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ID0904108800

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    Plenarprotokoll 9/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — Drucksache 9/474 — Dr. Zimmermann CDU/CSU 2235 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2243 C Wehner SPD 2244A Hoppe FDP 2248 C Dr. Wörner CDU/CSU 2250 B Dr. Ehmke SPD 2256 B Jung (Kandel) FDP 2263 C Dr. Zimmermann CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2267 C Schmidt, Bundeskanzler 2268 A Dr. Kohl CDU/CSU 2276 A Wischnewski SPD 2283 C Genscher, Bundesminister AA 2286 C Dr. Blüm CDU/CSU 2292 B Mischnick FDP • 2297 D Dr. Apel. Bundesminister BMVg 2301C Wischnewski SPD (Erklärung nach § 30 GO) 2308 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 2309A Bahr SPD 2314C Metz CDU/CSU 2318 B Frau Dr. Wilms CDU/CSU (zur GO) . . . 2320D Löffler SPD 2320 D Namentliche Abstimmung . . . . 2321D, 2322 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 9/475 — Picard CDU/CSU 2323 D Würtz SPD 2325 C Gärtner FDP 2326 D Coppik SPD 2327 D, 2329 B Genscher, Bundesminister AA 2328 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 9/488 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2329 D Esters SPD 2331 C Gärtner FDP 2332 A Offergeld, Bundesminister BMZ 2332 B Pieroth CDU/CSU 2332 D Frau Luuk SPD 2333 B Dr. Vohrer FDP 2334 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 9/490 — Gerster (Mainz) CDU/CSU 2334 D Nehm SPD 2336 B Dr. Wendig FDP 2337 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 9/484 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 2339 B Stöckl SPD 2343 A Dr. Zumpfort FDP 2345A Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2349 C Würzbach CDU/CSU 2351 B Jungmann SPD 2354 A Duve SPD 2356 A Dr. Schöfberger SPD 2357 C Coppik SPD 2358 C Kleinert FDP 2359 C Hansen SPD 2360 A Mischnick FDP 2360 B Namentliche Abstimmung 2360 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 9/495 — 2362 C Nächste Sitzung 2362 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2362 B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2235 41. Sitzung Bonn, den 3. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 4. 6. Dr. Barzel 3. 6. Dr. Geßner * 4. 6. Kittelmann * 4. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5.6. Milz 5. 6. Dr. Müller * 4. 6. Frau Noth 5. 6. Reddemann * 4. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Schmidt (Würgendorf) * 4. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Dr. Wittmann (München) * 4. 6. *) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine verehrten Kollegen von der Opposition, die Freie Demokratische Partei kann sich nicht beklagen über die Aufmerksamkeit, die Sie unserem letzten Parteitag geschenkt haben. Ich kann das verstehen. Denn eigentlich haben wir dort eine Funktion wahrgenommen, die uns allen wohlanstehen würde, nämlich: unserer Öffentlichkeit die Bedeutung und den Ernst unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Lage, eingebettet in eine internationale Entwicklung, darzustellen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    — Ich danke Ihnen, Herr Kollege Dr. Kohl, ausdrücklich, daß Sie auch dem Teil meiner Feststellung durch Ihren Beifall zugestimmt haben, in dem ich gesagt habe „eingebettet in eine internationale Entwicklung".

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Völlig einverstanden!)

    Genau das ist der Punkt, über den wir jetzt zu reden haben.
    Der Bundeskanzler hat heute, ob Ihnen das gefällt oder nicht, zu Recht darauf hingewiesen, daß die Ausgangslage für die Bundesrepublik Deutschland, sowohl was die Stabilität angeht wie was die Zinsentwicklung angeht — so besorgniserregend sie ist —, als auch was die Beschäftigungspolitik angeht, besser ist als die aller oder mindestens der meisten vergleichbaren Industriestaaten.
    Aber wir würden es uns zu einfach machen, meine verehrten Kollegen, wenn wir so täten, als seien die einzigen Daten, mit denen wir hier zu handeln haben, unsere Ausgangslage — was die Regierung positiv für sich anführt — und die in Ihren Augen von der Regierung begangenen Fehler das, was Sie positiv für sich anführen.
    Hier ist viel über die Ölpreisexplosion der letzten Jahre gesprochen worden. Ich warne davor, das als das einzige Problem für die vor uns liegende Entwicklung anzusehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn wir es ernst nehmen mit unserer Verantwortung für die Schaffung weltweiter sozialer Gerechtigkeit, dann ist das mehr als die Abgeltung von erhöhten Ölpreisen; dann ist das die Einordnung der Staaten der Dritten Welt als gleichberechtigte Partner in eine internationale Wirtschaftsordnung. Das wird uns Strukturanpassungsprozesse abverlangen,



