssicherung – egal mit welchem Kon-zept – nicht in den Griff bekommen, wenn wir glauben,dass wir es uns bei einer steigenden Lebenserwartung er-lauben können, mit unter 65 Jahren in Rente zu gehen.Das ist einfach die Wahrheit, auch wenn sie bei vielenLeuten nicht sehr beliebt ist.Frau Schmidt, Sie haben gesagt, dass Sie für die heu-tige Rentnergeneration im Grunde wenig oder gar nichtsverändern möchten, weil dies die Kriegsgeneration bzw.die Nachkriegsgeneration ist, die, wie ich immer sage,sicherlich eine sehr schlechte Jugend gehabt hat. Auch ichgönne dieser Generation eine etwas bessere Situation imAlter von ganzem Herzen. Aber wenn man es so pathe-tisch darstellt, wie Sie es getan haben, dann muss manauch sagen, dass es zur Wahrheit gehört, dass Sie bei derRentenreform planen, auch diese Renten um 4 Prozentabzusenken, indem Sie die Leistungen für die private Vor-sorge bei der Formel für die Berechnung von Renten-erhöhungen berücksichtigen wollen.
Ich sage Ihnen eines: Wenn wir über die Gerechtigkeitinnerhalb einer Generation reden – bei der Rentenformwerden wir sicherlich noch manches Gespräch führen –,dann sollten wir einmal vorurteilsfrei prüfen, ob diejeni-gen, die aus einer Generation kommen, in der viele mit 14oder 15 Jahren Beitragszahler in der Rentenversicherunggeworden sind, nach 45 Jahren Arbeit und mit einem Al-ter von 63 Jahren nicht etwas anders behandelt werdenmüssen als diejenigen, die bis zu ihrem 30. Lebensjahrstudiert haben und erst dann ihren ersten Beitrag zur Ren-tenversicherung überwiesen haben.
Die Frage, ab wann jemandem eine abschlagsfreie Rentezusteht, muss noch einmal unter dem Aspekt der Gerech-tigkeit einer bestimmten Generation gegenüber diskutiertwerden. Ich glaube schon, dass die Leute, die mit 14, 15oder 16 Jahren auf dem Bau zu arbeiten angefangen oderin diesem Alter schon Schichtarbeit auf sich genommenhaben und dann auf eine lange Erwerbsbiografie zurück-schauen können, aus Gerechtigkeitsgründen im Alter et-was anders bezüglich der Frage, wann sie in Ruhestandgehen können, behandelt werden müssten, als es heute ge-handhabt wird.Wir hatten ja damals ins Rentenrecht eine Regelung fürdie vor 1941 Geborenen eingeführt – das sind die Jahr-gänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen oderschon gegangen sind –, gemäß deren sie nach 45 JahrenErwerbstätigkeit oder mit 63 Jahren ohne Abschläge indie Rente gehen können. Das war unsere Politik.Ich möchte Sie ermuntern, noch einmal über die Fragenachzudenken, ob man hier nicht eine andere Lösung fin-den kann.Wir Sozialpolitiker müssen auch noch etwas andereserreichen, worüber gar nicht mehr geredet wird. Es istkeine Kunst, die Lebensarbeitszeit bei den Älteren zu ver-längern. Vielmehr ist in Deutschland eine nationale An-strengung nötig, um die Ausbildungszeiten zu verkür-zen, damit die Menschen wieder eher ins Berufslebeneintreten.
Wenn wir dort ein Jahr gewinnen, macht das genauso gut1,5 Prozent der Beiträge aus wie eine Verlängerung desletzten Abschnitts des Erwerbslebens.
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Karl-Josef Laumann11312
Es gibt viele Länder in Europa, die uns vormachen, dassman sehr wohl mit kürzeren Ausbildungszeiten lebenkann.Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Länder mit einer sehrniedrigen Arbeitslosenquote, wie etwa die Schweiz, Nor-wegen, Schweden, Japan oder Amerika, haben zugleicheine sehr hohe Beschäftigungsquote von Menschen über55 Jahren. In den Ländern, in denen die Beschäftigungs-quote von Menschen über 55 Jahren sehr niedrig liegt,etwa bei uns, in Italien oder in anderen Ländern, gibt esmit die höchsten Arbeitslosenquoten. Angesichts dieserTatsache sollten wir einfach einmal darüber reden, ob dieFormel, die ja manche von uns vertreten – die Alten in denVorruhestand, damit die Jungen Arbeit haben –, über-haupt funktioniert. Wenn ich mir die Tabellen anschaue,kommen bei mir Zweifel daran hoch. Das kann ohnehinkeine Antwort auf die Frage bieten, wie die Finanzierungdes Sozialstaates in Zukunft sicherzustellen ist.Ich möchte Ihnen einen weiteren Punkt vorstellen.Auch die Rednerin der Grünen hat davon gesprochen. Sietragen ähnlich wie wir Katholiken bei der Fronleichnams-prozession das JUMP-Programm wie eine Monstranzvor sich her. Ich weiß, dass es bei großen Programmen im-mer auch eine Zielungenauigkeit und immer wieder ein-mal ein Projekt gibt, wo man sich fragt, ob es richtig war,was dort gemacht wurde. Darüber will ich heute gar nichtreden. Es ist aber eine Frechheit, ab dem Haushalt 2001dieses Programm, das ja auch dazu dient, dass die Leuteeinen Hauptschulabschluss bekommen, nur noch aus Mit-teln der Bundesanstalt für Arbeit, also aus den Beiträgender Angestellten, Arbeiter und deren Arbeitgeber zu fi-nanzieren, während kein Beamter, kein Bundestagsabge-ordneter und kein Minister mehr für dieses Programm be-zahlt. Damit ist jetzt eine versicherungsfremde Leistungder Arbeitslosenversicherung aufgebürdet.
Ich hätte mir zumindest von den sozialdemokratischenAfA-Leuten gewünscht, einmal eine Pressemitteilung zudiesem Thema zu lesen. Fehlanzeige, denn die AfA istmittlerweile zum roten Teppich für das Bundeskanzleramtgeworden. Auch die Wahlen zum SPD-Fraktionsvorstandam Montag legen diesen Schluss nahe.Ich denke, dass es ein weiterer großer Fehler war, dassSie, ohne Widerstand zu leisten, dem Finanzministernachgegeben und zugelassen haben, dass die Renten-versicherungsbeiträge so weit abgesenkt werden, wie esnun geschehen ist. Wer vorher fünf Jahre durchschnittlichverdient hat und dann fünf Jahre Arbeitslosengeld bezo-gen hat, bekommt im Alter 100 DM weniger Rente. Wis-sen Sie, wen Sie damit treffen? – Damit treffen Sie ganzbesonders diejenigen, die vor zehn Jahren, als es durch dieWende zu einem riesigen Strukturwandel auf dem ost-deutschen Arbeitsmarkt kam, 45, 50 oder 55 Jahre alt wa-ren. Diese hatten es sehr schwer, weil die Strukturen, indenen sie groß geworden waren, unter den Füßen wegge-brochen sind, im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wennich durch die neuen Länder fahre, treffe ich unzählige die-ser Schicksale an. Deren Rente kürzen Sie jetzt. Die wer-den unter Altersarmut leiden. Das Verursacherprinzipzeigt deutlich, dass dafür Rot-Grün die Verantwortungträgt.
Dass ein Sozialminister dazu schweigt und nicht ver-sucht, den Finanzminister in die Schranken zu weisen, istschlimm. Dieses Land hätte einen Arbeitsminister mit ei-ner stärkeren Statur verdient, als wir ihn zur Zeit haben.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Adolf Ostertag,
SPD-Fraktion, das Wort.
Meine Damen und Herren!Herr Laumann, ich möchte zu zwei Aspekten etwas sagen.Sie haben erstens gesagt, wir hätten nichts zu tun gehabt,deswegen seien sogar Ausschusssitzungen ausgefallen.Ich glaube, in diesem Parlament und auch in der Öffent-lichkeit ist unbestritten, dass der Ausschuss für Arbeit undSozialordnung einer der fleißigsten sein muss. Wir hattenallein in dieser Legislaturperiode schon 51 Sitzungen
und wir hatten sechs Anhörungen. Warum wohl? Weil wirnämlich sehr intensiv gearbeitet haben. Es ist eine Sitzungausgefallen; das war, übrigens auch mit Ihren Obleuten,verabredet. Da haben wir einige Tagesordnungspunktezusammengelegt. Was Sie sagen, ist also wirklich nur bil-lige Polemik und Irreführung über den Fleiß der Sozial-politiker. Das muss ich zurückweisen.
Sie haben zweitens gesagt, wir hätten nichts zu tun,weil wir keine Konzeption und keine Programme hätten.Dazu möchte ich gerne etwas sagen. Wir haben natürlichzu Beginn dieser Legislaturperiode viel Müll wegräumenmüssen, den Sie hinterlassen haben.
Das muss man ganz eindeutig sagen. Das waren die gan-zen Korrekturgesetze. Ich will sie jetzt nicht aufzählen,weil die Zeit einer Kurzintervention dafür nicht ausreicht.
Diesen Müll mussten wir erst wegräumen.Außerdem haben wir in dieser Legislaturperiode viergroße Vorhaben. Ich lade die CDU-Politiker gern ein, mituns zu Veranstaltungen des DGB oder anderen Veranstal-tungen zu gehen und eine Diskussion darüber zu führen,was wir alles machen werden. Wir haben mit den Ge-werkschaften schwierige Diskussionen über die Rente.
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Karl-Josef Laumann11313
Das ist unbestritten; das kann man nachlesen. Aber dieseDiskussion können wir, glaube ich, gut bestehen, wennwir in der übernächsten Woche einen Gesetzentwurf aufdem Tisch liegen haben. Sie werden das nachvollziehenkönnen. Wir werden manche Podiumsdiskussion gemein-sam führen, bei der wir wirklich gute Gründe für dieseweit reichende Reform vorbringen können. Das ist einerder großen Komplexe.Wir können auch glänzend bestehen, wenn wir in dennächsten Monaten über die Novellierung des Betriebs-verfassungsgesetzes diskutieren. Die Regierung kanndann auf 16 Jahre Stillstand verweisen. Dieser Stillstandwird jetzt mit diesem wirklich wichtigen, zentralen Ge-setz für die Interessenvertretungen in den Betrieben auf-gelöst.Wir haben – der Minister hat es schon gesagt – einenweiteren großen Komplex vor uns, bei dem wir schon et-was getan haben und weiterhin etwas tun werden. Wirwerden das Sozialgesetzbuch IX im Hinblick auf die ge-samte Behindertenpolitik novellieren. Auch in diesemPunkt war Stillstand. Wir haben die Beschäftigung vonBehinderten mit einem Programm vorangebracht und nunwird eine grundlegende Novellierung des SGB IX erfol-gen.Wir werden auch für die Arbeitsförderung etwas tun.Mit Vorschaltgesetzen haben wir schon etwas dafür getan.Jetzt wird es eine Novellierung des Arbeitsförderungs-rechts geben. Da haben Sie in Ihren 16 Jahren doch nurherumgewurstelt.
Die Arbeitsämter kamen doch mit der Umsetzung der Re-gelungen, die Sie geschaffen haben, gar nicht nach. Wirwerden das Ganze grundsätzlicher angehen.Sie sollten vielleicht, Herr Laumann – dies alsLetztes –, nicht nur die schwarzen Blätter der CDU/CSUlesen, sondern auch einmal in die roten Programmpunkteder SPD schauen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Laumann, möchten Sie erwidern? – Wenn das nicht der
Fall ist, hat jetzt die Kollegin Renate Jäger für die SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Der Haushalt für Arbeit und So-zialordnung ist wie kein anderer geeignet, immer wiederauch die Frage der Gerechtigkeit neu zu beleuchten undan verschiedenen Punkten aufzuwerfen. Wenn aber Poli-tik unter anderem die Funktion hat, Benachteiligungenund Chancenungleichheiten zu beseitigen, die durchWettbewerb und Marktwirtschaft entstehen, dann heißtdas in allererster Konsequenz, den Staat handlungsfähigzu erhalten und so zu stärken, dass er diese Ausgleicheschaffen kann.
Weil eine politische Entscheidung für oder gegen be-stimmte Maßnahmen immer ein Abwägungsprozess ist,ein Für und Wider zwischen einer Menge unterschiedli-cher Faktoren und Wirkungen, darf die Verantwortung fürdie Gesamtentwicklung in unserem Land bei noch so not-wendiger Detaildiskussion niemals außer Acht gelassenwerden.Deshalb ist es Frevel, wenn bei allen kritischen An-merkungen größere Rahmen und Zusammenhänge nichtbeachtet oder Ursache und Wirkung verkannt werden.Werden dann auch noch Fakten vorsätzlich in falsche Zu-sammenhänge gestellt oder gar weggelassen, dann habenwir es bereits mit Demagogie zu tun.
Leider haben wir heute entsprechende Äußerungen vonIhrer Seite, meine Damen und Herren von der Union,mehrfach gehört, weil offensichtlich sachkundige undgute Argumente ausgegangen sind.
Übrigens tut das die CDU/CSU auch mit ihrer Unter-stützung der Kampagne gegen die Ökosteuer. Dies istein Szenario der Sinnlosigkeit und Verantwortungslosig-keit ersten Ranges. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der rechten Seite, deshalb auf: Prüfen Siewirklich Ihr Gewissen! Wollen Sie diese demagogischeKampagne mit dem Verschweigen der wirklichenFolgen – ich nenne sie noch einmal: Gewinne für die Öl-multis, Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, Er-höhung der Lohnnebenkosten, keine dauerhafte Preissen-kung für die Verbraucher – tatsächlich mittragen?Von einem bin ich überzeugt: Selbst wenn ein Bürgerkurzfristig auf diese Demagogie hereinfällt, wird er siedoch irgendwann durchschauen. Diese Kampagne trägtdazu bei, Politikverdrossenheit zu schaffen, weil unver-antwortlich mit der Aufgabe eines Abgeordneten umge-gangen wird. Verantwortungsvolle Politik bietet nicht Lö-sungen an, die ein Problem kurzfristig aus dem Blickfeldschaffen, um dann in einer Sackgasse ohne Ausweg zu en-den. Verantwortungsvolle Politik bietet Lösungen an, diegleichzeitig Vorsorge für die Zukunft bringen.Haushaltskonsolidierung bedeutet die Herstellungvon Gerechtigkeit gegenüber unseren Kindern und En-kelkindern.
Haushaltskonsolidierung erbringt finanzielle Mittel fürsoziale Leistungen, für die Schaffung von bezahlbarer Ar-beit und trägt zu einem solidarischen Zusammenleben inunserer Gesellschaft bei. Deshalb ist Haushaltskonsoli-dierung für mich als Sozialpolitikerin neben allen anderen
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Adolf Ostertag11314
Maßnahmen das größte sozialpolitische Vorhaben dieserRegierung.
Stellen wir uns doch einmal vor, wie die Lage ist, wennwir erstmals im Jahr 2006 einen Haushalt ohne Schul-den haben. Was wäre allein durch die Zinseinsparungenin Milliardenhöhe möglich? Was könnten wir für Fami-lien und Kinder, für Jugendarbeit, für Benachteiligte undSchwache sowie für den sozialen Ausgleich ausgeben,ganz abgesehen von Investitionen für neue Arbeitsplätze,Strukturentwicklung und Naturschutz sowie für For-schung und Innovation mit allen positiven Folgewirkun-gen? Fast könnte man ins Träumen kommen, wenn nachden Zwängen einiger konsequent härterer Jahre wiederein Boden für Zukunftsvisionen entstünde, die allen Par-teien mehr oder weniger abhanden gekommen sind. Die-ser heute von uns zu diskutierende Haushalt, den wir So-zialpolitiker mitzuverantworten haben, trägt einenwürdigen Anteil dazu bei.Unsere Politik, die wir mit diesem Haushalt vorlegen,ist geprägt von der Verantwortung für die Zukunft. Nichtnur die Tendenz zur höheren Neuverschuldung habenwir aufgehalten und umgekehrt, auch die Tendenz derVerteilung der Mittel von unten nach oben ist gestopptworden.
Ich erinnere an die Senkung des Eingangsteuersatzes.Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an IhrenKampf um die Senkung des Spitzensteuersatzes, der eineVerteilung in die andere Richtung, nämlich von oben nachunten, bewirkt hätte.
Ich erinnere an die Senkung der Rentenversicherungs-beiträge, an die Erhöhung des Kindergeldes – das istschon mehrfach zur Sprache gekommen – und an die wei-tere Aufstockung im Jahre 2002. Ich erinnere an Verbes-serungen beim Erziehungsgeld und beim Wohngeld.
Wir haben auch solide Rahmenbedingungen für dieEntstehung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Nicht dievon der alten Regierung verlängerten Ladenöffnungszei-ten haben das von ihr versprochene Mehr an Arbeitsplät-zen gebracht, auch nicht die Einschränkungen beim Kün-digungsschutz. In unserer bisher kurzen Regierungszeitist durch richtige politische Schwerpunktsetzung die Er-werbsquote gestiegen. Da zählt Ihr Argument, HerrFuchtel, nicht mehr, dass der Rückgang der Arbeitslosig-keit auf bundesweit 9,3 Prozent – übrigens der niedrigsteStand seit fünf Jahren – ausschließlich auf demographi-sche Gründe zurückzuführen sei.
Hier sind tatsächlich neue Arbeitsplätze entstanden. AllePrognosen sagen aus, dass sich diese positive Entwick-lung fortsetzen wird. Dass schließlich im Haushalt 2001der Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit nichtmehr nötig ist – das bekritteln Sie ja reichlich –, ist eineFolge erfolgreicher Politik und nichts anderes.
Mehrfach ist in den letzten Tagen im Rahmen derHaushaltsdebatte von einer noch nicht zufrieden stellen-den Situation auf dem Arbeitsmarkt Ost gesprochenworden. Es ist wahr: Man erschrickt fast, wenn man dieArbeitslosenquote der westdeutschen Länder – sie beträgt7,5 Prozent – und die der neuen Länder – sie beträgt17 Prozent – gegenüberstellt.
Lassen Sie uns die Situation einmal genauer ansehen:Der Umstrukturierungsprozess in Wirtschaft und Verwal-tung ist immer noch nicht abgeschlossen. Da die alte Re-gierung diesen Prozess innerhalb von acht Jahren nichtbewältigte, müssen wir ihn weiterführen. Das heißt, ins-besondere im öffentlichen Dienst sowie im Baubereichmüssen weitere Anpassungen vorgenommen werden.Trotzdem gibt es bereits in diesem Jahr in einigenBranchen des gewerblichen Bereiches Erfolgsquoten. Esgibt Bereiche, in denen die Talsohle durchschritten wor-den ist und die gute Wachstumsraten verzeichnen. DasStatistische Bundesamt ermittelte für die neuen Länderund für Ostberlin im Vergleich zum Vorjahr einen Zu-wachs an Beschäftigung in Höhe von 3,1 Prozent und ei-nen Umsatzzuwachs von 5,5 Prozent – was noch nichtausreicht. Seit Juni 1999 sank die Arbeitslosenzahl erst-mals wieder leicht unter das Augustniveau des Vorjahres.
Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegtnur noch gering über der in den alten Ländern. Angesichtsdes Erbes, das wir vor zwei Jahren von der alten Regie-rung übernommen haben, ist nunmehr ein leichter, zarterBeginn eines Wandels, einer positiven Entwicklung spür-bar.
Lassen Sie mich noch etwas zur Ausbildungs- und Be-schäftigungssituation junger Menschen sagen. Nachdemdie CDU/CSU unser Programm zur Bekämpfung derJugendarbeitslosigkeit in der Vergangenheit hart kritisierthat, ist es stiller geworden. Offensichtlich hat sie dieTatsache zur Kenntnis genommen, dass dadurch dieJugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden konnte –leider aber auch hier nicht mit größerer Wirkung in denneuen Ländern. Doch ohne dieses Programm sähe esin den neuen Ländern noch ungünstiger aus.Lassen Sie mich das an einem Zahlenvergleich deut-lich machen: In Sachsen gab es im September 1999im Baugewerbe über 31900Arbeitsuchende. Im August 2000war diese Zahl auf fast 40 300 angestiegen. Darunter
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Renate Jäger11315
befindet sich ein großer Anteil an jungen Menschen.Dieser massive Arbeitsplatzrückgang – dort regiert dieCDU – konnte auch durch das Programm gegen die Ju-gendarbeitslosigkeit nicht aufgefangen werden; es hataber die Situation entschärft. Diese Tendenz besteht leiderin allen ostdeutschen Ländern. Wir werden das JUMP-Programm im Jahre 2001 weiterführen, und zwar mit ei-nem noch höheren Anteil für die ostdeutschen Länder.
Auch hinsichtlich der Ausbildungsplätze sind imOsten Deutschlands weitere Anstrengungen nötig. Dieschwächere Wirtschaftsstruktur mit einem geringen Indus-trieanteil, die wir als Erbe einer verfehlten Treuhand- undUmstrukturierungspolitik von der alten Regierung über-nommen haben, muss zunächst gestärkt werden. Doch mitunseren verbesserten Rahmenbedingungen für die Wirt-schafts- und Beschäftigungsentwicklung werden wir auchdiese Fehlentwicklung in die richtigen Bahnen lenken.Die gesünderen Staatsfinanzen eröffnen weitere finanzi-elle Spielräume für die Förderung der neuen Länder, auchunter den Schwerpunkten Ausbildung und Arbeit fürjunge Menschen.Ich hoffe auf Ihre konstruktive Mitarbeit und auf Ihrekonstruktiven Beiträge bei der Diskussion über denHaushalt und über eine zukunftsträchtige Politik in unse-rem Land überhaupt.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte zum Einzelplan 11 ist der Kollege
Wolfgang Meckelburg für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hättedem Arbeitsminister gern das Angebot gemacht, ihmmeine zehn Minuten Redezeit zur Verfügung zu stellen
– klatschen Sie nicht zu früh –, wenn damit zu rechnengewesen wäre, dass er in diesen zehn Minuten noch etwasKonkretes zu dem, was an Plänen vorliegt, sagen würde.Bisher war alles staatstragend und nichtssagend, aber wirhaben nichts Konkretes gehört. Es war der Knappschafts-minister; es war alles sehr knapp geraten, Herr Riester.
Ich will die Diskussion zwischen den KollegenLaumann und Ostertag aufgreifen. Wenn ich als Obmannim Ausschuss Bilanz ziehe, muss ich sagen: Das, was wirin der ersten Halbzeit von Rot-Grün in der Sozialpolitikim Ausschuss erlebt haben, war Hektik, Durcheinanderund Verunsicherung. Anschließend gab es eine Phase vongesetzgeberischem Stillstand. Das ist die Realität. Sie ha-ben nichts mehr auf den Tisch gelegt.Sie haben die Korrekturgesetze im Dezember im Hau-ruckverfahren durchgezogen. Der größte Fehler dabei wardie Rücknahme des Blüm’schen Demographiefaktors.Ansonsten haben Sie Schwierigkeiten verursacht: Durch-einander bei den 630-Mark-Jobs und Durcheinander beider Scheinselbstständigkeit. Ihre Korrektur bei der Schein-selbstständigkeit haben Sie inzwischen selbst wieder kor-rigiert.Wir lassen uns nicht davon täuschen, meine Damenund Herren von der SPD, dass Sie sagen, das sei die För-derung der Selbstständigkeit. So einfach geht das nicht.Man kann nicht einfach ein neues Etikett darauf kleben.Das, was Sie geschaffen haben, bleibt einfach ein Durch-einander.
Bei der Rente haben Sie geradezu einen Stufenplan derVerunsicherung in den letzten beiden Jahren entwickelt.Ich ziehe das Korrekturgesetz heran, mit dem Sie den De-mographiefaktor von Norbert Blüm entfernt haben. In derGesetzesbegründung steht: Mit diesem Aussetzen sollZeit gewonnen werden. Ich habe bisher nicht den Ein-druck, dass Sie Zeit gewonnen und genutzt hätten. Statt-dessen haben Sie ein Rentendurcheinander produziert.Das Aussetzen der Blüm’schen Reform war der An-fang. Die Abkehr von der nettolohnbezogenen Rente warder nächste Schritt. Dann sagten Sie, es wird einen Infla-tionsausgleich geben. Kaum war das ausgesprochen, er-fuhr man, es ist gar kein Inflationsausgleich, weil die In-flation, die in diesem Jahr bei etwa 1,8 Prozent liegenwird, mit 0,6 Prozent ausgeglichen wird.
– Sparen Sie sich die Zwischenfrage, Herr Dreßen. Ichsage Ihnen knallhart: Wir haben früher niemals den Infla-tionsausgleich gehabt, deswegen können Sie nicht be-haupten, das wäre früher immer so gewesen.
Sie haben den Inflationsausgleich eingeführt und dieRentnerinnen und Rentner dadurch betrogen, –
Dass Sie ihnen für 1,8 Prozent Inflationsrate 0,6 ProzentRentenanpassung in diesem Jahr geben. Das ist die Wahr-heit.
Dann haben Sie den Rentnern gesagt, dass Sie irgend-wann zur nettolohnbezogenen Rente zurückkehren wer-den. Kaum war das ausgesprochen, hörte man, dannmüsse man die Formel wieder neu berechnen. Das heißtdoch wahrscheinlich, man muss sie nach unten korrigie-ren. Während das alles passierte, haben Sie die Rente mit60 durchs Dorf getrieben. Es waren doch nicht wir, diediese Verunsicherungen verursacht haben.Ihr Stufenplan der Verunsicherung ist ein Leidenswegfür die Rente. Der Riester-Renten-Schlager heißt: tau-sendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert. Bisher je-denfalls gilt diese Bilanz, Herr Arbeitsminister.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Renate Jäger11316
Lassen Sie mich –
zum Thema Reformstau, das heute Morgen eine Rollegespielt hat, etwas sagen. Ich finde es ziemlich dreist,wenn selbst der Bundeskanzler, weil er etwas vor derSommerpause abfeiern will, sagt, der Reformstau sei nunaufgelöst.
Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Bei der Rente ha-ben Sie einen wahnsinnigen Reformstau produziert, in-dem Sie die Blüm’sche Reform ausgesetzt haben und jetztan anderen Reformen herumbasteln.Ich habe als Obmann ständig gefragt: Was wolltihr wirklich? In dem Moment, in dem wir gesagt haben,dass wir zu einem Konsens bereit sind, habt ihr euchzurückgezogen und gesagt: Wir reden erst einmal mitei-nander. Was die SPD, was Rot-Grün wirklich will, ist unsbisher nicht auf den Tisch gelegt worden.
Sie haben das benutzt, um sich dahinter zu verstecken.Sie haben auch den Reformstau bei der Steuerreform– um das auch einmal zu sagen – produziert. Diesen hät-ten wir 1997/1998 längst auflösen können.
Dazu kommen die Reformnotwendigkeiten, die Sie selbstproduziert haben. Bei den 630-Mark-Jobs und bei derScheinselbstständigkeit, wo Sie die Reform selbst wiederzurückgenommen haben. Hier frage ich mich wirklich,wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, hier als Bilanzfestzuhalten, dass Sie den Reformstau beseitigt hätten.Das Gegenteil ist der Fall!
Lassen Sie mich noch etwas zu den Arbeitsplätzen sa-gen, denn dies ist die Herausforderung, die der Bundes-kanzler schwerpunktmäßig in Angriff nehmen möchte.
Dazu will ich Ihnen erst einmal sagen, dass es zurzeit al-lein durch den demographischen Faktor Veränderungenbei den Arbeitslosenzahlen nach unten gibt. Jedermannweiß das. Diese Zahlen hören Sie von Wirtschaftsverbän-den und von der Bundesanstalt für Arbeit. Dadurch, dassimmer mehr ältere Menschen aus dem Arbeitslebenausscheiden und immer weniger junge Menschen nach-rücken, haben wir Jahr für Jahr etwa 200 000 Arbeitsloseweniger.Nun kommt der Herr Bundeskanzler persönlich – ges-tern noch einmal hier – und sagt: Wir werden es schaffen,die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislatur-periode im Jahre 2002 auf unter 3,5 Millionen zu senken.
Dazu sage ich Ihnen: Das ist nicht Programm, das ist keinmutiges Ziel oder sogar Superergebnis. Nein, das, wasSchröder da sagt, ist nichts anderes als die plumpe Be-schreibung dessen, –
– was ohnehin aufgrund der Bevölkerungsentwicklungpassieren wird. Dabei ist es ganz egal, ob der Bundes-kanzler Schröder, Meier oder Schulze heißt.
Dieser Rückgang hat allein demographische Gründe.
Wenn Sie wirklich daran gemessen werden wollen, wieSie die Arbeitslosigkeit bekämpfen, müssen Sie weit un-ter den 3,5 Millionen landen. Das ist jedenfalls unsereVorstellung.
Entscheidend ist aber nicht nur, in welcher Größenord-nung die Zahl der Arbeitslosen sinkt, sondern entschei-dend ist auch, wie Arbeitskräfte in Arbeit kommen, wiesich der Arbeitsmarkt wirklich entwickelt. Wenn Sie dieletzten drei Jahre nehmen, stellen Sie fest, dass das Jahr1998 eines gewesen ist, in dem wir etwa 340 000 bis350 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
Im letzten Jahr gab es hier eine Stagnation.Ich bleibe dabei, dass die Arbeitsplatzsteigerung in die-sem Jahr im Wesentlichen darauf beruht, dass Sie jetztnach dem neuen Verfahren die 630-Mark-Jobs mit-zählen.
Das heißt, es sind eigentlich mehr, als wir alle miteinan-der gedacht haben. Sie werden einfach mitgezählt unddies ist dann das Ergebnis. Parallel dazu sind natürlich –das darf man nicht verschweigen – viele Arbeitsplätze da-durch verloren gegangen, dass Sie diesen Murks mit der630-Mark-Regelung eingeführt haben. Auch dies ist dieWahrheit.Der Arbeitsminister hat uns heute Morgen gesagt, dasses in diesem Jahr 750 000 neue Arbeitsplätze gibt, wobeidie 630-Mark-Jobs – so eben in der Debatte – nicht ein-gerechnet sind. Ich würde ihn gern bitten, uns, wenn erdies zeitlich noch schafft – ich weiß, dass er einen An-schlusstermin hat –, zu erklären, welche Auswirkungendies in seinem Finanzplan auf den Bundeszuschuss, dieEntwicklung bei der Arbeitslosenversicherung oder wasauch immer hat.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Wolfgang Meckelburg11317
Dies würden wir gerne hören, weil sich dann für unsereHaushälter in den Beratungen eine völlig neue Situationergibt. Wenn Sie das noch schaffen würden, wäre das sehrschön.
Ich möchte noch daran erinnern – das sind zum TeilTricksereien –, dass die Änderung der Bezugsbasis für dieArbeitslosenquotenberechnung – ab April werden die630-Mark-Jobs mit eingerechnet – 0,4 Prozent ausmacht.Ich will ein Letztes sagen. Für einen Kanzler, der Ost-deutschland, den Aufbau Ost zur Chefsache machen will,ist es eigentlich ein schlechtes Ergebnis, wenn wir heutenach wie vor feststellen müssen, dass es eben nicht ge-lungen ist, dies zur Chefsache zu machen. Das belegt dieständig steigende Arbeitslosigkeit im Osten. 1999 stiegdie Arbeitslosigkeit um 37 000 auf 1,467 Millionen zumJahresanfang 2000. Im Juli betrug die Arbeitslosenquoteim Osten 17 Prozent gegenüber 7,5 Prozent im Westen,also mittlerweile knapp das Zweieinhalbfache. Dass daoffensichtlich Nachholbedarf ist, hat der Kanzler viel-leicht selber verspürt. Aber dadurch, dass man in dieneuen Länder fährt und sich in den neuen Ländern diemöglicherweise blühenden Stellen anschaut, erreicht mannichts. Von dem Thema „Chefsache Aufbau Ost“ ist IhreKoalition noch weit entfernt.Wenn ich als Obmann heute eine Schlussbilanz für dieerste Halbzeit ziehe, so bleibt festzuhalten, Herr Ostertag:Hektik, Durcheinander, Verunsicherung bei den Rent-nern. Sie treffen Ihre bisherigen Stammwähler undWähler der Neuen Mitte sicherlich alle an den Zapfsäu-len.
Gehen Sie da mal hin und hören Sie sich an, was die überIhre Politik sagen. Wenn sich da in den nächsten zwei Jah-ren nichts wesentlich bessert, bin ich ganz optimistisch.Was die Leute nämlich von Politik erwarten, sind Struk-turveränderungen, mutige Schritte nach vorne, die Sienicht machen, und nicht nur vordergründiges Theater undeinen glänzenden Medienkanzler.
Das ist zu wenig. Das hat Deutschland nicht verdient.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Meldungenzum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeitund Sozialordnung liegen nicht vor.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums fürWirtschaft und Technologie, Ein-zelplan 09.Zur Vorstellung des Einzelplans 09 erteile ich jetzt demHerrn Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Dr. Werner Müller, das Wort.Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! In Deutschland haben sich in den letzten beidenJahren alle Wirtschaftsdaten entscheidend verbessert. DieWirtschaft wächst mit 3, vielleicht sogar mit über 3 Pro-zent. Die Unternehmen investieren wieder. Die Arbeitslo-sigkeit sinkt spürbar, und zwar nicht nur demographischbedingt, denn die Erwerbstätigkeit nimmt zu, vor allemim Dienstleistungsbereich. Aber keineswegs nur da, son-dern auch im produzierenden Gewerbe, wie etwa demMaschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Elektroin-dustrie. Deutschland ist wieder zu einem Land der Inno-vationen, der zukunftsweisenden Technologien, desstrukturellen Wandels geworden.
Für diese positive Entwicklung gibt es verschiedeneGründe, zum Beispiel die gute weltwirtschaftliche Ent-wicklung, die den Exportboom der deutschen Wirtschaftermöglich hat, und die Tarifpolitik, die von Wirtschaft undGewerkschaften mit Augenmaß betrieben wurde.Einen gehörigen Anteil am Erfolg hat zweifelsohneauch die Politik dieser Bundesregierung.
Sie hat den Reformstau der letzten Jahre aufgelöst und mitihrer Politik der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaftdie Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Wenn eben ge-sagt worden ist, der Reformstau sei noch nicht richtig auf-gelöst, bin ich dankbar dafür, dass Sie wenigstens zurKenntnis genommen haben, dass ein enormer Reformstaubestanden hat.
Kernelemente unserer Politik sind die Ordnung und dieKonsolidierung der Staatsfinanzen, die Rückführung derSteuerabgaben und der Staatsquote zugunsten von mehrFreiraum für private Initiative, –
– der Abbau der Belastungen von Arbeit und Kapital, dieStärkung der IuK-Technologien und ihre breite Durchset-zung, die Strukturreform in vielen Bereichen –
– sowie die Fortführung der Politik der Marktöffnung,zum Beispiel im Bahnnetz, bei den Energiemärkten oderder Telekommunikation, was teilweise zu deutlichenKostenentlastungen der Gesellschaft geführt hat. Diesekonsequente Politik trägt nun Früchte.
Deutschland hat sich in Europa zum führenden Marktfür Wagniskapital entwickelt. Die Gründerlandschaft inDeutschland blüht wieder deutlich auf. Die am NeuenMarkt etablierten Unternehmen beschäftigen inzwischen120 000 Menschen mit überwiegend sehr hochwertigenArbeitsplätzen. Nach Einschätzung von Roland Berger ist
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Wolfgang Meckelburg11318
am Neuen Markt allein im Verlauf dieses Jahres ein Zu-wachs der Beschäftigung von etwa 80 000 möglich.Auf wichtigen Feldern neuer Technologien hatDeutschland kräftig aufgeholt; ich nenne beispielhaft dieBiotechnologie. Um die Chancen optimal auszuschöpfen,die die neuen Technologien bieten, schaffen wir inno-vationsfreudige Rahmenbedingungen, zum Beispieldurch die Unternehmensteuerreform und durch unserenEinsatz auf EU-Ebene für geeignete Genehmigungsvor-schriften betreffend diese neuen Technologien.Mit der Förderung von Unternehmensgründungen imBereich der Hochtechnologie und von Forschungskoope-rationen hat auch das Wirtschaftsministerium erheblichdazu beigetragen, dass Deutschland gemessen an der Zahlder Biotech-Unternehmen inzwischen in Europa führendist. Wir kommen generell technologisch dynamischvoran, wie wir es nun anhand des steilen Anstiegs der Zahlder Anmeldungen von Patenten und Marken beobachtenkönnen. Das spricht für die Wiederbelebung der Innova-tionskraft.Umso trauriger war übrigens der Zustand des Patent-amtes, den wir beim Regierungswechsel vor zwei Jahrenvorgefunden haben.
Gerade dieses Amt muss doch auf modernstem Stand sein,um mit effizienter Verwaltung der innovatorischen Wirt-schaft zügig zu Dienst stehen zu können. Seit Anfang der90er-Jahre aber ist die Zahl der Prüfer Jahr für Jahrzurückgeschnitten worden. Den Einsatz elektronischerMedien kannten die Prüfer nur, wenn sie entsprechendePatente durchzusehen hatten.
Ich habe damals mit Frau Däubler-Gmelin darüber ge-sprochen und ich bin der Justizministerin sehr dankbar,dass sie sich sofort nach Amtsantritt um das Patentamtgekümmert und dort eine Trendwende eingeleitet hat: beiden Patent- und Markenprüfern ebenso wie bei der EDV-Ausstattung und bei der Verbesserung der Arbeitsorgani-sation.
Die Modernisierung des Patentamtes – um Ihnen nur ei-nen kleinen, aber überaus wichtigen Bereich von Re-formstau zu verdeutlichen – muss im Interesse der Inves-titionskraft unserer Wirtschaft konsequent weitergeführtwerden.
Die Informations- und Kommunikationstechnologienerobern alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft inrasendem Tempo. Unser Ziel ist, Deutschland bei der Nut-zung dieser Techniken ganz nach vorne zu bringen; denndie IuK-Technologien, einschließlich des E-Commerce,sind Keimzellen unseres Wirtschaftswachstums. Bereitsin fünf Jahren will die Branche zum größten deutschenWirtschaftszweig werden, dann größer als die Automobil-industrie. Bis zum Jahr 2010 können wir bis zu 750 000zusätzliche Arbeitsplätze im IuK-Sektor gewinnen. Wirsind fest entschlossen, diese Chancen für Deutschland zunutzen.
Dies tun wir zum Beispiel durch Initiativen wie denGründerwettbewerb Multimedia sowie die Umsetzungdes Signaturgesetzes und der EG-Richtlinie für den elek-tronischen Geschäftsverkehr.Einer sozialen Spaltung unserer Gesellschaft durch un-terschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu den neuen digi-talen Medien treten wir entschieden entgegen.
Auch das ist ein Aspekt der Schaffung von Chancen-gleichheit in unserer Gesellschaft.Das Wirtschaftsministerium fördert im Rahmen seinerZuständigkeiten die marktwirtschaftliche Erneuerung al-lenthalben sehr konkret. Das lässt sich auch auf Heller undPfennig am vorgelegten Haushalt des BMWi belegen.Zum einen leisten wir einen beträchtlichen Beitrag zurKonsolidierung der Staatsfinanzen und zum anderen lei-ten wir mehr Mittel in Zukunftsinvestitionen. Die Konso-lidierung schafft auch Freiraum im BMWi-Haushalt, Frei-raum, der es ermöglicht, Zukunftsbereiche zu stärken, umdie notwendigen Akzente für die Modernisierung derWirtschaft zu setzen und Akzeptanz dafür zu bekommen.Im Einzelnen: Die Mittel für Forschung und Innova-tion werden um rund 4,5 Prozent auf knapp 900 Millio-nen DM aufgestockt. Mit Förderprogrammen zur For-schungskooperation, wie zum Beispiel der MaßnahmePRO INNO, unterstützen wir den Austausch von Wissenund Personal zwischen Unternehmen sowie öffentlichenForschungseinrichtungen. In den neuen Ländern gebenwir technologieorientierten Unternehmensgründungenmit dem Programm FUTOUR 2000 zusätzliche Impulse.Wir fördern Multimedia und IuK-Anwendungen im Mit-telstand.Wir unterstützen die Mobilisierung von Beteiligungs-kapital für innovative Unternehmen. Im vergangenen Jahrkonnten wir immerhin 1,6 Milliarden DM Beteiligungs-kapital für junge Technologieunternehmen mobilisieren.Das waren 100 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das heißt,die jungen Unternehmen können auf uns vertrauen undauf uns bauen.
Im neuen „Aktionsprogramm Mittelstand“ meinesHauses sind die Initiativen der Bundesregierung für denMittelstand zusammengefasst. Das Aktionsprogrammwird von den Wirtschaftsverbänden in seinen Grundlinienund Grundanliegen voll unterstützt. Zentrale Themensind unter anderem die Modernisierung der Aus- undWeiterbildung, die Förderung der Innovationskraft undder internationalen Ausrichtung auch des Mittelstandes.
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Bundesminister Dr. Werner Müller11319
Hier besteht gerade auch für den Mittelstand ein großesChancenpotenzial.Wir fördern 24 Kompetenzzentren – einige unter derRegie des Handwerks – die den elektronischen Ge-schäftsverkehr in Handwerk und Mittelstand gängig ma-chen sollen. Wir fördern auch die technische Ausstattungvon Berufsbildungsstätten des Handwerks.Die bewährten Förderprogramme für Existenzgründerund mittelständische Unternehmen werden auf hohem Ni-veau fortgesetzt. Die Deutsche Ausgleichsbank wird zurGründungs- und Mittelstandsbank des Bundes ausgebaut.Nicht zuletzt mit der Steuerreform wird der Mittelstandnetto um insgesamt 30 Milliarden DM entlastet.
Für den Aufbau Ost steht im Rahmen der Regionalför-derung für neue Projekte ein Fördervolumen von rund3,5 Milliarden DM zur Verfügung. Die Gemeinschafts-aufgabe wird auch weiterhin ein verlässlicher Eckpfeilerder Wirtschaftsförderung, insbesondere in den neuenLändern bleiben.In der Energiepolitik haben wir Kurs in Richtung ei-ner nachhaltigen Energieversorgung aufgenommen. Hier-für steht die Vereinbarung über die sehr allmähliche Be-endigung der Kernenergienutzung. Hierfür steht einganzes Bündel von Maßnahmen zur Erhöhung der Ener-gieeffizienz. Hierfür steht die Förderung der erneuerbarenEnergien. Die Nachfrage beim Marktanreizprogramm beiregenerativen Energien und beim 100 000-Dächer-Solar-stromprogramm zeigt, dass die Bevölkerung längst zu-kunftsorientiert denkt und handelt.
Für mehr Nachhaltigkeit steht auch die Ökosteuer.Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eineneuerliche Variante Ihres politischen Postkartenpopulis-mus, wenn Sie Bürgerinnen und Bürgern einzuredenversuchen, die Ökosteuer sei an den aktuellen Benzin-preisen schuld.
Keine Frage, dass die Benzin- und Heizölpreise sohoch sind, dass sich alle ärgern, dass viele Familien unterdieser Belastung leiden und einzelne Zweige der Wirt-schaft, namentlich das Transportgewerbe, ernste Schwie-rigkeiten bekommen haben. Darüber muss man sachlichreden und nicht etwa unter dem Vorzeichen, der Bundes-kanzler sei der Benzinpreistreiber der Nation.
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Das istdas, was einen Quereinsteiger in der Politik mitunter stört,nämlich die unsägliche Primitivität.
Auslöser ist die Verdopplung der Rohölpreise in denvergangenen Monaten bzw. die Verdreifachung der Rohöl-preise seit Frühjahr 1999. Wenn jemand die Autofahrer„gemolken“ hat – um einmal Ihre Sprache zu verwenden –dann waren Sie es; denn in den 16 Jahren Ihrer Regierungwurde die Mineralölsteuer auf Benzin sage und schreibeverdoppelt. Oder in absoluten Zahlen: Seit Amtsantritt derRegierungen Kohl ist die abkassierte Mineralölsteuer von20 Milliarden DM im Jahre 1982 auf über 80 Milliar-den DM im Jahre 1998 erhöht worden.
Die hohe Importabhängigkeit Deutschlands bei Ener-gie spricht dafür, dass es durchaus Sinn macht, auch einengewissen Kernbestand an nationaler Energie zu erhal-ten.
Auch deshalb setzen wir uns in Brüssel mit Nachdruck füreine neue Beihilferegelung für die Zeit nach dem Auslau-fen des EGKS-Vertrages ein und wollen darin die Förde-rung regenerativer Energien einbinden; denn auch das isteine nationale Energie, die wir fördern.
Noch eines: Ich finde es höchst befremdlich, dass michdie heutige Opposition nun schon des Öfteren zum offe-nen Bruch der von Ihnen selbst geschlossenen Verträgemit dem Bergbau auffordert.
Meine Damen und Herren, Konsolidierung und Mo-dernisierung müssen sich nicht ausschließen. Hierfürsteht der Haushaltsentwurf des Bundesministeriums fürWirtschaft und Technologie. Ich werde diesen Kurs kon-sequent fortsetzen. Wichtige Themen sind: das Aktions-programm „Innovation und Arbeitsplätze in der Infor-mationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, das schonteilweise umgesetzt ist und weiter planmäßig umgesetztwird. Die Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie ist für2001 vorgesehen. Die neu geordnete Technologieförde-rung wird evaluiert und weiterentwickelt. Insbesonderewill ich mich darum kümmern, dass die Finanzierung vonHandwerk und Mittelstand auch dann weiter gesichert ist,wenn die Großbanken dieses Geschäftsfeld verlassen.
Der Bürokratieabbau bleibt eine ständige Aufgabe. Ichwerde ein neues verlässliches Energiekonzept fürDeutschland entwickeln. Schließlich: Ich werde in mei-nen Bemühungen für eine neue und umfassende WTO-Runde nicht nachlassen. Eben für diese Vorhaben bitte ichum Ihre Unterstützung.Herzlichen Dank.
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Das Wort für die Frak-tion der CDU/CSU hat der Kollege Gunnar Uldall.
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Bundesminister Dr. Werner Müller11320
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Minister Müller, es ist völlig le-gitim, dass ein Wirtschaftsminister seine eigene Politikgut findet und hier voller Lob vorträgt.
Aber es kommt nicht darauf an, ob ein Wirtschaftsminis-ter seine eigene Politik gut findet. Die Entscheidung, obdie Politik gut ist oder nicht, treffen die internationalenFinanzmärkte.
Die Sprache, die an den internationalen Finanzmärktenin der letzten Zeit gesprochen wurde, ist eindeutig. DieSchwäche des Euro deckt schonungslos auf, dass das ge-samte wirtschaftspolitische Rahmenwerk bei uns inEuro-Land nicht stimmt. Die stärkste europäische Volks-wirtschaft ist mit großem Abstand die deutsche Volks-wirtschaft. Deswegen ist die Schwäche des Euroseine Kritik an der Wirtschaftspolitik, die Sie, GerhardSchröder und die anderen Minister dieses Kabinetts zuverantworten haben, Herr Minister.
Herr Minister Müller, Sie sind in erster Linie für dieOrdnungspolitik verantwortlich.
Erst in zweiter Linie sind Sie für die Eröffnung von Mes-sen verantwortlich. Deswegen müssen Sie sich durchset-zen gegen einen Bundeskanzler, der rein punktuell ver-sucht, wirtschaftspolitischen Einfluss zu nehmen. Sie sinddafür verantwortlich, dass insgesamt ein Rahmen ent-steht, in dem die Betriebe, die Unternehmen, die Arbeit-nehmer, die Verbände und die Verbraucher langfristig undkalkulierbar ihre Entscheidungen treffen können undnicht durch augenblickliche Überlegungen ein anderesRahmenwerk vorfinden.So hat der Bundeskanzler die Schwäche des Eurosals begrüßenswert bezeichnet. Die Finanzwelt war er-schrocken.
Zunächst hat man sich noch damit getröstet, indem mangesagt hat: Er wird das so nicht gemeint haben, er hat sichvielleicht versprochen. Dann wurde plötzlich irgendeineschuldige junge Dame aus irgendeinem Ministerium ge-funden – so schrieb eine Zeitung –, die das Ganze eigent-lich zu verantworten habe. Nein, meine Damen und Her-ren, gestern hat der Bundeskanzler hier diese Aussagewiederholt, –
– und zwar zur gleichen Zeit, zu der im Finanzministe-rium und in den anderen europäischen Staaten darübernachgedacht wird, wie man den Euro wieder stützenkönnte. Solange ein Bundeskanzler seine eigene Währungherunterredet, können die Finanzminister nicht gegendiese Marktschwäche anarbeiten.Die Schuld trifft den Bundeskanzler.
Wenn Sie jetzt sagen, das sei alles nicht so schlimm,dann kann ich nur den angesehenen Kommentator HeinzBrestel zitieren, –
– der einen Londoner Devisenhändler gesprochen hat, dersagte:Ein solcher Sprachfehler– damit ist der vermeintliche Versprecher von GerhardSchröder gemeint –wird den Euro viel Geld kosten. Die Devisenmärkteverstehen keinen Spaß, sie pflegen sehr grausam zusein.Diese Grausamkeit bekommen heute die deutschen Ver-braucher zu spüren.
Es ist nicht nur die Ökosteuer, sondern das Zusam-menspiel von Ökosteuer und Euro-Schwäche, das dieSchwierigkeiten bei der Energieversorgung bei uns inDeutschland hervorgerufen hat.
Ich habe es einmal ausgerechnet: Eine Tankfüllung Euro-Super kostete für ein normales Auto im Oktober 1998, alswir noch die Regierung hatten, 79,00 DM. Sie kostete imAugust 2000 – die jüngste Preissteigerung habe ich nochnicht einmal mit eingerechnet – 100,55 DM. Das sind21,55 DM mehr.
Nun können wir uns gerne darüber streiten, ob man zwei-mal, dreimal oder viermal im Monat tankt. Aber es kommteine Summe von knapp 1 000 DM zusammen. Das mussder Verbraucher bezahlen. Die Entlastung durch IhreSteuerreform gleicht das nicht aus. Da können Sie vieleSteuerreformen machen. Wir müssen hier bezahlen.
Das betrifft nicht nur den privaten Haushalt, sondernauch den Handwerksmeister. Ich habe gestern mit einemSchlachtermeister gesprochen. Der Schlachtermeister lie-fert sein Fleisch mit einem Pkw oder mit einem Lkw aus.Er kann nicht den grünen Ratschlägen folgen und auf dieU-Bahn oder den Bus umsteigen und sein Fleisch mit derStraßenbahn transportieren. Ihre Forderungen sind völligwirklichkeitsfremd.
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Das Beste haben wir heute gelesen. Als Antwort auf dieFrage, wie ein Haushalt mit den gestiegenen Heizölkos-ten fertig werden könne, haben die Grünen sich etwasTolles ausgedacht. Ich habe auch das ausgerechnet: EineHeizöltankfüllung kostete im Oktober 1998 noch 1640DM.Der gleiche Tank muss heute für 2 988 DM gefüllt wer-den. Das ist ein Plus von 1 348 DM.
Das probate Mittel, das die Grünen jetzt anzumelden ha-ben, bezeichnet die „Bild“-Zeitung –
– heute als „rotzfrech“. Sie fordern in Schleswig-Holstein,–
– dass die Leute in Zukunft weniger Urlaub machen sol-len. Das ist die Folge einer falschen rot-grünen Energie-politik.
Meine Damen und Herren, die Aussage von Schröder,ein schwacher Euro sei wünschenswert, weil er durchniedrige Verkaufspreise die Exporte fördere, ist wirklichnur auf den allerersten Blick richtig. Natürlich kann jederKaufmann mehr verkaufen, wenn er seine Preise senkt.Aber nennen Sie mir irgendeinen Einzelhändler, der durchein dauerhaftes Absenken seiner Preise seinen schlechtgehenden Laden saniert hätte! Sie sind auf die Dauerpleite gegangen. Das müssen wir in Deutschland verhin-dern.
Deswegen ist die Politik von Gerhard Schröder, den Euroherabzureden, ein Weg in die falsche Richtung.
Zusammengefasst können wir sagen: Schwache Wech-selkurse sind Ergebnis einer schwachen Wirtschaftspoli-tik. Deswegen muss die Wirtschaftspolitik geändert undnicht der Wechselkurs herabgeredet werden. Sie, HerrMinister, sind für die Ordnungspolitik in Deutschlandverantwortlich. Sie stehen in unmittelbarer Verantwor-tung für diese Fehlentwicklungen.
Was muss bei uns in der Wirtschaftspolitik alles geän-dert werden? Die wichtigste Reform muss am Arbeits-markt erfolgen. Wir müssen in Deutschland überhaupterst einmal zu einem Arbeitsmarkt kommen. Zu viele Re-glementierungen und Staatseingriffe setzen die Marktme-chanismen außer Kraft.Natürlich kann der Arbeitsmarkt kein völlig freierMarkt sein, er muss auf die beteiligten Menschen Rück-sicht nehmen. Heute funktioniert dieser Markt abernicht und schadet so den Menschen, die Arbeit suchen.Millionen von Menschen suchen Arbeitsplätze, gleichzei-tig werden Millionen von Arbeitsplätzen angeboten.
Wenn man diese nicht zusammenführen kann, ist das einZeichen dafür, dass es in Deutschland keinen Arbeits-markt gibt.
Das zeigen auch die geleisteten Überstunden. In die-sem Jahr werden in Deutschland 2 Milliarden Überstun-den geleistet werden, mit steigender Tendenz. Die IG Me-tall nimmt das zum Anlass, über die Unternehmerherzuziehen und diese zu beschimpfen. Viel klüger wärees doch, einmal die Frage zu stellen: Warum ordnet einUnternehmer die teure Überstunde an anstatt einen kos-tengünstigeren zusätzlichen Mitarbeiter oder eine Mitar-beiterin einzustellen? Wenn Sie einmal mit einem Unter-nehmer sprechen, wird er Ihnen sagen: Wir befürchten,dass wir uns bei einem Auftragsmangel von neuen Mitar-beitern nicht wieder werden trennen können; wir befürch-ten langwierige Arbeitsgerichtsprozesse; wir befürchtenüberhöhte Abfindungszahlungen. Deswegen entscheidetsich dann der Unternehmer gegen Neueinstellungen undfür die Ableistung von Überstunden.
Deswegen, Herr Minister Müller, muss die Wirt-schaftspolitik hier eingreifen. Sie müssen dafür sorgen,dass diese heute schon sehr eng gezogenen Regelungennicht noch weiter verschärft werden. Zum Ende diesesJahres plant die Koalition, die Regelung über befristeteArbeitsverträge weiter einzuengen. Sie müssen sich ge-gen den Arbeitsminister stemmen und müssen sagen: Ausarbeitsmarktpolitischer Sicht dürfen wir das nicht durch-setzen.Sie planen ein weiteres Folterinstrument gegen denMittelstand, nämlich den Rechtsanspruch auf Teilzeit-arbeit.
Ein solcher Anspruch ist völlig wirklichkeitsfremd. WennSie das gesetzlich festschreiben, werden Sie nicht mehrArbeitsplätze, sondern weniger Arbeitsplätze bekommen.
Deswegen, Herr Minister, müssen Sie das verhindern.Sie müssen dafür sorgen, dass durch die Wiederein-führung einer sinnvollen 630-DM-Regelung den Be-trieben endlich wieder eine Möglichkeit gegeben wird,einen Spitzenbedarf aufzufangen.
Sie müssen erreichen, dass junge Selbstständige nicht alsScheinselbstständige diskriminiert und gesetzlich behin-
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Gunnar Uldall11322
dert werden. Sie müssen dafür sorgen, dass der Geltungs-bereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht schon bei 5,sondern erst bei 20 Arbeitnehmern greift.
Das sind die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, durchdie wir dann zu einer Belebung auf dem Arbeitsmarktkommen werden.In den Wirtschaftsmagazinen kann man lesen: DerMinister Müller ist nett und sympathisch. Ich schließemich dem ausdrücklich an. Aber ich kenne viele, die nettund sympathisch sind.
Das alleine reicht nicht. Sie müssen die harte Ausei-nandersetzung mit Kanzler und Sozialminister über dieReform des Arbeitsmarktes aufnehmen. Das ist Ihre Auf-gabe als zuständiger Minister für Ordnungspolitik. Siedürfen die Verantwortung nicht wegschieben! Sie müssendafür streiten, Herr Minister, Sie müssen die Richtungweisen!Es sind noch andere Fehler im ordnungspolitischenRahmenwerk in Deutschland festzustellen, die aufmerk-sam beobachtet werden und die natürlich ebenfalls eineder Ursachen für die schwache Einschätzung des Eurosind. Sie sprachen eben im Zusammenhang mit IhrerEnergiepolitik über die Kernenergie.Auch die Tatsache,dass sich eine Industrienation aus einer Spitzentechnolo-gie verabschiedet, –
– und zwar nicht deshalb, weil es sozusagen der Markt ge-fordert hätte, sondern weil Parteitagsbeschlüsse umge-setzt werden sollen, ist etwas, was in der Welt nur mit ei-nem Kopfschütteln beobachtet wird. Da kann ich nursagen: Dieses wird von keinem Menschen in der Weltverstanden.
In diesen Zusammenhang gehören auch die Subventio-nen, die wir im Energiebereich haben. Ohne dass es rich-tig wahrgenommen wird, baut sich eine neue Subven-tionsgröße auf.
Wir werden in wenigen Jahren für die erneuerbaren Ener-gien mehr Subventionen aufwenden als für die Kohle. Dakann ich nur sagen: Versuchen Sie mal, das später wiederwegzubekommen. Deswegen muss heute gehandeltwerden.Es dürfen nur Einführungssubventionen, aber keineDauersubventionen gezahlt werden. Das ist der richtigeWeg.
Deswegen gibt es mit uns auch keinen Bruch des Kom-promisses über die Kohlesubventionen aus dem Jahre 1997.Sie sollten schon heute sagen, wie es nach 2005 weiterge-hen soll. Man muss den Bergleuten, den Kommunalpoli-tikern und den Unternehmern im Ruhrgebiet die Wahrheitsagen, damit sie die Weichen langfristig stellen können.Nachdem ich jetzt sehr viel Kritikwürdiges an IhrerOrdnungspolitik festgestellt habe, werden Sie mir sicher-lich entgegnen: Wir haben doch gerade im Zuge der Ord-nungspolitik eine großartige Steuerreform gemacht.
Nein, das stimmt überhaupt nicht. Ihre Steuerreformleistet keinen Beitrag zu einer guten Ordnungspolitik.
Sie haben zwar die Tarife gesenkt; aber Sie haben keineSteuerreform gemacht.
Das Steuersystem in Deutschland bleibt nämlich genausokompliziert wie bisher oder wird sogar noch komplizier-ter. Trotzdem behauptet der Finanzminister im Bundes-tag, das deutsche Steuerrecht sei gar nicht so kompliziert;es sei eigentlich einfach. So werden die Dinge verdreht.Tatsächlich ist das deutsche Steuerrecht mit eines derkompliziertesten Steuerrechte der Welt.
Wir haben festgestellt: 70 Prozent der Weltliteratur überSteuerrecht erscheint in deutscher Sprache. Das mag zwarausgelutscht sein, lieber Herr Schlauch. Aber Sie sind mitdafür verantwortlich, dass diese Steuerreform nicht ge-nutzt wurde, um unser Steuerrecht entsprechend zu ver-einfachen.
Es gibt noch einen weiteren Hauptfehler. Sie besteuerndie Personengesellschaften in einer unverantwortlichenWeise höher als die Kapitalgesellschaften.
Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann lesen Sie dochbitte den letzten Bericht der Deutschen Bundesbank.
