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ID0904110300

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    Plenarprotokoll 9/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — Drucksache 9/474 — Dr. Zimmermann CDU/CSU 2235 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2243 C Wehner SPD 2244A Hoppe FDP 2248 C Dr. Wörner CDU/CSU 2250 B Dr. Ehmke SPD 2256 B Jung (Kandel) FDP 2263 C Dr. Zimmermann CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2267 C Schmidt, Bundeskanzler 2268 A Dr. Kohl CDU/CSU 2276 A Wischnewski SPD 2283 C Genscher, Bundesminister AA 2286 C Dr. Blüm CDU/CSU 2292 B Mischnick FDP • 2297 D Dr. Apel. Bundesminister BMVg 2301C Wischnewski SPD (Erklärung nach § 30 GO) 2308 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 2309A Bahr SPD 2314C Metz CDU/CSU 2318 B Frau Dr. Wilms CDU/CSU (zur GO) . . . 2320D Löffler SPD 2320 D Namentliche Abstimmung . . . . 2321D, 2322 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 9/475 — Picard CDU/CSU 2323 D Würtz SPD 2325 C Gärtner FDP 2326 D Coppik SPD 2327 D, 2329 B Genscher, Bundesminister AA 2328 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 9/488 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2329 D Esters SPD 2331 C Gärtner FDP 2332 A Offergeld, Bundesminister BMZ 2332 B Pieroth CDU/CSU 2332 D Frau Luuk SPD 2333 B Dr. Vohrer FDP 2334 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 9/490 — Gerster (Mainz) CDU/CSU 2334 D Nehm SPD 2336 B Dr. Wendig FDP 2337 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 9/484 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 2339 B Stöckl SPD 2343 A Dr. Zumpfort FDP 2345A Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2349 C Würzbach CDU/CSU 2351 B Jungmann SPD 2354 A Duve SPD 2356 A Dr. Schöfberger SPD 2357 C Coppik SPD 2358 C Kleinert FDP 2359 C Hansen SPD 2360 A Mischnick FDP 2360 B Namentliche Abstimmung 2360 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 9/495 — 2362 C Nächste Sitzung 2362 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2362 B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2235 41. Sitzung Bonn, den 3. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 4. 6. Dr. Barzel 3. 6. Dr. Geßner * 4. 6. Kittelmann * 4. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5.6. Milz 5. 6. Dr. Müller * 4. 6. Frau Noth 5. 6. Reddemann * 4. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Schmidt (Würgendorf) * 4. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Dr. Wittmann (München) * 4. 6. *) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich würde Ihnen gerne noch ein paar weitere Beispiele vorlesen. Vielleicht kann ich Sie dadurch überzeugen. Warten Sie meine Beispiele ab. Dann kommen Sie zu Ihrer Zwischenfrage.
    Das zweite Beispiel handelt nämlich von einem anderen Bereich. Wir brauchen das j a nicht auf die Landwirte zu beschränken. Im Bau- und Wohnungswesen gab es 1960 im Bund und in den Ländern rund 90 000 öffentlich Bedienstete. Jährlich wurden damals über 600 000 Wohnungen gebaut. 1978 war die Zahl der Bediensteten im Wohnungsbauwesen auf 93 000 in die Höhe geschnellt, aber die Zahl der Wohnungen hatte sich auf 1/6 reduziert.
    Ich will hieran — es dreht sich nur um Beispiele — das bürokratische Gesetz exemplifizieren: Je mehr Bürokratie, um so weniger Produktion. Das ist das Gesetz dieser Regierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Man kann es auch daran sehen: Im Deutschen Reich gab es 1929 bei größerer Bevölkerungszahl und größerer Fläche halb so viele öffentliche Bedienstete wie heute. Und das hängt — ich will es noch mal betonen, um gegen Mißverständnisse gefeit zu sein — nicht von einem Leistungsschwund im öffentlichen Dienst ab, sondern davon: Wenn immer ein Problem entsteht, was fällt dieser Regierung als erstes ein? Ein Rat, eine Kommission und schlimmstenfalls dann mindestens drei Gesetze. Die Frage, ob wir mit den alten Gesetzen das Problem lösen können, ist offenbar völlig unbekannt. Wenn das so weitergeht, wird, wie kluge Leute ausgerechnet haben, im Jahr 2023 auf einen Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einer im öffentlichen Dienst kommen. Und wenn es dann noch so weitergeht, werden im Jahr 2040 alle Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt sein. Dann gibt es nur niemand mehr,



    Dr. Blüm
    der die Brötchen bäckt. Das ist das einzige Problem.
    Ich will das alles nur als Symptom einer Politik nehmen, die den Bürokraten und Experten mehr zutraut, als sie leisten können.

    (Dr. Spöri [SPD]: Die sind alle in CDU-regierten Ländern, die Bürokraten!)

    Wir mauern die Welt mit Experten zu.

