Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Beratung des Haushaltsplans 1981 fort. Ich rufe auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981
— Drucksachen 9/50, 9/265 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen zum
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
— Drucksache 9/474 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Metz
Dr. Riedl Walther
Hoppe
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist zum Einzelplan 04 eine umfassende Generaldebatte über die Regierungspolitik bis ungefähr 18 Uhr vereinbart worden. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. — Eine gegenteilige Meinung höre ich nicht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt steht auf tönernen Füßen; das ist in der gestrigen Debatte des Hauses noch einmal deutlich geworden. Nichts charakterisiert die Haushaltslage des Bundes treffender als die Tatsache, daß bereits während der Beratungen des Haushalts 1981 die öffentliche Diskussion über die noch größeren Finanzlöcher des Haushalts 1982 begonnen hat.
Die Bundesregierung ist finanzpolitisch an einem Punkt angelangt, wo sie die Fehler der Vergangenheit nicht mehr mit neuen ungedeckten Wechseln auf die Zukunft vertuschen kann. Die Finanzmisere des Bundes ist offenkundig, und die mit dem ursprünglichen Haushaltsentwurf 1981 aufgestellte Fassade — das ist ein paar Monate her — ist schon zusammengebrochen. Die vielgerühmte Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland hat stark nachgelassen, und es war der Bundeswirtschaftsminister, der Anfang des Jahres gegenüber einer amerikanischen Zeitschrift prophezeit hatte: Die Bundesregierung gilt im Ausland nicht mehr als solider Schuldner, der Ruf der D-Mark ist stark angeschlagen.
Man kann sich darüber streiten, ob es zweckmäßig ist, daß der zuständige Minister so etwas im Ausland sagt.
Aber zutreffend bleibt es leider doch.
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Zimmermann, darf ich Sie um die Freundlichkeit bitten, mir das Zitat, das Sie soeben gebracht haben, zur Verfügung zu stellen?
Ich kann Ihnen die Zitatstelle jetzt schon sagen, und nachher kann ich es Ihnen auch zur Verfügung stellen. Es stand in dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin „Forbes" und wurde von der „Welt am Sonntag„ auf Seite 1 am 31. Mai 1981 zitiert.
Eine für einen Bundeswirtschaftsminister so bedeutsame Aussage wäre sicher dementiert worden,wenn sie nicht so gesagt worden wäre; denn immer-
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2236 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Zimmermannhin stand das Zitat auf Seite 1 einer der drei großen überregionalen Tageszeitungen.
— Das kann jeder machen, wie er will; aber er muß sich damit auseinandersetzen lassen, wenn man ihm so etwas vorhält.Die Bundesregierung hat ihre Verschuldenspolitik in der Hoffnung betrieben, daß die Bürger mit diesen astronomischen Zahlen wenig anfangen können und sich nicht direkt betroffen fühlen. Doch inzwischen spürt man die negativen Auswirkungen der Staatsverschuldung unmittelbar: die Benzinpreise sind gestiegen, die Abgaben wurden erhöht, und all die vielen Arbeitnehmer, die sich ein eigenes Häuschen bauen, spüren die Zinslast immer drükkender.
Die Bundesregierung wird schon mit dem Haushalt 1981 die im Grundgesetz Art. 115 beschriebene Kreditgrenze bei weitem überschreiten. Aus gutem Grund hat unsere Verfassung die Regel festgelegt, daß die Neuverschuldung nicht höher sein darf als die Investitionen. Einer Neuverschuldung von 34 Milliarden DM stehen jedoch lediglich 32 Milliarden DM an Investitionen gegenüber, und das ist noch nicht die volle Wahrheit. Denn in Wirklichkeit kommen zu den 34 Milliarden DM Neuverschuldung noch die 6 Milliarden DM hinzu, die in einer Art Schattenhaushalt im Kreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau vorgesehen sind, sowie die über 4 Milliarden DM Schuldenabwälzung auf Bahn und Post. Damit liegt die tatsächliche Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr um rund 9 Milliarden DM höher als im offiziellen Haushalt ausgewiesen. Das ist keine seriöse Haushaltspolitik mehr. Das entspricht eher dem Stil einer zweifelhaften Abschreibungsfirma als dem Stil einer verantwortungsbewußten Bundesregierung.
Selbstverständlich enthält der Art. 115 eine Ausnahmebestimmung für die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Nur ist dieser Passus kein Persilschein für eine ausufernde Verschuldung. Mit dem bloßen Hinweis auf eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts glaubt die Bundesregierung, dem Grundgesetz eine ausreichende Referenz erwiesen zu haben. Das ist ein Irrtum. Eine Ausnahmeklausel bleibt eine Ausnahmeklausel, die gerade dadurch die Grenze der Verschuldung markiert.Nach übereinstimmender Auskunft der ökonomischen Sachverständigen, aber insbesondere nach dem Urteil der deutschen Bundesbank ist eine globale Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch expansive Staatsausgaben derzeit nicht geeignet, die wirtschaftlichen Störungen zu beseitigen. Deshalb ist es die Pflicht der CDU/CSU, die Bundesregierung schon beim Haushalt 1981 auf die Einhaltung der Verfassung hinzuweisen. Spätestens beim Haushalt 1982 wird die Bundesregierung in der Verschuldensfrage vor einem Stoppschild stehen, andem sie sich nicht mehr vorbeidrücken kann. Nach dem Haushaltsdesaster 1981 muß der Bundesregierung und der Koalition klar sein, daß die bisherige Strategie, der bisherige Vorgang, zuerst den Haushaltsentwurf zu schönen, gleichzeitig die Verbrauchssteuern zu erhöhen und dann die Rentenversicherung zu schröpfen, nicht wiederholbar ist.
Ohne eine radikale finanzpolitische Wende, ohne ein Haushaltssicherungsgesetz — gleich, welches Wort man statt dessen nimmt —, wird es demnächst nicht mehr abgehen. Die finanzpolitischen Fehler eines Jahrzehnts holen diese SPD/FDP-Koalition ein.Es ist interessant zu beobachten, wie sich e i n Partner der Koalition, die FDP, dabei verhält. Manche bei ihr tun heute so, als hätten sie damit überhaupt nichts zu tun, als wären sie zehn Jahre lang gar nicht mit von der Partie gewesen, als hätten sie in dieser Zeit nicht den Wirtschaftsminister gestellt,
als hätten sie den Bundeshaushalten von 1970 bis 1980 nicht zugestimmt!
Wir nehmen sehr ernst, Herr Kollege Hoppe, was Sie gestern für die FDP über die Fehler der Regierungspolitik und der Koalition gesagt haben. Sehr ernst! Wir wissen, daß Sie auch in den letzten Jahren schon oft wirklich kritische, nachdenkenswerte Worte gesagt haben. Aber, Herr Kollege Hoppe, Sie haben sich in den letzten Jahren dann nicht so verhalten, wie Sie vorher gesprochen haben.
Deswegen darf ich Sie nunmehr wirklich bitten: Machen Sie endlich Ernst, und lassen Sie Ihren bemerkenswerten Worten von gestern nun auch die Taten folgen.
Nur dann sind Sie und die FDP glaubwürdig.In seiner ersten Regierungserklärung 1969 hat der damalige Bundeskanzler Brandt erklärt: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein."
Im Reformeifer und bei den von Bundesfinanzminister Strauß übernommenen vollen Kassen begann man, Jahr für Jahr über die Verhältnisse zu leben.Das muß auch Helmut Schmidt gespürt haben, als er 1974 Bundeskanzler wurde. Er sagte damals in seiner Regierungserklärung: „Die Bundesregierung wird alle verfassungsmäßigen und alle politischen Möglichkeiten voll nutzen, um Bund, Länder und Gemeinden auf eine sparsame Ausgabenpolitik ab 1975 zu verpflichten."
Dieser fromme Grundsatz war bald vergessen. Der Schuldenberg des Bundes wuchs und wuchs. Bei dieser Sachlage möchte ich von Ihnen gern wissen,
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Dr. ZimmermannHerr Bundeskanzler, wie Sie sich überhaupt vorstellen, daß diese Milliardenschulden einmal getilgt werden. Oder denken Sie daran nicht? Wollen Sie das Problem wirklich nur der nachwachsenden Generation überlassen?Meine Damen und Herren, noch niemals in der Geschichte sind Schulden dieser Größenordnung vom Staat zurückgezahlt worden; noch niemals!
Ich würde gern von Ihnen wissen, Herr Bundeskanzler, wie Sie wieder zu Vollbeschäftigung kommen wollen, wie Sie die Stabilität sichern wollen, wie Sie die soziale Sicherheit garantieren können und wie die deutsche Wirtschaft wieder leistungsfähig und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig gemacht werden soll.Die Union wird sich einer sinnvollen Sanierung der Staatsfinanzen nicht widersetzen. Doch Voraussetzung ist, daß die Bundesregierung mit der vollen Wahrheit herausrückt.
Es muß Kassensturz gemacht werden. Die Bücher müssen auf den Tisch des Hauses, und es muß Schluß sein mit dem finanzpolitischen Versteckspiel, das getrieben wird!
Wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland — mittlerweile ist Allgemeingut geworden, was wir seit Jahren gesagt haben — vor der größten Herausforderung seit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Stabilität ist erschüttert. Der Sozial- und Bildungsstaat hat die Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht. Alle Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sind verfehlt: Es gibt keine Vollbeschäftigung, keine Preisstabilität, kein angemessenes Wachstum, kein außenwirtschaftliches Gleichgewicht.Was wir in der Bundesrepublik jetzt dringend brauchen, ist eine Belebung der Wirtschaft; denn höhere Wirtschaftstätigkeit — und nur sie — baut Arbeitslosigkeit ab und schont die Finanzmittel der Bundesanstalt für Arbeit, bringt mehr Lohn- und Einkommensteuer sowie Umsatzsteuer in die Staatskasse. Nur das ist das Rezept.
Der Weg der immer neuen Belastungen für den Bürger, den die Koalition beschritten hat, führt in die falsche Richtung. Dieser Weg hemmt wirtschaftliches Wachstum. In einer Situation wirtschaftlichen Abschwungs sind Steuersenkungen weit wirkungsvoller als die laufende Erhöhung der Staatsausgaben.Die SPD/FDP-Koalition hat in der Vergangenheit in der Annahme, alles sei machbar und alles Wünschbare auch finanzierbar, eine Gefälligkeitspolitik betrieben, die mit dem Schmucketikett „Reformpolitik" versehen wurde. Die Quellen der Wertschöpfung in unserem Staat sind jedoch leistungsfähige Unternehmen und leistungsbereite Arbeitnehmer. Ihr gemeinsamer Einsatz und ihr Fleiß dürfennicht länger bestraft, sondern müssen wieder honoriert werden!
Es gilt, die durch eine falsche Politik gelähmten Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft wieder freizusetzen.Zu einer Politik der Erneuerung ist diese Koalition allerdings nicht mehr in der Lage; denn gleichzeitig mit den finanziellen Schwierigkeiten ist sie in eine Identitätskrise geraten. Das gilt vor allem für den größeren Teil der Koalition, die SPD. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen der Unruhe in der SPD und der Unsicherheit in der Öffentlichkeit. Die SPD ist dabei, sich wieder einmal — wie in den 50er Jahren — selbst zu blockieren. Das wäre für das Land nicht weiter tragisch, wenn die SPD nicht — anders als in den 50er Jahren — Regierungspartei wäre und nicht den Bundeskanzler stellen würde. Eine Partei, die so mit sich selbst beschäftigt ist wie die SPD heute, sich in keiner zentralen politischen Frage zu gemeinsamem Handeln mehr aufraffen kann, eine solche Partei wird der Regierungsverantwortung nicht mehr gerecht.
Von Berlin bis Hamburg, von Hessen bis nach Bonn — es ist überall das gleiche zerstrittene Erscheinungsbild der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.Erst letzte Woche hat die SPD diesem Haus ihren inneren Zustand präsentiert. Mit seiner Rücktrittsdrohung erzwang der Bundeskanzler zwar teilweise die Gefolgschaft der Fraktion in der Abstimmung über den NATO-Doppelbeschluß zur Nachrüstung, aber bei einigen nur nach dem Motto: Ich bin zwar gegen die Politik des Kanzlers, stimme aber für die Machterhaltung der SPD.
Das Schauspiel, das einige SPD-Abgeordnete der deutschen Öffentlichkeit mit ihren persönlichen Erklärungen geboten haben, war eine Verhöhnung der Demokratie und ein Zerfall der politischen Sitten.
Was sollen eigentlich junge Leute von einem Politiker halten, der offen verkündet, er sei zwar gegen die Politik dieser Bundesregierung, werde aber dennoch für sie stimmen, weil er einen politischen Wechsel verhindern wolle? Was sollen sich eigentlich die denken, die so etwas hören?
Bei der Nachrüstung treibt die SPD ein gefährliches Spiel. Ein Teil dieser Partei — an der Spitze der Bundeskanzler — tritt für eine westliche Nachrüstung ein, wenn sich die Sowjetunion weigert, ihre inzwischen erreichte militärische Überlegenheit gegenüber Europa in Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu reduzieren. Ein anderer Teil der SPD mit Herrn Eppler als Wortführer will die sowjetische Überlegenheit festschreiben und auf das Gleichgewicht verzichten. Und dann kommt Herr Brandt letzte Woche und sagt, am be-
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Dr. Zimmermannsten sei es überhaupt, auf das ganze „Teufelszeug" von Raketen zu verzichten.
Woran soll sich der Bürger nun halten? — Ja, der Beifall paßt genau an diese Stelle. — Woran soll sich der Bürger halten? An Schmidt, an Eppler, an Brandt? Wie will die SPD den Anspruch aufrechterhalten, in einer so wichtigen Frage Führung zu zeigen und die Regierung zu stellen, wenn sie selbst nicht weiß, was sie will, denn die Herren Eppler und Brandt sind ja wohl nicht irgendwer, sondern haben ganz bestimmte Funktionen in der deutschen Politik?Meine Damen und Herren, paradoxerweise ist es die SPD selbst, die durch ihr Verhalten eine westliche Nachrüstung geradezu herbeizwingt. Das möchte ich Ihnen begründen. Die Vereinigten Staaten unter Präsident Reagen sind entschlossen, der sowjetischen Herausforderung zu begegnen und eine militärische Überlegenheit der Sowjetunion in Europa nicht hinzunehmen. Der Widerstand weiter Teile der SPD gegen jedwede Nachrüstung des Westens nährt jedoch bei den Sowjets die Hoffnung, man brauche auf die amerikanischen Abrüstungsvorschläge nicht einzugehen, weil die Europäer selbst keine Nachrüstung wollten.
Je entschlossener und je geschlossener eine Bundesregierung und alle Bundestagsfraktionen für die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts eintreten, desto größer ist die Chance auf erfolgreiche Verhandlungen mit der Sowjetunion, nicht umgekehrt!
Meine Damen und Herren, die Sowjets inszenieren gegenwärtig die größte politische Erpressung des Westens seit Chruschtschows Ultimatum von 1958. Ermutigt werden sie dazu durch die Zerrissenheit in der SPD in der Bundesrepublik Deutschland und durch ähnliche Unstimmigkeiten in anderen NATO-Ländern. Erst vor wenigen Jahren haben wir hier eine hitzige Auseinandersetzung über die Frage der Neutronenwaffe gehabt. Auch damals machte sich ein großer Teil des SPD zum Mitläufer der Propaganda gegen die Stationierung dieser Waffen in Europa, sogar gegen ihren Bau in Amerika. Damals wie heute war der Kollege Bahr einer ihrer Wortführer. Darf ich Sie heute fragen: wie hat die Sowjetunion auf den damaligen Verzicht des amerikanischen Präsidenten auf den Bau der Neutronenwaffe reagiert?
Die Hochrüstungspolitik wurde ungebremst fortgesetzt, die Stationierung neuer Raketen mit Zielrichtung Westeuropa wurde weiter getrieben. Das Zeichen des guten Willens des Westens und des amerikanischen Präsidenten ist von der Sowjetunion brutal zum Ausbau der eigenen Überlegenheit ausgenutzt worden. Das ist unsere letzte Erfahrung auf diesem sensiblen Sektor mit der Politik der Sowjetunion.Heute arbeiten Sozialdemokraten und Linke aller Schattierungen und Kommunisten Hand in Hand beim Krefelder Appell gegen eine Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts.Die politische Lage in Europa wird blitzlichtartig dadurch erhellt, daß der SPD-Vorsitzende Brandt in den nächsten Wochen nach Moskau reisen wird, während gleichzeitig eine Beschimpfungskampagne der Sowjetunion gegen den Bundeskanzler und die deutsche Bundesregierung läuft. Vorreiter dieser Gespräche sind bekannte Männer: auf deutscher Seite Herr Bahr, auf sowjetischer Seite Ponomarjow und Sagladin. Dieses ganze Manöver der Sowjetunion ist langfristig angelegt. Die Kampagne läuft seit Monaten mit immer wechselnden Feinheiten und Aktionen auf allen Ebenen der Publizistik und der persönlichen Darstellung. Diese Kampagne, dieses Manöver dient doch nur dazu, den Westen in dieser existentiellen Frage der Politik zu spalten und die europäischen Sicherheitsinteressen von denen der Vereinigten Staaten von Amerika abzukoppeln.
Nicht erst in der letzten Woche ist deutlich geworden, daß die SPD ein gestörtes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten hat. Noch während der Bundeskanzler bei Präsident Reagen war, ging der Widerstand der SPD gegen Nachrüstung und gegen die Vereinigten Staaten weiter. Die entsprechenden Beschlüsse der verschiedensten Gliederungen der SPD in diesem Sinne aufzuzählen, würde den zeitlichen Rahmen dieser Debatte weit sprengen. Doch einen Vorgang finde ich exemplarisch: Sozialdemokraten hielten es für richtig, den Gustav-Heinemann-Preis ausgerechnet der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung zu überreichen und damit eine führende Gruppierung gegen den NATODoppelbeschluß zur Nachrüstung auszuzeichnen. Anläßlich der Feierstunde sprach auch der frühere SPD-Geschäftsführer Bahr zur Nachrüstungsfrage. Er sagte:Niemand kann ausschließen, daß auch in Moskau einmal ein Wechsel eintritt. Wenn dort jedenfalls eine neue, ähnliche Linie beschlossen würde wie heute in Washington, dann wäre das, was jetzt möglich ist, vertan und nicht mehr zurückzuholen.
Hier stellt Herr Bahr wieder einmal die Dinge total auf den Kopf.
Wer hat in den letzten zehn Jahren massiv aufgerüstet? Wer unterstützt die Bürgerkriege in Afrika? Wer führt den Vernichtungsfeldzug gegen Afghanistan? Wer bedroht Polen? Während Herr Bahr so daherredet, unterzeichnen Bundeskanzler Schmidt und Präsident Reagen in Washington ein Kommuniqué, in dem steht, daß die bedrohliche sowjetische Rüstung und ihre expansionistische Weltpolitik ver-
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Dr. Zimmermannurteilt werden muß. Während das geschieht, spricht Herr Bahr so vor dieser Gesellschaft.
— Eine schlimmere Art von Doppelstrategie kann man sich kaum denken.
Der Vorsitzende der SPD, Herr Kollege Brandt, hat in der letzten Woche in diesem Hause eine bemerkenswerte Rede gehalten, die sich sehr deutlich von der Regierungserklärung des Bundeskanzlers absetzte.
Aufmerksame Zuhörer haben dabei sehr wohl registriert, daß Brandt in vielen Punkten in der Sache näher bei Hansen als bei Schmidt lag.
Herr Kollege Brandt hat mit dieser Rede den Versuch, den gescheiterten Versuch, unternommen, die Einheit der SPD wiederherzustellen und die Bundesregierung außen vorzulassen.
Er hat die Illusion genährt, daß vom Prinzip her die Nulloption bei der Raketenrüstung noch möglich sei.Er sagte ein weiteres, nämlich daß es für ihn keine Perspektive für Entspannung gäbe, wenn sie nicht in den nächsten Jahren durch Rüstungsbegrenzung und Abrüstung ergänzt würde. Er sagte wörtlich: „Es ist eine Illusion zu glauben, Europa und die Deutschen würden anders überleben." „Überleben" sagte Herr Brandt. Das ist gespenstisch. Denn ein solches Wort haben nicht einmal die Sowjets bis jetzt in ihrem Repertoire der Drohungen und Erpressungsversuche gebraucht.
Herr Brandt weiß selbst, daß zu Verhandlungen immer zwei gehören. Und aus seinen Ostverträgen müßte er eigentlich gelernt haben, was herauskommt, wenn man sich selbst unter einen zeitlichen Erfolgszwang setzt. Selbstverständlich müssen Abrüstungsgespräche zwischen den USA und der Sowjetunion stattfinden — aber doch mit dem einwandfreien westlichen Ziel, die sowjetische Überlegenheit abzubauen. Und dazu gehören Geduld und Zähigkeit, die richtige Wortwahl und der richtige Verhandlungszeitpunkt.
Ich halte es in der Situation der Bundesrepublik Deutschland auch für wenig hilfreich, wenn der Kollege Brandt die Raketen insgesamt als „Teufelszeug" abtut, von dem er Europa freihalten möchte. Er weiß natürlich, was von diesem „Teufelszeug" schon alles in Europa steht. Die Russen wird das, was er sagt, wenig beeindrucken. Aber bei unsschürt es die Vorurteile gerade junger Menschen gegenüber unserer Verteidigungsbereitschaft. Immerhin hat dieses „Teufelszeug" den Europäern eine jahrzehntelange Friedensperiode beschert. Und ich sage Ihnen: Lieber mit diesem Teufelszeug in Frieden und Freiheit leben, als ohne es zu sterben, wie die Menschen in Afghanistan.
Bei der Diskussion über diese schrecklichen Waffen muß auch einmal wieder die Frage gestellt werden: Wie stünde es denn um den Weltfrieden ohne die großen Waffen und ihre Gleichgewichtigkeit im interkontinentalen Verhältnis? Wäre da nicht die Leichtfertigkeit, einen Konflikt zu riskieren, größer? Die Schrecken eines Atomkriegs, eines totalen Kriegs und die Gewißheit für jeden, ob Sowjetunion oder Vereinigte Staaten, dabei nichts zu gewinnen, nur zu verlieren: auch das trägt zum Frieden bei, und auch das kann man in der Diskussion nicht so behandeln, daß man es global zum „Teufelszeug" erklärt. Da muß man schon etwas tiefer bohren, um junge Leute davon zu überzeugen, was heute notwendig ist.
Gerade weil heute viel über die Friedenssehnsucht der Menschen geredet wird und nur wenig daüber, wie der Frieden konkret gesichert werden kann, darf man als Vorsitzender einer großen Partei diese Diskussion nicht so oberflächlich, nicht so mit „Teufelszeug" führen. Ich weiß, es ist nicht populär, von Raketen und Sprengköpfen zu sprechen und für ein militärisches Gleichgewicht einzutreten. Es gehören Mut und Ehrlichkeit dazu, jungen Menschen zu sagen, daß Frieden, Freiheit und Wohlstand ihren Preis haben und daß sie täglich neu erworben werden müssen. Es gehört auch dazu zu sagen, daß nicht Resolutionen und Verträge letzten Endes den Frieden sichern, sondern die Fähigkeit, erfolgreich Widerstand bei einem Angriff leisten zu können. Deswegen haben wir unsere Bundeswehr. Deswegen sind wir in der NATO. Deswegen stationieren unsere Verbündeten auf unseren Wunsch hin Soldaten in diesem Land und in West-Berlin.
Noch eine Bemerkung zur Debatte über die Regierungserklärung in der letzten Woche. Herr Kollege Ehmke hat versucht, von den antiamerikanischen Tendenzen in der SPD durch ein angeblich kritisches Zitat von Franz Josef Strauß in Richtung USA abzulenken. Strauß hat vor einem Jahr in Passau gesagt:Wir müssen alles dafür tun, daß ein Europa geschaffen wird, das weniger abhängig ist von Amerika, das von amerikanischem Schutz und Schirm nicht so bedingungslos abhängt, wie wir es sind, ein Europa, das nicht am Rockzipfel der Amerikaner hängt, das nicht von den innenpolitischen Wechsellagen der amerikanischen Politik bestimmt wird, das nicht von wechselnden Meinungen des amerikanischen Präsidenten mit seinem Lebensschicksal abhängt.
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Dr. ZimmermannSo weit hat Herr Kollege Ehmke richtig zitiert. Doch Strauß sagte weiter:Wir haben doch kein Recht, auf die Amerikaner zu schimpfen. Tun wir doch selbst, was notwendig ist! Die Hand zum Frieden muß immer ausgestreckt bleiben; reden ist allemal besser als schießen. Der Konferenztisch ist wichtiger als das Schlachtfeld, aber damit der Konferenztisch Ergebnisse bringt, müssen wir in Europa — genau wie die Amerikaner — mehr für unsere Verteidigung tun.Meine Damen und Herren, das ist die Lage heute. Ich bin dem Kollegen Ehmke dankbar, daß er mir die Gelegenheit gegeben hat, diese Aussage von Franz Josef Strauß hier vor dem Deutschen Bundestag zu bekräftigen.
Wir haben, meine Damen und Herren, große Sorge um die Erhaltung der Verteidigungskraft der Bundesrepublik Deutschland und um den Zustand der Bundeswehr selbst. Es sind Zweifel aufgetaucht, ob die Bundeswehr ihren Auftrag noch in vollem Umfang erfüllen kann. Das Versagen des amtierenden Verteidigungsministers hat die Bundeswehr in ein Finanzdebakel gestürzt und zieht negative Folgen für die Kampfkraft nach sich.Der Inspekteur der Luftwaffe hat letzte Woche vor dem Verteidigungsausschuß nachgewiesen, daß unsere Luftwaffe im Ernstfall nur beschränkt einsatzfähig ist, weil die Flugplätze nicht geschützt sind. Er hat weiterhin festgestellt, daß die Kürzungen im Verteidigungshaushalt vorgenommen worden sind, ohne die konkrete Bedrohungsanalyse zu berücksichtigen. Und jetzt verlangt die SPD seinen Rücktritt nach dem Motto: Wer die Wahrheit sagt, muß gehen!
Die CDU/CSU wird nicht hinnehmen, daß ein Soldat, der vor einem Untersuchungsausschuß des Parlaments pflichtgemäß Rede und Antwort steht, dafür von der Regierung gefeuert werden soll,
während der Verteidigungsminister, der die Wahrheit seit Monaten vertuscht, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, noch demonstrativ das Vertrauen ausgesprochen erhält.
Das Finanzdebakel um das Kampfflugzeug Tornado, das der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß aufklären will, ist offenbar nur die Spitze eines Eisberges politischer Unfähigkeit. Immer deutlicher schält sich heraus, daß Verteidigungsminister Apel seit dem Frühjahr 1980 sehr wohl über die finanziellen Schwierigkeiten unterrichtet war. Wie anders wäre sonst sein ministerieller Morgengruß: „Na, was gibt es Neues beim Tornado?" zu verstehen? Niemand nimmt ihm die Ausrede ab, er habe zwar Akten abgezeichnet und mit Beamten darüber geredet, aber in Wirklichkeit nichts gewußt. Vor die Alternative gestellt, entweder die Unwahrheit über seinen Informationsstand gesagt zuhaben oder der Unfähigkeit im Amt bezichtigt zu werden, hat er sich offenbar für letzteres entschieden.
Vielleicht stimmt es sogar; denn schließlich wurde er vom Bundeskanzler zu einem Amt gezwungen — daran muß man wieder einmal erinnern —, daß er gar nicht wollte.
Er hat dort Probleme vorgefunden, die ihn gar nicht interessierten. Er hat im Verteidigungsministerium nur so viel Zeit zugebracht, wie ihm unbedingt nötig erschien. Im übrigen war er bestrebt, seine Dienstzeit als Verteidigungsminister „abzureißen" wie ein mißgestimmter Rekrut seinen Wehrdienst.
Bei den wichtigsten Passagen meiner Rede ist er natürlich wieder nicht da.
Herr Dr. Zimmermann, der Herr Bundesverteidigungsminister ist gerade auf dem Weg zur Regierungsbank.
Dieser Auftritt hätte nicht besser geplant sein können.
Jetzt kommen aber die für den Verteidigungsminister entlastenden Sätze. Die kann er sich ruhig im Sitzen anhören. Bei aller Verantwortlichkeit für die Finanzmisere auf der Hardthöhe trifft die Hauptschuld nicht Sie, Herr Apel, sondern die Hauptschuld trifft Sie, Herr Bundeskanzler.
— Ja, selbstverständlich, der Bundeskanzler wollte doch seinem damaligen Kronprinzen die Allverwendungsfähigkeit attestieren können, also nicht nur Finanzminister, sondern auch Verteidigungsminister, wie er es selbst war, und möglichst noch Bundeskanzler sein zu können. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Das war doch der Plan. Der Bundeskanzler hat diesen Minister, der dieses Amt nie wollte, in dieses Amt gesteckt, es ihm verordnet.
Jetzt, Herr Bundeskanzler, wäre es auch an Ihnen, die Bundeswehr von diesem Mann wieder zu entlasten.
Die Bundeswehr braucht in dieser Zeit einen Minister, der sich den schwierigen Aufgaben mit innerem Engagement widmet, das gestörte Vertrauen der Truppe in die politische Führung wiederherstellt
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2241
Dr. Zimmermannund die Bundeswehr aus der Krise führt. Einen solchen Mann braucht die Bundeswehr.Trotz der beherrschenden Diskussion um die Finanzmisere des Bundeshaushalts wäre es falsch, alle Probleme lediglich auf die leeren Kassen zurückzuführen. Auch die Ebbe im Haushalt ist nicht etwa durch überirdische Kräfte verursacht worden, sondern durch die politisch dafür Verantwortlichen. Wenn die Bundesregierung heute Schwierigkeiten hat, von Saudi-Arabien zinsgünstige Kredite zu erhalten, so war das beim Streit um die Waffenexporte vorhersehbar.
Auch dafür trägt der Bundeskanzler persönlich die Verantwortung. Wer einmal bei seinen Gesprächspartnern Erwartungen geweckt hat und davon unter dem Druck seiner Partei schrittweise wieder abrückt, darf sich nicht der Illusion hingeben, die andere Seite würde besonderes Entgegenkommen zeigen. Schließlich hat Saudi-Arabien der Bundesrepublik Deutschland ein breites Kooperationsangebot gemacht.
Die deutsche Öffentlichkeit ist gespannt, wie die Entscheidung des Kanzlers in Sachen Kooperation mit Saudi-Arabien letztlich ausfallen wird. Er hat sich und den Saudis nunmehr eine zweite Frist bis Weihnachten dieses Jahres gesetzt. Aber vielleicht wäre es besser, er würde die Entscheidung gleich einem SPD-Parteitag übertragen, weil er ohne diesen offenbar nur beschränkt handlungsfähig ist.Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch an die angekündigte Überprüfung der Grundsätze des Rüstungsexports durch die Bundesregierung erinnern. Das Ergebnis ist nach dem Besuch des Bundeskanzlers in den USA fällig, zumal das deutsch-amerikanische Kommuniqué die Bedeutung der Golfregion für den Westen ausdrücklich hervorhebt.Ich möchte nicht noch einmal ausführlich auf die deutsch-israelischen Gegensätze nach der Rückkehr des Bundeskanzlers aus Riad eingehen. Hierzu hat Helmut Kohl, vor allem, was die Ausführungen des israelischen Ministerpräsidenten angeht, vor dem Deutschen Bundestag einiges gesagt. Nur soviel möchte ich feststellen: Es war erschreckend, welche Emotionen der Kanzler mit seinen unbedachten Äußerungen über die Palästinenser und die PLO freigesetzt hat, und zwar bei Israelis, deutschen und jüdischen Mitbürgern gleichermaßen. Das hat uns wieder einmal gezeigt, wie nahe Gegenwart und Vergangenheit beieinanderliegen. Es war sicher keine diplomatische Meisterleistung des Kanzlers, mit seinem Besuch in Saudi-Arabien die Araber und die Israelis gleichzeitig zu verärgern. Die Reaktion der Israelis auf die Äußerungen des Kanzlers zur PLO, die in der Form zwar unterschiedlich, in der Sache aber von allen israelischen politischen Gruppierungen abgelehnt wurden, zeigen im übrigen glasklar — falls überhaupt jemand Zweifel gehabt haben sollte —, wo Israel seine existentielle Bedrohung sieht, nämlich durch die PLO und nicht durchSaudi-Arabien. Auch diese Lehre darf aus dem unglücklichen Streit anläßlich der Worte des Bundeskanzlers gezogen werden.
Bei seiner Rückkehr aus den USA hat der Bundeskanzler die nahtlose Übereinstimmung der deutschen mit der amerikanischen Politik betont. Wir haben das zur Kenntnis genommen. Die CDU/CSU verlangt vom Bundeskanzler, nicht mehr und nicht weniger als das zu tun, was in diesem deutsch-amerikanischen Kommuniqué festgelegt worden ist.
Wir als Union tragen diese Politik mit. Was die Partei des Bundeskanzlers, die SPD, dazu sagt, ist allerdings eine ganz andere Frage.Der Bundeskanzler hat auch seiner Freude über die glanzvolle Abendveranstaltung, die zu seinen Ehren der amerikanische Präsident gegeben hatte, hier im Deutschen Bundestag Ausdruck verliehen. Wir gönnen ihm das Zeremoniell, und wir sehen daraus, daß auch das militärische Zeremoniell — man konnte es sehen; es war beeindruckend — auch ihn selbst beeindruckt hat. An dieser Stelle frage ich mich, warum der Bundeskanzler und die Bundesregierung es zulassen, daß das bescheidene Maß an Tradition, das die Bundeswehr bei uns pflegt, abgebaut wird.
Ich halte es für die Tradition einer demokratischen Armee für unannehmbar, daß die Gelöbnisse der Soldaten hinter den Mauern der Kasernenhöfe stattfinden sollen.
Ich halte es für unerträglich, daß sich die Bundeswehr in Zukunft nicht mehr mit einem Großen Zapfenstreich vor der Öffentlichkeit, vor den Bürgern, zu deren Schutz sie da ist, präsentieren darf.
Erst vor wenigen Tagen hat in Würzburg ein Zapfenstreich der dort stationierten 12. Division unter großer Anteilnahme der Bevölkerung stattgefunden.
Der bayerische Ministerpräsident sprach bei diesem Ereignis vor über 10 000 Bürgern — und 600 Demonstranten.Die Bundesregierung sollte es sich gut überlegen, ob sie es wirklich verantworten kann, die Bundeswehr durch solche Maßnahmen wie Abschaffung des Zapfenstreiches und der öffentlichen Gelöbnisse in die Isolierung zu treiben und vor der Bevölkerung zu verstecken.
Meine Damen und Herren, die Staatsfinanzen zerrüttet, in der Sicherheitspolitik zerstritten: Wie sieht die Politik der Koalition auf den anderen Feldern aus? Ich beschränke mich auf Stichworte. In Berlin gab es eine Eskalation der Gewalt, Zunahme
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2242 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Zimmermannrechtswidriger Hausbesetzungen und einen handlungsunfähigen Senat. Das wird hoffentlich bald durch ein Zusammenwirken der verantwortlichen demokratischen Kräfte mit der vom Wähler zur Führung des Senats beauftragten Berliner CDU unter Richard von Weizsäcker wieder anders werden.
Das Versagen erstreckt sich auch auf das Feld der Sicherung des Rechts. Das Zurückweichen vor krimineller Hausbesetzung und gewalttätiger Demonstration geht so weit, daß man zwar die Vermummung von Demonstranten toleriert, aber Namensschilder für Polizisten wieder einführen will. Damit macht sich der Rechtsstaat lächerlich und untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Stabilität des Systems.
In der Frage der Kernenergie — —
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Nein, ich bin mit meiner Zeit am Ende und muß zu Ende kommen.
— Ich habe dem Bundeswirtschaftsminister aus gegebenem Anlaß ganz selbstverständlich eine Frage beantwortet. Ich bin aber aus Zeitgründen einfach nicht in der Lage, weitere Fragen zu beantworten.
In der Frage der Kernenergie stecken die Bundesregierung und die Koalition den Kopf immer tiefer in den Sand. Auf die Frage nach der Energiepolitik dieser Bundesregierung antworten alle Fachleute in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Satz: Es gibt keine Energiepolitik dieser Regierung. — Während in Frankreich der sozialistische Präsident Mitterrand das französische Kernenergieprogramm fast ohne Abstriche weiterführt, ist bei uns nach wie vor Pause. Unsere Leistungsbilanz wäre nicht so negativ, wenn sich die Bundesregierung in der Vergangenheit so verhalten hätte wie Frankreich.
Jedes moderne Kernkraftwerk erspart etwa 1 Milliarde DM an Devisen für den Kauf von 01. Dazu kommt, daß die Kilowattstunde Strom aus 01 etwa dreimal und aus Kohle etwa zweimal so teuer ist wie die aus Kernkraft.Die Bundesregierung muß der deutschen Öffentlichkeit endlich einmal sagen — und es nicht nur den Energieunternehmungen überlassen —, daß das Risiko der Kernenergie technischer Natur und damit aus eigenen Kräften beherrschbar ist, das Risiko des Ölimports jedoch politischer Natur ist und bei einer politischen Krise nicht dem Einfluß der Bundesregierung unterliegt.'
Verschonen Sie uns bitte mit Formeln wie „Die Kohle hat Vorrang" oder „Der Restbedarf an Kernenergie". Sie helfen in dieser Situation nicht weiter.Die Bundesregierung muß endlich einmal deutlich machen, daß Kernenergie ihrem Charakter nach einer nationalen Energiequelle gleichzusetzen ist.Unsere Wirtschaftskraft, unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, unsere Arbeitsplätze hängen aber nicht nur von sicherer Energie, hängen auch von preiswerter Energie ab. Das wird sich im Verhältnis zu Frankreich noch in diesem achten Jahrzehnt mit schrecklicher Deutlichkeit zeigen, meine Damen und Herren.Keine Kooperation mit Saudi-Arabien, kein Ausbau der Kernenergie — das ist die Bankrotterklärung auf dem Sektor der Energiesicherung. Denn Sie werden sie ja wohl nicht alleine mit dem Russengas betreiben wollen!Wenn die Bundesregierung heute in finanziellen Schwierigkeiten ist, so liegt es auch daran, daß sie sich jahrelang auf der Flucht vor Entscheidungen in immer neue Gutachten und Forschungsvorhaben geflüchtet hat. Um nur einen Bereich herauszugreifen: Im Forschungsministerium werden derzeit 7 000 Einzelprojekte direkt gefördert; mit der Abwicklung sind 750 Projektverwalter und 1 400 Berater befaßt; der Bundesrechnungshof hat festgestellt, daß noch nicht einmal die Verwendungsnachweise der abgerechneten Projekte vollständig überprüft werden. Hier soll die Bundesregierung einmal mit ihren Rationalisierungs- und Sparvorschlägen anfangen!
Ungelöst hat die Bundesregierung auch ein Problem gelassen, das in der Bevölkerung unter der Oberfläche schwelt, aber von erheblicher Brisanz ist: das Ausländer- und Asylantenproblem. Die Bundesregierung ist einer Lösung in der Frage der Asylanten immer wieder ausgewichen. Auch dieses Problem kann sie nicht länger vor sich herschieben.In der Medienpolitik klammern sich die SPD und die Bundesregierung krampfhaft an das öffentlich-rechtliche System und stellen sich dem Fortschritt in der Kommunikationstechnik in den Weg. Auf diesem Gebiet gibt es einen Investitionsstau von rund 20 Milliarden Mark, dessen Freisetzung den Staat keinen Pfennig kosten würde. Was soll das Gerede — auch des Bundeskanzlers — wegen der Überflutung durch das Fernsehen? Ich kann in München fünf Programme sehen; manchmal gefallen sie mir alle fünf nicht. Mehr Angebot bedeutet doch nicht mehr Konsum, sondern nur mehr Auswahl! Um nichts anderes geht es.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten nicht so tun, als ob das Schicksal der Nation gefährdet wäre, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten eine kommerzielle Konkurrenz erhielten. Das kann allen Beteiligten nur guttun.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler kann seiner Partei noch oft die Vertrauensfrage stellen, ob in der Öffentlichkeit oder hier im Haus. Er wird, selbst wenn er durchkommt, nichts an der Tatsache ändern, daß seine Politik von der SPD nicht
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Dr. Zimmermannmehr geschlossen getragen wird. Das hat lähmende Auswirkungen auf die Politik seiner Regierung. Das führt zu einer Degeneration der Politik, zum Verschieben von Entscheidungen, zu losen Formelkompromissen, unter denen jeder etwas anderes versteht.In Hamburg tritt ein SPD-Bürgermeister als ideologischer Kernenergiegegner zurück, im benachbarten Schleswig-Holstein der SPD-Oppositionsführer aus dem gleichen Grund. In Hessen muß der Ministerpräsident seiner Partei wegen der Kernenergie und wegen des Ausbaus des Frankfurter Flughafens die Vertrauensfrage stellen. In Baden-Württemberg führt der zurückgetretene SPD-Landesvorsitzende Eppler, durch seinen Rücktritt noch gestärkt, eine Kampagne gegen den Kanzler und die Politik der Regierung.Diese Partei bietet nicht nur ein zerrissenes Bild; sie ist auch zu großen politischen Entscheidungen nicht mehr fähig. Die Krise der SPD hat sich auf Bundesregierung und Staat übertragen, und es muß verhindert werden, daß das demokratische System insgesamt davon erfaßt wird.Die CDU/CSU hat zu den anstehenden Problemen Position bezogen,
aber wir tragen keine Regierungsverantwortung. Die SPD-FDP-Koalition hat eine Mehrheit in diesem Parlament. Die Koalition stellt die Regierung. Die Koalition allein kann handeln, wenn sie dazu in der Lage ist, und an ihren Taten wird sie gemessen werden, nicht an ihren Worten.Meine Damen und Herren, das Spiel mit verteilten Rollen hat ein Ende, das Spiel, bei dem jeder Teil der Koalition seinen Wählern nach dem Munde redet
und beide Teile dann gemeinsam nichts tun, um sich anschließend wechselseitig die Schuld zuzuschieben.
Die Stunde der Wahrheit kommt unaufhaltsam auf diese Koalition und auf Sie, Herr Bundeskanzler, zu.
— Auch auf uns, Herr Wehner, das ist ganz sicher.
Wir, die CDU/CSU, werden dann unserer Verantwortung gerecht werden — ohne Hektik, ohne Ihren Sinn für Machterhaltung, ohne Gier.
Meine Damen und Herren, ein solches Erbe, wie Sie es uns hinterlassen,
kann man nur im Bewußtsein höchster staatspolitischer Verantwortung übernehmen wollen,
eher widerwillig und nur aus Pflicht, Herr Wehner. Das ist viel zu ernst, als daß Sie es — wie bei Ihnen üblich — mit diesen lauten mißklingenden Tönen begleiten sollten. So ernst ist die Lage dieses Landes heute!
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann eine Zwischenfrage von mir nicht mehr zugelassen hat, muß ich auf diese Weise antworten. Ich mache das sehr kurz.
Herr Dr. Zimmermann hat behauptet, ich hätte in einem amerikanischen Magazin im März dieses Jahres erklärt, die Bundesregierung gelte im Ausland nicht mehr als solider Schuldner, der Ruf der D-Mark sei stark angeschlagen.
Das Interview im Magazin „Forbes" vom März dieses Jahres liegt mir vor. Keiner dieser Sätze ist in diesem Interview enthalten.
Meine Damen und Herren, ich bitte Herrn Dr. Zimmermann, sich in Zukunft etwas sorgfältiger dort zu informieren, wo er die Quelle angeblicher Äußerungen findet.
Herr Bundesminister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann? — Bitte.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob Sie auch die „Welt am Sonntag"
vom 31. Mai 1981, der ich das Zitat aus „Forbes" entnommen habe, überprüft haben? Ich habe die Quelle genannt; die Quelle war auch in der „Welt am Sonntag" genannt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ausschnitt aus der „Welt am Sonntag" liegt mir vor. Dort wird indirekt zitiert und ausdrücklich angegeben, welche Quelle benutzt wird, die Sie, Herr Dr. Zimmermann, hätten überprüfen können
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffoder doch wenigstens hätten überprüfen lassen können.
Ich stelle erstens fest, meine Damen und Herren, daß das, was hier vorgetragen worden ist, der Wahrheit nicht entspricht.
Ich stelle zweitens fest, daß damit das, was Sie, Herr Zimmermann, hier eingeleitet haben, jedenfalls nicht, wie Sie meinen, die Stunde der Wahrheit gewesen ist.
Und ich überlasse es zum dritten unseren Zuhörern, ihre Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt Ihrer übrigen Ausführungen zu ziehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen j a das Sprichwort „Morgenstunde hat Gold im Munde".
Was wir heute hier erlebt haben, ändert einiges. Bei Herrn Zimmermann war es Schaumgold.
Herr Zimmermann hat ja auf sehr gewichtige Blätter Bezug genommen. Er hat sich darauf berufen, daß ein Springer-Blatt, das sonntags erscheint, etwas enthalten habe, und das war etwas, das, j eden-falls nach dem bisherigen Verlauf dieser Diskussion, als eine Fälschung oder falsche Wiedergabe bezeichnet werden muß und darf. Heute morgen läuft neben dieser Zimmermanns-Rede das, was in der „Welt" von dem „Chef", Strauß, gesagt worden ist auf die Frage: Was ist erforderlich? Da sagt er:Erforderlich ist der finanzpolitische Offenbarungseid,
— ja, sehen Sie, ich lese richtig vor —
verbunden mit dem Rücktritt des Hauptschuldigen,
der Helmut Schmidt heißt.
Er war entgegen seinen großspurigen Ankündigungen nicht in der Lage, die aus seinem Amtseid entspringenden Verpflichtungen zu erfüllen.
—Ja, ja, klatschen Sie alle bitte zu dieser unchristlichen Verleumdung, die das Springer-Blatt da wiedergibt!
Klatschen Sie, Christlich-Soziale und Christliche Demokraten, zu dieser unchristlichen Verleumdung!
Das ist j a nur ein Hinweis auf Ihren Zustand, nicht ein Hinweis auf den Zustand der Ernstzunehmenden.
Da heißt es weiter — damit Sie noch weiterhin Genuß haben an Ihrem Lieblingsblatt —:Es ist auch verfehlt, wenn SPD und besonders FDP nach der Gemeinsamkeit aller Parteien bei der Ausmistung des finanziellen Augiasstalles rufen. Ohne die FDP wäre dieser Verfall unserer öffentlichen Finanzwirtschaft nicht möglich geworden...
Hier sehen wir die Rollenverteilung: Strauß in einem besonderem Gehege des Springer-Blatts und Sie, Herr Zimmermann, der Sie wissen, wo das Loch gelassen worden ist,
hier in dieser Zusammenkunft.
Nein, nein. Wir wollen die Debatte um das, worum es hier geht, in den vielen Stunden, die noch vor uns liegen, zu einer ernsthaften Erörterung, sei es Kritik, sei es Bemühung um Erläuterung und Erklärung, gestalten. Und so werden wir uns anders verhalten als der, dem hier soeben nach der Einleitung des heutigen Programms zur Debatte so manches aus dem Mund gekommen ist, zu dem man ihm eigentlich dann unter vier Augen einiges sagen möchte. Hier ist alles Mögliche an Entstellungen über die Absichten der Sozialdemokraten und über die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gesagt worden. Ich will Ihnen folgendes sagen:Die Opposition hat im Verlauf der bisherigen Haushaltsberatungen praktisch keine auch nur in irgendeiner Weise relevanten Anstrengungen zu Einsparungsvorschlägen gemacht, sondern im Gegenteil zahlreiche von der Koalition abgelehnte Anträge auf Ausgabenvermehrung vorgebracht.
Das ist die Meinung der sozialdemokratischen Fraktion nach Durchberatung der Haushaltsplanvorbereitungen.
Ich fahre fort:
Demgegenüber haben die Koalitionsarbeitsgruppen, d. h. SPD/FDP, im Haushaltsausschuß den im Entwurf der Bundesregierung eingeschlagenen Sparkurs unterstützt und darüber hinaus weitere Kürzungsbeschlüsse, vornehmlich im konsumtiven Bereich, durchgesetzt, um
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Wehnerso eingesparte Mittel für investive Ausgaben verwenden zu können.
Die SPD-Fraktion begrüßt dieses Engagement der Arbeitsgruppen der SPD und FDP im Haushaltsausschuß und erwartet die Fortsetzung dieser Bemühungen in den weiteren Haushaltsberatungen.
So haben wir es gehalten, uns so werden wir es weiter halten. Sie wissen, daß dieser Haushaltsplan, ungeachtet des Schmutzes,
den Sie versuchen, vorher gegen uns zu spritzen, mit klarer Mehrheit beschlossen werden wird. Sie bauen schon jetzt ein Schreckgespenst des Haushalts 1982 auf. Das ist das ganze an Ihrer armseligen Taktik. Sie haben nicht nur „springernde" Blätter, Sie haben auch andere, die immer etwas aufnehmen, so daß jetzt für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Art Angstgefühl zu der Frage herausgefordert werden soll, was noch alles auf uns zukommt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat festgestellt:Die Bundesregierung ... habe bei der Einbringung des Bundeshaushalts 1981 im Dezember 1980 erklärt, daß sich im Verlaufe der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Mindereinnahmen ergeben und Mehrausgaben unabweisbar werden könnten; sie werde einem solchen zusätzlichen Finanzbedarf durch zusätzliche Kreditaufnahmen Rechnung tragen müssen ... Diese Entwicklung ist eingetreten. Die SPD-Bundestagsfraktion hält deshalb nach eingehender Diskussion eine entsprechende Erhöhung der Kreditaufnahme für geboten.Wir haben weiter festgestellt:Mehrausgaben werden erforderlich für die struktur- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen, die die Bundesregierung unter Mitwirkung der Bundestagsfraktion im März beschlossen hat. Die Bundestagsfraktion erwartet, daß auch die Bundesländer und die Gemeinden in ihrem Verantwortungsbereich zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um die Beschäftigung zu verbessern.Dann kommen wir zu folgenden Feststellungen:Die soziale Sicherheit muß auch unter schwierigen wirtschaftlichen Umständen aufrechterhalten werden. Daher stimmt die SPD-Bundestagsfraktion den erheblichen Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit zu. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt darüber hinaus den Mehrausgaben zu, die erforderlich sind, um gesetzliche Verpflichtungen im Bereich von Sozialleistungen zu erfüllen.Damit werden Ihre Schwindeleien also zurückgewiesen.
— Man merkt, wer sich getroffen fühlt. Ich habe nur mit dem Finger gezeigt.Ich fahre fort:Für die SPD-Bundestagsfraktion gehören Anstrengungen, mit denen die soziale Sicherheit gewährleistet wird, und Anstrengungen, mit denen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, zusammen.
— Ich weiß, ich muß mich gegen Ihr Gebrüll durchsetzen; denn der Präsident wird nichts tun, daß hier nicht fortgesetzt gemotzt wird.
Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben das Wort und können sich durchsetzen.
Dann kommen wir zu folgenden Feststellungen:Die SPD-Bundestagsfraktion erkennt auch im Bereich der äußeren Sicherheit Mehrausgaben als notwendig an. Die Bundeswehr muß in der Lage bleiben, ihren Auftrag zu erfüllen. Dafür sollen unter Anlegung strenger Maßstäbe der Sparsamkeit die Voraussetzungen geschaffen werden.Das ist unsere klare Verdeutlichung dessen, was Sie im Zusammenhang mit diesem Haushalt 1981 mit zu tragen haben.Wir haben weiter festgestellt:Die SPD-Bundestagsfraktion will auch die Voraussetzungen dafür schaffen, die finanziellen Schwierigkeiten des Beschaffungsprojekts „Tornado" zu bereinigen.Ferner:In diesem Zusammenhang erwartet die SPD-Bundestagsfraktion, daß von der Bundesregierung Vorsorge getroffen wird, vergleichbare Entwicklungen bei anderen Beschaffungsvorhaben zu vermeiden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird bei Entscheidungen über Beschaffungsvorhaben darauf achten, daß der Kontrollauftrag des Parlaments rechtzeitig und in gebotenem Umfang erfüllt werden kann.Da haben Sie die klare, wortgetreue Wiedergabe der von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gegen drei Stimmen — bei voller Besetzung der Fraktion — beschlossenen Aussagen und Erklärungen.
Und ich füge noch einige hinzu:
Mehrausgaben hält die SPD-Bundestagsfraktion auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus und des Straßenbaus für erforderlich. Damit sollen die Verpflichtungen, die im Bereich des sozialen Wohnungsbaus eingegangen sind,
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Wehnererfüllt werden. Im Straßenbau soll sichergestellt werden, daß begonnene Baumaßnahmen abgeschlossen und verkehrswirksam werden können. Beide Maßnahmen dienen der Stabilisierung der Beschäftigungslage.Auch das ist einstimmig so gesagt und zu Papier gebracht worden.Wir haben erklärt, daß wir offen aussprechen,daß auch die kommenden Haushaltsjahre unter dem starken Druck insbesondere weltwirtschaftlicher Probleme stehen werden. Nur mit großen Anstrengungen aller Beteiligten kann es gelingen, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen, unsere Abhängigkeit vom Öl zu mindern und die negativen Folgen hoher Zinssätze abzumildern.Wir haben uns dann bemüht, zu verdeutlichen, was die Notwendigkeit der Eindämmung der hohen Neuverschuldung, über deren Problematik sich die Fraktion voll im klaren ist, und damit auch der Verringerung der Zinskostenbelastung erfordert. Dazu gehören erstensim Interesse verstärkter beschäftigungspolitischer Wirksamkeit des Bundeshaushalts weitere Umschichtungen zugunsten investiver Ausgaben,dazuweitere gesetzgeberische Maßnahmen zum Abbau von Subventionen,fernerErhöhung der Eigenbeteiligung der Unternehmen bei staatlich geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben,fernersozial ausgewogene Einsparungen im Bereichder Personalkosten der öffentlichen Haushalteund schließlichMaßnahmen gegen Steuerhinterziehung, Subventionsbetrug oder auch Mißbrauch von Sozialleistungen durch Wirtschaft und/oder Private.Damit haben Sie nicht nur die Willensrichtung, sondern auch den Wegweiser, den die Bundestagsfraktion der SPD im Zuge der Beratungen und Entscheidungen über den Haushalt 1981 für sich selbst aufgestellt hat.
Herr Zimmermann hat einiges gesagt, was j a von seiner eigenen Partei und auch dem Parteibündnis CDU/CSU immer wieder als ein Streitobjekt aufgebracht wird. Da geht es um das, was NATO-Doppelbeschluß genannt wird. Ich möchte dazu sagen: Auf dem NATO-Doppelbeschluß zu bestehen bedeutet, zu erreichen, daß der Bestandteil Rüstungsbegrenzung/Rüstungsverringerung schließlich zur Realität gebracht werden soll. Das ist unsere Richtung.
Wir verstehen die Sorgen, die Angst vieler, nicht zuletzt auch junger, Mitbürgerinnen und Mitbürger. Aber wir sagen unsererseits zu unseren Verpflichtungen in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft: Bitte, bei allem, was beunruhigt, aus diesen Verpflichtungen nicht aussteigen, sondern bis an die Grenze unserer Möglichkeiten darauf bestehen, daß die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und der UdSSR Tatsache und nicht nur sozusagen Andeutung oder einseitiges Versprechen wird!
— Ihnen, damit Sie wissen, wie die Meinung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wirklich ist; denn in diesem Haus und durch die vielen Blätter, denen Sie j a Ihre Interviews geben, wird es so dargestellt, als herrsche bei der SPD eine völlig andere Auffassung.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Nein, ich verhalte mich so wie die Vorredner.
Meine Damen und Herren, wir wissen, was das bei vielen an Befürchtungen auslöst. Wir sind andererseits der Meinung: Eine aus dem NATO-Bündnis sozusagen austretende Nation — in diesem Fall unsere Bundesrepublik, ein Stück des getrennten Deutschland — würde nicht nur nicht helfen, sondern sowohl uns insgesamt als auch dem Bündnis als auch den von uns dringend nicht nur gewünschten, sondern mit unserem Nachdruck herbeizuführenden Verhandlungen zwischen den Weltsupermächten zum Nachteil gereichen und eventuell die Verhandlungen verhindern oder die Wartezeiten verlängern. Es kommt auf die Verhandlungen an, und wir möchten unseren Beitrag dazu leisten.
Da ich vorhin davon gesprochen habe, daß Sie j a wieder einmal eine Rollenverteilung vornehmen — heute ist Herr Strauß, auf den sich der Herr Zimmermann wiederholt berufen hat, nicht da, hat aber „gespringert" mit einem Interview, das zur gleichen Zeit erschien —, lassen Sie mich einiges in Erinnerung bringen. Manchen wird das zur Erinnerung dienen; andere werden sagen: Man müßte sich vergewissern, ob das, was da zitiert wird, eigentlich im Einklang mit dem steht, was passiert.Ich zitiere hier und berufe mich auf eine Auseinandersetzung, die am 30. Juni des Jahres 1960 geführt worden ist. Da habe ich in der Diskussion mit dem damaligen Bundesminister der Verteidigung, — es war Herr Strauß, der jetzige Ministerpräsident des Freistaats Sachsen — —
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Wehner— Bayern! Ich wollte den j a nicht beleidigen. Natürlich kann der nicht Ministerpräsident in Sachsen sein. Aber wenn ich „Freistaat" sage, denke ich immer daran, daß es in der Zeit bis zum Ende des vorigen Krieges einen „Freistaat Sachsen" gegeben hat. Es war meine Heimat; nicht der Freistaat, aber der Geburtsort. Ich bitte Sie also um Verständnis.Ich berufe mich hier auf den Bundesminister der Verteidigung von 1960, der damals in Schleswig gesagt hatte, eine angestrebte gemeinsame Außenpolitik von Regierung und Opposition sei eine Frage von großer politischer Bedeutung, denn sie würde nicht nur der jetzt amtierenden Regierung — das war die damals amtierende Regierung —, sondern auch künftigen Regierungen auf lange Sicht die politische Freundschaft der Verbündeten garantieren.Kurz darauf hat der damalige Verteidigungsminister in Erlangen von vier Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik gesprochen. Ich habe die vier Voraussetzungen, die er genannt hat, damals auch im „Deutschland-Union-Dienst" wiedergefunden. Das waren folgende; damals war er Regierung und wir Opposition, und jetzt ist es umgekehrt.Er nannte a): Die Sozialdemokraten müßten gemeinsam mit der CDU anerkennen, daß die europäische Einheit und die atlantische Allianz Voraussetzung für die Erhaltung der Freiheit und die Erlangung der deutschen Wiedervereinigung sind. Da verzeichnet das Protokoll des Bundestags: „Sehr richtig! bei der CDU/CSU."Dann kommt b): Die Sozialdemokratische Partei müsse sich von der alten These distanzieren, daß die Wiedervereinigung nur möglich sei, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus der NATO und aus den europäischen Bündnissystemen ausscheide.
— Ich komme ja noch zu den Antworten.
Es hieß c): Die Sozialdemokraten müßten nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat bereit sein, mit den Unionsparteien die Lasten und Bürden der Landesverteidigung zu tragen, gleichgültig, wer in der Regierungsverantwortung und wer in der Opposition stehe.Wenn ich das heute umgekehrt sage, werden Sie sagen: Das gilt aber nicht, weil ihr Sozis seid und wir damals die Würdigeren waren — damit meine ich Sie von der CDU/CSU —.Dazu gibt es noch ein Anhängsel, das nicht numeriert ist, sondern sozusagen zwischen der dritten und vierten Voraussetzung steht: Die Sozialdemokraten müßten alle irgendwie gearteten Disengagement-Pläne aufgeben. Sie müßten den Begriff Selbstbestimmungsrecht für ganz Deutschland, d. h. nach freien Wahlen für die Wiedervereinigung, uneingeschränkt anerkennen.Das waren die vier Voraussetzungen, die damals Franz Josef Strauß in seiner Eigenschaft als Verteidigungsminister öffentlich nicht nur gesagt hat, sondern auch zu Papier hat bringen lassen, mit einigen kleinen Änderungen, auf die ich eben schon zwischendurch hingewiesen habe.Ich habe damals für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dazu folgendes erklärt:Zu a. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, daß das europäische und das atlantische Vertragssystem, denen die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.Zu b. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat nicht gefordert und beabsichtigt nicht, das Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus den Vertrags- und Bündnisverpflichtungen zu betreiben.Sie ist der Auffassung, daß ein europäisches Sicherheitssystem die geeignete Form wäre, den Beitrag des wiedervereinigten Deutschland zur Sicherheit in Europa und in der Welt leisten zu können.Zu c. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich in Wort und Tat zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundrechte und der Grundordnung und bejaht die Landesverteidigung.Ich habe dann hinzugefügt, daß unterschiedliche Auffassungen über Zweckmäßigkeiten auf diesem Gebiet, die im demokratischen Staat ja legitim sind und die demokratisch-parlamentarisch ausgetragen werden können und müssen, doch nicht bedeuten, daß etwa die parlamentarische Opposition weniger verantwortungsfreudig wäre als die Regierung. So damals ich für die parlamentarische Opposition gegenüber der Regierungspartei. Heute könnte man das zwar auch umgekehrt sagen, würde aber ins Leere sprechen,
weil sich die jetzige Opposition ganz anders berufen fühlt, auch in ihrer Art, in schwerer Zeit trotz schwieriger Aufgaben und trotz großer Lasten,
der Regierung immer noch weitere Lasten, nämlich der hiesigen Art der Auseinandersetzung aufzubürden.Ich habe zu der Unterfrage oder Untervoraussetzung, allen Disengagement- Plänen abzuschwören, hinzugefügt, dazu würde ich mich auf folgende Erklärung berufen, die ich dann wörtlich wiedergegeben habe. Ich werde dann sagen, von wem die Erklärung kommt. Ich zitiere:Wir Deutsche wollen nicht als Störenfriede auf dem Wege zur Abrüstung erscheinen. Wir halten auch die Abrüstung für ein essentielles Moment auf dem Wege zur Entspannung. Es wäre selbstverständlich unehrlich, zu sagen: Es mag kontrolliert und inspiziert werden auf der Welt, nur nicht bei uns, sondern wir müssen hier das gute Beispiel geben, und wir sind bereit, die Bundesrepublik ganz oder teilweise zu einem Bestandteil einer Kontroll- und Inspektionszone zu machen. Das heißt nicht, daß die Kontroll- und Inspektionszone identisch ist mit den geographischen Grenzen der Bundesrepublik,
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2248 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Wehneraber die Bundesrepublik ganz oder teilweise zu einem Bestandteil einer Kontrollzone zu machen nach den Vorschlägen, die zwischen den Großmächten vereinbart werden können. Einigen sich die Großmächte nicht, so wäre ein solcher deutscher Vorschlag von sich aus wohl nicht von weltentscheidender Bedeutung, einigen sich die Großmächte jedoch, so stehen wir nicht durch irgendwelche deutschen Sonderwünsche dieser Einigung im Wege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, und wie wollen Sie es denn? Sie wollen doch wohl Disengagement. — Nein, habe ich gesagt, sondern so.
Letzter Punkt der Fragen, die uns damals sozusagen mit prüfendem Blick vorgehalten worden sind. Ich berufe mich, habe ich damals gesagt, auf den Wortlaut des Beschlusses, den der Bundestag am 1. Oktober 1958 einstimmig, mit den Stimmen der Sozialdemokraten, in Berlin gefaßt hat, der lautete — es war ein kurzer Beschluß —:
Der deutsche Bundestag erwartet die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands
— das war damals noch ein Thema, ein aktuelleres, als es inzwischen hat sein können —
von einem unmittelbaren freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen, der nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit liegenden Hindernisse herbeizuführen ist.
Der Deutsche Bundestag erklärt seine Bereitschaft, jede Verhandlung zu unterstützen, die die Wege zu einem solchen Willensentscheid des deutschen Volkes ebnet, sobald eine Vereinbarung der Vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat.
Das ist damals einstimmig vom ganzen Deutschen Bundestag beschlossen worden. Wir waren damals die Opposition. Wir haben hierin unsere Pflicht gesehen. Heute läßt sich etwas Entsprechendes überhaupt nicht denken, weil Sie ja von Ihrer Rolle als Opposition eine völlig andere Auffassung haben, als wir sie gehabt haben, als wir sie selbst als Opposition in diesem nach dem Kriege zustande gekommenen demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland verstanden haben und der entsprechend wir uns bewegt haben.
Das ist es, was ich in Erinnerung bringen will. Es könnte sein, daß das die heutige Debatte überhaupt nicht beeinflußt, es könnte allerdings auch sein, daß der eine oder die andere mal nachguckt, ob der Wehner hier nicht gemogelt hat. Ich habe genau die Texte gegeben, um die seinerzeit gerungen worden ist und für die wir uns dann auch eingesetzt haben. Heute haben wir eine Opposition, die Obstruktion gegen eine Regierung macht, die es schwer genug
hat. Da stellen wir uns alle vor die Regierung, bei allen Unterschieden in den politischen Auffassungen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Herr Kollege Zimmermann für die Opposition die große politische Oppositionsrede zum Haushalt gehalten hat, werden Sie sich nicht wundern, daß ich für meine Fraktion dann auch die Antwort darauf gebe. Wenn der Kollege Zimmermann gemeint hat, er müsse für diesen Haushalt Begriffe wie „tönerne Füße" und „abblätternde Fassade" gebrauchen, dann kann ich nur sagen: er hat sich doch hier als Klinkerfassadenkletterer entpuppt, der sich ganz offensichtlich in der Steilwand verstiegen hat.
Natürlich haben die Freien Demokraten das, was sie bei den haushalts- und finanzpolitisch anstehenden Entscheidungen der vergangenen Jahre für richtig hielten, aus ihrer Überzeugung hier vorgetragen. Sie haben es dann auch in die politischen Kompromisse eingehen lassen. Wenn wir Zweifel hatten, ob diese politischen Kompromisse vertretbar waren, hat uns die Opposition mit ihrer Haltung jedesmal dabei geholfen, die Gewißheit und die Überzeugung zu finden, daß der Kompromiß richtig ist. Denn in „mehr Ausgaben" oder in „mehr Steuererleichterungen" haben Sie alle in diesem Hause noch immer überboten.
Ich nehme es auf, wenn Herr Kollege Zimmermann uns an einer ganz kritischen Stelle unseres Grundgesetzes anmahnt und abmahnt: bei dem Art. 115. Natürlich darf er für eine expansive Haushaltspolitik kein Persilschein sein. Das soll er auch nicht sein. Aber um endlich zu begreifen, daß an dieser Grenze haltzumachen und umzukehren ist, dafür braucht man keine Weißmacher, aber natürlich auch keine Weichmacher.
Ich darf zunächst einen Disput unter Freunden aus der gestrigen Debatte aufnehmen. Der Kollege Grobecker hat gemeint, ich hätte gestern bei der aus der Sicht der Freien Demokraten unumgänglichen und notwendigen Konsequenz, die es im Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 aus den Daten des Haushalts 1981 zu ziehen gilt, etwas schonungslos bestimmte Bereiche, sensible Bereiche, nämlich den Sozialbereich, in meine Überlegungen einbezogen. Dazu muß ich sagen: ich habe bei den hier vorgetragenen Vorstellungen der Freien Demokraten genau das politische Handlungskonzept vorgetragen, das wir in der Koalition aus den bitteren Erfahrungswerten, die wir Haushaltspolitiker der Koalition eingesammelt haben, in einer gemeinsamen Erklärung
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Hoppevom 27. Mai hier miteinander formuliert haben. Ich bin keinen Schritt über diese gemeinsam gezogene Marke der politischen Handlungsnotwendigkeit hinausgegangen, meine verehrten Freunde von der SPD.
Wenn Sie aber — und das sage ich mit der Bitte, uns handlungsfähig zu lassen — den notwendigen Anlauf für künftige Operationen jetzt schon verkürzen, dann werden wir auch wieder zu kurz springen. Und genau das darf uns nicht passieren.
Denn — und das war es doch, was wir miteinander zu registrieren hatten — die goldenen Jahre der Sozialpolitik zu Anfang des vorigen Jahrzehnts haben ebenso wie die Finanzierung der Zukunftsinvestitionen ihre Schleifspuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen.Der überproportionale Schuldenzuwachs im Bundeshaushalt ist einerseits durch verstärkte Anforderungen auf der Ausgabenseite und andererseits durch die ungünstige Strukturentwicklung im Steueraufkommen entstanden. Der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen ist nämlich ständig gesunken. Im Jahr 1972 entfielen auf ihn noch 51,6 % des gesamten staatlichen Steueraufkommens; im Jahr 1979 waren es nur noch 48,8 %.Bedingt ist dieser für den Bund negative Trend dadurch, daß er an der sich dynamisch entwickelnden Lohn- und Einkommensteuer mit weniger als der Hälfte beteiligt ist und ihm die unterproportional wachsenden Verbrauchssteuern zustehen. Die Mehrwertsteuer, von der der Bund 66 % beansprucht, entwickelt sich bestenfalls im Gleichklang mit dem Gesamtsteueraufkommen. Und was die Finanzierung der immer drückender werdenden außenpolitischen Verpflichtungen angeht, so werden die Bundesländer ihren Anteil an der soliden Finanzierung gerade des deutschen Beitrags im internationalen Maßstab nicht verweigern können.
Herr Abgeordneter Hoppe, gestatten Sie mir eine kurze Unterbrechung.
Bitte, Herr Präsident.
Darf ich bitten: Die Abgeordneten, die an dieser Debatte teilnehmen, mögen ihre Plätze einnehmen.
Herr Abgeordneter Hoppe, bitte fahren Sie in Ihren Ausführungen fort.
In den vergangenen Jahren hat der Bund — das war unsere gemeinsame Entscheidung, und dazu stehen wir — vorrangig die finanziellen Lasten für all das zu tragen gehabt, was ihm als Konjunkturlokomotive aus innen- und außenpolitischen Verpflichtungen aufgebürdet wurde. Dabei haben wir nicht wahllos und willkürlich eine Schuldenlast in dieser Höhe angehäuft. Die weltweite Krise hat viele Gründe für eine solche expansive Haushaltspolitik geliefert.Auch daran sollten sich alle erinnern: Für diese Politik und diese politischen Entscheidungen der Vergangenheit haben uns die Sachverständigen, Bundesbank und Räte stets ihren zustimmenden Rat und ihre Empfehlung für eine solche defizitäre Politik geliefert.Wir können an dieser Stelle nur noch fragen, ob uns bei der Bewältigung der daraus entstehenden Aufgaben die Finanzplanung — wir versuchen immer noch, uns damit einen Handlungsrahmen zu schaffen und Zielvorgaben zu geben — sehr geholfen hat. Ich habe den Eindruck, daß das nicht der Fall war. Denn wenn wir von Konsolidierung gesprochen haben, dann fand sie in der Tat immer nur in der mittelfristigen Finanzplanung statt. Dort, bei den Zahlen des vierten oder fünften Jahres, konnten Sie die Konsolidierung ablesen.
Aber die sich ständig — und zwar hektisch — verändernden Konjunkturdaten der letzten Jahre haben diese Finanzplanungszahlen ständig überholt und „erschlagen".Wie sieht es denn mit dem Handlungsspielraum in der Haushaltspolitik wirklich aus? Er ist nun einmal so gering, daß die Beschlüsse, von denen wir nun so häufig geredet haben und von denen wir so viel hören, unumgänglich und unausweichlich sind. Wir müssen in die Leistungsgesetze eingreifen. Mit Ausgabenkürzungen ist hier nichts mehr zu bewirken. Meine Damen und Herren, das bedeutet, daß wir — neben dem Block der Personalausgaben — nun einmal in erster Linie den Block, und zwar den großen Block, der Transferleistungen vor uns sehen müssen.Bei der Beurteilung der möglichen und notwendigen Einsparungen im Personalhaushalt werden wir uns sicher immer wieder mit dem Gegenargument auseinanderzusetzen haben: Einstellungsstopp verschärft die Arbeitsmarktlage. Aber dennoch müssen sich hier alle von diesem Teil der Lasten — auch des Bundeshaushalts — befreien. Im Haushaltsgesetz 1981 haben wir den ersten Schritt getan.Die bedeutenden Transferleistungen belaufen sich gegenwärtig auf eine Größenordnung von rund einem Drittel der Bundesausgaben. Wer es ehrlich meint und wer Handlungsfähigkeit, von der er redet, wirklich zurückbekommen will, um die Aufgaben der 80er Jahre zu lösen, muß auch zugreifen, und zwar auch dort, wo es schmerzhaft ist.
Meine Damen und Herren, ich habe es deshalb sehr bedauert, daß die Opposition auf den Vorschlag, sich in einem Allparteiengremium dieser wichtigen Aufgabe zu stellen und sich hier zu engagieren, ablehnend reagiert und ihn zurückgewiesen hat. Ich habe Verständnis dafür, daß sich die Opposition
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Hoppeauch dabei vornehm zurückhält und die überfälligen Eingriffe den Regierenden überlassen will. Wir sind eine solche vornehme Zurückhaltung der Opposition gewöhnt. Gerade deshalb ist es die Bewährungsprobe der Koalition, vor der sie steht, mit dieser notwendigen und angekündigten Entscheidung fertigzuwerden und vor dieser Aufgabe auch zu bestehen.
Was den Verteidigungshaushalt angeht, meine Damen und Herren, so werden wir ihn, wie es auch 1981 geschieht, so dotieren, daß die Bundesregierung in der Lage ist, daß wir in der Lage bleiben, die international eingegangenen und international übernommenen Verpflichtungen auch zu erfüllen. Aber wie schon im laufenden Haushaltsjahr: Auch auf der Hardthöhe, auch bei den Streitkräften muß das Prinzip der Sparsamkeit endlich einkehren. Mit dem Größenwahn „Wir brauchen alles, und wir kriegen alles" muß endlich Schluß gemacht werden, auch in der Bundeswehr.
Nur wenn wir auch dort mit unseren Anstrengungen, aber auch im Umgang mit unserem Geld so preußisch sein werden, daß wir in der Bevölkerung wieder Vertrauen in das Finanzgebaren der Bundeswehr wecken, Vertrauen darin, daß wir mit dem Geld des Steuerzahlers für die Bundeswehr vernünftig umgehen, erst dann wird es möglich sein, Verständnis für notwendige Verteidigungsausgaben auch in Zeiten der drückenden Geldknappheit zu gewinnen. Nur mit einer solchen im Vertrauen der Bevölkerung stehenden Bundeswehr wird es gelingen, den schwierigen Prozeß zu bewältigen, in dem sich alle Parteien in der Diskussion mit den Bürgern befinden. Wir müssen klarmachen, daß wir uns nicht zu mehr Verteidigungsausgaben, nicht zu einer stärkeren Rüstung gezwungen sehen, weil wir den Krieg machbarer machen wollen,
sondern weil wir ihn verhindern wollen. Daß diese Politik des Gleichgewichts den Frieden bisher bewahrt hat, sollten wir allen immer wieder ins Bewußtsein bringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für gute Politik gibt es einen gültigen Maßstab: die Kraft, den Wandel zu gestalten und damit die Zukunft zu meistern. Legt man diesen Maßstab an Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, dann wird einem erst deutlich, wie sehr Sie vor Ihrer eigentlichen Aufgabe, dem deutschen Volk den Weg in die Zukunft freizuhalten,versagt haben, und zwar entscheidend versagt haben.
Von Gestaltung der Zukunft kann bei Ihrer Politik auch noch nicht einmal ansatzweise mehr die Rede sein. Die Probleme wachsen Ihnen ganz sichtbar über den Kopf. Einer der angesehensten deutschen Journalisten, Fritz Ullrich Fack von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" spricht — ich zitiere — von der Tatsache, daß heute definitiv gefährdet ist, was die Bundesrepublik in 30 Jahren an internationalem Ansehen, an Vertrauen und Verläßlichkeit, aber auch an wirtschaftlicher Kraft, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Befriedung erreicht hat.Sie häufen einen Berg von Schulden auf und fragen nicht danach, wie die Generationen nach Ihnen damit fertig werden sollen. Ich meine, ohne Rücksicht auf die, die nach ihr kommen, sollte keine Regierung handeln. Wir dürfen der Jugend den Weg in die Zukunft nicht in dieser Weise versperren, wie Sie es mit dieser Politik tun.
Jetzt rächt sich, daß Sie jahrelang all unsere Warnungen und Vorschläge in den Wind geschlagen haben.
Sie haben Ansprüche gezüchtet, den Staatsapparat aufgebläht, Leistung bestraft und unbedenklich aus dem Vollen geschöpft. Sie haben sorglos über die Verhältnisse unseres Staates und seiner Bürger gelebt. Nun werden Sie sichtbar von Ihren eigenen Sünden eingeholt und überrollt.Herr Bundeskanzler, wenn heute Wohnungen nicht gebaut werden, wenn heute nicht hinreichend investiert wird, wenn energiepolitische Entscheidungen nicht getroffen werden, wenn so zusätzlich Arbeitslosigkeit und Finanzschwäche im System unserer sozialen Sicherheit heraufbeschworen werden, wenn unser außen- und sicherheitspolitischer Handlungsspielraum wegen der galoppierenden Haushaltsprobleme verengt wird, so ist das eine Folge der Tatsache, daß Sie die finanzielle und politische Handlungsfähigkeit unseres Staates verspielt haben, und zwar ohne jede Notwendigkeit und ohne jedes Augenmaß.
Die Zeche zahlen die kleinen Leute, beispielsweise die Kinderreichen, die vergeblich nach einer Wohnung suchen, beispielsweise die Arbeitnehmer in den ländlichen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland, die Zeche zahlt unser Staat mit schwindender Investitionskraft. Ich halte das für eine der bedenklichsten Folgen Ihrer Politik.Sie haben einmal — ich erinnere mich noch daran — mit der Parole von der öffentlichen Armut angefangen, die Sie beseitigen wollten. In diesem Jahr, im Etat 1981, haben die investiven Ausgaben unseres Staates mit 13,8 % der gesamten Ausgaben den geringsten Stand erreicht, den sie jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatten. Was heißt das? Das heißt, daß trotz Milliarden-Ber-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2251
Dr. Wörnergen von Schulden der Staat genau für das, was die Zukunft sicherer macht, kein Geld oder nicht hinreichend Geld mehr hat.
Die Zeche zahlen im übrigen die Bürger unseres Landes mit weniger Sicherheit nach innen wie nach außen.Ihrer Politik fehlen drei Dinge: einmal die Glaubwürdigkeit, zweitens der Mut und drittens die vorausschauende Führung.Es fehlt Ihnen die Glaubwürdigkeit. Im Jahre 1972, Herr Bundeskanzler, hat die Union vor den Folgen der Inflation gewarnt. Damals hat Helmut Schmidt unsere Warnungen als Schwarzmalerei abgetan. Ich erinnere noch an seine Aussage: 5 % Inflation sind mir lieber als 5 % Arbeitslosigkeit. — Kurze Zeit später war die Arbeitslosigkeit da.Im Wahlkampf 1976 haben wir auf das Problem der Rentenfinanzierung aufmerksam gemacht. Helmut Schmidt damals: Ein Problemchen! — Die Quittung kam kurz nach den Wahlen.1980 haben wir auf die Politik der Verschuldung und ihre Folgen aufmerksam gemacht. Auch damals, Herr Bundeskanzler — und das ist noch nicht einmal ein Jahr her —, haben Sie versucht, unsere Warnungen als Schwarzmalerei abzutun. Heute beschwören Sie selbst die Folgen Ihrer eigenen unseligen Verschuldenspolitik. Ich kann nur sagen: So bringt man sich um den Rest der Glaubwürdigkeit draußen bei den Menschen in unserem Lande.
Am 14. Mai dieses Jahres, in der letzten Sitzungswoche, haben Sie, Herr Bundeskanzler, hier im Bundestag unsere Sorgen wegen der Finanzierung des Verteidigungsetats als lächerlich abgetan und von einem „Sommergewitter" gesprochen. Nicht einmal drei Tage danach mußte Ihr eigener Regierungssprecher bestätigen, daß die Bugwelle, die sie vor sich herschieben, das Defizit, das Sie im nächsten Jahr erwartet, allein im Bereich der Verteidigung an die 4 Milliarden DM beträgt.
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Passen Sie nur auf, daß Sie von den Hagelschauern dieses Sommergewitters nicht ganz übel zugerichtet werden. Die ersten Folgen sind schon spürbar.
Ich sagte: Es fehlt Ihnen der Mut. Sie haben die Dinge treiben lassen, in Ihrer Partei und in der deutschen Politik. Sie haben viel zu lange geschwiegen. Sie haben zugesehen, wie man Ihnen und Ihrer Politik mehr und mehr ideologische Fesseln angelegt hat. In der Energiepolitik: Herr Bundeskanzler, warum sind Sie nicht auf den Parteitag der SPD nach Hamburg gefahren, als dort die Entscheidung über Brokdorf getroffen wurde? Da hätten Sie Mut und Führungskraft zeigen können.
In der Verteidigungspolitik: Sie haben es lange genug hingenommen, daß man die Sowjetunion undihre expansive Politik verharmlost und verniedlicht hat. Sie haben nichts gesagt, als Herr Wehner die Aufrüstung der Sowjetunion als defensiv bezeichnet hat.
Sie haben die Zusammenarbeit mit Kommunisten in Ihrer Partei geduldet, und Sie nehmen jetzt wieder hin, ohne daß Sie etwas dagegen tun, daß trotz der Warnungen Ihres Bundesgeschäftsführers Glotz Teile der SPD, auch Bundestagsabgeordnete, gemeinsame Sache mit Kommunisten gegen den Nachrüstungsbeschluß, gegen den Doppelbeschluß der NATO machen. Da fehlt es an Mut.