    Bundesminister Genscher
    die sehr, sehr schwer sein werden. Auch darüber haben wir unsere Öffentlichkeit aufzuklären.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD)

    Unsere Verantwortung für den Frieden in der Welt, zu dem wir uns alle bekennen, ist nicht nur eine Frage, die aus dem Ost-West-Verhältnis, aus den Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung zu beantworten ist. Es ist unsere ganz feste Überzeugung, daß die Probleme und die Lebensverhältnisse in der Dritten Welt, verglichen mit denen bei uns, eine mindestens so große Sprengkraft für den Weltfrieden haben können wie die Soziale Frage in den Industriestaaten am Ende des vorigen Jahrhunderts.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir stehen mit unserer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung am Anfang einer Phase, in der die Staaten der Dritten Welt einbezogen werden sollen als — ich sage es noch einmal — gleichberechtigte Partner.
    Da zeige ich gar nicht auf diejenigen, die in der Dritten Welt versuchen, durch Entwicklung der Rohstoffpreise und in anderer Weise etwas nachzuholen. Wir können stolz auf das sein, was in diesem Lande nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Fleiß und den Ideenreichtum unseres Volkes geleistet worden ist. Aber wir wollen auch nicht verschweigen, daß einer der günstigen Ausgangsfaktoren für unsere wirtschaftliche Entwicklung war, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Preise für Rohstoffe und Energie, die wir aus der Dritten Welt bezogen haben, nicht dem entsprochen haben, was wir eigentlich bei Anwendung der Gesetze der Marktwirtschaft auf den weltwirtschaftlichen Entwicklungsprozeß sehen müßten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Und nun erleben wir eine Entwicklung, die sich in zu großen Sprüngen vollzieht und wo wir nicht j a zu dem sagen können, was der Bundeskanzler als Ölpreisexplosion bezeichnet hat, wo es darum geht, in einem wirklich verantwortungsvollen Dialog zwischen den Industriestaaten und den Staaten der Dritten Welt einen Anpassungsprozeß zu ermöglichen, der es ohne Verwerfung in den Industriestaaten möglich macht, daß diese Industriestaaten ihre Funktion für die Entwicklung der Dritten Welt weiter erfüllen können.
    Aber das, was sich auf diesem Weg schon getan hat, sind doch auch äußere Rahmenbedingungen, unter denen sich die deutsche Volkswirtschaft zu entwickeln hat. Da soll man nicht so tun, als ob die ganz ernsten Probleme, mit denen wir hier zu ringen haben, sozusagen das Produkt hausgemachten Versagens einer Regierung wären. Nein. In dem schwierigsten weltwirtschaftlichen Anpassungsprozeß der geschichtlichen Entwicklung überhaupt haben wir in unserer sehr exponierten Lage den Weg noch am besten passieren können. Aber das ist kein Freifahrtschein für die Zukunft. Und deshalb sind jetzt
    wirklich entscheidende Weichenstellungen erforderlich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Da können Sie eben nicht darauf hinweisen, es habe in der Vergangenheit Probleme auch in anderen Ländern gegeben, aber damals habe die Bundesrepublik Deutschland das gemeistert. Damals war eben nicht jenes Maß an Interdependenz, an gegenseitiger Abhängigkeit und Verquickung vorhanden.
    Ich hätte Ihnen gewünscht, Sie hätten die große Ernsthaftigkeit der Debatte unseres Parteitags über diese Fragen miterleben können. Ich hätte Ihnen gewünscht, zu erleben, wie dort meine Freunde nicht mit dem Versuch, die Verantwortung auf andere abzuschieben, gesagt haben: Wenn wir jetzt an schmerzliche Entscheidungen gehen, dann zeigen wir mit dem Finger nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst. Da sind Heilige Kühe auch bei uns zu schlachten. Es sind sehr heilige FDP-Kühe genannt worden. Damit waren gar nicht alle einverstanden. Das ist notwendig, weil diese Entscheidungen nur verwirklicht werden können, wenn zu keinem Zeitpunkt bei diesem Entscheidungsprozeß das verlorengeht, was das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes verlangt, nämlich die Beachtung sozialer Gerechtigkeit auch bei der Übernahme von Lasten,

