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ID0904108000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — Drucksache 9/474 — Dr. Zimmermann CDU/CSU 2235 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2243 C Wehner SPD 2244A Hoppe FDP 2248 C Dr. Wörner CDU/CSU 2250 B Dr. Ehmke SPD 2256 B Jung (Kandel) FDP 2263 C Dr. Zimmermann CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2267 C Schmidt, Bundeskanzler 2268 A Dr. Kohl CDU/CSU 2276 A Wischnewski SPD 2283 C Genscher, Bundesminister AA 2286 C Dr. Blüm CDU/CSU 2292 B Mischnick FDP • 2297 D Dr. Apel. Bundesminister BMVg 2301C Wischnewski SPD (Erklärung nach § 30 GO) 2308 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 2309A Bahr SPD 2314C Metz CDU/CSU 2318 B Frau Dr. Wilms CDU/CSU (zur GO) . . . 2320D Löffler SPD 2320 D Namentliche Abstimmung . . . . 2321D, 2322 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 9/475 — Picard CDU/CSU 2323 D Würtz SPD 2325 C Gärtner FDP 2326 D Coppik SPD 2327 D, 2329 B Genscher, Bundesminister AA 2328 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 9/488 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2329 D Esters SPD 2331 C Gärtner FDP 2332 A Offergeld, Bundesminister BMZ 2332 B Pieroth CDU/CSU 2332 D Frau Luuk SPD 2333 B Dr. Vohrer FDP 2334 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 9/490 — Gerster (Mainz) CDU/CSU 2334 D Nehm SPD 2336 B Dr. Wendig FDP 2337 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 9/484 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 2339 B Stöckl SPD 2343 A Dr. Zumpfort FDP 2345A Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2349 C Würzbach CDU/CSU 2351 B Jungmann SPD 2354 A Duve SPD 2356 A Dr. Schöfberger SPD 2357 C Coppik SPD 2358 C Kleinert FDP 2359 C Hansen SPD 2360 A Mischnick FDP 2360 B Namentliche Abstimmung 2360 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 9/495 — 2362 C Nächste Sitzung 2362 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2362 B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Juni 1981 2235 41. Sitzung Bonn, den 3. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 4. 6. Dr. Barzel 3. 6. Dr. Geßner * 4. 6. Kittelmann * 4. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5.6. Milz 5. 6. Dr. Müller * 4. 6. Frau Noth 5. 6. Reddemann * 4. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Schmidt (Würgendorf) * 4. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Dr. Wittmann (München) * 4. 6. *) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Georg Leber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist vorgesehen, daß in eine Mittagspause eingetreten wird. Der Deutsche Bundestag tritt um 14.15 Uhr zur Fortsetzung seiner Sitzung wieder zusammen. Die Arbeit ist unterbrochen.

    (Unterbrechung von 13.12 bis 14.15 Uhr)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, wir nehmen die unterbrochene Debatte wieder auf. Die Generaldebatte wird fortgesetzt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Mittagspause hatte das Hohe Haus die Gelegenheit, die Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt zur Verabschiedung des Haushalts 1981 zu hören. Es war eine Rede acht Monate nach der Bundestagswahl. Wer diese 40 Minuten aufmerksam miterlebt hat, der wird sich später einmal daran erinnern: Das waren bedrükkende 40 Minuten in der Geschichte des deutschen Parlaments.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Formulierungen, Ton, Inhalt, Gestik

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hochmut!)

    und was man sonst alles noch erwähnen könnte,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Arroganz!)

    zeigen: Sie sind am Ende mit Ihrem Latein.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Nur ein Mann, der mit dem Rücken so an der Wand steht wie Sie, kann derart die Form verlieren, die doch eigentlich, ungeachtet aller parteipolitischen Kontroversen, jeder Deutsche bei einem Bundeskanzler — welcher Partei auch immer — erwarten darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Am Ende Ihres politischen Weges


    (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Noch lange nicht!)

    sind Sie in den Stil und in die Umgangsformen zurückgekehrt, die Ihnen in diesem Hause früher zu einem bestimmten Beinamen verholfen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da ist nichts mehr übriggeblieben vom großen Krisenmanager, vom weltläufigen Staatsmann; da dreschen Sie drauflos, als wollten Sie als Delegierter in
    einem Hamburger Ortsverein Ihrer Partei gewählt werden,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da traut er sich nicht hin! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    wobei — Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde — Sie heute wissen, daß Sie dort auch nicht mehr gewählt würden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Sie uns als „bellende Hunde" bezeichnen, ist uns völlig gleichgültig. Aber, Herr Bundeskanzler: Die Karawane besteht im Spruch aus Kamelen, und sie zieht durch die Wüste.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Sie am Ende Ihres Weges die Wüste umgibt, ist auch wahr. Aber wir brauchen nicht darüber zu sprechen, wer der Kameltreiber in dieser Karawane ist. Vom Ton her — nicht von der Entschiedenheit des Tuns — ist das heute hier klar entschieden worden.
    Meine Damen und Herren von der SPD, was bleibt Ihnen angesichts des allgemeinen Sachverhalts noch übrig, als vor sich hinzuschreien wie Kinder, die Angst haben, in den dunklen Keller zu gehen?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, statt Argumente bringen Sie Beschimpfungen, statt Argumentation blanken Zynismus. Was ist das für eine Sprache — und was ist das für ein Denken — in der Rede eines deutschen Bundeskanzlers, wenn er sagt — das ist ein wörtliches Zitat —: „Wir wären in einer miserablen Situation, wenn wir euch bräuchten" — Herr Bundeskanzler, diese kumpelhafte Anrede