Danach muss eine GmbH für 100 000 DM einbehaltenenGewinn in der Spitze 38 000 DM Steuern zahlen. DerWettbewerber dieser GmbH, der sich in Form einer OHGorganisiert hat, muss für den gleichen Gewinn 51 000 DM
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Gunnar Uldall11323
Steuern zahlen. Kann mir irgendjemand diese Un-gleichgewichtigkeit erklären? Wahrscheinlich kann dasniemand; denn dafür gibt es keine Erklärung. Deswegenkann ich nur sagen: Selbst wenn durch das In-Kraft-Tre-ten der nächsten Reformstufe 2005 eine kleine Milderungeintritt – weit ist sie entfernt –, wird diese Reform nach ei-ner kurzen Ernüchterungsphase eindeutig auf Kritik inden Betrieben stoßen.Heute konnte man lesen, dass die Betriebe durch dieÄnderung der Abschreibungsbedingungen nicht mit3,5 Milliarden DM, sondern mit 14 Milliarden DM zu-sätzlich belastet werden. Dazu kann ich nur sagen: DieseReform führt gerade in die falsche Richtung. Es hätte eineinfacheres Steuerrecht mit einer besseren Entlastungs-wirkung und einer besseren Struktur geschaffen werdenmüssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uldall,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Seien Sie sich über den
Konjunkturverlauf in den nächsten Monaten nicht zu
sicher!
Die Schwäche des Euro ist eine erste Warnung. Verschie-
dene Frühindikatoren sind von einer Aufwärtsbewegung
in eine Abwärtsbewegung übergegangen. Schließlich
mehren sich die Stimmen der Fachleute, die die Bundes-
regierung warnen. Jüngst sprach der Chefvolkswirt von
Morgan Stanley, Joachim Fels, davon, dass die Konjunk-
tur ihren Höhepunkt bereits überschritten habe. Wir hof-
fen das nicht, Herr Minister. Wir werden dazu beitragen,
dass die deutsche Politik gute Rahmenbedingungen
schafft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uldall,
Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Aber Sie tragen die Ver-
antwortung. Sie müssen sich in der Bundesregierung für
eine gute Ordnungspolitik stark machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerinin der Debatte ist die Kollegin Margareta Wolf für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kol-leginnen und Kollegen! Herr Kollege Uldall, es tut mir fürSie Leid, dass Sie sich mit Ihren durchaus bemerkens-werten Vorstellungen über eine Steuerreform in IhrerFraktion nicht durchsetzen konnten.
Aber vielleicht lesen Sie einmal die Wirtschaftspresse undziehen dann einen Schlussstrich. Wir haben jedenfallseine gute Unternehmensteuerreform auf den Weg ge-bracht.
Noch eine Bemerkung vorweg. Herr Kollege Uldall, zuIhrem Ausflug in die Weltwirtschaft: Sie reden ja gerne– das haben wir auch heute wieder gemerkt – über Öster-reich, die Ökosteuer und die Euro-Schwäche. Das sind diedrei Punkte, die in allen Reden der letzten Tage immerwieder hervorgehoben wurden.Ich möchte Ihnen etwas zum Euro sagen. Lieber HerrKollege, vielleicht ist Ihnen entgangen, dass der Dollar-kurs im Jahr 1985 im Jahresschnitt bei 3,47 DM lag. Um-gerechnet in Euro bedeutet dies einen Euro-Kurs von0,56 Dollar. Niemand wäre bei diesem Höhenflug desDollar damals auf die Idee gekommen zu sagen, dass dieD-Mark schwächelt.
– Herr Scherhag, davon verstehen Sie nichts.Wenn Sie sagen, der Bundeskanzler redet den Eurorunter, so stimmt das nicht. Sie wissen selber, Herr Kol-lege Uldall – ich schätze Sie sehr –, dass die Unterbewer-tung des Euro wirtschaftspolitisch kein Problem ist. Siewissen auch, dass sich alle EU-Finanzminister für einenstärkeren Euro ausgesprochen haben und dass die Chef-Volkswirte der großen deutschen Banken gesagt haben,dass sich der Kurs des Euro in den nächsten sechs Mona-ten erholen wird. Man geht davon aus, dass er einen Kursvon 1,05 Dollar haben wird.
Herr Uldall hat darauf hingewiesen, dass die Entschei-dung, ob die Wirtschaftspolitik gut ist, nicht vom Wirt-schaftsminister getroffen wird, sondern von der Bevölke-rung. In den letzten Tagen ist schon oft aus Gutachten vonForschungsinstituten zu Wachstumsprognosen und zurInflationsrate zitiert worden. Ich möchte heute aus einerBevölkerungsbefragung zitieren, die die Wirtschaftsju-nioren in Deutschland bis Ende August durchgeführt unddokumentiert haben. Sie schreiben:Noch nie ... blickte die Bevölkerung so zuversicht-lich in die Zukunft wie in diesem Jahr.
– Das wurde auch seinem Büro zugesandt; es war gesternin der Post.Den Tiefpunkt haben die Wirtschaftsjunioren im Jahr1997 ausgemacht. Damals waren nur 18,1 Prozent derDeutschen optimistisch. Heute erwarten rund 50 Prozentder Deutschen einen Konjunkturaufschwung und gerademal 12,8 Prozent einen Konjunkturrückgang. Auch inBezug auf die Entwicklung der persönlichen finanziellenVerhältnisse überwiegen, so schreiben die Wirtschafts-junioren, erstmals die Optimisten. Damit liegen, so
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Gunnar Uldall11324
schreiben sie, erstmals beide Stimmungsbarometer imPlus. Dies spricht – das wissen wir alle – für ein verbes-sertes Konsumklima und damit für einen weiter anhalten-den Konjunkturaufschwung.
Besonders optimistisch – das möchte ich auch vor demHintergrund Ihrer arbeitsmarktpolitischen Bewertunghervorheben, Herr Uldall –, weil es einmalig ist, blickendie Selbstständigen, die Auszubildenden und die Arbeits-losen in die Zukunft. Das haben sie seit Jahren nicht mehrgetan. Das spricht für die Wirtschaftspolitik dieser Bun-desregierung.
Die Menschen gehen nämlich von einem erheblichenKonjunkturaufschwung aus und von einer signifikantenBelebung auf dem Arbeitsmarkt.Noch etwas, Herr Kollege: In dieser wunderbaren Stu-die steht auch, dass die Menschen in Hamburg und inRheinland-Pfalz die optimistischsten Menschen in diesemLand seien.
Um den Anschluss an die Bevölkerung wirklich zu halten,kann ich Herrn Brüderle und auch Ihnen mit auf den Weggeben, dass Sie sich dem Optimismus gegenüber unsererWirtschafts- und Finanzpolitik anschließen sollten.
Miesepetrigkeit – das wissen Sie so gut wie ich – ist über-haupt nicht gut. Bleiben Sie optimistisch! Sie werdendafür belohnt.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ein zentralerSchwerpunkt des hier zur Debatte stehenden Einzelpla-nes 09 besteht in dem Komplex neue Technologien. DieBundesregierung, federführend das Bundeswirtschafts-ministerium, hat das Aktionsprogramm „Innovationund Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des21. Jahrhunderts“ vorgelegt. Die Umsetzung des Pro-gramms finden wir in der Titelgruppe 09 des Einzelpla-nes, die einen erfreulichen Aufwuchs zu verzeichnen hat.Binnen zwei Jahren ist das Internet so bekannt gewordenwie Coca-Cola in Deutschland. Das ist ein Erfolg unsererPolitik. Das ist ein Erfolg dieses Einzelplans.
– Sie sind lange nicht so bekannt wie Coca-Cola, HerrWesterwelle. Hier haben Sie noch einiges nachzuholen.Kaum ein Bundesbürger hat den Begriff noch nicht ge-hört. Das wissen Sie ganz genau.
– Sie dürfen Cola trinken. Auch ich trinke Cola.
– Klar. Was denken Sie denn?
– Das war der Werbeblock.15 Prozent der Deutschen kommunizieren inzwischenüber das Internet. Wir alle wissen, dass sich noch nie eineTechnologie derart schnell in der Welt verbreitet und da-rüber hinaus unser Leben so sehr verändert hat.
–Wenn Sie das so komisch finden, dann haben Sie die we-sentlichen Dinge des Lebens nicht begriffen, wie man anIhren wunderbaren möllemannschen Werbekampagnen,die Sie immer wieder gerne auflegen, tatsächlich sehenkann.Auch die Produktionsprozesse werden in den Netz-werkökonomien neu strukturiert. Der effiziente Einsatzvon Informations- und Kommunikationstechnologie istheute Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit derWirtschaft. Die Informationstechnologie ist zum Wachs-tumsmotor Nummer eins geworden. Wir gehen davonaus, dass eine Erhöhung der Realeinkommen die Folgedieser Entwicklung sein wird.Wir wissen auch: Neue Arbeitsplätze entstehen bei denDiensten im Internet, bei Softwareentwicklern und beiIT-Beratern, bei Webdesignern und bei Dienstleistern.Wir begrüßen die steigende Zahl von Unternehmens-gründerinnen und -gründern. Sie entwickeln neue Pro-dukte und sie schaffen neue Arbeitsplätze. Man kannohne Übertreibung sogar sagen, dass sich mit diesemdot.com-Gründerboom tatsächlich eine neue Unterneh-menskultur in unserem Land entwickelt, die auf flacheHierarchien und auf Mitarbeiterbeteiligung setzt. Mansetzt auf eine Unternehmenskultur, die in Teilen an dieDebatte um den Kommunitarismus in den USA erinnert.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen: Ichhalte die Kinokampagne des DGB – Herr Brüderle, daswird Sie vielleicht interessieren –,
– die die gesamte IT-Branche als vorindustrielleHire-and-fire-Betriebe klassifiziert, nicht nur für kalt undhartherzig, sondern ich glaube auch, dass diese Kampa-gne an der Realität vorbeigeht und unser Land spaltet. Je-der, der Einfluss auf den DGB hat, sollte das zum Aus-druck bringen. Vielleicht waren Sie noch nicht im Kino.Ich rate Ihnen dringend: Schauen Sie sich das an! DieseKampagne ist kein Beitrag zur Verständigung zwischen
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Margareta Wolf
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„old economy“ und „new economy“. Sie ist leider ein Bei-trag, der unsere soziale und ökologische Marktwirtschaftschwächt und nicht stärkt.Wir unterstützen und begrüßen die deutlichen Auf-wüchse im Bereich FuE und Innovation im Mittelstand indiesem Einzelplan. Wir haben deutliche Aufwüchsein den Titelgruppen „Beteiligungskapital für Technolo-gieunternehmen“, „Multimediaunternehmen“ und „For-schungskooperationen“. Innovationskompetenz wird durchMittelaufwüchse bei FUTOUR deutlich gestärkt. Daraufist hingewiesen worden.Die Titelgruppe „Innovative Netzwerke“ sowie der Ti-tel „IT-Anwendung und -Sicherheit“ bilden einenSchwerpunkt in diesem Haushaltsplan. Wir unterstützendie so dokumentierte Intention des Bundeswirtschaftsmi-nisters, den Mittelstand für die Zukunft und für den Struk-turwandel fit zu machen. Wir müssen den Optimismus desMittelstands und den der freien Berufe als Rückenwindfür unsere Politik begreifen.Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den freienBerufen und zu der Rolle sagen, die das EU-Kommissa-riat fürWettbewerb bei der Gestaltung deutscher Politikzunehmend spielt. Ich halte es für eine denkwürdigeAngelegenheit, wenn Herr Monti – so vorgestern im Wirt-schaftsteil der „FAZ“ dokumentiert – die Preisabsprachender freien Berufe als kriminell bezeichnet. Wir legen dieGebührenordnungen für die freien Berufe fest. Ich binder Meinung, dass der EU-Kommissar darauf achtensollte, dass er nicht durch Rundumschläge – es ist nichtder erste dieser Art – den europäischen Gedanken be-schädigt und vielleicht sogar den Status seines Kommis-sariats schwächt. Ich fände das wettbewerbspolitischproblematisch.
Wir wissen, die Zukunft des Mittelstandes hängt ganzentscheidend davon ab, ob und inwieweit es den Unter-nehmen gelingt, die Potenziale der modernen Kommuni-kationstechnologie auszuschöpfen und neue Technolo-gien schnell umzusetzen. Von daher begrüßen wir, dassdas Bundeswirtschaftsministerium in einem Kraftaktder Bürokratieabbau fördert. Wir begrüßen, dass dasBundeswirtschaftsministerium mit dem großen Multi-mediaprojekt „Mediakomm“ die Nutzung neuer Kom-munikationsmittel in den Kommunen fördert. Durch dasdigitale Rathaus und den digitalen Marktplatz werden alleTransaktionsprozesse, also Meldewesen, Bauanträge, öf-fentliche Ausschreibungen und Wirtschaftsförderung, er-heblich beschleunigt. Ich freue mich, dass ab Sommer2000, also ab jetzt, Unternehmen in unserem Land das In-ternet im Rahmen der Auskunftspflichten gegenüber demStatistischen Bundesamt nutzen können. Damit reagierenwir auf die Klage des Mittelstandes, dass die Kosten fürstatistische Erhebungen für ihn zu hoch seien, und bieteneine adäquate Lösung.Gleichzeitig begrüßen wir ausdrücklich, dass sich dieKultur der Selbstständigkeit in Deutschland verbesserthat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es eineenge Zusammenarbeit mit der Deutschen Ausgleichsbankgibt. Ich finde besonders die sehr schnelle Einrichtungvon Existenzgründerlehrstühlen bemerkenswert. Wir ha-ben inzwischen elf davon. Ich glaube, dass sich damit dieneue Unternehmenskultur tatsächlich auch in die Unishereintransportieren lässt.Man kann nicht über diesen Haushalt und über Mittel-standspolitik reden und gleichzeitig das Handwerk uner-wähnt lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren,zumindest diejenigen von Ihnen, die sich mit dem Einzel-plan beschäftigt haben, werden wissen, dass rund 80 Pro-zent aller Mittel des Bundes für den Mittelstand demHandwerk zufließen. Ich begrüße ganz besonders, dassdas Handwerk bereit ist, den Technologietransfer unddie Innovationsfähigkeit der Betriebe zu fördern. DerSchwerpunkt der Mittel, die jetzt in diesem Einzelplandem Handwerk zufließen, liegt genau auf diesen beidenPunkten. Umso mehr freue ich mich, dass der ZDH jetztauch unter www.handwerk.de im Netz ist. Wir unterstüt-zen die Aktivitäten, wobei das Niveau in der mittelfristi-gen Finanzplanung von 23 Millionen DM bis auf 30 Mil-lionen DM im Jahre 2003 steigt.Noch eine Bemerkung zum Handwerk: Ich freue mich,dass wir uns in einem sehr konstruktiven und freundlichenDiskurs mit dem Handwerk über notwendige Flexibilisie-rungsmaßnahmen befinden. Das Handwerk selber hatsehr diskussionswürdige Vorschläge gemacht, –
– wie wir gemeinsam auf das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts reagieren, unterhalb einer HWO-NovelleAusnahmetatbestände realisieren und somit die Existenz-gründung im Handwerk erleichtern können.
Lassen Sie mich aber auch noch auf einen anderenPunkt eingehen. Mit der Erhöhung des Ansatzes – hierhat fast eine Verdreifachung stattgefunden – beim100 000-Dächer-Programm wird einer entscheidendenAnreizfunktion Rechnung getragen, die zum Ziel hat,die Photovoltaik marktwirtschaftlich auszugestalten.Deutschland ist hier auf dem Weg, in einer Zukunftstech-nologie die deutliche Marktführerschaft zu erlangen. Siewerden sich erinnern, dass die Anbieter vor zwei Jahrennoch ins Ausland gegangen sind. Heute kommen siezurück, wie Shell in Gelsenkirchen. Ich glaube, das100 000-Dächer-Programm gehört zu einer der größtenökologischen und ökonomischen Erfolgsstorys dieserBundesregierung, auf die wir, meine sehr geehrten Kolle-ginnen und Kollegen, stolz sein können.
Eine zukunftsfähige Energieversorgung hängt abervor allem davon ab, dass frühzeitig neue Technikoptionenzur Verfügung stehen; ich verweise da auf die Debatte umdie Brennstoffzelle. So freue ich mich, dass das Energie-forschungsprogramm mit einem fortgeschriebenen Haus-haltsvolumen von 230 Millionen DM dazu beiträgt, dieEmissionen klimaschädlicher Gase zu senken, die Ent-
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wicklung von Hochtechnologie in Deutschland voranzu-bringen und die Exportchancen deutscher Unternehmenauf einem von starker Konkurrenz geprägten Weltmarktfür Energietechniken zu verbessern und Arbeitsplätze indieser Zukunftsbranche zu schaffen.
Ein weiteres Ziel dieses Einzelplans und unserer ge-meinsamen Politik ist es, die Energieeffizienz zu er-höhen. Es ist ein Ziel unserer Politik, erneuerbare Ener-gien zu stärken und den Anteil der Erneuerbaren an derPrimärenergieversorgung zu verdoppeln.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließendlassen Sie mich sagen: Wir wollen, dass Deutschland imBereich der innovativen, zukunftsfähigen Technologienstark und wettbewerbsfähig wird. Mit dem vorliegendenAnsatz in diesem Haushalt setzen wir dafür hervorra-gende Rahmenbedingungen. Es ist ein moderner Haus-halt, ein zukunftsfähiger Haushalt und ein Reform-haushalt.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner für
die Fraktion der F.D.P. ist der Kollege Rainer Brüderle.
Frau Präsident! Meine Da-men und Herren! Sehr geehrter Herr WirtschaftsministerMüller, Ihr Etat ist zu meinem Bedauern ein Manifest derRückwärtsgewandtheit und Zukunftsverweigerung.
Sie, Herr Müller, verordnen dem Standort DeutschlandValium, obwohl er Viagra braucht.
Sie halten an längst überkommenen Wirtschaftsstrukturenfest und behindern den notwendigen Strukturwandel. InIhrem Zahlenwerk finden hingegen New Economy undMittelstand so gut wie keinen Platz. Für beide haben Sienur warme Worte und kaum Geld übrig. Dafür wird dieUralt-Economy mit viel Geld künstlich am Leben gehal-ten.Ihr halber Etat fließt als Beihilfe in den Bergbau. Fürzukunftsgewandte Wirtschaftspolitik spricht das nicht.
Am Anfang dieser Legislaturperiode haben Sie von derWirtschaft noch vollmundig eine Subventionsstreichlisteverlangt. Als die Betroffenen Ihrem Verlangen verständ-licherweise nicht mit der allergrößten Begeisterung ge-folgt sind, haben Sie die Hände untätig in den Schoß ge-legt.
Jetzt hat die EU bei den Steinkohlebeihilfen die Fleiß-arbeit für Sie übernommen. Doch Ihnen fällt nichts Bes-seres ein, als zusammen mit dem nordrhein-westfälischenMinisterpräsidenten Clement einen nationalen Energie-sockel zu fordern. Ist Ihnen eigentlich bewusst, welch un-sinniges Vorhaben das ist? Sie stellen damit den europä-ischen Binnenmarkt infrage; denn jetzt kann jedes Landnach Belieben einen Olivenöl-Sockel, einen nationalenAuto-Sockel, einen Camembert-Sockel fordern.
Die Waren- und Dienstleistungsfreiheit in der EU istIhnen offensichtlich völlig schnuppe.
Wenn Sie tatsächlich einmal europarechtliche Pro-bleme artikulieren, dann knicken Sie vor den Grünen ein,etwa bei der Subventionierung erneuerbarer Energienoder bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Wahrscheinlichkommt daher Ihre Sehnsucht nach einem grünen Staats-sekretär. Ihr Stromeinspeisungsgesetz wird den Weg vorden Europäischen Gerichtshof nehmen. Ihre geplanteNachfolgeregelung zum Kraft-Wärme-Kopplung-Vor-schaltgesetz wird dazu führen, dass 40 Prozent des deut-schen Energiemarktes wieder reguliert sind. Sie drehendamit die Liberalisierung, die eine deutliche Preissen-kung von 15, 16 Milliarden DM für alle, für Bürger undWirtschaft, gebracht hat, zurück. Sie haben entweder kei-nen Mumm, sich gegen die grünen Ideologen zu stellen,oder Sie stehen auf Kriegsfuß mit dem Wettbewerb. Bei-des ist für einen Wirtschaftsminister ein Armutszeugnis.
Ihre Politik für die Steinkohle offenbart auch die Wi-dersprüchlichkeit der Koalition in Umweltfragen. LetzteWoche verweisen Sie in einem Interview in der „Bild“-Zeitung auf die Klimaschutzziele und wollen deshalb dieÖkosteuer weiter steigern. Dabei weiß jeder, dass auchdie Nutzung der Steinkohle den Treibhauseffekt verstärkt.Sie zocken lieber kaltschnäuzig die Bürger an derZapfsäule ab, um mit dem Geld eine umweltschädlicheAltindustrie am Leben zu erhalten.So sieht Ihre Wirtschaftspolitik aus: unausgegoren, insich widersprüchlich und nicht mehr vermittelbar.
Anstatt die berechtigten Sorgen der Menschen überden dramatisch gestiegenen Sprit- und Heizölpreis ernstzu nehmen, ergehen Sie sich in Energiesparappellen. Sietun gerade so, als ob die Ökosteuer gottgegeben wäre! Dasist unredlich.Herr Müller, auch Sie wissen: Die Bundesregierung hates in der Hand, die drohende Konkurswelle bei mittel-ständischen Fuhrunternehmen, den Verlust von Arbeits-plätzen, die angekündigten Preiserhöhungen im öffentli-chen Nahverkehr und die enormen Belastungen vonMillionen Pendlern abzuwenden.
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Es ist doch geradezu absurd: Sie führen die Ökosteuerein, der Kanzler erklärt, man müsse das sozial ausglei-chen,
und Sie nehmen das Steuergeld in die Hand, um die Wir-kung Ihrer Besteuerung wieder auszugleichen. Das istdoch ein Stück aus dem Tollhaus, was Sie hier vorführen!
Die Grünen haben natürlich gleich einen kompetentenVorschlag gemacht, wie man das ausgleichen kann. DerVorsitzende in Schleswig-Holstein fordert, die Deutschensollten auf den Urlaub verzichten, um die Ökosteuer zah-len zu können. Das ist blanker Zynismus.
Lieber sollten die Ökopädagogen von ihrer politischenBetätigung Urlaub nehmen und die Menschen nicht län-ger mit dem Unfug belästigen, den sie in die deutsche Po-litik einführen.
Gerade jetzt aus ideologischen Gründen aus der Kern-energie auszusteigen, da doch die Entwicklung auf demEnergiemarkt schwer vorhersehbar ist, zeigt nicht vonWeitsicht, sondern eine Konzession der SPD wider besse-res Wissen – das will ich einigen attestieren – in Richtungdes grünen Koalitionspartners.Nun erzählt Herr Müller immer: Mit der Ökosteuersenken wir die Rentenbeiträge. – Ich habe mir einmal dieZahlen über das, was Sie wirklich machen, genau zusam-menstellen lassen. Wenn Sie alle Einnahmen aus der Öko-steuer für die Senkung der Rentenbeiträge verwendenwürden, käme man auf 18,3 Prozent. Sie kommen abernur um ein Zehntel herunter. Warum? Weil Sie von den7 Milliarden DM aus der zweiten Stufe 6 Milliarden DMfür andere Zwecke verwenden und nicht für die Senkungder Beiträge, wie Sie es vor der Wahl versprochen haben.Das ist der zweite Wahlbetrug, den Sie im Zusammen-hang mit der Ökosteuer begehen.
Sie haben in Ihrem Wirtschaftsbericht großspurig dieSenkung der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozentnoch in dieser Legislaturperiode gefordert. Doch auchnach zweimaliger Erhöhung der Mineralölsteuer sind wirvon dieser Marke meilenweit entfernt, weil eben einGroßteil der Einnahmen anders verwendet wird. DerSteuermark sieht man es nicht an, ob sie für einen Krö-tentunnel in Schleswig-Holstein oder für eine Straßen-baumaßnahme in Mecklenburg-Vorpommern verwendetwird.
Herr Kollege
Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, aber erst gegen Endemeiner Rede. Ich will im Zusammenhang vortragen, da-mit Sie es besser verstehen. Aber dann können Sie gerneFragen stellen. Dadurch wird meine Redezeit verlängert.Bitte fragen Sie öfter.Doch anscheinend ist der Bundesregierung alles an-dere wichtiger als der Aufbau Ost. Da kann der Bundes-kanzler noch so oft in die neuen Länder reisen und Hofhalten. Gestern sahen übrigens die Bilder in Schweringanz anders aus. Das war eine Riesenbegeisterung – abernicht für die Politik von Herrn Schröder.Sie, Herr Müller, haben ihm – zumindest verbal – dieSchleppe getragen. Doch mehr als warme Worte habenSie für den Osten nicht übrig. Wie wollen Sie eigentlichden ostdeutschen Bürgern und Unternehmen erklären,dass Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Ost um300 Millionen DM kürzen, aber gleichzeitig nach Brüsselrennen, um mit 8 Milliarden DM die westdeutsche Stein-kohle staatlich zu alimentieren? Das versteht niemand.
Ebenso wenig versteht jemand Ihr Verhalten im Zu-sammenhang mit der VEAG. Ein eigenständiges großesStromunternehmen wollten Sie den Ostdeutschen nichtgönnen, sondern lieber Ihrem ehemaligen Arbeitgeberund anderen westdeutschen Stromriesen lästige Konkur-renz vom Hals halten. Erst als die Kartellwächter in Bonnund Brüssel auf einem starken neuen Stromkonzern imOsten bestanden, haben Sie eingelenkt. Wo bleibt bei die-ser Wirtschaftspolitik der Weitblick und die Solidaritätmit den neuen Bundesländern? Beides bleibt leider aufder Strecke.
Herr Müller, nach Ihrer Negativbilanz kann ich janachvollziehen, dass Sie sich das Leben in der Politik ein-facher vorgestellt haben. Offensichtlich sind Sie nachzwei Jahren so ausgepowert und phantasielos,
dass Sie schon einmal Ihren Nachfolger benennen. Auchlassen Sie sich die – wie versprochen – zurückzuglie-dernde Grundsatzabteilung ohne großes Aufsehen wiederaus den Händen reißen. Damit wird das ordnungspoliti-sche Vakuum der Bundesregierung noch einmal sehr deut-lich symbolisiert. Aber dass Sie sich nach Ihrem eigenenBekunden über nichts aufregen, kann ich nicht verstehen;denn noch sind Sie nicht im Ruhestand, auch wenn manes oft nicht merkt. Vielleicht täte Ihnen ein bisschen Auf-regung ganz gut.
Mich jedenfalls regt es auf, dass der EuroGefahr läuft,zur Weichwährung zu verkommen, weil die Wirtschafts-politik dieses Landes kein schlüssiges Konzept darstelltund gleichzeitig leichtfertige Äußerungen des Kanzlersdiese Effekte verstärken.
Die importierte Inflation steht vor der Tür.
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Mich regt es auf, dass die Bürger nicht einkaufen kön-nen, wann sie es möchten, weil die Bundesregierung beimLadenschluss weiter auf der Modernisierungsbremsesteht.
Mich regt es auch auf, dass sich die Pendler dumm unddämlich zahlen, weil die Regierung die Ökosteuer erhöht.Das alles lässt Sie offensichtlich kalt.So sieht auch Ihr Budget aus. Ihr Zahlenwerk lässt für2001 weder eine Vision noch politisches Gewicht erken-nen. Der Standort Deutschland verdient aber mehr alsbunte Wirtschaftsberichte und einen phantasielosen Etat.Wir kommen nur voran, wenn wir die Dinge mit Phan-tasie und Mut verändern. Es gibt einen wahrlich großenBedarf an Reformen, nicht nur beim Ladenschluss, son-dern auch auf dem Arbeitsmarkt, nämlich durch Fle-xibilisierung. Alle Wirtschaftsforschungsinstitute, dieOECD sowie alle anderen wichtigen Instanzen sagen,dass die Inflexibilität des deutschen Arbeitsmarktes eineKernursache dafür ist, dass wir beim Abbau der Arbeits-losigkeit nicht vorankommen. In dieser Hinsicht müsstenSie sich als ordnungspolitisches Gewissen äußern. Statt-dessen finden Sie als Feigenblatt im Rahmen von Mes-seeröffnungen warme Worte für die von Ihnen gemachtenfalschen Weichenstellungen. In dieser Beziehung solltenSie von dem ursprünglich vorgesehenen Wirtschaftsmi-nister Herrn Stollmann ein wenig lernen. Der war sichdann zu schade, ein Feigenblatt für nicht erfolgende Wei-chenstellungen zu sein.Wir werden nur dann vorankommen, wenn wir dieseProbleme in Angriff nehmen. Nur dann wird der Euro eineandere Bewertung erzielen. Diese kann man nicht herbei-reden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine täglicheAbstimmung der Welt über die Einschätzung der Zu-kunftsperspektiven in Euro-Land. Wir sind mit 80 Milli-onen Menschen der größte Teil von Euro-Land. Solangeman uns weniger zutraut als der amerikanischen Wirt-schaft, wird das Geld nach Amerika fließen und nicht inDeutschland bleiben und hier keine Investitionen bzw.neue Arbeitsplätze auslösen. Deshalb ist eine Wende, eineRenaissance der Ordnungspolitik unbedingt notwendig.
Herr Kollege
Brüderle, wollen Sie die Frage des Kollegen Heil beant-
worten? Ihre Rede können Sie dann gleich fortsetzen.
Ja.
Ich gebe jetzt dem
Kollegen Hubertus Heil das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Brüderle, ich
halte Sie ja für einen vernunftbegabten Menschen, wie im
Rahmen der Steuerreform deutlich wurde.
Heute hatte ich nicht immer diesen Eindruck.
Nun meine Frage: Sie zielen immer wieder darauf ab,
dass die in Deutschland bestehenden hohen Sprit- und
Energiepreise im Wesentlichen die Schuld der Bundesre-
gierung seien. Wie erklären Sie sich dann die Entwicklung
in anderen europäischen Ländern bzw. in anderen Indus-
trienationen? Auch Sie schauen bestimmt manchmal
Fernsehen und nehmen wahr, was sich in anderen Län-
dern abspielt. Sind die Grünen und die SPD auch dafür
verantwortlich?
Wenn – so wie in Deutsch-land beim Benzin – auf ein Produkt Steuern in Höhe von70 Prozent erhoben werden, dann können Sie doch denÖlmultis – –
– Sie können fragen, was Sie wollen. Ich antworte, wie iches für richtig halte.
So sind die Spielregeln im Parlament. Wenn Sie mir mitder Frage auch noch die Antwort vorschreiben wollen,dann können wir gleich zu Hause bleiben. In diesem Par-lament herrschen doch wohl noch Meinungs- und Rede-freiheit! Wollen Sie mir noch vorschreiben, was ich hierzu antworten habe? Was fällt Ihnen denn ein!
Sie dürfen sich doch nicht wundern, wenn andere an-gesichts von 70 Prozent Steuern auf ein Produkt zugrei-fen. Die OPEC hat eine klare Aussage getroffen:
– Wer schreit, hat Unrecht. Hören Sie zu!
Sie ist bereit, die Ölförderung so zu steigern, dass dasBarrel Öl wieder rund 25 Dollar kostet. Aber sie fordertgleichzeitig, dass auch die Industrieländer ihren Beitragleisten.
– Ich bin mit meiner Antwort noch nicht ganz fertig. Dasinteressiert Sie aber anscheinend nicht.
Die OPEC hat gesagt: Wir helfen euch, wenn auch ihreuren Beitrag dazu leistet, dass der Staat bei diesem Pro-
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dukt nicht 70 Prozent abkassiert, während wir durch un-sere Preise eure Wirtschaft einseitig in Gang halten. DieseForderung ist verständlich und nachvollziehbar.
Eines müssen Sie sehen: In der Wirtschaftspolitik ist esoft so, dass ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.
Dies ist die unsinnige Ökosteuer, die ökologischgesehen keinen Effekt hat. Denn wenn sie wirken würde,wären gar keine Einnahmen vorhanden, um Renten-beiträge und anderes zu verringern. Dass dann, wenn einesolch unsinnige Steuer, die nun wirklich nicht ökologischist, eingeführt wird, die Scheunentore für andere, zuzu-langen, weit geöffnet werden, ist doch geradezu logisch.Haben Sie von der SPD doch endlich den Mut – in an-deren Dingen haben Sie die Grünen doch auch platt ge-macht –, eine unsinnige Sache zu revidieren, und gleichenSie nicht nur die aus dieser widersinnigen grün-ökologi-schen Ökosteuer für die kleinen Leute entstandenen Be-lastungen durch Sozialmaßnahmen aus! Haben Sie end-lich den Mut, etwas Vernünftiges zu tun! Ich sage Ihnenvoraus: Sie werden es nicht durchhalten – Sie werden esverpacken oder was auch immer –, dass es unter Ihrer Ver-antwortung zu solch hohen Belastungen kommt.
Wer Unsinn sät, wird Protest ernten. Das erleben Sie zur-zeit.
Herr Präsident, habe ich noch ein bisschen Redezeit?
Nein, Herr Kollege.
Alles hat einmal ein Ende, auch Ihre Rede.
Nun gebe ich für die Fraktion der PDS dem Kollegen
Rolf Kutzmutz das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Lieber Kollege Brüderle, ichmöchte zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede machen: Dieerste: Ich habe jetzt gelernt, wie man seine Redezeit ver-längern kann; wir versuchen es alle einmal. Die zweite:Mir war das Lied „Männer“ von Grönemeyer schon imKopf, als Sie richtig losgepoltert haben. Als Sie dann abersagten, worüber Sie sich alles aufregen, habe ich gedacht,ich empfehle Ihnen einfach einmal, da hineinzuhören,was Männern alles passieren kann, wenn sie sich zu sehraufregen. Vielleicht sollten wir uns auf ein Maß einigen.
– Er kann noch mehr, ich weiß das.Herr Minister Müller hat gesagt, noch mehr wirt-schaftliche Kompetenz, Innovation und neue Arbeits-plätze und noch mehr ökologische Modernisierung undNachhaltigkeit sind die Zielmarken für die zweite Halb-zeit der Regierungspolitik. Ich will hier offen sagen:Wenn man den Wirtschaftsetat betrachtet, hält sich dieInnovation in Grenzen. Dafür feiert die Kreativität desVerschleierns von Kosten und Risiken wie zu HerrnRexrodts und Herrn Waigels seligen Zeiten fröhliche Wie-derauferstehung.Die Kohlesubventionen werden schätzungsweise einehalbe Milliarde DM zu niedrig veranschlagt, ebenso dieKosten für bereits eingegangene Eigenkapitalhilfen undTechnologiebeteiligungen. Letztere Programme sollenwie schon in den Vorjahren die Eigenkapitalhilfe kurzer-hand aus dem Wirtschaftsetat entsorgt und im Schatten-haushalt ERP-Vermögen endgelagert werden. Der aberhat nicht nur Lasten und Risiken zu tragen, die jetzt schonsubstanzgefährdend sind; jetzt soll auch noch sein bishervergleichsweise gut funktionierender Vergabeapparat, dieDeutsche Ausgleichsbank, als Mittelstandsbank der KfWzugeschlagen werden.Die Gefahr – ich sage ausdrücklich: die Gefahr –, dassbei der Suche nach Synergien die Mittelstandspolitik lei-det, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb ist dietatsächliche Einbeziehung des Parlaments in all dieseEntscheidungsprozesse dringend nötig.
Das Einzige, das mich bei der Argumentation zum Ver-kauf der Deutschen Ausgleichsbank bisher überzeugt hat,ist, dass auch auf diesem Wege Geld in die Kassen des Fi-nanzministers fließt. Das mag kreativ erscheinen, in-novativ aber ist es auf keinen Fall.
Herr Minister, Sie haben das Aktionsprogramm „Mit-telstand“ angesprochen, mit dem Existenzgründungs- undBeteiligungsförderungen weiter auf hohem Niveau ver-sprochen werden. Aber auch hier gilt: Ohne Moos nix los.Dem Aktionsprogramm droht ansonsten dasselbe Schick-sal wie der Schöpfung des vorhergehenden Sommerlochs.Ich meine damit die schon legendäre „Innovationsmil-liarde“ im „Zukunftsprogramm 2000“, von der auch dievon Herrn Minister Müller verantwortete Mittelstands-und Technologieförderung profitieren sollten.Inzwischen war wenigstens herauszubekommen, wases mit dem Ding auf sich hat: Es geht um die Aufstockungausgewählter Titel gegenüber der ursprünglichen Finanz-planung. Diese aber befand sich regelmäßig im freienFall, sodass nicht 1 Milliarde DM mehr, sondern besten-falls Geld auf dem Niveau der Vorjahre gesichert würde.Aber selbst wenn man sich auf diese Phantomrechnungeinlässt, stellt man fest: Im Wirtschaftsetat tauchen ganze119 Millionen DM auf. Da bleibt nur, den Minister in Ab-wandlung eines Oldies zu fragen: Sag mir, wo die Mil-liarden sind, wo sind sie geblieben.
Dies zu fragen muss zumindest im Jahr des unerwartetenUMTS-Geldsegens erlaubt sein, zumal die Koalition ver-sprochen hat, deren Zinsersparnis dauerhaft in Zukunfts-investitionen zu stecken.
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Rainer Brüderle11330
Zukunft aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nichtnur Straße und Schienen. Ich stelle mir unter Zukunft ins-besondere Innovationsnetzwerke vor, die gefördert wer-den sollen. Ich meine damit auch das in den Schubladendes Wirtschaftsministeriums schlummernde NEMO-Pro-jekt oder die schon laufenden erfolgreichen Programmewie Pro Inno und BTU/Futour.Dabei – das gestehe ich den verehrten Kolleginnenund Kollegen von den Koalitionsfraktionen gern zu – istihre Politik nicht gänzlich innovationsarm. Ich will einBeispiel für deren Chancen, aber auch zugleich Grenzennennen: Anfang 1998 haben wir von der PDS konkreteVorschläge für eine vernetzte und homogene Arbeits-markt-, Wirtschaftsförderungs-, Struktur- und Regional-politik eingebracht. Zugegeben: Das Ganze hatte denziemlich drögen Titel „Konsequente Ausrichtung derstaatlichen Instrumente zur Förderung der wirtschaft-lichen Tätigkeit auf Beschäftigungswirksamkeit“. Dasliest sich ziemlich schlimm. Aber das war für Sie nicht derGrund der Ablehnung.Sie haben bessere Titel gefunden. Nach dem Regie-rungswechsel mischten dann knackige Namen wie „Inno-Regio“ oder „soziale Stadt“ die tradierten Förderkulissenauf. Sie entsprachen durchaus unseren Vorstellungen,auch wenn sie nur Bausteine und noch keine durchge-hende Förderphilosophie darstellten.Vor wenigen Tagen nun kam ein Bericht des zuständi-gen Unterausschusses an den Planungsausschuss der Ge-meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“ auf den Tisch. Und was kann ich dortunter „Handlungsempfehlungen“ hoffnungsfroh lesen? –Vernetzung von aktiver Arbeitsmarktpolitik und insbe-sondere der GA Infrastrukturförderung, Vernetzung vonGemeinschaftsaufgabe und „sozialer Stadt“, von Gemein-schaftsaufgabe und „Inno-Regio“. Nun frage ich michbesorgt: Wann geht es los?In dem Bericht wird auch für die Vernetzung von Ge-meinschaftsaufgabe und „integrierter Konzeption zurEntwicklung des ländlichen Raumes“ plädiert. Im Ent-wurf des später zu lesenden Landwirtschaftsetats wird inden Vorbemerkungen zur dortigen Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur“ bereits ausdrücklichauf vom Bundesministerium für Wirtschaft – Zitat – „indiesem Zusammenhang zu ergreifende Maßnahmen“ hin-gewiesen. Nur finde ich dazu nichts im Wirtschaftsetatund frage mich noch besorgter: Womit soll das eigentlichlosgehen?Schließlich wird die Gemeinschaftsaufgabe im nächs-ten Jahr nach dem Willen der Koalition erstmals unter die2-Milliarden-Grenze sinken. 1996 wurden noch über3Milliarden DM, im vergangenen Jahr noch über 2,5Mil-liarden DM vom Bund ausgezahlt. Liebe Kolleginnen undKollegen, zum Nulltarif ist die Schließung der zwischenbeiden Landesteilen klaffenden Entwicklungsschere nichtzu erreichen.Es stimmt auch nicht – das wird von vielen und wurdeauch vom Bundeskanzler in Eisenhüttenstadt gesagt –,dass Politik keine Arbeitsplätze schaffen könnte. Er hatdort gesagt:Die Bundesregierung kann selbst keine Jobs schaf-fen. Aber sie kann durch eine gute Politik die Bedin-gungen schaffen, dass Menschen wieder in Arbeitkommen.Nein, Herr Bundeskanzler, auch Politik kann Arbeits-plätze schaffen, beispielsweise indem der Bund die Ent-wicklung des Airbus A3XX nur subventioniert, wenn imGegenzug die Hälfte der mit ihm einhergehenden Wert-schöpfung in Ostdeutschland erfolgt.
Es gibt dort leistungsbereite und gut ausgebildete Be-schäftigte und Hochschulabsolventen für die Hightech-Industrie, die auf jeden Fall geschaffen werden muss, aberkeinesfalls ohne Starthilfe entstehen wird.
Ob Sie es mit dem Osten tatsächlich ernst meinen, mussdie Koalition in den nächsten Wochen auch im Umgangmit einem PDS-Antrag beweisen.Aber nicht nur bei Hochtechnologien muss die Koali-tion Flagge zeigen. Schon zum zweiten Mal in diesemJahr hungern Handwerkerinnen nur wenige Meter vonhier, am Brandenburger Tor. Ich weiß, es gibt die Einstel-lung, dies gehe den Bund nichts an. Ich sage nur: HerrMinister, Sie haben in einer bemerkenswerten Rede zumThema „Leistungseliten und soziale Gerechtigkeit – ein
Widerspruch“ letzten Freitag in Münster ge-
sagt, Leistung lasse sichnicht mit wirtschaftlichem Erfolg oder gar mit Spit-zengehältern gleichsetzen. Handwerker oder Mittel-ständler, die sich durch Kundennähe, Qualität undZuverlässigkeit auszeichnen, gehören selbstver-ständlich zu den Leistungseliten in diesem Land.Aus meiner Sicht ergibt sich daraus auch eine große Ver-antwortung.
Kümmern Sie sich angesichts der grassierenden Zah-lungsunmoral auch um diese Menschen; beispielsweisemit einem Soforthilfefonds für unschuldig in Not gerateneHandwerkerinnen und Handwerker. Bei einer Summe von12 Millionen DM käme schon die Hälfte davon von einerFrau, die da draußen mithungert. Sie hat durch ihre Re-cherchen für den Fiskus 6 Millionen DM vor einem Be-trüger gerettet, soll aber weiter vergeblich auf die ihrzustehenden 400 000 DM warten.Ihr erster selbst gewählter Schwerpunkt für die zweiteHalbzeit der Wahlperiode, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der Koalition, lautet: „Zukunftsfähigkeit undTeilhabe“. Dafür ist noch einiges zu leisten.Danke schön.
Für die SPD-Frak-tion gebe ich dem Kollegen Dr. Norbert Wieczorek dasWort.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
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Herr Brüderle, ichfand eines an Ihrer Rede gut: dass Sie sie gleich selberzum Discount freigegeben haben. Sie haben nämlich ge-sagt: „Wer brüllt, hat schlechte Argumente“, und so laut-stark habe ich Sie in diesem Haus noch nie gehört.
– Ja, da ist er sehr kooperativ. Das freut mich und daskann ich nur begrüßen.Ich möchte Ihnen keine Nachhilfe geben, sondern nurdaran erinnern, dass wir hier eigentlich über die Wirt-schaftspolitik reden. Es ist auch schon der Begriff „Ord-nungspolitik“ gefallen. Es gibt auch noch die Prozesspo-litik. Die Frage ist vor allem, wie dies zusammengehört.Es wird nämlich immer nur über einzelne Kästchen dis-kutiert.Ich möchte daran erinnern: Als wir, die Koalition, dieRegierung übernommen haben, haben wir eine Zielset-zung gehabt – Zukunft zu gestalten, und zwar nachhaltigzu gestalten und dabei soziale Gerechtigkeit walten zulassen.Was haben wir vorgefunden? Hohe Arbeitslosigkeit,einen zerrütteten Haushalt, Reformstau und vor allen Din-gen ein negatives Image im In- und im Ausland.Also galt es umzusteuern. Das ist gemacht wordendurch Konsolidierung und neue Prioritätensetzung auf-grund der Erkenntnis, dass Nachfrage- und Angebotspo-litik zwei Seiten der gleichen Medaille sind und unver-rückbar zusammen gehören. Jeder Volkswirt weiß, dassKreislaufzusammenhänge nicht dadurch aufgelöst wer-den, dass man über Einzelprojekte redet.
Es geht auch darum, Vertrauen zu schaffen.Das haben wir angefangen mit der Steuerreform I. Hierist die Konsolidierung der Steuerbasis geleistet worden.Sie brachte zugleich eine Stärkung der privaten Einkom-men. Ich erinnere nur an den Grundfreibetrag und die Ta-rifveränderungen, die auch den kleineren und mittlerenUnternehmen als Personenunternehmen zugute kommt,was Sie gern negieren, und ich darf weiter – Stichwort: so-ziale Gerechtigkeit – an die Erhöhung des Kindergeldeserinnern. Und wir haben im letzten Jahr das berühmteJUMP-Programm aufgelegt.Nun sehen Sie sich einmal an, wie das zusammen-gehört. Es besteht ein Angebot – durchaus mit einem ge-wissen Druck, dass man es annimmt, weil ein Angebotnatürlich auch dazu verpflichtet, dass man es annimmt –zur weiteren Ausbildung, zur Aufnahme einer Arbeit. Dasist der eine Teil.Der andere Teil: Es war natürlich für die, die dort hi-neingekommen sind, ein Erfolg. Sie wissen, dass es einErfolg war. Dass nicht alles ordentlich lief, ist klar. Aberes war ein Erfolg, hat natürlich auch zur Stärkung derKaufkraft beigetragen und vor allen Dingen zum Ver-trauen: Es geht wieder aufwärts. Das halte ich für ganzwichtig.Zur Ökosteuer und Ihrer Argumentation sage ich gleichnoch etwas.Das Gleiche gilt für die Lohnnebenkosten.Man musseinfach sehen: Es ist gelungen, die Lohnnebenkosten he-runterzudrücken, und zwar sowohl für Arbeitnehmer alsauch für Arbeitgeber. Bei den Arbeitnehmern hat das mehrkaufkräftige Nachfrage mit sich gebracht. Schauen Siesich einmal an, was die Bundesbank zur Entwicklung derprivaten Arbeitnehmereinkommen sagt. Die sind nämlichim letzten Jahr deutlich gestiegen. Das muss man einfachsehen.Am Anfang hatten wir natürlich Schwierigkeiten in derKoalition, also in der Regierung. Ich gebe das zu. Dabrauchen wir uns nichts zu erzählen. Es hat ja keinen Sinn,darum herumzureden. Nachdem sich das konsolidiert hat,sehen Sie jetzt auch, dass sich die Konjunktur stabilisierthat.Es ist mitnichten nur der Export. Es ist vor allem derExport. Dazu gleich eine Klammerbemerkung: Unser Ex-port, der auf Dollarbasis abgerechnet wird, ist bei weitemgeringer als der, der auf Euro-Basis abgerechnet wird.Und da spielt der Wechselkurs keine Rolle. Also muss esandere Gründe dafür geben.Das können Sie an der deutlichen Steigerung der Pro-duktivität, an der deutlichen Verbesserung der Kosten-situation ablesen. Nehmen Sie die Entwicklung der Lohn-stückkosten. Die Stabilisierung der Konjunktur erfolgtauf der Basis einer solchen Politik, nämlich mit sehr ver-nünftigen Tarifabschlüssen zwischen den Tarifvertrags-parteien.
Das ist auch das Bündnis für Arbeit.
Das ist auch die Verbesserung der Ausbildungsplatz-situation. Sie ist auch dieses Jahr noch nicht ideal. DerSeptember ist immer der kritische Monat. Aber zum ers-ten Mal sieht es so aus, als könne zumindest in West-deutschland ein Ausgleich zwischen angebotenen Ausbil-dungsplätzen und Nachfrage erfolgen; in Ostdeutschlandaus vielen Gründen, die mit der Entwicklung seit 1990 zutun haben, noch nicht. Es ist aber bemerkenswert, dasssich in Ostdeutschland die Anzahl der von Betrieben an-gebotenen Ausbildungsplätze gesteigert hat. Das ist dochauch kein Zufall. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.Dann sieht das alles schon ein bisschen anders aus, als esin Ihrem Lamento eben anklang.
Deswegen kommt es jetzt auch darauf an, diese Politikfortzusetzen. Das macht dieser Haushalt, nämlich mit ei-ner weiteren Konsolidierung, nicht etwa mit einer Ent-scheidung, den plötzlichen Geldregen aus der UMTS-Versteigerung für alles mögliche auszugeben. Es gab javiele Vorschläge. Vielmehr beschränkt er sich darauf, dieaus ersparten Zinszahlungen freien Mittel gezielt einzu-setzen.Ich möchte hier einmal nennen, was wir machen. Da istdie Steuerreform mit erheblichen Entlastungen – zusätz-
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lich zu denen des letzten Jahres – bis 2005, Anfang imnächsten Jahr.Die Mär, die Sie vorgelesen haben, war wirklich ganzlustig: 51 Prozent. Sie wissen genauso gut wie ich, dassüber 90 Prozent der so genannten mittelständischen Un-ternehmen deutlich unter der Schwelle liegen, sogar nochbegünstigt werden, weil wir für sie die Gewerbesteuerpraktisch abgeschafft haben. Die Gewerbesteuer für dieGemeinden bleibt erhalten, aber die Unternehmen brau-chen sie in diesem Bereich nicht mehr zu bezahlen. SeienSie da einmal ein bisschen korrekter.Ich möchte darauf hinweisen – dies zu dem Stichwort„soziale Gerechtigkeit“ –, dass wir gerade für die Grup-pen, die es nötig haben, zu Beginn des nächsten JahresEinkommenssteigerungen in Kraft treten lassen. Ich darfzum Beispiel an das Wohngeld erinnern; dies steht auchin direktem Zusammenhang mit dem Thema Heizöl. Nurals kleine Randbemerkung betreffend das Heizöl: In die-sem Bereich ist überhaupt keine Erhöhung der Ökosteuergeplant. Es kann also gar nichts ausgesetzt werden. – Dasaber nur zu Ihrer Information; denn es ist ja geradezu ab-surd, was da erzählt wird.
Darüber hinaus erhöhen wir die BAföG-Leistungen;das ist gleichzeitig eine Investition. Natürlich haben wirdas Problem, dass zu wenig junge Leute Naturwissen-schaften und IT-Wissenschaften studieren. Aber wer hatdas BAföG denn eingefroren: Sie oder wir? Wir erhöhendie Leistungen und geben den jungen Leuten gleichzeitigeine Zukunftschance.
Ich darf an das Erziehungsgeld erinnern und auch daran,dass wir die Förderkulissen stabilisieren. Das gilt auchund gerade für den Aufbau Ost. Herr Minister Müller hatschon darauf hingewiesen. Mein Kollege Staffelt wirdgleich ausdrücklich darauf eingehen.Dies alles hat bereits zu deutlichen Verbesserungen ge-führt, und zwar in Bezug auf das Vertrauen im Inneren, so-gar beim Handel. Ich habe hier ein Schaubild vorliegen,das zeigt, dass sich das Handelsklima schon deutlich ge-bessert hat. Das reicht zwar noch nicht aus. Aber unserePolitik wird fortgesetzt und das wird anerkannt.Dass es vorwärts geht, erkennen Sie auch daran, dassDeutschland im berühmten „competitive ranking“ vonPlatz 6 auf Platz 3 gestiegen ist; das ist eine für uns sehrpositive Einschätzung. Woher kommt das denn? Woherkommt es denn, dass „Business Week“ und “FinancialTimes“ die deutsche Politik jetzt loben, aber vorher vonder deutschen Sklerose geredet haben? Insofern stimmtauch das, was Sie in Bezug auf den Euro gesagt haben,nämlich dass die Schwäche der Währung durch die Bun-desrepublik verursacht wird, nicht.Aber lassen Sie mich zum Thema zurückkommen.
– Ich werde noch auf den Euro zu sprechen kommen,keine Sorge. Ich möchte Ihnen aber empfehlen, einmal da-rüber nachzudenken, was man durch loses Reden anrich-ten kann.
– Ich weiß, was Sie hören wollen, werde aber etwas an-deres sagen. Ich meine nämlich etwas viel Grundlegende-res.
– Das habe ich gar nicht nötig; ich unterstütze ihn. Siewerden gleich erfahren, was ich meine.
Jetzt zurück: Diese Verbesserungen resultieren aber ins-besondere – Herr Brüderle, das ist sonst Ihr Thema – ausder verbesserten Flexibilität in den Unternehmen. Ichnenne einen konkreten Fall. Ich habe vorige Woche mitdem Vorstand eines internationalen Konzerns gesprochen,der jetzt Produktionen nach Groß-Gerau, in den Wahl-kreis, den ich vertrete, verlagert, weil nach einer Kon-zernstudie die Flexibilität des Arbeits- und Kapitaleinsat-zes in Deutschland besser ist als an anderen Standorten,besser auch als zum Beispiel in Mexiko. Und das ist dochein Land, von dem Sie immer sagen, wie toll das dort ist.Ähnliches gilt übrigens auch für Opel – nur damit wir wis-sen, wovon wir reden.
Wir sind also auf dem richtigen Weg mit einer in sichaufeinander abgestimmten Politik. Wir alle wissen, dassnicht alle Einzelheiten genau aufeinander abgestimmtsein können. Ich warne aber davor, immer nur Kästchen-denken zu betreiben. Wir sollten die Linie verfolgen, dieich vorhin verdeutlicht habe.Ich möchte nun zu zwei Problemen kommen, die unserWachstum beeinträchtigen können.Erster Punkt. Benzin- bzw. Dieselpreis. Allen, die sa-gen, man müsse nur die Ökosteuer aussetzen oder sen-ken, dann würde der Preis sinken, empfehle ich, sich dasSchaubild aus dem „Spiegel“ dieser Woche dazu anzuse-hen. Ich greife beispielhaft nur zwei Länder heraus: In Lu-xemburg betragen die Steuern auf Dieselkraftstoff0,68 DM pro Liter, in Deutschland 0,96 DM. In Luxem-burg verbleiben den Anbietern – das ist der Nettopreis,also der Preis ohne Steuern – 0,75 DM pro Liter, inDeutschland 0,65 DM. Würde man bei uns die Ökosteuerum 10 Pfennig senken, ginge sicher der Anteil der Anbie-ter, also der Ölkonzerne, auf 0,75 DM hoch. Genau daswürde eintreten. Machen Sie sich doch nichts vor!
Zweitens. Wir erleben in der Ölbranche eine Konzen-tration sondergleichen. Denken Sie nur an die letzten Zu-
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sammenschlüsse, zum Beispiel von Shell, BP, Arco undanderen. Dies sind zum großen Teil die Ölförderer und-exporteure. Es geht ja nicht nur um die OPEC; wir be-kommen relativ wenig von der OPEC. Und fragen Siesich einmal, warum die Charterraten für Tanker so merk-würdig gestiegen sind. Es ist doch kein Geheimnis: EineReihe von Tankern wird als Lagerstätten für gefördertesÖl, das aus Spekulationsgründen nicht an den Markt ge-bracht wird, genutzt.Das alles wollen Sie schützen? Sie behaupten, damüsse jetzt etwas gemacht werden. Aber was Sie wollen,ist doch etwas ganz anders. Sie nutzen die Ökosteuer we-gen des verständlichen Ärgers der Bevölkerung. Auch ichärgere mich, wenn ich tanke. Völlig klar! Aber ich kannes mir als Bundestagsabgeordneter noch eher leisten alsein Facharbeiter bei Opel oder erst recht als ein Rentner.
Ich fahre allerdings auch langsamer. Dabei kann maneine Menge sparen. Ich fahre nicht mehr 160, sondern130 Stundenkilometer. So spare ich mindestens 1,5 Liter.Aber das war nur eine kleine Randbemerkung.Was Sie mit Ihrer Kampagne wollen, ist etwas anderes.Aber Sie müssen die Risiken bedenken: Erstens müssenSie darauf achten, dass es nicht so wird wie in Großbri-tannien. Dann ist nämlich das Image dieser Bundesrepu-blik auch wirtschaftspolitisch wieder kaputt. Insofernwarne ich, was solche Reden angeht, vor Neugier.
– Ich habe nicht dich gemeint. Es gibt aber solche Äuße-rungen, lieber Gunnar.
– Gunnar, muss ich dir denn die Zitate geben? Das brau-chen wir beide doch nicht.
– Mein lieber Herr Kollege, jetzt will ich einmal deutlichwerden. Ich fand es unverschämt, als gestern jemand indiesem Zusammenhang auf die Kohledemonstration inBonn verwiesen hat. Damals gab es eine gesetzlicheGrundlage, übrigens von ihrem Kollegen Rexrodt mitunterschrieben, und trotzdem sollte die Fördermenge ge-kippt werden. Dagegen hat man demonstriert. Das mit derjetzigen Situation zu vergleichen finde ich unverant-wortlich.
Wenn Sie diese Kampagne weitermachen, gehen Siealso ein gewisses Risiko ein, was ich eben benannt habe.Aber wir müssen zweitens auch darüber reden, was es annotwendigen Änderungen gibt. Dazu zähle ich zum einendie soziale Absicherung. Dazu habe ich schon einigePunkte genannt. Über die Absicherung der Allerärmsten,die Bezieher von Sozialhilfe, kann man reden. Das wer-den wir berücksichtigen.Zum anderen: Es gibt doch mit dem Speditionsge-werbeGespräche darüber, dass – was auch durch Ihre Po-litik mit verursacht wurde – die Wettbewerbsbedingun-gen, die in dieser Branche nicht normal sind – graueCabotage, extreme Ausnutzung von ausländischen Fah-rern für 20 Dollar und weniger am Tag –, verbessert wer-den müssen. Dazu sind wir bereit, das müssen wir ange-hen.
Sie dürfen das jetzt nicht kaputt machen, indem Siegleichzeitig entweder eine Erhöhung der Rentenversiche-rungsbeiträge – das wäre für unsere Konjunktur hervorra-gend – oder die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung for-dern, was alles andere als erfreulich ist. Wollen Sie das?Das ist doch der Hebel, den Sie strategisch benutzen. Siewissen genau: Das ist das eigentliche Ziel; alles anderesind doch Krokodilstränen.
Auch wenn meine Redezeit fast abgelaufen ist, möchteich noch ein Wort zum Euro sagen. Wer glaubt, dass derEuro nur von der deutschen Bundesregierung abhängt, dertäuscht sich.
Der Kollege Waigel ist im Grunde ein sehr seriöser Mann,auch wenn er manchmal ganz schön polemisieren kann.Er hat zu Recht in der „FAZ“ etwas zu der Entwicklungder Wechselkurse gesagt und darauf hingewiesen, dasswir zeitweise eine konkurrenzlos hohe Dollar/D-Mark-Relation hatten. Dies war einmal Anfang der 80er-Jahre– in den 70er-Jahren gab es einen sehr niedrigen Dollar-kurs – und dann noch mal Ende der 80er-Jahre der Fall.Dazu kann man doch nur sagen: Wie kann man dann den-ken, das liefe alles über die Politik?Der eigentliche Grund für die Euro-Schwäche ist docherstens, dass das Wachstum in den USA besser läuft. Wirsind gerade dabei aufzuholen. Wir haben übrigens die be-gründete Vermutung, dass die Statistik das Wachstum beiuns unterschätzt. Das hat jetzt gerade auch deutlichEurostat gemerkt. Ein zweiter Grund sind die Kapitalbe-wegungen. Hierbei muss man natürlich sehen, dass insbe-sondere nach Asien viel Geld zurückfließt, weil dort, ins-besondere in Japan, Liquiditätsknappheit herrschtaufgrund der Tatsache, dass dort die Banken kaum Kre-dite mehr vergeben.Der dritte Grund ist – damit komme ich darauf zurück,was ich vorhin angedeutet habe – das lose Reden. DasTheater, was wir hier veranstalten, aber auch das, wasüber die Entwicklung der Europäischen Union gesagtwird, stimmt natürlich einen mittelfristigen Anleger, dersich fragt, mit wem er kontrahiert, nachdenklich: nicht nurmit der EZB, sondern auch mit der Politik. Deswegen plä-
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diere ich sehr dafür, dass man gerade in der Europapoli-tik – ich war Europapolitiker und bin es nach wie vor –,nicht einer Renationalisierung à la Stoiber das Wort redet,sondern, wenn man Zukunftsvisionen beschreibt, sehr de-tailliert sagt, wie man von dem Hier und Heute ohne Auf-gabe dessen, was man erreicht hat, zu einem neuen Stand-punkt kommt, den wir, glaube ich, alle wollen. Dennsoweit ich weiß, könnten auch Sie sich, Herr Brüderle,eine andere EU vorstellen.