Herr Bundeskanzler, Sie haben es zugelassen, daß Ihr Verteidigungsminister unter dem Druck der Straße in die Knie gegangen ist und die öffentlichen Gelöbnisse ausgesetzt hat. Hören wir doch endlich auf, die junge Generation in unserem Staat mit den paar Krawallmachern in eins zu setzen! Die jungen Leute sind wesentlich besser als ihr Ruf. Und diese jungen Wehrpflichtigen, die wollen die öffentlichen Gelöbnisse, die wollen sich vor unserem Volk zeigen, die wollen öffentlich dartun, daß sie für diesen Staat und seine Verteidigung stehen.
Jetzt — zu spät — sind Sie jedenfalls teilweise zum Kampf angetreten. Ich sage ohne Häme: Wir alle fürchten, daß Sie die Dinge nicht mehr in den Griff bekommen, und die Entwicklung in Ihrer Partei zeigt es uns täglich. Die letzte Woche war ein plastisches Beispiel dafür.Ich finde, das Schlimmste an der gegenwärtigen Situation ist, daß sich die Krise in der SPD auf diesen unseren Staat überträgt, daß die Handlungsunfähigkeit der SPD auch die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung bedeutet. Das ist die eigentliche Gefahr in dieser Situation.
Ich sage Ihnen ein Drittes: Es fehlt Ihnen an vorausschauender Führungskraft. Herr Bundeskanzler, Sie hätten unserem Volke rechtzeitig sagen können und rechtzeitig sagen müssen, daß jetzt ein Punkt erreicht ist, wo man zurückstecken muß. Statt dessen haben auch Sie neue Begehrlichkeiten geweckt. Sie sind in einen Wahlkampf gezogen und wußten ganz genau, wie die Situation aussieht; denn seitdem hat sich nichts Entscheidendes verändert. Sie haben sich nicht gescheut, für ein Parteiprogramm geradezustehen, für ein Wahlprogramm einzutreten, das angesichts dieser Lage in unserem Volk beispielsweise die Herabsetzung der Arbeitszeit versprochen hat.Ich kann Ihnen nur sagen: meine Erfahrungen mit den Leuten draußen, gerade mit den sogenannten einfachen Leuten, auf die Ihre linken Intellektuellen so gerne herabschauen, sind die: In unserem Volk weiß jeder tief drinnen, daß es so nicht weitergehen kann! Sie warten nur auf einen Bundeskanzler, der ihnen reinen Wein einschenkt und sagt: „Jetzt müssen wir das Steuer herumreißen!", und zwar nicht,
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Dr. Wörnerwenn es zu spät ist, Herr Schmidt, sondern wenn noch Zeit ist, die Dinge zu wenden.
Ich will Ihnen noch ein Beispiel des Mangels an vorausschauender Führung geben. Sie sind ehemaliger Verteidigungsminister. Ich vermute, daß Sie in dieser Frage nicht viel anders denken als wir von der CDU/CSU. Als damals die Wehrdienstverweigererzahlen in die Höhe gingen, da wäre es Ihre Aufgabe gewesen, vor der jungen Generation klarzumachen, daß vor dem Recht die Pflicht steht, daß ohne Soldaten, ohne die Bundeswehr, ohne das Bündnis der Friede nicht gesichert werden kann. Statt dessen haben Sie ein Gesetz mitgetragen — das sogenannte Postkartengesetz —, das geradezu eine Prämie für Wehrdienstverweigerer bedeutet hätte, wenn wir es nicht zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht hätten.
Eines tut mir leid, Herr Bundeskanzler, und ich sage das gegen mein Parteiinteresse: Sie wären der Mann gewesen, der in diesem Volk den Respekt genossen hätte, dem man das abgenommen hätte. Wenn Sie so mit unserem Volk geredet hätten, wie Sie das hätten tun können, hätten tun müssen, wenn Sie diese Ihre Führungsaufgabe rechtzeitig wahrgenommen hätten, dann müßten Sie jetzt nicht die Scherben Ihrer Politik allüberall aufklauben und zusammensuchen.
Was brauchen wir jetzt? Im außenpolitischen Bereich brauchen wir erstens eine neue Politik aktiver Friedenssicherung, eine Politik, in der die Elemente der Konfliktverhütung, der Eindämmung der sowjetischen Expansion und das Angebot zu weltweiter Zusammenarbeit in einer umfassenden Strategie verbunden werden.
Entscheidend ist, daß die einzelnen Elemente dieser Politik verbunden und voneinander abhängig gemacht werden müssen. Hier sind Meinungsverschiedenheiten mit der amerikanischen Regierung, die eben noch nicht ausgeräumt sind. Deswegen sagen wir als CDU/CSU Ihnen: Die Leistungen des Westens auf allen Gebieten müssen an politische oder wirtschaftliche Gegenleistungen des Ostens gebunden werden. Der Sowjetunion muß deutlich gemacht werden, daß sie nicht beides gleichzeitig haben kann, Hilfe des Westens auf der einen Seite und gewaltsame Machtausbreitung auf Kosten des Westens auf der anderen Seite.Zweitens. Was wir als nächstes bräuchten und brauchen, ist eine energische Kampagne zur Aufklärung unserer Jugend und unserer Bevölkerung insgesamt über den Zusammenhang zwischen Friedenssicherung und Verteidigung, zur Aufklärung über Bundeswehr und Bündnis.
In diesem Punkte sind wir völlig mit dem Kollegen Möllemann einig, der das hier im Deutschen Bundestag vor einiger Zeit auch vorgeschlagen hat.Noch ist unser Volk — auch die junge Generation — in seiner breiten Mehrheit von der Notwendigkeit der Bundeswehr überzeugt. Noch ist die Mehrheit der Jungen bereit, ihren Wehrdienst zu leisten. Diese junge Generation darf — ich sage es noch einmal — von uns allen nicht in eins gesetzt werden mit den wenigen Krawallmachern, mit den wenigen Chaoten und Aussteigern. Die meisten sind kritische junge Leute, junge Leute, die einem zuhören, die allerdings eines wollen — und das sage ich dem Herrn Ehmke, der immer wieder behauptet, die CDU stelle sich nicht dem Dialog mit der jungen Generation —, die eines spüren wollen, nämlich daß man einen eigenen klaren Standpunkt hat und daß man mit Argumenten überzeugen kann. Mit Anpassung und Opportunismus ist bei der jungen Generation — auch und gerade in Verteidigungsfragen — nichts zu holen.
Zu diesem Dialog gehört dreierlei: einmal der Mut, die Bedrohung ohne Übertreibung, nüchtern und ohne Haß beim Namen zu nennen. Dazu gehören ferner Geschichtskenntnisse,
und dazu gehört schließlich die Aufklärung über die expansive Politik des Sowjetkommunismus.Wenn Sie fragen „Welche Geschichtskenntnisse?", kann ich nur sagen, offensichtlich fehlt Ihnen selber der Geschichtsunterricht. Geschichte kann man nicht — weder nach der einen noch nach der anderen Seite — selektiv betreiben. Wir können vor keiner Epoche der deutschen Geschichte die Augen verschließen.
Es stimmt nun einmal — das muß den jungen Leuten und nicht nur den jungen Leuten gesagt werden —, es ist doch eine Tatsache, daß die sowjetischen Ausgaben für Rüstung, vor allem für strategische Waffen, in dem mit „Entspannung" bezeichneten Zeitraum rascher als während des sogenannten kalten Krieges gestiegen sind. Seit über einem Jahrzehnt hat die Sowjetunion für ihre konventionelle Rüstung doppelt soviel wie die Vereinigten Staaten ausgegeben, und ihre Investitionen in die strategische Nuklearrüstung waren dreimal so hoch wie die der Vereinigten Staaten.Ein Mann, der selbst aus der Sowjetunion kommt, der ein führender Wissenschaftler an der Moskauer Akademie der Wissenschaften gewesen ist, Woslenski, hat unlängst einen Satz geschrieben, den ich für bemerkenswert halte:Es ist an der Zeit,— so schreibt dieser Mann, der die Kommunisten kennt —
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Dr. Wörnerzu begreifen, daß die Sowjetunion in Europa nicht deshalb aufrüstet, weil sie sich hier bedroht fühlt oder westliche Abrüstungsmaßnahmen vermißt. Sie rüstet auf, weil dies ihre Politik ist.Ich kann nur sagen, wenn wir anfangen, dies ernst zu nehmen, dann endlich betreiben wir eine illusionslose Politik, statt daß wir uns — wie der Herr Brandt noch in der letzten Woche — hier hinstellen und wieder diese totale Illusion einer sogenannten Null-Option an die Wand malen. Wir alle wollen natürlich die Null-Option. Wir wollen doch keine Raketen! Wir wollen, daß die Sowjetunion ihre Raketen abbaut. Aber es ist doch völlig unglaubwürdig, anzunehmen, daß sie das tun wird, zumal sie sieht, welche Schwierigkeiten Sie in der SPD und neuerdings auch in der FDP haben, auch nur Ihre Beschlüsse durchzusetzen.
Zu diesem Dialog gehört zum anderen das unerschrockene Bekenntnis zur Bundeswehr und ihrem friedenssichernden Auftrag. Meine Damen und Herren, die Pazifisten — solche, die es redlich meinen, und solche, die andere Motive haben — wollen unseren jungen Leuten einreden, daß der ein besserer Mensch oder ein besserer Christ sei, der den Dienst mit der Waffe ablehne. Wir dagegen — und ich hoffe, das findet die Zustimmung aller Fraktionen in diesem Hause — müssen immer wieder betonen, daß nicht der Pazifismus, sondern die Politik der Friedenssicherung durch Bündnis und Verteidigung Europa in der Nachkriegszeit vor einem Krieg bewahrt hat, als in allen anderen Teilen der Welt 140 Kriege stattgefunden haben. Darum müssen wir wieder und wieder sagen: Pazifismus gefährdet den Frieden; wie ein Sozialdemokrat, ein Professor, in einer Zeitung geschrieben hat. Die Bundeswehr und die Soldaten der Bundeswehr dagegen sichern den Frieden in einer reinen Verteidigungsarmee.
Deswegen dürfen wir es nicht zulassen, daß unseren jungen Leuten, die sich dem Wehrdienst stellen, ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie Dienst am Frieden und Dienst für die Freiheit tun.
Zu diesem Dialog gehört, Herr Bundesverteidigungsminister, auch der Mut, die Bundeswehr zu zeigen, sie nicht zu verstecken. Darum fordern wir mit allem Nachdruck, daß bald wieder öffentliche Gelöbnisse durchgeführt werden.
Wenn der Herr Verteidigungsminister Gelöbnisse außerhalb der Kaserne allerdings durch seinen Generalinspekteur nur ausnahmsweise und nur dann gestattet, wenn deren störungsfreier Verlauf gesichert ist, dann bedeutet das nichts anderes, als daß wir es in die Hand einiger Krawallmacher legen, ob und wann noch öffentliche Gelöbnisse stattfinden können.
Das werden wir nicht akzeptieren.
Dieser Staat darf sich doch das Gebot des Handelns nicht von radikalen Minderheiten aufzwingen lassen. Sonst kommt es soweit, daß sich in diesem Staat die Überzeugung breit macht, daß man Gewalt anwenden muß, Hausbesetzungen durchführen muß, gewalttätig demonstrieren muß, um das Gehör der Politiker zu finden. Soweit darf es nicht kommen. Deswegen müssen wir das Gesetz des Handelns in der Hand behalten und dürfen es nicht diesen Minderheiten überantworten.
Wir brauchen auch energische Anstrengungen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts, wie Sie, Herr Bundeskanzler, das ja wiederholt zugesichert haben: in Amerika, in Rom, in Brüssel. Was aber geschieht in Wirklichkeit? Genau das Gegenteil! Ich wiederhole das, was ich in den letzten Wochen wieder und wieder gesagt habe, weil ich es beweisen kann: Ihre Politik schwächt die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.
Daher und weil wir mit der Politik des Verteidigungsministers nicht einverstanden sein können,
findet der Verteidigungsetat unsere Zustimmung nicht.Herr Bundeskanzler, von Woche zu Woche wird die tatsächliche Lage unserer Streitkräfte offenkundiger. Sie haben sich hier vor einer Woche hingestellt und erklärt: Die Bundeswehr ist voll bereit zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags. Nicht einmal eine Woche später muß der Inspekteur der Luftwaffe vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages über die Auswirkungen der Streichungen folgendes aussagen — ich zitiere —:Die operative Führung, die operative Nutzung unserer Streitkräfte von den zur Zeit noch weitgehend unverteidigten Plätzen ist unter diesen gegebenen Umständen und bei der gewachsenen Bedrohung nicht mehr möglich.
Das ist nur ein Beispiel für viele.Am 14. Mai, vor zwei Wochen, erklärte der Bundesverteidigungsminister: „Wir werden mit den 155 Millionen DM mehr für Treibstoff die Kubikmeter kaufen können, die ursprünglich im Haushaltsansatz drin waren. Die Bundeswehr wird fliegen können, die Bundeswehr wird üben können." So der Herr Bundesverteidigungsminister.Nicht einmal eine Woche danach erklärt der Inspekteur der Luftwaffe im Untersuchungsausschuß, wo er wahrheitsgemäß aussagen muß, daß schon im letzten Jahr gegenüber den mit der NATO vereinbarten 180 Stunden nur 168 Stunden geflogen werden konnten und daß selbst unter Berücksichtigung der zusätzlichen Mittel noch einmal eine Kürzung von 20 bis 25 % erfolgen müsse, so daß die Piloten in
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Dr. Wörnerdiesem Jahr im Schnitt nur 135 Stunden fliegen können.
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Belgien 175 Stunden, Kanada 243 Stunden, England 219 Stunden, Niederlande 219 Stunden, USA 198 Stunden. Auf meine Frage an den Inspekteur der Luftwaffe, ob er glaube, daß junge Flugzeugführer mit diesen Flugstundenzahlen hinreichend ausgebildet werden könnten, ob sie in der Lage sein würden, die vorgesehene Einsatzfähigkeit zu erreichen, antwortete der Inspekteur der Luftwaffe: „mit Sicherheit nicht". Nun frage ich Sie, Herr Apel: Wie halten Sie es eigentlich mit der Wahrheit vor diesem Parlament?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Daraus darf nicht — das ist mein vierter Punkt, und ich stimme in diesem Punkt mit Herrn von Hassel überein —, der Schluß gezogen werden, die Flugstunden der Piloten herabzusetzen. Herr von Hassel hat völlig recht, wenn er sagt: Jede geflogene Flugstunde erhöht die Erfahrung und ist Gewähr dafür, daß die Unfallrate gedrückt werden kann.Nun gehen Sie unter das, was unsere jungen Flugzeugführer noch sicher macht. Sie tragen nicht nur für deren Leben, sondern auch für das Leben der Bevölkerung eine hohe Verantwortung. Handeln Sie entsprechend, Herr Bundeskanzler!
Der Herr Bundesverteidigungsminister erzählt uns in der letzten Woche, er habe vollkommene Klarheit über den Verteidigungsetat geschaffen. Heute müssen wir den Berichten der Presse wieder entnehmen, daß die gestrichenen 200 Roland-Systeme zu Schadensersatzforderungen von seiten der Franzosen in Höhe von über 250 Millionen DM führen könnten und daß — jetzt kommt das Wichtige — bis heute von Ihrem Hause nicht geklärt werden konnte, ob und in welcher Höhe diese Mehrforderungen auf uns zukommen.Herr Gansel, wie ich der Presse entnehmen konnte, haben Sie diesen Streit mit Ihrem Verteidigungsminister in Ihrer Fraktion ausgetragen. Er mußte Ihnen wohl zugeben, daß da das Parlament überhaupt noch nicht einmal eingeschaltet war. Da kann ich nur sagen: Wenn Sie so wenig Klarheit über die Verhältnisse in Ihrem eigenen Haus haben, Herr Apel, dann wäre es besser, Sie gingen nicht nach Hamburg, um dort einen Kandidaten zu suchen, sondern Sie kümmerten sich um Ihr eigenes Ministerium.
Ich möchte das nicht wiederholen, was ich hier an Einschränkungen in der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte schon einmal aufgezählt habe; aber wenn das hier bestritten werden sollte, kann ich das gern noch einmal wiederholen. Ich sage nur eines.Das Schlimmste sind gar nicht die Auswirkungen im materiellen Bereich, das Schlimmste sind die Auswirkungen auf Ausbildungsstand und Motivation unserer Soldaten. Wenn Fahrzeug- und Panzerkilometer gekürzt werden, Übungen und Manöver beim Heer zusammengestrichen werden müssen, dann werden genau jene Probleme verschärft, die ohnehin schon am meisten kritisiert werden, nämlich Gammelei und Frust. Dies ist dann gerade bei den jungen Wehrpflichtigen der Fall. Diese jungen Wehrpflichtigen stellen sich ihrer Pflicht. Nur wollen sie gefordert sein, und nichts schadet der Bundeswehr in den Augen der jungen Wehrpflichtigen mehr als sinnloses Absitzen von Zeit.
Genau dazu verurteilen Sie diese jungen Leute. Wenn sie nicht üben können, wenn sie nicht ins Gelände können, wächst zu Recht der Eindruck, daß sie hier sinnlos Zeit verplempern. Auch die Qualität der Ausbildung leidet darunter. Das wissen Sie, Herr Bundeskanzler, und das weiß der Bundesverteidigungsminister.Aber dann ruft uns der Bundeskanzler vor kurzem in einer Sitzung des Parlaments mit Stentorstimme zu — ich zitiere:Aber wichtiger als Geld ausgeben ist, daß man Männer hat, die Soldat sein wollen und die ihre Pflicht ernst nehmen.Und in Amerika haben Sie nach einem Bericht offensichtlich vor einem amerikanischen Kreis ähnliches gesagt, wenn ich dem Zitat glauben darf — ich mache diese Einschränkung, Herr Bundeskanzler, aber es deckt sich ja mit dem, was Sie uns hier im Parlament gesagt haben —:Das erste, was man braucht, sind Leute. Das zweite ist, daß man sie motiviert, das dritte, daß sie gut ausgebildet werden, und viertens braucht man dann noch ein paar deutsche Mark, um ihnen Stiefel zu kaufen.Ich kann nur sagen: Sie haben natürlich in dem Punkt recht. Dafür haben wir Ihnen Beifall gespendet. Es kommt auf den Menschen, es kommt auf die Qualität des Soldaten an. Aber wie so häufig in Ihrer Politik: Sie sagen das Richtige, und Sie tun das Gegenteil, das Falsche. Machen Sie endlich mit dem Ernst, was Sie sagen.
Natürlich — und das sage ich in Richtung auf den Kollegen Hoppe — muß auch die Bundeswehr sparen. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Warum sollte die Bundeswehr davon ausgenommen werden? Im übrigen tut sie das längst. Und natürlich können wir nicht jeden Wunsch der Militärs und der
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Dr. WörnerTechniker erfüllen. Das weiß jeder. Das gilt für alle Fraktionen.Natürlich weiß auch jeder im Deutschen Bundestag, daß wir nicht ohne Rücksicht auf andere Staatsausgaben die Verteidigungsausgaben ins Uferlose steigen lassen können. Aber darum geht es j a schon längst nicht mehr. Es geht darum, daß wir noch nicht einmal das Minimum dessen leisten können, was die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Auftrages braucht. Und was die Bundeswehr braucht, das entscheiden nicht wir, das hängt nicht von unserem Belieben ab, sondern das hängt von der Bedrohung ab, und die ist nach Ihren eigenen Aussagen gewachsen. Deswegen müssen Sie etwas tun, um das Gleichgewicht der Kräfte wieder herzustellen.
Mich hat es erschreckt, als ich vom Inspekteur der Luftwaffe hören mußte — wie alle anderen Mitglieder des Untersuchungsausschusses —, daß der Verteidigungsminister in der Rüstungsklausur überhaupt nicht mehr daran gedacht hat, zu fragen, welche Folgen die Streichungen für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte haben könnten.
Wie weit ist es mit einem Verteidigungsminister gekommen, den das nicht mehr interessiert. Ich weiß, was ich sage.Niemand kann behaupten, daß sich die Bundesrepublik Deutschland das nicht leisten könne, was zur Gewährleistung ihrer Sicherheit erforderlich ist, was zur Sicherung unserer Freiheit erforderlich ist. Das Problem ist, daß Sie, Ihre Regierung, der Freiheitssicherung bei den Staatsausgaben einen immer geringeren Rang zugewiesen haben. Die entscheidende Frage, die Sie immer wieder umgehen, lautet, wie viel uns die Sicherung des Friedens und der Freiheit wert ist.In den Jahren Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, ist der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt und am Haushalt von Jahr zu Jahr gefallen. Gemessen am Haushalt — unseren Gesamtausgaben —, gemessen am Bruttosozialprodukt haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie so wenig für unsere äußere Sicherheit aufgewandt wie 1981. 1969 betrug der Anteil noch 23,9 %. Niemand kann sagen, daß damals Lebensstandard und Sozialstaatlichkeit in Gefahr waren. Heute ist der Anteil der Ausgaben für die Verteidigung auf 16,5 % gesunken, und das bei gewachsener Bedrohung. Dieser Anteil ist deshalb gesunken — das sage ich Ihnen, wissend, was ich damit sage —, weil Sie nicht mehr den Mut aufbringen, unserem Volk zu sagen, daß die Freiheit und der Friede eben ihren Preis haben und daß es nicht ohne Opfer geht.
Hier liegt der Kern Ihres Dilemmas. Sie haben einerseits die erforderlichen Waffensysteme beschlossen, und andererseits haben Sie den Anteil der Staatsausgaben für Verteidigung absinken lassen.Das ist genauso, als wenn ein Manager eines Industrieunternehmens eine komplett neue Fabrikeinrichtung bestellt und dafür einen bestimmten Teil seiner Einkünfte ansetzt. Während die Maschinen zulaufen, setzt er den Anteil der Einkünfte, den er dafür aufwenden will, fortlaufend herab und wundert sich am Ende, daß er die Maschinen nicht mehr bezahlen kann. Ich kann nur sagen: Jeder Manager einer Industriefirma, der so wirtschaften würde, würde gefeuert. Die Schlußfolgerungen können Sie selber ziehen, Herr Bundeskanzler.
Um Ihnen deutlich zu machen, welche Veränderungen wir erlebt haben, erinnere ich an den früheren Verteidigungsminister Leber, der wenigstens ab und zu den Mut hatte, unserem Volk dies ins Gedächtnis zu rufen. Ich zitiere ihn: „Es ist besser, heute mit Geld zu zahlen als morgen mit Blut." Das waren noch Zeiten, als ein Verteidigungsminister dem Volk noch da und dort gesagt hat, um was es geht.Jetzt will ich mich der letzten Frage zuwenden, die ganz sicher wieder kommen wird: Wie haltet ihr von der CDU/CSU es denn? Zunächst einmal, Herr Bundeskanzler und Herr Verteidigungsminister: Sie haben die Planung auch im Bereich der Bundeswehr zu verantworten. Ich war vier Jahre lang Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Es kam keine Vorlage auf den Tisch, bei der wir nicht gefragt haben: Ist das finanzierbar? Es kam keine Vorlage auf den Tisch, bei der Sie — Herr Möllemann und andere hier sind Zeuge — nicht geantwortet haben: Jawohl, es ist in der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert.Nun kommen Sie nicht her, nachdem Sie falsche Prioritäten gesetzt haben, und verlangen Sie Streichungsvorschläge von der Opposition. So haben wir nicht gewettet. Die Verteilung der Rollen zwischen Regierung und Opposition kann nicht darin bestehen, daß die einen die falschen Prioritäten setzen, Begehrlichkeiten wecken, Versprechungen machen, für die populären Wohltaten zuständig sind, und die Opposition hat dann gefälligst Streichungsvorschläge zu machen.
Ich will gar nicht alles bringen, was an Zitaten vor mir liegt. Herbert Wehner hat 1966, damals in der Opposition, dem damaligen Regierungschef entgegengeschleudert: „Was ist denn das? Für wen halten Sie uns denn? Wir sind doch anständige Leute! Wir waschen doch nicht anderer Leute Wäsche! Sie müssen den politischen Konkurs, den Sie erlitten haben, und seine Begleiterscheinungen selbst verantworten!". So hat Herbert Wehner damals geantwortet.
Helmut Schmidt sagte 1965 als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion: „Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus einer Zwickmühle
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2256 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Wörnerherauszuholen, in die sie sich selber hineinmanövriert hat."
So haben Sie damals gesagt.
Wir gehen gar nicht soweit. Wie oft habe ich hier an diesem Platz dem Verteidigungsminister Apel und seinem Vorgänger namens der CDU/CSU Unterstützung und Zustimmung für das in Aussicht gestellt, was sie an nötigen und auch unpopulären Maßnahmen tun. Sie haben das hohnlachend zurückgewiesen. Ich könnte wirklich seitenlang zitieren, wie Sie sich über uns mokiert haben. Wir von der CDU/CSU haben uns doch nicht gescheut, unpopuläre Dinge draußen zu vertreten. Wir sind für die Verteidigung hingestanden, und dafür haben Sie uns im Wahlkampf als „kalte Krieger" beschimpft; da haben Sie so getan, als ob wir für den Krieg und Sie für den Frieden seien!
Es ist nicht Schadenfreude, was uns hier bewegt; dafür sind die Dinge viel zu ernst. Wir sagen Ihnen auch diesmal wieder — im Unterschied zu Ihrer Haltung damals —: Wir sind bereit, uns für die Sicherung der Freiheit mit Ihnen in die Verantwortung zu stellen. Aber eines können wir Ihnen nicht abnehmen: die Verantwortung Ihrerseits, die Vorschläge zu machen, auf die das deutsche Volk um des Friedens willen Anspruch hat. Sie müssen dem Volk die Wahrheit sagen. Sie müssen für die Folgen dessen geradestehen, was Sie angerichtet haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Haushaltsdebatte in einer finanz- und haushaltspolitisch ungewöhnlich schwierigen Situation. Und das ist nur ein Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten, die wir für 1982 haben werden.
Ich bin gestern hier im Parlament sehr nachdenklich geworden — zumal Sie mir zurufen, Sie teilten meine Lageeinschätzung —, als der Kollege Löffler in dieser Debatte gesagt hat, daß er j a eigentlich in der ganzen Debatte gestern kein Argument gehört habe, das er nicht schon vielmals gehört habe. Er hat auch gleich selbstkritisch hinzugefügt, auch er sage nur das, was schon vielmals von uns gesagt worden sei, weil sich ja ein gewisses Ritual Ihrer Vorwürfe und unserer Antworten eingespielt hat. Meisterhaft hat das j a heute wieder Herr Wörner getan. Nicht ein Klischee hat bei ihm gefehlt. Er hat das hier soeben noch einmal meisterhaft vorgeführt.
— Ich nenne das ein Klischee, weil alle Argumente, die er bringt, gestanzt sind. Man kann sie fast numerieren, wie der Kollege Löffler gesagt hat. Auf die Probleme ist er kaum eingegangen. Sehen Sie, er beklagt z. B. das Anspruchsdenken. Einer der größten Förderer des Anspruchsdenkens im militärischen Bereich ist aber Herr Wörner selbst. Ich komme gleich noch darauf zurück.
Davon, daß es eine Ölkrise gegeben hat, Herr Kollege Marx, davon daß wir eine Weltwirtschaftskrise haben, davon daß alle Länder — selbst Amerika, das sehr viel reicher ist als wir — in solchen Schwierigkeiten sind, ist bei Ihnen nicht die Rede.
— Leider sind die Ölkrise und die Weltwirtschaftskrise nicht gestanzt, sonst würden wir z. B. nicht so viele Millionen Arbeitslose in Europa haben. Die sind nicht gestanzt, die sind leider bitteres Ergebnis dieser weltwirtschaftlichen Entwicklung.
Ich werde Ihnen sagen, woher das kommt. Es kommt daher — das muß ich auch dem Kollegen Kohl, der heute morgen fehlt, sagen —, daß die CDU es vermeidet — aus taktischen Gründen, und taktische Gründe sind legitim —, wirklich Alternativen darzubieten. Herr Wörner hat das soeben noch einmal ausdrücklich abgelehnt. Mir ist auch klar, warum. Erstens haben Sie keine Alternativen. Zweitens: Wenn Sie diskutieren würden über Alternativen, etwa auch über alternative Streichungen, dann würden Sie natürlich in Ihrer Partei in eine Lage kommen, der gegenüber sich die SPD mit allen ihren Diskussionen fast wie ein Mädchenpensionat ausnehmen würde, Sie müßten sich nämlich dann einmal für eine konkrete Politik entscheiden.
Es ehrt allerdings die CDU, daß es immerhin einen Streit zwischen Herrn Geißler und Herrn Kohl darüber gibt, ob diese CDU-Politik des Sichverschweigens richtig ist. Ich sage Ihnen: Herr Geißler hat recht, aber ich hoffe, daß Herr Kohl sich durchsetzt. Das macht uns das Leben dann nämlich weiter einfacher.
— Wie schwierig die Opposition, Herr Kiep, die Lage einschätzt, habe ich schon an der ungewöhnlichen Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten festgestellt, daß Herr Kohl selbstverständlich und unbestritten der Kanzlerkandidat der CDU sei. Man muß sich vorstellen, wie Strauß die Lage einschätzt, wenn dieses Wort aus seinem Munde kommt.
Herr Kollege Wörner hat gesagt: Die Verantwortung liegt bei uns. Das ist richtig. Sie bleibt auch bei uns. Aber ich sage Ihnen, daß die Debatten
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Dr. Ehmke— wir haben doch da keine Sorgen, Herr Jenninger — so steril sind — im Grunde war das gestern auf weite Strecken ein furchtbarer Tag, muß ich einmal als Parlamentarier sagen —, dann liegt das daran, daß Sie die Oppositionsaufgabe in der Sache nicht erfüllen.
Daß wir draußen eine zweite außerparlamentarische Opposition in Form der Friedensbewegung bekommen, hat damit auch etwas zu tun. Wir sind gewissermaßen in einer Situation, in der SPD und FDP auch noch die Opposition selber machen müssen.
Wir übertreiben das manchmal, aber jedenfalls ist das auch ein Ergebnis dieser Situation. Darum gehe ich davon aus — auch nach der Rede des Kollegen Wörner, Herr Hoppe —, daß wir tatsächlich auch für die größere Aufgabe, die vor uns steht, nicht nur nicht ein Allparteiengremium bilden werden, sondern daß wir Koalitionspartner das unter uns werden auszumachen haben, mit den verschiedenen Akzenten, die Sie und Herr Grobecker gestern deutlich gemacht haben, die uns aber nicht hindern werden, gemeinsam zu einer Lösung zu kommen.Herr Kollege Wörner, ich will in diesem Zusammenhang auf Fragen der Bundeswehr eingehen. Ich meine, das liegt auch im Interesse der Bundeswehr. Man sieht an Ihrer Rede, daß Sie eigentlich gar nicht in Rechnung stellen, daß Sie dort einmal Verantwortung tragen könnten. Man muß doch sehen, daß es einfach Schwierigkeiten gibt, die sich Ihnen wie uns stellen. Es wäre segensreich, dem Kollegen Verteidigungsminister Apel bei der Bewältigung dieser Probleme zu helfen, statt in vordergründiger Polemik zu verharren.Im Rüstungsbereich gibt es z. B. ein Problem, das noch gar nicht in der öffentlichen Diskussion ist. Ich war noch in der Regierung, als der Tornado beschlossen wurde. Es gab damals eine wesentliche Diskussion — übrigens beim Airbus auch —: kann eigentlich Europa die Kraft aufbringen, bei der Struktur der Luftfahrtindustrie, die wir haben, eine eigene militärische und zivile Luftfahrtindustrie, die mit den Amerikanern konkurrenzfähig ist, auf die Beine zu bringen? Denn was wir jetzt hier an diesem Flugzeug sehen, das ist ja kein Wunder: das erstemal ein italienisch-englisch-deutsches Management, das erstemal eine Technologie, die wir noch nie gemacht hatten — in Deutschland nach Jahren des Nichtflugzeugbaues —; daß da die Preise davonlaufen, das ist keine Ausnahme. Das ist fast bei jedem Projekt so,
selbst in Industrien, die mehr eingeübt und unter nationaler Führung sind. — Ja, Sie winken jetzt ab. Aber die Einwände, die damals gemacht worden sind, ob man dann noch das Geld für Nachfolgeflugzeuge haben wird oder doch wieder in Amerika kaufen muß, die Frage ist ja bis heute noch nicht beantwortet. Darüber sollten wir doch einmal diskutieren.Ich weiß, daß ich auf einem anderen Gebiet — dem der Europaraketen — von Ihnen als Forschungsminister sehr kritisiert worden bin, als ich das abgebrochen habe, da man die in Amerika von der Stange kaufen kann und in Japan inzwischen auch, während das bei uns im wesentlichen ein Instrument der Ozeanforschung geworden war, weil die jahrelang immer wieder in die See fielen. Da muß man sich sehr genau überlegen, was Europa dann auf dem Rüstungssektor wirklich alleine machen kann. Diese Frage sollten Sie diskutieren, statt nur gegen Apel zu polemisieren.Die zweite Frage ist — da hat der Kollege Wörner recht —: wir haben natürlich auch mit einigem Erstaunen gesehen, das wird ja noch zu prüfen sein, daß angeblich ein Staatssekretär einen Vertrag über die „Roland" geschlossen hat. Auch dort müssen wir fragen: reicht das Haushaltsrecht, das wir haben, aus? Müssen im Haushaltsrecht Änderungen gemacht werden? Herr Kiep, ich stimme Ihnen zu: das Parlament — da werden Sie ja sicherlich auf unserer Seite sein — kann natürlich nicht hinnehmen, daß das Haushaltsrecht verletzt wird, ohne daß das Folgen hat. Da sind wir uns einig. Das wird jetzt zu klären sein.Wir haben dann eine dritte Frage, die bisher mehr von den Soldaten als von den Politikern diskutiert wird, nämlich ob wir nicht bereits eine technisch überzüchtete Waffengeneration haben und ob wir nicht für die Einsatzbereitschaft von Material und Soldaten, für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr von der hochtechnisierten Rüstung weggehen müssen, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch wegen der Einsatzfragen. Ich nenne nur diese drei Fragen im Bereich der Rüstung. Nicht ein Wort von Herrn Wörner zu diesen Fragen, die die Bundeswehr noch auf Dekaden beschäftigen wird und die anderen europäischen Armeen auch.
Das finde ich schade für unsere Diskussion. An den eigentlichen Problemen, vor denen dieses Haus steht, Herr Kollege Wörner, gehen Sie vorbei.Nun hat Herr Kollege Wörner mit Recht gesagt — das hat aber auch die Bundesregierung gesagt, und das hat die SPD in ihrer Erklärung gesagt —: auch bei knapper Haushaltslage muß die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr erhalten werden. Herr Wörner, da bin ich Ihrer Meinung. Ich teile auch Ihre Sorgen in bezug auf Ausbildung. Wenn Zeiten der Ausbildung, z. B. des Fliegens und des Fahrens ausfallen, führt das zu Problemen. Das sehe ich genauso wie Sie.Nur — da muß ich wieder Herrn Hoppe recht geben —: es geht natürlich nicht so, daß wir im Bundeswehrbereich so tun, als ob die Haushalts- und Finanzlage ohne Auswirkung auf diesen Bereich bleiben kann. Auch dort muß man sich ans Abspecken gewöhnen. Ein Haushalt von 42 Milliarden DM muß auch Luft darin haben, um zu improvisieren. Da werden eben auch die Soldaten, die Beamten des Verteidigungsministeriums sich auf manche größere Schwierigkeit einstellen müssen, wie in anderen Bereichen auch.
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2258 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. EhmkeHerr Kollege Wörner, sehen Sie einmal die britische Regierung, die gestern in eine noch schwierige Lage gekommen ist, weil die Voraussagen aller vier Institute für sie schlicht verheerend sind. Es gibt dort jetzt über 2,5 Millionen Arbeitslose, und man sagt einen weiteren und schnelleren Anstieg voraus. Frau Thatcher hat eine Art Aufstand im eigenen Kabinett. Was macht sie? Sie nimmt, als konservative Regierung drastische Streichungen im Verteidigungsbereich vor gegen den Widerstand des Marineministers, gegen den der Marine.Herr Wörner, ich hoffe nicht, Sie dahin verstehen zu müssen, daß Ihre Empfehlung für unseren Haushalt 1982 lautet, daß man das Anspruchsdenken auf der Hardthöhe noch fördern soll, und daß Sie meinen, wir machen es etwa wie der amerikanische Präsident: Tiefe Einschnitte im Sozialbereich, und beim Verteidigungshaushalt draufsatteln. Wenn Sie das meinen, dann kommen Sie bitte her und sagen Sie das. Wir meinen das nicht.
Theo Sommer, den Sie als Sachverständigen sicher nicht weniger schätzen als ich, hat auf der letzten Sitzung der Trilateralen Kommission in Washington — ich nehme an, Sie waren dabei, Kollege Kiep — etwas sehr Interessantes dazu gesagt. Er hat gesagt: Man muß gerade in der europäischen Lage, in der Grenzlage zu Osteuropa und zum Sowjetbereich sehr genau abschätzen, was für die Stabilität dieses Landes und was für die Stabilität in Europa das richtige Gleichgewicht zwischen sozialen Ausgaben und Verteidigungsausgaben ist. Verlust gesellschaftlicher Stabilität und gesellschaftlichen Konsenses könne durch noch so hohe Verteidigungsausgaben nicht ausgeglichen werden.
Herr Kollege Wörner, Sie sagen immer: Da muß man Mut haben; da muß man Mut haben. Sicher, man muß in der Politik auch Mut haben. Aber bei Ihnen hätte uns zunächst einmal, bevor Sie Mut haben, interessiert, was Ihre Analyse ist und was Ihre Stellungnahme in der Sache ist. Sie haben sich heute wie immer in Anklagen erschöpft. Wir haben nicht einen einzigen konkreten Vorschlag von Ihnen gehört.Und jetzt, Herr Kollege Wörner — wenn Sie einen Augenblick zuhören könnten —, komme ich zu einem Punkt, der mir besonders am Herzen liegt. Daß Offiziere und Beamte des Verteidigungsministeriums, daß die Chefs der Teilstreitkräfte in einer solche Haushaltssituation versuchen, einen möglichst großen Teil des Kuchens für ihren Bereich zu bekommen, ist das Normale in allen Steitkräften der Welt. Das ist sogar keine Spezialität der westlichen Demokratien. Das ist im Ost-Block nicht anders.Aber, Herr Kollege Wörner: Die Soldaten müssen sich gegenüber ihrer politischen Führung äußern. Einreißen zu lassen, daß Soldaten sich — inzwischen teilweise schon auf unterer Ebene — über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und über die politischen Folgen öffentlich äußern, heißt, die Armee der politischen Führung entgleiten zu lassen und die Disziplin der Armee aufzugeben.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Ich will, da es noch etwas dicker kommt, erst zu Ende sprechen und ihm dann gerne die Möglichkeit zu einer Frage geben.
Sehen Sie, Herr Kollege Wörner: Ich halte das nicht für in Ordnung, was die CDU auf der Hardthöhe macht: Diese Mischung von Indiskretionen an die Presse, dann aufgegriffen im Untersuchungsausschuß, darauf dann eine Erklärung der Opposition — das ist weder ein Ruhmesblatt für Beamte und Soldaten des Verteidigungsministeriums, die sich gegenüber der politischen Führung illoyal verhalten, noch ein Ruhmesblatt für die Opposition, die sich dies in ihrer Auseinandersetzung mit Apel zunutze macht.
Mit einem Teil der Militärs diesen Angriff zu machen, ist keine geistige Führung. Das ist eine geistige Verführung. Und ich sage noch einmal: Das stellt die politische Führung der Bundeswehr, ganz egal, wer regiert, in Frage. Sie sollten sich daher in einer stillen Stunde fragen, ob Sie für diese Kampagne gegen meinen Freund Hans Apel nicht einen viel zu hohen institutionellen Preis zahlen.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Gern. Vizepräsident Leber: Bitte sehr.
Es gibt sicher manches, worüber wir in dieser Beziehung einig sind. Aber ich habe zwei Fragen an Sie. Zum einen: Sind Sie sich dessen bewußt, daß der Inspekteur der Luftwaffe vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages unter der verfassungsmäßigen Pflicht steht, die Wahrheit zu sagen, daß er sogar unter der Drohung der Vereidigung steht, daß er von dem Vorsitzenden auf die Strafbarkeit von Falschaussagen ausdrücklich hingewiesen wird? Und glauben Sie nicht, Herr Ehmke — das ist meine zweite Frage —, daß das, was Sie an Loyalitätspflichten von den Offizieren fordern — wie ich finde: zu Recht —, nicht auch die Loyalitätspflicht des Vorgesetzten, in diesem Fall des Ministers, einschließt, die Wahrheit zu sagen und seine Leute nicht in Gewissenskonflikte zu treiben?
Herr Kollege Wörner, die zweite Frage — —
Augenblick, Herr Kollege Ehmke! Augenblick!
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2259
— — hätten Sie gar nicht zu stellen brauchen, weil Sie wissen, daß ich sie ebenso wie Verteidigungsminister Apel mit Ja beantworte. Aber zum ersten: — —
Augenblick, Herr Kollege Ehmke. — Herr Kollege Wörner, es ist im Bundestag nicht unüblich, daß man die Antwort in stehender Haltung entgegennimmt.
Er darf aber rühren. —
Herr Kollege Wörner, die zweite Frage beantworte ich — ich wiederhole es — genauso mit Ja, wie mein Kollege Hans Apel sie mit Ja beantwortet; es war eine rhetorische Frage. Von Herrn Obleser, der j a in Ibiza auf Urlaub ist, habe ich gar nicht gesprochen, und zwar nicht nur deshalb nicht, weil er in Urlaub ist, sondern weil ich der Meinung bin, daß das dort oben geklärt werden soll. Ich rede über die wochenlange Kampagne, die im Gange ist
— den Fall Obleser bringen Sie herein — und die aufhören muß. Sie machen dort oben weit mehr kaputt,
als die taktischen, parteipolitischen Vorteile aus der Kampagne für Sie wert sind.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würtz?
Ja, bitte.
Herr Kollege Professor Ehmke,
habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie diese Kampagne auch deshalb mißbilligen, weil Ihnen aus dem Tornado-Untersuchungsausschuß bekannt ist, daß Inspekteure der Teilstreitkräfte bei Wehrübungen von Abgeordneten mit denen lange Gespräche führen?
Also, ich halte es eher für etwas Normales, daß die Gespräche führen.
— Herr Kollege Würzbach, ich will jetzt hier in meiner Rede weitermachen und mich hier nicht in den Untersuchungsausschuß „einhängen". Der Untersuchungsausschuß ist ein legitimes parlamentarisches Instrument; darum geht's hier nicht.Jetzt komme ich zum zweiten Punkt, Herr Kollege Wörner. Sie haben hier davon gesprochen, daß Hans Apel in der Frage des Gelöbnisses Krawallmachernnachgegeben hätte. Der hat's ja wirklich schwer, ich habe ihm nämlich das Gegenteil vorgeworfen. Ich habe ihm gesagt, daß er unter dem Druck von Bremen das zentrale öffentliche Gelöbnis mit einer Sturheit forciert habe, die die Sache nicht besser gemacht hat. Also, eins von beiden kann ja nur stimmen. Da im Zweifelsfall — ich spreche hier j a für mich — ich recht habe — das muß nicht sein —, bin ich also der Meinung, daß Sie mit ihm insofern ganz zufrieden sein müßten.
— Also, Herr Mertes sagt, ich habe unrecht; ich werde mich dem Urteil beugen. Jedenfalls, den Vorwurf können Sie Apel nicht machen.Die Debatte zur Tradition auf der Hardthöhe, an der auch der Kollege Dallmeyer aus den Reihen der Union teilgenommen hat — Sie selbst waren nicht anwesend —, fand für meine Begriffe zu spät statt, gleichwohl war es eine sehr interessante Debatte.Herr Marx und Herr Wörner, nun lassen Sie auch in dieser Frage doch einmal die Klischees beiseite. Es geht doch um folgendes: Sie reden immer über Tradition „an sich", über Soldat „an sich", über Staat „an sich"; das ist eines der Hauptprobleme der Traditionspflege der Bundeswehr. Die Bundeswehr ist nicht schuld daran, daß es für sie sehr schwierig ist, an die Tradition beispielsweise der Wehrmacht anzuknüpfen, die von den Nazis, wie wir durch neue historische Forschungen wissen, in noch viel furchtbarerer Weise mißbraucht worden ist, als wir bis vor ein paar Jahren gewußt haben. Ich erinnere nur an das Buch von Krausnigk; das ist heute doch ganz unbestritten. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg selbst arbeitet ja auf dem Gebiet. Ich nenne als ein Beispiel den Kommissarerlaß und die Rolle der Wehrmacht. Es ist für die Bundeswehr auch schwierig, an die Reichswehr mit ihrer problematischen Lage in der Weimarer Demokratie oder an monarchische Heere anzuknüpfen. Sie ist daher ausgewichen — ich sage jetzt nicht: die da oben —, wir alle sind ein bißchen mit ausgewichen, nach zunächst guten Ansätzen sind wir ausgewichen auf eine „soldatische Tradition an sich". Wenn Sie sich z. B. einmal — der Bundeswehrverband möge es mir verzeihen, weil er sich inzwischen davon distanziert hat — die Todesanzeige für Dönitz in der Zeitung des Bundeswehrverbandes angucken, dann stellen Sie fest, daß sie geradezu klassisch für die Auffassung „Der Soldat an und für sich" ist.Nun ist das nicht nur falsch für die Traditionspflege, Herr Wörner. Meine große Sorge ist vielmehr — ich bitte Sie, die ernstzunehmen —, daß wir damit die Legitimation der Bundeswehr und ihres Auftrags in Frage stellen. Das ist der eigentliche Kernpunkt der Traditionsdiskussion.
— Herr Mertes, schütteln Sie nicht voreilig den Kopf; am Ende werden Sie mir zustimmen.
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2260 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. EhmkeDiese Bundeswehr, Herr Kollege Marx, bezieht ihre Legitimation daraus, daß sie nicht einen „Staat an sich", sondern daß sie nach Hitler eine deutsche Demokratie verteidigt; das ist die Legitimation der Bundeswehr.
Wenn Sie mit jungen Leuten diskutieren und sie fragen: Wofür steht ihr ein?, dann sagen sie ja doch auch: für die Freiheit. Sie meinen auch, wir müßten gegenüber pazifistischen Strömungen noch stärker betonen, daß man für die Freiheit eintreten muß. Wenn das aber so ist, wenn die Existenzberechtigung und der Auftrag der Bundeswehr von der Demokratie, von der demokratischen Aufgabe dieses Staates Bundesrepublik Deutschland nicht zu trennen sind, dann muß auch die Traditionspflege in den Dienst dieser Legitimation gestellt werden, d. h. sie darf nur demokratische Traditionen fördern.
Es ist auch nicht wahr, daß Hans Apel gesagt hat, er lasse die öffentlichen Gelöbnisse sein. Im Gegenteil. Wir sind der Meinung — es sind nicht alle einer Meinung, aber die Mehrheit bei uns ist dieser Meinung —, wir brauchen öffentliche Gelöbnisse. Sie müssen öffentlich sein; sie können auch in Kasernen öffentlich sein.
— Aber natürlich! Viele haben schon bisher in Kasernen stattgefunden. Oder wollen Sie die Bürger von den Kasernen fernhalten? Gelöbnisfeiern können auf dem Marktplatz, aber auch in den Kasernen stattfinden. Beides ist richtig. So wurde es auch formuliert.
Wir sagen aber: Dies ist nicht ein Tag, an dem wir den Zapfenstreich aufführen — Herr de Maizière, der im Gegensatz zu mir ein alter Soldat ist, hat doch völlig recht, wenn er sagt, daß der Zapfenstreich beim Gelöbnis überhaupt nichts zu suchen hat.
Es handelt sich beim Gelöbnis um eine Verpflichtung des Wehrpflichtigen. Der Wehrpflichtige ist ein Mann, dem gesagt wird: Du gehst jetzt für eine gewisse Zeit aus deinem Zivilleben heraus in die Bundeswehr und nimmst dabei auch manche Nachteile hin. Aber du gehst dabei nicht in irgendeinen Apparat, der mit der Demokratie nichts zu tun hat, sondern du tust als demokratischer Staatsbürger deine Pflicht für diesen demokratischen Staat. Wir wollen als demokratische Bürger, als Vertreter der Städte und von Parteien und Verbänden auch dabeisein. Und es wäre sehr viel besser, bei solchen Gelegenheiten Diskussionen mit Jugendverbänden — auch mit pazifistischen Jugendverbänden — zu führen, als in großen Galauniformen mit Fangschnüren zu kommen und Zapfenstreich zu spielen. Darum geht es.
Herr Wörner, bauen Sie sich bitte nicht mit Worten wie „Mut" und „Festhalten an Traditionen" denZugang zur jungen Generation zu. Es ist richtig, ein großer Teil der jungen Generation — Herr Wörner hat insoweit recht — sagt: Jawohl, ich erfülle meinen Auftrag als Verteidiger. Es gibt aber auch eine ganze Menge junger Leute, die nicht uninteressant für uns sind — es ist eine Minderheit, aber keine uninteressante —, die anders denken. Wir dürfen die Bundeswehr nicht durch falsche Traditionspflege in einen Ruf und in eine Situation bringen, in der die Diskussion mit diesen kritischen jungen Leuten, die die Bundeswehr auch braucht, noch schwerer wird, als sie ohnehin schon ist.
Deshalb nützt uns die Polemik, die Sie bringen, gar nichts. Was uns nützt, ist die Öffnung, die Hans Apel auf der Hardthöhe eingeleitet hat.Die Bundeswehr bedarf unser aller Aufmerksamkeit und unserer Hilfe. Sie bedarf auch unserer Kritik. Das gilt auch für das finanzielle Verhalten. Es kann nicht so sein, daß von seiten der Bundeswehr — Herr Hoppe hat in dieser Hinsicht völlig recht — nur gesagt wird, was man zu brauchen meint, und daß dann geliefert wird. Das kommt natürlich gar nicht in Frage.
All das hat sorgfältig durchgeguckt und besprochen zu werden. Die Entscheidung darüber liegt bei der politischen Führung. Sie hat auch die Verantwortung zu tragen. Zu diesen Regeln sollten wir gemeinsam zurückkehren.
Ich möchte jetzt noch einen Moment auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Zimmermann eingehen, der im Augenblick nicht im Saale ist.
— Entschuldigung! Herr Zimmermann, wie konnte ich Sie übersehen? Ich komme auf die Frage der Waffenexporte zu sprechen. Die SPD hat erklärt, die FDP hat auf ihrem Kölner Parteitag erklärt, der Bundeskanzler hat ebenfalls erklärt: Wir bleiben bei einer restriktiven Waffenexportpolitik.
Wir bleiben auch dabei, Beschäftigungspolitik kannkein Motiv für eine Ausdehnung des Waffenexportessein. Herr Mertes sagt: Die CDU vertritt dies auch.Herr Kollege Zimmermann, dann würde ich doch etwas vorsichtiger über das reden, was derzeit im Verhältnis zu den Saudis geschieht. Gestern ist hier eingehend dargelegt worden, daß jene Meldung, angeblich würden wir von den Saudis keine Kredite mehr erhalten, es sei denn, wir würden Waffen liefern, eine Falschmeldung ist. Der Finanzminister hat hier sehr erregt gefragt, wer hier eigentlich daran arbeitet, mit Falschmeldungen einerseits die deutsche Kreditwürdigkeit und andererseits die
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2261
Dr. EhmkeVertrauenswürdigkeit der Saudis in Frage zu stellen.
Dies ist doch eine Beleidigung gegenüber den Saudis. Praktisch wird ihnen unterstellt, daß sie uns erpressen wollen. Gestern ist diese Falschmeldung ausgeräumt worden. Sie wiederholen sie heute so, als ob das gestern gar nicht klargestellt worden wäre. Der Herr Bundeskanzler hat vor seiner Reise nach Riad und nach seiner Reise nach Riad gesagt: Es sind keine Versprechungen gemacht worden; es sind keine Erwartungen geweckt worden. Es ist gesagt worden: Nach unseren Grundsätzen geht es jetzt nicht. — Sie stellen sich hier aber hin und tun so, als ob dies nie gesagt worden wäre. Was soll das denn? Ich werde Ihnen etwas sagen: Ich bin sehr kritisch in der Hinsicht, wie diese Debatte begonnen hat. Ich bin der Meinung, sie muß bald abgeschlossen werden, denn sie schadet uns, sie schadet den Israelis, und sie schadet den Saudis.
Herr Zimmermann, Sie stellen sich nun aber hin und greifen den Kanzler wegen Israel an. Sie haben ihn doch heute angegriffen und gesagt, daß er Fehler gemacht hätte.
— Aber Herr Kollege, ich habe noch sehr gut und positiv im Ohr, was Ihr Fraktionsvorsitzender, der Kollege Kohl, zu den Äußerungen von Herrn Begin gesagt hat.
— Dann darf ich hier festhalten, daß Sie mit den Äußerungen von Herrn Zimmermann davon nicht abrücken wollten. Wenn das klargestellt ist, bin ich zufrieden. Dann werden Sie mir auch zustimmen, wenn ich in aller gebotenen Zurückhaltung sage: Ich kann es im Interesse des deutsch-israelischen Verhältnisses nur bedauern, wenn der israelische Ministerpräsident die deutsch-jüdische Geschichte als Instrument gegen die Nahostpolitik der EG und im Grunde als Wahlkampfmittel einsetzt. Ich kann das nur bedauern. Mehr, glaube ich, an Kritik steht mir nicht zu. Ich freue mich darüber, daß das Haus in dieser Frage offenbar einer Meinung ist.
Das Stichwort Nahost, Herr Kollege Zimmermann, bringt uns auch zum 01. Da haben Sie nun zum soundsovielten Male etwas über die Kernenergie erzählt, was gar nicht stimmt. Ich darf Ihnen zunächst einmal sagen: Es gibt — bis auf Wyhl, jetzt in der zweiten Instanz — keinen Stopp bei einem Kernkraftwerk.
— Ich werde Ihnen etwas sagen: Die Kollegen, die in Nordrhein-Westfalen auf dem Gebiet tätig sind — und das bin auch ich —, haben ein ganz anderes Problem, nämlich daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen so viele Standorte für Kernkraftwerke reserviert haben, daß die Gemeinden inzwischen wissen möchten, für welche Standorte denn auch Bauanträge gestellt werden sollen. Dort, wo ein Antrag gestellt worden ist, z. B. von den VEW in Lingen, läuft die Sache doch. Was soll hier also die Hysterie?
— Es ist ein VEW-Antrag für Niedersachsen.
— Es läuft auch in Nordrhein-Westfalen alles. Herr Jochimsen hat das neulich hier dargestellt. Es wird doch nicht davon richtiger, daß Sie zehnmal das Falsche sagen.Wir sollten helfen — und die Bayern mit —, daß wir mit dem gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten und des Kanzlers in der Entsorgung weiterkommen, daß wir in der Frage der Aufschließung von Gorleben weiterkommen — da ist die erste Stufe abgeschlossen —, daß wir weiterkommen in der Frage Entsorgung mit Wiederaufarbeitung oder aber Endablagerung ohne Wiederaufbereitung. Das muß jetzt vorangetrieben werden. Die Politik liegt fest. Sie ist von der Enquete-Kommission dieses Hauses mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen aller Sachverständigen, leider gegen die Stimmen der Kollegen von der Opposition, bestätigt worden.Es ist doch auch Demagogie, zu sagen, daß uns Kernenergie allein vom 01 freimachen könne.
— Aber, Herr Kollege, wir haben doch gerade den Bau von Ölkraftwerken verboten. Wir wollen Ol nicht mehr in der Stromerzeugung haben. Wir sind dort, wo wir noch 01 verwenden — in Bayern ist das besonders viel, wie Sie vermutlich wissen werden —, dabei, das auszuschließen. Der entscheidende Bereich für den Ölersatz ist der Wärmemarkt. Dafür kann auch Elektrizität — über Speicherheizung — eine Rolle spielen, aber das Entscheidende ist das Energiesparen. Wichtig ist auch, daß Herr Stoltenberg, Ihr CDU-Kollege, endlich seinen Widerstand gegen das gemeinsame Bund-Länder-Programm zum Ausbau der Fernwärme aufgibt. Damit kämen wir weiter. Das hätte einen viel größeren Effekt in bezug auf das Öldefizit als die Kernenergie.
Im übrigen, Herr Kollege Zimmermann, müssen Sie, wenn Sie über das Zahlungsbilanzdefizit reden, natürlich wissen, daß wir unser Uran, das Natururan wie das angereicherte Uran, genauso im Ausland kaufen müssen wie das Öl. Ich gebe allerdings zu, Herr von Bennigsen, der Chef der VEBA, hat neulich in einem sehr interessanten Vortrag darauf hingewiesen, daß Uran einen großen Vorteil hat: Man kann es mit relativ wenig Raum- und Kostenaufwand lagern. Das ist sicher etwas, was man stärker in Berücksichtigung ziehen muß. Aber bitte tun Sie nicht so, als ob hier der Grund für unsere Zah-
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2262 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Ehmkelungsbilanzdefizite läge. Lassen Sie uns das Programm, das wir energiepolitisch beschlossen haben, weitermachen, dann wird das auch in Ordnung gehen.Noch eine Bitte: Es ist schwer genug, den amerikanischen Freunden zu erklären — wie es der Wirtschaftsminister getan hat, wie es der Bundeskanzler getan hat —, was es mit dem Erdgasgeschäft mit der Sowjetunion, an dem nicht wir allein beteiligt sind, auf sich hat. Sie kennen die Zahlen wie ich. Für die Bundesrepublik bedeutet es, wenn es zustande kommt, daß der Anteil der Sowjetunion an unserem Erdgasverbrauch auf etwa 30 % steigt. Von der gesamten Primärenergie sind das 5 %. Es ist Ihnen in diesem Hause schon vorgetragen worden, welche Vorrichtungen man schaffen kann, damit man auch hinsichtlich dieses geringen Quantums nicht in eine Abhängigkeit kommt, die wir nicht wollen. Daher ist es falsch, polemisch, ja demagogisch, hier das Wort „Russengas" zu benutzen, als ob da irgend etwas Schmutziges gemacht würde, wozu ein anständiger Mensch eigentlich nein sagen müßte. Wenn Sie dagegen sind, dann gehen Sie einmal zur deutschen Wirtschaft und sagen ihr, daß Sie dagegen seien. Wir werden dieses Projekt weiter vertreten.
Herr Kollege Wörner, ich darf zum Schluß auf Ihr Bekenntnis zu einer gemeinsamen Politik der Friedenssicherung eingehen. Es wäre gut, wenn wir das konkreter diskutieren könnten. Ich hoffe, daß die Bemühungen von Herrn Kollegen Mertes und mir, im Auswärtigen Ausschuß zu etwas konkreteren Debatten zu kommen, irgendwann einmal von Erfolg gekrönt sein werden. Ich bin z. B. der Meinung, daß das Papier, das unser Kollege Dohnanyi zur Sicherheitspolitik geschrieben hat, sicher auch für CDU-Kollegen eine interessante Ausgangsbasis für eine gründlichere Diskussion wäre.Wir haben eine Bitte. Das Problem für uns ist doch im Augenblick, den Bundeskanzler, der zusammen mit dem Außenminister die amerikanische Administration dazu gebracht hat zu sagen: „Jawohl, es wird verhandelt!", darin zu unterstützen, zu Vorschlägen von westlicher Seite zu kommen, die als seriöses Verhandlungsangebot angesehen werden.Wir dürfen da nicht nachlassen. Denn wie Herr Kollege Wörner richtig sagt, ist in der amerikanischen Administration noch vieles umstritten. Was mit SALT geschieht, wissen die noch nicht. Sie wissen, sie wollen es irgendwie weitermachen, sie wissen aber noch nicht, was ihre Verhandlungsposition dabei ist. Da muß Europa weiter drücken. Den heutigen Morgennachrichten entnahm ich, daß ein Angehöriger des State Department in Washington gesagt habe, er wolle erklären, daß es bei der Frage der Verhandlungen nicht allein auf die Wünsche der Europäer ankommen könne. Das ist in Ordnung. Aber umgekehrt gilt natürlich auch, daß Europa bei der gemeinsamen Politik des Bündnisses nicht allein auf die Schwierigkeiten der amerikanischen Administration Rücksicht nehmen kann, eine Politik auszuformulieren.
Der Kanzler und der Außenminister haben j a wohl keinen Zweifel darüber gelassen, was für uns die „Verhandlungsseite" bedeutet. Diejenigen, die die Situation in Europa kennen, wissen es auch aus eigener Auschauung. Ich bin der Meinung, wir müssen jetzt ohne viel Heckmeck, ohne viel Hin und Her zu Verhandlungen und zu vernünftigen Verhandlungsangeboten kommen.Ich würde mich freuen, wenn die Opposition in der Unterstützung einer solchen Politik zeigen könnte, daß auch sie beide Elemente der NATO-Politik trägt: die der Sicherheit und der Verteidigung ebenso wie die der Entspannung und des Dialogs.
Wenn man heute Herrn Wörner und Herrn Zimmermann gehört hat, dann waren dort die Akzente — um es höflich zu formulieren, Herr Kollege Kiep — sehr einseitig gesetzt. Daß das bei Ihnen anders ist, weiß ich nicht nur, Herr Kollege Kiep, ich schätze es. Wenn ich das aber sage, stört es Sie, wie ich sehe.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß es seit Jahren keine einzige abrüstungspolitische Position der Bundesrepublik Deutschland in den zuständigen Gremien gibt, die die Opposition nicht mit vertritt? Wollen Sie bitte dem Hohen Hause diejenigen Positionen der Bundesregierung einmal erläutern, gegen die die SPD mit namhaften Namen aufgetreten ist?
Also, Herr Kollege, ich will jetzt nicht alle Punkte der Entspannungspolitik aufzählen, gegen die Sie gestimmt oder bei denen Sie sich enthalten haben. Ich will jetzt nicht darauf eingehen; das hat doch keinen Zweck. Ich will Ihnen ein Beispiel aus den letzten Tagen bringen, um klarzumachen, was ich meine. Der Kollege Brandt fährt nach Moskau.
— Sehen Sie, da fängt es schon an! Das ist doch sehr interessant. Sie sind zwar für den Dialog,
Sie sind auch dafür, daß Entspannungspolitik gemacht wird; aber wenn nun der Kanzler
dem Vorsitzenden der SPD den Rücken für seine Reise stärkt und der Außenminister sagt: Es ist in dieser schwierigen Situation sehr gut, auf Verhandlungsbereitschaft drüben hinzuwirken, bevor noch Herr Breschnew der Einladung nach Bonn folgt,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2263
Dr. Ehmkedann geht von Ihrem Lager und von der rechten Presse ein Geheule los, als ob man die Krätze kriegt, wenn man nach Moskau fährt. Herr Mertes, Sie waren länger da und haben auch keine bekommen.
Das, Herr Kollege Mertes, meine ich. Heute war in beiden Reden, von Herrn Wörner und Herrn Zimmermann — Herr Kollege Kohl kann das j a noch korrigieren —, wieder eine ganz starke Akzentuierung des einen Teils: Sicherheit und Verteidigung. Wenn Sie den zweiten Teil — Dialog und Entspannung — genauso meinen, dann seien Sie doch so gut und drücken Sie das auch der Öffentlichkeit gegenüber aus. Dann können wir uns manche sterilen Debatten und Streitigkeiten ersparen.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mertes?
Nein. ich möchte jetzt gerne fortfahren.
Ich komme zu meinem letzten Punkt, einem Punkt, Kollegen von der Opposition, zu dem wir hier gemeinsam eine Entschließung vorgelegt haben, nämlich zu den Haushaltstiteln, die die Türkei-Hilfe betreffen. Ich möchte zunächst begrüßen, daß wir uns darauf geeinigt haben. Sie werden natürlich gleich darauf hinweisen, daß inzwischen ein Antrag aus den Reihen der SPD-Fraktion vorliegt, wonach nun doch gleich ein Sperrvermerk angebracht werden soll. Das ist zwischen uns diskutiert worden, und wir haben dann gesagt, das machen wir zwar nicht, aber wir schreiben hinein: Die Bundesregierung soll über die weitere Entwicklung in der Türkei berichten, wir sehen uns die Hilfeleistung dann noch einmal an.
Aber, Herr Kollege Mertes, ich muß eines sagen, und ich hoffe, Sie werden mir zustimmen: Den gestrigen Vorgang in der Türkei, daß die türkische Regierung während der Anwesenheit einer Delegation des Europäischen Parlaments in Ankara — einer Delegation, die Ihre Kollegen einschließt — einen Ukas erläßt, der praktisch die Pressefreiheit aufhebt, und dies, wie gesagt, in dem Moment, in dem dort die Delegation des Europäischen Parlaments ist, das kann ich nur als Herausforderung unseres guten Willens empfinden.
Wir werden nicht von dem abgehen, was wir gemeinsam verabredet haben, aber die türkische Regierung soll von der Mehrheit hier auch wissen, daß wir das mit dem Bericht und der Prüfung ernst meinen
— Sie auch, sagen Sie, Herr Kollege Mertes — und daß dann, wenn solche Herausforderungen hinzukommen, statt daß eine verstärkte Anstrengung, zu demokratischen Verhältnissen zu kommen, unternommen wird, ein Sperrvermerk sehr wohl das Ergebnis der Haushaltsberatungen 1982 sein könnte.
Wir halten jetzt an dem, was vereinbart ist, fest, aber es muß klar sein, daß auch wir diesen Vorgang als eine Provokation empfinden. — Schönen Dank.
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Jung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Beiträge von Herrn Zimmermann und von Herrn Wörner bin ich in meiner Auffassung bestätigt worden, daß die wenigen Minuten, die uns in dieser Debatte zur Verfügung stehen, nicht ausreichen, die Vielzahl der verteidigungspolitischen Probleme hier sachlich und anständig zu diskutieren und die Öffentlichkeit umfassend zu informieren, statt die Dinge so verzerrt darzustellen, wie dies leider heute früh zum Teil geschehen ist.Bereits bei der Installierung des Tornado-Untersuchungsausschusses habe ich gesagt, daß sich die Selbstbindung des Verteidigungsausschusses durch diesen unnötigen Untersuchungsaussschuß auf seine Arbeit schlecht auswirkt. Meines Erachtens wäre es dringend notwendig, daß wir sehr bald im Verteidigungsausschuß die Möglichkeit haben, eine verteidigungspolitische Grundsatzdiskussion zu führen. Aber dazu kommen wir ja leider nicht. Wir müssen von Verdächtigungen und Unterstellungen weg- und zu einer sachgerechten Diskussion hinkommen.Es ist sicher auch nicht der Sinn dieser Aussprache, die Debatten zu wiederholen, die in den vergangenen Wochen hier im Hause und draußen auf Parteitagen in bezug auf den Doppelbeschluß geführt worden sind. Er ist ja gestern und auch heute wieder von einigen Rednern der Opposition strapaziert worden; die Argumente sind tausendfach ausgetauscht, Wiederholungen erübrigen sich.Aber wenn Herr Zimmermann und später Herr Wörner — und, wie gesagt, gestern auch andere Unionspolitiker — hier — und das sage ich bewußt — reichlich pharisäerhaft
die innerparteiliche Diskussion der SPD, aber auch der FDP zu diesem Thema eingebracht und mit Häme — obwohl Herr Wörner gesagt hat, das würde er nicht tun — garniert haben, möchte ich Ihnen mit dem alten Sprichwort sagen, daß Quark, wird er breitgetreten, nicht stark wird.Ich sage Ihnen, daß auch Sie diese Diskussion führen sollten, und daß Sie sie auch bekommen. Wenn ich es recht verstanden habe, hat ja Herr Geißler bereits mit dem Thema „Frieden schaffen ohne Waffen" die Diskussion auch bei Ihnen bereits eröffnet. Wenn Herr Zimmermann vom „Spiel mit verteilten
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2264 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Jung
Rollen" spricht, habe ich den Eindruck, daß Sie von der Opposition dies spielen und hier mit völlig gegensätzlichen Auffassungen auftreten, wohl in dem Glauben, das würde draußen niemand merken, weil Sie das hohe C in Ihrem Parteinamen führen.Herr Wörner hat pathetisch von Glaubwürdigkeit gesprochen. Meine Damen und Herren von der Opposition, bei Ihnen gibt es doch offensichtlich völlig unterschiedliche Auffassungen. Der eine argumentiert nach der Devise „Kanonen statt Butter" und der andere — wenn ich beispielsweise an Herrn Blüm denke — nach der Devise „Butter statt Kanonen". Herr Geißler hat ja — ich sagte es schon — zu diesem Thema auch bereits das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen" ausgegeben. Und Herr Schröder fordert zumindest die gleiche Steigerungsrate für die Entwicklungshilfe wie für die Verteidigung. Ihr Glück ist es, meine Damen und Herren, daß Sie keine Regierungsverantwortung tragen. Denn Ihr Finanzminister müßte noch andere Ölstaaten ausfindig machen, die ihm mindestens zweistellige Milliardenbeträge pumpen müßten, damit er die verschiedensten Forderungen Ihrer eigenen Leute, z. B. Geißler und Blüm, die sie in der Sozial- und Familienpolitik gestellt haben, erfüllen könnte.Herr Zimmermann, Sie haben gegenüber der FDP den Vorwurf erhoben, wir täten so, als wären wir nicht beteiligt gewesen. Nun, Herr Hoppe hat darauf geantwortet. Ich möchte Ihnen sagen, daß Sie sich mal an die eigene Brust klopfen sollten. Denn in der Tat sind alle mitschuldig, die immer noch draufgesattelt haben, insbesondere Sie von der CDU/CSU. Das will ich später auch noch am Beispiel der Verteidigungsausgaben, etwa am Beispiel Tornado, beweisen.Zu einer weiteren Bemerkung von Herrn Zimmermann muß ich hier gleich Stellung nehmen: daß nämlich der Kollege Horn für die SPD den ObleserRücktritt gefordert habe. Ich wurde gestern darauf angesprochen und habe den Kollegen Horn sofort gefragt. Was hier behauptet wurde, ist überhaupt nicht wahr. Der Kollege Horn hat mir erklärt, daß er den Rücktritt Oblesers nicht gefordert habe. Wenn dem so gewesen wäre, Herr Kollege Zimmermann, hätte ich für die FDP natürlich gleich gesagt, daß ich dafür gar kein Verständnis hätte. Sie wissen das ganz genau. Ich erinnere Sie an frühere Zeiten. Einer, der die Wahrheit sagt, darf nicht gehen, er muß im Gegenteil erst recht bleiben, um auch weiterhin die Wahrheit zu sagen.
— Ich bin Ihnen dankbar für den Beifall. Sie wissen, daß ich von dieser Stelle aus mehrfach für Soldaten eingetreten bin, z. B. für den Oberst Dierich, der nach dem Willen von Strauß gehen oder versetzt werden sollte, weil er in Sachen Starfighter die Wahrheit gesagt hat. An diese Zeit müssen Sie sich erinnern. Die Beamten und Soldaten wissen, daß sie sich auf die Freien Demokraten verlassen können. Und das wissen sie alle,
seit Wolfgang Doering an dieser Stelle klargemacht hat, daß für uns Freie Demokraten immer Recht vor billigem Opportunismus geht.
Herr Kollege Jung, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Herr Kollege Jung, habe ich die Äußerung, die Sie soeben machten, richtig verstanden, daß Sie als einzelner wie auch die Fraktion der FDP sich einer eventuell geplanten Entlassung des Inspekteurs nachdrücklich widersetzen werden?
Sie haben mich völlig richtig verstanden. Ich wiederhole, daß ich mich — und das gilt auch für die FDP — immer für Beamte und Soldaten, die die Wahrheit sagen, einsetzen werde, daß daraus keinerlei Konsequenzen in Richtung Rücktritt zu ziehen sind. Vielmehr unterstützen wir das mannhafte Auftreten, wenn die Wahrheit gesagt wird.
Weil Sie aber gerade heute früh das Finanzdebakel Tornado in die Diskussion eingeführt haben — zunächst Herr Zimmermann, dann noch einmal bekräftigt durch Herrn Wörner —, möchte ich sagen, daß nicht politische Unfähigkeit, sondern politisches Wollen als Ursache mit angesehen werden muß, und im Untersuchungsausschuß hat sich herausgestellt — im übrigen ersehen wir das auch aus der Pressemeldung von vorgestern in bezug auf die Roland-Bestellungen —, daß ganz offensichtlich — und das ist doch auch immer meine Aussage gewesen — der „Wasserkopf Hardthöhe" zu groß geworden ist, daß eine Operation notwendig ist, damit man dort überhaupt wieder etwas klarer denken und handeln kann. Das aber ist doch nicht ein Verschulden des derzeitigen Verteidigungsministers allein, sondern da sind alle, die Verantwortung da oben auf dieser Hardthöhe getragen haben, irgendwie mitbeteiligt. Wenn Sie in die Geschichte von Tornado zurückblikken, meine Kollegen — es sind j a noch einige da aus der Zeit 1966/69 —, kommen Sie doch nicht daran vorbei, daß dieses High Sophisticated Weapon System in der Großen Koalition unter Ihrer Verantwortung geboren wurde. Sie dürfen also heute nicht so laut schreien, sondern Sie müssen sich an die Brust klopfen und sagen: Wir sind mit schuld. Wir Freien Demokraten könnten uns darauf berufen, daß wir dagegen waren und daß wir viel einfachere Systeme gefordert haben, eine größere Zahl einfach zu bedienender Systeme. Ich habe mich hier dafür stark gemacht. Der derzeitige Bundeskanzler, der 1969 das Amt des Verteidigungsministers übernahm, wird sich noch erinnern können, daß ich von dieser Stelle aus gesagt habe: Sie müssen erst einmal einen militärischen Verwendungszweck für das aus europapolitischen Gründen gewünschte System suchen. Ich hatte MRCA als Kürzel für „Military Requirement Comes Afterwards" interpretiert — Sie werden sich noch daran entsinnen, Herr Bundes-
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kanzler —, und ich habe auch auf die Kostenentwicklung hingewiesen.Aber ich will gar nicht sagen, wir seien an der späteren Entwicklung nicht mit schuld. Wir haben dann natürlich in den Ausschüssen die Entscheidungen mitgetragen, weil dahinter auch politisches Wollen stand. Deswegen sollten Sie das hier nicht so hochspielen, wie Sie es tun, und immer mit der Schuldzuweisung an andere verbinden; denn da sind Sie von der Union mindestens zu 50 %, wenn nicht zu mehr, noch mitschuldig.Herr Kollege Wörner hat hier in allgemeiner Form Vorwürfe erhoben. Ich meine allerdings, daß die von ihm vorgebrachten Allgemeinplätze zum Haushalt gleichermaßen für die Union gelten.Ich möchte zu den Punkten Glaubwürdigkeit, Mut und Sorge um die Finanzierung des Verteidigungsetats bereits für das nächste Jahr, 1982, die er mit einer Bugwelle von 4 Milliarden DM skizziert hat, sagen, daß wir die Sorge um die Entwicklung im Verteidigungsetat natürlich teilen. Wir haben dies auch immer wieder deutlich gemacht. Ich muß hier aber feststellen, daß — das hat Herr Ehmke soeben schon einmal gesagt — gerade Sie, Herr Wörner, in bezug auf das Anspruchsdenken Ihren Teil mit dazu beigetragen haben. Für uns ist klar, daß wir mit dem Verteidigungsetat, nachdem er nach der Aufstockung um 820 Millionen DM nun auf über 42 Milliarden DM geklettert ist — nach den NATO-Kriterien kommen noch einige andere Beträge hinzu, so daß man von rund 50 Milliarden DM für Verteidigungslasten in der Bundesrepublik reden kann —, natürlich auch dem Ziel näherkommen, das Sie immer fordern. Ich meine das Ziel der realen Steigerung von 3 %. Ich möchte feststellen, daß bei all Ihrer Kritik hinsichtlich Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft die Ausrüstung der Bundeswehr mit Waffensystemen der zweiten Generation mit diesem Haushalt ohne wesentliche Abstriche fortgesetzt wird, wobei natürlich einzuräumen ist, daß die eine oder andere Forderung der Truppe nicht erfüllt werden kann. Insgesamt handelt es sich doch wohl um einen ausgewogenen Kompromiß zwischen militärisch Notwendigem und finanziell Machbarem.Daß es Anlaß zu Kritik gibt, ist wohl von keinem, auch nicht von dem Sprecher der SPD, bestritten worden. Im Gegenteil, es gibt in der SPD sogar eine Reihe von Kollegen, die ihren Unmut darüber in dieser Debatte in besonderer Form ausdrücken wollen, obwohl ich dafür überhaupt kein Verständnis habe. Erklärungen wie in der vergangenen Woche, daß man eigentlich dagegen ist, sich aber dafür aussprechen wolle, weil ..., das ist ein schlechter parlamentarischer Stil! Das sollten Sie sich noch einmal überlegen, meine Kollegen von der SPD. Es ist auch für die Abgeordneten wohl notwendig, Wahrheiten auszusprechen, aber es ist auch notwendig, schwierige Zeiten gemeinsam zu meistern. Ich meine, daß wir mit diesem Haushalt 1981 und mit den Plänen für die kommenden Haushalte diese Bewährungsprobe auch angesichts der notwendigen Einschnitte gemeinsam bestehen können.Natürlich ist es ärgerlich, wenn hier ca. 1,2 Milliarden DM als unabdingbare Forderung des Verteidigungsministeriums im Ausschuß genannt wird und man sich schließlich mit 820 Millionen DM vollauf zufrieden zeigt. Hier ist in der Tat ein Verwirrspiel entstanden. Das hat eine Einbuße an Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in der Öffentlichkeit mit sich gebracht. Offensichtlich weiß auf der Hardt-höhe die Linke nicht, was die Rechte tut. Ich habe vorhin schon gesagt, was nach meiner Meinung geschehen muß.Es ist auch einzuräumen, daß es trotz der Aufstokkungen, trotz der Erhöhung der Mittel Risiken im Verteidigungshaushalt gibt, Risiken bei Tornado, Risiken im Zusammenhang mit den Betriebsstoffen, der Materialerhaltung und dem Betrieb. Wenn Sie, Herr Kollege Wörner, in diesem Zusammenhang den Inspekteur der Luftwaffe zitieren, ist das ja auch nicht ganz richtig. Sie wissen genau, daß es meine einleitenden Fragen waren, auf die er geantwortet hat und die Sie dann noch vertieft haben. Aber ich möchte im Gegensatz zu Ihnen feststellen: Die Antworten haben letzten Endes gezeigt, daß die Bedenken hinsichtlich der Zukunft zwar bestehen, daß aber die Einsatzbereitschaft der LW derzeit nicht gefährdet ist und auszüglich des Wortprotokolls auch die Flugsicherheit bisher zu keiner Zeit gefährdet war. Das muß einmal festgehalten werden, damit nicht immer wieder der Versuch gemacht wird, mit Unterstellungen das Schlimmste an die Wand zu malen. Solche Unterstellungen sind um so bedauerlicher, wenn damit dann noch Auswirkungen auf die Motivation der Soldaten begründet werden.Zu der Frage der Kriegsdienstverweigerung, in deren Zusammenhang Herr Wörner von dem Postkartengesetz, von einer Prämie für Wehrdienstverweigerung sprach, sollten nicht nur Verteidigungspolitiker der Union von dieser Stelle aus sprechen, sondern auch einmal andere Leute der Union, z. B. sollte Herr Geißler einmal seine Auffassung zu diesem Problem verdeutlichen.
Es hat doch keinen Sinn, wenn Sie den Dialog mit der Jugend mit großem Pathos in der Diskussion anmahnen und Geschichtskenntnisse fordern, die für uns alle selbstverständlich sind, wenn Sie den Worten dann keine Taten folgen lassen.Im übrigen wissen wir alle — das hat noch niemand bestritten, auch nicht der Verteidigungsminister —, daß die sowjetischen Ausgaben für Rüstung im letzten Jahrzehnt im konventionellen Bereich das Doppelte und im atomaren Bereich das Dreifache betragen haben. Das brauchen Sie uns nicht zu sagen; das ist doch völlig klar. Nur, in der Diskussion mit der Jugend muß man dann natürlich auch ehrlich sein und ihre Bedenken ernst nehmen.Wenn Sie von Mut sprechen: Wir Freien Demokraten haben schon immer gesagt, daß man die Bundeswehr nicht verstecken sollte. Im Gegenteil, für uns ist die Bundeswehr ein unverzichtbarer und integraler Bestandteil unserer gesamten Gesellschaft. Deswegen sind wir auch der Meinung, daß die Bundeswehr am öffentlichen Leben teilhat und die Öffentlichkeit an ihrem Leben teilnehmen lassen sollte —
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auch bei feierlichen Gelöbnissen und Vereidigungen.Die Steigerungsraten im Verteidigungshaushalt sind überproportional. Immerhin darf festgestellt werden, daß für das Kampfflugzeug Tornado im Haushalt 1981 ein Betrag von über 3 Milliarden DM — genau 3 Milliarden 65 Millionen DM; das sind 25 % des Gesamtbeschaffungsvolumens — eingeplant sind. Aber wir haben daneben auch noch andere Probleme: den Leo, die Fregatte. Ich nenne diese Projekte nur exemplarisch, um damit zu zeigen, daß sie alle drei Teilstreitkräfte und damit die Bundeswehr insgesamt betreffen.Bevor Herr Wörner im vorigen Jahr die Anfrage einbrachte, auf die man sich immer beruft, hatte ich das Verteidigungsministerium bereits um eine Darstellung der Kostenentwicklung bei diesen drei großen Beschaffungsvorhaben gebeten. Aus der Antwort geht hervor, daß bei allen diesen großen Rüstungsbeschaffungsvorhaben vom Produktionsbeginn bis zum Stichtag 31. Dezember 1979 jährliche Steigerungsraten von ungefähr 12,5 %, zum Teil bis zu 14 % — nicht spekulativ, sondern real — eingetreten sind. Auf Grund dieser eingetretenen Erhöhungen habe ich gesagt, daß im Verteidigungsministerium, ob das durch das Haushaltsrecht abgedeckt ist oder nicht, eine Langfristplanung vorgenommen werden muß, unter Zugrundelegung der Daten, die man erfahren hat, die Tatsache sind.