    (Oh-Rufe und Lachen bei der SPD)

    mag bei Ihnen gang und gäbe sein; unser Stil im Deutschen Bundestag sollte das für die Zukunft nicht sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber es ist nicht dieser Punkt, warum ich das Zitat hier angehe. Ich will Ihnen sagen: Dies ist einer der bleibenden Sätze des Helmut Schmidt im Deutschen Bundestag; Sie werden sich daran erinnern, und Sie werden noch oft zitiert werden — auch in späterer Zeit. Denn dieser Satz verrät die nackte Hybris, verrät den Übermut an der Macht, der mit einem demokratischen Verständnis von Regierung und Opposition nichts, aber überhaupt nichts mehr zu tun hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aus blanker Angst, die Macht zu verlieren, zerstören Sie jede Gemeinsamkeit — soweit Sie überhaupt jemals ein Gefühl dafür gehabt haben.
    Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, Sie mögen sagen — das ist Ihre Privatsache, die Privatsache des Helmut Schmidt, und das würde ich dann auch respektieren —: Sie brauchen uns nicht. Aber es kann nicht die Sache des deutschen Bundeskanzlers sein,



    Dr. Kohl
    weil es in der Lage eines jeden Volkes Situationen gibt, in denen man sich gegenseitig braucht — ganz gleich, ob in der Regierung oder in der Opposition. Natürlich, Herr Bundeskanzler, wenn man Regierungschef ist — ich kenne das aus der Ebene eines Bundeslandes —, dann glaubt man vielleicht eher, man brauche die Opposition nicht. Ich habe meine Lektion gelernt im Laufe meines politischen Lebens. Was ich bedaure, ist, daß der frühere Oppositionsführer Helmut Schmidt und jetzige Bundeskanzler offensichtlich auch in seinem sechsten Lebensjahrzehnt nichts dazugelernt hat in diesem Bereich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wo wären Sie denn 1977 geblieben, wenn wir Sie so wörtlich verstanden hätten bei der Ermordung von Hanns Martin Schleyer? Sie wissen doch nicht, was morgen und übermorgen in diesem und in anderen Bereichen sein wird. Wer gibt Ihnen das Recht, eine Politik der verbrannten Erde in diesem Hause zu praktizieren?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wo wären Sie denn geblieben in den großen Krisen der Europäischen Gemeinschaft, als es darum ging, zusammenzustehen? Wo wären Sie denn geblieben, als Sie und der Bundesaußenminister die Verpflichtung übernommen haben, federführend für die Bundesrepublik Deutschland, für die Gemeinschaft — und vor allem für die NATO — der hart bedrängten Türkei zu helfen?
    Ich will das aufnehmen, was ich in meiner Zwischenfrage sagte — das war eben wirklich Helmut Schmidt, was heute hier vonstatten ging —: Sie sind doch damals an uns herangetreten — und an den Kollegen Walther Leisler Kiep — und haben darum gebeten, daß wir gemeinsam um der freiheitlichen Zukunft unseres und anderer Länder willen diese Mission aus der Opposition übernehmen. Natürlich haben Sie heute hier gesagt: „im Auftrag der Regierung". Aber nach dem, wie Sie es gesagt und formuliert haben, sollte doch ein völlig anderer Eindruck erweckt werden.
    Herr Bundeskanzler, Sie müssen sich merken: Mit uns werden Sie dieses Spiel für die Zukunft nicht treiben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben doch noch in diesen Tagen erlebt — und wenn ich mich nicht sehr täusche, erleben Sie diese Stunde der Erniedrigung heute erneut —, daß die Linken in Ihrer eigenen Fraktion Sie in der Sicherheitspolitik längst verlassen haben. Ich habe gesagt: „Stunde der Erniedrigung". Denn kann es eigentlich für einen geradegewachsenen Mann in der Politik eine schlimmere Sache geben, als wenn Leute auftreten und sagen: „Deine Politik halte ich für falsch, aber ich stimme dafür, weil du dranbleiben willst — und die anderen nicht drankommen sollen." Da sieht man auch die ganze ideologische Erbärmlichkeit dieser sogenannten Linken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und Sie werden heute wieder hier vortreten und von Ihrer Moral und von Ihrem Gewissen reden —
    und Sie meinen Pfründe, und Sie meinen Macht — und überhaupt nichts anderes.

    (Anhaltender, lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben — wie der Kollege Wehner — auch über die Opposition gesprochen. Herr Wehner, das, was Sie heute gesagt haben, hat uns nicht sonderlich berührt. Es ist ein klarer taktischer Kurs, den Sie in diesem Zusammenhang fahren. Nur, ich muß Ihnen immer wieder sagen, wie Sie zu Ihrer Zeit in einer Situation, die nicht annähernd mit der heutigen vergleichbar ist, sich verhalten haben. „Nicht annähernd vergleichbar", sage ich, weil wir gerade einen FDP-Parteitag hatten. Wenn man die gewaltigen Töne, die dort gesprochen wurden, und die ausbleibende Konsequenz in einigen Wochen zur Kenntnis nimmt und sich an den seinerzeitigen Nürnberger Parteitag vor dem Ende der Koalition im Jahre 1966 erinnert, dann sieht man schon an der Relation der Summen, die jeweils zur Disposition standen, wie sich die Dinge verändert haben. Herr Wehner, Sie haben damals hier gesagt: „Mit uns nicht. Wir sind nicht mit Ihnen zusammen. Wir sind außerhalb von Ihnen. Wir gehören nicht zu Ihrer Regierung; wir opponieren gegen die Regierung. Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierungsseite, Sie müssen und Sie dürfen Farbe bekennen, nämlich welche Probleme Sie mit Ihrer addierten Kraft zu lösen imstande sind und welche nicht."
    Genau das ist jetzt die Lage, Herr Kollege Wehner. Und da mögen Sie uns beschimpfen. Es ist unser Auftrag, Sie aufzufordern, im Sinne Ihrer eigenen Formulierungen und Sprache Farbe zu bekennen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zwar nicht in allgemeinen Sprüchen, sondern indem Sie zur Tat schreiten und sagen, was wirklich ist.
    Aber, Herr Bundeskanzler, ungeachtet der Krisensituation beim Bundeshaushalt: In der Frage Regierung und Opposition geht es natürlich um mehr als um Tagespolitik. Es geht um ein Stück politischer Kultur in der Demokratie. Wer so redet wie Sie, der redet natürlich jenen Toren im Land zu Munde, die politische Gegnerschaft in politische Feindschaft umschlagen lassen. Wer den politischen Gegner so angeht wie Sie, und zwar nicht aus der Emotion, sondern aus der kalten Berechnung, der Herabsetzung der Ehre des Andersdenkenden — genau das ist doch das Stilmittel Ihrer Politik —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    wer von der unerträglichen Macht in der Hand der Union in diesem Zusammenhang spricht, wer zur politischen Auseinandersetzung nichts beizutragen hat, als die andern als Dummköpfe, als verantwortungslos und als Spekulanten à la baisse zu bezeichnen — ich will mir versagen, den Umkehrschluß zum Spekulanten à la baisse zu ziehen, Herr Bundeskanzler —: Der fordert in jeder Rede irgendwann auf, den Jungen ein Beispiel zu geben, den Dialog zu eröffnen. Ja, wissen Sie denn überhaupt, was ein