Dieses ist für mich ganz wichtig. Wenn wir das ge-meinsam machen, dann haben wir eine Chance, um wei-terzukommen mit der Politik und den Ergebnissen, die wirhaben. Wir können uns über die Einzelheiten der Politiktrefflich streiten, wie wir es bei der Steuerreform gern ge-macht hätten, wenn die CDU/CSU, Kollege Uldall, in derLage und bereit gewesen wäre, in echte Verhandlungeneinzutreten. Die Papiere Bayerns dazu zum Beispiel sindja in München liegen geblieben.Dass du, lieber Gunnar Uldall, entsetzt und etwas trau-rig bist, ist klar. Nur, deine Steuerreform ist ja auch ge-scheitert. Insofern konntest du mit der Vereinfachungauch nicht weiterkommen. Deswegen verstehe ich dieFrustration.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Brähmig.
Herr Präsident! Sehrgeehrte Damen und Herren! Im Bundeshaushalt 2001 gibtes zwei Etatpläne, die gegenüber dem Vorjahr brutal zu-sammengekürzt wurden: der Einzelplan Verkehr um9,8 Prozent und der Einzelplan Wirtschaft, über den wirheute debattieren, um 7 Prozent. Mit einer Investitions-quote von 11,4 Prozent des Bundeshaushaltes wird derAnteil für Straßenbau, Wirtschaftsförderung und Investi-tionen das niedrigste Niveau seit 1982 erreichen – eintrauriger Rekord, den die rot-grüne Bundesregierung hält.Diese drastischen Kürzungen treffen in besondererWeise die mitteldeutschen Bundesländer. Dort bestehtnachwie vor – trotz dermassiven Investitionen seit 1990 –immer noch ein großer Nachholbedarf, um überhaupt erstdie richtigen Rahmenbedingungen für eine sich selbst tra-gende, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu schaffen.An diesen Fakten zeigt sich erneut, dass Anspruch undWirklichkeit im politischen Handeln der rot-grünen Bun-desregierung noch weiter voneinander entfernt sind alsder Mond von der Erde.
Wenn der Haushaltsentwurf 2001 die Lehre aus der„Entdeckungsreise“ des Bundeskanzlers in „seinen per-sönlichen Fernen Osten“ ist, dann kann man nur hoffenund wünschen, dass er sich mit dem nächsten intensivenBesuch wieder zehn Jahre Zeit lässt.Seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung wer-den die Unterschiede zwischen Ost und West wiedergrößer. Von der bundesweiten Arbeitsmarktentwicklunghat sich der Osten fast völlig abgekoppelt. Die ungleicheEntwicklung führt auch zu einem deutlichen Anstieg derAbwanderung von Fachkräften von Ost nach West. Wiewollen Sie den Menschen im Osten erklären, dass trotzdieser negativen wirtschaftlichen Kennzahlen die Mittelfür den Aufbau Ost im nächsten Jahr um knapp 3 Milliar-den DM gekürzt werden sollen? Ich hätte mir gewünscht,dass der Ostminister, Herr Schwanitz, heute hier wäre.Einige besondere Misstöne in diesem Streichorchesterstellen die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschafts-förderung“ mit minus 299 Millionen DM, der Straßenbauin den östlichen Bundesländern mit minus 207 Milli-onen DM und der Bereich Forschung und Entwicklungin Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit minus 30 Millio-nen DM dar.Gestatten Sie mir eine genauere Betrachtung der Aus-gaben für Forschung und Entwicklung in den ostdeut-schen Bundesländern. Unter der CDU/CSU-geführtenBundesregierung standen 1998 in diesem Bereich nochmehr als 300 Millionen DM zur Verfügung. Das Bundes-ministerium für Wirtschaft und Technologie meldete fürden Haushalt 2001 einen Bedarf von 255 Millionen DMan. Im Haushaltsentwurf wurden jedoch nur 225 Milli-onen DM eingestellt. Die rot-grüne Bundesregierung hatmit diesen Entscheidungen die Mittel für Forschung undEntwicklung in den neuen Ländern nicht nur innerhalbvon drei Jahren um ein Drittel reduziert, sondern die mit-telfristige Finanzplanung sieht sogar vor, diesen Titel bis2003 auf 50 Millionen DM zurückzuführen.
Mit dieser Maßnahme können keine neuen Anträge aufIndustrieforschung gestellt werden und die externe Indus-trieforschung bzw. Ansiedlung von Forschung und Ent-wicklung in ostdeutschen kleinen und mittelständischenUnternehmen wird massiv behindert. Hier zeigt sich er-neut, wie wenig das Kanzlerwort von Gerhard Schröderwert ist. Wurde den ostdeutschen Ländern beim Amts-antritt nicht eine „Zukunftsmilliarde“ versprochen? –Zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch hier ein him-melweiter Unterschied!Mit diesem Streichpaket trifft die Bundesregierung inbesonderer Weise strukturschwache Regionen. Ist das IhrBeitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit zwischenErzgebirge und Rügen, die mittlerweile knapp das Zwei-einhalbfache der westdeutschen Quote beträgt? Wie siehtes im Haushaltsentwurf im Bereich der Förderung desTourismus aus, der in der sich verändernden Wirtschafts-landschaft des Ostens eine besondere Rolle spielt undgerade dort einer der wichtigsten Hoffnungsträger bei derBekämpfung der Arbeitslosigkeit ist? Herr MinisterMüller, leider haben Sie in Ihrer Rede kein einziges Wortzu diesem wichtigen Wirtschaftsfaktor gesagt.Meine Damen und Herren, im Haushaltsentwurf kannman nicht erkennen, dass die Bundesregierung einebesondere Kraftanstrengung unternehmen will, um die
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2,8 Millionen Arbeitsplätze und 80 000 Lehrstellen inganz Deutschland zu sichern bzw. zusätzliche Arbeits-platzpotenziale im Tourismus zu aktivieren. Im Gegenteil,die Gesamtmittel für die beiden Titel zur Förderung desFremdenverkehrs werden sogar noch um eine knappeMillion gekürzt. Eine Expertenkommission der Europä-ischen Union hat bis 2010 innerhalb der EU ein Potenzialfür neue Arbeitsplätze im Tourismus in Höhe von 3,3 Mil-lionen Arbeitsplätzen festgestellt.Wir brauchen mehr internationale, kaufkräftige Besu-cher, und das besonders im Osten der Republik, der auchhier erheblichen Nachholebedarf hat: Während im Westenunseres Vaterlandes der Anteil ausländischer Gäste beiden Übernachtungen bei 12,9 Prozent liegt, beträgt dieserWert im Osten mit 5,6 Prozent nicht einmal die Hälfte.Welchen Sinn macht denn die maßgeblich aus Bundes-mitteln finanzierte Auslandswerbeorganisation DZTmit Vertretungen zum Beispiel in Stockholm, Wien, Oslo,Zürich, Toronto und New York, wenn die Marketingbud-gets nicht ausreichen, um eine nachhaltige Marktdurch-dringung für das Urlaubs- und Reiseland Deutschland zuerreichen?
Meine Damen und Herren, bei meinen Gesprächen mitAuslandsvertretungen der DZT wurde deutlich, dass dasBudget teilweise noch nicht einmal ausreicht, um alleProspektanfragen zu beantworten, geschweige denn, umsubstanzielle Marketingkampagnen durchzuführen.Auch die EXPO konnte in wichtigen Quellmärkten lei-der nicht adäquat vermarktet werden. Es sieht so aus, alssei auch diese Chance von der Bundesregierung und denKoalitionsfraktionen einfach verschlafen worden. Dabeihat die Bundesregierung die große Bedeutung von Wer-bung und Marketing offensichtlich erkannt, aber leidernur für sich selbst. Sonst hätten Sie ja nicht die Titel fürWerbung und Öffentlichkeitsarbeit in allen Bundesminis-terien seit 1999 drastisch erhöht. Mit ganzseitigen Anzei-gen werden in „Stern“, „Spiegel“, „Focus“ und „Gala“ so-wie in Tageszeitungen die „Wohltaten“ der rot-grünenBundesregierung gelobhudelt. Sinnvoller als diese Ver-wendung der Steuergelder wäre die verstärkte Vermark-tung unseres Landes als Tourismusstandort, von derDeutschland auch als Wirtschafts-, Wissenschafts-, Kul-tur- und Verkehrsstandort nachhaltig profitieren könnte.Meinen Vorschlag, das Jahr 2001 zum „Jahr des Tou-rismus“ in Deutschland auszurufen, haben Sie, HerrMinister Müller und Herr Staatssekretär Mosdorf, dan-kenswerterweise aufgenommen und sich zu Eigen ge-macht. Da ich Sie bisher als redliche Verhandlungspartnerkennen gelernt habe, gehe ich davon aus, dass Sie dasUrheberrecht für diese Idee nicht für sich in Anspruchnehmen.
Dieses Projekt könnte für den TourismusstandortDeutschland eine große Chance sein, darf aber nicht halb-herzig gestartet werden. Nicht Kleckern, sondern Klotzenmuss dann die Devise heißen. Herr Müller, Herr Mosdorf,nicht nur Worte, sondern Taten sind gefragt. UnterstützenSie unsere Forderung nach einer kräftigen Erhöhung derTourismusmittel im Haushalt!Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, lassen Sie mich abschließend noch einen preis-werten Marketingtipp in die Debatte einbringen: Auf ei-ner Informationsreise der Arbeitsgruppe Tourismus unse-rer Fraktion nach Österreich konnten wir bei allenGesprächspartnern, vom Bundeskanzler Dr. Schüssel bishin zu Bürgermeistern von kleinen Gemeinden, die tiefeVerbitterung der Menschen und politisch Verantwortli-chen in unserem Nachbarland spüren, die das unsäglicheVerhalten der rot-grünen Bundesregierung im Zusam-menhang mit den EU-Sanktionen hervorgerufen hat. Gottsei Dank hat die deutsche Bevölkerung der RegierungSchröder in doppelter Weise die rote Karte gezeigt:
Über 80 Prozent unserer Bevölkerung lehnt nach Umfra-gen die Sanktionen gegen Österreich ab und auch bei derWahl des Urlaubsziels ließen sich die Menschen nicht vonder Schröder-Regierung beeinflussen.Als Wiedergutmachung fordere ich BundeskanzlerSchröder auf, sich bei seinem Amtskollegen Dr.WolfgangSchüssel und dem gesamten österreichischen Volk zu ent-schuldigen.
Adäquat wäre eine Einladung der österreichischen Bun-desregierung auf die EXPO in Hannover, um dort wiederauf den Weg der Kooperation und nachbarschaftlichenZusammenarbeit zurückzukehren.
Dies wäre auch eine symbolische Wiedergutmachung ge-genüber dem misslungenen EXPO-Empfang für denösterreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil imJuni und auch eine dringend notwendige Marketingmaß-nahme für mehr österreichische Besucher auf derEXPO 2000 in Hannover.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Wir sollten im Zusammen-hang mit dieser Haushaltsdebatte und der Kritik, die hierlaut geworden ist, noch einmal auf die Tatsachen und Fak-ten zurückkommen. Wenn ich es richtig sehe, enthält die-ser Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft Schwer-punkte, die wir hier im Hause hoffentlich alle teilen.Allein für die Mittelstandsförderung und für die Ent-wicklung des Mittelstandes sind 885 Millionen DM vor-gesehen. Ich sage das hier, weil man anderenfalls, wennman Ihnen und Ihren Reden folgt, den Eindruck bekom-men könnte, als werde hier gar nichts mehr getan.
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Wir haben in der Gewerbeförderung für den Mittel-stand über 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Dasbedeutet: Beratungsförderung, Lehrlingsunterweisung undMeister-BAföG. Wir haben im Bereich von Innovationund Forschung 540 Millionen DM allein für die Energie-forschung bereitgestellt.
Für die Förderung der Außenwirtschaft haben wir in die-sem Haushalt 177Millionen DM verankert. Das sind Zah-len, die sich sehen lassen können.
Noch eines müssten Sie uns eigentlich, wenn Sie eini-germaßen redlich sind, zugestehen: Es ist doch nicht dieWahrheit, wenn behauptet wird, bei jeder Haushaltsauf-stellung müsse ein Plus dazukommen, nur das bringeein Mehr an Effektivität. Frau Wöhrl, das ist in keinemUnternehmen so und das ist auch bei öffentlichen Haus-halten nicht so. Unser Auftrag und die Aufgabe des Bun-desministers ist doch, dass wir die Programme so kon-zentrieren und so einsetzen, dass es wenig Leerlauf gibt,dass eine gezielte Förderung mit entsprechenden Auswir-kungen auf den Markt und auf die Unternehmen stattfin-det. Das ist das Ziel und das wird mit den Zahlen diesesHaushaltes allemal erreicht.
Damit auch die folgenden Zahlen das Licht der Öf-fentlichkeit erblicken: Wir haben allein im Bereich derFörderbanken des Bundes, nämlich der Deutschen Aus-gleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, einVolumen von 42 Milliarden DM für Gründer- und Mittel-standsprogramme bereitgestellt. Auch das ist doch wohlein angemessener Beitrag zur Entwicklung des Mittel-standes in unserem Lande.
Tun Sie also nicht so, Herr Brüderle, als machten wireine Politik, die den Mittelstand nicht fördert. Seien Sieehrlich: Das Gegenteil ist der Fall. Jeder von uns hat seineeigenen Erfahrungen, hat – wir kennen das ja – mit demPräsidenten X oder Y gesprochen. Meine Erfahrung ist,dass sehr viele Vertreter der Branchen des Mittelstandesdie Politik dieser Bundesregierung ausdrücklich begrü-ßen. Das gilt übrigens auch für die Steuerreform, die wirrealisiert haben.
Herr Kollege
Staffelt, Ihr Fraktionskollege Hubertus Heil möchte eine
Frage an Sie stellen.
Ja, bitte schön, Herr Heil.
Herr Kollege Dr. Staffelt, Sie
haben das Thema Steuern angesprochen. Mich interessiert
in Bezug auf das, was Herr Uldall ausgeführt hat: Wie ver-
hält es sich mit der angeblichen Diskriminierung von Per-
sonenunternehmen, die von der Opposition immer wieder
vorgebracht wird?
– Das ist das Forum des Volkes, wenn Sie das noch nicht
mitbekommen haben, und nicht eine Privatveranstaltung
für irgendwelche Menschen mit Schnauzbart.
Schönen Dank, Herr Kol-lege Heil. Ich wollte nur sagen: Ich habe ein ähnlichesRecht wie Herr Brüderle, auch ich kann auf Fragen ant-worten und dabei noch das sagen, was ich gerne sagenmöchte. Insoweit, Herr Brüderle, sind wir wieder ganznahe beieinander.Um Ihre Frage aufzunehmen: Ich halte es einfach füreine Mär – die von Ihnen immer und immer wieder in dieÖffentlichkeit gesetzt wird –, dass Personengesellschaf-ten gegenüber Kapitalgesellschaften benachteiligt wer-den.
Die 38-prozentige Gewinnbelastung, von der wir bei Ka-pitalgesellschaften ausgehen – Körperschaftsteuer plusGewerbesteuer –, wird ja überhaupt nur von Personen-unternehmen erreicht, die einen Gewinn vor Steuern vonmehr als 240 000 DM ausweisen. Mehr als 90 Prozentaller Personenunternehmen weisen aber einen Gewinnvor Steuern von nur ungefähr 100 000 DM aus. Das, wasSie vorrechnen, mag zwar auf Einzelfälle zutreffen. Aberim Grunde genommen haben wir durch die Reform desEinkommensteuertarifs die Personengesellschaften bes-ser gestellt als die Kapitalgesellschaften. Das soll hiernoch einmal ausdrücklich gesagt werden. Genau das istein Beitrag zur Förderung des Mittelstandes.
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu dem Thema Auf-bau Ost sagen, weil mich das die ganzen Ferien übergeärgert hat. Ähnlich wie damals bei Holzmann erklärtman – je nachdem, wer gerade unterwegs ist –: Der machtdas ja nur, um eine Shownummer abzuziehen. Diese Artder Beliebigkeit Ihrer Argumentation wird Ihnen noch aufdie Füße fallen. Es ist doch wohl zunächst festzuhalten:Seit über 16 Jahren hat sich kein Bundeskanzler der Bun-desrepublik Deutschland so intensiv um die ökonomi-schen Fragen dieses Landes gekümmert wie GerhardSchröder.
– Hören Sie bloß auf! Sie praktizieren eine parteipoliti-sche Instrumentalisierung. Sie aus dem Sauerland sind soweit weg von den Realitäten Ostdeutschlands, dass Siejetzt besser ein bisschen ruhiger sein sollten.
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Ich kann Ihnen nur eines sagen: Den Menschen ist zwarviel Herz vermittelt worden, aber das hat an vielen Stellenleider nicht zu einer Verbesserung der ökonomischenLage geführt. Wenn ein Bundeskanzler durch Ostdeutsch-land reist und dabei auf die positiven Beispiele der wirt-schaftlichen Entwicklung verweist, auf Produkte auf-merksam macht, die in Ostdeutschland in hervorragenderWeise entwickelt worden sind, dann ist das ein Beitrag zurEntwicklung Ostdeutschlands, den man nur begrüßenkann. Alles andere ist doch nichts weiter als billige Agita-tion.
Lassen Sie mich schließlich noch auf Folgendes ver-weisen: Dieses Land hat durch gute Rahmenbedingungen,die diese Regierung geschaffen hat – auch im Bereich derUnternehmen des Neuen Marktes –, eine Landschaft ent-wickelt, die sich sehen lassen kann. Wenn Sie sich alleinedie Zahlen über das Venture Capital anschauen, dannwissen Sie, welches Potenzial hier zur Verfügung steht.Jeder dritte Euro, der in Beteiligungen investiert wird,fließt in junge, neue Unternehmen.
Das kommt doch nicht daher, weil sich diese Regierungweigert, diese Entwicklung zu unterstützen. Das kommtdoch vielmehr daher, dass die Investoren wissen: Ja, dieseRegierung fördert die Entwicklung der modernen Tech-nologien. Das ist unser Ziel, das wir auch konsequent ver-folgen.Wir haben nie viel davon gehalten, Old und New Eco-nomy gegeneinander auszuspielen. Das wäre ja auchBlödsinn; denn beide gehören zusammen und bedingeneinander. Deshalb müssen wir einerseits zu dem stehen,was wir im Bereich der Old Economy zugesagt haben,und andererseits das Neue dynamisch aufbauen. Das istunsere Grundphilosophie.
Ich möchte schließlich kurz und knapp auch noch aufdas Handwerk eingehen, um Missverständnissen vorzu-beugen. Wir wollen auch beim Handwerk die notwendi-gen Modernisierungsschritte mittragen, und zwar in Ab-stimmung mit dem Zentralverband des DeutschenHandwerks, und das aufnehmen, was Präsident Philippund Hauptgeschäftsführer Schleyer immer wieder gesagthaben: Auch das Handwerk ist beweglich und will dieModerne. Das werden wir im Konsens mit diesen Herrenmachen. Die Gespräche laufen bereits. Niemand musssich sorgen, dass diese Koalition etwa die Handwerksord-nung aushebelt und den großen Befähigungsnachweisabschafft. Wir wissen, was dieses Land am Handwerk hat,und zwar sowohl hinsichtlich Arbeitsplätzen als auch hin-sichtlich Ausbildungsplätzen.
Ich möchte auch erwähnen, dass die Entwicklung indiesem Land – das können Sie doch gar nicht leugnen –insgesamt mehr als erfreulich ist: 3 Prozent, möglicher-weise sogar 3,25 Prozent Wachstum und eine sich auf-grund von Neueinstellungen und Investitionen positiventwickelnde Arbeitslosenzahl.
– Frau Wöhrl, Sie machen auch solche Sprünge. Auf dereinen Seite erklären Sie im Ausschuss, dass das Rabattge-setz etwas ganz Gefährliches für den Mittelstand sei, undauf der anderen Seite bietet Ihre Firma das „knopfstarke“Wöhrl-Bonus-Programm mit vielen Extras an, neu undeinzigartig.
Sie gehen in Wahrheit mit der Moderne mit. Aber Sietrauen sich nur noch nicht, dies der Öffentlichkeit zusagen, wenn Sie den CSU-Rock anhaben.
Haben Sie mehr Mut! Tun Sie das! Dann können wir indiesem Lande auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitikbetreiben.
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich dem Kollegen Gunnar Uldall das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Durch die SPD-Kollegen wurde ichauf meinen Beitrag über die Auswirkung der Steuerreformauf die unterschiedliche Rechtsform der Betriebe ange-sprochen. Es gibt einen absolut unabhängigen und wirk-lich souveränen Beobachter der deutschen Wirtschafts-und Finanzpolitik: Das ist die Deutsche Bundesbank. Esgeht nicht darum, verschiedene Beispiele zu konstruieren.Wir sind alle lange genug im Geschäft, um das zu beherr-schen.Deswegen sage ich: Beziehen wir uns auf die Zahlender unabhängigen Deutschen Bundesbank. Sie schreibt inihrem letzten Bericht: Wenn man einen Gewinn in derHöhe von zum Beispiel 100 000 DM erzielt, der thesau-riert wird, das heißt in die Rücklage gestellt wird, und manbereits den höchsten Steuersatz erreicht hat – das ist beieiner Personengesellschaft bei 240 000 DM der Fall –,dann erfolgt bei einer KG, einer OHG, einer GbR die Be-steuerung mit 51 Prozent. Eine GmbH, eine Aktiengesell-schaft, die auch über 240 000 DM Gewinn macht undebenfalls 100 000 DM thesaurieren will, wird nur mit38 Prozent besteuert. Somit stehen den 38 000 DM51 000 DM gegenüber. Diesen Unterschied können Sienicht erklären. Ich prognostiziere, dass Sie diesen Unter-schied auf Dauer nicht vertreten können. Kein Mensch inDeutschland versteht, dass eine Besteuerung nicht nachder Höhe des Gewinns erfolgt, sondern nach der Rechts-form des Unternehmens. Solchen Unsinn werden Sie aufDauer nicht vertreten können. Deswegen garantiere ichIhnen: Sie werden dieses in den nächsten Jahren wiederzurücknehmen.
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Dr. Ditmar Staffelt11338
Nun hat der Sauer-
land-Abgeordnete Hartmut Schauerte um eine Kurzinter-
vention gebeten.
Herr Kollege
Staffelt, ohne dass ich Ihnen einen Anlass dazu gegeben
habe: Sie haben die herrliche Region des Sauerlandes in
einer negativen Weise angesprochen, –
– als sei der Standort Sauerland nicht geeignet, damit
man erkennt, was in den neuen Ländern los ist. Mögli-
cherweise haben Sie zunächst an Ihren Generalsekretär
Müntefering gedacht.
Das könnte ich noch nachvollziehen. Grundsätzlich lehne
ich ab, Herr Kollege Staffelt, dass man Regionen mit sol-
chen Bemerkungen belastet. Es gibt in jeder Region Wert-
volle und weniger Wertvolle, Kluge und Dumme. Das soll
auch für Berlin gelten.
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ich
bin mit der sauerländischen mittelständischen Wirtschaft
und Industrie sehr verbunden. Die sauerländischen Unter-
nehmen haben mit Investitionsentscheidungen und der
Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern un-
glaublich erfolgreich gewirkt und Gutes gestiftet. Ich be-
haupte, dass sie mehr Gutes bewirkt haben, als die Berli-
ner Wirtschaft zusammen in allen neuen Ländern geleistet
hat.
Zur Erwiderung der
Kollege Staffelt.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Zunächst einmal, Herr Schauerte: Sollte
ich die Sauerländer oder das Sauerland hier beleidigt
haben, nehme ich das sofort zurück. Ich habe überhaupt
keinen Anlass, das zu tun. Es gibt nur einige vorwitzige
Bewohner des Sauerlandes, die nie zuhören können. De-
nen muss man einmal sagen, dass sie die Kirche im Dorf
lassen sollen.
Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Ver-
gleiche mit dieser schönen Hauptstadt in Zukunft etwas
vorsichtiger formulieren, damit es nicht zu atmosphäri-
schen Störungen zwischen diesen beiden sehr schönen
und bedeutenden Regionen unseres Landes kommt. So
viel zu diesem Thema.
Noch ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Uldall. Ich muss
Ihnen sagen: Ich kann nicht verstehen, warum Sie eigent-
lich dann, wenn es so ist, wie Sie gesagt haben, vom Op-
tionsmodell Abstand genommen haben. Beim Options-
modell hätte nämlich jede der Personengesellschaften den
Weg wählen können – wenn es sich am Ende, errechnet
durch den Steuerberater, als vorteilhaft ergeben hätte –,
steuerlich als Kapitalgesellschaft betrachtet zu werden.
Das wollten Sie ausdrücklich nicht. Das muss man hier
einmal sagen.
Im Übrigen weise ich noch einmal darauf hin: In all
den Fällen, die wir Ihnen hier im Einzelnen dokumentie-
ren können, sprechen wir überhaupt nicht über diese
Regionen. Ich habe Ihnen schon eben gesagt: 100 000DM
sind für viele selbstständige Personengesellschaften – ich
spreche jetzt von Gewinnen vor Steuern – Beträge, die
schon zu den Spitzenergebnissen zählen. Das ist so. Dem-
entsprechend gilt das, was ich hier gesagt habe: Die Be-
steuerung nach Einkommensteuertarif ist – verglichen mit
den Kapitalgesellschaften – diejenige Variante, die für
den Mittelstand günstiger ausfällt. Ich bitte, das noch ein-
mal im Einzelnen zu prüfen.
Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wir
haben natürlich immer das Problem, dass es Einzelfälle
gibt, die nicht ins Muster passen. Dies können wir bei Ge-
legenheit – das will ich gerne tun – einmal gemeinsam be-
sprechen. Wir wollen uns dieser Frage dann gerne anneh-
men.
Ich gebe der Kollegin
Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort –
aber nicht zum Firmenprogramm.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich will nichts zur Firmenpo-litik sagen. Ich werde mich nachher mit dem KollegenStaffelt zusammensetzen und ihm etwas über die Wöhrl-Card erzählen. Ich glaube, dass er weiß, was richtig ist.Herr Staffelt, Sie haben am Anfang Ihrer Rede Haus-haltszahlen auf den Tisch gelegt. Aber Sie haben etwasnicht gemacht: Sie haben keine Vergleichszahlen aus demJahre 1998, als Sie an die Regierung gekommen sind, ge-nannt. Damals waren die Zahlen nämlich bei weitemhöher – gerade im mittelständischen Bereich –, als sie esjetzt sind. Allein derjenige Titel, der dem Handwerk zu-gute kommt, wird von 271 Millionen DM auf 238 Milli-onen DM gekürzt. Das sind mehr als 12 Prozent. Dennochstellen Sie sich hier als großer Freund des Handwerks dar.Diese Zahlen passen genau in das Bild: Mittelständlerund Handwerker sind für Ihren „Genossen der Bosse“nämlich ein ganz großer Störfaktor, weil sie diejenigensind, die sich der Umarmungsstrategie entziehen. Wer beiIhnen nicht gleich genügend Beifall spendet, der wird ein-fach abgestraft. So ist auch Ihre Politik.
Das beweist auch die Diskussion über den großen Be-fähigungsnachweis, die Sie auf den Weg gebracht haben.Allein diese Diskussion hat nämlich dazu geführt, dassviele junge Gesellen jetzt nicht mehr bereit sind, denMeisterbrief zu machen, weil sie auf eine Änderung war-ten.
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Sie wissen genau, was das bedeutet: weniger Existenz-gründungen. Ihre Taten strafen Sie doch Lügen, wenn Siehier von Förderungen des Handwerks sprechen. Sie ge-fährden unter anderem die 40 Prozent der Ausbildungs-plätze, die das Handwerk stellt. Ich möchte jetzt einen an-deren Bereich nennen. Im Güterkraftverkehrsgewerbesind jetzt allein 40 000 Unternehmen und 380 000 Ar-beitsplätze durch die hohen Dieselpreise akut bedroht.Das Problem sind nicht die Nettopreise.
Das will ich ganz ausdrücklich sagen. Diese müssen dieKonkurrenten im Ausland auch bezahlen. Das Problem istder massive Wettbewerbsnachteil aufgrund der hohenSteuerbelastung. Was geschieht im Ausland? Das Auslandkommt seinen Lkw-Unternehmen entgegen.
Diese Länder senken nämlich die Dieselsteuer oder erlas-sen sie ihnen vollständig.
Was ist bei uns? Sie drehen immer mehr an der Öko-steuer-Schraube. Das ist wie eine steuerliche Rolltreppe:immer feste nach oben, anstatt diesen Unternehmen ent-gegenzukommen.
Transportkosten sind zur Standortfrage geworden. Derzuständige Verband rechnet mit 10 000 Betriebsaufgabenund Pleiten; über 100 000 Arbeitsplätze sollen allein hiergefährdet sein. Daraus folgt aber nicht, dass der Verkehrjetzt einfach auf die Bahn verlagert wird, wie es sich javielleicht viele erhoffen. Ganz etwas anderes wird passie-ren: Die in den Ländern ringsherum subventioniertenTransportunternehmen, in Frankreich, den Niederlanden,Italien und demnächst auch noch in Belgien, werden dasGeschäft hier übernehmen. Auf diesem Wege exportierenSie die Arbeitsplätze ins Ausland.
Sie schaden nicht nur dem traditionellen Mittelstand,auch Existenzgründern aus dem Hightechbereich undUnternehmen der New Economy schaden Sie. Was habenSie denn mit denen im Rahmen der Steuerreform ge-macht? Es ist schon paradox, auf der einen Seite mehrExistenzgründungen zu fordern und sie gleichzeitig steu-erlich wesentlich höher als anonyme Unternehmen zu be-lasten. Außerdem muss nach Ihrer Steuerreform zukünf-tig jeder, der mehr als 1 Prozent Beteiligung an einerFirma hat, bei einer Veräußerung den Gewinn vollständigversteuern; vorher lag diese Grenze bei 10 Prozent. Dasheißt, Sie erschweren jungen Unternehmen so die Eigen-kapitalbeschaffung. Es muss schon ein sehr idealistischerBusiness-Angel sein, der das erhebliche Risiko einer Un-ternehmensbeteiligung eingeht, wenn er zugleich einenspäteren Veräußerungsgewinn kräftig versteuern muss.Kollege Mosdorf hat uns ja im Ausschuss erklärt, manbemühe sich, bei diesem Problem zu einer Lösung mitdem Finanzministerium zu kommen. Die Lösung siehtjetzt so aus: Das Finanzministerium hat sich voll und ganzdurchgesetzt und die Existenzgründer schauen in dieRöhre. Was ist denn mit der Besteuerung von Aktienop-tionen? Wir wissen ganz genau, dass diese Stock-Optionsunwahrscheinlich wichtige Anreize sind, um Spitzen-kräfte zu bekommen, auch nach Deutschland. Tatsacheist, dass der Fiskus bei uns viel stärker zugreift als in denmeisten anderen Wirtschaftsnationen, denn er greift schonmit dem hohen persönlichen Einkommensteuersatz zumZeitpunkt der Optionsausübung und nicht erst bei der Ver-äußerung zu. Ich fordere Sie auf, endlich Freibeträge undein Wahlrecht hinsichtlich des Besteuerungszeitpunkteseinzuführen, damit wir wenigstens diesen Standortnach-teil abbauen.
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schadendem Mittelstand nicht nur durch die Steuergesetzgebung– da können Sie, Herr Staffelt, sagen, was Sie wollen –,Sie schaden ihm auch woanders.
So werden am 1. Januar 2001 nicht nur die Abschrei-bungsbedingungen hinsichtlich der Nutzungsdauer totalverschlechtert werden, –
– hören Sie zu, Herr Staffelt, ich habe Ihnen auch anstän-dig und brav zugehört, so, wie ich erzogen worden bin –,
sondern auch die Hindernisse im Arbeitsrecht erhöht.
Ich denke zum Beispiel an die Novellierung des Betriebs-verfassungsgesetzes. Herr Riester wird hier offensichtlichvon Albträumen geplagt und sieht gewisse weiße Fleckenauf der Landkarte der betrieblichen Mitbestimmung vorsich, wie er sagt. Ich weiß nicht, warum sich der MinisterRiester eigentlich vor diesen weißen Flecken fürchtet. DieMenschen, die in den kleineren und mittleren Betriebenim Bereich dieser weißen Flecken arbeiten, sind glück-lich. Sie wollen ihre Interessen nicht kollektiv, sondern in-dividuell vertreten.
Leider steht zu befürchten, dass sich der DGB seine Zu-stimmung zur Rentenreform nicht nur mit einem Still-stand beim Ladenschluss, sondern auch mit einem Be-triebsverfassungsgesetz à la DGB abkaufen lässt.
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DagmarWöhrl11340
Das bedeutet: zukünftig auch Betriebsräte bereits in Be-trieben mit drei Mitarbeitern. Das bedeutet ferner eine Er-weiterung der Mitbestimmung durch den DGB. Allewirtschaftlichen Angelegenheiten, heißt es in diesem Pa-pier, sollen zukünftig der Mitbestimmung unterliegen,also nicht nur Umstrukturierungen bei Unternehmen, son-dern auch der Verkauf von Unternehmensteilen, dieEingliederung von Unternehmen und vieles andere mehr.Wissen Sie, was dem Unternehmer noch bleibt? Eineslasst ihr ihm: das Risiko und sonst nichts.
Das wäre eine Enteignung, wenn so etwas wirklich kom-men sollte.
Ein Betriebsinhaber, meine Damen und Herren von derKoalition, der das unternehmerische Risiko trägt, dermeist auch noch persönlich haftet und bei einer unterneh-merischen Entscheidung nicht mehr das letzte Wort habendarf – was ist denn das?
Hier wird Art. 14 des Grundgesetzes angegriffen. Versu-chen Sie einmal, eine Änderung des Art. 14 zu erreichen.Viel Spaß dabei!
Sie wissen, dass wir in Deutschland eines der schärfs-ten Mitbestimmungsgesetze weltweit haben. Wenn wir esnoch mehr verschärfen, schaden wir uns im internationa-len Wettbewerb. Das lenkt Investitionskapital nicht hier-her, wo wir es haben wollen; das wissen Sie.
Wir sind in einem Zeitalter der New Economy. Dabrauchen wir nicht mehr Restriktionen und mehr Regle-mentierungen, sondern da brauchen wir Flexibilisierung.Und was machen Sie mit dem Anspruch auf Teilzeitar-beit? Das ist doch das Allerletzte!
Sie greifen in die Vertragsfreiheit ein. Wie soll denn einUnternehmer zukünftig überhaupt noch Personalplanunggestalten? Man merkt, dass Sie in vielen Dingen so pra-xisfremd, so weit weg von der Wirtschaft sind, dass manes sich überhaupt nicht vorstellen kann.Das Weltwirtschaftsforum in Genf hat kürzlich zusam-men mit der amerikanischen Harvard-Universität eineVergleichsstudie über 59 Wirtschaftsstandorte durchge-führt. In der Rubrik „Leistungskraft der Unternehmen“haben wir sehr gut abgeschnitten.
Aber bei der Kategorie „Lohnfindung“ – hören Sie zu –steht Deutschland auf Platz 57, bei der Kategorie „Kündi-gungsschutz“ auf Platz 58 und bei der Kategorie „Ar-beitslosenversicherung“ auf dem letzten Platz. Das zeigterschreckend deutlich, wo Nachholbedarf besteht, wosich zukünftig auch die wirtschaftliche Kompetenz zeigenwird; es besteht Handlungsbedarf bei der Arbeitsmarkt-ordnung.
Und was machen Sie, außer dass Sie hier immerdazwischenrufen?
Sie stecken einfach den Kopf in den Sand. Packen Siedoch endlich einmal die Reformen an, die hier notwendigsind, damit wir zukunftsfähig werden, damit Deregulie-rung geschaffen wird, damit wir zu einer Flexibilisierungdes Arbeitsmarktes kommen. Trauen Sie sich bitte aucheinmal an das Günstigkeitsprinzip heran.
Ich glaube, betriebliche Vereinbarungen, mit denen beste-hende Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werdenkönnen, dürfen zukünftig nicht mehr von einem Tarifkar-tell verhindert werden.Herr Minister Müller, Sie haben kürzlich das Aktions-programm für den Mittelstand vorgestellt. Sie dürfen mirnicht böse sein, wenn ich sage: Für uns war es sehr ent-täuschend. Es stand nichts Neues, nichts Zukunftsweisen-des drin. Aber es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie zukünf-tig wieder solche Papiere verfassen wollen, die eigentlichnichts bringen. Es wäre viel besser, wenn Sie sich mit demMittelstand an einen Tisch setzten und mit ihm sprächenund dem dann Taten folgen ließen. Denn schon in der Bi-bel steht geschrieben: „An ihren Taten sollt ihr sie erken-nen.“Vielen Dank.
Weitere Wortmel-dungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriumsfür Wirtschaft und Technologie liegen nicht vor.Daher rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit auf. Das ist der Einzelplan 16. Ich gebe dasWort zunächst Herrn Bundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Auch dieser Haushalt ist eine solideGrundlage für eine Politik der ökologischen Modernisie-rung. Der Haushalt ist die Grundlage für eine moderneUmweltpolitik: ökologisch, nachhaltig und innovativ.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
DagmarWöhrl11341
Der Haushalt des Bundesumweltministeriums bildetbekanntlich nur einen kleinen Teil der Umweltausgabendes Gesamthaushaltes ab, ungefähr 15 Prozent. Insgesamtsind die Ausgaben des Bundes für Umweltschutz in die-sem Jahr mit rund 8 Milliarden DM zu veranschlagen.Trotz Sparens ist es uns gelungen, große Programmtiteldes BMU im Wesentlichen auf dem Vorjahresniveaufortzuschreiben: etwa die Naturschutzgroßprojekte mit40 Millionen DM oder Umweltschutzpilotprojekte imAusland.Im Wege der Umschichtung ist es uns aber auch ge-lungen, für wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzu-stellen. Das gilt insbesondere und vor allem – dies ist sehrwichtig – für den Bereich des Naturschutzes. Naturschutzist einer der Bereiche, die über keine wirtschaftlicheLobby verfügen und wo sich der wirtschaftliche Nutzenhäufig erst auf den zweiten Blick erschließt.Wir wollen im kommenden und im nächsten Jahr20 neue Stellen schaffen, um das Bundesamt für Natur-schutz stärker auszubauen. Das wird mit einer grundle-genden Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzesverbunden. Dadurch wollen wir das deutsche Natur-schutzrecht insgesamt modernisieren.Ebenfalls in diesem Zusammenhang erfreulich: Wirhaben die Projektfördermittel für die Umwelt- und dieNaturschutzverbände erhöhen können. Sie steigen jetztauf 6,3 Millionen DM. Verglichen mit den Ausgaben derVorgängerregierung haben wir es hier mit einer Steige-rung von insgesamt 37,1 Prozent zu tun. Wir stellen damitdie Arbeit der Verbände, der Anwältinnen und Anwälteder Natur, auf eine solide Grundlage.Der Klimawandel ist das größte Umweltproblem, demdie Menschheit heute gegenübersteht. In vielen Teilen derWelt – auch hier bei uns – sind extreme und ungewöhnli-che Wetterphänomene verstärkt zu beobachten. Ich setzemich gerade mit meinen Kolleginnen und Kollegen in-nerhalb der EU dafür ein, dass wir im November 2000 beider großen Klimakonferenz in Den Haag tatsächlich dieGrundlagen schaffen, damit das Protokoll von Kioto end-lich ratifiziert werden und in Kraft treten kann. Das setztallerdings glaubwürdige Regeln bei der Ausgestaltungdieses Protokolls voraus. Es setzt auch voraus, dass ins-besondere die Industriestaaten ihren eingegangenen Ver-pflichtungen nachkommen.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland – übri-gens: mit dem Ausstieg aus der Atomenergie – nebenGroßbritannien als einziges Industrieland tatsächlichmessbare Reduktionsleistungen zu verzeichnen. Gemes-sen an der EU-Verhandlungsposition, die besagt, dass dieHälfte der Reduktionen auf nationaler Ebene erbrachtwerden muss, hätten wir unser Ziel heute schon erreicht.Doch wir wollen mehr. Wir haben deswegen am26. Juli mit dem Zwischenbericht zum Klimaschutzpro-gramm erstmals sektorale Minderungsziele festgelegt,weil wir uns damit auf die besonders problematischen Be-reiche konzentrieren können, bei denen CO2 entsteht,nämlich Verkehr und private Haushalte. Grundlage un-serer Politik wird deshalb ein Konzept zur Verringerungdes Energiebedarfs von Neubauten sein. Hier soll durchdie Energiesparverordnung eine Reduktion des Energie-einsatzes um 30 Prozent erfolgen. Wir wollen eine CO2-Minderung im Gebäudebestand erreichen; insbesonderegilt dieses auch für den Altbaubereich. Wir werden alsoeinen Teil der Zinserlöse aus der Versteigerung derUMTS-Lizenzen in einem angemessenen Umfang zurGegen-finanzierung eines Altbau-Sanierungsprogrammseinsetzen. Das schafft übrigens Arbeitsplätze in einersechsstelligen Größenordnung.
Gegen den Widerstand der Union wollen wir unserenKurs der Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energienund der Kraft-Wärme-Kopplung konsequent fortsetzen.Wir haben in diesem Jahr 200 Millionen DM – übrigensdurch Einnahmen aus der Ökosteuer finanziert – für einMarktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-gien eingesetzt. Das gilt auch für die folgenden Jahre. Al-lein mit diesen Maßnahmen, die darauf abzielen, kleineWasserkraftwerke, einzelne Windanlagen, Anlagen zurNutzung von Biomasse und Geothermieanlagen zurMarktreife zu führen, rechnen wir bei einem durch-schnittlichen Förderanteil von 20 Prozent mit 12 000 bis15 000 neuen Arbeitsplätzen.Hinzu kommt das 100 000-Dächer-Programm für So-larstromanlagen mit einem Fördervolumen von ungefähr280 Millionen DM. Zusammen mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz haben wir bei Photovoltaikanlagen ei-nen Boom ausgelöst. Die Industrie kommt zurzeit mit derProduktion kaum nach. Die Kurse der Aktien der führen-den Photovoltaikunternehmen haben sich seit Jahresan-fang mehr als verdoppelt.Das meine ich, wenn ich sage: Umweltpolitik ist mo-dern und innovativ, schafft Arbeitsplätze und bedeutet denEinstieg in eine neue Ökonomie.
Meine Damen und Herren, die Erfolge der Bundesre-publik beim Klimaschutz waren möglich, weil wir in un-serer Klimaschutzpolitik auf ein ganzes Bündel von Maß-nahmen gesetzt haben. Ich betone: In diesem Bündel vonMaßnahmen war die ökologische Steuerreform ein zen-trales Element.
Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dassSteuern ein wichtiges Instrument sind, um die richti-gen Signale für die Nutzung knapper Umweltgüterzu setzen ... Die knappen Güter Umwelt und Res-sourcen werden während ihrer Nutzung nicht ausrei-chend bewertet. Die Folge: Es entstehen sozialeKosten. Diese können durch eine Steuer ausgegli-chen werden ... Damit stellen ökologisch orientierte
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Bundesminister Jürgen Trittin11342
Steuern wichtige Instrumente für die Trendwende zueiner nachhaltigen Entwicklung dar.
Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1997. Zwei Jahrezuvor hat die gleiche Autorin unterstrichen, die Ein-führung einer CO2-Energiesteuer sei „ein notwendigesElement der nationalen Klimaschutzpolitik“. 1998 nanntedie gleiche Autorin den von der Partei Bündnis 90/DieGrünen in Magdeburg gefassten Beschluss bezüglich desBenzinpreises eine „gute Grundidee“. Es handelt sich,wie einige von Ihnen gemerkt haben, um Angela Merkel.Frau Merkel, ich finde es peinlich und beschämend,dass Sie sich nun hinstellen und die Umsetzung Ihrer Vor-stellungen mit einer dümmlichen Kampagne bekämpfen.
Sie können sich nicht einmal darauf berufen, dass Sie im-mer von einer Ökosteuer im europäischen Kontext ge-sprochen haben.Denn es ist und bleibt wahr: Deutschland liegt bei denMineralölsteuersätzen und bei den Benzinpreisen im eu-ropäischen Vergleich in der unteren Mitte. Die von Ihnen,Frau Merkel, 1997 angemahnte „nüchterne Auseinander-setzung um Steuern und Abgaben als umweltpolitische In-strumente“ – Originalton Angela Merkel – müsste es Ih-nen verbieten, mit der Lüge über das Land zu ziehen,Autofahren sei noch nie so teuer gewesen wie heute.
Nehmen Sie zur Kenntnis: Im gleichen Zeitraum, indem sich die Haushaltseinkommen verachtfacht haben, indem sich der Brotpreis verfünffacht hat und eine Busfahr-karte elfmal so teuer geworden ist, wurde das Benzin le-diglich zweieinhalbmal so teuer.
Gemessen an der Preisentwicklung und der Einkom-mensentwicklung war Autofahren in Deutschland nochnie so billig wie heute.
Ihre Kampagne gegen die Ökosteuer ist verlogen undverhetzend, weil sie den Menschen weismacht, dass alldas, was die jetzige Regierung im Hinblick auf die Entlas-tung von Geringverdienenden und Familien mit Kinderndurch eine Steuerreform und durch die Anhebung desKindergeldes geleistet hat,
nicht stattgefunden habe und dass nun der nackte Not-stand drohe, weil sich die Benzinpreise nach oben ent-wickelt haben.
Dies sei zur Vollständigkeit noch hinzugefügt: Wer dieÖkosteuer abschaffen oder aussetzen will, der muss denBürgerinnen und Bürgern sagen, was das für die Renten-beiträge bedeutet.
Wo sollen 2001 22,4 Milliarden DM, 2002 27,2 Milliar-den DM und 2003 32,4 Milliarden DM Bundeszuschüsseherkommen? Wollen Sie die Rentenbeiträge erneut er-höhen? Das wäre in der Tat ein Anschlag auf die Be-schäftigung in Deutschland.
Das ist der Grund dafür, warum alle seriösen Wirt-schaftsinstitute dieser Republik, vom Ifo bis zum DIW,eine Aussetzung der Ökosteuer ablehnen.Meine Damen und Herren, eine Frage sei mir noch er-laubt: Sind Sie sich sicher, dass ein Aussetzen der Öko-steuer Auswirkungen auf den Preis haben wird? Die Er-fahrungen mit dem Heizöl belegen das Gegenteil. Obwohles von den Erhöhungen der Ökosteuer ausgenommen ist,steigt der Preis des Heizöls.Nein, meine Damen und Herren, die Ökosteuer ist gutfür Umwelt und Beschäftigung. Es ist und bleibt klüger,Kilowattstunden zu rationalisieren als Arbeitsplätze.
Die Ökosteuer macht das Dreiliterauto lohnend. Sie bringtdas Wasserstoffauto näher und sie ist der Weg, um schnel-ler von Ölkartellen und knapper werdenden Ressourcenunabhängig zu werden.
Deswegen ist die Ökosteuer die nachhaltige Antwort aufdie Herausforderungen der Zukunft.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Klaus Lippold.
HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! HerrBundesumweltminister, Sie werden nicht müde, bei jedersich bietenden Gelegenheit darauf hinzuweisen – Sie ha-ben das auch gerade wieder getan –, dass die Klimaver-änderungen die zentralen Probleme sind, vor denen wirstehen. Auch der Kollege Rezzo Schlauch hat das Pro-blem gestern gestreift. Darauf komme ich gleich nochzurück.Ich erinnere daran, was Sie am 6. Mai 1999 gesagt ha-ben: Tatenlosigkeit, gerade beim Klimaschutz, ist einLuxus, den wir uns nicht mehr leisten können. – Bundes-kanzler Schröder hat den Delegierten der Weltklimakon-ferenz zugesagt – ich habe es mir notiert, als wir in Bonn
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Bundesminister Jürgen Trittin11343
waren –, bis Mitte 2000 eine umfassende nationale Stra-tegie mit Handlungselementen, nicht nur mit Zielvor-gaben, die noch nicht abgestimmt sind, vorzulegen.Was machen Sie? Sie machen nichts als Ankündigun-gen, Herr Trittin.
Diese umfassende Strategie liegt bis heute nicht vor. Die-ses Handlungskonzept liegt nicht vor. Sie brauchen sichgar nicht so selbstzufrieden zurücksetzen.
Arroganz, Herr Minister, wie schon neulich bei IhremAuftritt in einer Fernsehsendung, zahlt sich nicht aus. Siekönnen das versuchen, aber Sie werden damit nicht wei-terkommen.Das alles führt nicht an dem Fakt vorbei, dass Sie nurangekündigt und nichts getan haben. Ich darf dazu denSachverständigenrat heranziehen, der gesagt hat, dass dieBundesrepublik Deutschland in den früheren Jahren Vor-reiter im Klimaschutz war und jetzt zurückgefallen ist.Das sind Sie, Herr Trittin. Sie sind kein Vorreiter, wir sindim internationalen Vergleich zurückgefallen, weil Sie dieAkzente Ihrer Politik falsch setzen, weil Sie ankündigenund nicht handeln. Das einzige, was Sie an Nachhaltig-keitsstrategien übernommen haben, sind Punkte, die wirbereits auf den Weg gebracht haben. Diese führen Sie jetztfort, allerdings ohne jedes neue innovative Konzept.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Frak-tion greift nicht nur auf Bewährtes zurück. Wir gehen inder Klimaschutzpolitik weiter und wir haben die Akzenteanders gesetzt. Wir setzen darauf, dass wir in Zukunftnicht nur mit dem Ordnungsrecht und mit Belastungen ar-beiten. Unser Konzept zielt wesentlich stärker auf An-reize, auf Selbstverpflichtung, auf Fördermaßnahmen undauf marktwirtschaftliche Lenkungsmechanismen, diekeine Belastung darstellen. Das ist der Schwerpunkt des-sen, was wir im Fraktionsvorstand mit einem Eck-punktepapier zur Energiepolitik vorgelegt haben.Ich durfte heute vom Herrn Wirtschaftsminister erfah-ren, dass auch das Energiekonzept, das er vorlegen wollte,verschoben wird. Das heißt, in dieser Regierung wird nurverschoben. Es wird angekündigt, es solle etwas kommen,und wenn der Zeitpunkt da ist, wird gesagt: Wir kündigenan, jetzt geschieht endlich wirklich etwas. – Bei Ihnen ge-schieht gar nichts, außer dass Sie untätig auf der Regie-rungsbank sitzen! Genau das ist der Punkt.
Sie versuchen immer wieder, die Ökosteuer als In-strument näher zu bringen. Herr Loske hat in verschiede-nen Papieren zum Ausdruck gebracht, dass der Len-kungseffekt nicht da ist. Die Gutachten Ihres eigenenHauses belegen, dass die Ökosteuer nicht lenkt, dass siekeine Klimaschutzsteuer ist, sondern dass sie lediglich dieMenschen belastet. Ich sage das so deutlich, weil Sieschon ganz andere Konzepte überlegen. Ich weiß nicht, obSie jetzt schon aufgrund von Verhandlungen, nämlichEnergieaudit, davon Abstand genommen haben, um einwirklich effizientes Instrument zu bekommen. Aber diesist wieder ein anderes Thema. Sie haben erkannt, dass Siefalsch liegen, und weil Sie falsch liegen, rudern Sie herumund versuchen abzulenken.Sie können nicht zwischen Ihrer Ökosteuer und einereuropäisch orientierten Klimaschutzsteuer differenzieren.Der Bundeskanzler hat das partiell begriffen. Er sieht we-nigstens, dass man Dinge nicht nur national, sondern aucheuropäisch angehen soll, und ist insofern klüger als Sie.
Er hat damals bei der Einführung der Ökosteuer gesagt:die erste Stufe national und alles andere nur europäisch.Aber bei diesem Bundeskanzler ist es so, dass das, was ergestern gesagt hat, heute nicht mehr gilt. Dies war einerder vielen Wortbrüche, die wir bei ihm erleben mussten.Dadurch wird diese Politik nicht besser und auch nichtglaubwürdiger.
Auch der Kollege Rezzo Schlauch – gerade war ernoch da –
– kennt den Unterschied nicht, aber ich bin gern bereit,Herr Kollege, mich mit Ihnen einmal intensiv zu unter-halten, damit Sie den Unterschied zwischen europäischerKlimaschutzsteuer und Ökosteuer, wie Sie sie praktizie-ren, begreifen.
Wenn Sie dann ganz einfach unser Eckpunktepapierfalsch zitieren, Herr Schlauch, und sagen, dass wir selbsteine Lkw-Maut fordern und das, was wir machen, seiHeuchelei, sage ich Ihnen: Der Unterschied ist, dass SieStraßennutzungsgebühren fordern und wir zwar einähnliches Konzept haben, es aber – jetzt hören Sie zu,Herr Schlauch –, belastungsneutral ist, –
– und wir das benötigte Geld an anderer Stelle wiederzurückgeben. In Ihrem Konzept steht das nicht. Ihr Fi-nanzminister hat die Einnahmen schon wieder ganz an-ders eingeplant. Es stellt nur eine zusätzliche Belastungdes Verkehrsgewerbes dar. Es ist keine Entlastung, wiedas bei uns der Fall wäre. Das ist der Unterschied, HerrSchlauch. Aber das kommt davon, dass sich andere Frak-tionsvorsitzende in die Materie hineinknien, Sie sich aberetwas auftragen lassen, es ablehnen und nicht begriffenhaben. Dies müssen wir noch einmal aufarbeiten, denn sogeht es wirklich nicht.
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Dr. Klaus W. Lippold
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In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen noch etwas:Sie haben seinerzeit, als Ihre Fraktion einen Schwächean-fall hatte, eine Kampagne gemacht, mit der Sie nachwei-sen wollten, dass Sie gar nicht so sehr gegen das Auto undfür Automobilität sind. Von dieser Automobilität, HerrSchlauch, ist nichts außer den frommen Sprüchen, die Siedamals so pressewirksam formuliert haben, übrig geblie-ben. Mit Ihrer Politik der Verteuerung von Benzin lassenSie die Reichen Auto fahren und die armen Schlucker sol-len von der Straße weggehen.
Dazu sagt dann Herr Trittin arrogant, man könne jaausweichen. Herr Trittin, fahren Sie doch einmal ohneDienstwagen aufs flache Land und erkundigen Sie sich,wie die Menschen ihre Arbeitsplätze erreichen. Dies ha-ben Sie nie begriffen und das werden Sie auch nicht be-greifen. Aber Ihre Arroganz, mit der Sie dies einfachenMenschen vorhalten, teilen wir in der Union nicht.
Herr Kollege
Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Metzger?
Nein, ich will erst diesen Gedanken zu Ende führen.Es kulminiert ja: Auf dem Höhepunkt der seinerzeiti-gen 5-DM-pro-Liter-Kampagne haben Sie auch noch ge-sagt: Alle drei Jahre einmal Urlaub auf Mallorca langt.
Dies ist schon eine Zumutung für die Bürger. Diese arro-ganten Hansel, die jedes Jahr in Urlaub fahren, wollendem Bürger vorschreiben, nur einmal in drei Jahren in Ur-laub zu fahren.
Jetzt sagt Ihr Kollege aus Schleswig-Holstein: Dannverzichten Sie doch einmal auf Urlaub.
Die Menschen in diesem Lande arbeiten hart und habenUrlaub verdient. Sie haben es nicht verdient, dass eine sonachlässige Fraktion mit so wenig Überlegung ihnen dasabspricht. Hier zeigt sich eine durch Macht entstandeneArroganz, die eine Partei, die so jung wie die Ihre ist, ein-fach nicht haben dürfte.
Ich weiß, das tut weh, Herr Schlauch.
Das können wir Ihnen aber nicht ersparen.Sie und auch der Bundeskanzler, der mittlerweile ner-vös wird, sagen, wir würden eine harte Kampagne fahren,das sei unangemessen und Anstachelung zum Aufruhr.Wer hat denn seinerzeit die Bergarbeiter aufgewiegelt, alses in Bonn um die Subventionen ging?
Wer hat denn damals davon gesprochen, dass das allesrichtig sei, und hat Öl ins Feuer gegossen? Nein, es kannnicht sein, dass Sie sich eine Bevölkerungsgruppe aussu-chen und nur deren Anliegen als berechtigt ansehen, unddann, wenn es um das Verkehrsgewerbe, um die Bauernoder die Taxifahrer geht, sagen: Das ist uns Wurscht undschnuppe.
Bei den Kumpeln haben Sie damals Öl ins Feuer ge-gossen. Wenn Sie jetzt die Argumente existenzbedrohterMenschen nicht ernst nehmen, müssen Sie sich entgegen-halten lassen: Uns ist es nicht egal, ob ein Taxifahrer miteinem 12-Stunden-Einsatz am Tag hinterher nur nochknappe 100 DM in der Tasche hat. Das mögen Sie für einTrinkgeld halten. Aber diese Menschen müssen hart ar-beiten. Da sollten Sie einmal von Ihrer Arroganz herun-terkommen, Herr Schlauch.
Das Gleiche gilt für den Bundesumweltminister. Sokönnen wir es wirklich nicht machen.
Dieses Argument hat früher Ihr heutiger Außenministerverwandt, bis er gemerkt hat, dass es nicht zieht, sonderndass es ganz gut ist, wenn jemand in diesem Haus vor-weisen kann, dass er eine ordentliche Ausbildung hat,dass er ordentlich arbeiten kann und dass er es im Berufzu etwas gebracht hat. Ich habe keine Pflastersteine ge-worfen. Auf Mutlangen-Geschichten wollen wir in die-sem Zusammenhang gar nicht eingehen.
Ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Schlauch, auchwenn es Ihnen weh tut: Der wesentliche Teil kommt dochnoch, wenn es um die Erhöhung der zweiten Miete geht,weil die Preise jetzt explodieren, und Sie Ihren Beitragnicht leisten wollen, –
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Dr. Klaus W. Lippold
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– wenn die kleinen Leute die steigenden Nebenkosten beider Miete tragen müssen, was Sie ja nicht interessiert, –
– weil Sie als Großverdiener überhaupt kein Gespür mehrdafür haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer nach so kur-zer Zeit so abhebt wie Sie, dem werden die Leute das nichtvergessen.
Ich sage jedenfalls: Wenn unsere Nachbarn in Europain dieser Frage handeln können, obgleich sie sich politischfestlegen, könnten auch Sie eigentlich handeln, wenn Sienicht so verbohrt wären. Herr Schlauch, es wird mir guttun: Wenn der Kanzler mit den Kuba-Zigarren dann ir-gendwann vor den nächsten Wahlen feststellt, –
– dass die Nervosität in reale Existenzangst umschlägt,dann wird dieser Kanzler Sie dort sitzen lassen, wo Sie sit-zen, und auf Ihre Argumentation keine Rücksicht nehmen.
Er hat Ihnen schon in der Kernenergiedebatte dasRückgrat gebrochen.
Sie haben doch politisch kein Rückgrat mehr. Bei allem,was Sie Ihren Wählern politisch versprochen haben– Kernenergieausstieg –, hat er so getan, als wäre es das.Der Kernenergieausstieg, Herr Trittin, kann doch die CO2-Ausstöße gar nicht beeinflussen. Es ist doch noch gar keineinziges Kraftwerk abgeschaltet. Sagen Sie das doch denLeuten einmal und erwecken Sie nicht den Eindruck, alssei Ihr Beschluss schon Realität. Ich sage Ihnen heute vo-raus: Ihr Beschluss wird keine Realität werden und wirwerden einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Nehmen Sie Abstand von Ihrer unerträglichen Arro-ganz. Denken Sie wenigstens einmal an die kleinen Leute,Herr Schlauch. Der SPD empfehle ich, dem zu folgen.
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich das Wort dem Kollegen Oswald
Metzger.