Diese Langfristplanung muß zugrunde gelegt werden, und den Abgeordneten ist mitzuteilen, was bis zum Ende des Zulaufs, bis zur letzten Rechnung für dieses und jenes Projekt zu erwarten ist. Dadurch soll verhindert werden, daß wir immer wieder von neuen Forderungen überrascht werden wie jetzt wieder bei dieser ominösen Geschichte „Roland", wo vom Staatssekretär ein „Memorandum of understanding" unterschrieben wurde, aber der Minister davon nichts wußte.So geht das doch nicht, daß das Parlament letzten Endes in diesem oder dem nächsten oder dem übernächsten Haushalt Mittel bereitstellen muß — man spricht von einer Größenordnung von 350 Millionen DM —, die für — ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll — Dummheiten, Eseleien, Unfähigkeit bei Vertragsgestaltung oder bei der Bürokratie, auch bei der uniformierten Bürokratie, vom Parlament zu bezahlen sind.
Ich erwarte vom Minister, daß für die Zukunft diese erkennbaren Schwächen — um mich vorsichtig auszudrücken — abgestellt werden und daß man eine sorgfältigere Planung durchführt, damit die Probleme nicht nur mit Hilfsmaßnahmen wie der Streichung des Luftabwehrsystems Roland, mit der Streichung des vierten Loses der Panzerabwehrrakete Milan, mit der Verschiebung der 7. und 8. Fregatte der Marine und des Luftverteidigungssystems Patriot gelöst werden.Ich bin ja schon zufrieden, daß unserer Forderung nach Einsetzung einer Kommission vom Bundesverteidigungsminister Rechnung getragen wurde, daß unserer Forderung nach betriebswirtschaftlichem Denken dadurch Rechnung getragen wurde, daß ein in der Industrie erfahrener Mann nunmehr die Dinge in die Hand nehmen, d. h. Lösungsvorschläge auch für eine langfristige Politik machen soll.Wir hoffen, daß die Probleme der Rüstung unbürokratischer und unkonventioneller durch industriellen Sachverstand untersucht werden und wir dadurch einen Schritt weiterkommen. Die Amerikaner — das wird zum Teil beklagt — haben bei uns in der Bundesrepublik auch schon Überlegungen angestellt, wie man einen Teil der militärischen Leistungen privatisieren kann, wie man dadurch zu billigeren und praktikableren Lösungen kommen kann. Ich hoffe, daß auch dies — durch Einschaltung von kleineren und mittleren Unternehmen — auf der Hardthöhe überlegt wird und daß man letzten Endes mit Schritten weiterkommt, die uns viel Geld ersparen können. Ich verspreche mir von der Einsetzung der Kommission und der Hinzuziehung industriellen Sachverstands eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bei internationalen Rüstungsvorhaben und die Einsicht in die Notwendigkeit einer langfristigen Planung.Hinzu kommt, daß wir nicht immer in jährlichen Haushaltsansätzen denken dürfen, weil das j a zu unrealistischen Bewertungen führt. Man muß auf der Basis der vorhin erwähnten Hochrechnung Kostenentwicklungen für alle Abgeordneten transparent machen. Nach einer Modellrechnung, die ich auf Grund dieser Kostenentwicklungen allein für Tornado unter Einbeziehung der Entwicklungskosten und der dafür notwendigen Waffensysteme — MW 1 — aufgestellt habe, komme ich am Ende auf ca. 40 Milliarden DM. Das bedeutet natürlich, daß wir für die Haushalte der nächsten Jahre ungeheure Summen allein für dieses Waffensystem bereitzustellen haben, die bisher weder in der mittelfristigen Planung noch in der langfristigen Planung überhaupt vorgesehen sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, in dem Herr Zimmermann mit dem Generalsekretär der CDU Geißler offenbar auch nicht einig ist, nämlich auf die Frage der Waffenexporte bzw. der Probleme im Zusammenhang mit der Entwicklung in der Golfregion.Sicherlich müssen wir uns auch Gedanken machen, wie die Rohstoffversorgung gewährleistet werden kann. Ungestörte Ein- und Ausfuhr im Rahmen des freien Welthandels ist eben für uns besonders lebenswichtig und für den Westen auch Voraussetzung, um den Verpflichtungen für die Dritte Welt entsprechen zu können. Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang der Persische Golf — das ist nicht zu leugnen — und die gesamten Transportwege in dieser Region. Aber ich habe es mir nicht so leichtgemacht. Ich habe dort wirklich viele Gespräche mit den verantwortlichen Leuten in Saudi-Arabien, in Katar, in Kuwait, in Bahrain und in
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Oman geführt und festgestellt, daß unisono gar keine Neigung besteht, die Anwesenheit irgendwelcher fremder Truppen, ob das nun die Rapid Deployment Forces sind oder andere, zu dulden. Die Schlußfolgerung daraus ist: Politische Stabilität dort kann nur durch Eigenstabilisierung aller dieser wichtigen Regionen durch westliche Hilfe zur Selbsthilfe erreicht werden, um Sicherheitsfragen in dieser oder in anderen Regionen selbständig lösen zu können. Die Bereitschaft des Westens muß gegeben sein, diesen Bündnissen auf deren Wunsch bei der Abwehr von Bedrohungen ihrer Sicherheit und Unabhängigkeit beizustehen, in welcher Form auch immer. Auch die Bundesrepublik Deutschland kann sich dieser Verantwortung nicht ganz entziehen.Ich möchte es dabei belassen. Wir haben uns ja in unserer Fraktion und in der Koalition insgesamt Gedanken zu dem Problem des Rüstungsexports gemacht. Wir stehen mitten in der Diskussion. Wir befürworten — das hat die Bundestagsfraktion der FDP sehr deutlich gemacht — die restriktive Haltung wie bisher. Aber, wir müssen auch eine Lösung — ich habe vorhin von unkonventionellen Lösungen bezüglich der Probleme auf der Hardthöhe gesprochen — für den Fall finden, daß der Verteidigungsminister Systeme, die zwar bestellt sind, aber unter Umständen zum Teil entbehrlich sind, in Abwehr von Forderungen, die auf uns zukommen könnten, durch die Partner in der Koproduktion einer anderen Endverwendung zuführen muß.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß eine Gemeinsamkeit feststellen, die heute sowohl bei Herrn Wörner wie bei Herrn Ehmke zum Ausdruck kam. Die Freiheit und der Friede haben ihren Preis. Ja, wir alle in diesem Hause können diesen Satz mit unterschreiben. Wir können auch unterstreichen, daß die Bundeswehr unser aller Hilfe bedarf, daß wir alle auch Vertrauen in die Fähigkeit der Bundeswehr haben, ihren Auftrag zu erfüllen. Wir haben mit unserer Wehrpflichtarmee in der NATO den konventionellen Part übernommen, und die Bundeswehr ist dafür heute auch bestens gerüstet und ausgebildet. Ich möchte all die Diskussionen aus der Zeit Ende der 60er Jahre in der Großen Koalition oder Anfang der 70er Jahre hier gar nicht mehr wieder einführen. Sie wissen alle, daß wir, die Freien Demokraten, in unserer Vorstellung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis heute einen ganz klaren Kurs gefahren sind. Wir haben alle gemeinsam das Bekenntnis zur Friedenssicherung abgegeben.Deswegen möchte ich noch einmal bitten, möglichst schnell den aus meiner Sicht unnötigen Untersuchungsausschuß zu beenden, um im Verteidigungsausschuß schnell zu einer intensiven Diskussion der verteidigungspolitischen Probleme zu kommen, die leider hier nicht voll ausdiskutiert werden können. Das erscheint mir dringend notwendig, auch insbesondere im Hinblick auf die großen Risiken, die 1982, 1983 und in den folgenden Jahren in diesem Bereich auf uns zukommen. Ich möchte diese Bitte an alle drei Fraktionen und an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses richten.Abschließend möchte ich feststellen, daß wir der versteckten Drohung bzw. Aufforderung des Herrn Wörner nicht zustimmen können. Denn letzten Endes ist der heutige Verteidigungsminister Apel — ich hoffe, wenigstens in Ansätzen dargelegt zu haben, warum das so ist — nicht allein verantwortlich für die Entwicklung, sondern Sie und wir alle haben unseren Teil dazu beigetragen, und es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nunmehr dafür zu sorgen, daß wir diese Probleme, die wir selber mitgeschaffen haben — mehr oder weniger selber mitgeschaffen haben —, auch gemeinsam lösen. Deswegen rufe ich in der Frage der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu mehr Gemeinsamkeit in diesem Hause auf. Ich bitte, dieses Thema, diesen Bereich nicht für billige parteipolitische Polemik zu mißbrauchen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann begehrt das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung. Den Anlaß dazu hat er mir mitgeteilt. Ich erteile ihm das Wort zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sagte heute morgen:Es war der Bundeswirtschaftsminister, der gegenüber einer amerikanischen Zeitschrift Anfang des Jahres prophezeit hatte: Die Bundesregierung gilt im Ausland nicht mehr als solider Schuldner, der Ruf der D-Mark ist stark angeschlagen.Dieses Zitat findet sich in der „Welt am Sonntag" am 31. Mai 1981 unter dem Vorsatz:Damit ist schneller als befürchtet eingetroffen, was Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff bereits im März gegenüber dem USA-Wirtschaftsmagazin „Forbes" prophezeit hatte.Das Zitat aus „Forbes", aus einem langen Interview des Bundeswirtschaftsministers, hat folgenden Kern. Die Zeitschrift fragt:Meine Frage ist: Wie lange dauert es noch, bis der König von Saudi-Arabien den Deutschen das sagt, was de Gaulle Ende der 60er Jahre den Amerikanern sagte: Wir wollen nicht länger euer Papiergeld, gebt uns Gold?Und der Bundeswirtschaftsminister antwortet: Nicht sehr lange.Die „Welt am Sonntag" hat in drei Äußerungen am 15. März 1981, am 22. März 1981 und am 31. Mai 1981 das, was der Bundeswirtschaftsminister auf vielen Seiten erklärt hat, zusammengezogen. Das ist eine Bilanz, das ist ein Fazit.Zu einer Entrüstung, wie der Bundeswirtschaftsminister sie hier gespielt hat, war kein Anlaß. Ich habe die Zusammenfassung zitiert. Ich habe kein wörtliches Zitat gebraucht, wie aus meinem Manuskript hervorgeht. Sollte trotzdem der Eindruck entstanden sein, daß ich den Bundeswirtschaftsmini-
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Dr. Zimmermannster wörtlich zitiert hätte, dann würde ich das bedauern.
Wir fahren nun in der Debatte fort.
Als nächster Redner hat der Herr Bundeskanzler das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem kurzen Ausflug in den Wahrheitsfanatismus des Herrn Abgeordneten Zimmermann — —
— Ja, ich werde ja wohl nach all den Ausfällen, die wir uns heute angehört haben, auch einmal zurückschlagen dürfen. „Wahrheitsfanatismus" ist ein freundliches Wort.
Mir liegt am Herzen, zu betonen, daß ich zwischen der „Welt am Sonntag" und Herrn Zimmermann noch nie einen Unterschied habe erkennen können.
Abgesehen von Polemik, hat die Debatte gestern und heute bisher von seiten der Opposition so viel Neues noch nicht gebracht.
Ich möchte mich voll und ganz hinter die Rede des Bundesfinanzministers von gestern stellen. Ich will hinzufügen: Die Welt ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch mit den 80er Jahren in eine schwierige, gefährliche Phase eingetreten; aber eben auch wirtschaftlich.Der alberne Versuch der Opposition, so zu tun, als ob die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bundesrepublik Deutschland nur in diesem Land stattfänden und der Koalition zur Last zu legen seien, findet den Beweis des Gegenteils, wenn Sie auf die 2½ Millionen Arbeitslosen in England oder die 1¾ Millionen Arbeitslosen in Frankreich oder auf die Arbeitslosen in Amerika und anderswo schauen.
Die ganze Welt, Herr Kiep, hat durch die Entwicklung der letzten Jahre, insbesondere durch die zweite Ölpreisexplosion, schwierigste Probleme zu lösen. Da uns gestern etwa Japan als Beispiel vorgehalten wurde, darf ich darauf hinweisen, daß Japan seinen letzten Haushalt zu einem Drittel durch Kredite hat finanzieren müssen.
Ich kritisiere das nicht. Mir liegt nur am Herzen, Ihnen bei der CDU/CSU zu sagen: Ihr Horizont sollte etwas weiter reichen als derjenige, der „Welt am Sonntag" und der Springer-Presse.
Keine der Volkswirtschaften der Welt — weder in den Entwicklungsländern noch in den Industriestaaten — kann sich diesen ungeheuren Umwälzungen, die seit den letzten 24, 36 Monaten passieren, über Nacht anpassen. Alle haben sehr große Schwierigkeiten. Wichtige Industrieländer sind gezwungen, eine sehr harte Politik zu treiben. Wenn es heute Zinssätze in Italien von 27 % oder in Frankreich von über 20 % oder in Amerika ebenfalls von über 20 % gibt, dann kommen Sie doch nicht her und reden dem deutschen Volk ein, uns gehe es schlechter als anderen und wir hätten das verschuldet! Das Gegenteil ist wahr.
Die hohen Zinssätze im Ausland sind es, die die Bundesbank zwingen — ich kritisiere das nicht, was die Bundesbank tut —,
sich ihrerseits in den Zinsen vorsichtig und schrittweise anzupassen, obwohl die Bundesbank genauso wie jeder hier im Haus, jeder Ökonom, jeder Unternehmer und jeder Gewerkschafter weiß, daß in der gegenwärtigen Phase die hohen Zinsen eigentlich wirklich unerwünscht sind.
Wenn Herr Glos, ein Redner von gestern, den ich gehört habe, meint, das Sinken der DM sei ein Ausdruck steigenden Mißtrauens, dann müssen Sie bei der Opposition sich einmal vorstellen, wo der Kurs der D-Mark wäre, wenn wir auch 27 % Zinsen machten. Allerdings kriegten wir dann die Arbeitslosigkeit, die es in jenen Ländern mit den hohen Zinsen gibt.
Das war doch alles nur für den kleinen Fritz erzählt.Das einzige Konkrete, das ich in der ganzen Debatte von der Opposition gehört habe, war in der Rede des Herrn Glos: Eine Subvention dürfe nicht gestrichen werden, nämlich die für den Airbus, wobei er nicht vergessen hat, zu erwähnen, daß sein Ministerpräsident Vorsitzender des Aufsichtsrats ist. Das war das einzige Konkrete, das ich gehört habe.
Ich habe dem Hause nach der Rückkehr aus Washington berichtet und greife darauf zurück, daß ich dem amerikanischen Präsidenten eingehend dargelegt habe, welche großen Sorgen mir die Auswirkungen des hohen Zinsniveaus in der größten Volkswirtschaft der Welt machen und welche großen Sorgen die Auswirkungen auf alle übrigen uns machen müssen. Ich habe gestern erfahren, daß eine andere europäische Regierung gleiche Vorstellungen erheben wird.
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Bundeskanzler SchmidtSelbst im allergünstigsten Fall wird dieses sehr hohe Zinsniveau zu einer wesentlichen Verzögerung der weltwirtschaftlichen Erholung führen; im ungünstigsten Falle kann es — damit wir uns hier nichts vormachen — in die weltweite Depression führen.Sicherlich können sich die Vereinigten Staaten von Amerika dieses Rekordzinsniveau von 20 % eine Zeitlang leisten; sicherlich können wir uns in Europa das gleiche nicht ohne eine ganz wesentliche Zunahme der Arbeitslosigkeit leisten. Deshalb werden die weltwirtschaftliche Gesamtentwicklung, die Zinsentwicklung und der internationale Zinswettlauf auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Ottawa Ende nächsten Monats ein Hauptthema sein. Ich werde mich dort mit Nachdruck für eine engere Koordinierung und Kooperation der großen Industrieländer in diesem Bereich aussprechen.
Die Koalition hat sich verabredet, unmittelbar nach Ottawa die aus den dortigen Erkenntnissen und Ergebnissen notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen — in der Wirtschaftspolitik genauso wie in der Haushalts- und Finanzpolitik.Leider kann man heute noch nicht davon ausgehen, daß es auf der ganzen Welt schon bald spürbar und dauerhaft zu Zinssenkungen kommt. Es spricht eher vieles dafür, anzunehmen, daß die Folgen der weltweiten Rezession auch noch in das Jahr 1982 fortwirken werden. Das wird natürlich die Probleme auch für unseren Haushalt 1982 verschärfen. Wie viele schon gesagt haben, so sage auch ich: Es wird für diesen 82er Haushalt eine große Kraftanstrengung der Koalition notwendig sein; Schönheitsreparaturen werden da nicht ausreichen.
Viele Ausgaben, alle Subventionen — auch die, die Sie besonders gelobt haben, nämlich die für den Airbus — werden angeguckt werden müssen. Dabei wird keine gesellschaftliche Gruppe von den Auswirkungen verschont bleiben.
Ich jedenfalls verfolge mit dem Finanzminister die Absicht, deutliche Zeichen zu setzen und darauf zu achten, daß die soziale Ausgewogenheit dabei nicht gestört oder gar zerstört wird.
Ich bin ganz sicher, daß wir die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durchstehen werden. Ich wiederhole, was ich schon gesagt habe: Die Voraussetzungen für das Durchstehen sind in der Bundesrepublik Deutschland besser als in den allermeisten Industriestaaten der Welt. Übrigens sehen Sie die positiven Auswirkungen des Anstiegs des amerikanischen Dollar durch die hohen Zinsen uns gegenüber — es ist j a die D-Mark gegenüber den anderen europäischen Währungen nicht abgewertet, wie hier gestern durch etwas schiefe Darstellung suggeriert wurde — in unseren enormen Exportsteigerungen der allerletzten Zeit, die sich ja fortsetzen werden.Es hat wenig Sinn, meine Herren von der Opposition, nun nachträglich so zu tun, als ob dies alles —zweimal Ölpreisexplosion, Zinsexplosion in der ganzen Welt — mit einer im Grunde seit zwölf Jahren falsch angelegten Politik der sozialliberalen Koalition etwas zu tun habe,
wie einige Ihrer Redner das immer wieder vorgebetet haben, wie es Herr Kohl heute nachmittag sicher auch wieder sagen wird. Es hat wenig Sinn, daß Sie mit der Attitüde des Anklägers so tun, als hätten die Menschen in den späten 60er Jahren — oder, sagen wir besser: in den frühen 70er Jahren, in der ersten Hälfte der 70er Jahre — klüger sein und diese Entwicklungen voraussehen sollen, die doch jene Konservativen, Herr Zimmermann, ganz gewiß nicht vorausgesehen haben, die sich noch 1973 mit Verve gegen energiepolitische Programme gewendet und sie für planwirtschaftlichen Humbug gehalten haben. Sie haben das alles ganz gewiß nicht vorausgesehen.
Als wir vor zwölf Jahren die Regierungsverantwortung gemeinsam übernommen haben, haben wir in der Tat — ausgehend von der damals gerechtfertigten Erwartung einer längerwährenden Phase des wirtschaftlichen Wachstums — einen wichtigen Teil des jährlichen Wohlstandszuwachses für den Auf- und Ausbau der gesellschaftlichen und staatlichen Infrastruktur verwendet, insbesondere der sozialen Sicherheit. Das entsprach dem Gebot der Gerechtigkeit, die Freiheit für viele erst dadurch erfahrbar zu machen, daß für sie — aus der Solidarität heraus — soziale Sicherheit voll und ganz geschaffen, ihnen Angst genommen wurde. Das war richtig,
und das bleibt auch richtig. Das wird nicht dadurch widerlegt, daß Sie so tun, als ob die Weltwirtschaftskrise nur in Bonn stattfinde. Sie findet in Ihren Hirnen statt, meine Herren von der Opposition.
Es ist ganz klar, daß Sie — das hängt wirklich mit Ihren Denkstrukturen zusammen — nicht erkennen und zugeben wollen, daß der Eingriff in die langanhaltende Kurve ständiger Wohlstandsmehrung von draußen, aus einem anderen Erdteil, gekommen ist, daß er mit der inzwischen eingetretenen Verzwanzigfachung des Preises für 01 zu tun hat, welches den wichtigsten Rohstoff für unsere Volkswirtschaft genauso wie für andere Industriewirtschaften, genauso wie für die Entwicklungsländer darstellt.Wir müssen nun sehen, daß Zeiten des ständig steigenden Zuwachses gegenwärtig und in der überschaubaren Zukunft nicht mehr erwartet werden können. Wenn Solidarität damals verlangt hat, daß man für diejenigen, die sich unsicher fühlen mußten, die Angst haben mußten, das soziale Netz enger
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Bundeskanzler Schmidtknüpfte, dann verlangt die Solidarität heute unter völlig anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen, daß man das Netz der sozialen Sicherheit in seinen Verankerungen sichert, damit es nicht eines Tages für diejenigen, die darauf angewiesen bleiben, aufgekündigt werden muß.
Damit mich niemand mißversteht: Hier findet kein Bruch der Gesellschaftsphilosophie, keine Zäsur statt. Dies ist vielmehr Kontinuität solidarischer Gesinnung und solidarischen Handelns.
Diese Solidarität kann aber immer nur konkret situationsbezogen sein. Wenn sich die Umwelt, die Verhältnisse, in denen Deutschland lebt, insgesamt verändern, wird manches von dem, was wir tun, auch angepaßt werden müssen. Wir müssen dieses Stück Freiheit sichern, das ohne die Leistungsgesetze der sozialen Sicherheit verfallen oder der Unfreiheit in Not weichen müßte. Es ist nichts Sensationelles daran, wenn man in einer solchen Lage das Netz der sozialen Sicherheit entlasten muß. Es ist nicht einmal etwas Sensationelles für Leute daran, die ihr Leben lang gewohnt waren, in diesen Zusammenhängen zu denken.Ich zitiere Ihnen zwei Stellen aus dem von Ihnen häufig gescholtenen Orientierungsrahmen, den die SPD vor einer Reihe von Jahren mit dem Blick auf das Jahr 1985 angenommen hat:Für unsere Politik ergibt sich als dringlichste Forderung aus dem enger gewordenen finanziellen Spielraum, daß die zur Verfügung stehenden Mittel sparsamer und gezielter eingesetzt werden. Dabei müssen alle Arten von Staatsausgaben einbezogen werden. Dies setzt voraus, daß die öffentlichen Ausgaben daraufhin überprüft werden, ob ihnen noch ein gültiger sozialer Anspruch zugrunde liegt.
— Das war nach der ersten Ölpreisexplosion. Ich zitiere Ihnen die zweite Stelle:Die wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an den Staat bergen die Gefahr in sich, die Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern und eine bürokratische Ausweitung des Staatsapparates zu erzeugen, dessen Kosten unerträglich wachsen und dessen Effektivität doch immer weit hinter den gesellschaftlichen Anforderungen zurückbleibt. Die verbreitete These, der Druck der gesellschaftlichen Probleme wachse stärker als unsere Fähigkeit, sie zu meistern, trifft dann sicherlich zu, wenn die Lösung dieser Probleme immer mehr der staatlichen Bürokratie zugemutet wird.
— Ich bin dankbar, daß Sie einer, wie mir scheint, wichtigen und richtigen Passage aus unserem Orientierungsrahmen Beifall zollen. Bisher haben Sie es immer anders gemeint. Ich möchte das Zitat noch zu Ende führen:Ohne gesellschaftliche Strukturreformen, die die Fähigkeiten und Bereitschaft der Gesellschaft zur Selbstregulierung und zur Selbsthilfe nutzen und stärken, droht uns eine Entwicklung, in der wachsende, lähmende soziale Konflikte nur noch durch den Staat reguliert werden können, der zur Durchsetzung seiner Ziele eines wachsenden Apparats bedarf. Einem zunehmenden Versorgungsdenken und abnehmender Fähigkeit und Bereitschaft zu solidarischer Selbsthilfe stünde dann eine abnehmende Leistungsfähigkeit des Staatsapparats gegenüber.Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie das eben in der Attitüde des Zustimmens angehört haben, daß Sie kein Monopol auf das haben, was die christliche Soziallehre Subsidiarität, von der gestern und heute auch die Rede war, genannt hat und mit Recht so nennt, und daß Sie kein Monopol auf das haben, was die christliche Soziallehre Solidarität nennt — daß Sie auf das letztere schon gar nicht ein Monopol haben.
Und Sie sehen daraus — das darf ich als Sozialdemokrat hinzufügen —, daß wir in der Kontinuität unserer Politik aus jeder Situation heraus — und die Situationen, die Verhältnisse ändern sich — das erreichbare Maß an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität herauszuholen uns bestreben, um es für die Menschen konkret erfahrbar zu machen.Das bedeutet keineswegs auch nur die Andeutung des Rückzugs aus dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit, wenn man mißbräuchliche Inanspruchnahmen abstellt, wenn man Berechtigungen zurücknimmt, die — um den Wortlaut von eben noch einmal aufzunehmen — sozial nicht mehr „gültig" sind. Im Gegenteil, es bedeutet die Wahrnehmung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gestaltungsaufgaben des Staates, wenn wir versuchen werden, stärker von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben des Staates umzuschichten.Das steht alles unter dem Gerechtigkeitsgebot. Gerade für den sozialen Frieden gilt ja, daß er das Werk der Gerechtigkeit ist. Und dies bedeutet, daß wir die Anpassungslast, die unser Volk in diesem Strukturwandel genauso zu tragen hat wie die übrigen Völker Europas, wie noch mehr die Völker in den Entwicklungsländern — wir alle leiden unter sinkenden Realeinkommen, alle, mit der Ausnahme einer Handvoll von Staaten, die ich nicht extra nennen will —, daß wir die Anpassungslast gerecht verteilen müssen, und sie um Gottes willen nicht bei den Schwachen oder gar den Schwächsten abladen dürfen.
In diesem Zusammenhang wende ich mich gegen die bei einigen zur Mode gewordene Kritik oder den Sprachgebrauch, vom sozialen Netz geringschätzig als von einer sozialen Hängematte zu reden.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2271
Bundeskanzler SchmidtDas können sich diejenigen leisten, die darauf nicht angewiesen sind.
Unser System der sozialen Sicherung hat sich prinzipiell und grundsätzlich bewährt. Es hat prinzipiell unser demokratisches Gemeinwesen sowohl gesellschaftlich als auch politisch stabilisiert, und zwar nicht nur im Sinne der unteren Schichten der Einkommenspyramide. Es hat allen Gruppen unserer Gesellschaft geholfen.Um es noch einmal mit anderen Worten deutlich zu sagen: Wir haben in den 70er Jahren keineswegs sozial über unsere Verhältnisse gelebt. Aber jetzt haben sich die Verhältnisse geändert und verschlechtert, und wir müssen uns den neuen Verhältnissen anpassen.
Und wenn ich von Mißbräuchen geredet habe, die man abbauen sollte: Die gibt es nicht nur bei der sozialen Sicherung, die gibt es auch bei einer Reihe von Steuervergünstigungen,
die gibt es bei einer Reihe von Haushaltszuwendungen oder Subventionen, wie man auch sagt, und die werden nicht nur von Arbeitnehmern mißbraucht, meine Damen und Herren, sondern auch von Unternehmungen — ich sage das ganz unpersönlich. Und dies alles zugleich muß unter dem Gesichtspunkt, daß die Kargheit der Mittel Mißbrauch nicht länger erlaubt, sorgfältig angeguckt und abgeschnitten werden.
Dies ist nicht nur, aber in zunehmender Weise ein quantitatives Problem. Es ist, wenn ich die Beitragszahler der sozialen Sicherung vor Augen habe — und ich bin fast jeden Monat in einem anderen Betrieb und rede dort, auch über die — —
— Haben Sie etwas dagegen, daß der Bundeskanzler Betriebsbesuche macht? Das sollten auch Sie tun!
Ich sehe mir in jedem Betrieb die Lohn- und Gehaltsabrechnungen und die Lohnzettel an.
— Das sollten auch Sie tun. — Ich höre dort eine ganze Menge Klagen, über den Mißbrauch, den einige treiben.
Das Abschneiden des Mißbrauchs ist nicht nur einquantitatives Problem, obwohl die quantitative Bedeutung wächst, sondern es ist in allererster Linie ein moralisches Problem, das gelöst werden muß.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werden entsprechende Gesetzentwürfe nach Ende der Sommerpause auf den Tisch des Hauses bekommen.Es ist bei diesem Bemühen selbstverständlich, daß es verschiedene Meinungen über Zweckmäßigkeiten gibt. Es gibt auch verschiedene Interessen. Es gibt immer verschiedene Meinungen darüber, wo der Staat Geld ausgeben soll, wo der Staat Geld sparen soll, so im Bundestag, nicht nur zwischen Opposition und Koalition, auch innerhalb der Koalition, zwischen zwei Partnern, auch innerhalb jeder der beiden Koalitionsparteien. Die Bundesregierung stützt sich ja auf zwei selbständige Parteien.
— Vier?
— Was fordern Sie heraus? Soll ich daran erinnern, daß Herr Zimmermann die Rede für Herrn Strauß gehalten hat, für seine vierte Partei, die dann doch nicht in Erscheinung trat, die aber noch nicht ganz aufgegeben wurde?
Herr Kohl, alles, was Ihre Leute bisher vorgetragen haben, war doch in Wirklichkeit der späte geistige Sieg des Sonthofeners über das Prinzip einer alternativen Politik, die Sie nicht geboten haben.
Wir werden bei dieser Operation darauf achten — aus unserer ganzen Geschichte heraus und aus moralischen Grundsätzen heraus —, daß die Einschränkungen nicht nur zu Lasten der kleinen Leute gehen, wie man so sagt, sondern wir werden uns an den Satz aus der Regierungserklärung vom vorigen Herbst halten,
daß wir in schwierigen Zeiten mehr Solidarität brauchen und nicht weniger. Und vielleicht — das sage ich mal ein bißchen ironisch — darf man heute schon an das Interesse der kleinen Landwirte oder auch der kleinen Rentner appellieren. Sie beide sollen sich nicht vor den Wagen der Großen spannen lassen.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat kürzlich öffentlich angeboten, im kleinen Kreise mit der Bundesregierung, auch mit der Arbeitgeberseite, über aktuelle Fragen der mißbräuchlichen Ausnutzung des sozialen Netzes und über aktuelle Fragen der Wirtschaftspolitik und der Arbeitslosigkeit zu reden. Ich sehe das als ein neues Zeichen für die verantwortungsbewußte Haltung der deutschen Gewerkschaften an, für das ich dankbar bin. Es ist klar, daß wir zu solchen Gesprächen bereit sind.
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2272 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bundeskanzler SchmidtNun möchte ich eine Bemerkung zu Herrn Zimmermann machen. Er war ja einer der Hauptredner und hat dargetan, seit Jahren habe man das gesagt, und nun sei es endlich eingetreten. Ähnlich hat sich Herr Kiep gestern geäußert, etwas vornehmer, aber auch inhaltslos.
— Das wird man doch noch sagen dürfen. Herr Kiep ist im Auftrage der Bundesregierung bei, ich weiß nicht wieviel, Regierungen der Welt gewesen, um für einen unserer Partner um Geld zu fechten. Er muß doch zugeben, die Bundesrepublik hat ihm am meisten mitgegeben, weil es bei uns am ehesten möglich war, weil es uns gegenüber all den anderen Partnern, wo er weniger eingeheimst hat, am besten ging. Reden Sie doch anschließend hier im Bundestag nicht solche Töne, Herr Kiep!
Sie müssen das doch zugeben!
— Was?
— Ich würde ja gern auf die Zwischenrufe eingehen, wenn ich sie akustisch verstehen könnte.
— Nein, mies war das nicht! Es war die Wahrheit. Sie haben doch nach der Wahrheit verlangt.
Ich wiederhole das: Herr Kiep ist im Auftrage der Bundesregierung bei einer Reihe von Partnerstaaten und bei deren Regierungen gewesen, um um Geld für einen gemeinsamen Partner, der finanzwirtschaftlich in Not war, für die Türkei, zu fechten. Wahr ist, daß ihm die anderen Partnerregierungen weniger Geld als die eigene Regierung, die deutsche Bundesregierung, gegeben haben,
weil sie — die deutsche Regierung — in besserer finanzwirtschaftlicher Lage war als die Regierungen der übrigen Staaten.
— Lieber Herr Kohl,
ich werfe Herrn Kiep nicht vor, daß er das getan hat.
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Vergnügen. Vizepräsident Leber: Bitte sehr, Herr Kohl.
Herr Bundeskanzler, halten Sie es, nachdem Sie bei dem eben beschriebenen Sachverhalt der Türkeihilfe an die Opposition herangetreten sind und auch darum gebeten haben, daß Herr Kiep im gemeinsamen Interesse der Deutschen und der Politik der NATO diese Mission übernimmt, für richtig, die Sache jetzt in einer Form darzustellen, die beim Zuhörer den Eindruck erweckt, als wäre dies eine Privatmission des Herrn Kiep gewesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kohl, den Eindruck, daß es — —
Herr Bundeskanzler, einen Augenblick, bitte! — Herr Dr. Kohl, es ist nicht unüblich, bei der Erteilung einer Antwort in stehender Haltung zuzuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, von mir aus hätte der Oppositionsführer gern auf seinem Platz sitzen dürfen; er wird dort noch sehr lange sitzen, nehme ich an.
Herr Bundeskanzler, ich sprach nur von dem, was im Hohen Hause Usus ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beuge mich, Herr Präsident, Herr Kohl, ich wollte nicht im Traum den Eindruck hervorrufen, als ob Herr Kiep eine Privatmission übernommen hätte. Ich habe zweimal gesagt, er habe das im Auftrage der Bundesregierung getan.
Ich bin auch nicht im Traum undankbar. Ich habe das damals — wie Sie — für eine gute Sache gehalten. Wir waren uns einig.
Wogegen ich mich wende, ist, daß er die Schlußfolgerungen aus seiner Mission hier verschweigt und so tut, als ob es uns schlechter ginge als anderen unserer Partnerländer. Dagegen wehre ich mich!
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2273
— Herr Kohl, wenn Sie in wirtschaftlichen Dingen die Wahrheit sagen wollten, müßten Ihre Redner nicht nur — was stimmt — sagen, daß wir gegenwärtig die Ziele des Stabilitäts- und -Wachstums-Gesetzes nicht erreichen,
sondern Sie müßten auch hinzufügen, daß es gegenwärtig kein Land der Welt gibt, das diese Ziele erreichen könnte, keines!
Sie müßten zugeben, daß dieses Land von den großen Industriestaaten der Welt, abgesehen von Japan, dasjenige mit der geringsten Arbeitslosigkeit ist, dasjenige mit dem niedrigsten Preisanstieg, dasjenige mit dem niedrigsten Zins fast in der ganzen Welt. Das müßten Sie j a auch vortragen, wenn Sie ehrlich wären!
Trotzdem sind mir die Zinsen zu hoch, und ich klage deswegen nicht die Bundesbank an. Ich weiß, daß die Bundesbank unter außenwirtschaftlichem Zwang steht. Deswegen bleibt das Zinsthema ein wichtiges Thema, ein — im Blick auf Ottawa — internationales Thema.Trotzdem ist uns die Arbeitslosigkeit zu hoch. Weiß Gott ist sie uns zu hoch! Aber man soll nicht so tun, als ob bei uns alles schwarz in schwarz wäre und anderswo alles besser wäre. Es werden j a die anderen Staaten mit den hohen Arbeitslosigkeits- und Zinsziffern nicht von einer sozialliberalen Koalition regiert. Herr Kohl, es sind ja wohl eher Ihre Parteifreunde, die dort regieren.
Herr Zimmermann hat dann über die Kernenergie geredet und gemeint, sie sei einer nationalen Energiequelle gleichzusetzen. Dazu eine Fußnote, Herr Zimmermann. Ich sage hier genau dasselbe, was ich in Amerika öffentlich gesagt habe. Sie wissen, daß ich für einen erheblichen Anteil Kernenergie eintrete — nicht für ein französisches Konzept, aber für einen erheblichen Anteil.Ich bin aber für Risikostreuung. Abgesehen von der Kohle und der Braunkohle, die wir im eigenen Boden haben — wobei unsere Kohle, sehr, sehr teuer ist und jeder neue Zentralschacht eine Investition in der Größenordnung von 1 bis 2 Milliarden DM erfordert, ehe nach zehn Jahren die erste Tonne Kohle gefördert wird, und die Kosten sehr hoch liegen —, müssen wir die Energien importieren, ob es Öl ist, Erdgas oder Kernenergie.Ich habe mein amerikanisches Publikum darauf hingewiesen, daß nicht nur Öl politische Risiken mit sich bringt, wie Sie gesagt haben — mit Recht -, daß nicht nur Erdgas politische Risiken mit sich bringt, wie Sie angedeutet haben — mit Recht —, sondern auch Kernenergie. Muß ich das Haus daran erinnern, daß eine amerikanische Regierung, umder deutschen Industrie den Export von Kraftwerken nach Südamerika unmöglich zu machen, uns in allem Ernst mit der Verweigerung vertragsgemäßer Lieferung von angereichertem Kernbrennstoff bedroht hat?Alle Energielieferungen von außen sind mit politischen Risiken behaftet. Deswegen warne ich vor der Vorstellung, Herr Zimmermann, als ob eine allzu starke Verlagerung auf Kernenergie risikofrei sei. Ich rede jetzt nicht vom Sicherheitsrisiko, ich rede vom außenpolitischen Risiko. Deswegen muß man zwischen allen importierten Energien das Risiko streuen und in bezug auf jede der importierten Energien dann auch noch auf verschiedene Länder, weswegen man j a auch seine Erdgasbezüge nicht auf ein einziges Land konzentrieren darf — weder auf Algerien noch auf Holland noch auf die Sowjetunion. Aber man darf aus der Sowjetunion durchaus einen gehörigen Anteil beziehen, und das wollen wir auch, wenn die Wirtschaft und die Behörden in Moskau miteinander handelseinig werden sollten.Sie, Herr Zimmermann, haben dann auch, genauso wie der Kollege Wörner, über Verteidigungsfragen geredet. Dazu wird sich Herr Kollege Apel noch äußern. Aber ein Punkt fiel mir auf, in dem der Abgeordnete Zimmermann auch hinsichtlich der Tradition der Bundeswehr die Wahrheit nicht gesagt hat. Das bezieht sich auf die Gelöbnisfeiern, die — wie bisher — im allgemeinen innerhalb der Kasernen stattfinden. Die Öffentlichkeit ist möglichst einzubeziehen, heißt es in dem Erlaß, und wie bisher können Gelöbnisfeiern auch außerhalb der Kasernen stattfinden. Richtig ist, daß sie nicht mehr in Verbindung mit dem Großen Zapfenstreich stattfinden sollen. Ich glaube, dies kann nicht im Ernst leichthin als Traditionsbruch hingestellt werden. Ich habe viele Große Zapfenstreiche erlebt. Einer ist mir selber gegeben worden, als ich auf der Hardthöhe ausschied.
— Herr Kollege, der Kollege Scheel hat, ehe er Bundespräsident wurde, mal gesagt: Man muß immer eine ungerade Zahl von Dokumenten besitzen. Einstweilen ist es für Sie noch nicht soweit. Ehe es aber soweit kommt, daß ein Zapfenstreich, der noch bevorsteht, Herrn Wörner betrifft, muß Herr Wörner das erst mal werden, was er werden möchte. Bei seinem Ehrgeiz allerdings, fürchte ich, wird er es nicht werden.
Ansonsten wird j a der Große Zapfenstreich, der eigentlich zum Abschied eines verdienten Mannes gegeben werden soll, nicht abgeschafft.Bei Herrn Wörner habe ich immer ein bißchen Angst, daß er seine markigen Worte wirklich so meint, wie sie gesagt werden.
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2274 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bundeskanzler SchmidtDeswegen möchte ich auch nicht so gerne, Herr Wörner, daß Sie auf der Hardthöhe einziehen. Das möchte ich, ehrlich gesagt, wirklich nicht.Sie haben von Hearings oder Anhörungen in einem Ausschuß gesprochen. Bei Fragen, die man dort in Zahlen, in Gewichten oder in Mark und Pfennig beantworten kann, ist eindeutig zwischen dem zu unterscheiden, was wahr ist und was unwahr ist. Bewertungsfragen, noch dazu militärische Bewertungsfragen, würde ich — und Sie wahrscheinlich auch — etwas anders kategorisieren. Bewertungsfragen, ob sie unter Eid oder ohne Eid beantwortet werden, haben natürlich in der Antwort immer ein subjektives Element. Gott sei Dank hat es unsere Verfassung, unser Grundgesetz, so eingerichtet, daß darüber, was militärisch für nötig gehalten und was dann auch finanziert werden soll, nicht diejenigen entscheiden sollen, die subjektiv am nächsten daran sind, sondern nach dem Grundgesetz sind es die Bundesregierung und der Bundestag. Das muß auch so bleiben.
Herr Wörner hat gesagt, insgesamt hätten wir seit 11 oder 12 Jahren zuwenig für die Bundeswehr ausgegeben.
— Lieber Herr Wörner, ich will Ihnen nichts unterstellen. Machen Sie bitte von der Zwischenfrage Gebrauch, um mir deutlich zu machen, wie Sie verstanden werden wollen.
Zu einer Zwischenfrage, Herr Kollege Wörner.
Herr Bundeskanzler, würden Sie mir die Freundlichkeit beweisen, das im Protokoll nachzulesen? Ich zitiere aus der Erinnerung. Ich habe gesagt: Unter Ihrer Verantwortung ist der Anteil der Verteidigungsausgaben an den Gesamtausgaben des Haushalts von über 23 % auf 16,5 % zurückgegangen, und ich habe daraus geschlossen, daß Sie sich wie ein Manager verhalten, der eine Fabrikeinrichtung bestellt und die Einkünfte, die er dafür vorgesehen hat, laufend verringert und sich am Schluß wundert, daß er das nicht mehr bezahlen kann. Ich habe gesagt: Das ist der Kern des Dilemmas. Dabei bleibe ich, und die Ereignisse im Haus von Herrn Apel liefern dafür täglich die Beweise.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Wörner, ich kann nicht umhin, Sie dahin gehend zu verstehen, daß nach Ihrer Meinung insgesamt für den Verteidigungshaushalt zuwenig Geld zur Verfügung gestellt worden ist, und zwar nicht nur in einem Jahr, sondern über eine Reihe von Jahren. Ich muß Ihnen sagen: Ich teile Ihre Meinung nicht und werde sie auch nicht teilen. Es kann nämlich nicht so sein, daß man den finanziellen Aufwand für irgendeine Aufgabe, sei es eine der Verteidigung oder sei es eine der inneren Sicherheit oder sei es eine der sozialen Sicherheit oder sei es eine der Wirtschaftspolitik, an einem Bedarf mißt, den die jeweiligen Fachleute oder die jeweiligen Experten dieses Gebiets — um nicht zu sagen, womit ich Sie jetzt meine, die jeweiligen Lobbyisten eines Gebietes — verlangen. Das kann man nicht tun.
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte, bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß sich das, was ich gesagt habe, nicht auf die Meinung irgendeines Lobbyisten, nicht auf die Meinung von irgendwelchen Fachleuten, sondern auf Beschaffungsvorlagen bezogen hat, die ohne jede Ausnahme von Ihrer Regierung, von Ihrem Verteidigungsminister unterschrieben, dem Verteidigungsausschuß vorgelegt und von ihm dann beschlossen wurden? Also erwecken Sie nicht den Eindruck, als ob das Lobbyisten gewesen wären! Sie selbst haben die Maßstäbe gesteckt und dann nicht erfüllt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Wörner, Sie lenken von Ihrer Person ab.
— Das muß man wohl sagen dürfen.Im übrigen sind Verteidigungsprogramme, Herr Wörner, besonders langfristig. Sie laufen im allgemeinen viele Jahre. Der Tornado z. B. ist noch vom Verteidigungsminister Gerhard Schröder auf Stapel gelegt worden. So lange läuft dieses Programm schon. Da Verteidigungsprogramme sehr lange laufen, viel länger als z. B. ein Programm für ein Kraftwerk, sind sie stärker als andere Investitionsprogramme wechselnden Bedingungen der wirtschaftlichen Umwelt, auch Preissteigerungen, insbesondere dann ausgesetzt, wenn Teile der Programme wie beim Tornado in Ländern mit sehr viel höheren Inflationsraten als bei uns gefertigt werden. Infolge dessen ist es gerade bei Verteidigungsprogrammen selbstverständlich, sie von Zeit zu Zeit zu überprüfen, zu straffen, zu kürzen. Ich habe meinerseits eine umfängliche Kürzung des gesamten Verteidigungsprogramms gemacht, was jetzt etwa zehn Jahre her ist. Ich habe aber meinem Vorgänger nicht vorgeworfen — anders als Sie das heute tun —, daß nicht all das verwirklicht werden konnte, was unter ihm geplant worden war. Das war Gerhard Schröder, den ich hoch geschätzt habe. Das ist in einem solchen Ressort ganz selbstverständlich. Das werden Sie vielleicht später merken, wenn Sie es tatsächlich doch noch einmal kriegen sollten.Ich möchte zum Schluß gerne eine mehr politische Bemerkung machen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2275
Bundeskanzler Schmidt— Ja, bisher war das alles sehr fachlich.
Weder Herr Kiep noch Herr Wörner, noch Herr Zimmermann, keiner Ihrer Hauptredner, hat bisher zu irgendeinem Punkte gesagt — abgesehen von Kritik und Polemik —: Wir schlagen vor, es so und so anders zu machen.
Herr Kiep hat vorgetragen, für die CDU/CSU gebe es keine Tabus. Aber vorsichtigerweise hat er dann keine Sachfrage angeschnitten. Alles, was eine konkrete Aussage erheischt hätte, war für ihn ebenso wie für die anderen Kollegen tabu.Wir haben nichts gehört, was für das Land notwendig sei, um die von Ihnen beklagte defizitäre Leistungsbilanz zu überwinden.
Wir haben nichts gehört zum Haushalt 1981. Wir haben nichts gehört zu den Leistungsgesetzen und zu dem Haushalt 1982.
Wir haben eben von dem letzten Redner gehört, daß Sie doch nicht dazu da seien, uns aus der Patsche zu helfen.
— Da stimme ich Ihnen zu. Das war damals meine Meinung und ist es auch heute noch. Wir wären in einer miserablen Situation, wenn wir Euch brauchten, um aus einer Patsche herauszukommen. Um Gottes willen!
Es ist schon wahr, daß ich nicht in eine Situation kommen möchte, in der man Ihre Stimmen für eine Mehrheit braucht. In eine solche Situation werde ich auch nicht kommen.
Aber euer Problem ist doch dies, meine Damen und Herren von der Opposition:
Sie haben eine Bundestagswahl nicht gewonnen, Sie haben in der Bundestagswahl vielmehr Stimmen und Mandate verloren.
Wegen nicht zu leugnender interner Schwierigkeiten in der Koalition, insbesondere der SPD, hoffen Sie jetzt, auf kaltem Wege an die Regierung zu kommen,
und Sie möchten diese Hoffnung nicht dadurch gefährden, daß Sie dem Publikum vorher sagen, was Sie dann täten, wenn Sie in die Regierung kämen.
Uns wird vorgeworfen, Machterhaltung sei unser Motiv. Das ist sicher eines unserer Motive, bei mir bestimmt. Nicht weil mir die Macht Spaß macht, sondern weil ich es unerträglich fände, wenn sie in die Hände des Sonthofeners oder unter seinen maßgeblichen Einfluß geriete.
Aber, verehrter Herr Kohl, man wird doch einmal fragen dürfen, was Sie eigentlich mit der Macht wollen. Was wollen Sie denn auf all den Gebieten anfangen, von denen Sie sagen, sie seien für Sie alle kein Tabu?
Da hat Herr Zimmermann gesagt, er werde das Erbe aus höchster staatspolitischer Verantwortung heraus antreten — so klang es doch wörtlich. Was werden Sie denn mit Ihrer höchsten staatspolitischen Verantwortung tun, Herr Zimmermann, falls Sie die Macht durch die Unachtsamkeit oder die Dummheit oder die Verantwortungslosigkeit einiger auf kaltem Wege tatsächlich in die Hand bekämen? Was wollten Sie denn damit anfangen?
Jemand, der dem anderen Machterhaltung als Motiv vorwirft, selber aber zugeben muß, daß sein einziges vorgetragenes Motiv der Wunsch nach der Macht ist, den wird man wohl fragen dürfen, was er denn eigentlich tun wird, nachdem er alles in Grund und Boden kritisiert, was die anderen vorher geleistet haben.
Herr Kohl hat die Parole ausgegeben, die in Wirklichkeit von Sonthofen stammt, alles schwarz in schwarz zu malen, nach Möglichkeit kein eigenes Profil zu bieten, in der Hoffnung, die Koalition werde schon von selber zerfallen. Wirtschaftlich gesprochen, Herr Kohl, sind Sie ein Spekulant à la baisse.
Deswegen muß Herr Zimmermann so reden, deswegen muß Herr Wörner so reden, deswegen muß sogar Herr Leisler Kiep, obgleich es ihm eigentlich persönlich nicht ganz gefällt,
auch so reden.
Die Opposition hat die Pflicht, der öffentlichen Meinung und den Wählerinnen und Wählern vorzustellen, was sie anders machen würde. Die Regierung hat die Pflicht und die Regierungskoalition hat die Pflicht,
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2276 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bundeskanzler Schmidtunabhängig von einer inhaltlich nichts sagenden Opposition ihre Arbeit zu tun, Herr Kohl, nach dem Motto: Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist vorgesehen, daß in eine Mittagspause eingetreten wird. Der Deutsche Bundestag tritt um 14.15 Uhr zur Fortsetzung seiner Sitzung wieder zusammen. Die Arbeit ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, wir nehmen die unterbrochene Debatte wieder auf. Die Generaldebatte wird fortgesetzt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Mittagspause hatte das Hohe Haus die Gelegenheit, die Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt zur Verabschiedung des Haushalts 1981 zu hören. Es war eine Rede acht Monate nach der Bundestagswahl. Wer diese 40 Minuten aufmerksam miterlebt hat, der wird sich später einmal daran erinnern: Das waren bedrükkende 40 Minuten in der Geschichte des deutschen Parlaments.
Herr Bundeskanzler, Formulierungen, Ton, Inhalt, Gestik
und was man sonst alles noch erwähnen könnte,
zeigen: Sie sind am Ende mit Ihrem Latein.
Nur ein Mann, der mit dem Rücken so an der Wand steht wie Sie, kann derart die Form verlieren, die doch eigentlich, ungeachtet aller parteipolitischen Kontroversen, jeder Deutsche bei einem Bundeskanzler — welcher Partei auch immer — erwarten darf.
Am Ende Ihres politischen Weges
sind Sie in den Stil und in die Umgangsformen zurückgekehrt, die Ihnen in diesem Hause früher zu einem bestimmten Beinamen verholfen haben.
Da ist nichts mehr übriggeblieben vom großen Krisenmanager, vom weltläufigen Staatsmann; da dreschen Sie drauflos, als wollten Sie als Delegierter ineinem Hamburger Ortsverein Ihrer Partei gewählt werden,
wobei — Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde — Sie heute wissen, daß Sie dort auch nicht mehr gewählt würden.
Daß Sie uns als „bellende Hunde" bezeichnen, ist uns völlig gleichgültig. Aber, Herr Bundeskanzler: Die Karawane besteht im Spruch aus Kamelen, und sie zieht durch die Wüste.
Daß Sie am Ende Ihres Weges die Wüste umgibt, ist auch wahr. Aber wir brauchen nicht darüber zu sprechen, wer der Kameltreiber in dieser Karawane ist. Vom Ton her — nicht von der Entschiedenheit des Tuns — ist das heute hier klar entschieden worden.Meine Damen und Herren von der SPD, was bleibt Ihnen angesichts des allgemeinen Sachverhalts noch übrig, als vor sich hinzuschreien wie Kinder, die Angst haben, in den dunklen Keller zu gehen?
Herr Bundeskanzler, statt Argumente bringen Sie Beschimpfungen, statt Argumentation blanken Zynismus. Was ist das für eine Sprache — und was ist das für ein Denken — in der Rede eines deutschen Bundeskanzlers, wenn er sagt — das ist ein wörtliches Zitat —: „Wir wären in einer miserablen Situation, wenn wir euch bräuchten" — Herr Bundeskanzler, diese kumpelhafte Anrede
mag bei Ihnen gang und gäbe sein; unser Stil im Deutschen Bundestag sollte das für die Zukunft nicht sein.
Aber es ist nicht dieser Punkt, warum ich das Zitat hier angehe. Ich will Ihnen sagen: Dies ist einer der bleibenden Sätze des Helmut Schmidt im Deutschen Bundestag; Sie werden sich daran erinnern, und Sie werden noch oft zitiert werden — auch in späterer Zeit. Denn dieser Satz verrät die nackte Hybris, verrät den Übermut an der Macht, der mit einem demokratischen Verständnis von Regierung und Opposition nichts, aber überhaupt nichts mehr zu tun hat.
Aus blanker Angst, die Macht zu verlieren, zerstören Sie jede Gemeinsamkeit — soweit Sie überhaupt jemals ein Gefühl dafür gehabt haben.Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, Sie mögen sagen — das ist Ihre Privatsache, die Privatsache des Helmut Schmidt, und das würde ich dann auch respektieren —: Sie brauchen uns nicht. Aber es kann nicht die Sache des deutschen Bundeskanzlers sein,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2277
Dr. Kohlweil es in der Lage eines jeden Volkes Situationen gibt, in denen man sich gegenseitig braucht — ganz gleich, ob in der Regierung oder in der Opposition. Natürlich, Herr Bundeskanzler, wenn man Regierungschef ist — ich kenne das aus der Ebene eines Bundeslandes —, dann glaubt man vielleicht eher, man brauche die Opposition nicht. Ich habe meine Lektion gelernt im Laufe meines politischen Lebens. Was ich bedaure, ist, daß der frühere Oppositionsführer Helmut Schmidt und jetzige Bundeskanzler offensichtlich auch in seinem sechsten Lebensjahrzehnt nichts dazugelernt hat in diesem Bereich.
Herr Bundeskanzler, wo wären Sie denn 1977 geblieben, wenn wir Sie so wörtlich verstanden hätten bei der Ermordung von Hanns Martin Schleyer? Sie wissen doch nicht, was morgen und übermorgen in diesem und in anderen Bereichen sein wird. Wer gibt Ihnen das Recht, eine Politik der verbrannten Erde in diesem Hause zu praktizieren?
Wo wären Sie denn geblieben in den großen Krisen der Europäischen Gemeinschaft, als es darum ging, zusammenzustehen? Wo wären Sie denn geblieben, als Sie und der Bundesaußenminister die Verpflichtung übernommen haben, federführend für die Bundesrepublik Deutschland, für die Gemeinschaft — und vor allem für die NATO — der hart bedrängten Türkei zu helfen?Ich will das aufnehmen, was ich in meiner Zwischenfrage sagte — das war eben wirklich Helmut Schmidt, was heute hier vonstatten ging —: Sie sind doch damals an uns herangetreten — und an den Kollegen Walther Leisler Kiep — und haben darum gebeten, daß wir gemeinsam um der freiheitlichen Zukunft unseres und anderer Länder willen diese Mission aus der Opposition übernehmen. Natürlich haben Sie heute hier gesagt: „im Auftrag der Regierung". Aber nach dem, wie Sie es gesagt und formuliert haben, sollte doch ein völlig anderer Eindruck erweckt werden.Herr Bundeskanzler, Sie müssen sich merken: Mit uns werden Sie dieses Spiel für die Zukunft nicht treiben können.
Wir haben doch noch in diesen Tagen erlebt — und wenn ich mich nicht sehr täusche, erleben Sie diese Stunde der Erniedrigung heute erneut —, daß die Linken in Ihrer eigenen Fraktion Sie in der Sicherheitspolitik längst verlassen haben. Ich habe gesagt: „Stunde der Erniedrigung". Denn kann es eigentlich für einen geradegewachsenen Mann in der Politik eine schlimmere Sache geben, als wenn Leute auftreten und sagen: „Deine Politik halte ich für falsch, aber ich stimme dafür, weil du dranbleiben willst — und die anderen nicht drankommen sollen." Da sieht man auch die ganze ideologische Erbärmlichkeit dieser sogenannten Linken.
Und Sie werden heute wieder hier vortreten und von Ihrer Moral und von Ihrem Gewissen reden —und Sie meinen Pfründe, und Sie meinen Macht — und überhaupt nichts anderes.
Herr Bundeskanzler, Sie haben — wie der Kollege Wehner — auch über die Opposition gesprochen. Herr Wehner, das, was Sie heute gesagt haben, hat uns nicht sonderlich berührt. Es ist ein klarer taktischer Kurs, den Sie in diesem Zusammenhang fahren. Nur, ich muß Ihnen immer wieder sagen, wie Sie zu Ihrer Zeit in einer Situation, die nicht annähernd mit der heutigen vergleichbar ist, sich verhalten haben. „Nicht annähernd vergleichbar", sage ich, weil wir gerade einen FDP-Parteitag hatten. Wenn man die gewaltigen Töne, die dort gesprochen wurden, und die ausbleibende Konsequenz in einigen Wochen zur Kenntnis nimmt und sich an den seinerzeitigen Nürnberger Parteitag vor dem Ende der Koalition im Jahre 1966 erinnert, dann sieht man schon an der Relation der Summen, die jeweils zur Disposition standen, wie sich die Dinge verändert haben. Herr Wehner, Sie haben damals hier gesagt: „Mit uns nicht. Wir sind nicht mit Ihnen zusammen. Wir sind außerhalb von Ihnen. Wir gehören nicht zu Ihrer Regierung; wir opponieren gegen die Regierung. Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierungsseite, Sie müssen und Sie dürfen Farbe bekennen, nämlich welche Probleme Sie mit Ihrer addierten Kraft zu lösen imstande sind und welche nicht."Genau das ist jetzt die Lage, Herr Kollege Wehner. Und da mögen Sie uns beschimpfen. Es ist unser Auftrag, Sie aufzufordern, im Sinne Ihrer eigenen Formulierungen und Sprache Farbe zu bekennen,
und zwar nicht in allgemeinen Sprüchen, sondern indem Sie zur Tat schreiten und sagen, was wirklich ist.Aber, Herr Bundeskanzler, ungeachtet der Krisensituation beim Bundeshaushalt: In der Frage Regierung und Opposition geht es natürlich um mehr als um Tagespolitik. Es geht um ein Stück politischer Kultur in der Demokratie. Wer so redet wie Sie, der redet natürlich jenen Toren im Land zu Munde, die politische Gegnerschaft in politische Feindschaft umschlagen lassen. Wer den politischen Gegner so angeht wie Sie, und zwar nicht aus der Emotion, sondern aus der kalten Berechnung, der Herabsetzung der Ehre des Andersdenkenden — genau das ist doch das Stilmittel Ihrer Politik —,
wer von der unerträglichen Macht in der Hand der Union in diesem Zusammenhang spricht, wer zur politischen Auseinandersetzung nichts beizutragen hat, als die andern als Dummköpfe, als verantwortungslos und als Spekulanten à la baisse zu bezeichnen — ich will mir versagen, den Umkehrschluß zum Spekulanten à la baisse zu ziehen, Herr Bundeskanzler —: Der fordert in jeder Rede irgendwann auf, den Jungen ein Beispiel zu geben, den Dialog zu eröffnen. Ja, wissen Sie denn überhaupt, was ein
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2278 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. KohlDialog ist, Sie, der Sie immer nur zu sich selbst hin reden?
Sie sagten, die Krise finde nur in unseren Hirnen statt. Nun, am 3. Juni lese ich von Herrn Pöhl, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank: Im Augenblick sind wir auf dem Gebiet von Wirtschaft und Finanzen in einem Zustand, von dem man Hemmungen hat, ihn nicht als Krise zu bezeichnen. — Ja, sind wir der Erfinder des Bundesbankpräsidenten Pöhl? Oder ist das Ihr Weggenosse und Ihr Vertrauensmann durch viele Jahre hindurch?Wer andere Meinungen vertritt, der wird eben bei Ihnen nicht mehr ertragen, den machen Sie verächtlich, und den beschimpfen Sie.Damit wir uns nicht falsch verstehen: Uns ist es völlig gleichgültig, was Sie über uns sagen,
aber Sie sind eben nicht Helmut Schmidt, sondern Sie sind der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und da ist es nicht gleichgültig, wie Sie sich aufführen und benehmen.
Vor der Wahl haben Sie alle und jeden beschimpft, der die Sachverhalte dargestellt hat, wie sie wirklich waren — und wie sie wirklich sind. Heute, acht Monate danach, wollen Sie hier deutliche Zeichen setzen. Heute, acht Monate danach, erklärt Herr Matthöfer, alles stehe zur Debatte, erklären die Kollegen von der FDP, es dürfe kein Tabu mehr geben. Oberhaupt war auch heute — im Umkehrschluß zur Sicherheitsdebatte — ein Teil der Schmidtschen Rede überhaupt nicht für das Haus, sondern ein Nachklang und Abklatsch zum FDP-Parteitag. Die Herren reden in Koalitionsgesprächen zwar dauernd miteinander, aber übereinander reden sie hier im Parlament, indem sie in nebulösen Formulierungen etwas sagen, was man nur verstehen kann, wenn man die jeweilige Äußerung der Koalitionspartei am Tage vorher gelesen und begriffen hat.
Sie haben am 12. August, vor der Bundestagswahl, gesagt: „Die Kritik, daß die Finanzwirtschaft unseres Landes nicht solide sei, hören wir nun schon seit fast zehn Jahren; mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun." — Das ist noch nicht einmal zwölf Monate her!Dann haben Sie sich über das Hirtenwort der Deutschen Katholischen Bischöfe in der Öffentlichkeit so aufgeführt, daß es heute kaum mehr begreifbar ist. Da auch das weniger als zehn Monate her ist, will ich es noch einmal in Erinnerung rufen. Die Bischöfe sagten:Seit Jahren stehen wir in der Bundesrepublik Deutschland in der Gefahr, über unsere Verhältnisse zu leben und damit die Lebenschancen unserer Kinder zu belasten. Die Ausweitung der Staatstätigkeit, die damit verbundene Bürokratisierung und die gefährlich hohe Staatsverschuldung müssen jetzt korrigiert werden.Ja, meine Damen und Herren, das könnte doch ein Entschließungsantrag des FDP-Parteitags vom vergangenen Wochenende in Köln sein.
Dabei unterstelle ich natürlich, daß Herr Baum einen solchen Antrag nicht unterschrieben hätte. Denn jeder schleppt seine Komplexe mit sich herum; das ist ganz klar.
Nun, meine Damen und Herren, die Antwort des Bundeskanzlers darauf war: „Politik von der Kanzel ist mir ein Greuel!" So schallte es durch die deutschen Lande. Und dann sagte er: „Bei uns gehen die Schulden des Staates über den Horizont derer, die den Bischöfen den Hirtenbrief ausgearbeitet haben."
— Da klatschen Sie auch noch. — Jedenfalls haben diese Leute, meine Damen und Herren, mehr Horizont gehabt als diese ganze Regierung.
Wieso eigentlich ist das falsch, was deutsche Bischöfe vor acht Monaten, vor der Wahl, gesagt haben, und das richtig, was Freie Demokraten und ein paar aufgeweckte Sozialdemokraten nach der Wahl sagen?
Herr Wehner, Sie haben heute gesagt, von den Unionsparteien werde geschwindelt. Ich verstehe das wirklich nicht. Man muß schon so hartgesotten sein, wie Sie sein können, um dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt in den Mund zu nehmen. Ja, wer hat denn geschwindelt, 1976 bei der Rente? Herr Bundeskanzler, Sie haben sich auf Ihr Wahlergebnis bezogen: Ohne den Rentenbetrug von 1976 wären Sie 1976 nie Bundeskanzler geworden.
Daß Ihre Stellung in Ihrer eigenen Partei jetzt so erbärmlich ist, hängt j a auch damit zusammen, daß Sie die Wahl 1980 in Wahrheit nicht gewonnen haben. Wenn Sie den Aufwand und den Anspruch betrachten, mit dem Sie in den Wahlkampf gezogen sind, und damit das Ergebnis vergleichen, dann stellen Sie fest, meine Damen und Herren, daß nicht viel übriggeblieben ist.
— Meine Damen und Herren, niemand von Ihnen war vor der Wahl bereit, mit mir eine Wette einzugehen, ob Ihre Ansicht stimmt oder nicht stimmt, daß Sie stärkste Partei werden würden. Und Sie sind es nicht geworden! Sie haben heute die schlechtesten demoskopischen Zahlen seit 1959. Das ist das Ergebnis dieser Politik.
Daß Sie, Herr Bundeskanzler, ein sehr — ich will es freundlich ausdrücken — distanziertes Verhältnis zu den Realitäten und der Wahrheit haben, wissen wir. Daß Sie uns und Millionen Zuschauern aber zumuten, hier mit einem Ton von Wärme über die Interessen der kleinen Leute zu reden, ist ein wirkli-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2279
Dr. Kohlcher Skandal. Wer hat denn die kleinen Leute in diesen Jahren schlicht und einfach hereingelegt? Ich denke an die Rentner, die kleinen Sparer, die Behinderten. Im Jahr der Behinderten streichen Sie alles zusammen, was überhaupt denkbar und möglich ist.
Herr Bundeskanzler, Sie reden von den jungen Leuten.
Sie haben doch den jungen Leuten zehn Jahre hindurch gesagt: Bleibt bei den Sozialdemokraten, und die besten aller Zeiten brechen an. Nun, lassen wir auch hier einmal die Zahlen sprechen. Im Jahre 1981 studierten 1,1 Millionen Studenten auf 750 000 Studienplätzen in Deutschland. Die Überlastquote beträgt 350 000. Im Jahre 1984/85 werden nach den Berechnungen. von Bund und Ländern 1,3 Millionen Studenten auf 850 000 Studienplätzen studieren. Die Überlastquote wird dann 450 000 betragen. Dies ist nicht irgendeine Zahl. Sie ist von den Verantwortlichen aus Bund und Ländern gemeinsam im 10. Rahmenplan für den Hochschulausbau beschlossen worden. Nach den Vereinbarungen des Rahmenplans — diese Studenten sind ja da; man kann sie doch nicht einfach wegleugnen — hat Ihre Regierung mit Ihrer Unterschrift vor der Bundestagswahl zugestimmt, die planmäßige Fortführung aller Investitionsvorhaben, deren Beginn bis zum 31. Dezember 1980 geplant war, mit einem Gesamtbetrag von 2,4 Milliarden DM im Jahre 1981 vorzunehmen. Von diesem Betrag muß der Bund nach den Abmachungen 1,2 Milliarden DM tragen. Das war Ihr Angebot vor der Wahl an junge Leute, an Studenten und an Wissenschaftler. Meine Damen und Herren, Sie sagen: Wir reden nicht vom Haushalt. Ich aber rede jetzt davon. Im Haushalt 1981 sind ganze 680 Millionen DM vorgesehen; das bedeutet eine Kürzung von 40 Prozent.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, Sie seien bereit, überall zu sparen, so lassen Sie uns darüber reden. Es geht doch aber nicht an, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier herkommen und sagen, Sie vertreten die Interessen der kleinen Leute. Die Interessen der kleinen Leute sind von keiner Regierung in der jüngeren deutschen Geschichte so verraten worden wie von Ihrer Regierung.
Wie ein roter Faden zieht sich dies durch Ihre ganze Amtszeit: Ankündigungen auf der einen Seite und keine Spur von Erfüllung auf der anderen Seite. Dies sind eben die Ankündigungen der Koalition seit 1969. Wie fing Willy Brandt hier an? Es ist ja phantastisch, dies als Zeitgenosse im Jahre 1981nachzulesen: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein."
Herr Bundeskanzler, wenn Sie im Rahmen eines Preisausschreibens in Deutschland nach einem Synonym für Helmut Schmidt fragten — Solidität wird es mit Sicherheit nicht sein. Das sage ich Ihnen voraus.
Auch wir in der Union haben den Fehler gemacht, so manches Zitat von Willy Brandt nicht ernst zu nehmen. Er sagte damals in der ihm eigenen saloppen Weise auch dies: „Wir müssen die Kuh für eine ganze Menge von Dingen, die wir uns vorgenommen haben, noch weiter melken." —
Er hat nur nicht den Vorsatz dazu gesagt, den Ihr nationalökonomischer Lehrer, der frühere Bundeswirtschaftsminister, Ihnen einmal zugerufen hat: Man muß die Kuh immer erst füttern und tränken, bevor man sie melken kann.
Aber, meine Damen und Herren, zum Crisis Management gehört dies nicht. Das ist elementare Agrarkunde — oder Zoologie —, die hier angesprochen ist.
Vor ein paar Monaten haben Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Wir sind handlungsfähig — ... wir sind handlungswillig." Wenn man das rein theologisch faßte, könnte man sagen: Wir nehmen den guten Willen für die Tat. Aber, meine Damen und Herren, weder der gute Wille noch die Tat sind da. Auch die Theologie hilft in diesem Fall überhaupt nicht weiter.
Und dann haben Sie sich selbst Mut zugesprochen und gesagt: „Wir werden unsere Aufgaben mit Mut anpacken." Sie sollen doch nicht über den Mut reden, Herr Bundeskanzler, Sie sollen ihn haben — das ist das, was wir jetzt brauchen.
Und dann sagten Sie:
Wir haben keinen Anlaß zum Pessimismus. Unsere Wirtschaft ist gesund, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit ungebrochen.Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß unsere Wirtschaft in der Tat im Kern gesund ist. Wir brauchen nicht ein anderes Wirtschaftssystem, wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik und Regierung. Das ist die Voraussetzung, die Vertrauen schafft.
Das sage ich gerade dem Kollegen Lambsdorff undanderen in der FDP, die die Künder der Marktwirtschaft in der Regierung sind und bei manchen Un-
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Dr. Kohlternehmern, wenn sie fortgehen, jeweils feuchte Augen hinterlassen.
Ich kann dazu nur sagen — und das wissen Sie, Graf Lambsdorff, ganz genau; betrachten Sie einmal die Ära Erhard —: Es ist nicht damit getan, daß man es ankündigt; es muß einem geglaubt werden. Und es glaubt Ihnen eben niemand mehr, daß Sie diese Politik wirklich durchsetzen können.
Warum sagen denn, wenn Sie jetzt die Aufgaben mit Mut anpacken, Herr Bundeskanzler, an einem Tag der Herr Genscher und die FDP, noch vor der Sommerpause würden die Grunddaten für den Etat 1982 gesetzt. Als meine Kollegen damit kamen, habe ich gesagt: Wartet doch erst die nächste „dpa"-Meldung ab, bevor ihr euren Kommentar abgebt. — Wir brauchten sie gar nicht abzuwarten. Sie lief beinahe parallel. Sie haben dann gesagt: Natürlich nach den Ferien.Warum das Gezeter, das Feilschen, die Finanzierungstricks, die Rechenkunststückchen, wenn das mit Mut zu machen ist? Sie sollten nicht klagen, Sie sollten handeln. Seit dem Jahr Ihrer Regierungsübernahme, seit 1974, Herr Bundeskanzler — —
— Das ist sehr zur Sache, Herr Ehmke; aber das ist natürlich für einen Sozialisten Ihres Schlages kein Thema.
Seit Ihrer Regierungsübernahme, Herr Bundeskanzler, bewegt sich die Arbeitslosenzahl unverändert über der Millionen-Grenze, und sie steigt noch weiter — und das unter der Verantwortlichkeit von Politikern, die bei jeder Gelegenheit ihre Arbeitnehmerfreundlichkeit erwähnen.An Warnungen hat es doch wahrlich nicht gefehlt. Ich rede jetzt gar nicht von den Warnungen von unserer Seite. Die werden Sie aus Prinzip sowieso in den Wind schlagen.
Ich rede von den Warnungen in Ihrem eigenen Lager. Im Januar 1980 hat der hier sitzende Bundesfinanzminister an seine eigene Fraktion geschrieben:Es ist nicht möglich, weitere Dauerbelastungen einzugehen, die durch Kreditaufnahme finanziert werden müssen.Glauben Sie allen Ernstes, daß es mit der Wirklichkeit noch etwas zu tun hat, wenn Sie im November hier sagten:Die Verbindlichkeiten des Bundes sind das Ergebnis seiner Kreditaufnahme aus Verantwortung für das Funktionieren unserer Wirtschaft, ihre Beschäftigung für die Verbesserung der Lebenschancen der künftigen Generation.Ich sprach doch eben von der Hochschule. Das ist doch die konkrete Lebenschance. Der 22jährige braucht jetzt seine Chance — und nicht in zehn Jahren, wenn die Zeit fürs Studium für ihn vorbei ist.
Aber das hängt halt damit zusammen, daß Sie zwar fortdauernd den Dialog mit jungen Leuten verlangen, aber ihn nicht führen. Ich rate Ihnen, an eine deutsche Universität zu gehen — wo ich ständig hingehe — und zu diskutieren. Sie werden sich sehr wundern. Von den sozialdemokratischen Kollegen sehe ich bei solchen Universitätsdiskussionen auch nur spärliche Reste.Die Bundesregierung will für 1981 einen Haushaltsentwurf mit einer Ausgabensteigerung— so sagten Sie im November —von etwa 4 % vorlegen. Die Nettokreditaufnahme soll mit ungefähr 27 Milliarden DM diejenige des Jahres 1980 nicht überschreiten. Damit halten wir uns— immer Helmut Schmidt —exakt an die Linie, die vor der Wahl aufgezeigt wurde, die der Finanzplanungsrat im Sommer empfohlen hat.Ich brauche nicht zu sagen, was die Wirklichkeit des heutigen Tages ist. Meine Kollegen haben das alles hier schon dargelegt. Diese Politik ist zutiefst unseriös. Sie hat jede Glaubwürdigkeit verloren.Und dann kommen Sie immer wieder und stellen sich hier hin und erzählen etwas von den anonymen Kräften der Welt.
Dann kommen Sie und sagen: der Ölschock ist das.
Und dann kommen Sie, meine Damen und Herren, und ziehen den Vergleich zu anderen Ländern. Herr Kollege Schmidt, haben Sie etwa Ludwig Erhard seinerzeit die Chance gegeben, sich auf die Inflationsentwicklung in Italien, in Frankreich oder anderswo zu beziehen?
Niemand von uns hat zu irgendeinem Zeitpunkt geleugnet, daß die moderne Volkswirtschaft wie die unsere, eingebettet in weltwirtschaftliche Entwicklungen und Überlegungen, selbstverständlich auch davon abhängig ist. Aber die Leistungsbilanzdefizite und die schlechte wirtschaftliche Entwicklung sind doch auch hausgemacht. Sie wissen doch so gut wie ich, daß allein 20 bis 30 Milliarden D-Mark — wie immer Sie es rechnen wollen — für Investitionen gestoppt sind, weil wir die notwendigen Investitionen, etwa im Bereich der Kernkraft, nicht vornehmen
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Dr. Kohlkönnen. Das ist doch die Realität in der Bundesrepublik.
In diesen Tagen hat Herr Matthöfer im hessischen Rundfunk gesagt: „Wir werden Leuten etwas wegnehmen müssen, wir werden umschichten müssen, wir werden strecken, wir werden Leistungen vermindern." Herr Bundeskanzler, als wir das vor der Wahl 1976 und als wir das vor der Wahl 1980 sagten, haben Sie gesagt: „Das sind die sozialen Demon-teure!" Und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sagten: „Ihr müßt Anträge stellen!" Wissen Sie, wie das dann abläuft mit den Anträgen? Sie gehen sofort aus dem Haus hinaus und werden sofort über mancherlei Maschinen, die Ihnen zur Verfügung stehen, draußen in den Wahlkreisen sagen: „Die Union will die soziale Demontage!" Genau das ist doch Ihre Politik!
Dann bringen Sie Ihre nationalökonomischen Beispiele, wie Sie sie verstehen. Vor der Wahl sagten Sie nicht nur auf dem Bonner Marktplatz, sondern auch anderswo, aber ich zitiere jetzt vom Bonner Marktplatz: „Wer ein Haus bauen will, der muß eine Hypothek aufnehmen, einen Kredit aufnehmen. Jemand, der Werte schafft, der ein Haus baut, der investiert für etwas, das er später ein ganzes Leben lang benutzen kann, der leiht sich dazu Geld, der nimmt einen Kredit auf. Das macht jede Firma so, wenn sie investiert. Das macht jeder Privatmann so, das macht auch der Staat so." — Nein, Herr Bundeskanzler, genau das machen Sie eben nicht! Sie nehmen eben nicht Kredite vorwiegend dazu auf, um zu investieren. Die von Jahr zu Jahr astronomisch gestiegenen Schulden sind für konsumtive Zwecke gemacht worden.
Graf Lambsdorff zieht mit einem — wie ich finde — ganz schiefen Bild durchs Land. Er sagt: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Ich bin nicht gegen den Gedanken, der dem zugrunde liegt, aber gegen das Zitat. Graf Lambsdorff, eine ganze Generation, die noch lebt — wir gehören j a gerade noch dazu —, versteht unter „Gürtel enger schnallen" etwas ganz anderes. Das geht ja praktisch in das Hungern hinein. Die Deutschen müssen nicht hungern! Was wir wieder müssen, ist, mit einer normalen Perspektive an die volkswirtschaftlichen Gegebenheiten herangehen — und nicht dauernd den Leuten etwas versprechen.Wenn ich vom Bundeskanzler das Wort vom Anspruchsdenken höre, dann frage ich mich: Wer hat denn in den letzten Jahren das Anspruchsdenken gefördert? Ich nenne einmal ein Beispiel, das für Sie scheinbar unpopulär ist.
Es war doch das Wahlprogramm der SPD — Sie haben sich ja heute dazu bekannt und Sie haben damals auf Ihrem Parteitag mit abgestimmt —, in dem Sie angesichts dieser gesamtwirtschaftlichen Lage, der erkennbaren Entwicklung der Leistungsbilanz, der enormen Erschwernisse bei den Exporterträgen und Exportmöglichkeiten den deutschen Wählern gesagt haben: Für den Fall, daß ihr uns wählt, werden wir die Lebensarbeitszeit verkürzen, die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden verkürzen und einen längeren Jahresurlaub einführen.
— Nein, nicht Sie! Ich spreche jetzt vom SPD-Wahlprogramm. Ich traue Ihnen eine Menge zu; aber das traue ich Ihnen nicht zu, Graf Lambsdorff!
Ihre Überzeugungskraft wäre natürlich größer, wenn Sie nicht mit Leuten im Kabinett säßen, die solches in Ihrem Wahlprogramm den Wählern vortragen.
Meine Damen und Herren, wie ist es denn damit, daß heute weniger investiert wird? Sie haben das Beispiel des Wohnungsbaus gebracht. Der private Wohnungsbau ist doch weitgehend zum Erliegen gekommen — auch der private Mietwohnungsbau —, und viele Leute, die zum Investieren in der Lage gewesen wären — und die das früher selbstverständlich auch getan haben —, bringen ihr Kapital ins Ausland und investieren in anderen Bereichen. All das ist doch ein Teil Ihrer Politik, meine Damen und Herren, weil Sie in diesen Jahren eine eigentumsfeindliche Politik betrieben haben.
Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, ist doch eine der Ursachen jener Verunsicherung, die auf der Wirtschaft lastet. Durch den enormen Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand hat sich doch die Lage auf dem Kapitalmarkt erheblich verschlechtert, und bei den Anlegern — noch in diesen Tagen haben wir ein Beispiel dafür gehabt — schwindet immer offenkundiger das Vertrauen in den Bund als Schuldner. Meine Damen und Herren, Ihre Fähigkeit, den Haushalt zu sanieren, ist eben mehr als fragwürdig geworden. Mit dem Rücken zur Wand ist die Bundesrepublik Deutschland in die Lage geraten, daß sie sich mit 600 Millionen DM pro Arbeitstag neu finanzieren muß, und dies, obwohl Sie, meine Damen und Herren, uns in diesen Jahren dauernd gesagt haben: In Zukunft wird die Kreditaufnahme dramatisch verringert. Jetzt aber sagt der Bundesfinanzminister — Sie, Herr Bundeskanzler, haben es hier etwas freundlicher gesagt —: Alles Bisherige war ein Kinderspiel — gemessen an dem, was uns für den kommenden Herbst ins Haus steht.Wenn wir hierauf verweisen, wenn wir sagen, daß diese Politik die Zukunft unseres Landes und vor allem als Hypothek die Zukunft unserer eigenen Kinder belastet, ist das einfach wahr. Die Rücklagen der Sozialversicherungsträger sind verbraucht. Die
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2282 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. KohlGrenze der Belastbarkeit — vor allem der Arbeitnehmer — ist erreicht.
— Wissen Sie, daß Sie als Sozialdemokrat in diesem Zusammenhang diesen Zwischenruf machen, zeigt, wie weit Sie von der Wirklichkeit der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland entfernt sind!
Wenn Sie in Ihren pseudoelitären sozialistischen Zirkeln zusammensitzen und über das Wohl der Arbeitnehmer reden, reden Sie über eine Sache, von der Sie wirklich keine blasse Ahnung haben!