    (Beifall bei der FDP und der SPD) die wir aus unserer Politik zu tragen haben.


    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Eine Generalaussprache sollte den daran Teilnehmenden eigentlich auch Gelegenheit geben, nicht Kästchen für Kästchen nebeneinander nur isolierte Vorgänge zu sehen, sondern sich bewußt zu sein, daß angesichts der großen sicherheitspolitischen Sorgen, die uns alle bewegen — wir haben eine sicherheitspolitische Debatte erst vor einer Woche hier gehabt —, finanzielle Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Verteidigungsfähigkeit ganz eng miteinander zusammenhängen.
    Meine Damen und Herren, da gibt es ein gemeinsames deutsch-amerikanisches Dokument, das ich einmal zum Studium empfehle, und zwar zum Studium in verschiedene Richtungen. In diesem Dokument heißt es:
    Wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit sind Voraussetzungen, um die alliierten Länder zu befähigen, daß sie ihre Verteidigungsfähigkeit fortführen können.
    Hier wird erkannt, daß militärische Stärke allein, nur ausgedrückt in der Zahl von Soldaten, Panzern und anderen Waffen, noch nicht ausreicht. Auch die Gesellschaft muß denen, die für sie eintreten sollen, verteidigungswürdig erscheinen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Deshalb warne ich auch davor, falsche Alternativen
    aufzustellen, als stünden wir vor der Entscheidung,
    uns entweder für soziale Gerechtigkeit oder für Ver-



    Bundesminister Genscher
    teidigungsfähigkeit zu entscheiden; das gehört zusammen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wem sagen Sie das?)

    Ich habe darauf hingewiesen, daß der Satz, den ich hier soeben mehr oder weniger aus dem Gedächtnis zitiert habe, in einem deutsch-amerikanischen Dokument steht, um dem Eindruck entgegenzutreten, da gebe es einen Verbündeten, der nur Kanonen sieht, aber von sozialer Gerechtigkeit überhaupt nichts hält.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut! Aber es gibt Leute, die diesen Eindruck erwecken! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wem sagen Sie das?)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir nun über die autonome Verantwortung, über die Verantwortung im eigenen Land reden, dann wollen wir doch eines auch nicht außer acht lassen: Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß diejenigen, die einer Regierung angehören und sie tragen, auch bei der Überwindung der jetzt vorhandenen Probleme eine Führungsaufgabe haben. Da machen wir es uns gar nicht so leicht, mit Ihnen ein „Schwarzer-PeterSpiel" zu beginnen und zu sagen: Da muß erst einmal die Opposition sagen, was sie will. Nur, meine Damen und Herren, eins wollen wir ja wohl auch nicht unterschlagen: Wir sind doch alle stolz darauf, daß wir einen föderalistischen Staatsaufbau haben. Wir wollen doch wohl nicht verschweigen, daß es Finanzprobleme beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden gibt, daß Sie im Bundesrat die Mehrheit haben, meine verehrten Kollegen, und daß es, wenn ich mich recht erinnere, auch kein wirklich ausgabenwirksames Gesetz gegeben hat, bei dem Sie hier mit dem Ruf in die Bresche gesprungen wären: „Nicht mehr Schulden machen!"