Herr Präsident! Kollege Lippold, von einem Parlamenta-rier erwarte ich normalerweise die Souveränität, dass erZwischenfragen aus dem Plenum zulässt. Da Sie meineZwischenfrage nicht zugelassen haben, mache ich jetzteine Kurzintervention.Erstens. Ich wollte Sie beim Stichwort „ländlicherRaum“ fragen, warum Sie hier der Bevölkerung ver-schweigen, dass noch im Steuerkonzept der Union vomFrühsommer als Gegenfinanzierung für die Senkung derSteuertarife steht, dass zum Ersten Pendler nur ab einerEntfernung von 15 Kilometern überhaupt eine Entfer-nungspauschale bekommen und dass zum Zweiten dieEntfernungspauschale für Pendler bei Pkw-Nutzung auf50 Pfennig gesenkt wird?
Wie wollen Sie sich jetzt als Vertreter des ländlichenRaumes aufspielen, obgleich Ihre Fraktion, um den Spit-zensteuersatz weiter zu senken, nicht eine Entlastung derPendler im ländlichen Raum will, sondern eine Belas-tung?
Zweitens. Kollege Lippold, Sie vergessen, dass dieseKoalition mit einer soliden Finanzpolitik im nächsten Jahr– trotz Sparzeiten – das erste Mal seit zehn Jahren sicher-stellt, dass das Wohngeld, jedenfalls im Westen, wiederangehoben wird, dass das Erziehungsgeld steigt, dass dasBAföG wieder mehr BAföG-Bezieher erreicht und dassmit dem Abbau der Staatsverschuldung langfristig dieWeichen dafür gestellt werden, dass die Menschen in die-sem Land eher weniger als mehr Steuern zahlen, dass dieAbgaben sinken.Sie verschweigen außerdem, dass mit der nächstenStufe der Ökosteuer der Rentenversicherungsbeitrag wei-ter sinken wird. Es ist keine Frage: Der Beitragssatz beider Rente wird sich im nächsten Jahr nach unten bewegenmüssen, genauso wie bei der Arbeitslosenversicherung imJahr 2002 eine Senkung der Beiträge ansteht, wenn unserePolitik dazu führt, dass auf dem Arbeitsmarkt die Be-schäftigung steigt, und zwar nicht nur aus demographi-schen Gründen, sondern auch konjunkturbedingt.Diese Conditio können Sie durchaus als Realität anse-hen. Bereits heute ist es nicht so, wie Ihr Fraktionsspre-cher gestern hier zum Ausdruck brachte, dass die Arbeits-losigkeit in Deutschland nur aus demographischenGründen sinkt. Inzwischen geht selbst Ihr CDU-FreundJagoda, an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit, davonaus, dass die Arbeitslosigkeit im August überwiegend auskonjunkturellen Gründen zurückgegangen ist. Wennwir als Koalition diesen Weg fortsetzen, dann, KollegeLippold, wird das magische Quadrat Realität: Wir wirt-schaften solide mit den Staatsfinanzen, bauen die Ver-schuldung des Staates ab und geben die dadurch geschaf-fenen Spielräume in Gestalt niedrigerer Steuern undAbgaben an die Bevölkerung weiter. Gleichzeitig tun wiretwas für den ökologischen Umbau in dieser Gesellschaft.Vielen Dank.
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Zu einer Erwiderung
der Kollege Lippold.
Herr
Kollege Metzger, Sie wissen, dass ich keiner Diskussion
aus dem Wege gehe. Ich wollte vorhin lediglich einen Ge-
danken zu Ende führen, der Ihren Kollegen Schlauch
motiviert hat, unruhig zu werden, und dabei lasse ich mich
ungern stören.
Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt beginnen. Der
ökologische Umbau, wie Sie ihn vorhaben, klappt nicht.
Dazu habe ich gerade einiges gesagt. Ich könnte dies im
Detail ausführen.
Lassen Sie mich etwas zu der Entfernungspauschale
sagen. Wir handeln anders als Sie, Herr Metzger, wir for-
mulieren neu. Wenn Sie das Eckpunktepapier lesen, wer-
den Sie feststellen, dass wir, wenn Handlungsbedarf ist,
auf die aktuelle Situation Rücksicht nehmen. Das Gleiche
hatte ich von Ihnen erwartet. Aber Ihre Fraktion ist nicht
wie Sie. Ihre Fraktion analysiert nicht, bevor sie spricht.
Ihre Fraktion hat vielmehr ein vorgegebenes Bild und
versucht noch nicht einmal, dies der Realität anzupassen.
Aufgrund Ihrer vielfachen Analysen sage ich mit Bewun-
derung: Wie viel Mut haben Sie in dieser Fraktion!
Aber lassen Sie mich noch einiges zu dem einen oder
anderen Aspekt sagen, Herr Kollege Metzger. Bezüglich
der Senkung der Arbeitslosigkeit haben Sie zutreffend auf
die Demographie hingewiesen; das ist ein Element. Sie
sollten aber hinzufügen, dass der rapide Werteverfall des
Euro gegenüber dem Dollar zu einer ganz erheblichen
Verstärkung der Exporte beigetragen hat. Sie wie ich wis-
sen, dass der Export ein ganz erheblicher Arbeitsplatzga-
rant ist. Man sollte sich aber jetzt nicht darauf berufen,
dass unser Geld an Wert verliert, und dies in einer Debatte
darüber, wie sich langfristig der Arbeitsmarkt orientiert,
als positiv darstellen. So kann es nicht weitergehen; da
sind wir uns doch wohl einig, Herr Metzger. Kurzfristig
mögen Sie von diesem Element arbeitsmarktpolitisch
profitieren. Langfristig aber – das wissen Sie wie ich – ist
ein Werteverfall des Geldes das Tödlichste, was einer
Marktwirtschaft und übrigens auch im Hinblick auf die
Zahl der Arbeitplätze passieren kann.
Dass Sie durch die Verkäufe der UMTS-Lizenzen Ein-
nahmen erzielt haben – über diese wollen wir gar nicht
verfügen, allenfalls über die Zinseinsparungen –, ist un-
bestritten. Aber ohne unsere Politik der Privatisierung hät-
ten Sie diese Einnahmen nie erzielt.
Ich erinnere mich noch daran – da waren Sie noch nicht
im Parlament, Herr Metzger –, wie ich mit meinem Kol-
legen Schwarz-Schilling gegen Ihre Fraktion und gegen
die Sozialdemokraten fighten musste, damit wir die Pri-
vatisierung überhaupt auf den Weg bringen konnten. Die
Arbeitsplätze, die jetzt in diesem Bereich entstehen, rech-
nen Sie jetzt sich zu. In meiner Heimat, im Raum Frank-
furt, sitzen die Softwareunternehmen mit den vielen Ar-
beitsplätzen. Ohne uns wäre das nicht passiert.
Und dies ist gegen den entschiedenen Widerstand Ihrer
Fraktion – nicht von Ihnen selbst – und der Sozialdemo-
kratie geleistet worden. Ich will es nur einmal in Erinne-
rung rufen: Die Weichen sind von uns gestellt worden,
nicht von Ihnen.
Nun hat für die SPD-
Fraktion die Kollegin Ulrike Mehl das Wort.
Lieber Herr Kollege Lippold, Siesind doch nun stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ichdachte, dass Sie daher etwas ruhiger und in Ihren Redenetwas sachlicher und konkreter würden.
Schade, dass das nicht der Fall ist. Sie haben Ihr altesTemperament behalten.
Leider hat sich die Qualität Ihrer Redeinhalte nicht erhöht.
Sie haben eine ganze Reihe von Punkten angespro-chen, die Herr Trittin gewissermaßen im Vorgriff wider-legt hat. Deshalb will ich gar nicht im Einzelnen daraufeingehen.Aber eines ist bei der Ökosteuerdebatte interessant:Diese Debatte ist nicht neu, sondern wir führen sie seitüber zehn Jahren, sowohl in Ihrer Fraktion als auch in al-len anderen Fraktionen. Es sind viele Modelle diskutiertworden, aber über eines waren wir uns zumindest pha-senweise einig, dass die Ökosteuer in sich ein sinnvollesInstrument ist. Sie sind auch maßgeblich in der Enquete-Kommission zum Klimaschutz beteiligt gewesen. Überdas, was die CDU in dieser Kommission alles mitgetragenhat, muss man sich heute manchmal die Augen reiben, be-sonders wenn ich dann höre, was jetzt zum Thema Öko-steuer gesagt wird. Das kann ich nicht mehr nachvollzie-hen.
Sie wissen ganz genau, dass nicht die Ökosteuer fürden dramatischen Anstieg der Energiepreise verant-wortlich ist, sondern die vielen Faktoren, die vorhin schonalle genannt worden sind: der Markt, die Mineralölun-ternehmen. Alle möglichen Mechanismen spielen dabeieine Rolle, aber auf jeden Fall nicht die Ökosteuer. Siespielt die kleinste Rolle und die Einnahmen werden anArbeitnehmer und an Arbeitgeber komplett zurückgege-ben. Wir wissen heute aufgrund von Umfragen, dass
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dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch dies istschon mehrfach über die Tage gesagt worden. Es werdenkeine bestehenden Arbeitsplätze zerstört, sondern es wer-den in großer Zahl neue geschaffen.Selbst die Wirtschaft – jedenfalls ihre fortschrittlichenTeile – hat im Laufe dieser Diskussion über die Jahre hin-weg immer gesagt: Jetzt beschließt doch endlich einmaldie Ökosteuer, damit die Energiepreise Schritt für Schrittkalkulierbar ansteigen. Darauf können wir uns dann ein-stellen. Wir halten das Konzept im Prinzip für richtig.Nun soll das alles nicht mehr wahr sein? Sie suchenhänderingend nach Themen, mit denen Sie die Öffent-lichkeit richtig aufmischen können. Wenn Sie sich einmalansehen, wie die Leute befragt werden und was im Fern-sehen und in der Presse übertragen wird, dann wird deut-lich, mit welchen Argumenten, nämlich falschen, gear-beitet wird. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Teileder Presse auf der Suche danach sind, dass in der Repu-blik wieder einmal so richtig etwas los ist. Es geht allesviel zu glatt. Deswegen wird dieses Thema benutzt. Dashat aber überhaupt nichts mit vernünftiger oder mit ökolo-giefreundlicher Politik zu tun. Deswegen lehne ich das ab.
Wer aus billigem Populismus das Aussetzen oder gardie komplette Rücknahme der Ökosteuer verlangt, dersetzt erstens gegenüber den OPEC-Staaten und den Mi-neralölfirmen ein völlig falsches Signal. Zweitens gaukelter den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass die Bundesre-gierung stabile Verbraucherpreise garantieren könnte. DieThese, die dieser Ökosteuer zugrunde liegt, ist nach wievor richtig, nämlich: Umweltverbrauch muss verteuertund Arbeit billiger werden. Das ist die Überschrift, unterder wir die eingenommenen Mittel aus der Ökosteuer ein-setzen, nämlich nicht zum Stopfen irgendwelcher Haus-haltslöcher, so wie Sie es über viele Jahre gemacht haben,sondern sie zielt darauf ab, die Rentenversicherungs-beiträge zu senken.
Die Einnahmen fließen also zurück. Es wird immer wie-der rätselhafterweise behauptet, sie flössen in irgendwel-che Haushaltslöcher, was nicht der Fall ist.Diese Ökosteuer hilft im Bereich Energiesparen. In-vestitionen in höhere Effizienz werden für private Haus-halte und Gewerbe attraktiver. Sie haben am Anfang, alswir diese Ökosteuer diskutiert haben, immer gesagt, dassei nur ein Abkassieren – das wird zum Teil jetzt noch be-hauptet –, das Ganze habe überhaupt nichts mit Ökologiezu tun und auch nichts mit Energiesparen. Wenn dem sowäre, dann weiß ich gar nicht, was hier diskutiert wird.Natürlich hat es damit zu tun, weil es jetzt für den Einzel-nen interessant wird, Energie einzusparen, und vieleLeute sich darüber Gedanken machen.
Wenn die Automobilindustrie heute offensiv für Au-tos wirbt, die weniger Sprit verbrauchen, und zwar in ei-ner Zeit, in der das Thema in der Öffentlichkeit uninte-ressanter wurde, weil die großen Autos verkauft wurden,solche, die mehr Sprit verbrauchen, dann hat es doch inden Köpfen geschaltet. Diesen Lenkungseffekt sollte dieÖkosteuer auch haben.Wir haben hier ein sehr differenziertes Konzept. DerSteueranteil für die Landwirtschaft liegt durch die teil-weise Rückvergütung bei 57 Pfennig, der ÖPNV wird inder zweiten Stufe der Ökosteuer nur mit dem halben Steu-ersatz belastet und –, das wird für viele private Haushaltefür den bevorstehenden Winter interessant – Heizölkommt in den nächsten Stufen der Ökosteuer überhauptnicht vor. Leichtes Heizöl wurde nur in der ersten Stufe abApril 1999 einmalig mit 4 Pfennig belastet. Außerdemwerden hier wiederum produzierendes Gewerbe sowieLand- und Forstwirtschaft mit einem gemäßigten Steuer-satz versehen. Bei den Gaspreisen für private Endver-braucher liegt der Steueranteil unter 10 Prozent. Da wirdauch keine Verschiebung zulasten der Verbraucher vorge-nommen.Also: Wer im Zusammenhang mit der Ökosteuer vonAbzockerei spricht, der ist nicht nur des billigen Populis-mus entlarvt, sondern betreibt gezielte Volksverdum-mung.
Ich kann nur sagen: Das machen wir nicht mit.
Wir haben von vornherein erklärt, dass wir mit derÖkosteuer die maßvolle und berechenbare Verteuerungder Energie gewollt haben, um einen Lenkungseffekt, vondem ich gesprochen habe, zu erreichen. Besonders wirk-sam muss sie – da bin ich einmal auf Ihre Konzepte ge-spannt – im Verkehrsbereich sein. Gerade der Kfz- undLkw-Verkehr ist es doch, der nach wie vor steigende CO2-Emissionen zu verbuchen hat.Wenn ich mich recht erinnere, war es die RegierungKohl, die eine 25-prozentige CO2-Reduzierung bis zumJahre 2005 beschlossen und jahrelang auch offensiv ver-treten hat. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das eigent-lich erreichen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer imGlashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Sie hatten16 Jahre Zeit, an diesem Thema zu arbeiten. Sie haben dasnur begrenzt getan. Deswegen müssen wir jetzt in allerKürze der Zeit das rausholen, was bei Ihnen versäumtworden ist. Also: Legen Sie Ihre Konzepte vor, wie Siesich vorstellen, wie Sie es in den letzten Jahren bis zur Er-füllung 2005 geschafft hätten. Konzepte hatten Sie auch,aber sie wurden leider von der Regierung nicht beschlos-sen.Wir können jetzt jedenfalls angesichts der hysterischenReaktionen auf die von uns nicht beeinflussbaren Fakto-ren wie Dollarkurs und Ölpreisentwicklung nicht alle klu-gen Erkenntnisse und sinnvollen Steuerungselementeüber Bord werfen und uns zum Spielball der Ölkonzerneund OPEC-Staaten machen lassen. Das ist jedenfalls nichtmein Politikverständnis.
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Ulrike Mehl11348
Wenn ich dann auch noch an die Liebäugeleien einigerPolitiker mit der Nötigung durch Lkw-Blockaden denke,dann hört, muss ich Ihnen sagen, mein Verständnis fürPopulismus vollends auf.Wir wollen eine Politik der Nachhaltigkeit, die sich anzukünftigen ökonomischen und ökologischen Anforde-rungen orientiert und nicht wie Fähnlein im Winde jederunkalkulierbaren Preisentwicklung folgt. Wir brauchenlangfristig eine drastische Verminderung des Energie- undRessourcenverbrauchs. Das müsste an dieser Stelle ei-gentlich der zentrale Punkt sein; denn wir wissen, dass wirzu 74 Prozent von Energieimporten abhängig sind.
Diese Diskussion ist ja vor 20 Jahren geführt worden.Heute wird sie auf einmal nicht mehr geführt. Heute wirdmit Scheinargumenten debattiert, statt zu sagen: Es mussdoch unser Ziel sein, dies alles mithilfe neuer Technolo-gien und Energieeinsparungen – all das ist ja schon inGutachten und Enquete-Kommissionen usw. erarbeitetworden – zu erreichen, und zwar möglichst schnell. Eskann nicht hilfreich sein, mit einer solchen Kampagnehausieren zu gehen. Vielmehr muss man sagen: Wir müs-sen weitgehend unabhängig vom Energieimport werden.Daran müssen wir arbeiten und genau das tut diese Re-gierung.
Energie- und Ressourceneinsparungen sollen das ei-gentliche Stichwort in dieser Debatte sein. Das ist auchnahe liegend, es zog sich ja wie ein roter Faden durch dieDebatten der letzten Tage. Der Haushalt 2001 ist ein gu-tes Beispiel dafür, dass mit konsequenter Einsparung aufDauer ein solides Fundament für eine zielgerichtete Poli-tik zur ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeitgelegt werden kann.
Ich bitte, immer noch einmal einen Blick darauf zurichten, dass wir jetzt seit zwei Jahren an der Regierungsind, wir einen einigermaßen großen Trümmerhaufen hin-terlassen bekommen haben und deswegen zunächst ersteinmal sehen müssen, wie man wieder richtig auf Kurskommen kann. Wir tun das. Der BMU hat im Zusammen-hang mit diesem Haushalt erstaunlich deutlich gemacht,was es an Möglichkeiten gibt – nicht nur im BMU-Be-reich an sich, sondern insgesamt in der Bundesregierung;denn Nachhaltigkeit kann sicherlich nicht nur in demHaushalt des Umweltministeriums erreicht werden.Wir haben den Ausstieg aus Ihrem Atomkonzept er-reicht. Wir werden das Atomgesetz novellieren unddie ersten Kraftwerke werden 2002, 2003 abgeschaltet.Mülheim-Kärlich wird nicht mehr ans Netz gehen.
Das Konzept, das jetzt vorliegt, ist natürlich diskussi-onsbedürftig und wird auch ins Parlament kommen.Aber es wird mit Sicherheit dazu geeignet sein, dass derAusstieg aus der Atomenergie kommen wird.Wir haben eine ganze Menge im Bereich erneuerba-rer Energien, beim 100 000-Dächer-Programm und beider Förderung regenerativer Energien gemacht. Das istauch in den Haushaltsplänen wiederzufinden. Ich ver-zichte darauf, das alles zu wiederholen.Wir haben zehn Jahre lang über die Weiterentwicklungdes Naturschutzes gestritten. Ein Gesetz ist in diesenzehn Jahren nicht zustande gekommen. Wir werden jetzteinen Gesetzentwurf vorlegen und uns dann, wie ich an-nehme, weiter streiten. Dabei werden wir uns aber in ei-ner anderen Rolle als früher befinden und das ist gut so.In Zusammenarbeit von Parlament und Regierung ha-ben wir im Hinblick auf die anstehende Veräußerung bun-deseigener Liegenschaften in den neuen Ländern einenwirklich großen Erfolg erzielt. Wir haben 50 000 Hektarder wichtigsten naturschutzrelevanten Flächen heraus-nehmen können und erreicht, dass diese Flächen kosten-los übertragen werden. So etwas wäre bei Ihnen überhauptnicht möglich und denkbar gewesen. Deswegen bin ichsehr froh, dass 1998 der Regierungswechsel kam. Wäre erfrüher gekommen, hätten wir dieses Problem wahrschein-lich gar nicht gehabt.
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte an die Redezeit denken.
Ich sehe es hier schon und komme
auch gleich zum Schluss.
Eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen konnten wir
im Bundeshaushalt erhalten und erweitern, beispielsweise
die institutionelle Förderung von – –
Sie können jetzt keine
Beispiele mehr bringen. Ihre Redezeit ist weit überschrit-
ten.
Deswegen komme ich jetzt zum
Ende. Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.
Kleiner Tipp am Rande:Ohren spitzen! Dann wird das schon gehen.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! EinGroßteil dessen, was für die Umwelt getan wird oder, bes-ser gesagt, getan werden müsste, findet außerhalb desHaushalts statt; das hat der Herr Minister auch gesagt.Aber auch innerhalb des Haushalts gibt es nichts groß-artig Neues. Ihrer Rede hat man auch nicht viel entneh-men können, außer – das fand ich bemerkenswert – dass
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Ulrike Mehl11349
Sie diesmal noch weniger als bisher angekündigt haben.Offensichtlich sind einige Projekte zwischenzeitlich be-reits gestorben. Der Chef von Greenpeace Deutschlandhat das Fiasko vor kurzem noch beim Namen genannt. Erhat gesagt, die Bundesregierung habe kein zukunftswei-sendes Umweltkonzept.In Deutschland existieren also keine klaren Ziele undüberzeugenden Konzepte für die Umweltpolitik. Folge-richtig sucht man im Haushaltsplan vergeblich nach ent-sprechenden Niederschlägen. Damit nicht genug: DerEinzelplan des Umweltressorts, Herr Minister, ist ein dras-tisches Beispiel für Augenwischerei und Geldverschwen-dung. Das möchte ich Ihnen jetzt einmal vorführen.
Als erstes Beispiel nehme ich die Endlagerung radio-aktiven Mülls. Die Bundesregierung erzwingt jetzt dieprovisorische Lagerung radioaktiven Mülls in oberirdi-schen Zwischenlagern. Die Tatsache, dass an anderenOrten dieser Republik Endlagerstätten zur Verfügungstehen, deren Eignung von seriösen Wissenschaftlernnicht mehr bestritten wird, schert Sie offensichtlich über-haupt nicht. Mit dem Stopp der Endlagerprojekte„Schacht Konrad“ und in Gorleben werden jetzt Milliar-deninvestitionen, die bisher schon getätigt wurden, ausideologischen Gründen kaputtgemacht.Das ist aber noch nicht genug: Wenn Sie dieses Zielweiter verfolgen, das Sie sich gesetzt haben, brauchen wirweitere Mittel im Haushalt für die Erkundung andererEndlagerstandorte. In den Haushalt 2001 haben Sie10 Millionen DM statt bisher 5 Millionen DM eingestellt.Diese Zahl ist aber eine Täuschung der Öffentlichkeit,und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens wird die Erkun-dung neuer Standorte tatsächlich noch ein Hundertfachesder Summe verschlingen, die Sie jetzt in den Haushalt ein-gestellt haben, ohne dass aber solche Bemühungen zuneuen Erkenntnissen führen werden. Die Verausgabungdieser Gelder ist also unnötig und überflüssig. MillionenMark werden so aus ideologischen Gründen zur Ver-schwendung freigegeben.Zweitens sind die Projekttitel „Schacht Konrad“ und„Gorleben“ nach wie vor mit Blick auf die Haushalts-grundsätze der Wahrheit und Klarheit bedenklich. Es gibtnämlich eine Refinanzierungsvereinbarung, nach derdiese Projektkosten an die Staatskasse zurückerstattetwerden. Das wissen Sie auch. Eine Erhöhung der Titel-ansätze im Haushalt des BMU täuscht also staatlichesHandeln vor, obwohl Sie tatsächlich nur das Geld andererLeute ausgeben.
Die Ironie ist natürlich, dass ausgerechnet diese Aus-gaben für den Endlagerbereich maßgeblich dafür verant-wortlich sind, dass der Gesamthaushalt des BMU imJahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent an-steigt. Ohne diese Geldverschwendung und ohne denSonderbedarf wegen Tschernobyl sinkt der Stammhaus-halt im Vergleich zum Vorjahr aber um 0,4 Prozent. Der-art bereinigt steigt also der Verwaltungshaushalt, währendder Programmhaushalt – also die Mittel, die Sie für wirk-lich ökologische Projekte zur Verfügung haben – weitersinkt.Insofern werden von den Gesamtmitteln demnach we-niger für Umweltschutz und mehr für die Verwaltung aus-gegeben. Auf den ersten Blick – diesen Eindruck habenSie versucht zu vermitteln – haben wir einen gestiegenenUmwelthaushalt. Auf den zweiten Blick verkehrt sichaber die Aussage in das Gegenteil. So werden in den Fuß-noten des Haushaltes Sachverhalte versteckt, die dieGrundaussagen der Tabellen ändern. Das heißt also: Ver-schleierung, Zahlenschieberei, um dem flüchtigen Be-trachter umweltpolitisches Engagement vorzugaukeln.Offenkundig, Herr Minister Trittin, ist aber, was wir Ihnendurch viele Beispiele bewiesen haben: Sie haben wederInteresse noch Engagement für die Umweltpolitik.
Das zeigt sich auch bei dem Thema Verpackung undMehrweg. Ich wunderte mich vorhin, dass Sie sich dazunicht geäußert haben. Auf der anderen Seite muss mansich vielleicht auch wieder nicht wundern, –
– dass Sie hier dieses Thema aussparen, obwohl Sie genauwissen, dass Entscheidungen getroffen werden müssten.Wir haben im Sommer die Ökobilanzen des UBAbekom-men. Danach sind moderne Getränkekartons in einigenBereichen dem Mehrweg ökologisch gleichwertig. Trotz-dem klammern Sie sich wie ein störrischer Esel an diesesZwangspfand. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen:Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen drin-gend die Verpackungsverordnung novelliert und dieMehrwegquote flexibilisiert werden.
Das haben wir aus ökologischen und ökonomischenGründen in einem Antrag gefordert.Ich will Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich sagen: DieZwangspfandregelung mit den starren Quoten ist zwi-schenzeitlich ökologisch kontraproduktiv, technisch völ-lig unzeitgemäß und wirtschaftlich unvertretbar.
Nun komme ich zum Themenbereich Klimaschutz.Die Erwartungen, die man an diese Regierung gestellt hat,waren wirklich hoch. Aber auch hier ist das Ergebnis völ-lig enttäuschend. Die Bundesregierung hat das anspruchs-volle Ziel, die CO2-Emissionen in Deutschland bis zumJahre 2005 um 25 Prozent zu senken, offensichtlich auf-gegeben. Anders kann ich es nicht deuten. Nach wie vorliegt kein Klimaschutzprogramm vor.Wissenschaftler haben deswegen vor kurzem wiederbestätigt, dass die klimapolitischen Ankündigungen derBundesregierung zu spät kommen und allenfalls – wenn
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Birgit Homburger11350
überhaupt – langfristig greifen könnten. Alle Chancen füreinen modernen und flexiblen Klimaschutz in Deutsch-land haben Sie vertan. Das letzte Beispiel dafür war dieDebatte um die Energienutzung im Gebäudebereich.
Klimaschutz ist also bei Ihnen auf salbungsvolle Wortebeschränkt. Es gibt keine Impulse für eine wirkungsvolleKlimapolitik auf nationaler oder internationaler Ebene.Ich muss Ihnen auch sagen: Ich habe Sie und – im Um-weltausschuss – Ihre Staatssekretärin Altmann mehrfachgefragt, was Sie für Initiativen ergriffen haben, um für denBereich des Klimaschutzes in Den Haag zu einem Ergeb-nis zu kommen. Die Fragen sind bisher unbeantwortetgeblieben. Ich habe auf eine schriftliche Nachfrage nachIhren Initiativen eine ausgesprochen peinliche AuflistungIhrer Staatssekretärin erhalten. Darin werden selbstPunkte wie irgendwelche Gutachten, die üblicherweisesowieso von der Verwaltung in Auftrag gegeben werden,sowie Fragen, die Sie im Rahmen von Konferenzen ge-stellt haben, und Gespräche, die Sie im Rahmen von nor-malen Treffen geführt haben, aufgeführt, um zu beweisen,dass Sie etwas für den Klimaschutz tun. Wer so etwasnötig hat, Herr Minister Trittin, der offenbart, dass er indieser Frage keinerlei Interesse hat und nichts unter-nimmt.
Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden Stand-orte für Klimabörsen im Ausland und nicht in Deutsch-land eingerichtet. Die Spielregeln für internationale Kli-matransaktionen werden dann ohne EinflussnahmeDeutschlands ausgehandelt. Die F.D.P. fordert die Bun-desregierung deswegen auf, den Börsenhandel mit Emis-sionszertifikaten endlich in die Tat umzusetzen. WennSie schon nicht auf mich hören wollen und die Vorschlägeder F.D.P. zur Kenntnis nehmen wollen, dann sage ichIhnen: Reden Sie doch vielleicht einmal mit dem um-weltpolitischen Sprecher Ihrer eigenen Fraktion, der inder Sommerpause in ein paar Presseveröffentlichungengenau die Position vertreten hat, die die F.D.P. seit Mona-ten einnimmt.
Deutschland hat international auf dem Gebiet des Kli-maschutzes nicht nur seine Vorreiter- bzw. Initiativrolle,sondern auch gänzlich den Anschluss verloren.Sie haben immer wieder die Ökosteuer angesprochen.Auch die Kollegin Mehl hat sie noch einmal ins Gesprächgebracht. Hier wird immer behauptet, die Ökosteuer seidie Maßnahme dieser Bundesregierung schlechthin fürden Klimaschutz.
Dazu kann ich nur sagen: Das ist gänzlich lächerlich. Siehaben in den Debatten der letzten Tage um die Ökosteuermehrfach deutlich gemacht, dass die Ökosteuer deswegennicht abgeschafft werden könne, weil ansonsten der Ren-tenversicherungsbeitrag automatisch steige. Das hat HerrPoß, das hat Herr Eichel und heute haben auch Sie es, HerrMinister Trittin, in diesem Hause gesagt. Wer sich soäußert und als Einziges diese Begründung anführen kann,der offenbart ganz klar, dass er mit dem Instrument Öko-steuer nie ökologische Ziele verfolgt hat. Ihnen ging esnur um das Abkassieren.
Sie wollten mit der Ökosteuer nie ernsthaft ökologischlenken. Diese Steuer ist ökologisch widersprüchlich. Wirhaben das in diesem Hause mehrfach deutlich ausgeführt.Sie ist ohne Wirkung. Sie, meine Damen und Herren vonden Koalitionsfraktionen, versuchen die Bürgerinnen undBürger für dumm zu verkaufen.Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Ko-alitionsfraktionen, Herr Minister, auch mit Ihrem jetztvorgelegten dritten Bundeshaushalt versuchen Sie, dieBürger durch Rechentricks zu blenden. Sie scheren sichüberhaupt nicht um ökologische Fragen. Alles in allem istdas ein umweltpolitisches Fiasko.
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Umweltpolitikauf Bundesebene nicht alleine über den Etat des Umwelt-ministeriums betrieben wird, haben wir alle sicherlich inden vergangenen Tagen mitbekommen. Die Ökosteuerberührt diesen Haushalt allerdings nicht direkt. Gleich-wohl ist sie eine Bundesangelegenheit mit höchster um-welt- und sozialpolitischer Relevanz.Nicht nur die jetzige Regierung meinte die Einnahmenaus der Ökosteuer zur Senkung der Lohnnebenkostenund nicht für den ökologischen Umbau verwenden zumüssen. Nicht nur für die jetzige Regierung kam dieSteuer nur infrage, wenn sie üppige Ausnahmen für diegroßen Energieverbraucher beinhaltet. Die Wirtschafthat anständig zugelangt. Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen von Rot-Grün, haben dem Ausverkauf der Öko-steueridee zugesehen oder ihn sogar selber betrieben.
Weil Unternehmen 96 Prozent ihrer Energiesteuern,die sie über 1 000 DM zu zahlen hätten, erstattet bekom-men, gibt es keine ökologische Lenkungswirkungen. Weildie Unternehmen gleichzeitig durch die Senkung derLohnnebenkosten in vollem Umfang entlastet werden, istdie Ökosteuer – netto – eine Gelddruckmaschine für diegroßen Unternehmen. Weil sie dies ist, fehlt das Geld fürden sozialen Ausgleich für untere Einkommensgruppenund für den ökologischen Umbau. Es fehlt Geld für einenbezahlbaren ÖPNVund für eine leistungsfähige Bahn, dieuns die Laster von der Straße und die Bürgerinnen undBürger in die Züge holt.
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Birgit Homburger11351
Hinzu kommt, dass durch die sinnlose Kopplung an dieLohnnebenkosten diejenigen, die es eigentlich nicht nötighätten, anständig entlastet werden, während Geringver-diener in die Röhre gucken.Jetzt zu Ihrer Kampagne, meine lieben Kolleginnenund Kollegen von CDU/CSU und F.D.P. Sie erklären sichzum Anwalt der kleinen Leute. Darüber kann ich nur la-chen. 16 Jahre lang konnten Sie beweisen, wie toll Sie alsAnwalt der kleinen Leute sind. Mit Ihren Raubrittergeset-zen zum Sozialabbau
haben Sie bewiesen, wie sozial Sie eigentlich sind. Dafürwurden Sie abgewählt. Also stellen Sie sich nicht als sosozial dar. Sie sind die Partei derjenigen, die freie Fahrtfür freie Bürger gefordert hat. Wir kennen das aus demWahlkampf. Einige haben das schon vergessen. Seien Siealso nicht so scheinheilig. Einer Ihrer größten Vertreter inBayern hatte dafür gesorgt, dass das Flugbenzin nicht be-steuert wurde. Er hatte selber ein Flugzeug.
Die Menschen in diesem Lande sollten sehen, welcheInteressen Sie haben. Sie wollen Ihr Mütchen kühlen undsonst überhaupt nichts. Wir sollten die Menschen auf-klären: Nicht die Ökosteuer, sondern die Ölpreise sind dieHauptverantwortlichen für den rasant gestiegenen Ben-zinpreis.
Es sollte uns nach zehn Jahren Nachhaltigkeitsdiskussionauch klar sein, dass die Umwelt ihren Preis hat. Im Um-weltausschuss diskutieren wir auch darüber. So ist esnicht.Um die Verteuerung des Straßenverkehrs kommen wirnicht herum, aber wir brauchen bezahlbare Alternativenund den sozialen Ausgleich.
Warum stecken Sie nicht das aus Benzinsteuern einge-nommene Geld in bezahlbare Alternativen oder in For-schung und Investitionen zur Energieeinsparung? Dannbräuchten Sie im Wirtschaftshaushalt auch nicht die dafürvorgesehenen Titel um 59 Millionen DM zu kürzen.Lehnen Sie sich einmal zurück und denken Sie darübernach, welche Dynamik bei den erneuerbaren Energiennach Ihrem EEG auf dem entsprechenden Arbeitsmarkteingetreten ist. Das sind intelligente Finanzierungsideenfür den direkten ökologischen Umbau. Es ist sogar haus-haltsneutral. Das Ganze hat klar messbare umwelt- undbeschäftigungspolitische Wirkungen. Wie teuer ist in vie-lerlei Hinsicht dagegen die Ökosteuer? Und für was wirdsie gezahlt? Sie wird für Unternehmenssubventionen aufKosten der Armen und zulasten umweltpolitischer Hand-lungsfähigkeit gezahlt.Dieses Politikversagen setzt sich im Haushalt fort. Umbald 1 Milliarde DM liegen die Mittel, die Sie im Finanz-bericht als Bundesausgaben mit umweltverbessernderWirkung für 2001 ausweisen, unter denen des Jahres1999. Das sind immerhin noch fast 800 Millionen DMweniger als unter der Regierung Kohl. Das hat seine Lo-gik. Wer mit Gelb-Schwarz in den Wettbewerb um Wirt-schaftsfreundlichkeit und Liberalismus tritt, dem fehlt ir-gendwann der Schotter für den Otter.
Es versteht sich also von selbst, dass der Stammhaus-halt des BMU zwecks Konsolidierung Jahr für Jahr blu-ten muss. In diesem Jahr haben wir nur eine Reduzierungvon einem halben Prozent, doch im letzten Jahr waren esimmerhin noch 7 Prozent.Im Umwelthaushalt gibt es nur den Lichtblick, dass Sieendlich ein paar Mark mehr für die Umweltverbändelocker machen. Bis heute verstehe ich aber nicht, warumder virtuelle Bund für Umwelt und Heimat fast genausoviel oder wenig bekommt wie der Dachverband dertatsächlichen Umweltverbände DNR. Dafür werden dieMittel für Investitionen zur Verminderung der Umwelt-belastung mit 4,5 Prozent Minus genauso gekürzt wie fürden Naturschutz, der zweieinhalb Prozent weniger be-kommt. Und weil Umweltpolitik künftig wohl in Plau-derrunden bei Sabine Christiansen verabredet und nichtwie bisher mit Fachleuten erarbeitet wird, werden imBMU im nächsten Jahr – genauso wie in diesem – 36 Stel-len gestrichen.In Bezug auf den Naturschutz beklagen übrigens schonjetzt die Verwaltungen von ostdeutschen Naturschutz-gebieten, dass durch den Geiz der Bundesregierung – dieVorgängerregierung war auch nicht besser – und durch dieVorrangregelung für Alteigentümer und Wiedereinrichterim vor der Sommerpause novellierten Ausgleichsleis-tungsgesetz bis zu 80 Prozent der betroffenen Natur-schutzflächen in private Hände gelangen werden. DerBund freut sich über klingelnde Kassen. Die Ländernatur-schutzhaushalte werden den Naturschutz wohl in vielenFällen den neuen Besitzern abkaufen müssen. Ich meine,eine wirklich überzeugende Leistung ist das nicht. Siemüssen hier nachbessern.
Zum Atomausstieg können wir noch einmal feststel-len: Es war keiner. Herr Lippold hat angemahnt, dass indieser Legislaturperiode endlich ein Atomkraftwerk still-gelegt wird.
– Ja, ich finde das sehr pikant, weil Sie das nicht wollenund bekämpfen werden. – Ich unterstütze die Forderung,mindestens eins stillzulegen. Uns wären natürlich we-sentlich mehr lieber. Doch so wird es nicht kommen undwir werden einmal schauen, ob überhaupt etwas passiert.Ich bezweifle es.
– Sie können es ja beweisen.Wir sind dafür, die Gelder für Schacht Konrad und fürGorleben zu streichen.
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Wir wollen sie gegen null fahren und in Titel zur Finan-zierung der Stilllegung umwidmen. Das Gleiche fordernwir für den Sicherheitsfonds, da sich dahinter in der Re-gel eine Förderung der Atomwirtschaft durch die Hinter-tür verbirgt.Ich habe leider wenig Zeit. Abschließend möchte ichnur folgende Bemerkung machen: Es gibt am 23. Sep-tember eine Halbzeitkonferenz in der Berliner Hum-boldt-Uni. Dort werden Umwelt- und Sozialverbände so-wie entwicklungspolitische Organisationen über zweiJahre Rot-Grün diskutieren. Das wird für die eingela-denen Grünen und Sozialdemokraten – Stichwort Atom-politik – wohl ein Gang nach Canossa werden; denn dieNGOs lassen sich glücklicherweise noch nicht so schnellwie manche auf Parteitagen einlullen.Danke.
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Waltraud Lehn.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Auch im Umwelthaushalt hält dieRegierungskoalition Kurs.
Wir halten die haushaltspolitische Gesamtlinie, Staatsver-schuldung abzubauen, ein und wir setzen unseren Weg,Zukunft zu gestalten, fort.
Unsere Haushaltspolitik orientiert sich wie unsere Um-weltpolitik nicht nur an den Bedürfnissen der Bevölke-rung von heute, sondern auch an der zukünftigen Genera-tion. Beide, Haushalts- wie Umweltpolitik, dürfen nichtauf Kosten unserer Kinder und Enkel gehen. Danach rich-ten wir uns.
Dass dies keine abstrakten Ziele sind, dass wir ganzkonkret lebens- und alltagsnah handeln, dafür steht auchder Haushalt des BMU und dafür stehen die Ausgaben füreine nachhaltige Umweltpolitik, auch in anderen Res-sorts. Umweltschutz ist bei dieser Regierung eine wich-tige Querschnittsaufgabe. Im Bundeshaushalt 2001belaufen sich die Ausgaben für den Umweltschutz insge-samt auf mehr als 7,8 Milliarden DM, obwohl der Haus-halt des BMU selbst nur 1,18 Milliarden DM ausweist.Für diesen Querschnitt möchte ich zwei Beispiele an-führen.Zum einen sind im Haushalt des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums rund 1,4 Milliarden DM für umweltrelevanteAufgaben vorgesehen. Davon entfallen rund 450 Milli-onen DM, also rund ein Drittel, auf die Förderung der er-neuerbaren Energieträger. Das Bundesministerium fürBildung und Forschung weist in seinem Haushalt962 Millionen DM für die Grundlagenforschung zumUmweltschutz aus. Auch hier entfallen 365MillionenDMauf Projekte zur umweltgerechten, nachhaltigen Entwick-lung. Es gibt erstmals den Zustand, dass so viel Geld, soviele Milliarden DM konsequent für die Umweltpolitikeingesetzt werden. Das, Herr Lippold – ich weiß nicht, woer gerade steckt –, ist nicht nur kein Stillstand, sondern essind förmlich Sprünge nach vorne, gemessen an dem, wasSie früher gemacht haben.
– Die Begrenztheit Ihres Denkens wird in dieser Zwi-schenbemerkung wirklich sehr deutlich.
Wenn wir nämlich Umweltpolitik nur ressortbezogen undnicht als Querschnittsaufgabe begreifen, als etwas, was inalle anderen Bereiche hineinwirkt, dann können wir unsin der Tat von Umweltpolitik verabschieden. Darin liegtja auch wohl der Grund, warum Sie keine gemacht haben.
Auch bei der Verwendung der Zinsersparnisse ausdem Versteigerungserlös der UMTS-Lizenzen wird derUmweltschutz angemessen berücksichtigt. Mit einemSonderprogramm zur Wärmedämmung in Altbautenunternehmen wir einen wichtigen Schritt, um das Klima-schutzziel, die CO2-Emissionen bis 2005 gegenüber 1990um 25 Prozent zu reduzieren, zu erreichen. Hier liegt übri-gens auch eine Antwort auf die Ölpreiserhöhung. Kolle-ginnen und Kollegen, viele Familien, aber auch Rentner,deren Einkommen gerade so ausreicht, wohnen aus Kos-tengründen sehr häufig in Altbauten. Ihnen haben wirdurch eine Erhöhung des Wohngeldes, wenn sie ein ent-sprechend niedriges Einkommen haben, und durch dieSteuerreform geholfen.
Übrigens – das sei am Rande noch einmal gesagt – habenwir diese Maßnahmen nicht durchgeführt, um damit dieKonten der Ölmultis zu füllen.
Zugleich ist aber das Sonderprogramm zur Wärmedäm-mung in Altbauten in diesem Zusammenhang auch einwichtiger Beitrag zur Senkung der Heizkosten.Steigende Ausgaben für Benzin und Diesel belastennicht nur Sport- und Spaßfahrer – das müsste uns ja auchnicht weiter tangieren –, sondern eben auch Menschen,die lange Anfahrtswege zu ihrer Arbeitsstätte haben. Jegeringer deren Einkommen ist, umso höher liegt natürlichin diesem Zusammenhang die Belastung. Obwohl wirdiese Problematik sehen, wäre es völlig falsch, hier panik-artig zu reagieren. Eine Reduzierung oder gar Streichungder Ökosteuerwürde den Öl produzierenden Staaten undder Ölindustrie doch nur weiteren Spielraum für eine
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Anhebung der Preise – geradezu auf dem Silbertablett ser-viert – eröffnen.
Richtig ist es stattdessen, auch hier auf langfristige, nach-haltig wirksame Maßnahmen zu setzen, wie etwa auf dasDreiliterauto.Energieeffizienz heißt also das Stichwort. Andere, vorallem erneuerbare Energieträger müssen verstärkt inden Mittelpunkt rücken. Der Klimaschutz ist nach wir voreines unserer wichtigsten umweltpolitischen Ziele. Nichtzuletzt hat die aktuelle Entwicklung der Ölpreise deutlichgemacht, dass eine nachhaltige Energieeinsparpolitik zuunseren wichtigsten Aufgaben gehören muss, sehr wohlaus ökologischen, aber eben auch aus ökonomischenGründen.
Noch eine weitere Antwort auf die Ölpreiserhöhunghat die Regierungskoalition: 2 Milliarden DM aus einge-sparten Zinszahlungen im Zusammenhang mit dem Erlösaus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen werden fürzusätzliche Investitionen in den Schienenverkehr bereit-gestellt. Auch hier gibt es einen doppelten Effekt: Zum ei-nen haben diese hohe beschäftigungspolitische Effekte,zum anderen sind sie umweltpolitisch unverzichtbar.
Trotz der anhaltenden Notwendigkeit zum Sparen ist esgelungen, im Wege der Umschichtung für umweltpoli-tisch wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzustellen.So werden die Projektfördermittel für die Umwelt- undNaturschutzverbändeweiter erhöht. Für die Ansiedlungeiner Abteilung des Europäischen Zentrums für Um-welt und Gesundheit des europäischen Regionalbürosder WHO in Bonn werden 2001 zusätzlich 3 Milli-onen DM bereitgestellt. Insgesamt sollen dort bis zu 20Mitarbeiter arbeiten.
Das stärkt nicht nur die Region Bonn, sondern es hilftauch, dass das wichtige Thema Umwelt und Gesundheitgerade auch in der Bundesrepublik Deutschland – denndort, wo die Kapelle sitzt, wird die Musik gespielt –prophylaktisch, also vorbeugend, aufgegriffen und ver-tieft wird.Eine besondere Priorität – darauf hat Minister Trittinbereits hingewiesen – genießt der Naturschutz. Die Per-sonalverstärkung um fast 10 Prozent, bei insgesamtzurückgehenden Zahlen, ist der richtige Schritt, um end-lich Brachland zu bestellen,
das Sie hinterlassen haben und das sich, gut bearbeitet undgut behandelt, gut entwickeln kann.Wir bleiben mit dem Haushalt 2001 unserem Weg treu,das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Haushaltspoli-tik anzuwenden. Die Sicherung der natürlichen Lebens-grundlagen als Voraussetzung für wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit und soziale Stabilität auch im Interessekommender Generationen, das ist das Ziel und das ist derAuftrag der Konferenz von Rio 1992. UmweltministerTrittin unternimmt mit dem Haushalt 2001 einen weiterenwichtigen Schritt zur Umsetzung dieses Ziels. Es wurdehöchste Zeit, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Wir haben, alsSie an der Regierung waren, wichtige Zeit verloren, weilvon der damaligen Bundesregierung nach der Konferenzvon Rio über Jahre hinweg nur Lippenbekenntnisse undSonntagsreden zu hören waren.
Es gab zwar gute Ansätze von einzelnen Personen, aberanschließend kein Handeln.Heute, da wir den Stillstand beenden, bewegen Sie sich –nur leider in die falsche Richtung.
Statt mitzumachen, bauen Sie an Blockaden mit und tür-men Hindernisse auf.Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
Es gibt im Fernsehen einen tollen Werbespot. In diesemWerbespot fährt ein Mann, übrigens in einem schicken ro-ten Auto, zur Arbeit, zur Bank, Brötchen holen, mit derFamilie übers Land. Nach einer Woche fährt er zur Tank-stelle. Da zeigt der Kilometerzähler genau 100 Kilometeran und die Benzinanzeige zeigt 4,4 Liter an. – Damit wirdheute geworben und nicht mehr, wie zu Ihrer Zeit, mitmehr als 120 PS. Es hat ein Umdenken stattgefunden, dasmüssen Sie doch endlich einmal kapieren!
So weit sind wir heute schon, dass mit dem sparsamenAuto geworben wird, und wir wollen, dass in diesem Be-reich noch mehr passiert.Und wie verhalten Sie sich? Wie verhält sich dieOpposition, stellvertretend Herr Lippold und FrauHomburger? Wie der Tankwart in dem Fernsehspot:höchst unzufrieden. Nachdem Sie jahrelang erst bewe-gungsarm –
– und dann sogar bewegungslos waren, kommt Ihnen ge-rade zur rechten Zeit eine gute – nein, falsch: eine böse –Fee zu Hilfe, verwandelt Sie beide in zwei kleine Wichte,die neben den Bremspedalen hocken und jedes Mal, wennder Fahrer Gas gibt, versuchen, durch kräftige Brems-bewegungen deutlich zu machen, dass das Auto doch
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mehr Benzin braucht, wie Sie es schon immer gesagt ha-ben. So konstruktiv ist Ihre Oppositionspolitik!
Wir haben begonnen, zu handeln und Weichen für dieZukunft zu stellen – in der Energiepolitik, mit der Konso-lidierung des Haushaltes und mit dem Bemühen um mehrGenerationengerechtigkeit in der Sozialversicherung, umnur einige Stichworte zu nennen. Nachhaltige Entwick-lung ist bei uns Chefsache. Deshalb hat das Kabinett EndeJuli beschlossen, hierfür eine nationale Gesamtstrategiezu erarbeiten.
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung einen stän-digen Staatssekretärsausschuss aus diesen Ressorts einge-richtet hat, der die nationale Gesamtstrategie entwickelnwird –
Frau Kollegin, den-
ken Sie an Ihre Redezeit.
– ja –, und zwar in einer ge-
meinschaftlichen Anstrengung über die Ressortgrenzen
hinweg.
Wir möchten, dass möglichst viele Menschen – und
irgendwann vielleicht sogar auch die Opposition, wenn
sie denn ein Thema gefunden hat, das ihr hilft, ihr eige-
nes Profil wieder zu finden; dann wird sie auch die
Nebenkriegsschauplätze nicht mehr benötigen – diesen
Weg gehen. Wenn die Opposition das nicht tut, ist es auch
nicht schlimm; dann haben wir es nur um so leichter.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Jochen Borchert.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach zweiJahren rot-grüner Koalition ist es an der Zeit, auch im Be-reich der Umweltpolitik eine Zwischenbilanz des Han-delns bei der Bundesregierung zu ziehen. Sie fällt alles an-dere als positiv aus.Das Magazin „Stern“ – es steht ja nun nicht in dem Ruf,uns besonders nahe zu stehen –
– hat das Forsa-Institut beauftragt, eine repräsentative An-zahl von Bürgern zu befragen. Die Meinung der Bürger isteindeutig: 58 Prozent der Bürger würden dem Umwelt-minister lieber heute als morgen einen blauen Briefschicken. Hätte man diese Umfrage allein unter Mitglie-dern des Bündnisses 90/Die Grünen durchgeführt, dannwäre die Zahl der Unzufriedenen sicher noch größer ge-wesen.
Deswegen schreibt der „Stern“ auch zu Recht: „JürgenTrittin ... versagt als ökologisches Gewissen der Regie-rung.“Frau Zahrnt, die Vorsitzende des BUND, hat am20. Juli in der „FAZ“ festgestellt:Trittin hat noch kein Profil. Man weiß noch nicht, fürwelche Umweltthemen ... er sich konsequent einset-zen will.Und das nach zwei Jahren als Bundesumweltminister!Auch der Haushalt 2001 ist wie in den Vorjahren einekonsequente Fortführung der zerfahrenen und letztlich er-folglosen Umweltpolitik. Ich will dies an einigen Punktenim Haushalt deutlich machen.Mit 1,118 Milliarden DM bleibt der Gesamthaushaltdes BMU im Jahr 2001 weiterhin auf einem erschütterndniedrigen Niveau. Bereinigt um Sonderfaktoren sinkt derHaushalt des BMU wieder um fast ein halbes Prozent.Verglichen mit dem letzten Haushalt der RegierungHelmut Kohl ergibt sich ein Minus von rund 10 Prozent,während in der Zwischenzeit der Gesamthaushalt weitergestiegen ist.
Gemessen am Gesamthaushalt betrug der Haushalt desBundesumweltministers 1998 noch 0,26 Prozent. Heutesind es noch 0,23 Prozent. Wenn wir im Jahr 2001 für denEinzelplan 16 den gleichen Anteil am Gesamthaushaltwie im Jahre 1998 hätten, dann wäre er um 127 Milli-onen DM höher. Dies kennzeichnet Ihre Umweltpolitik.Der Verwaltungsanteil des BMU-Haushalts beträgtweiterhin über 50 Prozent. Weniger als 50 Prozent derMittel werden für die eigentliche Programmarbeit einge-setzt. Von jeder eingesetzten Mark fließen also über50 Pfennige in die Verwaltung. Deutlich unter 50 Pfen-nige werden für den Umweltschutz eingesetzt.Wenn Frau Lehn darauf hinweist, dass Umweltschutzeine Querschnittsaufgabe ist, und den niedrigen Ansatzfür das Umweltministerium damit rechtfertigt, dass dieMittel in anderen Bereichen des Haushaltes eingesetztwerden, dann wird deutlich, dass aufgrund dieser Ent-wicklung das BMU immer überflüssiger wird.
Die Mittel befinden sich in anderen Haushalten. Die Ent-scheidungen fallen etwa im Wirtschaftsministerium undim Kanzleramt, aber nicht im Umweltministerium.
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Waltraud Lehn11355
Mit dem einseitigen Ausstieg aus der Kernenergie– immerhin wird ein Drittel des Stroms aus Kernenergieerzeugt – wird die Abhängigkeit von fossilen Energieträ-gern weiter erhöht.
– Diese Tatsache können Sie auch mit Zwischenrufennicht wegdiskutieren.
Aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes ist es schlichtparadox. Da hilft auch der ständige Hinweis auf Wind-und Sonnenergie nichts. Es macht schon nachdenklich,dass Sie bisher kein Konzept vorlegen können, wie Sieden Ausfall der Kernenergie etwa im Bereich der Um-weltpolitik und damit des Umweltschutzes ausgleichenwollen. Es fehlt jedes Konzept, wie Sie angesichts derAufgabe der Kernenergie die Zusagen von Kioto in dennächsten Jahren umsetzen wollen.
Im Laufe der Diskussion um den so genannten Atom-ausstieg hat sich gezeigt – die Vereinbarung zwischen derBundesregierung und den EVUs beweist dies ja –, dassdas jahrelang von den Grünen angeführte Argument vonder mangelnden Sicherheit der deutschen Atomkraft-werke reine Rhetorik war. Denn wer eine Laufzeit von32 Jahren verabredet, der würde doch unverantwortlichhandeln, wenn er nicht von der Sicherheit der Anlagenüberzeugt wäre.
In Ihrer Broschüre „Deutschland erneuern“ schreibenSie unter dem Stichwort „Energiepolitik“, dass Sie dasZiel, die CO2-Emissionen im Zeitraum von 1990 bis2005 um 25 Prozent zu vermindern, weiter erreichen wol-len. Diese Zusage haben wir auf der Klimakonferenz inKioto gemacht. Aber wenn Sie diese Zusagen wirklicheinhalten wollen, sollten Sie jetzt endlich einmal deutlichmachen, wie Sie den Ausfall der Kernenergie ersetzenwollen, ohne dass die CO2-Belastung steigt.
Da der Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe ist, müs-sen in diesem Bereich das Bau-, das Verkehrs- und dasWirtschaftsministerium eng zusammenarbeiten. DieseZusammenarbeit ist leider nicht zu erkennen – weder beider Altbausanierung noch bei der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Nach zwei Jahren rot-grüner Umwelt-politik hat sich die Klimaschutzpolitik auf zwei bröckligeSäulen reduziert: auf die so genannte Ökosteuer und denAusstieg aus der Kernenergie.Den Bürgern ist inzwischen deutlich geworden – dieszeigt auch die heutige Diskussion –, dass die Ökosteuernichts mit Ökologie zu tun hat. Sicher, Steuern und Abga-ben sind ein Instrument der Umweltpolitik. Aber diesemüssen richtig konstruiert sein.
Die Energieeffizienz und die Schadstoffabgabe müssendabei berücksichtigt werden. So wie Sie die Ökosteuerkonzipiert haben, ist dies nichts anderes als eine reine Zu-satzbelastung. Die Verbraucher haben Recht, wenn sie sa-gen, hier sei eine Schmerzgrenze erreicht worden.
Frau Lehn, Sie haben darauf hingewiesen, dass Auto-konzerne heute damit werben, Autos mit einem Verbrauchvon vier Litern herzustellen. Das ist doch kein ErgebnisIhrer Ökosteuer.
Es gibt keinen Konzern, der neue Kraftfahrzeugkonzeptein zwei Jahren entwickelt. Das ist vielmehr eine Entwick-lung, die während unserer Regierungszeit in Gang gesetztworden ist.
– Da hilft auch Ihr Zuruf nichts.Ich bin ganz sicher: Sie werden in den nächsten Wo-chen erkennen, dass Ihre Ökosteuer unsinnig ist. EinLernprozess hat ja teilweise eingesetzt. Zum Beispiel for-dert der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, HerrClement, die Erhebung der Ökosteuer auf Heizöl auszu-setzen. Zumindest ist dies intelligenter als die Forderungdes Vorsitzenden der Grünen in Schleswig-Holstein, aufdas eine oder andere zu verzichten, zum Beispiel auf denUrlaub. Dies zeigt, wie weit Sie sich von den Bürgern ent-fernt haben – nach dem Motto: Tausche Urlaub gegenHeizöl!
Sie werden nicht bei Ihrer unsinnigen Ökosteuer blei-ben. Der Bundeskanzler weiß schon, warum er gesterneine diesbezüglich von Friedrich Merz angebotene Wettenicht angenommen hat.
Sie beschwören hier Ihre Standhaftigkeit in dieser Frage.Man hat in Ihrer Partei in Baden-Württemberg, in Rhein-land-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen längst begonnen,darüber nachzudenken, wie man von diesem Unsinn weg-kommt.Herr Bundesminister, in der mir verbleibenden Rede-zeit will ich noch kurz auf die geplante Novelle des Bun-desnaturschutzgesetzes eingehen. Sie wollen weiterreglementieren. Sie wollen die mit Einschränkungen ver-sehenen Biotopflächen ausweiten und die Ausgleichsre-gelungen für staatliche Auflagen streichen.Was Sie erreichen wollen, zeigen Ihre Vorschläge hin-sichtlich des Spreewaldes. Sie fordern die weitere Ein-schränkung des Fahrens auf der Spree mit Kähnen, denRückbau von Wegen und Straßen, damit die dortigenGaststätten nicht mehr erreicht werden können, und eineweitere Reglementierung der Bepflanzungen. Sie berufensich in diesem Zusammenhang auf Nachhaltigkeit. Ich
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weise darauf hin, dass der Begriff der Nachhaltigkeit bäu-erlichem Wirtschaften entstammt.
Landwirte haben immer bäuerlich gewirtschaftet. Siebrauchen hier nicht weiter reglementierend einzugreifenund Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinaus-gehen, dadurch zusätzlich zu erweitern, dass Sie die Aus-gleichszulage für diese Auflagen streichen.Wie sollen denn Bauern in Deutschland – diese Frageist mir sehr wichtig – überleben angesichts der Politik desLandwirtschaftsministers, die darauf abzielt, dass sich dieBauern dem Wettbewerb stellen und Fördermittel gekürztwerden, und angesichts dessen, dass der Umweltministergleichzeitig die Belastungen für die Bauern weiter er-höht? Zwischen diesen beiden Mühlsteinen Ihrer Politikwerden Bauern nicht überleben.
Die rot-grüne Regierung hat die Umweltpolitik demDiktat von Ideologen untergeordnet, statt Fortschritt gibtes Rückschritt, statt globaler Zusammenarbeit nationalenAlleingang. Von umweltpolitischer Innovation keineSpur. Sie stellen den Sinn der Umweltpolitik und vor al-len Dingen den Sinn des Umweltministeriums in Frage.Vielen Dank.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Abgeordneten Trittin das Wort.
Wer-
ter Herr Kollege Borchert, gelegentlich ist es hilfreich
– Sie waren so freundlich, den Spreewald anzusprechen –,
sich nicht nur aus der „Bild“-Zeitung zu informieren. Tat-
sache ist: Der Spreewald ist akut bedroht. Die Bedrohung
des Spreewaldes beruht darauf, dass aufgrund des Rück-
baus beim Braunkohletagebau die Wasserzuführung in
den Spreewald geringer wird. Der Spreewald droht aus-
zutrocknen.
Vor dieses Problem gestellt hat das Bundesumweltmi-
nisterium gesagt: Wir müssen den Spreewald retten. Wir
wollen dafür über 22 Millionen DM aus Bundesmitteln
– Sie wissen als Haushaltspolitiker, dass der Naturschutz
eigentlich Ländersache ist – zur Verfügung stellen, um das
Wasser länger im Spreewald zu halten. Dies haben wir in
enger Abstimmung mit dem Landkreis, dem Vorsitzenden
des dortigen Zweckverbandes und dem Land Branden-
burg getan.