    Dr. Kohl
    Dialog ist, Sie, der Sie immer nur zu sich selbst hin reden?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sagten, die Krise finde nur in unseren Hirnen statt. Nun, am 3. Juni lese ich von Herrn Pöhl, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank: Im Augenblick sind wir auf dem Gebiet von Wirtschaft und Finanzen in einem Zustand, von dem man Hemmungen hat, ihn nicht als Krise zu bezeichnen. — Ja, sind wir der Erfinder des Bundesbankpräsidenten Pöhl? Oder ist das Ihr Weggenosse und Ihr Vertrauensmann durch viele Jahre hindurch?
    Wer andere Meinungen vertritt, der wird eben bei Ihnen nicht mehr ertragen, den machen Sie verächtlich, und den beschimpfen Sie.
    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Uns ist es völlig gleichgültig, was Sie über uns sagen,

    (Zurufe von der SPD)

    aber Sie sind eben nicht Helmut Schmidt, sondern Sie sind der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und da ist es nicht gleichgültig, wie Sie sich aufführen und benehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor der Wahl haben Sie alle und jeden beschimpft, der die Sachverhalte dargestellt hat, wie sie wirklich waren — und wie sie wirklich sind. Heute, acht Monate danach, wollen Sie hier deutliche Zeichen setzen. Heute, acht Monate danach, erklärt Herr Matthöfer, alles stehe zur Debatte, erklären die Kollegen von der FDP, es dürfe kein Tabu mehr geben. Oberhaupt war auch heute — im Umkehrschluß zur Sicherheitsdebatte — ein Teil der Schmidtschen Rede überhaupt nicht für das Haus, sondern ein Nachklang und Abklatsch zum FDP-Parteitag. Die Herren reden in Koalitionsgesprächen zwar dauernd miteinander, aber übereinander reden sie hier im Parlament, indem sie in nebulösen Formulierungen etwas sagen, was man nur verstehen kann, wenn man die jeweilige Äußerung der Koalitionspartei am Tage vorher gelesen und begriffen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben am 12. August, vor der Bundestagswahl, gesagt: „Die Kritik, daß die Finanzwirtschaft unseres Landes nicht solide sei, hören wir nun schon seit fast zehn Jahren; mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun." — Das ist noch nicht einmal zwölf Monate her!
    Dann haben Sie sich über das Hirtenwort der Deutschen Katholischen Bischöfe in der Öffentlichkeit so aufgeführt, daß es heute kaum mehr begreifbar ist. Da auch das weniger als zehn Monate her ist, will ich es noch einmal in Erinnerung rufen. Die Bischöfe sagten:
    Seit Jahren stehen wir in der Bundesrepublik Deutschland in der Gefahr, über unsere Verhältnisse zu leben und damit die Lebenschancen unserer Kinder zu belasten. Die Ausweitung der Staatstätigkeit, die damit verbundene Bürokratisierung und die gefährlich hohe Staatsverschuldung müssen jetzt korrigiert werden.
    Ja, meine Damen und Herren, das könnte doch ein Entschließungsantrag des FDP-Parteitags vom vergangenen Wochenende in Köln sein.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Dabei unterstelle ich natürlich, daß Herr Baum einen solchen Antrag nicht unterschrieben hätte. Denn jeder schleppt seine Komplexe mit sich herum; das ist ganz klar.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Nun, meine Damen und Herren, die Antwort des Bundeskanzlers darauf war: „Politik von der Kanzel ist mir ein Greuel!" So schallte es durch die deutschen Lande. Und dann sagte er: „Bei uns gehen die Schulden des Staates über den Horizont derer, die den Bischöfen den Hirtenbrief ausgearbeitet haben."

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    — Da klatschen Sie auch noch. — Jedenfalls haben diese Leute, meine Damen und Herren, mehr Horizont gehabt als diese ganze Regierung.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wieso eigentlich ist das falsch, was deutsche Bischöfe vor acht Monaten, vor der Wahl, gesagt haben, und das richtig, was Freie Demokraten und ein paar aufgeweckte Sozialdemokraten nach der Wahl sagen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Wehner, Sie haben heute gesagt, von den Unionsparteien werde geschwindelt. Ich verstehe das wirklich nicht. Man muß schon so hartgesotten sein, wie Sie sein können, um dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt in den Mund zu nehmen. Ja, wer hat denn geschwindelt, 1976 bei der Rente? Herr Bundeskanzler, Sie haben sich auf Ihr Wahlergebnis bezogen: Ohne den Rentenbetrug von 1976 wären Sie 1976 nie Bundeskanzler geworden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Ihre Stellung in Ihrer eigenen Partei jetzt so erbärmlich ist, hängt j a auch damit zusammen, daß Sie die Wahl 1980 in Wahrheit nicht gewonnen haben. Wenn Sie den Aufwand und den Anspruch betrachten, mit dem Sie in den Wahlkampf gezogen sind, und damit das Ergebnis vergleichen, dann stellen Sie fest, meine Damen und Herren, daß nicht viel übriggeblieben ist.

    (Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren, niemand von Ihnen war vor der Wahl bereit, mit mir eine Wette einzugehen, ob Ihre Ansicht stimmt oder nicht stimmt, daß Sie stärkste Partei werden würden. Und Sie sind es nicht geworden! Sie haben heute die schlechtesten demoskopischen Zahlen seit 1959. Das ist das Ergebnis dieser Politik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Sie, Herr Bundeskanzler, ein sehr — ich will es freundlich ausdrücken — distanziertes Verhältnis zu den Realitäten und der Wahrheit haben, wissen wir. Daß Sie uns und Millionen Zuschauern aber zumuten, hier mit einem Ton von Wärme über die Interessen der kleinen Leute zu reden, ist ein wirkli-



    Dr. Kohl
    cher Skandal. Wer hat denn die kleinen Leute in diesen Jahren schlicht und einfach hereingelegt? Ich denke an die Rentner, die kleinen Sparer, die Behinderten. Im Jahr der Behinderten streichen Sie alles zusammen, was überhaupt denkbar und möglich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Unverschämtheit! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie reden von den jungen Leuten.

    (Zuruf von der SPD: Was Sie da machen, ist doch soziale Demagogie!)

    Sie haben doch den jungen Leuten zehn Jahre hindurch gesagt: Bleibt bei den Sozialdemokraten, und die besten aller Zeiten brechen an. Nun, lassen wir auch hier einmal die Zahlen sprechen. Im Jahre 1981 studierten 1,1 Millionen Studenten auf 750 000 Studienplätzen in Deutschland. Die Überlastquote beträgt 350 000. Im Jahre 1984/85 werden nach den Berechnungen. von Bund und Ländern 1,3 Millionen Studenten auf 850 000 Studienplätzen studieren. Die Überlastquote wird dann 450 000 betragen. Dies ist nicht irgendeine Zahl. Sie ist von den Verantwortlichen aus Bund und Ländern gemeinsam im 10. Rahmenplan für den Hochschulausbau beschlossen worden. Nach den Vereinbarungen des Rahmenplans — diese Studenten sind ja da; man kann sie doch nicht einfach wegleugnen — hat Ihre Regierung mit Ihrer Unterschrift vor der Bundestagswahl zugestimmt, die planmäßige Fortführung aller Investitionsvorhaben, deren Beginn bis zum 31. Dezember 1980 geplant war, mit einem Gesamtbetrag von 2,4 Milliarden DM im Jahre 1981 vorzunehmen. Von diesem Betrag muß der Bund nach den Abmachungen 1,2 Milliarden DM tragen. Das war Ihr Angebot vor der Wahl an junge Leute, an Studenten und an Wissenschaftler. Meine Damen und Herren, Sie sagen: Wir reden nicht vom Haushalt. Ich aber rede jetzt davon. Im Haushalt 1981 sind ganze 680 Millionen DM vorgesehen; das bedeutet eine Kürzung von 40 Prozent.

    (Westphal [SPD]: Haben Sie einen Erhöhungsantrag gestellt?)

    Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, Sie seien bereit, überall zu sparen, so lassen Sie uns darüber reden. Es geht doch aber nicht an, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier herkommen und sagen, Sie vertreten die Interessen der kleinen Leute. Die Interessen der kleinen Leute sind von keiner Regierung in der jüngeren deutschen Geschichte so verraten worden wie von Ihrer Regierung.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Der will sparen!)

    Wie ein roter Faden zieht sich dies durch Ihre ganze Amtszeit: Ankündigungen auf der einen Seite und keine Spur von Erfüllung auf der anderen Seite. Dies sind eben die Ankündigungen der Koalition seit 1969. Wie fing Willy Brandt hier an? Es ist ja phantastisch, dies als Zeitgenosse im Jahre 1981
    nachzulesen: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein."

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wenn Sie im Rahmen eines Preisausschreibens in Deutschland nach einem Synonym für Helmut Schmidt fragten — Solidität wird es mit Sicherheit nicht sein. Das sage ich Ihnen voraus.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch wir in der Union haben den Fehler gemacht, so manches Zitat von Willy Brandt nicht ernst zu nehmen. Er sagte damals in der ihm eigenen saloppen Weise auch dies: „Wir müssen die Kuh für eine ganze Menge von Dingen, die wir uns vorgenommen haben, noch weiter melken." —

    (Dr. Spöri [SPD]: Sie zitieren Glos!)

    Er hat nur nicht den Vorsatz dazu gesagt, den Ihr nationalökonomischer Lehrer, der frühere Bundeswirtschaftsminister, Ihnen einmal zugerufen hat: Man muß die Kuh immer erst füttern und tränken, bevor man sie melken kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, zum Crisis Management gehört dies nicht. Das ist elementare Agrarkunde — oder Zoologie —, die hier angesprochen ist.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor ein paar Monaten haben Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Wir sind handlungsfähig — ... wir sind handlungswillig." Wenn man das rein theologisch faßte, könnte man sagen: Wir nehmen den guten Willen für die Tat. Aber, meine Damen und Herren, weder der gute Wille noch die Tat sind da. Auch die Theologie hilft in diesem Fall überhaupt nicht weiter.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Nur die Begierde!)

    Und dann haben Sie sich selbst Mut zugesprochen und gesagt: „Wir werden unsere Aufgaben mit Mut anpacken." Sie sollen doch nicht über den Mut reden, Herr Bundeskanzler, Sie sollen ihn haben — das ist das, was wir jetzt brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Und dann sagten Sie:

    Wir haben keinen Anlaß zum Pessimismus. Unsere Wirtschaft ist gesund, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit ungebrochen.
    Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß unsere Wirtschaft in der Tat im Kern gesund ist. Wir brauchen nicht ein anderes Wirtschaftssystem, wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik und Regierung. Das ist die Voraussetzung, die Vertrauen schafft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das sage ich gerade dem Kollegen Lambsdorff und
    anderen in der FDP, die die Künder der Marktwirtschaft in der Regierung sind und bei manchen Un-



    Dr. Kohl
    ternehmern, wenn sie fortgehen, jeweils feuchte Augen hinterlassen.

    (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Bei Ihnen bestimmt!)

    Ich kann dazu nur sagen — und das wissen Sie, Graf Lambsdorff, ganz genau; betrachten Sie einmal die Ära Erhard —: Es ist nicht damit getan, daß man es ankündigt; es muß einem geglaubt werden. Und es glaubt Ihnen eben niemand mehr, daß Sie diese Politik wirklich durchsetzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum sagen denn, wenn Sie jetzt die Aufgaben mit Mut anpacken, Herr Bundeskanzler, an einem Tag der Herr Genscher und die FDP, noch vor der Sommerpause würden die Grunddaten für den Etat 1982 gesetzt. Als meine Kollegen damit kamen, habe ich gesagt: Wartet doch erst die nächste „dpa"-Meldung ab, bevor ihr euren Kommentar abgebt. — Wir brauchten sie gar nicht abzuwarten. Sie lief beinahe parallel. Sie haben dann gesagt: Natürlich nach den Ferien.
    Warum das Gezeter, das Feilschen, die Finanzierungstricks, die Rechenkunststückchen, wenn das mit Mut zu machen ist? Sie sollten nicht klagen, Sie sollten handeln. Seit dem Jahr Ihrer Regierungsübernahme, seit 1974, Herr Bundeskanzler — —

    (Dr. Ehmke [SPD]: Herr Kohl, sagen Sie doch mal was zur Sache!)

    — Das ist sehr zur Sache, Herr Ehmke; aber das ist natürlich für einen Sozialisten Ihres Schlages kein Thema.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Seit Ihrer Regierungsübernahme, Herr Bundeskanzler, bewegt sich die Arbeitslosenzahl unverändert über der Millionen-Grenze, und sie steigt noch weiter — und das unter der Verantwortlichkeit von Politikern, die bei jeder Gelegenheit ihre Arbeitnehmerfreundlichkeit erwähnen.
    An Warnungen hat es doch wahrlich nicht gefehlt. Ich rede jetzt gar nicht von den Warnungen von unserer Seite. Die werden Sie aus Prinzip sowieso in den Wind schlagen.

    (Zuruf von der SPD: Die taugen nichts!)

    Ich rede von den Warnungen in Ihrem eigenen Lager. Im Januar 1980 hat der hier sitzende Bundesfinanzminister an seine eigene Fraktion geschrieben:
    Es ist nicht möglich, weitere Dauerbelastungen einzugehen, die durch Kreditaufnahme finanziert werden müssen.
    Glauben Sie allen Ernstes, daß es mit der Wirklichkeit noch etwas zu tun hat, wenn Sie im November hier sagten:
    Die Verbindlichkeiten des Bundes sind das Ergebnis seiner Kreditaufnahme aus Verantwortung für das Funktionieren unserer Wirtschaft, ihre Beschäftigung für die Verbesserung der Lebenschancen der künftigen Generation.
    Ich sprach doch eben von der Hochschule. Das ist doch die konkrete Lebenschance. Der 22jährige braucht jetzt seine Chance — und nicht in zehn Jahren, wenn die Zeit fürs Studium für ihn vorbei ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Aber das hängt halt damit zusammen, daß Sie zwar fortdauernd den Dialog mit jungen Leuten verlangen, aber ihn nicht führen. Ich rate Ihnen, an eine deutsche Universität zu gehen — wo ich ständig hingehe — und zu diskutieren. Sie werden sich sehr wundern. Von den sozialdemokratischen Kollegen sehe ich bei solchen Universitätsdiskussionen auch nur spärliche Reste.
    Die Bundesregierung will für 1981 einen Haushaltsentwurf mit einer Ausgabensteigerung
    — so sagten Sie im November —
    von etwa 4 % vorlegen. Die Nettokreditaufnahme soll mit ungefähr 27 Milliarden DM diejenige des Jahres 1980 nicht überschreiten. Damit halten wir uns
    — immer Helmut Schmidt —
    exakt an die Linie, die vor der Wahl aufgezeigt wurde, die der Finanzplanungsrat im Sommer empfohlen hat.
    Ich brauche nicht zu sagen, was die Wirklichkeit des heutigen Tages ist. Meine Kollegen haben das alles hier schon dargelegt. Diese Politik ist zutiefst unseriös. Sie hat jede Glaubwürdigkeit verloren.
    Und dann kommen Sie immer wieder und stellen sich hier hin und erzählen etwas von den anonymen Kräften der Welt.

    (Zuruf von der SPD: Jetzt kommen Sie endlich mal zur Sache!)

    Dann kommen Sie und sagen: der Ölschock ist das.

    (Zuruf von der SPD: Jetzt kommen Sie endlich mal zur Sache nach einer halben Stunde!)

    Und dann kommen Sie, meine Damen und Herren, und ziehen den Vergleich zu anderen Ländern. Herr Kollege Schmidt, haben Sie etwa Ludwig Erhard seinerzeit die Chance gegeben, sich auf die Inflationsentwicklung in Italien, in Frankreich oder anderswo zu beziehen?

    (Zuruf des Abg. Dr. Jenninger [CDU/ CSU])

    Niemand von uns hat zu irgendeinem Zeitpunkt geleugnet, daß die moderne Volkswirtschaft wie die unsere, eingebettet in weltwirtschaftliche Entwicklungen und Überlegungen, selbstverständlich auch davon abhängig ist. Aber die Leistungsbilanzdefizite und die schlechte wirtschaftliche Entwicklung sind doch auch hausgemacht. Sie wissen doch so gut wie ich, daß allein 20 bis 30 Milliarden D-Mark — wie immer Sie es rechnen wollen — für Investitionen gestoppt sind, weil wir die notwendigen Investitionen, etwa im Bereich der Kernkraft, nicht vornehmen



    Dr. Kohl
    können. Das ist doch die Realität in der Bundesrepublik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Westphal [SPD]: Es ist falsch, was Sie sagen!)

    In diesen Tagen hat Herr Matthöfer im hessischen Rundfunk gesagt: „Wir werden Leuten etwas wegnehmen müssen, wir werden umschichten müssen, wir werden strecken, wir werden Leistungen vermindern." Herr Bundeskanzler, als wir das vor der Wahl 1976 und als wir das vor der Wahl 1980 sagten, haben Sie gesagt: „Das sind die sozialen Demon-teure!" Und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sagten: „Ihr müßt Anträge stellen!" Wissen Sie, wie das dann abläuft mit den Anträgen? Sie gehen sofort aus dem Haus hinaus und werden sofort über mancherlei Maschinen, die Ihnen zur Verfügung stehen, draußen in den Wahlkreisen sagen: „Die Union will die soziale Demontage!" Genau das ist doch Ihre Politik!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Das ist ja furchtbar; da müßt ihr euch einer Diskussion stellen!)

    Dann bringen Sie Ihre nationalökonomischen Beispiele, wie Sie sie verstehen. Vor der Wahl sagten Sie nicht nur auf dem Bonner Marktplatz, sondern auch anderswo, aber ich zitiere jetzt vom Bonner Marktplatz: „Wer ein Haus bauen will, der muß eine Hypothek aufnehmen, einen Kredit aufnehmen. Jemand, der Werte schafft, der ein Haus baut, der investiert für etwas, das er später ein ganzes Leben lang benutzen kann, der leiht sich dazu Geld, der nimmt einen Kredit auf. Das macht jede Firma so, wenn sie investiert. Das macht jeder Privatmann so, das macht auch der Staat so." — Nein, Herr Bundeskanzler, genau das machen Sie eben nicht! Sie nehmen eben nicht Kredite vorwiegend dazu auf, um zu investieren. Die von Jahr zu Jahr astronomisch gestiegenen Schulden sind für konsumtive Zwecke gemacht worden.

    (Zustimmung von der CDU/CSU — Westphal [SPD]: Ist doch nicht richtig!)

    Graf Lambsdorff zieht mit einem — wie ich finde — ganz schiefen Bild durchs Land. Er sagt: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Ich bin nicht gegen den Gedanken, der dem zugrunde liegt, aber gegen das Zitat. Graf Lambsdorff, eine ganze Generation, die noch lebt — wir gehören j a gerade noch dazu —, versteht unter „Gürtel enger schnallen" etwas ganz anderes. Das geht ja praktisch in das Hungern hinein. Die Deutschen müssen nicht hungern! Was wir wieder müssen, ist, mit einer normalen Perspektive an die volkswirtschaftlichen Gegebenheiten herangehen — und nicht dauernd den Leuten etwas versprechen.
    Wenn ich vom Bundeskanzler das Wort vom Anspruchsdenken höre, dann frage ich mich: Wer hat denn in den letzten Jahren das Anspruchsdenken gefördert? Ich nenne einmal ein Beispiel, das für Sie scheinbar unpopulär ist.

    (Zuruf von der SPD: Wörner!)

    Es war doch das Wahlprogramm der SPD — Sie haben sich ja heute dazu bekannt und Sie haben damals auf Ihrem Parteitag mit abgestimmt —, in dem Sie angesichts dieser gesamtwirtschaftlichen Lage, der erkennbaren Entwicklung der Leistungsbilanz, der enormen Erschwernisse bei den Exporterträgen und Exportmöglichkeiten den deutschen Wählern gesagt haben: Für den Fall, daß ihr uns wählt, werden wir die Lebensarbeitszeit verkürzen, die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden verkürzen und einen längeren Jahresurlaub einführen.

    (Cronenberg [FDP]: Unsinn! — Zuruf von der SPD: Das hat mit Anspruchsdenken nichts zu tun! — Zuruf des Bundesministers Dr. Graf Lambsdorff)

    — Nein, nicht Sie! Ich spreche jetzt vom SPD-Wahlprogramm. Ich traue Ihnen eine Menge zu; aber das traue ich Ihnen nicht zu, Graf Lambsdorff!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihre Überzeugungskraft wäre natürlich größer, wenn Sie nicht mit Leuten im Kabinett säßen, die solches in Ihrem Wahlprogramm den Wählern vortragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wie ist es denn damit, daß heute weniger investiert wird? Sie haben das Beispiel des Wohnungsbaus gebracht. Der private Wohnungsbau ist doch weitgehend zum Erliegen gekommen — auch der private Mietwohnungsbau —, und viele Leute, die zum Investieren in der Lage gewesen wären — und die das früher selbstverständlich auch getan haben —, bringen ihr Kapital ins Ausland und investieren in anderen Bereichen. All das ist doch ein Teil Ihrer Politik, meine Damen und Herren, weil Sie in diesen Jahren eine eigentumsfeindliche Politik betrieben haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, ist doch eine der Ursachen jener Verunsicherung, die auf der Wirtschaft lastet. Durch den enormen Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand hat sich doch die Lage auf dem Kapitalmarkt erheblich verschlechtert, und bei den Anlegern — noch in diesen Tagen haben wir ein Beispiel dafür gehabt — schwindet immer offenkundiger das Vertrauen in den Bund als Schuldner. Meine Damen und Herren, Ihre Fähigkeit, den Haushalt zu sanieren, ist eben mehr als fragwürdig geworden. Mit dem Rücken zur Wand ist die Bundesrepublik Deutschland in die Lage geraten, daß sie sich mit 600 Millionen DM pro Arbeitstag neu finanzieren muß, und dies, obwohl Sie, meine Damen und Herren, uns in diesen Jahren dauernd gesagt haben: In Zukunft wird die Kreditaufnahme dramatisch verringert. Jetzt aber sagt der Bundesfinanzminister — Sie, Herr Bundeskanzler, haben es hier etwas freundlicher gesagt —: Alles Bisherige war ein Kinderspiel — gemessen an dem, was uns für den kommenden Herbst ins Haus steht.
    Wenn wir hierauf verweisen, wenn wir sagen, daß diese Politik die Zukunft unseres Landes und vor allem als Hypothek die Zukunft unserer eigenen Kinder belastet, ist das einfach wahr. Die Rücklagen der Sozialversicherungsträger sind verbraucht. Die



    Dr. Kohl
    Grenze der Belastbarkeit — vor allem der Arbeitnehmer — ist erreicht.

    (Zuruf von der SPD: Das Wetter wird schlechter!)

    — Wissen Sie, daß Sie als Sozialdemokrat in diesem Zusammenhang diesen Zwischenruf machen, zeigt, wie weit Sie von der Wirklichkeit der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland entfernt sind!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie in Ihren pseudoelitären sozialistischen Zirkeln zusammensitzen und über das Wohl der Arbeitnehmer reden, reden Sie über eine Sache, von der Sie wirklich keine blasse Ahnung haben!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Das mag Wirkung bei den Jusos und bei ein paar alt gewordenen Jusos in Ihren Reihen, die die kurzen Hosen nicht ausbekommen haben, zeigen, aber mit der Wirklichkeit der Leute im Betrieb hat das nichts zu tun.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben uns hier ja dargelegt, daß Sie dauernd in den Betrieben sind — und daß Sie dort sogar die Listen der Löhne und der anderen Bezüge einsehen. Ich frage mich: Wenn Sie das tun — Sie sind doch ein intelligenter Mann, und Sie haben doch, was Sie sich selbst bestätigt haben, Mut —, warum ändern Sie dann Ihre Politik nicht? Das müßte doch das Ergebnis solcher Besuche sein!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Ihrer eigenen Partei, in der SPD, wird von einem breiten — ich zitiere — „Demoralisierungsprozeß der Mitglieder" gesprochen. Das betrifft die Arbeitnehmermitglieder, Herr Kollege,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    die ich meine, „für die Ihre Regierungspolitik keine Identifikationsmöglichkeiten mehr bietet".
    Ich zitiere weiter: Ihre Politik sei zum „inhaltslosen Selbstzweck der Machterhaltung verkommen". — Herr Bundeskanzler, Sie haben einmal gesagt: „Alle Versuche, zwischen meine Partei und mich einen Keil zu treiben, sind zwecklos. Sie entspringen naivem Wunschdenken. Ich stehe mitten in meiner Partei."

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, vielleicht noch auf einem Sockel,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    aber in der Wirklichkeit Ihrer Partei stehen Sie nicht mehr.
    Wer Sie bei den Auftritten in Bayern und anderswo erlebt hat, kann sich nur fragen: Ist das wirlich noch ein funktionsfähiger deutscher Bundeskanzler? Ich habe schon einmal gesagt, die Geschichte droht wieder zurückzukehren. Hermann Müller und Helmut Schmidt —: Das wird im Ablauf des politischen Geschehens ähnlich.
    Meine Damen und Herren, was Ihre Partei betrifft, so mögen Sie j a tun, was Sie wollen. Nur eines, Herr Bundeskanzler, unterlassen Sie bitte in Zukunft: uns zu unterstellen, es gebe Leute in der Union, die auf kaltem Wege an die Macht wollten. Sie haben bei der letzten Wahl ein klares Mandat erhalten, und Sie sollen dieses Mandat nutzen; das liegt im Sinne der parlamentarischen Demokratie. Aber Sie sind j a gar nicht mehr in der Lage, dieses Mandat zu nützen; denn Sie leben j a hier bereits von Mehrheiten, in denen diejenigen, die ihre Erklärungen zur Abstimmung abgeben, sagen: eigentlich wollen sie diese Politik überhaupt nicht, aber es geht ihnen darum, daß die Sozialisten in der Bundesrepublik an der Macht bleiben. Das ist doch das Credo, von dem Sie ausgehen.

    (Zurufe von der SPD: Überall Sozialisten! Wir sind umstellt, Lambsdorff!)

    — Sie brauchen hier jetzt nicht einen Zwischenruf über den „Sozialisten Lambsdorff" zu machen. Es ist Herrn Lambsdorffs Sache, ob er mit Sozialisten zusammen ist, nicht Ihre, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wer in diesen Tagen die Diskussion in Ihrer Heimatstadt Hamburg anläßlich des Rücktritts von Herrn Klose miterlebt hat, wer die Diskussion in Hessen erlebt hat, wo ein Mann wie Ministerpräsident Börner, der sich bemüht, im Interesse des Ganzen die richtigen Entscheidungen zu treffen, jetzt mit dem Rücken an der Wand steht und einen Sonderparteitag einberufen muß, um überhaupt über die Runden zu kommen, und wer erlebt hat, daß die zwei wichtigsten Träger dieser Koalition, der Bundeskanzler und stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, und der Bundesvorsitzende der FDP, Hans-Dietrich Genscher — letzterer hat es viel klüger formuliert —, auf ihren Parteitagen mit ihrem Rücktritt drohen müssen, um überhaupt ihre Parteien zur Räson zu bringen — der weiß doch, daß Sie überhaupt nicht mehr mitten in Ihrer Partei stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Glaubwürdige Politik, Herr Bundeskanzler, die von unseren Mitbürgern Opfer verlangt, muß wahrhaftig sein, muß sagen, wohin die Reise geht, sie muß Beispiele geben und Signale setzen. Man darf nicht nur davon reden. Aber es ist eben das Erkennungszeichen, die Marke Ihrer Politik, daß der Blick auf die Zukunftsperspektive zunehmend verstellt ist, daß er sich auf die rein materiellen Fragen der Gegenwart verkürzt hat. Heute, in einem Augenblick, in dem viele unserer jungen Mitbürger, abgestoßen vom bloßen Materialismus des Wohlstands- und Konsumdenkens, nach immateriellen Werten fragen, nach der Lebensqualität — ausgerechnet in diesem Augenblick erzwingt Ihre Politik die Konzentration aller Kräfte auf die Frage der materiellen Existenzsicherung.
    Ein Blatt wie die „Zeit", gewiß nicht unser Hausorgan, schrieb:
    Die Regierungspolitik muß dem Kanzler heute
    abgerungen werden, und die Anstrengungen,
    die dafür notwendig sind, werden immer größer



    Dr. Kohl
    und sichtbarer. Es gibt keine überzeugende sozialdemokratische Einigungsformel mehr, es sei denn Machtbesitz.
    Die Mitbürger in Deutschland haben Einkommenseinbußen ebenso hinzunehmen wie Arbeitslosigkeit und Inflation. Sie fragen nach den Abbauproblemen des Sozialstaates. Sie fragen: Inwieweit betrifft das mich? Und ich finde, viele fragen zu Recht auch: Ist es jetzt nicht Zeit, daß wir offen darüber sprechen und diskutieren und die Regierung das Notwendige sagt — ob es um das Kindergeld, um BAföG oder um vieles andere geht? Es ist nicht so, wie viele Ihnen vielleicht einreden wollen, Herr Bundeskanzler, daß unsere Mitbürger in Deutschland — und ich schließe uns hier voll ein, als Partei und als Fraktion — nicht bereit wären, notwendige Opfer gemeinsam zu tragen, wenn diese Opfer überzeugend begründet und einigermaßen gerecht verteilt werden.
    Aber bevor wir überhaupt zur Sache kommen, haben Sie heute schon wieder den Klassenkampf in die Diskussion hineingebracht. Sie haben gesagt: Die kleinen Landwirte sollten sich fragen, ob sie vor den Karren der Großen gespannt sind.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Das ist es ja! Da sind Sie bei dem Erfurter Programm, bei den ostelbischen Junkern stehengeblieben, die es doch in Deutschland gar nicht mehr gibt. Das ist doch absurd!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der SPD: Sie haben keine Ahnung von der Realität!)

    Herr Bundeskanzler, wenn Sie von den „Großen" reden, muß ich Sie doch einmal fragen: Wen meinen Sie denn damit? Sagen Sie das doch bitte! Sind das Ihre Gäste zum abendlichen Tee im Kanzleramt, die Sie da meinen? Sind das bestimmte deutsche Großbanken?

    (Zuruf von der SPD: Das ist nicht der Wirtschaftsrat!)

    — Wenn Sie sich einmal die Berufsstruktur im Wirtschaftsrat ansehen, werden Sie feststellen: Von denen sind die wenigsten so groß, daß sie beim Herrn Bundeskanzler Gnade beim Tee finden.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das war gut, aber falsch!)

    Herr Kollege, um der Zukunft des Landes willen wünsche ich der Sozialdemokratischen Partei herzlichst, daß sie auch bald einen Wirtschaftsrat hat, damit etwas wirtschaftlicher Sachverstand von der Praxis in Ihre Partei hineinkommt.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Jungen reden, dann bedenken Sie: Die Haltung des „Ohnemich"-Standpunkts, die Mentalität des „Aussteigers", die unsozialste Gesinnung, die überhaupt denkbar ist, die Resignation, die Absatzbewegung zu den Alternativen, die Attitüden der Trotzigen und Enttäuschten in unserem Staat: das sind auch negative Folgen der Politik Ihrer Regierung und der Regierung Ihres Vorgängers — angesichts der großen Erwartungen, die Sie 1969 geweckt haben, und angesichts der Tatbestände, die wir heute haben. Es ist sozusagen eine Politik der geistigen Negativführung, die kontraproduktiv wirkt, weil sie die Mißstände außer Betracht läßt, die sich ergeben haben, und sich noch einstellen werden, wenn das weiter anhält, was Sie Politik nennen.
    Für die fundamental notwendige Kurskorrektur, um unser Land in Gang zu bringen, brauchen wir eine handlungsfähige Regierung. Sie, Herr Bundeskanzler, haben am 17. Mai 1974 erklärt: „Die sozialliberale Koalition ist seit 1969 Motor des Fortschritts in der Bundesrepublik". Spätestens heute dürfte jedem klar sein, daß weder mit Ihnen noch mit den Sozialdemokraten noch mit dem Koalitionspartner FDP Fortschritt im Sinne sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande möglich ist.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)