    (Dr. Spöri [SPD]: Das ist Bürokratie!) Und es gibt einen Despotismus — —


    (Dr. Spöri [SPD]: Gibt es bei Ihnen keinen Föderalismus?)

    — Soll ich es Ihnen noch einmal erklären? Wenn Sie es gern wollen, will ich es Ihnen noch mal erklären. Die meisten personalaufwendigen Gesetze in den Ländern beschließen Sie hier,

    (Dr. Spöri [SPD]: Das hat damit überhaupt nichts zu tun!)

    und ausführen lassen Sie sie in den Ländern. Das ist das Geheimnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Scheer [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

    Aber lassen Sie mich den Gedanken mal zum Grundsätzlichen zurückführen.

    (Dr. Scheer [SPD]: Das beschließt der Bundesrat alles mit!)

    — Sie haben sicher Gelegenheit, Ihre Einsichten auch von diesem Pult aus zu vertreten.
    Es gibt einen Despotismus, der den Menschen mit harten Befehlen seinen Willen aufzwingt. Aber es gibt auch einen Despotismus, der sich hinter der Maske des wohlwollenden Ratgebers versteckt. Und wenn er zuvor den Bürgern das Vertrauen zu sich selbst genommen hat, dann holen sie sich die Befehle anschließend als Ratschläge ab. In der Wirkung ist dieser Expertendespotismus nicht weniger entmündigend als der grobe Befehlsdespotismus. Der Befehl tarnt sich neuerdings in den unfehlbaren Expertenrat.
    Die Expertokratie — dessen bin ich sicher — ist die Absetzung des gesunden Menschenverstands, ist die Abwertung der Praxis. Unser Bildungsbetrieb hat sich an dieser Unterminierung des Selbstvertrauens der Bürger beteiligt. Ich zitiere: Unsere Bildungspolitik hat die Neigung, dem jungen Arbeiter, dem Bauern, der Hausfrau ihr Selbstgefühl zu nehmen. Das Zitat stammt von Holger Börner.
    Alle Welt spricht vom Numerus clausus der Studenten. Warum spricht eigentlich niemand darüber, daß für immer mehr Hauptschüler immer mehr Berufe verschlossen sind? Auch das ist ein Numerus clausus.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darum sollte sich mal die ehemalige Arbeiterpartei SPD kümmern, daß ein Hauptschüler zu Berufen, die früher nach dem Hauptschulabschluß gang und gäbe waren, keinen Zugang mehr hat. Im Bankgewerbe haben nur noch 2,6 % derer, die dort lernen, Hauptschulabschluß; alle anderen haben mittlere
    oder höhere Reife. Der Hochmut der Theorie wird durch die Erfahrung überhaupt nicht bestätigt. Edison, der Erfinder der Glühlampe, war nur ein paar Monate in der Schule. Werner von Siemens, Otto, die Gebrüder Wright, sie alle waren nicht über das 16. Lebensjahr hinaus in der Schule. Und wir betreiben heute eine Bildungspolitik, wo junge Mitbürger bis zum 30. Lebensjahr am Sandkasten der Universität gehalten werden. Das kann doch wohl nicht normal sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da stimmen doch die Proportionen nicht. Der hat doch kaum noch 30 Jahre, den Ernst des Lebens auszuprobieren.
    Zur Verkünstlichung des Lebens zählt meines Erachtens auch jener Imperialismus, der unter der Fahne der Chancengleichheit die Kinder möglichst früh den Eltern entwöhnt. Es gibt einen sozialdemokratischen Bildungsehrgeiz, der nicht ruht und nicht rastet, bis die Kinder zum frühestmöglichen Termin in die Fänge von Erziehungsexperten gegeben sind. Kinderkrippen werden als Überwindung der Milieusperren des Arbeiterhaushalts angepriesen. In diese Art von sogenannter emanzipatorischer Erziehung ist, meine Damen und Herren, eine ungeheure Verachtung der Arbeiter eingebaut. Im Klartext heißt das: Arbeitermutter, du bist eine Milieusperre; Arbeitereltern, ihr seid zu dumm, eure Kinder zu erziehen. Deshalb muß die 20jährige Erziehungsexpertin der 30jährigen Arbeitermutter sagen, wie sie ihre Kinder erziehen soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich frage mich, meine Damen und Herren: Wann endlich werden sich die sozialdemokratischen Arbeiter gegen die bürgerliche Hochnäsigkeit wehren, die sich in Ihre Partei eingeschlichen hat? Wann endlich ist es so weit?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Praxis war der Stolz der klassischen Arbeiterbewegung, ihr ganzes Selbstbewußtsein. Die Nachfahren der Bürger, die jetzt bei den Jungsozialisten Heimat gefunden haben, haben nichts anderes zu tun, als die Praxis madig zu machen. Deshalb: Die CDU ist der Anwalt der Arbeiter.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Fragen Sie doch einmal, wieviel in Ihren Reihen noch einen echten proletarischen Stammbaum haben! Sie hier sind doch dem 19. Jahrhundert in dieser Hinsicht mehr als fern; Sie kennen doch bestenfalls noch Arbeiter. Die Arbeiter sind in der SPD doch schon eine Randgruppe geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Woher soll denn die CDU in Berlin 48 % der Stimmen bekommen haben? Es gibt doch keine 48 % Kapitalisten in Berlin. Es waren die Arbeiter, die uns gewählt haben — falls sich das noch nicht herumgesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)