Zur Sicherung des Spreewaldes war unter anderem
vorgesehen, ein Wehr zu bauen, das die Fließgeschwin-
digkeit in diesem Gewässer vermindert, sodass das Was-
ser länger gehalten wird. Nach Verringerung der Fließ-
geschwindigkeit ist es nicht mehr nötig, dort mit
Motorkraft zu fahren, weil man – wie es sich für einen or-
dentlichen Kahnschipper gehört – weiterhin durch Staken
die Gewässer befahren kann.
Dass nach Bau des Wehres Motorkähne – ich betone:
Motorkähne – nicht mehr fahren dürfen, ist am 24. Fe-
bruar dieses Jahres mit dem Land Brandenburg und dem
Landrat Wille abgestimmt worden. Was in der „Bild“-Zei-
tung steht – wir wollten Kahnfahrten verbieten –, ist
„Bild“-zeitungsgemäß Blödsinn.
Es steht in dem Förderbescheid auch nicht, dass der
Rückbau von Wegen stattzufinden hat. Es versteht sich
aber schließlich von selbst, dass in einem solchen Reser-
vat kein Neu- und Ausbau von Wegen mehr stattzufinden
hat.
Anders gesagt: Es ist nicht der Naturschutz, der den
Spreewald bedroht, sondern es sind diejenigen, die ein
wichtiges Naturschutzprojekt, mit dem diese einmalige
Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland erhalten
werden soll, durch solche fahrlässigen Äußerungen, wie
sie Herr Wille gemacht hat und Sie sie wiederholt haben,
zu gefährden drohen.
Herr Borchert, Sie
möchten antworten. – Bitte sehr.
Herr Kollege Trittin,
Sie haben soeben gesagt, dass Sie das auch dem Landrat
im Spreewald, Herrn Wille – er ist SPD-Mitglied –, er-
läutert haben. Ich will Ihnen auf Ihre langen Ausführun-
gen – schon die Länge der Ausführungen zeigt, dass Sie
bei diesem Thema offensichtlich ein schlechtes Gewissen
haben –
– da hilft auch das Dazwischenschreien nichts – mit einem
Zitat von Herrn Wille, SPD-Mitglied und Landrat, ant-
worten.
– Natürlich aus der „Bild“-Zeitung. Herr Wille hat das bis
heute nicht dementiert. Er hätte das sicher getan, wenn es
nicht stimmen würde. Ich habe keine Veranlassung, nicht
aus einer Zeitung zu zitieren, solange das, was da steht,
nicht dementiert worden ist.
Nun hören Sie zu, was Herr Wille sagt. Er sagt zu den
Auflagen, die Herr Trittin fordert:
Das ist Quatsch! ... Da hat ... jemand am Schreibtisch
gesessen, der von der Sache keine Ahnung hat.
Recht hat Herr Wille.
Jetzt hat das Wort derKollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Indiesen Tagen findet die Vorbereitungskonferenz dernächsten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkon-vention in Lyon statt. Dort wird darüber entschieden, obes den Industriestaaten gelingt, ihre Verpflichtungen zumKlimaschutz einzuhalten.Wir wissen alle, dass es einen elementaren Zusam-menhang zwischen Fortschritten in der internationalenKlimapolitik auf der einen Seite und der Glaubwürdigkeitder nationalen Klimapolitik der Unterzeichnerstaaten aufder anderen Seite gibt.
Deswegen ist es auch ein großer Fortschritt – das muss ichIhnen, Frau Homburger, leider sagen –, dass das Kabinettam 27. Juli dieses Jahres einen Zwischenbericht zum Kli-maschutzprogramm verabschiedet hat.
Dieses Klimaschutzprogramm wird in den nächsten Wo-chen verabschiedet werden.In dem Klimaschutzprogramm ist erstmals ein ressort-übergreifender Ansatz gewählt worden. Es ist also nichtmehr so wie früher zu Ihrer Regierungszeit, als HerrTöpfer oder Frau Merkel auf der einen Seite im Regen ge-standen haben und Wissmann, Rexrodt und Waigel auf deranderen Seite ihnen nicht geholfen haben, sodass Sienichts machen konnten und damit Deutschlands Glaub-würdigkeit auf dem internationalen Parkett ruiniert war.Das ist heute nicht mehr so. Jetzt ist jedem Sektor undjedem Ressort ein Orientierungsziel an die Hand gegebenworden und von den Ressorts sind Vorschläge gemachtworden, wie diese Ziele zu erreichen sind. Ich werde Ih-nen jetzt einige präsentieren und möchte Sie bitten, genauzuzuhören.Erstens. Gerade wurde gesagt, das Altbausanierungs-programm gebe es gar nicht. Frau Kollegin, das istschlicht und einfach unzutreffend. Die Koalitionsfraktio-nen haben sich darauf geeinigt, dass wir ein Altbausanie-rungsprogramm auflegen werden und dass damit etwa dieHälfte der Einsparungen im Bereich Altbausanierungenerreicht wird. Das ist ein ganz wichtiger Beschluss.
Über das Altbausanierungsprogramm selbst werde ichgleich reden.Zweitens haben wir bereits beschlossen, dass wir dieKraft-Wärme-Kopplung in besonderer Weise fördern.
– Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas wissenwollen. – Wir haben das bereits durch ein Fördergesetzgetan und wollen dies perspektivisch durch ein Quoten-gesetz ausbauen, sodass jedes Unternehmen einen be-stimmten Anteil an Kraft-Wärme-Kopplung nachweisenmuss. Auch dies ist ein großer klimapolitischer Fort-schritt.
Drittens. Im Verkehrsbereich – das ist zugegebener-maßen der Bereich mit der größten Dynamik – haben wirbereits einige Beschlüsse, so zum Beispiel den über dieSchwerverkehrsabgabe, gefasst. Diese ist wettbewerbs-neutral, denn sie wird auch von den Ausländern gezahlt.Hier wird sicherlich noch einiges nachzuliefern sein, abersumma summarum kann man sagen: Der qualitativeSprung liegt darin, dass es eben nicht mehr wie früher einHobby des Umweltministers, sondern eine Aufgabe derGesamtregierung ist, für die sich auch die gesamte Regie-rung verantwortlich fühlt.
Jetzt komme ich zu der Frage, was das volkswirt-schaftlich bedeutet. Für diese Frage sollten Sie eigentlichein gewisses Verständnis haben. Erster Punkt: Was pas-siert denn, wenn wir Klimaschutz, wenn wir Energieein-sparung betreiben? Dies ist nichts anderes, als Ölimportedurch inländischen Ingenieurverstand und durch inländi-sche Handwerksleistungen zu ersetzen. Dies ist dochmehr als vernünftig.
Zweiter Punkt: Wir stimulieren Innovationen auf brei-ter Front. Dies können Sie beispielsweise an den Werbe-kampagnen eben nicht nur der Automobilkonzerne, son-dern auch der Heizungsanlagenbauer, der Installateureund der Kraftwerkstechniker sehen. Hier wird mit Effizi-enztechnologien Reklame gemacht. Die Leute wissen,warum sie das machen, nämlich weil sie auf den Welt-märkten der Zukunft die erste Geige spielen wollen. Undwir helfen ihnen dabei.Der dritte Punkt – das wird bei Ihnen immer wiederausgeblendet – ist: Wenn wir Klimaschutz aktiv betreiben,bedeutet das auch eine Vermeidung von Zukunftskosten.Denn wenn wir nichts tun – so wie Sie das empfehlen –,passiert nichts anderes, als Kosten auf zukünftige Gene-rationen abzuwälzen. Diese Kosten wären erheblich. Daswäre schlicht und einfach unverantwortlich. Deswegenwerfe ich Ihnen in diesem Punkt auch Unverantwortlich-keit vor.
Ich komme zur europäischen Integration. Die Behaup-tung „Wenn es nur europäisch harmonisiert wäre, würdenwir mitgehen.“ halte ich für eine faule Ausrede. Die Wahr-heit ist, dass wir bei den Benzinpreisen in Europa im Mit-telfeld liegen. Muss man dies denn immer wiederholen?Sie müssen doch zumindest die Fakten zur Kenntnis neh-
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men. Ich möchte hier einmal einfach die Benzinpreisevon gestern bekannt geben.
Wir liegen innerhalb der Europäischen Union auf Platz 9von 15: Großbritannien 2,54 DM, Niederlande 2,37 DM,Finnland 2,30 DM, Schweden 2,29 DM.Selbst dann, wenn die Dieselsteuer in Frankreich ge-senkt, das von der Kommission notifiziert und nicht alsBeihilfetatbestand gewertet würde – was noch keines-wegs sicher ist –, läge Frankreich mit seinen Dieselprei-sen noch über dem Niveau in Deutschland. Dies ist dieRealität. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis.Hinsichtlich der Harmonisierung gilt Folgendes: Siewissen doch alle aus Ihrer eigenen Erfahrung, dass man esdann, wenn man wartet, bis auch der Langsamste dasTempo des Geleitzuges erreicht, niemals schaffen wird,hier Fortschritte zu erzielen. Deshalb ist auch das harmo-nisierte, das gleichgerichtete Handeln von vielen Staatender Europäischen Union genau der richtige Weg.Ich komme jetzt zum zweiten Thema, –
– obwohl ich viel lieber über das Naturschutzgesetz redenwürde, über die BVVG-Flächen, die jetzt gesichert sind,über die Tatsache, dass die Deutsche Bundesstiftung Um-welt in Zukunft mehr Geld für Naturschutz ausgibt. Aberich muss einfach noch auf die Debatte zur ökologischenSteuerreform eingehen, denn die Flachheit, mit der sievon Ihrer Seite geführt wird, ist eine intellektuelle Zumu-tung, auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Nehmen Sie einfach einmal die Realitäten zur Kennt-nis. Vor eineinhalb Jahren, Anfang 1999, kostete das FassÖl 10 Dollar, heute sind es knapp 35 Dollar. Vor einein-halb Jahren, als der Euro eingeführt wurde, lag die Rela-tion zwischen Euro und Dollar bei 1:1,12, das heißt,1 Euro kostete 1,12 Dollar. Heute ist das Verhältnis um-gekehrt. Heute bekommen Sie für 1 Euro 0,85 Dollar. Dassind die beiden Hauptfaktoren, für die hohen Benzin-preise. Das wissen Sie natürlich auch.Jetzt zur ökologischen Steuerreform. Das Hauptkrite-rium der ökologischen Steuerreform war immer die Ste-tigkeit. Es war nie so, wie Sie es gemacht haben: einmalkräftig zulangen und dann das Geld in Theo Waigelsschwarzen Löchern untergehen lassen.
Vielmehr haben wir immer gesagt, die Leute sollen sichdarauf verlassen können. Deshalb machen wir es in klei-nen, aufkommensneutralen Schritten und geben ihnen dasGeld bei der Rente zurück.
Das war unsere Strategie. Diese Strategie hat sich auchausgezahlt; denn wenn Sie an der Regierung gebliebenwären, lägen die Rentenversicherungsbeiträge heute bei21 Prozent und nicht bei 19,3 Prozent.
– Das ist die Wahrheit.
– Sie müssen den Leuten sagen, dass Sie, wenn Sie dieÖkosteuer abschaffen wollen, die Rentenversicherungs-beiträge um zwei Prozentpunkte erhöhen müssen. Das istdie Wahrheit.
Der Lenkungseffekt sieht so aus, dass alle Leute, dieGeld mit Effizienztechnologien verdienen – seien es Au-tomobilkonzerne, seien es Handwerksbauer, seien esKraftwerksbauer –, heute damit Reklame machen, dasssie die Technologie der Zukunft haben, dass wir gut ge-wappnet sind und dass wir vom Öl unabhängiger gewor-den sind. Heute nämlich ist es so: Wir hängen am Öl wieein Junkie an der Nadel. Das kann so nicht bleiben. Ichglaube, das ist eine ganz wichtige Strategie.Jetzt zur CDU-Kampagne. Das ist ja wirklich eine in-tellektuelle Zumutung hoch drei. Das fängt mit diesemBalken an. Die CDU behauptet, 70:30 sei das Problem:70 Prozent Steuern, 30 Prozent reine Marktkosten. Ein-fach zu Ihrer Information: Als wir an die Regierung ka-men, war die Relation 80:20, nämlich 80 Prozent Steuern,20 Prozent Marktkosten.
Ich habe hier eine Auflistung über Zitate en masse ausder Union. Das ist alles Schnee von gestern. Ich will Ih-nen nur eines, weil es so wunderbar ist, von der CSU ausdem Jahre 1996 vorlesen. Ich zitiere wörtlich:Das jetzige Steuer- und Abgabensystem belastet ein-seitig den Faktor Arbeit. Sein Anteil am Gesamtauf-kommen aller Steuern und Abgaben ist von 45 % imJahr 1970 auf 67 % im Jahr 1996 gestiegen! Im Ver-hältnis dazu ging der Steueranteil aus ... Ressourcen-verbrauch zurück. Das Gleichgewicht von direktenund indirekten Steuern ist nicht mehr stimmig. Dieüberhöhte Belastung des Faktors Arbeit begünstigtden Anstieg der Arbeitslosigkeit. ...Der Umweltarbeitskreis der CSU fordert deshalb, ...den Verbrauch von Ressourcen aufkommensneutralstärker steuerlich zu belasten. Insbesondere fossileBrenn- und Treibstoffe sollen sich ... über einen Zeit-raum von mindestens 5 Jahren hinweg um jährlich5 % verteuern.5 Prozent von 2 DM! Nach dem CSU-Konzept müsstedas Benzin also jährlich um 10 Pfennig teurer werden. Wo
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Dr. Reinhard Loske11359
liegt da der Unterschied zu dem, was die Regierungmacht?
– Es ist ein bisschen mehr, okay. Aber es ist grundsätzlichnichts anderes.Ihre erbärmliche Kampagne – das muss man einmal inder Deutlichkeit sagen – wäre ja dann glaubwürdig, wennSie Gegenvorschläge machten. Was haben Sie denn hierim Bundestag gemacht? – Sie haben gegen die Förderungerneuerbarer Energien gestimmt!
Sie haben gegen das 100 000-Dächer-Programm/Photo-voltaik gestimmt. Sie haben gegen das Förderprogramm„Erneuerbare Energien“ gestimmt. Sie haben gegenKraft-Wärme-Kopplung gestimmt. Sie haben gegen einesteuerliche Besserstellung von hoch effizienten Kraftwer-ken gestimmt. Das ist die ganze Verlogenheit der Union,die immer unerträglicher wird.
Zum Schluss Folgendes. Sie sind ja eine konservativePartei. Sie haben sicherlich konservative Staatsphiloso-phen wie Burke oder andere gelesen. Was macht denn denKonservativen aus? Ein Kriterium, das den Konservati-ven ausmacht, ist, dass er sich nicht bei jedem Windchenflach auf den Boden legt, sondern auch in schwieriger ZeitKurs hält.Was Sie machen, ist nichts anderes, als dem vermeint-lichen Druck der Straße zu weichen, den Sie selber ver-stärken. Aber Ihr gebrochenes Verhältnis zum Recht ha-ben Sie ja an anderer Stelle schon hinreichend bewiesen.Danke Schön.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Es ist ja sehr interessant zu hören, Herr Loske, dassSie sich mit konservativen Philosophen auseinander set-zen.
Ein Wesenszug der konservativen Grundhaltung aber ist,dass man seine politischen Schritte pragmatisch und nichtideologisch formuliert. Sie aber formulieren sie bei derÖkosteuer ideologisch.
Herr Minister Trittin, es ist nun seit 1998 das dritteMal, dass Sie einen Haushaltsentwurf politisch zu verant-worten haben. Zum dritten Mal erleben wir bei den Haus-haltsberatungen, dass Sie im Stile von „Zusammenfassen,Auflisten von kleineren Einzelmaßnahmen und großenAnkündigungen“ alles in einen Topf packen. Dieser Stilkann aber nicht verschleiern, dass Sie einen Haushalt po-litisch zu verantworten haben, der nichts anderes ist alsdas Dokument umweltpolitischer Ratlosigkeit.
Das ist nicht erstaunlich; denn die rot-grüne Bundesregie-rung verfügt nicht über ein zukunftsweisendes Umwelt-konzept.Sie, Herr Minister, haben heute bei Ihrer Haushaltsredeeine große Chance verpasst. Sie haben an keiner Stellelangfristige und mittelfristige Visionen dargelegt. Sie ha-ben an keiner Stelle gezeigt, wie die Umweltpolitik zurModernisierung des Standortes Deutschland beitragenkann.
Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Mit diesem Stil, mit derKlein-Klein-Politik, mit der Sie angetreten sind, werdenSie Deutschland im Bereich der Umweltpolitik nicht mo-dernisieren und Deutschland nicht nach vorne bringenkönnen.
Mit welch hehren Zielen sind Sie angetreten! Sie habenvor kurzem lesen müssen, was Thilo Bode, der scheidendeChef von Greenpeace International, am 31. August in der„FAZ“ festgestellt hat: Die Bundesregierung hat kein um-weltpolitisches Gesamtkonzept. Sie hat den Atomausstiegvereinbart, jedoch keine alternative Energiepolitik. – Des-halb gibt es im Augenblick noch kein belastbares Ener-gieprogramm aufseiten der rot-grünen Bundesregierung.– Sie hat Ökosteuern eingeführt mit Schlupflöchern undInkonsistenzen. – NABU, BUND und alle anderen ausdem Bereich der Umweltpolitik schließen sich dem an.
– Herr Schmidt, dass es Ihnen nicht so gut geht, wo Siedoch in den letzten Jahren immer lautstark auf den Putzgehauen haben, kann ich verstehen; denn jetzt müssen Siefeststellen, dass Sie in der Verkehrspolitik auch nur kleineBrötchen backen können.
Es mag ja sein, lieber Kollege Schmidt, dass die rot-grüneBundesregierung noch irgendwo Schwerpunkte setzt. Ei-nes aber ist sicher: Die Umweltpolitik stellt keinenSchwerpunkt dieser Bundesregierung dar.
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Dr. Reinhard Loske11360
Wenn Sie meinen, Sie würden mit der Atomausstiegs-politik Umweltpolitik betreiben, so müssen wir Ihnen sa-gen: Damit betreiben Sie Politik für Ihre Parteibasis, nichtaber für den Standort Deutschland.
Es ist ja auch interessant, an welcher Stelle die Atomaus-stiegspolitik organisiert worden ist: nicht im eigentlichzuständigen Ministerium für Umwelt und Reaktorsi-cherheit, sondern im Kanzleramt und vielleicht noch einwenig im Wirtschaftsministerium. Herr BundesministerTrittin jedenfalls war nicht zuständig.Wir stellen fest, dass dieses System jetzt fortgesetztwird. Wir sind ja dabei, den Prozess, der in Rio ange-stoßen worden ist, im Sinne eines Nachhaltigkeitsprozes-ses fortzusetzen. Wenn die Informationen stimmen, diejetzt in der Presse kolportiert werden, dann wird auch dieFederführung für den Nachhaltigkeitsprozess nicht beimUmweltministerium liegen, sondern beim Kanzleramt.Alle in der Regierung wissen, warum dies notwendigist. Dieser Umweltminister profiliert sich nämlich in vie-len Bereichen als Ankündigungsminister. Wenn es aberdarauf ankommt, seine Ankündigungen umzusetzen, kanner sein Wort nicht halten. Einem solchen Umweltministervertraut noch nicht einmal mehr die rot-grüne Bundesre-gierung.
Schauen Sie sich doch nur einmal Ihre Abfallpolitikan, Herr Minister. Sie taktieren nur. Sie kämpfen nicht, Siegeben keine Richtung vor. So haben Sie großartig an-gekündigt, dass Sie die europarechtlichen Vorgaben in dieKreislaufwirtschaft einbinden werden, und zwar über eineReihe von neuen Verwaltungsvorschriften. Dann schi-cken Sie Ihre Parlamentarische Staatssekretärin FrauProbst zur Eröffnung der ENTSORGAnach Köln, wo dieStaatsekretärin verkünden muss, dass Sie von dem großenWurf der neuen Regelung im Abfallrecht, der Anpassungan das Europarecht, Abstand nehmen, weil Sie im Augen-blick keine Chance sehen, diese neuen Grundsätze einerAbfallpolitik tatsächlich durchzusetzen.Wo ist die lange angekündigte Novellierung derVerpackungsverordnung? Immer wieder sagen Sie: Wirmüssen abwarten, bis ein Gutachten vorliegt. Dann liegtdas Gutachten vor. Daraufhin stellen Sie auf einer Presse-konferenz mehrere Denkmodelle vor, die Sie umsetzenwollen. Aber Sie sagen nicht, wo die Reise hingeht undwie Sie es wirklich machen wollen. Sie taktieren und Siehaben Angst, sich festzulegen, weil Sie genau wissen:Wenn es hart auf hart geht, dann werden Sie als Umwelt-minister vom Bundeskanzler zurückgepfiffen. Das istschon mehrfach passiert. Jetzt wollen Sie dieses Risikonicht mehr eingehen.
Dabei geben Sie zum Beispiel bei der Verpackungs-verordnung selbst zu erkennen, dass ein System, zu demich mich bekenne und das wir 1991 mit dem damaligenUmweltminister Töpfer auf den Weg gebracht haben, –
– in der Abfallpolitik große Erfolge erzielt hat. Aber Siemüssen den Mut haben, wie wir es schon mehrfach ein-gefordert haben, nun zu sagen: Es haben sich nach zehnJahren Strukturen verändert. Jetzt kommt es auf die Krea-tivität des Umweltministers an, darauf, ob er in der Lageist, neue Entwicklungen, die nach zehn Jahren aufgetretensind, tatsächlich aufzugreifen und den Weg, der vonTöpfer gegangen ist, erfolgreich fortzusetzen. Aber Siekneifen. Sie haben kein Konzept und sind nicht in derLage, in dieser Frage einen modernen Weg zwischenÖkonomie und Ökologie zu gehen.
Sie sprechen die Naturschutzpolitik an. Sie haben biszum heutigen Tag hier im Parlament keine Novelle desBundesnaturschutzgesetzes vorgelegt.
– Doch, wir haben in der letzten Legislaturperiode einesolche Novelle noch vorgelegt.
Sie kündigen seit gut zwei Jahren eine Novelle des Bun-desnaturschutzgesetzes an. Wir müssen sagen: Sie kündi-gen es an; aber in diesem Hause liegt dieser Gesetzent-wurf noch nicht vor.Ich stimme dem Kollegen Borchert zu, wenn er fragt:Sind denn die Erfolge in der Umweltpolitik, die wir in denletzten Jahren beim Ausgleich der verschiedenen Interes-sen zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt-schutz erzielt haben, nicht in Gefahr zum Beispiel durchIhre Ankündigung zur Aufhebung der bundeseinheitli-chen Verpflichtung, dass Eingriffe in die Landwirtschaftauch von der Gemeinschaft honoriert werden müssen undnicht nur von denjenigen, die diese Belastungen zu tragenhaben? Dabei haben wir in den letzten Jahren eine ganzeMenge erreicht.Jetzt erklären Sie bei einer Ihrer vielen Ankündigungs-konferenzen: Von diesem gesellschaftlichen Konsenswollen wir abgehen. Dabei berücksichtigen Sie gar nicht,dass so langfristig der Naturschutz der Unterlegene ist.Machen Sie auf diesem Weg bitte nicht so weiter, sondernversuchen Sie, Naturschutz, Landwirtschaft und Umwelt-schutz zu einem Konsens zusammenzubinden! Dann hät-ten Sie eine politische Aufgabe hervorragend bewältigt.Aber gehen Sie bei dieser Frage nicht weiter auf Kon-frontation! Denn dann wird der Gedanke des Natur-schutzgesetzes scheitern.
Nun zur Ökosteuer. Lieber Kollege Loske, eines mussich ganz klar und deutlich sagen: Auch jemand, der sichzum konservativen Spektrum und zur CDU/CSU bekennt,
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wird im Grundsatz gegen eine Ökosteuer nichts haben.Ganz im Gegenteil: Er wird eine solche ökologischeSteuer fordern. Aber es kommt auf die Ausgestaltung an.Das, was Sie gemacht haben, hat in der Tat mit einer öko-logischen Steuerreform überhaupt nichts zu tun.
Damit Sie nicht wieder sagen, dies sei die typische Pro-paganda eines CDU-Mannes, will ich aus der gestrigenAusgabe von „Die Welt“ zitieren. Professor Eekhoff er-klärt darin:Die Ökosteuer setzt am Energieverbrauch an undnicht direkt am Schadstoffausstoß, wie es eigentlichsein sollte. Man muss näher an die Emissionen he-rankommen. Und selbst wenn man weiter indirektbesteuern will, müssten stärker die spezifischen Um-weltbelastungen der verschiedenen Energieträgerberücksichtigt werden. Es ist zum Beispiel völlig ab-surd, die Besteuerung von Kohle herauszunehmen.Grundsätzlich ist eine Ökosteuer aber durchaus et-was Vernünftiges. Man kann sie allerdings nur erhe-ben, wenn man sich international abstimmt. Sonstbelasten die Kosten allein die Deutschen, aber nurrund 4 Prozent der Vorteile bleiben im Lande – dergroße Rest kommt anderen Staaten zugute.Eine solche Ökosteuer wäre sinnvoll, aber nicht die,die Sie eingeführt haben, weil sie nicht der Umwelt undauch nicht dem Standort Deutschland dient.
Wenn ich jetzt höre, dass in Nordrhein-WestfalenFinanzminister Steinbrück überlegt, einen Ausgleich fürsozial Schwache über die Sozialhilfe zu schaffen, dannstelle ich natürlich fest, dass dies über die bekannteSchiene läuft: erst Geld ausgeben und dann eine Entlas-tung wollen. Aber wer soll die Entlastung zahlen? – DieKommunen. Für die Sozialhilfe sind die Kommunen zu-ständig. Sie sind nicht bereit, ihnen durch Ihren Haushaltzu helfen, obwohl Sie bis zum Jahre 2003 8Milliarden DMnicht in die Rentenkasse, sondern in den allgemeinenHaushalt stecken.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Loske?
Ja, gestatte ich.
Herr Kollege Paziorek, wissen Sie, dass die Kohle bei der
Ökosteuer selbstverständlich eingeschlossen ist? Denn es
ist eine Steuer, die am Ende ansetzt. Es ist eine Strom-
steuer und die Stromsteuer wird auf alle Energieträger
gleichermaßen erhoben, das heißt, die Kohle ist einbezo-
gen. Wissen Sie das?
Zweitens. In den letzten Tagen gab es völlig krause
Vorschläge, man sollte die nächsten Stufen der Ökosteuer
für das Heizöl aussetzen. Ist Ihnen bekannt, dass es bei
den Stufen 2 bis 5 überhaupt keine Einbeziehung der
Heizstoffe gibt, das heißt, dass Öl und Gas in die Öko-
steuer gar nicht einbezogen sind, ergo auch keine Forde-
rung erhoben werden kann, man solle die nächsten Stufen
aussetzen? Wissen Sie das?
Lieber Kollege
Loske, natürlich weiß ich, dass die Ökosteuer in der Form
eine Stromsteuer ist. Sie wissen aber genauso gut – dazu
haben Sie persönlich auch schon etwas geschrieben –,
dass an anderer Stelle eine breite Steuerbefreiung der
Kohle stattfindet. Das war ja eine große Diskussion, als es
um die Frage der Gaskraftwerke ging. Da haben Sie sich
ja in diesem Hause gerade zur Steuerbefreiung der Kohle
geäußert. – So, bitte schön, damit klar ist, dass dort eine
breite Befreiung stattfindet.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bin persönlich nicht
nur für einen ersten Schritt, für die Aussetzung der Öko-
steuer der dritten Stufe. Ich bin vielmehr der Ansicht,
diese Ökosteuer muss revidiert werden. Sie muss weg, sie
muss neu gestaltet werden, damit sie wirklich eine ökolo-
gische Steuer ist.
Ganz zum Schluss noch eines zur Klimaschutzpoli-
tik:Das DIW sagt – ich will mit Ihrer Erlaubnis, Frau Prä-
sidentin, das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung
vom Juli 2000, das hier sehr oft angesprochen wurde, zi-
tieren –:
Erfolgreich wird er
– das heißt, der Ansatz der Bundesregierung –
aber nur dann sein können, wenn dazu die entspre-
chenden Maßnahmen nicht nur angekündigt, sondern
auch tatsächlich in Kürze umgesetzt werden. Anders
besteht wohl ohnehin keine Aussicht mehr, das für
2005 angestrebte Ziel wenigstens noch näherungs-
weise zu verwirklichen.
Dass Sie überhaupt eine Chance haben, 2005 das Ziel
tatsächlich zu erreichen, hängt doch damit zusammen,
dass Sie heute sagen können: Wir haben in Deutschland
gegenüber 1990 schon eine Reduktion des CO2-Aus-stoßes um nahezu 16 Prozent. Das können Sie aber nur
sagen, weil wir in der Zeit von 1990 bis 1998 ein erfol-
greiches Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht
haben, mit dem Ergebnis, dass wir heute schon eine CO2-Reduktion um 16 Prozent haben. Es sind unsere Erfolge,
mit denen Sie sich heute in der Politik brüsten.
Denken Sie an IhreRedezeit!
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Ich sage nur eines:
Herr Umweltminister Trittin, zwei Jahre sind Sie jetzt
Umweltminister. Bei einer Bilanz mitten in einer Legisla-
turperiode kann man sagen: Es waren zwei Jahre Lehr-
jahre. Wenn Umweltpolitiker ein Lehrberuf in Deutsch-
land wäre, dann wären Sie der teuerste Lehrling. Das wäre
vielleicht für Sie im dritten Lehrjahr ganz interessant, aber
für die deutsche Umweltpolitik ist das eine schlechte Si-
tuation.
Das Wort hat nun die
Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Paziorek, Sie ha-
ben Ihren Redebeitrag damit begonnen, dass Sie gesagt
haben, als Konservativer sei man für pragmatische und
gegen ideologische Lösungen.
Ich finde es unerhört, dass Sie heute eine derartige ideo-
logische Kampagne hier losgetreten haben.
Die CDU/CSU hat eine Kampagne losgetreten, und zwar
mithilfe der Ex-Umweltministerin, die sich früher zum
Konzept Ökosteuer bekannt hat. Sie hat heute um 11 Uhr
von Mitgliedern der Jungen Union hier in Berlin an Auto-
fahrer einen Aufkleber mit dem schönen Spruch verteilen
lassen: „Öko“. Das „Ö“ ist durchgestrichen und es heißt:
„k.o.: Diese Steuer muss weg“. Das ist die Kampagne, die
Sie machen. Und hier bei den Fachpolitikern sagen Sie:
Ja, wir sind ja für eine Ökosteuer, aber anders.
Aber Sie bleiben die Antwort schuldig, wie sie denn
nun ausgestaltet werden soll. Sie müssen sich nun schon
einmal entscheiden: Sind Sie für oder gegen eine Öko-
steuer? Wie und in welchen Schritten soll sie gestaltet
werden? Sind Sie bereit, das dann auch draußen bei der
Hetzkampagne, die Sie hier begonnen haben, so zu ver-
treten, wie Sie es hier im Hause vertreten?
Eigentlich ist es eine schlimme Sache, dass man über
die anderen Punkte des Haushalts gar nicht ausführlich re-
den kann, sondern sich überwiegend mit diesem Thema
befassen muss. Gleichwohl muss ich Sie im Zusammen-
hang mit der Ökosteuer daran erinnern, dass Sie während
Ihrer Regierungszeit viermal die Mineralölsteuer erhöht
haben: 1989, zweimal 1991 und dann noch einmal 1994.
Insgesamt haben Sie die Mineralölsteuer in dieser Zeit
um 55 Pfennig erhöht. Dieses Geld haben Sie aber nicht
den Menschen zurückgegeben, sondern Sie haben damit
Haushaltslöcher gestopft. Wir geben jetzt durch die Sen-
kung der Rentenversicherungsbeiträge die Ökosteuer voll
zurück.
Das heißt, Sie haben abkassiert. Heute aber setzen Sie sich
an die Spitze der Bewegung. Ich finde das heuchlerisch.
Sie verschweigen bei Ihrer Kampagne außerdem, dass
bei Rücknahme der Ökosteuer, wenn man ehrlich bilan-
ziert, die Rentenbeiträge steigen müssten.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blank?
Jederzeit.
Frau Kollegin, Sie haben
gerade erwähnt, dass zu unserer Regierungszeit die Mi-
neralölsteuer erhöht wurde. Können Sie mir sagen, für
welchen Zweck?
Es gab damals unter-schiedliche Begründungen: Einmal war es für den Golf-krieg, einmal für die deutsche Einheit.
Fakt ist: Noch nie wurde die Mineralölsteuer so stark er-höht wie in Ihrer Regierungszeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,Sie sind auch insofern unehrlich, als Sie nicht fordern,dass teilweise das zurückgenommen wird, was Sie damalsangerichtet haben. Vielmehr fordern Sie, dass wir unserePolitik zurücknehmen, und gleichzeitig sagen Sie denBürgerinnen und Bürgern nicht, woher das Geld kommensoll. Es gibt ja nur eine Alternative: Entweder zahlen dieMenschen es an der Zapfsäule oder sie haben die Kostenauf dem Lohnstreifen.
Wir bekennen uns voll und ganz zu unserer Verantwor-tung auch für künftige Generationen und erklären, dassder Faktor Arbeit billiger und der Faktor Umwelt teurerwerden muss. Deshalb werden wir Ihrer Kampagne auchstandhalten.Im Übrigen verschweigen Sie bei Ihrer Kampagne,dass gerade heute die Mineralölpreise um 5 Pfennig an-gehoben worden sind. Ich kann mich aber nicht daran er-innern, dass wir gestern die Ökosteuer erhöht hätten. DieRohölpreise sind gesunken und trotzdem steigen jetzt diePreise an der Zapfsäule. Deswegen weiß jeder, dass dieRücknahme der Ökosteuer nichts weiter als eine Umver-teilung in die Taschen der Mineralölkonzerne oder derOPEC wäre. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis neh-men.
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Heute habe ich gelernt, dass dies von vielen bestrittenwird und dass manche ein anderes Konzept haben. Des-halb möchte ich Sie, Herr Kollege Paziorek, zu IhremKonzept befragen.Sie haben in Ihrer Fraktion ein Eckpunktepapier ein-gebracht. Ich weiß nicht, ob es schon beschlossen ist.
Dazu konnte man im „Handelsblatt“ dieser Woche fol-gende Überschrift lesen: „Union will EU-weite Klima-steuer und Maut für Lkws“. Jetzt frage ich mich: Wiepasst denn das zusammen? Hier machen Sie eine Kam-pagne gegen das, was Sie dort fordern. Entsprechendabenteuerlich waren die Argumente des KollegenLippold.Sie fordern also wieder eine EU-weite Klimasteuer.Dabei wissen Sie ganz genau – das war nämlich noch zuIhrer Regierungszeit –, dass es damals nicht gelungen ist,im Ecofin-Rat einen einstimmigen Beschluss aller EU-Länder zu bekommen.
Diesen Weg einer EU-weiten Harmonisierung wollten wirdamals alle gemeinsam gehen. Sie wissen auch, dass inder EU nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip herrscht.
Insoweit haben Sie uns eine Menge Arbeit übrig gelassen.Das nennt sich elegant die „leftovers von Amsterdam“.Das heißt, dass wir jetzt dafür sorgen müssen – das wollenwir in Nizza auch tun –,
– dass das Einstimmigkeitsprinzip überwunden wird undin Zukunft Mehrheitsentscheidungen möglich sein wer-den.Aber Sie fordern die EU-weite Steuer jetzt, obwohl Siewissen, dass im Moment noch das Einstimmigkeitsprin-zip gilt. Dies bedeutet, dass Sie de facto diese Steuerüberhaupt nicht wollen; denn an der Haltung von Spanienoder Griechenland hat sich in den letzten beiden Jahrennichts geändert.Uns wäre ein europaweit harmonisiertes Vorgehenauch lieber gewesen als unterschiedliche Systeme inzwölf oder 13 Ländern; das ist doch gar keine Frage. Aberdamals hat der Wirtschaftsminister, an dessen Namen mansich kaum noch erinnert – Rexrodt hieß er –,
– zugestimmt, dass, wenn es keine gemeinsame Positionder Wirtschaftsminister in Europa gibt, nationales Vorge-hen in bestimmtem Umfange ausdrücklich erlaubt wurde.Das war die Position, die damals eingenommen wurde.Insofern wissen Sie, dass wir damals eine europaweiteHarmonisierung nicht hingekriegt haben. Wir werden sieauch in Zukunft nicht hinbekommen, wenn wir nicht zueinem Mehrheitsprinzip gelangen.Ihr Kollege Lippold fordert gleichzeitig die Umwand-lung der Pendlerpauschale in eine nicht nur für Pkw gel-tende Entfernungspauschale, das heißt in eine verkehrs-mittelunabhängige Entfernungspauschale.
Lieber Herr Kollege, da ich diese Forderung selbst gutkenne, weiß ich sogar, was es heißt. Er blieb allerdings dieAntwort schuldig, als er im „Handelsblatt“ gefragt wurde,ob es bedeutete, dass die Mittel dafür erhöht würden. Erverneinte dies und sagte, man wolle es aufkommensneu-tral gestalten; aber das letzte Wort sei noch nicht ge-sprochen.Was heißt das denn? Stellen Sie sich doch bitte hierhinund sagen Sie die Wahrheit. Wenn das eintritt, was Siehier vorschlagen, nämlich eine aufkommensneutrale Um-gestaltung, bedeutet dies, dass die Berufspendler in Zu-kunft durch Ihre Politik weniger in der Tasche haben alsderzeit. Es ist also eine Politik gegen den ländlichenRaum und gegen die Berufspendler.
Auch wir hätten gerne eine Umgestaltung, wissen aber,dass wir bei der derzeitigen Situation etwas draufpackenmüssten. Nachdem Sie uns einen derart desolaten Haus-halt hinterlassen haben, sehen wir dafür im Moment keineGestaltungsspielräume. Das ist die Wahrheit.Sie haben in Ihrer Fraktion ein Konzept als Fachpoliti-kerinnen und Fachpolitiker vorgelegt, gegen das Sie imAugenblick eine öffentliche Kampagne starten. Ich finde,das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen las-sen. Wenn Sie so etwas gleichzeitig machen, leiden Sieentweder unter Gedächtnisschwund oder blenden einenBereich der Wirklichkeit systematisch aus.
– Stellen Sie mir doch bitte eine Zwischenfrage; dannhabe ich vielleicht noch mehr Zeit, Ihnen ausführlich zuantworten.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paziorek?
Ja, bitte sehr.
Frau Caspers-Merk,wie steht es denn mit den Aussagen in Ihrer Koalitions-vereinbarung? Sie erklären dort ausdrücklich, eine Öko-steuer solle in Abhängigkeit von der allgemeinen Ent-wicklung der Energiepreise eingeführt werden. War dasdamals nur eine Aussage zur Beruhigung einer interes-sierten Öffentlichkeit und rücken Sie jetzt von einer sol-chen Einbeziehung der Energiepreise ab? Wann kommtder Punkt, an dem Sie sagen: Wenn der Energiepreis dieseoder jene Messlatte überschritten hat, stellt sich für unsdie Ökosteuerfrage neu?
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Marion Caspers-Merk11364
Es ist klar, dass wir in
die Koalitionsvereinbarung zunächst ganz allgemein das
Thema Ökosteuer aufgenommen hatten, nicht aber die
einzelnen Stufen. Sie wissen, dass damals sogar über
höhere Stufen diskutiert wurde. Wir haben gesagt: Wir
machen niedrigere Stufen, dafür aber eine verlässliche
Politik, damit wir wissen, welche Beträge hereinkommen
und in welchem Umfang wir die Rentenbeiträge senken
können. Auf diese Weise bleibt das Ganze auch kalkulier-
bar.
Die Debatte dreht sich im Moment um jeweils 7 Pfen-
nig. Dafür sind wir verantwortlich. Für alles andere sind
die Mineralölkonzerne und die OPEC verantwortlich.
Nennen Sie doch zunächst einmal die Verantwortlichen
beim Namen, bevor Sie eine Kampagne gegen die Öko-
steuer lostreten, die Sie gleichzeitig europaweit fordern.
Nun lasse ich keine
Zwischenfrage mehr zu, weil wir sehr aus dem Zeitplan
geraten sind. Ich bitte dafür um Verständnis. – Frau Kol-
legin, Sie haben das Wort.
Zum Thema Energie-
preise gab es einen interessanten Artikel der deutschen
Ausgabe der „Financial Times“ in dieser Woche, die un-
verdächtig ist, sozialdemokratischen Umtrieben hold zu
sein. Dort wird zum Thema Benzinsteuer und Rohölpreise
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass
wir täten, was Sie forderten, die Instrumente des Marktes
greifen würden. Das heißt, der Verbraucher hätte unter
dem Strich keine Entlastung. Vielmehr würde jede von
uns gegebene Entlastung sofort – wie man es ja heute an
jeder Zapfsäule sieht – von den Mineralölkonzernen auf-
gefressen werden.
Der Kommentator endet mit der Aussage:
Nur ein Teil des verlorenen Steueraufkommens käme
den Verbrauchern zugute. Der andere Teil wäre durch
den Anstieg der Preise der Reingewinn der Ölförder-
länder.
Wer also eine solche Kampagne wie Sie führt, der muss
sich – erstens – den Vorwurf machen lassen, dass er ver-
brannte Erde für das Thema Klimaschutz hinterlässt.
Er muss sich – zweitens – auch vorwerfen lassen, dass
er ein Stück weit die Unwahrheit sagt, wenn er wie Sie
nicht erwähnt, dass er auch eine EU-weite Ökosteuer
möchte.
Er muss sich – drittens – den Vorwurf gefallen lassen,
dass er das Geschäft der OPEC und der Mineralölkon-
zerne betreibt.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldun-gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nichtvor.Wir kommen jetzt zu einer Überweisung im verein-fachten Verfahren ohne Debatte.Ich rufe den Zusatzpunkt auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Be-messungsgrundlage für Zuschlagsteuern– Drucksache 14/3762 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussInterfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-wurf der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zu-schlagsteuern, Drucksache 14/3762, zur federführendenBeratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung anden Innenausschuss und den Rechtsausschuss zu über-weisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nichtder Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen nun zur Beschlussfassung zu Vorlagen,über die keine Aussprachen vorgesehen sind.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses zudem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungs-hofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 1999 – Einzelplan 20 –– Drucksachen 14/2868, 14/3974 –Berichterstattung:Abgeordnete Ewald SchurerJosef HollerithOswald MetzgerDr. Werner HoyerDr. Uwe-Jens RösselWer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung isteinstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 b auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung zu derUnterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluss des Rates zurAufhebung der Beschlüsse 75/364/EWG,77/454/EWG, 78/688/EWG, 78/1028/EWG,80/156/EWGund 85/434/EWGüber die Einset-zung Beratender Ausschüsse für die Ausbil-dung der für die allgemeine Pflege verantwort-lichen Krankenschwestern/Krankenpfleger,der Zahnärzte, der Tierärzte, der Hebammen,der Apotheker und der Ärzte
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11365
– Drucksache 14/3050 Nr. 2.2, 14/3607 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Werner BertlNorbert Hauser
Matthias BerningerCornelia PieperAngela MarquardtDer Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 14/3607,die Bundesregierung aufzufordern, den Vorschlag derEU-Kommission abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig ange-nommen.Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort undkommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Einzel-plan 19.Ich erteile das Wort dem Herrn BundesministerReinhard Klimmt.Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-und Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Haushaltskonsolidierung ist eine allgemeineAufgabe, auch in meinem Ressort. Des Weiteren ist es un-sere Aufgabe, die Weichen für die Zukunft zu stellen, undzwar mit einer integrierten Politik, die Verantwortung fürInfrastruktur und Arbeitsplätze, Verantwortung für Um-welt und Klima – hier kann ich an das anschließen, wasvorher diskutiert worden ist –, Verantwortung für sozialeGerechtigkeit – dieses Thema wurde heute auch schondiskutiert – und selbstverständlich auch Verantwortungfür den Aufbau Ost zeigt –
Als Infrastrukturministerium kümmern wir uns umRaumordnung – den entsprechenden Bericht haben wirvorgelegt –, um Städtebau – die Fördermittel sind etati-siert – und um das Wohnungswesen. Auch dafür gibt esentsprechende Haushaltstitel. Wir wissen, dass dieArbeitsplätze im Bereich des Verkehrs direkt von den In-vestitionen des Bundes abhängen, wenn es um den Aus-bau der Infrastruktur und die Förderung der Mobilitätgeht, und dass das gewünschte Wirtschaftswachstumgleichzeitig mit Verkehrswachstum verbunden ist. Dafürwollen und müssen wir rechtzeitig Vorsorge treffen.
In unserer Verantwortung für das Klima verfolgen wirdas Ziel der Minderung des CO2-Ausstoßes auf unter-schiedlichen Wegen. Wir stärken die Bahn und den öf-fentlichen Personennahverkehr. Hier müssen wir uns auchmit der EU auseinander setzen, damit die bereits von unserreichten Fortschritte nicht durch die Erfüllung falscherHarmonisierungsbedürfnisse zerstört werden. Es geht da-rum, die Forschung voranzutreiben. Es wird an einemKraftstoff der Zukunft gearbeitet. Welche Auswirkungeneine Ölknappheit haben kann, wird uns zurzeit ja deutlichgemacht. Insofern müssen wir Alternativen finden. Daranarbeiten wir. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dassdie Automobilunternehmen im Interesse der Klimaver-besserung mit uns vereinbart haben, den Flottenver-brauch der Autos zu senken. Das ist auch gelungen.
Im Baubereich fördern wir das kosten- und flächen-sparende Bauen. Außerdem werden wir das Modernisie-ren mit Unterstützung der Mehrheit noch stärker in denMittelpunkt unserer Arbeit stellen. Wir fördern die erneu-erbaren Energien. Mit der Energieeinsparverordnungwerden wir Bedingungen setzen. Das, was an Ergebnissenerzielt werden wird, wird für die Verbraucher in Mark undPfennig zu messen sein. Wir dürfen aber nicht nur überVerordnungen nachdenken; unsere wichtigste und vor-nehmste Aufgabe ist vielmehr, das richtige Verhalten zuunterstützen und zu fördern.
Soziale Verantwortung heißt für uns, Verkehrssicher-heit sorgfältig zu beobachten, ausreichend bezahlbarenWohnraum zur Verfügung zu stellen, Eigentum zu fördernund das Zusammenhalten in der sozialen Stadt zu fördern.Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir das Wohngeld end-lich erhöhen können. Denjenigen, die das mitgetragen ha-ben und gefördert haben, bin ich dankbar. Damit konntenwir Mietern und Vermietern gleichermaßen einen Diensterweisen.
Beim Aufbau Ost werden wir an den Verkehrsprojek-ten „Deutsche Einheit“ weiterarbeiten, die unsere Kraft instarkem Maße beanspruchen. Bei der Städtebauförderungist die Priorität ganz eindeutig: Von 600 Millionen DMgehen allein 520 Millionen DM in die neuen Bundeslän-der. Wir arbeiten an Lösungen für die Probleme bei denstrukturellen Altlasten, zum Beispiel beim Wohnungsbauund bei der Bahn. Ich kann den Menschen in Ostdeutsch-land sagen – der Kanzler hat es ihnen signalisiert –: Wirwerden sie in dem schwierigen Prozess, in dem sie nochimmer stehen, nicht allein lassen, sondern werden sie wei-ter unterstützen.
Der Haushalt sieht so, wie er jetzt vorgelegt ist, mehrals 24 Milliarden DM für Investitionen vor. Mit derMehrheit dieses Hauses werden noch einige Mittel mehrzu erwarten sein. Im Verkehrsbereich ist der hohe Investi-tionsanteil schon jetzt unvermindert erhalten. Daraufmöchte ich Sie aufmerksam machen, weil ich mich an dieDiskussion des vergangenen Jahres erinnern kann. Es istmir in Gesprächen mit dem Finanzminister gelungen, dieglobale Minderausgabe abzubiegen.
– Ja, das ist uns gelungen. Maßnahmen, die wir in Maß-nahmen mit hoher Priorität und solche mit Priorität ge-
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Vizepräsidentin Anke Fuchs11366
trennt hatten, haben wir jetzt wieder zusammengeführt.Das heißt, wir können auch die prioritären Maßnahmenim Investitionsprogramm in Angriff nehmen. Das verfährtnach dem Motto: Nicht immer prahlen, nicht immerangeben, sondern daran arbeiten, dass man das schafft.Das Motto muss sein: Mehr sein als scheinen, nichtumgekehrt.
Es wird vermutlich noch mehr Geld da sein. Wenn esso kommt, wie es vom Finanzminister vorgesehen ist, undwenn es so kommt, wie es von den Koalitionsfraktionenbesprochen worden ist, dann werden wir erheblich mehrfür die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben, als Siein Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, die damals unse-riös war, vorgesehen hatten. Wir sind auf dem Wege, nichtnur das zu korrigieren, was Sie falsch gemacht haben; wirkommen sogar in einen Bereich, den Sie sich überhauptnicht vorstellen konnten.
Außerdem sind wir dabei, zusätzliche Mittel zu mobili-sieren wie zum Beispiel das Anti-Stau-Programm, mitdem wir nach 2003 erhebliche Maßnahmen „on top“ fi-nanzieren können. Das ist auch unter anderem die Privat-finanzierung für Rostock und Lübeck, die schon in trocke-nen Tüchern ist. Und das sind auch fantasievolleVorfinanzierungsmodelle, die wir – nicht auf Kosten desBundeshaushaltes, sondern im wechselseitigen Interesse,wie bei der A 31 in Niedersachsen – mit den Ländern ab-schließen.
– Danke für den Beifall! – Wir verhandeln mit Baden-Württemberg und Bayern über Stuttgart 21 und die Voll-endung der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulmund die Weiterführung nach München. Das zeigt, dassman auch bei knappen Kassen den Mut haben muss, zu-sätzliche Fantasie zu entwickeln, damit wir die Lücken inunserer Infrastruktur wirklich schließen können.
Wir werden noch in diesem Herbst den Verkehrsbericht2000 vorlegen. Unser Ziel ist ein integriertes Verkehrs-system. Dazu gehört die Überarbeitung des Bundesver-kehrswegeplans, dazu gehört das Flughafenkonzept, daswir Ihnen zugeleitet haben, und dazu gehört ein Zukunfts-paket für die Schiene. Jetzt muss alles auf den Tisch. Inder Vergangenheit ist, aus welchen Gründen auch immer,zu viel, was die Probleme der Bahn angeht, zugedecktworden. Es muss jetzt alles auf den Tisch, damit wir einetreffende Analyse bekommen und im Rahmen der Thera-pie dann die richtigen Antworten geben können.Ich weiß, dass wir dazu Geld brauchen. Ich weiß, dasswir in vielen Bereichen etwas tun müssen. Es ist momen-tan völlig egal, wer für das Netz verantwortlich ist. Wirmüssen einfach die notwendigen Investitionen in Gangbringen, damit das Netz überhaupt in einen Zustandkommt, von dem man sagen kann, dass die Bahn in unse-rem Lande eine sichere und gute Zukunft haben wird.
Dabei ist es ganz wichtig, dass wir den Güterverkehrim Auge behalten; denn in diesem Bereich gibt es ein ex-plosionsartiges Wachstum. Es geht nicht nur darum, wassich bei uns im Inneren aufgrund der – Gott sei Dankhochtourenden – Konjunktur abspielt, sondern auch da-rum, was aufgrund der Entwicklung in Europa an Transit-verkehr auf uns zukommen wird.Die jetzt – trotz der ungeheuer hohen Zahl an Aufträ-gen – aufgetretenen Probleme der Spediteure und unsereProbleme bei der Bewältigung des Güterverkehrs zeigen,dass wir auf diesem Gebiet einen hochgradig gestörtenMarkt haben. Da liegt das eigentliche Problem, mit demwir uns auseinander setzen müssen. Bahn und Wasser-straße haben einen viel zu geringen Anteil am Güterver-kehrsaufkommen. Wir müssen diesen Anteil stärken.
Deswegen ist es mein Ziel, dass wir es in den Jahrenbis 2015 schaffen, den Anteil der Bahn am Güterver-kehrsaufkommen wenigstens zu verdoppeln.
Wir brauchen die Bahn und die Wasserstraßen einfach,um dem wachsenden Güterverkehr Rechnung zu tragen.Auch im Straßengüterverkehr insgesamt funktioniertder Wettbewerb nicht mehr richtig. Deswegen möchte icheine Nebenbemerkung zur Ökosteuermachen, die in die-ser Haushaltsdebatte einer der zentralen Punkte ist. Wiralle wollen den Haushalt konsolidieren. Wir alle wollenLohnnebenkosten senken. Wir alle wollen Renten aufmöglichst hohem Niveau. Wir alle wollen die CO2-Belas-tung mindern. Über all diese Punkte sind wir uns einig.Verfolgt man die Debatte über die einzelnen Haushalteund die damit verbundenen Probleme, merkt man, dassForderungen gestellt werden, den Haushalt zu konsolidie-ren, ohne dass gleichzeitig die notwendigen Änderungenbei den Steuern vorgenommen werden sollen. Es wird ge-fordert, die explodierenden Lohnnebenkosten zu senken.Beschreitet man aber einen Weg, sie zu senken, dann istdas plötzlich nicht richtig. Dabei war es doch auch dasDuo Merkel/Schäuble, das von sich aus gesagt hat: Es gibteinen Zusammenhang zwischen zu hohen Lohnnebenkos-ten und zu niedrigen Energiekosten.
Das ist keine Erfindung von uns; vielmehr ist das etwas,was auch von Ihrer Seite politisch vorgetragen worden ist.
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Bundesminister Reinhard Klimmt11367
Deswegen verstehe ich Ihr politisches Sperrfeuer nicht,das Sie jetzt entfachen. Ihr Sperrfeuer dient den Konzer-nen und der OPEC. Gemessen am deutschen Interesse istes geradezu irrational, was Sie im Zusammenhang mit derÖkosteuer politisch betreiben.
Beim Güterverkehrsgewerbe muss man wirklich et-was tun.
Auch das ist mir völlig klar. Es geht darum, einen faireninternationalen Wettbewerb zu garantieren. Der interna-tionale Wettbewerb ist nicht mehr fair. Deswegen werdeich im Rahmen der EU darauf drängen, dass es wieder ei-nen fairen Wettbewerb gibt.
Hier ist aber ein weiterer Punkt zu nennen: Es gibt aucheinen unfairen Wettbewerb in Deutschland zwischenGroßen und Kleinen; auch gegen den müssen wir vorge-hen und dürfen nicht nur die Schuld bei anderen suchen.
Es gibt genug deutsche Unternehmen, die bei uns mit Fir-men Kabotage fahren, die in osteuropäischen Ländern an-gesiedelt sind, und so bei uns Dumpingpreise anbietenkönnen. Das tun nicht nur ausländische Unternehmer; esgibt auch genug Deutsche, die das tun. Auch dagegenmuss man etwas tun. Man darf darüber nicht einfach denMantel christlicher Nächstenliebe decken.
Meine Damen und Herren, wichtige Punkte habe ichgenannt. Wir werden beim Wohnungs- und Städtebaumit etwa 4,5Milliarden DM die Investitionen hoch halten,wir werden zusätzlich die Modernisierung vor allem imWohnungsbestand zusätzlich fördern. Es ist gut, dass sichdas im Bewusstsein durchgesetzt hat. Das KfW-Pro-gramm und spezielle Hilfen, die wir jetzt dank kluger Po-litik zum Beispiel des Hans im Glück – der ja nicht nur einHans im Glück ist, sondern gleichzeitig ein kluger undtüchtiger Finanzminister, denn nur wer tüchtig ist, hatauch Glück – finanzieren können, tragen dazu bei.
Wir werden in die Straßeninfrastruktur, in die Wasser-straßen und in die Schienenwege investieren. Mir fälltauch noch ein Thema ein, mit dem wir uns letztes Malschon befasst haben: Es handelt sich um den Transrapid.Wir stellen den Transrapid jetzt auf eine realistischeGrundlage. Er bekommt eine realistische Perspektive,einmal bei uns im Inneren.
– Ich mache sehr viel. Ich werde zum Beispiel im Okto-ber unter anderem in die USA reisen, um dort mit denAmerikanern über die Anwendung dieser Technologie zureden.
Bezüglich eines Einsatzes im Inland werden, wie Sie wis-sen, fünf Projekte von uns untersucht. Davon werden wirwenigstens eins oder zwei umsetzen.
Selbst in diesem Bereich haben wir das, was bei Ihnen indie falsche Richtung gelenkt worden ist, auf die richtigeSpur gebracht.
Auch darauf bin ich stolz.
Deswegen ist es, meine Damen und Herren, vielleichtgar nicht so verwunderlich, dass das Weltwirtschaftsfo-rum in Genf festgestellt hat, dass sich die wirtschaftlichePosition Deutschlands gegenüber dem Jahre 1999 er-heblich verbessert hat: bei der Attraktivität von Platz 6 aufPlatz 3 und bei der Wettbewerbsfähigkeit von Platz 25 aufPlatz 15. Ich freue mich, dass wir, Sie – allerdings mit un-terschiedlicher Intensität, das muss ich sagen –, meineMitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ich zu diesemerfreulichen Ergebnis beitragen konnten.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich dasWort dem Kollegen Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.Eduard Oswald (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine liebe Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Regierungsfraktionen, der Beifall, den Sie hier ebendem Bundesminister gezollt haben, spiegelt im Grundegenommen nur Ihr schlechtes Gewissen über die Tatsachewider, wie schlecht Sie den Haushalt des BundesministersKlimmt ausgestattet haben. Insofern mussten sie das mitdem Beifall hier wieder kompensieren.
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Bundesminister Reinhard Klimmt11368
Lieber Herr Bundesminister, hier wurde vonseiten derBundesregierung vieles schöngeredet oder die Schuld derVergangenheit gegeben.
Die Realität der Verkehrspolitik in unserem Lande habenviele Urlauber im Sommer dieses Jahres erlebt: Ihre Öko-steuer war die Urlaubssteuer und Ihr Investitionsstau warder Verkehrsstau. Das ist die Realität im Jahre 2000.
Sie bremsen die Mobilität in unserem Lande. Wir stel-len fest, dass Sie die Investitionen in Ihrem Haushalt im-mer weiter zusammengestrichen haben. Die Investitio-nen im Verkehrshaushalt in den Jahren 1999 und 2000hatten Sie um rund 500 Millionen DM gegenüber demAnsatz der unionsgeführten Regierung gekürzt, und imvorliegenden Haushaltsentwurf für 2001 kürzen Sie umweitere 1,4 Milliarden DM.Wir stellen fest, dass das Investitionsprogramm imZeitraum 1999 bis 2002 allein beim Straßenbau Kürzun-gen von 5 Milliarden DM gegenüber der Mittelfristpla-nung der alten Bundesregierung vornimmt.
Wir stellen fest, dass der Autofahrer bereits aus den ers-ten beiden Stufen der Ökosteuer, 1999 und 2000, rund10 Milliarden DM Mineralölsteuer zusätzlich in die Bun-deskasse abliefert, davon aber keine einzige Mark derVerkehrsinfrastruktur zugute kommt.
Beim Autofahrer wird abkassiert, ohne dass er eine ent-sprechende Gegenleistung erhält.
Wir stellen fest, dass das Lkw-Gewerbe aus der ge-planten elektronischen Straßenmaut ab 2003 mehr als4 Milliarden DM pro Jahr erbringen soll, davon aber nur1,5 Milliarden DM für die Verkehrsinfrastruktur verwen-det werden sollen und nur die Hälfte davon, rund 750Mil-lionen DM, in den Straßenbau fließen sollen.Wir stellen fest, dass das mit dem viel versprechendenEtikett „Anti-Stauprogramm“ öffentlich gemachte Vorha-ben erst ab 2003 und damit also nach der Bundestagswahl2002 realisiert werden soll.Wir stellen fest, dass für die Maut als Finanzierungs-grundlage Ihres Anti-Stau-Programms der Zeitpunkt, dietechnischen und nationalen rechtlichen Voraussetzungen,die Vereinbarkeit mit dem EU-Abkommen sowie die Ein-nahmehöhe noch völlig ungesichert sind.Wir stellen fest, dass im Anti-Stau-Programm wenigerMittel für dringliche Straßenbaumaßnahmen eingeplantsind, nämlich 3,7 Milliarden DM in den Jahren 2003 bis2007, als Rot-Grün zuvor im Zeitraum 1999 bis 2002gekürzt hat, nämlich rund 5 Milliarden DM.Das ist die Wahrheit, das sind die Fakten.