Das mag Wirkung bei den Jusos und bei ein paar alt gewordenen Jusos in Ihren Reihen, die die kurzen Hosen nicht ausbekommen haben, zeigen, aber mit der Wirklichkeit der Leute im Betrieb hat das nichts zu tun.Herr Bundeskanzler, Sie haben uns hier ja dargelegt, daß Sie dauernd in den Betrieben sind — und daß Sie dort sogar die Listen der Löhne und der anderen Bezüge einsehen. Ich frage mich: Wenn Sie das tun — Sie sind doch ein intelligenter Mann, und Sie haben doch, was Sie sich selbst bestätigt haben, Mut —, warum ändern Sie dann Ihre Politik nicht? Das müßte doch das Ergebnis solcher Besuche sein!
In Ihrer eigenen Partei, in der SPD, wird von einem breiten — ich zitiere — „Demoralisierungsprozeß der Mitglieder" gesprochen. Das betrifft die Arbeitnehmermitglieder, Herr Kollege,
die ich meine, „für die Ihre Regierungspolitik keine Identifikationsmöglichkeiten mehr bietet".Ich zitiere weiter: Ihre Politik sei zum „inhaltslosen Selbstzweck der Machterhaltung verkommen". — Herr Bundeskanzler, Sie haben einmal gesagt: „Alle Versuche, zwischen meine Partei und mich einen Keil zu treiben, sind zwecklos. Sie entspringen naivem Wunschdenken. Ich stehe mitten in meiner Partei."
Meine Damen und Herren, vielleicht noch auf einem Sockel,
aber in der Wirklichkeit Ihrer Partei stehen Sie nicht mehr.Wer Sie bei den Auftritten in Bayern und anderswo erlebt hat, kann sich nur fragen: Ist das wirlich noch ein funktionsfähiger deutscher Bundeskanzler? Ich habe schon einmal gesagt, die Geschichte droht wieder zurückzukehren. Hermann Müller und Helmut Schmidt —: Das wird im Ablauf des politischen Geschehens ähnlich.Meine Damen und Herren, was Ihre Partei betrifft, so mögen Sie j a tun, was Sie wollen. Nur eines, Herr Bundeskanzler, unterlassen Sie bitte in Zukunft: uns zu unterstellen, es gebe Leute in der Union, die auf kaltem Wege an die Macht wollten. Sie haben bei der letzten Wahl ein klares Mandat erhalten, und Sie sollen dieses Mandat nutzen; das liegt im Sinne der parlamentarischen Demokratie. Aber Sie sind j a gar nicht mehr in der Lage, dieses Mandat zu nützen; denn Sie leben j a hier bereits von Mehrheiten, in denen diejenigen, die ihre Erklärungen zur Abstimmung abgeben, sagen: eigentlich wollen sie diese Politik überhaupt nicht, aber es geht ihnen darum, daß die Sozialisten in der Bundesrepublik an der Macht bleiben. Das ist doch das Credo, von dem Sie ausgehen.
— Sie brauchen hier jetzt nicht einen Zwischenruf über den „Sozialisten Lambsdorff" zu machen. Es ist Herrn Lambsdorffs Sache, ob er mit Sozialisten zusammen ist, nicht Ihre, meine Damen und Herren.
Herr Bundeskanzler, wer in diesen Tagen die Diskussion in Ihrer Heimatstadt Hamburg anläßlich des Rücktritts von Herrn Klose miterlebt hat, wer die Diskussion in Hessen erlebt hat, wo ein Mann wie Ministerpräsident Börner, der sich bemüht, im Interesse des Ganzen die richtigen Entscheidungen zu treffen, jetzt mit dem Rücken an der Wand steht und einen Sonderparteitag einberufen muß, um überhaupt über die Runden zu kommen, und wer erlebt hat, daß die zwei wichtigsten Träger dieser Koalition, der Bundeskanzler und stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, und der Bundesvorsitzende der FDP, Hans-Dietrich Genscher — letzterer hat es viel klüger formuliert —, auf ihren Parteitagen mit ihrem Rücktritt drohen müssen, um überhaupt ihre Parteien zur Räson zu bringen — der weiß doch, daß Sie überhaupt nicht mehr mitten in Ihrer Partei stehen.
Glaubwürdige Politik, Herr Bundeskanzler, die von unseren Mitbürgern Opfer verlangt, muß wahrhaftig sein, muß sagen, wohin die Reise geht, sie muß Beispiele geben und Signale setzen. Man darf nicht nur davon reden. Aber es ist eben das Erkennungszeichen, die Marke Ihrer Politik, daß der Blick auf die Zukunftsperspektive zunehmend verstellt ist, daß er sich auf die rein materiellen Fragen der Gegenwart verkürzt hat. Heute, in einem Augenblick, in dem viele unserer jungen Mitbürger, abgestoßen vom bloßen Materialismus des Wohlstands- und Konsumdenkens, nach immateriellen Werten fragen, nach der Lebensqualität — ausgerechnet in diesem Augenblick erzwingt Ihre Politik die Konzentration aller Kräfte auf die Frage der materiellen Existenzsicherung.Ein Blatt wie die „Zeit", gewiß nicht unser Hausorgan, schrieb:Die Regierungspolitik muß dem Kanzler heuteabgerungen werden, und die Anstrengungen,die dafür notwendig sind, werden immer größer
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Dr. Kohlund sichtbarer. Es gibt keine überzeugende sozialdemokratische Einigungsformel mehr, es sei denn Machtbesitz.Die Mitbürger in Deutschland haben Einkommenseinbußen ebenso hinzunehmen wie Arbeitslosigkeit und Inflation. Sie fragen nach den Abbauproblemen des Sozialstaates. Sie fragen: Inwieweit betrifft das mich? Und ich finde, viele fragen zu Recht auch: Ist es jetzt nicht Zeit, daß wir offen darüber sprechen und diskutieren und die Regierung das Notwendige sagt — ob es um das Kindergeld, um BAföG oder um vieles andere geht? Es ist nicht so, wie viele Ihnen vielleicht einreden wollen, Herr Bundeskanzler, daß unsere Mitbürger in Deutschland — und ich schließe uns hier voll ein, als Partei und als Fraktion — nicht bereit wären, notwendige Opfer gemeinsam zu tragen, wenn diese Opfer überzeugend begründet und einigermaßen gerecht verteilt werden.Aber bevor wir überhaupt zur Sache kommen, haben Sie heute schon wieder den Klassenkampf in die Diskussion hineingebracht. Sie haben gesagt: Die kleinen Landwirte sollten sich fragen, ob sie vor den Karren der Großen gespannt sind.
Das ist es ja! Da sind Sie bei dem Erfurter Programm, bei den ostelbischen Junkern stehengeblieben, die es doch in Deutschland gar nicht mehr gibt. Das ist doch absurd!
Herr Bundeskanzler, wenn Sie von den „Großen" reden, muß ich Sie doch einmal fragen: Wen meinen Sie denn damit? Sagen Sie das doch bitte! Sind das Ihre Gäste zum abendlichen Tee im Kanzleramt, die Sie da meinen? Sind das bestimmte deutsche Großbanken?
— Wenn Sie sich einmal die Berufsstruktur im Wirtschaftsrat ansehen, werden Sie feststellen: Von denen sind die wenigsten so groß, daß sie beim Herrn Bundeskanzler Gnade beim Tee finden.
Herr Kollege, um der Zukunft des Landes willen wünsche ich der Sozialdemokratischen Partei herzlichst, daß sie auch bald einen Wirtschaftsrat hat, damit etwas wirtschaftlicher Sachverstand von der Praxis in Ihre Partei hineinkommt.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Jungen reden, dann bedenken Sie: Die Haltung des „Ohnemich"-Standpunkts, die Mentalität des „Aussteigers", die unsozialste Gesinnung, die überhaupt denkbar ist, die Resignation, die Absatzbewegung zu den Alternativen, die Attitüden der Trotzigen und Enttäuschten in unserem Staat: das sind auch negative Folgen der Politik Ihrer Regierung und der Regierung Ihres Vorgängers — angesichts der großen Erwartungen, die Sie 1969 geweckt haben, und angesichts der Tatbestände, die wir heute haben. Es ist sozusagen eine Politik der geistigen Negativführung, die kontraproduktiv wirkt, weil sie die Mißstände außer Betracht läßt, die sich ergeben haben, und sich noch einstellen werden, wenn das weiter anhält, was Sie Politik nennen. Für die fundamental notwendige Kurskorrektur, um unser Land in Gang zu bringen, brauchen wir eine handlungsfähige Regierung. Sie, Herr Bundeskanzler, haben am 17. Mai 1974 erklärt: „Die sozialliberale Koalition ist seit 1969 Motor des Fortschritts in der Bundesrepublik". Spätestens heute dürfte jedem klar sein, daß weder mit Ihnen noch mit den Sozialdemokraten noch mit dem Koalitionspartner FDP Fortschritt im Sinne sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande möglich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Kohl, ich will mich darum bemühen, auf einen verhältnismäßig großen Teil der Fragen einzugehen, die Sie hier angesprochen haben. Sie haben über die Rede des Bundeskanzlers gesagt: Das waren 40 bedrückende Minuten im Parlament.
Es war eine Auseinandersetzung und eine Antwort, wie sie nach dem notwendig war, was von Ihrer Seite gesagt worden ist. Als bedrückend können nur Sie, aber nicht das Parlament in seiner Gesamtheit es empfinden.
Herr Kollege Dr. Kohl, ich habe Verständnis dafür; dies war mit Sicherheit für Sie keine besonders glückliche Woche. Das fing mit dem FDP-Parteitag an, und das endete jetzt mit der Rede des Bundeskanzlers. Mit einem Mal haben Sie nun festgestellt, daß Sie sich verrechnet haben. Sie glaubten, Sie wären bereits am Ziel, und jetzt wissen Sie ganz genau, daß bis 1984 eine Veränderung nicht eintreten wird.
Dann haben Sie sich, Herr Dr. Kohl, über den Stil beschwert. Dazu muß ich ein ganz deutliches Wort sagen. Gestern den ganzen Tag und heute ist von Ihren Vertretern ohne Rücksicht gegen die Bundesregierung vom Leder gezogen und in der Form keinerlei Zurückhaltung gewahrt worden. Wenn sich der Bundeskanzler dagegen wehrt, sind Sie auf einmal beleidigt. Wie in den Wald hineingerufen wird, so
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2284 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Wischnewskischallt es auch zurück. Das ist eine Selbstverständlichkeit.
Sie haben den Hirtenbrief angesprochen.
Dazu bedarf es in der Tat eines sehr ernsten Wortes.
Niemand wird bestreiten können, daß die Kirche das Recht hat, sich zu politischen Fragen zu äußern. Aber, Herr Kollege Dr. Kohl, wenn viele, viele Gespräche mit der Kirche stattgefunden haben und dabei dieses Thema nicht ein einziges Mal eine Rolle gespielt hat — eigentlich ist eher über Mehrleistungen gesprochen worden, die der Staat aufbringen solle; niemals über weniger Leistungen — und wenn das dann unmittelbar vor der Bundestagswahl erfolgt, müssen Sie verstehen, daß eine klare Antwort notwendig ist.Herr Dr. Kohl, Sie haben von demoskopischen Zahlen gesprochen.
Ich habe mir deshalb Zahlen besorgt, die für Sie persönlich von ganz besonderem Interesse sind. Ihre Anregung, die Sie gegeben haben veranlaßt mich, sie bekanntzugeben. Sie behaupten immer wieder, Sozialdemokraten stünden nicht hinter ihrem Bundeskanzler. Dazu gibt es eine Untersuchung, die folgendes besagt.
Wenn es um die berühmte Kanzleralternative geht — „Wen würden Sie wählen, wenn Sie den Bundeskanzler direkt wählen könnten?" —, stehen hinter dem Oppositionsführer, hinter Herrn Dr. Kohl 73 % der CDU/CSU-Wähler. 17 % würden Helmut Schmidt wählen.
Was die Wähler der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands anbetrifft, so sind 95 % dafür, daß Helmut Schmidt der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bleibt.
Ich habe diese demoskopischen Zahlen nur deshalb vorgetragen, weil Sie mir die Anregung gegeben haben, darauf einzugehen. Sie haben von den demoskopischen Zahlen gesprochen, nicht wir.Was den Haushalt 1982 anbetrifft, üben Sie auf einmal wieder Kritik daran, daß es angeblich zeitliche Änderungen gebe. Herr Kollege Dr. Kohl, es gibtein klares Konzept in bezug auf den Ablauf. Ich hoffe, Sie nehmen auch zur Kenntnis, daß am 22. Juli 1981 in Kanada der Weltwirschaftsgipfel stattfindet, an dem die Vereinigten Staaten, England, Frankreich, Italien, die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Japan, Kanada und die Bundesrepublik teilnehmen und auf dem gemeinsame Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Weltwirtschaftskrise zu überwinden.
Daß das Einfluß auf die Politik, die die Bundesregierung betreibt, haben kann — vielleicht sogar haben muß —, scheint mir selbstverständlich zu sein.Sie sagen, die Wirtschaftsmisere — ich zitiere Sie wörtlich — sei hausgemacht. Herr Kollege Dr. Kohl, es gibt zumindest kein christlich-demokratisch regiertes Land in der Welt, dem es besser geht als der Bundesrepublik Deutschland, nicht ein einziges.
Das zweite: Die Bundesregierung ist nicht Mitglied des OPEC. Sie hat mit einer Preissteigerung von 1 500 % innerhalb der letzten zehn Jahre fertig werden müssen. Es kann also von einer „hausgemachten" Situation überhaupt keine Rede sein.
Dann haben Sie die Frage angesprochen, diese Bundesregierung sei eigentumsfeindlich. Herr Dr. Kohl, wenn man so etwas sagt, dann muß man sich die Statistik anschauen. Zu keiner Zeit sind in der Bundesrepublik Deutschland soviel Eigenheime gebaut worden wie während der Zeit der sozialliberalen Koaliton. Das ist die Tatsache gegenüber Ihrer Behauptung.
Das weiß jeder. Ich hoffe, Sie haben auch die Möglichkeit, die statistischen Unterlagen der Bundesrepublik Deutschland genau zu studieren. Ich bin gern bereit, über diese Frage mit Ihnen eine Wette einzugehen.Herr Dr. Kohl, Sie sagten, diese Koalition bleibe nur aus Machtbesessenheit an der Macht.
Deshalb möchte ich Ihnen sagen, warum wir der Auffassung sind, daß wir diese Koalition und diese Regierung konsequent fortsetzen werden, und warum wir der Auffassung sind, daß Sie jetzt nicht in der Lage sind, die Probleme in unserem Lande zu lösen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2285
WischnewskiLassen Sie mich fünf gewichtige Gründe nennen. Erstens.
Wir Sozialdemokraten haben einen ganz eindeutigen Wählerauftrag erhalten. Wir sind von unseren Wählern beauftragt worden,
die sozialliberale Koalition fortzusetzen, und zwar bis zur Bundestagswahl 1984. Wir sind beauftragt worden von unseren Wählern, Helmut Schmidt zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu wählen, bis zum Jahre 1984.
Bei unserem Koalitionspartner sieht das nicht anders aus. Ich glaube, der Kölner Parteitag der FDP, unseres Koalitionspartners, hat in dieser Frage ein ganz deutliches Zeichen gesetzt.
— Sie haben eine so schöne, so tiefgründige Bemerkung über den Frieden gemacht. Deshalb muß ich dazu etwas sagen.
Zweitens. Die internationale Lage hat sich verschlechtert;
nicht durch unser Verschulden. Auch wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, mit den augenblicklichen Problemen in der internationalen Situation fertig zu werden. Der Deutsche Bundestag hat sich am 26. Mai 1981 ausführlich mit der Sicherheitspolitik beschäftigt. Dabei ist eine Entschließung verabschiedet worden. Sie haben nicht der ganzen Entschließung zugestimmt. Sie haben sich verweigert bei dem Satz — Herr Präsident, ich bitte, wörtlich zitieren zu können —: „Er" — der Deutsche Bundestag— „unterstreicht in diesem Zusammenhang die Feststellung des Doppelbeschlusses, daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen der NATO im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird."
Dieses ist NATO-Politik. Dies haben Sie abgelehnt, Herr Dr. Kohl.
— Natürlich haben Sie den Satz abgelehnt. —
Wer eine solche Haltung einnimmt, der soll nicht die Regierungsverantwortung übernehmen.
Der letzte Abschnitt lautet:Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut die Politik der aktiven Friedenssicherung,
wie sie in der Regierungserklärung vom 24. November 1980 niedergelegt ist.Auch diesem Satz haben Sie Ihre Zustimmung verweigert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, dies ist ein ganz, ganz entscheidender Grund, warum wir diese Haltung einnehmen müssen.
Herr Abgeordneter Wischnewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Ich möchte von meiner Zeit nichts vergeben. —
Im übrigen haben Sie — ich muß hier ausdrücklich den Kollegen Dr. Kohl ausnehmen — vorher versucht, den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gegen andere auszuspielen.
Sie sollten das nicht machen, und Sie sollten wissen, daß der Text, der hier mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist, ein gemeinsamer Text des Parteivorsitzenden der SPD und des Parteivorsitzenden der FDP ist. Ich hoffe, daß es in dieser Frage für die Zukunft keinerlei Zweifel mehr gibt.Drittens. Wir hätten auch erhebliche Sorgen um den sozialen Frieden in unserem Land, denn in all den vielen Stunden, die wir jetzt miteinander diskutiert haben, haben Sie nicht ein einziges Mal gesagt, welche Vorstellungen Sie auch nur in Ungefähr hätten, die schwierigen Probleme zu lösen.
Deshalb muß ich zu der Auffassung kommen, daß Sie ähnliche Wege gehen würden wie Ihre konservativen Freunde in Großbritannien. Gesagt haben Sie es nicht. Also muß ich mich an die Beispiele halten, an den Thatcherismus. Dies würde bedeuten, daß — auf unsere Verhältnisse übertragen — die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik im Augenblick mehr als 3 Millionen betragen würde. Mit einer solchen Politik wollen wir in unserem Lande allerdings nichts zu tun haben.
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2286 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
— Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind, warum Sie Ihre konservativen Freunde so aufregen.
Viertens. Wir haben in der Tat allerdings auch große Sorgen um die Integration der jungen Generation in unserem Lande. Wenn das Nürnberger Beispiel Ausgangsbasis für das ist, was Sie machen würden, dann, so sage ich, ist diese Sorge auch in vollem Umfange gerechtfertigt. So sind die Probleme in unserem Lande nicht zu lösen.
Ein letzter Punkt, Herr Kollege Dr. Kohl, betrifft Sie in ganz besonderem Maße. Ich habe auch Zweifel, ob Sie denn überhaupt regierungsfähig und regierungswillig wären.
Ich sage das aus folgendem Grund: Im Lande Rheinland-Pfalz, Herr Kollege Dr. Kohl, haben Sie die absolute Mehrheit, und offensichtlich können Sie mit dieser absoluten Mehrheit nicht regieren, denn Sie sind im Augenblick darum bemüht, die FDP als Koalitionspartner zu gewinnen.
Mir ist unerklärlich, daß man, wenn man die absolute Mehrheit hat, solche Anstrengungen macht, es sei denn, man hat ganz andere Überlegungen dabei.
— Herr Kollege Dr. Kohl, ich freue mich darüber, daß Sie ganz offen zugeben, daß Sie andere Überlegungen dabei haben. Ich nehme das zur Kenntnis.
Wir Sozialdemokraten stehen zu dieser Bundesregierung und zu ihrem Bundeskanzler.
Wir haben mit dieser Regierung gearbeitet für den Frieden, und wir werden diese Arbeit fortsetzen. Wir haben mit dieser Regierung gearbeitet für das Ansehen und den Einfluß unseres Landes in der Welt, und wir werden diese Arbeit fortsetzen. Wir haben mit dieser Regierung gearbeitet für den sozialen Frieden
in unserem Lande, und wir werden das unter schwierigen Umständen fortsetzen. Wir tun das im Interesse unseres Landes und im Interesse der Menschen in unserem Lande.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine verehrten Kollegen von der Opposition, die Freie Demokratische Partei kann sich nicht beklagen über die Aufmerksamkeit, die Sie unserem letzten Parteitag geschenkt haben. Ich kann das verstehen. Denn eigentlich haben wir dort eine Funktion wahrgenommen, die uns allen wohlanstehen würde, nämlich: unserer Öffentlichkeit die Bedeutung und den Ernst unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Lage, eingebettet in eine internationale Entwicklung, darzustellen.
— Ich danke Ihnen, Herr Kollege Dr. Kohl, ausdrücklich, daß Sie auch dem Teil meiner Feststellung durch Ihren Beifall zugestimmt haben, in dem ich gesagt habe „eingebettet in eine internationale Entwicklung".
Genau das ist der Punkt, über den wir jetzt zu reden haben.Der Bundeskanzler hat heute, ob Ihnen das gefällt oder nicht, zu Recht darauf hingewiesen, daß die Ausgangslage für die Bundesrepublik Deutschland, sowohl was die Stabilität angeht wie was die Zinsentwicklung angeht — so besorgniserregend sie ist —, als auch was die Beschäftigungspolitik angeht, besser ist als die aller oder mindestens der meisten vergleichbaren Industriestaaten.Aber wir würden es uns zu einfach machen, meine verehrten Kollegen, wenn wir so täten, als seien die einzigen Daten, mit denen wir hier zu handeln haben, unsere Ausgangslage — was die Regierung positiv für sich anführt — und die in Ihren Augen von der Regierung begangenen Fehler das, was Sie positiv für sich anführen.Hier ist viel über die Ölpreisexplosion der letzten Jahre gesprochen worden. Ich warne davor, das als das einzige Problem für die vor uns liegende Entwicklung anzusehen.
Wenn wir es ernst nehmen mit unserer Verantwortung für die Schaffung weltweiter sozialer Gerechtigkeit, dann ist das mehr als die Abgeltung von erhöhten Ölpreisen; dann ist das die Einordnung der Staaten der Dritten Welt als gleichberechtigte Partner in eine internationale Wirtschaftsordnung. Das wird uns Strukturanpassungsprozesse abverlangen,
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Bundesminister Genscherdie sehr, sehr schwer sein werden. Auch darüber haben wir unsere Öffentlichkeit aufzuklären.
Unsere Verantwortung für den Frieden in der Welt, zu dem wir uns alle bekennen, ist nicht nur eine Frage, die aus dem Ost-West-Verhältnis, aus den Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung zu beantworten ist. Es ist unsere ganz feste Überzeugung, daß die Probleme und die Lebensverhältnisse in der Dritten Welt, verglichen mit denen bei uns, eine mindestens so große Sprengkraft für den Weltfrieden haben können wie die Soziale Frage in den Industriestaaten am Ende des vorigen Jahrhunderts.
Wir stehen mit unserer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung am Anfang einer Phase, in der die Staaten der Dritten Welt einbezogen werden sollen als — ich sage es noch einmal — gleichberechtigte Partner.Da zeige ich gar nicht auf diejenigen, die in der Dritten Welt versuchen, durch Entwicklung der Rohstoffpreise und in anderer Weise etwas nachzuholen. Wir können stolz auf das sein, was in diesem Lande nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Fleiß und den Ideenreichtum unseres Volkes geleistet worden ist. Aber wir wollen auch nicht verschweigen, daß einer der günstigen Ausgangsfaktoren für unsere wirtschaftliche Entwicklung war, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Preise für Rohstoffe und Energie, die wir aus der Dritten Welt bezogen haben, nicht dem entsprochen haben, was wir eigentlich bei Anwendung der Gesetze der Marktwirtschaft auf den weltwirtschaftlichen Entwicklungsprozeß sehen müßten.
Und nun erleben wir eine Entwicklung, die sich in zu großen Sprüngen vollzieht und wo wir nicht j a zu dem sagen können, was der Bundeskanzler als Ölpreisexplosion bezeichnet hat, wo es darum geht, in einem wirklich verantwortungsvollen Dialog zwischen den Industriestaaten und den Staaten der Dritten Welt einen Anpassungsprozeß zu ermöglichen, der es ohne Verwerfung in den Industriestaaten möglich macht, daß diese Industriestaaten ihre Funktion für die Entwicklung der Dritten Welt weiter erfüllen können.Aber das, was sich auf diesem Weg schon getan hat, sind doch auch äußere Rahmenbedingungen, unter denen sich die deutsche Volkswirtschaft zu entwickeln hat. Da soll man nicht so tun, als ob die ganz ernsten Probleme, mit denen wir hier zu ringen haben, sozusagen das Produkt hausgemachten Versagens einer Regierung wären. Nein. In dem schwierigsten weltwirtschaftlichen Anpassungsprozeß der geschichtlichen Entwicklung überhaupt haben wir in unserer sehr exponierten Lage den Weg noch am besten passieren können. Aber das ist kein Freifahrtschein für die Zukunft. Und deshalb sind jetztwirklich entscheidende Weichenstellungen erforderlich.
Da können Sie eben nicht darauf hinweisen, es habe in der Vergangenheit Probleme auch in anderen Ländern gegeben, aber damals habe die Bundesrepublik Deutschland das gemeistert. Damals war eben nicht jenes Maß an Interdependenz, an gegenseitiger Abhängigkeit und Verquickung vorhanden.Ich hätte Ihnen gewünscht, Sie hätten die große Ernsthaftigkeit der Debatte unseres Parteitags über diese Fragen miterleben können. Ich hätte Ihnen gewünscht, zu erleben, wie dort meine Freunde nicht mit dem Versuch, die Verantwortung auf andere abzuschieben, gesagt haben: Wenn wir jetzt an schmerzliche Entscheidungen gehen, dann zeigen wir mit dem Finger nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst. Da sind Heilige Kühe auch bei uns zu schlachten. Es sind sehr heilige FDP-Kühe genannt worden. Damit waren gar nicht alle einverstanden. Das ist notwendig, weil diese Entscheidungen nur verwirklicht werden können, wenn zu keinem Zeitpunkt bei diesem Entscheidungsprozeß das verlorengeht, was das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes verlangt, nämlich die Beachtung sozialer Gerechtigkeit auch bei der Übernahme von Lasten,
die wir aus unserer Politik zu tragen haben.
Eine Generalaussprache sollte den daran Teilnehmenden eigentlich auch Gelegenheit geben, nicht Kästchen für Kästchen nebeneinander nur isolierte Vorgänge zu sehen, sondern sich bewußt zu sein, daß angesichts der großen sicherheitspolitischen Sorgen, die uns alle bewegen — wir haben eine sicherheitspolitische Debatte erst vor einer Woche hier gehabt —, finanzielle Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Verteidigungsfähigkeit ganz eng miteinander zusammenhängen.Meine Damen und Herren, da gibt es ein gemeinsames deutsch-amerikanisches Dokument, das ich einmal zum Studium empfehle, und zwar zum Studium in verschiedene Richtungen. In diesem Dokument heißt es:Wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit sind Voraussetzungen, um die alliierten Länder zu befähigen, daß sie ihre Verteidigungsfähigkeit fortführen können.Hier wird erkannt, daß militärische Stärke allein, nur ausgedrückt in der Zahl von Soldaten, Panzern und anderen Waffen, noch nicht ausreicht. Auch die Gesellschaft muß denen, die für sie eintreten sollen, verteidigungswürdig erscheinen.
Deshalb warne ich auch davor, falsche Alternativenaufzustellen, als stünden wir vor der Entscheidung,uns entweder für soziale Gerechtigkeit oder für Ver-
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Bundesminister Genscherteidigungsfähigkeit zu entscheiden; das gehört zusammen.
Ich habe darauf hingewiesen, daß der Satz, den ich hier soeben mehr oder weniger aus dem Gedächtnis zitiert habe, in einem deutsch-amerikanischen Dokument steht, um dem Eindruck entgegenzutreten, da gebe es einen Verbündeten, der nur Kanonen sieht, aber von sozialer Gerechtigkeit überhaupt nichts hält.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir nun über die autonome Verantwortung, über die Verantwortung im eigenen Land reden, dann wollen wir doch eines auch nicht außer acht lassen: Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß diejenigen, die einer Regierung angehören und sie tragen, auch bei der Überwindung der jetzt vorhandenen Probleme eine Führungsaufgabe haben. Da machen wir es uns gar nicht so leicht, mit Ihnen ein „Schwarzer-PeterSpiel" zu beginnen und zu sagen: Da muß erst einmal die Opposition sagen, was sie will. Nur, meine Damen und Herren, eins wollen wir ja wohl auch nicht unterschlagen: Wir sind doch alle stolz darauf, daß wir einen föderalistischen Staatsaufbau haben. Wir wollen doch wohl nicht verschweigen, daß es Finanzprobleme beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden gibt, daß Sie im Bundesrat die Mehrheit haben, meine verehrten Kollegen, und daß es, wenn ich mich recht erinnere, auch kein wirklich ausgabenwirksames Gesetz gegeben hat, bei dem Sie hier mit dem Ruf in die Bresche gesprungen wären: „Nicht mehr Schulden machen!"
Meine Damen und Herren, nachdem ich das alles gesagt habe, möchte ich noch einmal feststellen: Wir bekennen uns zur Führungsaufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien für die jetzt anstehenden politischen Entscheidungen. Wir bekennen uns dazu, daß die in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen von uns natürlich mitgetragen worden sind und mitverantwortet werden. Der Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß ganz sicher niemand unter uns ist, der alle Entwicklungen — auch die weltwirtschaftlichen — so vorausgesehen hat, wie sie sich tatsächlich vollzogen haben. Es ist notwendig, daß alle Seiten des Hauses — die Bundesregierung eingeschlossen — die Fähigkeit besitzen, aus der gegebenen Entwicklung die notwendigen Konsequenzen zu ziehen; und das werden wir tun.Meine Damen und Herren, ich würde ganz gern noch einen anderen Punkt aufgreifen, der auch eine Rolle gespielt hat. Da wir gerade über den FDP-Parteitag sprechen, will ich auch diesen Punkt hier aufnehmen, Herr Kollege Kohl. Sie haben davon geredet, daß die beiden, die da an der Spitze der Regierung stehen, mit Rücktrittsdrohungen arbeiten müßten. Dann haben Sie versucht, zu orten, ob wir in der Mitte unserer Partei stehen. Bei uns ist es so, daß der Vorsitzende in der Partei vorn steht — damit das ganz klar ist!
— Das geht wieder zu weit, Herr Kollege Dr. Kohl. Ich sehe aber, Sie wollen mich versöhnlich stimmen.
Trotzdem muß ich dies sagen. In der Frage der Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses erleben wir nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in ganz Europa eine öffentliche Debatte über das Für und Wider. Es gibt auch Leute, die zu diesem Doppelbeschluß — sowohl zur Nachrüstung als auch zum Verhandlungsteil — aus Überzeugung j a sagen und zugleich die Frage aufwerfen, ob sich denn die Nachrüstung in dieser Form oder in anderer Form vollziehen könne. Nun kann ich niemandem, der die Frage der Seestützung aufwirft und diskutiert, wie das auf unserem Parteitag geschehen ist, vorwerfen, daß er für sich diese Frage aufwirft, weil ich als ein Mitglied der Bundesregierung, als ein Mitglied des Verteidigungsrates und als ein Mitglied der NATO-Außenministerkonferenz mir diese Frage doch selbst habe stellen und beantworten müssen. Vielleicht hätten wir damals — das sage ich selbstkritisch an meine eigene Adresse, an die Adresse der Bundesregierung — auch diese zugegebenermaßen nicht nebensächlichen, sondern zentralen Fragen des Inhalts dieses Beschlusses von uns aus offensiv zur Diskussion stellen sollen. Dann hätten wir die Diskussion vielleicht damals geführt und müßten sie heute nicht in der Öffentlichkeit nachholen. Ich kann aber keinen Vorwurf daraus herleiten, daß jemand sich diese Frage vorlegt, so wie ich sie mir auch einmal vorgelegt und so beantwortet habe, wie sie sich jetzt im NATO-Doppelbeschluß darlegt.Nun war es notwendig, all den Mitgliedern meiner Partei, die an diesem Parteitag teilgenommen haben, deutlich zu machen, daß wir als Mitglieder der Bundesregierung — über die Beantwortung dieser Frage in der Sache hinaus — auch noch die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik zu wahren haben, nachdem wir zum Doppelbeschluß in dieser Form j a gesagt haben, daß es hier auch um eine Frage der Vertragsfähigkeit unserer Bundesrepublik Deutschland geht,
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Bundesminister Genschernachdem wir ja gesagt haben. Das sind doch keine leicht zu nehmenden, sondern — unabhängig von der Sachfrage „Seestützung: ja oder nein?" — ernst zu nehmende Argumente.Ich habe darauf hingewiesen, daß die Entscheidung, die der Bundeskanzler und ich in dieser Frage getroffen haben — wir haben darüber oft und lange gesprochen —, nach ernster Gewissensprüfung getroffen worden ist. Als ich das sagte, wollte ich deutlich machen, daß für mich in meiner Verantwortung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland diese Frage in der Tat nicht eine Frage parteitaktischer Zweckmäßigkeiten und Mehrheiten hin und her ist, sondern eine Gewissensfrage. Vielleicht haben manche, die das am Fernsehschirm gehört haben, verstanden, daß man aus Gewissensgründen auch für diese Entscheidung und nicht nur dagegen sein kann.
Das wollte ich damit auch gesagt haben. Es ist ja wohl notwendig, daß wir deutlich machen, daß Entscheidungen über Fragen von solcher Bedeutung für Sicherheit und Überleben unseres Volkes nicht mit leichter Hand zu treffen sind, sondern daß diejenigen, die sich diesen Entscheidungen unterziehen, sehr wohl sehr genau nicht nur prüfen, ob das alles sein muß, sondern auch prüfen, ob das alles mit dem vereinbar ist, was wir an Verantwortung für die Menschen, für die Sicherheit in unserem Lande tragen.Das hier auszusprechen, meine Damen und Herren, war notwendig, weil das Wort Rücktrittsdrohung ein bißchen so aussieht, als ob da jemand irgend etwas in eine Richtung bewegen wolle. Nein, politisch Verantwortliche haben auf die Tragweite von Entscheidungen hinzuweisen, auf alle Kriterien, die zu der Entscheidung führen. Und dann sind alle frei, das einzuordnen und zu bewerten. Wir werden noch sehr viele Diskussionen dieser Art nicht nur erleben, sondern notwendig haben, wenn wir die Themen bewältigen wollen, von denen ich anfangs gesprochen habe.Meine Damen und Herren, ich habe vom weltweiten Strukturwandel gesprochen, der auf uns zukomme. Wenn Sie einmal sehen, was jetzt schon an protektionistischen Tendenzen in einigen unserer EGMitgliedstaaten aufkommt, kann ich mir nur die Frage stellen: Was wollen die denn tun, wenn in der Dritten Welt erst einmal eine gewisse industrielle Produktionskapazität geschaffen wird, die uns wirklicher Konkurrenz auch mit den Produkten dieser Länder aussetzt? Meine Damen und Herren, wir müssen da darauf hinweisen: Entwicklungshilfe, Hilfe für die Dritte Welt, ist mehr als öffentliche Entwicklungshilfe. Dazu gehören private Investitionen, und dazu gehört vor allen Dingen auch die Bereitschaft, die Märkte für die Produkte dieser Länder zu öffnen. Die Märkte öffnen heißt, daß wir in unserem Lande konkurrenzfähig bleiben müssen. Deshalb treten wir mit so großem Nachdruck dafür ein, die Entwicklungschancen für die Wirtschaft zu verbessern. Aber ich glaube, daß wir uns auch alle bewußt sind, daß viele Probleme, die wir gemeinsam sehen — vielleicht aus unterschiedlichen Blickwinkeln —,z. B. in unserem Bildungswesen, in der Ausbildung junger Menschen, auch von Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt sind, wenn wir in der Lage sein wollen, die technologische Führungsposition, die wir haben, auch zu behalten. Meine Damen und Herren, das alles gehört in eine Generalaussprache über den Bundeshaushalt für das Jahr 1981 mit hinein.Ich möchte ganz gern — weil Herr Kollege Dr. Zimmermann etwas zur Waffenexportpolitik der Bundesregierung gesagt hat — auch dazu eine Bemerkung machen: Meine Parteifreunde, es ist kein Geheimnis, daß in dieser Frage höchst unterschiedliche Auffassungen in allen Fraktionen — will ich einmal sagen — des Deutschen Bundestages vorhanden sind. Da gibt es Stimmen aus der Opposition — und das ehrt sie genauso wie diejenigen aus meiner Fraktion und aus der sozialdemokratischen Fraktion, die das sagen — —
— Meine verehrten Kollegen, es ist so, daß mir ein solches Wort immer leichter über die Lippen kommt als ein Ausdruck von Freund-Feind-Denken. Die zweite Hälfte habe ich nicht so gern.
Meine verehrten Kollegen, ich möchte Ihnen ganz offen sagen: Wenn wir über Abrüstung und Rüstungskontrolle sprechen — Kollege Mertes hat heute gesagt: „Welche Initiative haben wir denn nicht unterstützt?"; in der Tat, ich wüßte ihm da keine zu nennen —
und meinen, daß wir die Dritte Welt entwickeln wollen, dann müssen wir doch ernsthaft die Frage stellen, die der Kollege Brandt in der letzten Debatte aufgeworfen hat, ob es der richtige Weg sein könne, daß die Industriestaaten — oder ich sage das einmal für uns: die Bundesrepublik Deutschland — zu dem beitragen, was man Militarisierung der Dritten Welt nennt.
Für mich ist deshalb die Frage der Waffenexportpolitik auch eine Frage unseres Verhältnisses zu den Staaten der Dritten Welt und die Frage, ob man da nicht Dinge tut, die die Probleme möglicherweise noch verschärfen. Aber das ist nur eine Seite.Diejenigen, die sich mit großem Elan für eine Ausweitung der deutschen Waffenexportpolitik aussprechen, haben im Auge, daß andere das tun. Und da meine ich nicht andere im westlichen Lager, sondern aus den kommunistischen Ländern. Deshalb kann man hier nicht allein Zurückhaltung üben, sondern man muß gleichzeitig auch in den Vereinten Nationen dafür eintreten — wie wir das tun —, daß eben Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle nicht etwas ist, was nur zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, zwischen den beiden
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Bundesminister GenscherPaktsystemen stattfindet, sondern daß es eine der hervorragenden Aufgaben deutscher Außenpolitik ist, überall in der Welt dafür zu werben, die Nichtlieferung von Waffen in die Dritte Welt zu einem zentralen Ziel der Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung zu machen.
Da steht es uns wohl an, daß wir dabei eine Führungsrolle übernehmen. Ich bin sonst nicht so sehr für die Führungsrollen unseres Landes, für die Regierung schon und in meiner Partei natürlich auch — das ist ganz klar —, aber sonst nicht so sehr. Aber das hier ist eine Sache, die uns wohl ansteht.
Ich glaube, daß wir das auch sehr ernst nehmen wollen.Ich will damit sagen, das Nord-Süd-Problem, meine Damen und Herren, wird uns noch vor viele Fragen stellen.
Wir müssen unseren Bürgern sagen, daß das, was wir dort tun, nicht Geschenke sind, nicht Opfer auf dem Altar irgendeiner verworrenen Ideologie. Wenn wir damit beitragen, diese große, weltweite, den Frieden gefährdende soziale Frage Schritt für Schritt zu lösen, tun wir etwas für unseren eigenen Frieden und für den Frieden unserer Kinder. Ich denke, dann ist es gar nicht mehr so uneigennützig, wenn wir uns auf die Probleme einstellen, die sich daraus ergeben.
— Herr Kollege Dr. Mertes, nicht alles, was unbestritten scheint, ist in der Sache unbestritten. Gelegentlich lohnt es sich sogar, durch die Wiederholung richtiger Feststellungen dazu beizutragen, daß die Ausbreitung des Richtigen ungehemmte Fortschritte macht.
Bitte, Herr Kollege Mertes.
Sie gestatten die Zwischenfrage von Herrn Dr. Mertes?
Herr Bundesminister, finden Sie es nicht deprimierend, wenn wir als Opposition in der letzten Woche ausdrücklich dem NATO-Beschluß wörtlich zustimmen und der Kollege Wischnewski hergeht und sagt, wir hätten diesen Text abgelehnt? Was hat es für einen Sinn, wenn hier Wiederholungen stattfinden, die falsch sind?
Ich habe eben doch keine falschen Wiederholungen getrieben. Herr Kollege Wischnewski hat, wenn ich
mich recht entsinne, auf jenen Satz Bezug genommen,
der am Schluß des NATO-Kommuniqués steht,
den allerletzten, in dem es heißt, daß das Bündnis den TNF-Bedarf des Bündnisses im Lichte von konkreten Verhandlungsergebnissen prüfen wird. Darauf hat er, glaube ich, Bezug genommen. Dem hätten Sie natürlich gut zustimmen können, nicht?
Herr Bundesminister, haben wir diesem Text nicht ausdrücklich in einer Abstimmung zugestimmt? Können Sie das dem Hause bestätigen?
Herr Kollege, wenn Sie es sagen, wird es ganz sicher richtig sein. Ich kann mich daran nicht erinnern, aber es wird ganz sicher richtig sein. Ich habe niemals die Absicht, Ihnen die Unwahrheit zu unterstellen.
— Sie sprechen ja nachher. Vielleicht können Sie diesen Punkt dann behandeln.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen sagen, daß alle diese Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung viel zu ernst sind, als daß wir darüber in eine vordergründige Polemik eintreten sollten. Mir liegt daran, darauf hinzuweisen, daß Rüstungskontrolle und Abrüstung natürlich auch verlangen, daß die eigenen Verteidigungsanstrengungen glaubwürdig sind. Hier liegt die Philosophie des Doppelbeschlusses: die Ernsthaftigkeit des Willens zur Nachrüstung und die Ernsthaftigkeit des Willens zu Verhandlungen.Meine Damen und Herren, zur Rüstungskontrolle gehört auch, daß alle daran Beteiligten bereit sind, die übernommenen Verpflichtungen überprüfen zu lassen. Hier möchte ich mich an die Adresse der Sowjetunion wenden und die sowjetische Führung ausdrücklich darauf hinweisen, daß jeder Fortschritt in der Rüstungskontrolle und Abrüstung uns nur dann über einen Verbalismus hinausführt, wenn die übernommenen Verpflichtungen auch tatsächlich nachprüfbar und kontrollierbar sind. Das, meine Damen und Herren, ist die Philosophie unseres Vorschlages für die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen in ganz Europa. Das müssen wir sehr ernsthaft durchhalten, denn Mißtrauen ist der Feind jeder rüstungskontrollpolitischen Vereinbarung, Vertrauensbildung ist die Voraussetzung dafür.Wir müssen hier nicht noch einmal die Zahlen der Raketen gegeneinander aufrechnen, aber der Bundeskanzler hat in einer seiner letzten Reden im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Herstellung des Gleichgewichts für eine unverzichtbare Voraussetzung unserer Sicherheit hält. Ich füge hinzu — er hat das auch getan —: Dazu gehört auch, daß wir uns
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Bundesminister Genscherbemühen, dieses Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen zu erreichen.Meine Damen und Herren, angesichts mancher Kritik an der amerikanischen Haltung möchte ich hier daran erinnern, daß bei den SALT-Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion die Vereinigten Staaten, die sich damals im Besitz einer großen Überlegenheit bei den interkontinentalen strategischen Waffen wußten, bereit waren, der anderen Weltmacht, der Sowjetunion, die Parität, d. h. die gleiche Höhe der interkontinentalen Rüstung zuzugestehen. Dazu hat die Regierung Carter außerdem gesagt: Ja, wir gestehen euch diese Parität zu, aber wir schlagen euch vor, daß ihr gar nicht so weit aufrüstet, wie wir gerüstet haben, sondern daß wir teilweise abrüsten und diese Parität auf einem niedrigen Niveau schaffen. — Dieses Angebot ist nicht von den Amerikanern abgelehnt worden — die haben es ja gemacht —, sondern die Sowjetunion hat damals dieses Angebot abgelehnt.Ich möchte das hier erwähnen, um deutlich zu machen, warum ich der festen Überzeugung bin, daß der Wille der neuen amerikanischen Regierung zu ernsthaften Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung ein ernsthafter Wille ist. Alles, was wir auf diesem Gebiet tun, ist ein Beitrag zur Stabilität in Europa, ist ein Beitrag zum Dialog zwischen West und Ost.Das hat Bedeutung auch für eine große internationale Frage, die hier heute überhaupt noch nicht behandelt worden ist, der aber eigentlich unsere gemeinsame Sorge gelten muß, nämlich für die Frage: Wie geht es in der Volksrepublik Polen weiter?Wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben — zusammen mit allen unseren Partnern — durch eine Politik der strikten Nichteinmischung dafür gesorgt, daß bei den Vorgängen in der Volksrepublik Polen die Grundsätze der Schlußakte von Helsinki strikt gewahrt werden. Wir erwarten das auch von allen anderen Unterzeichnerstaaten.Wir als Bundesrepublik Deutschland haben in der Europäischen Gemeinschaft und im westlichen Bündnis ganz wesentlich dazu beigetragen, daß wirtschaftliche und finanzielle Hilfe an die Volksrepublik Polen geleistet wird, soweit die dortige Führung das wünscht und für notwendig hält.Meine Damen und Herren, wir müssen uns immer der Tatsache bewußt sein, daß jeder Schritt zum Dialog mit der anderen Seite, daß jede Verhandlung — wie sie etwa jetzt in Madrid stattfindet — über eine europäische Abrüstungskonferenz, daß die Aufnahme der Verhandlungen über die Mittelstreckenwaffen, daß all dies Beiträge zu Rahmenbedingungen im Ost-West-Verhältnis sind, die die Aussichten dafür verbessern, daß der Prozeß der Erneuerung in der Volksrepublik Polen ohne Eingriffe von außen vollzogen werden kann.
Das muß ein zentrales Interesse deutscher und europäischer Politik sein.Meine Damen und Herren, wenn hier eine Generalaussprache geführt wird, muß sich der Deutsche Bundestag j a wohl auch mit den Auswirkungen der gegenwärtigen internationalen Lage auf das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR befassen. Wir wissen doch alle, daß den Ausführungen, die wir hier machen, überall in der Welt eine große Aufmerksamkeit geschenkt wird, ganz besonders aber bei unseren Mitbürgern in der DDR. Ich denke, daß es notwendig ist, hier deutlich zu machen, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, entschlossen sind, in unserem Bemühen um den Dialog zwischen West und Ost auch die Politik fortzuführen, die wir auf der Basis des Grundlagenvertrages mit der DDR eingeleitet haben.Im April hat der Bundeskanzler im Deutschen Bundestag eine Reihe von Feststellungen zum deutsch-deutschen Verhältnis getroffen. Er hat darauf hingewiesen, daß natürlich das Ost-West-Verhältnis eine große Auswirkung auf das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR hat. Er hat aber auch darauf hingewiesen, daß das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR durchaus Auswirkungen haben kann auf das Ost-West-Verhältnis, also auf die Wechselwirkung zwischen beiden. Er hat unsere Einbindung in den Westen dargelegt, und er hat gerade für uns, für die Bundesrepublik Deutschland und für die DDR, Beiträge zur Friedenssicherung als eine Aufgabe konkreter Politik bezeichnet.Wer die Rede des Staatsratsvorsitzenden Honecker wenige Tage später sehr genau analysiert, wird darin eine Reihe von Ansätzen finden, die zeigen, daß man sich auch dort der Wechselwirkung zwischen dem deutsch-deutschen Verhältnis und der internationalen Lage, der Einflußnahme des einen auf das andere, bewußt ist, daß man sich dort auch bewußt ist, daß es sehr wohl möglich ist, daß die Bundesrepublik Deutschland und die DDR Beiträge zu einer Verbesserung der internationalen Lage leisten. Deshalb muß auch in dieser Generaldebatte im Gesamtzusammenhang der Ost-West-Beziehungen deutlich gemacht werden, daß wir, die Bundesregierung, daran interessiert sind, auch unter den heutigen schwierigen internationalen Bedingungen Fortschritte im Verhältnis zur DDR zu machen, und daß es unsere zentrale Aufgabe sein muß, alles das, was erreicht wurde, jetzt auf jeden Fall zu bewahren, nichts aufs Spiel zu setzen, alle Optionen offenzuhalten, um weitere Fortschritte zu ermöglichen. Das ist auch ein Teil unserer nationalen und unserer europäischen Verantwortung.Meine Damen und Herren, der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Das ist ganz gewiß richtig. Und wer sich den ganzen Ernst der haushaltspolitischen Beratungen und Probleme vor Augen führt, wird das sicher nicht bestreiten wollen. Aber ich finde, die Haushaltsdebatte sollte auch eine Debatte sein über die Schicksalsfragen der Nation. Deshalb ist es notwendig, daß die politischen Kräfte, die in diesem Deutschen Bundestag vertreten sind, nicht nur sagen, was sie bei dem jeweils anderen für falsch halten, sondern auch, welches die Ziele sind, die sie für sich oder mit anderen verwirklichen wollen. Und hier ist ganz unbestreitbar: Wir wollen auf der Grundlage des westlichen Bündnisses, eingebet-
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2292 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bundesminister Genschertet in die Europäische Gemeinschaft, unserer europäischen und nationalen Verantwortung gerecht werden, auch im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR. Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden, als Deutsche einen Beitrag zu leisten zur Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses als einer Voraussetzung des Weltfriedens. Wir wollen unseren Beitrag leisten, damit sich nicht aus der bitteren Not in der Dritten Welt, aus dem Unterschied der Lebensverhältnisse bei uns und in diesen Ländern eine Gefahr ergeben kann für den Frieden nicht nur in diesen Regionen, sondern für den Frieden auch bei uns.
Das alles werden wir nur erreichen können, wenn wir unsere freiheitliche Ordnung als die Möglichkeit und die Chance verstehen, alle Grundfragen, die die Menschen bei uns bewegen, verantwortungsvoll zu erörtern und zu diskutieren. Deshalb müssen wir uns, wenn wir die Glaubwürdigkeit unseres Parlaments bewahren wollen, auch der Diskussion von Fragen stellen, die wir für uns schon entschieden hatten, die aber andere für sich noch nicht entschieden haben, die wir aber für unsere Politik gewinnen wollen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesprochen hat Herr Bundeskanzler Schmidt, gesprochen hat Herr Bundesminister Genscher; gesprochen haben die Rücktrittskandidaten der Regierung.
Wenn die beiden führenden Männer der Koalition den Koalitionswagen nur mit Rücktrittsdrohungen auf Kurs halten können, dann scheint der Wagen nicht in bester Verfassung zu sein.
Es ist der Versuch, mit der Bremse zu lenken, und das ist ein untauglicher Versuch.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Herr Bundesaußenminister, Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungswürdigkeit gehören zusammen. Deshalb existieren Innen- und Außenpolitik nicht in getrennten Welten. Soziale Gerechtigkeit ist ein Beitrag, der unsere Verteidigungswürdigkeit erhöht.Ich finde es, mit Verlaub gesagt, Herr Wischnewski, schon ein starkes Stück, unter den Begründungen, warum diese Koalition weiter regieren müsse, anzugeben, die internationale Lage habe sich verschlechtert. Die Koalition ist doch angetreten, den Frieden sicherer zu machen. Wenn die internationale Lage nach zehn Jahren schlechter ist, dann ist das eher ein Grund zurückzutreten. Ihre Politik ist durch die Wirklichkeit dementiert.
Was uns die Regierung bisher an Zerfall und Zerrüttung vorgeführt hat, war, so fürchte ich, nur das Vorspiel. Der Nachrüstungsstreit des Herrn Bundeskanzlers mit Teilen seiner Partei war eher der Streit mit der angeheirateten, mit der entfernten Verwandtschaft. In der Sozialpolitik beginnt der Krach jedoch im engsten Familienkreis, und die liberale Nachbarschaft beteiligt sich mit Anfeuerungsrufen über den Gartenzaun. Herr Ehrenberg ist der Apel der Sozialpolitik, und die Arbeitslosenversicherung ist der Tornado der 80er Jahre dieser Regierung. Innerhalb von fünf Monaten mußte der Zuschuß an die Bundesanstalt um 4,6 Milliarden DM erhöht werden, und alle Fachleute wußten, daß die erste Zahl nicht stimmte. Die Bundesregierung hat noch nicht einmal die Ausrede, daß sie von den falschen Zahlen nichts gewußt hat; denn der größere Teil dieser Zahlen wurde von ihr selbst geliefert. Die Bundesregierung tappt von Desaster zu Desaster, und ihre Karawane, die Karawane des Bundeskanzlers, schleppt nicht Gold und Perlen, sie schleppt Schulden mit sich.Ich frage mich, unter welche Überschrift die Regierung Schmidt/Genscher gebracht werden kann, welche Spuren sie in der Geschichte unseres Landes hinterlassen wird. Ich will ja nicht bestreiten, daß die Tagesarbeit wichtig ist. Zeichen werden jedoch in der Politik nur durch eine Idee gesetzt, die die Einzelheiten zusammenhält, die die Funktion eines Hauptnenners erfüllt. Mit dem Namen Adenauer verbindet sich die Idee der Einbeziehung der Bundesrepublik in den freien Westen. Ludwig Erhard ist das Symbol von Wiederaufbau und Wohlstand. Kurt Georg Kiesinger setzte den Schlußstein im Gebäude des Nachkriegsdeutschlands. In der historischen Perspektive war seine Regierung auch die Voraussetzung des in der Demokratie unerläßlichen Wechsels. Mit dem Namen Willy Brandts verbindet sich Reformaufbruch — geradezu synonym — und der Mythos, zu neuen Ufern zu gelangen. Das alles ist keine Bewertung, sondern das ist nur der Versuch, das Protokoll des öffentlichen Bewußtseins nachzuzeichnen.Was waren und sind aber der Hauptnenner, das Zeichen, das die Regierung Schmidt setzt? Ich denke über diese Frage schon längere Zeit nach. Ich muß sagen: Mir ist nichts eingefallen. Helmut Schmidt ist der Prototyp des Verwalters. An seinen Verwaltungsfähigkeiten will ich gar keinen Zweifel lassen. Aber in Umbruchzeiten braucht die Republik mehr als einen Nachlaßverwalter. Wer den Staat nur verwaltet, bringt ihn auf die schiefe Ebene. Die Regierung Schmidt/Genscher ist die Regierung des Abstieges.Man braucht sich ja nur die sogenannte sozialliberale 10-Jahres-Bilanz anzusehen.
— Für Ihre Bilanz gibt es nun wirklich keinen Beifall. — Die Arbeitslosigkeit ist sechsmal so hoch wie 1970. Sie sagen, Herr Wischnewski, in England sei die Arbeitslosigkeit noch höher. Das wird den Arbeitslosen in Wanne-Eickel nicht trösten. Das ist ungefähr so, wie wenn das Haus brennt und man dem
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2293
Dr. BlümHausbesitzer sagt, im Nachbarland sei Überschwemmung. Hier hat sich die Arbeitslosigkeit in zehn Jahren versechsfacht. Wie kommen Sie eigentlich dazu, sich zur Regierung des sozialen Friedens zu erklären?
Die Rücklagen der Rentenversicherung sind seit 1972 auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Dabei haben die Rentner Opfer bringen müssen. Die Rente ist gekürzt worden; für einen Durchschnittsrentner macht das in 13 Jahren 21 000 DM aus. Was ist da sozialer Fortschritt, soziale Errungenschaft?Die Steuerabgaben der Arbeitnehmer haben sich um 40 Prozent erhöht. Was ist daran Fortschritt, Aufstieg?Auch mit der Wirtschaft ging es bergab. Die Zahl der Pleiten war 1980 doppelt so hoch wie 1970, und der Schuldenstand hat olympische Rekordzahlen erreicht. Die Neuverschuldung stieg seit 1970 um das Vierundzwanzigfache.Die Politik dieser Regierung — das wird bei den Schulden besonders deutlich — ist gegenüber der Zukunft rücksichtslos. Schulden machen heißt auf Kosten der Kinder und Kindeskinder leben. Ein guter Familienvater sorgt, spart für die Nachkommen. Dieser Vater Staat lebt auf Kosten der Nachkommen. Die Gegenwärtigen sorgen nicht für die Zukünftigen, sondern die Zukunft muß die Gegenwart finanzieren. Das ist die Sozialpolitik rückwärts, die sich in der Schuldenpolitik ausdrückt.
1984 werden die Zinsverpflichtungen des Bundes 23,3 Milliarden DM ausmachen, der geplante Nettokredit 20,1 Milliarden DM. Die Zinsen werden dann höher sein als die neuen Kredite. Mit anderen Worten: Die Kuh gibt weniger Milch, als sie Futter frißt. In diesem Fall schlachtet der Bauer die Kuh. Ich würde sagen: Wir begnügen uns mit einem Regierungswechsel.Was würde denn eigentlich einem Mann passieren, der bei seiner Bank nach einem neuen Kredit nachfragt und auf die Frage, wofür er den Kredit verwenden wolle, dem Bankdirektor antwortet, er brauche den neuen Kredit, um die Zinsen seiner alten Schulden zu bezahlen? Der würde zum Teufel gejagt. Er hätte seine Kreditwürdigkeit, seine Glaubwürdigkeit völlig verloren.
Die Aufgaben der Zukunftssicherung sind am schlechtesten weggekommen. Zwischen 1970 und 1980 stiegen die Staatsausgaben um 173 %, die Investitionen allerdings nur um 97 %. Meine Damen und Herren, die Investitionen sind die Sicherung der Zukunft. Konsumverzicht heute, damit Investitionen möglich werden, heißt Konsumverzicht zugunsten des Konsums morgen. Wer heute auf Investitionen verzichtet, muß morgen auf Konsum verzichten. Das ist das Latein dieser Regierung: Heute, heute, nur nicht morgen! Oder: Nach uns die Sintflut! Das ist das Motto dieser Regierung.
Unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben mit der Steigerung des Sozialprodukts nicht Schritt gehalten. Immer der Vergleich mit dem Ausland: Wir liegen, was die Forschungsausgaben anlangt, an letzter Stelle der vergleichbaren Industriestaaten.Zur Sozialpolitik: Die Familie, jener sozialpolitische Eckpfeiler, der die Zukunft trägt, ist im Sozialbudget zurückgefallen, obwohl gerade die Familienpolitik jener sozialpolitische Teil ist, der es uns ermöglicht, daß übermorgen überhaupt noch Sozialpolitik stattfinden kann. Die Kinder von heute sind die Beitragszahler von morgen. Wer eine familienfeindliche Politik betreibt, der lastet den Kindern, die jetzt geboren werden, Soziallasten auf, unter denen sie zusammenbrechen werden. Das ist eine Politik unsolidarisch gegenüber der Zukunft.Deshalb, meine Damen und Herren, die Zusammenfassung: Die Regierung befindet sich im Zukunftsstreik. Investitionen und Innovationen werden blockiert, und die Familie wird unterminiert. Das steht im Gegensatz zum ganzen Fortschrittspathos und Zukunftspathos sozialdemokratischer Parteitage. Sie wollten das Jahr 2000 planerisch bewältigen und haben es nicht geschafft, über das Jahr 1981 hinwegzukommen. Den Fortschritt zu verteilen, das ist relativ leicht; den Rückschritt zu verteilen, das ist schwer. Dazu bedarf es mehr als nur des Rechenstifts. Dazu braucht man ein Konzept. Aber soweit ich sehe, hat die Bundesregierung nur zwei Instrumente: Füllhorn und Klingelbeutel. Jetzt ist die Zeit des Klingelbeutels gekommen, und es wird einkassiert. Die Ausgabenpolitik war einfallslos, und die Einsammelpolitik ist konzeptionslos.Wer nur mit dem Radargerät des politischen Opportunismus Politik macht, den Weg des geringsten Widerstandes sucht, der wird uns nicht über die Zeiten hinwegführen, in denen Opfer und Sparen politische Notwendigkeit sind.Den Rückschritt zu verteilen ist deshalb schwerer, weil im Rückgang die Ungerechtigkeiten härter auffallen als im Fortschritt. Beim Fortschritt kommt nur der zu kurz, dem nicht so viel zugeteilt wird, wie ihm zusteht. Beim Rückschritt wird ihm abgenommen, da fallen die Ungerechtigkeiten härter auf. Deshalb ist eine Politik ohne Konzeption eine Politik gegen die soziale Gerechtigkeit.
Die Bundesregierung arbeitet ja in der Spardiskussion mit dem Verfahren: Jeden Tag ein neuer Protest-Test. Getestet wird die Stärke der Reaktion auf ein Gerücht. Die neue Form der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist der amtliche Versuchsballon mit eingebautem Dementi. Geschröpft wird am Ende derjenige, der am schwächsten protestieren konnte, der sich am wenigsten gewehrt hat. Das sind im Zweifelsfall die Gruppen ohne Lobby, die Schwächsten also.Wir haben ein Recht darauf, hier in dieser Haushaltsdebatte von der Regierung zu erfahren, wie es weitergehen soll, woher das Geld kommen soll, um der Schuldenflut einen Damm entgegenzusetzen.
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2294 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. BlümBleibt im öffentlichen Dienst alles, wie es war? Stolpern wir sehenden Auges in einen Schuldenabgrund in der Arbeitslosenversicherung? Werden die Kassen der Rentenversicherung weiter durch Manipulationen geplündert? Wie hoch wird die direkte Beteiligung der Rentner an der Krankenversicherung sein? Die Regierung antwortet auf diese so wichtigen Fragen nicht.Herr Bundeskanzler, wir werden jene Politik nicht mitmachen, in der Sie mit Beruhigungstherapie die Bürger einzuschläfern versuchen, um sie anschließend im Herbst zu überfallen.Wir wollen, daß die Spardiskussion jetzt offen geführt wird. Wir setzen auf die Einsicht der Bürger. Doch diese Spardiskussion kann nicht so geführt werden: Sie beschließen die Erhöhungen, und die Opposition ist für die Einsparungen zuständig. Erst kommt die Stunde der Wahrheit, und dann beginnt die Diskussion über die Lösungen, erst die Wahrheit, dann die Arbeit.
Das geht nach dem alten Motto: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Das finde ich gerade für eine Regierung wichtig, die im Wahlkampf auf so einem hohen Roß geritten ist. Die muß erst einmal wieder auf den Boden heruntergeholt werden. Ihr Eingeständnis des Finanzdesasters ist die Vorbedingung unserer Mitarbeit beim Sparen. Auf dieser Reihenfolge müssen wir aus Gründen der staatsbürgerlichen Erziehung bestehen.
Die Bundesregierung ist j a auch Spezialist der Schuldabwälzung und Verniedlichung. Schuld sind immer die anderen: das Ausland, die Bundesbank, die Bundesanstalt für Arbeit, die Unternehmer, und jetzt suchen Sie noch die Opposition, damit Sie sich hinter dieser Wand der Vorwände verstecken können. Der Höhepunkt — wirklich der Höhepunkt — der Verdrehung, Verschleierungen, Verniedlichung ist jenes Wort des Bundesfinanzministers, in dem er sich selbst als „Vollbeschäftigungsminister" bezeichnet hat; und das bei 1 Million Arbeitslosen. Ich bin sicher, die Bürger wollen jetzt keine Beschönigung, keine Vertröstung, keine Ablenkung, sondern die harte Sprache der Tatsachen. Ich bin auch sicher, daß sie bereit zu Opfern sind. Die Bereitschaft ist auch in der Arbeitnehmerschaft vorhanden, denn sie wissen: Das meiste Geld, das nicht gespart wird, wird ihnen mit Hilfe der Lohnsteuer aus der Tasche geholt.Wir müssen auch über die Subventionen diskutieren. Wie ein Ölfleck breiten sich die Subventionen aus. Im Ersten Subventionsbericht 1967 waren es 138 Steuervergünstigungen in Höhe von 9,7 Milliarden DM, im Siebten Subventionsbericht aus dem Jahre 1980 sind es 182 Steuervergünstigungen mit einem Gesamtvolumen von 62,3 Milliarden DM. Insgesamt machen Finanzhilfen und Steuermindereinnahmen 87,9 Milliarden DM aus. Meine Damen und Herren, das sind 24 % des gesamten Steueraufkommens, 17 % der gesamten Ausgaben der öffentlichen Haushalte.
Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Die Nachfrage nach staatlicher Unterstützung wächst. Sie wächst mit der Menge der Unterstützungen. Denn wenn schließlich viele unterstützt werden, dann empfinden die Wenigen, die noch nicht unterstützt werden, ihre Unterstützungslosigkeit als Diskriminierung. Wenn alle, warum ich nicht? Das ist der Ruf, der zunehmend populäre Plausibilität erhält. Das moderne Antidiskriminierungsgesetz müßte lauten: Jeder Mensch, ohne Rücksicht auf seine Rasse, Religion und Geschlecht, hat Anspruch auf Subventionen. — Wenn alle Subventionen erhalten, ist allerdings der generelle Umverteilungseffekt so groß, als würde niemand Subventionen erhalten. So wenig Privilegien Privilegien sind, wenn sie allen zukommen, so wenig sind Hilfen Hilfen, wenn sie allen zukommen. Die Faustregel also lautet: Subventionen für alle ist so gut wie Subventionen für niemanden. Nur: Subventionen für alle sind eben teurer, weil wir den Umverteilungsapparat mitfinanzieren müssen. Wer wirksam helfen will, muß den Empfängerkreis kleiner halten. Je größer der Kreis der Empfänger sozialer Hilfen ist, desto mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, daß die Beschenkten ihre Geschenke selber zahlen.Deshalb, meine Damen und Herren, halte ich auch die Rechnung für völlig verfehlt, die heute nachmittag hier wieder aufgemacht wurde. Die Erhöhung der Sozialausgaben ist nicht identisch mit dem Ausbau des Sozialstaates,
denn sonst wäre das Anwachsen der Arbeitslosigkeit Ausbau des Sozialstaates. Bei höherer Arbeitslosigkeit müssen nämlich höhere Beträge an Arbeitslose gezahlt werden. Wenn die Sozialpolitik so ausgeufert ist, dann ist das auch der Erfolg einer miserablen Wirtschaftspolitik.
Inflation und Arbeitslosigkeit haben die Sozialausgaben nach oben getrieben. Das werden Sie doch nicht als Ausbau des Sozialstaates betrachten. Die Sozialpolitik ist doch der Lazarettwagen, der hinter der Inflation herfährt und die Fußkranken aufliest. Das ist doch nicht die Sozialpolitik, die wir wollen.Prognosen, Bürokratie und Betreuung, das ist das sozialliberale Dreigestirn der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. In dieser prognostisch gefütterten Betreuungsbürokratie entsteht ein neues Gehäuse der Hörigkeit. Die Prognose produziert die Erwartungen, welche die Bürokratie anschließend als Bedürfnisse definiert, um sie dann in Form staatlicher Betreuung zu befriedigen. Das ist das sozialpolitische Perpetuum mobile.Dabei gibt es so gut wie keine Prognose, die stimmt. Schmidt ist der Kimble, der immer auf der Flucht ist vor seinen eigenen Voraussagen. Immer wenn eine Voraussage nicht eintrifft, muß er wieder entwischen. Es gibt j a auch so gut wie keinen Quadratzentimeter, den wir nicht statistisch durch Gutachten oder Prognosen vermessen haben. Ich bin sicher, die Überschätzung von Statistik und Prognose
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2295
Dr. Blümsimuliert Sachnotwendigkeiten, wo Freiheit im Spiel sein müßte.Parkinson hat sein Gesetz über die Ausdehnung der Bürokratie an Hand des englischen Kolonialministeriums exemplifiziert. Je kleiner das Empire war, um so mehr wuchs das Kolonialministerium. Vom englischen Marineministerium wußte Parkinson zu berichten: Je geringer die Zahl der Kriegsschiffe wurde, um so mehr Beamte arbeiteten im Marineministerium. Aber warum denn in die Ferne schweifen? Parkinson hätte Prachtexemplare dieses Gesetzes bei der Bundesregierung gefunden. 1960 gab es 1,3 Millionen bäuerliche Betriebe in der Bundesrepublik. Im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten waren damals, 1960, 2 500 Bedienstete. Im Jahre 1980 war die Zahl der bäuerlichen Betriebe auf 797 000 geschrumpft. Aber die Zahl der Bediensteten im Ernährungsministerium und in den nachfolgenden Behörden war auf 4 416 emporgeschnellt. Mit anderen Worten, die Zahl der Bauern wurde halbiert, die Zahl der Beamten wurde verdoppelt. Das ist Parkinson à la Schmidt.
— Das kann ich Ihnen ganz einfach sagen. Die Musik der Bürokratie wird in Bonn bestellt. Gespielt wird in den Ministerien nach der bürokratischen Melodie, die hier vorgegeben wird. Die Gesetze, die die Länder mit Bürokratie überschwemmen, verdanken ihren Ursprung doch diesem Bundestag.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Bitte schön.
Herr Kollege Blüm, wollen Sie mir nicht bestätigen, daß es zu einfach ist, hier vor dem Deutschen Bundestag zu erklären: Die Zahl der Bauern halbiert man, und die Beamten im Landwirtschaftsministerium und in den angeschlossenen Ämtern und Anstalten läßt man gleich, — wenn man weiß, daß wir, was die angeschlossenen Anstalten betrifft, eine große Forschungskapazität in unserem Bereich haben und in unseren Ämtern in Frankfurt dafür sorgen müssen, daß die Marktordnungen der EG durchgeführt werden können, ...
Bitte eine Frage stellen, Herr Abgeordneter!
... für die gerade Sie und Ihre politischen Freunde sich sehr stark einsetzen?
Ich bin Ihnen eigentlich sehr dankbar für die Frage, weil sie mir erlaubt, mal zu fragen, ob denn die ganzen Statistiken notwendig sind, die den Landwirten aufgehalst werden. Ich habe nur eine Auswahl. Wir haben statistische Untersuchungen über die Milcherzeugung, die Verwendung der Kuhmilch, den Schlepperbestand nach Besitzformen, nach Größenklassen der landwirtschaftlich genutzten Flächen, nach kW-Leistungsklassen. Wir haben Statistiken über Baumschulen und Baumschulflächen, die Bestände an Obst- und Ziergehölzen, über die Forstpflanzen nach Art, Zahl und Anzuchtmerkmalen, den Wachstumsstand und Ertrag von Gemüse und Erdbeeren, die durchschnittlichen Schlachtgewichte und die Gesamtschlacht-menge aus den gewerblichen Schlachtungen und Tieren inländischer Herkunft, jeweils gegliedert nach Tierart usw. usw.
Sie sehen, meine Damen und Herren, Sie geben mir die hervorragende Gelegenheit, zu exemplifizieren, wie eine Bürokratie entsteht. Denn — da bin ich mit Ihnen einer Meinung — die Beamten sind nicht die Schuldigen, die Eltern sitzen hier auf der Regierungsbank. Das sind nur die Folgen einer überbürokratisierten Politik.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Ich würde Ihnen gerne noch ein paar weitere Beispiele vorlesen. Vielleicht kann ich Sie dadurch überzeugen. Warten Sie meine Beispiele ab. Dann kommen Sie zu Ihrer Zwischenfrage.Das zweite Beispiel handelt nämlich von einem anderen Bereich. Wir brauchen das j a nicht auf die Landwirte zu beschränken. Im Bau- und Wohnungswesen gab es 1960 im Bund und in den Ländern rund 90 000 öffentlich Bedienstete. Jährlich wurden damals über 600 000 Wohnungen gebaut. 1978 war die Zahl der Bediensteten im Wohnungsbauwesen auf 93 000 in die Höhe geschnellt, aber die Zahl der Wohnungen hatte sich auf 1/6 reduziert.Ich will hieran — es dreht sich nur um Beispiele — das bürokratische Gesetz exemplifizieren: Je mehr Bürokratie, um so weniger Produktion. Das ist das Gesetz dieser Regierung.
Man kann es auch daran sehen: Im Deutschen Reich gab es 1929 bei größerer Bevölkerungszahl und größerer Fläche halb so viele öffentliche Bedienstete wie heute. Und das hängt — ich will es noch mal betonen, um gegen Mißverständnisse gefeit zu sein — nicht von einem Leistungsschwund im öffentlichen Dienst ab, sondern davon: Wenn immer ein Problem entsteht, was fällt dieser Regierung als erstes ein? Ein Rat, eine Kommission und schlimmstenfalls dann mindestens drei Gesetze. Die Frage, ob wir mit den alten Gesetzen das Problem lösen können, ist offenbar völlig unbekannt. Wenn das so weitergeht, wird, wie kluge Leute ausgerechnet haben, im Jahr 2023 auf einen Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einer im öffentlichen Dienst kommen. Und wenn es dann noch so weitergeht, werden im Jahr 2040 alle Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt sein. Dann gibt es nur niemand mehr,
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2296 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Blümder die Brötchen bäckt. Das ist das einzige Problem.Ich will das alles nur als Symptom einer Politik nehmen, die den Bürokraten und Experten mehr zutraut, als sie leisten können.
Wir mauern die Welt mit Experten zu.
Und es gibt einen Despotismus — —
— Soll ich es Ihnen noch einmal erklären? Wenn Sie es gern wollen, will ich es Ihnen noch mal erklären. Die meisten personalaufwendigen Gesetze in den Ländern beschließen Sie hier,
und ausführen lassen Sie sie in den Ländern. Das ist das Geheimnis.
Aber lassen Sie mich den Gedanken mal zum Grundsätzlichen zurückführen.
— Sie haben sicher Gelegenheit, Ihre Einsichten auch von diesem Pult aus zu vertreten.Es gibt einen Despotismus, der den Menschen mit harten Befehlen seinen Willen aufzwingt. Aber es gibt auch einen Despotismus, der sich hinter der Maske des wohlwollenden Ratgebers versteckt. Und wenn er zuvor den Bürgern das Vertrauen zu sich selbst genommen hat, dann holen sie sich die Befehle anschließend als Ratschläge ab. In der Wirkung ist dieser Expertendespotismus nicht weniger entmündigend als der grobe Befehlsdespotismus. Der Befehl tarnt sich neuerdings in den unfehlbaren Expertenrat.Die Expertokratie — dessen bin ich sicher — ist die Absetzung des gesunden Menschenverstands, ist die Abwertung der Praxis. Unser Bildungsbetrieb hat sich an dieser Unterminierung des Selbstvertrauens der Bürger beteiligt. Ich zitiere: Unsere Bildungspolitik hat die Neigung, dem jungen Arbeiter, dem Bauern, der Hausfrau ihr Selbstgefühl zu nehmen. Das Zitat stammt von Holger Börner.Alle Welt spricht vom Numerus clausus der Studenten. Warum spricht eigentlich niemand darüber, daß für immer mehr Hauptschüler immer mehr Berufe verschlossen sind? Auch das ist ein Numerus clausus.
Darum sollte sich mal die ehemalige Arbeiterpartei SPD kümmern, daß ein Hauptschüler zu Berufen, die früher nach dem Hauptschulabschluß gang und gäbe waren, keinen Zugang mehr hat. Im Bankgewerbe haben nur noch 2,6 % derer, die dort lernen, Hauptschulabschluß; alle anderen haben mittlereoder höhere Reife. Der Hochmut der Theorie wird durch die Erfahrung überhaupt nicht bestätigt. Edison, der Erfinder der Glühlampe, war nur ein paar Monate in der Schule. Werner von Siemens, Otto, die Gebrüder Wright, sie alle waren nicht über das 16. Lebensjahr hinaus in der Schule. Und wir betreiben heute eine Bildungspolitik, wo junge Mitbürger bis zum 30. Lebensjahr am Sandkasten der Universität gehalten werden. Das kann doch wohl nicht normal sein.
Da stimmen doch die Proportionen nicht. Der hat doch kaum noch 30 Jahre, den Ernst des Lebens auszuprobieren.Zur Verkünstlichung des Lebens zählt meines Erachtens auch jener Imperialismus, der unter der Fahne der Chancengleichheit die Kinder möglichst früh den Eltern entwöhnt. Es gibt einen sozialdemokratischen Bildungsehrgeiz, der nicht ruht und nicht rastet, bis die Kinder zum frühestmöglichen Termin in die Fänge von Erziehungsexperten gegeben sind. Kinderkrippen werden als Überwindung der Milieusperren des Arbeiterhaushalts angepriesen. In diese Art von sogenannter emanzipatorischer Erziehung ist, meine Damen und Herren, eine ungeheure Verachtung der Arbeiter eingebaut. Im Klartext heißt das: Arbeitermutter, du bist eine Milieusperre; Arbeitereltern, ihr seid zu dumm, eure Kinder zu erziehen. Deshalb muß die 20jährige Erziehungsexpertin der 30jährigen Arbeitermutter sagen, wie sie ihre Kinder erziehen soll.
Ich frage mich, meine Damen und Herren: Wann endlich werden sich die sozialdemokratischen Arbeiter gegen die bürgerliche Hochnäsigkeit wehren, die sich in Ihre Partei eingeschlichen hat? Wann endlich ist es so weit?
Die Praxis war der Stolz der klassischen Arbeiterbewegung, ihr ganzes Selbstbewußtsein. Die Nachfahren der Bürger, die jetzt bei den Jungsozialisten Heimat gefunden haben, haben nichts anderes zu tun, als die Praxis madig zu machen. Deshalb: Die CDU ist der Anwalt der Arbeiter.
— Fragen Sie doch einmal, wieviel in Ihren Reihen noch einen echten proletarischen Stammbaum haben! Sie hier sind doch dem 19. Jahrhundert in dieser Hinsicht mehr als fern; Sie kennen doch bestenfalls noch Arbeiter. Die Arbeiter sind in der SPD doch schon eine Randgruppe geworden.
Woher soll denn die CDU in Berlin 48 % der Stimmen bekommen haben? Es gibt doch keine 48 % Kapitalisten in Berlin. Es waren die Arbeiter, die uns gewählt haben — falls sich das noch nicht herumgesprochen hat.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2297
Dr. Blüm— Das ist wirklich eine kollegiale Hilfe; ich will zur Selbstbesinnung bei Ihnen beitragen.Lassen Sie mich hier nun noch unsere Vorstellungen zu den sozialpolitischen Grundentscheidungen, zur wirklichen Weichenstellung deutlich machen. Unter dem Zwang leerer Kassen werden die Unterschiede zwischen christlich-demokratischer und sozialistischer Sozialpolitik schärfer zutage treten. Insofern ist die Krise nicht nur Bedrohung, sondern auch Aufruf, sich auf Prinzipien zu besinnen. Die Sozialisten setzen alle Hoffnungen auf den Staat, die christlich-soziale Politik ist dagegen zuerst auf Hilfe zur Selbsthilfe gerichtet. Die Alternative zum Staat ist nicht der einzelne, der im Stich gelassen wird — wir haben nicht dieses altliberale Neandertal-Modell —, sondern wir setzen auf solidarische Selbsthilfe.Das Fundament der gesellschaftlichen Ordnung ist die Familie. Nach ihr kommt die selbstverwaltete Solidarität der Sozialversicherung. Erst ganz am Schluß — erst ganz am Schluß! — kommt der Staat als Lückenbüßer und Ersatzmann. Bei den Sozialisten ist es genau umgekehrt: Die Krone der Sozialpolitik ist die staatliche Fürsorge; die Sozialversicherung, das ist so ein Zugeständnis. Derzeit existiert sie so in einer Mischform: An der Tür haben Sie zwar noch „Selbstverwaltung" stehen, aber die Produktion hat längst der Gesetzgeber übernommen. Wir wollen, daß Selbstverwaltung, eigenständige Solidarität und staatliche Fürsorge wieder entzerrt werden.Die Familie ist in der sozialistischen Sozialpolitik — insofern kann man es kurz abhandeln — nur eine nostalgische Restgröße, die vernachlässigt und so behandelt wird wie andere Gegenstände im Museum. Meine Damen und Herren, es wird ja oft bedauert, die Jugend erkenne die Unterschiede zwischen den großen Parteien nicht mehr. In der Sozialpolitik sind sie mit Händen greifbar: hier ein übergroßes Vertrauen in den Staat und seine Allmacht, dort das Vertrauen in die solidarische Selbsthilfe der Menschen; das sind doch zwei Weichenstellungen.
Dabei müssen die Zweifelsfragen der jungen Generation auch in der Sozialpolitik durchaus ernst genommen werden. Eine freie Gesellschaft muß viele Lebensformen ertragen. Nur die graue sozialistische Einheitsgesellschaft schlägt alle über einen Leisten. Jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen ist das Glaubensbekenntnis des Pluralismus. Der Staat darf nicht Lebensmuster mit gesetzlichem Zwang verordnen. Je mehr Alternativen eine pluralistische Gesellschaft anbietet, um so höher ist der Reichtum an Entfaltungschancen.Meine Damen und Herren, es könnte ja auch ein Selbstwertgefühl nicht nur in der Richtung, daß man den Nachbarn übertrifft, sondern auch in der Richtung, daß man anders ist als der Nachbar, entstehen, daß man sich am Anderssein erfreut, Möglichkeiten, die auf dem eigenen Lebensweg versperrt sind, erkennt. Die Vielzahl der Alternativen muß jedoch an jener Stelle enden, wo der Egoismus beginnt. Jenes modische Aussteigertum, das seine Alternativen ausder Arbeit der anderen bezahlen läßt, ist nichts anderes als eine neue Form des Schmarotzertums.
Unter dem Schutzdach des deutschen Sozialrechts alternativ in der Hängematte unter den Palmen Balis zu liegen, ist nichts anderes als Ausbeutung.Wer soll eigentlich die Alten, Kranken und Behinderten unterstützen? Wer soll für sie arbeiten? Arbeiten ist auch Solidarität. Aus der Sorge für andere aussteigen heißt Flucht aus der Solidarität. Wo käme eigentlich eine Gesellschaft hin, in der sich die Jungen und Gesunden in Selbsthilfegruppen zurückziehen und die anderen, die sich nicht selber helfen können, im Stich lassen? So entpuppt sich die Sanftmut mancher alternativen Gruppen als nichts anderes als eine erbarmungslose Arroganz, welche die Augen vor der Schwäche derjenigen verschließt, die sich nicht selber helfen können.
