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    Plenarprotokoll 9/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — Drucksache 9/474 — Dr. Zimmermann CDU/CSU 2235 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2243 C Wehner SPD 2244A Hoppe FDP 2248 C Dr. Wörner CDU/CSU 2250 B Dr. Ehmke SPD 2256 B Jung (Kandel) FDP 2263 C Dr. Zimmermann CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2267 C Schmidt, Bundeskanzler 2268 A Dr. Kohl CDU/CSU 2276 A Wischnewski SPD 2283 C Genscher, Bundesminister AA 2286 C Dr. Blüm CDU/CSU 2292 B Mischnick FDP • 2297 D Dr. Apel. Bundesminister BMVg 2301C Wischnewski SPD (Erklärung nach § 30 GO) 2308 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 2309A Bahr SPD 2314C Metz CDU/CSU 2318 B Frau Dr. Wilms CDU/CSU (zur GO) . . . 2320D Löffler SPD 2320 D Namentliche Abstimmung . . . . 2321D, 2322 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 9/475 — Picard CDU/CSU 2323 D Würtz SPD 2325 C Gärtner FDP 2326 D Coppik SPD 2327 D, 2329 B Genscher, Bundesminister AA 2328 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 9/488 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2329 D Esters SPD 2331 C Gärtner FDP 2332 A Offergeld, Bundesminister BMZ 2332 B Pieroth CDU/CSU 2332 D Frau Luuk SPD 2333 B Dr. Vohrer FDP 2334 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 9/490 — Gerster (Mainz) CDU/CSU 2334 D Nehm SPD 2336 B Dr. Wendig FDP 2337 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 9/484 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 2339 B Stöckl SPD 2343 A Dr. Zumpfort FDP 2345A Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2349 C Würzbach CDU/CSU 2351 B Jungmann SPD 2354 A Duve SPD 2356 A Dr. Schöfberger SPD 2357 C Coppik SPD 2358 C Kleinert FDP 2359 C Hansen SPD 2360 A Mischnick FDP 2360 B Namentliche Abstimmung 2360 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 9/495 — 2362 C Nächste Sitzung 2362 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2362 B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2235 41. Sitzung Bonn, den 3. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 4. 6. Dr. Barzel 3. 6. Dr. Geßner * 4. 6. Kittelmann * 4. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5.6. Milz 5. 6. Dr. Müller * 4. 6. Frau Noth 5. 6. Reddemann * 4. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Schmidt (Würgendorf) * 4. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Dr. Wittmann (München) * 4. 6. *) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem kurzen Ausflug in den Wahrheitsfanatismus des Herrn Abgeordneten Zimmermann — —

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie sind unanständig! Sie sind unanständig!)

    — Ja, ich werde ja wohl nach all den Ausfällen, die wir uns heute angehört haben, auch einmal zurückschlagen dürfen. „Wahrheitsfanatismus" ist ein freundliches Wort.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie sind unanständig!)

    Mir liegt am Herzen, zu betonen, daß ich zwischen der „Welt am Sonntag" und Herrn Zimmermann noch nie einen Unterschied habe erkennen können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Abgesehen von Polemik, hat die Debatte gestern und heute bisher von seiten der Opposition so viel Neues noch nicht gebracht.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Gestern haben Sie gefehlt! — Dr. Langner [CDU/ CSU]: Jetzt kommt das Neue!)

    Ich möchte mich voll und ganz hinter die Rede des Bundesfinanzministers von gestern stellen. Ich will hinzufügen: Die Welt ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch mit den 80er Jahren in eine schwierige, gefährliche Phase eingetreten; aber eben auch wirtschaftlich.
    Der alberne Versuch der Opposition, so zu tun, als ob die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bundesrepublik Deutschland nur in diesem Land stattfänden und der Koalition zur Last zu legen seien, findet den Beweis des Gegenteils, wenn Sie auf die 2½ Millionen Arbeitslosen in England oder die 1¾ Millionen Arbeitslosen in Frankreich oder auf die Arbeitslosen in Amerika und anderswo schauen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das haben wir nie bestritten!)

    Die ganze Welt, Herr Kiep, hat durch die Entwicklung der letzten Jahre, insbesondere durch die zweite Ölpreisexplosion, schwierigste Probleme zu lösen. Da uns gestern etwa Japan als Beispiel vorgehalten wurde, darf ich darauf hinweisen, daß Japan seinen letzten Haushalt zu einem Drittel durch Kredite hat finanzieren müssen.

    (Seiters [CDU/CSU]: Investitionen!)

    Ich kritisiere das nicht. Mir liegt nur am Herzen, Ihnen bei der CDU/CSU zu sagen: Ihr Horizont sollte etwas weiter reichen als derjenige, der „Welt am Sonntag" und der Springer-Presse.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Keine der Volkswirtschaften der Welt — weder in den Entwicklungsländern noch in den Industriestaaten — kann sich diesen ungeheuren Umwälzungen, die seit den letzten 24, 36 Monaten passieren, über Nacht anpassen. Alle haben sehr große Schwierigkeiten. Wichtige Industrieländer sind gezwungen, eine sehr harte Politik zu treiben. Wenn es heute Zinssätze in Italien von 27 % oder in Frankreich von über 20 % oder in Amerika ebenfalls von über 20 % gibt, dann kommen Sie doch nicht her und reden dem deutschen Volk ein, uns gehe es schlechter als anderen und wir hätten das verschuldet! Das Gegenteil ist wahr.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die hohen Zinssätze im Ausland sind es, die die Bundesbank zwingen — ich kritisiere das nicht, was die Bundesbank tut —,

    (Seiters [CDU/CSU]: Hoppe!)

    sich ihrerseits in den Zinsen vorsichtig und schrittweise anzupassen, obwohl die Bundesbank genauso wie jeder hier im Haus, jeder Ökonom, jeder Unternehmer und jeder Gewerkschafter weiß, daß in der gegenwärtigen Phase die hohen Zinsen eigentlich wirklich unerwünscht sind.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das hängt doch mit Ihren Schulden zusammen!)

    Wenn Herr Glos, ein Redner von gestern, den ich gehört habe, meint, das Sinken der DM sei ein Ausdruck steigenden Mißtrauens, dann müssen Sie bei der Opposition sich einmal vorstellen, wo der Kurs der D-Mark wäre, wenn wir auch 27 % Zinsen machten. Allerdings kriegten wir dann die Arbeitslosigkeit, die es in jenen Ländern mit den hohen Zinsen gibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das war doch alles nur für den kleinen Fritz erzählt.
    Das einzige Konkrete, das ich in der ganzen Debatte von der Opposition gehört habe, war in der Rede des Herrn Glos: Eine Subvention dürfe nicht gestrichen werden, nämlich die für den Airbus, wobei er nicht vergessen hat, zu erwähnen, daß sein Ministerpräsident Vorsitzender des Aufsichtsrats ist. Das war das einzige Konkrete, das ich gehört habe.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe dem Hause nach der Rückkehr aus Washington berichtet und greife darauf zurück, daß ich dem amerikanischen Präsidenten eingehend dargelegt habe, welche großen Sorgen mir die Auswirkungen des hohen Zinsniveaus in der größten Volkswirtschaft der Welt machen und welche großen Sorgen die Auswirkungen auf alle übrigen uns machen müssen. Ich habe gestern erfahren, daß eine andere europäische Regierung gleiche Vorstellungen erheben wird.



    Bundeskanzler Schmidt
    Selbst im allergünstigsten Fall wird dieses sehr hohe Zinsniveau zu einer wesentlichen Verzögerung der weltwirtschaftlichen Erholung führen; im ungünstigsten Falle kann es — damit wir uns hier nichts vormachen — in die weltweite Depression führen.
    Sicherlich können sich die Vereinigten Staaten von Amerika dieses Rekordzinsniveau von 20 % eine Zeitlang leisten; sicherlich können wir uns in Europa das gleiche nicht ohne eine ganz wesentliche Zunahme der Arbeitslosigkeit leisten. Deshalb werden die weltwirtschaftliche Gesamtentwicklung, die Zinsentwicklung und der internationale Zinswettlauf auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Ottawa Ende nächsten Monats ein Hauptthema sein. Ich werde mich dort mit Nachdruck für eine engere Koordinierung und Kooperation der großen Industrieländer in diesem Bereich aussprechen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Koalition hat sich verabredet, unmittelbar nach Ottawa die aus den dortigen Erkenntnissen und Ergebnissen notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen — in der Wirtschaftspolitik genauso wie in der Haushalts- und Finanzpolitik.
    Leider kann man heute noch nicht davon ausgehen, daß es auf der ganzen Welt schon bald spürbar und dauerhaft zu Zinssenkungen kommt. Es spricht eher vieles dafür, anzunehmen, daß die Folgen der weltweiten Rezession auch noch in das Jahr 1982 fortwirken werden. Das wird natürlich die Probleme auch für unseren Haushalt 1982 verschärfen. Wie viele schon gesagt haben, so sage auch ich: Es wird für diesen 82er Haushalt eine große Kraftanstrengung der Koalition notwendig sein; Schönheitsreparaturen werden da nicht ausreichen.

    (Seiters [CDU/CSU]: Also doch!)

    Viele Ausgaben, alle Subventionen — auch die, die Sie besonders gelobt haben, nämlich die für den Airbus — werden angeguckt werden müssen. Dabei wird keine gesellschaftliche Gruppe von den Auswirkungen verschont bleiben.

    (Seiters [CDU/CSU]: Ministergehälter!)

    Ich jedenfalls verfolge mit dem Finanzminister die Absicht, deutliche Zeichen zu setzen und darauf zu achten, daß die soziale Ausgewogenheit dabei nicht gestört oder gar zerstört wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bin ganz sicher, daß wir die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durchstehen werden. Ich wiederhole, was ich schon gesagt habe: Die Voraussetzungen für das Durchstehen sind in der Bundesrepublik Deutschland besser als in den allermeisten Industriestaaten der Welt. Übrigens sehen Sie die positiven Auswirkungen des Anstiegs des amerikanischen Dollar durch die hohen Zinsen uns gegenüber — es ist j a die D-Mark gegenüber den anderen europäischen Währungen nicht abgewertet, wie hier gestern durch etwas schiefe Darstellung suggeriert wurde — in unseren enormen Exportsteigerungen der allerletzten Zeit, die sich ja fortsetzen werden.
    Es hat wenig Sinn, meine Herren von der Opposition, nun nachträglich so zu tun, als ob dies alles —
    zweimal Ölpreisexplosion, Zinsexplosion in der ganzen Welt — mit einer im Grunde seit zwölf Jahren falsch angelegten Politik der sozialliberalen Koalition etwas zu tun habe,

    (Dr. Langner [CDU/CSU]: Nicht nur, aber auch!)

    wie einige Ihrer Redner das immer wieder vorgebetet haben, wie es Herr Kohl heute nachmittag sicher auch wieder sagen wird. Es hat wenig Sinn, daß Sie mit der Attitüde des Anklägers so tun, als hätten die Menschen in den späten 60er Jahren — oder, sagen wir besser: in den frühen 70er Jahren, in der ersten Hälfte der 70er Jahre — klüger sein und diese Entwicklungen voraussehen sollen, die doch jene Konservativen, Herr Zimmermann, ganz gewiß nicht vorausgesehen haben, die sich noch 1973 mit Verve gegen energiepolitische Programme gewendet und sie für planwirtschaftlichen Humbug gehalten haben. Sie haben das alles ganz gewiß nicht vorausgesehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Als wir vor zwölf Jahren die Regierungsverantwortung gemeinsam übernommen haben, haben wir in der Tat — ausgehend von der damals gerechtfertigten Erwartung einer längerwährenden Phase des wirtschaftlichen Wachstums — einen wichtigen Teil des jährlichen Wohlstandszuwachses für den Auf- und Ausbau der gesellschaftlichen und staatlichen Infrastruktur verwendet, insbesondere der sozialen Sicherheit. Das entsprach dem Gebot der Gerechtigkeit, die Freiheit für viele erst dadurch erfahrbar zu machen, daß für sie — aus der Solidarität heraus — soziale Sicherheit voll und ganz geschaffen, ihnen Angst genommen wurde. Das war richtig,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    und das bleibt auch richtig. Das wird nicht dadurch widerlegt, daß Sie so tun, als ob die Weltwirtschaftskrise nur in Bonn stattfinde. Sie findet in Ihren Hirnen statt, meine Herren von der Opposition.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Diese Sprüche haben Sie bei den Jusos geübt! — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Bundeskanzler, wir sind Ihnen ja dankbar, daß Sie uns wenigstens Hirn zuschreiben!)

    Es ist ganz klar, daß Sie — das hängt wirklich mit Ihren Denkstrukturen zusammen — nicht erkennen und zugeben wollen, daß der Eingriff in die langanhaltende Kurve ständiger Wohlstandsmehrung von draußen, aus einem anderen Erdteil, gekommen ist, daß er mit der inzwischen eingetretenen Verzwanzigfachung des Preises für 01 zu tun hat, welches den wichtigsten Rohstoff für unsere Volkswirtschaft genauso wie für andere Industriewirtschaften, genauso wie für die Entwicklungsländer darstellt.
    Wir müssen nun sehen, daß Zeiten des ständig steigenden Zuwachses gegenwärtig und in der überschaubaren Zukunft nicht mehr erwartet werden können. Wenn Solidarität damals verlangt hat, daß man für diejenigen, die sich unsicher fühlen mußten, die Angst haben mußten, das soziale Netz enger



    Bundeskanzler Schmidt
    knüpfte, dann verlangt die Solidarität heute unter völlig anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen, daß man das Netz der sozialen Sicherheit in seinen Verankerungen sichert, damit es nicht eines Tages für diejenigen, die darauf angewiesen bleiben, aufgekündigt werden muß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Damit mich niemand mißversteht: Hier findet kein Bruch der Gesellschaftsphilosophie, keine Zäsur statt. Dies ist vielmehr Kontinuität solidarischer Gesinnung und solidarischen Handelns.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Diese Solidarität kann aber immer nur konkret situationsbezogen sein. Wenn sich die Umwelt, die Verhältnisse, in denen Deutschland lebt, insgesamt verändern, wird manches von dem, was wir tun, auch angepaßt werden müssen. Wir müssen dieses Stück Freiheit sichern, das ohne die Leistungsgesetze der sozialen Sicherheit verfallen oder der Unfreiheit in Not weichen müßte. Es ist nichts Sensationelles daran, wenn man in einer solchen Lage das Netz der sozialen Sicherheit entlasten muß. Es ist nicht einmal etwas Sensationelles für Leute daran, die ihr Leben lang gewohnt waren, in diesen Zusammenhängen zu denken.
    Ich zitiere Ihnen zwei Stellen aus dem von Ihnen häufig gescholtenen Orientierungsrahmen, den die SPD vor einer Reihe von Jahren mit dem Blick auf das Jahr 1985 angenommen hat:
    Für unsere Politik ergibt sich als dringlichste Forderung aus dem enger gewordenen finanziellen Spielraum, daß die zur Verfügung stehenden Mittel sparsamer und gezielter eingesetzt werden. Dabei müssen alle Arten von Staatsausgaben einbezogen werden. Dies setzt voraus, daß die öffentlichen Ausgaben daraufhin überprüft werden, ob ihnen noch ein gültiger sozialer Anspruch zugrunde liegt.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das war nach der ersten Ölpreisexplosion. Ich zitiere Ihnen die zweite Stelle:
    Die wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an den Staat bergen die Gefahr in sich, die Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern und eine bürokratische Ausweitung des Staatsapparates zu erzeugen, dessen Kosten unerträglich wachsen und dessen Effektivität doch immer weit hinter den gesellschaftlichen Anforderungen zurückbleibt. Die verbreitete These, der Druck der gesellschaftlichen Probleme wachse stärker als unsere Fähigkeit, sie zu meistern, trifft dann sicherlich zu, wenn die Lösung dieser Probleme immer mehr der staatlichen Bürokratie zugemutet wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    — Ich bin dankbar, daß Sie einer, wie mir scheint, wichtigen und richtigen Passage aus unserem Orientierungsrahmen Beifall zollen. Bisher haben Sie es immer anders gemeint. Ich möchte das Zitat noch zu Ende führen:
    Ohne gesellschaftliche Strukturreformen, die die Fähigkeiten und Bereitschaft der Gesellschaft zur Selbstregulierung und zur Selbsthilfe nutzen und stärken, droht uns eine Entwicklung, in der wachsende, lähmende soziale Konflikte nur noch durch den Staat reguliert werden können, der zur Durchsetzung seiner Ziele eines wachsenden Apparats bedarf. Einem zunehmenden Versorgungsdenken und abnehmender Fähigkeit und Bereitschaft zu solidarischer Selbsthilfe stünde dann eine abnehmende Leistungsfähigkeit des Staatsapparats gegenüber.
    Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie das eben in der Attitüde des Zustimmens angehört haben, daß Sie kein Monopol auf das haben, was die christliche Soziallehre Subsidiarität, von der gestern und heute auch die Rede war, genannt hat und mit Recht so nennt, und daß Sie kein Monopol auf das haben, was die christliche Soziallehre Solidarität nennt — daß Sie auf das letztere schon gar nicht ein Monopol haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und Sie sehen daraus — das darf ich als Sozialdemokrat hinzufügen —, daß wir in der Kontinuität unserer Politik aus jeder Situation heraus — und die Situationen, die Verhältnisse ändern sich — das erreichbare Maß an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität herauszuholen uns bestreben, um es für die Menschen konkret erfahrbar zu machen.
    Das bedeutet keineswegs auch nur die Andeutung des Rückzugs aus dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit, wenn man mißbräuchliche Inanspruchnahmen abstellt, wenn man Berechtigungen zurücknimmt, die — um den Wortlaut von eben noch einmal aufzunehmen — sozial nicht mehr „gültig" sind. Im Gegenteil, es bedeutet die Wahrnehmung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gestaltungsaufgaben des Staates, wenn wir versuchen werden, stärker von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben des Staates umzuschichten.
    Das steht alles unter dem Gerechtigkeitsgebot. Gerade für den sozialen Frieden gilt ja, daß er das Werk der Gerechtigkeit ist. Und dies bedeutet, daß wir die Anpassungslast, die unser Volk in diesem Strukturwandel genauso zu tragen hat wie die übrigen Völker Europas, wie noch mehr die Völker in den Entwicklungsländern — wir alle leiden unter sinkenden Realeinkommen, alle, mit der Ausnahme einer Handvoll von Staaten, die ich nicht extra nennen will —, daß wir die Anpassungslast gerecht verteilen müssen, und sie um Gottes willen nicht bei den Schwachen oder gar den Schwächsten abladen dürfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In diesem Zusammenhang wende ich mich gegen die bei einigen zur Mode gewordene Kritik oder den Sprachgebrauch, vom sozialen Netz geringschätzig als von einer sozialen Hängematte zu reden.

    (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Genscher!)




    Bundeskanzler Schmidt
    Das können sich diejenigen leisten, die darauf nicht angewiesen sind.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das sagen Sie Ihrem Vizekanzler!)

    Unser System der sozialen Sicherung hat sich prinzipiell und grundsätzlich bewährt. Es hat prinzipiell unser demokratisches Gemeinwesen sowohl gesellschaftlich als auch politisch stabilisiert, und zwar nicht nur im Sinne der unteren Schichten der Einkommenspyramide. Es hat allen Gruppen unserer Gesellschaft geholfen.
    Um es noch einmal mit anderen Worten deutlich zu sagen: Wir haben in den 70er Jahren keineswegs sozial über unsere Verhältnisse gelebt. Aber jetzt haben sich die Verhältnisse geändert und verschlechtert, und wir müssen uns den neuen Verhältnissen anpassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

    Und wenn ich von Mißbräuchen geredet habe, die man abbauen sollte: Die gibt es nicht nur bei der sozialen Sicherung, die gibt es auch bei einer Reihe von Steuervergünstigungen,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Die haben Sie alle gemacht!)

    die gibt es bei einer Reihe von Haushaltszuwendungen oder Subventionen, wie man auch sagt, und die werden nicht nur von Arbeitnehmern mißbraucht, meine Damen und Herren, sondern auch von Unternehmungen — ich sage das ganz unpersönlich. Und dies alles zugleich muß unter dem Gesichtspunkt, daß die Kargheit der Mittel Mißbrauch nicht länger erlaubt, sorgfältig angeguckt und abgeschnitten werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies ist nicht nur, aber in zunehmender Weise ein quantitatives Problem. Es ist, wenn ich die Beitragszahler der sozialen Sicherung vor Augen habe — und ich bin fast jeden Monat in einem anderen Betrieb und rede dort, auch über die — —

    (Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU])

    — Haben Sie etwas dagegen, daß der Bundeskanzler Betriebsbesuche macht? Das sollten auch Sie tun!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Ahnung, wie es in einem Betrieb zugeht!)

    Ich sehe mir in jedem Betrieb die Lohn- und Gehaltsabrechnungen und die Lohnzettel an.

    (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Absurd ist das!)

    — Das sollten auch Sie tun. — Ich höre dort eine ganze Menge Klagen, über den Mißbrauch, den einige treiben.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Das Abschneiden des Mißbrauchs ist nicht nur ein
    quantitatives Problem, obwohl die quantitative Bedeutung wächst, sondern es ist in allererster Linie ein moralisches Problem, das gelöst werden muß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werden entsprechende Gesetzentwürfe nach Ende der Sommerpause auf den Tisch des Hauses bekommen.
    Es ist bei diesem Bemühen selbstverständlich, daß es verschiedene Meinungen über Zweckmäßigkeiten gibt. Es gibt auch verschiedene Interessen. Es gibt immer verschiedene Meinungen darüber, wo der Staat Geld ausgeben soll, wo der Staat Geld sparen soll, so im Bundestag, nicht nur zwischen Opposition und Koalition, auch innerhalb der Koalition, zwischen zwei Partnern, auch innerhalb jeder der beiden Koalitionsparteien. Die Bundesregierung stützt sich ja auf zwei selbständige Parteien.

    (Seiters [CDU/CSU]: Vier!)

    — Vier?

    (Seiters [CDU/CSU]: Bei Ihnen drei!)

    — Was fordern Sie heraus? Soll ich daran erinnern, daß Herr Zimmermann die Rede für Herrn Strauß gehalten hat, für seine vierte Partei, die dann doch nicht in Erscheinung trat, die aber noch nicht ganz aufgegeben wurde?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kohl, alles, was Ihre Leute bisher vorgetragen haben, war doch in Wirklichkeit der späte geistige Sieg des Sonthofeners über das Prinzip einer alternativen Politik, die Sie nicht geboten haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir werden bei dieser Operation darauf achten — aus unserer ganzen Geschichte heraus und aus moralischen Grundsätzen heraus —, daß die Einschränkungen nicht nur zu Lasten der kleinen Leute gehen, wie man so sagt, sondern wir werden uns an den Satz aus der Regierungserklärung vom vorigen Herbst halten,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: „Mut zur Zukunft"!)

    daß wir in schwierigen Zeiten mehr Solidarität brauchen und nicht weniger. Und vielleicht — das sage ich mal ein bißchen ironisch — darf man heute schon an das Interesse der kleinen Landwirte oder auch der kleinen Rentner appellieren. Sie beide sollen sich nicht vor den Wagen der Großen spannen lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat kürzlich öffentlich angeboten, im kleinen Kreise mit der Bundesregierung, auch mit der Arbeitgeberseite, über aktuelle Fragen der mißbräuchlichen Ausnutzung des sozialen Netzes und über aktuelle Fragen der Wirtschaftspolitik und der Arbeitslosigkeit zu reden. Ich sehe das als ein neues Zeichen für die verantwortungsbewußte Haltung der deutschen Gewerkschaften an, für das ich dankbar bin. Es ist klar, daß wir zu solchen Gesprächen bereit sind.



    Bundeskanzler Schmidt
    Nun möchte ich eine Bemerkung zu Herrn Zimmermann machen. Er war ja einer der Hauptredner und hat dargetan, seit Jahren habe man das gesagt, und nun sei es endlich eingetreten. Ähnlich hat sich Herr Kiep gestern geäußert, etwas vornehmer, aber auch inhaltslos.

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

    — Das wird man doch noch sagen dürfen. Herr Kiep ist im Auftrage der Bundesregierung bei, ich weiß nicht wieviel, Regierungen der Welt gewesen, um für einen unserer Partner um Geld zu fechten. Er muß doch zugeben, die Bundesrepublik hat ihm am meisten mitgegeben, weil es bei uns am ehesten möglich war, weil es uns gegenüber all den anderen Partnern, wo er weniger eingeheimst hat, am besten ging. Reden Sie doch anschließend hier im Bundestag nicht solche Töne, Herr Kiep!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Was ist das für eine Demagogie! Was heißt denn „Kiep"? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie müssen das doch zugeben!

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Mies!)


    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Mies! — Ganz mies!)

    — Was?

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: Mies! — Erneuter Beifall bei der SPD)

    — Ich würde ja gern auf die Zwischenrufe eingehen, wenn ich sie akustisch verstehen könnte.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU: Mies!)

    — Nein, mies war das nicht! Es war die Wahrheit. Sie haben doch nach der Wahrheit verlangt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich wiederhole das: Herr Kiep ist im Auftrage der Bundesregierung bei einer Reihe von Partnerstaaten und bei deren Regierungen gewesen, um um Geld für einen gemeinsamen Partner, der finanzwirtschaftlich in Not war, für die Türkei, zu fechten. Wahr ist, daß ihm die anderen Partnerregierungen weniger Geld als die eigene Regierung, die deutsche Bundesregierung, gegeben haben,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Noch mieser!)

    weil sie — die deutsche Regierung — in besserer finanzwirtschaftlicher Lage war als die Regierungen der übrigen Staaten.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Und das werfen Sie ihm jetzt vor? Das ist erbärmlich!)

    — Lieber Herr Kohl, (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Erbärmlich ist das!)

    ich werfe Herrn Kiep nicht vor, daß er das getan hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich tun Sie das! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Unanständig! — Gegenrufe von der SPD)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Mit Vergnügen. Vizepräsident Leber: Bitte sehr, Herr Kohl.