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Herr Genscher, sieben Gesetze haben wir verhindert! Denken Sie einmal an das Jugendhilferecht! — Kiep [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles gar nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Meine Damen und Herren, nachdem ich das alles gesagt habe, möchte ich noch einmal feststellen: Wir bekennen uns zur Führungsaufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien für die jetzt anstehenden politischen Entscheidungen. Wir bekennen uns dazu, daß die in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen von uns natürlich mitgetragen worden sind und mitverantwortet werden. Der Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß ganz sicher niemand unter uns ist, der alle Entwicklungen — auch die weltwirtschaftlichen — so vorausgesehen hat, wie sie sich tatsächlich vollzogen haben. Es ist notwendig, daß alle Seiten des Hauses — die Bundesregierung eingeschlossen — die Fähigkeit besitzen, aus der gegebenen Entwicklung die notwendigen Konsequenzen zu ziehen; und das werden wir tun.
    Meine Damen und Herren, ich würde ganz gern noch einen anderen Punkt aufgreifen, der auch eine Rolle gespielt hat. Da wir gerade über den FDP-Parteitag sprechen, will ich auch diesen Punkt hier aufnehmen, Herr Kollege Kohl. Sie haben davon geredet, daß die beiden, die da an der Spitze der Regierung stehen, mit Rücktrittsdrohungen arbeiten müßten. Dann haben Sie versucht, zu orten, ob wir in der Mitte unserer Partei stehen. Bei uns ist es so, daß der Vorsitzende in der Partei vorn steht — damit das ganz klar ist!

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Nein! Mitte — das war schon eher! Sie sind die Partei! Das ist ein Unterschied! Sie sind ja die Partei, denn sonst ist nichts mehr da!)

    — Das geht wieder zu weit, Herr Kollege Dr. Kohl. Ich sehe aber, Sie wollen mich versöhnlich stimmen.

    (Heiterkeit)

    Trotzdem muß ich dies sagen. In der Frage der Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses erleben wir nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in ganz Europa eine öffentliche Debatte über das Für und Wider. Es gibt auch Leute, die zu diesem Doppelbeschluß — sowohl zur Nachrüstung als auch zum Verhandlungsteil — aus Überzeugung j a sagen und zugleich die Frage aufwerfen, ob sich denn die Nachrüstung in dieser Form oder in anderer Form vollziehen könne. Nun kann ich niemandem, der die Frage der Seestützung aufwirft und diskutiert, wie das auf unserem Parteitag geschehen ist, vorwerfen, daß er für sich diese Frage aufwirft, weil ich als ein Mitglied der Bundesregierung, als ein Mitglied des Verteidigungsrates und als ein Mitglied der NATO-Außenministerkonferenz mir diese Frage doch selbst habe stellen und beantworten müssen. Vielleicht hätten wir damals — das sage ich selbstkritisch an meine eigene Adresse, an die Adresse der Bundesregierung — auch diese zugegebenermaßen nicht nebensächlichen, sondern zentralen Fragen des Inhalts dieses Beschlusses von uns aus offensiv zur Diskussion stellen sollen. Dann hätten wir die Diskussion vielleicht damals geführt und müßten sie heute nicht in der Öffentlichkeit nachholen. Ich kann aber keinen Vorwurf daraus herleiten, daß jemand sich diese Frage vorlegt, so wie ich sie mir auch einmal vorgelegt und so beantwortet habe, wie sie sich jetzt im NATO-Doppelbeschluß darlegt.
    Nun war es notwendig, all den Mitgliedern meiner Partei, die an diesem Parteitag teilgenommen haben, deutlich zu machen, daß wir als Mitglieder der Bundesregierung — über die Beantwortung dieser Frage in der Sache hinaus — auch noch die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik zu wahren haben, nachdem wir zum Doppelbeschluß in dieser Form j a gesagt haben, daß es hier auch um eine Frage der Vertragsfähigkeit unserer Bundesrepublik Deutschland geht,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Der Vertragstreue!)