Meine Damen und Herren, ich sehe in der zunehmenden Gewalttätigkeit nicht nur einen Angriff auf den Rechtsstaat, sondern auch einen Angriff auf den Sozialstaat. Wenn Gewalt politische Entscheidungen erzwingt, scheiden alle diejenigen aus, die keine Gewalt anwenden können. Die Steinwerferdemokratie bedeutet eine Benachteiligung für alle, die keine Steine werfen können, selbst wenn sie wollten. Das sind die Alten, Kranken und Behinderten. Deshalb gehört zur Rettung des Sozialstaates auch die entschlossene Abwehr der Gewalt.
Der Rechtsstaat ist eine Errungenschaft der Schwächeren.
— Wer darauf mit „Schwätzer" antwortet,
dokumentiert, daß er die Grundlagen des Rechtsstaates nicht akzeptiert hat.
Die Mächtigen haben nie das Recht gebraucht. Sie machten, was sie wollten. Erst der Rechtsstaat bändigte sie und schützte die Schwachen vor der Willkür der Obrigkeit. Deshalb gehört zur Diskussion über die soziale Sicherheit auch unsere gemeinsame Abwehr der Gewalt, unser gemeinsamer Wille, die Gewalt abzuwehren, und im friedlichen Streit, den wir hier vorführen, auch eine Zukunft zu sichern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bezweifle nicht, daß es ab und zu einmal ganz gut sein kann, theoretische Grundlagen für sozialpolitische Überlegungen darzulegen. Ich überlasse es allerdings Ihnen selbst, zu
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2298 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Mischnickbeurteilen, ob ausgerechnet die Haushaltsdebatte dafür der richtige Anlaß ist. Ich wäre gern bereit, mich mit Ihnen über manche Ihrer Thesen auseinanderzusetzen, Herr Kollege Blüm. Ich möchte mich aber mehr an das halten, was Ihr Kollege Zimmermann heute gesagt hat: Wir brauchen weniger Worte, wir brauchen mehr Taten. — Von Taten aber war in Ihrer Rede überhaupt nichts zu hören.
Das einzige — wenn man es als Tat bezeichnen kann — war die Forderung nach dem Rücktritt. Sie sprachen von den „Rücktrittskandidaten".Ich kann Ihnen nur sagen: Eine solche offene Diskussion, wie sie in unseren Reihen auf unserem letzten Parteitag geführt wurde — und ich bin sicher, auf dem Parteitag der Sozialdemokraten wird es ähnlich sein —, bringt für diese Demokratie mehr als Gemeinsamkeitsbeschlüsse, die ohne Diskussion zustande gekommen sind und damit auch keinen langen Bestand haben.
Wir setzen uns auseinander, wir ringen um die richtige Entscheidung. Bei uns wird sie nicht salbungsvoll verkündet. Das ist eben ein entscheidender Unterschied.Sie haben mit Recht davon gesprochen: Man muß Zukunftsinvestitionen betreiben. Man darf den Konsum nicht in den Vordergrund stellen. Aber von Anregungen, wo Konsumverzicht stattfinden soll, war in Ihrer Rede nichts zu hören, Herr Kollege Blüm.
Sie haben von Beruhigungstherapie gesprochen. Ich hatte den Eindruck, daß das eine Beruhigungstherapie für die eigenen Reihen war, — damit man sich nicht mit Sachargumenten auseinandersetzen muß.
Ich gebe Ihnen recht: Wir haben zu viele Statistiken. Herr Kollege Gallus hatte in diesem Zusammenhang eine Zwischenfrage gestellt. Herr Kollege Blüm, viele der Statistiken, die Sie hier aufgezählt haben, sind doch nicht ein Produkt der letzten zehn Jahre. Ich kann mich entsinnen, als ich Bundesvertriebenenminister war, habe ich manche von diesen Statistiken schon in den Kabinettsvorlagen gesehen, von denen heute gesprochen wurde. Wenn man schon so will, dann haben wir in diesem Bereich manches wahrscheinlich zuviel getan. Dann sollten wir uns aber gemeinsam dazu entschließen, die Dinge da, wo sie überflüssig geworden sind, zu beseitigen, bei Bund und Ländern, und nicht so tun, als sei das ausschließlich eine Frage des Bundes.
Lassen Sie mich nun zu dem kommen, was die anderen Kollegen der Opposition gesagt haben. Ich will an das anknüpfen, was ich schon kurz ansprach. Der Kollege Zimmermann sprach davon, daß den Worten Taten folgen sollten. Abgesehen davon, daß das geschehen wird, hat er offensichtlich übersehen, daß hier schon einige Taten vollbracht worden sind. Wir haben in den letzten Jahren z. B. alle die Vorschlägeder Opposition, die uns in eine noch höhere Verschuldung hineingebracht hätten, abgelehnt.
Das war Tat eins. Tat zwei war, daß wir das Subventionsabbaugesetz durchgebracht haben, allerdings, wie ich feststellen muß, nicht mit der aktiven Mitwirkung der Opposition, sondern mit so einer Art schweigender Duldung. Dabei hörten wir doch einmal, man sei gern bereit, an diesen Dingen mitzuwirken.
Man hat immer wieder den Eindruck, der Opposition fehlten hier einfach die Rezepte.Ich verstehe, wenn die Opposition sagt: Es kann nicht unsere Aufgabe sein, das zu lösen, was eigentlich Aufgabe der Regierung ist. Das läßt vermuten, daß dahinter Patentrezepte stecken, die man noch im Sack hat, um sie herauszuziehen, wenn man selbst in der Verantwortung steht. Wenn ich mich aber umsehe — und das aufgreife, was der Kollege Wischnewski gesagt hat — und einmal in Nachbarstaaten blicke, die von Parteien regiert werden, die Ihre Schwesterparteien sind, dann muß ich feststellen, daß dort diese Patentrezepte in den wirtschaftspolitischen, weltwirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen bis zur Stunde auch noch nicht bekanntgeworden sind. Liegt es nun daran, daß es an der brüderlichen Fürsorge für diese Schwesterparteien gefehlt hat, daran, daß Sie ihnen diese Rezepte nicht gegeben haben, damit sie sie ausprobieren könnten, oder liegt es daran, daß Sie in Wahrheit doch gar nicht in der Lage sind, ein solches geschlossenes Konzept vorzuweisen, obwohl Sie immer behaupten, daß Sie die besseren Rezepte in der Hand hätten?
In Wahrheit ist es doch so, daß Sie ganz froh sind, in dieser schweren Zeit keine Verantwortung zu tragen, und sich damit begnügen zu können, den anderen vorzuwerfen, sie hätten nicht die richtigen Lösungen bei der Hand. Mehr ist doch nicht hinter dem, was Sie uns bisher erzählt haben.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt aufgreifen, über den Herr Kollege Zimmermann so ausführlich sein Mißfallen zum Ausdruck brachte. Er beklagte sich, daß von dem Teufelswerkzeug Raketen gesprochen worden sei. Nun muß ich Ihnen ehrlich sagen: Ich war Soldat im letzten Weltkrieg. Die Raketen, die da über einem niedergeprasselt sind, waren für denjenigen, der in dem Hagel lag, ein Teufelswerkzeug.
Ich kann nicht verhehlen, daß für mich alle Waffen nach wie vor Teufelswerkzeuge sind. Wenn das dann beklagt wird, kann es doch kein Punkt des Angriffs sein. Es darf doch nicht in dieser einfachen Form, in dieser primitiven Form versucht werden, wegzuwischen, daß wir uns trotzdem einig sind, daß wir eine
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2299
MischnickVerteidigungsbereitschaft brauchen, indem man beklagt, daß es diese Waffen in dieser Welt gibt.
Die Schlußfolgerung ist doch nicht Waffenlosigkeit, sondern der gemeinsame Appell, das gemeinsame Ringen darum, so viel wie möglich von diesen Waffen überflüssig zu machen, nicht um sich selbst verteidigungslos zu stellen, sondern um den Unsinn, der in der Rüstung auf beiden Seiten besteht, deutlich zu machen. Das ist doch der Hintergrund einer solchen Kennzeichnung.In dem gleichen Zusammenhang ist hier kritisiert worden, daß der Kollege Brandt und der Kollege Bahr Gespräche in Moskau führen wollen. Da kann ich nur sagen: Hier kommt doch wieder so eine Art alte Berührungsangst durch, die wir schon früher gesehen haben. Es kann doch nur sinnvoll sein, wenn jede Möglichkeit des direkten Gespräches genutzt wird, um den Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland deutlich zu machen.
Als ich das heute hörte, war ich im Zweifel, ob der Kollege Barzel und ich richtig gehandelt haben, daß er gestern und ich heute mit dem Sekretär des ZK Ponomarjow gesprochen haben, um unseren Standpunkt klarzumachen — doch nicht etwa, um nur anzuhören, was die andere Seite gesagt hat.
Hier hat man manchmal das Gefühl, daß zeitweise ein Rückfall in die Betrachtung kommt, die dazu führte, daß von seiten der Opposition ein Nein zur KSZE 1975 vom Bundestag verlangt wurde. Das war die gleiche negative, falsche Betrachtungsweise.Nun ist davon gesprochen worden, wir würden erst jetzt über die Notwendigkeit der Konsolidierung sprechen. Vor den Wahlen habe niemand darüber gesprochen. Dann wurde darauf hingewiesen, da seien Versprechungen gemacht worden. Die Freien Demokraten haben diese Probleme sowohl vor der Wahl 1976 wie vor der Wahl 1980 in aller Deutlichkeit angesprochen.Ich verhehle nicht, daß die Bereitschaft, hier Lösungen zu finden, daß die Bereitschaft, die Entwicklung mancher Problematik zu sehen, heute größer ist, als das vor zwei, drei oder vier Jahren war. Wenn man jetzt Klage darüber führt, dann muß ich allerdings auch daran erinnern, daß es im Wahlkampf 1976 der Kollege Kohl war, der als erster verlangt hat, daß eine Rentenanpassung von 10 % zu erfolgen habe. Die finanziellen Folgen, die daraus entstanden sind, sind natürlich noch heute in unserer Rentenversicherung und auch im Haushalt spürbar. Man soll doch nicht so tun, als sei man unbeteiligt gewesen.
Von Herrn Kollegen Zimmermann ist davon gesprochen worden, wir müßten hier vieles tun, um wirklich zu Entlastungen und zu einer Verbesserung unserer Haushaltssituation zu kommen. Wir haben den festen Willen dazu, und wir werden in der Koalition das Notwendige tun. Das wird nicht leicht sein; da wird es sehr schwierige Gespräche und Verhandlungen geben; da wird man mit unterschiedlichen Auffassungen herangehen. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß wir am Ende Ergebnisse vorlegen werden, die deutlich machen, daß man im Jahre 1981 und im Jahre 1982 bestimmte Leistungen, die in der Vergangenheit selbstverständlich waren, daraufhin überprüfen muß, ob sie für die Zukunft noch möglich sind.Lassen Sie mich das an einigen wenigen Punkten deutlich machen. Wenn wir davon sprechen, daß Wildwuchs und Mißbrauch ausgeschaltet werden sollen, geht es eben darum, daß die Solidargemeinschaft — ob in der Rentenversicherung oder in der Krankenversicherung oder in der Arbeitslosenversicherung — vor demjenigen geschützt wird, der gerne in diese Solidargemeinschaft hineinlangt, ohne selbst entsprechende Zahlungen an diese Solidargemeinschaft zu leisten. Das wollen wir vermieden wissen!
Zweiter Punkt: Es muß eben aufhören, daß am Ende der Beitragszahler, der Steuerzahler dafür herangezogen wird, daß jemand, durch die Maschen des Gesetzes schlüpfend, am Jahresende mit weniger Arbeit mehr in der Tasche hat als derjenige, der das ganze Jahr gearbeitet hat. Dies wollen wir mit aller Energie anpacken und ausschalten.
Das hat nichts mit dem Aufknüpfen oder Kappen des sozialen Netzes zu tun. Ich hoffe nur, daß hier wirklich eine gemeinsame Haltung zustande zu bringen ist.Ein Weiteres: Wir haben manche Leistungen beschlossen, die zum Zeitpunkt der Beschlußfassung durchaus sinnvoll und notwendig waren. Aber manchmal hat man den Eindruck, daß der Gewöhnungseffekt höher bewertet wird als das, was für die Betroffenen notwendig ist. Dies müssen wir durchforsten. Das paßt absolut in den Rahmen hinein, den Sie, Herr Bundeskanzler, aus den Perspektiven der Sozialdemokratischen Partei zitiert haben. Manchmal habe ich den Eindruck, teilweise sei dies aus unserem Parteiprogramm. Ich hoffe, daß wir uns bei der praktischen Durchführung dann in jedem Punkte auf dieser Basis finden können.Mehrfach ist von der Zahlungsbilanz und von den Schwierigkeiten gesprochen worden, die daraus entstehen, daß unbestrittenermaßen — nicht allein, aber doch als ein wichtiger Punkt — all das, was mit der Ölpreisentwicklung zusammenhängt, eine Rolle spielt.Da, meine Damen und Herren, wende ich mich an zwei Seiten des Hauses: Ich verstehe nicht, daß dann in einer speziellen Frage wie z. B. dem Problem der Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer Maßnahmen, die einen mehrfachen Effekt hätten, wenn es darum geht, gerade bei der Leistungs- und der Zahlungsbilanz Entlastung zu brin-
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Mischnickgen, in weiten Teilen dieses Hauses auf so viel Widerstand stoßen.
Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, wie ich dazu beitragen kann, den Mineralölverbrauch der Automobile zu senken, wie ich erreichen kann, daß Bürokratie abgebaut wird, wie ich das früher vielleicht einmal Richtige, nämlich das Kraftfahrzeug als Besitz zu besteuern, beseitigen kann, wie ich also in einer Zeit, in der es zum Allgemeinbesitz geworden ist, dazu kommen kann, dafür den Gebrauch und den Verbrauch zu besteuern.Warum ist das so schwierig? Weil es natürlich Folgewirkungen gibt, die man bedenken muß. Da sind die Fragen der Schwerbeschädigten, da ist das Problem der Pendler, da ist das Problem des Steuerausgleichs zwischen Bund und Ländern. Dies alles sehen wir. Was ich aber politisch für bedauerlich halte, ist, daß das politisch Richtige daran scheitern soll, daß die Schwierigkeiten bürokratischer Art, die bestehen, in den Vordergrund geschoben werden, das politisch Richtige also hintangestellt wird. Das ist nicht unsere Position!
Ich bin gespannt, ob alle, die von der Nutzung aller Möglichkeiten sprechen, sich endlich auch bereit erklären, daran mitzuwirken, in einem solchen Fall mehrere politische Wirkungen zu erreichen.Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat davon gesprochen, es dürfe kein Tabu geben. Wir sind dieser Meinung: kein Tabu bei den Beratungen über Subventionsabbau, Abbau von Vergünstigungen, Beseitigung von Mißbrauch usf. Ich sage Ihnen allerdings in aller Offenheit: Ich war etwas betroffen, als in der Plenarsitzung vor 14 Tagen die Feststellung, daß wir zur bruttolohnbezogenen Dynamik der Renten zurückgekehrt sind, mit soviel Jubel begrüßt wurde. Ich sage dies in aller Offenheit. Warum? Gerade diejenigen Kollegen, die immer wieder beschwören, das Erbe Erhards nicht aus dem Auge zu verlieren, daß die automatische Dynamik natürlich zu einer Zeit, in der das Wachstum, das während des Aufbaus möglich und notwendig war, nicht mehr vorhanden ist, automatisch auch zu einem dynamischen Wachsen der Ausgaben nicht nur bei den Versicherungsanstalten, sondern auch beim Staat führen muß.
Ich bitte, auch das in aller Nüchternheit zu überlegen, wenn man hier für die Zukunft neue Überlegungen anstellt, und ich bin sicher, bei der 84er Regelung wird man dies in aller Nüchternheit behandeln müssen.Herr Kollege Kohl hat gesagt: Die Koalition hat die Wahl gewonnen. Zwischendurch konnte man ja hören, das sei nicht der Fall. Immer noch steht fest, daß die SPD seit der letzten Wahl mehr Mandate hat — auch wir haben noch ein paar mehr —, und die CDU hat sie verloren. Das hat sich nicht geändert, auch nicht durch die Diskussionen, die hier geführt worden sind. Und wenn so getan wurde, als seiendiese Wahlen durch Tricks gewonnen worden, so ist das zwar eine wiederholte Behauptung, ihr Wahrheitsgehalt aber wird dadurch nicht größer.Nur, wenn daran die Behauptung geknüpft wurde, die kleinen Leute, die Rentner, seien hereingelegt worden, kann ich nur feststellen: In den letzten zehn Jahren ist der Anstieg der Renten größer gewesen als der Anstieg der Bruttoeinkommen. Das kann niemand wegleugnen, das ist ein Faktum.
Zweitens ist in den letzten zehn Jahren das verfügbare Einkommen quer durch die Bevölkerung, auch bei den Arbeitnehmern, stärker gestiegen als die Preise und stärker als insgesamt die Belastung durch Steuern und Sozialbeiträge. Deshalb ist insgesamt gegenüber der Zeit vor zehn, zwölf Jahren eine bessere wirtschaftliche Situation feststellbar.Nun wissen wir sehr genau, daß wir noch eine ganze Menge zu tun haben werden, um dies zu halten — ich spreche gar nicht vom Ausbauen. Nur, wie läßt es sich unter einen Hut bringen, wenn wenige Minuten vorher Herr Kollege Kohl kritisiert hat, daß wir Schuldenpolitik betrieben hätten, und wenn er anschließend sofort moniert, daß beispielsweise bei der Mischfinanzierung Kürzungen vorgenommen worden sind, wenn Klage darüber geführt wird, daß das in einem Bereich sogar 40 % ausmacht? Das ist doch wieder die Doppelzüngigkeit, die wir hier immer wieder erleben:
mehr ausgeben, weniger Schulden, weniger Steuern. Das paßt nicht zusammen.Wenn man uns sagt: da nicht, dafür dort, können wir darüber diskutieren, aber wenn immer nur gesagt wird: da nicht, dort nicht und dort auch nicht, und wo sonst, das zu sagen ist Aufgabe der Regierung, dann ist das bestimmt kein Angebot, das beweist, daß man es besser machen kann.Nun ist noch die Behauptung aufgestellt worden, in den letzten 10, 12 Jahren sei eine eigentumsfeindliche Politik betrieben worden. Sehen Sie einmal in der Statistik nach, wie sehr die Zahl der Eigenheimbesitzer in den letzten 12 Jahren gewachsen ist. Das — ich will gar nicht mehr Beispiele anführen — ist doch ein so schlagender Beweis gegen die Behauptung, daß die Eigentumsbildung behindert worden sei, daß es dazu gar keiner weiteren Ausführungen bedarf. Bitte halten Sie doch die Menschen nicht für so dumm, daß Sie das nicht wissen. Es ist nachgewiesen, wie falsch die Behauptungen sind, die Sie hier aufstellen.
Eine kurze Bemerkung — weil der Kollege Kohl davon sprach — darüber, was in Hessen mit der Vertrauensfrage am 22. Juni im Hessischen Landtag verbunden wird. Hier muß ich die sachliche Feststellung treffen: nach der hessischen Verfassung — das scheint nur wenig bekannt zu sein — muß der Ministerpräsident, wenn ein Minister aus dem Kabinett ausscheidet und ein neuer Minister ihn ersetzt, das neue Kabinett dem Landtag vorstellen, und der Landtag muß ihm das Vertrauen aussprechen; ganz
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Mischnickgleich, ob der Minister wechselt, weil es eine Regierungskrise gegeben hat, ob der Minister wechselt, weil jemand aus Gesundheitsgründen zurücktritt, oder ob der Minister wechselt, weil der bittere, tragische Fall des Mordes an meinem Freund Karry vorausgegangen war. Ich bitte deshalb, in die Vertrauensfrage, die am 22. Juni im Hessischen Landtag zu stellen ist, nicht mehr hineinzugeheimnissen als das, was verfassungsrechtlich notwendig ist. Wenn der Vorsitzende der hessischen SPD die Gelegenheit wahrnimmt, sich auf seinem Landesparteitag offen der Diskussion zu stellen und sich in der Sache — wie ich überzeugt bin — bestätigen zu lassen, ist das nur ein Beweis mehr, wie das Demokratieverständnis der Sozialdemokraten ist, bevor sie in solche entscheidenden Abstimmungen gehen; das mag eben ein Unterschied zu Ihnen sein.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß der enge Spielraum, den wir finanzpolitisch haben, uns manche Möglichkeit nimmt für das, was wir gern umsetzen wollen, daß wir bei all den Dingen, die haushalts-, die finanzträchtig sind, zurückstecken müssen. Aber es gibt eine ganze Menge Dinge, die diese Koalition gemeinsam machen kann, die wir als liberale Reformen ohne Kostenrelevanz bezeichnen, die wir auch gemeinsam durchführen werden. Zu sagen, Haushaltsenge sei gleichbedeutend mit völligem Stillstand von politischen Maßnahmen, ist eine falsche Darstellung.
Wir werden deshalb das, was nicht kostenträchtig ist, mit dem gleichen Schwung weitertreiben, wie das bisher der Fall war.
Nun ist davon gesprochen worden — und damit will ich zum Schluß kommen —, die Opposition wär' nicht dazu da, der Regierung aus der Patsche zu helfen. Daß das gesagt wird, verstehe ich. Wenn darauf geantwortet wird, heißt das doch nicht, daß da, wo gemeinsame Notwendigkeiten zwischen Koalition und Opposition hier oder im Bundesrat bestehen, dies ausgeschaltet wird. Unter „nicht aus der Patsche helfen" verstehe ich, daß Sie hier nicht als billiger Mehrheitsbeschaffer tätig sein wollen — völlig einer Meinung! Wir werden dafür sorgen, daß wir selbst die entsprechenden Mehrheiten zustandebringen.
— Von SPD und FDP. Auch beim NATO-Doppelbeschluß war die Zahl der Abgeordneten der Koalition, die dafür gestimmt haben, größer als die Zahl der Opposition. Das ist ein Tatbestand, der sich nicht wegleugnen läßt.
Nun hat pikanterweise der Herr Kollege Kohl an das Jahr 1966 — wenn auch nur sehr knapp und vorsichtig — erinnert. Es sind nur noch wenige hier, auch bei Ihnen von der Opposition, die das Jahr miterlebt haben. Ich habe es miterlebt, und ich weiß, wie klein der Anlaß war, der damals zu einem Bruch derKoalition geführt hat. Diese Lehre habe ich behalten. Ich werde alles dazu beitragen, daß nicht Verständnislosigkeit oder Rechthaberei dazu führen, daß am Ende keine Verständigungsmöglichkeit besteht. Ich werde deshalb meine ganze Kraft dafür einsetzen, um Ihnen zu beweisen, daß wir mit dieser schweren Aufgabe in der Koalition fertig werden, zum Wohle des ganzen Volkes.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Wir haben heute morgen bereits über weite Strecken Verteidigungspolitik debattiert, und obwohl wir noch eine spezielle Runde zur Verteidigungspolitik haben werden — genauer gesagt zum Verteidigungshaushalt —, halte ich es für geboten, bereits jetzt, in dieser Generaldebatte, Bemerkungen zu den Fragen zu machen, die hier angesprochen worden sind — auch kritisch. Dabei werde ich mich nicht mit den Bemerkungen auseinandersetzen, die zu meiner Person gemacht worden sind. Ich gehe davon aus, daß das heute noch fortgesetzt wird. Der Abgeordnete Würzbach hat hier besondere Qualitäten entwickelt.
Ich wundere mich immer darüber, Herr Abgeordneter, wie Sie in den Sitzungen des Untersuchungsausschusses — wie ich selbst erlebt habe oder wie mir berichtet wurde — zwar nicht das Wort ergreifen, aber anschließend doch in der Lage sind, Zeugenaussagen so lange zu verändern und so zu „quälen", daß sie in Ihr Bild hineinpassen. Ich wünsche Ihnen auf diesem Wege weiterhin gute Reise.
Eins werden Sie nicht erreichen: mich dabei in Unruhe zu versetzen. Inzwischen habe ich ja festgestellt, mit wem ich es zu tun habe.
Aber ich möchte sehr gerne etwas zum Etat sagen und mich dabei auch mit den Ausführungen des Abgeordneten Dr. Wörner beschäftigen. Herr Dr. Wörner, Sie haben mehrere Dinge gesagt, die nicht zusammenpassen. Sie haben auf der einen Seite die Verschuldung des Bundes beklagt — wenn ich es richtig mitgeschrieben habe, haben Sie die Verschuldung als unerträglich bezeichnet —, und gleichzeitig haben Sie in bewegten Worten geschildert, die Bundeswehr sei nicht einsatzfähig und es fehlten ihr Milliarden. Ich stelle fest: Es fehlen keine Milliarden.
Ich stelle insbesondere fest, Herr Dr. Wörner, nach genauer Durchsicht meiner Unterlagen: Von seiten der Opposition gibt es hier in diesem deutschen Bundestag zum Einzelplan 14 keinen Antrag. Im Gegen-
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Bundesminister Dr. Apelteil: Sie erklären, Sie würden den Verteidigungsetat ablehnen. Auf der einen Seite wecken Sie — was Herr Dr. Kohl beklagt hat — Ansprüche bei der Bundeswehr, verunsichern Sie die Bundeswehr mit Ihren Bemerkungen,
auf der anderen Seite sind Sie nicht in der Lage, hier Anträge zu stellen, und zum dritten beklagen Sie die zu hohe Nettokreditaufnahme des Bundes. Dies ist unlogisch, dies ist unsachlich, dies ist kein Beitrag zur Lösung der Probleme, dies ist Polemik.
Was sind die Tatsachen?
Verzeihen Sie, Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Herr Verteidigungsminister, sind Sie bereit, uns zu erklären, welche Ansprüche wir bei der Bundeswehr geweckt haben?
Sie wecken insofern Ansprüche, als Sie ununterbrochen den Soldaten sagen — und ich werde darauf zurückkommen —, ihr sozialer Status sei nicht gesichert, da müsse sehr viel mehr geschehen, auch insofern, als Sie hier im Deutschen Bundestag sagen, es müsse mehr Geld für Treibstoff eingesetzt werden, damit mehr geflogen werden könne. — Ich denke dabei auch an Herrn Wörner, der als Amateurflieger sicherlich einige 10 000 Liter Sprit pro Jahr bei der Bundeswehr verfliegt. — Sie erwecken den Eindruck, als täten wir im Bereich der NATO nicht unsere Pflicht. Nur, Herr Abgeordneter Lowack, hieraus Konsequenzen zu ziehen und Anträge zu stellen, das tun Sie nicht. Das halte ich in der Tat für eine nicht verantwortliche Politik.
Was sind nun die Tatsachen? Tatsache ist, daß bei einem sehr sehr engen Haushalt der Etat des Bundesministers der Verteidigung von 1980 auf 1981 um 3,2 Milliarden DM steigt. Das ist eine Haushaltssteigerung um 7,2 %. Daher können wir feststellen, ohne deswegen besonders stolz zu sein, daß wir unsere NATO-Verpflichtungen erfüllen, daß wir von dieser Summe 10 Milliarden DM für Beschaffungen ausgeben.Eines will ich aber noch zu der gestrigen Debatte sagen, und das gilt insbesondere für den Bundeshaushalt 1982: Auch der Verteidigungsetat kann sich aus der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung nicht freizeichnen, auch der Verteidigungsetat muß sich den allgemeinen finanziellen Bedingungen und der Lage der Staatsfinanzen anpassen. Deswegen, meine Damen, meine Herren von der Opposition, halte ich diese Summe, eine Etatsteigerung um 3,2 Milliarden DM, für verantwortbar. Aber verantwortbar ist auch die Forderung beider Koalitionsfraktionen, die dazu gestern und heute gesprochen haben, daß auf der Hardthöhe eisern gespart werden muß.
Nicht verantwortbar ist dagegen, wenn hier im Deutschen Bundestag der Eindruck erweckt wird, als müßte eigentlich noch mehr getan werden. Wer diesen Eindruck erweckt, der muß insbesondere sagen, wie das geschehen soll.Ich habe soeben auf die Zwischenfrage von Ihnen, Herr Abgeordneter Lowack, Bemerkungen zur sozialen Lage gemacht. Ich möchte auch in aller Deutlichkeit sagen: Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, daß der soziale Status unserer Soldaten schlecht ist. Im Gegenteil, wir bekommen in einer allgemeinen Haushaltsenge bei einer generellen Überrollung des Personaletats dank der Zustimmung der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß und hoffentlich auch hier im Deutschen Bundestag 488 Stellenhebungen, um das Heeresstrukturmodell IV schrittweise zu verwirklichen. Es ist dann personell zu einem Drittel verwirklicht. Stellenhebungen gibt es ferner bei A 9 mit Zulage, von denen 844 Soldaten und 376 Beamte betroffen sind. Schließlich hat die Koalition durchgesetzt, daß 1170 Hauptfeldwebel nach A 9 befördert werden können. Der Wehrsold wird zur Mitte des Jahres beträchtlich erhöht.Natürlich bleiben Probleme bestehen. Wer wird das leugnen wollen? Natürlich bleibt das Thema Verwendungsstau auf der Tagesordnung, wenn diese Maßnahmen auch zumindest beim Heer einen bescheidenen Beitrag leisten, um den Verwendungsstau abzubauen. Aber wir können doch nicht auf der einen Seite sagen: zuviel öffentlicher Dienst, zu viele Beamte, zu hohe Staatsausgaben, zu hohe Staatsverschuldung, wenn auf der anderen Seite in der gleichen Debatte in bezug auf die Bundeswehr genau das Gegenteil behauptet wird. Ich halte das in der Tat für nicht zulässig.Heute morgen ist bereits auf die Verteidigungspolitik des letzten Jahrzehnts hingewiesen worden. Diese Verteidigungs- und Sicherheitspolitik begann mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Willy Brandt vom 28. Oktober 1969. Ich darf aus dieser Regierungserklärung zitieren, weil sie bis heute Richtschnur unserer Politik ist:
Welche der beiden Seiten der Sicherheitspolitik wir auch betrachten, ob es sich um unseren ernsten und nachhaltigen Versuch zur gleichzeitigen und gleichwertigen Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle handelt oder um die Gewährleistung ausreichender Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland: unter beiden Aspekten begreift die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik als Politik des Gleichgewichts und der Friedenssicherung. Und ebenso versteht sie unter beiden Aspekten die äußere Sicherheit unseres Staates als eine Funktion des Bündnisses, dem wir angehören und als dessen Teil wir zum Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West beitragen.
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Bundesminister Dr. ApelEs kann doch überhaupt nicht bestritten werden, daß die Bundeswehr in diesem Jahrzehnt ihre Leistungsfähigkeit erhalten hat. Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, daß die Bundeswehr in diesem Jahrzehnt zu einem zentralen Element westlicher Verteidigungfähigkeit geworden ist.
— Ja, wenn es eine Binsenweisheit ist, hochverehrter Herr Abgeordneter Mertes, dann bitte ich doch, die Polemik von seiten der Opposition einzustellen. Dann lassen Sie uns dieses Thema nicht weiter vertiefen. —
Es kann doch auch nicht bestritten werden, daß der amerikanische Außenminister Haig Anfang dieses Jahres bei seiner Anhörung im Senat vor seiner Bestellung zum Außenminister folgendes ausgeführt hat — ich zitiere —:Sie wissen,— er wendet sich an die Senatoren —daß Helmut Schmidt, wäre er heute hier unter uns, auf die Frage: Warum tun Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mehr?, Ihnen antworten würde, Herr Senator: Ich habe heute 500 000 Soldaten unter den Waffen rund um die Uhr. Das entspricht einer Streitmacht von 12 Divisionen, voll einsatzbereit. Wenn ihr Amerikaner eine vergleichbare Belastung auf euch nehmen wolltet, müßtet ihr in Europa 42 Divisionen stationieren,
statt der derzeitigen sechs Divisionen und zugehörigen Versorgungseinheiten, die Sie gegenwärtig hier unterhalten.Ich glaube, wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß das Zerrbild von der Bundeswehr, das Sie regelmäßig hier im Deutschen Bundestag und auch außerhalb des Deutschen Bundestages zeichnen, von niemandem, auch nicht von unseren Alliierten und von unseren Nachbarn, nachvollzogen werden kann, weil es nicht den Tatsachen entspricht.Herr Abgeordneter Dr. Wörner: Was ist das eigentlich für eine Argumentation für das Haushaltsjahr 1982? Sie sagen doch allen Ernstes hier als Parlamentarier, der genauso lange im Deutschen Bundestag ist wie ich, wir schöben nach 1982 eine „Bugwelle" von fast 4 Milliarden DM vor uns her. Sie wissen doch genauso wie ich, daß die Ressortanmeldungen in dieser Größenordnung laufen, daß sie den Chefgesprächen, dann der Kabinettsbeschlußfassung und dann der Parlamentsberatung vorangehen. Dies ist keine „Bugwelle", sondern eine Haushaltsanmeldung. Ich bitte doch sehr, diese simplen Zusammenhänge des deutschen Haushaltsrechts und des deutschen Haushaltsverfahrensrechts zur Kenntnis zu nehmen und sie nicht in eine falsche Polemik einzubeziehen.Der Abgeordnete Jung und wohl auch die Sprecher der Opposition haben sich zum Untersuchungsausschuß geäußert, auch zu den Ausführungen des Inspekteurs der Luftwaffe in der letzten Woche. Herr Abgeordneter Jung, ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung: Soldaten müssen die Wahrheit sagen.
— Alle, selbstverständlich, Herr Zywietz. Ich beziehe mich da ausdrücklich mit ein. —
Ich bin sehr dafür, daß der Untersuchungsausschuß in seinem Recht bleibt. Der Untersuchungsausschuß ist dazu da, die Wahrheit, die volle Wahrheit zu finden.
Deswegen stellt sich auch die Frage, Herr Abgeordneter Würzbach, ob die polemische Begleitmusik der Wahrheitsfindung nützt.
Dies will ich hier im einzelnen nicht untersuchen. Ich werde mich auch hier nicht mit Eindrücken über Kenntnisnahmen des Ministers auf Grund angeblicher Aussagen des Inspekteurs der Luftwaffe,
die die Presse wiedergegeben hat, auseinandersetzen. Dies werden wir dann prüfen, wenn das Stenographische Protokoll vorliegt. Es liegt jetzt vor, aber ich bin, Herr Abgeordneter Weiskirch, noch nicht dazu gekommen, das Konvolut zu lesen.
Aber im übrigen ist das nicht mein Thema.
Ich möchte hier in diesem Zusammenhang auf Grund der Eindrücke, die in der Presse entstanden sind, zu drei Bereichen Stellung nehmen und damit Eindrücke, die auf Grund der Vernehmungen in der letzten Woche entstanden sind, richtigstellen,
und zwar im wesentlichen deswegen, weil es auch hier darum geht, daß weder in der deutschen Öffentlichkeit noch im Deutschen Bundestag noch bei unseren Alliierten der falsche Eindruck entsteht.Das erste Thema ist die Betriebsstoffversorgung für die Luftwaffe im Haushaltsjahr 1981. Ich habe Ihnen im Ausschuß gesagt, daß wir mit dem Mehr von 155 Millionen DM zum Preisstand 1. April 1981 1 034 000 cbm Treibstoff kaufen können, davon 584 000 cbm für die Luftwaffe. Was bedeutet das nun für die Luftwaffe? Das bedeutet — und hier zitiere ich den Generalinspekteur, der mir dies in einer Aktennotiz mitgeteilt hat, gegengezeichnet vom In-
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Bundesminister Dr. Apelspekteur der Luftwaffe, durch seine eigene Unterschrift bestätigt —, daß folgendes stimmt:Die nunmehr disponierte und haushaltsmäßig nach zu erwartender parlamentarischer Billigung abgesicherte Gesamtmenge von 1 034 000 Kubikmetern sichert den Friedensbetrieb und damit die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Jahr 1981, allerdings an der untersten Grenze.Ich zitiere weiter:Die damit verbundenen Sparmaßnahmen im Jahr 1981 sind verantwortbar und müssen hingenommen werden.So der Inspekteur der Luftwaffe,
— darauf komme ich sofort —, so der Inspekteur des Heeres, so der Inspekteur der Marine. Dann kann und darf nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Menge Treibstoff, die dank der Beschlußfassung des Haushaltsausschusses bereitgestellt worden ist, dazu führe, daß die Bundeswehr in diesem Jahr nicht einsatzbereit sei. Dies ist falsch.
Wenn Sie mich nun fragen, was „unterste Grenze" heißt, dann will ich Ihnen dies beantworten. „Unterste Grenze" heißt, daß wir mit durchschnittlich 153 Flugstunden im Jahr, die das ergibt, in der ersten NATO-Kategorie bleiben, d. h., daß unsere fliegenden Verbände ebenso wie Heer und Marine in der ersten Einsatzkategorie der NATO bleiben und damit ihren exzellenten Status behalten. Wenn der Eindruck erweckt wird — durch wen auch immer, durch Aussagen im Ausschuß oder aber durch die Presse —, als sei das anders, dann widerspreche ich dem, und zwar nicht aus eigenem Sachwissen, sondern mit dem wörtlichen Zitat dessen, was General Obleser selber bescheinigt und unterschrieben hat.Ich komme damit zum zweiten Punkt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Würden Sie mir bitte die Berechnungen vorlegen, die dazu führen, daß die Aussage des Inspekteurs der Luftwaffe, wonach eben nicht 153 Stunden, sondern wesentlich weniger, nämlich 20 % weniger als 168, zur Verfügung stehen, unrichtig sein soll?
Würden Sie mir zweitens die Frage beantworten, wie Sie einen jungen Flugzeugführer mit 135 Stunden — so viel ergibt nämlich die Prozentrechnung — im Jahr in der Lage halten wollen, seinen Flugauftrag sicher durchzuführen? Ich erinnere an die Aussagen von Helmut Schmidt in der sogenannten Starfighter-Krise.
Herr Abgeordneter Dr. Wörner, so viel weiß ich auch aus
dem Protokoll des Untersuchungsausschusses, daß der Inspekteur der Luftwaffe — —
— Das ist doch albern, aber was soll's; von mir aus.
— Herr Abgeordneter Dr. Wörner, Sie wissen genauso gut wie ich — falls Sie an der Arbeit des Untersuchungsausschusses teilgenommen haben, was ich nicht weiß —, daß der Inspekteur der Luftwaffe keine Zahlen genannt hat.
— Ja, dann zwingen Sie mich, etwas zu sagen, was ich wirklich nicht sagen will, aber jetzt sagen muß. Sie zwingen mich, Dinge zu sagen, die ich nicht sagen will, und das gebe ich hier zu Protokoll. — Wir haben festgestellt, daß dem Stab, der dem Inspekteur der Luftwaffe zuarbeitet, ein schwerwiegender Rechenfehler unterlaufen ist
und daß der Inspekteur der Luftwaffe in seiner eigenen Aktennotiz, die mir vorgelegt worden ist mit seiner Unterschrift, weil ich darauf allerdings Wert legte nach den Erfahrungen, die ich gemacht hatte, selbst von 153 Stunden spricht. Im übrigen weiß ich, daß im Untersuchungsausschuß darauf hingewiesen wurde und daß es dann einige Unsicherheiten gegeben hat. Ich sage das, was ich eben gesagt habe, sehr ungern. Aber da Sie mich zwingen, muß ich sagen: In diesem Punkt ist leider im Untersuchungsausschuß unrichtig argumentiert worden. Ich habe das soeben richtiggestellt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jung?
Bitte.
Herr Minister, könnte es sein, daß sich der Kollege Wörner insofern etwas täuscht, als der Inspekteur der Luftwaffe in besagter Sitzung einen Unterschied auch machte zwischen erfahrenen Flugzeugführern mit mehreren tausend Flugstunden, wo nicht die volle Zahl der NATO-geforderten oder NATO-üblichen Stunden notwendig sei, um sie vollkommen „combat ready" zu halten, und einem jungen Flugzeugführer, der erst europäisiert werde und deswegen mehr Flugstunden nicht nur brauche, sondern auch tatsächlich bekomme?
Ich möchte gern zuerst einen Zwischenruf des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses und damit des Untersuchungsausschusses aufnehmen. Er hat dazwischengerufen: Wir werden auf diese Frage im
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Bundesminister Dr. ApelUntersuchungsausschuß zurückkommen. Das halte ich für richtig. Das muß dort geklärt werden. Was ich hier gesagt habe, ist dennoch Aktenlage der Hardthöhe. Und dabei bleibt es.Im übrigen haben Sie in einem Punkt sehr recht. Wenn wir 153 Flugstunden im Durchschnitt haben, dann können wir auch deshalb die Flugsicherheit voll garantieren, weil wir natürlich bei dem jungen, noch übenden Flugzeugführer höher und bei dem volltrainierten etwas niedriger gehen können. Damit ist die Flugsicherheit auch voll gesichert.
Herr Bundesminister, gestatten Sie?
Nein. Ich bitte sehr um Verständnis. Wir haben den Untersuchungsausschuß und können dieses Thema dort behandeln.Ich komme zum zweiten Punkt. Dieser zweite Punkt hat mich sehr betroffen gemacht. Es ist nach den Anhörungen vom vorigen Mittwoch der Eindruck erweckt worden, als habe das Thema „Bedrohung" in der Rüstungsklausur keine Rolle gespielt und als sei es ausschließlich um fiskalische Fragen gegangen. Auch in diesem Punkt kann ich, im Namen des Generalinspekteurs der Bundeswehr sprechend, diese Bewertung voll und ganz zurückweisen.Tatsache ist, daß es das Ziel der Rüstungsklausur war, die militärische Beschaffungsplanung an den enger gewordenen Finanzrahmen anzupassen, aber unter den Entscheidungskriterien Aufgabenerfüllung, operativ-militärische und damit bündnispolitische Notwendigkeiten.Es stimmt auch nicht, daß die Inspekteure der Teilstreitkräfte während der Rüstungsklausur nicht die Gelegenheit hatten, Stellung zu nehmen. Sie haben mehrfach Stellung genommen. Jeder der drei Inspekteure der Teilstreitkräfte hat Stellung genommen und aus seiner Sicht eine Bewertung gegeben.
Schließlich drittens. Erstaunt hat mich die Bemerkung, die ich in der Presse gefunden habe: Dadurch, daß das Flak-Abwehrsystem Roland — darauf werde ich in einem besonderen Punkt zu sprechen kommen — aus der Beschaffungsplanung herausgenommen sei, verfügten die deutschen Flugplätze nicht mehr über einen entsprechenden Flugabwehrschutz. Er sei nur noch passiv und nur noch sehr begrenzt.
— Ich muß Ihnen eine Vorbemerkung machen, Herr Abgeordneter Würzbach. Bereits auf dem Weg zur Rüstungsklausur, d. h. im Vorfeld, in der planerischen Vorbereitung sind Roland/Marine und Roland/Luftwaffe herausgenommen worden, und zwarvon den militärischen Planern. Von den militärischen Planern!
Dies werden wir noch zu beurteilen haben.
Aber ich will hinzufügen — —
Ich habe das im Verteidigungsausschuß gesagt: Natürlich wird es dadurch, daß „Roland" 1984 bis 1987 nicht zulaufen wird, weil die 4 Milliarden DM für dieses Waffensystem nicht zur Verfügung stehen und Sie auch keinen Weg aufzeigen, meine Damen, meine Herren, wie sie zur Verfügung stehen könnten, Risiken geben. Nur, eins muß ich hinzufügen: Die Bewertung, hier finde nur noch passiver, nur noch begrenzt aktiver Objektschutz statt, findet nicht die Billigung der politischen und militärischen Führung auf der Hardthöhe, und zwar aus folgendem Grunde nicht: Wenn wir über Luftverteidigung reden, dann müssen wir auch darüber reden, daß wir ein Flugabwehrraketensystem „Hawk" haben, daß wir „Patriot" einführen werden, daß die Jagdverbände der NATO zugeführt werden, und zwar auch aus den Vereinigten Staaten. Insofern — nun zitiere ich den Generalinspekteur der Bundeswehr — ... stellen die Risiken beim Objektschutz im Rahmen der Luftverteidigung nach meiner Auffassung— der Auffassung des Generalinspekteurs —die Erfüllbarkeit des Auftrags der deutschen Streitkräfte im Bündnis noch nicht in Frage.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der Eindruck, der in der Presse entstanden ist, für 1981, 1982 und 1983 sowieso irrelevant ist, weil „Roland" frühestens 1984 zugelaufen wäre. Nehmen Sie bitte aber auch zur Kenntnis, daß die Bewertung des Generalinspekteurs eine völlig andere ist als die, die wir in der Zeitung vorgefunden haben.
Am Ende dieses Themas möchte ich den Generalinspekteur noch einmal selbst zu Wort kommen lassen, weil das wichtig ist. Ich zitiere ihn:Die Bundeswehr ist seit Jahren, soweit es sowohl Verfügbarkeit als auch Einsatzbereitschaft betrifft, nach NATO-Kriterien in der höchsten Klassifikation eingestuft. Entscheidungen der Rüstungsklausur wie auch der Bundeshaushalt 1981 werden daran nichts ändern. Ich habe deshalb bereits vor Wochen vor dem Verteidigungsausschuß und in der Öffentlichkeit festgestellt: Ich bin der Auffassung — in Obereinstimmung mit der NATO in Brüssel, mit
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Bundesminister Dr. ApelSACEUR —, daß der Auftrag der Bundeswehr, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der militärischen Zustandsberichte der Teilstreitkräfte, im Rahmen des Bündnisses erfüllbar bleibt.Ich bitte Sie sehr herzlich, dies zur Kenntnis zu nehmen
und nicht ununterbrochen Tatarenmeldungen in die Welt zu setzen, die doch nur zweierlei bewirken können: Sie werden bei unseren Soldaten Entmutigung und Ratlosigkeit erzeugen;
sie werden sich fragen, ob ihr Dienst überhaupt noch einen Sinn hat. Und Sie werden, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, wenn Sie auf diese Art und Weise Tatarenmeldungen verbreiten, bei den deutschen Bürgern, aber auch bei einer Reihe von Abgeordneten des Deutschen Bundestages immer weniger die Bereitschaft fördern, Jahr für Jahr zusätzlich Milliardenbeträge bereitzustellen. Denn wer soll denn, wenn man den Abgeordneten ununterbrochen sagt — durch wen auch immer —, es fehlen immer noch 3 Milliarden DM, es fehlen immer noch 5 Milliarden DM, es gibt immer noch eine Bugwelle, am Ende noch glaubwürdig vor den Bürger hintreten
und sagen — selbst wenn dies die Wahrheit wäre; sie ist es j a nicht —: Wir brauchen diese Beträge zur Sicherung des äußeren Friedens? Dann werden Sie Resignation erzeugen, Sie werden Tendenzen zum Neutralismus erzeugen, niemand anders!
Nun bin ich heute morgen und auch gestern, z. B. vom Abgeordneten Gärtner, auf „Roland" angesprochen worden. Das will ich Ihnen in aller Offenheit vortragen, weil dies der Ort ist, wo eine Antwort zu diesem Beschaffungsvorhaben hingehört. Wie war's? Im November/Dezember 1975 wurden der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuß über die vorgesehene Beschaffung von 140 FlaRak-Panzern „Roland" unterrichtet. Die angegebenen Preise bezogen sich ausschließlich auf diese Stückzahl, 140. In den Vorlagen wurde allerdings auf die Planung hingewiesen, für Luftwaffe und Marine weitere 200 Stück zu beschaffen. In den nachfolgenden Verträgen ist die Beschaffung von 140 Systemen „Roland" fest vereinbart worden. Am 21. März 1978 wurde dann ohne mein Wissen — ich war damals erst seit einem Monat Verteidigungsminister — in einem Memorandum mit der Französischen Republik die Absicht erklärt, weitere 200 Waffenanlagen zu beschaffen, allerdings mit der Maßgabe, daß Entschädigungsansprüche entstehen können, wenn ein Vertragspartner die für ihn vorgesehene Stückzahl verringert.
— Ich komme sofort darauf zurück. Es steht fest, Herr Abgeordneter Würzbach, daß dabei § 38 der Bundeshaushaltsordnung nicht beachtet worden ist, denn auf Grund des Abkommens können im Falle des Rücktritts von der beabsichtigten Beschaffung Entschädigungszahlungen entstehen, für die es keine haushaltsmäßige Ermächtigung gibt.Ich habe eben bereits auf die Rüstungsklausur hingewiesen und habe Ihnen gesagt, daß „Roland" bereits im Vorweg von den Militärs, die die Rüstungsklausur zusammen mit der Haushaltsabteilung im wesentlichen vorbereitet haben, bei Marine und Luftwaffe aus den Planungen herausgenommen worden ist. Die erforderlichen 4 Milliarden DM waren in der Planung nicht unterzubringen. Die Teilstreitkräfte haben andere Schwerpunkte gesetzt; sie haben das Raketensystem „Patriot" vorgezogen. Ich habe sowohl dem Verteidigungsausschuß, dem Sie j a angehören, wie auch dem Kabinett gesagt, daß diese Entscheidung gegebenenfalls zu Entschädigungsansprüchen führen könnte. Allerdings gibt es heute überhaupt keinen Anlaß, über Summen zu reden, und zwar aus zwei Gründen.Erstens muß über diese Frage mit der Französischen Republik verhandelt werden. Der französische Rüstungsdirektor hat uns heute einen Brief geschrieben und uns versichert, daß er die Verhandlungen im bewährten Geiste französischer Freundschaft so führen will, daß die Probleme klein sein werden. Zum zweiten bin ich entschieden dagegen, Summen zu nennen, bevor wir in Verhandlungen eintreten. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir Zahlen, die in der Landschaft herumgeistern, heute bestätigen und damit unsere Verhandlungsposition in dieser Frage verändern?
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat den Bundesrechnungshof gebeten, dem Parlament zu diesem Vorgang einen Bericht vorzulegen. Meine Damen, meine Herren, Sie werden verstehen, daß ich die Vorlage des Gutachtens abwarten möchte, ehe ich zu Konsequenzen oder Folgerungen Stellung nehme. Vielleicht sollte ich zu diesem Thema aber einen letzten Satz anfügen. Die Fachleute des Ministeriums haben mir versichert, daß die bei „Roland" angewandte Vertragsgestaltung, die auf der Arbeitsebene lief, bei anderen Beschaffungsvorhaben nicht praktiziert wurde. Ich habe sichergestellt, daß sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Ja.
Herr Minister, auch wenn ich Ihnen konzediere, daß Sie persönlich nicht gewußt haben, daß ein Beamter Ihres Hauses Vorverpflichtungen im Hinblick auf ein Beschaffungsprogramm in Milliardenhöhe eingegangen ist, und daß dieses nach Ihrer bisherigen Kenntnis ein Einzelfall ist, möchte ich Ihnen zwei Fragen stellen.Erstens. Durch welche organisatorischen Maßnahmen haben Sie schon jetzt sichergestellt, daß
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2307
Ganselsich ein solcher Vorgang nicht wiederholen kann, der nicht nur das Haushaltsrecht verletzt, sondern auch den Primat des Politischen in Frage stellt?Zweitens. Werden Sie gegebenenfalls, um deutlich zu machen, daß es mit der politischen Kontrolle ernstgemeint ist, die verantwortlichen Beamten in Regreß nehmen?
Herr Abgeordneter, Sie werden sicherlich verstehen, daß ich zu Ihrer zweiten Frage hier keine Auskunft gebe, und zwar erstens deswegen, weil es ein Gutachten des Bundesrechnungshofes geben wird. Wir sollten die Vorlage dieses Gutachtens abwarten. Zweitens gebe ich deshalb keine Auskunft, weil ich sehr dafür bin, daß wir erst einmal die Verhandlungen mit der Französischen Republik abwarten und sehen, ob überhaupt — und wenn j a, in welchen Größenordnungen — Entschädigungsansprüche entstehen. Was die Frage eins anbelangt, so habe ich sofort nach Kenntnisnahme dieses Vorgangs angeordnet und noch einmal in dem Protokoll einer Abteilungsleiterkonferenz, das als Weisung des Ministers gilt, sichergestellt, daß sich derartige Vorkommnisse nicht wiederholen können.
Es ist ein Einzelfall. Er kann nicht entschuldigt werden. Aber er entstand natürlich auch aus der Überlegung — die sicherlich mit dem Haushaltsrecht nicht in Einklang steht —, daß man auf diese Art und Weise Preise für künftig sicher eingeplante zusätzliche Systeme sichern wollte, die man auf andere Art und Weise nicht hätte sichern können. Das rechtfertigt die Unterschrift unter diesen Vertrag nicht, macht sie aber plausibel. Dieser Fall wird sich also, Herr Abgeordneter, auf Grund einer Anweisung des Ministers nicht wiederholen.
Verzeihen Sie, Herr Bundesminister. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gärtner?
Ja, gern.
Herr Minister, abgesehen davon, daß diese Interpretation natürlich dazu führen müßte, möglichst viele Waffensysteme zu bestellen, um sie billiger zu machen, möchte ich fragen, ob der Bundesverteidigungsminister die Verhandlungen mit dem französischen Partner in der Weise führt, daß er dem französischen Partner offene Hand in der Frage der Exportierung der „überflüssigerweise" bestellten Waffensysteme gibt?
Herr Abgeordneter Gärtner, Sie werden verstehen, daß ich mich vor Aufnahme dieser Verhandlungen — und diese Verhandlungen können frühestens im September dieses Jahres beginnen, weil wir zur Mitte dieses Jahres kündigen mußten und inzwischen gekündigt haben — in keinerlei Einzelheiten einlassen kann, weil alles das, was ich im Deutschen Bundestag sage, öffentlich ist und damit bei meinem Verhandlungspartner Berücksichtigung finden wird.Lassen Sie mich zu einem letzten Bereich kommen. Der Herr Bundeskanzler ist darauf heute morgen schon kurz eingegangen. Das sind die Fragen des Selbstverständnisses der Soldaten, der Tradition in der Bundeswehr. Der Bundeskanzler hat dem Abgeordneten Zimmermann deutlich gemacht, daß er zu diesem Thema nicht die Wahrheit gesagt hat. Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, daß öffentliche Gelöbnisse auch künftig außerhalb der Kaserne möglich sein werden. Herr Dr. Zimmermann hat das Gegenteil gesagt. Und der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, daß es auch künftig einen Zapfenstreich für besondere Anlässe geben wird. Herr Dr. Zimmermann hatte das Gegenteil behauptet. Aber ich will mich darauf nicht kaprizieren, weil es Stil des Hauses ist, auf diese Art und Weise Behauptungen in die Welt zu setzen, die nicht stimmen.
Ich möchte Ihnen gerne in einigen Punkten deutlich machen, um was es uns geht. Uns geht es darum, daß wir auch als Bundeswehr und auch als Verteidigungspolitiker die Sorgen der Bürger über Konsequenzen einer kriegerischen Auseinandersetzung in Europa ernst nehmen.
Es hat doch keinen Zweck, meine Damen und Herren, daran vorbeizuargumentieren, daß es hier eine Grundströmung gibt, die Kriegsangst in sich birgt. Mit Hurra-Patriotismus werden weder die Bundeswehr noch die Sicherheitspolitiker mit dieser Grundwelle fertig werden. Wir müssen uns vielmehr der Debatte stellen. Und ich bin mit meinen Soldaten auf der Hardthöhe der Meinung, daß wir uns dieser Debatte stellen werden — allerdings auf eine andere Weise, als Sie es tun —, mit sehr viel Verständnis für ihre Argumentation, aber mit dem Ziel, daß die gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen in unserem Lande die Grundlagen unserer Sicherheitspolitik, Entspannung auf der Basis des militärischen Gleichgewichts, verstehen.Und natürlich muß eine solche Debatte auch in den Schulen anfangen, aber bitte nicht so, daß junge Leute denken, sie sollten indoktriniert werden, hier sollte so etwas wie Wehrkundeunterricht gemacht werden, sondern bitte so, daß auch dort problematisiert werden kann.
— Auch das, Herr Abgeordneter Dr. Marx, auch Kenntnisse.
Aber es muß die Bereitschaft derer, die politische Verantwortung tragen, die militärische Verantwortung tragen, da sein, den anderen als Gesprächspartner ernst zu nehmen und nicht a priori zu diffamieren.
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2308 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bundesminister Dr. ApelDeshalb habe ich auf dieser Klausurtagung, von der Sie gesprochen haben, bei der wir auch über Tradition geredet haben, gesagt, daß wir uns künftig noch stärker mit den Thesen und Arbeitsergebnissen der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen werden. Ich rechne dazu auch die Beiträge unserer Kirchen zu den Problemen der Friedenssicherung und der Rüstungskontrolle. Und ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe heute morgen die Polemik von Herrn Zimmermann gegen die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung überhaupt nicht verstanden.
Ich kann nur unterstellen, daß der Abgeordnete Dr. Zimmermann die Veröffentlichungen nicht liest. Ich kann nur unterstellen, daß er dieses große und dicke Buch, das wir jetzt auf den Tisch bekommen haben, nicht gelesen hat.
— Herr Dr. Marx, zu Ihnen paßt doch diese Art von Polemik überhaupt nicht. Überlassen Sie das doch Herrn Würzbach und Herrn Dr. Wörner! Das hat doch keinen Zweck.
Ich sage Ihnen: Das sind bemerkenswerte Beiträge, und die Bundeswehr wird sich mit der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen. Das sind nicht unsere Gegner, sondern unsere Gesprächspartner.
Selbst wenn wir am Ende nicht auf einen Nenner kommen — das mag ja sein, das ist ja auch Teil des demokratischen Willensbildungsprozesses —, werden wir uns damit auseinandersetzen.Damit bin ich bei meinen Schlußbemerkungen.
Bei der Tagung, von der ich spreche, ging es auch um die Fragen: Wie soll es eigentlich mit dem Frieden in Europa weitergehen? Wie stellen wir uns eigentlich das Ende dieses Jahrzehnts oder das Ende dieses Jahrtausends vor? Wollen wir uns weiter auf Konfrontation, auf Rüstungswettläufe einstellen, oder was ist unser Ziel? Ich bin den Debattenteilnehmern auf seiten der Soldaten dankbar, die gesagt haben: Wir wissen um die Grausamkeit unserer Waffen; da brauchen wir gar nicht nuklear zu denken. Schon die konventionelle Auseinandersetzung bedeutet das Ende der Zivilisation in Zentraleuropa. Deswegen sind wir Soldaten erstens Menschen, die Friedensdienst mit der Waffe leisten, und dieses mit ganzem Herzen. Wir wollen den Krieg verhindern. Zweitens wünschen wir Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung, weil wir um die Wichtigkeit des Friedens wissen, weil wir wissen, daß wir nicht nur auf Waffen setzen dürfen, sondern auf Politik setzen müssen.
Vielleicht wäre es .gut, meine Damen und meine Herren von der Opposition,
wenn Sie einmal mit diesen Soldaten sprächen. Sie kämen dann zu einem anderen Menschenbild. Sie kämen insbesondere dazu, daß unsere Soldaten friedensliebend sind, daß unsere Soldaten um die Knappheit der finanziellen Mittel wissen,
daß unsere Soldaten wissen, daß sie eine gut ausgerüstete Armee sind, daß unsere Soldaten wissen, daß zehn Jahre sozialliberaler Sicherheitspolitik und elf Jahre sozialdemokratischer Verteidigungsminister dieser Bundeswehr gedient haben und weiter dienen werden. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Debatte fortfahren, erteile ich dem Abgeordneten Wischnewski nach § 30 der Geschäftsordnung das Wort zu einer direkten Erwiderung.
Herr Präsident, nach § 30 der Geschäftsordnung darf ich folgende Erklärung abgeben:
In meinem heutigen Beitrag vor dem Deutschen Bundestag habe ich den vorletzten und den letzten Satz der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1981 zur Erklärung der Bundesregierung vom 6. Mai 1981 zitiert. Der vorletzte Satz lautet:
Er
— der Deutsche Bundestag —
unterstreicht in diesem Zusammenhang die Feststellung des Doppelbeschlusses, daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen der NATO im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird.
Meine Behauptung, daß die CDU/CSU diesem Satz nicht zugestimmt hat, entspricht nicht den Tatsachen. Ich bedaure diesen Irrtum.
Der letzte Satz lautet:
Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut die Politik der aktiven Friedenssicherung, wie sie in der Regierungserklärung vom 24. November 1980 niedergelegt ist.
Meine Behauptung, daß die CDU/CSU dem nicht zugestimmt hat, entspricht den Tatsachen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2309
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bedrückende an dem, was sich hier eben vollzogen hat, ist die Tatsache, daß ein führender Mann der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der Kollege Wischnewski, und leider auch der Bundesaußenminister — denn das ergibt sich aus seiner Antwort auf meine Frage — nicht einmal bemerkt haben, daß die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion dem entscheidenden Satz des Doppelbeschlusses der NATO ausdrücklich zugestimmt hat. Was hat es für einen Sinn, daß wir hier miteinander beraten, daß wir miteinander diskutieren, daß wir sogar miteinander abstimmen, während sechs Kollegen der SPD dagegen stimmen und vier sich der Stimme enthalten, wenn Sie hinterher aus Unwissenheit — das glaube ich Ihnen ja gern, Herr Kollege Wischnewski und Herr Bundesminister Genscher — davon ausgehen, daß die CDU einem entscheidenden Satz des NATO-Doppelbeschlusses nicht zugestimmt habe? Was hat es dann noch für einen Sinn, hier miteinander über Gemeinsamkeit zu sprechen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Genscher? — Bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir darin zustimmen, daß ich gar nicht bestritten habe, daß Sie dem Satz zugestimmt haben — ich konnte das nur von oben nicht nachprüfen —, sondern gesagt habe: Wenn Sie es behaupten, wird es ganz gewiß richtig sein. — Ich weiß nicht, was daran zu beanstanden ist.
Herr Abgeordneter Genscher, laut Protokoll haben Sie, an mich gerichtet, folgendes gesagt:
Dem hätten Sie natürlich gut zustimmen können, nicht?
Das bedeutet doch, daß Sie angenommen haben, wir hätten nicht zugestimmt. Anders kann ich das nicht verstehen.
Meine Damen und Herren, es ist hier der Eindruck erweckt worden — ich glaube ja gerne, daß das auf Unwissen beruhte — —
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege, es hat an sich nicht viel Zweck, hier solche Auseinandersetzungen zu führen, aber würden Sie bitte, wenn Sie mich schon zitieren, das, was ich in diesem Zusammenhang gesagt habe, ganz zitieren?
Herr Bundesminister, ich habe gefragt:Finden Sie es nicht deprimierend, wenn wir alsOpposition in der letzten Woche ausdrücklichdem NATO-Beschluß wörtlich zustimmen und der Kollege Wischnewski hergeht und sagt, wir hätten diesen Text abgelehnt? Was hat es für einen Sinn, wenn hier Wiederholungen stattfinden, die falsch sind?Darauf antworteten Sie:Ich habe eben doch keine falschen Wiederholungen getrieben. Herr Kollege Wischnewski hat, wenn ich mich recht entsinne, auf jenen Satz Bezug genommen, der am Schluß des NATO-Kommuniqués steht, den allerletzten, in dem es heißt, daß das Bündnis den TNF-Bedarf des Bündnisses im Lichte von konkreten Verhandlungsergebnissen prüfen wird. Darauf hat er, glaube ich, Bezug genommen. Dem hätten Sie natürlich gut zustimmen können, nicht?
Daraufhin habe ich gesagt:
Herr Bundesminister, haben wir diesem Text nicht ausdrücklich in einer Abstimmung zugestimmt? Können Sie das dem Hause bestätigen?
— Den weiteren Text habe ich nicht.
Aber ich habe ihn in Erinnerung: Sie, Herr Kollege Genscher, haben dann gesagt, daß Sie nicht an meinen Worten zweifeln. Aber ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie sich in diesem Augenblick hier hin- gestellt hätten und nicht falsche Koalitionsharmonie betrieben, sondern gesagt hätten: Der Kollege Wischnewski hat sich geirrt; auch durch mein — Genschers — Zutun ist hier eine große Zustimmung des ganzen Deutschen Bundestages zustande gekommen. — Das haben Sie nicht getan!
Herr Bundesminister Apel, zu den einzelnen Fragen aus dem Verteidigungsbereich will ich nicht Stellung nehmen. Dazu wird die Beratung des Verteidigungshaushalts noch Gelegenheit geben. Ich will aber zu den allgemeinen Vorwürfen Stellung nehmen, die Sie an die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß gerichtet haben. Ich habe als jemand, der die politischen Auswirkungen Ihrer Politik sehr genau beobachtet, den Eindruck, daß Sie dem Fieber, daß Sie selber geschaffen haben, dadurch begegnen wollen, daß Sie das Fieberthermometer zerschlagen.
Der Bürger im Lande spürt Ihre Widersprüche, die Soldaten haben unter Ihren Widersprüchen zu leiden.Lassen Sie mich Ihnen noch sagen, Herr Kollege Apel: Ich selbst habe als Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion jahrelang im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung mitgearbeitet. Es ist eine falsche Darstellung, zu sagen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die Friedensforschung ist. Richtig ist, daß
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2310 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Mertes
wir gegen bestimmte Mißbräuche der Friedensforschung sind — und das aus gutem Grunde.
Wir möchten nicht, daß die deutsche Friedens- und Konfliktforschung eine teure ideologische Spielwiese von Leuten wird, die glauben, daß sie ihre einseitigen Theorien im Namen des Friedens mit pseudowissenschaftlichem Anspruch in unser Volk, in unsere Schulen bringen können. Dagegen wenden wir uns. Weil wir eine gute, eine seriöse Friedens-und Konfliktforschung wollen, wenden wir uns gegen ihren Mißbrauch.
Dann, Herr Kollege Apel, haben Sie davon gesprochen, daß es nicht nur auf militärische Macht ankomme, sondern auch auf Verhandlungen. Nichts ist wahrer als das. Aber das ist immer unsere Position gewesen. Herr Kollege Apel, ich möchte Ihnen namens unserer Fraktion noch einmal in aller Ruhe sagen: Es ist eine gebieterische Pflicht der deutschen Politik, darauf hinzuwirken, daß bei gleichbleibender Sicherheit für alle das Niveau der Rüstungen auf ein niedrigeres Niveau kommt. Dies war und bleibt die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; sie war es auch schon, als wir an der Regierung waren.Nur, was Sie immer wieder zu sagen vergessen — und das ist das, was wir Ihnen und der Koalition vorwerfen —, ist dies: daß der sogenannte Rüstungswettlauf die Folge eines politischen Einflußwettlaufs, eines Kampfes der Sowjetunion um Einfluß ist, in dem sie militärische Macht einsetzt, nicht nur im physischen Kampf, wie in Afghanistan, sondern auch als psychologisches Instrument, um auf diese Weise ihren politischen Willen durchzusetzen. Wir hatten in den 70er Jahren die große Sorge, daß, wenn man in der Sowjetunion nur noch den Kooperationspartner — der sie natürlich auch ist — und nur den Vertragspartner sieht, nicht aber die politisch bedrohende Macht, das Wissen um die politischen Ursachen der Rüstung zurückgeht. Und das ist die Situation, vor der wir heute stehen.Dann ist heute auch die Notwendigkeit des Dialogs angesprochen worden. Selbstverständlich sagen wir ja — das haben wir immer gesagt — zum Dialog mit dem Osten. Wir behandeln heute den Haushalt des Auswärtigen Dienstes, der die Institutionalisierung des Dialogs ist. Aber ich frage Sie: Wer hat denn die Beziehungen zur Sowjetunion 1955 aufgenommen? Wir sind für den Dialog, auch auf hoher Ebene. Wir haben beispielsweise den Besuch des Generalsekretärs und Vorsitzenden Breschnew im Mai 1978 ausdrücklich begrüßt. Ich erinnere an die Debattenbeiträge der Kollegen Kohl und Strauß im Mai 1978. Aber wir sagen nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Mißbrauch des Dialogs. Den gibt es doch auch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Mertes, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, dem Hause mitzuteilen, was „gute, seriöse Konflikt- und Friedensforschung" ist?
Gute und seriöse Konflikt- und Friedensforschung ist solche Forschung, die nicht darauf aus ist, in einem ideologischen Vorurteil etwa den Begriff der strukturellen Gewalt einzuführen und dabei nur von Südafrika und der Dritten Welt zu sprechen, nicht aber von der strukturellen Gewalt in der DDR; die es nicht auf Grund einer vorgefaßten Betrachtungsweise unterläßt, den wahren Ursachen der Konflikte auf den Grund zu gehen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Herr Kollege Mertes, habe ich Sie richtig verstanden, daß das, was Sie gerade vorgetragen haben, Ihre Definition von Konflikt- und Friedensforschung ist?
Herr Kollege, wenn Sie mit mir ernsthaft über Friedens- und Konfliktforschung sprechen wollen, schicke ich Ihnen einen kleinen Vortrag zu, den ich zu diesem Thema im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung gehalten habe. Ich will die ganz einfach zu erläuternde Position der CDU jetzt hier nicht weiter vertiefen.
Aber lassen Sie mich, was das Thema Dialog angeht, auf die aktuelle Situation zurückkommen. Ich wundere mich, Herr Bundesminister des Auswärtigen, daß das von Ihnen heute nicht deutlicher angesprochen worden ist. Das ist das Thema des Dialogs mit der Sowjetunion in einem Zeitpunkt, in dem die Sowjetunion den freigewählten deutschen Bundeskanzler in die Nähe Adolf Hitlers bringt.
Ich habe noch einmal sehr genau nachgelesen, was der Kollege Brandt in der letzten Woche hier gesagt hat. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß der Bundesminister des Auswärtigen und der Bundeskanzler in der Frage des Doppelbeschlusses hier eine klare Sprache gesprochen haben. Aber die Sprache des Kollegen Willy Brandts war nicht zweideutig, sie war dreideutig, sie war vieldeutig, und sie gestattet der Sowjetunion die Auslegung und die Hoffnung, daß in Gesprächen mit ihm möglicherweise doch noch eine Beeinflussung der Politik der Bundesregierung in einer nach unserer Auffassung falschen Richtung erfolgen kann. Das ist der Grund, weshalb sie ihn im Kontrast zu den Angriffen auf den deutschen Bundeskanzler und den Außenmini-
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Dr. Mertes
ster zu diesem Zeitpunkt nach Moskau eingeladen hat.
— Herr Kollege Ehmke, wir wären als Opposition keinen Pfifferling wert,
wenn wir nicht darauf achten würden, ob hier auf dem Umweg über Willy Brandt zwar nicht Verrat getrieben wird, aber die Positionen des Westens in einer entscheidenden Frage der Friedenssicherung aufgeweicht werden.
Ich habe es bedauert, daß der Bundesminister der Verteidigung soeben, als er von der Notwendigkeit der Rüstungskontrollverhandlungen sprach, nicht darauf hingewiesen hat — das müßte er als Bundesverteidigungsminister tun —, daß nicht Unfrieden und Spannung in der Welt bestehen, weil es Soldaten und Waffen gibt, sondern daß es Soldaten und Waffen gibt, weil politisches Mißtrauen und entgegengesetzte politische Ziele bestehen. Diese wirkliche Kausalität ist in unserem Lande in zu hohem Maße vergessen worden, und die Schwierigkeit, die wir heute in der Diskussion mit vielen jungen Menschen haben, beruht darauf, daß Sie den Finger nicht auf die wahren Ursachen der Spannung und der Rüstung in Europa gelegt haben.Ich muß es in aller Deutlichkeit noch einmal sagen. Die Sowjetunion benützt militärische Macht nicht nur, wie es der Westen tut, zur Abwehr einer möglichen Aggression, sondern — wir sehen es um Polen herum, wir sehen es gegenüber uns selbst — sie benutzt militärische Macht auch zur Unterdrükkung unbotmäßiger Bevölkerungen, und sie verschafft sich unterhalb der Schwelle des möglichen Nuklearkrieges,
den sie nicht will, ein Arsenal von Einschüchterung, Druck, Drohung und Erpressung.
Nicht der einzelne russische Soldat und nicht die einzelne russische Waffe bedrohen uns, sondern es ist der dahinter stehende politische Wille. Wir werden mit unserer jungen Generation nicht ins Reine kommen, wenn wir nicht diese Kausalitäten der Rüstung und Bedrohung darlegen, die politischer Natur sind.In den 70er Jahren hat es nicht nur diese Bundesregierung, sondern ein großer Teil des Westens unterlassen, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. Die Sowjetunion — ich sage es noch einmal — wird nicht aus Ruchlosigkeit oder aus Zorn nuklearen Selbstmord begehen. Sie kennt die Kräfteverhältnisse, sie ist risikoscheu, und sie will keine Abenteuer. Aber sie will unterhalb der nuklearen Kriegsschwelle — ich sage es noch einmal — Einschüchterung, Druck, Drohung und Erpressung ausüben können und verschafft sich dadurch das Instrumentarium der militärischen Druckausübung, des Klimas der Angst.
Das Verschweigen dieser politischen Kausalität haben wir als eine negative Folge der Entspannungspolitik des Typs der 70er Jahre empfunden.Der Bundeskanzler hat dem Kollegen von Weizsäcker im Berliner Wahlkampf vorgeworfen, er habe außer einem Vertrag den Ostverträgen nicht zugestimmt. Auch dazu möchte ich ein ganz offenes Wort sagen. Der Kollege Wehner hat heute morgen zu Recht daran erinnert, daß er im Juni 1960 von der Tribüne des Deutschen Bundestages aus gesagt hat: Der Kampf um die Westverträge ist vorbei, wir stehen jetzt zu diesen Verträgen, wir werden sie richtig auslegen, wir werden sie im Interesse unseres Volkes anwenden. Niemand von uns ist auf die Idee gekommen, jemandem von der SPD zuzumuten, zu sagen: Wir bedauern es, daß wir dagegen gestimmt haben. Es ist eine Pflicht der Opposition in der Demokratie, die Schwächen der Vertragspolitik einer Regierung darzulegen, wenn sie ehrlich glaubt, sie zu sehen. Wenn der demokratische Meinungs- und Entscheidungsprozeß vorbei ist, dann gelten die verabschiedeten Gesetze und Verträge für alle. Wo kämen wir denn hin, wenn wir heute der SPD vorwerfen würden, weil ihr gegen die Westverträge wart, dürft ihr den Verteidigungsminister nicht stellen? Es ist doch eine höhere Form des Mumpitzes, kann ich nur sagen, wenn man in dieser Form immer wieder auf das zurückkommt, was vor den abschließenden Entscheidungen gesagt worden ist.
Für die CDU/CSU gilt das gleiche. Wir haben aus unserer Sicht der Friedenssicherung, aus unserer Sicht der nationalen Interessen, unsere Bedenken in den Kämpfen um die Ostverträge in aller Intensität, wie es notwendig war, dargelegt. Nachdem die Verträge in Kraft getreten sind, sind sie Instrumente unserer Politik. Der Vorsitzende unserer Fraktion Kohl hat in seiner Rede im November letzten Jahres ganz klar gesagt, daß diese Verträge von uns nicht nur eingehalten werden, sondern daß sie von uns auch als Instrumente unserer Politik benutzt werden.Nun muß ich etwas hinzufügen. Wenn ich die Ost- und die Westverträge sozusagen parlamentstechnisch auch auf eine Ebene gestellt habe, so lege ich doch großen Wert darauf, daß zwischen diesen Verträgen der Natur der Sache nach ein großer Unterschied besteht. Die Verträge mit dem Westen waren Verträge mit Partnern, die mit uns die gleichen Wertvorstellungen teilen. Es waren Verträge mit Partnern, mit denen wir sicherheitspolitisch in einem Boote sitzen. Es waren Verträge, die nicht zu irgendeinem Auslegungsstreit Anlaß gegeben haben.Das Problem mit den Ostverträgen und den anderen Entspannungstexten besteht doch darin — diese unsere Sorge hat sich als richtig erwiesen; das sage ich nicht aus Rechthaberei, sondern wir müssen mit diesem Problem jetzt leben; sehen Sie nach Madrid —, daß sie von der Sowjetunion eben voll-
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Dr. Mertes
kommen anders ausgelegt werden als vom Westen. Das Problem liegt auch darin, daß die östlichen Gegenleistungen, die wir nicht kleinmachen, die wir doch sehen und die wir doch würdigen, rückrufbare, wegnehmbare Leistungen der DDR sind,
für die sie jezt einen neuen Preis einfordert. Insofern kann man die Ost- und die Westverträge nicht auf eine Stufe stellen.Ich habe sogar die Sorge, daß die Gleichstellung, die in den Kreisen der Koalition sehr verbreitet war, dazu geführt hat, daß wir in unserer öffentlichen Meinung heute Tendenzen haben, die darauf hinauslaufen, die uns beschützenden Vereinigten Staaten auf eine Stufe zu stellen mit der uns bedrohenden Sowjetunion. Das ist eine Folge dieser falschen Parallelisierung.
Das Schlimmste aber — und wir haben das damals gesagt —: Wir haben die Sorge, daß in unserem Volke das Bewußtsein, das Wissen von der Natur der sowjetischen Bedrohung zurückgeht, weil die Vertragspolitik der 70er Jahre, die dem Antagonismus der Sowjetunion immer mehr verschwieg sozusagen als die unfehlbar richtige Entspannungspolitik hingestellt wurde.Wir haben es über uns gebracht, uns auf dieses Podium zu stellen und zu sagen: Die Verträge gelten jetzt und müssen genutzt werden. Herr Kollege Ehmke, ich warte immer noch auf denjenigen sozialdemokratischen oder freidemokratischen Abgeordneten dieses Hauses, der an dieses Pult kommt und dem Hause sagt: Wir haben damals heftig gekämpft. Einige Bedenken der CDU/CSU würdigen wir aber heute, und wir müssen darauf achten, daß diesen Bedenken künftig Rechnung getragen wird. Diese Bedenken sind: die Verträge sind doppeldeutig; sie müssen richtig ausgelegt werden. Das Bewußtsein von der Natur und Intensität der sowjetischen Bedrohung in unserem Volke muß wieder wachsen — nicht aus irrationalem Antikommunismus, sondern weil wir dem Bündnisgegner den Respekt entgegenbringen müssen, den er verdient: wir müssen ihn in seinen politischen Zielvorstellungen ernst nehmen.
Ich erwarte schließlich auch, daß endlich einmal ein Kollege der Koalition hierher kommt und sagt: Auch die besorgte Ankündigung der CDU/CSU, die DDR werde ihre Leistungen eines Tages zurückzunehmen entschlossen sein, wenn es ihr politisch beliebt, und von Bonn neue Leistungen finanzieller, statusrechtlicher oder politischer Art verlangt, wird gewürdigt.Bitte, wir haben anerkannt, daß die Verträge in und um Berlin eine relative Ruhe geschaffen haben. Wir haben nicht geleugnet, daß in den innerdeutschen Beziehungen wichtige menschliche Begegnungsmöglichkeiten erreicht worden sind. Wir haben auch nicht übersehen, daß Sie mit der damaligen Entspannungspolitik der Amerikaner und des Westens in hohem Maße übereingestimmt haben,während wir im Westen oft mißverstanden wurden. Nun bringen Sie es doch einmal über sich, seien auch Sie nicht rechthaberisch, zu sagen: Es erweist sich heute, daß sich einige Sorgen und Ankündigungen der CDU/CSU als richtig erwiesen haben. Nur bei solcher gegenseitiger Fairneß kann man nämlich Gemeinsamkeit in diesem Hause praktizieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es in den Abrüstungsverhandlungen in Genf, in New York, in Wien, in Brüssel und wo auch immer eine Position der Bundesrepublik Deutschland, die die CDU/CSU nicht mitgetragen hat?
Die Schwierigkeiten, die der Bundesminister des Auswärtigen bei diesen Verhandlungen hat, hat er doch immer wieder mit der SPD, und zwar nicht mit backbenchers der SPD, sondern mit hochrangigen Politikern. Wer hat ihn denn einen „Bremser" bei den Truppenabbauverhandlungen genannt? Das war Herr Wehner. Wer hat denn wie Willy Brandt die deutsche Verhandlungsposition in Wien durch unqualifizierte Angriffe auf die deutsche Verhandlungsdelegation erschwert? Tun Sie doch nicht so, als ob wir es wären, die der Bundesregierung in diesen Fragen die Schwierigkeiten machen. Die Schwierigkeiten kommen aus Ihren eigenen Reihen.
Wenn der Kollege Brandt demnächst nach Moskau fährt, so wird er die erfreuten Gastgeber darauf verweisen können, daß es in seiner Partei über den offenherzigen Karsten Voigt hinaus, der sich hier hinstellt und sagt „Ich bin in der Nachrüstungsfrage gegen die Politik dieser Regierung, aber ich bin für die Beibehaltung dieser Regierung", eine große Menge von Abgeordneten gibt, die unsere Stützung der Sicherheits- und Abrüstungspolitik der Bundesregierung nicht mitvollziehen. Es sind nicht nur diese wenigen Kollegen, die wie Herr Voigt und Herr Conradi hier sagten: „Wir sind gegen den Inhalt dieser Politik, aber wir sind für die Beibehaltung dieser Regierung." Es ist die Spitze eines Eisbergs in der SPD. Er wird sich beim Parteitag offenbaren. Damit werden wir uns dann auseinandersetzen müssen.
Helmut Schmidt auf eine Stufe mit Adolf Hitler zu stellen oder ihn in seine Nähe zu bringen und gleichzeitig Willy Brandt mit ostentativer Geste nach Moskau einzuladen — meine Damen und Herren, ich kann hier nur sagen: Die Sowjetunion versucht mit dieser Doppelstrategie auf die Bundesrepublik Deutschland einzuwirken, damit es auf dem Umweg über die Bundesrepublik Deutschland zu einer Anderung des Nachrüstungsbeschlusses kommt.