    Dr. Blüm
    — Das ist wirklich eine kollegiale Hilfe; ich will zur Selbstbesinnung bei Ihnen beitragen.
    Lassen Sie mich hier nun noch unsere Vorstellungen zu den sozialpolitischen Grundentscheidungen, zur wirklichen Weichenstellung deutlich machen. Unter dem Zwang leerer Kassen werden die Unterschiede zwischen christlich-demokratischer und sozialistischer Sozialpolitik schärfer zutage treten. Insofern ist die Krise nicht nur Bedrohung, sondern auch Aufruf, sich auf Prinzipien zu besinnen. Die Sozialisten setzen alle Hoffnungen auf den Staat, die christlich-soziale Politik ist dagegen zuerst auf Hilfe zur Selbsthilfe gerichtet. Die Alternative zum Staat ist nicht der einzelne, der im Stich gelassen wird — wir haben nicht dieses altliberale Neandertal-Modell —, sondern wir setzen auf solidarische Selbsthilfe.
    Das Fundament der gesellschaftlichen Ordnung ist die Familie. Nach ihr kommt die selbstverwaltete Solidarität der Sozialversicherung. Erst ganz am Schluß — erst ganz am Schluß! — kommt der Staat als Lückenbüßer und Ersatzmann. Bei den Sozialisten ist es genau umgekehrt: Die Krone der Sozialpolitik ist die staatliche Fürsorge; die Sozialversicherung, das ist so ein Zugeständnis. Derzeit existiert sie so in einer Mischform: An der Tür haben Sie zwar noch „Selbstverwaltung" stehen, aber die Produktion hat längst der Gesetzgeber übernommen. Wir wollen, daß Selbstverwaltung, eigenständige Solidarität und staatliche Fürsorge wieder entzerrt werden.
    Die Familie ist in der sozialistischen Sozialpolitik — insofern kann man es kurz abhandeln — nur eine nostalgische Restgröße, die vernachlässigt und so behandelt wird wie andere Gegenstände im Museum. Meine Damen und Herren, es wird ja oft bedauert, die Jugend erkenne die Unterschiede zwischen den großen Parteien nicht mehr. In der Sozialpolitik sind sie mit Händen greifbar: hier ein übergroßes Vertrauen in den Staat und seine Allmacht, dort das Vertrauen in die solidarische Selbsthilfe der Menschen; das sind doch zwei Weichenstellungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dabei müssen die Zweifelsfragen der jungen Generation auch in der Sozialpolitik durchaus ernst genommen werden. Eine freie Gesellschaft muß viele Lebensformen ertragen. Nur die graue sozialistische Einheitsgesellschaft schlägt alle über einen Leisten. Jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen ist das Glaubensbekenntnis des Pluralismus. Der Staat darf nicht Lebensmuster mit gesetzlichem Zwang verordnen. Je mehr Alternativen eine pluralistische Gesellschaft anbietet, um so höher ist der Reichtum an Entfaltungschancen.
    Meine Damen und Herren, es könnte ja auch ein Selbstwertgefühl nicht nur in der Richtung, daß man den Nachbarn übertrifft, sondern auch in der Richtung, daß man anders ist als der Nachbar, entstehen, daß man sich am Anderssein erfreut, Möglichkeiten, die auf dem eigenen Lebensweg versperrt sind, erkennt. Die Vielzahl der Alternativen muß jedoch an jener Stelle enden, wo der Egoismus beginnt. Jenes modische Aussteigertum, das seine Alternativen aus
    der Arbeit der anderen bezahlen läßt, ist nichts anderes als eine neue Form des Schmarotzertums.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unter dem Schutzdach des deutschen Sozialrechts alternativ in der Hängematte unter den Palmen Balis zu liegen, ist nichts anderes als Ausbeutung.
    Wer soll eigentlich die Alten, Kranken und Behinderten unterstützen? Wer soll für sie arbeiten? Arbeiten ist auch Solidarität. Aus der Sorge für andere aussteigen heißt Flucht aus der Solidarität. Wo käme eigentlich eine Gesellschaft hin, in der sich die Jungen und Gesunden in Selbsthilfegruppen zurückziehen und die anderen, die sich nicht selber helfen können, im Stich lassen? So entpuppt sich die Sanftmut mancher alternativen Gruppen als nichts anderes als eine erbarmungslose Arroganz, welche die Augen vor der Schwäche derjenigen verschließt, die sich nicht selber helfen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich sehe in der zunehmenden Gewalttätigkeit nicht nur einen Angriff auf den Rechtsstaat, sondern auch einen Angriff auf den Sozialstaat. Wenn Gewalt politische Entscheidungen erzwingt, scheiden alle diejenigen aus, die keine Gewalt anwenden können. Die Steinwerferdemokratie bedeutet eine Benachteiligung für alle, die keine Steine werfen können, selbst wenn sie wollten. Das sind die Alten, Kranken und Behinderten. Deshalb gehört zur Rettung des Sozialstaates auch die entschlossene Abwehr der Gewalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Rechtsstaat ist eine Errungenschaft der Schwächeren.