Nehmen Sie Ihre Koalitionsvereinbarung ernst undstärken Sie die Verkehrsinvestitionen in unserem Lande!Sie sollten erstens den Abhängigkeiten von Mobilitätund Wirtschaftswachstum größere Aufmerksamkeitwidmen und die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen ver-stärken.Sie sollten zweitens die Straße als Rückgrat des ge-samten Verkehrssystems anerkennen und als Konsequenzden ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Neu-und Ausbau des Bundesfernstraßennetzes nicht weitervernachlässigen.Sie sollten drittens die Investitionsquote für den Bun-desfernstraßenbau entsprechend den bisherigen und denzu erwartenden Verkehrsleistungen des Straßengüter- unddes Straßenpersonenverkehrs erhöhen.Sie sollten viertens die investiven Voraussetzungen füreine weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung schaf-fen. Denn der Stau auf unseren Straßen zieht jährlichvolkswirtschaftliche Verluste in zweistelliger Milliarden-höhe nach sich. Übrigens sind Ortsumgehungen Men-schenschutz. Auch dies ist wichtig festzuhalten.
Wir begrüßen alles, Herr Bundesminister, was Sie fürden Verkehrsbereich zusätzlich tun wollen; denn Investi-tionen in die Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen indie Zukunft. Aber sagen Sie bitte auch, ob die rot-grüneKoalition den politischen Willen hat, mehr Geld für denStraßenbau auszugeben. Das wird spannende Frage sein,die wir hier noch zu behandeln haben.
Für uns gilt: Wir brauchen jeden unserer Verkehrsträ-ger; jeder Verkehrsträger muss seine eigenen Stärken ent-falten können. Deshalb fordern wir von Ihnen: Geben Sieder Bahn den notwendigen Flankenschutz. Gefordert istneuer Schwung für die Bahn. Die Bahn muss in unseremVerkehrssystem des 21. Jahrhunderts einen unverändertwichtigen Platz einnehmen. Nur so werden wir die He-rausforderungen der Mobilität bewältigen.
Wir werden alle Vorschläge der Bahn und der Bundes-regierung, auch die heutigen, daraufhin überprüfen, ob siezu mehr Zufriedenheit bei den Bahnkunden führen und obdie Sicherheit bei der Bahnbenutzung im Mittelpunktsteht. Zufriedenheit und Sicherheit sind die Voraussetzun-gen für den Erfolg des Unternehmens und seiner Mitar-beiter. Wir werden alle Vorschläge daraufhin überprüfen,ob sie dazu beitragen, insgesamt wieder mehr Verkehr aufdie Schiene zu bringen.
Wir wollen das Rad-Schiene-System wieder attraktivermachen. Das muss unser Ziel sein. Wir sollten dieses Zielgemeinsam verfolgen.
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Eduard Oswald11369
Wenn Sie hier ankündigen, im Güterverkehr einen großenWurf zu machen, dann sage ich, dass wir mit großem In-teresse verfolgen werden, ob Ihnen dies gelingt. Wir for-dern Bundesregierung und Bahn auf – das ist für uns alsUnion ein ganz entscheidender Punkt –, am Ziel einesflächendeckenden Bahnangebots festzuhalten.
Die Bahnreform ist erfolgreich gewesen, indem sie zurSteigerung der Produktivität um mehr als 100 Prozentgeführt hat und deutliche Erfolge auf der Kostenseite ein-getreten sind.
Der Durchbruch auf der Marktseite ist jedoch noch nichtgelungen.
Ziel der Verkehrspolitik muss es sein, Qualität und Leis-tungsfähigkeit der Schiene mit dem Ziel einer umweltge-rechten Mobilität für alle Bürger zu steigern.
Mir persönlich ist klar, dass der Staat aus seiner Verant-wortung für das Schienennetz auf lange Sicht nicht ent-lassen werden kann.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie alsVertreter des Eigentümers Bund konstruktive Hilfe für dieBahn leistet. Dies bedeutet auch, dass Sie die Rahmenbe-dingungen und die Wettbewerbschancen der Bahn ver-bessern müssen, die Sie durch Ökosteuern und durch dieGebühr für die Leistungen des Bundesgrenzschutzes er-heblich verschlechtert haben. Auch dies muss auf denTisch.
Natürlich kann es überhaupt keine Diskussion darübergeben, dass der Fernverkehr auf der Schiene eine Sachedes Bundes ist. Wir brauchen ein kontinuierliches Inves-titionsniveau, um die Schieneninfrastruktur sicherzustel-len. Wir mahnen das überfällige Konzept der Bundesre-gierung für den kombinierten Ladungsverkehr an. Es wirdZeit, dass wir darüber endlich ein Papier bekommen. Wirfordern, dass die EU-weite Wettbewerbsfähigkeit der Ei-senbahn und der europaweite Zugang zur Schieneninfra-struktur beschleunigt vorangetrieben werden. Hier istnicht nur die Verkehrspolitik gefordert; hier muss dieganze Bundesregierung handeln und tätig werden.
So wie Sie die Mobilität auf der Straße bremsen und beider Bahn die Rahmenbedingungen verschlechtert haben,so fehlt Ihnen bei der Binnenschifffahrt der notwendigeSchwung.
– Schub oder Schwung, je nachdem. – Die Donau ist zwi-schen Straubing und Vilshofen ein Engpass für die Schiff-fahrt, der dringend beseitigt werden muss.
Setzen Sie hier ein Zeichen, dass es Ihnen mit der Förde-rung der umweltfreundlichen Gütertransporte auf derWasserstraße Ernst ist! Auch dies ist eine wichtige Forde-rung.
Wir begrüßen es, dass Sie ein Flughafenkonzept vor-gelegt haben. Wir sind der Meinung, dass wir im Aus-schuss, aber auch im Plenum insgesamt darüber intensivreden müssen.Sie sind angetreten, die Mobilität zu verbessern. Die-sem Anspruch sind Sie bisher nicht gerecht geworden. Esist gestern und heute sehr viel über die Ökosteuer ge-sprochen worden. Allein in den ersten beiden Stufen die-ser Ökosteuer haben Sie durch die Erhöhung der Kraft-stoffpreise um rund 14 Pfennige pro Liter – einschließlichMehrwertsteuer – Mehreinnahmen von über 10 Milliar-den DM erzielt, ohne dass eine Mark zusätzlich in denAusbau der Verkehrsinfrastruktur geflossen wäre. Auchdies muss man festhalten.
Sie wissen doch auch, dass viele Mitbürgerinnen undMitbürger gerade im ländlichen Raum tagtäglich auf dasAuto angewiesen sind. Für sie ist die Ökosteuer eine fi-nanziell unerträgliche Belastung. Sie ist alles andere alssozial gerecht.
Sie wissen doch auch, dass Ihre Ökosteuer nicht zurUmkehr im Mobilitätsverhalten geführt hat. Tatsache ist,dass die Ökosteuer die öffentlichen Verkehrsträger belas-tet und infolgedessen die Tarife in vielen Bereichen erhöhtwurden, dass die Benutzerzahlen des ÖPNV – ich sageganz bewusst: leider – rückläufig sind und die Benzin-und Strompreiserhöhungen die sozial Schwächeren tref-fen. Genau das müssen Sie sich vorhalten lassen: Sie tref-fen gerade diejenigen, die im ländlichen Raum auf dasAuto angewiesen sind. In weiten Teilen unseres Landesist das Auto auch Nahverkehrsmittel, weil es dazu keineoder kaum eine Alternative gibt.
Ich sage auch – wir haben darüber schon viel im Um-weltbereich diskutiert –: Nicht nur angesichts der hohenEnergiepreise, Herr Bundesminister, sondern auch ausumweltpolitischer Verantwortung stellt sich für mich
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Eduard Oswald11370
schon die Frage: Was tut die Bundesregierung insgesamt,um der Innovation Wasserstoff auch den notwendigen po-litischen Schub zu geben, um diese Energiebasis als sau-berste und sicherste Energiequelle in die Breite zu brin-gen? Auch diese Diskussion müssen wir gemeinsamführen.
Es freut mich sehr, dass Sie, Herr Bundesminister, ge-sagt haben, dass Sie die Sorgen des Güterkraftver-kehrsgewerbes ernst nehmen. Ich hoffe sehr, dass diesgeschieht. Tatsache aber ist, dass mit dem Lkw mit rund85 Prozent des Gütervolumens zwölfmal so viel wie aufder Schiene transportiert wird. Dies beweist, dass der Lkwnach wie vor das Rückgrat der Versorgung von Wirtschaftund Bevölkerung ist.
80 Prozent des gesamten Lkw-Verkehrs spielen sich imBereich unter 100 Kilometern ab. Deshalb wird auchzukünftig auf den Lkw nicht verzichtet werden können.
Die Beschäftigten und die mittelständischen Betriebe –
– des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes befindensich derzeit in einer schwierigen und bedrohlichen Exis-tenzkrise, die sich gerade in jüngster Zeit noch verschärfthat. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie die Sorgen desGüterkraftverkehrsgewerbes ernst und sichern Sie dieArbeitsplätze im deutschen Transportgewerbe!
Die großen Wirtschaftsverbände haben sich gegen dieMautpläne der Bundesregierung gestellt.
Wir bleiben bei unserer Forderung: Die streckenbe-zogene Lkw-Maut muss für das deutsche Gewerbe belas-tungsneutral sein. Ein Abkassieren ohne Gegenleistung istmit der CDU/CSU nicht zu machen.
Das Pällmann-Gutachten wird uns Verkehrspolitikersehr ausführlich beschäftigen. Wir müssen uns damit sehrintensiv auseinander setzen. Sollten Sie diesen Berichtmöglicherweise nur als Argumentationshilfe dazu benut-zen, die Höhe der Lkw-Maut festzulegen, und ihn imÜbrigen in der Schublade verschwinden lassen, werdenSie bei den notwendigen Investitionen scheitern.
Wir benötigen ferner eine ausführliche parlamentari-sche Diskussion über die Fragen des alpenquerendenVerkehrs. Auch die Klärung dieser Fragen, die nurscheinbar weit entfernt von Berlin sind, liegt in der Ver-antwortung des Bundes. Dieser Verantwortung müssenwir uns stellen. Ich fordere Sie auf, sehr intensiv darüberzu sprechen.
Meine Damen und Herren, die Mobilität ist die großeHerausforderung dieses Jahrzehnts. Mehr Mobilität darfaber nicht zu weniger Sicherheit führen. Deswegen lautetunsere Forderung: Die Verkehrssicherheit muss einenhöheren Stellenwert erhalten. Wir brauchen eine umfas-sende Debatte über die Sicherheit aller Verkehrsträger inunserem Lande, eine Debatte über die Verkehrssicherheitinsgesamt, wobei eines klar ist: An der Verkehrssicher-heitsarbeit zu sparen bedeutet, das Signal falsch zu stel-len.
Wenn die „Wirtschaftswoche“ mit Blick auf den Ver-kehrsminister schreibt, „der Stau im eigenen Hause istmindestens so dramatisch wie beim Rückreiseverkehr aufdem Brenner“,
so wird auf die Vielzahl der offenen Fragen abgestellt, dieeiner Lösung bedürfen. Wir erwarten Ihren Verkehrsbe-richt 2000 mit Spannung. Wir erwarten die Aufstockungder Verkehrsinvestitionen des Bundes, damit der Wirt-schaftsstandort Deutschland keinen Schaden nimmt.
Wir brauchen ein leistungsfähiges Straßen-, Schienen-,Wasserstraßen- und Luftverkehrsnetz. Wir werden Ihnen,Herr Bundesminister, immer zur Seite stehen – denn es istja unsere gemeinsame Verkehrsinfrastruktur –, wenn esdarum geht, beim Finanzminister Mittel loszueisen.
Unser Wirtschaftsstandort Deutschland braucht klare Zu-kunftsperspektiven. Dazu, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der rot-grünen Koalition, ist zu sagen: Zeigen Siebeim Verkehrshaushalt mehr Mumm und sorgen Sie fürmehr Moneten!
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Matthias
Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr KollegeOswald, da Sie in dem Bereich, um den es jetzt geht, näm-lich den Bereich des Bau- und Verkehrsministers, nichtunwesentliche Verantwortung getragen haben, müssenSie sich an einigen Punkten ein paar unangenehme Fragen
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Eduard Oswald11371
gefallen lassen. Erstaunlich in der aktuellen Diskussionüber die Ökosteuer ist die Dreistigkeit, mit der Sie versu-chen, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen.Dreistigkeit Nummer eins – weil Sie vorhin etwas zumThema Ökosteuer und Straßenbau gesagt haben –: Sie ha-ben zu Zeiten von Theo Waigel 50 Pfennig bei der Mine-ralölsteuer aufgesattelt und nichts davon an die Leutezurückgegeben, sondern Haushaltslöcher gestopft, undregen sich heute über die Benzinpreise auf. Das finde ichempörend.
– Der Kollege Waigel lacht, weil er genau weiß, dass esso war.Zweiter Punkt: Jetzt wird hier die Sorge formuliert,durch die Ökosteuer und die gestiegenen Heizölpreisekönnten Haushalte mit einem geringen Einkommen beiden Heizkosten ins Hintertreffen geraten. Der KollegeOswald hat die Wohngelderhöhung nicht durchgesetzt,sondern er hat uns ein zu geringes Wohngeld hinterlassen.Wir waren es, die diese Erhöhung durchgesetzt und damitdie Voraussetzung dafür geschaffen haben, Bezieher nied-riger Einkommen zu entlasten.
Ich finde es dreist, wenn Sie jetzt Ängste schüren, obwohlSie untätig waren.Ein drittes Beispiel, die Sozialhilfeempfänger. Es istbereits mehrfach gesagt worden, dass gerade die Sozial-hilfeempfänger nicht zusätzlich belastet werden, denn dieSozialhilfe vollzieht derartige Entwicklungen nach, etwawenn, wie jetzt, die Heizkosten steigen.Ich will zunächst etwas zur Wohnungspolitik sagen,die bisher noch nicht so stark angesprochen wurde. DieKoalitionspartner haben sich im Zuge der Diskussion umdie Vergabe der UMTS-Milliarden –
– auf ein ganz wichtiges neues Thema geeinigt, nämlichdarauf, dass wir in den Haushaltsberatungen die Voraus-setzungen für ein Altbausanierungsprogramm schaffenwollen.
Das Altbausanierungsprogramm ist gefordert wordenvon den Branchenverbänden und den Gewerkschaften– die einen besonderen Akzent im Bündnis für Arbeit ge-setzt haben – und hat das Ziel, mehrere Fliegen mit einerKlappe zu schlagen. Das oberste und wichtigste Ziel ist,Arbeitsplätze für kleine und mittlere Handwerksbe-triebe – eben nicht für die Großen – zu schaffen. Daszweite wichtige Ziel ist, die Wohnqualität der Menschenzu erhöhen. Neue Fenster zum Beispiel bedeuten mehrRuhe und wärmere Wohnungen. Neue Heizungen bedeu-ten einen niedrigeren Energieverbrauch. Insgesamt be-deuten sanierte Häuser eine höhere Wohnqualität. Dasdritte große Ziel – in zwei Jahren ist der zehnte Jahrestagder Konferenz von Rio, und wir müssen uns darüber un-terhalten, wie die CO2-Einsparungen gelaufen sind – istdie Einsparung von Kohlendioxidemissionen, damitDeutschland die Versprechungen, die es wie viele andereLänder in Rio gemacht hat, einhalten kann. All das wol-len wir mit dem Altbausanierungsprogramm erreichen.Ein Programm, das so viele neue Arbeitsplätze schafftund solch positive Effekte hat, bedarf der lobenden Er-wähnung. Ich werde jedenfalls – ich kann das auch fürmeine Fraktion sagen – in den Haushaltsberatungen allestun, damit wir ein vernünftiges Altbausanierungspro-gramm im Haushalt unterbringen können.
Im Verkehrsbereich – der Kollege Fischer hat sich imNovember des letzten Jahres dazu sehr klar geäußert – istder Koalition eine weitere sehr wichtige Sache gelungen,die dem Klimaschutz dient. Auch darauf haben sich dieKoalitionsfraktionen verständigt. Schon im Novemberhaben wir gesagt, wir bekräftigen das Ziel, dass Investi-tionen, die in die Straße fließen, denen in die Schieneangeglichen werden. Sie haben sich damals hämisch da-rüber lustig gemacht, wir würden das ohnehin nicht schaf-fen. Jetzt, Herr Kollege Fischer – ich sage das, auch wennSie telefonieren –, haben wir uns auf eine Angleichung derInvestitionen in Straße und Schiene geeinigt.Diese Angleichung bedeutet nicht, dass wir keinenStraßenbau betreiben wollen. Sie bedeutet, dass wir end-lich bei der Schiene aufholen, bei der Sie eine riesigeInvestitionslücke gelassen haben. Schauen Sie sich dieentsprechenden Ausgaben der letzten Jahre Ihrer Regie-rungspolitik an! Die Misere bei der Bahn ist nicht die Mi-sere unserer bisherigen Bundesverkehrsminister, es ist dieMisere von Matthias Wissmann und Theo Waigel. Andiese müssten sich die Bahnkunden wenden.
Wir nehmen uns dieses Themas an und sorgen dafür, dassdie Bahnreform tatsächlich ein Erfolg wird.Die Leute, die Sie an die Spitze der Bahn geschickt ha-ben, haben die Bahn noch mehr in die Misere getrieben.
Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen da-gegen werden einen wichtigen Beitrag zur Bahnreformleisten.Wir Grüne verschließen uns nicht gegenüber Verkehrs-infrastrukturmaßnahmen, auch nicht beim Straßenbau.
Mit uns kann man über viele Projekte reden, bei denen esin der Bevölkerung Konsens gibt, zum Beispiel wenn esbei Ortsumgehungen tatsächlich darum geht, die Orte
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Matthias Berninger11372
vom Schwerverkehr zu entlasten. Das ist für uns keineFrage von Ideologie.
– Der im Moment noch vorhandene Stau ist immer nochIhr Stau, denn so schnell bauen sich Straßen nicht.Entscheidend ist, dass man pragmatisch an die Sacheherangeht und versucht, die Menschen dort, wo es mög-lich ist, zu entlasten. Genauso, wie wir ein Programm auf-gelegt haben, um an bestehenden Schienenwegen fürLärmschutz zu sorgen, sind auch Ortsumgehungen sinn-voll, damit die Leute nicht vom Durchgangsverkehr be-lastet werden. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber für mich ist entscheidend, dass sich unsere Ver-kehrspolitik nicht in dem Motto „Mehr Autos auf dieStraße!“ erschöpft, dass wir nicht unkonzeptionell nur im-mer neue Straßen bauen, ein großes Programm auflegen,ein Märchenbuch wie den alten Bundesverkehrswege-plan – hoffnungslos unterfinanziert –, und Erwartungender Menschen wecken, ohne ein vernünftiges Verkehrs-konzept zu haben. Wir wollen die Verlagerung von Güternvon der Straße auf die Wasserstraßen und die Schiene.Hier werden wir einen besonders wichtigen Akzent set-zen.Zu Beginn der Befassung mit dem Haushalt im Kabi-nett ist uns vorgeworfen worden, die Investitionen in demBereich würden zurückgehen. Am Ende der Haushaltsbe-ratungen werden Sie diesen Vorwurf nicht mehr aufrecht-erhalten können. Wir werden investieren, und zwar an denStellen, die gut für die Umwelt sind und neue Arbeits-plätze schaffen. Dies ist etwas, worauf wir dann auch sehrstolz sein können.Ich möchte noch etwas zu den Zahlen sagen, die Siehier immer vortragen. Es wird davon geredet, diese Bun-desregierung kürze die Investitionen um 9 Milliar-den DM. Sie wissen es besser. Der Kollege Barthel Kalbsteht hinter einer Presseerklärung mit dem Satz „9 Milli-arden Kürzung im Investitionsbereich“. Herr Kollege, Siewissen genau, dass sich diese 9 Milliarden DM aus einerReihe von Dingen zusammensetzen:
Es beruht beispielsweise darauf, dass viele Investitionenim Zusammenhang mit dem Regierungsumzug standen,der aber nun bereits stattgefunden hat. Es liegt beispiels-weise daran, dass die 5,5 Milliarden DM Bundeseisen-bahnvermögen früher als Investitionen galten, heute abernicht mehr in den Haushalt eingestellt werden. Lassen Sieuns vernünftig über die Zahlen reden! Am Ende des Tageswird man nämlich feststellen, dass wir trotz Haushalts-konsolidierung im Investitionsbereich einen Schwerpunktsetzen.
Der letzte Punkt betrifft die Ökosteuer. Herr KollegeOswald, die Leute, die in Urlaub gefahren sind, haben inder Tat festgestellt, wie das mit der Ökosteuer ist: Wennsie zum Beispiel in Großbritannien waren, haben sie füreinen Liter Benzin 2,54 DM bezahlen müssen. Schon inHolland kostete sie dieser 2,33 DM. Auch in Frankreichoder Italien mussten sie mehr bezahlen. Die Behauptung,dass wir in Deutschland die höchsten Energiekosten ha-ben, ist einfach falsch. Wir liegen im unteren Drittel. Vordiesem Hintergrund sollten Sie auch hier keine Panik ma-chen.Sie stellen sich hin und versuchen, die Leute mit Flug-blättern auf Ihre Seite zu bringen. Sie erzählen, der Anteilder Steuern am Energiepreis betrage 70 Prozent – tatsäch-lich sind es nur 30 Prozent –, aber verschweigen, dass zuIhrer Amtszeit der Anteil der Steuern am Energiepreis so-gar noch höher war, die Leute also tatsächlich abgezocktworden sind.
Herr Kol-
lege Berninger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Dehnel?
Selbstverständlich erlaube ich die, wenn ich den Gedan-
ken zu Ende geführt habe. – Sie stellen sich also hin und
versuchen, auf ein Problem zu zeigen, das tatsächlich zu
Ihrer Regierungszeit bestand: Damals waren die Men-
schen zwar nicht durch die Ökosteuer belastet, aber wur-
den durch die Mineralölsteuererhöhungen abgezockt,
während wir die Ökosteuereinnahmen – wie das der Fi-
nanzminister gestern eindrücklich deutlich gemacht hat –
komplett zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge
einsetzen. – Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Herr Kollege
Berninger, Sie haben gerade gesagt, dass Sie zum letzten
Punkt kommen. Bisher haben Sie aber an keiner Stelle die
neuen Bundesländer erwähnt, und dies, obwohl Sie der
haushaltspolitische Sprecher der Grünen sind. So brauche
ich mich auch nicht zu wundern, wenn Ihre Partei bei uns
immer mehr im Ansehen sinkt, wenn Sie nicht mit einem
Wort die Kürzungen für den Verkehrsbereich in den neuen
Ländern erwähnt haben. Was haben Sie dazu zu sagen?
Herr Kollege Dehnel, meines Wissens gibt es in den neuenLändern Unmengen an Altbauten, die saniert werdenmüssen. Meines Wissens gehen die Verkehrsinvestitio-nen – so wie im Investitionsprogramm festgelegt – nichtnur in die alten Länder, auch wenn die Bayern dies amliebsten so hätten, dass alles nach Bayern geht, sondernnatürlich auch in die neuen Länder.
Meines Wissens werden die Verkehrsprojekte „Deut-sche Einheit“ von diesem Minister realisiert und finan-ziert, während Sie damals nur Versprechungen gemachthaben, die keiner halten konnte. Meines Wissens hat dieseBundesregierung durchaus einen Akzent auf die Förde-rung der neuen Länder gesetzt. Wenn ich diese hier nicht
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extra erwähnt habe, dann liegt das daran, dass ich ein nochrelativ junger Abgeordneter bin, –
– politisch eigentlich nur das vereinigte Deutschlandkenne und die Differenzierung zwischen alten und neuenLändern in der Form, wie Sie es hier andeuten wollen, fürunvernünftig halte.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der
F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrterHerr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwerde, natürlich aus gutem Grund, als Erstes die Öko-steuer ansprechen müssen, –
– weil wir sie schon so oft gehabt haben und weil sienatürlich in unserem Bereich, im Bereich von Verkehr,Bau und Wohnungswesen, von ganz elementarer Bedeu-tung ist. Ich werde – das werden Sie feststellen – hier nichtals Brandstifter auftreten. Ich glaube, an der einen oderanderen Stelle muss man einfach auf Probleme hinweisen,die wir hier gemeinsam lösen müssen.
In diesem Punkt bitte ich Sie jetzt schon, endlich zu re-gieren, indem Sie auf das reagieren, was sich in unseremLand tut.
Wenn Bauern im Emsland heute die Raffinerie in Lin-gen blockieren, –
– dann tun Sie das nicht, Frau Kollegin, weil sie nichtsBesseres zu tun haben, sondern dann tun sie das, weil dieLandwirte in Frankreich für die gleiche Menge Antriebs-stoff 75 Pfennig bezahlen, während der Landwirt inDeutschland im Moment 1,80 DM bezahlen muss.
Wenn heute eine Meldung über den Ticker geht, die si-cher auch Sie bekommen haben, dass in den neuen Län-dern die Zahl der Arbeitslosen im Baugewerbe auf Re-kordstand ist – 114 000 Menschen; auf zwei gewerblichBeschäftigte ein Arbeitsloser –, dann ist auch das ein Si-gnal, das uns auffordern muss, die Weichen richtig zustellen.
Da hilft leider nicht, sehr geehrter Herr MinisterKlimmt, wenn Sie an irgendeiner Stelle einmal leise undklammheimlich sagen, man könne ja die Kfz-Steuer einbisschen senken, sondern da hilft nur, dass Sie das ma-chen, was Sie – wenn ich Ihre Konstitution richtig ein-schätze – früher als Fußballer hoffentlich gemacht haben,nämlich mit Macht zu kämpfen um die eigene Position, zustürmen und endlich darauf hinzuarbeiten, dass die Öko-steuer abgeschafft oder zumindest ausgesetzt wird. Dennsonst werden die Arbeitsplätze in den Bereichen, die wirzu vertreten haben, in den Bereichen Verkehr, Bau undWohnungswesen, in einem Maß verloren gehen, dass wiruns alle noch darüber wundern werden. Dann werden wirvor einem ganz schweren und kalten Winter stehen.
– Doch, das glaube ich selbst, weil ich die Signale sehe,liebe Kollegin, genauso wie Sie, wenn Sie hingucken.Der privat finanzierte Wohnungsbau ist nahezu zumErliegen gekommen. Gucken Sie sich die neuen Zahlenan! Der soziale Wohnungsbau wird gekürzt. Die Eigen-heimförderung ist gekürzt, die Investitionen, generell undspeziell, sind eingedampft worden.Herr Berninger, wenn Sie sagen, Sie werden Erlöse ausder UMTS-Versteigerung in diesen Bereich investieren,dann kommt mir das so vor, als drohten Sie jemandemPrügel an und hauten ihm hinterher nur ein paar runter.Sie haben massiv durchgekürzt. Wenn Sie an der einenoder anderen Stelle wieder ein bisschen anheben, werdenSie bei weitem nicht das notwendige Niveau erreichenund bei weitem nicht das Niveau, das für diese Bereicheschon einmal zur Verfügung gestellt worden ist. Das istnicht die Lösung der Probleme.
Wir stellen doch gemeinsam fest – das müssen wir be-klagen –, dass die Bahn Anteile am Verkehrsmarkt ver-liert. Die Lösung dieses Problems ist aber doch nicht derRückweg in die Staatsbahn. Nein, das kann nicht die Lö-sung sein. Ich respektiere bestimmte Dinge, die Sie ge-leistet haben. Beim Wohngeld haben Sie uns an IhrerSeite. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn die Er-höhung schon jetzt gekommen wäre. Es wäre auch bessergewesen, wenn es nicht zulasten der Förderung des Ei-genheimbaus gegangen wäre.
Sie haben uns auch an Ihrer Seite, wenn es um die „So-ziale Stadt“ geht. Natürlich kennen wir uns mit den Pro-blemen aus, die das Land in bestimmten Städten hat. In-sofern sind wir für die „Soziale Stadt“. Aber es wärefairer, ehrlicher und klarer gewesen und ein deutlichesZeichen, Herr Minister, wenn Sie darauf gesetzt hätten,dass das Geld nicht aus dem sozialen Wohnungsbau um-geleitet wird.
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Das ist eine Politik, die keine Klarheit aufweist. Das isteine Wohnungsbaupolitik, bei der man nicht weiß, wo dasZiel ist. Das ist Durchwurschteln ohne Qualität. DiesesDurchwurschteln ohne Qualität kostet uns Arbeitsplätze,das kostet uns Perspektive, das kostet uns Mobilität.
Sehr geehrter Herr Minister, ich bin nun wirklich derLetzte, der Sie irgendwie abqualifizieren will. Aber es istnatürlich schon bedenklich, wenn eine große Zeitung Sieals „Beifahrer“ bezeichnet. Nein, Sie dürfen nicht Bei-fahrer sein, sondern Sie müssen Steuermann sein bei ei-ner Investitionspolitik, die darauf setzt, eine Verkehrsin-frastruktur zu schaffen, die unser Land insgesamtzukunftsfähig macht. Sie werden uns nicht vorwerfenkönnen, dass wir für Sie in diesen Bereichen keine Ak-zente vorgebracht hätten. Im Ausschuss haben wir all das,was für unseren Bereich wesentlich ist, mit parlamentari-schen Initiativen begleitet. Aber Sie nehmen unsere Anre-gungen nicht ernst und das ist sehr bedauerlich, weil Siedamit Zukunftschancen verspielen.Wir stellen doch gemeinsam fest: Der Bundesver-kehrswegeplan kommt nicht voran. Die Menschen war-ten nach wie vor darauf, dass die starren Planungen um-gesetzt werden. Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt,die A31 sei auf den Weg gebracht. Wir sollten einmal fest-halten, dass die betroffene Region – ich komme aus die-sem Gebiet – ein Drittel der Gesamtinvestition aufbringt.
Wir tun dies – und damit nehmen wir Ihnen etwas ab, weiles primär Ihre Aufgabe ist –, weil wir uns für die Men-schen und die Arbeitsplätze in dieser Region verantwort-lich fühlen. Gerade hier werfe ich Ihnen eklatantes Versa-gen vor. Sie spüren weder die Sorgen der Menschen umihre Arbeitsplätze noch die Sorgen der Menschen um dieWeichenstellungen für die Zukunft. Das ist fatal, weil eshier, wie die Zeitung zu Recht feststellt, um einen Bereichmit einem großen Ministerium geht, der einen großenMinister braucht und große Antworten auf die Herausfor-derungen, die vor uns liegen.Die Zukunftsfragen – Privatfinanzierung und nutzer-bezogene Anlastung der Kosten für die Straße, strikteTrennung von Netz und Betrieb auf der Schiene, ein zu-kunftsfähiges und mutiges Luftfahrtkonzept – haben Siebisher nicht aufgegriffen. Sie setzen die Pällmann-Kom-mission ein, vergessen fast alles, was sie sagt, greifen nureinen Punkt auf, den Sie zielgerichtet einsetzen, um wie-der den Autofahrer zu melken. Das kann doch nicht dieAntwort auf das sein, was uns in der Sache bewegt.
In der Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik wurschteln Siesich durch. Das ist angesichts der Herausforderungen, vordenen wir stehen, schlicht und ergreifend zu wenig.Sie haben den sozialen Wohnungsbau zu einer Rest-größe verkommen lassen.
– Es ist schön, Sie zu hören, Frau Mertens. Heute Morgenwurden Sie noch krank gemeldet. Ich freue mich, dass Sieso munter sind.Aber was machen Sie, Frau Mertens? Sie modifizierendas alte, das teure, das ungerechte, das überbürokratischeFördersystem.
Sie fördern nach wie vor diejenigen, die Wohnungenbauen, und nicht diejenigen, die in den Wohnungen leben.Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen die Menschen fördern, die in den Wohnungenleben, damit sie mit den Belastungen, die Sie ihnen auchüber die Ökosteuer zumuten, einigermaßen fertig werden.Durch unsere konstruktive Oppositionsarbeit habenwir Ihnen auf die Sprünge geholfen; wir können es auchweiterhin tun. Wir haben Ihnen bereits im Bereich derVerkehrsinfrastruktur und der Eisenbahnpolitik eine guteAntwort gegeben. Beim sozialen Wohnungsbau wollenwir genau das machen, was notwendig ist: Wir wollen einBürgergeld, durch das der Mieter gefördert wird und nichtder Wohnraum als solcher.Oder nehmen Sie die CO2-Minderung im Gebäu-debereich. Nichts ist hier bisher zustande gebracht wor-den.
– Warten Sie mal ab? Wir warten seit zwei Jahren, seitzwei Jahren sind Sie an der Regierung, Herr Schütz.
– Nun mal langsam. Sie sind doch vor zwei Jahren ange-treten, und zwar um nicht alle Dinge anders, aber doch einStück besser zu machen. Warum nehmen Sie nicht denGedanken auf, der in anderen Ländern schon lange disku-tiert wird, nämlich den des so genannten Zertifikathan-dels? Warum gehen Sie nicht auf die Idee der Einführungvon CO2-Schecks ein? Diese würden doch gerade denVerbraucher belohnen, der sich dafür entscheidet, in sei-nem persönlichen Bereich zu sparen. Warum greifen Siedas nicht auf? Warum setzen Sie nach wie vor auf Büro-kratie, auf Verwaltung, auf Kontrolle, auf Gängelung?Das können nicht die Antworten sein, die in der Verkehrs-und Baupolitik gebraucht werden.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie legen keine breiteSpur, sondern fahren lediglich Schmalspur. Sie drehenkein großes Rad, Sie wurschteln sich durch.Wir werden bei den Haushaltsberatungen darauf drin-gen, dass es in diesem Bereich neben der Qualität, der
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sachlichen und konstruktiven Arbeit, auch so etwas wieVisionen gibt.
Wir brauchen Haushaltsmittel zur Finanzierung von Un-tersuchungen und Modellprojekten zu verschiedenen For-men der Privatfinanzierung deutscher Bundesfern-straßen. Ich habe nie verstanden, warum es so vieleMenschen gibt, die Geld in Unternehmungen stecken, diesich zum Beispiel mit der Produktion von Maschinen be-schäftigen und darin auch erfolgreich sind, wir aber nichtendlich dazu übergehen können, private Investitionen indie Infrastruktur auf den Weg zu bringen. Privates Geldkann in diesen Bereichen eine sehr sinnvolle Rendite er-zielen und Weichen in Richtung auf mehr Arbeitsplätzeund mehr Zukunft in allen Regionen stellen.
Ihr Staatssekretär, Herr Tacke, hat mich bei einer Dis-kussion über diesen Sachverhalt in dieser Auffassunghundertprozentig bestätigt.
– Warum? Ich könnte mir, so hat er wörtlich gesagt,durchaus Folgendes vorstellen: Die Autobahn Hamburg-Berlin wird an einen privaten Investor vergeben. Mit denErlösen erhalten und sichern wir Infrastruktur in Berei-chen, die aus sich selbst heraus eine solche Infrastrukturnicht finanzieren können. Das ist eine Haltung der Für-sorge gegenüber ländlichen, strukturschwachen Räumen.Wir werden Ihnen den Beweis der Umsetzbarkeit gerneliefern, wenn Sie bereit sind zuzuhören.Wir brauchen Haushaltsmittel, um im SchienenverkehrUntersuchungen und Forschungsaufträge auf den Weg zubringen, die darauf zielen, die Trennung von Netz undBetrieb abzuarbeiten. Die Trennung von Netz und Be-trieb ist zwingend erforderlich. Jeder weiß das. Die Tren-nung von Netz und Betrieb wird Konsequenzen haben.Wir müssen diese Konsequenzen abarbeiten, Lösungs-vorstellungen entwickeln und uns dann alle gemeinsam –fast im Sinne einer Bewegung, wie es sie zum Beispiel inder Schweiz gibt – auf den Weg machen, um etwas, wasim Moment noch ein Stück visionär ist, zur realen Politikzu machen. Wir brauchen diese Weichenstellung für einezukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland.Wir wollen eine Untersuchung zu den Auswirkungeneines Carboscheck-Modells und werden dazu haushalts-relevante Anträge vorlegen; denn die von Ihnen bis jetztangedachte Energiesparverordnung wollen wir nicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in zentralen Berei-chen unserer Wirtschaft und Gesellschaft hat es durch Pri-vatisierung und Deregulierung entscheidende Schübe ge-geben. Wenn wir nicht gewesen wären – ich glaube, daskann man mit aller Bescheidenheit sagen –, wenn derMinister Rexrodt, den Sie vorhin hier kritisiert haben,nicht im Post- und Telekommunikationsbereich tätig ge-wesen wäre, dann würden Sie heute von UMTS-Erlösennur träumen. Das wollen wir doch hier einmal festhalten.
Sie waren doch immer dagegen, wenn in diesem LandWeichenstellungen für die Zukunft vorgenommen wor-den sind. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Politik weiterfortsetzen, dann werden Sie zu einem nachhaltigen Scha-den für dieses Land. Nehmen Sie unsere Anregung auf.Lassen Sie uns darüber in eine Diskussion eintreten. Las-sen Sie uns ein großes Rad für den Bereich Verkehr, Bauund Wohnungspolitik drehen!Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von
der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesre-gierung hat im Koalitionsvertrag als verkehrspolitischesZiel festgehalten, die Verkehrswegeinvestitionen seien –Zitat –in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren,das die Voraussetzungen für die Verlagerung mög-lichst hoher Anteile des Straßen- und Luftverkehrsauf Schiene und Wasserstraßen schafft.Untersucht man im Einzelplan 12 die Verkehrsausga-ben – darauf werden wir uns in der ersten Lesung kon-zentrieren –, dann ist dort von diesem Ziel nichts zu er-kennen. Auch im Jahr 2001 sollen 87 Millionen DM fürdie Magnetschwebebahntechnik ausgegeben werden. DieInvestitionen in die Wasserwege sind nicht nur leicht re-duziert worden. Der größte Teil fließt weiterhin in dasgrotesk überdimensionierte Projekt Elbe-Havel-Ausbau.Der Güterverkehr wird so nie und nimmer auf Wasser-wege verlegt werden.Beim Verhältnis Straße zu Schiene erleben wir bei die-sem Haushalt ein altes Spiel: Formal sei annähernd eineGleichbehandlung erreicht worden, so tönt die Koalition,zumal man großzügigerweise 2 Milliarden DM aus denMobilfunkerlösen dazugeben will. Doch damit solltenur – pünktlich zur Messe Innotrans – Gelegenheit gege-ben werden, bei den Beschäftigten, bei der Bahn und beiden Beschäftigten der Bahnindustrie, Dampf abzulassen.Von „Gleichbehandlung“ kann bereits dann nicht mehrdie Rede sein, wenn die Bahninvestitionen, die der Bahnüber zinslose Kredite ermöglicht werden, herausgerech-net werden und wenn der Straßenbau im Bereich des Ge-meindeverkehrsfinanzierungsgesetzes noch hinzuaddiertwird. Auch dieser Haushalt läuft materiell darauf hinaus,dass es am 31. Dezember 2001 rund 800 Kilometer mehrStraße und rund 400 Kilometer weniger Schiene gebenwird.Norbert Hansen, Vorsitzender der GewerkschaftTransnet, hat vorgestern auf der Demonstration derBahnbeschäftigten nochmals vorgerechnet: Seit 1950wurden 300 000 Kilometer neue Straßen gebaut und ma-ximal 3 000 Kilometer Schienenwege; entsprechend wur-de Verkehr auf die Straße und in die Luft verlagert. SPDund Grüne setzen diese Politik im schlechten Sinne kon-sequent fort.
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Hans-Michael Goldmann11376
Sehen Sie sich bitte diesen Zeitungsausschnitt, den ichhier in Händen habe, an. Die Überschrift hier lautet: „DerBundesverkehrswegeplan muss in den Papierkorb“ – sodie Kollegin Elke Ferner in der „Deutschen Verkehrs-Zei-tung“; –
– allerdings war das Februar 1998.Elke Ferner ist jetzt Staatssekretärin. Tatsächlich wirdder Bundesverkehrswegeplan nicht in den Papierkorb ge-worfen. Er besteht weiter fort, in Form eines Investi-tionsprogramms. Tatsächlich haben wir heute eine Situa-tion, in der das Programm von Herrn Krause und HerrnWissmann weiter realisiert wird.Ähnlich beim Koalitionspartner: Der verkehrspoliti-sche Sprecher der Grünen, Ali Schmidt, erklärte im De-zember 1998:Kernaufgabe unserer neuen Verkehrspolitik ist dieHerstellung der Chancengleichheit für die Bahn.Wo, so fragen wir die Regierung, gab es seither eine ein-zige ernsthafte Maßnahme, die bestehende Chancen-ungleichheit zulasten der Bahn zu beseitigen? Wo gab eszum Beispiel die Initiative zur Befreiung der Bahn vonder Mineralölsteuer? Es gab sie nicht; es kam noch eineÖkosteuer zu den real existierenden Belastungen hinzu.
Auf diese Weise kommt es nie und nimmer zu einerVerlagerung des Verkehrs auf Schiene und Wasser. Im Ge-genteil: Deren beider Anteile am Verkehrsmarkt nehmenvon Jahr zu Jahr ab. Das Perverse ist: All das wird hinge-nommen und soll fortgesetzt werden. Ihr Ministerium,Herr Klimmt, geht davon aus, dass sich der Lkw-Verkehrin den nächsten 15 Jahren verdoppeln soll, eben-so derFlugverkehr, und der Pkw-Verkehr um 22 Prozent wach-sen soll. Die Schiene dagegen soll stagnieren. All das sindZahlen – schwarz auf weiß festgehalten als Prognose fürden nächsten Bundesverkehrswegeplan ab dem Jahre2002 –, die vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ ver-öffentlicht worden sind.
Sie, Kollegin Angelika Mertens, wurden dazu zitiertmit den Worten: Man muss das hinnehmen, muss derWahrheit ins Auge sehen. Die CO2-Emissionen im Ver-kehr können nicht reduziert werden.Werte Kolleginnen und Kollegen, Papier und Zahlensind geduldig. Machen wir doch einen dreifachen Praxis-test der SPD/Grünen-Verkehrspolitik:Besuch vor Ort Nummer eins im nordwürttembergi-schen Königsbronn. Da kappt die DB Cargo gerade denSchienenanschluss für den gesamten Güterverkehr. DerBürgermeister weiß von nichts. Die Unternehmen vor Ortprotestieren; eine Firma war extra von Oberkochen nachKönigsbronn zum Schienenanschluss gezogen.Protestieren tut auch unser geschätzter Kollege Brunn-huber von der CDU. Das ist sein Wahlkreis. Inzwischenhat er für seinen geharnischten Protest erheblich mehrSpielraum als zu Wissmann´schen Zeiten, das heißt, in derOpposition kommt der Kollege Brunnhuber locker überden Öko-Hocker.
Doch Königsbronn ist überall. Seit dem Jahr 1992wurde im deutschen Schienennetz die Zahl der Gleisan-schlüsse für Unternehmen von 13 600 auf 6 500 halbiert.Trotzdem, Herr Klimmt, erklärten Sie vorgestern auf derInnotrans und tönten Sie heute im Parlament, Ihr Ziel sei,den Güterverkehr auf der Schiene zu verdoppeln. Das wi-derspricht den Vorgaben Ihres Ministeriums und es wi-derspricht der Praxis vor Ort.Besuch vor Ort Nummer zwei in Mörfelden-Wall-dorf. Dort soll die neue Landebahn Nord-West des Flug-hafens Frankfurt/Main gebaut werden. Neuer Lärm vonoben kommt hinzu. Natürlicher Lärmschutz am Bodenkommt weg. Als „brutalstmöglicher Abholzer“ will Mi-nisterpräsident Koch dafür 200 Hektar Wald abholzen las-sen.Der neue ICE-Airport-Bahnhof dient ganz offensicht-lich nicht dazu, Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern.Der ICE wird immer mehr als Zubringer de luxe zumFlugverkehr benutzt. Und: Mörfelden-Walldorf ist über-all. Überall werden Großflughäfen aufgebaut und schie-ßen Regionalflughäfen aus dem Boden.Exakt so steht es auch im Papier von Herrn Klimmt:Verdopplung des Flugverkehrs. Umweltpolitisch und fürdie Menschen vor Ort ist dies unerträglich, doch ist es vor-teilhaft für den „Shareholder Value“ von Lufthansa, Air-bus und EADS.Besuch vor Ort Nummer drei im südthüringischenSonnefeld. Dort hat die Bahn bereits im Jahr 1997 zwi-schen Probstzella und Sonneberg mehrere Trassen wegenihres maroden Zustands gesperrt. Das Eisenbahnbundes-amt moniert, es gebe dort seither keinerlei Instandset-zungsaktivitäten. Dazu sei die Bahn jedoch nach demGrundgesetz verpflichtet. Auch Sonneberg ist überall.Das beweisen die 2000 Langsamfahrstellen im Schienen-netz. Hören Sie dazu die folgende Klage:Ich hatte geglaubt, dass die Herstellung des Eisen-bahnamtes als einem Aufsichtsamt dem Mangel ab-helfen könnte. Ich habe mich darin vollständiggetäuscht. Das Eisenbahnamt ist ... eine bittendeBehörde geworden, die sehr viel schreibt und tut,ohne dass jemand Folge leistet.Das ist Originalton Reichskanzler Bismarck am26. April 1876 im Reichstag. Seine Regierung zog darausdie Konsequenz, die damals überwiegend privaten Eisen-bahnen zu verstaatlichen. Doch hierzulande läuft es genauumgekehrt: Es wird privatisiert und es wird ein machtlo-ses Eisenbahn-Bundesamt als „bittende Behörde“ einge-richtet.
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Dr. Winfried Wolf11377
Diese Politik kostet eine immens große Zahl von Ar-beitsplätzen bei der Bahn und in der Bahnindustrie. AlsSie, Herr Klimmt, vorgestern auf der Kundgebung derKolleginnen und Kollegen von Adtranz, von DWA-Bom-bardier und von der Deutschen Bahn sprachen, sagten Sie,Bahn und Bahnindustrie müssten vor allem selbst für sichsorgen, der Staat tue schon genug. Zu Recht hat niemandnach Ihrer Rede geklatscht, weil das schlicht unwahr ist.Die Kollegen dort wissen, dass diese Regierung die Poli-tik von Wissmann fortsetzt. Die Verlagerung von Verkehrauf Schiene und Wasser ist ein Tag für Tag gebrochenesVersprechen.
Die Kolleginnen und Kollegen dort fordern mit uns: Bür-gerbahn statt Börsenwahn. Sie fordern dies für sich, fürihre Arbeitsplätze und auch für die Umwelt.Danke schön.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Mit dem Haushalt 2001 setzen wir ein richtiges undwichtiges Zeichen für eine zukunftsorientierte Verkehrs-politik. Bei Regierungsantritt im Herbst 1998 haben wirversprochen, den Schutt der alten Regierung wegzufegen,die Verkehrsinvestitionen wieder auf eine solide Grund-lage zu stellen und im Sinne des Koalitionsvertrages eineeffiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik zu ver-wirklichen. Das halten wir ein.
Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass das infrastruktu-relle Wunschdenken wieder mit den harten haushaltspoli-tischen Realitäten in Einklang gebracht wird. Wir macheneines nicht, was der alten Regierung vorzuwerfen ist: Wirversprechen nicht vieles, um dann nichts zu halten, son-dern wir versprechen nur das, was wir auch halten kön-nen.
Der Anteil der Investitionen innerhalb des Verkehrs-und Bauetats steigt von 52,5 auf 54,1 Prozent. Der Inves-titionsansatz im Verkehrsbereich konnte auf hohem Vor-jahresniveau gehalten werden. Wenn Sie Vergleiche mitIhren Finanzplanungen anstellen, dann sage ich: Es wareneben Planungen à la Waigel. Es waren Scheinpläne; daswissen Sie genauso gut wie ich. Wir versuchen mühsam,mit mehr Geld und neuen Ideen eine sichere Investitions-politik zu betreiben. Das war damals nicht Ihr Stil. Darumziehen die von Ihnen genannten Zahlen heute überhauptnicht.
Im Jahr 2001 stehen rund 19,8 Milliarden DM für denVerkehrsbereich zur Verfügung. Die Grundlage für die In-vestitionen ist unser Investitionsprogramm, das, umauch dies hier deutlich zu sagen, den kontinuierlichenÜbergang zu einem neuen Bundesverkehrswegeplan ga-rantiert. Das dauert zwar seine Zeit; dann werden wir abereinen Plan haben, mit dem wir gut und sicher sowie ehr-lich gegenüber den Bürgern arbeiten können.Immer mehr der Investitionsmittel gehen in den Be-stand; das gilt sowohl für die Schiene als auch für dieStraße. Fast ein Drittel der Investitionen geht heute in dieErhaltung des Bestandes. Das müssen wir zur Kenntnisnehmen; denn wir haben viele Schwachstellen in unserenVerkehrsnetzen. Wir bringen hier eine neue Wertigkeitein.Wir wurden von Ihnen aufgefordert, aktiv zu werden.Herr Minister Klimmt ist aktiv geworden und ich dankeihm für seinen Einsatz, was die globale Minderausgabebetrifft.
Sie haben uns immer vorgeworfen, daraus werde nichts,die Liste 2 des Investitionsprogramms sei ohnehin nichtabgesichert. Wir aber erfüllen die Liste 2. Darüber könnenwir uns alle freuen, meine Kolleginnen und Kollegen.
Dieses Investitionsprogramm haben wir nicht mal ebenso aus Jux gemacht, sondern deswegen, weil wir einenBundesverkehrswegeplan haben, der völlig unrealistischeZahlen aufweist.Es sind nicht 90 Milliarden DM, sondern – wenn man ge-nau hinsieht – 100 Milliarden DM, die uns dort fehlen. Esist jedoch richtig: Das alleine kann es nicht sein. Wirbemühen uns jeden Tag, neue Gelder für Investitionen zubekommen. Zusätzlich war und ist das Geld, das wir indas Anti-Stau-Programm stecken. Das ist Ihnen nicht ein-gefallen, das ist nur uns eingefallen. Sie können sich, HerrOswald, darauf verlassen, dass das im Jahre 2003 kom-men wird. Das Erhebungssystem für die Lkw-Abgabewird rechtlich wie technisch abgesichert sein, da wir dieEinnahmen für den Verkehrsbereich brauchen.Ich möchte an dieser Stelle auf die Pällmann-Kom-mission eingehen, da dies in engem Zusammenhang zumvorher Gesagten steht. Es wäre ein Fehler, wenn wir nureinen Punkt der Vorschläge diskutieren würden. Es wärefalsch, sich in die Frage zu verrennen, ob wir 25, 40, 35oder 30 Pfennig nehmen. Wir werden diese Diskussionführen müssen; das allein kann es aber nicht sein. DieseKommission hat sehr weitreichende Vorschläge gemacht.Ich sage aber ganz deutlich: Eine Kommission macht Vor-schläge, aber die Politik hat zu entscheiden. Demjenigen,der den einen oder anderen Punkt herausgreift und damitUnruhe in die Bevölkerung bringt, wie jetzt mit der Pkw-Maut, muss man ganz klar sagen – ich kann das mit gutemGewissen tun –: Eine Pkw-Maut wird es mit dieser Bun-desregierung nicht geben.
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Dr. Winfried Wolf11378
Der letzte Teil – er geht sehr häufig unter – befasst sichmit den Wasserstraßen. Mit dieser Bundesregierung wirdes eine zusätzliche Abgabenbelastung der Binnenschiff-fahrt nicht geben, so wie sie vorgeschlagen wird. Das an-dere werden wir miteinander in der politischen Diskus-sion austragen.Sie sehen, dass wir versuchen, Mittel für Investitionenlockerzumachen, weil wir den Zusammenhang zwischenInvestitionen und Wirtschaft sehr wohl sehen, aber auchden zwischen Investitionen und Arbeitsplätzen. Wir tra-gen damit zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Siche-rung von Arbeitsplätzen und zu einer Planungssicherheit,die die Industrie natürlich braucht, bei. Wir wissen sehrwohl um die schwierige Situation im Baubereich, auch imTiefbaubereich. Wir setzen mit den in diesem Haushalteingesetzten Mitteln ein wichtiges Zeichen für die Bau-wirtschaft.
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass eine Investitionin Höhe von 1 Milliarde DM den Erhalt bzw. die Schaf-fung von 12 000 bis 15 000 Arbeitsplätzen bedeutet. Da-rum meine ich: Wir sollten uns nicht gegenseitig vorwer-fen, es könnte noch eine Mark mehr sein, sondern wirmüssen ganz klar sagen, dass auch die bisherigen MittelArbeitsplätze für unser Land bedeuten.Zur Schiene:Wir haben mit Investitionen von 6,9 Mil-liarden DM plus Eigenmitteln der Bahn ein solides Inves-titionspolster. Es ist richtig, dass von dieser Summe – daswar lange unser Wunsch – 100 Millionen DM für dieLärmsanierung an bestehenden Schienenwegen aufge-wendet werden. Diese Vorgaben haben wir eingehaltenund auch dieses Jahr das Geld zur Verfügung gestellt. Ichdenke, das sollte man nicht kleinreden.Es ist für uns wichtig, dem Verkehrsträger DB, demVerkehrsträger Schiene eine sichere Zukunft zu geben. Esist klar, dass wir dafür Rahmenbedingungen erarbeitenmüssen. Genauso klar ist, worin der politische Auftrag be-steht. Nicht alles aber ist politischer Auftrag. Die DB AGmuss ihre Hausaufgaben auch ein ganzes Stück weit selbstlösen. Davon können wir sie nicht befreien.
Bei einer gescheiterten Bahnreform gäbe es keine Gewin-ner, sondern wir wären dann alle Verlierer.Deshalb müssen wir die Situation der Bahn und die derSchiene sehr ernst nehmen. Ich spreche nicht nur von derDB AG, sondern von Bahn und Schiene, da wir auch da-rüber zu diskutieren haben, wie ein fairer Zugang Dritterzu den Schienenwegen umgesetzt werden soll. Schiene istdas eine, DB AG das andere. Insofern sollten wir aucheine saubere Argumentation führen.Ich freue mich sehr, dass im Haushalt wieder 90 Milli-onen DM für den kombinierten Verkehr und die Förde-rung von Umschlaganlagen eingestellt sind. Bisher ist esnoch so, dass wir das Geld dafür aus nicht verausgabtenMitteln bekommen. Ich hoffe, dass wir hierfür noch eineandere Lösung miteinander werden erarbeiten können.Der kombinierte Verkehr dient allen Verkehrsträgern.Dieser Haushaltstitel ist – gemessen an den Anforderun-gen – noch viel zu gering. Das Volumen der Anträge istsehr viel höher. Es ist klar und deutlich zu erkennen, dassdie Mittel abfließen. Viele Menschen in den Regionen ha-ben bisher davon profitiert. Es ist daher wichtig – das istauch angemahnt worden –, dass wir das Thema KV, alsoden kombinierten Verkehr, noch einmal miteinander an-gehen. Dieses Thema darf nicht in der Schublade ver-schwinden. Ohne den kombinierten Verkehr bekommenwir das Verkehrsaufkommen nicht in den Griff.
Im nächsten Jahr fördern wir die Straße mit 8,2 Milli-arden DM. Ich habe schon gesagt, dass das Gros der Mit-tel in den Erhalt geht. Für die Verkehrsprojekte „DeutscheEinheit“ – das wurde moniert – sind 2,2 Milliarden DMvorgesehen. Es ist vorrangig – das ist uns sehr wichtig –,dass die Lücken im Straßennetz geschlossen werden. Wirwerden alles versuchen, um noch zusätzliche Mittel – da-rauf werde ich noch näher eingehen – für den Straßen-bereich zur Verfügung zu stellen.Ein Punkt, der auch schon von anderen Rednern ange-sprochen worden ist, betrifft die Verkehrssicherheit. Wirhaben dieses Jahr 22 Millionen DM eingestellt, um dieVerkehrssicherheit zu verbessern. Sie ist uns ein großesAnliegen. Wir haben das Thema heute Morgen schon beiden Obleuten angesprochen. Wir müssen dafür sorgen,dass die für die Verbesserung der Verkehrssicherheit ein-gestellte Summe durch das Bilden von Schwerpunkten soeffizient wie möglich eingesetzt wird. Ich denke, hierübergibt es Konsens.Der Etatansatz für die Bundeswasserstraßen liegt bei1,3 Milliarden DM. Ich sage hier ganz klar und deutlich:Die Binnenschifffahrt spielt in unseren Überlegungeneine bedeutende Rolle. Sie können mir abnehmen, dasswir es damit ernst meinen. Diese Summe ist nicht nur fürdie Binnenwasserstraßen, sondern auch für die seewärti-gen Anbindungen gedacht. Dieser Haushaltstitel enthältalso auch die Mittel für die Sicherung der Häfen Hamburgund Bremen. Für uns sind die seewärtigen Anbindungen,das Kanalnetz und auch das Verkehrsprojekt „DeutscheEinheit“ Nr. 17 wichtig. Wo immer wir eine Mark locker-machen können, werden wir sie in diese drei Schwer-punkte fließen lassen.Zur Ausbildungsförderung werden dieses Jahr 3 Milli-onen DM für die Binnenschifffahrt und 5 Millionen DMfür die Seeschifffahrt eingesetzt. Man kann sich auchmehr vorstellen. Ich denke, wir werden in der weiterenBeratung hier noch aktiv werden.Das „Maritime Bündnis für Beschäftigung, Ausbil-dung und Wettbewerbsfähigkeit“ zugunsten der deut-schen Seeschifffahrt, der wirtschaftlichen Entwicklungder Küstenländer und auch – nicht zu vergessen – der Bin-nenländer sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze ist aus-drücklich zu begrüßen. Ich meine, dass die Konferenz inEmden ein gutes Zeichen für die Küste war. Wir müssendarauf achten, dass die Prüfungsaufträge, die dort erteiltworden sind, auch umgesetzt werden.
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Annette Faße11379
Die GVFG-Mittel sind nicht gekürzt worden. Das warfür unsere Kommunen und den Nahverkehr ein wichtigerPunkt.Lassen Sie mich noch einige Worte zu den UMTS-Mit-teln sagen, die wir in der Höhe nicht erwartet haben. Es istdoch schön, einmal Geld zu haben und darüber zu disku-tieren, wie wir es verteilen sollen.
Frau Kol-
legin, das ist der richtige Moment, Sie daran zu erinnern,
dass Sie zum Schluss kommen müssen.
Ja, das mache ich auch gleich.
Weil der Punkt so schön ist, habe ich ihn mir für zuletzt
aufgehoben.
Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie groß der An-
teil für Verkehr und Bau nun sein wird, muss ich doch fest-
stellen, dass ich das alles ganz spannend finde. Wir wer-
den unsere Schwerpunkte setzen. Das ist vollkommen
klar. Aber wir werden nicht – das sage ich deutlich – ein-
fach zu all den netten Kollegen, die hier sitzen, sagen: Ja-
wohl, das ist deine Straße; jawohl, das ist deine Ortsum-
gehung; jawohl, das ist deine Bahnstrecke.
Die Diskussion und das Meinungsbild sind im Moment ja
so schön bunt. Aber es ist auch schön, nachher entschei-
den zu können, was wir mit dem Geld wirklich tun.
Unsere Fraktionen haben beschlossen, dass die
Schwerpunkte im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bei
Schiene, Straße und Kombiverkehr, bei Investitionen in
Forschung und Bildung, bei der Altbausanierung, bei der
Energieeinsparung und beim Städtebau liegen. Wunder-
bar! In diese Richtung werden wir marschieren. Ich freue
mich auf interessante Ausschussberatungen. Ich bin heute
sehr zukunftsfroh für die Verkehrspolitik in diesem Land.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! SeitAntritt der Regierung Schröder befindet sich der Woh-nungsbau in Deutschland auf einem permanenten Sink-flug.