Herr Kollege Mertes, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn? — Bitte sehr, Herr Kollege Horn.
Herr Kollege Mertes, glauben Sie nicht, daß Ihr jetziges Engagement für Entspannungspolitik erheblich glaubwürdiger klingen wür-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2313
Hornde, wenn Ihre Fraktion sich bei der KSZE-Schlußakte von Helsinki und in internationalen Gremien — etwa der Nordatlantischen Versammlung — für SALT II in gleicher Weise eingesetzt hätte?
Herr Kollege Horn, darüber haben wir j a auch persönlich miteinander gesprochen. Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Die CDU/CSU ist für einen ausgewogenen, überprüfbaren und klaren SALT-Vertrag. Aber es war im amerikanischen Senat ein Streit darüber entbrannt, und zwar unter den Freunden der Bundesrepublik Deutschland und Europas auf beiden Seiten, ob dieser Vertrag überprüfbar, ausgewogen und klar sei. In dieser Situation haben wir uns nicht gegen SALT II ausgesprochen, sondern wir haben erklärt: Es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestags, eine souveräne Entscheidung des amerikanischen Senats zu beeinflussen. Das ist die Realität.
— Lieber Herr Kollege Horn, Ihre Fraktion war — ich sage es noch einmal — gegen die Schaffung einer Bundeswehr, sie war gegen den Deutschlandvertrag, sie war gegen den NATO-Vertrag. Hinterher hat sie sich zu Recht auf diese Verträge berufen. Darf ich Ihre redliche Verteidigungsgesinnung in Frage stellen, weil Ihre Fraktion gegen die Schaffung der Bundeswehr war?
Ich sage es noch einmal, Herr Kollege Horn — es wird offensichtlich nie verstanden —: Es ist ein absolut normaler Prozeß, daß, wenn eine Regierung einen Vertrag oder ein Gesetz vorlegt, in einem Parlament die Opposition unter ihren Gesichtspunkten und Maßstäben die Kritik ansetzt und sie geltend macht, bis hin zum Nein. Herr Kollege Horn, warum hören Sie meiner Antwort nicht zu? Es geht doch um eine wichtige Sache. Sonst müssen Sie es hinterher noch einmal fragen. Wenn aber die Entscheidung gefallen ist wie 1955 oder 1960 oder nach der Schlußakte von Helsinki, dann sind diese Texte für alle verbindlich, und hinterher kann keiner sagen: Ich darf mich darauf mehr berufen, weil ich dafür gewesen bin. Das ist schlechterdings undemokratisch.
Herr Kollege Mertes, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann?
Bitte schön.
Herr Kollege Mertes, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es ein Unterschied ist? Die SPD war gegen die Aufstellung der Bundeswehr, gegen die Einführung von Streitkräften, sie hat aber dann aus der realen Politik, die Sie bestimmt haben, die Konsequenzen gezogen; denn sonst wäre das Grundgesetz j a nicht geändert worden. Ist das nicht ein Unterschied dazu, wie Sie die
Politik betreiben, indem Sie das, was mit KSZE, mit SALT und anderen Verträgen gemacht worden ist, als „illusionistische Entspannungspolitik" bezeichnen?
Herr Kollege, Jungmann, ich möchte Sie ernst nehmen und will deshalb auf Ihre Frage in aller Ruhe antworten.Nachdem die SPD auf das schärfste die Westverträge — mit ehrenwerten Argumenten aus ihrer Sicht der Friedenssicherung und der nationalen Interessen Deutschlands — bekämpft hatte, stellte sie sich nach dem Inkrafttreten der Verträge und der Schaffung der Bundeswehr — nicht aus Reue, sondern aus Realismus — auf den Boden dieser Verträge. Wir haben diesen Realismus ernst genommen. Wir hatten sogar von 1966 bis 1969 eine Koalition mit der SPD. Ich gehe sogar so weit, Herr Kollege Jungmann, zu sagen, daß es der Stabilität dieses Landes in den 50er Jahren gedient hat, daß es eine große demokratische Partei, nämlich die SPD, war, die die nationalen und die Friedensinteressen Deutschlands, wie sie sie gesehen hat, so scharf artikulierte. Dadurch hat die SPD die Argumentation gegen die Westorientierung auf eine demokratische Weise monopolisiert.Ich habe noch als Student 1949 Kurt Schumacher gehört, nachdem er hier Konrad Adenauer den „Kanzler der Alliierten" genannt hatte. Er sagte uns: „Ich habe in zwölf Jahren KZ darüber nachdenken müssen, warum es zum Nationalsozialismus gekommen ist. Einer der Gründe war die Überzeugung der Massen des deutschen Volkes gewesen, daß die nationalen Interessen des besiegten Deutschland von den demokratischen Parteien nicht genügend wahrgenommen wurden. Möglicherweise ist die Politik Adenauers richtig. Ich kann das nicht beurteilen; nur die Zukunft wird es erweisen. Eines steht fest: Die Opposition gegen diese Politik gegenüber den westlichen Siegermächten muß in der Hand der demokratischen Opposition bleiben."Aber Herr Kollege Jungmann, das gleiche gilt doch um so mehr, wenn die CDU/CSU angesichts der Vertragspolitik der sozialliberalen Koalition gegenüber der Siegermacht Sowjetunion sagte: folgende Gesichtspunkte in der Frage der Friedenssicherung müßten von der Opposition scharf artikuliert werden: die nationale Frage, die Menschenrechte, die Offenhaltung der Deutschlandfrage. Kein anderer als der frühere Außenminister Scheel hat mir dieser Tage noch bestätigt, daß unsere Opposition in der Formulierung und in der Interpretation der Verträge einiges bewirkt hat. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß nachdem diese Verträge abgeschlossen und gültig sind, die Opposition zu diesen Texten steht und nur fordert, daß sie richtig ausgenutzt werden.Da muß ich mich mal an Herrn Brandt wenden, der uns immer gesagt hat, der deutsch-sowjetische Vertrag sei ein Gewaltverzichtsvertrag. Wenn das ein Gewaltverzichtsvertrag ist, dann muß er und der Kollege Bahr, die die Sache damals ausgehandelt
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2314 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Dr. Mertes
haben, einmal sagen: Was die Sowjetunion jetzt gegenüber Polen an Gewaltandrohung und gegenüber Afghanistan an Gewaltanwendung begeht, das ist laut Text des Moskauer Vertrages ein Vertragsbruch.
Denn im Moskauer Vertrag verzichtet die Sowjetunion nicht nur gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, sondern für die Fragen der europäischen Sicherheit und weltweit auf die Anwendung und Androhung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Die Sowjetunion hat den deutsch-sowjetischen Vertrag gebrochen. Das stelle ich vor dem Deutschen Bundestag fest.Das müßten aber doch diejenigen einmal sagen, die dem Deutschen Bundestag 1972 erklärt haben: Dieser Vertrag ist ein konkreter Gewaltverzichtsvertrag; er erhöht die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und Europas. Lassen wir also diese für eine Demokratie unwürdige Diskussion endlich; klagen wir uns nicht dafür an, wie wir in der notwendigen demokratischen Auseinandersetzung vor einem Gesetz oder vor einem Vertrag nach bestem Wissen geurteilt haben. Weder das Nein der SPD zu den Westverträgen noch das Nein der CDU/CSU zu den Ostverträgen im Ratifizierungsverfahren sind ein politischer Makel. Alles andere ist keine demokratische Argumentation, die sich in diesem Hause sehen lassen kann.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu der Diskussion mit den jungen Menschen in unserem Lande sagen. Ich nehme sie auch sehr ernst; sie wird von uns allen ernst genommen. Ich möchte den jungen Menschen und auch unseren Kirchen sagen, daß das alte deutsche Wort heißt: Man darf nur nach bestem Wissen und Gewissen urteilen. Wenn ich urteilen will, muß ich das notwendige Wissen haben. Ich kann nicht so tun, als ob ich auf Grund der Spontaneität meiner 20 Jahre die Wirklichkeit in ihrer Kompliziertheit erfasse. Sachkunde ist auch eine moralische Pflicht, sogar eine grundlegende. Ich wünsche mir daher, daß unsere Kirchen die Jugendlichen an diese moralische Pflicht erinnern. Es wird doch schon intensiv verhandelt über Abrüstung und Rüstungskontrolle! Seit acht Jahren wird in Genf verhandelt über die Abrüstung der chemischen Waffen. Warum kommt es nicht zu Ergebnissen? Weil die Sowjetunion nicht zur Transparenz bereit ist. Warum kommt es nicht zu Ergebnissen bei den Verhandlungen über Truppenabbau in Wien? Weil die Sowjetunion in der Datenfrage nicht zu einer angemessenen Einigung bereit ist.In allen diesen Fragen haben wir die Bundesregierung gestützt. Tun Sie doch nicht so, als wenn der Beginn der Verhandlungen bereits die Lösung des Problems wäre. Dialog j a, aber es muß ein sinnvoller, würdiger und vernünftiger Dialog sein. Dieser Dialog mit dem Osten ist notwendig, aber er darf nicht herabgewürdigt werden zur einseitigen Einflußnahme der Sowjetunion auf unsere Willensbildung.
Herr Kollege Mertes, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die von Ihrer Fraktion für Sie angemeldete Redezeit schon erheblich überschritten ist.
Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis. Ich werde ihm Rechnung tragen und nur noch einen Schlußsatz sagen.
Verhandlungen j a, aber Verhandlungsfetischismus, der glaubt, daß schon der Beginn der Verhandlungen uns von unseren Verteidigungsanstrengungen entbinden könnte, nein. Alles zu seiner Zeit. Wir sind für Abrüstung mit Sicherheit. Dieses ist das Problem, dieses ist aber auch unsere Aufgabe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, wir sind hier soeben Zeugen eines bemerkenswerten Vorgangs gewesen, der vielleicht nicht unsymptomatisch ist. Der Kollege Mertes hat erklärt, daß Stimmen aus Moskau den Bundeskanzler de facto mit Hitler gleichgesetzt hätten
oder in die Nähe Hitlers gebracht hätten. Die normale Reaktion, Herr Kollege Mertes, wäre gewesen, daß Sie den Bundeskanzler gegen einen solchen, völlig unzulässigen Vergleich in Schutz genommen hätten.
Herr Kollege Bahr, erlauben Sie dazu eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes? — Bitte sehr.
Herr Kollege Bahr, haben Sie nicht die Erklärung zur Kenntnis genommen, die ich namens meiner Fraktion abgegeben habe und die genau das zum Inhalt hat, was Sie sagen: ich habe den Bundeskanzler gegen den unzulässigen Vergleich in Schutz genommen?
Herr Kollege Mertes, wenn Sie durch diese Frage sagen wollen, daß Sie einen derartigen Vergleich zurückgewiesen haben, dann bin ich darüber sehr froh.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich es trotzdem nicht für gerechtfertigt halte, daraus einen Vorwurf zu erheben, daß der Vorsitzende der SPD ei-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2315
Bahrner seit langem ausgesprochenen Einladung folgt. Ich komme auf diesen Punkt aber noch zurück.Ich habe diesen Vergleich, mit dem Helmut Schmidt in die Nähe Hitlers gerückt wurde, nicht gelesen. Aber mir liegt sehr daran, auch vor diesem Hohen Hause klarzumachen, daß es eine Reihe von Äußerungen aus Moskau gegeben hat, die dem deutschen Bundeskanzler die Ehrlichkeit seiner Politik, die Ehrlichkeit seiner Absichten in bezug auf Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle absprechen. Ich möchte namens meiner Fraktion derartige Unterstellungen in aller Form zurückweisen.
Meine Damen und Herren, wir haben im Laufe des heutigen Tages weniger eine außenpolitische Debatte gehabt als vielmehr zum großen Teil eine Auseinandersetzung mit Diskussionen innerhalb der SPD, auch innerhalb der SPD-Fraktion, zu Themen, die uns schwerfallen. Darüber soll gar nicht hinweggeredet werden. Aber ich glaube, daß die Opposition es sich zu leicht macht.Ich möchte Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein Zitat von Herrn Dr. Geißler vortragen. Er hat 1959 in seiner Tübinger Dissertation folgendes geschrieben
— Sie werden gleich sehen, daß das nicht verjährt ist —:
Besteht ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch dann, wenn von einer bestimmten Anzahl Verweigerer an die Ausübung dieses Rechts die Existenz des Staates aufs Spiel setzt? Antwort: Die Entscheidung muß zugunsten der Gewissensentscheidung fallen, weil der Zwang zum Kriegsdienst gegen das Gewissen mit Sicherheit die Menschenwürde verletzt, während mit dem Verzicht auf Verteidigung anderer Güter ein entsprechender Verletzungsvorgang nicht notwendig verbunden ist. Selbst dann, wenn der ins Land fallende Aggressor seinerseits die Gewissensfreiheit und die Menschenwürde angreift, die unser Staat gemäß Art. 1 GG zu schützen verpflichtet ist, muß die Gemeinschaft auf die Verteidigung verzichten, wenn sie dieser Schutzpflicht nur dadurch nachkommen kann, daß sie selbst das schützende Gut angreift und verletzt. Sie würde sich dadurch zu dem Unrechtsstaat degradieren, gegen den sie sich verteidigen will. Das heißt, dem Menschenrecht als höchstem Gut kommt Priorität zu vor dem Gut der Verteidigung.Sie sehen, daß es sich hierbei nicht um eine zeitweilige, sondern um eine ethisch sehr fundierte Überzeugung des Kollegen Geißler handelt.Ich greife dies nicht an, auch wenn ich diese Auffassung nicht teile. Aber Sie müssen doch zugeben, daß es solche Meinungen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei auch heute noch gibt und daß Diskussionen darüber bei uns auch heute noch geführt werden, was bei Ihnen leider nicht der Fall ist.
Aber damit werden Sie auf Dauer nicht glücklich werden.
Der Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, Heribert Scharrenbroich, hat, wie heute in einer Zeitung nachzulesen ist, gesagt, eine Volkspartei, die sich selber keinen Streit um die richtigen Fragestellungen und politischen Lösungen zutraue, finde nicht das Vertrauen der kritischen Wechselwähler. Das sei nach der verlorenen Wahl auch der CDU-Führung klar gewesen. Jetzt jedoch versuche die CDU, aufkommenden Streit über Sachthemen klein-zuhalten, zu vertagen oder im Keim zu ersticken. Wenn alle in einer Volkspartei einer Meinung seien, liege der Verdacht der „Schlafmützigkeit, der Heuchelei oder der Disziplinierung" nahe.Meine Damen und Herren von der Opposition, „Schlafmützigkeit, Heuchelei oder Disziplinierung" als Beschreibung des Zustandes Ihrer Partei würde hier wohl mit einem Ordnungsruf geahndet werden, aber sicher dann nicht, wenn ich einen Ihrer Freunde zitiere.
Sie haben heute mehrfach — das gilt nicht zuletzt für den Kollegen Kohl — darauf hingewiesen, die Auseinandersetzungen in der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion beschwörten die Gefahr für unseren Staat herauf, daß sich mangelnde Handlungsoder Entscheidungsfähigkeit auf unseren Staat übertragen könnte.
Meine Damen und Herren von der Opposition, auch die mangelnde Diskussionsfähigkeit der Union überträgt sich auf unseren Staat. Die Koalitionsparteien, die, wie der Bundeskanzler oder Herr Kollege Ehmke heute vormittag ausgeführt hat, versuchen, diese Diskussion für Sie mitzuführen, können das natürlich nicht. Denn der praktische Ausfall der Opposition auf diesem Gebiet ist durch die Koalition nicht zu ersetzen.
— Aber natürlich nicht. Sie kommen doch mit solchen polemischen Zwischenrufen nicht an der Situation vorbei, daß Sie sich ganz ernsthaft fragen müssen -- eine Reihe von ernstzunehmenden Leuten in Ihrer Partei tut das j a auch —, ob die mangelnde Diskussionsfähigkeit einer großen Partei in einer Demokratie nicht auch an die Substanz der Demokratie rührt; dies sollten Sie sich fragen.
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2316 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
BahrSie sehen heute, daß die SPD es sich nicht leicht macht. Sie haben diesen Prozeß noch vor sich;
Sie machen es sich heute zu leicht.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes, Herr Kollege Bahr?
Bitte sehr.
Herr Kollege Bahr, teilen Sie meine Meinung, daß es einen großen Unterschied macht, ob man noch im Prozeß der politischen Willensbildung diskutiert oder ob man, wie im Fall des Doppelbeschlusses der NATO, nach einer sorgfältig getroffenen Entscheidung des Bündnisses und der Bundesregierung noch einmal nachträglich eine ganz wichtige sicherheitspolitische Sache in Frage stellt, und teilen Sie meine Meinung, daß die Berechenbarkeit der Bundesrepublik Deutschland als Bündnispartner und auch als Partner gegenüber der Sowjetunion in dieser Frage auf dem Spiele steht?
Herr Kollege Mertes, Ihre Frage zeigt den Versuch, von den von mir aufgezeigten Problemen abzuweichen, von ihnen wegzugehen.
Ich darf Ihnen auf Ihre Frage eine doppelte Antwort geben: Erstens. Ich gebe Ihnen recht, daß die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung, hinsichtlich der Verpflichtungen, die sie eingeht, berechenbar bleiben muß; das gilt auch für den Doppelbeschluß.
Zweitens. Die von Ihnen so gestellte Frage hat natürlich mit dem Problem, das einer Ihrer Freunde mit Schlafmützigkeit, Heuchelei oder Disziplinierung bezeichnet hat, überhaupt nichts zu tun.
Ich komme auf die außenpolitische Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich nach übereinstimmender Meinung nicht nur in unserem Lande — die Gefahren, denen die Welt heute gegenübersteht, vergrößern. Wenn der Bundeskanzler auf der einen Seite als kritikloser Gefolgsmann Washingtons bezeichnet wird
und man ihm in Moskau einen Kurs der Verschärfung der internationalen Lage vorwirft, so ist das genauso falsch wie der Ruf, daß die Finnlandisierung in Europa stärker fortschreite. Wir haben eben Beispiele dafür, daß es in Moskau und in Washington Fehleinschätzungen der Situation im Mitteleuropa gibt. Fehleinschätzungen sind heute — genauso wie früher — möglich, der Unterschied ist nur, daß sie heute sehr viel gefährlicher sind als früher.
Kein Wort von der zunehmenden Gefährdung der Welt war heute in Ihrer Kritik zu hören, die Sie an die Koalition, an die beiden Koalitionsparteien gerichtet haben.
— Ich komme auf den Punkt. — Wer miteinander redet, vermindert die Gefahr von Fehleinschätzungen.
Miteinander zu reden, um die Gefahr von Fehlein-schätzungen zu vermindern, halte ich für einen derwichtigsten Punkte, die Herr Brandt bei seinen Gesprächen in Moskau sicher zu erledigen haben wird.
Meine Damen und Herren, Sie sind zwar theoretisch für den Dialog, wenn er praktisch wird, dann hören wir zumeist ein Nein.
Sie sollten mit froh sein, wenn ein Mann, dessen Wort Gewicht hat, diese Möglichkeit nutzt, Fehleinschätzungen an einem wichtigen Punkt der Welt vielleicht verhindern zu helfen,
zumal wir uns sicher darüber einig sind — unabhängig davon, daß die Opposition das Gegenteil behauptet —, daß es in der Sowjetunion eine Art von Rüstung gibt — ich nenne nur die SS-20 —, deren Umfang wir nicht genau kennen,
deren Ziele wir nicht genau kennen,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2317
Bahrderen Zwecke wir nicht genau kennen.
— Wenn Sie die Ziele der sowjetischen Rüstung, die mit der SS-20 verfolgt werden, kennen, die die Amerikaner noch nicht kennen, dann hätten Sie sie hier einmal sagen sollen. Dann wären wir alle klüger geworden.
Eines ist doch sicher. Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß diese Art von Rüstung nicht durch die Art der Rüstung, die wir hier haben, begründet ist.
Wir glauben nicht, daß von hier eine Bedrohung ausgeht, die eine derartige Rüstung, deren Ziele wir, wie gesagt, ebensowenig wie die Amerikaner kennen, rechtfertigen würde.
Deshalb ist es um so wichtiger — ich unterstütze ausdrücklich das, was der Bundesverteidigungsminister in diesem Zusammenhang gesagt hat —,
daß sich die Diskussion nicht auf Zahlen, Ziffern und Reichweiten beschränkt, sondern daß man über den Sinn der Rüstung, über den Sinn der Politik und über die Notwendigkeit der Rüstungsbegrenzung miteinander redet, weil es unbezweifelbar ist, daß im nuklearen Zeitalter Sicherheit nicht mehr gegen den anderen, sondern nur mit dem potentiellen Gegner möglich und erreichbar ist.
Herr Kollege Bahr, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr.
Herr Kollege Bahr, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß man Fragen der militärischen Rüstung unter politischen Gesichtspunkten sehen muß. Daher meine folgende Frage: Teilen Sie die Auffassung aller westlichen Analytiker der sowjetischen Politik, daß die Sowjetunion auf Grund eines unstillbaren Sicherheitsbedürfnisses und auf Grund eines weltrevolutionären Führungsanspruchs eine politisch expansive Politik betreibt, bei der sie auch militärische Überrüstung als politisches Pressionsinstrument einsetzt?
Ich komme auf diesen Punkt gleich noch zurück,
weil ich mir von Ihnen nicht vorschreiben lasse, mit ja oder nein zu antworten. Das wollen wir bitte nicht einführen.
Wir haben in der Diskussion auch heute wieder einen Punkt gehabt, bei dem der Kollege Mertes so formuliert hat, als würde er den Verdacht wecken oder aussprechen wollen, daß eine Reise von Herrn Brandt nach Moskau die Positionen des Westens aufweichen könnte.
Warum dies alles? Wenn Sie das alles so schrecklich finden, was diese Koalition macht,
wie kommen Sie dann eigentlich dazu, ihr Gemeinsamkeit anzubieten? Wenn die Ergebnisse der Entspannungspolitik so schrecklich sind, wie Sie sagen, wie kommen Sie dann dazu, zu sagen: Wir gehen auf die Basis der Verträge?
Der Kollege Wörner hat heute das Märchen zum x-ten Male wiederholt — ohne daß es dadurch richtiger geworden wäre —, daß die Sowjetunion im Laufe der letzten zehn Jahre durch die Entspannungspolitik so stark geworden sei, wie sie ist. Dies ist doch einfach nicht wahr. Die Sowjetunion war am Ende des Krieges eine große Macht. Sie ist aber in der Periode, in der Sie die Verantwortung hatten — oder die man die des Kalten Krieges nennt —,
von einer großen Macht zur Supermacht geworden. Da hat sie ihre Atomwaffen entwickelt. Da hat sie den Sputnik gestartet. Da hat sie die interkontinentalen Raketen entwickelt.
Sie können doch nicht leugnen, daß der wirkliche Durchbruch der Sowjetunion zur Supermacht vor 1965 erfolgt ist und nicht hinterher.
Herr Kollege Bahr, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg?
Im Augenblick nicht.Wenn Sie, Herr Kollege Mertes, wie auch heute wieder den Eindruck erwecken, daß Sie davon ausgehen, daß die Sowjetunion eine Politik verfolge, die Druck, Drohung und Erpressung gegen uns ausüben wolle,
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2318 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Bahr— möglich machen wolle — dann frage ich: Wie wollen Sie eigentlich die Verantwortung für Entspannung und Sicherheit dieses Staates übernehmen?
Herr Kohl hat in der letzten Woche gesagt:Festhalten an Wohlstand als Staatsziel und Entspannung als Ersatzreligion, das ist, während die amerikanische Führung und weltpolitische Verantwortung zunimmt, leider die deutsche Situation.Das ist eine seltsame Definition, meine Damen und Herren.
„Wohlstand als Staatsziel", da könnten Sie der SPD doch höchstens vorwerfen, daß sie die Politik der CDU und der CSU in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland so fortgesetzt hat, wie Sie es sich gar nicht haben vorstellen können.
Herr Kollege Bahr, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: Ihre Zeit ist vorbei.
Im Grunde muß man sagen: Wohlstand darf keine Ersatzreligion werden, aber Entspannung ist und bleibt ein Staatsziel, das mit der Existenz unseres Landes untrennbar verbunden bleibt.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Metz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein paar Bemerkungen zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, zum Presse- und Informationsamt machen.
— Doch, das gibt es. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.Ich muß gleich einen Kürzungsantrag begründen. Darauf warten Sie doch immer. Das ist der Kürzungsantrag auf Drucksache 9/526.Jahrelang ist es ein Kennzeichen dieser Regierung gewesen, daß ihre PR-Bilanz deutlich besser war als ihre eigentliche politische Leistungsbilanz.
Wenn jetzt selbst die PR-Bilanz nachläßt, dann liegt das eben daran, daß die wirkliche Situation der Politik einen Zustand erreicht hat, bei dem selbst beste Werbemaßnahmen nur noch durchsichtige Schleier über deutlich erkennbaren Blößen sein können. Als wenn sie diesen Zustand vorausgeahnt hätten, formulieren zwei Beamte des Presseamtes, unter ihnen der Abteilungsleiter Inland, in einem kleinen Buch über ihr Amt — ich zitiere —:Kanzler und Minister sind schwer arbeitende Menschen und verstehen in der Regel nicht, warum ihre rastlose Tätigkeit für Volk und Staat so wenig Beifall und so viel Kritik findet. Selbstverständlich ist keine Öffentlichkeitsarbeit so gut, daß sie nicht noch verbessert werden könnte. Aber um sie zu verbessern, sind eben nicht nur Einfälle von Werbeberatern nötig, sondern eine erfolgreiche Politik, zumindest eine,— sagen die Herren aus dem Amt —die sich dafür ausgeben läßt.
Selbst diese Mindestvoraussetzung für erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit, meine Damen und Herren, scheint nicht mehr zu bestehen. Folgerichtig klagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Egon Lutz vor einer Woche, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sei „nur noch zum Heulen". Regierungssprecher Lothar Rühl verkünde „Gewäsch", bei dem einem normalen Bundesbürger „nur noch der Kaffee hochkommen" könne.
So die Meinung eines SPD-Kollegen über die Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung.Er hat auch mit seiner nächsten Feststellung recht. Der SPD-Kollege Lutz sagt nämlich: Angesichts der notwendigen Einsparmaßnahmen im Bundeshaushalt müsse Schmidt Offenheit und Ehrlichkeit an den Tag legen; dann könne er auf Verständnis der Bevölkerung rechnen.
Meine Damen und Herren, der SPD-Kollege geht offenbar davon aus, daß der Herr Bundeskanzler bisher Offenheit und Ehrlichkeit vermissen läßt. Anders ist diese Erklärung überhaupt nicht zu verstehen.
Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Herr Rühl, hat es sowieso schwer mit der SPD. Er hat neulich die DDR als „Sperr- und Garnisonsstaat der sowjetischen Macht" bezeichnet. Solche
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2319
MetzWahrheiten sagt ein Regierungssprecher heute nicht mehr ungestraft.Meine sehr verehrten Damen und Herren, einer Anregung des Bundesverfassungsgerichts ist es zu verdanken, daß das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen veröffentlicht, wie viele Werbebotschaften der Regierung an das staunende Publikum weitergereicht werden. Da gibt es Broschüren, Faltblätter, Beilagen, angekaufte Bücher, Filme, Informationsstände auf Verbraucherausstellungen und dergleichen mehr.Der Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit liegt auf sogenannten Servicebroschüren. Ich nenne Ihnen einmal die Größenordnungen: Im vergangenen Jahre, 1980, produzierte die Öffentlichkeitsarbeit fast 29 Millionen solcher Broschüren. Nehmen wir nun einmal an, daß einer die Diskussion über die öffentlichen Finanzen im Lande verfolgt, daß er sich sozusagen aus erster Hand über dieses Thema informieren möchte und sich einige dieser Broschüren kommen läßt.
Herr Kollege Metz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens?
Eine ganz kurze, weil ich nur zehn Minuten habe.
Lieber Kollege Metz, Sie sind ja unser zuständiger Berichterstatter für das Presse- und Informationsamt. Würden Sie sich einmal umschauen, ob Sie auf der Regierungsseite einen Vertreter dieses Amtes zur Kenntnis nehmen können? Falls dort niemand sitzt, erscheint es dann ratsam, in Abwesenheit der zuständigen Beamten überhaupt noch weiter zu beraten?
Erstens, Herr Kollege Carstens, sehe ich niemanden, und zweitens rede ich nicht nur über die Beamten, sondern über die Regierung, die dafür die Verantwortung trägt, die wie Öffentlichkeitsarbeit ist.
Erlauben Sie mir fortzufahren. — Unser Burger, der sich informieren will, hat sich also Broschüren bestellt. Wenn er sich beispielsweise für das Steuerpaket 1981 interessiert, so kann er in der Reihe „Bürgerservice", Band 25, erfahren, daß das Steuerpaket 1981 so bemessen ist, „daß der Bund dadurch keine zusätzlichen Schulden machen muß" und daß die Kreditaufnahme des Bundes damit in einem vertretbaren Rahmen bleibt. Es heißt dann wörtlich:Niemand muß sich Sorgen machen, — nicht wahr, wie schön —die Bundesrepublik Deutschland treibe einer Finanzkrise entgegen.Wenn unser Bürger dann noch Zweifel hat, greift er zu einem anderen Band, Band 12, nämlich zum Finanzplan des Bundes, denn dort äußert sich der Herr Finanzminister persönlich und sagt:Die Nettokreditaufnahme wird 1981 — in Übereinstimmung mit den konjunkturellen Erfordernissen — etwa auf dem Stand des Vorjahres gehalten, bis zum Jahre 1984 jedoch schrittweise um ein Viertel abgebaut.
Er sagt weiter:Die Ausgaben sind solide finanziert; der finanzielle Handlungsspielraum wird sich in den kommenden Jahren ... deutlich vergrößern.Das ist das, was die Propagandamaschine den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in 29mi1lionenfacher Auflage Tag für Tag präsentiert.
Beim Stichwort „Leistungsbilanzdefizit" ist es nicht besser. Es wird nur von 1979 geredet, über die 30 Milliarden 1980 kein Wort! Wenn man dann denkt, das sei ein etwas veraltetes Exemplar, stellt man fest: So alt kann es wiederum nicht sein, denn es ist immerhin noch gelungen, dem staunenden Volk mitzuteilen, daß Herr Schmude Ende Januar 1981 Bundesminister der Justiz geworden ist.Herr Bundesfinanzminister, ich möchte eines sagen: Jemand, dessen Zahlen sich so schnell ändern wie Ihre Zahlen, sollte vielleicht überhaupt darauf verzichten, sich in schriftlicher Form zu äußern,
denn jede Öffentlichkeitsarbeit auf Ihrem Gebiet gerät durch Zeitablauf zur Volksverdummung.
Was sollen denn die Leute denken? Der Bürger, der Ihre Zahlen liest, greift guten Gewissens und ganz beruhigt zu anderen sogenannten Service-Broschüren. Da teilt ihm dann Herr Ehrenberg mit, daß die Bürger soziale Rechte gegenüber dem Staat haben und daß der Staat soziale Pflichten gegenüber seinen Bürgern hat.
Er — Ehrenberg — legt Bücher vor, die für Leute gemacht sind, „die wissen wollen, was ihnen zusteht und wo sie Leistungen beantragen können". — Das ist j a bei uns schließlich nicht wie bei armen Leuten!Ich bin sehr dafür, daß den schwachen Mitgliedern der Gesellschaft Unterstützung, auch durch Information im Bürokratiedschungel, zuteil wird. Ich fürchte nur, wenn Sie so weitermachen, müssen Sie die sozialen Wohltaten so schnell wieder einsammeln, daß Sie mit dem Einstampfen Ihrer „Ratgeber für soziale Sicherheit" kaum noch nachkommen werden.
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2320 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
MetzEs sind, Herr Minister, gerade die Adressaten dieses „Ratgebers in Sachen soziale Sicherheit", die als erste auf der Strecke bleiben, die von den Dingen überrascht und überrollt werden, weil die Regierungspolitik systematisch den Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten und den Zusammenhang zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zerstört hat.Meine Damen und Herren, beinahe noch schlimmer als die Zahlen, die die Regierung produziert, ist die Mentalität, die seit der ersten Regierungserklärung des Kanzlers Brandt geschaffen wird. Sie dürfen sich doch nicht wundern, wenn junge Leute, die so etwas lesen, die Sicherung ihrer äußeren Existenz als ausschließliche Aufgabe des Staates und der Gesellschaft betrachten und im übrigen davon ausgehen, ihre eigentliche persönliche Aufgabe sei es, sich selbst jenseits aller materiellen Bedürfnisse und Zusammenhänge zu verwirklichen.Meine Damen und Herren, der Bürger, der sich auf Grund Ihrer Offentlichkeitsarbeit über die Finanzsituation der Bundesrepublik Deutschland informieren will, wird irregeführt.
Ich frage Sie auf der Regierungsbank: Ist es nicht wirklich angebracht, einer Regierung, die freiwillig auf geistige Führung verzichtet, nahezulegen, sie möge bitte auch auf geistige Irreführung verzichten?
Das ist der Hintergrund unseres Kürzungsantrages für die Öffentlichkeitsarbeit.
Auch hier hat das Presseamt selbst — das ist mein letzter Satz —
goldene Worte gefunden. Ich zitiere die Herren des Presseamtes:Auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung gilt der Grundsatz von der Verhältnismäßigkeit der Mittel. In einer freien Gesellschaft ist der Sättigungsgrad für den amtlichen Informations-Output verhältnismäßig rasch erreicht. Von einem bestimmten Punkt an läßt sich durch noch mehr Geld, noch mehr Ideen, noch mehr Anzeigen, Flugblätter, Broschüren usw. an Zustimmung für die Politik der Regierung nicht mehr viel herausholen. Man stößt eher auf Mißtrauen und Ablehnung.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Meine Damen und Herren, besser hätte ich unseren Antrag auch nicht begründen können, als das Presseamt hier formuliert hat.
— Sehr gern, Herr Kollege.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege; Sie können jetzt keine Fragen mehr anhängen. Die Redezeit ist schon reichlich überschritten.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, da ich immer noch davon ausgehe, daß die meisten von Ihnen — —
Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich entziehe Ihnen das Wort. Tut mir außerordentlich leid.
— Entschuldigen Sie, ich nehme das wieder zurück.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Nachsicht; ich hatte nicht das Recht, ihm das Wort zu entziehen. Aber die Redezeit war schon um zwei Minuten überschritten. Ich wollte mit Nachdruck darauf aufmerksam machen.
Jetzt hat das Wort zur Geschäftsordnung Frau Kollegin Wilms.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bitte ich darum, ein Mitglied des Bundeskanzleramtes bzw. den Herrn Bundeskanzler hierher zu bitten, da wir jetzt über den Einzelplan 04 diskutieren und kein Vertreter des Kanzleramtes hier anwesend ist.
Ich bitte, darüber zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, es ist ein Antrag zur Geschäftsordnung auf Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung gestellt worden. Der Antrag ist nach § 42 der Geschäftsordnung zulässig. Er wird, nehme ich an, von einer Fraktion unterstützt.
— Der Bundeskanzler ist anwesend; damit ist das Antragsbegehren schon erfüllt.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache fort. Als nächster Redner hat der Abgeordnete Löffler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2321
LöfflerMetz, wir beide sollten uns in Zukunft dahingehend verständigen, daß man diese „Wichtelmannrunde" möglichst ausfallen läßt. Das bringt nämlich parlamentarisch nicht allzuviel, wie ja die Vorgänge, die sich um Ihre Rede ranken, eindeutig zeigen.
Es gibt j a auch zum Bundeskanzleramt unter dem Gesichtspunkt eines Haushälters nicht allzuviel zu sagen. Beim Bundeskanzleramt handelt es sich um die billigste Regierungszentrale, die man sich vorstellen kann.
65 Pf pro Kopf der Bevölkerung kostet dieses Amt. Im Vergleich dazu die Bayerische Staatskanzlei: die nimmt 1,68 DM pro bayerischen Bürger in Anspruch.
In der Leitung des Bundeskanzleramtes sind preußische Sparsamkeit und der hanseatische Hang zur Untertreibung eine sparsame Verbindung eingegangen.
Herr Kollege Metz hat einige Worte zur Öffentlichkeitsarbeit gesagt. Darüber müßte man nun lange debattieren. Lohnt sich aber nicht, Herr Kollege Metz!
— Das sage ich ja gleich. Ein paar Sätze sage ich schon dazu, Herr Riedl, so ist es ja nun nicht. Ein paar Sätze kommen schon.
— Wissen Sie, diese Regierung bringt Leistungen zustande, die für sich sprechen.
Sie braucht keine Öffentlichkeitsarbeit; aber unsere Demokratie, Herr Marx, braucht Informationen,
weil moderne Demokratie ohne Informationen nicht möglich ist.
Diejenigen, die dazwischenreden, enthüllen damit eigentlich ein Demokratieverständnis, das längst, längst veraltet ist.
Auch für die Öffentlichkeitsarbeit wird nicht ein so großer Aufwand betrieben, wie das von der Opposition immer dargestellt wird. Das Bundespresseamt gibt nicht einmal 3 DM pro Kopf der Bevölkerung für Informationen aus. Das heißt, auch hier ist große Sparsamkeit am Platz, und die Effektivität ist verhältnismäßig hoch. Wir bemühen uns, ständig im Kontakt mit unseren Bürgern zu bleiben, um zu wissen, was sie wollen, was sie fühlen und empfinden, und wir legen auch Wert darauf, daß sie wissen, was wir für sie tun.
Mehr ist da gar nicht drin; Sie brauchen da gar nicht allzuviel hineinzugeheimnissen.Deshalb bitte ich Sie, den Antrag der Opposition auf Kürzung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit abzulehnen.Um den klaren Willen dieses Hauses zu unterstreichen, wie wir zur Leitung unserer Regierung und zu der Regierung und ihren schweren Aufgaben stehen, beantrage ich namens der sozialdemokratischen Fraktion namentliche Abstimmung. — Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Generalaussprache und die Einzelaussprache zum Einzelplan 04 abgeschlossen. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich lasse zuerst über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte auszuzählen.Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich möchte das Ergebnis der Abstimmung bekanntgeben. —Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Einzelplan 04 auf Drucksache 9/474 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 484 Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt 268 Abgeordnete, mit
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2322 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Vizepräsident LeberNein haben gestimmt 216 Abgeordnete. Der Stimme enthalten hat sich niemand.18 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Ungültig: niemand. Mit Ja haben 8 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 10 Abgeordnete gestimmt. Der Stimme enthalten hat sich niemand.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 483 und 19 Berliner Abgeordnete; davonja: 267 und 9 Berliner Abgeordnetenein: 216 und 10 Berliner AbgeordneteJa Grunenberg Dr. HaackSPD Haar Haase
Dr. Ahrens HaehserAmling HansenAntretter Frau Dr. HartensteinDr. Apel HauckAuch Dr. HauffBaack HeistermannBahr HerberholzBamberg HerterichDr. Bardens HeyennBecker Hoffmann (Saarbrücken)Bernrath Hofmann
Berschkeit HornBiermann Frau HuberBindig HuonkerFrau Blunck IbrüggerDr. Böhme Immer (Altenkirchen)Börnsen Jahn
Brandt JansenBrandt JaunichBrück Dr. JensBüchler JunghansBüchner JungmannDr. von Bülow KiehmBuschfort KirschnerCatenhusen Klein
Collet Dr. KlejdzinskiConradi KolbowCoppik KretkowskiDr. Corterier Dr. KreutzmannCurdt Dr. KüblerFrau Dr. Däubler-Gmelin KühbacherDaubertshäuser KuhlweinDr. von Dohnanyi LambinusDreßler LeberDuve LennartzDr. Ehmke LeonhartDr. Ehrenberg LeuschnerEickmeyer LiedtkeDr. Emmerlich Dr. LindeDr. Enders LutzEngholm MahneEsters MarschallEwen Frau Dr. Martiny-GlotzFeile MatthöferFiebig Meinike
Fischer MeininghausFischer MenzelFranke Dr. Mertens (Bottrop)Frau Fuchs MöhringGansel Müller
Gerstl Müller (Schweinfurt)Dr. Geßner Dr. Müller-EmmertGilges MünteferingGinnuttis NagelGlombig NehmGnädinger Neumann
Gobrecht Neumann
Grobecker Dr. NöbelOffergeld von der WiescheOostergetelo Wimmer
Dr. Osswald Wimmer
Paterna WischnewskiPauli WitekDr. Penner Dr. de WithPensky Wolfram
Peter WredePolkehn WürtzPoß WuttkePurps ZanderRapp ZeitlerRappe Frau ZuttRayer Berliner AbgeordneteFrau Renger Reschke Dr. Diederich
Reuschenbach Dr. DübberReuter EgertRohde LöfflerRosenthal Frau LuukRoth MänningSander Dr. MitzscherlingDr. Schachtschabel Wartenberg
Schäfer
Schätz Dr. Scheer FDPSchirmer Schlaga Frau Dr. Adam-SchwaetzerSchlatter Baum BeckmannSchluckebier BergerowskiFrau Schmedt Frau von Braun-StützerDr. Schmidt BredehornSchmidt CronenbergSchmidt Eimer (Fürth)Frau Schmidt EngelhardSchmidt ErtlSchmidt Dr. FeldmannSchmitt Frau FrommDr. Schmude FunkeDr. Schöfberger GärtnerSchreiber GallusSchreiner GattermannSchröder
Schröer GenscherSchulte Grüner Frau Dr. Hamm-BrücherDr. Schwenk Dr. HaussmannSielaff Sieler Dr. HirschFrau Simonis HölscherFrau Dr. Skarpelis-Sperk Hoffie HolstegDr. Soell Dr. Sperling Jung
Dr. Spöri KleinertStahl Dr.-Ing. LaermannDr. Steger Dr. Graf LambsdorffSteiner Frau Matthäus-MaierFrau Steinhauer Merker MischnickStiegler Stockleben MöllemannStöckl NeuhausenDr. Struck PaintnerFrau Terborg Popp RentropThüsing Tietjen Dr. RiemerFrau Dr. Timm Rösch RonneburgerTopmann Dr. RumpfFrau Traupe Schäfer
Dr. Ueberschär Schmidt
Urbaniak Vogelsang von SchoelerVosen Frau SchuchardtWaltemathe Dr. SolmsWalther TimmWehner Dr. VohrerWeinhofer Dr. WendigWeisskirchen Wolfgramm (Göttingen)Dr. Wernitz Wurbs Dr. ZumpfortWestphal ZywietzFrau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek Berliner AbgeordneterWiefel Hoppe
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2323
Vizepräsident Leber Nein Dr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. Jentsch
CDU/CSU Dr. JobstDr. Abelein Jung
Dr. Althammer Dr. KansyDr. Arnold Frau KarwatzkiBayha KellerFrau Benedix-Engler KiechleBiehle KiepDr. Blüm Dr. Klein
Böhm Klein (München)Dr. Bötsch Dr. Köhler
Bohl KösterBorchert Dr. KohlBraun KolbBreuer KrausBroll KreyBrunner Kroll-SchlüterBühler Frau Krone-AppuhnDr. Bugl Dr. Kunz
Burger LamersCarstens Dr. LammertClemens LampersbachConrad LandréDr. Czaja Dr. LangnerDallmeyer Dr. LaufsDaweke LemmrichDörflinger Dr. Lenz
Dr. Dollinger LenzerDr. Dregger LinkEchternach LinsmeierEigen LintnerEngelsberger LöherErhard LouvenEymer MaaßDr. Faltlhauser MaginFeinendegen Dr. MarxFellner Dr. Mertes
Frau Fischer MetzFischer Dr. Meyer zu BentrupFrancke MichelsFranke Dr. MikatDr. Friedmann Dr. MiltnerGanz Dr. MöllerFrau Geier Dr. MüllerFrau Geiger Müller
Dr. Geißler Müller
Dr. George Müller
Gerlach NelleGerstein NeuhausGerster Frau Dr. NeumeisterGlos NiegelDr. Götz Dr.-Ing. OldenstädtGünther Frau PackHaase PetersenDr. Häfele PfeffermannHandlos PfeiferHanz PicardHartmann Pieroth
Hauser Dr. PohlmeierFrau Dr. Hellwig PrangenbergHelmrich Dr. ProbstDr. Hennig RainerHerkenrath Rawevon der Heydt ReddemannFreiherr von Massenbach RegenspurgerHinsken RepnikHöffkes Dr. Riedl
Höpfinger Dr. RiesenhuberFrau Hoffmann RöhnerDr. Hornhues Frau RoitzschHorstmeier Dr. RoseDr. Hubrig RossmanithFrau Hürland RüheDr. Hüsch RufDr. Hupka Sauer
Graf Huyn Sauer
Jäger Sauter (Epfendorf)Jagoda Sauter
Dr. Schäuble Dr. WaigelSchartz Graf von Waldburg-ZeilSchmitz Dr. WarnkeSchmöle Dr. von WartenbergDr. Schneider WeirichFreiherr von Schorlemer Weiskirch
Dr. Schroeder WeißSchröder WernerSchröder Frau Dr. Wex
Schwarz Wimmer
Dr. Schwörer WindelenSeehofer Frau Dr. WisniewskiSeiters WissmannSick Dr. WittmannDr. Freiherr Spies Dr. Wörnervon Büllesheim Baron von WrangelSpilker WürzbachSpranger Dr. WulffDr. Sprung ZiererDr. Stark Dr. ZimmermannGraf Stauffenberg ZinkDr. Stavenhagen Dr. Stercken Stücklen Berliner AbgeordneteStutzer Susset AmrehnTillmann BahnerDr. Todenhöfer Frau Berger
Dr. Unland Dr. HackelFrau Verhülsdonk KalischVogel KittelmannVogt Kunz (Berlin)Volmer LorenzDr. Voss Schulze
Dr. Waffenschmidt StraßmeirDer Einzelplan 04 ist damit angenommen.
Ich rufe auf
Einzelplan 05Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 9/475 —Berichterstatter:Abgeordnete Picard WürtzGärtnerIm Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Dann erteile ich als erstem Redner dem Herrn Abgeordneten Picard das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis zum Wochenende konnte man noch der Hoffnung sein, daß neben dem angeschlagenen Kanzler, der von der eigenen Partei in stärkste Bedrängnis gebracht wird,
wenigstens der Vizekanzler und Außenminister eineverläßliche und standfeste Figur darstelle, sozusa-
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Picardgen der Garant für die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik in den lebenswichtigen Fragen des westlichen Bündnisses. So sah er sich ja wohl auch gerne selbst.Jedoch die Hoffnung trog. Nachdem Herrn Genscher trotz Androhung der Vertrauensfrage — ohne die ja in der Koalition gar nichts mehr geht — ein Drittel oder mehr seiner Partei nicht mehr gefolgt ist und Zeitungen, die der FDP wohlwollen, in bissigen Kommentaren über den „Neutralismus" in dieser Partei schrieben, gehört der starke Mann Genscher in das Reich der Fabel. Hier offenbart sich: die Koalition ist nur noch mit dem Instrument der Vertrauensfrage an der Macht zu halten,
mit einem Instrument — und das werden auch die, die es gebrauchen, bald merken —, das im Grunde ein Zeichen der Schwäche und nicht ein Zeichen der Stärke ist.Auch in den Haushaltsberatungen im Kabinett sucht man vergeblich nach Spuren des starken Mannes Genscher. Während einige Ressorts ihren unabweisbaren Personalbedarf erhielten, ging das Auswärtige Amt leer aus —
was man der Sache nach bedauern muß, was man als Opposition jedoch begrüßen kann.
— Herr Wehner, etwas deutlicher; dann kann ich Sie vielleicht verstehen.
— Wenn Sie zugehört hätten, Herr Wehner — das ist ja sonst Ihre Stärke —, dann hätten Sie gemerkt, daß ich nicht als Berichterstatter spreche. Das würde ich so nicht tun.
— Nein. Das war ein Mißverständnis. Das kommt vor.
Ich darf klären: Der Abgeordnete Picard spricht als Redner, nicht als Berichterstatter.
Während einige Ressorts ihren unabweisbaren Personalbedarf erhielten, hat das Auswärtige Amt keine Erfolge gehabt, obwohl es hier eine Reihe von unbestrittenen Notwendigkeiten gibt.
Ich denke, Herr Minister, daß Sie dafür zu sorgen haben, daß die Vertretung in Salisbury und die Vertretung in Schanghai voll tätig werden; denn hier liegen Verpflichtungen vor. Und ich denke, daß Sie auch dafür zu sorgen haben, daß die beklagenswerten Mißstände an einigen Konsularabteilungen in der Türkei und in Indien beseitigt werden. Ausgeliehene Länderbeamte sind keine dauerhafte Lösung.
Die von dieser Regierung und dieser Koalition zu verantwortende Finanzkrise macht sich einschneidend auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes bemerkbar. Ich bedauere es ausdrücklich, daß das höchstwirksame Instrument der Ausrüstungshilfe für 31 der am wenigsten entwickelten Länder — eh zu knapp bemessen — weiter gekürzt werden mußte.
Daß der Minister auf die Erhöhung seines Geheimfonds von acht auf zehn Millionen DM verzichtet, aber das nur nach gehörigem Druck aus den eigenen Reihen — —
Herr Kollege Picard, darf ich Sie bitten, Ihre Rede einen Augenblick zu unterbrechen. Meine Damen und Herren, ich wäre sehr dankbar dafür, wenn die Einzelbesprechungen wenigstens außerhalb des Saales geführt werden könnten. Ich danke Ihnen sehr.
Schönen Dank, Herr Präsident! — Daß der Herr Minister auf die Erhöhung seines Geheimfonds von 8 auf 10 Millionen verzichtete, obwohl diese Erhöhung in einem höchsten Chefgespräch als notwendig erachtet wurde, freilich sicher nur deshalb, weil er dem Druck aus den eigenen Reihen nicht widerstehen konnte, kann man vielleicht mit Genugtuung vermerken.Ein Ärgernis aber ist und bleibt, daß diese 8 Millionen DM am Parlament vorbei ausgegeben werden. Das ist eines der Beispiele, die zeigen, daß sich die großartigen Worte zu Beginn dieser Koalition von Transparenz und mehr Demokratie gegen ihr Ende zu als hohle Phrasen entpuppen.
Eine Bemerkung verdient auch der Petersberg als sogenanntes Gästehaus der Bundesregierung. Dafür findet sich ein Merkposten von 400 000 DM zur Ausstattung. Im Einzelplan 25 findet sich nichts an Kosten für die Wiederherstellung. Wir werden also noch lange warten müssen, bis das mehr als 100 Millionen DM kostende Projekt genutzt werden kann. Das bedeutet: Doppelt bezahlen, sowohl für Gymnich wie für den Petersberg, und das auf Jahre hinaus.Für uns im Parlament wie für viele unserer Partner im Ausland muß die Entwicklung im Kulturetat mit größter Sorge verfolgt werden. Wir haben — nach eingehendem Studium des Kulturetats sage ich das — auf Grund der Haushaltslage und der Schwäche der D-Mark den Punkt erreicht, wo nicht nur darüber zu reden, sondern ernsthaft darüber zu entscheiden ist, ob für die auswärtige Kulturpolitik mehr Mittel aufgebracht werden können, und dies trotz der sich rapide verschlechternden Haushaltslage, oder ob wir weiter einschränken wollen; und das würde bedeuten, mehr und mehr Mitarbeiter zu be-
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Picardzahlen für immer weniger, was sie eigentlich tun können.
In der Wirtschaft ist so etwas höchst unrentabel. Es ist auch beim Staat unrentabel. Das sollten wir also nicht tun. Oder es gibt eine andere Möglichkeit: daß wir endlich wirklich Prioritäten setzen. Von Prioritäten wird viel geredet. Da ist USA-Priorität, da ist Europa-Priorität und neuerdings auch LateinamerikaPriorität. Jeder Weltteil, den Frau Hamm-Brücher gerade bereist hat, ist eine neue Priorität. Aber das kann man nicht tun. Wenn man Prioritäten setzen will, muß man drauflegen, und da, wo man sie nicht setzen will — d. h. in nachrangigen Positionen —, muß man wegnehmen.
Dazu gehört Mut. Ich erinnere an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, der ja zu Mut auf gerufen hat. Eine Möglichkeit, Mut zu beweisen! Auf jeden Fall kann das so nicht bleiben; denn wir begeben uns im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik dadurch in eine wachsende Unglaubwürdigkeit, und das ist die schlechteste Werbung für unsere Kulturpolitik im Ausland. Die vielgerühmte dritte Säule der Außenpolitik — so wurde die auswärtige Kulturpolitik einmal von einem Gast bezeichnet, der wenige Wochen in diesem Hause zubrachte — ist auf Grund der Auszehrung längst zu einem Säulchen geworden. Allein die Ankündigung der Verminderung von Stipendien für Schülerreisen nach Deutschland als Prämie für gute Leistungen oder die Reduzierung von Buchgeschenken oder die unzureichende Antwort auf Studien- und Austauschwünsche hat bei den Betroffenen eine Enttäuschung ausgelöst, die man sich in Auswirkung und Bedeutung kaum vorstellen kann. Die Eingeweihten aber wissen, welches Kapital uns hier verlorengeht. Es besteht die Gefahr, daß die DDR — was nicht zum erstenmal geschähe — in die entstehende Lücke mit Geschick und Nachdruck eintritt. Das sollten wir vermeiden.Zum Aufgabenbereich des Außenministers gehört ohne Zweifel die Sicherheitspolitik insoweit, als Abrüstung und Rüstungskontrolle darunter fallen. Es ist mehr als pikant — Herr Kollege Mertes hat heute schon eingehend darüber gesprochen —, daß die Herren Bahr und Brandt wie schon einmal vor etwa zehn Jahren am Außenminister vorbei zu Gesprächen in diesen Fragen nach Moskau reisen. Niemand glaubt doch, wenn in der Presse steht, daß das alles im hellsten Einvernehmen und mit Billigung von Kanzler und Außenminister geschähe.Bei Betrachtung des Haushalts des Auswärtigen Amts kann man nicht umhin, festzustellen:Erstens. Der Außenminister ist angeschlagen, geschwächt, hat an Glaubwürdigkeit verloren, was wir deshalb bedauern, weil das der deutschen Außenpolitik zum Schaden gereicht, und was wir zum andern deshalb bedauern, weil wir bis dato im wesentlichen die Linie des Außenministers mit tragen konnten. Nur, eine Linie, die ein Minister nicht mehr durchhalten kann, weil er keine Truppen mehr hinter sichhat, kann man natürlich auch nicht mehr unterstützen.
Zweitens. Die Finanzenge hat die Wirksamkeit des Amtes erheblich beeinträchtigt, was wir ebenfalls im Interesse der Bundesrepublik bedauern müssen.Drittens. In der auswärtigen Kulturpolitik sind Entscheidungen dringend nötig, die eine vollbefriedigende und erfolgreiche Arbeit wenigstens da sicherstellen, wo unsere eigenen Interessen es dringend gebieten.Bei Betrachtung des Haushalts können wir nicht anders als eine Ablehnung empfehlen.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Würtz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Picard, ich habe Ihre harten Worte zu Herrn Bundesminister Genscher überhaupt nicht verstehen können.
Ich hatte das Gefühl, daß Sie hier eine Pflichtübung ableisteten,
etwa in der Weise, jetzt einmal kräftig auf dem Hans-Dietrich Genscher herumzuklopfen, um dann in den Beratungen, die wir immer wieder haben, freundlich und höflich miteinander umzugehen. Ich freue mich aber, daß mein Freund Klaus Gärtner noch ein paar Bemerkungen zu Hans-Dietrich Genscher machen wird, weil er seinen Parteivorsitzenden sehr genau kennt.Meine Damen und Herren, mein Eindruck ist, daß der Bundesaußenminister — jedenfalls war das unser einvernehmlicher Eindruck, Herr Kollege Picard — sein Haus ganz gut im Griff hat und daß er die Geschäfte — im Gegensatz zu manchem anderen — ausgezeichnet führt.Ich will mit einer Vorbemerkung auf das eingehen, was Sie zu dem Geheimfonds gesagt haben. Herr Kollege Picard, da Sie langjähriger Berichterstatter für diesen Einzelplan sind, wissen Sie selbst, daß dieser Titel mit 8 Millionen DM seit 1965 feststeht und daß es dem Auswärtigen Amt immer schwieriger wird, die Aufgaben, die damit bewältigt werden müssen, zu erfüllen.Meine Damen und Herren, mit der Anhebung der Mittel des Einzelplans 05 — Auswärtiges Amt — um 6,6 % wird nach unserer Meinung die Erfüllung der gewachsenen Aufgaben unseres Landes in der Welt in ausreichender Art und Weise gewährleistet. Nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses gilt aber auch für das Außenministerium: Sparsamkeit und effektive Verwendung der Mittel bleiben die wichtigsten Grundsätze.
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WürtzBei einem so engen Haushaltsansatz gibt es verständlicherweise Probleme. Insoweit gibt es auch sehr viel Übereinstimmung zwischen Ihnen, Herr Picard, und uns. Auf der einen Seite stehen wachsende Aufgaben, die ich etwa mit folgenden Stichworten schwerpunktmäßig festlegen möchte: Sicherheit und Abrüstung, Krise in der Dritten Welt, Nord-Süd-Dialog, Rohstoffpolitik, Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften, Flüchtungs- und Asylantenprobleme, Einführung des Sichtvermerks gegenüber verschiedenen Ländern sowie die auswärtige Kulturpolitik. Auf der anderen Seite leidet die Erfüllung dieser Aufgaben unter Kostensteigerungen im Ausland, die meist wesentlich höher liegen als in unserem Land. Hiervon ist zum einen die Wirksamkeit unserer außenpolitischen Zweckausgaben, insbesondere in den Bereichen auswärtige Kulturpolitik, freiwillige internationale Beträge und humanitäre Hilfe, betroffen.Zum anderen berühren die Kostensteigerungen im Ausland die Verwaltungsausgaben und damit die Wirksamkeit des auswärtigen Dienstes. Wurden die Inflationseffekte in früheren Jahren durch Wertzuwachs der D-Mark weitgehend ausgeglichen, so tritt zur Zeit der Wertverlust der Deutschen Mark gegenüber Dollar, Pfund und anderen Währungen zu den Inflationsverlusten dieser Länder hinzu. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß wir im letzten Jahr Kurseinbußen unserer Mark in der Größenordnung von weltweit etwa 9 % gehabt haben.Herr Kollege Picard, verkannt wird nicht, daß wir bei der Erfüllung gewachsener außenpolitischer Aufgaben mit einer knappen Personalausstattung zurechtkommen müssen. Ich will hier nur noch einmal kurz in Erinnerung rufen: Seit 1973 ist der Stellenplan des Auswärtigen Amtes um ganze 32 Stellen — etwa 0,5% — vergrößert worden. Es bleibt daher für uns die Aufgabe, weiter aufzupassen, daß das Auswärtige Amt auch funktionstüchtig bleibt. Wir müssen sehr viel Wert darauf legen, daß die Rationalisierungsbemühungen des Auswärtigen Amts, die schon vorhanden sind, verstärkt werden und daß Prioritäten noch klarer erkannt werden, um dann zu handeln.Meine Damen und Herren, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich nur noch auf zwei Punkte hinweisen.Das Auswärtige Amt hat ein Sonderprogramm für das südliche Afrika in Angriff genommen. Die beabsichtigten Maßnahmen dieses Sonderprogramms sind — jedenfalls für uns — von großer Bedeutung, sollen sie doch der außen- wie innenpolitischen Notwendigkeit Rechnung tragen, die noch immer überproportionale Beteiligung der Weißen an den Ausgaben aus dem Kulturhaushalt des Auswärtigen Amts für Südafrika auszugleichen. Vorgesehen sind ein kulturelles Informations- und Veranstaltungszentrum für Menschen schwarzer Hautfarbe als Zielgruppe, Stipendien zur Vorbereitung auf die Hochschulreife, Fortbildung von Primar- und Sekundarschullehrern, Förderung des Deutschunterrichts für Nichtweiße und berufsbildende Maßnahmen für schwarze Arbeitnehmer.Wir begrüßen — und ich glaube, das kann ich hier einvernehmlich für alle sagen — diese Initiative der Bundesregierung als einen Schritt in die richtige Richtung und erwarten, daß das Auswärtige Amt alle Anstrengungen unternimmt, um das Programm zum Erfolg zu führen.
Ein ganz kurzes Wort zur Ausrüstungshilfe, insbesondere zu den Ausrüstungshilfemaßnahmen für die Türkei. Wir gehen nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses davon aus, daß die vorgesehenen 2 Millionen DM bestimmungsgemäß nur für Materiallieferungen und Ausbildungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität verwandt werden. Wer als Tourist während seines Urlaubs in der Türkei einmal in die schwierige Situation geraten ist, daß man irgendein weißes Pulver vermeintlich als Rauschgift angesehen hat, weil man es nicht gleich überprüfen konnte, wird fürdiese Ausgaben viel Verständnis haben.Bedauerlicherweise mußte in diesem Titel ein vorgesehner Sonderansatz für kleinere Projekte in verschiedenen Ländern — ich möchte ihn einmal als „Feuerwehrfonds" bezeichnen — erneut gekürzt werden. Ich bedaure dies, und ich glaube, das trifft auch für den Kollegen Picard und den Kollegen Gärtner zu, zumal mit diesen Mitteln die Bekämpfung international organisierter Verbrechen — ich denke hierbei an internationalen Terrorismus, Luftpiraterie und auch an den Schmuggel von Rauschgift — stärker als bisher ermöglicht werden sollte. Ich glaube, daß wir darauf in künftigen Haushaltsjahren noch unser besonderes Augenmerk richten müssen.Meine Damen und Herren, ich komme zu meinem Schlußwort. Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Bundesminister, aber auch bei Ihren Beamten und den Beamten des Finanzministeriums sehr herzlich für die Arbeit an diesem Haushalt bedanken. Ich darf zusammenfassend sagen: Uns liegt hiermit ein eng geschnittener, gerade ausreichender Einzelplan zur Verabschiedung vor, der in den Gesamthaushalt des Jahres 1981 gut hineinpaßt. Im Gegensatz zu Ihnen, verehrter Herr Kollege Picard, stimmt die SPDFraktion diesem Haushalt zu.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Gärtner das Wort.Gärtner: : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Picard, als Vorsitzender des Bezirksverbandes der FDP in Düsseldorf muß ich das Mitglied meines Bezirksverbandes vor Ihren ungerechtfertigten Angriffen in Schutz nehmen.
Vielleicht hatten Sie Ihre Rede schon geschrieben, bevor der Kollege Genscher heute nachmittag hier gesprochen hat, und haben dabei völlig übersehen, daß größte Teile seiner Rede nicht nur von der Koalition, sondern auch von Ihren Fraktionskollegen mit
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GärtnerBeifall bedacht worden sind, was mit Sicherheit nicht bedeutet, daß man an der Standfestigkeit des Kollegen Genscher zweifeln kann. Vielleicht irritiert Sie auch, daß die Popularitätskurve von Herrn Genscher etwas höher ist als die von Persönlichkeiten, die Ihnen näherstehen.
Ich will zu dem Thema „Geheimtitel" nur noch folgende Bemerkung machen; bei diesem Sparhaushalt braucht man dazu nur noch wenige Anmerkungen zu machen. Der Geheimtitel ist ein altes Problem, ich glaube, seit es dieses Parlament gibt. Es hat, Herr Kollege Picard — vielleicht können Sie das auch noch einmal in Ihre Erinnerung rufen — einen sehr prominenten Verteidiger dieses Geheimtitels gegeben, und zwar den heutigen Bundespräsidenten, der damals, als er Bundestagspräsident war, einmal erklärt hat, auf Grund seiner Erfahrung als Staatssekretär im Auswärtigen Amt sei das ein notwendiges und wichtiges Instrument. Gegen diese sehr nachdrücklich vorgetragene Argumentation waren selbst wir machtlos.Der Kulturetat, haben Sie gesagt, sei etwas gekürzt worden oder nicht so gestiegen, wie er hätte steigen können oder steigen sollen. Wie auch immer, man muß festhalten: Mit einer Steigerungsrate von 7,2 % liegt die Steigerung des Kulturetats auf der gleichen Höhe wie die Steigerung des Haushalts insgesamt und etwas höher als der übrige Teil des Einzelplans 05. Aber ich muß hinzufügen: Der Kulturetat wird wie alle anderen Etats unter dem Thema „Sparsamkeit" stehen. Wir sollten nicht damit anfangen, daß jeder sozusagen seinen kleinen Vorgarten reserviert, wo angeblich nicht gespart werden kann, wo man aber, auch wenn man sparsam wirtschaftet, durchaus Ergebnisse von einer höheren Qualität erzielen kann.Zum Thema „Sparsamkeit" hat das Auswärtige Amt in einigen Bereichen Beispiele geliefert, wie man mit kleinen Anordnungen ziemlich viel einsparen kann, z. B. die berühmte Anordnung, Erlasse, die man ins Ausland schickt, engzeilig zu schreiben. Dadurch sind in einem Jahr immerhin fast 100 t Papier gespart worden, ein Beitrag, den sich andere Ressorts, vielleicht auch die Bundestagsverwaltung, zum Vorbild nehmen sollten.Der Antrag auf Kürzung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit, der von der CDU/CSU gestellt worden ist, wird nicht nur pflichtgemäß abgelehnt. Hier soll nämlich alles gestrichen werden, Herr Wörner, darunter auch so wichtige Dinge wie „Tips für Touristen im Ausland". Ich meine, das ist unter dem Stichwort „Lebenshilfe" für unsere Bürger im Ausland eine sehr wichtige Information. Von daher ist der Antrag nicht ganz durchdacht.Was die Bemerkung auf dem Entschließungsantrag angeht, inwieweit die Regierung Verpflichtungen gegenüber der Türkei eingehen wird, gehe ich davon aus, daß die Regierung diese Verpflichtungen in Absprache mit dem Parlament eingehen wird und daß darüber hinaus eine Unterrichtung des Parlaments stattfindet und wir einen Haushaltsansatz nicht nur zusammen formulieren, sondern auch zusammen bewilligen und damit das tun, was der Bundesrepublik und dem betroffenen Partner dient. Ich meine, so kommen wir weiter und hoffentlich auch zu einem Ergebnis, was der Beratung der Einzelpläne 05 und 23 besser ansteht als irgend etwas anderes, das sich hier heute abend vielleicht noch jemand vorstellen kann. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Abgeordneten Coppik, Sielaff und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD vor.
Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 2 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Antrag der Abgeordneten Coppik, Sielaff und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/530 unter Ziffer 1 auf. Der Herr Abgeordnete Coppik hat um das Wort zu einer kurzen Begründung gebeten. Ich erteile ihm dazu das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir schwer, zu diesem Antrag etwas zu sagen, einfach deshalb, weil es aus dem üblichen Rahmen herausfällt, daß wir in einer nicht unerheblichen Debatte zum Einzelplan des Bundesministers des Auswärtigen einen Änderungsantrag von Kollegen aus der Regierungskoalition stellen. Ich glaube aber, daß es die Frage, um die es hier geht, wert ist, ein paar Worte darüber zu sprechen.Ich sage ganz offen, daß es bei mir auch persönliche Betroffenheit ist, die mich veranlaßt, dazu etwas zu sagen, weil ich persönlich Menschen in der Türkei kenne, die nach dem Militärputsch, nach der Errichtung der Militärdiktatur in Gefängnisse gekommen sind, Menschen, die gefoltert werden, zum Teil auch Menschen, die etwa wegen separatistischer Bestrebungen mit der Todesstrafe bedroht sind. Das ist für mich etwas, was sich jenseits von Taktiererei befindet, was sich jenseits von dem befindet, was Kämpfe zwischen einzelnen Parteien sind, und auch jenseits jeglicher Polemik. Das ist einfach auch persönliche menschliche Betroffenheit bezüglich solcher Menschen.Ich muß sagen, daß das, was wir heute erfahren haben, daß bei einer Tagung der Friedrich-EbertStiftung in Bonn Persönlichkeiten aus der Türkei nicht sprechen konnten, weil heute ein Dekret ergangen ist mit einem Verbot politischer Debatten und Streitgespräche zwischen früheren Politikern, mit einem Verbot mündlicher oder der Presse übergebenen Erklärungen früherer Parlamentarier, Parteiführer oder Parteimitglieder, mit einem Publikationsverbot jeglicher Kommentare über zur Zeit in-
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Coppikhaftierte Personen, deutlich macht, welche Situation zur Zeit in der Türkei herrscht. Ich glaube, das müßte uns eigentlich alle betroffen machen.Ich habe vor einiger Zeit einen Brief aus der Türkei bekommen, in dem folgendes geschildert wurde:Aus dem sechsten Stock des Polizeipräsidiums in Ankara werden Menschen mit einem Strick rausgehängt und bedroht, daß man den Strick durchschneidet, wenn sie nicht reden, oder aber man zwingt die Gefangenen, auf einem Steg über dem leeren Aufzugschacht zu marschieren. Nachts werden dann noch Hinrichtungsszenen durchgeführt. Mit anderen Worten, um ohne psychische Schäden aus der Haft herauszukommen, brauchst du ein Herz aus Stein und Nerven aus Stahl. Es heißt, daß die meisten jetzt schon ihren Verstand verloren haben. Dann sind da noch die Qualen, die die Angehörigen, Eltern, Schwestern, Gatten, Brüder und Freunde erleiden müssen.Ich habe heute in der Zeitung eine Nachricht gelesen. Eine deutsche parlamentarische Kornmission soll kommen. Ob auch sie in Luxushotels übernachten, Ecevit und Demirel besuchen und nach einem Gespräch mit Evren wieder nach Hause fahren werden? Ach, wenn sie doch zu mir kommen würden und ich sie mit den Gefolterten sprechen lassen könnte, könnte ich sie doch zu jemandem bringen, der von der Hüfte abwärts gelähmt ist oder sein psychisches Gleichgewicht verloren hat. Wenn sie sehen könnten, wie gefoltert wird! Was können wir tun? Wie wohl die Zukunft aussieht?Denk bloß nicht, daß ich in Resignation verfallen bin, weil ich so etwas erzähle. Denk daran, daß immer mehr in Freiheit als in Gefangenschaft sein werden, und auf diese dunklen Wintertage werden helle Frühlingstage folgen.Ich glaube, daß wir alle irgendwo für das mitverantwortlich sind, was da passiert. Ich habe viele Argumente gehört, die das Für und Wider zum Ausdruck bringen, und es wurden Parallelen zu anderen Ländern gezogen, denen wir wirtschaftliche Hilfe leisten.Ich glaube, daß es kaum ein Land gibt, in dem Menschenrechte so verletzt werden wie in der Türkei und in das wir dennoch Waffen liefern — Waffen liefern! —, Waffen, die auch gegen nationale Minderheiten eingesetzt werden, gegen das Volk der Kurden, wobei wir wissen, daß in mehreren Prozessen z. B. in Diyarbakir die Todesstrafe für nichts anderes als für die Forderung der Betroffenen beantragt wurde, in der Grundschule ihre eigene Muttersprache zu benutzen. Nichts anderes ist es! Wir wissen, daß nicht nur die Kurden, sondern auch die christlichen Minderheiten und die armenischen Minderheiten in der Türkei verfolgt werden und daß die Waffen, die wir liefern, vom Militär dort für diese Zwecke eingesetzt werden. Wir alle müssen uns fragen, ob wir das wirklich guten Gewissens tun können.Wenn mir jemand sagt, daß wir Waffen und eine Sonderhilfe in vergleichbarer Größenordnung auch an andere Staaten liefern bzw. leisten, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen, kann ich ihm versichern, daß ich sofort einen Antrag mitunterschreiben würde, der sich gegen eine solche Lieferung aussprechen würde.
— Herr Kollege, mir sind Waffenlieferungen, die in vergleichbare Länder erfolgen würden, nicht bekannt.Ich kann nur sagen, daß wir alle eigentlich betroffen über das sein müßten, was dort stattfindet, in einem Land, das sich mit uns gemeinsam zu den Prinzipien von Freiheit und Demokratie bekannt hat, und daß wir alle darauf hinwirken müßten, daß sich die Verhältnisse dort ändern. Leistungen dürften an eine Militärdiktatur nicht erfolgen, wenn dort keine Veränderungen stattfinden.Ich hoffe, daß uns der Herr Bundesaußenminister in diesem Zusammenhang hier eine Erklärung abgeben kann, eine Erklärung, die dieser Betroffenheit und dieser Problematik in einer Weise gerecht wird, in der dieses ganze Haus dem folgen und das unterstützen kann, wir also nicht unbedingt an einem Punkt, an dem wir von unserem Grundwerteverständnis her eigentlich übereinstimmen müßten, in eine Kontroverse hineingeraten. — Danke schön.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, daß die Tatsache, daß eine große Zahl türkischer Mitbürger bei uns lebt, daß wir immer wieder Gelegenheit haben, mit ihnen zu sprechen, und daß zwischen Deutschen und Türken eine lange und traditionelle Freundschaft besteht, sowie unsere Empfindlichkeit für die Wahrung der Menschenrechte die Gründe dafür sind, daß wir in der Vergangenheit und heute mit großer Betroffenheit den Weg des uns befreundeten türkischen Volkes verfolgen und daß wir betroffen waren über die Opfer des Terrors und betroffen sind, wenn staatliche Organe die Grundsätze des Rechtsstaats nicht beachten. Beides macht uns betroffen.
Die Bundesregierung hat es deshalb ganz ausdrücklich begrüßt, daß eine Delegation des Deutschen Bundestages in die Türkei gereist ist und daß sie die Möglichkeiten vielfältiger Information genutzt hat. Ich stehe sehr unter dem Eindruck des Berichts, den mir die Kollegen aus allen drei Fraktionen unmittelbar nach ihrer Rückkehr gegeben haben.Unter diesem Eindruck ist auch ein interfraktioneller Antrag vorgelegt worden, den wir bei der dritten Lesung des Haushaltsgesetzes verabschieden
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Bundesminister Genscherwollen. In diesem Antrag heißt es, daß der Deutsche Bundestag von der derzeitigen türkischen Staatsführung erwartet:— im Sinne der Zusagen an das türkische Volk die Festlegung eines Zeitplans, der die möglichst baldige Rückkehr zu einer funktionsfähigen Demokratie sicherstellt;— die baldige Wiederherstellung der freien Betätigungsrechte für politische Parteien und Gewerkschaften;— die baldige Wiederherstellung der vollen Pressefreiheit;— die alsbaldige Abschaffung der Regelung des derzeitigen Ausnahmezustandes, wonach Festgenommene u. a. erst nach 90 Tagen ihrem Richter vorgeführt werden müssen;— die Überprüfung aller Foltervorwürfe und die Bestrafung aller der Beteiligung an Folterungen Überführten;— die Gewährleistung der Ausreisemöglichkeiten für demokratische türkische Politiker und das Recht auf weitere politische Betätigung für die derzeitigen Parlamentarier.Die Bundesregierung hat in jeder einzelnen dieser Fragen das Anliegen, das hier zum Ausdruck gekommen ist, im Rahmen der ihr gegebenen Möglichkeiten gegenüber der türkischen Regierung unterstützt. Deshalb teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Mittel für die Türkei aus dem Bundeshaushalt vom Bundestag gebilligt werden in der Erwartung, daß den oben genannten Zusicherungen — das sind die von mir verlesenen Punkte — entsprochen wird.Ich glaube deshalb, daß es richtig ist, dem Deutschen Bundestag die Gewißheit zu geben, daß angesichts der heutigen Meldungen über neue Maßnahmen der türkischen Militärregierung, die den Zielen des gemeinsamen Entschließungsantrages zuwiderlaufen, die Bundesregierung die geplante Hilfe für die Türkei laufend prüfen und im Einvernehmen mit den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages durchführen wird. Damit werden wir unserer Verpflichtung gerecht als Bündnispartner dieses schwergeprüften Landes, wir werden aber auch unserer Verantwortung gerecht, die uns zwingt, allüberall mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür einzutreten, daß Menschenwürde und Menschenrechte durchgesetzt werden können.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Coppik das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen herzlich danken für die Worte, die er hier ausgesprochen hat. Ich habe sie so verstanden, daß ohne Zustimmung der zuständigen Bundestagsgremien weder irgendeine Zahlung gegenüber der türkischen Republik geleistet noch irgendeine Verpflichtung eingegangen wird.
Ich glaube, in Anbetracht dieser Erklärung ist eine förmliche Abstimmung über unseren Antrag nicht mehr erforderlich. Ich möchte den Antrag auf Drucksache 9/530 deshalb im Namen der 22 Unterzeichner zurückziehen. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist zurückgezogen. — Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? Der Einzelplan 05 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksache 9/488 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Gärtner
Schröder
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von je 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Beschließt der Deutsche Bundestag entsprechend? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort von den Herren Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Schröder, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grunde genommen ist es ein gewisses Armutszeugnis für die Regisseure unserer Parlamentsdebatten, wenn für einen so wichtigen Haushalt, der immerhin ein Volumen von 5,7 Milliarden DM hat, der immerhin einer der wenigen Haushalte ist, bei dem überhaupt noch etwas parlamentarisch mitgestaltet werden kann, und der schließlich ein Haushalt ist, der meiner Auffassung nach für die Lösung des NordSüd-Konfliktes eine ähnlich hohe politische Bedeutung wie etwa der Verteidigungshaushalt als Beitrag für die Lösung des Ost-West-Konflikts hat, nur 30 Minuten zur Verfügung gestellt werden. Dies macht es natürlich unmöglich, grundsätzlichere Betrachtungen über die Entwicklungspolitik und über den Entwicklungshaushalt anzustellen. Lassen Sie mich deshalb nur einige wenige Bemerkungen machen.Dieser Einzelplan 23 verkörpert in besonderer Weise die Diskrepanz, die wir in vielen Feldern der Regierungspolitik zwischen Versprechungen, Ankündigungen einerseits und Wirklichkeit andererseits vorfinden. Mit sehr viel propagandistischer Begleitmusik ist noch bei der Einbringung des Bundeshaushalts uns und der Öffentlichkeit dargelegt wor-
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Schröder
den, daß für diesen Haushalt der Entwicklungshilfe eine Steigerungsrate vorgesehen sei, die doppelt
so hoch sei wie die Steigerungsrate des Gesamthaushaltes. Nun müssen wir heute am Ende der Etatberatungen feststellen, daß dieser Haushalt gerade noch so eben in der mittleren Linie der Gesamtsteigerung des Bundeshaushalts zum Zuge kommt. Das veranlaßt mich zu der Bitte an die Regierung und an die Koalition, endlich einmal, auch im Sinne eines vernünftigen Auseinandersetzens über die Bestandteile der Entwicklungspolitik und des Entwicklungshaushaltes, mit den Zahlenspielereien, mit den Gaukeleien über Zuwachsraten von nun ab aufzuhören.
Dies bringt weder uns noch den Entwicklungsländern irgend etwas ein. Das betrifft nicht nur die Frage der Zuwachsrate des Haushalts, sondern auch den 0,7-Prozent-Anteil am Bruttosozialprodukt.Wenn ich lese, meine Kollegen von der SPD, daß noch vor etwa 14 Tagen der Landesparteitag der Bremer SPD die Forderung gestellt hat, daß dieses 0,7-Prozent-Ziel in unmittelbarer Zukunft erreicht werden soll, dann muß ich das angesichts der Lage unserer Bundesfinanzen — ich hoffe, Herr Minister Matthöfer stimmt in diesem Punkt mit mir überein — entweder für Traumtänzerei halten oder so ansehen, als ob damit Sand in die Augen gestreut werden soll.
Lassen Sie uns gemeinsam den Versuch machen, diesen Haushalt in Zukunft auf eine realistische Basis zu stellen!
Ich meine, daß auch die gesamte Entwicklungspolitik stärker auf das Machbare und Mögliche abgestellt werden muß und daß wir uns nicht so sehr über das Wünschbare streiten sollten; denn darüber haben wir uns eigentlich kaum zu streiten.
— Deshalb, lieber Rudi Walther, habe ich, was den Haushalt dieses Jahres anbelangt, die Formel geprägt, wir sollten den Versuch machen, die Zuwachsrate des Entwicklungshaushalts tendenziell der Zuwachsrate des Verteidigungshaushaltes anzupassen. Dies schien mir eine realistische Vorstellung zu sein, die wir für dieses Jahr auch einigermaßen erreicht haben.
Meine Freunde, es gibt erfreulicherweise auch Gemeinsamkeiten in der Entwicklungshilfe und in der Entwicklungspolitik. Regierung und Opposition stimmen in den beiden Grundfundamenten des Entwicklungshilfehaushaltes, in der technischen Zusammenarbeit und der finanziellen Zusammenarbeit überein. Wir haben ja in gemeinsamer Arbeit, insbesondere der Berichterstatter — das darf icheinmal sagen —, einige nicht unerhebliche Korrekturen am Entwicklungshaushalt vorgenommen. Ich denke an die Verbesserung des Niederlassungsprogramms, ich denke an das Exportförderungsprogramm, ich denke an das Technologietransferprogramm, ich denke auch an die Mittelzuweisungen der Deutschen Entwicklungsgesellschaft. Das sind offensichtlich gemeinsame Grundlagen des Entwicklungshaushaltes und damit auch der entwicklungspolitischen Konzeption.Dennoch weisen dieser Haushalt und die Entwicklungspolitik — darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen — Mängel auf. Ich beklage z. B. — das lassen Sie mich jedenfalls als persönliche Meinung sagen —, daß der ganze Sektor des Handwerks im Entwicklungshaushalt, in der Entwicklungspolitik so gut wie gar nicht berücksichtigt wird. Das ist um so erstaunlicher, als das Handwerk neben der Landwirtschaft eigentlich der grundlegende Bereich wirtschaftlichen Lebens, der grundlegende Bereich der Arbeitsplätze ist, und zwar in fast allen Entwicklungsländern.
Es wäre wünschenswert, wenn die Entwicklungspolitik und damit auch der Entwicklungshaushalt in Zukunft stärker als in der Vergangenheit auf die personelle Entwicklungshilfe abstellen würden.Mir scheint, die Weltbank hat nicht zu Unrecht festgestellt — wenn ich es richtig im Kopf habe, im Entwicklungsbericht 1980 —, daß in vielen Entwicklungsländern nicht so sehr der Mangel an Kapital, der Mangel an Geld die entscheidende Ursache für den Rückstand ist, sondern vor allen Dingen der Mangel an Bildung, an Ausbildung, d. h. im Grunde genommen an personeller Entwicklungshilfe. Meine Fraktion hat dieses Thema auch in einem besonderen Antrag aufgegriffen, der in den nächsten Wochen zur Debatte gestellt werden wird.Aber das ist nicht der einzige Punkt. Auch und gerade in finanzieller Hinsicht gibt es in dem Entwicklungshaushalt ein großes Risiko. Darüber müssen wir uns alle im klaren sein. Nicht nur der Tornado, nicht nur die Bundesbahn sind große Risiken für die zukünftigen Haushalte, auch im Entwicklungshilfehaushalt liegt ein sehr großes haushaltspolitisches Risiko. Ich spreche damit die sogenannten offenen Verpflichtungsermächtigungen an, die sogenannten Pipelines, wie es in der Sprache der Fachleute heißt.Bis zum heutigen Tage haben wir offene Verpflichtungsermächtigungen in einer Größenordnung von fast 24 Milliarden DM. Mit anderen Worten: Wir haben, vom heutigen Tage gerechnet, die nächsten vier folgenden Jahreshaushalte für unsere entwicklungspolitischen Zusagen sozusagen schon verplant bzw. verpfändet.
Das ist nicht unproblematisch. Ich meine deshalb, daß wir uns gemeinsam überlegen müssen — insbesondere die Bundesregierung —, ob wir das bisherige System der länderweisen Zusagen in Zukunft so fortführen können, Herr Kollege Walther, zumal wir
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Schröder
manchmal nicht wissen, ob die entsprechenden Projekte schon prüfungsreif und prüfungsfähig sind.
Das Risiko ist zu groß, wie mir scheint. Ich meine, es wäre sinnvoller — Frau Kollegin Traupe, — in Zukunft von diesen Verfahren der länderweisen Zusagen abzugehen und wirklich nur noch exakt geprüfte, durchführungsfähige Projekte in die Listen aufzunehmen, und damit den Berg der offenen Verpflichtungsermächtigungen in eine angemessene Relation zu den Barausgaben der vor uns liegenden nächsten Jahreshaushalte zu bringen.
Zu diesem Haushalt ließe sich noch eine ganze Reihe weiterer Anmerkungen grundsätzlicher und auch haushaltspolitischer Art machen. Lassen Sie mich aber zusammenfassend zum Ausdruck bringen: Wir als Opposition sind froh darüber, daß es in diesem Haushalt eine Fülle von Gemeinsamkeiten gibt. Wenn wir die Entwicklungspolitik und den Entwicklungshaushalt betrachten und beurteilen, sollten wir aber eines nicht außer acht lassen, was sich nicht im Entwicklungshaushalt niederschlägt und was auch in den entwicklungspolitischen Debatten, wenn ich es richtig sehe, manchmal nicht in der genügenden Weise gewürdigt wird. Ich meine den beachtenswerten Beitrag, den die vielen privaten Träger, nicht zuletzt im kirchlichen und vorkirchlichen Raum, für die deutsche Entwicklungshilfe leisten.
Ich möchte einmal an dieser Stelle den karitativen, basisnahen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten der Kirchen und der anderen privaten Träger gerade aus der Sicht eines Haushaltsmannes ein Wort des Dankes widmen, weil sie nämlich ganz wesentlich zur Entlastung der staatlichen Entwicklungshilfeleistung beitragen.
Wir sollten — ich sage das nicht ohne Bezug auf ein persönliches Erlebnis — gemeinsam den Ländern, denen diese Aktivitäten ein Dorn im Auge sind — solche Entwicklungsländer gibt es —, sagen, daß dies für uns ein unverzichtbarer Bestandteil deutscher Entwicklungshilfe und deutscher Entwicklungspolitik ist.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein letzter Satz, damit mich nicht das Schicksal meines Freundes Metz ereilt. Bei allen Gemeinsamkeiten, die ich zum Ausdruck gebracht habe, sehen wir uns leider noch nicht — ich möchte das „noch nicht" durchaus unterstreichen — in der Lage, dem Einzelplan 23 unsere Zustimmung zu geben, solange erstens Regierung und Koalition sich nicht dazu durchringen können, zu einer Verkündung von realisierbaren finanziellen Zielen überzugehen, und zweitens jene leider noch spürbaren Restbestände von Ideologisierung der Entwicklungspolitik, die gegenüber vielen Ländern vorhanden ist, noch nicht beseitigt sind. Aus diesem Grunde werden wir diesmal dem Einzelplan 23 nicht unsere Zustimmung geben können.
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, mir tut es außerordentlich leid, daß Sie sich nicht in der Lage sehen, der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Einzelplan 23 Ihre Zustimmung zu geben. Sie wissen, daß alle Veränderungen, die wir vorgenommen haben, im Haushaltsausschuß einmütig gelaufen sind. Wir haben bei diesem Einzelplan, den wir auch intensiv in den einzelnen Titeln geprüft haben, Veränderungen in der Weise vorgeschlagen, daß sie von allen Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses getragen werden konnten.
Wir haben auch, Herr Kollege Köhler, soweit uns dies möglich war, die Intentionen, die uns der Fachausschuß gegeben hat, in unseren Beschlußempfehlungen mit berücksichtigt.
Ich halte es für ein gutes Zeichen, daß wir uns in einer schwierigen finanzwirtschaftlichen Situation dennoch in der Lage gesehen haben, den Einzelplan 23 auf eine Zuwachsrate zu bringen, die über der Steigerungsrate des gesamten Bundeshaushalts liegt.
Der gesamte Bundeshaushalt steigt um 7,2 %; der Einzelplan 23 hat durch Zugabe von 65 Millionen DM — was wir empfehlen — eine Steigerungsrate von 8,8 %. Bei der schwierigen finanzwirtschaftlichen Situation halte ich dies für anerkennenswert.Ich kenne die verschiedenartigen Rechenbeispiele. Aber ich habe das genommen, Herr Kollege Schröder, was auch in früheren Zeiten bei der Feststellung der jeweiligen Steigerungsrate der Gesamtrechnung in Prozent zugrunde gelegen hat.
— Nein, das ist nicht getürkt. Wenn dies der Fall wäre, könnten Sie dies ja noch im einzelnen genauer nachweisen.
— Die können alle rechnen; da braucht man niemandem einen Taschenrechner schenken.Ich möchte mich auch bei Minister Offergeld und den Mitarbeitern des BMZ bedanken, ebenfalls bei den Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen und nicht zuletzt auch beim Bundesrechnungshof, der uns in einigen Passagen in letzter Minute noch einige Hilfestellungen gegeben hat, so daß die Institutionen, die im Ausbildungsbereich tätig sind, auch in diesem Jahr ihre Aufgaben erfüllen können. Sie wissen, Herr Kollege Schröder, von welchen Schwierigkeiten ich sprach. Aber daraus wird auch deutlich, daß wir uns in absehbarer Zeit in der Tat darüber werden intensiv unterhalten müssen, inwieweit wir zu einer Neuordnung im Aufgabenbe-
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Estersreich der beruflichen Aus- und Fortbildung zwischen der Carl-Duisberg-Gesellschaft und der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung kommen wollen. Wir haben dies vor einigen Jahren schon einmal angeschnitten. Ich nehme an, daß Minister Offergeld in absehbarer Zeit das entsprechende Konzept vorlegen wird.Da wir dies in gemeinsamer Arbeit, in gemeinsamer Beschlußfassung einschließlich der Zulage von rund 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 gemacht haben, wäre ich Ihnen, Herr Kollege Schröder, doch dankbar, wenn Sie sich noch einmal überlegen würden, ob Sie diesem Einzelplan nicht ausnahmsweise doch Ihre Zustimmung geben könnten. Denn nirgendwo hat es — ich sage ausdrücklich: glücklicherweise — eine so große Übereinstimmung in der Sache gegeben wie hier. Dies müßte Ihnen eigentlich auch dadurch eine Mitwirkung ermöglichen, daß Sie diesem Einzelplan Ihre Zustimmung geben. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan in seiner Struktur und mit seiner Höhe des Zuwachses spricht eigentlich für sich. Ich gebe dem Kollegen Schröder zu, daß er gegenüber früheren Haushaltsberatungen hier schon mehr Flexibilität an den Tag gelegt hat, als gemeinhin vom ihm erwartet wird. Ich würde ihm noch ein Jahr gönnen und zubilligen: Von seiner Lernfähigkeit bin ich so überzeugt, daß ich glaube, daß im nächsten Jahr aus dem jetzt noch etwas mißmutig hingebrummten Nein ein Ja wird. Von daher möchte ich Sie alle herzlich bitten, dem Einzelplan, wenn es möglich ist, doch noch zuzustimmen.
Ich bitte Sie ferner, angesichts der Erhöhung draußen zu sagen, daß der Deutsche Bundestag an einer — auch für unsere internationalen Verpflichtungen — sehr wichtigen Stelle seinen Verbindlichkeiten nachkommt, während es andere Länder auf dieser Welt gibt, die in dieser Frage etwas zögerlicher werden. Ich meine, das sind Investitionen in die Friedens- und Sicherheitspolitik. Der Bundesaußenminister hat das heute nachmittag meines Erachtens sehr deutlich und überzeugend gesagt.
Wir sollten uns vielleicht alle diesen Ruck geben. Sofern wir ihn uns in diesem Jahr noch nicht geben können, hoffen wir auf das nächste Jahr. Der Einzelplan 23 wird dann wieder aufgerufen und vielleicht mit gemeinsamer Unterstützung verabschiedet. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß sich die Opposition zumindest auf einem Feld der Politik als lernfähig er-
weist. Ihr Noch-nicht-Zustimmen bringt mich zu dieser Vermutung, Herr Schröder.
Ich will zwei Bemerkungen machen. Die erste wird hervorgerufen durch den Beitrag von Herrn Schröder. Herr Schröder, wir sind uns völlig darüber einig, daß die Entwicklung der menschlichen Fähigkeit — Ausbildung, Bildung — Basis jeder Entwicklung ist. Die Förderung der Fähigkeit, sich selbst zu helfen, steht am Anfang jeder Entwicklungspolitik. Sie wissen, daß das Inhalt der Politik der Bundesregierung ist und daß dies auch im Haushalt zum Ausdruck kommt. Kapitaltransfer ist dann der zweite Schritt.
Es ist einfach nicht richtig, wenn Sie sagen, wir täten nichts zur Ausbildung des Handwerks. Die Einrichtung von Gewerbeschulen zum Beispiel hat eine lange Tradition in der deutschen Entwicklungspolitik. Sie ist geradezu ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik. Wir tun eine ganze Menge zur Förderung des kleineren und mittleren Handwerks. Ich wollte das nur schlicht ohne jede Polemik feststellen. Das war meine erste Bemerkung.
Zweite Bemerkung: Ich danke den Berichterstattern, dem Haushaltsausschuß, dem zuständigen Fachausschuß und allen Abgeordneten, die an der Gestaltung des Einzelplanes 23 Anteil genommen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß wir uns die Lernfähigkeit im nächsten Jahr gegenseitig bestätigen können, Herr Minister, wenn wir Ihnen dann bescheinigen können, daß Sie auf das eingegangen sind, was der Kollege Schröder Ihnen tatsächlich geraten hat, nämlich ideologischen Ballast jetzt wirklich abzuwerfen, damit wir Ihrem Haushalt im nächsten Jahr zustimmen können. Noch sind wir nicht so weit; das hat der Kollege Schröder zum Ausdruck gebracht.Ich möchte noch zu einem anderen entscheidenden Punkt sprechen. Hier wird zum Ausdruck gebracht, daß der Etat Ihres Hauses eine doppelt so hohe Steigerungsrate wie der Gesamthaushalt hat. Dem steht entgegen — und das darf dann nicht verschwiegen werden, Kollege Esters —, daß der Anteil der öffentlichen deutschen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt von 0,44 auf 0,43 abgesunken ist. Das zeigt, wie weit Sie von den 0,7 % entfernt sind. Mein Kollege Schröder hat deshalb bereits gesagt, daß, soweit wir von den Zahlen auch entfernt sind, dieser Anteil allein trotzdem noch kein Maßstab ist, um Entwicklungshilfe zu beurteilen. Denn mit Geld-ausgeben wird j a noch überhaupt nicht dokumentiert, was die deutsche Entwicklungspolitik bisher in der Dritten Welt erreicht hat. Darüber hätten wir von Ihnen gern mehr gehört — bei aller Kürze am Abend —, Herr Minister.Was wird erreicht? Als Erfolg dürfen wir nicht auf Dauer bezeichnen, wieviel Geld für die Dritte Welt ausgegeben wird. Der deutsche Steuerzahler will
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Pierothwissen, was mit seinem Geld in der Dritten Welt erreicht worden ist.
In einer Zeit, wo Geld allenthalben knapper gehalten wird, ist Lediglich-Geldausgeben ein sehr merkwürdiges Erfolgserlebnis. Daß die deutschen Steuerzahler gern mitmachen, zeigen die Erfolge der kirchlichen Hilfsaktionen. Ich kann dem Kollegen Schröder hier nur beipflichten, wenn wir den Dank denen abstatten, die über Jahrzehnte hinweg nicht nur Geld ausgeben, sondern mit ihrem Einsatz draußen so viel erreicht haben.Was die Entwicklungshilfe der Regierung bringt, wissen wir leider immer noch zuwenig. Wir können es auch gar nicht wissen, weil, wie unsere verschiedenen Fragenserien gezeigt haben, die Bundesregierung gar nicht weiß, was sie mit dem Geldausgeben bezweckt. Deshalb kann sie auch über die Erfolge wenig aussagen.
Eine letzte Bemerkung. Wir müssen die Bundesregierung immer wieder fragen: Was haben Sie bisher getan, um solche Sozialreformen in der Dritten Welt zu fördern, die die freie Initiativkraft der Menschen selber, die Produktivkraft der Armen entwickeln helfen? Das ist doch das, was wir brauchen, damit die Tätigkeit unserer kirchlichen Organisationen, der freien Träger draußen in der Welt ihre Entsprechung findet.Sie finden dann auch unsere Jugend bereit. Hier müssen Sie jetzt politische Führung und Verantwortungsbereitschaft zeigen. Die Jugend in der Bundesrepublik Deutschland findet es hier doch vielfach schon langweilig, weil alles geregelt ist, und in den Entwicklungsländern gleichzeitig so trostlos, weil dort noch alles fehlt. Zeigen Sie hier die Wege auf, wie junge Menschen draußen in der Welt vor sich selbst und vor anderen bestehen können!
Herr Minister, wenn Sie das zeigen, dann werden Sie auch mehr Erfolg haben, mehr Erfolg auf dem Wege, nicht mit Millionenprojekten draußen in der Welt abzuschrecken, sondern mit Millionen von Projekten draußen in der Welt die Produktivkraft der Armen zu stärken. Auf diesem Weg sind wir Ihnen gern behilflich.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Luuk.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich meine, daß wir die Bundesregierung am Schluß dieser Debatte ermuntern sollten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Kenntnisse und das Wissen um die Probleme der Entwicklungspolitik zu verbreitern. Information und Aufklärung sind unabdingbare Voraussetzungen in einem Prozeß zur Vertiefung der Zusammenhänge zwischen nationaler und internationaler Entwicklung.Hervorzuheben ist, daß das Interesse und die Aufmerksamkeit für Probleme und Aufgaben der Entwicklungspolitik in unserem Land gestiegen ist und die Bereitschaft von Parteien, Verbänden und Kirchen, ihren Beitrag zur Unterrichtung der Bevölkerung zu leisten, ständig zunimmt.In Berlin sind übrigens Überlegungen, in Abstimmung mit der Bundesregierung ein Informationszentrum Dritte Welt einzurichten, in ein konkretes Stadium getreten. Dieses Zentrum sollte die Aufgabe haben, nicht nur der Berliner Bevölkerung, sondern auch die vielen westdeutschen und ausländischen Besucher mit den wichtigsten Themen der Entwicklungsarbeit vertraut zu machen.Herr Kollege Pieroth, dieses Projekt erwähne ich, damit Sie nicht eines Tages — Sie sind ja für eine wichtige Position in Berlin vorgesehen —
freudestrahlend bei der Bundesregierung vorstellig werden und sagen, Sie hätten da eine ganz neue Idee.
Ich möchte einen Aspekt aus dem Bereich der Entwicklungshilfe besonders herausgreifen, über den zwar nicht so oft geredet wird, den ich aber für außerordentlich wichtig halte. In der 35. ordentlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1980 ist deutlicher als in früheren Zeiten darauf hingewiesen worden, daß entscheidende Maßnahmen zur Eliminierung der strukturellen Ungleichgewichte ergriffen werden müssen, die die benachteiligte Lage der Frauen verursachen und verewigen. Alle Länder machen es sich zur Aufgabe, die gleichberechtigte Mitwirkung und Beteiligung der Frauen in allen Bereichen des Lebens und auf allen Ebenen des Entwicklungsprozesses zu gewährleisten. Ohne Mitwirkung der Frauen kann die wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht eingeleitet werden. Entwicklungshilfe muß dies berücksichtigen, will sie erfolgreich sein.
Darum ist der Ansatz der Bundesregierung, der Bekämpfung der absoluten Armut Vorrang zu geben, auch insoweit zu begrüßen, als nämlich dort, wo für Nahrung, sauberes Trinkwasser, Gesundheit, Kleidung, Wohnung und Bildung gesorgt wird, dies gerade und in erster Linie den Frauen zugute kommt.Als ein Beispiel für eine gute Aktion des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit erwähne ich die Unterstützung eines Frauenprojekts in Jambio, einer Provinzstadt im südlichen Sudan. Vor zwei Jahren gingen dort die Frauen auf die Straße und demonstrierten für die Einrichtung eines Krankenhauses samt einer Geburtshilfestation. Das Ministerium hat zur Unterstützung eines solchen Zentrums, in dem Problemgeburten behandelt und die Ausbildung und Betreuung von Dorfhebammen in der Umgebung organisiert werden, einen Betrag von rund 600 000 DM bereitgestellt. Es ist ja auch
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Frau Luukvon Ihnen, Herr Pieroth, angesprochen worden, daß solche kleineren Projekte zu begrüßen sind. Bei dieser Maßnahme handelt es sich nämlich nicht um einen Superlativ, sondern um ein Projekt, das die Bedürfnisse vor Ort befriedigt, das standortgerecht ist und das von der Bevölkerung gewünscht und angenommen worden ist. Das kann ein Beispiel abgeben.Zum Schluß möchte ich einen Grundsatz unserer Entwicklungspolitik ebenso schlicht wie zutreffend zusammenfassen, nämlich: Entwicklung muß von unten kommen. Ich nenne in diesem Zusammenhang zwei Maßstäbe.Entwicklungspolitik ist daran zu messen, ob sie ihrer Aufgabe gerecht wird, Friedens- und Entspannungspolitik zu sein. Das kann sie nur erreichen, wenn sie an den Konfliktursachen und den Strukturen von Armut und Unterentwicklung in der Dritten Welt ansetzt.Entwicklungspolitik darf die Lebensbedingungen der Industrienationen nicht zum alleinseligmachenden Maßstab nehmen, der einfach zu übertragen wäre.
Frau Kollegin, ich bitte, Ihre Rede zu beenden. Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ja. — Ich darf mit einem Zitat des Präsidenten des Club of Rome schließen, der ausgeführt hat:
Es ist das erste Mal, daß die Zukunft des Menschen allein in seiner Hand liegt und daß er als Steuermann das Raumschiff Erde auf seine Reise in die nächsten Jahrhunderte steuern kann.
Übertragen in die nüchterne Sprache unserer Debatte hier heißt das: Wir können am Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ablesen, daß wir unseren Beitrag dazu geleistet haben, daß die Richtung stimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer. — Herr Kollege Vohrer, nach der vereinbarten Redezeit stehen Ihnen noch zwei Minuten zu.
Frau Präsident! Verehrte Kollegen! In zwei Minuten aussagekräftiges Zahlenmaterial hinsichtlich der Steigerungsraten und Haushaltsstrukturdaten auszubreiten, halte ich für wenig sinnvoll. Daher möchte ich zu dem Haushalt nur sagen, daß es schwierig ist, auf der einen Seite Steigerungsraten vorzuweisen, die uns dem 0,7 %Ziel näherbringen, und auf der anderen Seite einen Beitrag zum Sparen zu leisten. Insofern wird es die Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Qualität der Entwicklungshilfe zu verbessern. Hier sind auch die Parlamentarier gefordert, darüber hinaus Vorschläge einzubringen, die neben dem bisherigen Instrumentarium auch dazu führen können, daß unsere entwicklungspolitische Konzeption durch den Dialog mit den Entwicklungsländern, aber auch mit den OPEC-Ländern neue Impulse bekommt. Denn unsere quantitativen Ansätze sind beschränkt. Mit ihnen wird die große Kluft zwischen Armen und Reichen, vor der wir stehen, sicherlich nicht verringert werden können. Insofern geht es jetzt darum, die Phantasie und den Ideenreichtum der Parlamentarier mit in die kommende Diskussion einzubringen, damit wir unserem Ziel, einer wirksamen Hilfe für die Dritte Welt näherkommen. — Ich bedanke mich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 11 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 23 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
— Drucksache 9/490 — Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm Gerster
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprache mit Beiträgen von zehn Minuten für jede Fraktion vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Stille, die um den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen entstanden ist, könnte dafür sprechen, daß es ihn gar nicht mehr gibt. Es gibt ihn aber noch, und daher muß über seinen Etat kurz gesprochen werden. — Ich begrüße den Minister. Er sitzt auf der Regierungsbank, fröhlich, wie wir ihn kennen.Die öffentliche Finanzmisere hat vor dem Etat des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen nicht Halt gemacht. Von Kürzungen wurden vor allem die deutschlandpolitische Arbeit vieler Verbände und Vereine, die deutschlandpolitische Forschung und das Zonenrandgebiet betroffen. Diese Kürzungen sind hart, wurden von der Union aber mitgetragen, da diese die Regierung am Sparen wirklich nicht hindern will.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2335
Gerster
Meine Damen, meine Herren, wir bemühen uns gerade in der Deutschlandpolitik um Gemeinsamkeit. Diese soll die Menschen in beiden deutschen Staaten näher zueinanderbringen. Wie sollte dies gelingen, wenn wir uns als Menschen hier im freien Westen bei dieser Frage auseinanderdividieren wollten? Allerdings sollte unsere Deutschlandpolitik auch klar der Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR dienen. Vor allen Dingen darf sie auch das Ziel, die Vereinigung der Deutschen in Ost und West in Frieden und Freiheit zu vollenden, nicht aus den Augen verlieren.
Bei aller Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik setzt hier unsere Kritik an. Hier liegt ein Feld, das gerade vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zu wenig bearbeitet wird. Was hat der Minister für innerdeutsche Beziehungen, der heute j a die Zustimmung zu seinem Haushalt wünscht, auf deutschlandpolitischem Gebiet eigentlich geleistet?
Wir wissen, bei den deutsch-deutschen Gesprächen ist er seit langem abgemeldet. Diesen Teil der Politik besorgt das Kanzleramt. Die Gründe hierfür sind uns allen bekannt. Die Frage ist aber: Gibt es nicht viele andere Felder, auf denen er tätig werden müßte?Am 14. Juni dieses Jahres finden die Volkskammerwahlen in der DDR statt. Es sind keine freien Wahlen und damit keine Wahlen im Sinne demokratischer Auswahl. Erstmals werden dadurch aber die Vertreter Ost-Berlins in der Volkskammer direkt bestimmt. Damit wird Ost-Berlin natürlich sichtbar wieder ein Stück mehr in die DDR hineingerückt, in sie einverleibt.
Ich bin sicher, der innerdeutsche Minister protestiert dagegen so wenig wie bei früheren Rechtsverletzungen durch das DDR-System.
Oder: Hat Herr Minister Franke — privat ja ein sehr ehrenwerter Mann, politisch aber ziemlich wirkungslos — als Minister für innerdeutsche Beziehungen die Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes nicht fast wortlos hingenommen? Offenbar würde er gern sprechen. Offenbar darf er es aber bei dieser Regierung nicht. Sollte nicht gerade ein Minister für innerdeutsche Beziehungen diese Gebühr, die j a einer Kontaktsperre gleichkommt, immer wieder geißeln? Ich meine, auch dies würde er schon wollen; offenbar darf er es aber nicht.
Meine Damen, meine Herren, ich komme auf ein zweites Feld zu sprechen. Sozialdemokraten rühmen sich j a seit vielen Jahren, daß ihre Partei für die Menschenrechte eintritt.
Wir haben ja heute abend wieder ein besonderesBeispiel dafür erlebt. Sie waren und sind immer sehrwortgewaltig zur Stelle, wenn es um mehr Demokratie, um mehr Menschenrechte in der Türkei geht.
Wo aber bleiben die Sozialdemokraten, wo bleibt diese Bundesregierung, wo bleibt dieser Minister, wenn es um das Nächstliegende, nämlich um die Deutschen geht? Wenige Kilometer von hier sitzen Tausende von politischen Häftlingen hinter Gittern, wie amnesty international festgestellt und beklagt hat. Wo bleibt hier der Minister, der in freien Wahlen in einem freien Land gewählt ist, als Sprecher für diejenigen, die in einem unfreien Land aus politischen Gründen hinter Gittern sitzen?
Klingen seine leisen Kommentare nicht eher beschwichtigend? Man sollte erwarten, daß er für die Freiheit der Menschen, die in Unfreiheit gebunden sind, das Wort ergreift.Nun zu einem dritten Feld. Auch die SPD spürt doch, daß ihr Jugendliche zunehmend weglaufen. Diese sind auf der Suche nach neue Idealen. Sie wenden sich von den Etablierten ab. Wann erkennt die Bundesregierung endlich, daß der Ruf nach Freiheit und Einheit für alle Deutschen gerade auch für die heutige Jugend ein Ideal sein kann? Diese Forderung ist doch genauso wenig utopisch wie der Ruf nach Frieden in El Salvador. Wann wird unser innerdeutscher Minister wieder zum Rufer für die Einheit?Wer glaubt, dies seien überholte Forderungen, sollte sich einmal den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker anhören, der am 15. Februar 1981 vor der Bezirksdelegiertenkonferenz in Ost-Berlin wörtlich erklärte — ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz zitieren —:Und wenn heute bestimmte Leute im Westen großdeutsche Sprüche klopfen und so tun, als ob ihnen die Vereinigung beider deutscher Staaten mehr am Herzen liegen würde als ihre Brieftasche, dann möchten wir ihnen sagen: seid vorsichtig! Der Sozialismus klopft eines Tages auch an eure Tür, und wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen ... an die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland gehen, dann steht die Frage der Vereinigung beider deutschen Staaten vollkommen neu. Wie wir uns dann entscheiden, daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen.
Meine Damen, meine Herren, Erich Honecker setzt mit dieser Rede auf die Wiedervereinigung im Sozialismus. Was oder wer hindert uns und den Minister daran, dem die Wiedervereinigung in Freiheit entgegenzusetzen? Ist es mangelnder Mut, mangelndes Selbstvertrauen, mangelnde Gewißheit, daß unser freies System überlegen bleibt? Wann und wo hört man den innerdeutschen Minister zu Fragen der Vereinigung beider deutscher Staaten?Meine Damen, meine Herren, ein letzter Punkt, den ich aus Zeitgründen nur kurz anspreche:
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2336 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
GersterWo bleibt eigentlich der Einsatz des Ministers für die Zonenrandgebiete?
Wir haben gerade in diesem für die Zonenrandgebiete — Herr Kollege Walther, Ihnen vielleicht ein Fremdwort, aber den Haushaltsexperten ansonsten ein bekannter Begriff — wichtigen Haushalt eine Kürzung hinnehmen müssen. Meine Damen, meine Herren, wo bleibt da die Versicherung des Ministers, daß die gesetzliche Pflicht in diesem Bereich auf Dauer erfüllt werde? Wir hätten es gern, daß er sich heute abend hier zu dieser Frage erklärt.Die Union hat im Haushaltsausschuß geholfen, im innerdeutschen Etat zu sparen. Sie wollte diese Absicht der Koalition — wie bereits gesagt — nicht erschweren. Dennoch stimmen wir diesem Etat nicht zu. Der Minister für innerdeutsche Beziehungen wächst nämlich immer mehr in die Rolle eines blassen Buchhalters und Kassenverwalters. Seine politische Bedeutung reduziert sich auf die inoffizielle Funktion als Chef der Kanalarbeiter und zeigt sich nicht im Einfluß als zuständiger Minister eines so wichtigen Ressorts. Damit bleibt er uns zwar persönlich vertraut — er wird auch als Person anerkannt, und ich möchte fast sagen: er ist uns lieb —, aber er ist uns politisch ein Stück zu teuer. Aus diesem Grunde lehnen wir seine Politik des Schweigens ab, indem wir dem Einzelplan 27 unsere Zustimmung verweigern.
Das Wort hat der Abgeordnete Nehm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der einzige Punkt, auf den ich hier eingehen möchte, soll die Zonenrandförderung sein, die auch mein Vorredner, Herr Gerster, angesprochen hat. Was in den letzten Jahren in der Zonenrandförderung geschehen ist, ist, glaube ich, beispielhaft — und ich weiß, wovon ich spreche, ich habe einen Zonengrenzwahlkreis.
Es ist beispielhaft und weit über das hinausgehend, was vor der Zeit der sozialliberalen Koalition in dem Gebiet geschehen ist.
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen ist mit 0,2 % des Gesamtvolumens des Haushaltes 1981 ein kleiner Haushalt. Die Bemühungen um notwendige Einsparungen konnten auch vor einem solchen kleinen Haushalt nicht Halt machen. Wir haben aber auch das Problem gesehen, daß Kürzungen einen kleineren Haushalt härter treffen als einen großen, in dem interne Ausgleichsmöglichkeiten bestehen. Wir haben insbesondere nicht aus dem Auge verloren, daß aus den Mitteln dieses Ministeriums Maßnahmen finanziert werden, die im gesamtdeutschenInteresse liegen. So wurden die Ansätze für Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters nicht gekürzt. Diese sind: Kosten auf Grund des Gesundheitsabkommens, die Förderung des Besuchsreiseverkehrs aus der DDR, die Subventionierung der Omnibuslinien im grenzüberschreitenden Verkehr. Das alles sind Maßnahmen, die der Förderung von Begegnungen der Menschen beider Teile Deutschlands dienen, damit die Fäden zwischen ihnen nicht abreißen. Es ist unser Beitrag zur Solidarität mit unseren Landsleuten in der DDR, von der auch der Bundeskanzler in seinem Bericht zu Lage der Nation gesprochen hat.Diese Hilfsmaßnahmen umfassen aber auch die besonderen Bemühungen des innerdeutschen Ministeriums zur Zusammenführung von Familien und zur Befreiung politischer Häftlinge. Diese Bemühungen müssen im Interesse der betroffenen Menschen fortgesetzt werden.
— Herr Gerster, das wollen wir lieber lassen. Hier handelt es sich um eine Aufgabe, über die in der Öffentlichkeit wenig gesprochen werden kann. Darunter muß zwangsläufig die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums leiden.Die Mittel für die deutschlandpolitische Bildungsarbeit wurden ebenfalls maßvoll gekürzt. Wir halten an der großen Bedeutung dieser Maßnahmen fest, weil wir damit der Bevölkerung breite deutschlandpolitische Informationsmöglichkeiten anbieten wollen. Dies gilt insbesondere für die Jugend in unserem Lande, bei der wir das deutschlandpolitische Interesse, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den Menschen in der DDR wecken und wachhalten wollen.Die Kürzung der Mittel für die deutschlandpolitische Forschung trifft einen empfindlichen Bereich. Dieser Entschluß ist uns nicht leichtgefallen, weil die Ergebnisse dieser Forschung das Material und die Grundlagen für unsere Deutschlandpolitik bilden. Wenn wir das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes ernst nehmen, wenn wir unseren Wunsch und unseren Ruf nach Wiedervereinigung und unser Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit ehrlich meinen, wenn wir das Auseinanderleben verhindern und das Zusammenwachsen fördern wollen, dürfen uns die Lebensumstände der Menschen in der DDR nicht gleichgültig sein.
Die maßvolle Kürzung der Zonenrandförderung kann nicht begrüßt werden, weil davon auch deutschlandpolitische Aspekte berührt werden; ist doch die Zonenrandförderung keine regionale Wirtschaftsförderung üblicher Art. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der deutschlandpolitischen Aufgabenstellung, die Folgen der Teilung Deutschlands und der Grenzziehung sind. Weite Teile des heutigen Zonenrandgebietes zählten schon vor der Grenzziehung nicht gerade zu den wirtschaftlich stärksten Gebieten. Durch die Grenzziehung ist dieser früher
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Nehmzentral gelegene Raum jedoch zu einem Randgebiet der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft- geworden und somit doppelt benachteiligt. Die sozialliberale Koalition hat es jedoch verstanden, die Benachteiligungen dieses Gebietes zu mindern beziehungsweise auszugleichen.
Mit der Zonenrandförderung hat sie dazu beigetragen, den Lebensstandard der Menschen im Zonenrandgebiet anzuheben und die Lebensqualität zu steigern. Viele Ausbildungsplätze wurden geschaffen und das Freizeitangebot beträchtlich erweitert. Wirtschaftliche Krisen schlagen deshalb nicht mehr unvermindert auf das Zonenrandgebiet durch.
Trotzdem werden wir bei den kommenden Haushalten überlegen müssen, ob wir nicht die Mittel für die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu Lasten anderer Aufgaben umschichten beziehungsweise verstärken müssen. Nur damit kann verhindert werden, daß immer mehr junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz aus dieser Region abwandern.Auf dem Gebiet der Infrastruktur des Zonenrandgebietes bleibt noch manches zu verbessern. Der öffentliche Nahverkehr weist trotz aller Bemühungen und Erfolge auf dem Gebiet der Verkehrserschließung noch große Lücken auf, und es hapert bei der Anbindung an die Nord-Süd-Verbindung der Bundesbahn. Solange die Teilung Deutschlands und die Undurchlässigkeit dieser Grenze bestehenbleiben, muß der davon betroffene Raum bevorzugt gefördert werden.
Diese sozialliberale Koalition hat die Absicht dazu.Insgesamt gesehen ist das Ministerium weiter voll arbeitsfähig und kann seine Aufgaben erfüllen.
Es ist uns trotz maßvoller Kürzungen gelungen, jene Bereiche vor Einschnitten zu bewahren, die die bisherige Deutschlandpolitik gefährden könnten.Die SPD-Fraktion stimmt dem Einzelplan 27 zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gerster — ich sehe ihn gerade nicht — —
— Ach, da sind Sie ja, entschuldigen Sie, aber das Plenum ist noch so erfreulich besetzt, daß man auch einen so bedeutenden Kollegen wie Sie übersehen kann — aber nur im ersten Ansatz.
Herr Kollege Gerster, wenn man Ihren Worten über den zuständigen Minister folgen würde, könnte er einem leid tun; denn Sie stellen ihn dar, als wenn er zwar sehr wohlwollend und freundlich, aber beinahe mit einem Maulkorb versehen dasäße und keine Politik betreiben könnte. Ich muß sagen, wir haben einen ganz anderen Eindruck von ihm. Er treibt eine sehr aktive und erfolgreiche Politik.
— Nicht nur in Hannover; nebenbei, ich komme aus Hannover. — Aber, Herr Kollege Gerster, einige Dinge von denen, die Sie genannt haben, bedürfen der Behutsamkeit; man kann sie sicherlich nicht vor der Öffentlichkeit austragen, sondern muß es woanders tun, wenn man erfolgreich sein will. Ich kann nur sagen: Das wird von diesem Ministerium und von diesem Minister durchaus mit Erfolg getan.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?
Bitte.
Herr Kollege Wendig, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich gern bereit bin, diesen Teil der Leistungen des Ministers anzuerkennen, von denen ich weiß, daß wir über diese Leistungen hier in der Tat nicht reden können, über die die DDR zum Teil aber auch aus fiskalischen Gründen oft recht froh sein kann. Es wird aber trotzdem anerkannt. Würden Sie mir aber zustimmen, daß das, was ich angesprochen habe, wesentliche Merkmale gerade auch dieses Ministers sein müßten, daß solche Merkmale bei ihm aber nicht erkennbar sind?
Herr Kollege Gerster, ich nehme natürlich immer gern etwas zur Kenntnis — wenn es stimmt. Es stimmt zu einem Teil. Zu einem anderen Teil — und auf den komme ich gleich noch zu sprechen — ist es aber nicht allein der Aufgabenbereich dieses Ministers, sondern ein wenig mehr. Ich darf nachher noch ausführen, worauf es dabei ankommt, insbesondere da Sie vorhin von dem nicht. gehörigen Reagieren dieses Ministeriums auf die Volkskammerwahl und das Einbeziehen Ost-Berliner Bürger in diese Wahl gesprochen haben.Aber ich wollte mich im Grunde in dieser „Wichtelmannrunde", wie sie Herr Kollege Löffler freundlicherweise genannt hat, wirklich kurz fassen. Es kommt mir bei diesem Einzelplan 27 nämlich nur auf zwei Punkte an, die ich herausstellen wollte. Das eine ist die Zonenrandförderung, und das zweite sind die Titel des Haushalts, die die Förderung der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit betreffen.Die Mittel für die Zonenrandförderung — ich darf es hier auch noch einmal wiederholen —, sind um 5 Millionen DM von 130 Millionen DM auf 125 Millionen DM gekürzt worden. So sehr eine solche Kürzung zu bedauern ist, muß sie im Rahmen der allgemeinen haushaltspolitischen Situation akzeptiert werden. Das gilt auch für das Zonenrandgebiet. Das, Herr Gerster, haben Sie sicherlich auch nicht bestritten. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber hervorheben, daß es auch mit diesem Haushalt gelungen ist, das bisher bestehende Präferenzgefälle — und darauf, meine Damen und Herren, kommt es entscheidend an — aufrechtzuerhalten. Nach der
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Dr. WendigBerlin-Förderung verbleibt damit das Zonenrandgebiet vor den anderen Fördergebieten auf dem zweiten Platz.Ich verkenne — insbesondere im Blick auf die gestrige Debatte zum Einzelplan 09 — nicht, daß die Förderung des Zonenrandgebietes nicht ohne die Maßnahmen zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur im allgemeinen gesehen werden kann. Ich möchte hier nichts von dem wiederholen, was gestern zu dieser Frage an Zustimmung bzw. Ablehnung vorgetragen worden ist. Sicher wird man erkennen müssen, daß strukturelle Entwicklungen in anderen Gebieten der Bundesrepublik, also in Gebieten außerhalb des Zonenrandgebietes, andere und zum Teil nicht minder schwerwiegende wirtschaftspolitische Probleme aufwerfen.
Aus dieser Sicht — das gilt im Grunde genommen für uns alle, in jeder Fraktion; machen wir uns doch nichts vor — mag es politisch durchaus vertretbar sein, die Frage der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Bestimmung der maßgeblichen Förderkriterien für die Abgrenzung der Fördergebiete und anderes mehr einer sehr gründlichen Überprüfung zu unterziehen, die auch vor dem Hintergrund der Zonenrandförderung gesehen werden muß.Wenn wir gleichwohl — wie ich meine, zu Recht — das Präferenzgefälle beibehalten haben, so aus der richtigen Erkenntnis, daß die Tatsache der Spaltung Deutschlands und der dadurch bedingten Abseitslage bestimmter Gebiete eben nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Dimension besitzt. Daran müssen wir in diesem Zusammenhang festhalten.
Im Bereich der Förderung der deutschlandpolitischen Bildungs- und Informationsarbeit sind im Einzelplan 27 einige — hier muß ich auch sagen: nicht so stark ins Gewicht fallende — Kürzungen enthalten. Ich gehe mit meinen politischen Freunden von der FDP davon aus, daß es bei einer sehr sorgsamen Planung dem zuständigen Ministerium und den in seinem Auftrag tätigen Stellen gelingen wird, in etwa gleichartige bzw. gleichwertige Ergebnisse in der Bildungs- und Informationsarbeit zu erzielen wie bisher. Ich betone, daß wir hierin ein besonderes Schwergewicht in der politischen Arbeit des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen erblicken.Bei der Förderung — das haben meine Kollegen auch schon gesagt — der deutschlandpolitischen Forschung ist die Kürzung — von 4,1 auf 3,5 Millionen DM — etwas kräftiger ausgefallen. Hierzu sage ich Ihnen meine Meinung: Bei einem Überdenken des Einzelplans 27 für das kommende Haushaltsjahr sollten wir prüfen, ob nicht die deutschlandpolitische Forschung aus Gründen, auf die ich nicht näher eingehen will, stärker gefördert werden sollte, wobei dann natürlich der Ausgleich aus anderen Positionen des Einzelplans 27 gefunden werden muß. Darüber werden wir reden müssen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich über Deutschlandpolitik im Grundsätzlichen im Rahmen dieses Kurzbeitrages nur wenig sagen. Ich will darauf nur am Rande eingehen, zumal wir, was zwar noch offen, aber wohl wahrscheinlich ist, am 17. Juni eine Debatte über deutschlandpolitische Fragen zu führen haben werden. Dabei kommt auch der Punkt zum Tragen, Herr Kollege Gerster, den Sie angesprochen haben: Wie stehen wir und verhalten wir uns zu der Frage, daß beispielsweise bei den Volkskammerwahlen — das bedeutet praktisch eine endgültige Einbeziehung Ost-Berlins — jetzt genauso gewählt wird wie im übrigen Bereich der DDR? Aber das — ich sage es noch einmal — ist eine Frage, die ich nicht nur an den Herrn Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zu richten habe.Ich möchte noch einmal das unterstreichen, was Herr Genscher in seinem Beitrag heute gesagt hat, nämlich daß es auch in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation darauf ankommt, den Dialog mit der DDR fortzuführen, weil nicht zu bestreiten ist, daß Wechselwirkungen aus den deutsch-deutschen Beziehungen auf das Weltverhältnis und umgekehrt ausgehen. Neben den Bemühungen, mit den politischen Mitteln unserer Friedenspolitik auf ein Rüstungsgleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau in Europa und in der Welt hinzuwirken, muß unsere Aufgabe auch darin bestehen, im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander alles zu tun, damit von deutscher Seite Spannungen nicht zusätzlich erhöht, sondern abgebaut werden. Ich sage dies, obwohl ich weiß, wie wir alle wissen, daß die DDR seit dem Spätsommer des vergangenen Jahres bewußt eine Abgrenzungspolitik betreibt, am stärksten dokumentiert durch die bekannte Erhöhung der Zwangsumtauschsätze.Wir, die FDP, sind davon überzeugt, daß auch oder vielleicht gerade in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage alles dafür spricht, die Bemühungen um eine Wiederaufnahme und Fortführung der Gespräche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu verstärken. Die Unterschiedlichkeit der politischen und gesellschaftlichen Systeme, auch die menschenverachtende Situation an der Grenze entbindet uns nicht von der politischen Verpflichtung, den seit einigen Monaten eingetretenen Stillstand zu überwinden.Ich schließe damit: Welche Schwierigkeiten auch immer bestehen mögen, so gehen wir mit der Hoffnung und Erwartung in die kommenden Monate, daß das Jahr 1981 für die Fortführung der im Jahre 1969 begonnenen Politik hinsichtlich der deutschdeutschen Verhältnisse erkennbare Zeichen nach vorn setzen wird. — Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsident Frau RengerWir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 27. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 13 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer dem Einzelplan 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe auf: Einzelplan 14Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung— Drucksache 9/484 —Berichterstatter:Abgeordnete Hauser StöcklWürtzDr. ZumpfortDr. Riedl
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart. — Dageben erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser .Hauser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der heutigen Grundsatzaussprache sind viele wichtige und zutreffende Feststellungen und Forderungen erhoben worden, ist die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland in ihren weltweiten und ihren europäischen Zusammenhang gestellt worden. Uns bleibt jetzt die weniger dankbare Aufgabe, über Einzelheiten des Verteidigungshaushaltes 1981 zu sprechen.Ich will dies nicht tun, ohne zu Beginn noch einmal festzustellen: Es wäre uns lieber, wenn wir die großen Sorgen, die uns die Erhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit bereitet, nicht hätten, wenn das Ziel eines internationalen Abkommens, einer tragfähigen Vereinbarung zwischen West und Ost, über eine allseitige kontrollierte Abrüstung erreicht wäre und dieses Abkommen eingehalten würde. Die CDU/ CSU ist alles andere als von der Lust an starker Aufrüstung durchdrungen.
Wir würden die Milliarden des Verteidigungshaushaltes sehr viel lieber anderen Zwecken zuführen.Angesichts der weit überproportionalen, alle Verteidigungsbedürfnisse überschreitenden aggressiven Aufrüstung der Sowjetunion und der übrigen Staaten des Warschauer Paktes, angesichts der gewaltsamen Besetzung Afghanistans, der Angriff s-handlungen und Stellvertreterkriege mit Unterstützung durch die Sowjetunion in vielen Staaten Afrikas und Asiens, wie angesichts des bisherigen Mißerfolges z. B. der Wiener Truppenbegrenzungsverhandlungen bleibt uns nichts anderes übrig, als im Nordatlantischen Bündnis unseren Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten.
Die Höhe dieses Verteidigungsbeitrages ist vom Ausmaß und von der Intensität der Bedrohung abhängig. Es gibt keine Regel, wonach der Verteidigungshaushalt einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtausgaben erreichen müßte, es gibt auch keine Regel, wonach er einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten darf. Eine Verteidigung, die zu schwach wäre, um einen potentiellen Angreifer abzuschrecken, würde ihren Zweck verfehlen. Deshalb verbietet es sich bei Haushaltsschwierigkeiten, wie wir sie in der Bundesrepublik im Augenblick im erheblichem Maße haben, leider, den Verteidigungshaushalt zugunsten anderer Haushalte zu kürzen.Das bedeutet nicht, daß im Verteidigungshaushalt nicht gespart werden darf. Im Gegenteil: Alle Ausgaben, die nicht unmittelbar für die Landesverteidigung notwendig sind, stehen grundsätzlich zur Disposition. Auch die im Verteidigungsbereich tätigen Menschen werden von Kürzungen der Verwaltungsausgaben und von sparsamen Stellenplänen betroffen.Die Bundesregierung hat den Verteidigungshaushalt in den vergangenen Jahren nicht in dem der wachsenden Bedrohung entsprechendem Umfang aufgestockt. Das geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem die technische Entwicklung und das Alter der Ausrüstung eine Rundumerneuerung von Waffen und Gerät erforderten. Die CDU/CSU hat in den vergangenen Jahren bei den Haushaltsberatungen und bei verteidigungspolitischen Aussprachen im Deutschen Bundestag immer wieder vor den Folgen einer unzureichenden Bedienung des Verteidigungshaushaltes gewarnt.
Nun zeigen sich die Folgen dieser unzulänglichen Ausstattung.Der Verteidigungshaushalt 1981 ist in der Öffentlichkeit besonders viel erörtert worden auf Grund der Diskussion um die Finanzierungsprobleme beim Mehrzweckflugzeug MRCA Tornado. Dieses Projekt ist das bisher teuerste Einzelprojekt in der deutschen Militärgeschichte. Es wird einschließlich der Kosten für die Wehrforschung und entwicklungstechnischen Betreuung nach dem Stande vom 31. Dezember 1979 zirka 28 Milliarden DM und einschließlich der zu erwartenden Steigerungsraten bis zum 31. Dezember 1987 Gesamtkosten von bis zu 40 Milliarden DM erfordern. Das macht einen Stückpreis zwischen 100 und 120 Millionen DM.Über die Notwendigkeit dieser Beschaffung zur Erhaltung der Abwehrkraft unserer Luftwaffe gibt es keinen Streit. Die Finanzierungslücke aber ist dadurch entstanden, daß sich der Verteidigungsminister zu Unrecht darauf verlassen hat, die Industrie werde die vereinbarten Lieferungsraten nicht ein-
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Hauser
halten und er werde wegen des Lieferrückstandes der Industrie die vereinbarten Zahlungen nur teilweise leisten müssen.
Herr Abgeordneter, eine Sekunde.Meine Damen und Herren, es ist kaum möglich, sich als Redner gegen den Lärm durchzusetzen. Sind Sie so freundlich, etwas ruhiger zu sein?
Hauser (CDU/CSU): Für MRCA Tornado bestehen im Jahr 1981 Rechtsverpflichtungen in einer Gesamthöhe von 3 Milliarden 65 Millionen DM. Im vergangenen Jahr betrug der Ansatz für dieses Kampfflugzeug erst 1,2 Milliarden DM. Für 1981 war zunächst eine Steigerung um 550 Millionen DM eingeplant. 350 Millionen DM wurden durch Umschichtungen innerhalb des Verteidigungshaushaltes — das ging insbesondere zu Lasten der Aufgabenbereiche wehrtechnische Entwicklung und Materialerhaltung — gewonnen.
Um 700 Millionen DM wurde dann der Ansatz außer der Reihe durch den Beschluß des Bundeskabinetts vom 16. Dezember 1980 erhöht. Im Laufe der Haushaltsberatungen in diesem Frühjahr stellte sich heraus, daß auch dieser letzte Ansatz der Bundesregierung gegenüber den Rechtsverpflichtungen noch um 265 Millionen DM zu niedrig war.
Zur Deckung dieser Lücke entwickelte die Regierung den abenteuerlichen Plan, durch Vorziehung noch nicht fälliger Zahlungen auf ein für die NAMMA treuhänderisch verwaltetes Konto zu Beginn des Jahres Guthabenzinsen zu erzielen, mit denen dann am Jahresende die infolge Unterdeckung des Bedarfs entstandenen Sollzinsen abgedeckt werden sollten.
Fürwahr, eine haushaltsrechtlich und wirtschaftlich abenteuerliche Idee;
denn es ist klar, daß für die zu Beginn des Jahres geleisteten, nicht fälligen Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland mindestens die gleichen Kreditzinsen entstehen — wahrscheinlich höhere —, die ein Dritter für vorzeitig erhaltenes Geld als Guthabenzinsen zu leisten bereit wäre. Aber wenn das Geld nicht reicht, kommt man auf die abenteuerlichsten Ideen.In der vom Verteidigungsminister herausgegebenen Broschüre „Der Verteidigungshaushalt 1981", Haushaltsausschußdrucksache 151, findet sich auf Seite 43 zum Thema Risiken folgende Feststellung — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Die besondere Finanzierungsproblematik beim MRCA wird durch den Ansatz von 2,8 Milliarden DM im Jahre 1981 wesentlich gemildert. Zur Zeit wird untersucht, wie die Produktion mit den finanziellen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden kann .In derselben Broschüre, meine Damen und Herren, ist auf Seite 31 zum Zulauf von MRCA Tornado zu lesen:Im Jahre 1981 sollen 20 Flugzeuge und ab 1982 jährlich 44 Flugzeuge ausgeliefert werden.Angesichts dieser Zahlen ist offenkundig, daß die mittelfristige Finanzplanung nicht nur für das Jahr 1982, sondern auch für die Folgejahre bei MRCA Tornado viel zu niedrig angesetzt ist. Auch wenn man berücksichtigt, daß Ausgaben nicht nur für die gebrauchsfertig ausgelieferte Maschine, sondern während des gesamten Fertigungsprozesses entsprechend seinem Fortschritt entstehen, so wird die vereinbarte Leistung der Industrie in den kommenden Jahren jedenfalls nicht rückläufig sein, sondern steigen.Ich will es mir ersparen, jetzt noch einmal zu erörtern, was der Herr Verteidigungsminister von der Finanzmisere um MRCA Tornado gewußt hat, was er hätte wissen können oder hätte wissen müssen. Das mag im Untersuchungsausschuß geprüft werden. Fest steht jedenfalls, daß wir im Haushaltsausschuß und im Deutschen Bundestag uns auch in künftigen Haushalten mit MRCA Tornado in besonders intensiver Weise werden befassen müssen.
Während dieser Haushaltsberatungen ereigneten sich im übrigen noch mehr ungewöhnliche Vorfälle. Bei den Berichterstattergesprächen Ende März wurde deutlich, daß nicht nur der Haushaltsansatz für das Kampfflugzeug Tornado die bereits eingegangenen Rechtsverpflichtungen nicht erreichte, sondern daß auch zahlreiche andere Ansätze für die dringendsten Bedürfnisse nicht ausreichten. Es ist heute bereits mehrfach die Rede gewesen von den Preissteigerungen, die den Haushaltsansatz für Betriebsstoffe nicht als ausreichend erscheinen ließen, der im übrigen im Haushaltsentwurf von 810 Millionen DM im bereits gekürzten Vorjahr auf 730 Millionen DM erneut herabgesezt worden war, und das trotz Steuererhöhungen und trotz Ölpreiserhöhungen.
Dies hätte bedeutet, daß bei einer NATO-Mindestforderung von 160 Stunden Flugzeit pro Flugzeugführer und einer von der Luftwaffe errechneten Notwendigkeit von mindestens 180 Stunden jährlich für Anfänger wegen der Kostensteigerung nur noch 100 bis 120 Stunden pro Pilot im Mittel hätten angesetzt werden können.Die Inspekteure von Luftwaffe, Heer und Marine fürchteten, daß selbst bei sparsamster Verwendung der Brennstoff Ende September/Anfang Oktober verbraucht sein werde. Die Schwelle, bei der die
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Flugsicherheit nicht mehr gegeben ist, kann zwar nicht genau angegeben werden. Sie ist vermutlich von Pilot zu Pilot verschieden.
Dennoch erscheint es eher untertrieben, selbst bei dem vom Haushaltsausschuß um 155 Millionen DM erhöhten Ansatz schwerwiegende Ausbildungs- und Übungsmängel bei allen fliegenden Verbänden vorauszusagen. Aber mangelnde Erfahrung im Umgang mit modernen Kampfflugzeugen bringt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko mit sich. Wir erinnern uns doch alle an die Zeit, als der Starfighter bei der Bundesluftwaffe eingeführt wurde und es zahlreiche Unfälle gab. Damals wurde die CDU-Bundesregierung wegen der Unfälle von der damaligen SPD-Opposition angegriffen, ohne daß es einer so offenkundigen Ursache bedurft hätte wie der Mangel an Treibstoff und wie aus dem Treibstoffmangel rekrutierende mangelnde Fähigkeit, das Gerät zu führen.
Wer trägt die Verantwortung dafür, wenn demnächst neu eingeführte Kampfflugzeuge MRCA wegen mangelnder Ausbildung der Piloten und mangelnder Übung mit dem Gerät abstürzen
und wenn bei solchen Abstürzen nicht nur Sachschäden entstehen, sondern auch Menschen ums Leben kommen?
Die Bundesregierung hat dem Haushaltsausschuß zur abschließenden Beratung des Einzelplans 14 in der vergangenen Woche empfohlen, den Einzelplan — Umschichtungen ausgeklammert — um insgesamt 825 Millionen DM für MRCA Tornado, für Betriebsstoffe, für Materialerhaltung, für einige andere notleidende Positionen aufzustocken, nachdem der Verteidigungsminister ca. 14 Tage zuvor vor dem Verteidigungsausschuß eine Aufstockung um 1,175 Milliarden DM als zwingend gebotenes Mindesterfordernis bezeichnet hatte. Der Ausschuß hat der Forderung nach den 825 Millionen DM entsprochen und der Minister behauptet nun, er käme damit aus.
Der Glaube der Kollegen an dieses Auskommen war gering. Er war um so geringer, als die Zahlen, die Sie, Herr Minister, am 13. Mai d. J. zusammen mit Ihrem Kollegen Finanzminister im Haushaltsausschuß vorgetragen haben, am nächsten Vormittag, also am 14. Mai, schon wieder durch eine neue schriftliche Vorlage überholt waren. Das Kabinett wußte offen-bar selber nicht genau, was es damals beschlossen hatte.
Der Flak-Panzer Roland war ursprünglich für Heer, Luftwaffe und Marine vorgesehen. Auf Grund der bekannten Finanzschwierigkeiten ist er für Luftwaffe und Marine — hier habe ich noch stehen: einstweilen auf Eis gelegt worden — abbestellt worden, wie der Minister uns heute nachmittag gesagt hat. Lediglich der Auftrag von ca. 140 Stück für das Heer wurde erteilt.Das hat aber auf der anderen Seite zur Folge, daß angesichts der gestiegenen Bedrohung unserer Milltärflughäfen durch die feindliche Luftwaffe die Gefahr besteht, daß wegen mangelnder Abwehrbereitschaft der Flughäfen die Luftwaffe sehr schnell zu Beginn eines Konfliktes ausgeschaltet würde. Die 2-cm-Flugabwehrgeschütze, die wir heute dort stehen haben, sind gegen im Tiefflug angreifende Düsenflugzeuge modernster Bauart weniger wirksam als die berühmte Vierlingsflak aus dem Zweiten Weltkrieg gegen die damaligen Propeller-Jagdbomber. Die Israelis haben im Nahost-Krieg demonstriert, wie schnell eine gegnerische Luftwaffe ausgeschaltet werden kann und welche Folgen dies für den Verlauf des Krieges hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski?
Hauser (CDU/CSU): Bitte schön.
Herr Abgeordneter Hauser, Sie haben gerade erklärt, daß die 2-cm-Flugabwehrgeschütze weniger wirksam seien als eine 4-cm-Vierlingsflak im letzten Weltkrieg. Meine Frage lautet: Worauf begründen Sie Ihre Behauptung?
Hauser (CDU/CSU): Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe erklärt, die 2-cm-Kanonen seien gegen die heutigen modernen Maschinen weniger wirksam als die Vierlingsflak im Zweiten Weltkrieg gegen die damaligen propellergetriebenen Jagdbomber.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Hauser? — Herr Klejdzinski, bitte.
Herr Abgeordneter Hauser, könnten Sie sich vorstellen, daß man in der Lage ist, mit einer Gewehrkugel eine Phantom abzuschießen?Hauser (CDU/CSU): Ich kann mir vorstellen, daß man das sowohl mit einem Flugabwehrgeschütz aus dem Zweiten Weltkrieg als
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Hauser
auch mit einem heutigen kann, wenn man richtig trifft. Da muß man halt Glück haben.
Meine Damen und Herren, bei der Beratung des Haushaltsentwurfs 1981 im Haushaltsausschuß hat sich herausgestellt, daß mit der Auftragsstornierung von 200 FLAG-Panzern die Bundesrepublik keineswegs aus dem Zahlungsobligo für diese Systeme heraus ist. Dazu hat j a auch der Minister heute nachmittag schon einiges gesagt. Mir scheint, es bleibt zu prüfen, was für den Bundeshaushalt und für die Verteidigungsfähigkeit besser ist, wenn jetzt mit den Franzosen verhandelt wird: es nämlich entweder bei der Abbestellung zu belassen und entsprechend für die Abbestellung zu zahlen oder sich zu überlegen, zu einem geeigneten Zeitpunkt die 200 FLAG-Panzer doch zu beschaffen.
Die Bundesmarine plante ursprünglich den Bau von 12 Fregatten in zwei Losen zum Ersatz veralteten Geräts. Das erste Los von sechs Fregatten befindet sich in der Fertigung. Aus Gründen der Beschäftigung von möglichst vielen Werften wurde der Auftrag zu Lasten des Verteidigungshaushalts verteilt. Dafür mußte wegen der Mittelknappheit das zweite Los von sechs auf zwei Fregatten gekürzt werden. Die kostengünstige Verteilung eines Anschlußauftrages unterblieb, und inzwischen ist nicht vor 1987 mit der Auftragserteilung für diese zwei Fregatten zu rechnen. Das bedeutet in der Praxis, daß die Kampffähigkeit und die Einsatzbereitschaft unserer Marine nicht gewährleistet ist, weil das Geld nicht reicht; aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil die Auftragserteilung nicht sorgfältig erfolgt ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann?
Hauser (CDU/CSU): Bitte.
Herr Kollege Hauser, als Mitglied des Haushaltsausschusses müßte Ihnen eigentlich bekannt sein — können Sie mir das vielleicht freundlicherweise bestätigen? —, daß der Deutsche Bundestag beschlossen hat, sechs Fregatten im ersten Los zu beschaffen, was Sie auch gesagt haben, und in einem zweiten Los, wenn das Verteidigungsministerium diesen Beschaffungsantrag vorlegt, weitere sechs Fregatten nach 1985, daß aber die von Ihnen in die Diskussion gebrachten zwei zusätzlichen Fregatten weder etwas mit dem ersten noch mit dem zweiten zu tun haben, sondern ein Vorziehen von zwei Fregatten aus dem zweiten Los beinhalten?
Hauser (CDU/CSU): Ich empfehle Ihnen, die vom Verteidigungsminister herausgegebenen Schriften zu lesen, auf die ich Bezug nehmen könnte.
Bei zahlreichen Titeln der Materialerhaltung mußten Instandsetzungen verschoben werden,
nachdem in den Vorjahren diese Titel bereits kräftig gekürzt wurden. Die Munitionsbeschaffung geht bei vielen Waffen so langsam vonstatten, daß im Ernstfall in wenigen Tagen der Gebrauch der Geräte beendet werden müßte, weil keine Munition mehr vorhanden ist.
In besonders starker Weise zur Ader gelassen wurde aber das Kapitel „Forschung, Entwicklung und Erprobung". Es liegt neuerdings deutlich unter 4 % des Gesamtverteidigungshaushalts. Das ist nächst Schweden eine der niedrigsten Raten unter den mittleren Militärmächten. Im Vergleich sei hingewiesen auf die Rate der USA, die zwischen 9 und 9,5 % liegt. Sicher ist es möglich, auf dem Gebiete der Forschung und Entwicklung vorübergehend einmal für ein, zwei Jahre etwas kürzer zu treten. Aber dieses Kürzertreten ist in den vergangenen Jahren bereits kräftig erfolgt. Es besteht die Gefahr, daß die Bundesrepublik Deutschland auf vielen Gebieten den Anschluß an die moderne Entwicklung verliert.
Die Folgen zeigen sich dann in den künftigen Jahren und Jahrzehnten. Sie laufen darauf hinaus, daß die Bundesrepublik Deutschland auf den Gebieten, auf denen sie dies bisher konnte, in Zukunft nicht mehr in der Lage ist, eigene Waffen herzustellen. Sie wird dann darauf angewiesen sein, ihre Waffen im Ausland zu beschaffen, und zwar zu den Konditionen, die von dort verlangt werden, also teurer und unter Umständen nicht rechtzeitig.
Lassen Sie mich einige Sätze zu den Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr sagen. Die Angleichung des Wehrsolds an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in einem Zeitraum von drei Jahren bedingt, daß der Wehrsold zum 1. Juli 1981 erhöht werden soll. Über diesen Vorschlag der Regierung bestand im Ausschuß und zwischen den Berichterstattern Einigkeit.
Begrüßenswert ist auch, daß der Ausschuß sich darauf verständigen konnte, die Zahl der Hauptfeldwebel nach A 9 wie im vorigen Jahr zugesagt — in 1981 von 20 % auf 25 % und damit um 1170 zu erhöhen. Der dafür erforderliche Barbetrag ist angesichts des gesamten Verteidigungshaushalts verhältnismäßig gering. Es hätte sehr negative Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des Parlaments gehabt, wenn sich dem Entschluß der Bundesregierung, die das nämlich vorgeschlagen hatte, diese Stellenanhebung in 81 nicht durchzuführen, der Haushaltsausschuß angeschlossen hätte.
Herr Kollege, ich bitte, Ihre Redezeit zu beenden.
: Ich muß zum Abschluß kommen. Ich möchte es nicht versäumen, allen, die in der Bundeswehr tätig sind, den Soldaten, den Beamten, Angestellten und Arbeitern, auch den Reservisten, soweit sie Dienst tun, für ihre Einsatzbereitschaft im Interesse der Erhaltung unserer Freiheit herzlich zu danken.
Letztlich ist ohne diese Bereitschaft vieler Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, für die
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2343
HauserVerteidigung mit Konsequenzen für ihren Beruf, für ihre Ausbildung, mit Konsequenzen auch für ihre Freizeit einzustehen, die Verteidigung der Freiheit nicht möglich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stöckl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Hauser, wir reden ja hier nicht wie die großen Strategen, die heute morgen schon begonnen haben. Wir reden vom Geld und sagen einige Zahlen. Allerdings habe ich bei Ihren Ausführungen leider nur gehört, daß Sie immer mehr Geld ausgeben wollten. Sie haben Sparvorschläge für den Bundeswehrhaushalt eigentlich nicht gemacht.
— Ich danke Ihnen, Herr Dr. Waigel. Es ist so ungewohnt bei mir, bei Haushältern; Sie kennen das ja.Zurück zum Haushalt, zu den nüchternen Zahlen. Sie sind ja nicht sehr attraktiv, jedenfalls nicht in diesem Hause und um diese Zeit. Sie sind viel attraktiver in der Presse. Und wenn wir jetzt in die Sommerferien gehen, werden die Medien wieder überschwemmt werden. Sie sind wahrscheinlich auch deshalb in den Medien interessanter, weil sie da meistens Fantasiezahlen sind und nicht stimmen.Das Sie von der Opposition sehr viel dazu beitragen, konnte man ja in den letzten Wochen lesen.
Ich habe z. B. festgestellt, daß der Kollege Würzbach oder der Kollege Handlos — ich weiß nicht, wer von ihnen es war — diese berühmte Zahl von drei Milliarden aufgezeigt hat, die da noch fehlen. Und unter diesen drei Milliarden waren auch so etwa 600 bis 700 Millionen Personalverstärkungsmittel. Jeder, der ein bißchen vom Haushalt versteht, weiß, daß die nie in diesem Haushalt stehen können, weil sie erst das nächste Mal erscheinen und im Einzelplan 60 kommen. So entstehen die Horrorzahlen, die in das Land gestreut werden.Nun, die 42 Milliarden, die heute in dem Haushalt 1981 stehen, sind eine Steigerung von 1980 zu 1981 vom Ist zum Soll von 6,9 % und vom Soll zum Soll von 8,3 %. Und wenn Sie jetzt den Deflator mitrechnen, dann sind wir bei den berühmten drei Prozent, von denen Sie immer reden und von denen immer so viele Leute reden. Nach den NATO-Kriterien mit 7,6 %, mit denen eigentlich zu rechnen ist, stimmt das also auch, obwohl ich mit dieser Drei-ProzentRechnung eigentlich nichts zu tun haben will. Denn sie stimmt j a in Wirklichkeit im Vergleich nicht. Wenn ich eine Wehrpflichtarmee habe, dann kann ich sie nicht mit einer Berufsarmee vergleichen, wo ich bei einer Gehaltserhöhung um 20 % natürlich leicht auf meine drei Prozent real komme. Und wenn ich eine andere Armee vergleiche, die einen riesen Nachholbedarf hat, dann stimmt das eben mit dem Vergleich bei uns 1981 auch nicht mehr.Wir können feststellen, daß wir in den letzten zehn Jahren eine Realsteigerung von 30 % hatten, also daß wir die drei Prozent richtig erreicht haben. Und diese kontinuierliche Förderung, dieses Haushalts sollen uns die anderen zuerst einmal nachmachen, bevor sie Kritik an unseren Bemühungen um die Sicherheit in Europa üben.
Insoweit stimmt natürlich auch Ihre Zahl nicht, Herr Dr. Wörner, die Sie heute morgen gesagt haben: 23 % hatten wir früher, und jetzt haben wir 16 %. Dies haben Sie aus einer Finanzplanzahl von 1984. Wir sind jetzt über 18 %.Übrigens ist auch das wieder einmal nicht vergleichbar. Das ist die berühmte Statistikgeschichte. Wenn jetzt in diesem Haushalt 19 Milliarden Kindergeld stehen, dann sieht das natürlich im Vergleich anders aus, und die Prozentzahlen veränderten sich.
Ich kann aber nicht hergehen, wenn ich 1984 neue Rentenleistungen beschließe, die unter Umständen den Sozialhaushalt heben, und sagen: Jetzt muß ich dann auch noch zehn Leos haben, damit der Herr Dr. Wörner zufriedengestellt ist.
— Statistisch zufriedengestellt. Anders wird man Sie nie zufriedenstellen können, Herr Dr. Wörner.
— Ein Jet-Pilot geht voll durch.
Ich sehe Sie immer hier auf einem Flugzeugträger landen. Klappt's nicht, starten Sie durch.
Eher zu vergleichen sind schon die Beschaffungskosten mit einer Steigerung von 21 % in diesem Jahr. Das ist natürlich nicht ganz in Ordnung, weil die Tornado-Rate hinzukommt. Rechnen wir aber die Sonderleistungen für Tornado dieses Jahr ab, so kommen wir auf 10,8 %. Das sind verteidigungseffektive Leistungen. Und da sehen wir also gar nicht so schlecht aus.Bei der Gelegenheit möchte ich sagen: Die Diskussion über die Tornado-Erhöhung wird j a immer noch falsch geführt. Es ist eben dieser Aufholbedarf, der aus der trilateralen Geschichte kommt.
— Sie mögen das anders rechnen und eine andere Meinung haben. Lassen Sie mich hier meine sagen.Aber an der Stelle wird doch deutlich, daß bei trilateralen Entwicklungen durch das andere Haushaltsgebaren der anderen Länder und der Institutionen,
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Stöckldie gemeinsam gebildet werden, wirklich Schwierigkeiten auftreten.
Andererseits möchte ich Ihnen als Beispiel dafür, daß ich vielleicht doch recht habe, sagen — überlegen Sie sich das —: Bei einer nationalen Entwicklung wie Alpha-Jet haben wir diese Schwierigkeiten nicht. Und wenn Sie den Vergleich machen, kommen Sie schon hin.Ich möchte Sie, weil das heute schon bei den Beschaffungskosten angeschnitten worden ist, ganz kurz doch einmal darauf aufmerksam machen, warum hier nur miesgemacht und nur negativ gesprochen wird. Von Runderneuerung reden wir zwar nicht gern, aber wir haben überall neue Waffensysteme; Stichwort: Leo, Kfz-Generation bis hin zu den Fregatten; aber davon spricht hier niemand. Der Schaden, den Sie mit dem ewigen Heruntermachen anrichten, ist auf jeden Fall eine Schwächung unserer Wehrkraft.
Gehen Sie mal in sich und denken Sie darüber nach, was Sie hier anrichten.
Dazu haben auch schon andere etwas gesagt. Herr Dr. Zimmermann hat heute morgen den Wirtschaftsminister gefragt, ob man von der schwachen deutschen Mark im Ausland reden solle oder nicht. Nun, darüber, ob sie wirklich so schwach ist, müßte man erst reden. Darüber hingegen, ob Sie überall von der schwachen deutschen Armee reden sollten, was im übrigen hinten und vorne nicht stimmt, braucht man nicht zu reden. Denn darüber, wie man sich hier zu verhalten hat, sollten wir uns einig sein.
Meine Redezeit ist kurz
— das freut Sie, ja? Das ist schön. Meine Kollegen im Haushaltsausschuß wissen, daß ich nicht sehr häufig rede.Wir haben bei der Materialerhaltung nicht nur deshalb aufgestockt, weil wir es für notwendig halten — das ist hier schon gesagt worden —, sondern das ist auch eine Frage der Arbeitsplätze.Zu den Betriebsstoffen haben sich hier schon der Minister und andere geäußert. Ich weiß jetzt, woher es kommt, daß ich so verwirrt war. Das rührt daher, daß ich vom Inspekteur der Luftwaffe oder wer weiß, von wem, heute diese Flugstundenzahlen, morgen jene höre. Heute habe ich gehört, daß die sich gern verrechnen.
Jedenfalls habe ich in den Berichterstattergesprächen festgestellt, daß der Sicherheitsstandard, von dem Herr Hauser gesprochen hat, auf gar keinen Fall verletzt ist.Forschung, Entwicklung und Erprobung dienen Herrn Hauser und Herrn Haase immer dazu, ein Klagelied anzustimmen. Daher möchte ich auch dazu noch ein paar Worte sagen. Wir haben im Augenblick weniger Waffensysteme zu entwickeln; bei den meisten sind wir schon in der Produktionsphase. Wir müssen jetzt eine Pause der Überlegung einlegen und dürfen nicht wieder etwas Neues ins Rohr schieben, das wir nicht beurteilen können und über das Sie dann danach recht negativ reden können, obwohl Sie es mitbestellt haben. Übrigens kann man bei gründlicher Durchforstung — und das haben wir bei allen Haushalten gemacht — auch hier noch sparen. Da wird viel angeleiert, was nicht unbedingt sein muß.
Die Vergleiche mit den anderen Ländern, die da angestellt werden, stimmen genauso wenig wie die hinsichtlich der 3 %. Die einen lassen ihre Zivilforschung über das Militär laufen — dann schaut das natürlich völlig anders aus —, und andere haben eben noch einen Nachholbedarf.Herr Hauser hat freundlicherweise schon gesagt, daß wir auf dem Personalsektor trotz der Enge dieses Haushalts eine ganze Menge tun konnten; darüber freue ich mich. Herr Hauser, Sie haben ja nur etwa 1 102 Stellen zugestehen wollen, wir haben dann letztlich 1 170 zugestanden. Aber wichtig ist, daß Sie — in Erfüllung eines Versprechens — hier freundlicherweise mitgezogen haben.Wir haben beim Abbau des durch die Heeresstruktur verursachten Beförderungs- und Verwendungsstaus mit den 488 Stellen einen Einstieg, einen kleinen Einstieg gemacht. Wir haben insgesamt — bei einem Überrollhaushalt, wie ich feststellen möchte — 2 390 Stellenhebungen vorgenommen. Der Bundeswehrverband kann sich in dieser Situation die Finger lecken.Und noch etwas: Heute morgen ist von Herrn Gansel gefragt worden: Welche Sperren sind im Einzelplan 14 eingebaut, damit sich Fehler nicht wiederholen? Mit der Belegung der Verpflichtungsermächtigung mit einer 20%igen Sperre und der Vorlage jedes Vertrages mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen DM beim Haushalts- und Verteidigungsausschuß ist ein Mittel gefunden, dies einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Ich glaube, wir brauchen uns um die Verteidigungsfähigkeit, so wie es auch der Generalinspekteur sagt, nicht solche Sorgen zu machen, wie Sie sie hier darstellen.Die Opposition war im Haushaltsausschuß mit den meisten Positionen einverstanden, außer mit dem Kapitel 14 20; das habe ich schon gesagt. Ich bedanke mich auch hier bei der Opposition für dieses Einvernehmen. Allerdings wissen wir, daß Sie nach alter Tradition trotz des Einvernehmens nicht zustimmen werden. Mein Dank gilt ferner allen, die in der Bundeswehr ihre Pflicht tun, ganz gleich, ob als Soldaten oder als Zivile. Ich danke schließlich auch allen, die bei uns hier mitgearbeitet haben.
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StöcklAuch wenn Sie diesem Haushalt nicht zustimmen können, glaube ich, daß wir die Sicherheit unserer Republik auch allein verantworten können.
Um Ihr Abstimmungsverhalten ganz genau festzustellen, beantragen wir namentliche Abstimmung über den Einzelplan 14. — Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in dieser späten Stunde noch einige kurze Bemerkungen machen. Da sich die Presse schon heute morgen ausgiebig mit diesem Thema befaßt hat und jetzt nichts mehr geschrieben wird, können sie auch etwas kritischer sein. Ich bitte um Verständnis.
Erstens. Meine Damen und Herren von der Opposition, Einsatzfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr sind nicht eingeschränkt. Ich möchte dies als Berichterstatter im Interesse der Steuerzahler feststellen, die ihr Geld dafür zur Verfügung stellen, daß ein optimales Maß an Sicherheit durch unsere Bundeswehr garantiert wird.
Wir haben in den Haushaltsberatungen durch die Zurverfügungstellung von zusätzlich 850 Millionen DM, wovon 30 Millionen aus dem eigenen Etat und 820 Millionen durch Umschichtung aus anderen Etats gewonnen wurden, sichergestellt, daß der NATO-Standard in allen Teilstreitkräften erhalten worden ist bzw. erfüllt werden kann. Dies wurde, Herr Kollege Haase, erreicht, ohne den Kredit zu erhöhen.
Wenn der Inspekteur der Teilstreitkraft Luftwaffe, General Obleser, erklärt — er hat das noch am 27. Mai dieses Jahres getan —, im Bereich der Luftwaffe sei ein Höchstmaß an Verteidigung nicht mehr gegeben, so spiegelt das nach meiner Meinung ein Denken in Kategorien des Überflusses wider, in dem die Bundeswehr jahrelang gelebt hat. Ich sage das ganz deutlich.
Diese Jahre sind allerdings jetzt vorbei. Diese Armee — diese Marine, dieses Herr, diese Luftwaffe —
kann ihren Auftrag in der NATO zu 100 % erfüllen.
Wer in den Haushaltsberatungen etwas anderes sagt als z. B. der Generalinspekteur der Bundeswehr oder der stellvertretende Generalinspekteur, der liegt falsch.
— Warten Sie bitte ab, Herr Wörner. Zu Ihnen komme ich auch noch.
Ein erhöhtes Soll, wie es Herr Obleser gefordert hat — hören Sie bitte zu —, wird beim NATO-Standard nirgendwo gefordert. Es ist aber von der Luftwaffe in der Vergangenheit durch einen zusätzlichen Flugzeugpark und durch zusätzliche Flugstunden ohne zusätzliche Piloten erbracht worden,
weil — das wissen Sie selber — wegen der Einführung des neuen Waffensystems F 4 und der Reduzierung der anderen Waffensysteme vom Typ F 104 die ausrangierten Flugzeuge entweder eingemottet wurden oder zusätzlich zur Verfügung standen. Das ist so ähnlich, als würde sich jedes Ministerium eine Schattenabteilung zur Verfügung halten. Man muß eigentlich fragen: Wieviel hat das zusätzlich gekostet?
Herr Wörner, an dieser Stelle möchte ich Sie fragen, warum Ihr Interesse an den Flugstundenzahlen so groß war. Ich habe fast den Eindruck, Sie hatten Angst, daß Ihre eigene Jetstundenzahl reduziert werden würde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Gerne.
Würden Sie uns bitte — für den Fall, daß Sie es wissen sollten —
erstens erklären, auf wie viele Stunden die NATO die Jahresflugstundenzahl festgelegt hat? Würden Sie uns zweitens erklären, welches die Minimalflugstundenzahl ist, die die Bundeswehr mit der NATO abgesprochen hat? Würden Sie uns weiterhin erklären, um wieviel die Bundeswehr hinter diesen Ansätzen im letzten Jahr und in diesem Jahr zurückgeblieben ist?
Es freut mich, Herr Wörner, wenn Sie die Detailkenntnis besitzen. Ich verlasse mich auf die Aussage des Generalinspekteurs und auch des stellvertretenden Inspekteurs.
Herr Wörner, das muß ich als Haushaltspolitiker auch tun. Uns geht es nicht darum, daß wir neue Standards festsetzen oder gucken, ob diese Standards höher oder niedriger sein sollen. Uns geht es darum, festzustellen, ob der Standard erreicht ist
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Dr. Zumpfortund ob wir ihn finanzieren können, und das können wir.
Zweitens. Die Kampfkraft der Bundeswehr — das ist auch eine Feststellung, die ich im Interesse der Steuerzahler treffe — ist hervorragend. Verglichen mit anderen Streitkräften innerhalb der NATO liegt die Bundeswehr der Qualität nach an der Spitze. Ich verweise hier auf einen für Sie sicherlich respektablen Zeugen, den Redakteur Weinstein, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" noch vor sieben Tagen geschrieben hat, daß die Bundeswehr, was die Ausrüstung anbelangt, der 7. amerikanischen Armee in Europa überlegen ist. Er sagt wörtlich:Mit dem Panzer „Leopard" bildet das westdeutsche Heer den Kern der atlantischen Abwehrkraft in Mitteleuropa ... Ich nehme an, Sie kennen den Artikel. Dann werden Sie auch den letzten Satz kennen, der für Ihre Oppositionshaltung und für das, was in der Öffentlichkeit bekannt ist, sehr bezeichnend ist. Da heißt es nämlich:Man wird den amerikanischen Verteidigungsminister, ohne sich gleichzeitig Schwäche oder Unterlassung vorwerfen zu müssen, darauf hinweisen können, daß die Bundesrepublik insgesamt ihren militärischen Verpflichtungen nachgekommen ist.Das zählt für uns, und das zählt für mich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dallmeyer?
Sehr gerne.
Herr Kollege, da Sie eben das Wort vom Überfluß in der Bundeswehr geprägt haben, darf ich Sie fragen, ob Sie auch die Bereiche Infrastruktur, Verwendungsstau und Dienstzeitbelastung gemeint haben.
Darauf werde ich gleich noch eingehen, verehrter Kollege Dallmeyer.
Es hat diesen Überfluß in den früheren Jahren in der Tat gegeben — eingeschlossen die Jahre, wo Sie den Verteidigungsminister gestellt haben, bis in die Jahre, wo es Herr Leber war. Dort wurden die großen Waffensysteme bestellt, zumeist auf Kosten der Infrastruktur und des Personals.
Darauf werde ich gleich noch eingehen.
Aber die Tatsache des guten Ausrüstungsstandards der Bundeswehr — siehe das Urteil von Herrn Weinstein — können Sie nicht aus der Welt reden, auch nicht durch Polemik. Dies ist das Ergebnis von mehr als zehn Jahren sozialliberaler Politik, die auch im Bereich der Verteidigungspolitik verantwortungsvoll und verantwortungsbewußt gewesen ist. Das lassen wir uns von Ihnen nicht zerreden.
Wie Sie vielleicht wissen werden, war der Haushaltsausschuß, ein Teil seiner Mitglieder — fragen Sie Ihren Kollegen Haase —, in den USA. Wir waren unter anderem in El Paso. Der dortige Kommandeur des Luftwaffenausbildungskommandos genießt ein hohes Standing bei den Amerikanern, unter anderem weil er noch aktiv ist, weil er noch fliegt und weil er bessere Ergebnisse bringt als die Flugschüler oder seine amerikanischen Kollegen. Das ist das Beispiel dafür, wie gut die Bundeswehr ausgebildet ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Würzbach?
Ja.
Kollege Zumpfort, können Sie uns die von Ihnen eben dargelegte Verbindung erklären, auf der einen Seite zwölf Jahre Überfluß, unter der die Bundeswehr unter Ihrer Verantwortung gelebt habe, und auf der anderen Seite verantwortungsvolle Haushalts- und Verteidigungspolitik?
Ich verstehe Ihre Frage nicht genau, aber vielleicht lassen Sie mich mal zu Ihren Gunsten interpretieren.
Sie wollten fragen, wie es dazu kommt, daß wir keinen Überfluß mehr haben. — Es dürfte Ihnen doch offensichtlich sein, daß wir in Zeiten knapper Kassen leben und daß wir deswegen auch bei der Bundeswehr prüfen müssen, ob alle Vorhaben gerechtfertigt sind.
Meine Damen und Herren, ich will hier keinen Streit anfangen. Herr Würzbach, ich will Ihnen auch nicht Ihren Rang als Verteidigungsexperte streitig machen. Aber die Bundeswehr hat so etwas wie Vertrauensschutz. Das heißt, wir dürfen sie, bei aller berechtigten Kritik, nicht schlechter machen, als sie ist; denn sonst macht es den Soldaten in der Bundeswehr keinen Spaß mehr, zu dienen. Dies wollen wir nicht erreichen. Und die Verantwortung haben Sie. Manchmal schlagen Sie da über alle Stränge.
Dritte Bemerkung — und jetzt komme ich zu den Zeiten des Überflusses —: In den Zeiten des Überflusses — und das ist meine sehr feste Meinung — ist offensichtlich der Sinn für den Primat der Politik bei manchen Bürokraten in der Bundeswehr verlorengegangen. Bedarfsorientierte Planung war früher das Schlagwort. Das wird heute durch finanzorientierte Planung ersetzt. Was aber bedarfsorientiert heißt, wissen Sie alle. Herr Würzbach, lesen Sie doch bitte einmal den Bundesrechnungshofsbericht über das Jahr 1978. Was steht dort?Seit Jahren läßt der Bundesminister zu, daß beiBeschaffungen haushaltsrechtliche Bestim-
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Dr. Zumpfortmungen außer Kraft gesetzt werden, daß Auftragnehmern der Bundeswehr leihweise oder darlehensweise in erheblichem Umfang Bundeswehrmaterial überlassen wird, ohne daß Auflagen gemacht werden, daß Kosten berechnet werden oder daß sogar zurückgefordert wird. Im Einzelfall macht das bei einer Firma bis zu 42 Millionen DM aus.Dieses können wir uns heute nicht mehr leisten.
Meine nächste Bemerkung führt zum Fall Roland: Wenn wir unseren Rang als Parlament richtig einschätzen, muß an dieser Stelle auch gesagt werden: Es handelt sich um einen eklatanten Verstoß gegen § 38 der Bundeshaushaltsordnung.Erstens. Der Staatssekretär Schnell hat einen ausgabenwirksamen Vertrag mit Frankreich unterzeichnet, in dem Zahlungsansprüche an die Bundesrepublik Deutschland begründet worden sind, die über den vom Parlament bewilligten Rahmen hinausgehen.Zweitens. Der Finanzminister — und das ist durch mein Nachfragen bei den Einzelberichterstattergesprächen herausgekommen — ist über diesen Vorgang nicht informiert worden, wie es die Bundeshaushaltsordnung vorschreibt.
Beides stellt eine grobe Mißachtung der vom Grundgesetz vorgesehenen Budgetfunktion des Parlaments und der Kontrollfunktion des Finanzministers dar. Ich glaube, das ist ein bisher einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik Deutschland und — ich muß das hier sagen — beleuchtet offensichtlich ein in manchen Teilen immer noch unterentwickeltes Verhältnis der Bürokratie zum Primat der Politik und
insbesondere für Entscheidungs- und Zuständigkeitsabläufe in einer mit Gewaltenteilung arbeitenden Demokratie.Man würde es sich zu leicht machen, wenn man diesen Vorgang nur als bedauerliches Beispiel für Nachlässigkeit oder Schlamperei bei Beschaffungsvorgängen im Verteidigungsministerium bezeichnete. Dieser Vorgang — das sage ich mit allem Ernst und Nachdruck — bestätigt eigentlich die Skepsis all derjenigen Leute, die davor gewarnt haben, einen Militär — ich habe nichts gegen Soldaten — Staatssekretär auf der Hardthöhe werden zu lassen, weil dann der Interessenkonflikt zwischen politischer Führung und militärischen Wünschen nicht mehr eindeutig zugunsten der Politik gelöst werden kann.
— Darauf komme ich gleich noch.Dieser Vorfall muß meines Erachtens Konsequenzen haben. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Staatssekretär Hiehle — ich muß das hier einmal sagen — hat vor dem Haushaltsausschuß ausgeführt, alle hätten den Roland gewollt, alle hätten gewußt, daß der Vertrag mit Frankreich geschlossen würde. Warum war dann der Verteidigungsminister mit den Vorgängen nicht befaßt?
Als ehemaliger Finanzminister muß man doch auf Beschaffungsvorgänge hochsensibel reagieren.
Man muß sich eigentlich von Anfang an alle ausgabenwirksamen Vorgänge von einer bestimmten Größenordnung an vorlegen lassen.
Der Haushaltsausschuß hat deswegen beschlossen, 20 % der Verpflichtungsermächtigung qualifiziert zu sperren, und hat dem Verteidigungsminister zur Auflage gemacht, alle ausgabenwirksamen Verträge über 50 Millionen DM dem Haushaltsausschuß zur Bewilligung vorzulegen. Ich halte das für richtig.
Viertens. Rohstoffknappheit und Kostenexplosion setzen auch der Truppe neue Grenzen. Nicht nur jedes Wirtschaftsobjekt bei uns in der Bevölkerung, nicht nur jede Firma muß sich umstellen, auch die Bundeswehr. Ich zitiere auch hier wieder einen ungefährlichen Zeugen, Herrn Weinstein, der sagt:Die Bundeswehr hat viele Jahre im Überfluß gelebt. Auch ohne Finanzmisere wäre der Zeitpunkt gekommen, in dem Kosten und Wirksamkeit sich nicht mehr decken. Die Truppe selbst muß jetzt die Grenzen sehen, die ihr die Rohstoffknappheit und die Kostenexplosion setzen.Ich glaube, dieses ist in der Truppe schon angekommen, wir müssen aber dafür werben, daß das Verständnis für Einsparungen in der Truppe noch größer wird.
Fünftens. In Zeiten knapper Kasse — das ist schon mehrfach gesagt worden — muß auch bei der Bundeswehr gespart werden. Da sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: Kürzungsvorschläge bedeuten nicht Wehrkraftzersetzung.
Das ist mir vielfach vorgeworfen worden. Ich erinnere an das Beispiel der Einsparung bei den Schuhen. Nicht jeder Soldat braucht neue Schuhe. Ich
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Dr. Zumpforthabe sie auch nicht bekommen, als ich eingezogen wurde.
— Sehr geehrter Herr Wörner, das ist einstimmiger Beschluß des Verteidigungsausschusses.
— Das ehrt Sie. Ich bringe das aber nur als Beispiel. Vielleicht war es ja finanzierbar, heute ist es nicht mehr finanzierbar.
Als weitere Einsparungsvorschläge bringe ich hier einmal in die Debatte ein: Ausgehuniform, zivile Wachdienste — die stehen jeweils mit 320 Millionen DM an —, Reduzierung der Musikcorps — ich sage das mit allem Ernst — oder der Flugbereitschaft im Inland, Kürzung bei Waffensystemen dort, wo es vertraglich möglich ist. Wir müssen den Spruch, daß wir ohne Tabus an alle Bereiche in allen Haushalten herangehen, auch hier gelten lassen.
Sechstens. Unkontrollierte Auswüchse bei den Rüstungsbeschaffungsprogrammen zehren — das kann man feststellen — die letzten Reserven der Bundeswehr auf. Um solche Vorgänge für alle Zukunft zu verhindern, muß das Beschaffungssystem neu organisiert werden. Dazu sind auch schon Schritte gemacht worden.Meine Damen und Herren, es ist doch grotesk, daß im Titel „Forschung und Entwicklung" jährlich Hunderte von Millionen für Management- und Führungssysteme ausgewiesen werden, die wichtigsten Schaltstellen für Kostenkontrolle im Ministerium aber unbesetzt sind oder ohne Organisations- und Durchschlagskraft ein Schattendasein führen. Das darf in Zukunft nicht mehr sein.
Die Zeiten, in denen wir uns das erlauben konnten, sind auch hier vorbei.Ich erlaube mir, ein paar Vorschläge zu machen, wie man das ändern kann. Den ersten Vorschlag haben wir schon in die Praxis umgesetzt, nämlich: größerer Einfluß des Haushaltsausschusses und auch des Verteidigungsausschusses — mithin des Parlaments — auf Entstehungsgang und Beschaffung von Rüstungsmaterial.
Lassen Sie sich bitte einmal von Ihren Kollegen, die in den USA waren, informieren: dort wird das effektiv gehandhabt, und dort kann man sich Beispiele holen.
Zweitens: Reorganisation des Beschaffungswesens innerhalb des Bundesverteidigungsministeriums.Drittens: Verbesserung des Haushaltsvollzugs im Verteidigungsministerium.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lowack? — Bitte!
Lieber Kollege, es tut mir leid, aber noch eine Frage zu Punkt 1: Ist Ihnen bekannt, daß nach der Aussage von Herrn Verteidigungsminister Apel im Untersuchungsausschuß der „point of no return" beim „Tornado" zur Zeit des derzeitigen Bundeskanzlers und damaligen Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt eingetreten sein soll?
Wir können sicherlich — jeder wird da seine eigene Auslegung haben — verschiedene Zeitpunkte feststellen. Ich bestreite nicht die Aussagen, wie immer sie gemacht worden sind. Ich sage nur: In Zukunft muß es anders werden. Darauf bezogen sich meine Vorschläge.Ich bin aber mit diesen Vorschlägen noch nicht am Ende. Lassen Sie mich bitte das vierte sagen — auch das kann man von den Amerikanern lernen —: Einführung einer unabhängigen Kostenkontrollstelle im Hause mit Verbindung zu allen Stellen, aber unabhängig, und zwar mit der Pflicht, vierteljährlich oder halbjährlich dem Verteidigungsminister zu berichten, sowie mit Berichtspflicht gegenüber dem Parlament.Schließlich: verstärkter Einsatz des Bundesrechnungshofes, was man nie zu niedrig ansetzen sollte. Darüber werden wir im Verteidigungsausschuß und im Haushaltsausschuß noch reden müssen.Nun vielleicht ein etwas spaßiger Vorschlag: Um die Reibungsverluste innerhalb des Ministeriums zu vermindern, wäre es vielleicht auch angebracht, von den 5 000 Stellen dort einmal auf 4 000 herunterzugehen; dann wären die Schaltstellen wieder besser organisiert.
Skepsis ist jedoch in der Frage angebracht, ob sich alles ändert, wenn man diesen One-Dollar-Man heranholt und der sich noch zwei Gehilfen nimmt. Das Wichtigste ist, daß oben auf der Hardthöhe erst einmal wieder Kostenbewußtsein eintritt.Das war genug der Kritik. Ich glaube, es war ziemlich hart, aber es mußte gesagt werden.Ich komme zu einem siebenten Punkt. Meine Damen und Herren, Sicherheitspolitik bedeutet für Liberale und Sozialdemokraten stets nicht nur Verteidigungslasten. Vielmehr muß man auch die Entwicklungshilfe mit einbeziehen.
Beide Etats sind in diesem Jahr — das sollten Sie bitte nicht unterschätzen —, gemessen am Wachstum des Gesamthaushalts, überproportional gewachsen. Mit der Erhöhung der Mittel für Entwicklungshilfe um 0,37 Milliarden DM sind wir dem Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts aufzuwenden, einen kleinen Schritt näher gekommen. Immerhin wenden wir jetzt 2,51 % des Gesamthaushalts für die Hilfe an Entwicklungsländer auf.Was den realen Zuwachs bei der Bundeswehr anlangt, so ist, wenn man eine Inflationsrate von 5%
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Dr. Zumpfortansetzt, zu erwarten, daß wir einen realen Zuwachs von 3% haben. Es soll hier auch nicht verschwiegen werden — der Opposition kann man das nicht deutlich genug sagen —, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Verteidigungsausgaben von 1970 bis 1980 real um 30% erhöht, mithin in jedem Jahr um 3 % gesteigert hat. Der Anteil an den Gesamtausgaben ist in diesem Haushaltsjahr auch nicht — wie Sie, Herr Wörner, es dargestellt haben — 16 %, sondern 19,15 %.
— Ich sage Ihnen den richtigen Prozentsatz: 19,15%.Wir dürfen es uns auch nicht so leicht machen — da können Sie sich beim Kollegen Haase erkundigen —, hier einfach Vergleiche mit den USA anzustellen. Zum ersten haben die USA innerhalb ihres Gesamtbudgets einen viel kleineren Sozialkorb, so daß der Anteil aller anderen Ressorts relativ größer ist. Zum zweiten dürfen wir nicht mit größeren Wachstumsraten der Verteidigungslasten bei den Amerikanern — verglichen mit den unseren — argumentieren. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber ich sage es Ihnen: Die Amerikaner setzen die Gesamtkosten eines Waffensystems immer im Entstehungsjahr ein, während wir pro Haushaltsjahr jeweils nur die Kosten einsetzen, die in diesem Jahr auch wirklich anfallen. Dadurch ist zu erklären, warum die Amerikaner in diesem Jahr eine hohe Steigerungsrate haben: weil sie ganze Waffensysteme planen. — Dies mußte auch an dieser Stelle gesagt werden.Ich komme zum nächsten Punkt; es ist der achte und letzte. Wir haben eine Ausnahme vom Überrollungshaushalt gemacht, um durch Anhebung von Stellen einer dringenden Personalnot abzuhelfen. Die SPD/FDP-Arbeitsgruppe hat den Antrag gestellt, die zweite Rate zur Anhebung des Stellenanteils nach A 9 bei Hauptfeldwebeln zu beschließen. Damit können weitere 1170 Hauptfeldwebel nach A 9 eingestuft werden. Wie Sie wissen, sind auch bei der Bundeswehr wie in allen anderen Bereichen die Stellen A 9 mit Zulage bereitgestellt worden. Hiermit wird deutlich gemacht, daß die Koalition trotz der angespannten Haushaltslage die Probleme der Soldaten, der Menschen in der Bundeswehr, nicht aus dem Auge verloren hat. Man sollte allerdings, wenn im Stellenbereich mehr nicht machbar ist, überlegen, ob man nicht in anderen Bereichen etwas mehr für die Soldaten tun kann, zum Beispiel bei Mitfluggenehmigungen für Ehefrauen, wenn Maschinen leer oder halb leer über den Atlantik fliegen.Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Der Verteidigungshaushalt ist ein Etat mit schwierigen Problemen. Manche von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, sind aufgeregt herumgelaufen nach dem Motto: Keine Meldung, nur Drehzahl. Wir haben die Ruhe bewahrt, wir haben den Etat beraten, wir haben die Schwierigkeiten ausgeräumt, undwir werden diesem Etat zustimmen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in der kurzen Zeit, die mir jetzt zur Verfügung steht, den Versuch unternehmen, den Einzelplan 14 in den Zusammenhang mit einigen anderen Einzelhaushaltsplänen zu stellen, wie beispielsweise dem Außen-, dem Entwicklungshaushalt und der gesamten Frage der alternativen Ausgaben. Ich möchte diesen Zusammenhang deshalb aufgreifen, weil ich der Überzeugung bin, daß für jeden Sozialdemokraten, daß für jeden Liberalen und daß für jeden Christdemokraten ein existentieller Zusammenhang mit der Grundsatzfrage besteht, was wir für den Verteidigungs- und Rüstungsbereich ausgeben, und auch — von dieser Seite her gesehen — mit der gesamten Problematik des Nord-Süd-Dialogs.Ich möchte mich, weil ich das nur holzschnittartig darstellen kann, an das anlehnen, was Willy Brandt als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission vor ein paar Tagen in Berlin zusammengefaßt hat. Ich glaube, daß dies für uns alle einen dramatischen Aspekt hat. Wir haben uns zwar alle sehr intensiv über Einzelheiten dieses Haushalts unterhalten, diesen Aspekt aber, der doch sicher von niemandem bestritten werden kann, bisher in dieser Haushaltsdebatte weitgehend außer acht gelassen. Nord-Süd-Politik muß zuerst Friedenspolitik sein und kann erst dann Politik zur Lösung ökonomischer Probleme sein.
— Das sind Sprüche, die ich aus dem Nord-Süd-Bericht entnehme, der mit erarbeitet und unterschrieben worden ist von einigen Christdemokraten. Ich wäre also etwas vorsichtig mit den Zwischenrufen.Die Bewältigung des Hungerproblems ist aber nur erreichbar, wenn die gigantischen Rüstungspotentiale unter Kontrolle gebracht werden. Massenhunger und Militarisierung in weiten Teilen der Dritten und Vierten Welt steigern diese Probleme extrem.Und jetzt kommt der Zusammenhang mit dem, was wir heute hier diskutieren: Der notwendige Dialog zwischen Nord und Süd wird wesentlich verschärft durch die Spannungen, die wir im Ost-West-Verhältnis haben. Deshalb ist die Frage des Verteidigungshaushalts immer auch eine Frage des NordSüd-Dialogs.
Ich will jetzt nicht versuchen, die einzelnen Zahlen aufzurechnen, aber jeder von Ihnen weiß, daß allein im Jahre 1980 umgerechnet über 1 Billion DM in diesen Bereich hineinfließen und daß wir nur einen minimalen Bruchteil dieser Ausgaben für Hunger und Not in der Welt verwenden. Willy Brandt faßt dies
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Hoffmann
zusammen, indem er sagt: Wenn es einfach so weiterginge, wäre dies allein der Weg ins Verderben.Wir alle wissen, daß dieses Problem verschärft wird durch die aktuelle weltwirtschaftliche Situation. Besonders beeindruckt hat mich folgende Feststellung von Willy Brandt:Wer nicht jede Empfindlichkeit verloren hat für das, was außerhalb von Parlamenten und Amtsstuben passiert, der weiß, daß die Zahl der Mitbürger wächst, die diesen Widerspruch empfinden und sich herausgefordert fühlen, und daß die Jugend in vielen Ländern immer weniger bereit ist, diesen schreienden Widerspruch hinzunehmen.Meine Damen und Herren, diesen Widerspruch, der hier erkennbar ist, müssen wir sozusagen bei den Haushaltsberatungen doch eigentlich alle innerlich spüren. Wenn wir die Diskussion in anderen Diskussionszusammenhängen oft hart miteinander geführt haben, so ist uns sicher ein großer Fehler dabei unterlaufen, nämlich zu glauben, wir könnten diese Frage unter der moralischen Kategorie behandeln, daß der eine moralisch recht hat und der andere moralisch defekt ist. Es ist ein ganz wesentliches Problem, das in der letzten Fraktionssitzung der SPD-Fraktion wieder aufgetaucht ist. Da waren Kollegen, die das noch einmal deutlich gemacht haben. Es ist mir ein Anliegen, auch vor diesem Forum auszubreiten, daß wir diesen Zusammenhang erkennen, daß wir es innerlich fühlen, daß und wie wir diese Entscheidungen treffen. Dieser Konflikt, sich kurzfristig in Sachzwänge zu begeben und mit ihnen zu leben und langfristig zu wissen, daß das falsch ist, muß in eine solche Debatte mit hinein.
Die Zusammenfassung des Nord-Süd-Berichts — ich sage noch einmal: unterschrieben von Liberalen, von Sozialdemokraten, mit von Christen, mit von Kommunisten — stellt folgendes fest:Die Öffentlichkeit muß besser informiert werden über die Lasten und die Verschwendung, die das Wettrüsten mit sich bringt, über den daraus entstehenden Schaden für unsere Volkswirtschaft und über die größere Bedeutung anderer Maßnahmen, für die wegen des Wettrüstens keine Mittel vorhanden sind. Mehr Waffen machen die Menschheit nicht sicherer, nur ärmer.Dann kommt eine Erklärung, die wesentlich ist, weil sie uns von dem Klischee wegführt, es sei nur eine amoralische oder moralische Frage, die wir so gegeneinander diskutieren können. Dort heißt es nämlich:Die Hauptgegner der Abrüstung sind ein Gefühl von Resignation und die traditionelle Hinnahme hoher Verteidigungsausgaben, während die Gefahren ständig wachsen.— Ich zitiere noch einmal den Nord-Süd-Bericht.Wenn das so ist, wenn es also stimmt mit Resignation, dann müssen wir uns auch fragen, ob wir uns beispielsweise nicht nur mit den materiellen Problemen genug beschäftigt haben, sondern dann müssen wir uns mit dem Problem auseinandersetzen, ob wir uns nicht selbst in einen psychischen Kreislauf hineinsetzen, der es uns fast nicht mehr möglich macht, die tatsächlichen Gestaltungsspielräume zu erkennen. Für mich ist einer der Schlüsselbegriffe dazu die Feststellung, daß, wenn man sich mit einer Waffe wie der Atomwaffe auseinandersetzt — jeder von uns weiß, daß sie nicht nur individuell tötend zuschlägt, sondern daß sie ein Massenvernichtungsmittel ist —, man sich selbstverständlich, um damit überhaupt im Kopf zurechtzukommen, natürlich psychologisch darauf einrichtet, diese Waffe gegen jemanden zu setzen, der ein absoluter Feind ist. Anders läßt es sich psychisch gar nicht verarbeiten, und das ist genau die Sackgasse, in die wir uns hineinbewegen.Ich möchte, weil die Zeit dazu nicht ausreicht, das nicht im einzelnen darstellen, sondern dies in einem Zitat von Horst Eberhard Richter zusammenfassen. Er versucht darzustellen, daß das Klischee, das er beschreibt, keines ist, was wir gegenüber den anderen in uns tragen, die das nicht hätten, sondern er beschreibt das als tödlichen Gleichlauf auf beiden Seiten, und er greift eine Seite einmal heraus. Zitat:Die Idee, von den Russen verfolgt zu werden, bindet die Angst an ein konkretes Feindbild. Dieses Feindbild liefert der abstrakten, uferlosen Angst ein faßbares, personifiziertes Objekt, und es entlastet vor allem von dem ungeheuren Gewissensdruck der eigenen Mitverantwortung für die Politik der gigantischen wechselseitigen Bedrohung. Sind wir hier die Reinen und unschuldig Verfolgten und sind die drüben die teuflischen Aggressoren, so sind wir ja geradezu moralisch genötigt, alle Rüstungsanstrengungen zu unternehmen, um das Prinzip des Bösen, das sich im kommunistischen Osten konkretisiert hat, unschädlich zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich habe nur noch zwei Minuten Redezeit. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich das in einer so kurzen Zeit leider nicht aufnehmen kann.Meine Damen und Herren, eine erste Antwort auf dieses Problem war der Versuch, aus der Konfrontation über Ostpolitik und Entspannung herauszukommen. Aber es ist deutlich, daß diese Diskussion immer noch gegenseitig geprägt wird von wesentlichen Vorstellungen, die auch — ich sage das einmal so brutal — mit Verfolgungswahnvorstellungen zusammenhängen, und zwar nicht etwa nur in der Weise, daß wir uns von den anderen verfolgt fühlen, sondern leider Gottes ist es umgekehrt genauso. Richter stellt das in einer Diagnose zusammen und sagt, daß es drei wesentliche Punkte gibt, warum das gegenseitig so funktioniert.Erstens, weil wir weitgehend unfähig sind zur selbstkritischen Wahrnehmung. Beispiele lassen sich bei uns selbst genug anführen. Ich nenne nur
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einmal die Rolle, die der Vietnam-Krieg im westlichen Bündnis gespielt hat, und im östlichen Bündnis die Rolle Afghanistans; denn dort wird genau derselbe Mechanismus ablaufen: daß man kein Schuldbewußtsein für Afghanistan hat. Das heißt, dieses Klischee ist beidseitig.Der zweite wichtige Punkt der Prognose ist: Wir alle haben eine einseitige Wahrnehmungsfähigkeit, weil wir beim Gegner nur das wahrnehmen, was uns in unser eigenes Feindklischee hineinpaßt.Drittens sagt er: Das Problematische an diesem Zusammenhang ist, daß wir gegenseitig fast eine Unkorrigierbarkeit dieser Angstvorstellungen haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, daß es eine Überforderung wäre, in dieser kurzen Zeit — ich bin leider gleich mit meiner Redezeit am Ende — diesen Zusammenhang so zu würdigen, wie es sich für ihn gehört. Aber mir ist in den Haushaltsberatungen eines klargeworden: Ich selbst — ich weiß nicht, wie weit dieses Gefühl von anderen geteilt wird — habe doch ein ziemlich ausgeprägtes Gefühl der Ohnmacht gehabt bei der Behandlung der Rüstungspolitik und bei der Möglichkeit der Einwirkung auf das, was wir im Zusammenhang mit der Rüstungspolitik diskutiert haben, weil die Problematik oft undurchsichtig ist und es nicht um das individuelle Versagen einzelner Politiker geht, sondern weil man sich mit dem Problem industrieller, militärischer und bürokratischer Einwirkungen auf unsere Entscheidungen auseinandersetzen muß. Wir haben versucht, an dieses Problem heranzugehen. Einige Daten sind schon genannt worden, beispielsweise die 20%ige qualifizierte Sperre.Für mich ist aber wesentlich: Wenn wir von den Ausgaben, die wir vorprogrammiert haben, aus politischer Entscheidung herunterwollen, können wir es fast gar nicht mehr in kurzer Zeit, weil wir uns gebunden haben. Das bedeutet, daß wir bei jedem Großprojekt auch diesen Zusammenhang mit der Frage der Ost-West-Beziehung und der Nord-SüdBeziehung sehr viel deutlicher neu diskutieren müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mit einem Zitat vom Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, Heribert Scharrenbroich, schließen, das Egon Bahr heute schon zitiert hat. Ich wandle es nur so um, wie es jetzt hineinpaßt: Nur eine Volkspartei, die sich selber einen Streit um die richtigen Fragestellungen und politischen Lösungen zutraut, findet das Vertrauen der kritischen Wechselwähler. — Ich hoffe, daß wir uns dieser Auseinandersetzung noch stärker und noch intensiver widmen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute nachmittag den Verteidigungsminister etwa eine Dreiviertelstunde lang in Aktion gesehen. Ich darf mich gleich zu Beginn und direkt Ihnen, Herr Minister, zuwenden.Ich möchte uns alle daran erinnern, wie es war — etwa vor drei Jahren —, als Sie — und das will ich einräumen gegen Ihren Willen, nach langem Sträuben, lustlos, fast widerwillig dem Bundeskanzler dennoch folgten und sich an die Spitze des Ministeriums auf der Hardthöhe setzen ließen. Eines haben alle, auch die, die skeptisch waren, was wohl auf uns — nicht nur auf die Bundeswehr —, in der Bundesrepublik und auf unsere äußere Sicherheit zukommt, allerdings von Ihnen erwartet, nämlich, daß Sie, nachdem Sie aus dem Finanzministerium kamen, auf der Hardthöhe wenigstens für solide, geordnete Finanzen würden sorgen können.
Dieses Feld steht j a heute exemplarisch dafür, wie es da oben leider im Augenblick und seit einiger Zeit aussieht.Zu dem Verteidigungsminister und seinem Umgang mit dem Geld. 1978 stand in einem der ersten Berichte über Ihre neue Funktion im „Spiegel", daß Sie selber schon zu jener Zeit sahen, daß auf die Bundeswehr in der Frage der Wechslung der Waffengenerationen eine riesige Bugwelle zukommt, die Bugwelle, die jetzt über Ihnen zusammengebrochen ist.Einige weitere Erkenntnisse von Ihnen. Gefragt nach dem Bedarf an Geld sagten Sie: Je nachdem wie man rechnet, könnten 3 Milliarden DM übrig sein — ich wiederhole, ich habe mich nicht versprochen, 3 Milliarden DM zuviel — oder, wenn man anders rechnet, können auch 100 Milliarden DM fehlen. Das haben Sie damals gesagt.Noch in diesem Jahr wurde gesagt: Es ist alles in Ordnung; wir haben alles im Griff. Im Mai 1980 wurde uns, bezogen auf die bestellten Waffensysteme, ausdrücklich erklärt, alle seien finanziell voll abgesichert, dies allerdings an einem Tag, nachdem 24 Stunden vorher der Generalinspekteur einen Brief auf den Tisch gelegt hatte, der besagt, daß die Finanzierung durcheinandergeraten sei. Dies aneinandergereiht, dürfte heute auch in den Reihen der SPD und der FDP jeden mit Sorge erfüllen und offenkundig machen, daß hier schon damals leichtfertig und locker nicht nur mit den Dingen und dem Geld, sondern auch mit der Wahrheit umgegangen wurde.
Herr Minister, Sie enthalten uns ständig die Wertung der Inspekteure nach der Rüstungsklausur vor, die diese damals als Fachleute, als Experten, die der Wahrheit verpflichtet sind, aus Sorge zu den Akten gegeben haben und in der die Auswirkung auf die Durchhaltefähigkeit, die Vorneverteidigung, die Möglichkeit der Luftabwehr in schlimmen, alarmierenden Bildern dargestellt wird. Dies verträgt sich überhaupt nicht mit den — ich benutze einmal die heute nachmittag ein paarmal von Ihnen in den Mund genommene Formulierung — polemischen Aussagen uns gegenüber, wir, die CDU und die CSU, verbreiteten „Tatarenmeldungen" über die Bundes-
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Würzbachwehr, die zur Verunsicherung der Soldaten beitrügen.Herr Minister, gestatten Sie mir hierzu zwei Bemerkungen. Lesen Sie, was Kollegen aus der SPD, lesen Sie, was Kollegen aus der FDP in den letzten Wochen zum gleichen Thema gesagt haben! Lesen Sie gründlich auch das, was heute hier von vielen Sprechern der SPD und der FDP dazu gesagt worden ist! Dies sind keine „Tatarenmeldungen", dies kann nicht zur Verunsicherung führen, sondern dazu sehen auch wir uns — ich sage: leider — gezwungen, weil Sie die Wirklichkeit, die Wahrheit und die schlimmen Folgewirkungen unter den Teppich kehren. Der Kollege Würtz sagt: „Sie schönen". Sie „Schönen" heißt: ändern, verändern. Dies bedeutet im Klartext, daß die Dinge nicht der Wahrheit entsprechen, sondern daß sie gefälscht sind und mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.Wenn Sie diese unsere Aussagen als „Polemik" kennzeichnen, muß ich Ihnen sagen: Hiermit werden Sie sich noch viele Male — es ist die Pflicht der Opposition, dafür zu sorgen — in diesem Zusammenhang auseinandersetzen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte nicht!
Keine Zwischenfrage, Herr Kollege Würtz!
Noch ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Kollege Zumpfort. Ich war erfreut, daß Sie bei meiner Frage, in der ich Ihre Aussage aufgriff, die Bundeswehr habe in den letzten Jahren im Überfluß gelebt, wobei Sie das mit der Verantwortung von FDP und SPD in den letzten zwölf Jahre für diese Bundeswehr in Verbindung bringen wollten, sprachlos dastanden und mir diese Frage nicht beantworten konnten. Wenn Sie der Bundeswehr unterstellen, im Überfluß gelebt zu haben, heißt das doch wohl, daß Sie zuviel Geld, zu viele Mittel — wofür denn eigentlich? — zur Verfügung gestellt haben. Dies wäre ein Verstoß gegen Ihre Verantwortung und nicht das Wahrnehmen von Verantwortung.
Herr Minister Apel erzählt im Untersuchungsausschuß, in der Öffentlichkeit und auch hier, er habe von dem „Debakel" — eine Formulierung, die inzwischen auch von seinen Kollegen in den Mund genommen wird — um das Flugzeug „Tornado" erst erfahren, nachdem die Bundestagswahl lange vorbei war. Ich will an dieser Stelle nur darauf hinweisen— wir werden noch oft Gelegenheit haben, darüber zu reden —, daß der Minister Apel schon im April 1980— das war eine beträchtliche Zeit vor der Bundestagswahl — auf der Luftfahrtausstellung in Hannover eine Rede gehalten hat, bei der er die Kostenproblematik beim Flugzeug „Tornado" in den Mittelpunkt gestellt hat. Viele bundesdeutsche Zeitungen haben damals in Berichten und Kommentaren über den „Mut" des Verteidigungsministers — so nanntensie es — geschrieben und ihn dafür gelobt, daß er die Dinge beim Namen genannt habe. Es ist bekannt, daß bei den Beschaffungen der Luftwaffe der Kostenanteil des Flugzeuges „Tornado" in diesem Jahr 73 % beträgt und damit den größten Brocken ausmacht; bei der Marine beträgt er 55 %. Der Minister versucht sich damit herauszureden, davon erst spät, nämlich nach der Wahl, und dann auch nicht konkret etwas gehört zu haben.Die Frage, wie das mit der Wahrheit, mit der Verantwortung in dieser Funktion in Verbindung gebracht werden soll, erschüttert, glaube ich, inzwischen, wie man den Reaktionen entnehmen kann, seine eigene Fraktion in gleichem Maße wie die Bürger in Deutschland und uns.Ich möchte zu weiteren Beispielen des Umgangs des Ministers mit dem Geld in seinem verantwortlichen Amt kommen und vorweg aber die Bemerkung machen, daß auch jeder von uns in der CDU und CSU gerne jede Milliarde und jede Million und sogar jede Mark, die heute für die Verteidigung ausgegeben werden muß — weil die Realitäten in der Welt, wie sie nun mal sind, uns dazu zwingen —, wenn es ginge, lieber für völlig andere Dinge im Land oder irgendwo in der Welt ausgeben möchte. Dies ist eine Sache, bei der ich, glaube ich, nicht nur für uns, sondern für jeden hier in dieser Form sprechen kann.
Wo wir uns aber unterscheiden, ist die Art und Weise, mit diesem Geld umzugehen. Hier möchte ich Ihnen allein aus den letzten Wochen — man kann fast sagen: Tagen — wieder ein paar Punkte Ihres Verhaltens hier vor Augen führen.Bis zum 5. Mai war im Verteidigungsbereich nach des Ministers Aussage „alles im Griff", so war seine Formulierung. Am 6. Mai kam er in den Verteidigungsausschuß und teilte zu aller Überraschung mit, daß er alles noch einmal gründlich geprüft habe und daß ihm nun 1,175 Milliarden DM fehlten. Das hat er damit begründet, daß er extra drei Monate gewartet habe — seine Formulierung war: „zugewartet hat" —, um wirklich Belege zu haben, wie es aussieht. Er hat zu diesem Fehl von 1,175 Milliarden DM, das er plötzlich feststellte, fast wörtlich hinzugefügt: Nur, eines geht nicht, daß man mir, dem Verteidigungsminister, auferlegt, ich soll diesen Fehlbetrag aus meinem Etat irgendwo herausdünnen. —
Eine Woche geht ins Land, es kommt der 13. Mai, und da teilt der Minister mit, daß sich der Fehlbestand reduziert habe, nachdem er noch einmal wieder gründlich überprüft habe, und nun seien es inzwischen nur noch 850 Millionen DM. Mit diesem Betrag komme er gut hin. Heute hier im Plenum vor wenigen Stunden hören wir, daß Berechnungen bezüglich der Flugstunden in seinem Ministerium auf einer falschen Rechengrundlage durchgeführt worden seien,
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Würzbachund wir werden informiert, daß in seinem Ministerium vor etwa drei Jahren ein Vertrag über das Raketensystem „Roland" abgeschlossen worden sei, aus dem, wenn man jetzt aussteigen wolle, sich wieder gigantische Fehlbeträge ergäben. Er kommt hierher und findet für alle diese Dinge irgendwo, nur nicht bei sich, einen Schuldigen. Herr Minister, neben diesen Dingen: Ich behaupte, die kannten Sie, und die haben Sie aus bestimmten Gründen verdrängt, denn so viel kann ja gar nicht in einem Ministerium auch sogar an Ihnen auf Dauer in dieser Form vorbeigehen.
Im übrigen werden wir es j a in Kürze erleben. Der Kollege Wörner sprach heute morgen von 4 Milliarden DM, die nach Aussagen auch von Politikern von SPD und FDP und, wie man hört, auch vom Regierungssprecher in die nächsten Jahre oder in das nächste Jahr hineingeschoben werden. Hier gibt es ja Beträge, die Sie bewußt in das nächste Jahr hineinschieben. Ich sage einmal, indem ich mich dem lateinischen Wort nähere: Sie basteln hier an der Haushaltsführung herum, Sie drehen an den Zahlen herum, und dies übersetze ich nach der Einleitung soeben eindeutig in die Formulierung: Manipulation. Hier wird in einer unstatthaften, gefährlichen Art und Weise herumgedreht.
Als der Minister Apel — ich habe vorhin geschildert, daß er es nicht gerne tat — in dieses Amt kam, ließ er sich dort mit viel Vorschußlorbeeren feiern, erntete Applaus quer durch den deutschen Blätterwald. Es wurde ihm als positive Eigenschaft zugeschrieben, daß er nur begrenzte Vorkenntnisse habe, daß dies aber der Sache guttue, weil er damit ohne Vorurteile an die Sache herangehe. Eine andere Aussage — in der „Rheinischen Post", April 1978, Apel war ganz frisch im Amt — lobt sein gutes „Abschätzungsvermögen". Dieses gute Abschätzungsvermögen ermögliche es ihm, auf solche Details zu verzichten, die für Entscheidungen in Grundsatzzusammenhängen nicht unbedingt erforderlich seien, meine Damen und Herren. Dieses Verzichten auf Details hat dieser Minister so weit getrieben, daß er, seitdem er im Amt ist, den Fünfjahresplan, die mittelfristige Planung, wo Rüstung und Finanzierung ineinandergreifen sollen, überhaupt nicht mehr fortgeschrieben hat, obwohl dies — Kollege Jung hat dies heute morgen hier moniert — jeweils schon im nächsten Jahr in die konkrete Haushaltsgestaltung direkt einfließt. Ich glaube, daß man sich hierüber dann nicht wundern muß.Um von den Zahlen wegzugehen, Herr Minister: Ihr Versäumnis mit ist es, daß Sie die Öffentlichkeit, die bundesdeutsche Öffentlichkeit und nicht nur die Jugend über die Zusammenhänge, über die Notwendigkeiten der Verteidigung, der Wehrpflicht, der Bundeswehr nicht oder nur oberflächlich und lustlos und nicht engagiert und auch nicht kämpferisch in Ihrer Partei informiert haben. Hier will ich formulieren und Ihnen sagen, daß ich den Begriff aus der Soziologie ableite: hier haben Sie sich — in der soziologischen Formulierung — der Komplizenschaft, Herr Minister Apel, schuldig gemacht mit denen, die ausganz anderen Gründen, als Sie es passiv bewerkstelligt haben, aktiv gegen unsere Sicherheit und Bundeswehr in den letzten Jahren agitieren.
Wenn der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland — heute mittag um 13 Uhr ist über dpa dieser Bericht gekommen — sich selbst — ich zitiere hier keinen aus der CDU/CSU, sondern ich zitiere ihn, den Minister — als „August der Nation" bezeichnet, der er nicht länger sein will — was ist das eigentlich für ein Zustand bei uns in der Bundesrepublik, daß dieser Mann — —
— Wenn es nur Humor wäre, dann würden wir lachen.
Der gleiche Minister schreibt in dem gleichen Interview — in einer Gewerkschaftszeitung —, er wolle auf jeden Fall eine Debatte vermeiden, nämlich „bei der auf Monate der Eindruck entsteht, auf der Hardthöhe seien nur Idioten, der größte Idiot sei an der Spitze". — Was hier dieser Mann über die Männer da oben wegen eigener Fehlleistungen schreibt, ist eine Ungeheuerlichkeit.
Wenn Sie allerdings das Wort „Idiot" auf den Ursprung zurückführen — wer sich damit beschäftigt hat, weiß, das heißt „der Unwissende" —, dann trifft das auf den an der Spitze uneingeschränkt zu.
Ich komme zum Ende mit einem Zitat von Minister Apel.
Apel hat auf dem Kirchentag 1975 in Frankfurt wörtlich gesagt: „Ich kämpfe" — ich, der Minister — „manchmal unfair für den Erhalt der Macht meiner politischen Gruppe, weil ich davon überzeugt bin, daß das für unser Land gut ist."
„Ich", Apel, „sage nicht immer die Wahrheit." — Meine Damen und Herren, ich bezweifle für uns und immer mehr Bürger draußen in Deutschland, daß die Erhaltung der Macht dieses Ministers und seiner Regierung gut für Deutschland ist.
Ich füge allerdings hinzu, daß der Minister den zweiten Teil seiner Aussage auf dem Kirchentag bezüglich der Wahrheit bis in die letzten Stunden und in seiner Amtszeit im Ministerium wiederholt, allerdings mit gefährlichen Auswirkungen für unsere Sicherheit unter Beweis gestellt hat.
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2354 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Würzbach hat sich nichts Neues als die alten Schweinereien, die er sonst immer benutzt, einfallen lassen
und nichts Konstruktives zum Haushalt beigetragen. — Ich bin gerne bereit, dafür einen Ordnungsruf, Frau Präsidentin, entgegenzunehmen.
Wer im Glashaus sitzt, Herr Kollege Würzbach, der sollte nicht mit Steinen werfen. Ich kenne Sie nicht erst seit 1976, sondern ich kenne Sie schon aus Ihrer Tätigkeit als Soldat. Wer so hohe moralische Anforderungen hier zu verkünden versucht und von anderen fordert, der sollte sich selbst überprüfen, ob er diesen moralischen Anforderungen gerecht wird.
— Ja, ja, fragen Sie Ihren Kollegen mal, der in den Zeitungen als „der Mann aus der Truppe" bezeichnet wird, was er denn in der Truppe alles so erlebt hat. Fragen Sie ihn mal; aber nach seinen eigenen Erlebnissen!
Es ist ja so, daß nichts Neues gekommen ist. Das habe ich schon festgestellt. Erst werden von der Opposition, im wesentlichen von Herrn Würzbach, Schlagzeilen produziert, und dann werden diese Schlagzeilen dazu benutzt, als Dokument Ihrer Aussage hier im Parlament zu dienen.Sie haben davon gesprochen, was der Minister getan hat, als er frisch ins Amt gekommen ist. Herr Kollege Würzbach, Sie sind im Januar ebenfalls frisch in ein Amt hineingekommen. Wenn ich mir den Packen an Zeitungsmeldungen — so dick ist er — und das, was da alles drin steht, angucke, habe ich den Eindruck, daß Sie es nötig hatten, zu beweisen, daß Sie derjenige sind, der die Position anderer in der Union übernehmen mußte und der der Scharfmacher der Union werden möchte.
Worum geht es hier denn eigentlich, Herr Kollege Weiskirch? Es geht um den Haushalt 1981. Es geht darum, ob die Bundeswehr mit den im Haushalt 1981 zur Verfügung gestellten Mitteln ihren Auftrag erfüllen kann.Dazu möchte ich gern diesen Auftrag noch einmal in Erinnerung rufen. Ich zitiere aus dem Weißbuch 1979, Seite 3:Friede ist die Grundbedingung unseres Lebens. Den Frieden in Freiheit zu bewahren ist Ziel deutscher Sicherheitspolitik. Ein wesentlicher Teil dieser Sicherheitspolitik ist die Erhaltung und Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit im Rahmen des NATO-Bündnisses, also derFriedenssicherung und damit der Kriegsverhinderung.
— Ja; ich weiß. Wir mußten uns j a das Zeug, das der Herr Würzbach hier fabriziert hat, auch anhören. Jetzt bitte ich Sie darum, auch einmal zuzuhören. Das würde nämlich der Lernfähigkeit, die vorhin so viel beschworen worden ist, sicherlich dienen.
Es scheint mir wichtiger zu sein, festzustellen, daß ein Faktor der Ausstattung für die Streitkräfte zur Erfüllung ihres Auftrags die Bedrohungsanalyse ist; aber eben nur ein Faktor. Sie kann jedoch nicht das alleinige Kriterium sein. Sie muß gleichrangig neben den finanzpolitischen Möglichkeiten stehen. Die Einnahmen des Bundes sind vorgegeben und bestimmen die Ausgabemöglichkeiten. Die gesamten gesellschaftspolitischen Verpflichtungen des Staates setzen den Wunschvorstellungen zur Ausstattung der Bundeswehr natürliche Grenzen.Soweit ich mich erinnern kann — und das ist hier schon mehrmals zitiert worden —, hat der Generalinspekteur Brandt im Verteidigungsausschuß auf intensive Befragung durch Kollegen der Opposition, auch durch Herrn Würzbach, immer wieder betont, daß nach seiner Beurteilung die Bundeswehr in der Lage sei, mit den im Einzelplan 14 veranschlagten Mitteln, so wie er hier zur Verabschiedung vorliegt, ihren Auftrag zu erfüllen.Es ist zwar legitim, daß vor allem die für die Teilstreitkräfte verantwortlichen Inspekteure maximale Forderungen stellen. Am Ende der Planungsüberlegungen müssen dann aber politische Entscheidungen stehen. Die Meßlatte für diese Entscheidungen darf nicht sein, wieviel schöne Waffen die Bundeswehr vorzeigen kann, sondern Maßstab darf allein der Abschreckungswert der Bundeswehr im Sinn der Kriegsverhinderung sein. Dies war das oberste Ziel und muß das oberste Ziel der Politik bleiben. Die Kriegsverhütung durch Abschreckung ist in der Vergangenheit erfolgreich gewesen. Ich bin davon überzeugt, daß das Ziel der Kriegsverhütung und Friedenssicherung nicht durch die Anhäufung von immer mehr Vernichtungspotential, sondern nur durch die Verwirklichung der von der Bundesregierung verfolgten Politik erreicht werden kann, nämlich mehr Sicherheit durch weniger Rüstung auf beiden Seiten der Militärblöcke.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe mich in den vergangenen Monaten mehrfach gefragt, wer der äußeren Sicherheit dieses Landes schadet: ob es die sind, zu denen ich mich zähle, die jede Position im Verteidigungsetat auf ihre sicherheitspolitische Notwendigkeit durchleuchten und die Bundeswehr dazu anhalten, die knapp vorhandenen Mittel sparsam und effektiv zu verwenden, oder aber die, zu denen ich den Kollegen Würzbach zähle, die in der Öffentlichkeit in verantwortungsloser Weise den Soldaten suggerieren, die Streitkräfte seien nicht in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen,
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Jungmannund damit Zweifel an den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten wecken.
Herr Kollege Jungmann, einen Moment. — Meine Damen und Herren, dies ist nicht möglich. Ich bitte, erst einmal Platz zu nehmen, bevor der Redner weiterspricht. — Ich bitte, Platz zu nehmen.
Noch einmal: Ich bitte die Kollegen, die da stehend ihre Gespräche führen, Platz zu nehmen oder sich außerhalb des Saales zu begeben.
Also, die Opposition darf ihren Schmutz, so will ich einmal sagen, hier ausbreiten, ist aber nicht bereit, den anderen, die das nicht so machen, zuzuhören.
— Ja, gucken Sie doch einmal da hinten, da stehen sie. — Da nicht, da stehen sie. — Ich komme zu dem Ergebnis, daß Ihre öffentliche Kampagne dazu beiträgt, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu gefährden, und damit beim potentiellen Gegner Versuchungen hervorrufen kann, die wir alle gemeinsam vermeiden wollen.
Unsere Aufgabe muß es nach meiner Auffassung vielmehr sein, von den Soldaten zu verlangen, den Primat der Politik zu respektieren, und dafür Einsichten bei ihnen zu wecken. Die planerischen Vorstellungen müssen an den finanzpolitischen Möglichkeiten, an dem Machbaren gemessen werden. Es kann nicht Aufgabe einiger führender Soldaten sein, politische Entscheidungen mit Hilfe der Opposition durch Indiskretion zu hintertreiben.
Sie dürfen auch nicht davon ausgehen, daß sie die Politiker als Geldbeschaffer für ihre Planungsvorstellungen benutzen können, und ansonsten meinen, Politiker hätten sich aus der Beurteilung des verteidigungspolitisch Notwendigen herauszuhalten; denn sie verstünden ja eh nichts davon.
Nun, Herr Kollege Wörner, möchte ich zu dem, was Sie hier heute morgen zum feierlichen Gelöbnis gesagt haben, kommen. Sie haben gesagt, Sie wollten hier die Interessen der Jugend formulieren, die sich bei feierlichen Gelöbnissen in der Öffentlichkeit darstellen möchte. Glauben Sie wirklich, daß dies das zentrale Anliegen unserer jungen Wehrpflichtigen ist? Ich möchte Sie allen Ernstes fragen, ob Sie Professor Ellwein widersprechen wollen, der festgestellt hat — ich zitiere —:
Tradition, die gepflegt wird, selbst aber nicht
mächtig ist, wird zum Brauchtum, das auch
ohne jeden Blick auf seinen Bedeutungsgehalt
geübt werden kann. Im schlimmsten Fall entartet es zum bloßen Ritual, zu dessen Teilnahme der Befehl veranlaßt, der den inneren Widerspruch verdeckt.
Ich jedenfalls begrüße es, daß Minister Apel mit der Abkoppelung des Großen Zapfenstreichs vom feierlichen Gelöbnis die Gefahr einer solchen „Entartung zum bloßen Ritual" und damit einer Entwertung des Gelöbnisses selbst rechtzeitig erkannt hat und nunmehr dabei ist, neue, zeitgemäße Formen für das Gelöbnis zu entwickeln. Nicht durch Befehlen starrer Rituale, sondern nur durch die Vermittlung lebendiger Überzeugung von der Notwendigkeit des Wehrdienstes in unserer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft achten wir in unseren jungen Wehrpflichtigen den Staatsbürger. Aber nur durch solche Staatsbürger, durch selbstbewußte Demokraten, nicht durch Muschkoten, deren Verhältnis zu ihrem Staat durch Kadavergehorsam geprägt ist, können wir unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung verteidigen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, zum Schluß — —
— Ich weiß, Sie ertragen es nicht, anderen zuzuhören. Sie meinen aber immer, andere müßten Sie ertragen. Nun müssen Sie mich noch einige Minuten ertragen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren von der Opposition, möchte ich Ihnen noch auf den Weg geben, zu prüfen und zu überlegen, ob Sie sich mit dem, was Sie hier tun, für die Zukunft nicht selbst schaden. Der Primat der Politik gilt nicht nur für die Koalitionsfraktionen, sondern auch für die Opposition — für eine konstruktive Opposition, Herr Kollege Würzbach. Deshalb bitte ich Sie im Interesse unserer äußeren Sicherheit, Ihre destruktive Haltung aufzugeben und dem Verteidigungshaushalt zuzustimmen. — Ich bedanke mich für Ihre geteilte Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Jungmann, es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr Ruhe verschaffen konnte. Die Unruhe war bei der namentlichen Abstimmung, die uns bevorsteht, aber verständlich.Die im Ältestenrat vereinbarte und vom Bundestag beschlossene Redezeit ist mit dem letzten Redner bereits überschritten. Es liegen noch zwei Wortmeldungen vor, die nicht von einer Fraktion angemeldet wurden. Auf Grund des verfassungsmäßigen Anspruchs gebe ich den Herren Abgeordneten über die vereinbarte Redezeit hinaus eine Redezeit von je fünf Minuten.
Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist derFall. Dann erteile ich dem Herrn Abgeordneten
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2356 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981
Vizepräsident Frau RengerDuve zu einer Rede von höchstens fünf Minuten Dauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, in fünf Minuten das zu sagen, was ich hier sagen möchte.
Die 80er Jahre sind das erste Jahrzehnt, in dem die ernstliche Gefahr eines mit Kernwaffen geführten Krieges besteht. Dies ist ein Zitat von Carl Friedrich von Weizsäcker. Experten sind sich darüber einig, daß ein solcher Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit in Mitteleuropa ausgetragen werden würde.
Diesem Parlament und der Demokratie wäre es nicht angemessen, wenn wir angesichts einer solchen Mahnung den Etat des Bundesverteidigungsministeriums nicht mit einem Wort der Sorge bedenken würden. Um es vorwegzunehmen: Wir Sozialdemokraten stehen zur Regierung von Helmut Schmidt, weil sie sich bemüht, in schwieriger Zeit und mit schwierigen Partnern ihren Entspannungskurs fortzusetzen.
Mit unserer Zustimmung zum Etat des Verteidigungsministeriums wollen wir zum Ausdruck bringen, daß wir diese Regierung unterstützen.
Beschaffungsentscheidungen, die vor Jahren getroffen worden sind, bringen uns heute in finanzrechtliche Zugzwänge, für die der Verteidigungsminister Hans Apel nicht verantwortlich gemacht werden sollte, wie es hier heute mehrfach geschehen ist.
Wenn Sie den folgenden Passus hören, werden Sie verstehen, warum ich mich hier noch einmal zu Wort gemeldet habe. Eine Gruppe von Sozialdemokraten
— das ist in der Öffentlichkeit bekannt — hat in ihrer Fraktion versucht, eine Umschichtung von 1 Milliarde DM zugunsten des Entwicklungshilfeetats vorzunehmen.
— Wissen Sie, Abgeordnete einer Partei, die in ihrem Namen den Autor der Bergpredigt trägt
— warum müssen Sie denn jetzt „buh" rufen?;
— dies ist keine persönliche Erklärung, sondern ein Redebeitrag —, sollten mir doch einmal zuhören können.
Wir haben das in der traurigen Gewißheit versucht, daß die 80er Jahre unter dem bedrückenden Doppelzeichen von Hunger und von Waffen stehen. Das erste Jahr dieses Jahrzehnts hat das j a bereits gezeigt.
Wir wollten erreichen, daß mehr gegen den Hunger und weniger für Waffen ausgegeben wird.
Wir wollten aus finanztechnischen und bündnisrechtlichen Zwängen einen winzigen Schritt ausbrechen, um die menschenrechtlichen Verpflichtungen deutlich zu machen, die wir als Reiche alle miteinander gegenüber den heute wirklich Verdammten dieser Erde haben.
Meine Damen und Herren, das Gefühl jener Sicherheit, mit der die Verteidigungslasten begründet werden, ist im Schwinden. Mehr und mehr Menschen, nicht nur in unserem Lande, beschleichen Zweifel, ob mehr und technisch verbesserte Waffensysteme auch mehr Sicherheit bieten. Sie haben eher das Gefühl, daß mehr Waffen mehr Unsicherheit und größere Kriegsnähe bewirken.
Die großartige, für uns Deutsche so erfolgreiche Friedens- und Entspannungspolitik wird heute von der Union offen denunziert, und der rasche militärische Reflex auf internationale Entwicklungen scheint wieder Mode zu werden. Die Menschen in unserem Lande sind aber zu Recht skeptisch gegenüber einer Position, die die Entspannungspolitik nachträglich verteufelt. Die Menschen sind mißtrauisch gegenüber den Motiven dieser Verteufelung der Entspannungspolitik.
Und wir teilen dieses Mißtrauen.
Niemand verkennt die Hochrüstung des Warschauer Pakts. Aber in einer Zeit, in der nicht nur Carl Friedrich von Weizsäcker von der Führbarkeit des Atomkrieges spricht, sondern auch Militärexperten dies geradezu erwägen, ist die skeptische Haltung gegenüber dem eigenen Anteil an der Rüstungsspirale überlebensnotwendig.
Alle Sozialdemokraten, vom Ortsverein bis zum Kanzler, verabscheuen das Drohen amerikanischer Falken mit der militärischen Stärke, dem sich die Union tagtäglich anschließt.
— Sie bringen mich nicht aus dem Konzept. — Wir sind eine Friedenspartei, und wir ringen um den richtigen Weg, zum dauerhaften Frieden, auch in unserer Partei.
Und dabei berührt uns die hämische, unchristliche Schulmeisterei von außen nicht.
Wer ohne eigene Bedingungen gegenüber dem Bündnispartner von der totalen Illusion der Null-Option hämisch spricht, wie Herr Wörner das hier heute morgen getan hat, der mißachtet die Friedensbewegung unserer Tage. Und wer nur auf das — —
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte darum.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2357
Frau Präsidentin, darf ich hier eine Bemerkung machen? — Ich bin Neuling, aber ich habe so viel aus der Geschäftsordnung verstanden, daß mir — es sei denn, es gäbe irgendwelche anderen Unterlagen - im Grunde genommen eine Redezeit von 15 Minuten zur Verfügung steht.
Herr Abgeordneter, Sie sollen jetzt mit mir keine Geschäftsordnungsdebatte anfangen.
Ich bitte darum, zum Schluß zu kommen.
Frau Präsidentin, ich habe mich bemüht — —
Das geht nicht. Sie können mit mir hier nicht diskutieren.
Frau Präsidentin, ich habe mich bemüht — —
Herr Abgeordneter, es gibt keine Diskussion. Kommen Sie bitte zum Schluß! Sonst gibt es hier wirklich den Ärger, daß ich Sie bitten muß, vom Podium zu gehen.
Bitte, reden Sie.
Frau Präsidentin, ich war dabei, zum Schluß zu kommen.
Ich möchte zum Schluß einen großen Amerikaner zitieren, der kürzlich gesagt hat:
Niemals in den letzten 30 Jahren
— so hat uns George Kennan vor kurzem alle ermahnt —
hat die politische Spannung einen so gefährlichen Punkt erreicht wie heute.
Und seinen Landsleuten rief er zu:
Ihr habt eine Verpflichtung gegenüber vergangenen Zivilisationen, die in Gefahr sind, ihren Sinn zu verlieren, und ihr habt eine Verpflichtung gegenüber der Zukunft, deren Existenz überhaupt bedroht ist.
Kennan fordert, mehr und mehr auf atomare — —
Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt Schluß machen. Es tut mir furchtbar leid. Ich bitte Sie, jetzt das Podium zu verlassen.
Ich habe Sie zweimal ermahnt, Schluß zu machen. Ich muß Sie aus Gründen der Geschäftsordnung bitten, das Podium zu verlassen. Bitte, machen Sie es mir nicht schwerer!
Frau Präsidentin, wollen Sie mich jetzt vom Platz weisen, oder lassen Sie mich bitte — —
Herr Duve, tun Sie mir den Gefallen. Sie haben ja alles ausgesprochen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Schöfberger hat jetzt für fünf Minuten das Wort. Ich darf noch einmal auf die Redezeit hinweisen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nach § 34 der Geschäftsordnung um 15 Minuten Redezeit gebeten. Fünf Minuten sind mir zugewiesen worden. Zwecks Wahrung meiner weiteren Rechte möchte ich dagegen protestieren.
Ich stehe hier, um als einer der wenigen nicht für mehr Rüstung, sondern für weniger Rüstungsausgeben zu sprechen, und stelle fest, daß es für diese Position in einem deutschen Parlament fünf Minuten Redezeit gibt.
Der Rüstungsetat im engeren soll in diesem Jahr um 21,6 % steigen. Das verstehen viele Bürger nicht, das verstehen all jene nicht, die die sonntäglichen Friedensappelle und die werktäglichen Explosionen der Rüstungsausgaben nicht mehr unter einen Hut bringen.
In unserem Volk gibt es eine weit verbreitete Friedenssehnsucht, und es gibt auch genügend gutgemeinte Appelle und Sonntagsreden für den Weltfrieden. Die Vereinten Nationen resolutionieren und erklären die abgelaufene Dekade zum Jahrzehnt der Abrüstung. Der Papst betet und ermahnt die Völker zum Frieden. Die Nord-Süd-Kommission beschwört die Industrienationen, statt zu rüsten zu helfen. Die Bundesregierung ist für den Frieden. Der Bundestag auch. Alle Parteien und Fraktionen sind für den Frieden. Aber fast täglich wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit breiter und tiefer: am Sonntag für den Frieden predigen und am Mittwoch für Rüstungsgüter um 21,6 % mehr Geld ausgeben, das nehmen uns viele Mitbürger nicht mehr ab; das rüttelt an der Glaubwürdigkeit unser aller Politik.
Unsere Mitbürger wollen Sicherheit. Für die allermeisten sind Bundeswehr und Bündnis unverzichtbar. Aber Millionen von Mitbürgern wollen nicht, daß wir uns zu Tode rüsten! Dieses weltweite Rüsten — das fühlen viele Menschen draußen — führt über kurz oder lang mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einer Weltkatastrophe. Was ist das, so sagen viele, für ein kostspieliger und risikobefrachteter Scheinfriede, bei dem die bloße Abwesenheit von Krieg und die ständig zunehmende Kriegsgefahr durch finanzielles Ausbluten der Industrienationen und durch Weltarmut und Welthunger für zwei Drittel der Menschheit erkauft werden?
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Dr. SchöfbergerDabei ist uns allen die Mechanik dieser Teufelsspirale des Wettrüstens geläufig: Im Osten wie im Westen setzen die Regierenden ihre Völker mit Hinweis auf das Vernichtungspotential der jeweils anderen Seite unter die gleichen Sachzwänge. So kann jede einzelne Rakete als lebensnotwendig begründet werden. So gilt jedes Kampfflugzeug als unverzichtbar. So kann jedes Waffensystem für notwendig erklärt werden. So kann jede Rüstungsmilliarde gerechtfertigt werden.Nimmt man aber alles zusammen und zieht unter Ost und West einen Strich, dann führt diese Teufelsspirale zum größten, zum kostspieligsten und gefährlichsten Wahnsinn, den sich die Menschheit in ihrer ganzen geschriebenen Geschichte jemals geleistet hat.
Möglicherweise, werden wir davon verschont bleiben, daß sich die Völker mit den scharfen Klingen der bereitgehaltenen Waffen umbringen, aber dann bringen sich die Völker mit den Griffen ihrer eigenen Waffen um, die immer schärfer werden. Es geht uns dann vielleicht so wie den spätmittelalterlichen Rittern, die nicht mehr vom Lanzenstich des Gegners getroffen, sondern von der Schwere der eigenen Rüstung erdrückt ins Gras sanken und den Geist aufgaben.Wir stehen vor einem Doppelwahnsinn des weltweiten Wettrüstens bei gleichzeitiger Weltarmut und Welthunger von zwei Dritteln der Menschheit. Dem Nord-Süd-Bericht entnehme ich folgende Zahlen: 800 Millionen Menschen vegetieren am Rande des Hungertodes! Nach den Berichten der UNICEF sind 1978 12 Millionen Kinder verhungert! In diesem Jahr werden es 25 Millionen sein!
Ihre Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte zum Schluß.
Für nur 2,5 % der Weltrüstungsausgaben könnte der Welthunger gebannt werden. Einmalig 0,5 % der Weltrüstungsausgaben würden reichen, um die zehn ärmsten Länder der Welt zu agrarischer Dauerselbstversorgung zu befähigen. Mit einmalig 0,5 % der Weltrüstungskosten könnte die Weltgesundheitsorganisation Malaria, Flußblindheit, Billharziose und alle anderen Seuchen ein für allemal ausrotten.
Herr Kollege, beenden Sie bitte Ihre Rede!
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin.
Der Haushaltsausschuß hat entsprechend unserem Antrag weitere 65 Millionen DM Barmittel und 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für die Entwicklungshilfe bewilligt. Das ist für mich beachtlich und erfreulich, aber viel zuwenig. Lassen Sie uns bitte im Haushalt 1982, wenn es heute zu spät ist, ein paar Schritte auf dem Wege gehen, den uns die Nord-Süd-Kommission vorzeichnet, damit die Friedenssehnsucht und die Hilfsbereitschaft der
Menschen in unserem Volk einen noch festeren Boden in der deutschen Politik finden.
Es liegt eine weitere Wortmeldung, die nicht von der Fraktion gemeldet ist, vor. Der Herr Abgeordnete Coppik hat für fünf Minuten das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich halte es für notwendig, daß wir deutlich machen, daß dieses Parlament der Bundesrepublik Deutschland kein Theater ist, in dem vorbereitete Rollen abgespielt werden,
sondern ein Parlament, in dem auch die Möglichkeit gegeben sein muß, einmal über die verschiedenen Positionen zu diskutieren.
Ich halte es einfach nicht für möglich, daß man es zwar zuläßt, daß stundenlang darüber diskutiert werden darf, ob der Wehretat nicht vielleicht höher sein könnte, als er ist, daß aber über die Frage, ob er nicht zu hoch ist, nur mit eingeschränkter Redezeit gesprochen werden kann, also in einer Form, die der Würde dieses Hauses einfach nicht angemessen ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es das gute Recht dieses Hauses ist, in aller Ausführlichkeit darüber zu sprechen, ob wir uns nicht in einer Situation befinden, in der die Vergeudung der volkswirtschaftlichen Ressourcen weltweit so groß ist, daß auch wir hier ernsthaft darüber diskutieren müssen, ob für die Rüstung nicht zuviel ausgegeben wird.Ich kann dazu nur sagen: Ich weiß nicht, ob ich hier in diesem Hause noch Gehör finde. Ich weiß auch nicht, wieviel Redezeit mir jetzt zusteht. Ich weiß nur, daß der Herr Kollege Schöfberger Ihnen allen dargelegt hat, daß nach den Zählungen von UNICEF 1978 12 Millionen Kinder den Hungertod gestorben sind. Ich weiß, daß solche Zahlen nicht sehr beeindrucken, weil man sich darunter nicht viel vorstellen kann. Man müßte sich eigentlich das Schicksal jedes einzelnen Kindes vorstellen, um zu wissen, was hinter diesen Zahlen steckt!
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie man es mit einer christlichen Gesinnung vereinbaren kann, darüber so kalt hinwegzugehen und eine solche Situation, wie sie gegeben ist, hinzunehmen.
Meine Damen und Herren, kein anständiger Mensch kann doch eine solche Situation in dieser Welt einfach ohne Widerspruch hinnehmen, die Si-
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Coppiktuation, daß 12 Millionen Kinder in einem Jahr den Hungertod sterben. Daß dann, wenn wir darüber diskutieren wollen, eine Redezeitbeschränkung eintritt, halte ich für ein solches Haus wie den Deutschen Bundestag für mehr als erbärmlich.Und dann wird natürlich dargelegt: Daß so viele Menschen verhungern, können wir allein nicht ändern. Der Meinung bin auch ich. Aber darüber zu sprechen, wie wir eine integrierte Entwicklungsplanung betreiben können, wie wir vielleicht die Rüstungsausgaben herabmindern können, wäre es in einem Deutschen Bundestag doch eigentlich wert, und zwar länger als nur fünf Minuten.
Ich weiß nicht, ob es vermessen ist, einen solchen Anspruch an dieses Haus zu stellen. Aber ich habe mir eigentlich immer vorgestellt, daß der Parlamentarismus davon lebt, daß die unterschiedlichen Positionen in freier Rede gegeneinander ausgetragen werden und daß man dabei irgendwo auch ein Ergebnis findet.
Meine Damen und Herren, wenn wir sagen, die Rüstung, die hier betrieben wird, hänge damit zusammen, daß auf der anderen Seite, im Osten, eine Aufrüstung betrieben wird, so wäre es wert, hier einmal darüber zu diskutieren, inwieweit für uns ein Zwang besteht, nun auf die Rüstung im Osten so zu reagieren, wie wir es tun, ob es wirklich nötig ist, in einer Situation, in der das Vernichtungspotential ausreicht, diese Welt 20- oder 30fach zu vernichten, zu sagen, wenn man den Gegner nur achtfach vernichten könne, sei man ihm unterlegen, weil dieser einen selbst zwölffach vernichten könne. Ich möchte mich jetzt darüber nicht streiten; eine sachgemäße Diskussion scheint mir heute hier nicht mehr möglich zu sein.Jedenfalls glaube ich: Wenn die Vergeudung volkswirtschaftlicher Ressourcen so ist, wie wir sie erleben, wenn jährlich 20 Milliarden Dollar für die Entwicklungshilfe ausgegeben werden, zur gleichen Zeit aber nahezu 500 Milliarden Dollar für die weltweite Rüstung, so ist das ein Ergebnis, mit dem sich eigentlich kein anständiger Mensch zufriedengeben kann.
Dagegen muß man doch etwas tun.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum letzten Satz. Vielleicht bin ich naiv, aber wenn das Ergebnis so ist, daß Millionen Menschen verhungern, während gleichzeitig Milliardenbeträge für sinnlose Zwecke ausgegeben werden, dann ist dieses Ergebnis einfach falsch. Wenn aber das Ergebnis falsch ist, dann
ist auch jede Rechnung, die zu diesem Ergebnis führt, falsch. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert — für seine Fraktion, nehme ich an.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Mitglieder dieses Hauses! Wir haben hier in den letzten, durch zweifellos etwas seltsame, andererseits auch notwendige Maßnahmen der Geschäftsführer herausgefundenen fünf Minuten
gehört, daß die Mehrheit dieses Hauses der Diskussion mit unseren Bürgern offenbar nicht gewachsen ist. Ich bin da ganz anderer Ansicht. Ich meine, wir können das, was hier gesagt worden ist, einfach nicht an uns vorbeigehen lassen, weil wir es dem Bürger auch schuldig sind, zu sagen, wie in einem Parlament eigentlich Meinungsbildung geschieht.
Wir haben unglaublich große Schwierigkeiten, den Bürgern zu sagen, wie Meinungsbildung geschieht. Es gibt Ausschüsse, es gibt kleine Kreise von Kollegen, die sich miteinander unterhalten, weil es sie drängt, sich zu unterhalten. Alle diese unterhalten sich miteinander, und daraus resultiert zum Schluß das, was hier im Haus geschieht.Dann kommen einige wenige Kollegen daher — deshalb habe ich darum gebeten, hier noch einmal das Wort nehmen zu dürfen — und tun so, als hätten sie diesen ganzen parlamentarischen Prozeß, der ein vernünftiger, wenn auch schwieriger Prozeß ist, überhaupt nicht verstanden, nur damit sie sich hier vor dem deutschen Volk aufspielen dürfen,
damit sie hier etwas vorstellen können. Das ist nicht das, was wir uns als Parlamentarier, die sich an den normalen Ablauf halten, gefallen lassen müssen. Wir haben es nicht nötig, dieses Parlament hier von einigen, die eine Außenseiterrolle zur persönlichen Hochsteigerung mißbrauchen wollen, mißbrauchen zu lassen.
Das ist der Punkt, dessentwegen ich noch einmal hierhergegangen bin, um den Kollegen folgendes zu sagen. Alles, was Sie vorgetragen haben, ist sehr bedenkenswert; aber das gehört in die Arbeitskreise, in die Ausschüsse und, wenn man da ganz unterlegen ist, zum Schluß auch ins Plenum. Bloß gehört es nicht im Sinne von PR-Maßnahmen in dieses Parla-
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Kleinertment, zum Schaden aller anderen und zum Schaden dieses Parlaments.
Das Wort hat für fünf Minuten der Herr Abgeordnete Hansen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich nicht zu Wort gemeldet, wenn es nicht den soeben gehaltenen beschämenden Beitrag im Namen einer Fraktion dieses Hauses hier gegeben hätte. Ich finde es unerträglich, daß Kollegen dieses Hauses, die die gleichen Rechte wie jedes hier sitzende einzelne Mitglied haben, als Außenseiter bezeichnet werden, wenn sie eine wichtige andere Position in einer Sachfrage vertreten, die offensichtlich in diesem Hause im Vergleich zum Spektrum der Bürger draußen überhaupt nicht genug zu Wort gekommen ist.
Ich will Ihnen dazu etwas vorlesen. Sollten Sie, auch gerade Sie von der christlichen Seite dieses Hauses, nicht zur Kenntnis genommen haben, daß nach dem Politbarometer des ZDF — erst ganz kürzlich — 67 % der Bevölkerung Gespräche, Verhandlungen ohne eine Nachrüstung verlangen? Das heißt mit anderen Worten: sie stehen nicht auf dem Boden dessen, was hier in der vorigen Woche alles über den Doppelbeschluß gesagt worden ist. Dazu gehören 61 % der CDU/CSU-Wähler und, Kollege Kleinert, 66 % der FDP-Wähler. Insofern ist es wahr, wenn Kollegen hier gesagt haben, daß sogar eine große Mehrheit der Bevölkerung in den Sachbeiträgen in diesem Haus in der Debatte der vorigen Woche und heute nicht repräsentiert war.
Ich finde es unerträglich, wenn die wenigen, die das nachzuholen versuchen, dies mit beschränkter Redezeit — wie ich meine: sogar mit verfassungswidrig beschränkter Redezeit — tun müssen. Das wollte ich hier noch gesagt haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Ich stelle fest, der Herr Abgeordnete Kleinert hat seine persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht.
Zweitens. Ich stelle fest, dieses Parlament hat bisher immer noch jedem Gelegenheit gegeben, die Meinung zu sagen, die er für richtig und für notwendig hält.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14. Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? — Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte um Auszählung. —Meine Damen und Herren. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über den Einzelplan 14 auf Drucksache 9/484 bekannt.Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 487 ihre Stimme abgegeben. Keine Stimme war ungültig. Mit Ja haben 260 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 224 Abgeordnete gestimmt; enthalten haben sich drei Abgeordnete.19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 9 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 10 Abgeordnete gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 487 und 19 Berliner Abgeordnete; davonja: 260 und 9 Berliner Abgeordnetenein: 224 und 10 Berliner Abgeordneteenthalten: 3Nein Francke
FrankeCDU/CSU Dr. Friedmann Ganz
Dr. Abelein Frau GeierDr. van Aerssen Frau GeigerDr. Althammer Dr. GeißlerDr. Arnold Dr. GeorgeDr. Barzel Dr. von GeldernBayha Dr. GeorgeFrau Benedix-Engler Gerlach
Biehle GersteinDr. Blüm Gerster
Böhm GlosDr. Bötsch Dr. GötzBohl GüntherBorchert Haase
Braun Dr. HäfeleBreuer HandlosBroll Hanz
Brunner HartmannBühler Hauser (Bonn-Dr. Bugl Bad Godesberg)Burger Hauser
Carstens Frau Dr. HellwigClemens HelmrichConrad Dr. HennigDr. Czaja HerkenrathDallmeyer von der HeydtDaweke Freiherr von MassenbachDeres HinskenDörflinger HöffkesDr. Dollinger HöpfingerDr. Dregger Frau Hoffmann
Echternach Dr. HornhuesEigen HorstmeierEngelsberger Dr. HubrigErhard Frau HürlandEymer Dr. HüschDr. Faltlhauser Dr. HupkaFeinendegen Graf HuynFellner Jäger
Frau Fischer JagodaFischer Dr. Jahn (Münster)
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Vizepräsident Frau Renger Dr. Jenninger Schartz
Dr. Jentsch Schmitz (Baesweiler)Dr. Jobst SchmöleJung Dr. SchneiderDr. Kansy Freiherr von SchorlemerFrau Karwatzki Dr. Schroeder
Keller Schröder
Kiep Schröder
Dr. Klein Dr. Schulte (SchwäbischKlein Gmünd)Dr. Köhler SchwarzKöster Dr. SchwörerDr. Kohl SeehoferKolb SeitersKraus SickKrey Dr. Freiherr SpiesKroll-Schlüter von BüllesheimFrau Krone-Appuhn SpilkerDr. Kunz SprangerLamers Dr. SprungDr. Lammert Dr. Stark
Lampersbach Graf StauffenbergLandré Dr. StavenhagenDr. Langner Dr. SterckenDr. Laufs StücklenLemmrich StutzerDr. Lenz SussetLenzer TillmannLink Dr. TodenhöferLinsmeier Dr. UnlandLintner Frau VerhülsdonkLöher Vogel
Louven Vogt
Lowack VolmerMaaß Dr. VossMagin Dr. WaffenschmidtDr. Marx Dr. WaigelDr. Mertes Graf von Waldburg-ZeilMetz Dr. WarnkeDr. Meyer zu Bentrup Dr. von WartenbergMichels WeirichDr. Mikat Weiskirch
Dr. Miltner WeißDr. Möller WernerDr. Müller Frau Dr. WexMüller Frau Will-FeldMüller Frau Dr. WilmsMüller Wimmer (Neuss)Nelle WindelenNeuhaus Frau Dr. WisniewskiFrau Dr. Neumeister WissmannNiegel Dr. WittmannDr.-Ing. Oldenstädt Dr. WörnerFrau Pack Baron von WrangelPetersen WürzbachPfeffermann Dr. WulffPfeifer ZiererPicard Dr. ZimmermannPieroth ZinkDr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier Prangenberg Berliner AbgeordneteDr. Probst AmrehnRainer BahnerRawe Reddemann Frau Berger
Regenspurger Dr. HackelRepnik KalischDr. Riedl KittelmannDr. Riesenhuber Kunz
Röhner LorenzFrau Roitzsch Schulze
Dr. Rose StraßmeirRossmanith Rühe Ruf Sauer SPDSauer
Sauter CoppikSauter Dr. SchöfbergerDr. Schäuble SielaffJa Dr. Jens JunghansSPD Jungmann KiehmDr. Ahrens KirschnerAmling Klein
Antretter Dr. KlejdzinskiDr. Apel KolbowAuch KretkowskiBaack Dr. KreutzmannBahr Dr. KüblerBamberg KühbacherDr. Bardens KuhlweinBecker LambinusBernrath LeberBiermann LennartzBindig LeonhartFrau Blunck LeuschnerDr. Böhme LiedtkeBörnsen Dr. LindeBrandt LutzBrandt MahneBrück MarschallBüchler Frau Dr. Martiny-GlotzBüchner MatthöferDr. von Bülow MeininghausBuschfort MenzelCatenhusen Dr. Mertens
Collet MöhringConradi Müller
Dr. Corterier Müller
Curdt Dr. Müller-EmmertFrau Dr. Däubler-Gmelin MünteferingDaubertshäuser NagelDr. von Dohnanyi NehmDreßler Neumann
Duve Neumann
Dr. Ehmke Dr. NöbelDr. Ehrenberg OffergeldEickmeyer OostergeteloDr. Emmerlich Dr. OsswaldDr. Enders PaternaEngholm PauliEsters Dr. PennerEwen PenskyFeile Peter
Fiebig PolkehnFischer PoßFischer PurpsFranke Rapp (Göppingen)Frau Fuchs Rappe
Gansel RayerGerstl Frau RengerDr. Geßner ReschkeGilges ReuschenbachGinnuttis ReuterGlombig RohdeGnädinger RosenthalGobrecht RothGrobecker SanderGrunenberg Dr. SchachtschabelDr. Haack Schäfer
Haar SchätzHaase Dr. ScheerHaehser SchirmerFrau Dr. Hartenstein SchlagaHauck SchlatterDr. Hauff SchluckebierHeistermann Frau Schmedt
Herberholz Dr. Schmidt
Herterich Schmidt
Heyenn Schmidt
Hoffmann Frau Schmidt (Nürnberg)Hofmann Schmidt (Wattenscheid)Horn Schmidt
Frau Huber Schmitt
Huonker Dr. SchmudeIbrügger Schreiber
Immer SchreinerJahn Schröder (Hannover)Jansen Schröer
Jaunich Schulte
Vizepräsident Frau Renger Dr. Schwenk Berliner AbgeordneteSieler Dr. Diederich
Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Dübber EgertDr. Soell LöfflerDr. Sperling Frau LuukDr. Spöri MänningStahl Dr. MitzscherlingDr. Steger Wartenberg
Steiner Frau Steinhauer Stiegler FDPStockleben Stöckl Frau Dr. Adam-SchwaetzerDr. Struck BaumFrau Terborg BeckmannTietjen BergerowskiFrau Dr. Timm Frau von Braun-StützerTopmann BredehornFrau Traupe CronenbergDr. Ueberschär Eimer
Urbaniak EngelhardVogelsang ErtlVoigt Dr. FeldmannVosen Frau FrommWalther FunkeWehner GärtnerWeinhofer GallusWeisskirchen GattermannDr. Wernitz GenscherWestphal GrünerFrau Weyel Frau Dr. Hamm-BrücherDr. Wieczorek Dr. HaussmannWieczorek Dr. HirschWiefel Hölschervon der Wiesche HoffieWimmer HolstegWimmer Jung (Kandel)Wischnewski KleinertWitek Dr.-Ing. LaermannDr. de With Dr. Graf LambsdorffWolfram Frau Matthäus-MaierWrede MerkerWürtz MischnickWuttke MöllemannZander NeuhausenZeitler PaintnerFrau Zutt PoppRentrop Dr. ZumpfortDr. Riemer ZywietzRösch Ronneburger Berliner AbgeordneterDr. Rumpf HoppeSchäfer
Schmidt
von Schoeler Frau Schuchardt EnthaltenDr. Solms Timm SPDDr. Vohrer Dr. Wendig HansenWolfgramm Meinike (Oberhausen)Wurbs ThüsingDamit ist der Einzelplan 14 in der zweiten Lesung angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 35Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte- Drucksache 9/495 - Berichterstatter:Abgeordnete NehmGlosDas Wort wird nicht begehrt.Wer dem Einzelplan 35 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist angenommen.Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 4. Juni 1981, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.