    (Zuruf von der SPD: Schwätzer! — Gegenruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU]: Genau an der Stelle! Das muß man denen ins Ohr rufen!)

    — Wer darauf mit „Schwätzer" antwortet,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    dokumentiert, daß er die Grundlagen des Rechtsstaates nicht akzeptiert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Mächtigen haben nie das Recht gebraucht. Sie machten, was sie wollten. Erst der Rechtsstaat bändigte sie und schützte die Schwachen vor der Willkür der Obrigkeit. Deshalb gehört zur Diskussion über die soziale Sicherheit auch unsere gemeinsame Abwehr der Gewalt, unser gemeinsamer Wille, die Gewalt abzuwehren, und im friedlichen Streit, den wir hier vorführen, auch eine Zukunft zu sichern.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnik.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bezweifle nicht, daß es ab und zu einmal ganz gut sein kann, theoretische Grundlagen für sozialpolitische Überlegungen darzulegen. Ich überlasse es allerdings Ihnen selbst, zu



    Mischnick
    beurteilen, ob ausgerechnet die Haushaltsdebatte dafür der richtige Anlaß ist. Ich wäre gern bereit, mich mit Ihnen über manche Ihrer Thesen auseinanderzusetzen, Herr Kollege Blüm. Ich möchte mich aber mehr an das halten, was Ihr Kollege Zimmermann heute gesagt hat: Wir brauchen weniger Worte, wir brauchen mehr Taten. — Von Taten aber war in Ihrer Rede überhaupt nichts zu hören.

    (Beifall bei der FDP)

    Das einzige — wenn man es als Tat bezeichnen kann — war die Forderung nach dem Rücktritt. Sie sprachen von den „Rücktrittskandidaten".
    Ich kann Ihnen nur sagen: Eine solche offene Diskussion, wie sie in unseren Reihen auf unserem letzten Parteitag geführt wurde — und ich bin sicher, auf dem Parteitag der Sozialdemokraten wird es ähnlich sein —, bringt für diese Demokratie mehr als Gemeinsamkeitsbeschlüsse, die ohne Diskussion zustande gekommen sind und damit auch keinen langen Bestand haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir setzen uns auseinander, wir ringen um die richtige Entscheidung. Bei uns wird sie nicht salbungsvoll verkündet. Das ist eben ein entscheidender Unterschied.
    Sie haben mit Recht davon gesprochen: Man muß Zukunftsinvestitionen betreiben. Man darf den Konsum nicht in den Vordergrund stellen. Aber von Anregungen, wo Konsumverzicht stattfinden soll, war in Ihrer Rede nichts zu hören, Herr Kollege Blüm.

    (Beifall bei der FDP)

    Sie haben von Beruhigungstherapie gesprochen. Ich hatte den Eindruck, daß das eine Beruhigungstherapie für die eigenen Reihen war, — damit man sich nicht mit Sachargumenten auseinandersetzen muß.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich gebe Ihnen recht: Wir haben zu viele Statistiken. Herr Kollege Gallus hatte in diesem Zusammenhang eine Zwischenfrage gestellt. Herr Kollege Blüm, viele der Statistiken, die Sie hier aufgezählt haben, sind doch nicht ein Produkt der letzten zehn Jahre. Ich kann mich entsinnen, als ich Bundesvertriebenenminister war, habe ich manche von diesen Statistiken schon in den Kabinettsvorlagen gesehen, von denen heute gesprochen wurde. Wenn man schon so will, dann haben wir in diesem Bereich manches wahrscheinlich zuviel getan. Dann sollten wir uns aber gemeinsam dazu entschließen, die Dinge da, wo sie überflüssig geworden sind, zu beseitigen, bei Bund und Ländern, und nicht so tun, als sei das ausschließlich eine Frage des Bundes.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Lassen Sie mich nun zu dem kommen, was die anderen Kollegen der Opposition gesagt haben. Ich will an das anknüpfen, was ich schon kurz ansprach. Der Kollege Zimmermann sprach davon, daß den Worten Taten folgen sollten. Abgesehen davon, daß das geschehen wird, hat er offensichtlich übersehen, daß hier schon einige Taten vollbracht worden sind. Wir haben in den letzten Jahren z. B. alle die Vorschläge
    der Opposition, die uns in eine noch höhere Verschuldung hineingebracht hätten, abgelehnt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das war Tat eins. Tat zwei war, daß wir das Subventionsabbaugesetz durchgebracht haben, allerdings, wie ich feststellen muß, nicht mit der aktiven Mitwirkung der Opposition, sondern mit so einer Art schweigender Duldung. Dabei hörten wir doch einmal, man sei gern bereit, an diesen Dingen mitzuwirken.