    Bundesminister Genscher
    nachdem wir ja gesagt haben. Das sind doch keine leicht zu nehmenden, sondern — unabhängig von der Sachfrage „Seestützung: ja oder nein?" — ernst zu nehmende Argumente.
    Ich habe darauf hingewiesen, daß die Entscheidung, die der Bundeskanzler und ich in dieser Frage getroffen haben — wir haben darüber oft und lange gesprochen —, nach ernster Gewissensprüfung getroffen worden ist. Als ich das sagte, wollte ich deutlich machen, daß für mich in meiner Verantwortung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland diese Frage in der Tat nicht eine Frage parteitaktischer Zweckmäßigkeiten und Mehrheiten hin und her ist, sondern eine Gewissensfrage. Vielleicht haben manche, die das am Fernsehschirm gehört haben, verstanden, daß man aus Gewissensgründen auch für diese Entscheidung und nicht nur dagegen sein kann.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das wollte ich damit auch gesagt haben. Es ist ja wohl notwendig, daß wir deutlich machen, daß Entscheidungen über Fragen von solcher Bedeutung für Sicherheit und Überleben unseres Volkes nicht mit leichter Hand zu treffen sind, sondern daß diejenigen, die sich diesen Entscheidungen unterziehen, sehr wohl sehr genau nicht nur prüfen, ob das alles sein muß, sondern auch prüfen, ob das alles mit dem vereinbar ist, was wir an Verantwortung für die Menschen, für die Sicherheit in unserem Lande tragen.
    Das hier auszusprechen, meine Damen und Herren, war notwendig, weil das Wort Rücktrittsdrohung ein bißchen so aussieht, als ob da jemand irgend etwas in eine Richtung bewegen wolle. Nein, politisch Verantwortliche haben auf die Tragweite von Entscheidungen hinzuweisen, auf alle Kriterien, die zu der Entscheidung führen. Und dann sind alle frei, das einzuordnen und zu bewerten. Wir werden noch sehr viele Diskussionen dieser Art nicht nur erleben, sondern notwendig haben, wenn wir die Themen bewältigen wollen, von denen ich anfangs gesprochen habe.
    Meine Damen und Herren, ich habe vom weltweiten Strukturwandel gesprochen, der auf uns zukomme. Wenn Sie einmal sehen, was jetzt schon an protektionistischen Tendenzen in einigen unserer EGMitgliedstaaten aufkommt, kann ich mir nur die Frage stellen: Was wollen die denn tun, wenn in der Dritten Welt erst einmal eine gewisse industrielle Produktionskapazität geschaffen wird, die uns wirklicher Konkurrenz auch mit den Produkten dieser Länder aussetzt? Meine Damen und Herren, wir müssen da darauf hinweisen: Entwicklungshilfe, Hilfe für die Dritte Welt, ist mehr als öffentliche Entwicklungshilfe. Dazu gehören private Investitionen, und dazu gehört vor allen Dingen auch die Bereitschaft, die Märkte für die Produkte dieser Länder zu öffnen. Die Märkte öffnen heißt, daß wir in unserem Lande konkurrenzfähig bleiben müssen. Deshalb treten wir mit so großem Nachdruck dafür ein, die Entwicklungschancen für die Wirtschaft zu verbessern. Aber ich glaube, daß wir uns auch alle bewußt sind, daß viele Probleme, die wir gemeinsam sehen — vielleicht aus unterschiedlichen Blickwinkeln —,
    z. B. in unserem Bildungswesen, in der Ausbildung junger Menschen, auch von Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt sind, wenn wir in der Lage sein wollen, die technologische Führungsposition, die wir haben, auch zu behalten. Meine Damen und Herren, das alles gehört in eine Generalaussprache über den Bundeshaushalt für das Jahr 1981 mit hinein.
    Ich möchte ganz gern — weil Herr Kollege Dr. Zimmermann etwas zur Waffenexportpolitik der Bundesregierung gesagt hat — auch dazu eine Bemerkung machen: Meine Parteifreunde, es ist kein Geheimnis, daß in dieser Frage höchst unterschiedliche Auffassungen in allen Fraktionen — will ich einmal sagen — des Deutschen Bundestages vorhanden sind. Da gibt es Stimmen aus der Opposition — und das ehrt sie genauso wie diejenigen aus meiner Fraktion und aus der sozialdemokratischen Fraktion, die das sagen — —

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Kollege Genscher, es hat uns auch geehrt, daß Sie uns eben als „Parteifreunde" angesprochen haben! — Heiterkeit)

    — Meine verehrten Kollegen, es ist so, daß mir ein solches Wort immer leichter über die Lippen kommt als ein Ausdruck von Freund-Feind-Denken. Die zweite Hälfte habe ich nicht so gern.