Die Baupolitik der rot-grünen Bundesregierung ist eineAneinanderreihung gebrochener Wahlversprechen. DerBaubereich ist nicht mehr als ein haushaltspolitischerSteinbruch, der völlig konzeptionslos und ohne Rücksichtauf mittelfristige Folgewirkungen einseitigen Sparbe-schlüssen ausgesetzt ist.
Die Quittung für diese verfehlte Baupolitik, HerrSchmidt, erhält die Bundesregierung früher, als manchePrognose erwarten ließ.
Die Halbjahreszahlen der Baugenehmigungen im Miet-wohnungsbau sind für das erste Halbjahr dieses Jahres umüber 20 Prozent zurückgegangen. Setzt sich dieser Trendfort, dann könnten die Genehmigungszahlen einschließ-lich der bei Eigentumswohnungen dieses Jahr in West-deutschland unter die Marke von 100 000 fallen. Das istein „Erfolg“, ein Ergebnis Ihrer Steuerrechtsänderung.Erstmals ist auch der Ein- und Zweifamilienhausbauvon diesem Abwärtstrend erfasst: Im ersten Halbjahr2000 sind für diesen Bereich 7 Prozent weniger Bauge-nehmigungen erteilt worden als im Vorjahr. Das ist das Er-gebnis Ihrer Manipulationen am Eigenheimzulagenge-setz.Der Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen ist füruns ein Signal für verringerte Fertigstellungszahlen. DieBaunachfrage bricht auf breiter Front zusammen. Wieam Rückgang der Genehmigungen zu sehen, werden inDeutschland im ersten Halbjahr 2000 30 000 Wohnungenweniger gebaut; das sind 12 Prozent weniger in den altenBundesländern und 24 Prozent weniger in den neuen Bun-desländern. Auch der Einfamilienhausbau – bis jetzt Mo-tor der Baukonjunktur – wurde von Ihnen abgewürgt. Siehaben vollkommen Recht, Frau Faße: Diese Politik kos-tet Arbeitsplätze.
Mit der Wohnungsbaupolitik dieser rot-grünen Bun-desregierung sinkt die Neubaurate sogar unter die Ratezur Bestandssicherung. Herr Bundesminister Klimmt, –
– Sie sollten diese Entwicklung endlich zur Kenntnisnehmen, Ihrer Verantwortung Rechnung tragen und dasRuder herumreißen. Zu dieser gefährlichen Entwicklung,die unmittelbare Auswirkungen auf die Baukonjunkturund auf den Arbeitsmarkt im Baubereich nach sich ziehenwird, haben zahlreiche baupolitische Fehlentscheidungender vergangenen zwei Jahre geführt. Ich darf Ihr Sünden-register aufzählen: Sünde eins: Abschaffung des Vorkos-tenabzugs; Sünde zwei: gravierende Verschlechterungender steuerlichen Rahmenbedingungen für den Mietwoh-nungsbau; Sünde drei: Ausweitung der Spekulationsfristvon zwei auf zehn Jahre; Sünde vier: Aufhebung derMöglichkeit, den Erhaltungsaufwand auf bis zu fünf Jahrezu verteilen; Sünde fünf: Das Ansparen wurde ver-schlechtert, indem die steuerlichen Rahmenbedingungenschlechter gestaltet wurden; Sünde sechs: Sie kündigeneine Erhöhung der Erbschaftsteuer an; Sünde sieben: Imneuen Mietrecht wollen Sie die Kappungsgrenzen senkenund tragen damit dazu bei, dass weniger in Mietwohnun-gen investiert wird. Das ist Politik gegen den Wohnungs-
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bau, die auch im Bundeshaushalt 2001 konsequent fort-gesetzt wird.
Auch im Haushalt 2001 heißt die Leitlinie Ihres Re-gierungshandelns: Es werden Investitionen zugunstenkonsumtiver Ausgaben gekürzt. Die in Ihrer Finanzpla-nung für das Jahr 2004 geplanten Ausgaben in Höhe von45,3 Milliarden DM liegen um fast 10 Milliarden DMniedriger als im Jahr 1998, als Theo Waigel letztmals Ver-antwortung trug. Der Anteil des Verkehrs- und Bau-haushalts als des größten Investitionshaushalts im Bun-deshaushalt sinkt im Jahr 2004 auf 9 Prozent; im Jahre1998 lag er bei 12 Prozent. Das sind vom Anteil her25 Prozent weniger. Da können Sie doch nicht sagen, eswerde weitergeführt und es würden Investitionen ge-stärkt. Das genaue Gegenteil von dem, was Sie hier vor-tragen, ist der Fall.
Frau Mertens, für den Baubereich weist Ihre mittelfris-tige Finanzplanung – ich nehme an, Sie haben sie gele-sen – aus, dass für die Unterstützung des Wohnungs- undStädtebauwesens die Ausgaben bis zum Jahr 2004 auf2,6 Milliarden DM zurückgeführt werden; 1998 standenan der Stelle noch 4,8 Milliarden DM. Das ist eine Kür-zung um nahezu 50 Prozent.Angesichts der eingangs genannten Rahmenbedingun-gen für den Wohnungsbau brauchen wir dringender dennje eine finanzpolitische Neuausrichtung, die beim Kon-sum spart und stattdessen auf Investitionen setzt. DieCDU/CSU-Fraktion wird dies auch in den Beratungen desHaushalts zum Ausdruck bringen. Wir werden vorschla-gen, die Investitionssumme im Bau- und Verkehrssektorzu erhöhen. Dafür werden wir seriöse Gegenfinanzie-rungsvorschläge unterbreiten.
Die Finanzplanung bis 2004 spiegelt die Demontagedes sozialen Wohnungsbaus wider. Die Finanzhilfen desBundes werden im Vergleichszeitraum von 4,2 Milliar-den DM auf gerade einmal 1,9 Milliarden DM zurückge-führt. Für den sozialen Wohnungsbau markiert derHaushaltsentwurf 2001 einen weiteren Tiefpunkt gebro-chener Wahlversprechungen der SPD. 1997 haben IhreWohnungsbaupolitiker im Fachausschuss unseren vorge-sehenen Verpflichtungsrahmen von 1,347 Milliarden DMals „Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus“ tituliert.
Was ist unter rot-grüner Verantwortung passiert? ImJahre 1999 haben Sie 1,1 Milliarden DM vorgesehen. Dasist weniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben 1999 densozialen Wohnungsbau abgeschafft. Für das Jahr 2000waren 600 Millionen DM vorgesehen. Das ist ebenfallsweniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben den sozialenWohnungsbau auch im zweiten Jahr abgeschafft. Für dasJahr 2001 sind 450 Millionen DM vorgesehen. Das istwieder weniger als 1,347 Milliarden DM. Damit habenSie den sozialen Wohnungsbau im dritten Jahr in Folgeabgeschafft. Wo bleibt der Aufschrei der Baupolitiker,dass durch die von Ihrer Mehrheit getragene Bundesre-gierung der soziale Wohnungsbau in Deutschland abge-schafft wird?
Ich beziehe mich auf Ihre eigenen Anträge aus dem Fach-ausschuss. Frau Mertens, Sie sind der Totengräber des so-zialen Wohnungsbaus in Deutschland.
Hier stellt sich nun in aller Schärfe nicht nur die Fragenach Ihrer politischen Glaubwürdigkeit, sondern auch dienach Ihrem Gewicht als Bau- und Verkehrspolitiker in derKoalition insgesamt. Ihre Sachkompetenz, die wir imAusschuss wahrnehmen, kommt Ihrem Durchsetzungs-vermögen in der konkreten Politik leider nicht gleich.
Die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau stellenverschärft die Frage nach einem Verstoß gegen dieVorschriften des Wohnungsbaugesetzes. Dort ist dieZweckbindung für die Rückflussmittel aus dem sozialenWohnungsbau vorgesehen. Für das Jahr 2001 stellt sichdie zweckgebundene Verwendung der Einnahmen undAusgaben im sozialen Wohnungsbau so dar, dass Sie über72 000 DM an Rückflussmitteln mehr haben, als Sie aus-geben. Das heißt, Sie machen beim sozialen Wohnungs-bau im Bundeshaushalt Gewinn.Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wirdsich im Finanzplanungszeitraum weiter öffnen. Die Aus-gaben sinken bei Ihnen auf 1 Milliarde DM. Die Rück-flüsse bleiben auf dem Niveau von 1,8 Milliarden DMpro Jahr. Der Bundeskanzler, Herr Schröder, hat noch inder „Mieter-Zeitung“ im letzten Quartal 1998 erklärt,die SPD wolle den sozialen Wohnungsbau wieder zumschlagkräftigsten Instrument der Wohnungspolitik ma-chen. In Wahrheit ist die Entwicklung im sozialen Woh-nungsbau ein Schlag ins Gesicht der Bedürftigen in unse-rer Gesellschaft, ein eindeutiger Offenbarungseid in derWohnungspolitik, der die Ärmsten in unserer Gesellschafttrifft.
Der „Genosse der Bosse“ ist kein Genosse der Sozial-mieter in diesem Land. Die baupolitischen Ziele haben indieser Koalition keine einflussreichen Fürsprecher.
Dies ist insofern – auch wenn es Ihnen nicht gefällt, HerrSchmidt –
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Dr. Michael Meister11381
– nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie die Spitzendieses Hauses politisch besetzt worden sind. Wenn manderen Vita ansieht, dann kann man sich erklären, warumdas so läuft.Dennoch muss man von Bauminister Klimmt verlan-gen, dass er sich der Eingriffe des Bundesfinanzministersin sein Ressort erwehrt. Zum Beispiel bricht die Regie-rungskoalition ebenfalls bei der Städtebauförderungihre Wahlversprechungen, –
– wenn die Mittel nicht aufgestockt werden, wie es unsereFraktion beantragen wird. Wir treten für eine Aufstockungder Städtebaumittel ein.
– Frau Mertens, es sieht so aus, dass in der Kanzlervilladie sozialen Fragen des Landes ein bisschen aus demBlickfeld geraten.
Ich weise Sie einmal auf die Obdachlosigkeit hin. Wirhaben uns in der Vergangenheit gemeinsam darauf ver-ständigt, in jedem Jahr 50 Millionen DM für die Bekämp-fung der Obdachlosigkeit in diesem Land zur Verfügungzu stellen. Was tun Sie? Sie heben die Zweckbindung auf.Die Ärmsten der Armen werden bei Ihnen zu Opfern desStreichkonzerts.
Was hätten Sie gerufen, wenn wir dies getan hätten?Wo ist Ihre Antwort auf die Strukturveränderungen inden neuen Bundesländern? Es gibt riesige Strukturver-änderungen, die durch die Wandlung des Arbeitsmarktsausgelöst werden und jetzt auch auf die Wohnungsmärktedurchschlagen. Ich habe in der Haushaltsrede von HerrnKlimmt dazu kein Wort gehört. Die Schaffung von preis-günstigem und vor allem ausreichendem Wohnraum, ins-besondere für diese Problemgruppen, ist eine zentraleAufgabe der Baupolitik. Dieser Aufgabe wird die Bun-desregierung nicht gerecht. Offensichtlich befindet sichdie Bundesregierung angesichts der Wohnungsbaupolitikder Union und der Kollegen von der F.D.P. nach wie vorin einer entspannten Lage. Man hat sich deshalb in eineArt von Dornröschenschlaf begeben. Da kann man demHerrn Klimmt nur sagen: Wachen Sie auf, Herr Klimmt!Erwachen Sie aus diesem Dornröschenschlaf! Das wirdSie früher einholen, als Sie glauben.
Was wir heute an Investitionen im Wohnungsbau ver-säumen, werden wir morgen mit sehr viel mehr finanziel-lem Aufwand reparieren müssen. Morgen werden dieMieterhaushalte in Deutschland diese Zeche zahlen.
– Frau Mertens, die Mieterhaushalte in Deutschland wer-den für die Fehlentscheidungen zahlen, die Sie in der Po-litik treffen, wenn Wohnungsverknappung zu steigendenMieten führt.
Die Haushalte sind heute bereits, wenn wir an diezweite Miete denken, von der Politik der Bundesregie-rung stark negativ betroffen, weil sie aufgrund der Öko-steuer und aufgrund des vom Kanzler heruntergeredetenEuro mit erheblichen Mehrkosten bei der Energie rech-nen müssen. Nachdem sich das Heizöl um nahezu50 Pfennig pro Liter verteuert hat, –
– müssen sie heute, wenn sie ihren Tank mit 4 000 Literfüllen, 2 000 DM mehr bezahlen. Welcher Normalverdie-ner in Deutschland soll 2 000 DM mehr finanzieren?
2 000 DM ist bedeutend mehr, als ein Durchschnittsver-diener an Steuervergünstigungen, die Sie immer so prei-sen, zurückerhält.
Sie ziehen den Leuten aus der einen Tasche mehr heraus,als Sie ihnen in die andere hineinstecken. Das sind dieFakten.
Herr Kol-
lege Meister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Schmidt?
Gerne, Herr Präsi-
dent. Bitte sehr.
HerrSchmidt, bitte schön.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Kollege Meister, Sie haben gerade dieVerteuerung beim Heizöl angesprochen. Sie haben ge-sagt, das Heizöl sei 50 Pfennig teurer geworden.
– Gut, mehr noch. – Wie hoch ist Ihrer Schätzung nach derAnteil der Ökosteuer an dieser Verteuerung, also der Teil,der durch uns verursacht worden ist?
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Dr. Michael Meister11382
Lieber KollegeSchmidt, ich habe eben die zwei Faktoren erwähnt, diedazu beigetragen haben.
Der eine Faktor war, dass unser Bundeskanzler den Euroherunterredet und damit maßgeblich dazu beiträgt, denEinkauf des Heizöls teurer zu machen.
Den zweiten Faktor habe ich mit dem Stichwort Öko-steuer umschrieben.
Die Antwort, die der Landesvorsitzende der Grünen,Swane, den Bürgern in Norddeutschland gegeben hat, alser ihnen erklärte, wie sie diesem Problem gerecht werdenkönnen, –
– gipfelte in dem Vorschlag: Fahren Sie dieses Jahr nichtin Urlaub, dann ist das Problem gelöst. So lautete die Ant-wort der Grünen in Deutschland.
Das war die Antwort eines der Ihren; meine Antwort ha-ben Sie gehört. Sie sollten vielleicht einmal in Ihrer eige-nen Partei klären, wie man damit umgeht. Ich habe jetzteinmal die Antwort eines norddeutschen Landesvorsit-zenden wiedergegeben.
Sie haben vorhin von Ihrem Kollegen Berninger einLob über das Wohngeld gehört. Meine Damen und Her-ren, Sie können das Wohngeld gar nicht so schnell er-höhen, wie Sie den Bürgern in diesem Land das Geld überdie Ökosteuer wieder aus der Tasche ziehen.
Mit Ihrer Vorlage zum Wohngeld wollten Sie ein Geschäftmachen. Sie haben versucht, von den Kommunen und denLändern 2,5 Milliarden DM zu bekommen, wollten denBürgern aber nur 1,5 Milliarden DM zukommen lassen.Das wäre ein Geschäft zulasten von Kommunen und Län-dern gewesen. Ohne den Widerstand von CDU und CSUim Bundesrat wäre Ihnen dieser Coup sogar noch gelun-gen. Sie hätten sich nach außen sozial gezeigt und insge-heim Ihre Taschen gefüllt.
Wenn wir an dieser Stelle nun nicht den Bundesbaumi-nister fragen würden, sondern den Bundesumweltmini-ster, Herr Kollege Schmidt, dann würde er uns mit Si-cherheit in Bezug auf das Heizöl den Ratschlag geben, wirsollten Energie sparen.
Da muss man sich natürlich auch die Frage stellen, warumes unser Bundesbauminister nicht geschafft hat – es istmittlerweile Halbzeit dieser Legislaturperiode –, endlicheine Energieeinsparverordnung auf den Weg zu brin-gen. Sie sollte ursprünglich zum 1. Januar 2000 in Krafttreten.
Wo ist die Energieeinsparverordnung, Herr Klimmt? Wosind die Anreize zum Energiesparen? Ich weise daraufhin, dass am 31. Dezember 2000 die Ökozulage im Rah-men des Eigenheimzulagengesetzes ausläuft. Sie kündi-gen neue Förderprogramme an, tatsächlich laufen aber diebisherigen Förderprogramme der alten Bundesregierungaus, ohne dass Sie bisher einen Ersatz dafür anbieten. Wirfordern Sie auf: Verlängern Sie zumindest die bisherigenFörderprogramme und machen Sie nicht nur Ankündi-gungen. Legen Sie neue Förderprogramme auf, damit Ener-giesparen in Deutschland im Baubereich möglich wird.
Meine Damen und Herren, eine zukunftsorientierte,konzeptionelle Baupolitik würde sich darum bemühen,den Neubau von Mietwohnungen zu verstetigen, die Rah-menbedingungen für den Eigenheimbau zu verbessernund zu verdeutlichen, dass Wohneigentum eine besonderswichtige und attraktive Form der Altersvorsorge ist. Stattdiese Punkte anzupacken, denkt diese Koalition darübernach, nicht die Altersvorsorge im privaten Bereich zu stär-ken, sondern die Erbschaftsteuer zu erhöhen, um das Ge-genteil einzuleiten, nämlich das Eigentum an Wohnimmo-bilie zu schwächen und zu verteuern. Das ist eine Politik,die in die falsche Richtung läuft. Wir werden uns gegendiese Politik wehren.
Wir wollen eine Stärkung des Wohneigentums als Teil derAltersvorsorge.Eine zukunftsgewandte Baupolitik würde schnellst-möglich dafür sorgen, dass das soziale Wohnungsbau-recht modernen Anforderungen gerecht wird und dassim Miet- und Steuerrecht keine neuen Barrieren für In-vestitionen geschaffen werden. Eine zukunftsgewandteBaupolitik würde über den notwendigen Beitrag desBaubereichs nicht nur Sonntagsreden halten, sondern imRahmen der Energieeinsparverordnung ordnungspoliti-sche Signale setzen und die steuerpolitischen Förderin-strumente schaffen, um sowohl im Neubau als auch imBestand das vorhandene Einsparungspotenzial auszu-schöpfen.Diese Probleme müssen wir gemeinsam anpacken undlösen. Wir haben eine Unionsfraktion, die an Ihrer Seiteist, wenn Sie die Investitionen in diesen Sektoren stärkenwollen. Wir sind bereit, an dieser Stelle mit Ihnen zu
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11383
kämpfen. Wir sind aber nicht bereit, weiter Ihren Kurs inRichtung Konsum und gegen Investitionen mitzutragen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Schmidt von Bündnis 90/Die
Grünen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Wir hatten in den letzten Tagen hier eine Haus-
haltsdebatte, die im Wesentlichen eine Ökosteuerdebatte
war. Ich setze Ihr Einverständnis voraus, wenn ich jetzt
nicht noch einmal alle Pro- und Kontraargumente auf-
zähle, die in dieser Debatte schon hundertmal aufgeführt
worden sind.
Ich möchte nur eine einzige Bemerkung machen, und
zwar an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU. Ich habe großes Verständnis dafür, dass
sich jemand darüber ärgert, wenn er für etwas mehr, sogar
sehr viel mehr, bezahlen muss als noch vor einem Jahr, in
diesem Fall für Benzin. Aber ich habe überhaupt kein Ver-
ständnis dafür, wenn ausgerechnet diejenigen, die bei den
Benzinpreisen jahrelang abgezockt haben, sich jetzt in
höchst scheinheiliger Weise zum Retter der Entrechteten
aufspielen.
Niemand anders als der CSU-Finanzminister Theo
Waigel hat Anfang der 90er-Jahre die Mineralölsteuer in
mehreren Schritten um 50 Pfennig erhöht, und zwar nicht,
um die Sozialbeiträge zu senken – die wurden zusätzlich
um 10 Prozentpunkte erhöht –, und auch nicht, um Schul-
den abzubauen; das Schuldengebirge wurde weiter aufge-
türmt. Das war Ihre Politik! Nachdem gerade Sie hier je-
den Rest von Glaubwürdigkeit verspielt haben, sollten Sie
sich in Zukunft zu dieser Frage wesentlich bescheidener
äußern.
Es gibt aber auch eine ganz andere Kritik an der Öko-
steuer, nämlich von der anderen Seite des Hauses, auf die
ich einmal zu sprechen kommen möchte, weil diese Seite
nämlich meistens zu kurz oder gar nicht zu Wort kommt.
Bei dem Kollegen Winfried Wolf ist angeklungen – auch
bei vielen Natur- und Umweltschutzverbänden war die
Rede davon –: Was wollt ihr denn mit diesem bisschen
Ökosteuer? Die Erhöhung um 6 Pfennig wird doch keinen
Lenkungseffekt entfalten. Kollege Wolf hat gefragt: Wo
ist denn die Verlagerung von der Straße auf die Schiene?
Wo sind die Signale für eine solche Verkehrspolitik?
Dazu möchte ich Ihnen nur die aktuellsten Verkehrsda-
ten zur Kenntnis geben.
Herr Kol-
lege Schmidt, Frau Blank hat sich schon länger zu einer
Zwischenfrage gemeldet.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja, aber das ist jetzt wieder zu dem alten
Thema. Ich würde jetzt gerne bei der anderen Seite des
Hauses verweilen, weil sie immer zu kurz kommt.
Genehmi-
gen Sie die Zwischenfrage?
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): In diesem Fall nein.
Die Daten im deutschen Verkehrsmarkt sehen in der
ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2000 wie folgt aus: Wir
haben im Schienengüterverkehr erstmals seit Ewigkeiten
einen Zuwachs von 10,2 Prozent. Das hat es seit Jahren
nicht mehr gegeben. Auch beim Personenverkehr haben
wir auf der Schiene eine zusätzliche Nachfrage, und zwar
sowohl im Personenfern- als auch im Personennahver-
kehr.
Ich will nun nicht sagen, das sei schon die große Ver-
kehrswende, Kollege Wolf. Aber das sind nach meinem
sicheren Gefühl die ersten Anzeichen einer vorsichtigen
Trendwende. Das hat natürlich auch damit zu tun, Kollege
Wolf, dass vom ersten Tag an im öffentlichen Verkehr, und
zwar von der Buslinie bis zum ICE, nur der halbe Öko-
steuersatz aufgelegt wurde, was einen relativen Preisvor-
teil für den öffentlichen Verkehr gegenüber dem Indi-
vidualverkehr gebracht hat.
Das war so gewollt und das wird auch so bleiben.
– Jetzt gestatte ich eine Zwischenfrage.
Herr Kol-
lege Wolf, bitte.
Herr Kollege Ali Schmidt,ist Ihnen bekannt, dass die Quellen, die Sie gerade ausdem letzten halben Jahr zitieren, eine Methode angewandthaben, über die wir uns unter Herrn Wissmann vier Jahrelang geärgert haben, nämlich dass zu den allgemeinen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Dr. Michael Meister11384
Daten, die einen längerfristigen Trend in die negativeRichtung auswiesen, kurzfristige Daten dazugenommenwurden, die angeblich in eine andere Richtung zeigten?Zweite Frage. Trifft das Zitat von Frau AngelikaMertens aus der „Süddeutschen Zeitung“ zu, das ich inmeiner Rede erwähnt habe, wonach dem Ministeriumganz klare Trenddaten anderer Art vorliegen, auf derenBasis der neue Verkehrswegeplan 2002 ausgearbeitetwerden soll, der kein Wachstum bei der Schiene, aber ex-tremes Wachstum beim Luftverkehr und beim Lkw-Ver-kehr vorsieht? Im Rahmen dieses Verkehrswegeplaneswurde sogar ein Ökomodell diskutiert – das kam sicher-lich von Ihnen –, das aber laut einem Bericht in der „Süd-deutschen Zeitung“ von vor zwei Tagen wieder verworfenworden sein soll.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Kollege Wolf, ich bin sehr dankbar fürdiese Zwischenfrage; denn sie gibt mir Gelegenheit, aufdiesen etwas schrägen Artikel in der „Süddeutschen Zei-tung“ einzugehen.Zu der ersten Frage. Mir ist sehr wohl bekannt, dassman kurzfristige Daten nicht überbewerten darf. Deswe-gen habe ich auch vorsichtig von einem ersten Anzeicheneiner Trendwende gesprochen. Wir müssen die Entwick-lung nicht nur weiter beobachten, sondern auch unterstüt-zen. Durch welche Maßnahmen dies geschehen soll,werde ich im Laufe meiner Rede noch ausführen.Zu der zweiten Frage. Der von Ihnen angesprocheneTrend, dass es erhebliche Steigerungen im Straßengüter-verkehr bis hin zu einer Verdoppelung und dass es nurmaßvolle Steigerungen im Schienengüterverkehr gebe,der in der „Süddeutschen Zeitung“ reportiert wurde, istquasi ein Fortschreibungstrend nach einem Szenario, daseben keine wesentlichen Veränderungen an den verkehrs-politischen Rahmenbedingungen vorgesehen hat. Deswe-gen ist dieses so genannte Trendszenario nicht das, waswir zur Grundlage für den neuen Bundesverkehrswege-plan nehmen wollen und werden. Wir werden stattdessendas so genannte Integrationsszenario zugrunde legen, dasvon ganz anderen Voraussetzungen ausgeht.Der Kollege Klaus Ott von der „Süddeutschen Zei-tung“ hatte also nur die halbe Information, da die Infor-mation darüber, was wir nicht zugrunde legen werden,falsch war. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich jetzt dieChance hatte, diesen Punkt klarzustellen.Was aber auch gesagt werden muss: Die Preissignaleüber die Ökosteuer allein werden nicht ausreichen. ZuKurskorrekturen in der Verkehrspolitik gehört – damitkomme ich auf den Verkehrshaushalt zu sprechen – auchdie Setzung richtiger Investitionsschwerpunkte. Deshalbbin ich sehr froh, dass niemand anderes als der Ministerselbst öffentlich das Zukunftspaket Schiene angekün-digt hat. Dieses beinhaltet, dass zusätzliche Investitionenzur Modernisierung der Bahn in der Größenordnung vonrund 2 Milliarden DM – nicht als Einmaleffekt, sondernals verstetigte Zusatzaufwendungen aus den UMTS-Erlö-sen – aufgewendet werden sollen.
Das heißt im Klartext: Als ich 1994 Mitglied diesesHauses wurde, lag der Bahnetat bei 10 Milliarden DM.1998, als wir den Laden übernommen hatten, hatten Sieihn auf 6,7 Milliarden DM zusammengestrichen. Sie ha-ben wie die Weltmeister gekürzt. Wir satteln wieder draufund gleichen aus. Das ist bitter notwendig. Das Bahnnetzmuss saniert und modernisiert werden. Wichtige Streckenmüssen schneller und attraktiver ausgebaut werden.Ich möchte Ihnen nur vier Projekte nennen, die vongrößter strategischer Bedeutung gerade für den Güterver-kehr sind. Beschleunigt wird das Projekt Berlin–Frank-furt/Oder – jetzt hören Sie gut zu; irgendjemand hatvorhin nach Ostdeutschland gefragt – Richtung Polen.Dies ist von größter Bedeutung für die EU-Osterweite-rung im Hinblick auf den Güterverkehr als auch aufden Personenverkehr. Dazu gehört weiterhin die StreckeParis–Saarbrücken–Mannheim–Frankfurt. Dies ist nichtder Fall, weil der Minister in Saarbrücken zu Hause ist,sondern weil dies die strategisch wichtige Verbindung inRichtung Westen nach Frankreich ist. Die dritte wichtigeStrecke ist die Oberrheinstrecke Richtung Basel, weil dieSchweizer für viel Geld Alpentunnel bauen und wir bis2006/2007 mit der Zulaufstrecke fertig sein müssen. Dievierte wichtige Strecke ist die Strecke München–Mühl-dorf–Freilassing in Bayern, also die strategische Achsenach Südosteuropa in Richtung Österreich. All das wirdbeschleunigt möglich sein. Diese zusätzlichen Aufwen-dungen sind einer zukunftsfähigen Schiene geschuldet.Ich habe schon fast Mitleid mit der Opposition. WennSie einmal so einen Batzen für irgendein Projekt bekom-men hätten, dann hätten Sie sich wahrscheinlich die Fin-ger bis zum Hintern abgeleckt.
Wir sind sehr froh und dankbar für diese Mittel. Aberich sage Ihnen auch: Wir als Grüne sind in dieser Frageunersättlich; wir wollen sogar noch mehr.
Kollege Oswald hat die Bedeutung des kombiniertenVerkehrs angesprochen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu.Deswegen werden wir auch die für den kombinierten Ver-kehr vorgesehenen Haushaltsmittel verstärken. Überalldort, wo DB Cargo es meint nicht zu schaffen, müssenverstärkt Förderungen für dritte, für nicht staatliche Ei-senbahnunternehmungen ins Auge gefasst werden.Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der vongroßer Bedeutung ist – dies ist eine alte Forderung derGrünen –, zu niedrigeren Trassenpreisen auf der Schiene.Wir werden ab 1. Januar 2001 – das ist beschlossene Sa-che – bei der Bahn ein einstufiges Trassenpreissystemeinführen, ein System, bei dem nicht staatliche Eisen-bahnunternehmen – sei es die BASF-Chemie-Bahn oderwer auch immer – dann, wenn sie das Schienennetz nut-zen, keine höheren Preise mehr als die DB Cargo zahlenmüssen. Bisher erschienen durch die Selbstrabattierungvon DB Cargo vergünstigte Preise nur für die DB Cargomöglich. Künftig wird es zu einer Verbilligung um rund
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Dr. Winfried Wolf11385
30 Prozent im privaten Güterverkehr kommen. Das wirdden Laden zum Brummen bringen. Das ist eine minde-stens ebenso wichtige strategische Entscheidung wie dieLkw-Maut, die ab 2003 greifen wird.
Meine Damen und Herren, das Schönste an diesemVerkehrshaushalt ist das, was noch nicht im Haushaltsteht, was sich aber bereits abzeichnet und was dem-nächst, wie ich hoffe, also zur dritten Lesung, im Haushaltstehen wird, nämlich das Zukunftspaket Schiene, die Ver-stärkung der Mittel für den kombinierten Verkehr. Damitwerden die richtigen Weichen für eine Zukunft gestellt, inder die Verkehrspolitik in der Mischung aus Markt- undPreissignalen sowie Investitionen zu dem von uns ge-wünschten Ergebnis führen wird.Ich danke Ihnen.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Renate
Blank von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Schmidt,
mir ist natürlich klar, warum Sie meine Zwischenfrage
nicht zulassen wollten, nachdem Sie das Thema Öko-
steuer angesprochen hatten. Ich halte Ihnen zugute – denn
die Partei Bündnis 90/Die Grünen war in den Jahren von
1990 bis 1994 nicht im Bundestag vertreten –, dass Sie
nicht wissen können, wofür wir die Erhöhung der Mine-
ralölsteuer um insgesamt 50 Pfennig verwendet haben –
ich möchte Ihnen das sagen, damit wir endlich einmal von
der Legende, die in diesem Zusammenhang besteht, weg-
kommen –: Die sich aus der Erhöhung um 20 Pfennig
ergebenden Einnahmen wurden für die Bahnreform ver-
wendet, der Rest für die deutsche Einheit und den Golf-
krieg. Für diese drei Dinge wurden damals in Überein-
stimmung mit der Opposition die sich aus der Erhöhung
um insgesamt 50 Pfennig ergebenden Einnahmen ver-
wendet. Das sollten Sie sich endlich einmal merken und
nicht immer wieder die Mär anführen, dass diese Mittel
für irgendetwas verwendet wurden. Vielleicht dienen
diese Worte der Klarstellung.
Herr
Schmidt, wollen Sie erwidern? – Bitte.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident, ich mache es auch ganz kurz.
Frau Kollegin Blank, ich nehme das gerne zur Kenntnis,
wenngleich ich nicht zum ersten Mal höre, dass ein we-
sentlicher Teil der damaligen Mineralölsteuererhöhung
für die Kriegskasse verwendet wurde. Das haben wir nicht
getan.
Ich bitte Sie, endlich ebenso zur Kenntnis zu nehmen,
dass das, was wir durch die Ökosteuer draufgesattelt
haben, 1 : 1, Mark für Mark, Pfennig für Pfennig zur Sen-
kung und Stabilisierung der Rentenbeiträge eingesetzt
wird.
Wenn auch Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen,
dann werde ich bei künftigen Reden zu diesem Thema je-
des Mal die Kriegskasse erwähnen.
Als letz-
tem Redner zu diesem Geschäftsbereich gebe ich das
Wort dem Kollegen Dieter Maaß von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich überrasche sicher niemanden,wenn ich sage: Wir Sozialdemokraten unterstützen Fi-nanzminister Eichel in seinem Bemühen, die Verschul-dung des Bundes in Höhe von 1 500Milliarden DM abzu-bauen. Für diese Verschuldung tragen Sie, meine Damenund Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., die Ver-antwortung.
Wir unterstützen auch die Steuerreform der Bundesregie-rung. Sie wird die Bürgerinnen und Bürger um 45 Milli-arden DM entlasten. Dies, meine Damen und Herren vonder Opposition, sollten Sie beachten, wenn Sie den vor-liegenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 bewerten.Wir setzen in Zeiten, in denen die Politik sparen muss,klare politische Akzente. Diese möchte ich am Einzel-plan 12 für den Bereich Bau- und Wohnungswesen dar-stellen. Zunächst einmal möchte ich die Aufmerksamkeitdes Hauses auf das Wohngeld lenken. 1,4 Milliarden DMwerden dafür mehr ausgegeben. Davon trägt der Bund dieHälfte. Der Finanzminister rechnet bereits für 2001 mit500 Millionen DM. Das ist in Zahlen dargestellt das Er-gebnis unserer Wohngeldnovelle. Diese Reform bewirktdeutliche Leistungsverbesserungen, vor allem zugunstender Tabellenwohngeldempfänger.In den alten Bundesländern erhalten Wohngeldemp-fänger zukünftig im Durchschnitt 83 DM. Das sind über50 Prozent mehr Wohngeld als bisher. Große Familienprofitieren mit durchschnittlichen Verbesserungen von120 DM sogar noch deutlicher. Außerdem beseitigen wireine soziale Schieflage, weil durch unsere Reform420000 Haushalte zusätzlich wohngeldberechtigt wer-den. Diese Wohngeldreform, die dringend geboten war,ist im Reformstau der Regierung Kohl stecken geblieben.
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Albert Schmidt
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Wir bleiben auch bei der Förderung des sozialen Woh-nungsbaus, wenn auch nicht mehr in der Größenordnungder vergangenen Jahre. Bei aller Kritik der Oppositionsage ich: Es gibt eine Entspannung auf dem Wohnungs-markt, auch im unteren Preissegment, allerdings nicht inmanchen Ballungszentren und auch nicht in sozialenBrennpunkten. Deshalb ist eine zeitgemäße gesetzlicheVerbesserung des sozialen Wohnungsbaus dringend erfor-derlich.Es geht heute nicht mehr darum, ständig neue Woh-nungen zu bauen, sondern wir müssen jetzt unsere Auf-merksamkeit und die knappen finanziellen Mittel auf Re-gionen und Stadteile konzentrieren, in denen sich sozialeProbleme durch die Entmischung der Bevölkerung ver-schärfen.Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Den sozialen Wohnungsbau erhalten und re-formieren“ wird den neuen Herausforderungen gerechtund definiert die richtigen politischen Ziele.
Die Bundesregierung wird bald einen Gesetzentwurfzur Reform des sozialen Wohnungsbaus vorlegen.CDU/CSU und F.D.P. haben das viele Jahre lang ohne Er-folg versucht. Wir lösen auch hier den Reformstau auf.Wir Sozialdemokraten wissen: Soziale Verantwortungbraucht konkrete politische Instrumente. Deshalb habenwir, meine Damen und Herren von der F.D.P., dafür ge-sorgt, auf der Bundesebene weiterhin wohnungspolitischhandlungsfähig zu bleiben. Das ist in Zeiten einer stren-gen Haushaltskonsolidierung eine Leistung, die sich se-hen lassen kann.
– Im Übrigen, Herr Dr. Kansy, stehen in 2001 für den so-zialen Wohnungsbau noch 1,6 Milliarden DM zur Verfü-gung.Sie wissen, meine Damen und Herren, dass der unsvorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung inden parlamentarischen Beratungen verändert, ich sage:verbessert wird. So hat meine Fraktion bereits beschlos-sen, die Konsolidierung des Haushalts mit Zukunftsinves-titionen zu vereinen.Zu den Schwerpunkten dieses Grundsatzbeschlussesgehört die Aussage, die zusätzlichen Zinsersparnisse imZusammenhang mit der Versteigerung der UMTS-Lizen-zen auch für die Altbausanierung, zur Energieeinsparungund im Städtebau einzusetzen. Wir Baupolitiker werdendas gern aufnehmen und Vorschläge dazu machen.Einer dieser Vorschläge wird die Städtebauförder-mittel betreffen. Dafür sind jetzt 600 Millionen DM aus-gewiesen, 520 Millionen DM für Ostdeutschland und80 Millionen DM für die alten Bundesländer. Der Anteilfür die alten Bundesländer müsste unserer Meinung nachdeutlich aufgestockt werden.
Die gesamte Städtebauförderung wird Investitionen von5 bis 6 Milliarden DM nach sich ziehen. Damit schaffenwir Arbeitsplätze in Deutschland.
Wir werden einen weiteren wichtigen Vorschlag für dieVerknüpfung von sozialer Wohnraumversorgung mitstädtebaulichen Aspekten machen, ein Programm, das wirmit der Überschrift „Soziale Stadt“ versehen haben. Hiermöchten wir die 100 Millionen DM gerne weiter auf-wachsen lassen.
Auch diese Mittel ziehen erheblich größere Investitionennach sich: im Baubereich, wenn sie mit Städtebauförder-mitteln verzahnt werden, und im sozialen Bereich.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Haushalts-lektüre empfehle ich, das KfW-Wohnraummodernisie-rungsprogramm Ost genau zu studieren. Mit 79 Milliar-den DM Darlehen hat das Programm in den letzten Jahrendazu beigetragen, dass rund 3,6Millionen Wohnungen in-stand gesetzt und rund 107 000 neue Wohnungen erstelltworden sind. Wegen des hohen Modernisierungsbedarfsinsbesondere bei Altbauten starteten der Bund und dieneuen Länder im Februar dieses Jahres ein gemeinsam fi-nanziertes Nachfolgeprogramm. Darüber hinaus setzenSPD und Grüne entsprechend ihrer Koalitionsvereinba-rung einen besonderen Schwerpunkt bei der Förderungvon Energiesparinvestitionen durch das CO2-Minde-rungsprogramm.
Damit leistet diese Bundesregierung einen wichtigen Bei-trag zum Klimaschutz und zur Entspannung der Arbeits-marktsituation in der Bauwirtschaft. Das entsprechendeKfW-Programm wurde mehrmals aufgestockt und um-fasst zurzeit ein Darlehensvolumen von 11,8 Milliar-den DM. Hier möchten wir mit Mitteln aus der UMTS-Zinsersparnis noch einiges verbessern, indem wir einzusätzliches Energie- und CO2-Einsparpotenzial im Ge-bäudebestand erschließen.
Wir veranlassen damit umfassende Sanierungsmaßnah-men an Gebäudehüllen und Heizungstechnik und schaf-fen Arbeitsplätze im Handwerk und in der mittel-ständischen Bauwirtschaft. Jede Milliarde Förderkredit indiesen Maßnahmen sichert rund 12 500 Arbeitsplätze fürein Jahr.Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen, das zum ei-nen den Wohnungsbau begünstigt, zum anderen Wohnei-gentum für unsere Bürgerinnen und Bürger fördert. Ge-meint sind die Wohnungsbauprämien, für die wir1 Milliarde DM im Einzelplan 12 eingestellt haben. Siewissen, meine Damen und Herren: Das Wohnungsbau-Prämiengesetz ist ein wichtiger Bestandteil des staat-lichen Wohneigentums. Auch dieser Haushaltstitel zeigt
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Dieter Maaß
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die klare Linie unserer Politik. Obwohl die Sparschraubenin diesem Haushalt fest angezogen sind, helfen wir brei-ten Bevölkerungsschichten beim Erwerb von Wohn-eigentum.
Seit der Einheit Deutschlands und nach dem Be-schluss, die Regierung und das Parlament von Bonn nachBerlin zu verlegen, ist die Höhe der Ausgaben von Inte-resse. Bereits 1994 ist der Kostenrahmen für die Verlage-rung des Parlamentssitzes und von Regierungsfunk-tionen von Bonn nach Berlin in Höhe von20 Milliarden DM festgesetzt worden. Dieser Kostenrah-men wird eingehalten. Auch die Stadt Bonn bekommt alsAusgleich für den Umzug der Regierung und des Bun-destages nach Berlin ihre zugesagten Finanzhilfen. In2001 sind das 350 Millionen DM.Zum Ende meiner Ausführungen ein Fazit, das inZusammenhang mit meinen Eingangsbemerkungen steht:Von den 10,4 Milliarden DM im Einzelplan 12 für Woh-nungswesen und Städtebau, einschließlich Hochbau undFörderungsmaßnahmen, fließen etwa 4,5 Milliarden DMdirekt in Investitionen. Wir beginnen in den nächsten Aus-schusssitzungen mit den intensiven Beratungen. Ich freuemich auf kritische und sachliche Beiträge meiner Kolle-ginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition.
WeitereWortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesmini-steriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen liegennicht vor.Deshalb kommen wir zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten, Einzelplan 10. Als erster Redner hat dasWort der Bundesminister Karl-Heinz Funke.Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Natürlich sind auch wir –damit will ich beginnen – von der Diskussion der letztenTage in Sachen Dieselbesteuerung, Verhalten der Mine-ralölkonzerne und der Diskussion um die Ökosteuer be-troffen. Wir haben dazu auch einiges zur Kenntnis neh-men und lesen können. Vorgestern ist mir vomPräsidenten des Deutschen Bauernverbandes eine ent-sprechende Resolution überreicht worden.Um es vorweg zu sagen: Ich verstehe sehr wohl dieSorgen, die im Bereich der Landwirtschaft wie auch in an-deren Bereichen mit den steigenden Preisen verbundensind. Keiner ist froh darüber, wenn wir Kostenanstiege indieser Größenordnung zu verzeichnen haben.Eines allerdings habe ich überhaupt nicht verstanden,nämlich dass es hier und da aus der Opposition heraus undvon einigen Vertretern des Berufsstandes die Forderunggab, man solle die Ökosteuer zum 1. Januar für die Land-wirtschaft aussetzen oder verschieben. Die Wortwahl warunterschiedlich. Ich war sehr überrascht – das ist mirheute Nachmittag wieder so ergangen –, dass man einigedaran erinnern musste, dass aufgrund der Tatsache, dasswir den Steuersatz für den so genannten Agrardiesel auf57 Pfennig festschreiben werden, ein Aussetzen der Öko-steuer für die Landwirtschaft am 1. Januar überhauptnichts brächte.
Das hat sich offensichtlich noch nicht genügend herum-gesprochen, obwohl lange diskutiert.Ich will gleichwohl sagen, dass wir – ich allemal – dieWettbewerbsverzerrung, die es in der EuropäischenUnion auch und gerade auf dem Energiesektor gibt,außerordentlich bedauern.
Das hat mit Binnenmarkt im Grunde wenig zu tun. Ichwill am Rande nur Folgendes sagen: Als der Binnenmarktam 1. Januar 1993 geschaffen wurde, hat es viele gegeben,die gesagt haben, man könne diesen Binnenmarkt eigent-lich erst dann schaffen – analog zur Zollunion im Deut-schen Reich des 19. Jahrhunderts etwa –, wenn man auchin der Steuer- und Abgabenpolitik vorher annähernd ver-gleichbare Wettbewerbsbedingungen herbeigeführt habe.Man hätte auf diese Kritiker doch etwas mehr hören sol-len.Darum sage ich: Wer das damals so gemacht hat, sollteheute nicht so auf den Putz hauen. Dazu gibt es nun wirk-lich keine Gründe.
Im Übrigen erinnere ich mich überhaupt nicht daran – ichhabe noch einmal nachgefragt –, dass es bei denen, diesich heute aus der Opposition heraus beschweren, früheretwa Bemühungen gegeben hätte, annähernd gleicheWettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene zu er-reichen. Das hat in der Diskussion schlichtweg überhauptgar keine Rolle gespielt.
Sich heute hinzustellen und diese Wettbewerbsverzer-rung für eine vehemente Kritik an der Bundesregierung zubenutzen, ist überhaupt nicht berechtigt. Das muss icheinmal so deutlich sagen.
Sie als Opposition haben überhaupt keinen Grund, das zutun.Um noch ein paar Argumente nachzuschieben, will ichFolgendes sagen: Wie gesagt, wir haben den Steuersatzfür Agrardiesel auf 57 Pfennig festgeschrieben. Gott seiDank, kann man da im Nachhinein nur sagen. Ich bedankemich da bei den Koalitionsfraktionen. Wenn wir die Öko-steuer aussetzten, wäre zum Beispiel die Frage zu beant-
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Dieter Maaß
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worten – ich will das Thema Rentenversicherung nichtansprechen, weil uns das nicht so sehr berührt, wenn auchsehr wohl andere; es ist auch schon ausreichend diskutiertworden –, wie unsere Programme mit klaren Vorteilen fürdie Landwirtschaft, die wir auch aus der Ökosteuer finan-zieren, was etwa erneuerbare Energien anbelangt – unteranderem Biomasse mit 70 Millionen DM –, zu finanzie-ren wären. Diese Antwort müsste man dann auch bekom-men. Darüber lese ich überhaupt nichts.
Das ist ein Programm, das in der Landwirtschaft unisono,unstrittig auch von der Opposition gelobt wird. Aber allesdas wird unterschlagen; darüber wird nicht geredet.Ich habe im Übrigen Berechnungen gelesen, auch inPressemitteilungen der Opposition. Wenn man Ökonomiestudiert hat, hat man sich leider Gottes – ich habe es garnicht gern gemacht – in praktischer und theoretischer Artmit Statistiken zu beschäftigen. Dann weiß man auch, wieStatistiken und Daten aufbereitet werden. Ich verstehe,dass Sie, um das rein von den Zahlen her zu belegen, dasAusgangsjahr 1998/99 und nicht den Zeitraum von 1989bis 1994 nehmen.Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Sie dieMineralölsteuer damals um über 50 Pfennig erhöht ha-ben. Wären Sie in der Argumentation von 1989 bis heutekonsequent, hätten Sie damals die Rückerstattung für Die-sel an die Landwirtschaft entsprechend erhöhen müssen.Hätten Sie das getan, wäre Ihre Argumentation heutenachvollziehbar. Denn Sie haben damals dadurch, dassSie die Mineralölsteuer erhöht haben, den Rückerstat-tungsbetrag aber gleich ließen, den Subventionswert fürdie Landwirtschaft, ökonomisch formuliert, zurückge-fahren.
Das kann man vertreten, aus welchen Gründen auch im-mer. Aber sich heute hier hinzustellen und so zu tun, alshätten Sie damit überhaupt nichts zu tun, das geht nicht.Das müssen wir eindeutig zurückweisen.
Damit wir uns da richtig verstehen: Wir sind für ver-gleichbare Wettbewerbsbedingungen. Es gibt keinenGrund, über die steigenden Energiekosten froh zu sein.Das ist völlig klar. Weil ich das Wort „Katastrophe“ unddas Wort „Krise“ lese – man liest das heute oft; ich ver-wende diese Worte auch in anderen Zusammenhängennicht so gerne –, will ich daran erinnern, dass die Aus-gaben für Treibstoffe, Schmierstoffe usw. pro Hektarlandwirtschaftlicher Nutzfläche von 1998/99 – um IhreAusgangsposition zu nehmen – bis heute von 125 DM um44 DM gestiegen sind und der Anteil von Treibstoffen,Schmierstoffen usw. an den Gesamtkosten eines Betrie-bes, im Schnitt gerechnet – ich weiß, das ist von Be-triebszweig zu Betriebszweig unterschiedlich; damit mirdas gar nicht entgegengehalten wird –, bei 3 bis 5 Prozentliegt. Die Verteuerung der Energie ist bedauerlich, abervon „Katastrophe“ und „Krise“ zu reden, halte ich fürnicht in Ordnung. Das geht an der Sache vorbei.
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar, wie hierdie Sachlage ist. Ich will ein paar Positionen herausneh-men.Ich bin dankbar, dass wir wieder einen Betrag von gut50 Millionen DM für nachwachsende Rohstoffe imHaushalt haben. Ich bedanke mich dafür ausdrücklich. Ichhalte das auch für notwendig, gerade vor dem Hintergrunddessen, was ich eben gesagt habe und was wir diskutieren.Das „Marktanreizprogramm erneuerbare Energien“ unddas „Förderprogramm zur Markteinführung biogenerTreib- und Schmierstoffe“ sind sinnvolle Programme.Was alternative Energien anbelangt, haben wir mit demGesetz über erneuerbare Energien verlässliche und für dieLandwirtschaft wirtschaftlich bessere Grundlagen ge-schaffen. Das kommt dem ländlichen Raum und derLandwirtschaft, die sich in dieser Form ein zweites Stand-bein schaffen kann, zugute. Ich bin dafür außerordentlichdankbar. Das ist der richtige Weg.Bei der ganzen Diskussion über Energie vermisse ichÜberlegungen – ich will mir darüber Gedanken machen –,wie wir Biotreibstoff aus Raps wettbewerbsfähiger ma-chen können, als es in der Vergangenheit der Fall gewe-sen ist.
Das nützt der Landwirtschaft insgesamt und macht unsein Stück unabhängiger vom Weltmarkt. Das muss unserZiel sein.
Weil das in der gegenwärtigen Diskussion untergeht,will ich einflechten: Die Abhängigkeit vom Weltmarkt,die wir im Energiesektor erleben, sollten wir nicht bei derVersorgung mit Nahrungsmitteln nachmachen. Das sageich im Hinblick auf die WTO und die damit verbundenenVerhandlungen.
Was wir hier sehen, ist ein Lehrstück.Ich verweise ausdrücklich auf den Titel „Nachwach-sende Rohstoffe“. Ich meine, wir verfolgen da ein gutesKonzept angesichts dessen, was wir erleben und was mit-tel- und langfristig für uns wichtig und entscheidend seinmuss.Meine Damen und Herren, ich will, weil das in derDiskussion zu Recht immer wieder eine Rolle spielt, indiesem Zusammenhang darauf hinweisen, wie es mit dersozialen Sicherung in der Landwirtschaft aussieht. Im-mer wieder wird pauschal behauptet, wir würden die Mit-tel zurückführen. Natürlich kann man das an dem einenoder anderen Punkt kritisieren. Aber insgesamt steigt derAgraretat, was die soziale Sicherung anbelangt – im Übri-gen zu Recht. Ich brauche nur das Stichwort „alte Last“
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Bundesminister Karl-Heinz Funke11389
anzusprechen. Ich will nur darauf hinweisen, damit nichtder Eindruck entsteht, die Beträge seien Jahr für Jahr ge-ringer. Das ist nicht richtig. Vielmehr bringt der Struktur-wandel in der Landwirtschaft – das, was mit „alte Last“umschrieben wird – Verpflichtungen mit sich, denen wiraufgrund früherer Beschlüsse des Deutschen Bundestagesgerecht werden müssen und denen wir damit nachkom-men.Ich bin sehr froh darüber, dass wir die 375 Milli-onen DM im Haushalt behalten haben. Sie wissen, dassich eher dafür bin, etwas in der Gemeinschaftsaufgabe zutun. Darüber wird man aber in den Ausschüssen reden.Ich habe vernommen, dass die bayerische Staatskanz-lei die Gemeinschaftsaufgabe infrage gestellt hat. Es istschon bemerkenswert, was aus südlichen Gefildenmanchmal so kommt. Ich bin gespannt, was hier dazu ge-sagt wird, ob wir in der Tat die Gemeinschaftsaufgabe ab-schaffen sollten. Wir brauchen sie unter anderem für das,was wir im Rahmen der so heftig gescholtenen Agenda alszweite Säule der Agrarpolitik bezeichnen, um Entwick-lungsmöglichkeiten des ländlichen Raumes einschließ-lich Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk zu gestal-ten. Wir brauchen diese Gemeinschaftsaufgabe dringend.Darum ist das, was aus der Staatskanzlei kommt, hoffent-lich eine Einzelmeinung und nichts anderes.Im Übrigen freue ich mich auch ein bisschen darüber.So etwas macht mir Spaß. Ich habe hier eine Pressemit-teilung – ich sprach gerade von Bayern –, in der es um diezweite Säule der Agenda und die Mittel, die wir dafürbekommen, geht. Die Überschrift lautet: Miller sichert3,3 Milliarden DM EU-Gelder für Bayern.
Auch ich musste darüber lachen. Darüber kann ich nichteinmal schimpfen. Die Bayern würden wahrscheinlich sa-gen: Das ist eben ein Hund – positiv gemeint.
Nein, das ist natürlich das Geld, das wir im Rahmen derzweiten Säule der Agenda bekommen, nämlich 17 Milli-arden DM von 2000 bis 2006. Das ist ein Betrag, mit demin dieser Größenordnung niemand gerechnet hat. Das ha-ben wir seitens des Bundes auf die Länder verteilt. Dassind 3,3 Milliarden DM für Bayern.
Einige fragen schon, warum Bayern so viel bekommt. Dashängt unter anderem mit der Struktur der Landwirtschaftdort zusammen. Aber Miller wird zusammen mit 3,3 Mil-liarden DM in der Überschrift genannt. Schön ist danndas, was im ersten Satz formuliert wird:Mit Genugtuung hat Landwirtschaftsminister JosefMiller– ich mag ihn sehr, wir verstehen uns persönlich gut, des-wegen trage ich das in dieser Art vor –die Genehmigung der bayerischen Programmpla-nung für die Entwicklung des ländlichen Raumesdurch die EU-Kommission in Brüssel zur Kenntnisgenommen.Ich zitiere weiterhin:Damit haben sich unsere harten und zähen Verhand-lungen gelohnt.
Das bringt Freude.An sich sagt man mir ein gutes Gedächtnis nach. Icherinnere mich, dass ich mit Kommissar Fischler allein zu-sammengesessen habe, um die Beträge auszuhandeln. Ichhabe mich im Büro des Kommissars noch mal vergewis-sert, ob außer mir noch jemand dabei war. Nein, es waraußer mir niemand dabei.
Aber ich gratuliere zu dieser Pressemitteilung. Der Kol-lege Deß freut sich über die gelungene Pressemitteilunggar nicht. Das verstehe ich überhaupt nicht.Um unter anderem die Entwicklungsprogramme zu be-dienen, brauchen wir die Gemeinschaftsaufgabe. Darumsage ich: Das, was da aus der bayerischen Staatskanzleikommt, ist zurückzuweisen und nicht richtig.Ich will – die Uhr läuft unerbittlich weiter – noch einpaar Worte zu den Märkten sagen. Ich bin wie sicherlichwir alle froh darüber, dass wir auch aufgrund der Be-schlüsse in der Agenda – sie ist aber nicht ausschließlichdafür verantwortlich, das will ich nicht sagen – undebenso deswegen, weil das Verhältnis zwischen Euround Dollar so ist, wie es ist, Chancen haben, in einerGrößenordnung zu exportieren, wie es bisher nicht derFall gewesen ist. Auch freue ich mich nicht nur darüber,dass wir nicht nur das Lager, was Rindfleisch anbelangt,leer haben – dies als Folge der Agenda-Beschlüsse unddes Einsatzes von Exporterstattungen –, sondern auch da-rüber, dass die Märkte anziehen und wir an den Märkten– Gott sei Dank! – wieder Preisverhältnisse haben, die fürdie Landwirtschaft positiv sind.Aus landwirtschaftlicher Sicht kann ich mich ange-sichts des jetzigen Verhältnisses von Euro und Dollar– ich sage ausdrücklich: des jetzigen Verhältnisses – über-haupt nicht beklagen. Die Landwirtschaft profitiert da-von. Auch das müssen wir einmal festhalten.
In Ergänzung dessen, was der Bundeskanzler gesternvon Helmut Schmidt zitiert hat, möchte ich Folgendes an-führen: Während meiner Lehre – das war von 1960 bis un-gefähr 1963 – musste ich bei dem damaligen Stand derWährung noch für einen Dollar mit 4,20 DM und nichtmit 4 DM rechnen. Ich erinnere mich sehr genau: Dasenglische Pfund lag bei gut 12 DM. Das waren die Preise.Deswegen haben wir da auch keinen Grund zum Jam-mern. Ich sage das ausdrücklich, weil ich mich an dieseDinge erinnere. Also, wir profitieren davon, und das istgut so.
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Bundesminister Karl-Heinz Funke11390
Ich hoffe sehr, Herr Kollege Deß – deswegen unseregemeinsamen Bemühungen in Brasilien –, dass wir auf-grund dessen, dass wir jetzt zusätzlich Märkte erobernkönnen, imstande sind, diese Märkte dauerhaft zu sichern,um dann diese Märkte, wenn die Relationen wieder an-ders werden, für uns zu haben und dorthin exportieren zukönnen, um so am Binnenmarkt in Europa wieder besserePreise zu erzielen. Das Wort „Markt“ kommt mir in die-sem Zusammenhang viel zu selten über die Lippen derKritiker der Agrarpolitik.Ich frage mich manchmal, wo eigentlich diese Kritikerin den Parteien bleiben, die sich sonst als die Parteien derMarktwirtschaft begreifen. Wenn es um diese Dinge geht,haben Sie verdammt wenig Zutrauen zum Markt – ich al-lerdings sehr viel. Deswegen beurteile ich das genausooptimistisch, wie die Stimmung in der Landwirtschaft op-timistisch ist – jetzt sage ich nicht: wegen der Bundesre-gierung, wie Sie das zu Ihrer Zeit wahrscheinlich formu-liert hätten. Nein, da spielen verschiedene Dinge eineRolle, aber auch, glaube ich, der Umstand, dass wir Klar-text reden. Wir sagen, wohin das führt. Wir machen nichtjedem Hoffnung, sondern entwickeln dabei auch sehrklare betriebswirtschaftliche, ökonomische Konzepte.Jedenfalls freue ich mich sehr darüber, dass heute50 Prozent der Landwirte – mehr als je zuvor – ihre Lageals positiv umschreiben, insbesondere auch was die Beur-teilung „gut“ oder „sehr gut“ angeht, sind es jetzt 16 Pro-zent – das sind auch mehr als in den Jahren zuvor. Das istein gutes Zeichen.Wir wollen durch eine sehr klar orientierte Agrarpoli-tik dazu beitragen, dass diese Stimmung anhält. Wir las-sen uns nicht von Diskussionen, die zwischendurch sehrvordergründig geführt werden, irremachen.Ich bedanke mich.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Josef Hollerith
von der CDU/CSU-Fraktion.
Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Herr Präsident! Die Menschen imLande erwarten auf drängende Frage klare Antworten.Dies gilt in besonderer Weise für die deutsche Landwirt-schaft, die sich – zumindest was die alten Bundesländerangeht –, in der wohl schwersten Strukturveränderung, inder wohl schwersten Strukturkrise der Nachkriegszeit be-findet.Der im Mai dieses Jahres vorgelegte Agrarbericht of-fenbart den Kahlschlag der Bundesregierung bei derLandwirtschaft. Die Ökosteuer, die Kürzung der Gasöl-rückvergütung, die Neuregelung der 630-Mark-Jobs,
die Kürzung der Mittel für den Agrarsozialbereich gegen-über der mittelfristigen Finanzplanung von JochenBorchert verschlechtern die schwierige Gewinnsituationin unserer heimischen Landwirtschaft weiter und be-schleunigen den schmerzhaften Strukturwandel.
Der Gewinn der landwirtschaftlichen Haupterwerbs-betriebe ist im Wirtschaftsjahr 1998/99 gegenüber demVorjahr um 7,3 Prozent auf 53 457 DM je Unternehmengesunken.
Auch das Unternehmensergebnis je Familienarbeitskraftlag mit 37 600 DM deutlich unter dem Vorjahresniveauvon 39 600 DM minus 5 Prozent. 9,7 Prozent der Betriebeschreiben rote Zahlen – das sind nahezu doppelt so vielewie vor Jahresfrist. Die Mehrzahl der Betriebe lebt vonder Substanz. Nicht einmal mehr ein Drittel der Betriebe– genau: 28 Prozent – erbringt heute noch die positive Ei-genkapitalbildung, die notwendig ist, um über Investitio-nen nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Allein von 1998 bis 1999 haben 22 700 Betriebe bzw.5 Prozent aller Betriebe über zwei Hektar ihre Hoftore fürimmer geschlossen. In den Jahren der Regierungszeit vonCDU/CSU und F.D.P. lag die Hofaufgabequote bei2,5 Prozent jährlich. Das ist ein dramatischer beschleu-nigter Strukturwandel, mitverursacht durch die rot-grünePolitik.
Anstatt bäuerliche Betriebe nachhaltig zu fördern undzu stützen, schwächt Rot-Grün die heimischen Betriebe.
Allein die Ökosteuer führt zu einseitigen Belastungen fürdie Landwirtschaft in Höhe von rund 900 Millionen DM,die nicht mehr zurückkommen, weil die bäuerlichen Be-triebe bei uns eben nicht Fremdarbeiter beschäftigen undaus strukturellen Gründen auch nicht mit reduziertenSteuersätzen bedient werden, wie sie für das produzie-rende Gewerbe gelten.
Des Weiteren stellen wir fest, dass sich innerhalb einesJahres die Dieselkosten pro Hektar Getreidebewirtschaf-tung von rund 100 DM auf 200 DM verdoppelt haben.Sicherlich ist die Preisexplosion auch vom knappen An-gebot und der erhöhten Nachfrage verursacht worden.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nureine Ursache. Die zweite Ursache ist die rot-grüne Politikder Ökosteuer und der Mineralölsteuererhöhung für dieLandwirtschaft.
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Bundesminister Karl-Heinz Funke11391
– Ich trage Ihnen jetzt die wahrhaftigen Zahlen vor: Be-trug 1998 die Nettosteuerlast nach Rückerstattung derGasölbeihilfe für den Bauern pro Liter Diesel 21 Pfen-nige, stieg diese Last im Jahr 2000 auf 44 Pfennige. ImJahr 2001 wird sie auf 57 Pfennige pro Liter steigen. Dassind objektive Zahlen, die von Rot-Grün politisch zu ver-antworten sind.
Die dritte Ursache für steigende Dieselpreise istschließlich der politisch bedingte schwache Euro. Auchdas hat diese Regierung von Rot-Grün zu verantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies allespassiert vor dem Hintergrund einer Wettbewerbssituation,die dadurch gekennzeichnet ist, dass die NachbarländerHolland, Frankreich und Österreich nur 12 Pfennige Mi-neralölsteuer pro Liter Diesel von den Bauern nehmen.Die Dänen nehmen von ihrer Landwirtschaft überhauptkeine Mineralölsteuer.
Diese Energiepreissituation schlägt nicht nur bei Die-sel, Heizöl und Gas belastend auf die Landwirtschaftdurch, sondern auch bei den auf Erdöl basierenden Dün-gemitteln wie Stickstoffdünger, die jetzt schon um biszu 20 Prozent teurer geworden sind.
Persönlich freue ich mich – das sage ich ausdrücklichan die Adresse des Ministeriums –, dass meiner Idee ge-folgt wurde und in dem Programm „Biogene Treibstoffe“mit Veröffentlichungsdatum vom 7. September auch einPilotprojekt zur Bezuschussung der Umrüstung von100 Traktoren enthalten ist, damit diese Traktoren mit na-turbelassenem Rapsöl fahren können. Das könnte eineInitialzündung dafür sein, dass die Landwirtschaft wiederwie in der Vergangenheit der Produzent ihrer eigenenEnergie wird und auf Stilllegungsflächen mit Gen-Maisdie Energiebasis für Traktoren sicherstellt. Voraussetzungbleibt allerdings, dass die Industrie auch klug genug ist,die entsprechenden Technologien dem Markt rechtzeitigzur Verfügung zu stellen.
Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs erschwert es denLandwirten, flexibel zu reagieren und die saisonal be-dingten Schwankungen der Arbeitsbelastung wirtschaft-lich aufzufangen.Zusätzliche Belastungen bedeuten die Kürzungen derMittel im Agrarsozialbereich. Es geht in der jetzigenmittelfristigen Finanzplanung um ein Minus von 705Mil-lionen DM gegenüber der ursprünglichen mittelfristigenFinanzplanung von Jochen Borchert.Schließlich ein Wort zur Diskussion um eine Novellie-rung des Bundesnaturschutzgesetzes: abenteuerlicheVorstellungen, ein Anschlag auf das Eigentum.
Es wird nämlich beabsichtigt, 5 Prozent der Flächen ineine ökologische Zwangsstilllegung zum Ausgleich vonBauflächen in den Gemeinden zu geben. Das ist blankeEnteignung landwirtschaftlicher Grundstücke.
Wir fordern, dass Rot-Grün die einseitige Belastungder deutschen Landwirtschaft beendet und damit dieWettbewerbsbedingungen im europäischen Vergleich ver-bessert. Wir fordern, dass die Mehrbelastung durch dieÖkosteuer den Bauern voll zurückgegeben wird.
Wir fordern eine Rücknahme der Kürzungen imAgrarsozialbereich, die zum Beispiel bei der Unfallversi-cherung zu einer Verdoppelung der Beitragslast bei mitt-leren und kleineren Betrieben geführt haben. Wir fordernbei der Gemeinschaftsaufgabe eine Aufstockung derMittel.
Ein Wort zu Bayern: Der Minister hat richtig bemerkt,dass die Tatsache, dass Bayern 31 Prozent bekommt, auchmit der Struktur zusammenhängt. Es hängt aber auchdamit zusammen, dass Bayern kofinanziert und die Land-wirtschaft in der bayerischen Politik, in der Politik derCSU, den richtigen Stellenwert hat.
Wenn über die Neuverteilung der Aufgaben und damitüber die Beendigung der Gemeinschaftsfinanzierung imgesamten Verhältnis zwischen Bund und Ländern disku-tiert wird, müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand, vomHochschulbau bis hin zur Agrarstruktur, aber eben vordem Hintergrund einer Neuverteilung der Finanzströmezwischen dem Bund und den Ländern. So ist die Diskus-sion zu verstehen.
Wir fordern, dass bei der anstehenden Osterweiterungdie dafür notwendige Finanzierung nicht zusätzlich denAgrarhaushalt belasten wird. Wir werden die entspre-chenden Anträge bei den bevorstehenden Beratungen imAusschuss stellen. Sie von Rot-Grün haben die Gelegen-heit, unseren Anträgen zuzustimmen, um damit die Be-dingungen für die Landwirtschaft in Deutschland zu ver-bessern.
Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Josef Hollerith11392
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Steffi Lemke von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsi-dent! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionensetzen mit dem Haushalt 2001 den Mix aus Sparen undZukunftsinvestitionen fort.
Der Agrarhaushalt 2000 hat ebenso wie seine Vorgän-ger das größte Volumen im Agrarsozialbereich. Die Aus-gaben des Bundes für die Agrarsozialpolitik steigen imHaushaltsjahr 2000 an und werden auch in den darauffol-genden Jahren weiter steigen.Im Jahre 2004 wird der Bund für Alterssicherung undKrankenversicherung fast 1 Milliarde DM mehr ausgebenals heute. Auch wenn das natürlich keine höhere Leistungfür den Einzelnen bedeutet und für die Betroffenen imvergangenen Jahr im Zuge der Haushaltssanierung bittereKürzungen erfolgt sind, bleibt die Sozialpolitik eine derHauptaufgaben im Agrarhaushalt.
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPDwerden darüber hinaus die Organisationsreform der land-wirtschaftlichen Sozialversicherung vorantreiben, damiteine moderne Struktur entsteht, die das Sozialversiche-rungssystem langfristig tragen kann.
Danach werden noch weitere Veränderungen in der Aus-gestaltung, insbesondere bei der Unfallversicherung, zudiskutieren sein. Dabei müssen aber in der zukünftigenDiskussion stärker die Qualität der Leistungen für die Ver-sicherten und auch die Unfallprävention im Vordergrundstehen.Die zweite Säule im Agrarhaushalt, die Gemein-schaftsaufgabe, ist von den Koalitionsfraktionen und derBundesregierung auf hohem Niveau fortgesetzt worden.Die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung hatte die Mittel fürdiese Gemeinschaftsaufgabe in den vergangenen Jahrenheruntergekürzt. Wir werden sie mit mindestens 1,7 Mil-liarden DM in den nächsten Jahren im Haushalt fort-führen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich auch dafüreingesetzt – das wurde auch erreicht –, dass die Gemein-schaftsaufgabe eine neue zukunftsträchtige Ausrichtungerfährt.
Wir haben durchgesetzt, dass eine integrierte Förde-rung der ländlichen Räume in der Zukunft möglich ist unddass die Förderung der Regionalvermarktung neu in dieGemeinschaftsaufgabe aufgenommen werden konnte.
Wir haben auch für eine bessere ökologische Ausrichtunggesorgt.In einem Punkt haben wir uns in den Verhandlungenmit den Ländern nicht durchsetzen können: die weitereAusrichtung auf den Erhalt der genetischen Ressour-cen. Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht bishernoch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Hier wer-den weitere Gespräche nötig sein, um auch dafür imAgrarhaushalt entsprechende Mittel zur Verfügung stellenzu können.
Im Haushalt 2001 setzen wir mit dem Bündnis fürAr-beit im ländlichen Raum neue Schwerpunkte. Wir habenerreichen können, dass auch hier eine Entwicklung fürArbeitsplätze, für Weiterbildung, für Qualifikation undRegionalentwicklung, beispielsweise Holzvermarktungoder Gebäudeumnutzung, erfolgen kann. Ich denke, dasses hier viele gute Beispiele gibt, die dazu beitragen, dassneue Arbeitsplätze im ländlichen Raum entstehen können.Ich plädiere dafür, dass wir auch während der Haushalts-beratungen darüber nachdenken, ob diese Richtung nichtnoch weiter verstärkt werden sollte.
Am erfolgreichsten waren Bündnis 90/Die Grünen undSPD aus meiner Sicht bei der Förderung der erneuerba-ren Energien. Hier ist ein ganzes Bündel von Maßnah-men beschlossen worden, das insbesondere der Landwirt-schaft zugute kommen wird. Den erneuerbaren Energiengehört die Zukunft. Dafür haben wir den Weg mit demGesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien, mit derFörderung der erneuerbaren Energien durch Mittel ausdem Wirtschaftshaushalt und mit der Förderung von bio-genen Treib- und Schmierstoffen durch Mittel aus demAgrarhaushalt freigemacht. Die ersten Traktoren werdenbald mit diesen Mitteln fahren. Ich möchte auch noch das100 000-Dächer-Programm erwähnen.
Landwirte können in Zukunft als Energieproduzentenfür sich selber neue Einkommensquellen in großem Maß-stab erschließen. Viele Betriebe tun das inzwischen auchschon ohne großes Aufheben. Biogasanlagen boomen. Eswird weiter kräftig in die Windkraft investiert. VieleLandwirte haben diese zukunftsfähige Ausrichtung fürsich als Chance erkannt und werden sie intensiv nutzen.Wir haben die nachwachsenden Rohstoffe um den Be-reich der Rest- und Abfallstoffe erweitert. Ich halte dasfür sehr wichtig, weil ich nicht glaube, dass nachwach-sende Rohstoffe wie Holz und Pflanzen, die nur zuNutzzwecken angebaut werden, ausreichend genutzt wer-den können. Ich denke, dass wir den Bereich „Abfallstoffeund Reststoffe“ noch viel stärker ausbauen können, umunsere Stoffströme effektiver zu nutzen.
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Wir sollten infolge der Biomassenverordnung daraufdrängen, dass ungiftige Holzmittelanstriche entwickeltwerden können und dass Holz beispielsweise nach seinerVerwendung im Baubereich unkompliziert einer energeti-schen Verwertung zugeführt werden kann.
Wir haben in den letzten Wochen über Trockenschä-den, die insbesondere in den neuen Bundesländern durchdie schlechte Witterung hervorgerufen wurden, diskutiert.Ich denke, dass sich diese Schäden genauso wenig wie dieSchäden, die ein Orkan in der Weihnachtszeit in Baden-Württemberg angerichtet hat, für eine polemische Dis-kussion eignen, nach dem Motto: Wer hilft wem besser?Wer sagt als Erster irgendwelche Finanzmittel zu? Ich plä-diere dafür, das so umzusetzen, wie es die Bundesregie-rung begonnen hat, Gespräche mit den Ländern zu führenund eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die genau ermittelnsoll, welche Schäden in welchen Regionen aufgetretensind, weil es hier regional große Unterschiede gibt. Wirsollten dann gemeinsam mit den Ländern beraten, wieEinzelbetriebe auch vom Bund unterstützt werden kön-nen.Für viele in der CDU/CSU und für viele Bürgerinnenund Bürger war die Ökosteuer das beherrschende Me-dienthema in der vergangenen Woche. Ich glaube, dassdie Art und Weise, wie im Moment in der Landwirtschaftüber dieses Thema diskutiert wird, nicht besonders ehr-lich ist. Wir haben beschlossen, den Agrardiesel auch wei-terhin zu verbilligen. Die Landwirtschaft wird also wei-terhin vom Staat unterstützt. Auch im Haushalt 2000 sindMittel eingestellt, um die durch die hohen Kraftstoffpreisevon 1999 belasteten Landwirte zu entlasten. Wir werdenfür weitere Entlastungen sorgen, indem wir einen festenSteuersatz von 57 Pfennig einführen. Die Ökosteuer-erhöhung am 1. Januar nächsten Jahres wird also in derLandwirtschaft überhaupt nicht zum Tragen kommen.
Ich finde deshalb, dass der Bauernverband und auch dieBauern selber gut beraten sind, wenn sie mit kühlem Kopfdarüber nachdenken, ob sie eventuell der Versuchung er-liegen sollen, sich von der CDU/CSU für eine politischeKampagne instrumentalisieren zu lassen.
Wir haben darüber hinaus den in der Landwirtschafteingesetzten Biodiesel von der Ökosteuer befreit.
Herr Hollerith, ich habe mich gewundert, dass Sie dieErgebnisse der Studie, die Sie in Weihenstephan in Auf-trag gegeben haben, heute nicht vorgetragen haben. Ichmöchte deshalb aus der Zeitungsberichterstattung überdie von Kollegen Hollerith in Auftrag gegebene Studie,die ich begrüße, zitieren, dass der Einsatz von Biodieselschon im nächsten Jahr zu Kostenvorteilen führen würde,wenn die Ökosteuerreform planmäßig umgesetzt, dieGasölbeihilfe abgeschafft und kein steuerlich verbilligterAgrardiesel eingeführt würde.
Herr Hollerith, mit dem festen Steuersatz bei Agrar-diesel, den die Bundesregierung einführen wird, werdenBiodiesel und Rapsöl kostenmäßig immerhin gleichaufliegen. Wollen Sie das nun oder wollen Sie das nicht? Ichglaube, Sie müssen sich da entscheiden.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith?
Bitte
schön, Herr Hollerith.
Frau Kollegin, Sie ha-
ben einen Pressebericht zitiert. Haben Sie auch den Voll-
text dieser Studie, der im Internet eingestellt ist, gelesen?
Dort hätten Sie lesen können, dass sich unter den beste-
henden Bedingungen nur bei Großbetrieben – über
500 Hektar – der Einsatz von naturbelassenem Rapsöl als
Treibstoff für Motoren von Traktoren rechnen wird.
HerrHollerith, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil Siemir damit Gelegenheit geben, auf den Gesamtkomplexder Wettbewerbsverzerrung einzugehen. Da die „Bau-ern Zeitung“, deren Agrarberichterstattung ich bisher im-mer als seriös empfunden habe, leider nicht auf Ihre In-ternetseite hingewiesen hat, habe ich es versäumt, dieStudie im Volltext zu lesen.
– Das werde ich natürlich tun, Herr Heinrich, weil es michinteressiert, was der Kollege Hollerith noch alles heraus-gefunden hat.
Herr Hollerith, wenn es beispielsweise zwischengroßen und kleinen Betrieben Wettbewerbsverzerrungengibt, dann bin ich dafür, dass wir Mittel und Wege finden,diese zu beseitigen. Ich will nicht, dass die Vorteile durchBiodiesel, die die Landwirtschaft hat, nur einer bestimm-ten Betriebsart zugute kommt. Das ist nicht unser Ziel.Wir wollen, dass das auch in Bayern eingesetzt werdenkann.
Die von der CDU/CSU immer wieder beklagten Wett-bewerbsverzerrungen auf EU-Ebene sind, so denke ich,tatsächlich ein Problem. Darauf haben wir schon seit Jah-ren hingewiesen und haben uns dafür eingesetzt, dass siebeseitigt werden. Auf unser Betreiben hat das Ministe-
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Steffi Lemke11394
rium wenigstens einen Erlass herausgegeben, um an derdeutsch-niederländischen Grenze das Problem der „Heiz-öltanktouristen“ in den Griff zu bekommen.
Ich denke, dass das eine Maßnahme ist, die der Landwirt-schaft helfen wird.Ich plädiere dafür, dass wir auf EU-Ebene einen neuenVorstoß unternehmen, um diese Wettbewerbsverzerrun-gen zu beseitigen.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bun-desregierung ausdrücklich dazu auf. Wenn die Diskussionauf europäischer Ebene in den letzten Wochen und Mo-naten nicht den Durchbruch zu einer solchenHarmonisierung bringt, dann haben wir, denke ich, eineChance verspielt.
Ich fordere die CDU/CSU noch einmal auf, bei derDiskussion um Wettbewerbsverzerrungen ein bisschenehrlicher zu sein. Das haben wir schon zwei- oder dreimalangemerkt; offensichtlich haben Sie das nicht verstehenwollen. Es gibt Wettbewerbsverzerrungen zum Beispielauch im Bereich der Sozialversicherungen oder Nachbau.Das ist eine Diskussion, mit der Sie sich in den nächstenTagen, glaube ich, intensiver beschäftigen werden.Zum Schluss möchte ich auf folgenden Punkt hinwei-sen. Auch ich habe – wie der Minister – eine Pressemit-teilung mitgebracht. Wir stehen ja unter Beschuss, weildie Steuerreform die Landwirtschaft belastet. DiesesThema sollte man etwas differenzierter betrachten. HerrHeinrich, ich habe diesen Pressebericht damals gelesenund wollte Sie – Sie haben ja vorhin mit dem Fraktions-vorsitzenden zusammengesessen – darauf aufmerksammachen, dass die F.D.P. nach ihren eigenen Aussagen imVermittlungsausschuss der Steuerreform mit ihrer offen-sichtlichen Schieflage – gemeint waren die Länder Hes-sen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wo dieF.D.P. mitregiert – nicht zustimmen wollte.
Frau Kollegin,
Ihre Redezeit.
Das
war zwei Tage, bevor die F.D.P. umgefallen ist wie die
Hühner von der Stange. Wir lachen über diese Kehrt-
wende innerhalb von 48 Stunden. Schauen Sie sich die
Steuerreform einmal etwas dezidierter an. Dann werden
Sie erkennen, dass sie für die Landwirtschaft auch viele
Vorteile bringt.
Danke.
Das Wort hat
jetzt der Kollege Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor wenigenTagen eine Halbzeitbilanz des Ministers gehört. Heute hatder Minister eine Rede gehalten, mit der er seinen Haus-halt begründet und eingebracht hat. Beide Beiträge warenglanzlos.
Ich muss Ihnen ausdrücklich ein Lob dafür erteilen,dass Sie die ganz wenigen Pluspunkte dieses Haushaltsherausgearbeitet haben; denn im Durchschnitt bestehtdieser Haushalt fast ausschließlich aus Streichungen undBelastungen gegenüber der Landwirtschaft, die Sie zuvertreten haben. Wenn Sie hier sagen, die Stimmungdraußen im Land sei gut, dann muss ich dem entgegnen:Gehen Sie einmal raus, reden Sie mit den Bauern undglauben Sie nicht so viel den Umfragen, die Sie zitiert ha-ben.
Herr Minister Funke, Sie sagten, die Aussetzung derÖkosteuer bringe nichts. Die Abschaffung der Ökosteuerist das Einzige, was etwas bringt.
Das von Ihnen genannte Beispiel trifft natürlich nur fürden Bereich des Agrardiesels zu.
Im gärtnerischen Bereich haben wir es mit ganz anderenZahlen zu tun. Wenn Sie ausschließlich die Energiekos-ten eines holländischen und eines deutschen Betriebs imUnterglasgartenbau vergleichen, dann werden Sie fest-stellen, dass es für den deutschen Betrieb gegenüberdem holländischen einen Wettbewerbsnachteil von170 000 DM gibt.
Dennoch sagen Sie, die Abschaffung der Ökosteuerbringe nichts. Sie kennen Ihre eigenen Gesetze nicht;sonst wüssten Sie genau, dass die Energiekosten solch ne-gative Auswirkungen im Gartenbaubereich haben.
Das ist unverantwortlich.
Gute Betriebe werden in Schwierigkeiten gebracht undviele Betriebe haben schon aufgegeben, weil sie diese
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Steffi Lemke11395
Wettbewerbsbelastungen nicht mehr durchhalten können.Jeder, der rechnen kann, muss das einsehen.
Wir reden in den Haushaltsberatungen fast nur über dieÖkosteuer – das gilt auch für mich –, weil dieses Themavon großer Bedeutung ist. Derzeit beschäftigt es auch dieLandwirtschaft.
Wir bekommen angeblich über den Agrardiesel 700 Mil-lionen DM, während die Landwirtschaft gleichzeitigdurch die Ökosteuer mit über 900 Millionen DM belastetwird.
Gleichzeitig verschweigt man, dass man im Agrardiesel-bereich die Steuern erhöht hat. Kollege Hollerith hat vor-hin darauf hingewiesen: 21 Pfennig Steuern 1998,27 Pfennig 1999, 44 Pfennig 2000 und 57 Pfennig 2001,die der Landwirt zu zahlen hat. Sie können Ihre Luftbu-chungen machen, solange Sie wollen, Sie können IhreRechnungen gestalten, wie Sie wollen: Es ist eine zusätz-liche Belastung für die Landwirtschaft und eine Wettbe-werbsverzerrung, die diese Betriebe nicht mehr aushalten.
Ich komme aus Baden-Württemberg und bin, direkt amRhein, Anrainer des Elsass. Wie sehen die Zahlen bei denKollegen in Frankreich aus? Im Elsass zahlt man nicht57 Pfennig, sondern 11 Pfennig Steuern für den Diesel inder Landwirtschaft. Jeder, der weiß, dass über 100 LiterDiesel pro Hektar eingesetzt werden müssen, kann er-messen, was das für eine zusätzliche Belastung ist.
Hier zu sagen: „Die Stimmung ist gut und das, was wir ge-macht haben, ist noch besser“, das ist blanker Zynismus
gegenüber den Betroffenen aus Gartenbau, Land- undForstwirtschaft und all denjenigen, die unter der Belas-tung einer Steuererhöhung von 21 Pfennig auf 57 Pfen-nig – das ist mehr als das Doppelte und mehr, als durchdie Ökosteuer draufgeschlagen wird – leiden.
Die Verteuerung geht in einer Zangenwirkung vor sich:mehr als doppelt so viel Steuern für den Diesel, mehrSteuern für das Heizöl und mehr Steuern für den Treib-stoff, der nicht durch die Maschinen geht, sondern zumHeizen der Anlagen der Gärtnereien dient.Es ist wirklich toll: Eine Steuerreform wird verab-schiedet, deren erste Entlastung 2006 eintritt. Bis dahinbringt sie ausschließlich eine Belastung. Toll ist auch, wieman hier eine entsprechende Bilanz gesundbeten will undan den Bedürfnissen einer auf Eigentum begründetenLand- und Forstwirtschaft vorbeigeht.Was Sie mit der Änderung des Bundesnaturschutzge-setzes in Aussicht genommen haben, ist schleichende Ent-eignung.
Was Sie im Vermögensrechtsänderungsgesetz mit denAlteigentümern gemacht haben, ist ebenfalls schlei-chende Enteignung.
Einen berechtigten Anspruch haben Sie gestrichen bzw.nicht fortgelten lassen und eine Gleichstellung mit denLPG-Nachfolgebetrieben und den Neueinrichtern vorge-nommen.Meine Damen und Herren, das zeigt sehr deutlich, dassdiese Bundesregierung – ich wiederhole: Ich bin ausge-sprochen offen gegenüber den Verbesserungen, die Siebringen, und erkenne sie auch an – bei 90 Prozent ihrerHandlungen die Landwirtschaft belastet und nicht entlas-tet, zusätzlich den Strukturwandel beschleunigt undaußerdem noch Arbeitsplätze gefährdet hat. Wer so eineBilanz vorlegt, der darf sich nicht wundern, dass die Op-position hier so klare Worte findet.
Nicht nur die Opposition redet so. Gehen Sie einmal hi-naus und fragen Sie die Betroffenen. Wir dürfen hier re-den, aber fragen Sie einmal diejenigen, die sich hier nichthinstellen dürfen, aber davon betroffen sind und deren Be-triebe durch das Handeln dieser Bundesregierung in rich-tige Existenznot gebracht werden.
Ich kann hier nicht viel Gutes erkennen. Der Haushaltist so schlecht wie die Bilanz: kein Spielraum für politi-sche Akzente, über 70 Prozent werden aufgrund des ver-stärkten Strukturwandels, den nicht die Landwirtschaft zuverantworten hat, sondern zusätzlich noch ertragen muss,in den Bereich Soziales fließen müssen. Im Agrarhaushaltwird über diese 70 Prozent hinaus noch zusätzliches Geldbenötigt, sodass mehr als 8,4 Milliarden DM auf Sozialesentfallen und dann nur noch weniger als 3Milliarden DM,also der Rest von den 11 Milliarden DM, für andere Maß-nahmen zur Verfügung stehen.
Ich möchte mit den Worten schließen: Ich hoffe, dassman endlich begreift, dass man insbesondere auf demEnergiesektor mit der Land- und Forstwirtschaft, aber vor
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Ulrich Heinrich11396
allen Dingen mit dem Gartenbau so nicht weiter verfah-ren kann.Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Eines der Kernprobleme des vorlie-genden Agrarhaushaltsentwurfs ist für mich: Wird mitdiesem Haushalt die Entwicklung von Wirtschaft und Be-schäftigung im ländlichen Raum tatsächlich angeregt?Angesichts der gravierenden Probleme, wie zum BeispielArbeitslosigkeit, Strukturschwäche, geringe Wirtschafts-dynamik und damit verbundene Entleerung von Dörfern,muss es doch vorrangig um die Chancen der Landbewoh-ner in der Gegenwart und in der Zukunft gehen.Fakt ist, dass das von der PDS wiederholt kritisierteKonzept der herrschenden Politik, die Landwirtschaftdurch beschleunigte Liberalisierung international konkur-renzfähig zu machen, den Zwang zur Rationalisierungund Modernisierung der Agrarbetriebe weiter verstärkt.
Jede Mark an Investitionen und damit auch jedeMark, die aus der Gemeinschaftsaufgabe für die einzel-betriebliche Investitionsförderung verausgabt wird, kos-tet Arbeitsplätze. Das Brandenburger Ministerium hatzum Beispiel im Juni für das Land eine Konzeption zurEntwicklung der tierischen Erzeugung im Zeitraum 2000bis 2006 vorgestellt. Danach wird bis zum Jahre 2006 mitInvestitionen in Höhe von 1,2 Milliarden DM und einemweiteren Abbau der Vollarbeitsplätze um 27 Prozent ge-rechnet. Somit kostet die zur Sicherung der Konkurrenz-fähigkeit erforderliche Vernichtung von Arbeitsplätzen417 000 DM je wegrationalisierten Arbeitsplatz.Weil das so ist, muss die Lösung der Probleme vor-wiegend außerhalb der Landwirtschaft durch die Ent-wicklung von Handwerk, Gewerbe, Dienstleistungen undTourismus erfolgen. Jede Mark Investition in die Land-wirtschaft sollte in angemessenem Maße Investitionenund die Unterstützung von agrarpolitischen Maßnahmenim ländlichen Raum nach sich ziehen.
Fakt ist aber, dass diese weder konkret greifbar sindnoch über Modellvorhaben, Dorferneuerung etc., in derGemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ auch nur annä-hernd abgedeckt werden können. Nach meiner Über-zeugung muss die Verzahnung der beiden großen Ge-meinschaftsaufgaben „Agrarstruktur“ und „RegionaleWirtschaftsförderung“ auf die Tagesordnung.Das im ländlichen Raum angesiedelte bzw. anzusie-delnde unternehmerische Potenzial muss ressortübergrei-fend gefördert werden. Auch dazu muss der Bund seinenBeitrag leisten.Bei den ostdeutschen Bedingungen, unter denen sichkaum Investoren auf das flache Land und erst recht keinein entlegene und strukturschwache ländliche Regionenverirren, gilt es, zuallererst an vorhandene lokale Poten-ziale anzuknüpfen. Gerade Agrarunternehmen in Formjuristischer Personen bieten mit ihrem Management undPotenzial an Boden, Gebäuden, Maschinen und Arbeits-kräften günstige Voraussetzungen zur Entwicklung außer-landwirtschaftlicher Einkommens- und Beschäftigungs-potenziale.Dazu gehören die derzeitige Förderkulisse, aber auchdie rechtlichen Rahmenbedingungen, vom Baurecht biszum Steuerrecht, auf den Prüfstand. In den neuen Ländernwurde zwar viel für die Dorferneuerung getan. Trotzdemist der Nachholebedarf noch immer groß. Nicht unwich-tig war und ist der damit verbundene Beschäftigungsef-fekt. Denn Dorferneuerung bedeutet Aufträge für das re-gionale und lokale Handwerk und Baugewerbe. Deshalbmöchte ich mit Blick auf den Haushalt 2002 anregen, diedann freien 375 Millionen DM Gasölbeihilfe in die Ge-meinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ einzuspeisen.
Zum Problem der Dieselpreise war bereits viel zuhören. Ich möchte dennoch als PDS-Position anmerken:Wer A sagt, muss auch B sagen. Die Funktionsfähigkeitdes gemeinsamen EU-Binnenmarktes schließt nun einmaldie – übrigens von der Bundesregierung selbst beschwo-rene – Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen ein.Insoweit besteht für Agrardiesel im Interesse der deut-schen Bauern Handlungsbedarf im laufenden Gesetz-gebungsverfahren. Versprechungen sind von meinen Vor-rednern der Regierungskoalition ja soeben hier gemachtworden.
Herr Minister Funke, die Landwirte aus den von derdiesjährigen Dürre besonders stark betroffenen Regionenerwarten, dass die Bundesregierung nicht länger nur ihrMitgefühl bekundet und das Finden von Modalitätenankündigt, wie Staatssekretär Thalheim am Mittwoch vorden ostdeutschen Agrarministern verlauten ließ, sondernendlich definitiv sagt, ob und wie sie helfen wird. Immer-hin liegen jetzt, nachdem die Getreideernte gelaufen ist,hinreichend genaue Daten über die materiellen und finan-ziellen Einbußen der am schlimmsten betroffenen Agrar-betriebe vor. Ihre Anzahl ist nicht überwältigend groß. In-sofern ist die Situation nur bedingt mit der von 1992vergleichbar. Aber in Südbrandenburg sowie in einigenGebieten Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpom-merns ist die Situation teilweise katastrophaler als da-mals. Hieraus folgt, dass zumindest diese drei Länder al-lein überfordert sind.Deshalb erwartet die PDS-Fraktion, dass der Bund miteinsteigt, dass ein Bund-Länder-Nothilfefonds installiertoder eine vergleichbare Lösung initiiert wird.
Zugleich hoffen wir, dass die begonnene Diskussion umden schrittweisen Aufbau einer Mehrschadenversiche-
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Ulrich Heinrich11397
rung, ähnlich wie in Spanien und den USA, nicht imSande verläuft.Sie können sich darauf verlassen, dass die PDS-Frak-tion im Laufe der Haushaltsberatungen die Diskussionweiterer Fragen, von der Erhöhung der Mittel für nach-wachsende Rohstoffe bis hin zur Einführung einerBetriebsabgaberente, unterstützen bzw. selbst initiierenwird.Danke.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Funke, in der Beurtei-
lung Ihrer bisherigen Amtszeit kommen die Menschen zu
einem verheerenden Ergebnis.
50 Prozent der Bundesbürger, so der „Stern“, sind der
Meinung, dass Sie abgelöst werden sollten.
Der „Stern“ schreibt weiter – ich zitiere, Frau Präsiden-
tin –:
Er kann die Notwendigkeit des Landwirtschafts-
ministeriums nicht beweisen.
Vernichtender kann man eine Amtsführung nicht beurtei-
len.
Eigentlich könnte das einen als Oppositionspolitiker ja
erfreuen. Aber wenn man, wie ich, mit ansehen muss, wie
diese Politik in den bäuerlichen Familien wirkt, dann ist
man schon erschüttert und besorgt über das bevorstehende
Schicksal vieler bäuerlicher Existenzen.
Die rote Liste Ihrer Grausamkeiten, Herr Minister, ist
mittlerweile lang.
Herr Kollege
Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte noch einen
Satz sagen, Frau Präsidentin. Wenn Sie es nicht bald
schaffen, diese Politik zu ändern, dann stehen die Bauern
noch vor Ihnen auf der roten Liste der bedrohten Berufe.
Jetzt können Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Bleser, wür-
den Sie mir in der Annahme Recht geben, dass die Leute,
die dies im „Stern“ geschrieben haben, die Landwirtschaft
letztendlich nicht haben wollen? Das sind nämlich Leute,
die über jede Mark Subvention motzen und die dauernd
Subventionen erfinden, die es im Prinzip gar nicht gibt.
Dies gegen den Landwirtschaftsminister ins Feld zu
führen halte ich nicht für gut. Würden Sie mir also in der
Einschätzung Recht geben, dass diejenigen, die das
schreiben, an der Landwirtschaft null Komma null Inte-
resse haben?
Herr Kollege Weisheit, ichgebe Ihnen nicht Recht, und zwar deswegen nicht, weildieser Minister es nicht schafft, die Bedeutung der Land-wirtschaft in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Könnte erdies, wären die Umfrageergebnisse diesbezüglich anders.Verehrter Herr Minister, –
– die Menschen sind enttäuscht, weil Sie es nicht ge-schafft haben – wie in den übrigen Bereichen der Sozial-versicherung –, für die landwirtschaftliche Sozialversi-cherung entsprechende Zuschüsse zu requirieren. Siehaben zu verantworten, dass insbesondere in den unterenEinkommensgruppen die Beiträge um bis zu 110 Prozentgestiegen sind. Sie haben es zu verantworten, dass die Zu-schüsse für die agrarsozialen Systeme um 719 Millio-nen DM gekürzt worden sind.Auf der anderen Seite wird von dieser Bundesregie-rung – das will ich ja gar nicht kritisieren – der Zuschussin die Rentenkasse von 100Milliarden DM im Jahre 1998auf 137 Milliarden DM im Jahre 2001 erhöht. Auch andiesen Zahlen erkennen wir den Stellenwert, den dieLandwirtschaft in dieser Bundesregierung hat, und auch,welchen Stellenwert Ihr Ministerium in der Bundesregie-rung hat.Die CDU/CSU fordert, zumindest die nicht mehr trag-bare Belastung durch die landwirtschaftlichen Berufs-genossenschaften abzumildern. Der überdurchschnittlichhohe Anteil älterer Menschen in den landwirtschaftlichenBerufsgenossenschaften führt zu enormen Beitragsbelas-tungen. Wir fordern deshalb, dass Sie die Kosten für dieseso genannten Altenlasten in Höhe von 850 Millionen DMübernehmen. Dann könnte es zu einem Neuanfang mit er-träglichen Beiträgen kommen.Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 wurden dieLandwirte mit insgesamt 1,5 Milliarden DM belastet. Da-von sind allein 400Millionen DM durch eine willkürlicheAbsenkung der Vorsteuerpauschale verursacht. Das warschon damals ungerecht. Aber mittlerweile sind die Kos-ten, die die Bauern zu tragen haben, noch weiter gestie-gen. Deshalb fordern wir eine Anhebung der Vorsteuer-pauschale um 1 Prozent.
Wenn Sie jetzt sagen, die Bauern sollen die Vorsteuer ein-zeln verrechnen – also optieren –, dann ist das mehr alszynisch. Sie wollen den Bauern weiteren Bürokratismusaufbürden,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Kersten Naumann11398
und dies in Anbetracht der ohnehin schon hohen Belas-tungen, die durch die Rindfleischetikettierung auf die Be-triebe zukommen.
Herr Minister, den Gipfel für die Belastung der deut-schen Landwirtschaft – es ist schon mehrfach angespro-chen worden, dass die Belastung größer ist als für dieübrige Bevölkerung – stellt die Ökosteuer dar. Sie führtzu Mehraufwendungen von über 1 Milliarde DM. Auf un-seren Druck hin haben Sie es immerhin geschafft, dieLandwirtschaft zum produzierenden Gewerbe zu rech-nen, allerdings verkannt, dass durch den Sockelbetrag von1 000 DM pro Betrieb die Entlastung bei nur etwa 10 000von einer halben Million Betrieben ankommt. Schon ausGleichheitsgründen wäre eine vollständige Befreiung vonder Ökosteuer gerechtfertigt.Was aber macht diese Bundesregierung? Sie macht ge-nau das Gegenteil. Mit der Senkung der Gasölverbilli-gung auf 30 Pfennige pro Liter und maximal 3 000 DMpro Jahr sinkt das Einkommen der bäuerlichen Familiennochmals. Sie steigern die Steuerbelastung für Diesel inder Landwirtschaft von 21 Pfennigen 1998 auf 57 Pfen-nige am Ende der Ökosteuererhöhung. Dann behauptenSie noch, das sei eine Entlastung. Bei Gelegenheit solltenSie mir diese Logik einmal erklären.Zu den steuerbedingten Preissteigerungen bei Treib-stoff und Heizöl kommt die Preistreiberei der Erdölför-derländer. Dagegen sind wir relativ machtlos; das will ichgerne eingestehen. Aber die Tatsache, dass die jetzige Re-gierung den Euro ganz bewusst absaufen lässt, –
– dessen Wert schon um fast 30 Prozent geringer ist als zuZeiten seiner Einführung, führt zu weiteren hausgemach-ten Erhöhungen der Energiekosten. Die Betriebe könnendie Dimensionen dieser Einkommenseinbrüche nichtmehr verkraften.Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen:Nehmen wir einen Betrieb von 150 Hektar Fläche, der proJahr etwa 20 000 Liter Diesel verbraucht. Bei Mehrkostenvon 70 Pfennig im Vergleich zu den Dieselpreisen Ende1998, Anfang 1999 führt dies zu höheren Ausgaben von14 000 DM. Sie haben zudem die Gasölverbilligung auf3 000 DM reduziert. Früher, unter unserer Regierung,hätte der Betreffende 8 000 DM erhalten. Also fehlen ihmweitere 5 000 DM. Es entstehen also bereits jetzt höhereKosten von 19 000 DM. Verbraucht dieser Betrieb dannnoch 8000 Liter Heizöl – Gartenbaubetriebe verbrauchenwesentlich mehr –, dann hat er weitere Kosten von 5000 DM.Das heißt unterm Strich, dieser landwirtschaftliche Be-trieb hat pro Jahr höhere Kosten von 24 000 DM, demkeine Mehreinnahmen gegenüberstehen.
Wir fordern deshalb von Ihnen – darin sind wir uns mitdem Bauernverband einig – eine Absenkung der Diesel-besteuerung auf Heizölniveau – das sind dann 11 bzw.12 Pfennig –, wie das bei unseren europäischen Kollegenschon seit Jahren der Fall ist.Herr Minister, es tut mir Leid, dass ich in der Kürze derZeit nicht auf alle Ihre Fehltaten hinweisen kann. Es istschon schlimm genug, dass man hier überhaupt nicht überdie Perspektiven der Agrarpolitik sprechen kann.Ich komme deshalb zum Schluss zum Anfang meinerRede zurück: Die rot-grüne Koalition ist zu einem unkal-kulierbaren Risiko für die deutsche Landwirtschaft ge-worden. Die deutschen Bauern hätten wahrlich eine bes-sere Regierung verdient.
Zu einer Kurz-
intervention erhält jetzt die Kollegin Höfken das Wort.
Ichmöchte noch etwas richtig stellen. Als der Minister vorhinsagte, die Stimmung sei gut, meinte er natürlich nicht dieaktuellen Auseinandersetzungen über die Energiepreise,sondern ganz andere Entwicklungen.Erstens. Die Erzeugerpreise sind zum Teil sehr gut.
Es gibt in einigen Bereichen Überkompensationen. DerWeltmarktpreis für Zucker beispielsweise hat sich ver-doppelt. Entsprechend gibt es auf diesem Gebiet – auchwenn das Gejammer über die Agenda 2000 groß ist –durchaus eine Verbesserung.Zweitens. Die Landwirtschaft profitiert bei etwa60 Prozent ihres Einkommens von Transferleistungen.Die Energiekosten machen gerade einmal etwa 3 Prozentaus. Ich denke, das ist durchaus in Relation zu stellen zudem, was hier in diesem Zusammenhang immer erwähntwird.Drittens. Der Strom ist erheblich billiger geworden.
Es wurden Erzeugergemeinschaften gebildet. Ich bitte,das gegenzurechnen. Darüber hinaus zählt der Gartenbauzum produzierenden Gewerbe und hat, wie Herr Bleserrichtig gesagt hat, bis zu einer Schwelle von 1 000 DMÖkosteuer auf seinen Energieverbrauch zu zahlen. Überdiesen Betrag hinaus muss er keine Ökosteuer zahlen.Auch wenn wir etwas tun wollen, um die Energiekos-ten zu senken – das ist mein letzter Punkt –, ist festzustel-len: Es gibt in der Landwirtschaft und im Gartenbau vielmehr als in anderen Wirtschaftsbereichen die Möglich-keit, Biodiesel, Biogas, Biomasse, Pflanzenöle und sons-tige erneuerbare Energien wie zum Beispiel Sonne über
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Peter Bleser11399
Solaranlagen, zu nutzen. Nicht nur eine Energiekosten-senkung, sondern auch eine Einkommenserzielung isthier in hohem Maße möglich. Das wollen wir verstärktfördern. Ich denke, da bestehen Chancen.In der „Süddeutschen Zeitung“ war die Berechnung zulesen, dass der Erdölpreis auf 90 Pfennig steigt. Dazukann man nur sagen: Genau das ist die richtige Politik, umfür die Zukunft gewappnet zu sein und sich von derAbhängigkeit vom Erdöl und von dessen unheilvollenEmissionen zu lösen.
Frau Kollegin Höfken, ich
weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben. Fragen Sie ers-
tens einmal die Getreidebauern, die in diesem Jahr auf-
grund der veränderten Interventionskriterien geringere
Feuchtigkeitsgehalte beim Getreide einhalten mussten
bzw. mit hohen Energiekosten dafür sorgen mussten,
dass das Getreide diesen Feuchtigkeitsgehalt überhaupt
erreichte, ob sie Mehrerlöse erzielt haben oder Minder-
erlöse hinnehmen mussten. Sie werden sehr schnell fest-
stellen, dass Ihre Aussage definitiv falsch ist.
Zweitens. Ich habe nicht verstanden, wie Sie auf den
Energiekostenanteil in Höhe von 3 Prozent bei den bäu-
erlichen Betrieben gekommen sind. Ich habe Ihnen doch
gerade die Zahlen genannt. 24 000 DM Mehrkosten sind
wesentlich mehr als 3 Prozent. Auch diese Zahl ist defini-
tiv falsch.
Das Dritte ist der Hinweis darauf, dass die Strom-
preise gesunken sind. Zunächst einmal sage ich: Wir ha-
ben die Liberalisierung auf dem Strommarkt eingeführt.
Aber auch hier haben Sie die Ökosteuer draufgeschlagen
und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch diese Vor-
teile von Ihnen wegbesteuert werden.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Waltraud Wolff.
Sehr geehrteFrau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will esmir ersparen, auf die Polemik der Opposition einzuge-hen,
und nur sagen, dass ich es äußerst bedauerlich finde, dassSie bei den einführenden Worten von BundesministerFunke nicht aufgepasst haben. Da hätten Sie Klartexthören können. Ich glaube, das wäre richtig gewesen.
Ich möchte noch einige Worte zum Kollegen Bleser sa-gen. Sie haben mir einmal erzählt: Ein Bauernkind be-kommt nach der Geburt als erstes einen Stein auf die Brustgelegt, damit es ordentlich stöhnen lernt. Heute habe ichgedacht, Sie hätten Ihren Stein mit hergebracht, HerrBleser.
Ich komme jetzt zum Haushalt 2001, weil auch meineRedezeit nicht unbegrenzt ist. Für mich wird mit der Ein-bringung des Haushalts 2001 wieder ein Teil des Koaliti-onsvertrags eingelöst. Schauen Sie sich den Koalitions-vertrag an. Da steht auf Seite 1 ganz weit oben:Sanierung der Staatsfinanzen. Auch das muss an dieserStelle noch einmal deutlich gesagt werden; denn die Men-schen im Land haben das verstanden.Auch die Landwirtschaft konnte von einem Beitrag zurFinanzierung der Entlastung des Bundeshaushalts nichtausgenommen werden. Das ist schmerzlich, aber jederHaushalt musste Einsparungen erbringen. Trotzdem ist esuns gelungen, überproportionale Belastungen der Land-wirtschaft zu verhindern.
Zwar stellen Vertreter des Berufsstands das in der Öffent-lichkeit immer wieder gern ein bisschen anders dar, aberes muss dennoch eindeutig festgestellt werden, dass die700 Millionen DM, die wir zur Verbilligung des Agrar-diesels einsetzen, einen großen Teil der Belastungen inder Landwirtschaft ausgleichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben sichschon zu den Einnahmen aus der Versteigerung derUMTS-Lizenzen geäußert. Auch ich hätte ganz tolleIdeen, wie wir dieses Geld verbraten könnten, aber mit ei-ner Last von 1,5 Billionen DM Staatsschulden, die wirübernommen haben, konnten wir das natürlich nicht.
Es nützt also überhaupt nichts, hier Wünsche und Fanta-sien zu äußern; denn Realismus ist gefragt.Innerhalb des Bundeshaushalts hat der Einzelplan 10– Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – ein Volumenvon fast 11 Milliarden DM. Davon ist der Löwenanteilvon etwa 7,6 Milliarden DM für die landwirtschaftlicheSozialpolitik. Auch dazu ist schon vieles gesagt worden.Der zweite ausgesprochen wichtige Posten ist der Bun-desanteil zur Finanzierung der GAK. Wir werden das Ni-veau des Bundeszuschusses beibehalten, um auch künftigdie EU-Mittel in vollem Umfang nutzen zu können.Inhaltlich unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion aus-drücklich die Aussagen des Bundesministers; denn dieEntwicklung der ländlichen Räume ist für uns ein ganzelementares Anliegen.Nach der Verabschiedung des Agrardieselgesetzeszum 1. Januar 2001 wird die Summe von 375 Milli-onen DM für die Gasölverbilligung letztmalig eingestellt.Dann verbleiben sie komplett im Agrarhaushalt und wirkönnen damit den Bundeszuschuss zur GAK stabil halten,im Jahre 2002 sogar anheben.
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Ulrike Höfken11400
Mit der Festschreibung des ermäßigten Steuersatzesauf 57 Pfennig je Liter Diesel – dazu haben wir jetzt auchschon mehrere gehört –, der ausschließlich der Land-wirtschaft eingeräumt wird, werden die Landwirte prak-tisch von der Ökosteuer ausgenommen. Die Opposition,die sich hier hinstellt und unter Verweis auf die hohenDieselpreise weitergehende Maßnahmen fordert – das istfür mich ganz eindeutig –, muss erst einmal darlegen, wiesie das finanzieren will.
Außerdem müssen Sie sich fragen lassen, was die frühereBundesregierung denn getan hat, um die großen Unter-schiede bei den Dieselbezugskosten für die Landwirte inder EU auszugleichen.
In all den Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie, meineDamen und Herren von der Opposition, hier nämlichnichts erreicht. Sie haben die Fragen nicht einmal öffent-lich gestellt. Wir aber diskutieren über jeden einzelnenPfennig.
Wichtige politische Ziele wie die Förderung biogenerTreib- und Schmierstoffe wurden erst von unserer Regie-rung aufgegriffen. Der Etat für diese Maßnahmen wird imnächsten Jahr auf 20 Millionen DM erhöht. Für die För-derung nachwachsender Rohstoffe – eine wichtige Inves-tition in die Zukunft – sind konstant 51 Millionen DM bis2004 eingeplant. Wir haben mit dem Gesetz zur Förde-rung erneuerbarer Energien eine wirksame Förderungder energetischen Nutzung von Biomasse geschaffen –und das trotz Sparhaushalt.Bei nachwachsenden Rohstoffen fällt mir natürlich so-fort die EU-Marktordnung für Faserflachs und Hanf ein.Dabei haben wir in einem Paradestück bewiesen, dasssich gemeinsames Handeln lohnt. Länder, Bund und un-sere EU-Abgeordneten haben sich konsequent für einekompromissfähige Lösung in Bezug auf Deutschland ein-gesetzt.
– Erst nachdem ich Sie im Ausschuss darauf hingewiesenhabe. Vorher hat kein Mensch darüber Bescheid gewusst.Keiner hat davon geredet.
Dank Minister Funke haben wir das dann auch durchge-setzt.Zur Einbringung des Haushaltes kann man hier nur dieEckdaten benennen. Aber ich kann natürlich nicht vondiesem Pult weggehen, ohne noch einmal auf die agrar-soziale Sicherung einzugehen. Unser wichtigstes Anlie-gen ist es, ein eigenständiges Sicherungssystem in derLandwirtschaft zu erhalten. Sie alle und auch die betrof-fenen Versicherten wissen, dass die stets steigenden Auf-wendungen des Bundes für die landwirtschaftliche So-zialversicherung weder wirtschaftlich noch demSteuerzahler gegenüber vertretbar sind. Deshalb werdenwir noch in diesem Jahr den Gesetzentwurf zur Neuorga-nisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung inden Bundestag einbringen.
Gleichzeitig wissen wir natürlich auch um die großenProbleme in der landwirtschaftlichen Unfallversiche-rung. Hier haben sich der Berufsstand und auch die Ver-sicherer eine zeitgleiche Bearbeitung erhofft; sie habendas auch ganz deutlich gemacht. Aber an dieser Stelle willich noch einmal mit Nachdruck sagen, dass beides nichtmiteinander verquickt werden kann. Wir nehmen jetztzwar die verschiedenen Modelle auf und beschäftigen unsinhaltlich damit, aber man muss natürlich klipp und klarsagen: Das A und O ist die Neuorganisation der landwirt-schaftlichen Sozialversicherung. Diese muss zuerst um-gesetzt werden; nicht eher kann die Reform der landwirt-schaftlichen Unfallversicherung gelingen.
Vom Reformstau der alten Bundesregierung ist in die-sen Tagen schon mehrfach die Rede gewesen. Beide ebengenannten Reformen gehören auch in diese lange Reihe.
– Herr Deß, Sie wissen das ganz genau. Wir werden dieReformen umsetzen, aber sorgfältig und nacheinander.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen kleinerenHaushaltstitel eingehen, der mir persönlich aber sehrwichtig gewesen ist und über den ich auch sehr froh bin:Dies ist die Billigkeitsregelung für Kartoffelexportenach Rumänien. Sie werden sich vielleicht wundern,aber auch das ist eine Sache, die die alte Regierung längsthätte abarbeiten müssen.
Es geht um getätigte Kartoffellieferungen aus der ehema-ligen DDR nach Rumänien. Bis heute warten die Land-wirtschaftsbetriebe auf ihre Bezahlung, und das nur, weilin Ihrem Verrechnungssystem die Genehmigungen nichterteilt wurden. Hier reparieren wir mit 1,7 Millionen DMund zehn Jahren Verspätung eine Regelung, die echte Här-ten zur Folge hatte. Damit erfüllen wir ein Versprechengegenüber den betroffenen Betrieben. Das Kapitel „Kar-toffelexporte nach Rumänien“ kann endlich abgeschlos-sen werden.
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Waltraud Wolff
11401
Meine Damen und Herren, heute findet die erste Le-sung des Haushaltes statt. Nun beginnt auch die eigentli-che Arbeit. Ich fordere Sie alle dazu auf, konstruktiv imSinne der Landwirtschaft mitzuarbeiten.Danke.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Schindler, nach meiner
Liste der letzte Redner in dieser Debatte.
Guten Abend, liebeKolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Heute wird der Haushalt für das Jahr2001 eingebracht. Herr Minister Funke, wenn man dieletzten zwei Jahre – es ist Halbzeit dieser Legislaturperi-ode – und nun diesen Haushalt betrachtet, ist eigentlichfestzustellen, dass der deutschen Landwirtschaft kein Si-gnal zur Zukunftssicherung gegeben wird. Die Verände-rungen in Höhe von 5Milliarden DM durch politische Be-schlüsse von der Agenda bis zur Steuerbelastung, dienatürlich Sie zu verantworten haben, sind zum Schadender deutschen Landwirtschaft. Dies sind keine guten Zwi-schenbilanzergebnisse, eigentlich ist es eine Bankrotter-klärung.
Sie, die Regierung, stellen dar, die augenblickliche Si-tuation draußen auf den Straßen schlage in Stimmung um.Wenn man dies staatspolitisch sieht, könnte es eine sehrgefährliche Entwicklung geben.
Sie haben hier heute behauptet, die Stimmung in derdeutschen Landwirtschaft sei ausgesprochen positiv.Also, Herr Minister, dann fahren Sie nach Rostock, dannfahren Sie nach Heilbronn, dann fahren Sie nachMünchen.
Dort herrschte in den letzten 24 Stunden nicht der organi-sierte Zorn. Es waren die Bauern, die ihre Verbändedrängten: Ihr müsst Autobahnen blockieren.Wie schwer ist es, diesen Zorn über diese hohen Treib-stoffpreise zurückzuhalten! Die betreffen neben denLandwirten auch die übrige Republik: die Spediteure, dieMieter, die in einem halben Jahr Gasölrechnungen zu be-zahlen haben, den normalen Autofahrer. Sie sind durchleichtfertiges Runterreden des Euro gegenüber demDollar betroffen. Es ist noch keine acht bis zehn Tage her,als der Bundeskanzler etwas locker über die Wertbezie-hung zwischen Euro und Dollar gesprochen hat. Eskommt hinzu, dass der innereuropäische Diesel- und Ben-zinpreis enorm angestiegen ist.Jetzt ziehe ich einen Vergleich innerhalb der Europä-ischen Union. Wir haben mit dem Euro eine Verrech-nungseinheit. 1998/99 lag der Dieselölpreis für die Land-wirtschaft bei 1,10 DM. Wir bekamen eine Verbilligungum 42 Pfennig, weil wir unseren Diesel auf den Äckernund nicht auf den Straßen verbrennen. Heute kostet derLiter Diesel 1,80 DM. Wenn ich den Sockelbetrag in Höhevon 3 000 DM umlege, entspricht das einer Verbilligungvon derzeit durchschnittlich 30 Pfennig. Dabei bin ichnoch großzügig. So komme ich auf circa 1,40 DM. DieFranzosen liegen im Vergleich 80 Pfennig billiger, wennwir die von ihnen errungene Verbilligung der Treibstoff-kosten von 16 Pfennig auf 11 Pfennig, und dies rückwir-kend zum 1. Januar 2000, in die Rechnung einbeziehen.Was derzeit, in diesen Stunden, in diesen Tagen, in derLandwirtschaft an Stimmung herrscht, wie sich der Zorndraußen auflädt! Wir reden hier nicht als Opposition. Dasist keine verantwortungslose Hetze, wie das auch gesternhier im Plenum zum Teil gesagt wurde. Sie gehen nichtfair mit diesen Menschen um.Es ist der Zorn aller Mitbürgerinnen, aller Bürger da-rüber, hier unnötig Preispolitik betrieben wird und – jetztkommt der große Hammer – auch der Diesel in Höhe von12 Pfennig mit der Ökosteuer belastet wird.Wir kriegen vielleicht eine Gasölverbilligung hin– wir müssen warten, wie die Regierungsvorlage aus-sieht –, mit der der Anstieg durch die Ökosteuer ausgegli-chen wird. Die alte Gasölverbilligung ist zweckentfrem-det, weggezogen worden. Ich erinnere noch einmal daran:Von der alten Regierung wurde uns dies immer wieder er-halten, weil wir unseren Diesel auf den Feldern verbren-nen.Was aufgrund der Belastungen durch Ökosteuer undHeizölkosten derzeit beim deutschen Gartenbau, geradean der Rheinschiene, im Westen, an der Grenze zuHolland abläuft, das spricht Bände. Belastungen in Höhevon 80 bis 120 DM pro Hektar landwirtschaftlicherFläche und Jahr führen zu einer Wettbewerbsverzerrungund zu keiner guten Stimmung.Der Haushalt gibt keine Antwort auf die Fragen derAgrarstrukturreform. In den nächsten Wochen soll indiesem Haus über die Sozialversicherungsträger dis-kutiert und beschlossen werden. Herr Minister Funke, wobleibt der Ansatz zur Übernahme der „alten Last“, damitman wirklich reformieren kann, wie es in der mittelfristi-gen Finanzplanung zum Jahre 2004 vorgesehen ist? Mankann unmöglich eine Fusion der Träger aus Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland beschließen, wenn siemit Beitragssteigerungen verbunden ist. Das können wirbeim besten Willen nicht akzeptieren. Hier muss haus-haltspolitisch eine Antwort auf den massiven Struktur-wandel und das infolge Ihrer Politik erfolgte rasanteHöfesterben gegeben werden, damit nicht Lasten un-wahrscheinlichen Ausmaßes auf die noch in der Produk-tion stehenden Betriebe abgewälzt werden müssen. Der-zeit muss ein bäuerlicher Betrieb Mehrkosten für Dieselölvon 5 000 bis 25 000 DM – Sie hören richtig – und Be-rufsgenossenschaftsbeiträge von 7 000 bis 18 000 DM fi-nanzieren, was einen erheblichen Anteil an der „altenLast“ enthält, obwohl sich viele Kinder aus bäuerlichen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000
Waltraud Wolff
11402
Familien, was eine politische Notwendigkeit war, als qua-lifizierte Arbeitskräfte in die übrige Gesellschaft einge-bracht haben. Hier mahne ich einen höheren Haushalts-ansatz an, um die Sozialversicherungsreform auf den Wegbringen zu können. Die Mittel aus der Ökosteuerwurdenin die Rentenversicherung eingebracht, nicht aber in dielandwirtschaftlichen Alterskassen.Dass jeder Betrieb automatisch mit 1 000 DM Öko-steuer dabei ist, obwohl die Lohnnebenkosten in derLandwirtschaft nicht gesenkt wurden, ist auch ein Ergeb-nis Ihrer Beschlüsse. Ich weiß nicht, wie die Landwirt-schaft, aber auch die Spediteure und die übrige Wirtschaftden Strukturwandel durchhalten sollen. Hier ist die Poli-tik wirklich gefragt. Bundeskanzler Schröder hat gesternan dieser Stelle verkündet, über Maßnahmen in dem einenoder anderen Bereich nachdenken zu wollen, und damitHoffnungen geweckt. Er muss schnell eine Antwort aufdie Frage geben, wie wir entlastet werden.Die Ökosteuer auf der einen Seite und die Entlastungfür uns Bauern auf der anderen Seite sind in diesen Tagenein Generalthema; da hat der Kollege Heinrich absolutRecht. Wie halten wir es mit dem Zorn nicht nur bei dernormalen Bevölkerung, sondern auch bei uns Bauern?Wir tragen hier eine hohe politische Verantwortung. DieBundesregierung muss sich dieser Verantwortung mittel-und langfristig stellen. Herr Minister Funke, Herr Staats-sekretär Thalheim, liebe Kollegen von der Regierungsko-alition, wir sind gerne bereit, konstruktiv mitzuarbeiten.Aber dieser Haushaltsansatz ist bei weitem nicht genug.Es stehen uns schlimme Zeiten bevor.Vielen Dank.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen
nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 15. September 2000, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und den
Besuchern auf den Tribünen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.