    (Zuruf des Abg. Breuer [CDU/CSU])

    Man hat immer wieder den Eindruck, der Opposition fehlten hier einfach die Rezepte.
    Ich verstehe, wenn die Opposition sagt: Es kann nicht unsere Aufgabe sein, das zu lösen, was eigentlich Aufgabe der Regierung ist. Das läßt vermuten, daß dahinter Patentrezepte stecken, die man noch im Sack hat, um sie herauszuziehen, wenn man selbst in der Verantwortung steht. Wenn ich mich aber umsehe — und das aufgreife, was der Kollege Wischnewski gesagt hat — und einmal in Nachbarstaaten blicke, die von Parteien regiert werden, die Ihre Schwesterparteien sind, dann muß ich feststellen, daß dort diese Patentrezepte in den wirtschaftspolitischen, weltwirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen bis zur Stunde auch noch nicht bekanntgeworden sind. Liegt es nun daran, daß es an der brüderlichen Fürsorge für diese Schwesterparteien gefehlt hat, daran, daß Sie ihnen diese Rezepte nicht gegeben haben, damit sie sie ausprobieren könnten, oder liegt es daran, daß Sie in Wahrheit doch gar nicht in der Lage sind, ein solches geschlossenes Konzept vorzuweisen, obwohl Sie immer behaupten, daß Sie die besseren Rezepte in der Hand hätten?

    (Zuruf des Abg. Breuer [CDU/CSU])

    In Wahrheit ist es doch so, daß Sie ganz froh sind, in dieser schweren Zeit keine Verantwortung zu tragen, und sich damit begnügen zu können, den anderen vorzuwerfen, sie hätten nicht die richtigen Lösungen bei der Hand. Mehr ist doch nicht hinter dem, was Sie uns bisher erzählt haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Lassen Sie mich einen anderen Punkt aufgreifen, über den Herr Kollege Zimmermann so ausführlich sein Mißfallen zum Ausdruck brachte. Er beklagte sich, daß von dem Teufelswerkzeug Raketen gesprochen worden sei. Nun muß ich Ihnen ehrlich sagen: Ich war Soldat im letzten Weltkrieg. Die Raketen, die da über einem niedergeprasselt sind, waren für denjenigen, der in dem Hagel lag, ein Teufelswerkzeug.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich kann nicht verhehlen, daß für mich alle Waffen nach wie vor Teufelswerkzeuge sind. Wenn das dann beklagt wird, kann es doch kein Punkt des Angriffs sein. Es darf doch nicht in dieser einfachen Form, in dieser primitiven Form versucht werden, wegzuwischen, daß wir uns trotzdem einig sind, daß wir eine