    (Beifall bei der FDP — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Sehr einverstanden!)

    Meine verehrten Kollegen, ich möchte Ihnen ganz offen sagen: Wenn wir über Abrüstung und Rüstungskontrolle sprechen — Kollege Mertes hat heute gesagt: „Welche Initiative haben wir denn nicht unterstützt?"; in der Tat, ich wüßte ihm da keine zu nennen —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist gut!)

    und meinen, daß wir die Dritte Welt entwickeln wollen, dann müssen wir doch ernsthaft die Frage stellen, die der Kollege Brandt in der letzten Debatte aufgeworfen hat, ob es der richtige Weg sein könne, daß die Industriestaaten — oder ich sage das einmal für uns: die Bundesrepublik Deutschland — zu dem beitragen, was man Militarisierung der Dritten Welt nennt.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Für mich ist deshalb die Frage der Waffenexportpolitik auch eine Frage unseres Verhältnisses zu den Staaten der Dritten Welt und die Frage, ob man da nicht Dinge tut, die die Probleme möglicherweise noch verschärfen. Aber das ist nur eine Seite.
    Diejenigen, die sich mit großem Elan für eine Ausweitung der deutschen Waffenexportpolitik aussprechen, haben im Auge, daß andere das tun. Und da meine ich nicht andere im westlichen Lager, sondern aus den kommunistischen Ländern. Deshalb kann man hier nicht allein Zurückhaltung üben, sondern man muß gleichzeitig auch in den Vereinten Nationen dafür eintreten — wie wir das tun —, daß eben Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle nicht etwas ist, was nur zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, zwischen den beiden



    Bundesminister Genscher
    Paktsystemen stattfindet, sondern daß es eine der hervorragenden Aufgaben deutscher Außenpolitik ist, überall in der Welt dafür zu werben, die Nichtlieferung von Waffen in die Dritte Welt zu einem zentralen Ziel der Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung zu machen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Da steht es uns wohl an, daß wir dabei eine Führungsrolle übernehmen. Ich bin sonst nicht so sehr für die Führungsrollen unseres Landes, für die Regierung schon und in meiner Partei natürlich auch — das ist ganz klar —, aber sonst nicht so sehr. Aber das hier ist eine Sache, die uns wohl ansteht.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Sehr gut!)

    Ich glaube, daß wir das auch sehr ernst nehmen wollen.
    Ich will damit sagen, das Nord-Süd-Problem, meine Damen und Herren, wird uns noch vor viele Fragen stellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: In der Tat!)

    Wir müssen unseren Bürgern sagen, daß das, was wir dort tun, nicht Geschenke sind, nicht Opfer auf dem Altar irgendeiner verworrenen Ideologie. Wenn wir damit beitragen, diese große, weltweite, den Frieden gefährdende soziale Frage Schritt für Schritt zu lösen, tun wir etwas für unseren eigenen Frieden und für den Frieden unserer Kinder. Ich denke, dann ist es gar nicht mehr so uneigennützig, wenn wir uns auf die Probleme einstellen, die sich daraus ergeben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist doch völlig unbestritten!)

    — Herr Kollege Dr. Mertes, nicht alles, was unbestritten scheint, ist in der Sache unbestritten. Gelegentlich lohnt es sich sogar, durch die Wiederholung richtiger Feststellungen dazu beizutragen, daß die Ausbreitung des Richtigen ungehemmte Fortschritte macht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut, Herr Kollege Genscher, aber vor allem auch in richtigen Zahlen!)

    Bitte, Herr Kollege Mertes.


Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie gestatten die Zwischenfrage von Herrn Dr. Mertes?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alois Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Bundesminister, finden Sie es nicht deprimierend, wenn wir als Opposition in der letzten Woche ausdrücklich dem NATO-Beschluß wörtlich zustimmen und der Kollege Wischnewski hergeht und sagt, wir hätten diesen Text abgelehnt? Was hat es für einen Sinn, wenn hier Wiederholungen stattfinden, die falsch sind?