    Mischnick
    Verteidigungsbereitschaft brauchen, indem man beklagt, daß es diese Waffen in dieser Welt gibt.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Die Schlußfolgerung ist doch nicht Waffenlosigkeit, sondern der gemeinsame Appell, das gemeinsame Ringen darum, so viel wie möglich von diesen Waffen überflüssig zu machen, nicht um sich selbst verteidigungslos zu stellen, sondern um den Unsinn, der in der Rüstung auf beiden Seiten besteht, deutlich zu machen. Das ist doch der Hintergrund einer solchen Kennzeichnung.
    In dem gleichen Zusammenhang ist hier kritisiert worden, daß der Kollege Brandt und der Kollege Bahr Gespräche in Moskau führen wollen. Da kann ich nur sagen: Hier kommt doch wieder so eine Art alte Berührungsangst durch, die wir schon früher gesehen haben. Es kann doch nur sinnvoll sein, wenn jede Möglichkeit des direkten Gespräches genutzt wird, um den Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland deutlich zu machen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Als ich das heute hörte, war ich im Zweifel, ob der Kollege Barzel und ich richtig gehandelt haben, daß er gestern und ich heute mit dem Sekretär des ZK Ponomarjow gesprochen haben, um unseren Standpunkt klarzumachen — doch nicht etwa, um nur anzuhören, was die andere Seite gesagt hat.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Hier hat man manchmal das Gefühl, daß zeitweise ein Rückfall in die Betrachtung kommt, die dazu führte, daß von seiten der Opposition ein Nein zur KSZE 1975 vom Bundestag verlangt wurde. Das war die gleiche negative, falsche Betrachtungsweise.
    Nun ist davon gesprochen worden, wir würden erst jetzt über die Notwendigkeit der Konsolidierung sprechen. Vor den Wahlen habe niemand darüber gesprochen. Dann wurde darauf hingewiesen, da seien Versprechungen gemacht worden. Die Freien Demokraten haben diese Probleme sowohl vor der Wahl 1976 wie vor der Wahl 1980 in aller Deutlichkeit angesprochen.
    Ich verhehle nicht, daß die Bereitschaft, hier Lösungen zu finden, daß die Bereitschaft, die Entwicklung mancher Problematik zu sehen, heute größer ist, als das vor zwei, drei oder vier Jahren war. Wenn man jetzt Klage darüber führt, dann muß ich allerdings auch daran erinnern, daß es im Wahlkampf 1976 der Kollege Kohl war, der als erster verlangt hat, daß eine Rentenanpassung von 10 % zu erfolgen habe. Die finanziellen Folgen, die daraus entstanden sind, sind natürlich noch heute in unserer Rentenversicherung und auch im Haushalt spürbar. Man soll doch nicht so tun, als sei man unbeteiligt gewesen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Von Herrn Kollegen Zimmermann ist davon gesprochen worden, wir müßten hier vieles tun, um wirklich zu Entlastungen und zu einer Verbesserung unserer Haushaltssituation zu kommen. Wir haben den festen Willen dazu, und wir werden in der Koalition das Notwendige tun. Das wird nicht leicht sein; da wird es sehr schwierige Gespräche und Verhandlungen geben; da wird man mit unterschiedlichen Auffassungen herangehen. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß wir am Ende Ergebnisse vorlegen werden, die deutlich machen, daß man im Jahre 1981 und im Jahre 1982 bestimmte Leistungen, die in der Vergangenheit selbstverständlich waren, daraufhin überprüfen muß, ob sie für die Zukunft noch möglich sind.
    Lassen Sie mich das an einigen wenigen Punkten deutlich machen. Wenn wir davon sprechen, daß Wildwuchs und Mißbrauch ausgeschaltet werden sollen, geht es eben darum, daß die Solidargemeinschaft — ob in der Rentenversicherung oder in der Krankenversicherung oder in der Arbeitslosenversicherung — vor demjenigen geschützt wird, der gerne in diese Solidargemeinschaft hineinlangt, ohne selbst entsprechende Zahlungen an diese Solidargemeinschaft zu leisten. Das wollen wir vermieden wissen!

    (Beifall bei der FDP)

    Zweiter Punkt: Es muß eben aufhören, daß am Ende der Beitragszahler, der Steuerzahler dafür herangezogen wird, daß jemand, durch die Maschen des Gesetzes schlüpfend, am Jahresende mit weniger Arbeit mehr in der Tasche hat als derjenige, der das ganze Jahr gearbeitet hat. Dies wollen wir mit aller Energie anpacken und ausschalten.

    (Beifall bei der FDP)

    Das hat nichts mit dem Aufknüpfen oder Kappen des sozialen Netzes zu tun. Ich hoffe nur, daß hier wirklich eine gemeinsame Haltung zustande zu bringen ist.
    Ein Weiteres: Wir haben manche Leistungen beschlossen, die zum Zeitpunkt der Beschlußfassung durchaus sinnvoll und notwendig waren. Aber manchmal hat man den Eindruck, daß der Gewöhnungseffekt höher bewertet wird als das, was für die Betroffenen notwendig ist. Dies müssen wir durchforsten. Das paßt absolut in den Rahmen hinein, den Sie, Herr Bundeskanzler, aus den Perspektiven der Sozialdemokratischen Partei zitiert haben. Manchmal habe ich den Eindruck, teilweise sei dies aus unserem Parteiprogramm. Ich hoffe, daß wir uns bei der praktischen Durchführung dann in jedem Punkte auf dieser Basis finden können.
    Mehrfach ist von der Zahlungsbilanz und von den Schwierigkeiten gesprochen worden, die daraus entstehen, daß unbestrittenermaßen — nicht allein, aber doch als ein wichtiger Punkt — all das, was mit der Ölpreisentwicklung zusammenhängt, eine Rolle spielt.
    Da, meine Damen und Herren, wende ich mich an zwei Seiten des Hauses: Ich verstehe nicht, daß dann in einer speziellen Frage wie z. B. dem Problem der Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer Maßnahmen, die einen mehrfachen Effekt hätten, wenn es darum geht, gerade bei der Leistungs- und der Zahlungsbilanz Entlastung zu brin-



    Mischnick
    gen, in weiten Teilen dieses Hauses auf so viel Widerstand stoßen.

    (Beifall bei der FDP)

    Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, wie ich dazu beitragen kann, den Mineralölverbrauch der Automobile zu senken, wie ich erreichen kann, daß Bürokratie abgebaut wird, wie ich das früher vielleicht einmal Richtige, nämlich das Kraftfahrzeug als Besitz zu besteuern, beseitigen kann, wie ich also in einer Zeit, in der es zum Allgemeinbesitz geworden ist, dazu kommen kann, dafür den Gebrauch und den Verbrauch zu besteuern.
    Warum ist das so schwierig? Weil es natürlich Folgewirkungen gibt, die man bedenken muß. Da sind die Fragen der Schwerbeschädigten, da ist das Problem der Pendler, da ist das Problem des Steuerausgleichs zwischen Bund und Ländern. Dies alles sehen wir. Was ich aber politisch für bedauerlich halte, ist, daß das politisch Richtige daran scheitern soll, daß die Schwierigkeiten bürokratischer Art, die bestehen, in den Vordergrund geschoben werden, das politisch Richtige also hintangestellt wird. Das ist nicht unsere Position!

    (Beifall bei der FDP)

    Ich bin gespannt, ob alle, die von der Nutzung aller Möglichkeiten sprechen, sich endlich auch bereit erklären, daran mitzuwirken, in einem solchen Fall mehrere politische Wirkungen zu erreichen.
    Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat davon gesprochen, es dürfe kein Tabu geben. Wir sind dieser Meinung: kein Tabu bei den Beratungen über Subventionsabbau, Abbau von Vergünstigungen, Beseitigung von Mißbrauch usf. Ich sage Ihnen allerdings in aller Offenheit: Ich war etwas betroffen, als in der Plenarsitzung vor 14 Tagen die Feststellung, daß wir zur bruttolohnbezogenen Dynamik der Renten zurückgekehrt sind, mit soviel Jubel begrüßt wurde. Ich sage dies in aller Offenheit. Warum? Gerade diejenigen Kollegen, die immer wieder beschwören, das Erbe Erhards nicht aus dem Auge zu verlieren, daß die automatische Dynamik natürlich zu einer Zeit, in der das Wachstum, das während des Aufbaus möglich und notwendig war, nicht mehr vorhanden ist, automatisch auch zu einem dynamischen Wachsen der Ausgaben nicht nur bei den Versicherungsanstalten, sondern auch beim Staat führen muß.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich bitte, auch das in aller Nüchternheit zu überlegen, wenn man hier für die Zukunft neue Überlegungen anstellt, und ich bin sicher, bei der 84er Regelung wird man dies in aller Nüchternheit behandeln müssen.
    Herr Kollege Kohl hat gesagt: Die Koalition hat die Wahl gewonnen. Zwischendurch konnte man ja hören, das sei nicht der Fall. Immer noch steht fest, daß die SPD seit der letzten Wahl mehr Mandate hat — auch wir haben noch ein paar mehr —, und die CDU hat sie verloren. Das hat sich nicht geändert, auch nicht durch die Diskussionen, die hier geführt worden sind. Und wenn so getan wurde, als seien
    diese Wahlen durch Tricks gewonnen worden, so ist das zwar eine wiederholte Behauptung, ihr Wahrheitsgehalt aber wird dadurch nicht größer.
    Nur, wenn daran die Behauptung geknüpft wurde, die kleinen Leute, die Rentner, seien hereingelegt worden, kann ich nur feststellen: In den letzten zehn Jahren ist der Anstieg der Renten größer gewesen als der Anstieg der Bruttoeinkommen. Das kann niemand wegleugnen, das ist ein Faktum.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Zweitens ist in den letzten zehn Jahren das verfügbare Einkommen quer durch die Bevölkerung, auch bei den Arbeitnehmern, stärker gestiegen als die Preise und stärker als insgesamt die Belastung durch Steuern und Sozialbeiträge. Deshalb ist insgesamt gegenüber der Zeit vor zehn, zwölf Jahren eine bessere wirtschaftliche Situation feststellbar.
    Nun wissen wir sehr genau, daß wir noch eine ganze Menge zu tun haben werden, um dies zu halten — ich spreche gar nicht vom Ausbauen. Nur, wie läßt es sich unter einen Hut bringen, wenn wenige Minuten vorher Herr Kollege Kohl kritisiert hat, daß wir Schuldenpolitik betrieben hätten, und wenn er anschließend sofort moniert, daß beispielsweise bei der Mischfinanzierung Kürzungen vorgenommen worden sind, wenn Klage darüber geführt wird, daß das in einem Bereich sogar 40 % ausmacht? Das ist doch wieder die Doppelzüngigkeit, die wir hier immer wieder erleben:

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    mehr ausgeben, weniger Schulden, weniger Steuern. Das paßt nicht zusammen.
    Wenn man uns sagt: da nicht, dafür dort, können wir darüber diskutieren, aber wenn immer nur gesagt wird: da nicht, dort nicht und dort auch nicht, und wo sonst, das zu sagen ist Aufgabe der Regierung, dann ist das bestimmt kein Angebot, das beweist, daß man es besser machen kann.
    Nun ist noch die Behauptung aufgestellt worden, in den letzten 10, 12 Jahren sei eine eigentumsfeindliche Politik betrieben worden. Sehen Sie einmal in der Statistik nach, wie sehr die Zahl der Eigenheimbesitzer in den letzten 12 Jahren gewachsen ist. Das — ich will gar nicht mehr Beispiele anführen — ist doch ein so schlagender Beweis gegen die Behauptung, daß die Eigentumsbildung behindert worden sei, daß es dazu gar keiner weiteren Ausführungen bedarf. Bitte halten Sie doch die Menschen nicht für so dumm, daß Sie das nicht wissen. Es ist nachgewiesen, wie falsch die Behauptungen sind, die Sie hier aufstellen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Eine kurze Bemerkung — weil der Kollege Kohl davon sprach — darüber, was in Hessen mit der Vertrauensfrage am 22. Juni im Hessischen Landtag verbunden wird. Hier muß ich die sachliche Feststellung treffen: nach der hessischen Verfassung — das scheint nur wenig bekannt zu sein — muß der Ministerpräsident, wenn ein Minister aus dem Kabinett ausscheidet und ein neuer Minister ihn ersetzt, das neue Kabinett dem Landtag vorstellen, und der Landtag muß ihm das Vertrauen aussprechen; ganz



    Mischnick
    gleich, ob der Minister wechselt, weil es eine Regierungskrise gegeben hat, ob der Minister wechselt, weil jemand aus Gesundheitsgründen zurücktritt, oder ob der Minister wechselt, weil der bittere, tragische Fall des Mordes an meinem Freund Karry vorausgegangen war. Ich bitte deshalb, in die Vertrauensfrage, die am 22. Juni im Hessischen Landtag zu stellen ist, nicht mehr hineinzugeheimnissen als das, was verfassungsrechtlich notwendig ist. Wenn der Vorsitzende der hessischen SPD die Gelegenheit wahrnimmt, sich auf seinem Landesparteitag offen der Diskussion zu stellen und sich in der Sache — wie ich überzeugt bin — bestätigen zu lassen, ist das nur ein Beweis mehr, wie das Demokratieverständnis der Sozialdemokraten ist, bevor sie in solche entscheidenden Abstimmungen gehen; das mag eben ein Unterschied zu Ihnen sein.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir wissen, daß der enge Spielraum, den wir finanzpolitisch haben, uns manche Möglichkeit nimmt für das, was wir gern umsetzen wollen, daß wir bei all den Dingen, die haushalts-, die finanzträchtig sind, zurückstecken müssen. Aber es gibt eine ganze Menge Dinge, die diese Koalition gemeinsam machen kann, die wir als liberale Reformen ohne Kostenrelevanz bezeichnen, die wir auch gemeinsam durchführen werden. Zu sagen, Haushaltsenge sei gleichbedeutend mit völligem Stillstand von politischen Maßnahmen, ist eine falsche Darstellung.

    (Zuruf bei der SPD: Sehr richtig!)

    Wir werden deshalb das, was nicht kostenträchtig ist, mit dem gleichen Schwung weitertreiben, wie das bisher der Fall war.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Nun ist davon gesprochen worden — und damit will ich zum Schluß kommen —, die Opposition wär'
    nicht dazu da, der Regierung aus der Patsche zu helfen. Daß das gesagt wird, verstehe ich. Wenn darauf geantwortet wird, heißt das doch nicht, daß da, wo gemeinsame Notwendigkeiten zwischen Koalition und Opposition hier oder im Bundesrat bestehen, dies ausgeschaltet wird. Unter „nicht aus der Patsche helfen" verstehe ich, daß Sie hier nicht als billiger Mehrheitsbeschaffer tätig sein wollen — völlig einer Meinung! Wir werden dafür sorgen, daß wir selbst die entsprechenden Mehrheiten zustandebringen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na, na! — Von wem?)

    — Von SPD und FDP. Auch beim NATO-Doppelbeschluß war die Zahl der Abgeordneten der Koalition, die dafür gestimmt haben, größer als die Zahl der Opposition. Das ist ein Tatbestand, der sich nicht wegleugnen läßt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Nun hat pikanterweise der Herr Kollege Kohl an das Jahr 1966 — wenn auch nur sehr knapp und vorsichtig — erinnert. Es sind nur noch wenige hier, auch bei Ihnen von der Opposition, die das Jahr miterlebt haben. Ich habe es miterlebt, und ich weiß, wie klein der Anlaß war, der damals zu einem Bruch der
    Koalition geführt hat. Diese Lehre habe ich behalten. Ich werde alles dazu beitragen, daß nicht Verständnislosigkeit oder Rechthaberei dazu führen, daß am Ende keine Verständigungsmöglichkeit besteht. Ich werde deshalb meine ganze Kraft dafür einsetzen, um Ihnen zu beweisen, daß wir mit dieser schweren Aufgabe in der Koalition fertig werden, zum Wohle des ganzen Volkes.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD)