Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich zu unserer Plenarsitzung. Vor Eintritt in unsereTagesordnung müssen wir noch eine Schriftführerwahldurchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für dieKollegin Martina Renner die Kollegin Kathrin Voglerals Schriftführerin zu wählen. – Dazu stelle ich Einver-nehmen fest. Damit ist die Kollegin Vogler als neueSchriftführerin gewählt.Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte I a und I b auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absi-cherung stabiler und fairer Leistungen für
Drucksache 18/1772Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SusannaKarawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. AxelTroost, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKELebensversicherungen auf den Prüfstand stel-len – Kein Schnellverfahren zu Lasten derVersichertenDrucksache 18/1815Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Also können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Lebensversicherung ist eine der wichtigstenSpar- und Altersvorsorgeformen in Deutschland. Ende2012 gab es 88 Millionen Lebensversicherungsverträge,oft mit Laufzeiten von 20 und mehr Jahren. Wir wollenund müssen dieses verbreitete und bewährte Instrumentbewahren. Die Versicherungsnehmer müssen sich daraufverlassen können, dass sie die in ihren Verträgen zuge-sagten Leistungen auch in Zukunft erhalten. Dafürmüssen wir die Vorschriften zur Beteiligung an den Be-wertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapierenanpassen.Solche Bewertungsreserven entstehen dadurch, dassder Marktwert von festverzinslichen Anleihen bei sin-kenden Zinsen über dem ursprünglichen Kaufpreis liegt.Dabei ist es natürlich so, dass sich der Marktwert beifestverzinslichen Wertpapieren am Ende der Laufzeitimmer zum Nominalbetrag hin entwickelt, sodass dieBewertungsreserven nur vorübergehend vorhanden sind.Diese Bewertungsreserven sind aufgrund der derzeitniedrigen Zinsen besonders hoch. Sie waren 2012 – dassind die letzten verfügbaren Zahlen – so hoch wie nie-mals zuvor. Deshalb müssen sie in einer fairen Weisezwischen den Versicherten aufgeteilt werden.Die derzeitige Regelung ist nicht optimal. Durch dieBeteiligung an den Bewertungsreserven wird Versiche-rungskunden, deren Verträge heute enden, ein Teil derZinszahlungen mitgegeben, die das Versicherungsunter-nehmen erst in Zukunft aus den festverzinslichen Anla-gen vereinnahmt. Diese Zinszahlungen stehen also ei-gentlich den Versicherten zu, deren Verträge nicht heute,sondern erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten enden.Sie stehen ihnen dann aber nicht mehr zur Verfügung,wenn sie bereits ausgeschüttet wurden.Diese Beteiligungsregelungen gelten seit 2008, undsie begünstigen rund 7 Millionen Versicherte, deren Ver-träge in Kürze auslaufen. Aber die mehr als 80 MillionenVersicherten, deren Verträge noch eine längere Laufzeithaben, werden dadurch benachteiligt; langfristig würdedie Erfüllung der Versicherungsansprüche aller anderen
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Versicherten dadurch gefährdet. Im Übrigen hat dasBundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2005klargestellt, dass der Gesetzgeber die Ausschüttung derBewertungsreserven nicht ausschließlich am Interesseder heute ausscheidenden Versicherten ausrichten darf;das sei mit dem Gedanken der Risikogemeinschaft nichtvereinbar.So wollen wir also mit unserem Maßnahmenpaketdiese Benachteiligung beenden und dafür sorgen, dassdie Versicherten sich langfristig auf stabile Auszahlun-gen aus ihren Verträgen verlassen können. An ersterStelle stehen dabei die garantierten Leistungen. Bewer-tungsreserven, die für die Sicherung des Garantiezinsesfür alle Versicherten benötigt werden, müssen in der Ver-sichertengemeinschaft verbleiben. Um es klar zu sagen:Von dieser Neuregelung sind nur die Bewertungsreser-ven aus festverzinslichen Wertpapieren betroffen. DieRegelungen zur Beteiligung ausscheidender Versicherteran Bewertungsreserven etwa aus Aktien oder Immobi-lien werden nicht verändert, weil Bewertungsreservenbei diesen Anlageformen, anders als bei den festverzins-lichen Anlagen, nicht notwendigerweise nur einen vo-rübergehenden Charakter haben. Da ändert sich nichts.Übrigens ändert sich auch bei den garantierten Leistun-gen nichts: Die zugesagte Mindestverzinsung wird beijedem Vertrag gesichert. Der Zweck ist gerade, die Ver-sicherungsgesellschaften in die Lage zu versetzen, dieseGarantien einzuhalten.Unser Maßnahmenpaket ist ausgewogen und gerecht.Im Mittelpunkt stehen die Ansprüche der Versicherten-gemeinschaften. Wir achten darauf, dass auch die Versi-cherungsunternehmen, die Anteilseigner und der Ver-trieb einen fairen Beitrag leisten. Die Unternehmenmüssen künftig ihre Kunden mit 90 Prozent statt bishernur mit 75 Prozent an den Risikoüberschüssen beteili-gen. Risikoüberschüsse sind solche, die die Versicherun-gen dadurch haben, dass sie mit den Sterbetafeln, mit derLebenserwartung vorsichtig kalkulieren und man in derRegel, weil man vorsichtig kalkuliert, gewisse Reservenhat. Sie müssen in Zukunft in einem größeren Maße denVersicherten zugutekommen. Wir greifen damit eine seitlangem von Verbraucherschützern erhobene Forderungauf.Außerdem müssen die Lebensversicherungen ihr Ri-sikomanagement weiterentwickeln, damit in dem schwieri-ger werdenden Marktumfeld etwaige Risiken früher er-kannt und auch abgestellt werden können. Wir stärkenentsprechend die Handlungsmöglichkeiten der Aufsicht.Sie soll problematischen Entwicklungen früher und ef-fektiver begegnen können, etwa indem sie mehrjährigePrognoserechnungen und Sanierungspläne von den Ver-sicherern verlangen kann. Wir werden so die große Sta-bilität der Lebensversicherungen auch in Zukunft erhal-ten.Auch die Eigentümer, also die Aktionäre, müssen zurLeistungssicherung beitragen. Soweit Bewertungsreser-ven zur Sicherung des Garantiezinses nicht ausgeschüt-tet werden können, müssen eben auch die Dividendenentsprechend gekürzt werden. Das ist eine faire Lasten-verteilung zwischen Eigentümern und Kunden.Wir verlangen vom Versicherungsvertrieb eine höhereKostentransparenz, und wir setzen Anreize zur Senkungder Abschlusskosten, indem wir die Möglichkeiten derVersicherungsunternehmen, die Abschlusskosten ausdem Neugeschäft in ihren Bilanzen auf Folgejahre vor-zutragen, begrenzen.Schließlich müssen wir entsprechend der Empfehlungder Deutschen Aktuarvereinigung – das ist eine Vereini-gung, die immer empfiehlt, wie hoch der Garantiezinssein sollte – den gesetzlichen Garantiezins für neu abzu-schließende Verträge absenken, von 1,75 Prozent auf1,25 Prozent. Diese Regelung gilt aber ausschließlich fürVerträge, die ab 2015 neu abgeschlossen werden. DieseAbsenkung des gesetzlichen Garantiezinses ist notwen-dig, weil der bisherige Garantiezins inzwischen die Ver-zinsung sicherer Anlageformen übersteigt. ZehnjährigeBundesanleihen weisen derzeit eine Verzinsung von nurrund 1,4 Prozent aus. Deswegen kann eine höhere Ga-rantieverzinsung ab 2015 gesetzlich nicht vorgeschrie-ben werden.Mit diesem Maßnahmenpaket schaffen wir eine füralle Beteiligten tragfähige Lösung, die für mehr Gerech-tigkeit zwischen den heute ausscheidenden und den ver-bleibenden Versicherten sorgt. Mittelabflüsse, sei esdurch übermäßige Dividendenzahlungen oder zu hoheKosten im Unternehmen oder eine unverhältnismäßigeBeteiligung der heute ausscheidenden Versicherten anden Bewertungsreserven, werden gleichmäßig begrenzt.Mit diesem Gesetzentwurf geben wir der Sicherungvon Garantieleistungen für alle Versicherten den Vorrangvor hohen Renditen für die heute ausscheidenden Versi-cherten oder vor den Dividenden für Aktionäre. Wirwollen damit die Attraktivität der Lebensversicherungals ein zentrales Instrument zur Altersvorsorge der Men-schen in unserem Land langfristig und nachhaltig wah-ren. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesemGesetzentwurf.
Die Kollegin Susanna Karawanskij hat nun das Wort
für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Versicherungslobbyhat es geschafft: Durch Druck auf die Bundesregierungschaffte sie es, ihre Interessen durchzusetzen. Im Schat-ten der Weltmeisterschaft, während die Bürgerinnen undBürger an den Fernsehapparaten sitzen,
soll das Lebensversicherungsreformgesetz hier im Bun-destag im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden.
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Susanna Karawanskij
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Hier geht es nicht um eine Bagatelle. Hier geht es umrund 88 Millionen Lebensversicherungen, die mit demVersprechen, dass man damit einen Teil seiner Alters-vorsorge bestreiten würde, an die Menschen gebrachtwurden. Das wurde nicht nur jahrelang angepriesen, son-dern vor allen Dingen auch noch steuerlich gefördert.Die Versicherungsbranche jammert, und das abgege-bene Versprechen soll nun gebrochen werden. Das isteine Zumutung für die 62 Millionen Versicherungsneh-mer, die es betreffen kann, und diese Zumutung ist nichthinnehmbar.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, das deutlichmacht, welche Ungerechtigkeit durch diesen Gesetzent-wurf droht. Ein freiberuflicher Versicherungsnehmer hatvor etwa 30 Jahren zur Altersvorsorge Kapitallebensver-sicherungen bei einem Versicherungsunternehmen abge-schlossen, die dieses und kommendes Jahr fällig wer-den. Er hat fleißig eingezahlt. Noch vor sechs Jahrenwurde dem Versicherten eine Modellrechnung vorge-legt, in der eine Gesamtversicherungsleistung von rund203 000 Euro ausgewiesen wurde. Infolge der Finanz-krise ist der Betrag bereits geschmolzen. Nun soll – wieim Gesetzentwurf vorgeschlagen – auch noch die Betei-ligung an den Bewertungsreserven reduziert werden, so-dass der Versicherte mit einer Einbuße von 20 000 Eurorechnen muss. Das ist wahrlich kein Pappenstiel; schließ-lich geht es um die Altersvorsorge.Man muss es so knallhart sagen: Mit diesem Gesetzsollen den Versicherungsnehmern ihre Anteile vorent-halten werden.
Die den Kunden zustehenden Überschüsse werden nichtausbezahlt, sondern von den Versicherungen für die Auf-stockung ihres Eigenkapitals einbehalten und dort ge-parkt.
Zusätzlich – das ist der eigentliche Skandal – sollen dieBeteiligungen an den Bewertungsreserven drastisch zu-sammengestrichen werden. So werden den Kunden dieihnen zugesicherten Anteile vorenthalten;
denn bereits jetzt gilt die Regelung, dass nur die Hälfteder Bewertungsreserven an die ausscheidenden Versi-cherungsnehmer ausgezahlt wird, die andere Hälftebleibt bei den Versicherern. Um es deutlich zu sagen:Hier soll mithilfe von Rechentricks umgeschichtet wer-den, damit die Branche immer weniger von den erwirt-schafteten Gewinnen an ihre Kunden auszahlen muss.
Wirklich schlimm an der Sache ist, dass der vorlie-gende Gesetzentwurf durchgebracht werden soll, ob-wohl ihm keine ordentliche Datenbasis zugrunde liegt.Es fehlt das entsprechende Zahlenmaterial. Die Antwortder Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Si-tuation der Lebensversicherer war wirklich dürftig. Aufdie Frage, wie sich die Erträge und Gewinne der zehngrößten Versicherungsunternehmen in den letzten zehnJahren gestaltet haben, gab es keine Antwort. Es gibtauch in Bezug auf Einzelunternehmen keine Zahlendazu, wie hoch die ausgeschütteten Bewertungsreservenin der Vergangenheit waren bzw. wie sich deren Situa-tion entwickelt hat. Auch bei der Antwort auf eine Fragezu den Bilanzanalysen der Versicherungsunternehmen inDeutschland musste die Bundesregierung passen, weilkeine konkreten Studien vorliegen. Alles in allem ist dasein skandalöses Spiel, das vor allen Dingen auf dem Rü-cken der Versicherten stattfinden soll.Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitten Sie: Neh-men Sie sich gebührend Zeit für dieses wichtige Gesetz,das so viele Verbraucherinnen und Verbraucher betrifft.Peitschen Sie den Gesetzentwurf nicht vor der Sommer-pause durch. Das Mindeste ist, dass Sie dieses Gesetzauf eine solide Datenbasis stellen und nicht im Nebel he-rumstochern, ohne belastbare Zahlen zu den Einzel-aspekten der Reformvorschläge vorzulegen. Stellen Siesicher, dass die Versicherten Zeit haben, sich beraten zulassen und die gesetzlichen Auswirkungen auf ihre Ver-träge zu überprüfen. Es muss Vertrauensschutz gelten.Hier darf es keine weiteren Verunsicherungen der Versi-cherten geben. Vor allen Dingen dürfen die Versiche-rungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer nicht wei-ter geschröpft werden, nur weil die Lobby wirkungsvollDruck ausübt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Carsten Schneider für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Karawanskij, ich bin mir nicht sicher,ob Sie den Gesetzentwurf tatsächlich gelesen haben.
Zumindest die Stellungnahmen der Lobby, deren Interes-sen wir hier angeblich vertreten, haben Sie offensichtlichnicht gelesen; denn die sind alles andere als glücklichüber diesen Gesetzentwurf. Im Gegenteil: In den Stel-lungnahmen, die ich in letzter Zeit bekommen habe,steht, dass wir das auf keinen Fall so verabschieden sol-len.
Was ist das Ziel dieses Gesetzes? Ziel ist, die Lebens-versicherung, die für viele Menschen einen wichtigenTeil ihrer privaten Altersvorsorge ausmacht, dauerhaftzu sichern und dafür zu sorgen, dass der versprochene
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Carsten Schneider
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Garantiezins auch in den nächsten 10, 15 und 20 Jahrenausgezahlt und gesichert wird.Die Lebensversicherung war in den vergangenen Jah-ren ein sehr intransparentes Produkt. Es gibt – HerrMinister Schäuble hat darauf hingewiesen – über90 Millionen Verträge. In diesem Jahr werden knapp7 Millionen Verträge fällig. Aufgrund der derzeitigenNiedrigzinsphase und der Tatsache, dass ein Großteil derLebensversicherungen in Staatsanleihen investiert hat,die derzeit noch hohe Kurswerte haben, weil sie einenZinscoupon von 3, 4 oder 5 Prozent bieten, entstehenBuchgewinne. Diese Buchgewinne werden nicht zu-gunsten der Versicherungsunternehmen ausgeschüttet;im Gegenteil: Sie werden innerhalb der Versichertenge-meinschaft, bei den Versicherten, belassen.
Innerhalb der Versichertengemeinschaft – zwischen denVersicherten, deren Vertrag in diesem Jahr fällig wird,und denen, deren Vertrag in 20 Jahren fällig wird – fin-det ein Interessenausgleich statt, den wir fairer und ge-rechter machen wollen.Ich finde es ja interessant, dass Sie von der Linkenjetzt die Interessen des Kapitals hier vertreten. Ich findedas bemerkenswert.
Nehmen wir als Beispiel für die Buchgewinne einedeutsche Staatsanleihe, die derzeit bei 110 Prozent ren-tiert. Diese Staatsanleihe würde jetzt zu 110 Prozent aus-gezahlt, realisiert wird sie aber am Ende – der Ministerhat darauf hingewiesen – nur mit 100 Prozent. Das heißt,heute wird ein Betrag ausgezahlt, der in fünf oder zehnJahren gar nicht fällig würde. Wenn die Versicherten alsoin fünf oder zehn Jahren ihren Ertrag ausgezahlt bekom-men wollen, dann kann der Ertrag nicht mehr erbrachtwerden. Das ist eine Bevorteilung derjenigen, deren Ver-sicherungsverträge jetzt fällig werden. Sie geht zulastender 85 Millionen Versicherungsnehmer, deren Versiche-rungsverträge später fällig werden. Deshalb regeln wirheute einen fairen Ausgleich. Dabei haben Sie unsereUnterstützung, Herr Minister.
Das ist aber nicht der einzige Punkt. Es gab schon ein-mal einen Anlauf für diese gesetzliche Regelung. Vondaher können Sie nicht sagen, dass der Gesetzentwurf imSchweinsgalopp durchgepeitscht wird. Die letzte Bun-desregierung hat ebenfalls einen Gesetzentwurf vorge-legt. Wenn Sie beide Gesetzentwürfe vergleichen, stellenSie deutliche Unterschiede fest. Dabei geht es nicht nurum die Bewertungsreserven, sondern auch um die Frage,wie in das Geschäftsmodell der Lebensversicherungs-unternehmen eingegriffen wird, wie Aktionäre, also dieEigentümer der Versicherungsunternehmen, an der lang-fristigen Stabilisierung beteiligt werden. Ich weiß nicht,ob die CDU/CSU früher von der FDP geknebelt wurdeund jetzt befreit ist, weil die SPD dabei ist;
auf jeden Fall ist der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt,deutlich besser.Wir machen das Produkt Lebensversicherung transpa-renter. Wir gehen auch auf die vielen Anregungen derVerbraucherschutzverbände ein, die uns im Übrigen un-terstützen.
Die Provisionen werden transparenter ausgewiesen. Diekalkulatorischen Abschlusskosten für Versicherungsneh-mer werden gekürzt: von 4 Prozent auf 2,5 Prozent. Dasheißt, dass die Verwaltungskosten geringer werden, waswiederum bedeutet, dass das Produkt für den Kundenletztendlich besser wird. Es wird dadurch transparenter.Man kauft dann keine Blackbox, sondern weiß, was dietatsächlichen Kosten sind und wie hoch der tatsächlicheErtrag ist.Der zweite Punkt betrifft das, was die Versicherungs-unternehmen jetzt kritisieren, nämlich die Ausschüt-tungssperre. Was bedeutet das? Wenn ein Unternehmenin den nächsten Jahren von der Kürzung der Bewer-tungsreserven Gebrauch macht, gilt gleichzeitig – darauflege ich großen Wert – eine Ausschüttungssperre. Es gibtkeine Dividende bzw. Ausschüttung an den Eigentümer,sondern der Sicherungsbedarf muss zur Stärkung desGarantiezinses in den Unternehmen verbleiben.
Das ist auch ein Vorgriff auf zukünftige Regelungenzu den Lebensversicherungen durch Solvency II. Wirmachen die Unternehmen im Sinne und im Interesse derVersicherten stabiler. Wer glaubt, dass es da keine Pro-bleme gibt, den verweise ich auf den Bundesbankberichtzur Stabilität der Lebensversicherungen. Dieser Berichtkommt zu dem Ergebnis, dass, wenn nichts passiert, inden nächsten Jahren ein Drittel der Unternehmen inSchwierigkeiten kommen wird. Ich möchte nicht, dasswir, nachdem wir schon Banken gerettet haben, alsNächstes auch noch die Lebensversicherungen rettenund private Kapitalanlagen mit Steuergeld subventionie-ren müssen.
In der Haushaltsdebatte, die anschließend auf der Tages-ordnung steht, wird deutlich werden, dass wir das Geldfür andere Dinge brauchen.Von daher ist es nur klug und richtig, dass der Vor-schlag – ich freue mich darüber, dass er gemacht wurde –aufgegriffen wurde, eine Ausschüttungssperre einzufüh-ren, damit nicht Ertrag aus dem Unternehmen hinaus andie Aktionäre fließt, sondern im Unternehmen bleibt.Das führt zu größerer Stabilität. Darauf legen wir als So-zialdemokraten großen Wert.Der dritte Punkt betrifft die Risikoüberschüsse. Auchdie diesbezügliche Regelung geht künftig zulasten desUnternehmensgewinns. Wenn die Unternehmen die Ster-betafel zu negativ kalkuliert haben – das war in den
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letzten Jahren wohl öfter der Fall –, dann gingen dieseÜberschüsse zu 75 Prozent an die Versicherten und zu25 Prozent an die Aktionäre. Das ändern wir. Die Ge-winne werden nur noch zu 10 Prozent an die Aktionäregehen und zu 90 Prozent bei der Versichertengemein-schaft bleiben. Auch das ist ein klarer Schritt hin zumehr Gerechtigkeit innerhalb der Versicherungsunter-nehmen.
Ich denke aber auch, dass wir in Bezug auf die Formder Kapitalanlagen – das soll in einer Verordnung gere-gelt werden – den Versicherungen mehr Möglichkeitengeben sollten, auch in langfristige Infrastrukturprojektezu investieren. Da haben wir in Deutschland recht gro-ßen Bedarf. Mit der derzeitigen Verzinsung von 1,4 Pro-zent für eine zehnjährige Bundesanleihe können Lebens-versicherungen jedenfalls dauerhaft keinen wirklichnennenswerten Beitrag zur Altersvorsorge leisten. Vondaher brauchen sie ein bisschen mehr Freiheit, um auchin Infrastrukturmaßnahmen zu investieren.Ich würde mich freuen, wenn das Bundesfinanzminis-terium den Vorschlag aufgreifen würde, die BaFin bzw.die Versicherungsaufsicht dadurch zu stärken, dass sie– so ähnlich, wie wir das im Bankenbereich haben – Ein-griffsrechte gegenüber den Versicherungsunternehmenerhält. Sie sollte auch die Kontrolle über das Geschäfts-modell haben. Damit soll die langfristige Stabilität derUnternehmen gestärkt werden. Die BaFin wird so einschärferes Schwert in der Hand haben, um die Versicher-ten zu schützen.Deshalb, Herr Minister, haben Sie für den Entwurfunsere Unterstützung. Die Richtung stimmt. Es wirdnoch die Anhörung im Finanzausschuss des Bundestagesgeben. Dann werden wir zügig entscheiden. Ich glaube,dieser Fortschritt für die Finanzstabilität ist absolut imInteresse derjenigen, die in den letzten Jahren Lebens-versicherungsverträge unterschrieben haben und sich da-rauf verlassen wollen, den Garantiezins zu erhalten; siekönnen sich darauf verlassen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun derKollege Gerhard Schick das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alsvor einigen Jahren die Banken gerettet wurden, wurdedas mit Steuergeld gemacht. Wenn es jetzt darum geht,die Lebensversicherungen in Deutschland zu stabilisie-ren, wird das mit dem Geld einiger Kunden gemacht. Ichfinde, das muss man klar aussprechen.
– Doch!
– Das stimmt! Wenn Sie das nicht erkennen, haben Sieleider Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht verstanden,Herr Zöllmer.
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwi-schen dem, was der Bundesfinanzminister vor einein-halb Jahren vorgelegt hat, und dem, was er uns heutevorlegt. Vor eineinhalb Jahren war eine einseitige Ver-schiebung von Kundengeldern geplant. Heute wird dasgemacht, was bei einer so wichtigen Rettungsaktion imFinanzbereich natürlich der Anspruch sein muss: Zumin-dest ein paar der Fehler, die in diese Situation geführt ha-ben, werden korrigiert. Wir haben vor eineinhalb Jahrendie Einführung einer Ausschüttungssperre vorgeschla-gen, sodass auch die Eigentümer beteiligt werden. Siehaben das damals rundheraus abgelehnt. Jetzt ist dies inIhrem Entwurf enthalten. Das ist ein klarer Erfolg füruns Grüne; denn es war unser Vorschlag.
Wir haben damals vorgeschlagen, die Aufteilung derErträge zwischen den Versicherten und den Unterneh-men zu korrigieren, um auch diesen Fehler in der Versi-cherungsregulierung anzugehen. Sie haben es damalsrundheraus abgelehnt, dies auch nur zu erwägen. Jetzt istes in Ihrem Vorschlag enthalten. Auch das ist ein Erfolgvon uns. Es war deswegen richtig, den Gesetzentwurfvor eineinhalb Jahren zu stoppen.
Es war und ist auch richtig, dass wir gefordert haben,dass man, wenn man über Veränderungen bei den Le-bensversicherungen redet, auch die schlechte Situation,die Missstände im Vertrieb systematisch angehen muss.Wir haben das damals vorgeschlagen, aber es wurde ab-gelehnt. Jetzt sind zumindest einige entsprechendePunkte im Entwurf enthalten. Das ist eine klare Verbes-serung, die auf unsere Initiative zurückgeht.Trotzdem muss man sagen: Hier bleibt einiges zu tun.Wir müssen genau wie damals bei den Banken die Fragestellen: Wie kamen wir eigentlich in diese Situation?Eine Ursache ist natürlich auch bei den Vorständen vonLebensversicherungsunternehmen zu finden, die überviele Jahre Versprechungen gemacht haben, die sie nichteinhalten können. Diese Verantwortung muss am heuti-gen Tage klar benannt werden. Genau wie Bankvor-stände tragen auch Versicherungsvorstände Verantwor-tung.
Auch die Aufsichtsbehörde, für die Sie, Herr Finanz-minister, zuständig sind, muss ihre Aufgaben wahrneh-men. Diese Finanzaufsicht hat im Bereich Versiche-
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rungsaufsicht alle Handlungsmöglichkeiten, die mansich vorstellen kann. Sie hat aber in den letzten Jahrenzugesehen, wie an die Eigentümer ausgeschüttet wurde,anstatt die Unternehmen zu stabilisieren, und wie zuhohe Versprechungen gemacht worden sind. All dieMissstände im Vertrieb – Debeka, ERGO, INFINUS –hat sie aus der Zeitung erfahren, anstatt selber zu kon-trollieren, was in diesem Sektor passiert. Wir haben hiereinen krassen Fall von Staatsversagen bei der Versiche-rungsaufsicht. Hier muss dringend etwas geschehen. Wirerwarten hier Aktivität von Ihnen als Bundesfinanz-minister.
Zu dem Gesetzesvorhaben hier muss man sagen – ichhabe vorhin ein paar positive Veränderungen genannt,aber vieles muss verbessert werden –: Auf die entschei-dende Frage, was da eigentlich gemacht wird, sind dieAntworten sehr dünn. Ich habe gefragt: Wie groß istdenn der Sicherungsbedarf? Das ist sozusagen das Kern-element dieses Gesetzentwurfs bei den Bewertungsreser-ven. Über was für Größenordnungen reden wir da?Keine Antwort von Ihrem Staatssekretär. Wir haben ge-fragt, ob denn die Veränderung bei den Bewertungsre-serven dazu führt, dass die von der Bundesbank diagnos-tizierte Problemlage wirklich aufgelöst wird, ob sichdiese lindert. Darauf keine Antwort. Deswegen bleibt amheutigen Tag zu konstatieren – das muss sich in dennächsten Tagen bei der Beratung ändern –: Das ist Versi-cherungspolitik im Blindflug. Das sollten wir als Parla-mentarier nicht mitmachen.
Denn nachher heißt es dann, dass wir das hier beschlos-sen haben.Deswegen erwarten wir, dass Sie bei diesen Fragennoch etwas nachlegen. Denn wir müssen bei einer so re-levanten Veränderung der Eigentumsverhältnisse, bei ei-ner so relevanten Gesetzgebung, die in die Rechte vonVersicherten eingreift, wissen, was wir tun. Deswegenwerden wir – genau wie bei vielen anderen einzelnenPunkten im Gesetzgebungsverfahren – auch bei dergrundlegenden Frage, was das für die Kunden und fürden Sektor bedeutet, noch einmal nachhaken. Denn hiersind wir alle in der Verantwortung. Wir können nicht inein paar Jahren sagen, dass wir das nicht genau gewussthaben. Vielmehr müssen wir die Regierung zwingen, unsdie Zahlen vorzulegen.Danke.
Anja Karliczek hat nun das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Zwei Worte vorweg zu dem, wasgesagt wurde. Liebe Frau Karawanskij, Sie stehen wie-der einmal auf der Seite weniger und lassen mit Ihrer Ar-gumentation die breite Masse der Bevölkerung im Stich.
Herr Schick, zu Ihnen: Einzelne Zahlen und einzelneUnternehmen zu nennen, hilft uns in diesem Momentnicht weiter. Die Situation der verschiedenen Unterneh-men ist so unterschiedlich, dass wir einen systemischenAnsatz gewählt haben, und das ist richtig.
Die Welt der Zinsen steht auf dem Kopf. Bankenmüssen heute Strafen zahlen, wenn sie Geld nicht verlei-hen. Versicherungen bitten darum, vermehrt in langfris-tige und im doppelten Sinne des Wortes langweiligeStrukturprojekte investieren zu dürfen. Der durchschnitt-lich garantierte Zins bei Lebensversicherungen ist höherals der Marktzins. Das hat es in Deutschland noch niegegeben. Herr Schick, das war auch 2008, als der Ge-setzentwurf zur Verteilung der Bewertungsreserven ver-abschiedet wurde, überhaupt noch nicht erkennbar.Wir wissen nicht, wie lange diese Niedrigzinsphasenoch anhalten wird. Aber wir wissen eines: Bleiben wiruntätig, wird unser Finanzsystem langfristig destabili-siert, und es drohen uns japanische Verhältnisse. Ver-trauen verliert sich schneller, als es erworben werdenkann. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt mit demLebensversicherungsreformgesetz die Grundlage dafürschaffen, das Vertrauen in die Kapitallebensversicherungals das klassische Mittel zur Altersvorsorge zu erhalten.
Die Kapitallebensversicherung mit einem garantier-ten Zins ist nach wie vor ein von den Menschen hochge-schätztes Produkt, um den Lebensstandard im Alter zusichern. Es ist ein Produkt, das langfristig trägt und denMenschen Sicherheit gibt.Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Punkte unseresReformpaketes ansprechen.Erstens: die Finanzierung der garantierten Zinsen beibestehenden Verträgen. Wir fordern die Menschen seitJahren zur Eigenvorsorge auf. Viele Menschen sind un-serer Aufforderung gefolgt. Mit 90 Millionen Kapitalle-bensversicherungen hat statistisch gesehen jeder Ein-wohner 1,1 Verträge, vom Baby bis zum 100-Jährigen.90 Millionen Mal werden Geld und Vertrauen investiert,dass der garantierte Wert der Versicherung erhaltenbleibt. Jetzt ist es an uns, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, Verlässlichkeit zu schaffen und dafür zu sorgen,dass die von den Versicherern gegebenen Garantien aucheingelöst werden können. Es ist unsere Aufgabe, der
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Anja Karliczek
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Sorge vieler Menschen um die private Alterssicherungetwas entgegenzusetzen.
Ein zweiter Punkt. Vertrauen setzt eine faire Leistungvoraus, und Vertrauen braucht Transparenz. Die Kapital-lebensversicherung ist ein hochkomplexes und stark re-guliertes Finanzprodukt. Wir wollen sie mit der notwen-digen Transparenz ausstatten. Die Menschen müssenerkennen können, welche Kosten in ihrer Prämie steckenund welcher Anteil in den Kapitalaufbau fließt. Nurdann entsteht Vergleichbarkeit für die Kunden und ech-ter Wettbewerb zwischen den Versicherern. Auch dasschafft Vertrauen.Ich möchte noch ein Wort an die Kritiker des Geset-zes richten. Vertrauen in die Lebensversicherung ver-spielt auch, wer stets erklärt, sie werde unattraktiv, unddann eine Zahl von 40 Milliarden Euro in die Welt setzt,mit denen die Versicherungsnehmer zusätzlich belastetwürden.
Woher stammt denn diese Zahl?Behauptet wird auch, allein 13,5 Milliarden Eurowürden den Kunden durch die Zinszusatzreserve vorent-halten. Richtig ist: Die Zinszusatzreserve wird wiedervollständig an die Kunden ausgeschüttet. Das ist gesetz-lich vorgeschrieben.Der Umfang der geringeren Beteiligung an den Be-wertungsreserven wird mit 3,6 Milliarden Euro beziffert.Richtig ist: Ohne die nun angestrebte Neuregelungwürde die Überschussbeteiligung der verbleibendenKunden – das sind 95 Prozent der Versicherten – nochniedriger ausfallen. Dann gäbe es aufgrund der aktuellsehr hohen Auszahlungen bald nichts mehr zu verteilen.Jetzt haben wir die Aufgabe, im parlamentarischenVerfahren über die detaillierte Ausgestaltung einigerPunkte zu sprechen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Ins-gesamt bin ich davon überzeugt, dass dieses Gesetz alleBeteiligten angemessen in die Pflicht nimmt: Versi-cherte, Vermittler, Aktionäre und Unternehmen. Ausmeiner Sicht ist das der einzige Weg, die notwendigeAkzeptanz für diese dringenden Reformen herzustellen,und der einzige Weg, langfristig das Vertrauen in einzentrales Produkt unserer Altersvorsorge zu erhalten.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 18/1772 und 18/1815 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlichder Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tageordnungspunkte II a und II b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksachen 18/700, 18/702b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2013 bis 2017Drucksachen 17/14301, 18/1026Wir beginnen nun mit der Beratung der Einzelpläne,und zwar zunächst derjenigen Einzelpläne, zu denenkeine Aussprache vorgesehen ist.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1 auf:Einzelplan 01 Bundespräsident und BundespräsidialamtDrucksachen 18/1023, 18/1024Berichterstatter sind die Abgeordneten KerstinRadomski, Steffen-Claudio Lemme, Dr. Dietmar Bartschund Ekin Deligöz.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist derEinzelplan 01 einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.2 auf:hier: Einzelplan 02 Deutscher BundestagDrucksachen 18/1002, 18/1023Berichterstatter sind die Abgeordneten JohannesKahrs, Bernhard Schulte-Drüggelte, Roland Claus undAnja Hajduk.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 02 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist beiEnthaltung der Fraktion Die Linke auch dieser Einzel-plan mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.3 auf:Einzelplan 03 BundesratDrucksache 18/1024Berichterstatter sind hier die Kollegen Ulrich Freese,Kerstin Radomski, Dietmar Bartsch und Tobias Lindner.Wir stimmen ab über den Einzelplan 03. Wer stimmtfür diesen Einzelplan? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Dann ist auch der Einzelplan 03 einstim-mig angenommen.
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3572 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk-ten II.4 a und II.4 b:a) Einzelplan 08Bundesministerium der FinanzenDrucksachen 18/1008, 18/1023b) Einzelplan 20BundesrechnungshofDrucksache 18/1024Berichterstatter für den Einzelplan 08 sind die Abge-ordneten Norbert Brackmann, Hans-Ulrich Krüger,Gesine Lötzsch und Tobias Lindner. Berichterstatter fürden Einzelplan 20 – Bundesrechnungshof – sind die Ab-geordneten Michael Leutert, Carsten Körber, BettinaHagedorn und Tobias Lindner.Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte II.4 cbis II.4 e auf:c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Haus-haltsbegleitgesetzes 2014Drucksachen 18/1050, 18/1223Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsausschusses
Drucksache 18/1762d) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHerstellung des Einvernehmens von Bundes-tag und Bundesregierung zum Begehren derRepublik Litauen, der dritten Stufe der Euro-päischen Wirtschafts- und Währungsunionbeizutreten und den Euro als Umlaufwährungeinzuführenhier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-ges nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgeset-zes i. V. m. § 9a des Gesetzes über dieZusammenarbeit von Bundesregierung undDeutschem Bundestag in Angelegenheiten derEuropäischen UnionDrucksache 18/1800e) Beratung der Unterrichtung durch das Bundes-ministerium der Finanzen gemäß § 9a desGesetzes über die Zusammenarbeit von Bun-desregierung und Deutschem Bundestag inAngelegenheiten der Europäischen UnionBeitritt Litauens zum EuroraumDrucksache 18/1730Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieHaushaltsausschussZum Haushaltsbegleitgesetz 2014 liegt ein Ände-rungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wirdann später befinden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache insgesamt 125 Minuten vorgesehen. –Ich höre keinen Widerspruch; also können wir so verfah-ren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Dietmar Bartsch für die FraktionDie Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenEnde Juni. Wir beraten den Haushalt für dieses Jahr. ImJuli wird dann der Bundesrat beschließen. Die Veröffent-lichung im Bundesgesetzblatt wird wahrscheinlich EndeJuli stattfinden, sodass wir festhalten können, dass essieben Monate vorläufige Haushaltsführung gab, ohneInvestitionen demzufolge und mit vielen Dingen, dienicht gemacht werden konnten. Das ist für das Land mitSicherheit nicht von Vorteil gewesen.
Wir konnten hier hoffen: Was lange währt, wird endlichgut. – Das ist aber nicht der Fall; denn das ist ein Haus-halt der sozialen Spaltung.
Dieser Haushalt ist nicht zukunftsgewandt, sondern erverspielt Zukunft.Wir Mitglieder des Haushaltsausschusses hatten teil-weise das Gefühl, in der David-Copperfield-Show zusein. Der Regierungsentwurf von vor einigen Monatenbeinhaltete eine Neuverschuldung von 6,5 MilliardenEuro. Es gab dann monatelange Diskussionen zwischenden Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern und zwischenden Haushältern, es gab diverse Anträge und auch Ver-änderungen – teilweise sogar zum Positiven –, und amEnde standen dort wieder 6,5 Milliarden Euro. Das istschon eine Besonderheit. Aber das war Trickserei.Ich will diesen Trick erklären: Die Koalition hat dieZinslasten in einer Nachtsitzung einfach einmal um1,2 Milliarden Euro reduziert,
und nachdem klar war, dass die Einnahmen aus derBrennelementesteuer nicht wie geplant anfallen werden,hat die Koalition die Steuerschätzung neu interpretiertund gesagt: 1,4 Milliarden Euro neue Einnahmen. Au-ßerdem wurden noch 500 Millionen Euro bei den Bil-dungsausgaben gestrichen, und in dem Haushalt vonFrau von der Leyen wurde eine globale Minderausgabevon 400 Millionen Euro eingestellt. So ist da getrickstworden. Aber: Nicht alle Instrumentarien der Haushalts-planung sind auch verantwortbar, und nicht jede Opera-tion ist erlaubt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3573
Dr. Dietmar Bartsch
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Lassen Sie mich etwas zum Thema „Schulden undschwarze Null“ sagen. Über die schwarze Null wirdganz viel geredet. Ich will kurz und knapp feststellen: Esgibt in dem Haushalt für das Haushaltsjahr 2014 keineschwarze Null, sondern 6,5 Milliarden Euro neue Schul-den. Die Schuldenbilanz von Herrn Schäuble seit 2009lautet 112 Milliarden Euro neue Schulden, und das Endeder Neuverschuldung ist nicht abzusehen. Warten wirjetzt erst einmal den September ab und schauen wir, wiean dieser schwarzen Null gebastelt wird. Die weltweiteZinsentwicklung ist dabei das größte Haushaltsrisiko,das wir haben. Mehr Schuld gegenüber künftigen Gene-rationen hat bisher kaum ein Finanzminister auf sich ge-laden.
Herr Schäuble, Sie wollen offenbar um jeden Preismit dem Prädikat „Erster Haushalt ohne Neuverschul-dung seit 1969“ aus dem Amt scheiden. Das ist persön-lich legitim, und im Übrigen teilen wir das Ziel, dass eskeine Neuverschuldung geben soll.
Wenn das aber die einzige Richtschnur des politischenHandelns wird, dann ist das schlicht zu wenig. Ihr Wegder Ausgabenkürzungen zulasten der Arbeitenden, derArbeitsuchenden, der Rentnerinnen und Rentner und derKranken ist falsch. Das ist ein Haushalt der sozialenSpaltung.
Ich will es hier wiederholen, damit es keine Missver-ständnisse gibt: Ja, wir als Linke sind dafür, dass dieSchuldenquote heruntergeht und dass Schuldenabbaubetrieben wird. Das ist doch völlig klar. Da, wo wir fürLänderhaushalte Verantwortung tragen, kann man übri-gens exemplarisch sehen, wie wir agieren. Gucken Sienur nach Brandenburg: Vier Jahre ohne Neuverschul-dung, und sogar die Rückzahlung der Schulden hat be-gonnen.Ich will den DIHK-Chef Eric Schweitzer zitieren, derIhnen bei allem Respekt bescheinigt hat:Bei der Haushaltskonsolidierung kann ich aller-dings keine besonderen Leistungen erkennen. Sieerfolgt ausschließlich auf Grundlage der gutenKonjunktur …Wir sagen: Wir brauchen eine andere Einnahmepolitik,wenn wir die Haushalte wirklich konsolidieren wollen.
Dafür haben wir entsprechende Vorschläge vorgelegt.Schauen Sie sie sich an!Ich will Ihnen noch ein Zitat vortragen:Die doppelte Aufgabe in Deutschland – die Schul-den unseres Landes abzubauen und gleichzeitig vorallem in Bildung und Infrastruktur zu investieren –lässt sich nicht mit dem Wahlversprechen verbin-den, gleichzeitig die Steuern zu senken. Sondern imGegenteil: Wir werden Steuern sogar erhöhen müs-sen. Nicht alle Steuern für alle, aber einige Steuernfür wenige.Das ist ein hervorragendes Zitat aus dem Wahlprogrammder SPD. Nichts davon ist übriggeblieben. Wo ist dennirgendeine Maßnahme, mit der Sie die Steuern der Ver-mögenden und Superreichen in diesem Land erhöhen?Null! Fehlanzeige! Und das ist falsch.
Herr Schäuble und Herr Barthle werden sich jetztgleich feiern und von der wunderbaren wirtschaftlichenEntwicklung, von der Rekordbeschäftigung und vonsteigenden Löhnen, Gehältern und Renten reden.
Es wird also ein großes Lob sein.
Was sind aber die Fakten? Ja, der konjunkturelle Ver-lauf im ersten Quartal ist besser als in den anderen Jah-ren. Von Rekordbeschäftigung zu reden, ist angesichtsder Arbeitsplatzvernichtung in den letzten Jahren abernicht zu akzeptieren.
Von 2000 bis 2013 ist die Zahl der Vollzeitarbeitsplätzeum 1,7 Millionen gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl derTeilzeitarbeitsplätze um 2,5 Millionen, die Zahl derMinijobs um 500 000, die Zahl der 1-Euro-Jobs um100 000 und auch die Zahl der Leiharbeitsplätze gestie-gen. Das ist die reale Situation. Ihr Arbeitsplatzauf-schwung findet im Bereich der prekären Beschäftigungstatt.
Wenn Sie über steigende Löhne und Gehälter reden,dann will ich Ihnen auch dazu eine Zahl nennen: DieSteigerung der preisbereinigten Reallohnsumme seit2000 liegt bei sage und schreibe 1,7 Prozent. Donner-wetter! In 13 Jahren ist das ja eine große Steigerung.Deutschland hat im internationalen Vergleich eingeringes Investitionsniveau.Das ist ein Zitat von Sigmar Gabriel im Geleitwortzum Jahreswirtschaftsbericht 2014. Der Mann hat recht.Die Investitionen sind in den letzten Jahren immerweiter zurückgegangen: 27,6 Milliarden Euro 2012,26,1 Milliarden Euro 2013 und 25 Milliarden Euro indiesem Jahr. Das DIW kritisiert, dass die Verkehrsinfra-struktur dabei ist, sich von einem Standortvorteil zu ei-nem Standortproblem zu entwickeln. Nehmen Sie dochwenigstens das zur Kenntnis. Das ist das entscheidendeDefizit dieses Haushaltes.
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3574 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Dr. Dietmar Bartsch
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Sie investieren zu wenig in die Zukunft. Im Koali-tionsvertrag haben Sie 5 Milliarden Euro an zusätzlichenVerkehrsinvestitionen in dieser Legislatur vereinbart.Aber Experten schätzen den Bedarf in jedem Jahr aufüber 7 Milliarden Euro. Sie fahren das Land auf Ver-schleiß. Schauen Sie sich die Brücken an! Schauen Siesich die Netzstruktur an! Schauen Sie sich die Kranken-häuser an! Die Schlagworte „Haushaltskonsolidierung“und „Schuldenabbau“ sind irreführend. Das sind inWahrheit die Schulden für die nächste Generation.
Mit dem Haushalt 2014 werden wichtige gesellschaft-liche Herausforderungen nicht angegangen, und selbstIhre Wahlversprechen und Ihr Koalitionsvertrag werdengebrochen. Die Vermögensungleichheit im Euro-Raumist nirgendwo größer als in Deutschland. Das ist eineskandalöse Entwicklung.
Weder der ungeheure Reichtum bei wenigen noch diesich immer mehr öffnende Schere zwischen Arm undReich ist irgendwie vom Himmel gefallen. Das ist Er-gebnis Ihrer Politik. Die Bundesregierung verzichtet aufhaushaltspolitische Weichenstellungen für mehr Steuer-gerechtigkeit und für Einkommens- und Vermögensge-rechtigkeit in Deutschland. Absolute Fehlanzeige in die-sem Haushalt!Die Vertreter der Koalitionsfraktionen haben verkün-det, alle Menschen in Deutschland sollen ein gutes Le-ben führen können. Meinen Sie, dass die 3 Millionen Ar-beitslosen in Deutschland ein gutes Leben führenkönnen? Meinen Sie, dass die 900 000 Menschen mitGrundsicherung im Alter oder diejenigen, die diese we-gen Erwerbsminderung bekommen, ein gutes Leben füh-ren können? In Deutschland droht nicht Armut; inDeutschland gibt es Armut, und das in unserem reichenLand. Das ist ein Skandal. Da muss man doch als Regie-rung etwas tun, um das zu ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt istnicht gut für unser Land. Er leistet keinen Beitrag zumehr sozialer Gerechtigkeit und zu gesellschaftlichemZusammenhalt. Dieser Haushalt vernachlässigt sträflichZukunftsinvestitionen für unser Land. Dieser Haushaltist nicht solide. Die Linke wird diesen Haushalt deshalbablehnen.Herzlichen Dank.
Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Kollege Bartsch, dass meineEinschätzung des Haushalts eine andere ist als Ihre, wirdniemanden verwundern. Ich bitte auch um Verständnisdafür, dass ich nicht auf jeden schrägen Ton Ihrer sozia-listisch-kommunistischen Drehorgelmelodie eingehenwerde.
Das werde ich den anderen Mitgliedern dieses HohenHauses ersparen.Wir haben es nach langen und intensiven Haushalts-beratungen geschafft, in dieser Woche dem Plenum ei-nen Haushaltsentwurf zur Beratung vorzulegen, der unsmit großer Freude und auch mit einem gewissen Stolzerfüllt. Schon der Haushaltsentwurf des Finanzministerswar ein guter Entwurf. Es ist uns gelungen, aus diesemguten Haushaltsentwurf einen noch besseren zu machen.Das war eine gemeinsame Leistung der Großen Koali-tion. Das Ergebnis tragen wir in dieser Woche gerne vor.Was sind die Kernaussagen dieses Haushaltsentwurfs2014? Als Erstes haben wir uns das Ziel gesetzt, die Net-tokreditaufnahmelinie von 6,5 Milliarden Euro tatsäch-lich einzuhalten. Nun sagt die Opposition, das sei einleeres, inhaltsloses Ziel. Das Gegenteil ist der Fall. Wereinen ausgeglichenen Haushalt ernsthaft anstrebt undwer dieses Ziel ernsthaft und nachhaltig verfolgen will,der muss seinen Willen dadurch beweisen, dass er diesesZiel in gleichmäßigen, realistischen und nachvollziehba-ren Schritten ansteuert. Wir tun das, indem wir dieseNettokreditaufnahmelinie einhalten und damit das klareSignal aussenden: Noch nie waren wir einem ausgegli-chenen Haushalt 2015 so nahe wie mit diesem Haus-haltsentwurf 2014.
Die zweite große Kernaussage dieses Haushalts ist,dass wir die strukturelle Null halten wollten. Sie allewissen, das strukturelle Defizit errechnet sich durch Ab-zug der Konjunkturkomponente und durch Abzug der fi-nanziellen Transaktionen. Wir haben einen nicht nurstrukturell ausgeglichenen Haushalt, wir haben sogar ei-nen kleinen strukturellen Überschuss von 1,3 MilliardenEuro erwirtschaftet. Das ist eine große Leistung der Gro-ßen Koalition, die wir mit Stolz vortragen.
Das erlaubt mir einen Blick auf die Schuldenbremse.Wir haben ja in unserem Grundgesetz die nationaleSchuldenbremse verankert. Diese Schuldenbremse ver-pflichtet uns eigentlich erst 2016, gewisse Grenzen ein-zuhalten. Wir halten diese Grenzen bereits seit 2012 einund unterschreiten sie mit dem Haushalt 2014 deutlich.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3575
Norbert Barthle
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Wir könnten aufgrund der Schuldenbremse 34 Milliar-den Euro neue Schulden machen, machen aber nurSchulden in Höhe von 6 Milliarden Euro. Wenn man dieEinzahlungen in den Europäischen Stabilitätsmechanis-mus abzieht, sind wir bei noch gut 2 Milliarden Euroneuen Schulden – bei Ausgaben von insgesamt296,5 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, ichglaube, das kann sich wirklich sehen lassen. Das ist derrichtige Weg, der letzte große Schritt hin zum ausgegli-chenen Haushalt.Das ist auch ein wichtiges Signal nicht nur an dieBundesländer, sondern vor allem auch an die Mitglieds-länder der Europäischen Union. Wie schaffen wir das?Durch absolute Ausgabendisziplin. Maßhalten bei denAusgaben und steigende Einnahmen sind das Geheim-rezept unseres Erfolgs.Wenn Sie sich die Ausgaben in diesem Jahr an-schauen, dann sehen Sie, dass sie 11 Milliarden Euroniedriger sind als der Istwert des Jahres 2013. Wenn Siesich die Vergleichszahl für 2010 anschauen, dann erken-nen Sie, dass wir im Jahr 2014 weniger Geld ausgebenals im Jahr 2010. Das empfehle ich allen Gebietskörper-schaften als Vorbild – seien es Länder, seien es Kommu-nen, seien es Regionen. Das möge sich bitte jeder einmalanschauen.
Das schaffen wir trotz schwieriger Ausgangsbedin-gungen. Denn seien wir ehrlich: Anfangs der Haushalts-beratungen hatten wir nicht damit gerechnet, dass unseine Lücke von knapp dreieinhalb Milliarden Euro insHaus steht. Das kam überraschend während der Haus-haltsberatungen und hat uns manche Pläne verhagelt.Wir hätten gern mehr für die Infrastruktur ausgegeben.Diese Mittel mussten wir streichen. Aber wir haben esgeschafft, diese Lücke von dreieinhalb Milliarden Eurozu schließen, und zwar durch einen Mix verschiedenerMaßnahmen.Einerseits haben wir wirklich gespart. Zum Beispielgeben wir 10 Prozent weniger aus für die Öffentlich-keitsarbeit, für Fachinformationen über alle Ressortshinweg. Dies ist möglich, weil das Jahr fast schon zurHälfte vorbei ist. Wir haben auch bei den ALG-II-Aus-gaben gespart. Das war dort möglich wegen der gutenEntwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Aufgrund mögli-cherweise nicht rechtzeitig zulaufender Beschaffungs-vorhaben im Verteidigungsministerium konnten wir dort400 Millionen Euro einsparen.Andererseits haben wir in diesem Haushaltsentwurfauch Minderausgaben und Mehreinnahmen finden kön-nen, die wir dann kenntlich gemacht haben.
Der größte Brocken dabei sind 1,2 Milliarden Euro we-niger Zinsausgaben. Daran kann die Opposition nun he-rummäkeln, aber Tatsache ist, dass im Haushaltsaus-schuss die Grünen diesem Änderungsantrag zugestimmtund die Linken sich enthalten haben. Also hoffe ich dochsehr, dass es daran keine Kritik gibt.Die Maßnahmen habe ich bereits genannt. Wir habendazu noch die Steuereinnahmen um 600 Millionen Eurohöher angesetzt, als es die Steuerschätzer getan haben.Lieber Kollege Kindler, darauf werden Sie gleich sicher-lich eingehen. Deshalb will ich an dieser Stelle Folgen-des sagen:Erstens. Wer sich bei einem Gesamtetat von knapp300 Milliarden Euro an 600 Millionen Euro aufhängt,der zeigt – seien wir einmal ehrlich – kleines Karo.
Zweitens. Wenn ich mir die jüngsten Einschätzungen derWirtschaftsforschungsinstitute – darunter RWI und IFWin Kiel – und der Deutschen Bundesbank anschaue, dannmuss ich sagen, dass sie ihre Wachstumsprognosen für2014 nach oben korrigiert haben, nicht nach unten. Des-halb sehen wir uns in dieser Annahme bestätigt.Wenn wir uns die Steuereinnahmen des Monats Maianschauen, dann lagen die schon wieder deutlich höherals im ersten Quartal. Auch darin sehen wir eine Bestäti-gung dafür, dass wir mit ruhigem Gewissen diese600 Millionen Euro Mehreinnahmen ansetzen konnten.Darüber hinaus sind verschiedene Sicherungsmaß-nahmen vorgesehen worden, was den Haushaltsvollzuganbelangt, und es ist uns gelungen – das will ich auchbetonen –, parlamentarische Schwerpunkte zu setzen,die aus den Reihen der Großen Koalition an uns Haus-hälter herangetragen wurden. Der Haushaltsentwurf2014 enthält also auch einige neue Akzentuierungen undSchwerpunkte, die im parlamentarischen Verfahren ent-standen sind. Diese sind aber gegenfinanziert – auch dassage ich als Haushälter ganz bewusst –, sodass sie nichtschuldenerhöhend wirken. Allein 90 Millionen Euromehr – das ist ein Zuwachs von 7,5 Prozent – sind fürdie Kultur vorgesehen. Das ist ein deutliches Signal inden gesamten Kulturbereich hinein.
Wir geben, anders als Sie es darstellen, Herr KollegeBartsch, für Bildung und Forschung nicht weniger Geldaus, sondern 85 Millionen Euro mehr, als im Ansatz desFinanzministers vorgesehen war.
Das ist die Realität: 85 Millionen Euro mehr für Bildungund Forschung im Etat von Frau Wanka.Im Bereich des BMI gibt es deutliche Zuwächse fürNotwendigkeiten, die wir kenntlich gemacht haben, zumBeispiel für Integrationskurse oder für Syrien-Flücht-linge, aber auch für wünschenswerte Maßnahmen. Bei-spielsweise sind 10 Millionen Euro mehr für das THWvorgesehen, zum Beispiel für die Beschaffung von Fahr-zeugen oder für Ausbildungskurse. Auch das sind deutli-che Zeichen. Die Bundeszentrale für politische Bildung
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3576 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Norbert Barthle
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und die politischen Stiftungen statten wir in diesem Etatebenfalls mit mehr Mitteln aus.Darüber hinaus – auch das will ich nicht unerwähntlassen – haben wir im Verkehrsetat Verpflichtungser-mächtigungen vorgesehen, die wir gerne noch höher an-gesetzt hätten, aber die Umstände standen, wie gesagt,dem entgegen. Dafür haben wir für das kommende JahrVerpflichtungsermächtigungen in Höhe von 775 Millio-nen Euro ausgebracht. Damit ist eine gewisse Stetigkeitauch im Verkehrsetat gewährleistet.Des Weiteren haben wir für notwendige Zahlungenim Zusammenhang mit dem Green Climate Fund Vor-sorge getroffen, und zwar ebenfalls in Form von Ver-pflichtungsermächtigungen in Höhe von 750 MillionenEuro.Lassen Sie mich zusammenfassen: Dieser Haushaltzeigt, dass wir solide wirtschaften und dass wir in unse-ren Maßnahmen, Planungen und in unserer Fiskalpolitikverlässlich sind. Mit dieser Verlässlichkeit erarbeiten wiruns das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, Unter-nehmerinnen und Unternehmer, Investoren und Finanz-akteure nicht nur in Deutschland, sondern auch interna-tional. Damit ist dieser Haushalt ein gutes Zeichen fürDeutschland, aber auch für Europa. Das sage ich ganzbewusst in Anbetracht der derzeitigen internationalenDebatte, was eine mögliche Aufweichung der Stabilitäts-kriterien anbelangt.Wir schließen uns der Auffassung von Herrn Renzioder von Herrn Hollande nicht an, dass wir mehr Flexi-bilität brauchen. Es gibt im Regelwerk genügend Flexi-bilität. Statt darüber nachzudenken, wie man Regeln um-gehen kann, sollten wir vielmehr alle darübernachdenken, wie man Regeln einhält. Wir tun das. Des-wegen bitte ich um Zustimmung für diesen sehr gutenHaushalt.
Ich erteile nun dem Kollegen Sven-Christian Kindlerfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sind jetzt auf der Zielgeraden der Haus-haltsberatungen. Auch nach den vielen Beratungenbleibt es dabei: Es gibt keine strukturellen Änderungender Koalition. Ihnen fehlen der Mut und der Wille zustrukturellen Reformen im Haushalt. Sie verlassen sichganz allein auf die gute Konjunktur. Das ist ein gefährli-ches Spiel mit dem Feuer. Dieser Haushalt der GroßenKoalition ist unsolide, ungerecht und zukunftsvergessen.
Ihr Haushalt ist unsolide, und er ist vor allen Dingenhart auf Kante genäht. Vor der Bereinigungssitzung hat-ten Sie ein 3-Milliarden-Euro-Loch. Wie haben Sie dasgestopft? Sie haben keine strukturellen Änderungen vor-genommen. Sie haben weder bei Einnahmen und Ausga-ben noch bei den Subventionen angesetzt oder Reformenvorgesehen. Was haben Sie stattdessen gemacht? Wir ha-ben noch am Montag vor der Bereinigungssitzung allegemeinsam – auch Sie, Herr Barthle und Herr Kahrs –die Einnahmen aufgrund der Steuerschätzung angepasst.Donnerstagnacht um 0.30 Uhr haben Sie eine eigenepolitische und willkürliche Steuerschätzung aufgestelltund die Einnahmen um 700 Millionen Euro nach obenangepasst. Sie haben sich damit kaltschnäuzig über dieMai-Steuerschätzung hinweggesetzt. Das nenne ich un-verschämt und dreist.
Das zeigt auch das Grundverständnis Ihrer Haushalts-politik. Sie verweigern die Arbeit und ändern im Haus-halt nichts strukturell. Stattdessen hoffen Sie und zo-cken. Sie sind Zocker. Sie wetten auf die guteKonjunktur und auf eine gute Zukunft. Das ist Haus-haltspolitik im Las-Vegas-Style. Am Roulettetisch set-zen Sie alles auf Schwarz, und wenn die Kugel dann aufRot landet, ist Ihr Portemonnaie leer, und Sie müssen zurBank gehen. Aber diese Zockerei hat nichts mit soliderHaushaltspolitik zu tun.
Den Gang zur Bank haben Sie übrigens schon einge-plant. Sie haben nachts um halb eins in der Bereini-gungssitzung das Haushaltsgesetz geändert. Sie könnennun dieses Jahr 3 Milliarden Euro mehr Schulden ma-chen, indem Sie 2014 alte, nicht verbrauchte Kredit-ermächtigungen nutzen. Sie müssen darüber den Haus-haltsausschuss nicht zeitnah informieren. Sie haben sichdamit im Haushaltsgesetz eine Portokasse geschaffen,weil Sie Angst haben, dass Sie dieses Jahr mehr Schul-den als die geplanten 6,5 Milliarden Euro machen müs-sen. Wenn Sie diese Schulden machen müssen, dannwollen Sie darüber weder das Parlament noch die Öf-fentlichkeit informieren. Das ist versuchte Täuschungmit Ansage.
Ihr Haushalt ist zudem ungerecht, Herr Schäuble. Sieund die Große Koalition loben sich schon jetzt für dieschwarze Null im Jahr 2015. Aber wie finanzieren Siedas? Sie greifen mit vollen Händen in die Sozialkassen.Sie greifen in den Gesundheitsfonds und die Renten-kasse. Sie finanzieren das damit auf dem Rücken derBeitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das hat aber mitstruktureller Haushaltskonsolidierung nichts zu tun. DieZeche dafür zahlen später die Bezieher kleiner und mitt-lerer Einkommen. Das ist einfach ungerecht.
Wir Grüne beantragen dagegen für mehr Gerechtig-keit die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3577
Sven-Christian Kindler
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420 Euro. Bei der Rente wollen wir den Einstieg in einesteuerfinanzierte Garantierente für langjährig Versi-cherte. Damit würden wir vor allen Dingen Frauen undGeringverdienern helfen, die von Altersarmut besondersbetroffen sind. Sie dagegen nehmen 160 Milliarden Euroin die Hand und machen nichts gegen Altersarmut. Dasist das große Gerechtigkeitsproblem bei der schwarz-ro-ten Rentenpolitik.
Dieser Haushalt ist auch zukunftsvergessen. Wir allewissen: Die Infrastruktur in diesem Land verrottet. Wirleben von der Substanz. Sie tun nichts dagegen. Im Ge-genteil: Die Investitionsquote befindet sich bei der Gro-ßen Koalition im freien Fall. Sie wird 2018 bei nur noch8 Prozent liegen. Wir als Grüne haben dagegen mit unse-ren Änderungsanträgen klargemacht, dass sich die Inves-titionsquote schon in diesem Haushalt auf 11 Prozentsteigern lässt. Wir wollen einen 3-Milliarden-Euro-Ener-giesparfonds auflegen und die Mittel für die CO2-Gebäu-desanierungsprogramme auf 2 Milliarden Euro aufsto-cken. Wir wollen 1 Milliarde Euro mehr für den Erhaltvon Straßen und Brücken ausgeben, anstatt neue, über-flüssige Autobahnen zu bauen. Das ist der fundamentaleUnterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Sie wol-len mehr schlecht als recht den Status quo verwalten.Wir Grüne wollen gestalten und für morgen in die Zu-kunft investieren.
Investitionen für morgen sind Investitionen in Bil-dung und Kinderbetreuung sowie in Hochschulen undForschung. Aber die für 2015 versprochenen 500 Millio-nen Euro haben Sie einfach verschoben. Die 1 MilliardeEuro, die für die Kommunen versprochen war, haben Sieeinfach gestrichen, obwohl gerade in den Kommunendie meisten Investitionen getätigt werden. Das zeigt, wasdas Motto dieser Großen Koalition ist: Kaum verspro-chen, schon gebrochen!
– Doch, die Linke klatscht; das siehst du doch.
– Du bist doch gleich dran, Johannes.Klar ist auch: Wir wollen die Investitionen konkretund solide gegenfinanzieren, ohne zusätzliche Schuldenzu machen. Unsere Leitlinie als Grüne lautet: Investierenstatt Subventionieren. Jedes Jahr gibt dieser Staat50 Milliarden Euro für Investitionen aus, die klima-schädlich sind. Wir Grüne sagen: Davon können wir zuBeginn schnell 8 Milliarden Euro pro Jahr abbauen. Wirkönnen Milliarden bei der Privilegierung des Flugver-kehrs und von schweren Dienstwagen sowie bei denSubventionen für Erdöl, Kohle, Agrardiesel und Atom-energie abbauen. Diese klimaschädlichen Subventionenmüssen endlich abgebaut werden.
Die entscheidende Frage lautet: Was machen Sie alsGroße Koalition in diesem Haushalt? Sie schaffen neueklimaschädliche Subventionen. Sie führen eine Strom-preiskompensation in Höhe von 350 Millionen Euro ein.Im Rahmen des EEG wollen Sie erneut Milliarden anSubventionen in die Großindustrie pumpen. Das zeigtwieder einmal: Sie sind eine große Subventionskoali-tion.
Da Norbert Barthle die Debatte über die Europapoli-tik angesprochen hat, will ich ebenfalls darauf eingehen.Es ist richtig: Wir brauchen Haushaltskonsolidierungund Reformen in Europa. Wir Grüne halten auch nichtsvon Scheindebatten über den Stabilitäts- und Wachstums-pakt. Der hat genug Flexibilität. Wir Grüne stehen zumStabilitätspakt.
Das große Problem ist aber die einseitige Fokussie-rung der Konservativen in Europa mit Frau Merkel ander Spitze auf eine rigide Sparpolitik. Das hat die Rezes-sion verstärkt.
Das hat die Jugendarbeitslosigkeit in die Höhe getrieben,weil Mittel für wichtige Investitionen gekürzt wurden.Für uns Grüne ist klar: Diese einseitige, blinde Sparpoli-tik in Europa muss beendet werden.Wir brauchen auch eine Investitionsstrategie für Eu-ropa.
Eine kluge Investitionsstrategie in Europa setzt nebender Ausgabenseite auf die Einnahmeseite, sie setzt aufdie Beteiligung von Vermögenden, sie geht massiv ge-gen den Steuerbetrug vor, um Investitionen zu finanzie-ren. Das heißt aber nicht Investitionen im Sinne von so-zialdemokratischem Beton- und Kohlewachstum,
sondern das heißt Investitionen in die Zukunft, in erneu-erbare Energien, in den sozialökologischen Umbau undin Bildung. Liebe SPD, bisher ist von Ihnen in SachenInvestitionsstrategie sehr wenig gekommen. Da reichenkeine warmen, vagen Worte vom Vizekanzler.
Wir Grüne streiten in dieser Haushaltsdebatte nichtnur für europäische Gerechtigkeit, wir streiten auch fürglobale Gerechtigkeit. Auch da hat die Koalition versagt.Sie haben mindestens 240 Millionen Euro für den inter-nationalen Klimaschutz gestrichen. Wir Grüne dagegen
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3578 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Sven-Christian Kindler
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wollen die Mittel um 500 Millionen Euro erhöhen. Wirwollen auch einen Aufholplan, um endlich das 0,7-Pro-zent-Ziel bei der Entwicklungszusammenarbeit zu errei-chen. Wir wollen dafür in diesem Haushalt 1,3 Milliar-den Euro mehr zur Verfügung stellen. Wir wollen dasgegenfinanzieren, indem bei Rüstungsprojekten derBundeswehr 2 Milliarden Euro eingespart werden sol-len. Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge statt Milliarden fürneue Rüstungsdesaster – so kann man ganz praktisch imHaushalt globale Gerechtigkeit umsetzen.
Auch bei den Einnahmen stehen wir für mehr Gerech-tigkeit. Die strukturelle Unterfinanzierung des Staatesmuss beendet werden. Die Schere zwischen Arm undReich geht weiter auf. Das ist ungerecht. Starke Schul-tern müssen mehr tragen als schwache. Wir Grüne wol-len unter anderem an die Abgeltungsteuer heran und dieKapitaleinkommen wie die Arbeitseinkommen wiederprogressiv besteuern. Denn man kann niemandem mehrerklären, warum Gewinne aus Aktiengeschäften im Re-gelfall niedriger besteuert werden als Einkommen ausLohnarbeit. Das ist extrem ungerecht, das muss dringendgeändert werden.
Wir Grüne haben in diesem Haushalt konkrete Alter-nativen vorgelegt, und zwar für Investitionen in die Zu-kunft. Wir wollen das durch Ausgabenkürzungen, Sub-ventionsabbau und Einnahmeverbesserungen solidegegenfinanzieren. Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich ei-nen Ruck! Stimmen Sie unseren Alternativen zu! Dennsonst bleibt Ihr Haushalt leider unsolide, ungerecht undzukunftsvergessen.Vielen Dank.
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem
Kollegen Johannes Kahrs.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben hier eine Rede von Norbert Barthlefür die CDU/CSU gehört, die ich nicht besser hätte hal-ten können. Mein lieber Norbert, ganz herzlichen Dank!
Man sieht: Die Große Koalition arbeitet, die GroßeKoalition funktioniert, die Große Koalition legt einensoliden Haushalt vor, die Große Koalition weiß, dassdas, was wir machen, gut für unser Land ist. NorbertBarthle hat das in vorzüglicher Weise vorgetragen. Duwärest auch ein guter Sozi, jedenfalls in dieser Frage.
Wir haben auch zwei Reden von den Grünen und denLinken gehört, die nicht viel Neues zu bieten hatten. Et-was anderes war nach den Haushaltsberatungen auchnicht zu erwarten. Wir haben auch mitbekommen, dassdie eine oder andere Kritik geäußert worden ist. Das,finde ich, ist vollkommen in Ordnung. In der Substanzwürden aber auch sie nicht viel ändern; das muss maneinfach zur Kenntnis nehmen.Ich möchte jedoch an einen Punkt, der hier eben ange-sprochen worden ist, gerne anknüpfen. Herr Kindler hateben vom Subventionsabbau gesprochen, insbesonderebeim EEG, und auf die Unternehmen, die im weltweitenWettbewerb stehen, verwiesen. Erlauben Sie mir dazueine Anmerkung, gerade als Sozialdemokrat. Ich halte esfür einen strukturellen Fehler, dass wir in diesem Land inder Diskussion so tun, als würde unser wirtschaftlicherErfolg, der sich auch in Steuereinnahmen niederschlägt,einfach von selber kommen. Es gibt Unternehmen indiesem Lande – ob aus den Bereichen Chemie, Kupfer,Stahl oder andere –, die im internationalen Wettbewerbstehen.
Auch ihnen muss man die Möglichkeit geben, gegenüberder Konkurrenz zu bestehen. Mit Blick darauf, dass diePreisbildung nicht auf dem deutschen Markt stattfindet– weil es eben nicht so ist, dass Bäcker in unterschiedli-chen Stadtteilen miteinander im Wettbewerb stehen; hiergeht es vielmehr Industriezweige, die Produkte erzeu-gen, deren Preise auf dem Weltmarkt festgelegt werden –,muss man einfach feststellen, dass Deutschland auchStandortnachteile hat: Wir haben zum Beispiel höhereLöhne als andere; das ist gut so. Dafür haben wir aucheine höhere Produktivität.
Was das EEG angeht, Herr Kindler: Wenn man will,dass es in diesem Land Industriearbeitsplätze gibt, wennman nicht will, dass wir uns so deindustriealisieren, wiees die USA oder England in den letzten Jahren gemachthaben,
ist es sinnvoll, vernünftig und richtig, dass man für diedeutsche Industrie etwas tut, dass man für gut bezahltedeutsche Industriearbeitsplätze etwas tut. Deswegen istes notwendig, dass man hier ganz klar sagt: Es mussAusnahmen vom EEG geben. Es muss möglich sein,dass man für Industriezweige, die im internationalenWettbewerb stehen, etwas tut. Das sind keine Subventio-nen. Das hat etwas mit Wettbewerbsfähigkeit und Chan-cengleichheit zu tun.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3579
Johannes Kahrs
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Was Sie hier probieren, ist, dass Sie der deutschen In-dustrie einen Betonblock an den Fuß binden, damit sienicht wettbewerbsfähig ist.
Ich kann die Grünen ja verstehen. Sie mögen es gut fin-den, wenn hier viele Unternehmen pleitegehen. Daskommt ihnen im Hinblick auf die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und anderes entgegen.Im Kern stehen wir Sozialdemokraten, steht dieseKoalition für eine erfolgreiche Industrielandschaft, fürArbeitsplätze,
für starke Arbeitgeber und starke Arbeitnehmer in die-sem Land. Da unterscheiden wir uns von den Grünen.Wir sind dafür, dass Unternehmen aus Hamburg, ausdem Ruhrgebiet und anderswoher auf dem Weltmarkteine Chance haben. Dafür steht auch dieser Haushalt,und dafür steht auch diese Koalition. Das muss man ein-mal zur Kenntnis nehmen.
Am Ende stellt sich heraus, dass Grundkonsens indiesem Hause ist – von einigen Aufgeregten bei denGrünen einmal abgesehen –, dass wir der deutschen In-dustrie ermöglichen wollen, im internationalen Wettbe-werb erfolgreich zu sein; dazu stehen wir. In meinemWahlkreis hat mit Aurubis der international größte Kup-ferhersteller seinen Sitz. Dieses Unternehmen muss sichim Wettbewerb bewähren. Dessen Wettbewerber kom-men nicht aus Deutschland; sie sind international tätig.Alle Unternehmen dieser Branche sind demselben Preis-kampf ausgesetzt.Wenn wir es Unternehmen wie Aurubis nicht möglichmachen, wettbewerbsfähig zu sein, dann haben sie keineChancen. Wenn wir hier im Rahmen der Haushaltsbera-tungen darüber reden, wie wir das Geld ausgeben, dannmüssen wir bedenken, dass dieses Geld erst einmal ein-genommen werden muss, sehr geehrte Damen und Her-ren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das funktioniert nun einmal nur, wenn wir eine Industriehaben, die im weltweiten Wettbewerb Chancen hat.Insofern sage ich – mit Verlaub, Herr Kindler –: Diehohlen Phrasen, die ich gehört habe, halte ich für falsch.Ich halte sie in der Sache für falsch, und im Hinblick aufdie deutschen Arbeitsplätze und die deutschen Arbeit-nehmer sind sie allemal falsch. Es gilt eben nicht, dasEEG ausnahmslos umzusetzen. Vielmehr sollte mannach vernünftigen Kriterien vorgehen.
Man sollte immer die Folgen seines Tuns bedenken.Man muss weiter denken als von hier bis zum nächstenBirnbaum.
Wenn man sich den Haushaltsentwurf, den wir vorge-legt haben, anschaut, stellt man fest: Wir handeln ver-nünftig. Wir steuern die geringste Neuverschuldung seit40 Jahren an. Das zeigt: Die Große Koalition funktio-niert.
Das zeigt: CDU, CSU und SPD befinden sich auf einemguten Kurs. Das zentrale Versprechen des Koalitionsver-trages, solide Staatsfinanzen für eine starke Zukunft zuschaffen, ist erfüllt; wir arbeiten daran, dass das so wei-tergeht.
Im nächsten Jahr wollen wir eine schwarze Null ha-ben. Dass auch Rote für eine schwarze Null kämpfen, istnichts Ungewöhnliches. Wir Sozialdemokraten habenschon in der letzten Großen Koalition dafür gekämpft,dass im Grundgesetz eine Schuldenbremse verankertwird. Der eingeschlagene Weg wird jetzt fortgeführt.Wenn wir im nächsten Jahr bei einer schwarzen Null lan-den, dann steht das im Einklang mit der mittelfristigenFinanzplanung. Die Schuldenbremse wird also eingehal-ten.Das ist ein großes Versprechen. Es einzuhalten, ist fürdiese Große Koalition auch eine große Aufgabe. Siewird uns die nächsten Jahre beschäftigen. Der Finanz-minister, der sich hierhingestellt und gesagt hat, er stehezu dieser schwarzen Null und wolle durchziehen, wasdafür notwendig sei, hat in den nächsten Jahren einegroße Verantwortung; denn man muss dafür viele Bedin-gungen erfüllen. Jede Abweichung vom notwendigenKurs wird für uns alle schwierig und problematisch. Wirstehen also nicht nur zum Ziel einer schwarzen Null,sondern haben mit dem Koalitionsvertrag und diesemHaushalt sehr viel dafür getan, dass dieses Ziel erreich-bar ist.Das Ziel einer schwarzen Null hat viel mit Generatio-nengerechtigkeit zu tun. Wir sagen: Wir machen keineneuen Schulden mehr in diesem Land. Dazu stehen So-zialdemokraten und CDU/CSU.
Ich glaube, dass das etwas ist, was man gar nicht laut ge-nug sagen kann. Dieser Haushalt ist der erste Schritt auf
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Johannes Kahrs
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diesem Weg. Ab dem nächsten Jahr wird das so kom-men.Zur Kritik der Opposition. Die Opposition redet über200 Millionen Euro hier, 600 Millionen Euro da. Wir re-den dann über 0,6 Prozent von 300 Millionen Euro.
– Genau, 300 Milliarden. – Ehrlich gesagt: Herr Kindler,man kann sich über vieles streiten, den ganzen Tag, aberes sollte schon einen Hauch von Substanz haben. Dasswir in so einem Haushalt Spielräume haben, das ist gutso.
Wir hatten Pech. Wir hatten Glück. Das eine zu betonenund das andere nicht, das ist ein bisschen grenzwertig.Ich verstehe, dass Sie Ihre neun Minuten Redezeit ir-gendwie füllen müssen, aber im Kern sollte man dasschon ein bisschen substanzieller tun. Wir schätzen unssehr – Sie haben auch zum Teil zugestimmt –, aber dieseKritik war nicht in Ordnung.Ansonsten möchte ich noch eine Anmerkung machen.Von den Grünen ist kritisiert worden, wie man mit demStabilitätspakt umgeht. Ich glaube, besser als der Regie-rungssprecher gestern hätte man es gar nicht sagen kön-nen. Herr Seibert hat das sehr vernünftig ausgeführt.
Er hat gesagt, dass beim Stabilitäts- und Wachstumspaktbeide Worte gelten. Er hat gesagt, dass Fristverlängerun-gen möglich sind und dass es in der Vergangenheit auchschon dazu gekommen ist. Er hat gesagt: Negative wirt-schaftliche Entwicklungen können beim Defizitverfah-ren berücksichtigt werden. Er hat gesagt: Die Investi-tionsklausel trägt größeren Strukturreformen Rechnung.Er hat gesagt, dass die Bundesregierung zum europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspakt steht und aucheine flexible Anwendung für möglich hält. – An diesemPakt wird nichts geändert. Wir brauchen beide Teile. DerRegierungssprecher hat es gestern festgestellt. Ich gehedavon aus, dass zwischen Bundeskanzlerin, Vizekanzlerund Finanzminister kein Blatt Papier passt.Vielen Dank.
Nächster Redner ist Bundesminister Dr. WolfgangSchäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Große Koalition arbeitet geschlossen. Dashaben wir auch gerade in den Reden unserer beiden Be-richterstatter des Haushaltsausschusses überzeugend ge-hört.
Eine kleine Anmerkung muss ich machen, Herr KollegeKahrs – ich spreche in Übereinstimmung mit dem Vor-sitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion –: DenKollegen Barthle geben wir nicht her. Der bleibt schonbei uns.
Zunächst will ich mich nun bei den Kollegen imHaushaltsausschuss für die intensive Arbeit, für diegroße Unterstützung und die gute Zusammenarbeit be-danken. Der Erfolg dieser gemeinsamen Arbeit und derAnstrengungen kommt den Menschen in unserem Landezugute; denen dienen wir alle gemeinsam.
Es gibt den Widerspruch zwischen Wirtschaftswachs-tum und Haushaltskonsolidierung nicht. Dieser Wider-spruch ist einer der verbreiteten Irrtümer, die wir seitJahren konsequent widerlegen. Wir sind in Europa nichtnur Stabilitätsanker, sondern auch Wachstumslokomo-tive, und zwar mit einer Politik, mit der wir durch einekonsequente, stetige Rückführung der als Folge der Fi-nanzkrise zu hoch gewordenen Verschuldung dafür sor-gen, dass Vertrauen in unserem Lande wächst und des-wegen der private Konsum und auch die Investitionenhoch sind. Entscheidend sind dabei nicht die öffentli-chen, sondern die privaten Investitionen. Dafür mussman durch eine langfristige, stetige Finanz- und Haus-haltspolitik die richtigen Rahmenbedingungen setzen.Abbau der Verschuldung und keine Diskussion überSteuererhöhungen, das sind die wichtigen Parameter.Deswegen haben wir eine wirtschaftliche Lage, diebesser ist, als sie leider in vielen anderen europäischenLändern derzeit ist. Das Institut für Weltwirtschaft hat indiesen Tagen prognostiziert, in diesem Jahr würden wirein reales Wachstum von bis zu 2 Prozent und im kom-menden Jahr von 2,5 Prozent haben. Die Lage hat sichgegenüber den amtlichen Schätzungen ein wenig verbes-sert. Daher haben wir im Vergleich zu den Steuerschät-zungen auch einen gewissen Spielraum, um auf Ent-wicklungen, die uns durch vorläufige Entscheidungenvon Finanzgerichten ereilt und zu Abweichungen vonder Steuerschätzung geführt haben, reagieren zu können.2,0 Prozent Wachstum in diesem Jahr und 2,5 ProzentWachstum im kommenden Jahr, das ist eine ordentliche,am oberen Rand unseres Potenzialwachstums liegendewirtschaftliche Entwicklung. Das zeigt, dass wir wirt-schaftlich auf einem erfolgreichen Kurs sind. Im Übri-
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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gen haben wir auch eine gute Lage am Arbeitsmarkt,was überhaupt nicht heißt, dass wir uns nicht weiter be-mühen müssen, vorhandene und neu auftauchende Pro-bleme schrittweise zu lösen. Aber mit diesem Haushalthaben wir Handlungsfähigkeit erzielt.Ich will eine Bemerkung hinzufügen: Von unsererwirtschaftlichen Lage profitieren nicht zuletzt unserePartner in Europa.
Nach Untersuchungen von wirtschaftswissenschaftli-chen Instituten haben wir eine Exportelastizität von 0,9.Das heißt, wenn unser Export 10 Milliarden Euro höherist, dann bewirkt das Vorlieferungen in Höhe von 9 Mil-liarden Euro durch unsere Partner in Europa nachDeutschland. Die anderen Länder profitieren von unse-rer wirtschaftlichen Stärke. Deswegen wäre es im Inte-resse europäischer Solidarität das Dümmste, was wirmachen könnten, wenn wir Deutschland schwächenwürden.
Um insgesamt stärker zu werden, müssen auch wir Deut-sche unserer Verantwortung ein Stück weit gerecht wer-den.Herr Kollege Bartsch, mit allem Respekt, es gehtschief, wenn Sie uns in einer Rede in zwei Sätzen hinter-einander vorwerfen, wir würden viel zu viel sparen undviel zu viele Schulden machen. Das muss schiefgehen.Sie können nicht gleichzeitig rechts und links überholen,wenn Sie einen Crash vermeiden wollen. Ich würde Ih-nen raten: Überlegen Sie das nächste Mal, welche TricksSie machen. Sie können nicht ausführen, wir würden dieVerschuldung unsinnig zurückführen, und gleichzeitigsagen, wir hätten die höchsten Schulden aller Zeiten. Esist schade um den Versuch, eine seriöse Debatte zu füh-ren.Wir haben uns konsequent dafür entschieden – dasentspricht übrigens europäischem Regelwerk; auch da-ran muss man erinnern –, dass wir die zu hohe Verschul-dung schrittweise zurückführen, damit wir in einemZeitraum von zehn Jahren – das werden wir wohl schaf-fen – auf eine gesamtstaatliche Verschuldung von60 Prozent im Verhältnis zu unserer wirtschaftlichenLeistungskraft zurückkommen. Davon sind wir nochweit entfernt. Aber wir können in dieser Legislaturpe-riode – wir sind auf einem guten Weg – die Verschul-dung in der mittelfristigen Finanzplanung auf unter70 Prozent senken. Das ist die entscheidende Vorausset-zung. Dazu leistet dieser Haushalt einen wichtigen Bei-trag, und zwar in diesem Jahr ohne strukturelle Neuver-schuldung, mit einer Neuverschuldung von letztmalig6,5 Milliarden Euro. Ich hoffe, dass wir es schaffen.Wenn uns nichts Unvorhersehbares dazwischenkommt,schaffen wir es auch, dass wir ab dem kommenden Jahrohne Neuverschuldung auskommen. Das ist notwendig,weil wir damit die Wachstumskräfte stärken.Wir erfüllen das, was wir im Koalitionsvertrag ver-sprochen haben: Im Rahmen des Haushalts stärken wirdie öffentlichen Investitionen. Wir unterstützen die Län-der und Gemeinden im Bereich von Bildung und For-schung zulasten des Bundeshaushaltes, damit sie ihreHandlungsfähigkeit in der Bildungs- und Forschungs-politik – vor allen Dingen geht es aber auch um eineStärkung der kommunalen Investitionen – verbessernkönnen. Wir bleiben dabei, dass wir die Forschungsaus-gaben – im internationalen Vergleich stehen wir mit ander Spitze – auf 3 Prozent unserer gesamtwirtschaftli-chen Leistung festschreiben. Das haben wir im Koali-tionsvertrag festgelegt. Das setzen wir mit diesem Haus-halt und im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanungum.Meine Damen und Herren, angesichts der Debatteüber Investitionen will ich noch einmal sagen: Das Al-lerwichtigste bei diesem wahnsinnig schnellen Wandelin der technologischen Entwicklung, in dieser globali-sierten, weltweit vernetzten Wirtschaft ist, dass wir inForschung und Entwicklung an der Spitze bleiben. Des-wegen ist die Aufrechterhaltung einer hohen For-schungs- und Entwicklungstätigkeit in Deutschland einSchlüssel für nachhaltiges Wachstum und damit für un-sere Fähigkeit, angesichts unserer demografischen Ent-wicklung auch in Zukunft soziale Sicherheit und sozialeGerechtigkeit gewährleisten zu können. Genau darumgeht es in unserer Finanzpolitik.
Der Haushalt und diese Finanzpolitik schaffen auchSpielraum für private Investitionen. – Übrigens, HerrBartsch, dass wir den Bundeshaushalt so spät verab-schieden, hat damit zu tun, dass wir im letzten Jahr ge-wählt haben.
Das ist gar nicht anders möglich. Die Diskontinuität ei-ner Legislaturperiode bedeutet, dass man den Haushalterst einmal neu einbringen muss. Das Parlament brauchtdann ein paar Wochen Zeit, um intensiv zu beraten. Esist mit Hochdruck gearbeitet worden. Deswegen weißich nicht, was Sie daran kritisieren, es sei denn, Sie ha-ben etwas gegen Wahlen. Das war ja früher einmal um-stritten. Das sollten wir aber nicht wieder tun, um esganz ruhig zu sagen.
Es tut mir furchtbar leid, aber es war ein so alberner Vor-wurf, dass man ihn doch einmal zurückweisen muss.Wir gehen diesen Weg jedenfalls konsequent weiter.Es ist entscheidend, dass wir diese Linie auch so verfol-gen, wie wir es gesagt haben.Ich will den Bemerkungen Folgendes hinzufügen: In-dem wir Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer finanz-politischen Handlungsfähigkeit schaffen und zugleichdas Vertrauen darin schaffen, dass wir in den kommen-den Jahren nicht die Steuern erhöhen, sorgen wir für bes-
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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sere Rahmenbedingungen im Hinblick auf eine Verstär-kung der privaten Investitionstätigkeit. Genau daraufwerden wir uns konzentrieren müssen.Wir müssen weiter daran arbeiten, im Bereich derMittelstandsfinanzierung die Rahmenbedingungen zuverbessern. Wir müssen vor allen Dingen daran arbeiten– ich will nicht alles wiederholen –, dass wir die Rah-menbedingungen für Existenzgründungen in unseremLande verbessern. Wir müssen angesichts der Gewohn-heit, viel weniger über den Kapitalmarkt zu finanzierenals in angelsächsischen Ländern, zumindest für die Start-up-Unternehmen eine bessere Wagniskapitalkulturschaffen.
Wir werden in unserer Politik die entsprechenden An-reize dafür schaffen, auch in steuerlicher Hinsicht. Denngenau darin liegt der Schlüssel für eine Verstärkung derInvestitionstätigkeit in unserem Land.
Das muss im Übrigen auch der Weg für Europa sein.Wir brauchen in Europa genau denselben Weg: Zurück-gewinnung von Vertrauen durch Festhalten am Stabili-täts- und Wachstumspakt und Stärkung der Investitionendurch eine effizientere Mittelverwendung in der Europäi-schen Union. Zu Beginn einer neuen Legislaturperiode imEuropäischen Parlament und in der Europäischen Kom-mission besteht eine Menge Handlungsbedarf. Daraufsollte man sich konzentrieren, anstatt eine Diskussion zuführen, bei der der Verdacht entsteht, man würde die al-ten Fehler wiederholen. Wir haben einen schweren Feh-ler gemacht, indem wir uns nicht an die Regeln gehaltenhaben. Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen. Wirsehen, dass der andere Weg der richtige ist. Diesen müs-sen wir konsequent weitergehen.Im Übrigen möchte ich bei dieser Gelegenheit Fol-gendes sagen: Man hat unsere europäische Währung inden letzten Jahren totgesagt. Ich finde es doch ganz be-merkenswert, dass es uns entgegen vielerlei Skepsis mitder richtigen Politik – sie besteht darin, Solidarität den-jenigen gegenüber zu zeigen, die Solidarität brauchen,aber Hilfe immer in Form von Hilfe zur Selbsthilfe zuleisten; das bedeutet auch Konditionalität – gelungen ist,den Euro zu stabilisieren und ihn damit aus der Vertrau-enskrise auf den Finanzmärkten herauszuführen. DieFolge ist, dass wir heute wieder über eine der angese-hensten Reservewährungen verfügen.Ein Bericht der OECD beschäftigt sich mit den Län-dern, die Strukturreformen durchführen. Es ist schon be-merkenswert, dass die Länder in Europa, die einem Sta-bilitätsprogramm unterlagen oder noch unterliegen, inder Durchführung von Strukturreformen am erfolg-reichsten waren. Die wirtschaftlichen Erfolge sind in Ir-land, in Spanien, in Portugal, in Zypern und in Griechen-land bei allen Schwierigkeiten nicht zu übersehen.Deswegen ist dieser Weg – solide Finanzen und Struk-turreformen – der richtige, um die Länder aus denSchwierigkeiten herauszuholen.
Dass sich der Euro einer großen Anziehungskrafterfreut, zeigt die Tatsache, dass wir heute im Rahmendieser Haushaltswoche zugleich über den Antrag der Re-publik Litauen, der dritten Stufe der Europäischen Wäh-rungsunion beizutreten und den Euro als Umlaufwäh-rung einzuführen, beraten. Ich bitte sehr darum, dass wirdiesem Antrag zustimmen.
Litauen hat große, erfolgreiche Anstrengungen unter-nommen, seine Wirtschaft zu reformieren. Wenn ichmanche Klagen in Europa höre oder lese und dannschaue, welche Anstrengungen unsere baltischen Partnerin Europa erfolgreich unternommen haben, dann mussich sagen: Man kann ein ganzes Stück daraus lernen. –Insofern ist der Antrag Litauens und die Empfehlung derEuropäischen Kommission, dass Litauen zum 1. Januar2015 der Währungsunion beitreten soll, wiederum einBeweis dafür, dass dieser Weg der richtige ist. Wir gratu-lieren Litauen zu den erreichten Erfolgen und freuen unsauf ein weiteres Mitglied in unserer gemeinsamen euro-päischen Währung.
Wir sind mit dem Haushalt 2014 auf einem gutenWeg. Die Finanzpolitik kann nicht alles – die Politikkann sowieso nicht alles –, aber sie kann die Weichen imHinblick auf die wirtschaftliche Leistungs- und Wettbe-werbsfähigkeit so stellen, dass die Menschen Arbeit undBeschäftigung haben und die soziale Sicherheit in die-sem Lande besser gewährleistet ist als in den meisten an-deren Ländern dieser Welt. Das ist die Aufgabe unsererFinanzpolitik. Deswegen wünsche ich mir für die Haus-haltsberatungen in dieser Woche, dass wir uns in genaudiesem Geist um die bestmöglichen Lösungen bemühen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich,
die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Schäuble, Sie haben sich an mehreren Stellen mitder sehr guten Rede von Herrn Bartsch auseinanderge-setzt. Das zeigt, dass unsere Kritik angekommen ist.Aber Sie haben dann versucht, einen Widerspruch aufzu-machen. Wir wollen daher nochmals versuchen, es Ihnenzu erklären: Sie sparen auf Kosten der zukünftigen Ge-nerationen, Sie sparen auf Kosten der Sozialversicherun-gen, Sie sparen auf Kosten der Kommunen, und trotz-dem sind Sie der Schuldenfinanzminister Deutschlands.Das ist der Widerspruch, den Sie nicht erkennen können.Die Lösung liegt darin, mehr Steuergerechtigkeit zu
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Alexander Ulrich
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schaffen. Wir müssen das Geld dort abholen, wo es vor-handen ist.
So könnte man in die Zukunft investieren und einen soli-den Haushalt aufstellen.Herr Kahrs, Sie prahlen hier damit, dass kein Blatt Pa-pier mehr zwischen CDU/CSU und SPD passt. Ich möchteeinmal daran erinnern: Es war der SPD-KanzlerkandidatSteinbrück – manche erinnern sich noch an ihn –, der imWahlkampf gesagt hat: Mehr soziale Gerechtigkeit indiesem Land wird es nur mit mehr Steuergerechtigkeitgeben. – Dieser Haushalt leistet keinen Beitrag zu mehrSteuergerechtigkeit. Infolgedessen, Herr Steinbrück, istdieser Haushalt unsozial; aber die SPD sagt, es passekein Blatt Papier zwischen sie und die CDU/CSU. AuchSie von der SPD stehen für einen unsozialen Haushalt2014.
Herr Schäuble, Sie haben den Beitritt Litauens zurEuro-Zone angesprochen; auch ich will über diesesThema reden. Mit Litauen soll nun ein neues Mitglied indie Euro-Zone aufgenommen werden, obwohl die Pro-bleme noch lange nicht gelöst sind. Eine Vergrößerungder Euro-Zone löst ihre strukturellen Probleme nicht. Inden letzten Jahren ist ganz deutlich geworden, dass dieEuropäische Währungsunion eine Fehlkonstruktion ist.Von der Einführung des Euros bis zum Ausbruch der ers-ten großen Krise hat es keine zehn Jahre gedauert. DieseKrise hält nun schon seit sechs Jahren an, und ein Endeist nicht in Sicht.Wenn wir einen krisenresistenten Euro wollen, dannmüssen wir seine Konstruktionsfehler beheben. Das be-deutet zum Beispiel: ein Ende des Steuerdumpings, mas-sive öffentliche Investitionen und eine strenge Regulie-rung der Finanzmärkte. Deutschland muss endlich seineriesigen Außenhandelsüberschüsse abbauen: durch hö-here Löhne, Renten und Sozialleistungen. Solange diesegrundlegenden Korrekturen nicht vorgenommen wor-den sind, ist es unverantwortlich, die Euro-Zone zu ver-größern.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Litauendie Maastricht-Kriterien einhält und damit die Beitritts-voraussetzungen formal erfüllt. Auch das wissen wirspätestens seit der Krise: Diese Kriterien sind keine ver-nünftige Grundlage für eine Beitrittsentscheidung. Ge-rade jene Faktoren, die bei der Krisenentstehung ganzentscheidend waren – Lohnniveau, Produktivität, Größedes Finanzsektors, private Verschuldung –, werden über-haupt nicht berücksichtigt.Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Wir stimmenauch deshalb nicht zu, weil es sich offensichtlich umeine Entscheidung gegen die litauische Bevölkerunghandelt. Laut Eurobarometer sind 56 Prozent gegen denEuro-Beitritt. Die Regierung Litauens verweigert einReferendum. Wir sind der Meinung, dass ein solch wich-tiger, zukunftsweisender Schritt auf keinen Fall gegenden Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden darf.Das ist ein Grund, warum wir heute nicht zustimmenwerden.Vielen Dank.
Für die Sozialdemokraten erteile ich dem Kollegen
Dr. Hans-Ulrich Krüger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der in dieser Woche zur Verabschiedung vor-liegende Haushalt des Jahres 2014 ist Zeugnis der Leis-tungsfähigkeit, der Gestaltungsmöglichkeiten, aber auchdes Gestaltungswillens der Großen Koalition. Wir sindauf dem Weg – es klang schon mehrfach an –, im nächs-ten Haushaltsjahr ohne neue Verschuldung auszukom-men. Insgesamt betragen die Ausgaben 296,5 MilliardenEuro, die Nettokreditaufnahme beträgt 6,5 MilliardenEuro. Das ist die niedrigste Neuverschuldung seit 40 Jah-ren; da waren einige von uns – ich gehöre bedauerlicher-weise nicht dazu – noch gar nicht geboren. Natürlich istes auch das Ergebnis des aktuellen entschlossenen Han-delns. Es ist aber auch das Ergebnis mutiger Reformenin der Vergangenheit unter Gerhard Schröder – darandarf man am heutigen Tag erinnern –, die dazu geführthaben, dass wir andere Akzente gesetzt haben als unsereNachbarländer. Die Früchte unserer Bemühungen dürfenwir heute ernten.
Wir gestalten also auf der einen Seite einen strukturellausgeglichenen Haushalt, auf der anderen Seite habenwir in den Koalitionsverhandlungen ein gutes, sozial ge-rechtes und vor allen Dingen auch finanzierbares Inves-titionsprogramm kreiert.Der Einzelplan 08, also der Finanzhaushalt, ist imGroßen und Ganzen ein reiner Verwaltungshaushalt. Erist unstreitig in die Haushaltsplanberatungen hinein- undnahezu unstreitig wieder herausgekommen, und das istauch gut so. Er weist ein Ausgabensoll von knapp5,2 Milliarden Euro aus. Das ist im Wesentlichen unver-ändert geblieben. Das Soll stieg gegenüber 2013 um170 Millionen Euro. Der Löwenanteil, wie bei derarti-gen Haushalten üblich, entfiel durch Aufstockungen undGehaltssteigerungen auf den Bereich Personal.In diesem Fall gibt es eine Besonderheit, die wir alsParlament nicht vergessen sollten. Zum 1. Juli 2014übernimmt der Bund den Einzug der Kfz-Steuer. Bereitsseit dem Jahre 2009 bekommen wir die Erträge aus die-ser Steuer aufgrund einer diesbezüglichen Vereinbarungüberwiesen, müssen den Ländern aber, die seitdem imWege der Organleihe für uns tätig sind, 170 MillionenEuro pro Jahr zahlen. Vor diesem Hintergrund erscheintdie Aufstockung des Personaletats in einem anderenLicht, wenn man bedenkt, dass diese 170 Millionen EuroVerwaltungsaufkommen nunmehr wegfallen werden.
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Dr. Hans-Ulrich Krüger
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Diese große Aufgabe ist – mein Dank gebührt insbe-sondere den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen desFinanzministers – bravourös gemeistert worden,
indem qualifiziertes Personal aus Überhängen andererRessorts, zum Beispiel des Verteidigungsressorts, aberauch der Deutschen Bahn AG oder der Nachfolgeunter-nehmen der Post, zum Beispiel Vivento, übernommenwurde. Insgesamt wurden wir mit qualifizierten Damenund Herren versorgt, die bei uns, entsprechende Leis-tungsbereitschaft und -qualität vorausgesetzt, nunmehreinen sicheren Arbeitsplatz finden. Es ist gut, dass dieseAufgabe relativ reibungslos vollzogen wurde.In der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses ist esim Rahmen der berühmten Bereinigung zu weiterenwichtigen Verbesserungen gekommen, die ich an dieserStelle kurz Revue passieren lassen möchte.
Insbesondere ist für mich die Erhöhung der Städte-bauförderungsmittel von 455 Millionen Euro auf700 Millionen Euro von Bedeutung. Das Programm „So-ziale Stadt“ erhält 150 Millionen Euro. Darauf könnenwir aufbauen und sagen: Daraus entwickeln wir ein Leit-programm der Städtebauförderung zugunsten von Stadt-teilsanierungen in Kommunen, die es dringend nötig ha-ben.
Parallel dazu haben wir – hier werden wir uns in denkommenden Jahren verstärkt anstrengen müssen – In-vestitionszuschüsse für die Neuauflage des Programms„Altersgerechter Wohnraum“ beschlossen. Denn – unddas ist völlig klar – wir werden nicht nur alle älter, wirwollen auch während des Älterwerdens vermehrt in un-serem angestammten sozialen Umfeld bleiben, aber nur1 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in der Bun-desrepublik Deutschland ist altersgerecht. Von daher be-nötigen wir bis 2020 2,5 Millionen zusätzliche Wohnun-gen, welche mindestens das Kriterium „barrierearm“erfüllen. Dieser Herausforderung müssen wir uns nichtirgendwann stellen, sondern wir müssen uns ihr jetztstellen. Mit dem vorliegenden Haushalt schaffen wir ei-nen vernünftigen Einstieg. Nun gilt es, diesen Bereichnoch mehr in unseren Fokus zu rücken und weiter auszu-bauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle ha-ben dafür gekämpft, dass die Mittel für Integrationskursenicht weiter gekürzt werden.
40 Millionen Euro sind hierfür veranschlagt. Diese40 Millionen Euro gerettet zu haben, das ist eine Leis-tung. Jeder, der in seinem Wahlkreis Träger der Erwach-senenbildung hat, weiß, wie sehr sich diese um Migran-tinnen und Migranten kümmern, die ihrerseits ihrenPlatz in unserer, hoffentlich dann in unserer gemeinsa-men Gesellschaft finden wollen. Er weiß vor diesemHintergrund, wie wichtig jeder einzelne Euro ist, der indiesem Bereich ausgegeben wird. Das ist gut so, undzwar sowohl aus moralisch-ethischen als auch aus volks-wirtschaftlichen Gründen.
Erwähnen möchte ich auch noch zwei Einzelpositio-nen:Durch die Erhöhung des Zuschusses für die Bundes-zentrale für politische Bildung haben wir die Mög-lichkeit, einen Akzent zu setzen; denn im Rahmen derpolitischen Aufklärung wird für alle Menschen inDeutschland Gutes getan.Durch die Erhöhung der Mittel für das THW unter-mauern wir nun das, was wir in Sonntagsreden allzu oftbetont, aber allzu selten untermauert haben. Wir sorgendafür, dass die Menschen, die sich einem bestimmtenLeitgedanken verpflichtet fühlen, die sich für das Ge-meinwohl einsetzen, die in ihrer Freizeit aus Solidaritätihre Knochen hinhalten, um bei Katastropheneinsätzenetc. zu helfen, eine vernünftige Ausbildung und eine ver-nünftige Ausrüstung erhalten. Das ist das, was wir unterRespekt vor dem Ehrenamt, unter Respekt vor solidari-scher Leistung verstehen.
Parallel dazu haben wir in den letzten Wochen dieprioritären Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag um-gesetzt: Die Anerkennung von Lebensleistung von Men-schen im Rahmen unseres Rentenpakets, die Anerken-nung von Kindererziehungszeiten, die Erhöhung derErwerbsminderungsrente – das sind Dinge, die wir imRahmen der Großen Koalition beschlossen und in dieTat umgesetzt haben. Wir haben auch den Haushaltsan-satz des Bundesministeriums für Bildung und Forschungauf rund 14 Milliarden Euro erhöht; auch diesen Be-schluss haben wir umgesetzt.In den nächsten Wochen wird es darum gehen – dasist ein wesentlicher Baustein dieses Themenpakets –, dieEinführung des Mindestlohns zu beschließen, damit je-der, der vollschichtig arbeitet, in bescheidenem Rahmenvon seinem Lohn leben kann und nicht staatlicher Hilfeanheimfällt. Dieser Satz soll und muss gelten. Es darfkein Erfolgsmodell sein, dass Unternehmen ihren Mitar-beitern sagen: Ich zahle dir wenig, hol dir doch den Restvom Sozialamt. Mit dieser unwürdigen Situation mussendlich Schluss gemacht werden. Von daher möchte ichan dieser Stelle mit Blick auf die anstehenden Debattenan die Zweifler appellieren, an diejenigen, die Bedenkenhaben bzw. säen. Ich bitte Sie, Ihre Bedenken zugunsteneiner vernünftigen Lösung zu überwinden und einengrundsätzlichen Mindestlohn ab dem 1. Januar 2015 ein-zuführen. Die Gewährung dieses Mindestlohns – dassage ich als Berichterstatter für den Einzelplan 08 –muss dann aber auch kontrolliert werden. Von daherkündige ich bereits jetzt an, dass wir uns in den Haus-haltsberatungen der nächsten Jahre darüber zu unterhal-
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Dr. Hans-Ulrich Krüger
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ten haben – je nach Ausgestaltung der Kriterien für dieKontrolle –, wie viele Damen und Herren zur Ausgestal-tung eines effizienten Kontrollsystems eingesetzt bzw.übergeleitet werden können und sollen.
Das ist aber kein Thema für heute, sondern für den schonmehrfach beschworenen September.Jetzt möchte ich mich bei meinen Kolleginnen undKollegen bedanken. Als Neuling im Haushaltsausschusshabe ich festgestellt, dass das Klima von gegenseitigemVertrauen, gegenseitigem Respekt und gegenseitiger An-erkennung getragen ist. Das ist gut so und das sollte,denke ich, auch in den nächsten Jahren so bleiben.Ich danke Ihnen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mirzeigt die heutige Debatte eines: Was die Zukunftsgestal-tung des Haushalts angeht, kann die Große Koalition lei-der nur das ganz kleine Karo.
Der Kollege Krüger müsste sich hier nicht – Zitat – aufdie letzten mutigen Reformen von Schröder in der rot-grünen Zeit berufen. Sie sind Teil der Großen Koalition,Sie sind in Verantwortung und könnten gestalten. Statt-dessen verwalten Sie nur den Status quo.
Schlimmer noch: Sie haben noch nicht einmal den An-spruch, für die Zukunft zu gestalten.Dabei könnten die Rahmenbedingungen gar nichtbesser sein als jetzt: eine brummende Konjunktur, nochsind die sozialen Sicherungssysteme stabil, gute Steuer-einnahmen und historisch niedrige Zinsen. Das sind dieBedingungen, die eigentlich dazu prädestinieren, dieDinge in die Hand zu nehmen und Reformen durchzu-führen. Vor allem verpflichten sie, heute schon an mor-gen, an den demografischen Wandel und die Entwick-lung dieses Landes zu denken. Stattdessen rechnen Siesich in Nacht-und-Nebel-Aktionen im Haushaltsaus-schuss so lange alles so zurecht, bis es irgendwie passt,damit Sie keine strukturellen Veränderungen herbeifüh-ren müssen.In einem irren Sie sich aber. Sie glauben, das alles seiauf immer und ewig festgeschrieben. Ist es aber nicht!Das alles ist sehr fragil. Sie bauen den Haushalt undauch Ihre Konsolidierung auf Sand. Sie brauchen diestrukturellen Reformen. Sie müssen – wir Grünen ma-chen Ihnen dafür Vorschläge – eine ehrliche Ausgaben-kritik durchführen. Wir brauchen den systematischenSubventionsabbau, und wir brauchen auch die Investitio-nen in Infrastruktur. Leider gehen Sie all diese Sachennicht an, weil Sie hier nicht zuletzt die Debatte in Ihreneigenen Reihen fürchten. Da müssen Sie ehrlich zu sichselbst sein.
Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Schauen Siesich den Bereich Bildung an. Sie haben groß herumge-tönt – 6 plus 3 Milliarden Euro –, wie viel Geld in die-sem Bereich investiert wird.
Es gibt keine Rede, in der nicht erwähnt wird, wie wich-tig diese Investitionen sind.
Aber was machen Sie? Sie verschieben es, Sie verschlei-ern, Sie reden sich das gegenseitig irgendwie glatt, undes passiert erst einmal nichts.
Jenseits dessen, dass wir noch einmal darüber redenmüssen, ob das Geld überhaupt ausreichen wird, passiertnichts, vor allem nichts Verbindliches.
Herr Schäuble, Sie reden davon, wie wichtig dieFuE-Mittel, also die Mittel für Forschung und Entwick-lung, in diesem Lande sind. Wir stimmen Ihnen da abso-lut zu. Da sind wir komplett bei Ihnen. Die Zukunft derWissenschaftspakte in diesem Lande aber ist komplettoffen. Die Universitäten warten insbesondere im Hin-blick auf Planbarkeit geradezu darauf, dass sie irgend-welche Antworten bzw. Zusagen von Ihnen bekommen.Eine Antwort darauf von Ihnen gibt es jedoch nochnicht. Allein das zu beschwören, bringt dieses Landnicht weiter.Zur BAföG-Reform: Viele reden nicht darüber. Jetztzieht die zweite Generation von Studierenden an unsvorbei, die immer noch darauf wartet, dass es irgendwel-che Reformen und Strukturveränderungen in diesem Be-reich gibt. Von Ihnen kommt da – außer Verschiebebahn-höfen – nichts.
Schlimmer noch! Der demografische Wandel ist fürdieses Land wahrscheinlich die größte Herausforderungüberhaupt. Auch darin haben Sie recht, auch darin stim-men wir zu. Was aber ist Ihre Antwort darauf? Sie grei-fen in die Sozialkassen und konsolidieren Ihren Haushaltauf Kosten der Beitragsmittel bzw. durch die Leistungender Beitragszahler. Der Gesundheitsfonds und die Ren-tenkasse werden komplett leergemacht. Die Bundes-agentur für Arbeit liegt schon an der kurzen Leine. Siekönnte inzwischen noch nicht einmal bei der kleinstenKrise reagieren, um den Arbeitsmarkt wieder zu stabili-sieren. Sie machen das ohne Rücksicht auf alle Erkennt-nisse, die wir über den demografischen Wandel und dieKosten haben, die noch auf uns zukommen werden.
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3586 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Ekin Deligöz
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Eine nachhaltige Politik der Verantwortung, liebeKolleginnen und Kollegen, schaut anders aus. Mit die-sem Haushalt können Sie das noch nicht darlegen. Aberder nächste Haushalt kommt bestimmt, und mir fehlt dasVertrauen in die Große Koalition, dass Sie das irgendwiehinkriegen.
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Brinkhaus,
CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wiram 8. April den Haushalt einbrachten, haben wir gesagt,dass wir die 6,5 Milliarden Euro Nettoneuverschuldunghalten werden. Wir haben sie gehalten, obwohl wir un-terwegs noch einen ziemlich großen Rucksack – mit derRückzahlung der Brennelementesteuer und einigen an-deren Sachen – aufgesattelt bekommen haben.Wir hätten es uns auch einfach machen und sagenkönnen:
Die strukturelle Verschuldung können wir noch ein biss-chen höher ansetzen. Dann erreichen wir immer noch ei-nen strukturell ausgeglichenen Haushalt. – Wir haben esuns aber ganz bewusst nicht einfach gemacht und gesagt,dass wir diese 6,5 Milliarden Euro halten. Diese 6,5 Mil-liarden Euro sind nämlich ein Zeichen dafür, dass wirnächstes Jahr die schwarze Null erreichen wollen. Ichglaube, wir hätten viel Vertrauen verloren, wenn wirnicht schon jetzt beim ersten Anlauf den wichtigen Zwi-schenschritt gemacht und gesagt hätten: Wir satteln nichtnoch etwas drauf.Ich glaube auch, meine Damen und Herren, dass die-ser Haushalt 2014 mit den 6,5 Milliarden Euro ein ziem-lich wichtiger Zwischenschritt ist hin zu unserem großenZiel der schwarzen Null. Um in der Fußballersprache zubleiben: Das Halbfinale haben wir, glaube ich, gewon-nen. Jetzt müssen wir 2015 noch das Finale gewinnen.Das ist etwas, über das wir uns so richtig freuen können.
Ich kann ja verstehen, dass diese Freude von der Opposi-tion nicht geteilt wird. Ich kann auch verstehen, dass Sie,wenn der Haushalt Freitag verabschiedet worden ist, kei-nen Autokorso über den Ku’damm machen, weil Siesich so freuen.
Aber die Kritik, die Sie an diesem Haushalt geäußerthaben, Herr Bartsch, erinnerte ein bisschen an die70er-Jahre. Herr Kindler, auch Ihre Kritik war ziemlichbemüht. Das, was Sie gesagt haben, war weder substan-ziell noch sonderlich überzeugend. Im Prinzip müssenSie eines anerkennen: Es läuft ziemlich gut. Es läuftziemlich gut,
weil die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land vieleSteuern zahlen. Das heißt, sie arbeiten fleißig, sie habenJobs. Die Wirtschaft brummt. Auch das ist nicht selbst-verständlich, sondern das Ergebnis der guten Politik ver-schiedener Regierungen.Ich möchte – bei allem Respekt vor unserem jetzigenKoalitionspartner – an dieser Stelle eines ganz ausdrück-lich sagen: Das ist auch das Ergebnis der christlich-libe-ralen Koalition. Ein Teil des Ruhms gehört auch derFDP, bei der ich mich ausdrücklich dafür bedankenmöchte,
dass sie in der letzten Legislaturperiode an dieser Stelleso gut und so effizient vorgearbeitet hat, sodass das hierheute überhaupt möglich ist.
Ich möchte mich auch gerne bei den Haushältern be-danken. Sie haben einen harten Job. Wir haben vieleneue Abgeordnete in der Arbeitsgruppe Haushalt, diesich in dieses Thema eingearbeitet haben. Ich schaue diebeiden haushaltspolitischen Sprecher an. Sie haben IhreArbeit richtig gut gemacht. Sie haben das richtig klassegemacht. Das lässt darauf hoffen, dass es auch in Zu-kunft mit diesen Haushältern klasse laufen wird.
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Sozialde-mokraten bedanken. Denn das Projekt eines ausgegli-chenen Haushalts ohne neue oder höhere Steuern gehört– einmal abgesehen vom Kollegen Kahrs – nicht zu denLieblingsprojekten der Sozialdemokratie.
Genauso gibt es auch einige Projekte in der Großen Ko-alition – ich blicke zur Arbeitsministerin –, die nicht zuunseren Lieblingsprojekten gehören. Aber eine GroßeKoalition muss immer ausbalanciert sein. Das hat mitGeben und Nehmen zu tun. Das hat an dieser Stelle sehrgut geklappt, und zwar auch deswegen, weil der Bundes-finanzminister und unsere Haushaltspolitiker an der ei-nen oder anderen Stelle in Bezug auf die Wünsche, diedie SPD gehabt hat, sehr flexibel gewesen sind. Ich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3587
Ralph Brinkhaus
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würde mir wünschen, Frau Nahles, dass Sie bei den an-stehenden Beratungen zum Mindestlohn auch diese Fle-xibilität an den Tag legen und uns einmal an der einenoder anderen Stelle entgegenkommen.
Wir reden heute neben dem Haushalt über noch einweiteres ganz wichtiges Thema. Ich schaue in RichtungTribüne. Wir reden heute über Litauen. Wir alle freuenuns darüber, dass Litauen der Euro-Zone beitreten wird.Das ist schon mehrfach gesagt worden. Das ist wirt-schaftlich in Ordnung. Die Kriterien sind abgeprüft wor-den. Ich denke, auch von der Art und Weise, wie LitauenSachverhalte angeht, wie Litauen die Reformen voran-getrieben hat, ist es eine Verstärkung im Euro-Raum.Darüber freuen wir uns. Im Übrigen ist es gerade in denheutigen Zeiten auch ein wichtiges politische Signal, diebaltischen Staaten enger an die Europäische Union zubinden, als es in der Vergangenheit der Fall war.Aber Litauen ist in die Euro-Zone eingetreten unterder Prämisse, dass es einen Stabilitäts- und Wachstums-pakt gibt, der eingehalten wird. Auch wenn es vielleichtanders gemeint war, die Signale, die die europäischenSozialistenführer in der letzten Woche abgegeben haben,waren nicht gut. Wenn Sie darüber reden, dass in einemStabilitäts- und Wachstumspakt, der ohnehin schon sehrflexibel ist, eine Flexibilisierung vonnöten ist, dann istdas das falsche Signal. Ich würde sogar sagen: Es ist einschlimmes Signal. Denn dadurch geht Vertrauen verlo-ren. In der Finanzkrise war Vertrauen verloren gegangen.Dieses Vertrauen haben wir uns mühsam wieder erarbei-tet, indem wir uns an die Regeln, die wir uns selbst ge-setzt haben, gehalten haben. Das war neu und anders.Wenn dieses Vertrauen jetzt erschüttert wird, ist dasnicht gut.Es lenkt darüber hinaus von einer Sache ab, nämlichdavon, dass das Wichtigste für die europäische Konsoli-dierung Strukturreformen sind. Wir werden als Koalitionweiterhin auf diese Strukturreformen achten müssen,auch wenn der eine oder andere meint, dass das in derheutigen Zeit nicht mehr notwendig ist. Diese sind derSchlüssel zum Erfolg. Die andere Seite von Strukturre-formen – der Bundesfinanzminister hat es ausgeführt –sind konsolidierte Haushalte. Das eine wird ohne das an-dere nicht funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dassdie Bundesregierung hier in Deutschland diese Linie so,wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist, mit allen Mi-nistern geschlossen vertritt und überhaupt keine Zweifeldaran lässt, dass das von uns auch in der Zukunft durch-gezogen wird.Meine Damen und Herren, wenn wir uns dem Haus-halt zuwenden, dann stellen wir erstens fest, dass guteHaushaltspolitik immer auch etwas damit zu tun hat,dass man den Menschen in diesem Lande etwas zumutenund unbequem sein muss. Das, was die Kollegin von denGrünen gerade gesagt hat, ist richtig: Natürlich ist esnicht selbstverständlich, dass alles so bleibt, wie es ist.Aber wir haben momentan gute Zeiten und müssen des-wegen für schlechtere Zeiten vorsorgen;
das ist auch die Linie unserer Haushaltspolitik.
Das bedeutet – das ist besonders die Linie der Union –,dass das Erwirtschaften immer noch wichtiger ist als dasVerteilen. Wir müssen in jedem Einzelplan immer wie-der deutlich machen, dass es darum geht, die richtigenRahmenbedingungen für die Wirtschaft zu setzen, umvernünftige Steuereinnahmen zu generieren. Das kommtin der einen oder anderen Diskussion in diesem Hausebei der Opposition leider viel zu kurz.Der zweite Punkt im Hinblick auf Haushalte ist, dassder Staat keine Supernanny ist. Ich glaube, wir müssendeutlich machen: Wir können uns nicht um alles küm-mern. Wir können nicht hundertprozentige Gerechtigkeitschaffen. Wir können auch nicht jeden Wunsch, so nach-vollziehbar er auch ist, erfüllen; das geht nicht. Dement-sprechend muss man im Rahmen der Haushaltspolitikhandeln.Der dritte Punkt, der für vernünftige Haushaltspolitikentscheidend ist, ist, dass man nicht nur die Gegenwartim Blick hat, sondern auch die Zukunft. Es kommt ebennicht nur darauf an, dass es den Menschen heute gutgeht, sondern es kommt auch darauf an, dass es denMenschen in Zukunft gut geht.Ganz konkret heißt das – auch das ist angesprochenworden, und es ist richtig –: Wir müssen in unserenHaushalten mehr investieren. Wir müssen die Investi-tionsquote steigern. Die Kritik, die daran vonseiten derOpposition geübt wird, finde ich richtig klasse. Wer sinddenn diejenigen, die einen Konsumvorschlag nach demanderen in die Haushaltsberatungen einbringen? Dassind die Linken und die Grünen.
Insofern: Lassen Sie sich an Ihren Taten und nicht an Ih-ren Worten messen. Wir werden darauf achten, dass dieInvestitionen auch in Zukunft gesteigert werden; das istdie erste wichtige Sache.
Die zweite wichtige Sache, die Sie, Herr Bartsch,überhaupt nicht verstanden haben, ist: Vernünftige Haus-halte bekommt man nicht hin, wenn man die Einnahme-seite optimiert, sondern das schafft man immer nur überdie Ausgabenseite. Es ist richtig: Wir müssen die Ausga-ben priorisieren. Wir müssen darauf achten, dass dieAusgaben effizienter werden. Darin liegt der Schlüsselfür eine vernünftige Haushaltskonsolidierung.Der dritte Punkt ist – das habe ich schon mehrfach ge-sagt, weil man das immer wieder betonen muss –: Wirmüssen auch die Zukunft im Blick haben und dürfennicht nur die Gegenwart im Blick haben. Wir dürfen
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3588 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Ralph Brinkhaus
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Dinge, die wir heute finanzieren müssen, nicht in die Zu-kunft verschieben; auch das ist ganz wichtig.Ich fasse zusammen:Erstens. Uns geht es gut.Zweitens. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nichtnachlassen, weder in Europa noch in Deutschland.Drittens. Wir müssen die Zukunft im Blick haben.Wenn wir das tun, dann haben wir 2015 und auch nach-haltig einen vernünftigen Haushalt. Ich bin optimistisch,Herr Kahrs, dass wir das auch mit der SPD hinbekom-men.Danke schön.
Der Kollege Dr. Axel Troost ist der nächste Redner
für die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasBudgetrecht ist ein großes Recht des Parlaments. Des-wegen sind Haushaltsberatungen immer etwas Besonde-res. Aber zum Haushalt gehören eben nicht nur die Aus-gaben, sondern auch die Einnahmen.
Deswegen will ich als Finanzpolitiker etwas dazu sagen.In der Tat: Wir haben ein neues Parlament gewählt,und wir haben eine neue Koalition. Im Gegensatz zu allden Wahlkampfaussagen werden die Fragen, wer dieAusgaben eigentlich finanziert und wie es um die Steu-ergerechtigkeit in diesem Land steht, in dieser Koalitionund in der SPD inzwischen überhaupt nicht mehr ge-stellt. Zwar haben wir im Finanzausschuss interessanteDebatten über den Mehrwertsteuersatz für Hörbüchergeführt; aber ansonsten herrscht absolute Stille.Man hört immer wieder das Argument: Wir haben diehöchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bun-desrepublik. – Das ist eine Aussage ohne großen Inhalt;denn in einer wachsenden Wirtschaft mit Inflation hatman immer steigende Steuereinnahmen. In nahezu je-dem Jahr seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschlandlagen die Steuereinnahmen des laufenden Jahres überdenen des Vorjahres. Man müsste sich große Sorgen ma-chen, wenn es nicht so wäre; denn dann wären wir in ei-ner Krise.
Es muss aber auch immer wieder gesagt werden: Vergli-chen mit der letzten Steuerschätzung vor der Finanz-krise, also im Jahr 2008, haben wir immer noch rund40 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen, als da-mals in der Prognose für 2012/2013 geschätzt wordenist.Eine Aussage zu Steuerbelastungen kann man nurtreffen, wenn man sie ins Verhältnis zur wirtschaftlichenLeistungsfähigkeit setzt, wenn man sich also die soge-nannte Steuerquote anschaut. In der Tat: Die Steuerquotewar in den letzten 30 Jahren relativ konstant. Sie ist ver-gleichsweise niedrig. Von zu hohen Steuern in der Bun-desrepublik kann also überhaupt keine Rede sein.Was die Steuerquote nicht aussagt, ist, wer die Steu-ern zahlt. Da muss man eine dramatische Verschiebungfeststellen: weg von den Reichen und den Unternehmenhin zur Masse, die inzwischen diesen Staatshaushaltfinanziert. An dieser Stelle muss ein Einnahmen-, einSteuerkonzept ansetzen. Da sind wir als Linke leider dieEinzigen, die hier den Finger auf die Wunde legen.
Eine weitere Baustelle, die mir ganz wichtig ist, istder Steuervollzug. Es ist ein offenes Geheimnis, dassdem Bund, aber auch den Ländern und Kommunen Jahrfür Jahr hohe Milliardenbeträge verloren gehen, weil ei-nige Bundesländer kein Interesse daran haben, ihre Un-ternehmen ordentlich zu prüfen. Wissenschaftliche Un-tersuchungen gehen davon aus, dass den Haushaltendadurch nach wie vor bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahrverloren gehen. Im Zuge der letzten Föderalismusreformhaben wir versucht, das zu ändern. Das ist gescheitert.Bundesfinanzminister Eichel hat immerhin beschlos-sen, dass innerhalb von zehn Jahren das Bundeszentral-amt für Steuern personell deutlich aufgestockt wird: dassdie Zahl der Bundesbetriebsprüfer um 500 Personen er-höht wird. Das ist eine Verfünffachung. Das hört sich tollan, ist es aber leider nicht, weil schon damals die Über-nahme von über 7 000 erfahrenen Prüfern von den Län-dern erforderlich gewesen wäre, verbunden mit einer al-leinigen Zuständigkeit des Bundes für die Prüfung vonGroßbetrieben.
Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes, der unsvorliegt, ist von den zusätzlichen 500 Planstellen bishernur ein kleiner Teil besetzt. Aus den Ländern werdenmaximal 100 Menschen mit Prüferfahrung kommen; derRest soll ohne Spezialwissen eingestellt werden. DerBundesrechnungshof moniert – ich zitiere –: Statt denBundestag über die geänderten Rahmenbedingungen zuinformieren, konzentriert sich das Bundesfinanzministe-rium vorrangig auf die rein nominelle Zielerreichungvon 500 zusätzlichen Betriebsprüfern bis zum Jahr 2016. –Zu Deutsch: Die Zahl soll irgendwie erreicht werden;um qualifiziertes Prüfen geht es überhaupt nicht. Dortwird auch noch einmal beschrieben, das diese Prüferauch inhaltlich überhaupt nicht in die Lage versetzt wer-den, die Prüfungen entsprechend vorzunehmen, und mandeswegen nach wie vor davon ausgehen muss, dass hoheMilliardenbeträge, die nach dem geltenden Steuerrechtzu zahlen wären, nicht erzielt werden, weil es sozusagenim Vollzug scheitert. Hier hat der Bund eine hohe Ver-
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Dr. Axel Troost
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antwortung. Das Bundesfinanzministerium sagt, manhabe das nicht weiter verfolgt, weil man die Bund-Län-der-Beziehungen nicht habe belasten wollen.Das reicht nicht aus. Wir brauchen dringend zusätzli-che Einnahmen, nicht nur über neue Steuern, sondernauch durch eine Verbesserung des Steuervollzuges. Daist das Bundesfinanzministerium dringend gefordert;denn man kann nur sagen – da würde ich dem KollegenBrinkhaus völlig widersprechen –: Wer der nächsten Ge-neration kaputte Infrastruktur und kaputte Umwelt über-gibt, lebt auf Kosten der Kinder und Enkel. – Das mussman immer wieder so deutlich formulieren.Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Lothar Binding, SPD.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ichkann mir doch nicht verkneifen, eine kleine Bemerkungzu Ralph Brinkhaus zu machen, der behauptet hat, wirverdankten auch Schwarz-Gelb diesen wirtschaftlichenAufschwung. Ehrlich gesagt glaube ich, dass die not-wendige Voraussetzung, dass wir überhaupt die Krisehaben bewältigen können, die Agenda 2010 war. Sie waran Einzelpunkten schmerzhaft für uns; aber sie war not-wendig, ganz wichtig. Andernfalls hätten wir weder dasKonjunkturpaket I noch das Konjunkturpaket II noch dieAbwrackprämie stemmen können. Die Agenda 2010,das waren gesellschaftliche Strukturreformen mit Zu-kunftsaspekt.
Dagegen war Wirtschaftsförderung durch Senkung derMehrwertsteuer für Hotelleistungen keine Strukturmaß-nahme, die zukunftsweisend ist, sondern Klientelpolitik.
Darin unterscheidet sich unser Ansatz von dem Ansatzder Vorgängerregierung. Jetzt regieren wir gleichwohlzusammen, und jetzt funktioniert eine ganze Menge.
Axel Troost hat gesagt: Es scheitert am Vollzug derSteuergesetze. – Den Steueranspruch des Staates durch-zusetzen, ist natürlich wichtig. In diesem Zusammen-hang will ich dem Zoll einmal gratulieren. Die Steuer-fahnder aus NRW haben in zwei Containern brisantesMaterial aus einer Offshore-Bank auf den Cayman Is-lands gefunden und dieses beschlagnahmt. Inzwischenist klar, dass es von einer ehemaligen Schweizer Privat-bank stammt, nämlich der Coutts-Bank, deren Mutter in-teressanterweise die Royal Bank of Scotland ist. Hieranmerkt man, wie gut es ist, dass man den Vollzug klug or-ganisiert, sodass hier etwas gelingen kann.
In dieser Woche tun wir noch viel mehr. Vor einigenJahren – das muss man auch sagen – wäre das mit derCDU/CSU wahrscheinlich noch nicht ganz leicht mög-lich gewesen. Aber man merkt: Wir haben uns in derGroßen Koalition aufeinander zubewegt.Ich nenne einmal ein Beispiel: Es ist schlecht, wennzum Beispiel ein Herr Porsche mit 1 Milliarde Euro jon-gliert, zu dieser Milliarde noch stille Reserven hinzufügtund das alles – weitere Stichworte sind: Personengesell-schaften, Körperschaften, Entstrickungsbesteuerung –durcheinanderwirbelt, sodass Herr Schäuble zum gutenSchluss einen dreistelligen Millionenbetrag in seinerKasse auf der Minusseite buchen muss. – Das wollen wirnicht. Deshalb werden wir die grenzüberschreitendeSteuergestaltung bekämpfen. Hier arbeiten wir zusam-men. Es geht um § 50 i Einkommensteuergesetz. Das ha-ben wir sehr klug geregelt.Wir werden diese Steuerschlupflöcher systematischschließen. Das heißt nicht, dass nicht immer wieder neuegefunden werden, aber wir werden sie immer wiederschließen.
– Ja, genau.Daneben packen wir das Programm gegen BaseErosion and Profit Shifting, also gegen die Gewinnverla-gerung ins Ausland, gemeinsam mit der OECD an. Dasist ein Riesenprojekt. Ich glaube, das ist ein Schritt, vondem wir vor einigen Jahren nur haben träumen können.Ich will Herrn Schäuble für die Bemerkung danken,die er hinsichtlich der Abschaffung der Abgeltungsteuergemacht hat, weil die Idee sehr klug ist, wieder zu einersynthetischen Besteuerung zurückzukommen. Das müs-sen wir erreichen. Das Gegenteil nennen wir ja, um ein-mal den Fachbegriff zu nutzen, Schedulenbesteuerung,also Schubladenbesteuerung. Schedulenbesteuerung be-deutet, dass es für Einkünfte aus unterschiedlichen Ein-kunftsquellen unterschiedliche Schubladen gibt. Wenndie Einkünfte also in eine ganz bestimmte Steuerschub-lade fließen, ist der zu zahlende Steuersatz ganz niedrig.Jetzt darf jeder genau einmal raten, in welche Steuer-schublade alle Leute ihre Einkommen verschieben. Na-türlich verschieben sie sie in die Steuerschublade, in derder Steuersatz am niedrigsten ist.Das Ziel ist also, weg von der Schedulenbesteuerungund hin zu einer synthetischen Besteuerung zu kommen.Das wäre sehr gut. Sehr gut ist auch die Verschärfung beider strafbefreienden Selbstanzeige.
Ich glaube, man darf sagen: Es ist historisch, dass wirdie Neuverschuldung im nächsten Jahr auf null bringenkönnen. Das ist seit Urzeiten erstmalig wieder der Fall.Natürlich haben wir auch ein bisschen Glück: Wir haben
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3590 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Lothar Binding
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Glück, dass die Konjunkturlage gut ist. Wir habenGlück, dass die Zinslage gut ist. Das gilt jedenfalls fürdiejenigen, die Schulden haben, und da der Staat Schul-den hat, ist die Zinslage gut; für die Sparer ist sie nichtganz so gut. Außerdem haben wir Glück, dass wir imMoment das Staatsvermögen und die Infrastruktur unter-finanzieren. Das sind schon drei dicke Brocken, die unshelfen, diese Null zu erreichen.Wir müssen diese Null aber auch langfristig absi-chern, damit wir in zehn Jahren sagen können: „Das wareine historische Null“, und nicht sagen müssen, dass wirdie Null nur in einem oder zwei Jahren erreicht haben.
Hier muss mehr passieren.Ich glaube auch, dass wir noch einmal über die Steu-erpolitik nachdenken müssen –
natürlich nicht in der Großen Koalition; das haben wirverabredet und ist völlig klar. Herr Schäuble sagt: KeineDiskussionen über Steuererhöhungen! Das wird sicher-lich noch einmal zu diskutieren sein.
– Dietmar Bartsch applaudiert jetzt. Er verkleidet seineKritik gerne in die Frage: Wo ist eigentlich Ihr Pro-gramm?
Laut Ihrem Programm wollten Sie doch Steuererhöhun-gen. Ihr wolltet doch die Vermögensteuer und dass dieLeute, die 40 000 Euro am Tag verdienen, stärker be-steuert werden.
– Das stimmt.Ich will das jetzt nur kurz erklären: Wir haben in die-ser Koalition einen Kompromiss gemacht, und genaudas haben wir für diesen Kompromiss geopfert. Ich sagejetzt aber auch einmal, wo unser Programm eins zu einsfunktioniert – und das ist auch gesellschaftliche und his-torische Zukunftspolitik für unser Volk, und zwar unab-hängig vom Geld; man muss nämlich selbst als Finanzerund Haushälter gelegentlich auch einmal vom Geld weg-kommen –: Der Mindestlohn ist eine historische Sache.
Ich könnte begründen, warum er eigentlich schon 1872hätte eingeführt werden müssen. Das Rentenpaket isteine historische Sache. Die Energiewende ist eine histo-rische Sache.
Gleiches gilt für die Stärkung der Kommunen sowie dieVerbesserungen im Mietrecht und im Wohnungsbau. Dassind kleine Dinge mit großer Wirkung. Ähnlich ist es beiKultur und Integration. Auch das Technische Hilfswerk– es wurde vorhin als ein wichtiger Punkt dieser Haus-haltspolitik erwähnt – stärken wir; das haben wir ge-meinsam beschlossen. Auch in der Flüchtlingspolitik ha-ben wir Verbesserungen erreicht.
Das sind alles sehr gute Sachen. Damit gestalten wir,um ein Wort der Grünen aufzunehmen, weil es nämlichklug ist, in dieser Weise zu handeln.
Finanzminister Schäuble hat, wie ich finde, einen gu-ten Satz gesagt. Er lautet: Im Moment profitieren dieNachbarn von unserer guten Lage. – Diese Aussage un-terschreibt jeder. Ich möchte hinzufügen: Wir profitierenaber auch von unseren Nachbarn. – Angesichts unseresExportes ist klar, warum es klug ist, dafür zu sorgen,dass es den Nachbarn gutgeht, sodass auch wir wiederprofitieren. Das gilt nicht nur im Sinne eines Profits; da-rauf komme ich gleich zurück.Hier sind wir an einer Stelle angekommen, die die ei-gentliche Reichweite dieses Haushalts beschreibt. Wennwir uns nur auf unser Staatsgebiet beziehen, wenn wiruns nur auf die Zahlen unseres Haushaltes beschränken,dann denken wir nicht weit genug. Dieser Haushalt gehtweit über unsere Grenzen hinaus. Das bedeutet, dass wirauch die Lage der anderen in den Blick nehmen müssen.Wenn wir beobachten, dass die Arbeitslosigkeit in an-deren Ländern steigt, und zwar gravierend und in be-ängstigender Form, wenn wir sehen, dass die Jugendar-beitslosigkeit in anderen Ländern bis auf einen Wert von50 Prozent steigt, wenn wir feststellen, dass die finan-ziellen Möglichkeiten dieser Länder zur Stärkung derBinnennachfrage und für den Aufbau der Infrastrukturnicht mehr ausreichen, dann frage ich mich: Wie langekann das für Deutschland noch gutgehen? Wir habenschließlich nicht nur Handelsbeziehungen, sondern wirhaben auch menschliche Beziehungen zu diesen Län-dern. Wir müssen schauen: Was passiert in diesen Län-dern, was sich auch auf unsere Situation auswirkenkönnte? Wer das Ganze nur ökonomisch sieht, der blicktnicht weit genug. Ruinierte Staaten, auch wenn der Ruinselbstverschuldet ist, sind schlechte Kunden, um es ein-mal darauf zu reduzieren.Wir sehen aber neben diesem Aspekt auch noch Fol-gendes: Welche Zukunft kann Europa haben, wenn sichdie Entwicklung in diesen Regionen so fortsetzt? Waswird aus arbeitslosen Jugendlichen, deren Eltern schonarbeitslos waren? Was passiert da eigentlich? Da mussman auch politisch handeln. Die Frage ist nicht nur: Was
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3591
Lothar Binding
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passiert als Folge dieser Entwicklung in der Gesell-schaft? Ich will das Ganze einmal auf eine Frage redu-zieren – hier sind schließlich Politiker im Raum –: Wenwerden diese Menschen in fünf oder zehn Jahren wäh-len, wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung zustoppen? Auch das ist eine Aufgabe der reichsten Nationin Europa.
Deshalb müssen wir über den Stabilitäts- und Wachs-tumspakt nachdenken, insbesondere über das Wachstum.Am allerwichtigsten ist qualitatives Wachstum; denn wirhaben gelernt: Austerität ist kein nachhaltiges Konzept.
Wir haben gerade gesagt: Die Nullverschuldung müssenwir für die Zukunft sichern. Zukunftssicherung heißt,nachhaltig zu denken. Weder in den anderen Ländernnoch bei uns ist Austerität ein nachhaltiges Konzept.Austerität bis zum Ende gedacht, heißt immer, dass manverhungert. Dagegen muss man etwas tun, und zwarrechtzeitig. Deshalb müssen wir helfen, dass auch alleanderen Länder genug Zeit haben, die Zielvorgaben, diewir verabredet haben, zu erreichen. In diesem Sinnemuss man über den Stabilitäts- und Wachstumspaktnachdenken, auch mit Blick auf unsere Haushaltspolitik,um auf europäischer Basis zukunftsfähig zu werden.
Jetzt möchte ich als einen kleinen Nachklapp in mei-ner Rede einen anderen Punkt aufgreifen. Vorhin gab eseinen ganz konkreten steuerpolitischen Vorschlag, dersich auf die Abgeltungsteuer bezog. Christian Kindler,du hast formuliert, dass Dividenden deutlich geringerbesteuert würden als die Arbeitseinkommen. – Das istfalsch.
– Auch nicht im Regelfall. Die Abgeltungsteuer bestehtaus drei Kategorien. Die Abgeltungsteuer besteuert denZins mit 25 Prozent. Da hättest du mit deiner Aussagerecht gehabt. Die Abgeltungsteuer besteuert darüber hi-naus den Verkauf von Wertpapieren. Auch da hättest durecht gehabt. Aber ausgerechnet dein Beispiel mit derDividende ist falsch; denn die Dividende bringt für eineKörperschaft im Trennungssystem eine Vorbelastungvon 30 Prozent mit sich, vom Gewinn werden 70 Pro-zent ausgeschüttet. 25 Prozent davon sind 17,5 Prozent.17,5 plus 30 sind 47,5. Es gibt keinen Arbeitnehmer, derim Rahmen der Einkommensteuer 47,5 Prozent zahlt.Deshalb ist diese These falsch. Damit wollte ich hier un-bedingt einmal aufräumen.
Ich glaube, es ist ganz klug, wenn man hier Steuerpolitikdifferenzierter betrachtet. Eine gewisse Genauigkeit ge-hört auch dazu, wenn man Finanzpolitik betreibt.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Lothar, ich muss jetzt das Rednerpult aus den hohenHöhen, in denen du gerade warst, ein bisschen herunter-holen. – Ein wenig langweilig ist es ja schon mit derGroKo. So heißt es immer wieder: Wir haben uns da auf-einander zubewegt. Toll! Wir liegen uns in den Armen. –Es erinnert so ein bisschen an die Schland-Jünger drau-ßen auf der Fanmeile.
Geil, geil, geil seid ihr, wirklich.Jetzt tut es mir fast leid, dass ich hier zu einem Themarede, bei dem wir mit der Großen Koalition übereinstim-men, nämlich zu Litauen. Ich möchte nur ausdrücklichdarauf hinweisen: Wir machen das nicht, weil wir dieGroße Koalition geil finden, sondern weil Litauen esverdient hat und wir dem Land herzlich gratulieren, dasses so weit gekommen ist.
Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass Seine Exzellenz, derHerr Botschafter, extra einen grünen Schlips umgebun-den hat. Ich zumindest möchte das so werten, dass hiernoch ein bisschen Farbe ins Spiel kommt. Nichtschwarz-rot, sondern grün ist die Farbe der Hoffnung.
Herzlichen Glückwunsch, Litauen! Ich möchte aberauch eines ganz deutlich sagen. Ich glaube, dass das, wasdie Linkspartei hier macht – Glas halb voll oder Glashalb leer –, ein bisschen blöd ist, weil Sie ja letztlich denEindruck erwecken,
als gäbe es sachliche Zweifel. Die sachlichen Zweifel,die Sie hier vorgetragen haben, sind vielleicht allge-meine Erwägungen über den Zustand der Euro-Zone.Aber sachliche Zweifel an dem vorliegenden Punkt, obLitauen die Kriterien erfüllt, die in den Verträgen stehenund die man erfüllen muss, um den Euro als Umlauf-währung einzuführen, haben Sie nicht vorgetragen. An-statt den Mut zu haben, hier zu sagen, dass die Kriterienerfüllt sind, versuchen Sie, sich ein bisschen billig her-auszustehlen. Das finde ich schade für Litauen.
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3592 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Manuel Sarrazin
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Wir halten fest, dass die Kriterien erfüllt sind: Preis-stabilität, Inflationsrate, keine übermäßigen öffentlichenDefizite und auch dauerhaft stabile Zinssätze. Ich glaubesogar, dass Litauen heute besser in der Lage ist, denEuro einzuführen, als beim letzten knapp gescheitertenVersuch, weil Litauen im Rahmen der Krise vieles rich-tig gemacht hat: Der Finanzmarkt ist heute aufgeräumterals vorher, und in Litauen wurde klug investiert. DieLitauer haben in der Krise kleine und mittelständischeUnternehmen mit Krediten unterstützt, damit sie ihreProduktion erneuern können, um beim Export besser zuwerden.
Natürlich ist es so, dass viele Menschen aus Litauenausgereist sind. Aber in den Verträgen steht, dass nurdiese vier Kriterien abgeprüft werden müssen. Litauenhat sich über Jahre sehr angestrengt, diese Kriterien ein-zuhalten, nachdem es seit über zehn Jahren in der Wech-selkursbindung ist. Wenn ein Land wie Litauen seinestrategische Entscheidung trifft, so nahe wie möglich indie EU eingebunden zu sein, und in der jetzigen Kriseder Euro-Zone beitreten will,
dann ist es unsere Verantwortung, zu prüfen, ob die Kri-terien eingehalten worden sind, und dann, wenn sie ein-gehalten worden sind, das auch zu bestätigen. Das gehörtzur Fairness dazu. Litauen hat sich diesen Beitritt ver-dient.Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, den ich wich-tig finde. Ich glaube, dass die großen Zukunftsherausfor-derungen für Litauen gewürdigt werden müssen. Das istdie soziale Lage, die in der Krise natürlich auch gelittenhat. Dass man in Litauen jetzt versucht, durch eine bes-sere Stufe in der Wertschöpfungskette in der Produktionbessere Löhne zu zahlen, ist uns bezüglich der sozialenLage wichtig. Genauso wichtig ist es, dass Litauen durchbessere Ausbildung auch in der Wertschöpfungskettenach oben kommt und wirtschaftlich erfolgreicher seinkann. Investition in Bildung ist ebenso wichtig wie Sta-bilität im Bereich der Währung und im Bereich desFinanzsektors.Deswegen möchte ich ganz herzlich sagen: Lietuva,herzlich willkommen im Euro! Unsere Fraktion ist aufdem Antrag mit dabei und unterstützt, dass Sie dazu-stoßen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Norbert
Brackmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Leihen ist einfach, aber der Zahltag wird hart.Deswegen ist dieser Bundeshaushalt, den wir in dieserWoche verabschieden wollen, auch ein Zeichen für dieStabilität, die wir erreichen wollen, ein wichtiger Schrittin eine stabile Zukunft.6,5 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung und damitein strukturell ausgeglichener Haushalt: Das kann sichnicht nur in Deutschland sehen lassen, sondern wir sinddamit auch Vorbild in Europa. Weil Europa eine so wich-tige Bedeutung für die Menschen auch in Deutschlandhat, will ich das Thema ein bisschen vertiefen. Heutewurde Kritik daran geübt, dass die Löhne seit 2002 – ichwunderte mich schon, warum Sie so weit zurückgegan-gen sind, lieber Kollege Bartsch – eine geringe Real-lohnsteigerung erfahren haben.
– 1,7 Prozent: Das ist die Zahl für die letzten zehn Jahre.Eine Reallohnsteigerung von 1,3 Prozent allein im erstenQuartal 2014 ist der Beleg dafür, dass eine Politik derZurückhaltung über viele Jahre hinweg und eine Politikder Strukturreformen den Menschen letztlich guttut. Dassehen die Lohnarbeiter jetzt an ihren Lohntüten, und dasist, meine ich, ein deutliches und gutes Zeichen.
Das bedeutet aber auch – der Kollege Binding hat be-reits darauf hingewiesen –, dass eine Politik, die aufStrukturreformen und Zurückhaltung angelegt ist, amEnde auch von Erfolg gekrönt ist. Denn es ist eben keinZufall – ich glaube auch nicht an Zufälle in der Politik –,dass wir in Deutschland fast Vollbeschäftigung habenund die Steuereinnahmen sprudeln und dass genau dieseStrukturreformen auch in den Ländern in der südlichenPeripherie Europas, die heute ihre Probleme haben,nachhaltig wirken können. Wir müssen mit dieser Stabi-litäts- und Wachstumspolitik in Europa konsequent blei-ben, damit auch diesen Ländern wieder eine Chance er-wächst, sich künftig selbst mit den Haaren aus demSumpf zu ziehen und ihren Bürgerinnen und Bürgernwieder so viel Gutes tun zu können, wie zum Beispielwir es in Deutschland in diesem Jahr machen können.Dieser Haushalt mit einem Haushaltsvolumen von296,5 Milliarden Euro zeigt, dass er auch eine sehrstarke soziale Komponente hat. Im Übrigen zeigt schondiese Zahl, dass wir bei den Ausgaben Zurückhaltungüben. Denn im letzten Jahr haben wir noch 307 Milliar-den Euro ausgegeben. Der Haushalt ist also nicht nurdeshalb so erfolgreich, weil er über eine gute Wirtschaftund gute Steuereinnahmen finanziert ist, sondern auchdurch Ausgabenreduktion.Aber dieser Haushalt eröffnet auch Spielräume für dieMenschen. Fast jeder dritte Euro – 90 Milliarden Euroder insgesamt 296 Milliarden Euro – gehen in die Rente,in die altersbedingte Erwerbslosigkeit oder in die alters-bedingte Grundsicherung. 90 Milliarden Euro geben wirbereits für diesen Bereich aus. Das zeigt auch, liebe Kol-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3593
Norbert Brackmann
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leginnen und Kollegen, dass die soziale Komponente indiesem Haushalt eine große Rolle spielt. Wir haben andem schon hervorragenden Werk unseres Finanzminis-ters, der auch hier nicht nur Flagge gezeigt, sondern ins-besondere Wort gehalten hat auf dem Weg in dieschwarze Null, die für 2015 angestrebt ist, noch die eineoder andere Änderung vornehmen können.Lieber Kollege Bartsch, wenn Sie darauf hinweisen,dass 400 Millionen Euro beim Arbeitslosengeld II ge-kürzt worden sind, stellt sich die Frage, wessen Interes-sen Sie sich dabei zu eigen machen. 400 Millionen Euroweniger beim Arbeitslosengeld II bedeuten wenigerLangzeitarbeitslose in Deutschland. Negativ betroffensind allenfalls all diejenigen, die für diese Langzeitar-beitslosen die Betreuung übernommen haben. Aber werdafür ist, dass Langzeitarbeitslose in Beschäftigungkommen, muss dies eigentlich positiv zur Kenntnis neh-men und sich darüber freuen, dass wir diesen Weg ge-gangen sind, und zwar erfolgreich.49 Prozent des gesamten Haushalts gehen in den Be-reich Soziales. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, esist bereits darauf hingewiesen worden: Die Achillesferseliegt ein Stück weit bei der Infrastruktur. Wir werdenzwar auch in diesem Haushalt 500 Millionen Euro mehrausgeben, als ursprünglich geplant war. Insofern hat derKoalitionsvertrag schon ein Zeichen gesetzt. Aber wirstellen fest, dass dies nur der Anfang sein kann. VieleMaßnahmen sind leider noch nicht so finanziert, wieman sich das wünscht. Aber man muss auch zur Kennt-nis nehmen, dass es bereits mit dem Haushalt 2014 keineProbleme gab, überall dort, wo Investitionen wegzubre-chen drohten, Zusagen zu machen. In Schleswig-Hol-stein zum Beispiel hat der Bund finanzielle Zusagen fürden Ersatz der Rader Hochbrücke gemacht. Des Weite-ren ist es uns im Haushaltsausschuss gelungen, die An-fangsfinanzierung für eine wichtige Strecke im Nord-Ostsee-Kanal, die nicht nur für Norddeutschland, son-dern auch für den internationalen Seeverkehr und damitfür Gesamtdeutschland von herausragender Bedeutungist, sicherzustellen und insgesamt 260 Millionen Eurozuzusagen, sodass diese wichtige Zukunftsinvestitiongetätigt werden konnte.
Dies ist ein großer Erfolg dieser Koalition.
Damit wollen wir nicht hinter dem Berg halten.Ich will aber auch darauf hinweisen, dass es nur sehrbegrenzt hilfreich ist, wenn die Länder, die sich eigent-lich unserer Stabilitätspolitik anschließen müssen, mitständig neuen, unbezahlbaren Forderungen gegenüberdem Bund nur davon ablenken, dass sie selbst nochwichtige Aufgaben vor sich haben; denn der Fiskalver-trag sieht für 2020 vor, dass Länder und Kommunenkeine neuen Schulden machen dürfen. Aber die Finanz-politik, die dort heutzutage betrieben wird, deutet auf et-was ganz anderes hin. Etwas mehr Verantwortung hättenwir den Ländern schon zugetraut. Gerade angesichts dergroßen Leistungen des Bundes bitten wir die Länder da-rum, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Zu guter Letzt zeichnet diesen Bundeshaushalt nochetwas anderes aus. Derjenige Haushalt ist der beste, indem man nichts Überflüssiges will und nichts Notwendi-ges entbehrt. Genau das ist uns in Beratungen im Haus-haltsausschuss gelungen. Dies ist ein Haushalt, in demdas Notwendige sicher finanziert ist. Aber Überflüssigeskönnen und werden wir uns nicht mehr leisten. Insofernhandelt es sich um einen gerechten Haushalt, den wir alserfolgreiche Koalition am Ende der Woche hoffentlichmit großer Mehrheit verabschieden werden.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Als nächstem Redner erteile ich für die Sozialdemo-
kraten das Wort dem Kollegen Christian Petry.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ein fast ausgeglichener Haushalt ist die Voraus-setzung – vieles haben wir heute darüber gehört – füreine soziale und gerechte Politik. Es ist eine große Ver-antwortung, auch in Europa eine solche Politik durchzu-setzen. Dies sage ich im Hinblick auf die auch hier schongeführte Debatte über den Stabilitäts- und Wachstums-pakt. Dabei sind die Vorgaben flexibel. Die Spielräumeder Volkswirtschaften müssen gegeben sein, um Wachs-tum und Beschäftigung zu sichern. Man möge nur an dieKrise 2009 denken. Was hat Deutschland denn getan? Eswar doch gut, dass wir die Vorgaben flexibel gestaltetund verändert haben. Das hat uns durch die Krise ge-bracht und uns letztlich gestärkt. Davon profitieren wirheute. Vor diesem Hintergrund ist das richtig, wasSigmar Gabriel gesagt hat: Die Akzentuierung musssein, auf Wachstum zu setzen. – Das kann man nur zwei-mal unterstreichen.
Die Finanzwirtschaft darf einem solchen Prozessnicht entgegenstehen. Was in Paris vereinbart wurde, istim Hinblick auf die Gesamtsituation in Europa zu sehen.Der französische Präsident Hollande muss letztlich aus-baden, was seine Vorgänger verursacht haben. DieHauptursachen lassen sich in der Zeit der RegierungChirac finden. Herr Hollande hat vielleicht seins dazuge-tan. Aber man darf die Ausgangssituation in Frankreichnicht vergessen. Deutschland sollte in der Lage sein, dieneue Ausrichtung in Frankreich zu unterstützen. Zielsind Impulse für die Wirtschaft, mehr Arbeitsplätze undBeschäftigung sowie für mehr soziale Gerechtigkeit inEuropa.
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3594 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Christian Petry
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Unter diesem Eindruck beraten wir heute auch überden Beitritt Litauens, über die Vergrößerung der Euro-Zone. Litauen möchte ab dem 1. Januar 2015 den Euroeinführen. Wir als Bundestag sind zur Stellungnahmeaufgefordert.Litauen erfüllt die notwendigen Aufnahmekriterien.Es hat eine hohe Preisstabilität mit einer Inflationsratevon 0,6 Prozent, ein Haushaltsdefizit von nur 2,1 Pro-zent, einen Staatsschuldenstand von 40 Prozent – das istweit unter dem Referenzwert von 60 Prozent –, einenstabilen Wechselkurs gegenüber dem Euro, und die lang-fristigen Zinsen liegen bei 3,2 Prozent. Das alles sindhervorragende Eckdaten, sodass man sagen muss: Dashört sich zunächst einmal sehr gut an.
Aber: Die Litauerinnen und Litauer haben dafür et-was bringen müssen. Das war sehr schmerzhaft. Das darfman nicht vergessen. Es gab Kürzungen bei der Alters-rente um 8 Prozent, Kürzungen bei der Arbeitslosenun-terstützung, Kürzungen bei dem Gehalt der Beschäftig-ten im öffentlichen Dienst von über 12 Prozent. Das sindharte Einschnitte, die dort getragen wurden, damit heutedie Voraussetzungen erfüllt sind, dass Litauen demEuro-Raum beitreten kann. Ich glaube, man muss der Li-tauer Bevölkerung und der Litauer Politik ein großesKompliment dafür machen, dass sie dies durchgestandenhaben. Deshalb muss sich die Einführung des Euros inLitauen auch positiv auswirken. Sonst wird es mit derAkzeptanz vor Ort schwierig.Das sogenannte Scoreboard des makroökonomischenUngleichgewichtsverfahrens – ein Zungenbrecher, wennman es vorlesen muss; das ist ganz schlimm – weist zweiProbleme in Litauen aus, auf die auch ich hinweisenmöchte: einmal das Leistungsbilanzdefizit von 12,9 Pro-zent, zum anderen die hohe Arbeitslosigkeit von 12 Pro-zent. Deshalb wünschen wir uns, dass die Einführungdes Euros einen ähnlichen Effekt hat wie in Estland2011. Im ersten Jahr ist der Export Estlands in den Euro-Raum um 31 Prozent gestiegen. Wir wünschen uns, dassdies auch in Litauen passiert und die Menschen vor Ortsehen, dass sie etwas von dem Beitritt zum Euro-Raumhaben.
Auch für die Zukunft muss es wichtig sein, dass die bal-tischen Staaten über den Stabilitäts- und Wachstumspaktgefördert werden, damit sie flexibel genug wirtschaftenkönnen für mehr Wachstum und Beschäftigung.Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, dermit dem Beitritt zusammenhängt. Künftig wird das be-reits 2003 beschlossene Rotationsprinzip bei der Euro-päischen Zentralbank und beim Rat gelten. Deutschlandverliert circa alle fünf Monate für vier Wochen seinStimmrecht. Ich möchte hier klar sagen: Wenn man dieWährungsunion als europäisches Projekt versteht undnicht als Ansammlung nationaler Interessen, dann istdies auch absolut in Ordnung.
Es wird für die Zukunft in dem Bereich der EU-Gre-mien eine Neuorientierung geben müssen. Bei einer der-art großen Anzahl von Mitgliedern werden wir dieStrukturen überdenken müssen. Es wird nicht mehr jederüberall vertreten sein können. So wird die Leitungsebeneentsprechend angepasst werden müssen. Das ist eineRiesenaufgabe, das wird sehr lange dauern. Ob es ge-lingt, weiß ich nicht. Aber, wie gesagt, eine große Auf-gabe steht in diesem Zusammenhang vor uns.Es ist ein guter Tag für Europa. Litauer, seid uns will-kommen! Wir wollen ein sozial gerechtes Europa derBürger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Siebitte diesem Punkt, der Euro-Einführung in Litauen zum1. Januar 2015, zu.Vielen Dank und Glück auf!
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Dies ist der erste Haushalt dieser neuen Gro-ßen Koalition. Es ist ein guter Haushalt. Es ist uns ge-lungen, gemeinsam den bereits in den letzten Jahrenbeschrittenen Weg der Haushaltskonsolidierung erfolg-reich fortzusetzen – und das, obwohl wir mit großenHerausforderungen zu kämpfen hatten, wie etwa derEntscheidung zur Kernbrennstoffsteuer und weiterenHerausforderungen, die zu bewältigen waren, auf die ichnicht näher einzugehen brauche.Das vorgesehene Ziel der Nettokreditaufnahme von6,5 Milliarden Euro konnte trotzdem eingehalten wer-den. Das war uns wichtig. Das ist ein ausgezeichneterWert, wie wir ihn seit 40 Jahren, seit Franz Josef Strauß‘Zeiten, nicht mehr gesehen haben.Kollege Binding, Sie haben eben von dem ausgegli-chenen Haushalt gesprochen, den wir für 2015 anstre-ben. Ich bin sicher, wir werden dieses Ziel erreichen.Das wäre das erste Mal seit urdenklichen Zeiten. Ichkomme aus der Nähe von Passau. Es gab einmal einenBundesfinanzminister Fritz Schäffer, der in den 1950er-Jahren den sogenannten Juliusturm aufgebaut hat. Nur:Auch anderen fiel das Sparen nicht so leicht; darum ister nicht so lange Finanzminister geblieben.
Das wollte ich nur einfließen lassen.Die Opposition kritisiert naturgemäß den Haushalts-entwurf, wie wir ihn beschlossen haben. Aber diese Kri-tik ist unberechtigt. Die Entwicklung gibt uns recht. DieBundesbank, die Wirtschaftsforschungsinstitute, alle be-scheinigen uns, dass wir eine sehr gute Entwicklung zuverzeichnen haben. Sie korrigieren die Wachstumszah-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3595
Bartholomäus Kalb
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len nach oben. Die wirtschaftliche Lage in unseremLand ist ausgezeichnet.Wir freuen uns, dass es uns die Gesamtsituation er-möglichen wird, im nächsten Jahr einen absolut ausge-glichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Der Bundes-finanzminister wird schon in den nächsten Wochen denHaushaltsentwurf für das nächste Jahr vorlegen. Ich bindavon überzeugt, dass er uns einen ganz großartigenEntwurf vorstellen wird. Im Herbst werden wir darüberzu beraten haben.Wir müssen natürlich weiterhin Disziplin bei der Aus-gabenpolitik üben; das ist vorhin schon gesagt worden.Wir müssen die Prioritäten einhalten, und wir müssen,was die Prioritäten betrifft, den Weg fortsetzen, den wirbereits in den zurückliegenden Legislaturperioden einge-schlagen haben: Ausgaben für Zukunftsinvestitionen, inBildung und Forschung, Infrastruktur und Kinderbetreu-ung. Vielleicht darf auch gesagt werden – KollegeBrackmann hat es vorhin gesagt –: Wir haben vieles ge-tan, um die Kommunen zu entlasten. Diesen Weg wer-den wir fortsetzen. Sobald Spielräume gegeben sind,werden wir uns darum bemühen, die Investitionsausga-ben insgesamt zu steigern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir könnenam Beispiel Deutschlands sehen, dass solide Finanzendie Grundlage für soziale Stärke und Wirtschaftswachs-tum sind. Die Einhaltung der Haushaltsregeln ist ver-nünftig für alle, die wir in der Europäischen Union undin der Währungsunion zusammengeschlossen sind. DasEinhalten dieser Regeln liegt allerdings in der nationalenVerantwortung. Es ist Grundvoraussetzung dafür, dassdie Bürger genauso wie die Realwirtschaft und die Fi-nanzinvestoren Vertrauen in den Staat, in unser politi-sches Handeln haben können. Europa braucht einenStabilitätsanker. Wir müssen die Konsolidierungsan-strengungen weiter vorantreiben. Sie bedingen sich ge-genseitig. Deutschland ist der Stabilitätsanker in Europa.Die Schuldenkrise, die wir zu einem beachtlichen Teilüberwunden haben, hat uns vor große Herausforderun-gen gestellt. Wir haben Solidarität geübt. Wir habenauch in den Krisenländern feststellen können, dass sichdie Erfolge einstellen; der Finanzminister hat es vorhindargestellt. Alle hatten große Anstrengungen zu unter-nehmen, harte Einschnitte hinzunehmen, eine schwierigeWegstrecke zurückzulegen. Aber die Erfolge sind dochsehr beachtlich, und sie geben zu großer Hoffnung An-lass.Das Wachstum in Europa zieht wieder an. Das Ver-trauen in die Euro-Zone ist zurückgekehrt. Alle Beteilig-ten an den Finanzmärkten haben gesehen, dass es sichnicht lohnt, gegen den Euro zu spekulieren. Alles an-dere, was im Hinblick auf eine mögliche Aufweichungder Stabilitätskriterien unternommen würde, wäre kon-traproduktiv, wäre schädlich und würde uns wieder zu-rückwerfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder,die noch nicht so weit sind – damit meine ich nicht nurdiejenigen, die unter dem Rettungsschirm waren –, müs-sen ihre Hausaufgaben machen, müssen strukturelle Ver-änderungen vornehmen. Das gilt auch für unsere hoch-geschätzten Freunde und Nachbarn im Westen. Aber esgilt auch bei uns: Wir dürfen keine strukturellen Fehlermachen. Wenn ich an die jüngste Debatte, an die Forde-rungen des DGB zur Rente schon mit 60 denke, dannsage ich: Liebe Leute, lasst die Tassen im Schrank! –Wir haben, glaube ich, was die Rentenpolitik betrifft,sehr viel und genug gemacht.Wir müssen insgesamt in Europa am Stabilitätskursfesthalten. Wann, wenn nicht jetzt, sind die Länder in derLage, zu konsolidieren – bei diesem Zinsumfeld, bei denRahmenbedingungen, wie wir sie jetzt vorfinden? Es istvorhin schon genannt worden, wie zurzeit die Renditenfür langfristige Staatsanleihen sind. Es ist nicht nur so,dass wir uns sehr günstig refinanzieren können, sondernGott sei Dank sind auch die Reformstaaten, die Krisen-länder wieder in ein normales Fahrwasser gekommen.Wenn die spanischen und die italienischen Papiere mit3 Prozent verzinst werden, dann ist das doch eine ganzvernünftige Situation. Selbst Zypern konnte vor kurzemPapiere zu unter 5 Prozent auf den Markt bringen.
Dieses niedrige Zinsniveau und die Politik der EZBdazu sind nicht ganz unumstritten – das müssen wir zu-geben – und nicht ganz ohne Risiken. Wir haben bei deraktuellen Haushaltsplanung natürlich auch davon profi-tiert. Aber sollte diese Politik länger anhalten, dann birgtdas auch Gefahren für uns alle. Wir können das da oderdort durchaus schon erkennen. An der einen oder ande-ren Stelle zeichnen sich spekulative Blasen im Aktien-markt, im Immobilienmarkt usw. ab. Wir müssen daraufachten, dass hier nicht Gefahren und Risiken entstehen,die wir dann wieder mit viel Aufwand bekämpfen müs-sen.Betroffen von dieser Politik ist nicht nur der Versiche-rungssektor – den haben wir heute früh schon betrach-tet –, sondern betroffen sind natürlich auch alle anderenBereiche. Eine Politik des billigen Geldes – das habenwir in den USA gesehen – birgt auf die Dauer auch er-hebliche Gefahren. Sie kann kein Ersatz für Strukturre-formen sein; ich habe es bereits gesagt.Auch die schwächeren südeuropäischen Banken müs-sen natürlich schauen, dass sie ihre Probleme lösen undlösen können. Die EZB legt großen Wert darauf, dass sieauf der einen Seite eine großzügige Kreditvergabe an dieRealwirtschaft machen können. Auf der anderen Seitewollen wir auch den Stresstest der Banken. Wir wollenstabile Banken, und wir wollen nicht wieder irgendwannfeststellen müssen, dass Kredite vergeben worden sind,die uns dann im Bankensektor große Probleme bereiten,weil die notwendigen Bonitäten beispielsweise nicht ge-geben gewesen sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt,wir müssen mit den Reformanstrengungen vorankom-men. Das müssen wir schon angesichts der großen de-mografischen Herausforderungen, vor denen wir inDeutschland und in Europa stehen. Wir müssen dafür
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sorgen, dass die Investitionstätigkeit weiter voranschrei-tet. Dazu brauchen wir ein wettbewerbsfähiges Steuer-system, wie wir es haben. Unsere Wirtschaft hat guteRahmenbedingungen. Die Wirtschaft boomt. Wir habendie höchste Zahl von versicherungspflichtig Beschäftig-ten, und wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigenin Deutschland. Dieses Klima müssen wir weiter pfle-gen. Die Rahmenbedingungen sind, wie gesagt, sehr gut.Steuererhöhungen kommen und kamen für uns nichtinfrage; das gilt insbesondere auch mit Blick auf denMittelstand. Wir wollen auf keinen Fall irgendwelchesteuerpolitischen Versprechungen machen, wenn wir sieim politischen Handeln nicht solide abbilden können.Das heißt, wir müssen alles das sichern, was wir jetzt ha-ben. Ich halte es für ein bisschen zu kurz gesprungen,wenn immer nur von der Notwendigkeit der Abschaf-fung oder Korrektur der kalten Progression gesprochenwird. Im Hinblick auf unseren Mittelstand, auf unsereFacharbeiter werden wir, wenn wir Spielräume haben– aber auch erst dann; diese Spielräume sehe ich jetztnoch nicht –, darangehen müssen, unter strukturellenGesichtspunkten unseren gesamten Einkommensteuerta-rif einmal unter die Lupe zu nehmen. Ich denke hier anden Steuersatz im mittleren Bereich, ich denke an denHöchststeuersatz, der schon sehr früh greift und unseremittelständischen Facharbeitskräfte in besonderer Weisetrifft. Hier werden wir uns anstrengen müssen, wenn wirdann das Notwendige tun wollen. Aber wir wollen keinefalschen Versprechungen machen.Ich glaube, wir müssen Schritt für Schritt vorangehen,eins nach dem anderen machen. Im Moment ist es dieHaushaltskonsolidierung. Dann müssen wir uns Spiel-räume erarbeiten, damit wir mehr für Investitionen tunkönnen und damit wir im Bereich der Abgaben undSteuern die strukturellen Maßnahmen, die notwendigsind, ergreifen können. Ich sage aber auch: Das gehtnicht von heute auf morgen. Dazu brauchen wir Geduld.Dazu brauchen wir die notwendigen Spielräume, unddazu brauchen wir auch Zeit.Ich danke ganz herzlich.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Im Januar 2015 beabsichtigt Litauen, derEuro-Zone beizutreten. Das gibt mir Anlass, dieses fürEuropa, aber auch für Deutschland wichtige Ereignis et-was ausführlicher zu behandeln. Ich freue mich, dass derBotschafter der Republik Litauen, Seine ExzellenzMatulionis, heute hier anwesend war und ich die Gele-genheit hatte, mit ihm ein paar kurze Worte zu wechseln.Nach Estland und Lettland sehen wir auch in Litauendie positiven Folgen der EU-Osterweiterung. NachdemLitauen vor zehn Jahren der Europäischen Union beige-treten ist, hat es eine beeindruckende Wirtschaftsent-wicklung zu verzeichnen. Dazu beglückwünsche ich Li-tauen ausdrücklich und zolle den Litauern mein Lob.
Es wurden weitgehende Wirtschafts- und Rechts-reformen durchgeführt. Die Haushaltspolitik wird um-sichtig geführt. Das trägt jetzt Früchte: Das Brutto-inlandsprodukt hat sich seit 2004 fast verdoppelt. DieGesamtverschuldung mit circa 40 Prozent des Bruttoin-landsproduktes liegt sogar unter dem Durchschnitt desWertes für die Mitglieder der Währungsunion. Das Kon-vergenzkriterium der Geldstabilität ist ebenfalls erfüllt.Die Wirtschaftsleistung hat wieder das Niveau von vorder Finanzkrise erreicht. Für 2014 und 2015 wird weiter-hin ein Wirtschaftswachstum von über 3 Prozent pro-gnostiziert.Meine Damen und Herren, die Litauer wissen denEuro als eine gemeinsame europäische Währung zuschätzen. Sie wissen auch, dass es für sie unabdingbarwar, der Euro-Zone so schnell wie möglich beizutreten.Schließlich wird das Baltikum als zusammenhängenderWirtschaftsraum von Investoren wahrgenommen. Estlandsowie Lettland haben den Euro bereits eingeführt. Da-rüber hinaus wird der Euro in unruhigen Zeiten im OstenEuropas längst als Stabilitätsfaktor und Stabilitätsankerwahrgenommen.Die EZB identifiziert mit ihrem Bericht auch wirt-schaftspolitische Herausforderungen und Reformbedarf,zum Beispiel bei der Flexibilisierung des Kündigungs-schutzrechts und der Besteuerung des Faktors Arbeit.Die Arbeitslosigkeit von knapp über 10 Prozent sowiesteigender Fachkräftemangel in einigen Branchen auf-grund der großen Auswanderungsquoten sind ebenfallsgegenwärtige Herausforderungen.Heute problematischer denn je ist sicher die allge-mein bekannte Abhängigkeit des Landes von ausländi-schen Energiequellen. Die nicht einfache Vergangenheitund die gleichzeitige Abhängigkeit von Russland imEnergie- und Transportsektor spielen eine nicht unerheb-liche Rolle in der wirtschaftlichen Situation des Landes.Das gesamte Baltikum leidet an einer schlechten Anbin-dung an das europäische Energienetz. Die Abhängigkeitvon ausländischen Anbietern schlägt sich daher in höhe-ren Preisen nieder. Um dies zu ändern, eröffnet LitauenEnde des Jahres einen Flüssigkeitsterminal und bautStromleitungen nach Polen und Schweden. Somit er-langt es dann Zugang zum europäischen Energienetz.Das ist nur zu begrüßen; denn die Unabhängigkeit imEnergiesektor ist seit der Ukraine-Krise insbesondere fürdie osteuropäischen Staaten wichtiger denn je.Auch wenn die Zusammenarbeit im Energiesektor ei-niges zu wünschen übrig lässt: Russland ist und bleibtein wichtiger Handelspartner für Litauen. Russland istder wichtigste ausländische Absatzmarkt für litauischeGüter. Im Jahr 2013 hat sich der Warenexport dorthinauf 4,9 Milliarden Euro summiert, was 19,8 Prozent derGesamtausfuhr ausmacht. Die Hälfte davon betrifft Wa-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3597
Uwe Feiler
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ren, die in Litauen selbst erzeugt wurden. Die andereHälfte macht der Transit von Waren aus anderen Län-dern aus. Durch die Einführung des Euro bietet sich al-lerdings auch die Chance, mehr Waren in den Euro-Raum zu liefern.In Litauen leben im Gegensatz zu Estland und Lett-land nur circa 5 Prozent Russen. Wie ich in dem persön-lichen Gespräch mit dem litauischen Botschafter erfah-ren habe, ist die Mehrheit der russischen Minderheit inLitauen für die Euro-Einführung – und das auch zuRecht. Die Euro-Einführung ist in erster Linie die Erfül-lung der Verpflichtung, die Litauen mit dem EU-Beitritteingegangen ist. In zweiter Linie ist sie eine freie wirt-schaftliche Entscheidung der Republik Litauen. HerrUlrich, Verträge beruhen auf Gegenseitigkeit. Wir kön-nen nicht auf der einen Seite von Litauen fordern, denEuro einzuführen, und dann aber, wenn die Beitrittskri-terien erfüllt sind, den Beitritt verweigern. Das istscheinheilig und dient nicht der Sache.Wir ermutigen die Republik Litauen, den eingeschla-genen Weg zur dauerhaften Sicherung stabiler öffentli-cher Finanzen und einer Politik der Stärkung sowie vonWachstum und Wettbewerbsfähigkeit fortzusetzen undgleichzeitig die noch offenen Reformen, zum Beispiel inden Bereichen des Rentensystems und des Arbeitsmark-tes, voranzutreiben.Der Beitritt Litauens hat jedoch einen besonderen Ne-beneffekt – das haben wir eben schon gehört –: Das be-trifft den EZB-Rat. Mit Litauen werden erstmals 19 Zen-tralbankpräsidenten vertreten sein. Somit tritt dasRotationsverfahren in Kraft. Alle fünf Monate wird dannauch der Präsident der Deutschen Bundesbank zwarnicht sein Teilnahme- und sein Rederecht, aber seinStimmrecht für einen Monat verlieren. Entscheidungenzu finanziellen Angelegenheiten des Euro-Systems– zum Beispiel Einzahlung und Änderung des EZB-Ka-pitals, Anpassung von Kapitalschlüsseln, Verteilung dermonetären Einkünfte sowie der Gewinne und Verluste –sind vom Rotationsprinzip jedoch ausgenommen.Fakt ist, dass Deutschland 27 Prozent des EZB-Kapi-tals eingezahlt hat und entsprechend haftet. Diese Tatsa-che spiegelt sich bereits jetzt nicht in den Abstimmungs-verfahren – ein Mitglied, eine Stimme – wider. Es istlegitim, die Frage zu stellen, wie es sein kann, dass dergrößte Anteilseigner sein Stimmrecht nicht permanentausüben kann. Es werden auch Befürchtungen laut, dassdas Rotationsverfahren missbraucht werden könnte.Rein theoretisch ist dies denkbar.Es sollte natürlich kein Denkverbot dabei geben, nachanderen, gegebenenfalls besseren Verfahren zu suchen,die die Kapitalverhältnisse und Haftungsrisiken gerech-ter widerspiegeln. Man muss dabei jedoch sagen, dassder mögliche Missbrauch höchst unwahrscheinlich istund einen gravierenden Eingriff in die Prinzipien derEuropäischen Union bedeuten würde. Wir sollten unse-ren Partnern in der EU nicht von vornherein unterstellen,sie warten nur auf den Zeitpunkt, an dem Deutschlandvorübergehend über kein Stimmrecht in der EZB ver-fügt, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Wirdürfen des Weiteren nicht vergessen, dass nicht nurDeutschland, sondern auch alle anderen Mitglieder ihrStimmrecht vorübergehend verlieren.Zu Recht hat der Kollege Brinkhaus kürzlich daraufhingewiesen, dass es insbesondere wichtig sei, dassDeutschland mit Sabine Lautenschläger-Peiter im EZB-Direktorium vertreten ist. Die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums behalten auch nach Einführung des Rota-tionsverfahrens ihr ständiges Stimmrecht. Wir solltenuns also darauf konzentrieren, weiterhin in diesem Di-rektorium vertreten zu sein.Auch wenn es ein wichtiges Thema ist, sollte die Dis-kussion über das Rotationsverfahren nicht den eigentli-chen Grund der heutigen Beratung überschatten: denBeitritt der Republik Litauen zur Euro-Zone. Wir begrü-ßen ausdrücklich die erfolgreichen Anstrengungen Li-tauens, die Bedingungen für die Euro-Einführung zu er-füllen, und unterstützen den Antrag Litauens auf denBeitritt zur Euro-Zone. Wir freuen uns auf die künftigeZusammenarbeit mit Litauen als einem vertrauenswürdi-gen und wirtschaftlich stabilen Partner.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Feiler. – Damit schließeich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Abstimmungen,und zwar zunächst über den Einzelplan 08 – Bundes-ministerium der Finanzen – in der Ausschussfassung.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen derKoalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü-nen und den Linken angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 20, Bundesrechnungshof. Wer stimmt dafür? Ichbitte um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Damit ist der Einzelplan 20 mit allenStimmen des Hohen Hauses angenommen.Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt II.4 c.Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-brachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2014.Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/1762, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/1050 und18/1223 in der Ausschussfassung anzunehmen.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/1816 vor, über den wir zuerstabstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?Ich bitte um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Bei Zustimmung der Fraktion DieLinke, Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Ab-lehnung durch die Große Koalition ist dieser Änderungs-antrag abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
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3598 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
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ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit Zustim-mung von CDU/CSU und SPD bei Neinstimmen von derFraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Ge-setzentwurf ist damit mit Zustimmung von CDU/CSUund SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünenund den Linken angenommen.Tagesordnungspunkt II.4 d. Wir kommen zur Abstim-mung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPDund Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1800 mitdem Titel „Herstellung des Einvernehmens von Bundes-tag und Bundesregierung zum Begehren der RepublikLitauen, der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion beizutreten und den Euro als Um-laufwährung einzuführen“. Hierbei geht es um die Stel-lungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 a desGesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregie-rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten derEuropäischen Union. Wer stimmt für diesen Antrag? Ichbitte um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke istdamit dieser Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU,SPD und Grünen angenommen. Der Deutsche Bundes-tag gibt damit grünes Licht für den Beitritt Litauens zurEuropäischen Währungsunion.
Tagesordnungspunkt II.4 e. Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1730 andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstan-den sind. – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II.5 auf:Einzelplan 16Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und ReaktorsicherheitDrucksachen 18/1023, 18/1024Die Berichterstattung haben die AbgeordnetenSteffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Dr. AndréBerghegger, Roland Claus und Sven-Christian Kindler.Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträgeder Fraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch und gehe deshalb davon aus, dassdas so beschlossen ist.Ich eröffne die Aussprache und darf zuallererst demKollegen Ralph Lenkert, Die Linke, das Wort erteilen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Wenn ich den Einzelplan 16 beurteilenmüsste, würde ich schreiben: Sie waren bemüht. – Siewaren bemüht, aber Sie ignorieren vollständig, was pas-siert: die Dürren in Afrika, die Überschwemmungen inBangladesch. Sie ignorieren, dass Menschen umsiedelnmüssen, sie ihre Heimat verlieren, weil ihre Lebens-grundlagen zerstört sind, sei es durch den Klimawandel,sei es durch die rücksichtslose Ausbeutung der Natur.Erinnern wir uns an unsere Jugendzeit. Wie oft gab esda starke Unwetter? Laut Wikipedia wurden in den 70er-Jahren vier Extremwetterereignisse in Europa registriert.
In den 80er-Jahren waren es fünf, in den 90er-Jahren schonzwölf. Von 2000 bis 2010 waren es 17. Allein in den letz-ten vier Jahren gab es 14 Extremwetterereignisse. – DerKlimawandel lässt grüßen. Aber was machen Sie? Insge-samt 400 Millionen Euro für den vorbeugenden Klima-schutz werden in verschiedenen Einzelplänen gestri-chen; Sie werden uns erklären, wo Sie was wie versteckthaben. Dieses Geld fehlt nun für den vorbeugenden Kli-maschutz, sei es in der Bundesrepublik, sei es in anderenLändern. Bezahlen werden dies die Menschen, die nichtausweichen können; bezahlen werden es die Ärmstender Armen. Aber auch Ihre Klientel, die Wirtschaft, wirddafür bezahlen müssen. Wir finden, das ist eine nicht vo-rausschauende, eine rücksichtslose Politik. Diese lehnenwir ab.
Ihr wichtigstes Klimaschutzelement war der CO2-Zertifikatehandel. Er funktioniert nicht; das wissen wir.Es sind auch keine Ansätze zu erkennen, weder imHaushalt noch in Ihrer Politik, dass sich das ändert. Aberdem Haushalt ist zu entnehmen, dass Sie den Industrie-unternehmen jetzt die Kosten, die durch den Handel mitCO2-Zertifikaten entstehen, erstatten wollen. Das müs-sen Sie mir einmal erklären: Der Klimaschutz soll durchCO2-Zertifikate vorangetrieben werden. Die Wirtschaftsoll motiviert werden, klimaschutzfreundlicher und res-sourcensparender zu produzieren. Und jetzt entschädi-gen Sie die Wirtschaft, indem Sie die Kosten, die da-durch vielleicht entstehen könnten, in Höhe von350 Millionen Euro übernehmen? Ich fordere Sie auf:Streichen Sie diese Förderung aus dem Energie- und Kli-mafonds, und setzen Sie dieses Geld für echten Klima-schutz ein! Dann könnten wir sagen: Sie haben sich nichtnur bemüht, sondern wenigstens einen kleinen Schrittgetan.
Beim vorbeugenden Klimaschutz haben Sie versagt.Wie sieht es nun beim Schutz vor den Auswirkungen desKlimawandels aus? Bei der Jahrhundertflut 2002 gab es
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Ralph Lenkert
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in der Bundesrepublik Schäden in Höhe von 18 Milliar-den Euro. 8 Milliarden Euro haben wir für die erneuteJahrhundertflut 2013 als Sofortmaßnahme bereitgestellt.Ja, das ist eine gute Leistung, die wir gemeinsam voll-bracht haben; aber man muss sich, von den materiellenSchäden einmal abgesehen, fragen: Wie fühlen sich dieMenschen an Elbe, Elster, Oder, Saale und Rhein, die beijedem Regenguss Angst haben, und wie fühlen sich dieMenschen in NRW angesichts der Unwetter, die geradezu Pfingsten tobten, wenn sie hören, dass die Koordinie-rung des Hochwasserschutzes zwischen den Ländernnicht besser wird, weil Sie nicht einmal lächerliche3 Millionen Euro für eine Koordinierungsstelle bereit-stellen wollen? Das müssen Sie den Menschen erklären,ich kann es nicht.
Nicht nur beim Thema Hochwasser haben wir es mitmangelndem Schutz vor Wasser zu tun. Es betrifft auchein ganz anderes Thema: In der Asse kommt das Wasserwahrscheinlich schneller, als Sie sich durchringen, etwaszu unternehmen. Zur sogenannten Lex Asse, nach derSie 2033 eventuell so weit sein wollen, Müll herauszu-holen, sage ich: Frau Hendricks, setzen Sie mehr Geldein
für eine Parallelforschung hinsichtlich der Lagerfin-dung! Setzen Sie Geld ein, damit der Müll endlich ausder Asse kommt und wir vor allen Dingen einen sicherenVerwahrort in der Bundesrepublik finden! Dafür könnenSie das Geld einsetzen, das Sie weiterhin in die Totge-burt Gorleben und in den Schacht Konrad stecken. Nut-zen Sie dieses Geld, schließen Sie Gorleben, und ma-chen Sie damit den Weg frei für eine vernünftigeForschung, für eine vernünftige Lösung!
– Da Sie sich hier aufregen, Herr Kollege: Nutzen Siedas Geld auch, um die Altlasten zu beseitigen, die ausder Urangewinnung von vor 1960 in Ostdeutschland re-sultieren und nicht von der Wismut GmbH erfasst wer-den!
Dieses Geld könnten Sie gut dafür einsetzen.
Ich möchte aber auch einen positiven Aspekt der inden Haushaltsberatungen vorgenommenen Änderungenerwähnen. Dass Sie der Region rund um die Asse jetztmehr Geld zur Verfügung stellen, auch wenn es nichtviel ist, damit die Region die Nachteile ausgleichenkann, mit denen sie seit Jahrzehnten leben muss, istwirklich ein guter Schritt. Das begrüßen wir. Das ist einkleiner Lichtblick in diesem Haushaltsentwurf.Der Einbau von Rußpartikelfiltern sollte gefördertwerden. Ich kann verstehen, dass Sie sagen: Alte Diesel-fahrzeuge sollen weg. – Es gibt aber Menschen in die-sem Land, die sich neue Fahrzeuge nicht leisten können.Diese Menschen können ihre Fahrzeuge aufgrund vonimmer mehr Umweltzonen nicht mehr in jeder Stadt nut-zen. Sie sollen aber flexibel auf den Arbeitsmarkt reagie-ren und dorthin gehen, wo es Arbeit gibt. Diese Menschensind auf das Fahrzeug angewiesen. Sie unterstützen dieUmrüstung der Fahrzeuge nicht. Das ist sozialpolitischeine Katastrophe. Mit dieser Nichtunterstützung erhöhenSie lediglich den Zwang, Neufahrzeuge zu kaufen. Dasist auch ressourcentechnisch schändlich. Ich sage Ihnen:Führen Sie die Rußpartikelförderung fort! Wir brauchendiese Förderung nur noch wenige Jahre. Damit entlastenSie die Umwelt und die kleinen Leute, die nicht vielGeld haben. Damit unterstützen Sie uns alle und sorgendafür, dass wir eine Gesellschaft bekommen, in der nichtnur die Interessen der Großindustrie vertreten werden,sondern auch die der kleinen Menschen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt an-sprechen, der mich geschockt hat. Am 19. Juni 2014 hatdie Firma VW erklärt, das Kältemittel R1234yf docheinzusetzen. Es geht um eine Einsparung von 2 GrammCO2 pro Kilometer; um so viel besser als andere soll die-ses Kältemittel sein. Kommt es aber zu einem Fahrzeug-brand – das geschieht pro Jahr 30 000 Mal in Deutsch-land –, entsteht Flusssäure. Dadurch, dass Sie Daimler,VW und andere Firmen nicht in ihrem Vorhaben unter-stützen, diese von der EU vorgegebene Umstellung nichtdurchzuführen, riskieren Sie im Fall von Unfällen dieGesundheit von Tausenden von Menschen. Ich finde, dasist schändlich. Sie sollten all Ihre Kraft dafür einsetzen,bei der EU dafür zu kämpfen, dass dieses Mittel verbo-ten wird. Ich wünsche mir – diese Ergänzung sei mir ge-stattet –, dass dieses Mittel verboten wird.
Kollege Lenkert, setzen Sie jetzt bitte einen Punkt.
Ja. – Ich wünsche mir, dass dieses Mittel vom Markt
verschwindet.
Ich wünsche mir, dass Sie beim Entwurf des nächsten
Haushalts Ihre Hausaufgaben machen, damit wir einen
Haushalt bekommen, der für die Menschen und für die
Umwelt gut ist und nicht für die Unternehmen.
Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Steffen-Claudio
Lemme das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Lenkert, Sie zeichnen einvöllig falsches Bild, insbesondere des Haushalts für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich will
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Steffen-Claudio Lemme
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versuchen, das in meiner Rede richtigzustellen, und zwarsehr sachlich und ohne viel Polemik – das überlassen wirIhnen.
Vor circa zwei Monaten, bei der ersten Lesung desBundeshaushalts, stand ich hier und verdeutlichte, dassim Regierungsentwurf des Umwelt- und Bauetats rich-tige Schwerpunkte bei Umwelt, Klima, Natur und Städ-tebau gesetzt wurden. Gleichzeitig kündigte ich an, dasswir als Berichterstatter der Koalition im parlamentari-schen Verfahren versuchen würden, an der einen oderanderen Stelle Verbesserungen herbeizuführen. Ich freuemich, dass das, wie dieser Haushalt zeigt, gelungen ist.
Zur Haushaltskonsolidierung und zur Einhaltung dergeplanten Neuverschuldung musste bei den einzelnenHäusern nochmals gespart werden. Im Zuge der Haus-haltsberatungen haben wir in unserem Bereich allerdingseinen Mittelaufwuchs ermöglicht. Dies verdeutlicht die– trotz seines verhältnismäßig geringen Gesamtvolu-mens – hohe Relevanz des Umwelt- und Bauressorts fürdiese Bundesregierung.Ich möchte erläutern, in welchen Bereichen wir wäh-rend der Beratungen Änderungen vorgenommen haben:Erstens. In der ersten Lesung sprach ich an, dass ichmich persönlich für den altersgerechten Umbau starkma-chen werde. Ich bin sehr froh darüber, dass wir zusätz-lich 10 Millionen Euro verankern konnten und das neueZuschussprogramm „Altersgerecht Umbauen“ somitschon in diesem Jahr starten können.
Wir planen auch, bis zum Jahr 2018 sogar 54 MillionenEuro zu investieren. Das Programm, welches vonSchwarz-Gelb eingestampft wurde, fördert alters- undbehindertengerechte Bau- und Umbaumaßnahmen mitdirekten Bundesmitteln. Diese Zukunftsinvestition istdringend notwendig; denn durch den demografischenWandel benötigen wir bis zum Jahr 2020 zusätzlich2,5 Millionen barrierearme Wohnungen in unseremLand.Zweitens. In der Städtebauförderung sind die deutli-che Mittelaufstockung und die Stärkung des Programms„Soziale Stadt“ ein großer sozialdemokratischer Erfolg.Neu ist nun, dass wir innerhalb der Städtebauförderungdas neue Bundesprogramm „Nationale Projekte“ einfü-gen konnten, um künftig besonders bedeutsame innova-tive Projekte zu unterstützen. Hierunter fällt auch dasUNESCO-Welterbe, das 2014/15 einen Schwerpunktdarstellen wird.
Die dritte Veränderung, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, betrifft das Nationale Naturerbe. Dieses soll ummindestens 30 000 Hektar erweitert werden. Bislangwurden dabei Flächen von der Privatisierung ausgenom-men und kostenlos an interessierte Länder, Umweltver-bände oder Stiftungen übertragen. Da sie bei der Bewirt-schaftung jedoch zunehmend an ihre finanziellenGrenzen stoßen und die neuen Flächen nicht vollständigübernehmen können, haben wir zusätzliche 4 MillionenEuro für eine Bundeslösung bereitgestellt. Diese Bun-deslösung mit Bewirtschaftung durch die Bundesanstaltfür Immobilienaufgaben sichert die Flächen für den Na-turschutz und entlastet gleichzeitig die Umweltverbände.Viertens – das steht dem diametral entgegen, was Sie,Herr Lenkert, hier gesagt haben – haben wir den Asse-Fonds um 500 000 Euro auf nunmehr 1 Million Euro er-höht. Ab 2015 sollen 3 Millionen Euro jährlich zur Ver-fügung stehen. Damit gewähren wir den betroffenenMenschen in der Region um die Schachtanlage Asse IIdauerhafte Unterstützung.
Fünftens kommen wir zu guter Letzt zu dem viel-leicht sogar wichtigsten Thema, dem Klimaschutz. HerrKindler, in unserer letzten Debatte haben Sie den Vor-wurf erhoben, wir würden den internationalen Klima-schutz mit unserem Haushalt beerdigen und damit einverheerendes Signal in die Welt setzen.
Hierzu möchte ich zunächst anmerken, dass wir nun imHaushalt des Entwicklungsministeriums die notwendi-gen Änderungen bezüglich des UN-Klimafonds – GreenClimate Fund – vorgenommen haben. Wir können imHerbst Zusagen in Höhe von bis zu 750 Millionen Euromachen. Auch haben wir sichergestellt – das war uns be-sonders wichtig –, dass die vorgesehenen Gelder ge-meinsam von BMZ und BMUB bewirtschaftet werden.Sie sehen somit: Wir senden kein verheerendes Signalin die Welt, sondern bekennen uns im Gegenteil mit derUnterstützung für den Klimaschutz in den Entwick-lungs- und Schwellenländern zu unserer internationalenVerantwortung.
Das ist gerade für die UN-Klimakonferenz in Paris imnächsten Jahr, auf der ein verbindliches Klimaabkom-men beschlossen werden soll, ein wichtiges politischesSignal.
Kollege Lemme, gestatten Sie eine Bemerkung oder
Frage des Kollegen Kindler?
Sehr gerne.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Kollege Lemme,es ist richtig, dass die Bundesregierung in den Haus-
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Sven-Christian Kindler
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haltsberatungen gerade noch die Kurve gekriegt und eineVerpflichtungsermächtigung von 750 Millionen Euroeingestellt hat. Aus unserer Sicht ist auch das für einebedarfsgerechte Ausstattung des Green Climate Fundnoch zu wenig. Wenn wir aber über den Haushalt 2014reden, müssen wir auch über die Barmittel reden.Es gibt eine Studie von Oxfam, die zeigt, dass diesesJahr durch die Verschiebungen zwischen dem Energie-und Klimafonds, dem Haushalt des Umweltministeriumsund dem Haushalt des Entwicklungsministeriums min-destens 240 Millionen Euro an Barmitteln gekürzt wer-den. Das halte ich, ehrlich gesagt, für ein verheerendesSignal an die Klimakonferenz in Paris. Wir kritisieren,dass Sie die Mittel in diesem Haushalt um 240 MillionenEuro kürzen. Wie stehen Sie dazu?
Herr Kindler, diese Kritik von Oxfam haben wir zur
Kenntnis genommen. Wir haben, gemeinsam mit dem
BMUB, auch eine Erläuterung dazu bekommen. Wir ar-
beiten daran, dass genau hier keine Kürzungen vorge-
nommen werden und wir weiterhin strukturell eine Vor-
reiterrolle in diesem Bereich haben. Dafür sind wir recht
gut aufgestellt.
In einem Punkt möchte ich eine Bitte an Ministerin
Hendricks richten: Das Niveau der deutschen Klima-
finanzierung konnte gegenüber dem Vorjahr um 50 Mil-
lionen Euro gesteigert werden. Das ist gut. Gleichzeitig
stehen wir aber vor der Herausforderung – 2009 in
Kopenhagen haben die Industrieländer dies zugesagt –,
die Klimafinanzierung bis 2020 auf jährlich 100 Milliar-
den US-Dollar zu steigern. Als Haushälter würde ich mir
wünschen, dass wir frühzeitig und nachvollziehbar über
die Überlegungen informiert werden, über welche bilate-
ralen Instrumente und multilateralen Klimafonds und in
welcher Höhe wir in den kommenden Jahren einen Bei-
trag zur Erreichung dieses Ziel leisten. Wir sollten also
auch der Frage nachgehen: Wie viel sollen die Privat-
wirtschaft und die alternativen Finanzierungsquellen in
diesem Bereich beisteuern? In diesem Sinne hoffe ich
auf eine transparente Darstellung eines sogenannten
Aufwuchspfades.
Umwelt- und Baupolitik wird wie kein anderer Be-
reich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbunden.
Das Dreisäulenmodell definiert Nachhaltigkeit als öko-
nomische, ökologische und soziale Zukunftsverantwor-
tung. Lassen Sie mich dies am Haushalt 2014 konkreti-
sieren: Erstens. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist Ziel
unserer Anstrengungen bei der Rückführung der Neu-
verschuldung. Zweitens. Ökologische Verantwortung
übernehmen wir, wie geschildert, als wirtschaftlich
wohlhabendes Land durch unsere Vorreiterrolle bei der
internationalen Klimafinanzierung. Drittens. Soziale
Nachhaltigkeit müssen wir insbesondere im Umgang mit
dem demografischen Wandel bedenken; im Wohnungs-
bereich setzen wir dabei mit den neuen Zuschüssen zum
altersgerechten Umbau eine wichtige Wegmarke.
Ja, wir stehen vor weiteren Herausforderungen. Den-
noch meine ich – meine früheren Aussagen hierzu finde
ich bekräftigt –: Der Haushaltsplan geht mit den durch
den Haushaltsausschuss beschlossenen Änderungen, die
uns jetzt vorliegen, in die richtige Richtung. Wir wollen
ihn so verabschieden.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Steffi Lemke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Lemme, ich gratuliere Ihnen als Haupt-berichterstatter für die von Ihnen hier geschilderten Er-folge, die Sie im Verhandlungsprozess im Sinne vonUmwelt und Naturschutz erreicht haben. Insbesondere– das hatten wir im Vorfeld deutlich gemacht – das Na-tionale Naturerbe liegt uns sehr am Herzen. Dass es da-für jetzt eine finanzielle Lösung im Sinne des Natur-schutzes gibt, begrüßen wir ausdrücklich. Ich wünscheIhnen, Frau Hendricks, bei der konkreten Umsetzungdieses Projektes den notwendigen langen Atem. Als ichvor elf Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden bin,stand dieses Thema brandaktuell auf der Agenda.Wir diskutieren heute aber hauptsächlich über denEtat eines Umweltministeriums, das zum ersten Mal seitmehr als zehn Jahren ohne die Zuständigkeit für die er-neuerbaren Energien agiert. Alle Erfolge, zu denen ich,wie gesagt, gerne gratuliere, können nicht darüber hin-wegtäuschen, dass diese Entscheidung, die erneuerbarenEnergien aus dem Zuständigkeitsbereich des Umwelt-ministeriums herauszuverlagern, dazu führt, dass daszentrale Projekt eines jeden Umweltministers jetzt denInteressen der Wirtschaft und den Interessen des Wirt-schaftsministers untergeordnet worden ist.
Das Chaos, das Sie uns heute auch in organisatori-scher Hinsicht mit der Novelle zum Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz, die die inhaltliche Katastrophe dieses Ge-setzes nur ein bisschen kaschiert, bescheren, hat seineUrsache darin, dass die Zuständigkeit für die erneuerba-ren Energien aus dem Umweltministerium herausgelöstworden ist. Das, was wir Grüne vor zwölf Jahren in ei-nem schweren Kampf gegen die SPD und den damaligenWirtschaftsminister Clement durchgesetzt haben
– inzwischen sind ja die meisten in der SPD froh, dass ersie verlassen hat –, haben Sie im vergangenen Jahr rück-gängig gemacht. Das ist das zentrale Manko, das dasUmweltministerium in den nächsten mindestens vierJahren – ich weiß nicht, ob diese Entscheidung jemalszurückholbar sein wird – mit sich herumschleppen wird.Frau Hendricks, Sie haben in Ihrer Einbringungsredezum Etat gesagt, dass die Bekämpfung der Klimakata-strophe die zentrale globale Herausforderung des
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Steffi Lemke
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21. Jahrhunderts ist und dass im Zentrum Ihrer Amtszeitals Umweltministerium das Ziel stehen muss, die Klima-katstrophe zu bekämpfen. Ich werde mich jetzt nicht inden Streit zwischen den Haushältern einmischen, ob dievorgesehenen 240 Millionen Euro noch zur Verfügunggestellt werden, ob daran noch gearbeitet wird oder obsie verloren gegangen sind. Denn gegenwärtig legen Sieuns eine Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz vor,die den Klimaschutz in Deutschland um Jahre zurück-wirft und den Ausbau des einzigen umweltfreundlichenEnergieträgers, den wir haben, bremst. Der Ausbau er-neuerbarer Energien wird in vielen Regionen vollständigzum Erliegen gebracht. Stattdessen fängt Ihr Wirt-schaftsminister jetzt auch noch eine Debatte über Fra-cking als Alternative an.
– Das ist absurd; da gebe ich Ihnen vollkommen recht.
Ich will jetzt gar nicht auf abstruse Vorwürfe gegenFrackinggegner im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise eingehen, aber ich muss Ihnen sagen: Sie haben inder für ein jedes Umweltministerium zentralen Frage zuBeginn dieser Legislaturperiode grandios versagt. Sievon der SPD haben zugestanden, dass diese Struk-turfrage – Strukturfragen sind immer Machtfragen; dasmuss ich Ihnen nicht erläutern – zugunsten von Wirt-schaftsinteressen und zulasten aller Umwelt- und Klima-schutzinteressen entschieden wurde. Sie haben dieEnergiewende und damit die Bekämpfung der Klimaka-tastrophe komplett zurück in die Hände des Wirtschafts-ministers gegeben. Ich weiß nicht, ob manchmal der Ein-druck entsteht, dass Frau Merkel und Herr Gabriel, nurweil sie einmal Umweltminister gewesen sind, irgendet-was mit der Umwelt am Hut hätten. Sie haben den Kli-maschutz und die Bekämpfung der Klimakatstrophe mitdieser Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz kom-plett zurück in die Hände der Wirtschaft gegeben.
– Sie müssen mir jetzt nicht mit so billigen Zwischenru-fen zur Parteizugehörigkeit des Staatssekretärs in diesemRessort kommen. Ich habe Ihnen vorhin schon einmalgesagt, dass wir schwerste Kämpfe mit Wirtschafts-minister Clement ausgefochten haben. Wir hatten da-mals SPD-Umweltpolitiker an unserer Seite – HermannScheer sei stellvertretend genannt –, die bereit waren, diedamalige Entscheidung gemeinsam mit Umweltpoliti-kern anderer Parteien – es gab sie vereinzelt auch in derCSU und der CDU – und mit unseren Umweltpolitikerngegen Herrn Clement und die Betonlobby in der SPDdurchzusetzen.
– Ich glaube, Sie waren heute Morgen noch nicht im Ple-num, als Ihr Kollege Herr Kahrs hier eine Beton-und-Stahl-Rede für die Industrieinteressen gehalten hat.
Lesen Sie sie vielleicht noch einmal nach. Ich fand dieseRede sehr beeindruckend. Sie wurde mit großer Leiden-schaft vorgetragen. Ich glaube, sie hat deutlich gemacht,unter welchen Vorzeichen die Bekämpfung der Klimaka-tastrophe und die Umweltpolitik in dieser Legislaturpe-riode bei Ihnen stehen. Das ist meine Hauptkritik amEtat dieses Ministeriums.Bei allem Lob für die Details führt kein Weg daranvorbei, dass Sie eine folgenschwere strategische Fehl-entscheidung getroffen haben. Ich hatte es bereits ge-sagt: Umweltpolitiker verschiedener Parteien und Frak-tionen haben das Umweltministerium in den letztenzehn, zwölf Jahren zu einem Strategiezentrum aufge-baut, das sich in die Diskurse über den Umbau unsererIndustriegesellschaft an den strategisch entscheidendenStellen einmischen konnte. Wenn Sie sich die jetzigeSchwerpunktsetzung anschauen, stellen Sie fest: Es gehtum die Errichtung eines Bundesamtes für kerntechnischeEntsorgung, um die Asse-Problematik und, und, und; alldas haben Sie, Frau Hendricks, in Ihrer Einbringungs-rede aufgezählt. Bei aller Wertschätzung für die „SozialeStadt“ – unsere Fraktion hat sich immer dafür eingesetzt –und für die Städtebauförderung muss man festhalten: Anden zentralen Weichenstellungen nimmt das Umweltmi-nisterium gegenwärtig nicht teil.
– Ich spiele überhaupt nichts gegeneinander aus. Ichsage Ihnen nur, dass Sie die Zuständigkeit für den ent-scheidenden Kernbereich abgegeben haben und sich dasim Etat dieses Ministeriums widerspiegelt.Ich biete Ihnen im Namen unserer Fraktion erneut an,dass Umweltpolitiker Arm in Arm gegen diese Interes-sen kämpfen. Das, was Sie uns mit der Novelle zum Er-neuerbare-Energien-Gesetz vorgelegt haben, kann keinUmweltpolitiker – sei er SPD-Mitglied, sei er CDU-Mit-glied, sei er CSU-Mitglied, sei er Linke-Mitglied – gutenGewissens unterstützen; denn es würgt die Energie-wende und damit die Bekämpfung der Klimakatastropheab.Danke.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege ChristianHirte das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu-nächst einmal darf ich gerade im Hinblick auf die Rededer Kollegin Lemke sagen, dass es vielleicht doch ganzgut ist, dass die Energiepolitik mittlerweile zentral imBundeswirtschaftsministerium koordiniert wird, weildas erstens die Möglichkeit eröffnet, endlich einmal et-was in einem Konzept voranzubringen.
Zweitens erhalten dadurch diejenigen, die sich mit derPolitik und dem Etat des BMU – jetzt: BMUB – be-schäftigen, die Möglichkeit, sich wieder auf das Themazu konzentrieren, das Ihnen von den Grünen besondersam Herzen liegen sollte, nämlich den Natur- und Klima-schutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bekommen,ganz grundsätzlich gesagt, endlich die schwarze Null.Generationen von Finanzministern haben sich an diesemZiel abgearbeitet. Franz Josef Strauß hat als Letzter eineschwarze Null geschafft; das war Ende der 60er-Jahre.
Erst Wolfgang Schäuble und unserer Koalition ist eswieder gelungen, in diesem Jahr, einen strukturell ausge-glichenen Haushalt vorzulegen und für das nächste unddie kommenden Jahre die Schuldenaufnahme ganz ein-zustellen. Um aktuell in der Fußballsprache zu sprechen,würde ich einmal sagen: Das ist ein klares 1 : 0 fürWolfgang Schäuble und unsere Koalition.
Die schwarze Null ist keine – wie von der Oppositionbehauptet wird – Trickserei des Finanzministers; schongar nicht erkauft sich die Koalition die schwarze Nullmit einem Griff in die Sozialkassen. Entgegen der Nör-gelei ist der Haushaltsentwurf ein Ergebnis, mit dem dieGroße Koalition eindrucksvoll in diese Legislatur gestar-tet ist.Die Mütterrente kommt. Die nicht von allen geliebteRente mit 63 wird Wirklichkeit. Ich gebe zu: Mit Letzte-rem habe auch ich ein bisschen Bauchschmerzen. Aberviel entscheidender ist für mich, dass wir endlich unserSchuldenproblem – Herr Binding hat es vorhin schon ge-sagt – nachhaltig in den Griff bekommen. Man kannnicht mit dem Finger auf Griechenland zeigen und Re-formen fordern, aber gleichzeitig sich selbst einenschlanken Fuß machen und zu Hause untätig bleiben.Der ausgeglichene Haushalt Deutschlands ist nicht nurfür die Zukunft Deutschlands wichtig. Er zeigt auch un-seren bislang weniger erfolgreichen Nachbarn, dass wirselbst ernst nehmen, was wir von anderen fordern.
Wir werden damit nicht nur unserer nationalen Verant-wortung, sondern auch unserer internationalen Vorbild-rolle gerecht.Begehrlichkeiten gibt es freilich immer, und die Be-dürfnisse sind grundsätzlich größer als die Möglichkei-ten. So hätte ich mir etwa gewünscht, dass wir mit demEinzelplan 16 die Förderung der Rußpartikelfilter aufden Weg bringen.
Erstens hätte ich das gerade vor dem Hintergrund derDiskussion um Umweltzonen und Feinstaubbelastungfür sinnvoll gehalten. Zweitens wäre das eine gute För-derung für den Mittelstand und für die Handwerker ge-wesen. Leider hat sich hierfür in der parlamentarischenBeratung am Ende keine Mehrheit gefunden; so ist eshalt manchmal.Nun bin ich aber Realist genug, um zu wissen, dassdie Ausgaben nicht dauerhaft über den Einnahmen lie-gen können. Diesen Realismus hätte ich mir trotz der gu-ten Zusammenarbeit mit den Kollegen Kindler undClaus auch von der Opposition gewünscht. Bei der Auf-lage des 10-Millionen-Euro-Programms „AltersgerechtUmbauen“ sind wir noch einer Meinung, dass dies einwichtiges und absolut gerechtfertigtes Zugeständnis anden demografischen Wandel darstellt. Allerdings habendie Grünen mit ihrer Forderung nach einem Klimawohn-geld in Höhe von 100 Millionen Euro den eben ange-sprochenen Realismus wohl doch etwas vermissen las-sen.Ich greife jetzt gerne noch einmal auf, was vorhinauch vom Kollegen Kindler in der Nachfrage angespro-chen wurde, nämlich die behauptete Klage, dass wir er-hebliche Kürzungen bei der Klimafinanzierung vorneh-men.
Dem ist nicht so.
Richtig ist vielmehr, dass eine ganz exakte Aussage, wieviel Geld wir für die Klimafinanzierung in die Hand neh-men, erst ganz am Ende mit dem Jahresabschluss mög-lich sein wird.
Das liegt unter anderem daran, dass wir erst dann genauwissen, wie es mit den Zusagen an Partnerregierungen
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Christian Hirte
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und mit den Beauftragungen sowie weiteren Bewilligun-gen aussieht.
Entgegen der Aussage des von Ihnen angesprochenenOxfam-Berichtes wird die Klimafinanzierung mit rund1,8 Milliarden Euro auf hohem Niveau fortgesetzt.BMZ, BMUB und BMF haben sich dabei auf einen Mo-dus verständigt, der seit der Klimakonferenz von Dohaim Jahre 2012 als Messlatte zu verstehen ist. Dabei wer-den nämlich bei bilateralen Vorhaben die Zusagen undbei multilateralen Beiträgen die Auszahlungen gezählt.Eine Ausnahme bildet lediglich der EKF. Dort versuchtman, die vorherigen Zusagen aus den Jahren 2011 bis2013 angemessen ins Verhältnis zu setzen.Vor allem die Jahre 2011 und 2012 fallen, wenn es umden Klimaschutz geht, besonders ins Gewicht, weil wirmit den Mitteln aus den Einzelplänen 16 und 23 gut indie „Fast-Start-Periode“ gestartet sind und auch in derNachfolge weitere zusätzliche Klimamittel zur Verfü-gung gestellt haben. Ich erinnere nur daran, dass allein inDoha ein Mittelaufwuchs von 1,4 Milliarden Euro in2012 auf 1,8 Milliarden Euro in 2013 angekündigtwurde. Das zeigt, dass wir uns auf einem hohen Niveaubefinden.Versprochen wurde bei internationalen Klimaver-handlungen schon viel, am Ende kommt es aber nichtdarauf an, was man verspricht, sondern darauf, was manpraktisch tut.
Entscheidend ist also, was am Ende tatsächlich geleistetund an Zahlungen auf den Weg gebracht wird, und,meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen – auchvon den Grünen –, ich glaube, in Bezug auf unseren en-gagierten Klimaschutz im weltweiten Maßstab müssenwir uns in Deutschland überhaupt nicht verstecken.
Lassen Sie mich noch ganz wenige Anmerkungen zuwenigen Einzeltiteln machen:Es ist vorhin schon kurz erwähnt worden: Wir gebenim Bereich des Naturschutzes deutlich mehr aus undsteigern die Ausgaben um 8 Millionen Euro von 49 auf57 Millionen Euro. Diese Mittel sollen vor allem der na-turnahen Begleitforschung für die Energiewende zurVerfügung gestellt werden.Bei der Asse muss man, glaube ich, zugeben, dassman heute noch gar keine seriöse und gesicherte Be-darfsschätzung der Kosten für die Zukunft vornehmenkann. Hier sind für die Zukunft durchaus noch Finanzie-rungsrisiken zu erwarten. Die Diskussion um die Assehat aber gerade dazu geführt, dass wir den Asse-Fondsfür 2014 im Zuge der Haushaltsberatungen auf 1 MillionEuro aufgestockt haben und auch für die kommendenJahre noch einmal mehr Geld in die Hand nehmen wer-den. Ich will nicht verhehlen, dass wir bei der Verwen-dung der Mittel durchaus ein Auge auf diesen Fonds le-gen werden, weil wir den Eindruck vermeiden wollen,dass für den Wahlkreis von Sigmar Gabriel Wahlge-schenke verteilt worden wären.Schließlich haben wir mit der Sperrung der Hälfte al-ler neu aufzubauenden Stellen im neuen Bundesamt fürkerntechnische Entsorgung nicht nur unter fiskalischenGesichtspunkten, sondern auch unter dem Gesichtspunktder Akzeptanz einen wichtigen Schritt gemacht. Es solleben gerade nicht der Eindruck entstehen, dass mit demBundesamt vorab Entscheidungen getroffen werden sol-len und der Endlagersuchkommission beim DeutschenBundestag lediglich eine Statistenrolle zugewiesen wird.In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen undHerren, darf ich mich für die Zusammenarbeit bedanken.In der aktuellen Fußballsprache würde ich sagen: Nachdem Spiel ist vor dem Spiel. In wenigen Wochen geht esweiter.Vielen Dank.
Nun hat die Bundesministerin für Umwelt, Natur-schutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. BarbaraHendricks, das Wort.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Wir haben den Haushalt für das Jahr 2014 mitdem Anspruch aufgestellt, Deutschlands Zukunft zu ge-stalten. Das gilt selbstverständlich auch für den Einzel-plan 16. Die Bereiche Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit sind für die Zukunft unseres Landesrelevant – sie sind sogar systemrelevant, wie man sosagt –, um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu si-chern.Deutschland ist aber nicht allein in Europa und in derWelt. Deshalb werden wir insbesondere beim internatio-nalen Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen undandere Staaten dabei mitnehmen. Die UN-Klimakonfe-renz in Paris in rund 18 Monaten wird eine Schicksals-stunde. Jetzt ist der Zeitpunkt, die Weichenstellungenvorzunehmen, damit ein neues, weltweites, ambitionier-tes und verbindliches Klimaabkommen zustande kommt.
Die Bundesregierung setzt mit dem Haushaltsentwurf2014 die richtigen Signale. Wir sind dabei, mit dem Ak-tionsprogramm Klimaschutz 2020 die Weichen so zustellen, dass Deutschland nicht nur seine Verpflichtun-gen erfüllt. Das tun wir ohnehin; denn wir haben unsereEinsparungen nach dem Kioto-Protokoll schon jetzt guterreicht. Die Bundesregierung hat sich aber vorgenom-
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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men, mehr zu tun und damit zu zeigen, dass Klimaschutzeben nicht im Widerspruch zu einer guten wirtschaftli-chen Entwicklung steht, sondern sie im Gegenteil sogarbeflügelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde alles da-für tun, dass die Konferenz in Paris ein Erfolg wird, undfreue mich über jede Unterstützung aus den Reihen desDeutschen Bundestages.
Dass Handlungsbedarf besteht, wird auch anderswoverstanden. Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigungvon Präsident Obama, den CO2-Ausstoß mit einer kon-kreten Zielvorgabe bis 2030 zu senken. Auch wenn wirin der EU, vor allem in Deutschland, noch wesentlichambitioniertere Ziele haben, wird damit doch die bishe-rige Blockade in der amerikanischen Klimaschutzpolitikdurchbrochen. Das ist ein wichtiges Signal zum richti-gen Zeitpunkt.Das Beispiel von Präsident Obama muss auch in an-deren Staaten Schule machen, die im Klimaschutz bis-lang noch zu zögerlich sind. Die Notwendigkeit und dasVerlangen nach Lösungen sind größer als je zuvor. DieMenschheit erwartet von der UN-Klimakonferenz zuRecht, dass endlich geliefert wird.Schließlich hat der Schutz von Klima und Umweltnicht nur ökologische und ökonomische, sondern immerauch soziale Folgen. Ich will den Zusammenhalt vonUmweltgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit stärkerthematisieren. Ich glaube, dass sich eine verantwor-tungsbewusste Politik gerade in diesem Spannungsfeldnicht mit den herrschenden Zuständen oder mit dem bis-lang Erreichten zufriedengeben darf. Das ist auch einpolitischer Gestaltungsanspruch, der sich im Einzel-plan 16 widerspiegelt.Für Deutschland ist belegt, dass Menschen mit einemsogenannten niedrigeren Sozialstatus häufiger in erhöh-tem Maß negativen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind.Sie wohnen öfter in Wohnungen, die verstärkt von Stra-ßenverkehr, Lärm und verkehrsbedingten Luftschadstof-fen betroffen sind. Außerdem leiden sie häufiger unterFeuchtschäden in der Wohnung und haben schlechterenZugang zu Grünflächen. Bei Kindern mit niedrigeremSozialstatus wurde durchschnittlich eine höhere Blei-konzentration im Blut festgestellt als bei Kindern mitmittlerem oder hohem Sozialstatus. Diese Menschensind also sozial und ökologisch benachteiligt. Damit dür-fen wir uns und werde ich mich nicht abfinden.
Ich bin der Überzeugung, dass eine ökologischeWende, die zu Benachteiligungen bei den unteren undmittleren Einkommensgruppen führt, keine Akzeptanzin der Mehrheit der Bevölkerung finden kann und wird.Auf der anderen Seite wird das Versprechen einer besse-ren Zukunft ohne eine intakte Umwelt ein leeres Ver-sprechen bleiben. Gutes Leben ist eben nur auf dem Fun-dament einer guten Umwelt möglich.Deshalb gehören die soziale und die ökologische Di-mension zusammen. Wir müssen die wirtschaftliche Ent-wicklung vom Naturverbrauch bei der Energiebereitstel-lung, beim Wasser- und Rohstoffverbrauch und bei derNutzung von Natur und Landschaft entkoppeln. Was wirbrauchen, ist eine Effizienzrevolution beim Energie- undbeim Ressourcenverbrauch.
Ich bin davon überzeugt, wenn wir es schaffen, die öko-logische Frage zu beantworten, dann schaffen wir auchsozialen Frieden, und wenn wir den sozialen Friedenstärken, dann schaffen wir damit die besten Vorausset-zungen für eine bessere Umwelt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt den schönenSatz, dass die Wirtschaft letztlich eine hundertprozentigeTochterfirma der Umwelt sei. Allein im Umweltschutzsind bei dieser Tochterfirma inzwischen rund 2 Millio-nen Menschen in Deutschland beschäftigt. Die deutscheUmweltschutzgeschichte ist damit eine wirklich großeErfolgsgeschichte. Unsere heimische Ingenieurskunst istweltweit gefragt. Gemeinsam mit dem Bundeswirtschafts-minister werde ich deshalb in absehbarer Zeit eine Ex-portinitiative Umwelttechnologien starten.Ein weiterer Ansatzpunkt ist meines Erachtens, denNaturschutz mit der Stadtentwicklung zu verknüpfen.Der urbane Naturschutz soll ohnehin in meinem Verant-wortungsbereich ein größeres Gewicht bekommen. BisEnde des Jahres wird in meinem Haus ein sogenanntesGrünbuch zu diesem Thema erarbeitet werden. EinSchwerpunkt ist, Naturschutz in vernachlässigten Nach-barschaften und Quartieren zu fördern und damit zur Le-bensqualität der Menschen beizutragen.
Ich will mich außerdem dafür einsetzen, dass dieLuftverschmutzung weiter abnimmt. Wir können siezwar nicht mehr sehen und riechen wie früher, aber sieist – denken Sie nur an Feinstaub oder an die anhaltendeStickoxidbelastung – weiter vorhanden und damit eineGefahr für uns alle. Unter anderem deshalb war die Ent-scheidung richtig, die Bereiche Bauen und Stadtentwick-lung in den Geschäftsbereich meines Ministeriums zuübertragen. Das hat viel Zuspruch und Zustimmung er-fahren. Dafür bin ich dankbar.Die Schnittmengen mit den klassischen Themen mei-nes Hauses sind groß. Jetzt nutzen wir die Synergien, in-dem die Bereiche Bauen und Stadtentwicklung mit denübrigen Abteilungen vernetzt und wirksam integriertwerden. Die dafür notwendigen Organisationsentschei-dungen sind getroffen und werden umgesetzt.Wie Sie wissen, haben wir uns im Bereich Bauen vielvorgenommen. Mit dem Bündnis für bezahlbares Woh-nen und Bauen wollen wir helfen, wieder mehr bezahl-baren Wohnraum in Deutschland zu schaffen.
Wir wollen, dass Menschen dort, wo sie wohnen wollen,bezahlbaren Wohnraum vorfinden. Wir wollen, dass sie
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3606 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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auch später noch dort wohnen bleiben können, wenn derWohnraum dem Lebensalter angepasst werden muss,weil man nicht mehr so leicht die Treppen heraufkommt.Deshalb sind Programme wie das altersgerechte Um-bauen und die Unterstützung neuer Wohnformen ge-nauso wichtig wie die vielen anderen Instrumente, diedazu beitragen, dass Menschen ein lebenswertes Wohn-umfeld haben. Ich bin daher an dieser Stelle allen Kolle-ginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und in denFachausschüssen dankbar, die mitgewirkt haben, dasszum Beispiel die Mittel für die Städtebauförderung deut-lich erhöht werden konnten.
Mit dem Programm „Soziale Stadt“, mit dem Stadt-umbau und dem städtebaulichen Denkmalschutz werdenwir Städte und Gemeinden gleichermaßen unterstützen.Wir investieren in ein gutes Zusammenleben und gegenein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft.
Sie haben es schon gesehen: Es gibt von der KolleginBaerbock den Wunsch nach einer Frage oder Bemer-kung. – Bitte schön.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe jetzt fast biszum Ende Ihrer Rede gewartet, um noch einmal dasThema Klimafinanzierung anzusprechen. Ich hatte ge-hofft, dass Sie vielleicht eine Antwort auf die Frage ge-ben, warum es hier zu den Kürzungen gekommen ist.Die Kürzungen sind ja insbesondere im Einzelplan 23 zufinden, der gemeinsam mit dem BMU verwaltet wird.Vielleicht können Sie noch einmal dazu etwas sagen,weshalb es da zu Kürzungen kommt.Um ein konkreteres Beispiel zu nennen – auch wenndas ein relativ kleiner Topf ist –: Der Waldklimafondswurde halbiert. Warum ist es dort zu den Kürzungen ge-kommen, obwohl insbesondere der Waldschutz eines derprioritären Ziele des internationalen Klimaschutzes istund Deutschland sich ja eigentlich mit dem REDD+-Pro-gramm als Vorreiter in diesem Bereich hervortun wollte?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Liebe Kollegin, Sie haben vollkommen recht: Mitdem REDD+-Programm ist und bleibt Deutschland einVorreiter. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dasswir zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen in Höhevon 750 Millionen Euro ab dem nächsten Jahr ausge-bracht haben. Wir haben die Klimafinanzierung – das istschon von meinen Vorrednern dargestellt worden – aufdem Niveau von 1,8 Milliarden Euro stabilisiert. Wirsind damit beispielhaft und warten darauf, dass andereLänder im Hinblick auf die Klimakonferenz hoffentlichschon auf dem Ban-Ki-moon-Gipfel im September die-ses Jahres vergleichbare Zusagen machen werden.Die Kritik von Oxfam kann ich so nicht nachvollzie-hen. Wir haben bedauerlicherweise erst heute den Mit-gliedern des Bundestages eine detaillierte Ausarbeitungder Kommunikation zu diesem Thema zukommen las-sen. Wir hatten eine gemeinsame Zusammenkunft, beider das auch von Ihnen, Herr Kindler, schon einmal an-gesprochen worden war. Oxfam musste naturgemäß da-von ausgehen, dass Sie die Ergebnisse der Bereinigungs-sitzung noch nicht kannten. Das ist klar. Insofern wirddas schon einmal widerlegt. Das ist zwar im Übrigeneine sehr technische Ausarbeitung, aber ich bitte Sie, siezunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaubenämlich, dass man gut nachweisen kann, dass Oxfam mitseiner Kritik nicht recht hat. 1,8 Milliarden Euro Bun-desmittel pro Jahr müssen auch erst einmal sinnvoll ein-gesetzt werden, und dafür sorgen wir.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz sicher werdeich auch im Naturschutz weiter vorangehen, zum einen,weil ich die Natur liebe, wie wahrscheinlich die meistenMenschen. Zum anderen sind Natur und Landschaft aberauch ein wichtiger Ausgleich für von Arbeit, Stress undLärm geprägte Menschen. Die Natur zu schützen, wirdimmer eines der wichtigsten Themen des BMUB sein.Wir werden unsere Förderprogramme für Natur-schutzvorhaben von gesamtstaatlich repräsentativer Be-deutung und das Bundesprogramm Biologische Vielfaltfortführen. Wir werden 30 000 Hektar an Flächen ausdem Eigentum des Bundes dauerhaft für den Natur-schutz sichern, und wir werden uns gemeinsam mit denLändern darum kümmern, dass die Natura-2000-Gebieteordentlich geschützt werden.Im Übrigen verbrauchen wir immer noch jeden Tag74 Hektar unbebaute Freiflächen. In der nationalenNachhaltigkeitsstrategie wurde als Ziel vereinbart, denFlächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu be-grenzen. Bedauerlicherweise sieht es derzeit nicht da-nach aus, dass wir dieses Ziel bis 2020 erreichen. Denndazu hat es in den letzten zwei Jahrzehnten leider zu we-nige Anstrengungen gegeben. Aber seien Sie gewiss,dass ich dieses Ziel nicht fallen lassen werde. Wir solltenes gemeinsam weiterverfolgen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wahrscheinlichgrößte gesellschaftspolitische Projekt in dieser Legisla-turperiode ist die Energiewende, die Sie, liebe KolleginLemke, im Zusammenhang mit diesem Haushalt ange-sprochen haben, obwohl das Thema eigentlich beimHaushalt des Wirtschaftsministeriums anstehen würde.
Dann haben Sie noch einmal die Chance, liebe Steffi.
Ich muss nicht daran erinnern, welche Ereignissedazu geführt haben, dass sich die Bundesregierung zudiesem weltweit beachteten Projekt entschieden hat. Wirstehen jetzt vor der Herausforderung, die Energiewende
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3607
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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zum Erfolg zu führen, die Menschen dabei mitzunehmenund die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlandsdabei nicht zu schmälern. Diese Aufgabe liegt beimWirtschafts- und Energieminister in guten Händen.Gleichwohl werden alle Kabinettskolleginnen und -kol-legen daran mitwirken müssen, genauso wie am Ak-tionsprogramm Klimaschutz 2020, welches in meinerVerantwortung auf den Weg gebracht worden ist.Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit arbeitet an wichtigen The-men, die auf der energiepolitischen Tagesordnung ste-hen, zum Beispiel am Thema Atomendlagerung, wel-ches heute schon angesprochen worden ist, oder amThema Fracking. Das Wasserhaushaltsgesetz sei alsStichwort genannt. Darum kümmern wir uns.Im April haben, wie Sie alle wissen, Bundestag undBundesrat die Kommission „Lagerung hoch radioaktiverAbfallstoffe“ eingesetzt. Noch in diesem Jahr wird dasBundesamt für kerntechnische Entsorgung in meinemGeschäftsbereich errichtet, wenn auch zunächst auf einerniedrigen Basis.Fracking im Schiefergas oder Kohlegestein werdenwir sicher nicht verantworten können, solange uns dieseTechnik zwar Energie liefern würde, aber gleichzeitigunser Grundwasser gefährdet. Auch bei diesen Themensollten wir es dringend unterlassen, soziale und ökologi-sche Interessen gegeneinanderzustellen.
Wir setzen auf Energieeffizienz und erneuerbareEnergien. Sie machen uns unabhängiger von immer teu-rer werdenden Importen, egal woher. Die Abkehr vonder nuklear-fossilen Energieversorgung kann Deutsch-land deshalb zur erfolgsreichsten Volkswirtschaft derWelt machen. Ja, ich bin sicher: Sie wird Deutschlandzur erfolgsreichsten Volkswirtschaft der Welt machen.Ich hatte bereits bei der Einbringung darauf hingewie-sen, dass der Einzelplan 16 mit den Haushalten der Vor-jahre nicht mehr vergleichbar ist. Hier spiegeln sich vorallen Dingen der neue Zuschnitt des Hauses und dieneuen Zuständigkeiten wider. Das Gesamtvolumen hatsich im Vergleich zum Haushalt 2013 mehr als verdop-pelt und liegt nun bei insgesamt über 3,6 MilliardenEuro. Ich möchte allen nochmals danken, die den Einzel-plan 16 mitgestaltet haben. Damit haben wir die Voraus-setzungen geschaffen, den ökologischen und den sozia-len Zusammenhalt in Deutschland zu sichern.
Frau Ministerin, Sie dürfen weiterreden. Aber von
nun an geht es zulasten der Redezeit der Kollegen der
SPD.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Sie erlauben mir bitte noch den Abschluss. Ich bin
ganz schnell.
Bei der Fülle der Aufgaben, die vor uns liegen, fühle
ich mich manchmal wie Tim Bendzko in der Liederzeile
„Muss nur noch kurz die Welt retten“. Aber ich bin si-
cher: Eigentlich wollen wir das ja alle.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Bundesministerin Hendricks, Sie habensich im Kabinett der schwierigen Aufgabe gestellt, dieUmweltaktivistin und die Baulöwin in einer Person zusein. Jetzt erfahre ich, dass Sie auch noch die Planstellezum Weltretten innehaben wollen. Wir werden Sie sehrkritisch begleiten, und Sie sollten, glaube ich, dafürdankbar sein.
Als wir im April den Etat, über den wir nun abschlie-ßend beraten, besprochen haben, wurden zu den Themen„sozialer Wohnungsbau“ und „Städtebauförderung“ ins-besondere von den Kolleginnen und Kollegen der SPD,der Linken und der Grünen Veränderungen angemahntund Vorschläge gemacht. Wir haben nun erreicht, dassimmerhin 150 Millionen Euro für „Soziale Stadt“ und10 Millionen Euro für den altersgerechten Umbau imEtat stehen. Das ist ein schöner, gemeinsamer Erfolg.Das ist etwas. Links wirkt. Links mehr könnte noch vielmehr wirken.
Ich will Ihnen auch zusichern, Frau Bundesministe-rin: Immer dort, wo Sie, wie Sie es eben beschrieben ha-ben, das Ökologische mit dem Sozialen in Einklangbringen, können Sie mit unserer Unterstützung rechnen.Aber wir müssen uns auch die Realitäten anschauen;denn die Vorgängerregierung hat die Städtebauförderunggründlich und nachhaltig kaputt gemacht. Sie selbst ha-ben den Begriff der „Wiederbelebung“ eingeführt. Wennman etwas wiederbeleben will, gibt man zu, dass es totbzw. fast tot war. Die Mittel für den altersgerechten Um-bau sind sicherlich wichtig. Wenn ich die Summe aberumrechne, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass sichdamit beispielsweise gerade einmal 15 angebaute Fahr-stühle in einer Plattenbausiedlung realisieren lassen.Wir müssen uns natürlich auch das Problem des Etats2014 vor Augen führen. Wir haben für Investitionen nureinen Korridor von vier Monaten, von August bis No-vember, zur Abfinanzierung des Haushalts zur Verfü-gung. Da kann ich den Bundesminister mit seiner Ver-liebtheit in die schwarze Null und seinem Ansinnen, aufdie Haushaltsreste zu spekulieren, ein bisschen verste-hen. Aber wir sind verdammt noch mal auch dafür zu-ständig, dass die Mittel, die wir für vernünftige Vorha-ben einplanen und einsetzen, abfinanziert werden.
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Roland Claus
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Da hilft es nichts, dass der Bundesfinanzminister auf denEinwand von Dietmar Bartsch entgegnet: Herr Bartsch,haben Sie eigentlich nicht mitbekommen, dass wir Wah-len hatten? – Das haben wir sehr wohl mitbekommen.Aber dass Sie danach monatelang im Koalitionsbil-dungskoma verharrt haben, lassen wir Ihnen nicht durch-gehen.
Leider gibt es erneut keine Bewegung bei den Alt-schulden von Wohnungsunternehmen. Man muss inzwi-schen erklären, was das überhaupt ist. Altschulden gehenauf Außenhandelsdefizite der DDR zurück, die ohnesachlichen Bezug auf werthaltige Unternehmen derWohnungswirtschaft und der Landwirtschaft im Jahre1990 umgelegt wurden und seitdem den Banken riesigeProfite ohne eigene Leistungen beschert haben. Nunhabe ich das in der Volkskammer vor x Jahren kritisiert,aber dass das im 25. Jahr des Mauerfalls, dem wir entge-gengehen, immer noch ein Thema ist, hätte ich nicht fürmöglich gehalten. Ich wollte schon sagen: Das ist einTreppenwitz der Geschichte. Aber nein, ich muss sagen:Das ist eine Treppentragödie der Geschichte, für dieauch Sie Verantwortung tragen.
Das kann man sich in verschiedenen Städten an-schauen. Ich nehme als Beispiel eine Wohnungsgenos-senschaft in Röblingen am See. Das ist der Wohnort ei-ner Landrätin, die vor einer Woche mit über 80 Prozentder Stimmen gewählt wurde. Sie hat gegen den Amtsin-haber der CDU gewonnen. Sie gehört der Partei DieLinke an und muss sich jetzt mit dem Problem herum-schlagen.
Die Röblinger Genossenschaft hat 17 solcher Platten-bauten. Sie schafft es gerade einmal, eine pro Jahr zu sa-nieren, weil die Altschuldenproblematik sie bedrücktund ihr den Freiraum nimmt, den sie eigentlich brauchte.Insofern bleiben wir bei unserer Kritik. Es ist einHaushalt der Ignoranz gegenüber dem Osten und auchein Haushalt der sozialen Spaltung. Deshalb brauchenwir auch mit Blick auf künftige Aufgaben einfach vielmehr Mut, ein regionales Gemeinwesen zu denken. Wirwerden Ihnen auch weiterhin kritisch vorrechnen, dassSie mit dem Verkauf der Treuhand Liegenschaftsgesell-schaft bundeseigene Wohnungen an eine Heuschreckeverkauft haben. Alle Befürchtungen, die wir von dieserund anderen Stellen geäußert haben, sind in der Realitätübertroffen worden. Das ist eine Negativbilanz, die aufIhr Konto geht.
Beim Hochwasserschutz – mein letzter Punkt – habenwir leider immer noch kein abgestimmtes nationalesKonzept. Die Konzepte enden im Moment an den Lan-desgrenzen. Da macht aber bekanntlich das Hochwassernicht halt. Als finanzielle Quelle haben Sie, Frau Bun-desministerin, bislang lediglich die Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes“. Die ist aber im Agrarministerium angesiedelt.Das klingt so ein bisschen nach dem spanischen Sprich-wort: Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten.Wir brauchen also in der Tat andere Vorschläge, diewir eingebracht haben. Im Übrigen ist Besserung nur inSicht, wenn Sie auf die Linke hören. Frau Ministerin,wer heute sein Heil im Gestern sucht, ist an der Seite derCDU gut aufgehoben, wer Morgen will, der brauchtlinks.
Die nächste Rednerin für die CDU/CSU ist die Kolle-
gin Marie-Luise Dött.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haus-halt 2014 setzt im Umwelt- und Baubereich die richtigenPrioritäten. Die Mittel, die Deutschland für den interna-tionalen Klimaschutz bereitstellt, steigen weiter an. Wirhalten unsere Zusagen ein. Mit dem AktionsprogrammKlimaschutz werden wir die derzeit bestehende Lückezur Erfüllung unserer nationalen Klimaziele schließen.Wichtig ist es, bei allen Maßnahmen soziale Ausgewo-genheit zu sichern. Für die Unternehmen müssen wir dieeuropäische und internationale Wettbewerbsfähigkeitauf allen Stufen der Wertschöpfung berücksichtigen. Dashaben wir bei der Novelle des EEG hinbekommen, unddas muss auch bei der Weiterentwicklung der Klimapoli-tik gelten.Wir haben mit den im Haushalt zusätzlich bereitge-stellten 4 Millionen Euro die Grundlagen geschaffen,weitere 30 000 Hektar in das Nationale Naturerbe zuüberführen. Mit der Erhöhung der Mittel für den Asse-Fonds auf 1 Million Euro 2014 und auf 3 Millionen Euroab 2015 signalisieren wir den Menschen in der Regionunsere Unterstützung bei der Bewältigung der gesamtge-sellschaftlichen Aufgabe der Lagerung von Atommüll.Es ist richtig, dass die Kompetenz beim Hochwasser-schutz – übrigens auch für die Finanzierung – bei denBundesländern liegt. Die Hochwasserereignisse der ver-gangenen Jahre haben aber auch gezeigt, dass eine Koor-dinierung der Maßnahmen sinnvoll ist. Es war deshalbfolgerichtig, im Koalitionsvertrag die Erarbeitung einesnationalen Hochwasserschutzprogramms sowie die Ein-richtung eines Sonderrahmenplans „Präventiver Hoch-wasserschutz“ zu verankern.
Die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern laufen.Meine Damen und Herren, wir reden heute über denBundeshaushalt 2014, obwohl wir schon mitten im Jahrsind. Ich will mit Nachdruck darauf hinweisen, dass abdem Bundeshaushalt 2015 dringend zusätzliche Mittelfür den Hochwasserschutz veranschlagt werden müssen.Angesichts der enormen Schäden durch die Hochwasserist das gut angelegtes Geld.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3609
Marie-Luise Dött
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Mit dem Haushalt 2014 treten wir auch im Bereichder Suche nach einem Endlager für hochradioaktiveStoffe in eine neue Phase der Arbeit ein. Erster zentralerBaustein ist die Einrichtung der Kommission „Lagerunghoch radioaktiver Abfallstoffe“, die ihre Arbeit bereitsaufgenommen hat. Ich wünsche dieser Kommission fürdie kommenden Monate viel Erfolg. Den wird es aller-dings nur dann geben, wenn alle Beteiligten gegenseiti-ges Vertrauen aufbauen, einander zuhören und vor allemaufeinander zugehen. Ich wünsche mir von allen Betei-ligten, dass sie sich zu jedem Zeitpunkt der Arbeit ihrerVerantwortung bewusst sind.Wie immer bei den Haushaltsverhandlungen kannnicht alles finanziert werden, was sich die Umweltpoliti-ker wünschen. Besonders bedauere ich persönlich, dasses nicht gelungen ist, die Mittel für die Förderung derNachrüstung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mitDieselrußpartikelfiltern bereitzustellen.
Ich hätte mir hier etwas mehr Unterstützung vom Koali-tionspartner gewünscht. Gleichwohl bildet der Haushalt2014 auch im Umweltbereich eine solide finanzielle Ba-sis für die Umsetzung der Vorhaben aus dem Koalitions-vertrag.In der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik setztdie Koalition Schritt für Schritt ihre Vorhaben um. DieAusstattung der Städtebauförderung eröffnet neue Ge-staltungsspielräume. Mit 210 Millionen Euro ist dabeider Stadtumbau der absolute Schwerpunkt. Die Heraus-forderungen des demografischen und wirtschaftsstruktu-rellen Wandels rechtfertigen diese klare Ausfertigung.Alle anderen Programme, auch die „Soziale Stadt“, ord-nen sich dem unter. Hier hat die Bundesministerin dieWeichen richtig gestellt. Dieser Bedarf wird sich auchbei der tatsächlichen Mittelverwendung durch die Län-der abbilden. Die Rolle des Programms die „SozialeStadt“ als Leitprogramm der sozialen Integration wirdgestärkt, ist aber nicht allein Aufgabe der Städtebauför-derung. Der Schlüssel zum Erfolg des Programmsliegt im Zusammenwirken der zuständigen Ressortsund nicht im Portemonnaie der Bundesbauministerin.Nach 15 Programmjahren sollte das endlich einmal re-alisiert werden.
Wir haben uns in den Haushaltsgesprächen erfolg-reich dafür eingesetzt, dass der Bund national bedeut-same Vorhaben der Städtebauförderung eigenständig un-terstützt. Damit leisten wir vor allem einen Beitrag dazu,dass wirklich wichtige Projekte zügig realisiert werdenkönnen. Ich bin gespannt auf die Projektauswahl. Wirsetzen auf ein überdurchschnittliches Investitionsvolu-men und ein hohes Innovationspotenzial. Dieses Pro-gramm soll etwas Besonderes sein und keine simple Al-ternative zu den bewährten Bund-Länder-Programmen.Ich bin auch begeistert von den Themen der erstenbeiden Förderjahre: Welterbestätten, energetische Stadt-sanierung und Stadtbegrünung. Seit Jahren setze ichmich dafür ein, mehr Parks und Grünanlagen in derStadtentwicklung zu realisieren. Sie gehören zu einemausgewogenen, entwickelten Stadtteil. In den Unterneh-men des Garten- und Landschaftsbaus gibt es viele he-rausragend ausgebildete Planer. Sie können mit Mut undIdeenreichtum neue Gartenarchitektur in der Stadt erleb-bar machen.Ebenso freue ich mich darüber, dass der Regierungs-entwurf bei der Unterstützung des altersgerechten Um-baus von Wohnungen deutlich verbessert wurde. Wirwollen es älteren Menschen ermöglichen, solange es ih-nen guttut, in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Dasvertraute Wohnumfeld und die familiäre Geborgenheitsind wichtige Anker im Alltag. Für die Wiederbelebungdes Programms haben sich CDU und CSU seit Jahrenengagiert – zunächst als Kreditvariante und nun wiederals Zuschussprogramm. Das ist ein schöner Erfolg.
Auch in der Wohnungspolitik sind die finanziellenWeichen richtig gestellt. Die schwarz-gelbe Regierungs-koalition hatte die Fortführung der Mittelzuweisungenfür die soziale Wohnraumförderung bis einschließlich2019 beschlossen. Ebenso wurden erste Vorbereitungenfür eine Wohngelderhöhung ab 2015 getroffen. Daraufbaut die Bundesbauministerin auf. Sie wird zügig den er-forderlichen Gesetzentwurf vorlegen. Das Wohngeldmuss in seiner Leistungsfähigkeit verbessert werden.
Rentner und Arbeitslose sind die größten Empfänger-gruppen. Ihr Verbleib im Wohngeldsystem schützt dieKommunen vor zusätzlichen Lasten in anderen sozialenSicherungssystemen.Mit dem geplanten Bündnis für Wohnen wird das Zielverfolgt, den Wohnungsbau in Deutschland anzukurbeln.Ob das damit gelingt, ist auch von seiner Konzeption ab-hängig. Hier sehe ich noch Beratungsbedarf in der Ko-alition. Ein weiterer Gesprächskreis mit allen und jedembirgt die Gefahr des Scheiterns in sich. Liebe Frau Bun-desministerin, hier sehe ich wirklich noch Gesprächsbe-darf in der Koalition.Für die Belebung des Wohnungsbaus ist auch einekritische Auseinandersetzung mit den Kosten des Woh-nungsbaus erforderlich.
Wenn die Kosten weiter steigen und die Mieteinnahmennicht kostendeckend sind, wird der Mietwohnungsbauweiter hinter dem Bedarf zurückbleiben. Dieser Trend istbereits erkennbar. Daher wollen wir eine Baukostensen-kungskommission. So steht es im Koalitionsvertrag. Icherwarte Impulse zur Entfrachtung und Entschlackungstaatlicher Bauvorschriften auf allen Ebenen. Daraufkann die Bundesbauministerin aufbauen. Es geht um dasGrundbedürfnis der Menschen nach angemessenemWohnraum zu fairen Preisen. Das muss in den Mittel-punkt der Bauvorschriften gerückt werden – nicht dieVielzahl finanzieller, wirtschaftlicher und ideeller Inte-
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3610 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Marie-Luise Dött
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ressen jener, die beim Bau von neuen Wohnungen mitre-den und mitverdienen wollen. Hier hat sich eine Schief-lage entwickelt. Den Preis dafür bezahlen Häuslebauerund Mieter gleichermaßen. Da hilft dann auch keineMietpreisbremse.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte FrauMinisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-ten heute einmal an prominenter Stelle in der Tagesord-nung über den Einzelplan 16: Umwelt, Naturschutz, Bauund Reaktorsicherheit. Es ist eine gute Nachricht, dasswir einmal nicht abends um neun oder um zehn über die-ses wichtige Thema reden.Was dürfen die Menschen in unserem Land von dieserDebatte erwarten? Antworten zu den Aktivitäten der Re-gierung, Ihres Ministeriums, werte Frau Hendricks, zuden drängenden Herausforderungen, vor denen Deutsch-land im globalen Kontext in diesem Rumpfjahr 2014 inden Bereichen Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit noch steht!Was sind diese drängenden Herausforderungen? DerKlimaschutz ist schon verschiedentlich angesprochenworden. Ein Klimahaushalt sieht allerdings anders ausals das, was wir jetzt hier angeboten bekommen haben.
Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Antrag einge-bracht, in dem wir unter Einhaltung der nötigen Haus-haltsdisziplin zeigen, wie ein Umsteuern zurück auf denPfad des Klimaschutzes möglich ist. Doch diese Regie-rung will offensichtlich weder ein Klimaschutzgesetznoch einen Klimahaushalt. Dienstwagenprivileg – bleibtunangetastet. Kerosinbesteuerung im Inland – offenbarunerwünscht. CO2-Mindestpreis – nicht angedacht.Liebe Frau Dött, den von Ihnen postulierten Mittelan-stieg im Klimaschutz hat nicht einmal die Ministerin inihrer aktuellen Aufstellung, von der sie gerade sprach, inihrem eigenen Haushalt gefunden. Das ist ein Optimis-mus, den wir nicht teilen können.
Dazu kommt eine klare Niederlage – das ist heute schonangesprochen worden – des Umweltministeriums gegendie Spielgemeinschaft aus Wirtschaftsministerium, gro-ßen alten Stromkonzernen und der IG BCE bei dem indiesen Wochen hier durchgepeitschten EEG. Wir kennendie verschiedenen Änderungsanträge, die uns vielleichtheute noch erwarten, noch nicht. Aber nach dem, waswir bisher kennen, sieht es so aus, als ob es eine klareNiederlage des Umweltministeriums gegenüber den an-deren Interessen gibt.Kohleausstieg: Deutschlands Klimagasausstoß steigtseit zwei Jahren wieder an, dank der dreckigen Kraft-werke, die mit Braun- und Steinkohle befeuert werden.Das schadet Klima und Gesundheit. Im Einzelplan 16 istdies ein wichtiges Thema. Führen Sie doch wenigstensdie Quecksilbergrenzwerte der USA ein.
Dann müssten die Kohlekraftwerke schon jetzt abge-schaltet oder zumindest anders befeuert werden. Undwas ist mit CO2-Jahreshöchstlasten, einem CO2-Min-destpreis und, und, und?Ein Wort zum Fracking, liebe Frau Ministerin, weilSie es gerade angesprochen haben. Die Frackingme-thode zur Erschließung von Erdgas ist nicht nur beiSchiefergaslagerstätten oder unter Kohleflözen unver-antwortbar. Wassergefährdungen durch die Chemikali-encocktails im Frackfluid und in den Flowbacks sindauch bei der Stimulation von Gasaustritten aus anderenLagerstätten gefährlich. Das Vorsorgeprinzip zugunstender nachfolgenden Generationen muss unabhängig vonder Lagerstätte gelten. Wir würden uns freuen, wenn Siediese Position innerhalb der Regierung durchsetzenkönnten. Hier ist natürlich der Wirtschaftsminister ge-fragt.
Welche Herausforderungen drohen uns noch? Res-sourcenschutz ist ein wichtiges Thema. Konferenzendazu finden allenthalben im In- und Ausland statt. An-reize für echten Ressourcenschutz in der Produktion,aber auch im Bergbau oder in der Weiterentwicklung ei-ner echten Kreislauf- und Kaskadenwirtschaft fehlenweiterhin in diesem Haushalt. Wir brauchen ein Wertstoff-gesetz mit dynamischen, ambitionierten Recyclingquoten.Wir brauchen endlich ein modernes Bergrecht, das denSchutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ins Zen-trum bergbaulicher Genehmigungen stellt. Und wir brau-chen eine weiterentwickelte Ressourcenstrategie, die esfür Produzenten endlich attraktiv macht, nicht mehrWergwerfprodukte herzustellen, sondern ressourcenspa-rend zu produzieren.
Zu alledem findet sich in diesem Haushaltsentwurfnichts.Luftreinhaltung: Auch das ist ein wichtiges Thema; esist eben schon angesprochen worden. Feinstaubemissio-nen durch Baumaschinen, Dieselloks und Schiffe – dazusehe ich keinerlei Aktivitäten in dieser Regierung, diehier gegensteuern.Ammoniak aus der Agrarindustrie: Gemeinsam mitdem Landwirtschaftsausschuss hatten wir im Umwelt-ausschuss eine sehr gute Anhörung dazu. Aber gute Er-kenntnisse im Umweltausschuss und im Ministeriumreichen nicht aus. Es braucht Konsequenzen. Diese Kon-sequenzen müssen gegen das Landwirtschaftsministe-rium und die Agrarlobby durchgesetzt werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3611
Peter Meiwald
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– Ich habe nichts gegen Bauern – danke für den Hinweis –,ganz im Gegenteil.
– Es geht um die Großagrarindustrie und nicht um Bau-ern. Mit unseren diversen Anträgen haben wir deutlichgemacht, dass wir sehr wohl auf der Seite der bäuerli-chen Familienbetriebe stehen.
Aber es kann nicht sein, dass zulasten unserer Natur, derTrinkwasserversorgung, der Luftreinhaltung und ähnli-cher Dinge eine Produktion ausgeweitet wird, die an denBedürfnissen der Menschen vorbeigeht.
– Oh doch, ich kann einiges dazu beitragen, aber das ge-hört nicht in den Einzelplan. Das machen wir später.Ökologischer Hochwasserschutz: Auch der großenAnkündigung eines nationalen Hochwasserschutzpro-gramms fehlt leider bisher die materielle Hinterlegungim Haushalt. Das ist eben schon angeklungen. Ein Kon-zept, das über rein technischen Hochwasserschutz durchDeicherhöhungen hinausweisen könnte – Stichworte:Auenrenaturierung, großflächige Retentionsräume undÄhnliches –, ist für uns bisher noch nicht einmal im An-satz erkennbar.Was ist mit dem ökologisch-sozialen Umbau im Woh-nungsbestand? Frau Dött hat gerade viel Lob geäußert.Was wird aus dem Wohngeld, das Sie überarbeiten woll-ten? Mit welchen Haushaltsmitteln soll die aus Klima-schutzgründen notwendige Quote von 3 Prozent energe-tischer Sanierung im Gebäudebestand erreicht werden?Wo ist der Heizkostenzuschuss, den Ihre Fraktion, FrauMinisterin, noch in der letzten Legislatur vehement ge-fordert hat? Nicht einmal ein Miniförderprogramm fürökologische Baustoffe finden wir im hier vorgelegtenHaushalt.Reaktorsicherheit: Auch das gehört zu diesem Minis-terium; dann habe ich meinen Rundumschlag beendet.Was passiert in Ihrem Haus, um international den Atom-ausstieg voranzubringen? Sogar auslaufende Atomver-träge mit Indien und Brasilien werden verlängert; zumNutzen der Atomindustrie, nicht aber zum Schutz derMenschen vor den Gefahren der Atomindustrie.Ich komme zum Schluss. Gute Politik setzt insbeson-dere im Umweltbereich klare Prioritäten auf Klima-schutz, Energiewende, Ökologie und Gesundheitsschutz.Dafür braucht es deutlich mehr Grün. Wir würden unsfreuen, wenn wir in den zukünftigen Beratungen derHaushalte dieser Regierung etwas mehr davon wieder-finden würden.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. André
Berghegger.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Angestrengt, zu-frieden und den Blick fest auf das nächste Ziel gerichtet –das könnte die derzeitige Gemütsbeschreibung unsererFußballer im fernen Brasilien sein. Hoffentlich dauertdas noch eine Weile an. Wir werden es am Donnerstagsicherlich feststellen.Diese Beschreibung könnte aber auch auf die meistenAnwesenden hier im Saal zutreffen. Ich denke, wir wer-den am Freitag, nach langer vorläufiger Haushaltsfüh-rung, den Beschluss über den Haushalt 2014 fassen. Eswar eine Kraftanstrengung, weil wir im Rahmen derHaushaltsplanberatungen die ein oder andere Entwick-lung zu verkraften hatten, die die Finanzlage belastethat; das Stichwort „Brennelementesteuer“ ist hier schongefallen. Es ist aber geglückt, auf diese Situation zu re-agieren. Wir werden einen strukturell ausgeglichenenHaushalt bei einer Neuverschuldung von 6,5 MilliardenEuro haben. Deshalb sind wir hochzufrieden.Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, aufwelch hohem Niveau wir noch vor kürzester Zeit lagen.Noch 2010, zu Beginn der letzten Legislaturperiode, warin einem Jahr eine Neuverschuldung von 86 MilliardenEuro zu verzeichnen. Ein Abbau ist nach und nach er-folgt. 2015 werden wir den ersten Haushalt ohne Neu-verschuldung seit über 40 Jahren anstreben. Dieser his-torischen Chance sind wir sehr nah. Deswegen habenwir dieses Ziel fest im Blick. So weit zur Analogie.
Aus meiner Sicht zeigt dieser beeindruckende Weg inder Haushaltspolitik Folgendes: Sparen und Wachstumsind keine Gegensätze. Das erwarten die Bürgerinnenund Bürger von uns, und zwar zu Recht. Denn diesePolitik ist nachhaltig, sie erhöht die Wettbewerbsfähig-keit in unserem Land und ist zukunftsgerichtet. Sie si-chert damit unseren Lebensstandard. Daran sollten wirfesthalten.Wir beraten hier heute den Einzelplan 16, also denEtat des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit. Der Entwurf des Haushalts-plans 2014 war hierfür eine sehr gute Grundlage. MeinDank gilt dem Finanzminister Schäuble für die sehr guteVorarbeit, der Fachministerin Frau Hendricks für diekonstruktiven Beratungen in ihrem Haus und vor allenDingen den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fach-ausschuss und dem Haushaltsausschuss für die gute Zu-sammenarbeit und die enge Abstimmung der Ände-rungswünsche.
Zugegebenermaßen: Wertmäßig gab es keine allzugroßen Veränderungen. Die empfohlenen Änderungen
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Dr. André Berghegger
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des Haushaltsausschusses wollen wir jedoch umsetzen.Dennoch können wir dabei Schwerpunkte, insbesondereim Baubereich, setzen:Der erste Schwerpunkt ist das altersgerechte Um-bauen. Wir werden das bestehende KfW-Darlehenspro-gramm durch Investitionszuschüsse ergänzen. Wir habengehört, dass dahin gehend großes Einvernehmen bei al-len Fraktionen besteht. Aber, lieber Steffen Lemme, dasVorgängerprogramm ist – ich habe mir notiert, was dugesagt hast – von der alten Regierung nicht „einge-stampft“ worden. Ich würde es eher so formulieren: DasVorgängerprogramm ist zu Zeiten der Krise aufgelegtworden. Es sollte die Wirtschaft ankurbeln und ist ein-fach ausgelaufen. – Ich würde den Vorschlag machen,wir besinnen uns auf die Gemeinsamkeiten. Gemeinsamwerden wir ein neues Programm auflegen.
Ich denke, dass wir mit dem VorgängerprogrammGroßes erreicht haben. Wir werden in diesem Jahr mit10 Millionen Euro starten und bis 2018 über 50 Millio-nen Euro – diese Zahl wurde genannt – einsetzen. DerGrund ist einleuchtend: Die Zahl der älteren Menschenwird in Zukunft deutlich zunehmen. Es wird häufigerMobilitätseinschränkungen geben. Wir müssen Wohnun-gen in großem Umfang an diese Situation anpassen. Bar-rierefreie und barrierearme Wohnungen sind bei weitemzu wenig vorhanden. Ein Kredit hilft eben nicht immer.Denn Menschen haben manchmal ein Alter erreicht, indem sie keinen Kredit mehr aufnehmen wollen oder kön-nen. Deshalb ist dieser Investitionszuschuss sinnvoll an-gelegt.
Durch das altersgerechte Umbauen erreichen wir ei-nen individuellen Nutzen. Wir erhöhen – das hat dieMinisterin vorhin sehr gut herausgestellt – die Lebens-qualität; denn die Menschen können so lange wie mög-lich in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben. Aber wirwerden auch einen gesellschaftlichen Nutzen erzielen;denn je länger man zu Hause leben und wohnen kann,desto später muss man in teure stationäre Pflegeeinrich-tungen. Insofern ist es ein Vorteil für alle.
Herr Claus, das altersgerechte Umbauen dient nichtnur dem Anbau von Fahrstühlen in großen Wohneinhei-ten. Es dient auch dazu; aber manchmal reicht schon derUmbau einer Dusche zu einer barrierefreien Dusche oderdas Anfügen einer Rampe. Das sind kleine Investitionen.Wenn Sie entsprechende Zahlen zugrunde legen, dannerkennen Sie: Es gibt eine Vielzahl von Situationen, dieman berücksichtigen kann. Damit erklärt sich der großeNutzen des Programms.
Dieser Haushalt ist mitnichten ein – so haben Sie esgenannt – „Haushalt der Ignoranz gegenüber dem Os-ten“. Wir haben gemeinsam den Anspruch: Es soll einHaushalt für das gesamte Bundesgebiet sein, der die Le-benssituation aller Menschen verbessert.
Der zweite Schwerpunkt: Städtebauförderung. Zwarwerden wir hier im Vergleich zum Regierungsentwurfkeine zusätzlichen Mittel einsetzen, weil bereits mit demRegierungsentwurf eine deutliche Aufstockung erfolgtist, aber wir werden die Strukturen verändern. Angespro-chen wurde die Einfügung des Bundesprogramms zurFörderung von national bedeutsamen Projekten. Dasheißt, der Bund wird bestimmte Projekte direkt unter-stützen, ohne die sonst übliche finanzielle Aufteilung,die Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Kom-munen. Dadurch können Projekte von überregionaler,überragender und teilweise finanziell besonders großerDimension unterstützt werden. Sonst wären die Kommu-nen vor Ort teilweise überfordert. Wir beginnen in die-sem Jahr mit 2,5 Millionen Euro. Mit insgesamt 50 Mil-lionen Euro in den nächsten Jahren werden wir hier sehrviel Gutes tun. Wir senden damit ein deutliches Signalan alle Kommunen: Wir unterstützen sie bei großen ge-sellschaftlichen Zukunftsaufgaben, insbesondere beimdemografischen, sozialen und ökonomischen Wandelund im Bereich des Klimaschutzes.Ich bin der festen Überzeugung, dass die unterschied-lichen Programme und Projekte zur Städtebauförderungin ganz Deutschland in unterschiedlichster Form wirkenkönnen. Ich kenne ein Beispiel aus meiner HeimatstadtMelle, einem Mittelzentrum mit knapp 50 000 Einwoh-nern im Landkreis Osnabrück. Wir wären dort mit be-stimmten Situationen überfordert; Industriebrachen imInnenstadtbereich würden von der Kommune oder vonInvestoren jahrelang nicht angepackt. Jetzt ergibt sichvielleicht die Möglichkeit, einen – so formuliert man estechnisch – Rückbau und eine Nachverdichtung imWohnbaubereich mitten in der Stadt vorzunehmen. Dasist, was wir wollen. Wir brauchen keine neue Fläche; wirnutzen die vorhandenen Flächen und tun insgesamt et-was Gutes. Insofern sind die Städtebauprogramme fürunser gesamtes Land sehr gut.
Wir sind sowohl beim Einzelplan 16 als auch beimgesamten Haushalt auf gutem Wege. Konsolidieren undGestalten ist kein Widerspruch; das zeigt dieser Haushaltsehr deutlich. Ich bitte Sie um Zustimmung zu den Än-derungen durch den Haushaltsausschuss und um Zustim-mung zu diesem Einzelplan.Lieber Christian Hirte, es gibt in dieser Zeit weitereZitate aus der Fußballersprache. Ich möchte mit demSatz schließen: Das nächste Spiel ist immer dasschwerste. – Freuen wir uns auf die nächsten Haushalts-beratungen!
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Für die Sozialdemokraten erteile ich dem Kollegen
Sören Bartol das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Lenkert, ich finde es sehr unanständig, dass
Sie hier als Redner der Linkspartei am Anfang mit den
Ängsten der Menschen in der Asse-Region gespielt ha-
ben und versucht haben, uns deutlich zu machen, dass
die Rückholung der Abfälle aus der Asse daran scheitern
könnte, dass kein Geld bereitsteht. Das ist einfach nicht
richtig.
Sie wissen selber ganz genau: Es ist ein technisches Pro-
blem. Wir haben im Februar 2013 mit großer Mehrheit
ein Asse-Gesetz beschlossen, wir erhöhen die Mittel im
Asse-Fonds. Ich glaube, wir sollten alle gemeinsam den
Menschen in dieser Region deutlich machen: Wir wol-
len, wenn es technisch irgendwie möglich ist, diese
falsch gelagerten radioaktiven Abfälle zurückholen.
Herr Kollege Bartol, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lenkert?
Ja.
Herr Kollege Bartol, zur Klarstellung: Den Asse-
Fonds habe ich als „Lichtblick“ bezeichnet, weil er dafür
sorgt, dass die Nachteile für die Region ausgeglichen
werden. Wir haben ihn begrüßt. So viel zur Korrektur Ih-
rer Kritik.
Der andere Punkt ist: Sie müssen mehr Engagement
an den Tag legen, das heißt, Parallelinvestitionen tätigen,
damit die Bergung der Fässer in der Asse schneller erfol-
gen kann. Das bedeutet, dass die entsprechenden Vorent-
wicklungen in Angriff genommen werden müssen, aber
auch, dass die Gelder bereitgestellt werden für die Tech-
nik, die benötigt wird, um die Konditionierung unter
Tage vorzunehmen. In Bezug auf alle diese technischen
Aspekte könnten Sie viel mehr bewegen, Sie könnten
viel schneller vorangehen. Das machen Sie aber nicht,
und das werfen wir Ihnen vor.
Herr Lenkert, das Positive ist: Sie argumentieren jetzt
schon sehr viel differenzierter als in Ihrer Rede. Trotz-
dem ist ihr Vorwurf immer noch falsch; denn wir tun al-
les dafür – das haben wir hier im Deutschen Bundestag
parteiübergreifend debattiert und auch umgesetzt –, dass
es möglichst schnell gelingt, die Abfälle aus der Asse
herauszuholen. Sie wissen doch, welche großen, auch
technischen Probleme behoben werden müssen, um dies
möglich zu machen.
Die Kosten, die auf uns zukommen werden, werden
astronomisch sein; auch das wissen wir. Der Deutsche
Bundestag muss aber ganz klar und deutlich sagen: Ja-
wohl, das ist es uns wert. Wenn es technisch möglich ist,
scheuen wir keine Kosten, um die Vorgänge im Bereich
Asse zu stoppen. – Hier nur zu versuchen, den Menschen
zu suggerieren, diese Koalition würde nichts dafür tun,
die radioaktiven Abfälle aus der Asse herauszuholen,
das ist – um es einmal deutlich zu sagen – nicht wirklich
anständig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Beschluss
des Bundeshaushalts 2014 setzen wir eine zentrale so-
zialdemokratische Forderung um: Wir erhöhen die Bun-
desmittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen
Euro. Liebe Kollegin Lemke, dass Sie jetzt für die Grü-
nen anfangen, die 700 Millionen Euro für die Städte-
bauförderung gegen Umweltthemen auszuspielen, ist
– das muss ich ganz ehrlich sagen – ein Armutszeugnis
für grüne Bau- und Wohnungspolitik. Denn eigentlich
war immer Konsens, auch für die Grünen, dass wir das
gemeinsam wollen. Wir sollten uns nun freuen, dass sich
in diesem Bereich etwas tut.
Die Koalition aus CDU/CSU und SPD ermöglicht ei-
nen Investitionsschub für die Zukunft unserer Städte und
Gemeinden.
Herr Kollege Bartol, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder Anmerkung der Kollegin Lemke?
Na gut.
Man muss ja keine Frage stellen; Sie können ja auch ein
Statement abgeben.
Echt jetzt? – Ich kenne die Geschäftsordnung, danke.Aber Sie können sich trotzdem über mehr Redezeitfreuen.Herr Bartol, ich will nur richtigstellen: Ich habe dieStädtebauförderung überhaupt nicht kritisiert, ich habesie für richtig befunden. Ich habe gesagt, dass das eingutes Vorhaben ist. Ich habe Sie insgesamt zu Ihren Er-folgen bei diesen Haushaltsverhandlungen beglück-wünscht. Das war also nicht mein Punkt.Ich habe kritisiert, dass Sie sich mit Ihren strategi-schen Entscheidungen aus zentralen Feldern wie Klima-schutz, Bekämpfung der Klimakatastrophe und derEnergiewende zurückgezogen haben, dass Sie an diesenstrategischen Schnittstellen das Ministerium massiv ge-
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Steffi Lemke
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schwächt haben, indem Sie den Bereich der erneuerba-ren Energien in das Wirtschaftsministerium verlagert ha-ben, und dass Sie damit auf dem zentralen Spielfeld vonUmwelt, Naturschutz und Klimaschutz eine Schwä-chung des Hauses erreicht haben, das Umwelt-, Natur-schutz- und Klimaschutzinteressen wahrnehmen muss.Das Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ kann auchein anderes Ressort übernehmen. Als Rot-Grün regierthat, haben wir das schon einmal in einem anderen Res-sort gut umgesetzt. Aber für Umwelt und Klimaschutzkann nur das Umweltministerium zuständig sein. Hierversagen Sie kläglich.
Frau Lemke, in Ihrem Redebeitrag wird die Wert-schätzung, die Sie der Städtebauförderung insgesamtentgegenbringen, sehr deutlich. Genau das meinte ichmit dem Ausspielen dieser beiden Fachgebiete. BarbaraHendricks hat die Erfolge dieser Koalition in der Um-welt- und Klimaschutzpolitik deutlich gemacht. Ichglaube, dass das Thema erneuerbare Energien beiSigmar Gabriel, der ja auch einen Umwelthintergrundhat –
das wissen Sie doch selber –, sehr gut aufgehoben istund dass die verschiedenen Themen in dieser Koalitionangemessen behandelt werden. Was Sie aber nicht ge-macht haben, Frau Lemke – da hätte ich doch mehr er-wartet –: Sie haben nicht die Chancen dargestellt, diesich ergeben, wenn die Bereiche Umwelt und Bauen ineinem Ministerium verwoben werden.Die Ministerin hat anhand einiger Punkte bereits dar-gestellt, in welchen Bereichen sie etwas vorlegenmöchte. Ich finde, das sind keine Nebensächlichkeitender deutschen Politik. Vielmehr geht es um die zentraleFragestellung: Wie geht es den Menschen in unseren Re-gionen, in unseren Städten und Gemeinden? Ich hätte daetwas mehr Wertschätzung erwartet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dassdiese Koalition wieder an die gute Tradition der Bau-und Stadtentwicklungspolitik der vergangenen Jahr-zehnte anknüpft. Wir haben die ideologischen Auseinan-dersetzungen beendet und arbeiten gemeinsam daran,die Städtebauförderung zu stärken und weiterzuentwi-ckeln. Dafür gilt mein ausdrücklicher Dank den Haus-hältern, den Baupolitikerinnen und Baupolitikern. Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, haben in den letzten Monaten kenntnisreichund mit großer Ausdauer mit uns über die Ausgestaltungder Programmstruktur bis ins kleinste Detail diskutiert.Dafür noch einmal mein Dank. Mein Dank gilt auch demBundesministerium für die fachliche Begleitung. DasErgebnis ist ein starkes Signal an Städte und Gemeinden,an die vielen, die sich vor Ort, in ihrem Wohnumfeld fürkonkrete Verbesserungen engagieren.Auch wenn es bereits gesagt worden ist, möchte ichaufgrund meiner jahrelangen Verbundenheit mit diesemThema Folgendes noch einmal hervorheben: Das Pro-gramm „Soziale Stadt“ – so haben wir es im Koalitions-vertrag vereinbart – wird mit dem Haushalt 2014 zumstarken Leitprogramm der sozialen Integration in derStädtebauförderung. Nächste Woche wird hier in Berlinder „Preis Soziale Stadt“ zum achten Mal vergeben. Diedort prämierten Projekte haben jetzt endlich wieder eineverlässliche finanzielle Zukunftsperspektive. 2011 habendie Auslober des Preises – GdW, Mieterbund und Arbei-terwohlfahrt – mit anderen das „Bündnis für eine sozialeStadt“ gegründet, unterstützt von Quartiersmanagerin-nen und Quartiersmanagern. Für ihr Engagement möchteich allen am Bündnis Beteiligten herzlich danken. Siehaben bewiesen, was Stadtentwicklungsprozesse drin-gend brauchen: einen ganz langen Atem.Wir stärken die Städtebauförderung nicht nur finan-ziell, sondern wir wollen sie auch inhaltlich weiterentwi-ckeln. Das geht nicht vom grünen Tisch aus, sondern nurmit den Beteiligten in Ländern und Kommunen, in Wirt-schaft und Verbänden. Unser Ziel ist es, die Programm-umsetzung vor Ort zu vereinfachen und die Bündelungvon Förderprogrammen zu erleichtern. Mein Anliegenist es insbesondere, die Beteiligung in allen Programmender Städtebauförderung zu verankern. Da können wirviel von dem Programm „Soziale Stadt“ lernen: Verfü-gungsfonds, Quartiersräte, echte Entscheidungsalterna-tiven, das Denken jenseits von Ressortgrenzen. Das istein Lernprogramm für die Verwaltung und für die Bür-gerinnen und Bürger. In der eigenen Straße und im eige-nen Stadtteil über die eigenen Lebensbedingungen be-stimmen zu können, ist eine wesentliche Voraussetzungfür eine gute Lebensqualität. Nur so funktioniert guteStadtentwicklung.Die Stärkung der Städtebauförderung ist ein Bausteindes wohnungsbau- und stadtentwicklungspolitischenProgramms dieser Koalition. Unsere Ziele sind lebens-werte Städte und bezahlbares Wohnen. Die Mietpreisspi-rale in wachsenden Städten dreht sich weiter, und das hatFolgen für die soziale Mischung und das Miteinander inden Städten.Wir werden zuerst zügig die Reform des Wohngeldsangehen. Erstmals seit 2009 werden wir das Wohngeldwieder an die Miet- und Einkommensentwicklung an-passen. Damit steigt auch die Zahl der Wohngeldberech-tigten wieder. Weniger Menschen mit geringem Einkom-men werden gezwungen sein, allein wegen hoher Wohn-und Nebenkosten Arbeitslosengeld II oder Grundsiche-rung im Alter zu beantragen. Gleichzeitig entlastet dasdie kommunalen Haushalte bei den Kosten der Unter-kunft.Außerdem werden wir die Mietpreisbremse einfüh-ren. Ich glaube, das war nicht nur für die SPD ein zentra-les Wahlkampfthema, sondern auch für CDU und CSU.Wir brauchen die Mietpreisbremse als kurzfristig wirk-sames Instrument, um Mieterinnen und Mieter vor über-zogenen Mietforderungen zu schützen.
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Sören Bartol
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Damit es deutlich gesagt wird: Wir alle wissen, dass dieMietpreisbremse den Neubau nicht ersetzen kann; abersie begrenzt Exzesse auf angespannten Wohnungsmärk-ten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Mietpreis-bremse wird den Neubau nicht abwürgen. Deswegenbleibt es Ziel dieser Koalition, ein möglichst frühes In-krafttreten der Mietpreisbremse zu erreichen.
Auf angespannten Wohnungsmärkten brauchen wirNeubau. Wir brauchen mehr Wohnraum, der familienge-recht, altersgerecht, energiesparsam und klimaschonendist. Der Bund wird das nur gemeinsam mit den Ländern,der Bau- und Wohnungswirtschaft und dem Mieterbunderreichen können. Neben neuen Impulsen bei der sozia-len Wohnraumförderung und bei der Förderung genos-senschaftlichen Neubaus mangelt es vor allen Dingen anBauland zu vertretbaren Preisen.Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Bundes-anstalt für Immobilienaufgaben dazu einen Beitrag leis-ten soll. Die verbilligte Abgabe von ehemals militärischgenutzten Grundstücken ist ein erster Schritt, der imHaushalt 2015 umgesetzt werden muss. Weitere Schrittemüssen folgen; denn die Beschränkung auf Konver-sionsliegenschaften ist in meinen Augen zu eng.
Der Bund kann und muss die Liegenschaftspolitik alsGestaltungsinstrument nutzen. Nicht der Höchstpreis,sondern Konzepte der Kommunen für bezahlbarenWohnraum und eine lebendige Stadt müssen entschei-dend sein.Gutes und bezahlbares Wohnen ist ein Gesamtpaketaus Neubau, Umbau des Bestandes und sozialer Flankie-rung. Deswegen ist es gut, dass Barbara Hendricks das„Bündnis für bezahlbares Wohnen“ im Juli startet. Auchdafür vielen Dank.Danke schön.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Georg
Nüßlein, dem ich das Wort erteile.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen! MeineHerren! Wenn wir von Verantwortung für die Schöpfungsprechen, meinen wir von der Union immer die Verant-wortung für Mensch und Natur gemeinsam. Wir verste-hen darunter einen sparsamen Umgang mit endlichenRessourcen, eine klare Orientierung am Gebot der Wirt-schaftlichkeit und ein starkes Vertrauen in die Kräfte vonInnovation und Wettbewerb im Bereich der Marktwirt-schaft. Das ist unser Leitbild einer modernen Umwelt-und Baupolitik, meine Damen und Herren.
Genau dieses Leitbild spiegelt aus meiner Sicht derHaushalt, den wir hier diskutieren, wider.Weil verschiedene Kollegen hier auf die Klimapolitikeingegangen sind, will ich Folgendes deutlich unterstrei-chen: In der Tat ist es so, dass die Energiewende inDeutschland Kern unserer Klimapolitik ist. Nachdemwir heute die Verhandlungen zum EEG endgültig abge-schlossen haben – das war angesichts der besonderen Si-tuation, nämlich dass die EU gemeint hat, sich hier über-mäßig einbringen zu müssen, sehr schwierig –, kann ichIhnen versichern, dass wir diese Energiewende nicht ab-würgen werden. Ganz im Gegenteil: Wir leisten mit demneuen EEG einen Beitrag dazu, dass die Akzeptanz fürdieses Gesetz erhalten bleibt, indem wir es kostenorien-tiert ausrichten.
Das halte ich für ganz entscheidend.Die Kollegin Lemke hat auf die Zuständigkeit desWirtschaftsministeriums hingewiesen. Diese Zuständig-keit haben wir von der Union uns schon lange Zeit ge-wünscht, weil wir wissen, dass es jetzt nach vielen Jah-ren reiner Förderung des Aufbaus von Kapazitäten dererneuerbaren Energien darum gehen muss, ein neuesEnergiemarktdesign zu erstellen. Es geht darum, die er-neuerbaren Energien nicht mehr nach dem Motto „Kostees, was es wolle“ zu fördern, sondern sie in einen neuenStrommarkt zu integrieren.Ich darf Ihnen sagen: Mir gefällt nicht alles, was derKoalitionspartner in Gestalt des Wirtschaftsministers ander Stelle vorträgt.
Zum Beispiel bin ich dezidiert der Auffassung, dass esnicht darum geht, die Geschäftsmodelle der Versorger zuverschonen. Das wird uns nicht gelingen. Es geht viel-mehr darum, die Kosten gleichmäßig so zu verteilen,dass sie bezahlbar bleiben und wir ein Industriestaatbleiben. Ich sage das ganz bewusst, weil es Gott seiDank mittlerweile auch gelungen ist, bei den Verhand-lungen klarzustellen, dass der allergrößte Teil des Parla-ments der Auffassung ist, dass wir die energieintensiveIndustrie von zu viel Unbill in Form einer EEG-Umlage,die mittlerweile auf 6,24 Cent gestiegen ist, befreienmüssen, damit sie im internationalen Wettbewerb beste-hen kann.Eines muss uns auch klar sein: Die Energiewendewird von anderen nur übernommen, wenn sich unserWohlstand weiter erhöht. Uns wird niemand nacheifern,wenn Klimaschutz am Schluss nicht zu mehr Wirt-schaftswachstum führt, sondern zu weniger. Das kannman, meine Damen und Herren, insbesondere nicht vonden Schwellenländern erwarten, die, von einem niedri-gen Niveau ausgehend, andere Erwartungen an die Zu-kunft mit Blick auf die Wohlstandsmehrung haben. Des-halb ist der Ansatz, den wir hier gemeinsam mit den
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Dr. Georg Nüßlein
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Kollegen aus dem Wirtschaftsressort erarbeitet haben,vollständig richtig.
Ich meine, dass die Energiewende Deutschland in derKlimapolitik eine Stimme, Gewicht und Glaubwürdig-keit verleiht. Dieses Kapital werden wir auch bei denVerhandlungen zum neuen globalen Klimaschutzabkom-men, das wir Ende nächsten Jahres in Paris abschließenwollen, in die Waagschale werfen. Deutschland ist allenUnkenrufen zum Trotz ein verlässlicher und glaubwürdi-ger Akteur in der Klimapolitik. Die Ministerin hat dasunter Bezugnahme auf die Haushaltszahlen, auf die1,8 Milliarden Euro, eindrucksvoll dargestellt.Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass imHaushalt von Gerd Müller die Verpflichtungsermächti-gung von 750 Millionen Euro eingestellt ist. Das ist eineMenge Geld; es macht uns in dem Zusammenhang hand-lungsfähig. Ich möchte, um hier Missverständnissen vor-zubeugen, deutlich unterstreichen: Es kommt nicht alleinauf den Betrag in Euro und Cent an, den man hinein-steckt; am Schluss – da zitiere ich Helmut Kohl – ist ent-scheidend, was hinten herauskommt.
Ich glaube, dass wir manches effizienter und besser ma-chen, als Sie denken.
Natürlich gehört zur Glaubwürdigkeit in der Klima-politik auch, dass wir unsere Hausaufgaben zu Hausemachen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich den Vor-schlag der Frau Bundesministerin, ein Aktionsprogramm„Klimaschutz“ zu erarbeiten. Dieses Programm soll da-bei helfen, die gesteckten Klimaziele bis 2020 wirklichzu erreichen.Lassen Sie uns dabei gemeinsam schauen, wo wir ak-tuell stehen, was wir vielleicht noch verbessern könnenund wo es in den Sektoren sinnvolle weitere Einsparpo-tenziale bei den Treibhausgasemissionen gibt, und zwarin einem breit angelegten und transparenten Prozess.Lassen Sie uns aber auch strikt das Wirtschaftlichkeits-gebot beachten. Zu Recht vereinbartes Ziel dieser Koali-tion ist es, mit engagiertem Klimaschutz DeutschlandsWettbewerbsfähigkeit zu steigern und nicht zu senken.Ich bin zuversichtlich, dass wir hier tragfähige Lösungenfinden.Das gilt auch für die Reform des EU-Emissionshan-dels. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Reformdis-kussion in Brüssel konstruktiv begleitet und mitgestaltet.Gut ist aber auch, dass sie dabei insbesondere Vorkeh-rungen einfordert, wie eine Abwanderung der emissions-intensiven Produktion ins Ausland vermieden werdenkann. Wir werden uns deshalb die Vorschläge zur Markt-stabilitätsreserve gemeinsam ganz genau anschauenmüssen. Denn Klimaschutz, aus dem wirtschaftlicheNachteile entstehen, wird bei den Menschen keine Un-terstützung finden. Ich will aber, dass er Unterstützungfindet.Für eine erfolgreiche Klimapolitik, für den Erfolg derEnergiewende, für eine erfolgreiche Umweltpolitik ins-gesamt brauchen wir die Akzeptanz der Menschen. Dasist auch der Grund, warum wir in dieser Woche eineLänderöffnungsklausel im Baugesetzbuch beschließenwerden, die es den Ländern ermöglicht, länderspezifi-sche Regeln über die Mindestabstände zu Windkraftan-lagen festzulegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mitdiesem neuen Instrument einen besseren Ausgleich zwi-schen den Interessen der vom Windenergieausbau be-troffenen Bürger und den Erfordernissen einer erfolgrei-chen Energiewende schaffen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich binsehr verwundert, wie wenig Vertrauen Sie in bürgernaheRegelungen haben. Glauben Sie mir, die Länder werdenverantwortungsbewusst mit diesem Instrument umge-hen.
Wenn Sie es nicht glauben, schauen Sie sich den in Bay-ern bereits vorliegenden Gesetzentwurf an. Die Meinungder vom Windausbau betroffenen Bürgerinnen und Bür-ger ist eindeutig. Das hat auch die Anhörung zu diesemThema gezeigt. Es zeugt von enormer Ignoranz, die vor-handenen Bedenken und auch Ängste der Bevölkerungeinfach vom Tisch zu wischen. So schaffen Sie bestimmtkeine Akzeptanz. Wer sich so verhält, gefährdet den Er-folg der Energiewende.
Wir brauchen noch mehr Akzeptanz, noch mehr Be-geisterung. Deshalb ist es wichtig, dass wir das, wofürwir eintreten, nämlich für die Bewahrung der Schöp-fung, für eine faszinierende, vielfältige und natürlicheUmwelt, unmittelbar erfahrbar machen. Dass wir in denHaushaltsverhandlungen zusätzliches Geld für die Über-führung von weiteren mindestens 30 000 Hektar Flächein das Nationale Naturerbe zur Verfügung stellen konn-ten, ist aus meiner Sicht ein wichtiges Signal. Wir stei-gern damit nicht nur die Biodiversität, sondern gestaltenauch ein attraktives Lebensumfeld für die Menschen.Genau das ist – es wurde schon angesprochen – einzentrales Anliegen im Bereich der Städtebauförderung.Hier konnten wir in der Tat einen guten und solidenSprung nach vorne machen und die Themen so ausrichten,dass wir gezielt fördern können. Das Förderprogramm„Altersgerecht Umbauen“ halte ich für zeitgerecht undwichtig. Die dafür bereitgestellten 10 Millionen Euromuss man im Zusammenhang mit dem sehen, was dieKfW an der Stelle tut. Hier können wir durchaus zeigen,dass wir auf einem richtigen, guten Weg sind.
Meine Damen und Herren, auch mit der Mietpreis-bremse sind wir auf einem richtigen, guten Weg,
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Dr. Georg Nüßlein
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allerdings nur dann, Herr Kollege Bartol, wenn wir siemit Maßnahmen kombinieren, die dabei helfen, dieschwierige Situation auf den Wohnungsmärkten zu ver-bessern. Wir wären auf einem schlechten Weg, wenn wirmeinen würden, allein dadurch, dass der Staat Preisgren-zen festsetzt, könne man dafür sorgen, dass die Mietensignifikant sinken. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Preis-grenze führt zu Investitionsattentismus und dazu, dasswir letztlich weniger Wohnungen und damit teurere Mie-ten haben.Nur die Kombination macht also Sinn: auf der einenSeite die Mietpreisbremse und auf der anderen SeiteMaßnahmen, die dazu beitragen, die Situation auf demWohnungsmarkt zu entspannen. Das werden wir, wie ichdenke, nach der Sommerpause im Detail verhandeln. Ichbin davon überzeugt, meine Damen und Herren, dass wireine gute Lösung hinbekommen werden.In diesem Sinne: Vielen Dank.
Letzter Redner zum Einzelplan 16 ist der Kollege
Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Regierungsentwurf zu den Kapiteln 1601bis 1607 des BMUB hat ein Volumen von 2,78 Milliar-den Euro, davon 57,1 Millionen Euro für den Natur- undArtenschutz; das entspricht etwa 2 Prozent des vorge-nannten Haushaltsansatzes des Ministeriums. MehrereRedner haben schon darauf hingewiesen, dass in der Be-reinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 5. Junidieses Jahres 4 Millionen Euro zusätzlich für das Natio-nale Naturerbe als Erstattung an die Bundesanstalt fürImmobilienaufgaben aufgenommen wurden. Jemanden,der sich für den Naturschutz besonders engagiert, freutdas natürlich.
In meiner bisherigen beruflichen Praxis habe ich mitmeinen Kolleginnen und Kollegen schon viele Haus-haltsbereinigungssitzungen durchführen müssen. Es standaber in der Regel zum Schluss weniger Geld zur Verfü-gung als vorher. Deshalb ist das eine sehr gute Entwick-lung. Frau Ministerin, ich würde mich freuen, wenn manuns im Umweltausschuss nach der Sommerpause einenMaßnahmenkatalog vorlegen und erläutern würde, wiediese zusätzlichen 4 Millionen Euro eingesetzt werden.Die Erläuterungen, die wir bisher bekommen haben, wa-ren sehr umfangreich und sehr gut. So kann man sichauch als neuer Abgeordneter schnell in die Materie ein-arbeiten.
Lieber Kollege Hirte, ich darf Sie ganz kurz korrigie-ren: Es sind nicht 57 Millionen Euro, die damit zur Ver-fügung stehen, sondern 61 Millionen Euro. Das sind20 Prozent mehr als im Vorjahr bzw. 40 Prozent mehr alsim Jahr 2012.Die Mehrausgaben sind für die Begleitforschung zumAusbau der erneuerbaren Energien vorgesehen. Damitwerden die Auswirkungen der Energiewende auf denNatur- und Landschaftshaushalt und Maßnahmen zu de-ren naturverträglicher Ausgestaltung untersucht. Es sollein Beitrag dazu geleistet werden, die Energiewende imEinklang mit den Zielen der Bundesregierung zum Er-halt der biologischen Vielfalt umzusetzen. Aus diesenMitteln wird außerdem die Finanzierung von Leistungendes im Koalitionsvertrag vereinbarten Kompetenzzen-trums „Naturschutz und Energiewende“, das zu einerVersachlichung der Debatte und zur Vermeidung vonKonflikten vor Ort führen soll, in Höhe von circa 1 Mil-lion Euro gesichert. Dass die Naturschutzbegleitfor-schung dringend erforderlich ist, zeigen erste Erkennt-nisse über die negativen Auswirkungen der Vermaisungder Landschaft auf die Biodiversität.Die Arbeit der Verbände spielt für den Naturschutz inunserem Land eine große Rolle. Daher unterstützt derBund im Rahmen der Projektförderung zahlreiche Ver-bände und sonstige Vereinigungen auf den Gebieten desUmwelt- und Naturschutzes mit Zuschüssen in Höhevon jährlich 12 Millionen Euro. Liebe Kolleginnen undKollegen, ich darf Sie beruhigen: Greenpeace, eine Or-ganisation, die nicht nur durch spektakuläre Aktionen,sondern neuerdings auch durch erfolglose Spekulationenmit Spendengeldern auffällt, erhält nach meinem Kennt-nisstand keine Zuschüsse vom Bund.
Die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“– sie wurde im November 2007 von der Bundesregie-rung beschlossen – soll in diesem Jahr mit 15 MillionenEuro unterstützt werden. Gefördert werden insgesamt14 Vorhaben. Die bewilligten Vorhaben können nur ein-zelne Bundesländer betreffen wie zum Beispiel das Al-ler-Projekt in Niedersachsen, mehrere Bundesländerumfassen wie zum Beispiel die Vernetzung der Lebens-räume für die Wildkatze, an der insgesamt neun Bundes-länder beteiligt sind, oder von bundesweiter Relevanzsein wie die Unterstützung der Naturschutzjugend imNABU.Der Titel 882 01 beinhaltet Zuweisungen zur Errich-tung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur undLandschaft von gesamtstaatlicher Bedeutung; er ist ingleicher Höhe wie im Vorjahr veranschlagt. Der Bundträgt höchstens 75 Prozent der einmaligen Projektausga-ben. Grundsätzlich sind mindestens 10 Prozent der Kos-ten von den Projektträgern zu finanzieren. Der verblei-bende Anteil ist vom jeweiligen Land aufzubringen. Beider Auswahl der Projekte wird ein besonders strengerMaßstab hinsichtlich der Beurteilung der gesamtstaatli-chen Bedeutung und des beabsichtigten Projektergebnis-ses angelegt. Für 2014 werden acht Vorhaben aus fünfverschiedenen Bundesländern neu aufgenommen.
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Dr. Klaus-Peter Schulze
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Nicht nur durch direkt aus dem Haushalt des BMUBfinanzierte Maßnahmen werden Beiträge zum Natur-und Landschaftsschutz geleistet: Bei jeder Infrastruktur-maßnahme sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen er-forderlich. Die Kosten dafür belaufen sich mittlerweileauf bis zu 25 Prozent der Gesamtkosten. Ich denke, dassman in der Zukunft noch mehr als bisher auf die ökolo-gische Wirksamkeit achten muss. Einzelne Baumgrup-pen, Hecken, vielleicht mit ein paar Sitzkrücken deko-riert, sind nachhaltig für das Honorar der Planer, für denNatur- und Artenschutz wohl eher nicht.
Die Realisierung einiger weniger größerer Maßnah-men, die in ihrer Vielschichtigkeit vernetzt werden, istunter gesamtökologischer Betrachtung wesentlich nach-haltiger als die Realisierung vieler kleiner Maßnahmen.Ich sage nur: Klotzen, nicht kleckern! – Das erfordertnatürlich eine gründliche Vorbereitung. Da unsere Pla-nungszeiträume mittlerweile sehr lang sind, ist dafür ausmeiner Sicht auch ausreichend Zeit vorhanden.Auch das angestrebte Hochwasserschutzprogrammkann Beiträge zu einer nachhaltigen Natur- und Land-schaftsentwicklung leisten, wenn es gelingt, die Verän-derungen in den Auen der großen Flüsse und Ströme un-ter ökologischen Gesichtspunkten umzusetzen. Dazu istes jedoch notwendig, die unterschiedlichen Nutzungsin-teressen auszugleichen, damit Akzeptanz vor Ort er-reicht wird. Eine frühzeitige Einbeziehung der Landnut-zer in die Planungsprozesse ist dringend erforderlich.Ich habe Verständnis dafür, dass wir uns hier zunächstein wenig Zeit lassen, um die Konflikte, die sich vor Ortergeben können, vorweg auszuräumen. Man sollte hierwirklich nach dem Motto „Gründlichkeit vor Eile“ vor-gehen. Deshalb kann ich zum Beispiel Ihre Bemerkunggegenüber der Ministerin nicht verstehen, Herr Meiwald.Ich glaube, wir sollten uns hier wirklich Zeit lassen, umdie Sache gründlich vorzubereiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energiewendestellt auch aus naturschutzfachlicher Sicht eine großeHerausforderung dar. Das Bundesamt für Naturschutzwird eine Reihe von Fragestellungen fachlich bearbeitenund den naturschutzrechtlichen Vollzug in der aus-schließlichen Wirtschaftszone in der Nord- und Ostseeübernehmen. Die personellen Voraussetzungen dafürwerden mit dem Stellenplan 2014 geschaffen: Es sind elfneue Stellen vorgesehen.Das BfN als zuständige Fachbehörde hat die Aufgabe,die einzelnen Formen der Gewinnung erneuerbarerEnergien an Land sowie Projekte der Energieleitung und-speicherung aus Sicht des Natur- und Landschaftsschut-zes zu untersuchen und bundesweit tragfähige Lösungenzu entwickeln. Der Ausbau von Offshorewindparks sollwesentlich zum Erreichen der Energiewende beitragen.Als Vollzugsbehörde muss das Bundesamt eine Flächevon 34 000 Quadratkilometern – das entspricht etwa derFläche Nordrhein-Westfalens – bearbeiten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, am26. März 2014 wurde der Bericht „Die Lage der Natur inDeutschland“ veröffentlicht. Dieser Bericht konnte nurerstellt werden, weil viele ehrenamtliche Naturschützerzusammen mit den Behörden die Daten von über12 000 Stichproben zusammengetragen haben. Wir ha-ben damit in Deutschland einen einmaligen Datenschatz,der weiterzuverarbeiten ist. Ich möchte mich an dieserStelle bei den vielen ehrenamtlichen Naturschützern be-danken, die viel Zeit dafür aufgewendet haben, um dieseDaten zusammenzutragen.
Bei vielen von ihnen wurde das Interesse für Natur-und Artenschutz bereits im Jugendalter geweckt – oftdurch einen interessanten Biologieunterricht. Mir wirdhier schon ein wenig bange, wenn ich höre, dass im Süd-westen der Republik darüber nachgedacht wird, diesenBiologieunterricht abzuschaffen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Herr Kollege Schulze, das war IhreJungfernrede hier im Deutschen Bundestag. HerzlichenGlückwunsch dazu von meiner Seite und sicher auch imNamen des gesamten Hauses.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung.Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion DieLinke vor, über die wir zuerst abstimmen:Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-che 18/1817? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bei Enthaltungder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-che 18/1818? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmender Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 16 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 16 ist mit den Stimmen der KoalitionsfraktionenCDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenom-men.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.6 auf:Einzelplan 15Bundesministerium für GesundheitDrucksachen 18/1023, 18/1024
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Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Berichterstatter sind die Abgeordneten Petra Hinz
, Helmut Heiderich, Dr. Gesine Lötzsch und Ekin
Deligöz.Zu diesem Einzelplan liegen vier Änderungsanträgeder Fraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat GesineLötzsch, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Bevor ich über Geld rede, möchteich eine grundsätzliche Bemerkung vorab machen: Voreinigen Tagen ging die Meldung durchs Land, dass jederzehnte Fehltag von Beschäftigten auf Rückenleiden zu-rückzuführen ist. Rückenbeschwerden kommen vor al-len Dingen bei Menschen vor, die schwere körperlicheArbeiten verrichten müssen, etwa auf dem Bau oder inder Pflege, bei Kraftfahrern – wegen der oft belastendenKörperhaltung – und bei Arbeitslosen – wegen des psy-chischen Drucks, dem sie ausgesetzt sind.Die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, machtimmer mehr Menschen krank. Wer auf knallharte Kon-kurrenz, maximale Arbeitsverdichtung und 24-Stun-den-Flexibilität setzt, der überfordert jeden Menschenund jedes Gesundheitssystem. Darum sage ich: Wenn esuns gelingen würde, unsere Arbeits- und Lebenswelt so-lidarischer und gerechter zu gestalten, dann könnten wirauch die Krankheitskosten rapide senken, und ich denke,das ist das Gebot der Stunde.
Allerdings gibt es – das wissen wir alle aus leidvollerErfahrung – natürlich auch viele Unternehmen auf demGesundheitsmarkt, denen einen multimorbider Patientlieber ist als ein gesunder Versicherter. Die Gesundheitwird immer mehr zur Ware. Ich finde, das ist das Haupt-problem in unserem Gesundheitssystem. Dieses Problemwollen und müssen wir lösen.
Dazu brauchen wir erstens eine solidarische Bürgerver-sicherung, in die alle einzahlen müssen und dürfen, undzweitens eine viel strengere Regulierung des Gesund-heitsmarktes.Damit bin ich auch schon beim Geld. Gerade an derGesundheitspolitik der Bundesregierung lässt sich leidersehr gut zeigen, wie man mit kreativer Buchführung ei-nen Bundeshaushalt scheinbar, aber eben nur scheinbar,sanieren kann. Der Finanzminister und viele Kollegenhaben heute schon von der schwarzen Null gesprochen.Herr Schäuble hat sich vorgenommen, ab 2015 ohneneue Schulden auszukommen. Das wäre ein gutes Ziel,wenn man dieses Ziel ehrlich angehen würde. Aber lei-der wird getrickst, was das Zeug hält. Am Gesundheits-etat kann man das besonders gut zeigen.Wie passiert dieses Tricksen? Der Bundeshaushaltwird entlastet, indem zum Beispiel der Zuschuss für denGesundheitsfonds für zwei Jahre um insgesamt 6 Mil-liarden Euro willkürlich gekürzt wird. Der Zuschuss solldann ab 2017 wieder erhöht werden. Aber wer weißschon, was im Jahr 2017 sein wird und welche Regie-rung dann im Amt sein wird. Die Probleme schön in dieZukunft zu verschieben, hat mit Nachhaltigkeit wenig zutun.
Das Institut für Weltwirtschaft aus Kiel hat prognosti-ziert, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen indiesem Jahr ein Defizit von 1,7 Milliarden Euro und imnächsten Jahr von 6,1 Milliarden Euro haben werden.Grund sind vor allen Dingen die immer schneller stei-genden Kosten für das Krankengeld allein aufgrund derdemografischen Entwicklung.Wir haben in der Debatte um den Einzelplan desMinisteriums von Frau Hendricks viel über das altersge-rechte Wohnen gehört. Aber natürlich muss auch bei denGesundheitskosten einkalkuliert werden, wie sich unsereimmer älter werdende Gesellschaft entwickelt. DieKrankenkassen haben in dieser Situation leider nur eineMöglichkeit, die Kürzung des Bundeszuschusses und diesteigenden Gesundheitskosten auszugleichen: Sie müs-sen sich das Geld bei den Versicherten holen. Das istnicht in Ordnung, das ist sozial ungerecht, das lehnenwir ab.
Auch wenn der Gesundheitsminister immer wiederbestreitet, dass die Krankenkassenbeiträge steigen wer-den: Es wird zwangsläufig dazu kommen. Dafür gibt esnämlich eine einfache Rechnung: Die Kosten für das Ge-sundheitssystem steigen schneller als die Löhne, die Ge-hälter und die Renten. In den vergangenen zehn Jahrensind die Einnahmen der Krankenkassen nur um 2 Pro-zent jährlich gestiegen, die Ausgaben aber um 3,7 Pro-zent. Deshalb stieg der Beitragssatz regelmäßig. Daswird in Zukunft auch nicht anders sein, wenn sich in die-sem Land nicht grundsätzlich etwas ändert. Ich finde,gerade im Gesundheitssystem muss sich sehr viel grund-sätzlich ändern.Die Arbeitgeber sind von CDU und CSU aus der soli-darischen Finanzierung entlassen worden, die SPD hatdamit offensichtlich keine Probleme. Nun sind wir in derSituation, dass die Kostensteigerungen zu 100 Prozentvon den Versicherten getragen werden müssen. Das istbesonders ungerecht; denn der Sozialausgleich, der eineDeckelung vorsah, ist abgeschafft worden. Ich hättenicht gedacht, dass ich in diesem Haus die FDP einmalpositiv erwähnen muss. Aber dieser Sozialausgleich mitDeckelung, also die Begrenzung der Zusatzbeiträge auf2 Prozent des Einkommens, ist unter einem FDP-Ge-
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Dr. Gesine Lötzsch
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sundheitsminister eingeführt worden und unter einemchristdemokratischen Minister wieder abgeschafft wor-den. Herr Gröhe, das war wirklich eine falsche Entschei-dung von Ihnen.
Was hier vorliegt, hat mit einer gerechten Gesund-heitspolitik nichts zu tun. Wir könnten, wenn wir woll-ten, die Gesundheitskosten insgesamt senken, wenn wirin Deutschland – ich habe das schon einmal betont, ichwill es aber wiederholen – endlich eine solidarische Bür-gerversicherung einführen würden. Viele sind dafür. Ichfinde, man muss dies nicht nur ansprechen, sondernmuss die Mehrheiten auch organisieren und dann hier imHaus entsprechend abstimmen.Die Kürzung des Bundeszuschusses wäre nicht erfor-derlich, wenn wir in diesem Land endlich eine gerechteSteuerpolitik durchsetzen würden. Ich sage Ihnen: DerKoalitionsvertrag von Union und SPD enthält einenGrundfehler, nämlich den, auf eine gerechte Steuerpoli-tik zu verzichten. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der SPD, das ist ein Thema, das Sie in IhrenReihen, in Ihrer Partei noch einmal sehr gründlich disku-tieren sollten. Denn es stand ja auch in Ihrem Wahlpro-gramm: Nur mit einer gerechten Steuerpolitik kann mandieses Land gerecht und sozial gestalten.Meine Damen und Herren, kreative Buchführung istetwas, was man Systemen oder Leuten vorwirft, die gerntricksen. Ich möchte nicht einem Haushalt zustimmen,der vor allen Dingen von kreativer Buchführung lebt.Die Linke wird den Einzelplan 15 ablehnen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Zuhörer! Während wir hier über Zahlen undStrukturen debattieren, sind in unserem Land im Ge-sundheitsbereich, im Pflegebereich, aber auch als pfle-gende Angehörige Millionen Menschen im Einsatz, diejeden Tag mehr leisten – jedenfalls viele von ihnen –, alses ihre Pflicht ist. Ich glaube, in einer solchen Debatte istes auch einmal notwendig, darauf hinzuweisen, dassdiese Menschen unsere Anerkennung verdienen. Dennhinter all den Projekten, über die wir hier debattieren,stehen immer wieder Menschen, die das Ganze in unse-rem System umsetzen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn wirunser Gesundheitssystem insgesamt betrachten, könnenwir zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns damit welt-weit sehen lassen können. Auch dort, wo solche Verglei-che durchgeführt werden – gerade aktuell wieder einervom Commonwealth Fund –, stellt sich heraus, dass wirin vielen Punkten im Vorderfeld oder an der Spitze ste-hen. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo es darumgeht, dass jeder Mensch Zugang zur Gesundheitsversor-gung hat und keine Hürden im Wege stehen. Das liegt,glaube ich, ganz wesentlich daran, dass wir in Deutsch-land noch immer ein sehr gut funktionierendes Hausarzt-system haben.Auf diesen Punkt will ich zu Beginn näher eingehen.Wir haben ja gestern, sozusagen punktgenau, die Posi-tionen des Sachverständigenrats vorgelegt bekommen,und gerade zum Hausarztsystem wird dort einiges vorge-schlagen. Ich halte die Forderung, dass wir einen Land-ärztezuschlag einführen sollten, für sehr sinnvoll, undich glaube, unsere Fachpolitiker sind gut beraten, wennsie diese Frage in den nächsten Wochen und Monateneinmal aufnehmen und darüber näher diskutieren. DieHausärzte sind in einer Situation – dies wird besondersdeutlich in den dünn besiedelten Gebieten –, die uns Ver-anlassung geben sollte, sehr nachhaltig darüber nachzu-denken, ob wir das System so beibehalten können undwie wir es weiterentwickeln können.Ich will Ihnen einmal als Beispiel ein paar Zahlennennen, die ich mir von meinem Landrat in meinemWahlkreis habe geben lassen. In diesem Landkreis gibtes zurzeit 90 Hausärzte. Von diesen Hausärzten sind imkommenden Jahr 22 älter als 65 Jahre. Das heißt, sie su-chen nach einem Nachfolger.
Wenn wir noch fünf Jahre weitergehen, 2020, dann sindes bereits 41. Das heißt, knapp die Hälfte derer, die heuteaktiv sind, brauchen dann einen Nachfolger.Ich glaube, dass wir, wenn wir jetzt darüber reden,junge Mediziner stärker in die Richtung der Allgemein-medizin, der Hausarztversorgung zu bringen, einen zeit-lichen Vorlauf von mehreren Jahren, von vier, fünf,sechs Jahren, einzukalkulieren haben. Wenn wir alsoheute damit beginnen, dann beziehen wir uns auf eineSituation in fünf Jahren und sind damit schon beim Jahr2020. Deswegen muss an dieser Stelle an den positivenBeschlüssen, die wir in den letzten Jahren in diesem Be-reich schon umgesetzt haben, möglichst weiter ange-knüpft werden. Da haben wir schon eine ganze Mengegetan. Aber es zeigt sich, das reicht noch nicht. Deshalbmüssen wir da weiter vorangehen.Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt pa-cken wir in dieser Koalition eine ganze Reihe von neuenstrukturellen Veränderungen an. Ich will nur darauf hin-weisen, dass wir beispielsweise in der Qualitätssiche-rung einen deutlichen Schritt nach vorn machen. Wirfinanzieren ein neues Institut der Qualitätssicherung.Wir wollen damit die Versorgungsqualität in diesem Be-reich deutlich verbessern. Ich glaube, mit dem Haushalt
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Helmut Heiderich
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und den damit im Zusammenhang stehenden gesetzli-chen Beschlüssen setzen wir ein deutliches positivesZeichen für die Zukunft.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzeneinen weiteren Schwerpunkt im Bereich der Pflege, undzwar auf verschiedene Weise. Wir haben das Amt desPflegebeauftragten mit einer eigenständigen Organisa-tion und einer eigenständigen Position neu geschaffen.Ich glaube, dass wir auf diese Weise die Situation dervon Pflege Betroffenen, aber auch der Beschäftigten imPflegebereich deutlich verbessert haben. Damit habendie Betroffenen eine neue, starke Stimme. Damit setzenwir in diesem Haushalt einen Schwerpunkt für die Zu-kunft, der sich insgesamt sehen lassen kann.Wir sorgen weiterhin dafür, dass mit neuen und zu-sätzlichen Mitteln im Haushalt die Unabhängige Patien-tenberatung weitergeführt und vor allen Dingen ausge-weitet werden kann. Auch diesen Bereich stärken wirmit den von uns zur Verfügung gestellten finanziellenMitteln weiter und leisten damit auch insgesamt für dieZukunft Vorsorge.Wir haben des Weiteren im Rahmen des Bericht-erstattergespräches und in den Verhandlungen mit demHause möglich machen können, dass durch Umschich-tungen von Finanzmitteln die HIV-Stiftung zusätzlicheHaushaltsmittel bekommt. Es werden 10 Millionen Eurozusätzlich in den Haushalt eingestellt. Damit können wirdie HIV-Stiftung für die nächsten Jahre absichern.
Das heißt aber nicht, dass wir damit die Verursacheraus der Verantwortung entlassen. Auch diejenigen in derIndustrie und in den Unternehmen, die damals mitver-antwortlich waren, müssen weiter ihre Beiträge leisten,damit wir die HIV-Stiftung auch nach Ende dieser Legis-laturperiode über 2017 hinaus sichern können.Wir haben mit diesem neuen Haushalt auch die Ab-sicht und sind bereits in der Vorbereitung, ein Präven-tionsgesetz zu entwickeln und damit einen Bereich derMedizin zu verbessern, der bisher immer noch sehr we-nig beachtet wird. Denn wir wissen alle, dass es Krank-heitsentwicklungen gibt, die wir durch Prävention ver-hindern oder zumindest einschränken könnten. Dafürbrauchen wir entsprechende Programme und Projekte.Wir haben kürzlich im Rahmen der Plattform für Be-wegung und Ernährung, die seit einigen Jahren Projektevon verschiedenen Trägern anbietet, eine Konferenzdurchgeführt. Wir kennen seit vielen Jahren Präventions-bewegungen, zum Beispiel den Trimm Trab, den es frü-her gab. Auf der Konferenz ist deutlich gemacht worden,dass wir den Bereich der Prävention weiter verstärkenmüssen, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen,den die Frau Kollegin eben angesprochen hat, auch vondieser Seite aus anzugehen.Wir alle wissen: Die wirtschaftliche Leistung gemes-sen am BIP erhöht sich je nachdem, wie sich die wirt-schaftliche Situation entwickelt, etwa um 2 Prozent-punkte pro Jahr. Die Gesundheitsausgaben – Sie habenes gesagt – sind stärker gestiegen. Deswegen müssen wirvon zwei verschiedenen Seiten an diese Aufgabe heran-gehen.Wir müssen uns auf der einen Seite bemühen, dieKostensteigerung im Gesundheitswesen zu beschränken.Das kann auch durch eine stärkere Prävention gesche-hen. Wir müssen auf der anderen Seite die gesellschaftli-che Debatte führen, dass wir mit dem Anstieg der Wirt-schaftskraft in Deutschland in Zukunft mehr Geld fürden Bereich Gesundheit und Pflege brauchen werden,weil sich die Gesellschaft verändert.Für beide Wege müssen wir, sowohl die Haushälterals auch die Fachpolitiker, miteinander streiten, damitwir die Zukunft des Gesundheitswesens und der Pflege-versicherung in Deutschland entsprechend sichern.Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem Vor-wurf machen, die Finanzierung der Bundesregierung imGesundheitswesen sei nicht sachgerecht, um es vorsich-tig zu beschreiben. Ich bitte, zu bedenken, dass die mo-mentanen Rücklagen in Höhe von rund 30 MilliardenEuro so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Kran-ken- und Pflegeversicherung sind. Auch das muss er-wähnt werden, wenn es um die Finanzierung geht.
Ich will auch daran erinnern, dass die Bundesregierungin wirtschaftlich schwierigen Zeiten die fehlenden Mittelim Gesundheitsfonds aufgesattelt hat. Nun werden dieseMittel wieder abgebaut, da wir in einer wirtschaftlichprosperierenden Phase sind. Man kann der Bundesregie-rung nicht vorhalten, dass dies nicht ordnungsgemäß ist.Mit dem vorliegenden Haushalt zum Gesundheitswe-sen packen wir eine Reihe struktureller Veränderungenfür die Zukunft an. Wir gehen einige Probleme an, diesich in den letzten Jahren gezeigt haben. Wir werden zuLösungen kommen – da bin ich mir sicher –, die für dieBürger und die Beteiligten im Gesundheitswesen eineVerbesserung gegenüber dem heutigen Stand darstellen.Deswegen sollten Sie dem Haushalt zustimmen. Er stellteine Verbesserung für die Zukunft dar.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man die Debatte über den Gesundheitsetat ver-folgt, stellt man auf den ersten Blick fest, dass sehr vielEinigkeit herrscht. Niemand kann ernsthaft gegenKrebsforschung oder die Förderung der Kindergesund-heit sein; das gilt auch für viele andere Projekte. Wennich aber genauer hinschaue, fallen mir vor allem zweigroße Baustellen auf, auf die ich näher eingehen will,Herr Minister.
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Ekin Deligöz
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Die erste Baustelle ist das, was Sie zum Schluss IhrerRede angesprochen haben, Herr Heiderich, nämlich derBundeszuschuss zum Gesundheitsfonds. Was ist das ei-gentliche Problem? Sie schaffen kein Vertrauen. Im Ge-genteil: Es wurde bereits siebenmal in den Gesundheits-fonds eingegriffen. Mit jeder Kürzung provozieren SieBeitragssatzsteigerungen. Diese Steigerungen werden al-leine von den Arbeitnehmern getragen; das ist das Pro-blem. Die Arbeitgeber sind dank Ihrer Gesetze fein raus.
Wenn Sie in der Anhörung genau zugehört haben,dann wissen Sie, dass alle Experten, auch diejenigen, dieSie eingeladen hatten, darauf hingewiesen haben: Essind zwei kommunizierende Röhren. Wenn Sie an der ei-nen Stelle kürzen, dann wird an anderer Stelle Geld feh-len, und die Beiträge werden steigen.
Die ersten Krankenkassen haben bereits darauf hinge-wiesen, dass sie knapp bei Kasse sind und rote Zahlenschreiben, und haben angekündigt, die Versicherungs-nehmer stärker finanziell zu beteiligen. Das ist doch dasProblem, über das wir reden.
Sie tun so, als wäre der Zuschuss des Bundes zum Ge-sundheitsfonds eine große Gefälligkeitsleistung. Das ister aber nicht. Der Bund sagt: Wir übernehmen Kostenund solidarisieren uns. – Es geht um Leistungen, die derSolidarität der gesamten Gesellschaft bedürfen, zumBeispiel bei der Kindererziehung, der Schwangerschaft,in der Elternzeit und während der Mutterschaft. DerBundeszuschuss wird gewährt, weil es sich um gesamt-gesellschaftliche Aufgaben handelt, und nicht, weil Sieso großzügig, lieb und nett sind. Dieser Zuschuss erfüllteine bestimmte Funktion. Würden Sie sich zu dieserFunktion bekennen, könnten Sie nicht willkürlich in dieKasse greifen. Aber genau das tun Sie. Sie nehmen dasGeld der Versicherungsnehmer und konsolidieren damitIhren Haushalt. Sie stopfen damit die Löcher. Eigentlichmüsste man sagen: Schämen Sie sich dafür, dass Sie dasüberhaupt machen und diese Gelder so falsch verwen-den!
Wenn Sie wirklich den Willen hätten, den Haushalt zukonsolidieren, hätten Sie sich unsere Vorschläge zu ei-gen gemacht. Warum bauen Sie nicht die ökologischschädlichen Subventionen ab? Dann würden Sie auch et-was für die Gesundheit in diesem Land tun. Oder: Wa-rum sind Sie nicht mutiger bei der Abgeltungsteuer? Wa-rum wird Einkommen aus Erwerbstätigkeit eigentlichanders besteuert als Einnahmen aus Kapital? Entspre-chende Änderungen hier würden mit der Aufwertung dermenschlichen Arbeit einhergehen. Ideen also, wie sichder Haushalt konsolidieren ließe, gibt es in ausreichen-dem Maße. Sie müssen nicht in den Haushalt des Ge-sundheitsministeriums eingreifen, dessen Mittel ohnehinsehr knapp bemessen sind. Ich bin auf der Seite desMinisters,
der seinen Etat verteidigt und verhindern will, dass seineMittel so missbraucht werden.
Auch wir Grünen sind für eine Bürgerversicherung,gerade weil wir an die Gesamtsolidarität glauben. Jedersollte einzahlen. Die Versicherten sollten nicht eine be-stimmte Gruppe sein und quasi unter sich bleiben, wäh-rend sich andere herauskaufen können. Eine Bürgerver-sicherung würde die Finanzierungsbasis erweitern undvor allem für mehr Nachhaltigkeit in einer sich demogra-fisch verändernden Gesellschaft sorgen.Das wird doch die größte Herausforderung sein, vor derwir in diesem System stehen werden.Jetzt komme ich zur zweiten Baustelle: zum Pflege-begriff. Sie machen einige Schritte in die richtige Rich-tung. Teile dieses Leistungsgesetzes werden wir wahr-scheinlich unterstützen. Sie gehen aber nicht an denPflegebegriff heran. Die Verlierer werden die Demenz-kranken sein. Die Verlierer werden genau die Menschensein, um die wir uns sorgen wollen.
Sie können sich darüber aufregen, so viel Sie wollen.Der erste Sozialverband hat bereits eine Klage angekün-digt.
Ich finde, wir sollten uns an dieser Stelle nicht vom Bun-desverfassungsgericht treiben lassen, sondern von derVernunft und einer guten Politik. Da reicht es eben nicht,wenn Sie hier stöhnen. Tun Sie etwas dagegen, nehmenSie das in die Hand! Machen Sie eine Strukturreform!Wagen Sie einmal etwas!Sie aber wollen einen Pflegefonds schaffen. Was pas-siert denn mit einem Pflegefonds? Kurzfristig senken Siedie Beiträge, langfristig haben Sie ein Budget, in das Siewieder willkürlich hineingreifen werden, um Versicher-tenmittel zu missbrauchen. Unter dem Strich ändern Sieaber nichts an der Qualität der Pflege; genau das ist dochder Schwachpunkt. Wir müssen die Qualität der Pflegeverbessern, und wir dürfen nicht einfach passiv sein undSchattenhaushalte schaffen. Gehen Sie an den Pflegebe-griff heran, aber richtig, und machen Sie eine Pflegere-form, die diesen Namen verdient, Herr Minister.
Wir haben im Rahmen des Berichterstattergesprächsdas wichtige Thema Hebammen besprochen. Auch dareicht es nicht, passiv zu bleiben. Wir haben inzwischenim Zusammenhang mit den Haftpflichtprämien, die dieHebammen zahlen müssen, genug Argumente für eine
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Ekin Deligöz
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Regressbeschränkung oder einen Haftungsfonds. Wirhaben geprüft, Sie haben geprüft, es liegen einige Vor-schläge auf dem Tisch. Es ist jetzt an der Zeit, zu han-deln. Sie, Herr Gröhe, als Minister und ich als Haushäl-terin, aber auch als Mutter zweier Kinder, wir waren unseinig: Jede schwangere Frau hat einen Anspruch auf eineHebammenbetreuung. Die ersten schwangeren Frauenbekommen aber jetzt zu hören: Hol dir bloß keine Heb-amme; die gibt es bald nicht mehr.
Wie weit sind wir denn gekommen?
Wie weit sind wir gekommen, dass Sie schwangereFrauen im Stich lassen und diese sich nicht mehr daraufverlassen können, wirklich eine Hebamme zu bekom-men?
– Nein, es wird nicht peinlich. Mich wundert nicht, dassaus diesen Reihen genau diese Reaktion kommt. Etwasanderes hätte ich nicht verstanden. Wo waren Sie denn,als die Hebammen im Petitionsausschuss waren? Wosind Sie denn, wenn sie auf die Straße gehen? Beschäfti-gen Sie sich einmal mit diesem Thema, und grölen Siehier nicht herum!
So viel Ignoranz auf einem Haufen versammelt habe ich,ehrlich gesagt, selten im Parlament erlebt.
Mich wundert es übrigens auch nicht, dass die Kolle-ginnen und Kollegen der SPD jetzt in der Großen Koali-tion ganz still sind; denn es gibt auch so etwas wieFremdschämen in diesem Haus.
Es gibt noch einen Punkt, den ich erwähnen will, HerrMinister. Wir haben vorgeschlagen, 35 Millionen Euromehr für die Weltgesundheitsorganisation einzustellen.Das ist nicht viel Geld, aber es ist Geld für eine wichtigeSache. Da geht es nicht nur um die ODA-Quote, sonderndie WHO leidet unter der schlechten Planbarkeit undmangelnder Finanzierung. Es geht um den Kampf gegenPolio und Tuberkulose. Ich fände es sehr gut, wenn sichIhr Haus an diesem großen Projekt, bei dem es um einegemeinsame Verantwortung geht, mit einem freiwilligenBeitrag Deutschlands an die WHO beteiligen würde.
Es gibt einige Dinge, die wir ausdrücklich unterstüt-zen; auch das will ich erwähnen. Dazu gehört die HIV-Stiftung. Wir Grüne sind dabei, weil wir der Meinungsind, dass das richtig angelegte Mittel sind. Es ist gut,dass wir dafür eine Lösung gefunden haben. Wir sindübrigens auch dabei, wenn es um die Kürzung desPflege-Bahrs geht. Ich wünschte mir ganz ehrlich – dashabe ich Ihnen auch schon gesagt – etwas mehr. Dasfunktioniert nicht, das läuft schief, das wird nicht in An-spruch genommen. Sie wollen damit das Pflegerisikoprivatisieren. Das ist ein falscher Ansatz, und das, wasnicht funktioniert, kann man genauso gut streichen. DasGeld kann man an anderer Stelle viel sinnvoller ausge-ben.
Ich finde es auch sehr gut, dass Sie im Bereich derKindergesundheit Mittel eingestellt haben, weil auch dieaktuelle KiGGS-Studie zeigt, dass wir in diesem Bereichsehr sensibel sein müssen und dass auch hier Kinderar-mut eine Rolle spielt. Das ist zwar eine erschreckendeErkenntnis, aber eine wahre Erkenntnis. Wir müssen indiesem Bereich aktiver werden.Herr Minister, ich wünsche Ihnen viel Mut, die not-wendigen Grundsatzdebatten anzugehen und sich vonIhren Kollegen nicht entmutigen zu lassen.
Ich wünsche mir, dass ich die gleiche Rede demnächstnicht wieder halten muss.Herr Minister, unsere Unterstützung hätten Sie.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das
Wort Petra Hinz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zum Thema Fremdschämen sage ich jetzt ein-mal nichts; denn jeder muss für sich selbst bewerten, wersich für wen zu schämen hat.Ich möchte denen, die uns jetzt zuhören, schon sehrdeutlich machen: Wir befinden uns gerade in der ab-schließenden Beratung des Einzelplans des Bundes-ministeriums für Gesundheit. Es geht hier nicht darum,wer populistisch möglichst viele Themen abarbeiten unddadurch möglicherweise sogar noch Verwirrung stiftenkann. Wenn es uns gemeinsam wirklich um die Men-schen geht, die pflegebedürftig sind, um die Kinder undum all die Punkte, die gerade angesprochen worden sind,dann sollten gerade wir Haushälter mit Fakten argumen-tieren; alles andere machen unsere Fachkolleginnen undFachkollegen in den Ausschüssen.Ich habe meine Rede zur Einbringung dieses Einzel-plans mit einem Zitat beendet. Dieses Zitat möchte ichgerne aufgreifen:Wir sollten alles für die Gesundheit tun. Wir habenja sonst nichts zu tun.
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3624 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Petra Hinz
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Seit dem 10. April haben wir, die Haushälterinnenund Haushälter, in der Tat gemeinsam mit den Fachkol-leginnen und Fachkollegen über unterschiedliche The-men beraten, etwa über den Pflegebereich. Was die Per-sonalsituation im Ministerium angeht, haben wirerfahren – das haben wir gerade schon gehört –, dass eseinen neuen Staatssekretär gibt. Wir haben über Quer-schnittsaufgaben, über internationale Zusammenarbeit,über die HIV-Stiftung, über Hebammen und auch überKindergesundheit gesprochen.Gerade als Haushälterin möchte ich erst einmal einpaar Eckdaten des Haushaltes nennen. Dieser Einzelplanumfasst insgesamt 11 Milliarden Euro. Es ist ein sehrgroßer Haushalt; er hat am Gesamthaushalt einen Anteilvon rund 3,7 Prozent. Die Zahl, auf die es ankommt, istdie, über deren Verwendung wir entscheiden: 78,6 Mil-lionen Euro, großzügig betrachtet 80 Millionen Euro.Über diese Summe reden wir jetzt gerade. Wir diskutie-ren über Prioritäten und überlegen, wie wir dieses Geldvernünftig ausgeben können.Wie in allen anderen Etats auch gibt es in diesem Ein-zelplan Absenkungen. Zum Beispiel werden die Mittelfür den Bereich Öffentlichkeitsarbeit um 10 Prozent ge-senkt. Ich denke, die noch zur Verfügung stehenden Mit-tel reichen absolut aus; denn dieses Haushaltsjahr um-fasst nur noch ein halbes Jahr. Auch das muss deutlichgesagt werden: Es geht nicht um die Mittel für ein gan-zes Haushaltsjahr. Insofern wird diese Absenkung unse-rem Minister kein bisschen wehtun.Darüber hinaus haben wir für das Ministerium wei-tere fünf Stellen beschlossen, zwei zur Unterstützung derReformprozesse in Griechenland. Dabei geht es um dieUmsetzung unserer Erfahrungen mit unserem Gesund-heitssystem. Man überlegt sich, inwieweit man das Bestevon unserem Gesundheitssystem übernehmen will. Da-rüber hinaus ist eine Stelle beschlossen, um den WHO-Reformprozess nachhaltig und konstruktiv zu unterstüt-zen. Außerdem ist eine Stelle zur Verbesserung der me-dizinischen Versorgung in strukturschwachen Gebietenund im ländlichen Raum beschlossen. Das Ganze klingtzwar ein bisschen technokratisch, aber es gehört zurHaushaltsberatung dazu.Jetzt möchte ich auf den Punkt Absenkung des Bun-deszuschusses an den Gesundheitsfonds zu sprechenkommen. Ich habe der gesamten Debatte über den Ein-zelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, sehr auf-merksam zugehört. Gegenstand der Diskussion war im-mer wieder die Frage, ob wir Steuern erhöhen oderSteuern senken sollen. Wir reden nicht über einzelneWahlprogramme – dieses Thema ist seit dem 22. Sep-tember 2013 durch –, sondern wir reden über einen ge-meinsam beschlossenen Koalitionsvertrag.
Darin sind Eckpunkte unserer Politik beschrieben. Wasnach dem September 2017 gemacht wird, ist eine andereSache. Wir haben gemeinsame Ziele, und die setzen wirauch um.Im Hinblick auf den Gesundheitsfonds wird immerwieder behauptet – auch hier heute Morgen –, wir plün-derten die Rentenkassen und wir plünderten den Ge-sundheitsfonds. Bei der Einbringung dieses Haushaltshat mein Kollege Lauterbach den Gesundheitsfondsnoch einmal erklärt. Wenn auch ich es jetzt machenwürde, würden Sie von der Opposition seine Berechti-gung sicherlich ebenfalls wieder abstreiten. Daher ver-weise ich einfach einmal auf die öffentliche Anhörungzum Haushaltsbegleitgesetz 2014. Der Vertreter des Bun-desrechnungshofs, Dr. Elles, hat gesagt – ich zitiere –:Dass der Bund zulasten der Versicherten konsoli-diere, ist nicht unsere Auffassung. Auch unser Be-richt lässt nicht einmal ansatzweise eine solcheAussage durchscheinen; denn das entspricht nichtunserer Analyse des Gesetzesvorhabens.Das war vom Bundesrechnungshof. Dazu könnte maneventuell noch sagen: „Geschenkt!“, aber das trifft sonicht zu.Professor Dr. Klaus-Dirk Henke von der TechnischenUniversität Berlin hat ausgeführt:In den 30 Jahren, in denen ich das System be-obachte, hat es angesichts der vorhandenen Über-schüsse bei den 130 GKVen und im Gesundheits-fonds noch nie eine so opulente Finanzlage gegebenwie derzeit.Er hat auch über das Thema der versicherungsfrem-den Leistungen gesprochen. Aber das müssen dann dieFachkolleginnen und Fachkollegen diskutieren. Es gibtandere Länder, die dazu eine klarere Festlegung habenals wir.
Ich maße mir nicht an, das zu bewerten. Ich bin Haushäl-terin. Das machen dann unsere Fachkolleginnen undFachkollegen.Ich kann noch jemanden zitieren, und zwar den Pro-fessor Dr. Ulrich von der Universität Bayreuth:Die Funktionalität des Fonds ist nicht beeinträch-tigt. Das kann schon deshalb nicht sein, weil derGesundheitsfonds dann nicht einen Euro wenigerhat.Da ist nämlich die Frage: Wie setzt sich der Gesund-heitsfonds insgesamt zusammen?Wir halten fest: Wegen der Absenkung des Bundeszu-schusses in diesem Haushaltsjahr wird weder ein Beitragerhöht noch ein Beitrag gesenkt. Wir haben eine klareZielrichtung. Wir haben gesagt – darauf vertraue ich ein-fach einmal –, dass danach wieder mehr Mittel für denBundeszuschuss zum Gesundheitsfonds bereitgestelltwerden.Über Pflege und Pflegebedürftigkeit haben wir imRahmen der Haushaltsberatungen gesprochen. Da habenwir Wort gehalten. Für das, was in den ersten Schrittenauf den Weg gebracht werden muss, stellen wir auch dieentsprechenden Mittel bereit. Es ist gerade schon ange-
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Petra Hinz
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sprochen worden, dass wir nun statt eines Beauftragteneinen Staatssekretär mit entsprechendem Personal ha-ben.Inhalte. Es wird dringend Zeit, dass der Staatssekretärsich mit den Haushältern einmal zusammensetzt, umseine Vorschläge vorzustellen. Ich denke, das war beiden Haushaltsberatungen in der Kürze der zur Verfügungstehenden Zeit einfach nicht möglich.Fazit. Im Haushalt spiegelt sich unsere Prioritätenset-zung auf den Bereich Pflege deutlich wider. Wir werdendie Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern. Dasist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.Für die Verbesserung der Pflege stehen allein in unse-rem Haushalt – ich komme gleich noch darauf, warumich sage „in unserem Haushalt“ – 5,4 Millionen Euro zurVerfügung.Für die neue Pflegekampagne sind 3 Millionen Eurovorgesehen.Das Thema Demenz ist sehr qualifiziert mit den Fach-kolleginnen und Fachkollegen der Fraktionen bespro-chen worden. Es wird einiges auf den Weg gebracht. Ichteile auch in diesem Fall nicht Ihre Auffassung.
Jetzt komme ich zu dem Punkt Querschnittsaufgaben,Maßnahmen, Finanzen. Da ist meine Erfahrung: Das istein spannendes Ministerium. Es gibt herausragende The-men. Davon sind alle Generationen betroffen. Große He-rausforderungen, große Themen und große Aufgabenstehen vor uns. Dazu gebe ich den Kolleginnen und Kol-legen den Hinweis: Querschnittsaufgaben im BereichPflege und Gesundheit werden auch bei der KolleginSchwesig im Familienministerium wahrgenommen. Zunennen sind hier weiter die Fachkräfteoffensive imPflege- und Sozialbereich, die Stärkung der Rolle derKommunen in der Pflege – auch das ist ein ganz wichti-ges Thema, wenn wir die Stärkung der Kommunen wol-len –, die medizinische Rehabilitation, Entgeltersatzleis-tungen für Arbeitsuchende und insbesondere für befristetbeschäftigte Schwangere, Leistungsverbesserungen fürdemenziell Erkrankte, Schnittstellen zum Bereich Bil-dung und Forschung. Das sind die Themen, die wir imRahmen der Haushaltsberatungen benannt und analysierthaben. Sie müssen jetzt natürlich noch im Fachausschussinhaltlich beraten werden.Eines möchte ich noch hervorheben, und zwar denBereich der Kindergesundheit. In diesem Haushalt wirddiese Leerstelle wieder mit Geld gefüllt, mit 500 000Euro. In vielen Bereichen – das ist schon angesprochenworden – geht es um den Gesundheitszustand insgesamt.Hier sollten wir in der Tat bei den Jüngsten anfangen. ImHaushalt 2014 stehen also 500 000 Euro für unterschied-liche Projekte zur Verfügung.Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung. Dagibt es zwölf weitere Maßnahmen. Für Aufklärung zurOrganspende stellen wir 7,5 Millionen Euro ein, für dieAufklärungskampagne zur Steigerung der Durchimp-fung 3 Millionen Euro und für die Kampagne zur Ge-sundheit von Kindern und Jugendlichen 2,1 MillionenEuro.Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ichnoch einmal zum Thema Organspende. Die Aufstockungder Mittel für die Aufklärung zur Organspende geschiehtvor dem Hintergrund, dass in dem Bereich unverant-wortlich gehandelt wurde. Es sind nicht alle Ärzte undschon gar nicht alle Krankenhäuser betroffen, aber schondie einzelnen Fälle, die Verhaltensweisen einzelner Ver-waltungschefs haben möglicherweise dazu geführt, dassdie Menschen den Organspendeausweis zwar ausfüllen,aber das Kreuz nicht an der richtigen Stelle machen. In-sofern haben wir wie folgt entschieden: Um gerade die-sem Missstand, diesem Missbrauch und diesen Fehlent-scheidungen, die da getroffen worden sind – es ist einSkandal; ich nenne es auch so –, zu begegnen, wollenwir die Mittel für die Kampagne aufstocken und in derBevölkerung noch einmal dafür werben, dass wieder instärkerem Maße Organspendebereitschaft erklärt wird.
Jetzt spreche ich die Haftung an; unabgestimmt, aberin anderen Bereichen reden wir auch über Haftungsfra-gen. Wenn der einzelne Arzt oder einzelne Krankenhaus-leitungen so unverantwortlich handeln, muss mandarüber nachdenken, ob in diesem Fall die gesamtgesell-schaftliche Haftung greift. Es kann nicht sein, dass wirnoch einmal so viel Geld investieren, um solche Dingeauszumerzen.Über die Bekämpfung von Aids haben wir schon ge-sprochen. Frau Professor Pott von der Bundeszentralefür gesundheitliche Aufklärung hat uns in den Gesprä-chen noch einmal sehr deutlich gemacht, wie wichtig imBereich Aids die Aufklärung ist. Die Infektionszahlengehen zwar zurück, aber trotzdem muss in diesem Be-reich eine ganze Menge investiert werden. Bei denDrogen ist es ähnlich. Es entstehen immer wieder neueDrogen, gerade in Grenzregionen. Wir werden auf dasThema eingehen.Ein weiteres wichtiges Thema ist die Stiftung „Huma-nitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Perso-nen“. Wenn wir Haushälter nicht so darauf gedrungenhätten, dass bereits im Haushalt 2014 wieder Gelder be-reitgestellt werden, dann wäre dieser Titel nicht mehraufgetaucht. Es kann einfach nicht sein, von Haushalts-jahr zu Haushaltsjahr Mittel einzustellen, sondern esmuss eine gesellschaftspolitische Verpflichtung sein, einganz klares Ja zu sagen. Die 400 Betroffenen, die zurzeitnoch leben, müssen sich auf unsere Aussage verlassenkönnen. Wir haben 10 Millionen Euro in den Haushalteingestellt. Aber die fortfolgenden Jahre nach 2017 müs-sen angegangen werden. Daran müssen wir arbeiten.Zum Thema Hebammen. Für mich ist wichtig, dassdie Frauen, die werdenden Mütter, die Familien, die Vä-ter, die Eltern entscheiden können, welche Hebamme siewollen. Ich möchte als Politikerin kein Bindeglied zwi-schen Arzt, Krankenkassen, Versicherungen und der
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Hebamme sein. Ich möchte politisch entscheiden. Dasheißt, ich möchte den betroffenen Frauen die Möglich-keit geben, sich für eine Hebamme entscheiden zu kön-nen.Ich bedanke mich bei allen ganz herzlich, den Mitbe-richterstatterinnen und Mitberichterstattern, bei allen,die dazu beigetragen haben, dass wir für 2014 einen gu-ten und runden Haushalt eingebracht haben. Insbeson-dere bedanke ich mich bei meinem Kollegen HerrnBlienert und meiner Kollegin Hilde Mattheis.Danke schön.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bin normalerweise sehr großzügig, aber ich werde im
weiteren Verlauf der Debatte stark auf die Einhaltung der
Zeit achten müssen; denn wir haben Sondersitzungen der
Fraktionen vereinbart. Sonst verschiebt sich alles nach
hinten.
Nächster Redner in der Debatte ist für die Bundesre-
gierung der Minister Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst darf auch ich mich herzlich bedanken bei derKollegin Hauptberichterstatterin, bei den Mitberichter-stattern für den engagierten Einsatz rund um den Etat desEinzelplans 15, beim Haushaltsausschuss insgesamt fürdie konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Wochen.Ich glaube, es ist uns gemeinsam gelungen, einen Haus-haltsplan aufzustellen, der seinen Beitrag dazu leistet,dass wir auch für die Zukunft eine qualitativ hochwer-tige Gesundheitsversorgung für die Menschen in unse-rem Land sichern.Es freut einen natürlich besonders, wenn sogar dieOpposition sagt: Wir wollen den Minister unterstützen.Ich danke dafür, bitte aber auch, sich in öffentlicher De-batte von Haushaltsklarheit und -wahrheit leiten zu las-sen. Ich werde mir erlauben, zu den Bereichen Bundes-zuschuss und Kassenbeiträge, Pflege und Hebammendas eine oder andere anzumerken, damit der von derOpposition betriebenen Legendenbildung rechtzeitig wi-dersprochen wird.Meine Damen, meine Herren, ich beginne mit demThema Beitragssatz, Beitragsentwicklung, Lage in dergesetzlichen Krankenversicherung, Bundeszuschuss. Ja,es ist so: Die gesetzliche Krankenversicherung ist gut fi-nanziert. Sie hat im vergangenen Jahr deutliche Über-schüsse erzielt. Sie verfügt über hohe Rücklagen:13,6 Milliarden Euro in der Liquiditätsreserve des Ge-sundheitsfonds und in den Kassen insgesamt noch ein-mal über 17 Milliarden Euro. Wann hat es dies zuletztgegeben? Kollegin Hinz hat entsprechende Stellungnah-men zitiert.Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir leis-ten aus der Liquiditätsreserve einen Beitrag zur Haus-haltskonsolidierung; das ist wahr. Aber es bleibt unver-ändert bei 14 Milliarden Euro, die aus Steuermittelnbzw. aus dem Bundeszuschuss für versicherungsfremdeLeistungen bereitgestellt werden. Es ist falsch, dass des-wegen Krankenbehandlungen nicht finanziert werdenkönnten oder deswegen irgendein Beitragssatz erhöhtwürde; das entspricht nicht der Wahrheit.
Wahr ist, dass wir die prall gefüllte Liquiditätsreservenutzen, um durch eine wachstumsorientierte Haushalts-konsolidierung unsererseits einen Beitrag zu sicherenArbeitsplätzen zu leisten, die notwendige Grundlage ei-nes solidarischen Gesundheitswesens sind. Wir habensehr deutlich gesagt: Wir wissen, dass die Alterung derGesellschaft und der medizinische bzw. medizinisch-technische Fortschritt zu eher steigenden Gesundheits-ausgaben führen werden. Deshalb haben wir bereits imHaushaltsbegleitgesetz festgelegt, dass der Bundeszu-schuss wieder auf 14 Milliarden Euro bzw. auf dann14,5 Milliarden Euro erhöht werden muss.Es ist falsch, jetzt in irgendeiner Weise Panik zu ma-chen; das sage ich auch angesichts mancher Kassandra-rufe aus der letzte Woche rund um das Thema Beiträge.Tatsache ist, dass der in Zeiten rot-grüner Bundesregie-rung eingeführte gesetzliche Zusatzbeitrag von 0,9 Bei-tragssatzpunkten zukünftig entfällt. Stattdessen entschei-den die einzelnen Kassen selber, in welcher Höhe sieeinen einkommensabhängigen Beitrag erheben. Bereitsim April haben sieben Krankenversicherungen mit mehrals 9 Millionen Versicherten angekündigt, dass sie miteinem individuellen Beitrag von weniger als 0,9 Prozentauskommen werden. Der Wettbewerb wirkt also; daraufhabe ich bereits vor wenigen Wochen hier an dieserStelle hingewiesen. Ungeachtet der Beitragsdebatte derletzten Woche hat just am Samstag die AOK PLUS, derMarktführer in Sachsen und Thüringen mit 2 MillionenVersicherten, erklärt, dass sie den Beitrag senken will.Es zeigt sich: Der Wettbewerb greift.
Sie weisen in den Debatten zum Teil auf die Finanz-zahlen des ersten Quartals hin. Das erste Quartal fällt inBezug auf die Beitragseinnahmen gewöhnlich etwasschwächer aus als das vierte Quartal. Außerdem weist esnegative Zahlen in Höhe von 270 Millionen Euro auf.Die Wahrheit ist aber eben auch, dass davon allein240 Millionen Euro auf Prämienausschüttungen undüber 50 Millionen Euro auf freiwillige Leistungsverbes-serungen entfallen. Die Krankenkassen handeln imSinne der Versicherten, wenn sie zu hohe Beiträge überPrämien rückerstatten. Sie sind keine Sparkasse. DiesesVerhalten liegt also im Interesse der Versicherten in un-serem Land.
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Natürlich sind wir verpflichtet, erstens für faire Wett-bewerbsbedingungen zu sorgen – das tun wir, beispiels-weise beim Risikostrukturausgleich – und zweitens denAusgabenanstieg im Blick zu behalten. Eine der erstenAktivitäten dieser Bundesregierung im Bereich der Ge-sundheitspolitik war es, durch das 14. SGB-V-Änderungs-gesetz den Preisstopp für Arzneimittel zu verlängern undden Herstellerrabatt auf 7 Prozent festzuschreiben. Daserspart der gesetzlichen Krankenversicherung 650 Mil-lionen Euro im Jahr.
Das heißt, unsere Politik setzt auf Wettbewerb, auf Qua-lität – das neue Qualitätsinstitut ist genannt worden –und auf Wirtschaftlichkeit. Genau das ist der Dreiklang,mit dem wir gute Strukturen für die Versicherten in die-sem Land erreichen.
Uns ist es wichtig, dass es dabei bleibt: Die Menschenkönnen sich, wo auch immer sie leben und wie prall ihrGeldbeutel gefüllt ist oder eben auch nicht, darauf ver-lassen, dass sie eine gute Versorgung bekommen.
Deswegen ist die ausreichende Versorgung mit Hausärz-ten so ein wichtiger Punkt auf der Agenda der Bundesre-gierung. Wir haben die Hausarztverträge bereits gestärktund werden im Sommer an Maßnahmen aus der letztenLegislaturperiode anknüpfen und weitere Anreize für dieNiederlassung im ländlichen Raum schaffen. Deswegenwerden wir natürlich die Vorschläge des Sachverständi-genrats, der am 30. September 2014 im Rahmen einerfachöffentlichen Veranstaltung hier in Berlin tagt, inten-siv diskutieren. Uns ist wichtig, dass auch weiterhin gilt,dass es gerade in einer älter werdenden Gesellschaft, inder immer häufiger Mehrfacherkrankungen vorkommen,eine gute, auch die Sektoren überschreitende, integrierteVersorgung gibt.Wir haben da mit Einführung der spezialfachärztli-chen Versorgung, die Ambulantes und Stationäres zu-sammenführt, bereits Wichtiges getan. Der Innovations-fonds wird künftig mit 300 Millionen Euro im Jahrausgestattet. Genau solche innovativen sektorübergrei-fenden Versorgungsformen sollen besonders gefördertwerden, damit wir der veränderten Lage bei den Erkran-kungen in unserem Land in angemessener Weise Rech-nung tragen.
Dazu gehört für mich auch – hier sehe ich gesetzgebe-rischen Handlungsbedarf – eine verstärkte Nutzung derMöglichkeiten der Telemedizin. Hier eröffnen sich vieleMöglichkeiten. Ich habe vor kurzem mit einem Schlag-anfallpatienten gesprochen, dessen Herzschrittmacherdie entsprechenden Daten permanent an die überwa-chende Arztpraxis überträgt, die dann die Möglichkeithat, Vorhofflimmern im Anbeginn, noch bevor Schwie-rigkeiten überhaupt spürbar sind, zu entdecken und dieMedikation darauf einzustellen. Wir müssen bei der Nut-zung dieser Formen moderner Medizin vorankommen.Da gab es zu lange Streit. Wir werden da jetzt wirklichGas geben, meine Damen und Herren.
Dann möchte ich etwas zum Thema Pflege sagen. Mitwelch leichter Hand hier so getan wird, als ob da nichtsgeschähe! Das entspricht nun wirklich nicht der Wahr-heit.
Wir werden das Leistungsvolumen der parititätisch fi-nanzierten Pflegeversicherung in dieser Legislaturpe-riode um am Ende insgesamt 5 Milliarden Euro pro Jahr,also um mehr als 20 Prozent erhöhen, und wir beginnendamit zum 1. Januar nächsten Jahres. Frau Deligöz, aus-gerechnet die Dementen, von denen Sie gerade behaup-tet haben, wir ließen sie im Stich, profitieren wesentlichvon den Leistungsverbesserungen. Denn beispielsweisemachen wir ab dem 1. Januar 2015 Kurzzeitpflege, Ver-hinderungspflege und all die Dinge, die bisher überhaupterst ab Zuerkennung der Pflegestufe 1 zur Verfügungstanden, allen Angehörigen von Pflegebedürftigen derPflegestufe 0 zugänglich, die in der Familie häufig sehrstark gefordert sind. Es hätte sich gehört, diese Leis-tungsverbesserungen für Demente und ihre Angehörigenhier zu erwähnen.
Natürlich handeln wir in Bezug auf den neuen Pflege-bedürftigkeitsbegriff – gar keine Frage. Auch da wirdTempo gemacht: Zeitgleich mit dem Kabinettsbeschlusszum ersten Pflegestärkungsgesetz, zu den Leistungsver-besserungen zum 1. Januar nächsten Jahres, haben wireinen flächendeckenden Versuch zur Bewertung desneuen Begutachtungsverfahrens gestartet. Der Experten-beirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebe-dürftigkeitsbegriffs hat eine solche Erprobungsphaseausdrücklich verlangt. Wir führen sie durch. Wir habengesagt: Das muss zügig geschehen. In diesem Sommerfinden 4 000 Begutachtungen parallel nach altem undneuem Begutachtungsverfahren statt. Wir werden die Er-gebnisse im vierten Quartal auswerten und zu Beginndes neuen Jahres zum Gegenstand der Erarbeitung deszweiten Pflegestärkungsgesetzes machen. Also wirdauch bei der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeits-begriffs Tempo gemacht.Dann haben Sie die Hebammensituation angespro-chen. Das war ein bisschen viel Demo und ein bisschenwenig Sachkenntnis.
Ich kann nur eines sagen: Ich habe diesem Haus am29. April den Bericht der interministeriellen Arbeits-
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Bundesminister Hermann Gröhe
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gruppe „Versorgung mit Hebammenhilfe“ zugeleitet unddie Vorstellung am 30. April mit konkreten Vorschlägenzur Qualitätssicherung, zum Sicherstellungszuschlagund zur Datenlage verbunden. Der Bundestag hat in derersten Juniwoche entsprechende Beschlüsse gefasst. We-nige Wochen nachdem ich die Vorschläge unterbreitethabe – drei Sitzungswochen später –, sind sie in diesemHaus per Gesetz beschlossen worden. Das ist zügigesHandeln. Es bleibt Weiteres zu tun. Da geben wir Gas;da brauchen wir keine Ermahnungen. Wir sind da auf ei-nem guten Weg. Die Menschen in unserem Land, vor al-lem die Hebammen, können sich auf unsere Unterstüt-zung verlassen.Meine Damen, meine Herren, ich danke für Ihre Auf-merksamkeit und für die Mitarbeit am Haushalt. Ich bitteSie um Zustimmung.Danke.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt der Kollege Harald Weinberg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eigentlich will ich zu unseren Änderungsanträgen reden.Dennoch will ich kurz auf Dinge eingehen, die HerrHeiderich, Frau Hinz und Herr Minister Gröhe gesagthaben.Herr Heiderich, in dem Augenblick, in dem Sie aus-gesprochen haben, dass es im Gesundheitsfonds und beiden Kassen eine Rücklage von 30 Milliarden Euro gebe,ist diese Rücklage wieder um einige Millionen abge-schmolzen; das muss man sehen. Im Jahr werden insge-samt 195 Milliarden Euro an Versicherungsbeiträgen so-zusagen verteilt; das sind pro Tag gut 0,5 MilliardenEuro. Wir haben die Situation, dass inzwischen etlicheKrankenkassen im operativen Geschäft, also im Jahres-vergleich, rote Zahlen schreiben, das heißt, dass sie aufihre Rücklagen zurückgreifen müssen.
Frau Hinz, zu den Rücklagen im Gesundheitsfonds.Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellungnahmeetwas anderes gesagt. Er hat unter anderem ausgeführt,dass 2015 die Situation eintreten kann, dass die im Ge-sundheitsfonds enthaltene Mindestreserve, die etwa bei9 Milliarden Euro liegt, unterschritten wird und dassman dann logischerweise entweder die Beiträge erhöhenmuss – was man nicht tun wird – oder aber die Zuwei-sungen an die Krankenkassen vermindern muss.
Das bedeutet, dass die Krankenkassen wiederum ihreRücklagen aufbrauchen, was dazu führt, dass die Zusatz-beiträge relativ schnell eingeführt werden könnten.
Jetzt möchte ich auf unsere Änderungsanträge einge-hen. Zum ersten Änderungsantrag zum Thema Kranken-hausinvestitionen. Bei der Krankenhausfinanzierung istes derzeit alleinige Aufgabe der Länder, für Gebäude,Großgeräte und Instandhaltung zu sorgen. Die Länderkommen dieser Aufgabe aber nur noch schlecht nach.1991 zahlten sie dafür 3,6 Milliarden, jetzt etwa 2,6 Mil-liarden Euro. Das entspricht, wenn man die Inflations-rate berücksichtigt, gegenüber 1991 einer Halbierung.
Es ist bereits abzusehen, dass die Situation eher nochschlechter als besser werden wird; denn bis Ende diesesJahrzehnts treten auch noch die Schuldenbremsen derLänder in Kraft.Das Ganze erhöht im Übrigen auch noch den Privati-sierungsdruck, vor allen Dingen bei kleineren öffentlich-rechtlichen und frei-gemeinnützigen Krankenhäusern inder Fläche, weil es denen kaum möglich ist, Investitio-nen über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Insofern gehtes uns mit dem vorliegenden Änderungsantrag auch da-rum, der absehbaren nächsten Übernahmewelle durchgroße Klinikkonzerne entgegenzutreten.Die Sicherstellung der stationären Versorgung mussaus unserer Sicht eine öffentliche Aufgabe bleiben.
Deshalb wollen wir, dass der Bund 2,5 Milliarden Eurofür Krankenhausinvestitionen dazugibt. Für jeden Euro,den die Bundesländer zusätzlich investieren, soll derBund 1 Euro drauflegen. Anders ist aus unserer Sicht derInvestitionsstau, der inzwischen auf 50 Milliarden Eurogeschätzt wird, nicht zu stemmen.Weder können veraltete bzw. fehlende Geräte, unzeit-gemäße, unpraktische und unhygienische Bauten die Zu-kunftsvision vieler Krankenhäuser sein, noch darf derVerkauf an Klinikkonzerne der letzte Ausweg für dieKrankenhausträger sein. Wir fordern das ja inzwischenseit mehreren Wahlperioden. „Steter Tropfen höhlt denStein“, heißt das Sprichwort. Auch der gesundheitspoli-tische Sprecher der Union hat vor kurzem über die Betei-ligung des Bundes an den Krankenhausinvestitionen ge-sprochen.Die Koalitionsdisziplin wird Union und SPD heute si-cherlich wieder dazu bewegen, unseren Änderungsan-trag mit ihrer Mehrheit wegzustimmen, aber ich bin zu-versichtlich, dass unsere Idee bald umgesetzt werdenwird. Anders geht es nämlich nicht mehr. Auch die Län-der sollten das einsehen, weil sonst die staatliche Kran-kenhausplanung insgesamt auf der Kippe steht und voneiner Finanzierung durch die Krankenkassen abgelöstwerden wird. Wer wie wir will, dass die Krankenhaus-planung eine öffentliche und politische Aufgabe bleibt,kann das nicht wollen.
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Harald Weinberg
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Zum zweiten Änderungsantrag, in dem es um nicht-kommerzielle Pharmaforschung geht. Bei der Erfor-schung neuer Arzneimittel gibt es ein Problem, und zwarein grundsätzliches, das wir dringend lösen müssen, weildie kommerzielle Pharmaindustrie es nicht lösen kann.Ein Pharmaunternehmen erforscht neue Wirkstoffe nichtin erster Linie, weil es Kranken damit helfen kann – si-cher auch –, sondern es hat, wie jedes Unternehmen, einInteresse: Profitabilität.Wenn aber klar ist, dass mit einem an sich sinnvollenMedikament kein Gewinn zu machen ist, dann wird auchnicht weiter geforscht. Das ist so bei Medikamenten, diegegen seltene Erkrankungen helfen, die also nur einekleine Absatzgruppe, einen kleinen Markt, haben. Dasist auch der Fall bei armutsassoziierten Krankheiten wieMalaria, Wurmkrankheiten oder Denguefieber. Zigmilli-onenfach treten diese Krankheiten auf, Millionen Men-schen sterben jedes Jahr daran, aber geforscht wird we-nig. Deshalb fordern wir jährlich eine halbe MilliardeEuro für die nichtkommerzielle Erforschung der Medi-kamente gegen diese Krankheiten.Die kleinen Ansätze, die es bisher gibt, etwa die För-dermaßnahmen des Forschungsministeriums mit gut5 Millionen Euro, reichen bei weitem nicht aus. Ichmöchte darauf hinweisen – sonst könnte man jetzt sagen,das ist wieder eine sozialistische Marotte von uns –: DieUSA haben bereits 2009 1,5 Milliarden Dollar öffentli-che Gelder in die Erforschung vernachlässigter Krank-heiten gesteckt. Das ist das 200-Fache von dem, was dieBundesregierung derzeit plant. Mit unserer Forderungkönnten wir uns also auf Augenhöhe mit den USA bewe-gen.
Thema Drogenforschung. Die Bundesregierung willdie Mittel für Modellmaßnahmen und Forschungsvorha-ben zum Drogenmissbrauch um 500 000 Euro auf2,9 Millionen Euro senken. Das halten wir für falsch.Wir fordern, diese Kürzung rückgängig zu machen. Esgibt großen Forschungsbedarf, vor allem was die Wirk-samkeit der bestehenden Illegalisierung des Drogenkon-sums angeht. Viele namhafte Experten gehen davon aus,dass das heutige Drogenstrafrecht mehr schadet alsnutzt. Wir fordern Sie auf: Lassen Sie uns diese ideolo-gieverblendete Diskussion endlich auf eine sachlicheGrundlage stellen und wissenschaftlich erforschen, obeine Legalisierung und Regulierung von Drogen und ih-res Konsums hilfreicher sein könnten als eine moralischverbrämte Verbotspolitik.
Der Änderungsantrag zum Drug-Checking betrifftebenfalls das Thema Drogen. Wir fordern 400 000 Eurofür die Erforschung von Drug-Checking. Worum geht esdabei? Das ist vergleichbar mit dem bayerischen Rein-heitsgebot bei der Droge Nummer eins, dem Bier.
Drug-Checking bedeutet, dorthin zu gehen, wo vieleMenschen Drogen konsumieren, und ihnen vor Ort einenTest anzubieten, um festzustellen, wie rein bzw. wie ver-unreinigt die entsprechenden Drogen sind.
Herr Kollege Weinberg, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme gleich zum Schluss. – Das hat mehrere
Vorteile: So können Schädigungen durch Verunreinigun-
gen verhindert werden, man kann Daten über die Quali-
tät der jeweiligen Drogen erheben, und man hat die Ge-
legenheit, die Konsumentinnen und Konsumenten über
die Substanzen zu informieren. In Österreich, den Nie-
derlanden und der Schweiz hat man damit gute Erfah-
rungen gesammelt.
Herr Kollege Weinberg!
Ich denke, all diese Themen sind wichtig und müssen
auch von Ihnen behandelt werden. Ich befürchte, Sie
werden unsere Änderungsanträge nicht mit beschließen.
Die Themen können Sie aber nicht vom Tisch wischen.
Sie werden uns erhalten bleiben und weiter beschäftigen.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Burkhard Blienert, SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ein-zelplan, den wir jetzt beraten, ist gemessen am Gesamt-haushalt mit rund 11 Milliarden Euro eher ein kleinererEinzelplan. Bekanntermaßen sind von diesen 11 Milliar-den Euro – das wurde heute schon mehrfach gesagt –10,5 Milliarden Euro durch den Bundeszuschuss an denGesundheitsfonds festgelegt. Den restlichen Haushalts-mitteln von 500 Millionen Euro stehen die Milliardengegenüber, die im gesamten Gesundheitssystem bewegtwerden und den Gesamteindruck prägen. Laut GKVsummierten sich die Ausgaben der gesetzlichen Kran-kenversicherung 2012 auf 173 Milliarden Euro. Das istnatürlich noch nicht alles. Das bestimmt meistens die öf-fentliche Debatte über die Gesundheitsversorgung inDeutschland, so auch heute in unserer Haushaltsdebatte.Auch wenn der Anteil des Einzelplans 15 – abgesehenvom Zuschuss – eher gering ist, sind die Wirkungen ins-gesamt nicht kleinzureden, da wichtige Projekte dadurchan- und durchfinanziert werden können.Mit dem Haushalt 2014, der aufgrund des fortge-schrittenen Jahres jedoch nur noch begrenzte Wirkungentfalten wird, stellen wir die Weichen für die kommen-
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Burkhard Blienert
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den Jahre. Davon abgesehen besteht natürlich noch vielReformbedarf im Bereich des Gesundheitswesens. Die-sen Herausforderungen haben wir uns als Koalition ge-stellt – ich möchte Beispiele nennen –: Wir waren es, diedas Preismoratorium für Arzneimittel noch im Dezem-ber 2013 bis 2017 verlängert haben.
Wir waren es, die das Instrument der unsozialen Kopf-pauschalen abgeschafft haben. Das ist Politik nach demMotto: „Gesagt. Getan. Gerecht.“ Das ist Ausdruck einerverlässlichen und gerechten Gesundheitspolitik.
Nun zu den anstehenden Herausforderungen. Die Ko-alition arbeitet ihre gesundheitspolitische Agenda Punktfür Punkt weiter ab, ohne dabei die Zahlen insgesamt ausden Augen zu verlieren. Wir beschließen daher Maßnah-men, die solide gerechnet und finanziert sind. Wir schie-ben die Reformen an, die den Bürgerinnen und Bürgernein Leben mit einer bestmöglichen Gesundheitsversor-gung und -vorsorge ermöglichen.Damit bin ich bei den beiden Punkten, die in dennächsten Monaten anstehen: Pflege und Prävention. Andieser Stelle kommt der Bundeshaushalt des BMG insSpiel. Im Pflegebereich stehen uns große gesellschaftli-che Herausforderungen bevor. Wir setzen uns mit einemTeil dieser Probleme auseinander und stellen in dieserLegislaturperiode in zwei Stufen insgesamt 6 Milliar-den Euro für die Pflegekassen zusätzlich zur Verfügung.Bis 2030 gehen Experten zusätzlich von 1 MillionHilfebedürftiger aus. Der Anteil der demenziell Erkrank-ten wird dementsprechend ansteigen, und der steigendeAnteil der professionellen Pflege wird mit einem sich er-höhenden Personalbedarf einhergehen. Es gibt nochviele weitere Herausforderungen, die jeder anschaulichbeobachten kann, der vor Ort in ambulanten und statio-nären Pflegeeinrichtungen unterwegs ist.Im Bereich der Pflege haben wir jetzt 3 MillionenEuro für eine Pflegekampagne eingestellt. Ich glaube,das ist auch dringend notwendig, um weiter Aufklärungund Information zu betreiben.
Mit diesem Geld können Programmmaßnahmen finan-ziert werden, und es kann die Einführung des neuenPflegebedürftigkeitsbegriffs realisiert werden. Zudemkönnen Fachkampagnen durchgeführt werden, um fürdie Pflegeberufe zu werben und deren Attraktivität zusteigern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Bereich derPrävention gilt es, ähnlich dicke Bretter zu bohren. Prä-vention muss als Querschnittsaufgabe begriffen werden.Arbeitsschutz und geschlechtsspezifische Krankheits-symptome müssen verstärkt in den Fokus der Gesund-heitspolitik gerückt werden. Das Präventionsgesetz, wel-ches wir uns für die Legislaturperiode vorgenommenhaben, wird hierzu Antworten finden und Regelungenvorsehen.Prävention braucht aber auch Mittelerhöhungen fürGesundheitsförderung bzw. für die Arbeit der Bundes-zentrale für gesundheitliche Aufklärung. Daher werdenauch hier über 43 Millionen Euro für den Bereich Prä-vention und Aufklärungsarbeit aufgebracht. Allein fürden Bereich Drogen- und Suchtmittelmissbrauch stehenüber 12 Millionen Euro zur Verfügung. Im Bereich HIV/Aids stehen über 13 Millionen Euro zur Verfügung.Auch hier gibt es ein deutliches Plus.Aus meiner Sicht ist es besonders erfreulich, dass dieBZgA insgesamt 4 Millionen Euro mehr als 2013 be-kommt und somit ihre wichtige Aufklärungsarbeit fort-führen kann.
Wir haben es geschafft, einen weiteren wichtigen Akzentzu setzen. Den möchte ich nochmals in Erinnerung ru-fen: 10 Millionen Euro mehr zur Sicherung der HIV-Aids-Stiftung sind im Haushalt aufgrund der parlamen-tarischen Beratungen in den Ausschüssen verankert wor-den. Das ist ein großer Fortschritt.Es ist kein großes Geheimnis, dass wir Sozialdemo-kratinnen und Sozialdemokraten an manchen Stellenweitergehende Reformvorstellungen im Gesundheitsbe-reich haben. Wir werden diese auch nicht aufgeben. Esist aber nun einmal unsere Aufgabe, das Realisierbareanzugehen und umzusetzen.Wir Sozialdemokraten haben an unterschiedlichenStellen Kürzungen des schwarz-gelben Haushaltsent-wurfs rückgängig gemacht. Schwerpunkte haben wir aufdie Bereiche „Prävention“ und „Pflege“ gelegt.
Der Haushalt 2014 sichert den Fortbestand von Maß-nahmen und Projekten zur Suchtaufklärung und Drogen-beratung. Er sichert die Aufklärungsarbeit der BZgA.Mit dem neuen Titel zur Pflegekampagne geben wir eineAntwort auf den demografischen Wandel und stärkenden gesamten Pflegebereich.Auch die Beschlüsse über den Zuschuss für den Ge-sundheitsfonds sind verantwortbar, auch wenn in denJahren 2014 und 2015 der befristete Bundeszuschusssinkt und erst wieder ab 2016 sein Ausgangsniveau er-reichen wird. Im Jahr 2017 wird er auf jährlich 14,5 Mil-liarden Euro steigen. Er ist also schwankend. Angesichtsder Rücklagen ist dieses aber vertretbar. So ergeben sichnicht zwingend Auswirkungen auf die Beitragshöhe derBeitragszahlerinnen und -zahler. Die Aussagen der Ex-perten bei der öffentlichen Anhörung hierzu haben diesdeutlich klargestellt.Natürlich bleiben immer Fragen offen – wie eben dieBewertung der versicherungsfremden Leistungen. Dasist ein Problem, das wir an dieser Stelle aber nicht lösenkönnen, sondern das müssen wir als Aufgabe mitnehmenund im Ausschuss beraten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3631
Burkhard Blienert
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Die Koalition handelt, ihre Maßnahmen wirken. DieOpposition täte gut daran, die richtigen Weichenstellun-gen an der Stelle mitzutragen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen
ist die nächste Rednerin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ohne Hellseherin zu sein, ist mir völlig klar, dass mit die-
ser schwarz-roten Regierung die wachsenden Probleme
im deutschen Gesundheitswesen nicht annähernd gelöst
werden. Die Große Koalition bietet keine Vision, wie die
Gesundheitsversorgung in Zukunft aussehen soll und
wie diese solidarisch finanziert werden kann. Demogra-
fischer Wandel und Fachkräftemangel seien hier bei-
spielhaft erwähnt.
Stattdessen doktert Schwarz-Rot an einzelnen Stell-
schrauben eines zunehmend maroden Systems herum.
Zwar werden mit Minimalkompromissen einzelne
Punkte aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet, jedoch
bleibt es die nächsten Jahre bei der ungerechten und un-
sinnigen Trennung von gesetzlicher und privater Kran-
kenversicherung. Es bleibt dabei, dass die gesetzlich
Versicherten die absehbaren Kostensteigerungen alleine
tragen müssen. Es bleibt dabei, dass die Über- und Un-
terversorgung sowie die Fehlanreize weiter existieren.
Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf den Sankt-
Nimmerleins-Tag verschoben werden, wie die Einfüh-
rung des neuen Pflegebegriffs, eine Krankenhausreform
oder das Präventionsgesetz. Diese Koalition verschleppt
alle Reformen, die den Patienten und ihren Angehörigen,
den Versicherten und den Bürgerinnen und Bürgern zu-
gutekommen würden. Es bleibt bei notdürftigen Repara-
turen in der Krankenversorgung. Von einer modernen
Gesundheitspolitik ist diese Regierung meilenweit ent-
fernt.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen.
Schwarz-Rot hat sich ins Stammbuch, also in den Koali-
tionsvertrag, folgenden Satz geschrieben:
Wir werden noch 2014 ein Präventionsgesetz ver-
abschieden, das insbesondere die Prävention und
Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita,
Schule, Betrieb und Pflegeheim und die betriebli-
che Gesundheitsförderung stärkt und alle Sozialver-
sicherungsträger einbezieht.
Im März versprach Staatssekretärin Fischbach, dass
im Frühsommer 2014 – das ist ungefähr jetzt – Eck-
punkte für ein Präventionsgesetz vorgelegt würden.
Letzte Woche haben wir erfahren, Herr Minister Gröhe,
dass der Starttermin für das Präventionsgesetz auf Januar
2015 verschoben wurde. Herr Heiderich hat hier so ge-
tan, als wäre das Präventionsgesetz schon da. Sie, Herr
Minister Gröhe, haben in Ihrer Rede erstaunlicherweise
überhaupt keinen Ton dazu gesagt. Was ist denn da jetzt
die Fortsetzung?
Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir geben Gas. –
Aber das, was Sie beim Präventionsgesetz machen, erin-
nert mich eher an einen Eierlauf mit Hindernissen. Nach
wie vor streiten sich Union und SPD über die wesentli-
chen Inhalte dieses Gesetzes. Inwieweit sollen die Län-
der und Kommunen für Prävention zuständig sein? Wel-
cher Stellenwert soll auf Lebenswelten bezogenen
Aktivitäten eingeräumt werden? Wie kann eine vernünf-
tige und nachhaltige Finanzierung aussehen? Warum, so
fragt man sich, übernimmt man nicht entsprechende Ge-
setzentwürfe aus der rot-grünen Regierungszeit, Ent-
schließungen des Bundesrates oder Anträge der Opposi-
tion, darunter übrigens auch einige der SPD, aus der
letzten Wahlperiode?
Was ist eigentlich das Problem?
Für uns Grüne steht nach wie vor fest: Wir brauchen
ein Präventionsgesetz, das an den Problemen der Men-
schen und ihren Lebenswelten ansetzt, das die Kompe-
tenzen der Menschen und ihre Beteiligung an der Gestal-
tung ihrer Umwelt stärkt sowie endlich einen Beitrag
zum Abbau sozial bedingter Ungleichheit von Gesund-
heitschancen leistet. Deshalb erneuern wir Grüne heute
unseren Appell: Die Zukunft der Prävention und der Ge-
sundheitsförderung kann nur gemeinsam mit den Bürge-
rinnen und Bürgern in den Kommunen gestaltet werden.
Dafür braucht es aber Mut für einen Paradigmenwech-
sel. Dieser ist bei Ihnen, bei dieser Großen Koalition,
bisher leider nicht zu erkennen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jens
Spahn, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Irgendwie schaffen Sie es ja immer,den Gesundheitsdebatten vorzusitzen. Ich weiß nicht, obdas in Reminiszenz an alte Zeiten ist,
aber wir freuen uns sehr darüber.
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3632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
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Alles Zufall oder irgendwelche dunklen Mächte.
Ich glaube, jede Gesundheitsdebatte dieser Legisla-turperiode war bisher von Ihnen präsidiert. Es freut unsnatürlich sehr, dass Sie uns dabei begleiten.Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, Ihnen gingedas alles zu langsam.
Ich glaube, Sie sollten einmal einen Strich unter die ers-ten sechs Monate ziehen und sich ansehen, was wir inder Gesundheitspolitik – übrigens in einer seltenen Ei-nigkeit im Vergleich zu den letzten Legislaturperioden –geschafft haben, umzusetzen. Das reicht von der Phar-maspargesetzgebung, die schon erwähnt wurde, übereine neue Systematik in der GKV-Finanzierung, die ei-nerseits den Wettbewerb sicherstellt, gleichzeitig aberauch eine jahrelange alte Auseinandersetzung, die eshier im Haus gegeben hat, befriedet, bis hin zu dem, waswir gerade zur Pflege vorliegen haben, und zu den Pla-nungen zum Versorgungsgesetz und zum Präventionsge-setz in der zweiten Jahreshälfte.
Wenn man sich dies ansieht, kann man, glaube ich, mitFug und Recht sagen: Gesundheitspolitik ist zu Beginneiner Legislaturperiode noch nie so inhaltstief, so kon-struktiv und mit so vielen guten Ergebnissen in wenigenMonaten gemacht worden, wie es in den letzten Mona-ten gelungen ist. Es mag Ihnen schwerfallen, das anzuer-kennen. Aber ich glaube, unter dem Strich kann man dasso sagen. Wir sind auch ein Stück weit stolz darauf, liebeKolleginnen und Kollegen.
Wenn man sich die Situation der gesetzlichen Kran-kenversicherung anschaut, muss man sagen: Sie steht al-len Unkenrufen zum Trotz gut da. Das hat in finanziellerHinsicht natürlich mit der guten wirtschaftlichen Ent-wicklung zu tun; das gilt auch für die anderen sozialenSicherungssysteme und für den Bundeshaushalt. Es hataber auch damit zu tun – das vergisst der eine oder an-dere –, dass wir in den Jahren 2010 und 2011 einen har-ten Sparkurs gefahren haben, der den Beschäftigten imGesundheitswesen eine Menge abverlangt hat. Aber da-durch ist es – im Verbund mit der guten wirtschaftlichenEntwicklung – gelungen, von einem drohenden großenDefizit im Jahr 2010 in eine Situation zu kommen, diewir in den sozialen Sicherungssystemen über Jahrzehntenicht hatten: dass wir Überschüsse und Rücklagen zuverzeichnen haben.
Rücklagen sind die beste Vorsorge für eine gute Versor-gung in der Zukunft. Deswegen freue ich mich erst ein-mal darüber, dass wir Rücklagen haben und dass die ge-setzliche Krankenversicherung gut dasteht.
Da hilft das Schlechtreden, das Sie gerade an den Taggelegt haben, nicht. Ich glaube, die Menschen spüren,dass es der gesetzlichen Krankenversicherung gerade gutgeht.
Das eröffnet im Übrigen die Möglichkeit, den Bun-deszuschuss in diesem Jahr zu kürzen. Es macht dochauch wenig Sinn, in der Liquiditätsreserve des Gesund-heitsfonds weitere Rücklagen aufzubauen, die wir kaumsinnvoll anlegen können, während gleichzeitig der Bun-desminister der Finanzen Schulden machen müsste, umden Bundeszuschuss zu finanzieren.
Es macht doch mehr Sinn, die Liquiditätsreserve indieser Situation ein Stück weit zu reduzieren, um in spä-teren Jahren – das ist ja gelungen und im Bundeshaushaltschon festgeschrieben – einen höheren Bundeszuschusszu haben. Das ist vernünftig; das wissen Sie. Sonst bitteich Sie – das gilt auch für Sie, Herr Weinberg –, sichnoch einmal intensiv mit den Mechanismen des Gesund-heitsfonds auseinanderzusetzen. Die Höhe der Liquidi-tätsreserve hat mit der Entwicklung der Beitragssätzenichts zu tun. Es können in Anhörungen noch so vieleSachverständige erzählen, was sie wollen; es wird da-durch nicht richtiger. Die Liquiditätsreserve hat nichtsdamit zu tun. Maßgeblich für die Höhe des Beitragssat-zes ist ausschließlich die jährliche Entwicklung der Ein-nahmen und Ausgaben. Bitte lernen Sie endlich, dieseUnterscheidung vorzunehmen! Denn das führt sonst zueiner unnötigen Verwirrung in der öffentlichen Debatte,oder es wird populistisch genutzt. Das macht es aberauch nicht besser.
Wir nutzen die gute finanzielle Situation, um den Ver-sorgungsaspekt stärker in den Mittelpunkt zu rücken.Natürlich interessieren sich viele Menschen für dieFrage: Wie wird die gesetzliche Krankenversicherungfinanziert? Aber mindestens genauso sehr beschäftigt dieallermeisten die Fragen: Habe ich eigentlich noch einenHausarzt vor Ort? Wie lange muss ich auf einen Fach-arzttermin warten? Wie ist es um die Hygiene im Kran-
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Jens Spahn
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kenhaus bestellt? Was ist, wenn ich an einem Freitag-nachmittag aus dem Krankenhaus entlassen werde, sichaber niemand so recht darum gekümmert hat, wie es mitder Medikation weitergeht oder ob eine häusliche Kran-kenhilfe benötigt wird?
Wir haben mit dem Versorgungsgesetz schon in derletzten Legislatur wichtige Akzente gesetzt. Wir habenauch im Koalitionsvertrag vereinbart – diese Debattewird nach der Verabschiedung des Finanzgesetzespünktlich nach der Sommerpause beginnen –: Wir wol-len die Versorgungsthemen in den Mittelpunkt der ge-sundheitspolitischen Debatte rücken. Dabei geht es umdie Fragen: Wie erleben Patienten den Versorgungs-alltag? Wie können wir diesen ganz konkret verbessern?Ich lade Sie herzlich ein, dabei konstruktiv mitzuma-chen. Wir haben eines der besten Gesundheitssystemeder Welt.
Ich glaube, auch das spüren die Menschen; nicht um-sonst will jeder, der im Ausland erkrankt, so schnell wiemöglich zurück nach Deutschland. Aber auch im bestenGesundheitssystem der Welt gibt es noch Verbesserungs-bedarf.
Wir nutzen die gute finanzielle Lage, um das anzugehenund den Patientenalltag konkret zu verbessern. Sie sindherzlich eingeladen, dabei mitzumachen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, nämlichzu der Frage: Wie geht die finanzielle Entwicklung wei-ter? Das eine Thema sind die Versorgungsthemen; dabeigeht es um die Patientensicht. Bei dem anderen Themageht es darum, dass wir absehen können – auch das ge-hört zur Wahrheit dazu, ohne Zweifel –, dass die Ausga-ben stetig stärker steigen als die Einnahmen; das istschon seit einigen Jahren so, wird durch die gute wirt-schaftliche Entwicklung aber etwas überlagert. Deshalbwerden wir ab 2015/2016 natürlich wieder über stei-gende Beitragssätze und im Zweifel auch über zu de-ckende Defizite reden müssen. Da sollten wir uns nichtsvormachen; damit müssen wir umgehen.
Kluge Politik nutzt die guten Zeiten, um über Struktu-ren zu reden, damit man nicht wieder die klassischenSpargesetze alter Art auf den Weg bringen muss. Mitdem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz haben wirschon in der letzten Legislatur wichtige strukturelle Ver-änderungen bei der Arzneimittelpreisfindung vorgenom-men. Für Arzneimittel werden in Deutschland keineMondpreise mehr gezahlt; höhere Preise werden nurnoch für tatsächlich bessere Arzneimittel erstattet. Dasist eine wichtige Strukturveränderung.Jetzt muss es gelingen – es ist uns natürlich bewusst,dass das unendlich viel schwerer ist, weil das noch ein-mal ganz anders in die Versorgung eingreift –, dass Bundund Länder über die Krankenhausstruktur in Deutsch-land reden und die Fragen klären: Was ist für eine flä-chendeckende Versorgung nötig? Was muss erreichbarsein in der Fläche? Wie stellen wir das sicher? Und: Wieist die Abstufung – bis hin zur Universitätsmedizin – inden gemeinsamen Verbünden: Wer muss was machen,und was muss wie vorgehalten werden zusammen mitden Ländern? Wir wissen, dass das eine große, eineschwierige Debatte wird. Wir werden in den nächstenMonaten sehen, wie weit es gelingen kann, sie grund-sätzlich zu gestalten.Eines ist jedenfalls sicher: Wer nicht irgendwannSpargesetze klassischer Art machen will, muss jetzt be-reit sein, grundsätzlich über die Strukturen der Gesund-heitsversorgung zu reden, stationär wie ambulant sowieim Zusammenspiel der beiden Systeme.
Wir als Koalition sind jedenfalls bereit dazu. Wir ladendie Ländern herzlich ein, mit uns darüber zu reden. Wirladen Sie ebenfalls dazu ein. Auch da arbeiten wir ganzkonkret: In der nächsten Woche wird die Runde mit denLändern zum zweiten Mal tagen. Auch da wäre es gut,wenn weniger genörgelt würde und mehr konstruktivmitgemacht würde; das wäre, glaube ich, ein guter An-satz.
Das bringt mich abschließend noch einmal konkretzum Bundeshaushalt. Ich möchte zum Ersten ganz herz-lich dafür danken, auch als Stiftungsratsvorsitzender derStiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“, dass es – darauf ist schon hingewie-sen worden – in den Haushaltsberatungen gelungen ist,die 10 Millionen Euro, die wir brauchen, um die Stiftungerst einmal bis 2017 zu finanzieren, tatsächlich sicherzu-stellen.
Gott sei Dank leben HIV-infizierte Menschen mittler-weile länger, als man damals angenommen hat. Um die
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3634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Jens Spahn
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Leistungen sicherzustellen, braucht es eine entspre-chende Finanzierung. Jetzt sind wir alle gemeinsam ge-fordert, für die Zeit nach 2017 gemeinsam mit denPharmaunternehmen und den Blutspendediensten undden Ländern eine Anschlusslösung zu finden, damit wirdiese Stiftung dauerhaft finanzieren können. Auch damöchte ich Sie alle herzlich einladen, mitzuwirken. DieDebatte wird noch schwer genug. Aber ich bin sehr frohund dankbar, dass es gelungen ist, erst einmal bis 2017Sicherheit für die Betroffenen, die auf diese Renten an-gewiesen sind, herzustellen.
Das bringt mich abschließend noch einmal zu denLinken. Es ist wie immer bei Ihnen: Im Himmel ist Jahr-markt. Sie legen hier Anträge vor, die mal eben 3 Mil-liarden Euro Mehrausgaben mit sich brächten. Keineneinzigen Satz, nicht einmal einen Nebensatz, verschwen-den Sie darauf, wie das finanziert werden soll.
– Ich sehe in den beiden Anträgen, die Sie hier zur Ab-stimmung vorgelegt haben, keinen einzigen Nebensatzzur Finanzierung.
Sie fordern mal wieder, dass der Bund für die Ländereinspringt. Es ist ja auch bemerkenswert, dass Ihrer Mei-nung nach der Bund ständig, immer wieder aufs Neue,Landesaufgaben einfach übernehmen soll.
Das ist natürlich die einfachste Lösung. Sie versprechenmit wohlfeilen Worten zusätzliche Gelder – da nickt erstmal jeder –, aber sagen am Ende nicht, wer das bezahlensoll.
Das ist Haushaltspolitik, die in die Irre führt. Was nütztes, vorzugaukeln, was man alles Schönes machenkönnte?Wir machen solide Finanzpolitik in der gesetzlichenKrankenversicherung, in der gesetzlichen Pflegeversi-cherung und im Bundeshaushalt.
Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können; aberdas, was wir machen, machen wir dann auch gut. Dasunterscheidet uns deutlich von Ihnen. Das ist, glaube ich,auch der Grund, warum wir hier regieren und Sie hier inder Opposition sind.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Edgar Franke, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die heutige Lesung zum Einzelplan 15 – Gesundheit –ist nicht nur ein Zeitpunkt, zurückzuschauen, sondernauch, sich mit der Gesundheitspolitik in dieser Legisla-turperiode zu befassen, gerade wenn man am Ende derDebatte redet. Ich kann Herrn Spahn nur zustimmen: Ichfreue mich auch, dass eine so sachkundige Präsidentinbei dieser Debatte zugegen ist.In dieser Wahlperiode sind zwei wichtige, zwei guteGesetze beschlossen worden: das 14. SGB-V-Ände-rungsgesetz zum einen und zum anderen das GKV-FQWG, das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanz-struktur und der Qualität in der gesetzlichen Kranken-versicherung. Ich kann die auch heute in der Debatte ge-äußerte Kritik an diesen beiden Gesetzen jedenfalls imKern – das muss ich ausdrücklich sagen – nicht teilen.Das 14. SGB-V-Änderungsgesetz ist alles andere alswirkungslos geblieben. Ganz im Gegenteil: Es hat denPreisstopp von 2009 verlängert. Der Herr Minister hatausdrücklich gesagt, dass das Gesetz die Zeitspanne, inder der Preisstopp für die patentgeschützten Medika-mente gilt, im Interesse der Versicherten verlängert hat.Das hat immerhin über 600 Millionen Euro gebracht.Hier davon zu sprechen, dass es keine Wirkung hat,geht an der Realität vorbei. Mit dem Zwangsrabatt sindwir vielmehr an die Grenzen der verfassungsrechtlichenLegitimität von politischen Entscheidungen gegangen;denn auch die Eigentumsrechte der Unternehmen nachArtikel 14 Grundgesetz – die Rücklagen betragen insge-samt 30 Milliarden Euro – sind natürlich immer zu be-rücksichtigen.Die Bundesregierung hat also gehandelt und die not-wendigen Maßnahmen für bezahlbare Medikamente er-griffen, und dafür ist sie zu loben.Das GKV-FQWG, das Gesetz zur Weiterentwicklungder Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichenKrankenversicherung,
ist ein richtungsweisendes und gutes Gesetz,
obwohl es sprachlich sicherlich ein Wortungetüm ist.Auch hier ist die Argumentation der Opposition nichtstimmig. Die Absenkung des Bundeszuschusses auf10,5 Milliarden Euro führt nämlich nicht zu einerzwangsläufigen Erhöhung der Krankenkassenbeiträge
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Dr. Edgar Franke
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– die Kollegin Hinz und der Kollege Spahn haben zurecht darauf hingewiesen –;
denn, Frau Klein-Schmeink, die Mindereinnahmen sinddurch eine Entnahme aus der Liquiditätsreserve in die-sem Jahr locker auszugleichen, und der Gesundheits-fonds ist nun wahrlich prall gefüllt. Frau Klein-Schmeink, 2014 werden wir also keine Probleme be-kommen.
Allerdings ist in Zukunft zu klären – das glaube ichschon –, was versicherungsfremde Leistungen im Ein-zelnen ausmacht; denn da der Bundeszuschuss aus poli-tischen Opportunitätsgründen von Jahr zu Jahr variiert,besteht natürlich immer die Gefahr, dass man Gesund-heitspolitik nach Kassenlage macht.
Ich glaube, hierauf muss man in Zukunft schon schauen.Die endgültige Abschaffung der Kopfpauschale istein wirklicher Sieg der politischen Vernunft, Frau Klein-Schmeink. Das Prinzip, dass der Chef denselben Beitragwie seine Sekretärin bezahlt, ist in der gesetzlichenKrankenversicherung endgültig gestorben.
Das ist ein politischer Sieg der Gerechtigkeit im Systemund ein Erfolg der SPD. Das kann man hier in dieser De-batte auch einmal ausdrücklich sagen.
Ferner stärkt das Gesetz die Finanzstruktur der Kas-sen. Das ist zwar erst der erste Schritt hin zur vollständi-gen Beitragssatzautonomie, aber es gibt keinen Einheits-beitrag mehr. Auch das muss man sagen. Damit schafftman grundsätzlich Wettbewerb, und der Wettbewerb istauch fair, weil wir einen vollständigen Finanzausgleichzwischen den Krankenkassen über den Gesundheits-fonds vereinbart haben. Ich glaube, die Zahlen zeigen,dass die finanziellen Spielräume der Kassen viel größersind, als der GKV-Spitzenverband vielfach behauptet.Auch das kann man in dieser Debatte einmal ausdrück-lich sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollennicht nur einen Preiswettbewerb, sondern wir wollen vorallen Dingen einen Qualitätswettbewerb.
Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung auchbeschlossen, dass wir ein Qualitätsinstitut im Gesund-heitswesen einrichten. Dadurch werden wir mehr Trans-parenz bekommen. Die Daten sollen und werden ver-ständlich und vor allen Dingen verbraucherfreundlichaufbereitet werden. Das korrespondiert auch mit unse-rem Willen, eine Qualitätsoffensive im Gesundheitswe-sen zu ergreifen. Das wird das Gesundheitswesen quali-tativ und absolut besser machen.Meine Damen und Herren, einer der Schwerpunkte inder Gesundheitspolitik in diesem Jahr wird sicherlich diePrävention sein. Ich glaube, das ist inzwischen schon dervierte Anlauf. Seit zehn Jahren diskutieren wir dasThema Prävention. Es wurde heute auch schon gesagt,dass die Techniker Krankenkasse vermeldet hat, dass derhöchste Krankenstand ihrer Versicherten seit 14 Jahrenzu verzeichnen war. Im Durchschnitt, so die TK, fehlte2013 jeder Beschäftigte 15 Tage.Ich glaube, ein Präventionsgesetz ist wichtiger dennje, zumal 10 Prozent der Fehlzeiten mit Rückenschmer-zen begründet wurden. Auch die Zahlen zeigen, dass wireine erneuerte Präventionsstrategie brauchen. FrauSchulz-Asche, darüber, dass diese Präventionsstrategienatürlich an den Lebenswelten der Menschen anknüpfenmuss, brauchen wir uns, glaube ich, nicht zu streiten. Siehilft nicht nur, Krankheitszeiten zu verhindern und damitKosten zu sparen, sondern – das ist das Entscheidende –sie hilft, dass Menschen gesund sind und am gesell-schaftlichen Leben teilhaben können.
Ich bin sicher, dass wir dazu in diesem Jahr einen Kabi-nettsbeschluss fassen und spätestens im nächsten Jahrein Gesetz vorlegen werden, das diese Anforderungenerfüllt.
Das entscheidende gesundheitspolitische Thema aberist und bleibt die Pflege. Sie ist eine sozialdemokratischeHerzensangelegenheit. Ich sehe gerade Frau Mattheis,die in der letzten Legislaturperiode für verbesserte Leis-tungen für Pflegebedürftige und für einen erweitertenPflegebedürftigkeitsbegriff gekämpft hat.Das Gesundheitssystem in Deutschland – das wissenwir alle – steht vor dem Hintergrund einer älter werden-den Gesellschaft vor enormen Herausforderungen. Jetztwird – das werden wir nächste Woche beraten – vielesvon dem, was Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-ten wollen – um es politisch korrekt auszudrücken, FrauKlein-Schmeink –, politische Realität werden. In zweiSchritten gibt es im Rahmen des Pflegestärkungsgeset-zes insgesamt 5 Milliarden Euro mehr für die Pflege.Das ist eine erhebliche Summe. Eine Verbesserung derLeistungen aus der Pflegeversicherung um rund 20 Pro-zent zum 1. Januar 2015 kann sich beileibe auch poli-
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tisch sehen lassen. Dass die Pflege auch am Bett der Pa-tienten ankommt, ist mit diesem Gesetz gewährleistet.
In einem zweiten Schritt werden wir, Frau Klein-Schmeink, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einfüh-ren, und zwar noch in dieser Legislaturperiode.
Auch das sollte nicht geringgeschätzt werden.Lassen Sie mich noch einen Satz zum Thema Kran-kenhaus sagen. Das Krankenhaus, das gute Pflege anbie-tet – das ist mir persönlich ein Herzensanliegen –, mussdafür finanziell belohnt werden. Gute Pflege muss in Zu-kunft in Fallpauschalen abgebildet werden. Letztlichkann man dann die Pflege auch besser bezahlen. DiesenPunkt darf man in der politischen Diskussion nicht ver-gessen.Schließlich und endlich muss Pflege stärker lokal ein-gebunden werden. Wir brauchen – das sage ich als ehe-maliger Bürgermeister ausdrücklich – eine Rekommuna-lisierung der Pflegeinfrastruktur. Wir brauchenquartiersbezogene Sozialpolitik. Auch das ist ein Thema,das uns fraktionsübergreifend alle interessieren sollte.
Das heißt, vor Ort müssen kommunale Wohnungsbauge-sellschaften, mobile Krankenpflegestationen, kirchlicheund freie Träger zusammenarbeiten, damit durch nied-rigschwellige Angebote gewährleistet ist, dass ältereMenschen in ihrem sozialen Umfeld verbleiben können.Wir werden auch ein zweites Versorgungsstrukturge-setz auf den Weg bringen. Mit diesem Gesetz werdenviele Forderungen aufgenommen werden, die wir disku-tiert haben, viele sogenannte sozialdemokratische Her-zensangelegenheiten, Frau Klein-Schmeink, wie ich sieeben schon bezeichnet habe: Servicestellen zur Verein-barung eines Arzttermins innerhalb von vier Wochen,eine weitere Stärkung der hausärztlichen Versorgung,eine weitergehende Öffnung von Krankenhäusern fürunterversorgte Gebiete, Desease-Management-Pro-gramme für Menschen mit Rückenerkrankungen undDepressionen, erleichterte Zulassung von MVZ. Sie se-hen, in der Gesundheitspolitik ist das sozialdemokrati-sche Profil deutlich zu erkennen.
Herr Kollege.
Wir werden viele unserer Herzensangelegenheiten
umsetzen – im Interesse der Patientinnen und Patienten
in Deutschland.
Danke schön.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Maria Michalk, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich denke, die heutige Haushaltsdebatte auch zu diesemHaushaltsplan zeigt ganz deutlich, vor welchen Verände-rungen und Herausforderungen wir in unserer Gesell-schaft stehen. Einerseits hat niemand bestritten, wiewichtig es ist, einen insgesamt ausgeglichenen Haushaltaufzustellen. Auch wenn die Opposition Kritik geübthat, hat man doch den Neid darüber, dass wir das jetztschaffen, ganz deutlich herausgehört.
Das ist gut so. Ich danke allen, die dazu beigetragen ha-ben, dass dies jetzt möglich ist.
– Ich komme gleich darauf, liebe Frau Kollegin Schulz-Asche. – Andererseits wissen wir natürlich auch – dashaben meine Vorredner alle bestätigt –, dass wir vor im-mer neuen Herausforderungen stehen. Ich möchte in diefiskalische und finanzpolitische Debatte eine andere Fa-cette hineinbringen, nämlich die demografische Ent-wicklung; sie wurde schon genannt. Immer mehr Men-schen in unserem Land werden immer älter. Der Wunschnach Lebensverlängerung reicht weit in die Antike zu-rück. Medizinische Ratgeber hat es gegeben, und auchkünstlerisch wurde dieses Phänomen gestaltet. An denWerken erfreuen wir uns übrigens heute noch.Jetzt ist dieser Wunsch Wirklichkeit, es ist keinTraum mehr. Die Langlebigkeit ist erreicht. Welch einGlück für uns und vor allen Dingen für die Mädchen, dieheute geboren werden, die in der Lebenserwartung einAlter von 100 Jahren erreichen können. Darauf müssenwir reagieren; denn diese Veränderungen sind nicht nurquantitativ – wir nennen das demografischer Wandel –,sondern erfordern auch qualitative Veränderungen undUmstrukturierungen.Was heißt das? Die Berufseinstiege werden immerflexibler, immer später werden Familien gegründet, wirhaben eine zunehmende Singularisierung – insofern istdie familiäre Hilfe eine andere geworden –, der Lebens-stil hat sich verändert, vor allem der Blick auf die ge-sundheitliche Vorsorge, auf die Ernährung, auf die Be-wegung hat sich verändert. Wir diskutieren heute alsonicht mehr, wie alt wir werden, sondern, wie wir alt wer-den. Das ist dieser qualitative Sprung, auf den wir auchin der Gesundheitspolitik immer wieder eine neue Ant-wort finden müssen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3637
Maria Michalk
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Ich sage es auch an dieser Stelle: Auch wenn wir vonden älter werdenden Menschen in unserer Gesellschaftsprechen und darauf reagieren, dürfen wir niemals ver-gessen, dass wir genauso unsere Kinder und ihre Bedürf-nisse im Blickpunkt der gesundheitlichen Versorgungbehalten müssen. Deshalb brauchen wir auch in ZukunftKinderärzte, Kinderstationen und vieles andere mehr.Ich möchte noch einen anderen Aspekt hinzufügen:Wir sollten uns auch daran erinnern und die Erkenntnispflegen, wie sehr der Mensch die natürlichen Reize– auch das hat etwas mit Gesundheitspolitik zu tun – vonLicht und Luft, von Kälte und Wärme, von Ruhe undBewegung und ein ausgewogenes Gesundheitsverhaltenbraucht, um gesund zu bleiben. Es geht also darum, ge-sund zu bleiben. Das ist unsere erste Aufgabe.Erst als zweiten Punkt diskutieren wir die Kardinal-frage, um die sich auch der Haushalt rankt: Was müssenwir in Zukunft tun und worauf müssen wir in Zukunftstärker achten, um Menschen, die erkrankt sind, rasch,kompetent, solidarisch, wirtschaftlich, wenn möglichwohnortnah zu helfen, wieder gesund zu werden, oderihren Gesundheitszustand so zu beeinflussen und sie sozu versorgen, dass sie in Würde leben können und dann,wenn es zu Ende geht, auch in Würde sterben können?Darum geht es. Das nennen wir: eine bedarfsgerechteVersorgung auch für die Zukunft sichern.Deshalb möchte ich an ein paar Punkten zu dem, wasschon gesagt worden ist, noch einmal ausführen, worumwir uns schon in der Vergangenheit gekümmert habenund was das heute für uns bedeutet.Erstens. Wir haben Anreizmöglichkeiten für Praxis-niederlassungen oder Praxisübernahmen im ländlichenRaum geschaffen. Junge Mediziner entscheiden sichtrotzdem nicht immer dafür, aufs Land zu gehen, weilandere Rahmenbedingungen wie zum Beispiel derWohnort oder das Vorhandensein von Kindergarten oderSchule oder Kulturangebote nicht stimmen. Das könnenwir Gesundheitspolitiker nicht allein lösen.Zweitens. Wir diskutieren seit Jahren modifizierteZulassungsbedingungen für Medizinstudenten. Trotz-dem wissen wir, dass die Universitäten da ihre eigenePhilosophie fahren – mit der Folge, dass der Arztmangelnicht nur droht, sondern dass wir in bestimmten Fachge-bieten echten Fachkräftemangel haben.Drittens. Wir haben Anschubfinanzierungen für Ver-träge der integrierten Versorgung eingeführt und ausge-reicht. Jetzt, wo das Prinzip von den Leistungserbringernverstanden worden ist und außerhalb der Anschubfinan-zierung vermehrt neue IV-Verträge eingereicht werden,stellen wir fest, dass viele – aus welchen Gründen auchimmer – nicht genehmigt werden. Warum, ist die Frage.Damit müssen wir uns in Zukunft beschäftigen.Wir haben – viertens – Medizinische Versorgungszen-tren eingerichtet und immer wieder modifiziert, diskutie-ren aber aktuell trotzdem, dass wir auch facharztgleicheMVZ zulassen wollen.Fünftens. Auch Praxiskliniken sind eine wichtigeSäule im Versorgungsalltag. Trotzdem kämpfen sie nachwie vor mit der Schwierigkeit, dass sie nicht wie imKrankenhaus eine Fallpauschale abrechnen können, ob-wohl der EBM für ihre Kostenstruktur nicht ausreicht.Das heißt, wir haben auch hier etwas Gutes getan, sindaber noch nicht am Ende der Diskussion angekommenund beschäftigen uns weiter damit.In den Krankenhäusern wachsen ebenfalls die Aufga-ben. Immerhin fließt jeder dritte Euro der Beitragszahlerin den Krankenhausbereich. Da muss doch eigentlicheine gute Versorgung möglich sein. Trotzdem setzen wir– Herr Spahn hat darauf hingewiesen – eine Bund-Län-der-Kommission ein, die an Konzepten arbeitet.Ich will siebtens aufführen: Vor 25 Jahren wurde derMedizinische Dienst der Krankenversicherung als fach-lich unabhängiger Begutachtungs- und Beratungsdienstfür alle Leistungsbereiche eingerichtet. Er macht diePflegeeinstufung, und zwar hochkompetent und sehrschnell innerhalb der vorgeschriebenen vier Wochen.Davon konnte ich mich letzte Woche bei einer Vor-Ort-Aktion einen ganzen Tag überzeugen.Trotzdem ist er aktuell nicht nur von den Patienten-vertretern mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht so rechtunabhängig zu sein. Auch darauf müssen wir eine Ant-wort suchen.Ich möchte noch einen Punkt aufführen. Das von unsbeschlossene Qualitätsinstitut wird mit Sicherheit einewichtige Aufgabe erfüllen. Aber ich warne jetzt schondavor, dass wir alles überfrachten und mit der gesamtenDatenlage starten wollen. Dann werden wir nie starten.Wir müssen auch hierbei den Mut haben, bestimmte In-dikationen herauszusuchen und damit erst einmal anzu-fangen.Was will ich damit sagen?
Frau Kollegin Michalk.
Wir haben ganz viele Dinge in den Versorgungsalltag
eingeführt und darauf geachtet und auch dazu beigetra-
gen, dass sie wirken. Trotzdem bleibt die Aufgabe, den
Versorgungsalltag weiter zu beobachten und die entspre-
chenden Antworten zu geben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb ist dieser Haushalt die richtige Antwort aufdiese vielen Fragen. Ich bitte Sie herzlich, ihm zuzustim-men.Danke schön.
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3638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
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Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist
der Kollege Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende derheutigen Debatte komme ich nicht um eine Feststellungherum: Es ist erstaunlich, welche Verrenkungen gemachtwerden, um ein Haar in der Suppe unseres hervorragen-den Menüs zu finden.
Ich darf zusammenfassend noch einmal die Faktengeraderücken. Fakt ist, dass die Finanzlage der gesetzli-chen Krankenversicherung seit Jahren hervorragend ist.
Die Kassen konnten in den letzten Jahren sogar Reser-ven in Milliardenhöhe anhäufen.
An dieser guten Lage ändert auch der vielbeschwo-rene Verlust von 270 Millionen Euro im ersten Quartaldieses Jahres nichts. Man muss sich nämlich auch dieArbeit machen, nachzulesen – bitte, schauen Sie sich dasan –, woher dieser „Verlust“ kommt: Allein 55 MillionenEuro machen sogenannte Satzungsleistungen der Versi-cherungen aus. Das sind Leistungen, die nicht gesetzlichzwingend sind, aber von den Versicherungen freiwilliggewährt werden.
Der Löwenanteil von rund 236 Millionen Euro gehtauf Prämien zurück, die die Kassen an die Versichertenausbezahlt haben, um sie an ihrer guten wirtschaftlichenSituation teilhaben zu lassen.
Wenn ich mir noch die Finanzreserven von rund27,7 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds und denKrankenkassen vor Augen halte, ist eines offensichtlich:Verglichen mit einem Schuldenstand von 8,4 MilliardenEuro vor zehn Jahren ist die Finanzlage heute wahrlichnicht schlecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es ist und bleibt deshalb die richtige Entscheidung,dass wir den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfondsfür die Jahre 2014 und 2015 vorübergehend abgesenkthaben, um zur Konsolidierung des Bundeshaushaltesbeizutragen. Klar ist nämlich eines: Kürzungen bei denZuweisungen an die Krankenkassen wird es nicht geben.Den Krankenkassen werden in diesem und auch imnächsten Jahr die vollen 14 Milliarden Euro zur Verfü-gung stehen.Es ergibt aber keinen Sinn, diese Summe nur überNeuverschuldung zu finanzieren und dafür auch nochZinsen zu bezahlen, wenn auf der anderen Seite diegesetzlichen Krankenversicherungen gleichzeitig fast30 Milliarden Euro auf der hohen Kante haben. Schul-den zu machen, um an anderer Stelle Milliardenreservenzu halten, kann doch nicht Sinn der Sache sein. Das kannunmöglich Sinn dieser Sache sein!
Auch wenn es schon oft gesagt wurde, muss ich andieser Stelle nochmals daran erinnern, dass wir im Rah-men des Konjunkturpakets II den Bundeszuschuss fürdie Jahre 2009 und 2010 erhöht haben, um die krisenbe-dingten Einnahmeausfälle der gesetzlichen Krankenver-sicherung abzulindern. Und: Wir reden doch nicht überPeanuts. Der Bund hat aus Steuermitteln insgesamt9,5 Milliarden Euro mehr eingezahlt als vorgesehen. ImÜbrigen ist es nicht so, dass wir dieses Geld aus demFonds abziehen würden. Das Geld, das wir nun zur Ent-lastung des Bundeshaushalts aus der Liquiditätsreservezur Verfügung stellen, wird ab 2017 in voller Höhe suk-zessive in den Gesundheitsfonds zurückfließen.Die gesundheitspolitischen Diskussionen in den ver-gangenen 20 Jahren haben gezeigt: Wir könnten innerhalbder Krankenversicherung gar nicht so viel reformieren,wie wir auf der anderen Seite an Einnahmen verlierenwürden, wenn die Konjunktur einbrechen würde. Ohneeine Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung blei-ben alle Reformen im sozialen Bereich Stückwerk.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sozial ist, was Arbeitschafft.
Aufgrund der günstigen Rahmenbedingungen kommenwir erstmals seit vielen Jahren ohne Sparmaßnahmenund Leistungskürzungen im Bereich der Krankenversi-cherung aus. Wir können stattdessen für alle den allge-meinen GKV-Beitrag erst einmal senken. Die damit ver-bundene Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags hilft,Arbeitsplätze zu sichern. Denn Arbeitsplätze sind dieQuelle, aus der sich letztendlich die Sozialkassen spei-sen, und dies nicht zu knapp.Kommen wir zu den Zusatzbeiträgen. Mit den ein-kommensabhängigen Zusatzbeiträgen haben wir die Bei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3639
Reiner Meier
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tragsautonomie und den Wettbewerb der Krankenkassengestärkt. Der Versicherte kann sich für die Kasse ent-scheiden, die seinen Bedürfnissen am besten entgegen-kommt. Die Kassen haben gleichzeitig ein ureigenes In-teresse an stabilen Beiträgen; denn die Transparenz fürden Verbraucher haben wir entschieden gestärkt. Wenneine Krankenkasse künftig einen Zusatzbeitrag erhebenoder erhöhen will, muss sie ihre Versicherten in einemgesonderten Schreiben darauf aufmerksam machen undden durchschnittlichen Zusatzbeitrag aller Kassen nen-nen. Neben einer Belehrung über ein Sonderkündigungs-recht müssen die Krankenkassen ihre Versicherten aufdie Internetseite des GKV-Spitzenverbandes verweisen,auf der alle Kassen mit ihren Zusatzbeiträgen aufgelistetsind. So kann jeder auf einen Blick sehen, ob die Leis-tungen seiner Kasse zur Höhe des Zusatzbeitrags passen.
Qualität ist ein weiteres Stichwort. Ein zentrales An-liegen ist für uns, die Qualität der stationären Versor-gung zu verbessern.
Deshalb haben wir das Institut für Qualitätssicherungund Transparenz im Gesundheitswesen auf den Weg ge-bracht. Künftig soll sich die Vergütung der Kranken-hausleistungen stärker an der Qualität orientieren. DieQualitätsindikatoren werden dann erhebliche Auswir-kungen auf die wirtschaftliche Situation der Kranken-häuser haben. Deshalb ist es wichtig, dass Qualitätsprü-fungen risikoadjustiert erfolgen. Das gilt insbesonderefür die Ergebnisqualität in den Krankenhäusern. ZumBeispiel ist die Mortalitätsrate bei Universitätsklinikenund bei der Maximalversorgung oft höher, weil dieseHäuser die komplizierten und besonders riskanten Fällebehandeln. Das muss berücksichtigt werden; denn nur sokönnen zwischen Krankenhäusern faire Leistungsver-gleiche zustande kommen.
Damit möchte ich schließen. Die Koalition hat in denvergangenen Monaten bewiesen, dass sie in der Lageund gewillt ist, den anstehenden Herausforderungen imGesundheitswesen zeitnah und effektiv zu begegnen.Herr Minister, Ihnen gilt mein besonderer Dank.
Im Bereich der Arzneimittelpreise und der GKV-Fi-nanzierung haben wir schon viel erreicht. In Kürze wer-den wir den Grundstein für eine große, umfassende Pfle-gereform legen, die spürbare Verbesserungen fürMillionen unserer Bürger bringen wird.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 – Bundesministerium für Gesundheit – in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungsan-
träge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/1819? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/1820? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/1821? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/1822? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU,
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der
CDU/CSU hat gebeten, jetzt die Sitzung für etwa eine
Stunde zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung
wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.7 auf:Einzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendDrucksachen 18/1016, 18/1023Die Berichterstattung für diesen Haushalt haben dieAbgeordneten Michael Leutert, Alois Rainer, UlrikeGottschalck und Ekin Deligöz.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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3640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJörn Wunderlich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste auf den Tribünen! Haushaltspolitik: Siewird auch die Königsdisziplin der Politik genannt. ImHaushalt werden die Weichen für die Zukunft gestellt.Die Frage bleibt: Wie werden die Weichen gestellt, undwohin soll die Fahrt gehen?Für die Jugendverbände gibt es in diesem Haushalt ei-nen Aufwuchs von 1 Million Euro. Das ist schön.
Aber woher kommt das Geld? Und wo bleibt bei denHaushaltsüberlegungen und -beschlüssen die Aufgabeder Bekämpfung der Kinderarmut? Das vermisse ichdurch die Bank weg. Die Kinderstudie von World Visionhat 2013 festgestellt, dass sich ein Fünftel der Kinder ab-gehängt fühlt und dass sich Kinder am meisten wün-schen, dass die Eltern ordentliche Arbeit haben.Frau Schwesig, Sie haben gestern Abend beim ASBnoch betont, wie wichtig Familieneinkommen ist unddass Kinderarmut damit zusammenhängt. Dass Kinderdie Spirale der Elternarmut fortsetzen, wissen wir schonlange. Seit 2005 – seit ich im Bundestag bin – höre ichdie entsprechenden Debatten. Seit 2005 hoffen die Men-schen im Lande auf eine veränderte Politik, die aus derSpirale der Armut herausführt. Sie hoffen auf eine Poli-tik, die Wege aufzeigt, davon wegzukommen, dass dieAufgaben im Gemeinwesen, ob Kinderbetreuung, Bil-dung, Gesundheit, Kultur oder was auch immer, stets aufden Kostenfaktor reduziert werden.Seit 2005 hat sich nichts wesentlich geändert. Wederseinerzeit die Große Koalition noch Schwarz-Gelb ha-ben etwas zum Besseren verändert.
– Gut, das Elterngeld und den Kitaausbau. Aber die Kin-derarmut ist gewachsen.
– Zum Betreuungsgeld wollte ich heute eigentlich nichtssagen.Noch immer kann sich Deutschland nicht als das fa-milienfreundliche Land in Europa präsentieren. Kindersind nach wie vor ein Armutsrisiko. An der Bekämpfungder Kinderarmut wird nur marginal herumgewerkelt.Nicht umsonst wünschen sich die achtjährigen Kindernach der Studie von World Vision am meisten, dass dieEltern eine existenzsichernde Arbeit haben. Die Ent-wicklung der Geburtenrate in Deutschland ist nach wievor Antwort der Menschen auf Ehrlichkeit und Verläss-lichkeit in der Familienpolitik.Schon Frau von der Leyen hat damals immer wiederWert darauf gelegt und betont, den Kindern, die nicht aufder Sonnenseite, sondern auf der Schattenseite des Le-bens geboren werden, eine besondere Hilfe zukommenlassen zu wollen. Leider vermisse ich seit 2005 bis heuteirgendwelche Aussagen dazu, was die Regierung kon-kret bereit ist zu unternehmen, um die gesellschaftlichenUrsachen der Probleme zu beseitigen. Kinderarmut isteines der wesentlichen Probleme in unserer Gesellschaft.Die Ursachen müssen angegangen werden.
Immer mehr Kinder sind armutsgefährdet. Ich frageSie: Was wollen Sie dagegen unternehmen? Immer mehrSenioren stehen inzwischen bei den Tafeln an. Was wol-len Sie dagegen unternehmen? Immer mehr Alleinerzie-hende sind von Armut bedroht oder betroffen. Was wol-len Sie dagegen unternehmen? Eine Antwort darauf gibtjedenfalls der Haushalt nicht her. Ich nenne als Beispielden Kinderzuschlag als ein wirksames Mittel der Ar-mutsbekämpfung. Im Entwurf für 2014 wurden nochetwa 379 Millionen Euro veranschlagt. Das waren schoncirca 8 Millionen Euro weniger als im Jahr zuvor. Ichwäre froh gewesen, wenn es bei diesen 8 Millionen Eurogeblieben wäre. Aber im Haushaltsausschuss wurde eram 7. Mai auf Antrag der Koalition um weitere 11 Mil-lionen Euro gekürzt. In der Bereinigungssitzung wurdeer auf Antrag der Koalitionäre erneut um 14,6 MillionenEuro gekürzt.
33,7 Millionen Euro weniger! Dieses Geld würde für dieArmutsbekämpfung dringend gebraucht. Eigentlichhätte der Kinderzuschlag ausgebaut werden müssen, da-mit er mehr Familien erreicht.
Der Ausbau des Kinderzuschlags ist und bleibt eine For-derung der Linken; denn Kinderarmut kann sichDeutschland nicht leisten.Immerhin wissen wir, woher die Mittel für die Ju-gendverbände und den Fonds „Heimerziehung in derDDR“ kommen. Dass die Mittel für den Fonds „Heim-erziehung in der DDR“ aufgestockt werden, findet un-sere volle Unterstützung. Aber dass die Finanzierung imEinzelplan 17 auf Kosten des Kindergeldes/Kinderzu-schlags erfolgt, ist unerhört. Der Fonds gehört in denEinzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung –, da essich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt.Solange nur im eigenen Haushaltsplan umgeschichtetwird oder Mittel bei den Betroffenen im ALG-II-Bezugnicht ankommen wie Unterhaltsvorschuss, Elterngeldoder Betreuungsgeld – das alles wird angerechnet –,kann man sich den Aufwuchs schönreden, wenn imHaushalt des Arbeitsministeriums entsprechende Ein-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3641
Jörn Wunderlich
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sparungen entstehen. Bis heute haben wir von der Regie-rung keine Antwort bekommen, wie hoch die Einsparun-gen bei Arbeit und Sozialem sind. Die Betroffenenjedenfalls haben davon nichts.Konkret vermisse ich echten Gestaltungswillen zurVerhinderung von Armut. Keiner darf gezwungen sein,sein Einkommen oder seine Rente durch das Sammelnvon Leergut aus Mülltonnen aufzubessern, wie wir estagtäglich immer häufiger an den S-Bahn-Stationen erle-ben können. Aber dafür muss man erst einmal S-Bahn-Stationen aufsuchen und darf die Augen nicht vor derRealität verschließen.Um auf die Alleinerziehenden zurückzukommen: Esverwundert sehr, dass Alleinerziehende mit gemeinsa-mem Sorgerecht von den Bonusmonaten des Elterngeld-Plus ausgeschlossen werden sollen. Dies läuft dem imletzten Jahr hier in diesem Haus verabschiedeten Leit-bild der gemeinsamen elterlichen Sorge völlig zuwider.Auch die sogenannte Klarstellung bei den Mehrlingsge-burten bedarf einer Richtigstellung. Es sollte doch sosein, dass pro Kind ein Elterngeldanspruch besteht undnicht pro Geburt. Die jetzige Klarstellung soll unter Aus-schluss von Elterngeldansprüchen 100 Millionen Eurosparen. Sparpolitik ist aber verfehlte Familienpolitik.Und warum immer bei der Familie? Ich kenne da ganzandere Politikfelder. Aber der Verteidigungsetat stehtheute nicht auf der Tagesordnung.Gewalt gegen Frauen ist ein weiterer wesentlicherPunkt. Nach wie vor ist ungeklärt, wie die bundesein-heitliche Finanzierung von Frauenhäusern aussehen soll.Die Linke fordert nach wie vor einen Rechtsanspruchauf Schutz und eine bundeseinheitliche Finanzierung.Ich will nur drei Beispiele nennen, um die Dramatik zuverdeutlichen. 2005 gab es in Bayern jährlich nochknapp 13 000 Fälle häuslicher Gewalt. 2013 waren esschon 20 000, 80 Prozent davon weibliche Opfer. In34 Prozent der Fälle mussten Kinder Gewalt miterlebenoder waren Zeugen der Gewalt. In Köln gibt es geradeeinmal zwei Frauenhäuser mit 46 Betten. Jährlich wer-den 1 000 Frauen mit ihren Kindern wegen Überfüllungabgewiesen. In Heilbronn dürfen Frauenhäuser von Ge-walt betroffene Frauen nicht mehr aufnehmen, wenn sieaus Nachbargemeinden kommen, und zwar aus Kosten-gründen. Das muss beendet werden. Hier muss Abhilfeher.
Frau Ministerin Schwesig, Sie haben angekündigt,dass Sie sich stark bei den Ländern einbringen werden,um zu einer Lösung zu kommen. Da wir schon einmalbei den Ländern sind: Der Aufbau der Strukturen in denLändern hinsichtlich Beratungsangeboten der Anti-diskriminierungsstelle müsste dringend fortgeführt wer-den. Dafür braucht Frau Lüders mehr Geld. Ich frageSie: Warum wird ihr das nicht zur Verfügung gestellt?Zum Rechtsextremismus wird mein Kollege gleichbestimmt noch Ausführungen machen. Ich weiß nur: Die1,5 Millionen Euro Aufwuchs reichen jetzt nicht aus.50 Millionen Euro wären eigentlich notwendig gewesen.Ich denke, wir alle wissen, an welcher der Regierungs-parteien dieser Ansatz gescheitert ist. Manchmal hatman eben Pech mit Partnern. Aber: Am Ende wird allesgut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht dasEnde. – Oscar Wilde.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin ManuelaSchwesig.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Ohne Moos nix los. – In mei-ner Einbringungsrede habe ich zitiert, wie Jugendlicheihren Finanzbedarf in knapper Form formulieren. Wennes ihnen dann gelungen ist, den Eltern ein paar Euro Ta-schengeld zusätzlich abzuhandeln, schreiben sie viel-leicht eine kurze SMS: THX. Thanks. Danke.So kurz will ich es mit Ihnen nicht machen. Ichmöchte mich hier ganz herzlich bedanken. Danke an dieHaushälterinnen und Haushälter und auch an die Fach-politiker für die konstruktive Diskussion, die konstrukti-ven Verhandlungen und die Unterstützung für den Haus-halt meines Ressorts. Uns ist ein Haushalt 2014gelungen, der dafür sorgt, dass wir Gerechtigkeit für dieGenerationen in Deutschland bieten können.Unmittelbar vor der Bereinigungssitzung im Haus-haltsausschuss war ich beim Deutschen Kinder- und Ju-gendhilfetag. Dort wurden Statements von Jugendlichenvorgestellt, die mich sehr darin bestätigt haben, was ichin diesem Haus als Zielsetzung meines Einzelplans vor-gestellt habe: Generationengerechtigkeit. Die Jugendli-chen wünschen sich ein gutes Ausbildungssystem, eingutes Bildungssystem, sie fordern mehr Fördermittel fürChancengleichheit. Sie wollen vor allem gehört werden,und sie wollen mitgestalten. Deshalb freue ich michsehr, dass der Haushaltsausschuss eine Mittelaufsto-ckung in Höhe von 1 Million Euro zur Stärkung der Ju-gendverbandsarbeit beschlossen hat. Dieses Geld geht ingute Hände, in die Hände der jungen Generation.
Jugendverbände sind Sprachrohr der Jugend in derÖffentlichkeit. Jugendverbände tragen die Jugendarbeitvor Ort, und das in einer unglaublichen Vielfalt: von derTrachtenjugend bis zur Sportjugend, von den Pfadfin-dern bis zur Jugendfeuerwehr. Bei meinem Treffen mitden Vertretern der Jugendverbände war ich beeindruckt,dass wenige junge Leute für so viele junge Menschen inunserem Land da sind. Deshalb ist es wichtig, dass wirmit zusätzlichen Mitteln diese Verbandsarbeit unterstüt-zen können. Mein Ziel für die Verhandlungen zum Haus-halt 2015 ist, dass das keine einmalige Sache war, son-dern dass es uns gelingt, diesen Zusatzbetrag zuverstetigen.
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3642 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Bundesministerin Manuela Schwesig
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Denn die Jugendverbände sind ein wichtiger Partner fürmich und sicherlich auch für Sie in der EigenständigenJugendpolitik.Der Haushalt 2014 ist auch eine gute Basis, ein guterAusgangspunkt für Kinderpolitik. Alle Kinder haben einRecht auf Schutz, Beteiligung und individuelle Förde-rung. Wir stärken den Schutz mit der Bundesinitiative„Frühe Hilfen“. Wir stärken die Bildung, indem wirmehr Geld für die Sprachförderung in Kitas einsetzen.Ein Schlüssel für gute Bildung ist frühkindliche Bildung.Was in der Kita, der Kindertagespflege an Bildung ver-mittelt und erlebt wird, ist Grundlage für Chancengleich-heit und gute individuelle Förderung von Anfang an.Mit Sprachförderung fängt es an. In den nächsten Jah-ren investiert der Bund, wie versprochen, 6 MilliardenEuro in die Bildungskette Kita – Schule – Hochschule.Das ist wichtig. Das Geld, das wir im Kitabereich inves-tieren werden, will ich im Dialog mit den Länderminis-tern einsetzen. Deshalb haben wir uns zu einer Konfe-renz zum Thema „Qualität in der Kindertagesbetreuung“für diesen Herbst verabredet. Bund, Länder und Kom-munen müssen gemeinsam vorangehen, wenn es darumgeht, weitere Kitaplätze zu bauen und mit guter indivi-dueller Förderung für Bildung von Anfang an zu sorgen.Herr Wunderlich, das ist die Antwort auf das Problemder Kinderarmut. Das Hauptproblem bei der Kinderar-mut ist doch, dass die Bildungschancen von Kindernheute immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhängen,und damit muss Schluss sein. Da können wir mit guterBildungsinfrastruktur für eine Veränderung sorgen. Die-ser Haushalt sorgt dafür, dass wir mehr Geld für Sprach-förderung ausgeben. Wir werden zukünftig Kitas aus-bauen, damit auch die alleinerziehende Verkäuferin fürihr Kind einen Kitaplatz hat und so ihrem Job nachgehenkann, um endlich aus der Armutsfalle herauszukommen.Das ist gezielte Kinderarmutsbekämpfung.
Meine Damen und Herren, Chancengleichheit fürKinder macht auch Familien stark. Starke Familien sindwichtig für Kinder. Im Zentrum moderner Familienpoli-tik steht Partnerschaftlichkeit – Partnerschaftlichkeit inder Familie, Partnerschaftlichkeit von Frauen und Män-nern und Partnerschaftlichkeit bei der Vereinbarkeit vonBeruf und Familie. Heute gehen immer mehr Mütter ei-nem Beruf nach, und immer mehr Väter wollen sich amFamilienleben beteiligen. Das Elterngeld ist für die Fa-milien eine hochwirksame Leistung. Deshalb freue ichmich, dass wir mit diesem Haushalt 470 Millionen Euromehr Elterngeld zur Verfügung stellen. Das ist eine guteBotschaft für die Familien in Deutschland.
Und wir machen weiter mit dem ElterngeldPlus.14 Prozent aller Paare mit kleinen Kindern teilen sichpartnerschaftlich Beruf und Familie, 60 Prozent wollenes aber. Wir wollen diese Lücke zwischen Wunsch undWirklichkeit schließen. Ein wichtiger Schritt dahin istdas ElterngeldPlus. Wir haben es schon verabredet, undwir werden an dieser Stelle weitermachen. Der Gesetz-entwurf ist beschlossen. Ich bin sicher, dass wir im Bun-desrat und im Bundestag gute Beratungen haben werden.Auch die Alleinerziehenden werden vom ElterngeldPlusprofitieren.Vereinbarkeit ist aber auch ein Thema für Familienmit pflegebedürftigen Angehörigen. Deshalb arbeitenwir derzeit an einem Gesetzentwurf für eine bessere Ver-einbarkeit von Pflege und Beruf. Wir werden die zehntä-gige Pflegeauszeit bezahlen und mit der Pflegereformdas Geld bereitstellen.Meine Damen und Herren, Partnerschaftlichkeit istfür mich auch ein Gleichstellungsthema. Gleichstellungheißt, gleiche Rechte für Männer und Frauen endlich inder Lebenswirklichkeit durchsetzen. Das, was im Grund-gesetz steht, muss auch in der Lebenswirklichkeit derFrauen ankommen. Insofern freue ich mich, dass wir inder Ressortabstimmung zum Entwurf eines Gesetzes fürmehr Teilhabe von Frauen in Führungspositionen sind.Wir werden mit dem ElterngeldPlus für mehr Partner-schaftlichkeit und damit für mehr Gleichstellung vonFrauen und Männern sorgen und gleichzeitig mit demGesetz für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen inFührungspositionen für mehr Gleichstellung von Frauenund Männern in Führungsetagen sorgen. Die Quote wirdkommen, und die Quote wird wirken.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin damit schonetwas weiter in der Zukunft, etwas weiter in der Legisla-turperiode. Wir reden aufgrund der Wahlen und des Neu-anfangs der parlamentarischen Arbeit relativ spät überden Haushalt 2014; das wissen wir. Es ist sehr wichtig,dass wir diesen Haushalt beschließen; denn die Trägerunserer Programme, unsere Partner und Zuwendungs-nehmer, warten dringend darauf, auch die Träger vonwichtigen Programmen für Demokratie und Vielfalt, mitdenen ich im Gespräch darüber bin, wie wir das neueBundesprogramm ab 2015 auf die Beine stellen. Vordem Wunsch nach mehr Geld besteht hier vor allem derWunsch nach Verstetigung. Wir sind in guten Gesprä-chen.Es warten aber auch diejenigen auf dieses Geld, aufdiesen Haushalt, deren Rechte als Kinder mit Füßen ge-treten worden sind. Das sind die Menschen, die in Hei-men der ehemaligen DDR aufgewachsen sind. Das Un-recht, das diesen Menschen in der Vergangenheitangetan wurde, kann man mit Geld nicht rückgängig ma-chen. Aber Behandlung oder psychologische Beratungkönnen den Betroffenen helfen, heute ein besseres Lebenzu führen. Daran dürfen wir nicht sparen.Mir als Vertreterin einer jüngeren Generation, die inOstdeutschland aufgewachsen ist und dann die Freiheitim neuen Gesamtdeutschland nutzen konnte, ist es wich-tig, dafür zu sorgen, dass andere, die in der DDR gelittenhaben, mindestens Unterstützung bekommen. Deshalbist es gut, dass wir den Fonds für die Heimkinder aus derDDR schon für dieses Jahr um 14,6 Millionen Euro auf-gestockt haben und dies in den nächsten Jahren fortset-zen werden. Das ist eine Frage der Verantwortung, eine
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3643
Bundesministerin Manuela Schwesig
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Frage der Haltung, insbesondere im Jahr 25 nach demMauerfall.
Ich sage dafür ausdrücklich Danke.Ich finde es unredlich, Herr Wunderlich, dass Sie denKinderzuschlag gegen dieses Thema ausspielen. Sie wis-sen ganz genau, dass wir beim Kinderzuschlag nicht kür-zen. Es handelt sich um Mittel, die nicht abfließen wür-den. Dass wir diese Mittel nicht in den Haushaltschicken, sondern denjenigen geben, die als Kinder mas-sives Unrecht erlebt haben, das ist Gerechtigkeit. DieKinder von heute gegen die Kinder von damals auszu-spielen, ist unredlich. Dagegen wehre ich mich.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir arbeiten schonam nächsten Haushalt. Mein Anliegen ist es dabei, in sowichtigen Feldern wie der Engagementpolitik, der Ar-beit für Demokratie und Vielfalt Programme zu bündelnund nachhaltige Strukturen zu stärken. Auf jeden Fallwerde ich Ihnen einen Einzelplan 2015 vorlegen, der er-neut das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt,so wie wir es im Haushalt 2014 tun.Gerechtigkeit für alle Generationen, Gleichstellungvon Männern und Frauen, Chancengleichheit für dieKinder in diesem Land – das ist meine Haltung, das istmeine Politik, und dafür ist der Haushalt 2014 eine guteGrundlage.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat Katja Dörner jetzt das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Die Ministerin hat ihre Rede begonnenmit: „Ohne Moos nix los.“ Ich muss leider sagen: Das isteine sehr passende Überschrift für den Etat des Famili-enministeriums.
Ende Mai ist eine wichtige Entscheidung gefallen,und zwar eine Entscheidung, die weit über den Haushalt2014 hinausreicht. Es hat endlich eine Einigung über dieVerteilung der 6 Milliarden Euro in dem sogenanntenBildungspaket gegeben. Jetzt könnte man denken: 6 Mil-liarden Euro, das ist gar nicht so wenig Geld.
Wenn man aber sieht: über vier Jahre gestreckt, für alleBundesländer, von der Kita über die Schule bis zu denHochschulen, dann erkennt man: Es sind faktisch Pea-nuts.
Wenn man das mit den 10 Milliarden Euro vergleicht,die die Rentenreform, die dieses Haus unlängst be-schlossen hat, jedes Jahr kosten wird,
dann sieht man: Dieses Verhältnis stimmt überhauptnicht. Die Bundesregierung hat sich davon verabschie-det, tatsächlich in die Zukunft zu investieren.
Die 6 Milliarden Euro sind verteilt. Ich muss leidersagen: Ministerin Schwesig ging als Verliererin vomFeld. Gerade einmal 1 Milliarde Euro soll es für die Ki-tas zusätzlich geben, und diese Zusätzlichkeit ist tatsäch-lich noch nicht einmal gegeben; darauf komme ich nochzu sprechen.Für jede und jeden hier, die und der es wirklich ernstmeint mit der Verbesserung frühkindlicher Bildung, mitmehr Chancengleichheit für alle Kinder von Anfang an,ist diese Summe ein reiner Witz. Ministerin Schwesigselber wollte 2 Milliarden Euro vom Kuchen haben. Washat sie bekommen? Nicht einmal die Hälfte! Ich finde,das ist eine blamable Leistung.Es ist noch nicht einmal 1 Milliarde Euro. Wie kommtdas? Die Einigung hinsichtlich der Verteilung der Mittelbesagt, dass das Sondervermögen auf bis zu 1 MilliardeEuro aufgestockt werden soll. Laut Bundesregierung be-finden sich in diesem Sondervermögen noch rund 450Millionen Euro. Das würde heißen: Es gibt eine Aufsto-ckung um 550 Millionen Euro.Aber über die 450 Millionen Euro im Sondervermö-gen ist zu sagen: Das Geld ist zwar noch nicht ausgege-ben, aber es ist bereits zu fast 100 Prozent bewilligt. Dasheißt, dieses Geld ist faktisch schon weg. Diese Rech-nung „450 Millionen Euro plus 550 Millionen Euro imSondervermögen, das macht 1 Milliarde Euro“ ist einereine Milchmädchenrechnung, weil die 450 MillionenEuro für zukünftige Investitionen gar nicht mehr zurVerfügung stehen.
100 Millionen Euro soll es zusätzlich für die Quali-tätsverbesserung in den Kitas geben, aber auch das erstin 2017.Ergebnis: Für den Kitabereich gibt es mitnichten1 Milliarde Euro zusätzlich; es sind gerade einmal650 Millionen Euro. Ich finde es wirklich ungeheuerlich,wie mit dieser angeblichen 1 Milliarde Euro für die KitasAugenwischerei betrieben wird. Ich finde, das kann manso nicht stehen lassen, liebe Kolleginnen, liebe Kolle-gen.
Die Vereinbarung für den Kitabereich ist eine Kata-strophe, weil wir angesichts dieser mickrigen Summengenau das nicht machen können, was wir eigentlich tunmüssten, nämlich tatsächlich in die Kitaqualität investie-
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Katja Dörner
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ren. Ich nenne einmal das Stichwort „Bundesqualitätsge-setz“. Das wird in dieser Legislatur wohl nicht mehrkommen.Stattdessen bleibt uns das völlig unsinnige Betreu-ungsgeld erhalten, das uns schon jetzt jährlich eine halbeMilliarde Euro kostet. Wir haben jetzt die ersten Studienzu der Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahme bekom-men, auch aus dem Familienministerium. Sie besagenganz klar: Das Betreuungsgeld verschärft die Bildungs-ungleichheit in unserem Land. Deshalb ist für uns Grüneganz klar: Wir Grüne wollen das Betreuungsgeld ab-schaffen und stattdessen in Kitas und frühkindliche Bil-dung investieren. Wir wollen tatsächlich Ernst machenmit guter Bildung für alle Kinder von Anfang an.
Ich möchte noch auf zwei Vorhaben eingehen, die unsin Form von Gesetzgebung ins Haus stehen. Seit Freitagletzter Woche – die Ministerin hat es angesprochen – istder Referentenentwurf eines Gesetzes in der Welt füreine Frauenquote in Aufsichtsräten. Ich finde es natür-lich gut, dass es endlich zu einer gesetzlichen Regelungkommt. Wir alle wissen, dass die freiwilligen Vereinba-rungen nichts gebracht haben. Aber eine 30-Prozent-Quote und die nur für börsennotierte Unternehmen, dasheißt für insgesamt 101 Unternehmen, ist wirklich keingroßer Wurf. Wir Grüne haben gestern in der Fraktioneinen eigenen Gesetzentwurf beschlossen, der eine 40-Prozent-Quote, und zwar auch für mitbestimmungs-pflichtige Unternehmen, vorsieht. Wenn wir Grüne vonGleichstellung von Frauen sprechen, dann bleiben wirnicht auf halber Strecke stecken.
Zweiter Punkt: das ElterngeldPlus. Auch hier ist esgut und überfällig, dass die Ungerechtigkeit beseitigtwird, dass Eltern, die zeitnah nach der Geburt des Kin-des Teilzeit arbeiten, weniger vom Elterngeld profitierenals Eltern, die eher die klassische Rollenaufteilung wäh-len. Aber an einer entscheidenden Stelle wird eine an-dere Gerechtigkeitslücke gerade nicht geschlossen, undzwar bei der Anrechnung des Elterngeldes auf dasALG II. Auch Eltern im ALG-II-Bezug haben ein An-recht auf eine Schonzeit nach der Geburt ihrer Kinder.Die Anrechnung des Elterngeldes muss wieder zurück-genommen werden. Auch das muss im Zusammenhangmit dem ElterngeldPlus thematisiert und diskutiert wer-den.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Ichbin wirklich froh, dass das unsägliche Anti-Linksextre-mismus-Programm vom Tisch ist. Wir kennen alle denEvaluierungsbericht des Deutschen Jugendinstituts aus2013, wonach die daraus geförderten Projekte als einsei-tig, methodisch schwach und stark gesteuert bezeichnetworden sind. Es ist aus unserer Sicht absolut richtig,wieder den Fokus darauf zu richten, wo der Schuh tat-sächlich drückt.Letzte Woche haben wir den Verfassungsschutzbe-richt bekommen. Dieser Bericht zeigt die erschreckendeTatsache auf, dass die rechtsextreme Gewalt gegenüber2012 um 20 Prozent gestiegen ist. An diesem Punktmüssen wir beherzt handeln. Ich erwarte, dass die Minis-terin das umsetzt, was sie angekündigt hat, nämlich dieMittel gegen Rechtsextremismus relevant aufzustockenund zu verstetigen. Auch hier, Frau Ministerin, habenwir uns über Ihre Ankündigungen gefreut. Aber auchhier gilt: An Ihren Taten werden wir Sie messen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Alois Rainer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir blicken auf sehr konstruktive Gesprä-che und Beratungen für den Bundeshaushalt 2014 zu-rück. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei un-seren Koalitionären für die gute Zusammenarbeit in denBeratungen ganz besonders bedanken.
– Bitte.Wir haben seit langem – um es genau zu sagen, seit1969; damals noch unter dem CSU-FinanzministerFranz Josef Strauß – erstmals wieder die Möglichkeit,für die kommenden Jahre ab 2015 einen Haushalt ohneNeuverschuldung vorzulegen und sogar Überschüsse zuerzielen. Dies ist gerade für die junge Generation in un-serem Land von sehr großer Bedeutung. Dass man gutePolitik trotz Haushaltskonsolidierung machen kann,zeigt der vorliegende Entwurf zum Haushalt 2014. Aufder einen Seite sparen wir, und auf der anderen Seite in-vestieren wir in diejenigen, die uns am wichtigsten sind,nämlich in die Menschen und die Familien in Deutsch-land.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Familien-politik ist auch Politik der Verantwortung. Dass wir Ver-antwortung übernehmen, machen wir sehr deutlich mitden Ansätzen im Einzelplan 17, im Einzelplan des Bun-desministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Ju-gend. Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist eine Politikzu erkennen, die das Miteinander aller Generationen inunserem Land fördert. Daher sprechen wir auch in die-sem Jahr von Ausgaben in Höhe von circa 7,9 MilliardenEuro. Dies macht deutlich, wie wichtig uns die Men-schen und insbesondere die Familien in unserem Landsind.
So haben wir den größten Posten im Einzelplan 17,nämlich das Elterngeld, nochmals erhöht, und zwar um470 Millionen Euro auf 5,37 Milliarden Euro. Damit
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Alois Rainer
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bleibt das Elterngeld nach wie vor ein sehr wichtiges In-strument im Rahmen unserer Verantwortung gegenüberden Familien in Deutschland.
Darüber hinaus ist es eine wesentliche Unterstützung fürFamilien nach der Geburt eines Kindes. So fängt das El-terngeld einen Einkommenswegfall auf, wenn Elternnach der Geburt für ihr Kind da sein wollen und ihre be-rufliche Arbeit unterbrechen oder einschränken. Dass esgut ist, das Elterngeld nochmals zu erhöhen, zeigt diepositive Entwicklung bei den Geburtenzahlen inDeutschland. Auch freut es mich sehr, dass immer mehrVäter die Möglichkeit nutzen, ihre Kinder in den erstenLebensmonaten intensiv zu begleiten. Dieser gesell-schaftliche Wandel ist gut; er zeigt zugleich, dass dasAngebot von den Familien angenommen wird.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Elternund junge Familien die Möglichkeit haben, selbst überdie Betreuungs- und Erziehungsaufgaben in der Familieoder im privaten Umfeld zu entscheiden. So war es auchrichtig, dass wir das Betreuungsgeld im Familienetatumgesetzt haben.
– Nein, das haben wir schon davor gemacht. – Geradediese Wahlfreiheit ist es, die den Menschen in unseremLand das Selbstvertrauen schenkt, mehr Verantwortungzu übernehmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,mir ist bekannt, dass Sie gute Nachrichten für die Regie-rungsfraktionen gerne übersehen oder auch überhören.Daher nehme ich mir gerne Zeit, Sie nicht über die neu-esten analytischen Auswertungen des Statistischen Bun-desamts vom Juni 2014 im Unklaren zu lassen. Es gabbekannt, dass das Betreuungsgeld bereits im erstenQuartal 2014 für knapp 146 000 Kinder abgerufenwurde. Allein diese Zahl belegt ausdrücklich den Erfolgdes Betreuungsgeldes.
Weil das so ist, haben wir den entsprechenden Ansatzum 460 Millionen Euro auf jetzt 515 Millionen Euro an-gehoben.Es freut mich, dass die zusätzlichen Zuweisungen andie Conterganstiftung in Höhe von 120 Millionen Euroverstetigt worden sind. Damit wird sichergestellt, dassdie Leistungen für Contergangeschädigte in Form derConterganrenten und medizinischen Hilfen weiter er-bracht werden können.Ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt, ist derBundesfreiwilligendienst. Hier engagieren sich Frauenund Männer für das Allgemeinwohl in unserer Gesell-schaft. Es war wichtig, dass es uns gelungen ist, dafür zusorgen, dass die wertvolle Arbeit, die Freiwillige inDeutschland leisten, fortgesetzt werden kann. Damitsenden wir ein wichtiges Signal an alle Freiwilligen, undwir machen deutlich, dass ihr Dienst geschätzt wird undes nicht nur um bloße Zahlen geht. Ich bin froh, dass wirdieses Ziel erreicht haben und wir auch künftig jedem,der einen Freiwilligendienst antreten möchte, dies er-möglichen können.
Auch freue ich mich sehr – die Ministerin hat esschon angesprochen –, dass wir in der Bereinigungssit-zung zusammen mit unserem Koalitionspartner 1 Mil-lion Euro mehr für die Jugendverbandsarbeit inDeutschland durchsetzen konnten. Oft sind es die Ju-gendverbände vor Ort, die ehrenamtliches Engagementzeigen, sich selbst organisieren und einen unverzichtba-ren Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklungleisten.
Zum Schluss möchte ich ein Thema ansprechen, dasmich derzeit besonders bewegt, nämlich die künftige fi-nanzielle Ausstattung der Mehrgenerationenhäuser.Dazu wurde im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wirein Konzept entwickeln, um die Finanzierung der Mehr-generationenhäuser nach dem Wegfall der ESF-Mittelim Haushalt zu verstetigen. Mit den Mehrgenerationen-häusern, die die Potenziale aller Generationen im Quer-schnitt der Gesellschaft fördern, haben wir eine innova-tive Antwort auf die demografischen Herausforderungengeschaffen.In diesen Mehrgenerationenhäusern werden das Wis-sen und die Kompetenzen aller Generationen unter ei-nem Dach zusammengeführt. Junge Menschen lernenhier von älteren gegenseitige Rücksichtnahme, aber auchToleranz und Verantwortung. Für Seniorinnen und Se-nioren bietet sich durch die Begegnungen und den Aus-tausch mit Jüngeren die Gelegenheit, Neues zu entde-cken und sich aktiv einzubringen.Mit dieser Vielzahl und Vielfalt an generationenüber-greifenden Angeboten und Aktivitäten prägen geradediese Häuser, diese Einrichtungen ein positives Alters-bild in der Gesellschaft und leisten ihren Beitrag zu ei-nem zukunftsorientierten Umgang mit den gesellschaft-lichen Herausforderungen des demografischen Wandels.
Von daher ist es aus meiner Sicht dringend notwendig,dass wir die Ende 2014 wegfallenden europäischen För-dermittel ab dem Jahr 2015 im Haushalt verstetigen.
Wir können und wir dürfen die Kommunen und die Be-treiber der Mehrgenerationenhäuser nicht im Regen ste-hen lassen.Insgesamt kann man festhalten, dass die Mittel imEinzelplan 17 gut investiert sind. Natürlich gibt es aufder einen oder auf der anderen Seite immer noch Wün-sche – das ist normal –, aber das große Ziel für die Zu-kunft – wie schon eingangs gesagt –, einen ausgegliche-nen Haushalt ohne neue Schulden aufzustellen, ist
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Alois Rainer
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gerade für unsere nachfolgende Generation wichtig, unddaran wollen und werden wir auch in Zukunft festhalten.Herr Wunderlich, die Frau Ministerin hat Ihnen schongesagt, dass der Kinderzuschlag nicht gekürzt wordenist. Er wurde einfach nicht in der entsprechenden Höheabgerufen.
Diese Mittel waren frei und wären an den Bundeshaus-halt zurückgeflossen. Hätten wir den Bundesfreiwilli-gendienst einfach so unberücksichtigt oder die Heimkin-der Ost entsprechend unversorgt lassen sollen? Es warschlichtweg einfach nicht richtig, was Sie gesagt haben.
Dies wollte ich zum Abschluss noch sagen. Ich liegenoch gut in meiner Zeit. Ich hoffe, diese Zeit wird mir ir-gendwann einmal gutgeschrieben.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zumindest für Haushaltsdebatten haben wir dafür
klare Regeln, dass das in den Fraktionen entsprechend
ausgeglichen wird.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das Familienministerium ist das Gesellschafts-ministerium. Für unseren Etat sind knapp 8 MilliardenEuro vorgesehen. Von diesen 8 Milliarden Euro werden88 Prozent für wichtige gesetzliche Leistungen wie El-terngeld, Unterhaltsvorschuss oder auch Zuweisungenfür die Conterganstiftung ausgegeben. Sehr viele Men-schen in unserem Land profitieren von diesem Etat.Von Gleichstellung und Chancen für unsere Kinderüber mehr Partnerschaftlichkeit in der Familie bis hin zueiner Unterstützung bürgerschaftlichen Engagementsoder eines aktiven und selbstbestimmten Alterns: AmEtat des Ministeriums für Familie, Frauen, Senioren undJugend hängen wichtige Gestaltungsaufgaben von un-schätzbarem Wert und von hoher Bedeutung für unserLand und unsere Gesellschaft.Mit dem Haushalt 2014 haben wir erste große Schritteunternommen, um unseren gesellschaftlichen Auftrag,den wir auch im Koalitionsvertrag verankert haben, um-zusetzen. Die Haushälter haben den Entwurf in den letz-ten Wochen noch ein wenig optimiert. Ich denke, wirkönnen heute feststellen: Diesem Haushalt können wirruhigen Gewissens und sehr zufrieden zustimmen.
Ich möchte kurz auf einige Punkte eingehen, weil dieKritik geäußert wurde, wir würden viel zu wenig ma-chen. Ich will an dieser Stelle betonen, Frau Dörner:6 Milliarden Euro als Peanuts zu bezeichnen – ich finde,das ist schon ziemlich peinlich.
Wir alle haben leider keine Gelddruckmaschine. Außer-dem waren die Anträge der Grünen nicht wirklich ge-genfinanziert.
– Es gibt einen Spruch: Wer schreit, hat unrecht.Es gibt wichtige Punkte. Zum Beispiel wird der Mit-telansatz für die Qualifizierungsoffensive erhöht. Außer-dem investieren wir in die frühkindliche Bildung. In die-sem Bereich werden wir in Zukunft noch viel mehrMittel einsetzen; die Ministerin hat das eben ausgeführt.In diesem Zusammenhang möchte ich auf das einge-hen, was Herr Wunderlich zum Kinderzuschlag gesagthat: Das ist keine Leistungskürzung. Das sagte auchschon der Kollege Alois Rainer. Im Topf war einfachnoch Geld, weil es weniger Fälle gab. Es ist nicht so,dass es weniger Alleinerziehende gibt, aber es gab weni-ger Fälle, und deswegen war in dem Topf „Kinderzu-schlag“ noch Geld vorhanden. Dieses Geld haben wirgesichert, um es für den BFD und für den Fonds „Heim-kinder Ost“ einzusetzen. Ich gebe der Ministerin aus-drücklich recht: Man darf die Kinder von heute nicht ge-gen diejenigen ausspielen, die in der DDR Heimkinderwaren. Das ist einfach unsäglich.
Ich habe offensichtlich ein vollkommen anderes Welt-bild als die Linke. Wenn man Ihnen zuhört, könnte manden Eindruck gewinnen, dass in ganz Deutschland nurarme, dramatisch finanzschwache Familien wohnen.
Es gibt viele Menschen, die unter wirklich schwierigenUmständen leben, und es gibt zu viel Kinderarmut. InDeutschland gibt es aber auch ganz viele Familien, indenen beide Elternteile arbeiten und ganz gut verdienen.Trotzdem müssen sie zusehen, dass sie ihr Familienlebenorganisiert bekommen. Auch für diese Familien sind wirund das Ministerium zuständig.
Wir müssen diese Leute motivieren, nach Möglichkeitnoch mehr Kinder zu bekommen. Das ist wichtig für die
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Ulrike Gottschalck
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Sozialkassen, damit auch in Zukunft Menschen geför-dert werden können.
Vielen Menschen helfen wir im Übrigen auch mit demMindestlohn. Ich denke, das ist der beste Weg, um zu-künftig Kinderarmut zu verhindern.
Wir haben an dem Gesetzentwurf gefeilt und dabeiviel erreicht. Meinem geschätzten Kollegen Alois Rainerund mir war die Jugendverbandsarbeit besonders wich-tig. Wir konnten 1 Million Euro mobilisieren. Außerdemkonnten wir erreichen, dass der Bundesfreiwilligen-dienst seine wichtige Aufgabe weiter ausüben kann. Indiesem Bereich gab es aufgrund eines Fehlers der Vor-gängerregierung leider eine Finanzierungslücke. Wir ha-ben das im Haushaltsausschuss zurechtgerückt. Daherkann der beliebte Bufdi auf bewährtem Niveau fortge-führt werden.In wunderbarer Zusammenarbeit mit dem Familien-ministerium und dem Finanzministerium haben wir denFonds für die Heimkinder Ost aufgefüllt, weil das einwirklich wichtiges Thema ist. Das haben wir im Koali-tionsvertrag versprochen, und wir haben Wort gehalten.Ich denke, das ist eine ganz wichtige Botschaft.
Während wir in dieser Woche den Haushalt 2014 ver-abschieden, beginnen bereits die Arbeiten am Bundes-haushalt 2015. Erlauben Sie mir daher einen kleinenAusblick: In diesem Haushalt wird es Veränderungen ge-ben. Ich nenne das ElterngeldPlus, das die partnerschaft-liche Erziehung von Kindern zukünftig noch stärker för-dern wird. Ich will aber auch mit den Problemen nichthinterm Berg halten – diesbezüglich schließe ich michausdrücklich den Ausführungen meines Kollegen AloisRainer, der das eben verdeutlicht hat, an –: Wir brauchenGeld für die Mehrgenerationenhäuser, weil sie für uns inDeutschland sehr wichtig sind.
An die Adresse von Steffen Kampeter richte ich dieBitte, diese Forderung in den Beratungen aufzunehmen;denn bisher verliefen die Verhandlungen nicht ganz soerfreulich, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir erwar-ten schon, dass es zu der Verstetigung, die im Koalitions-vertrag steht, kommt.Im Einzelplan 17 sind auch die Mittel für das BAFzA,das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftlicheAufgaben, zu finden. Hier müssen wir im Haushalt 2015einen Blick auf die Evaluierung im Zusammenhang mitden übertragenen Aufgaben werfen. Das BAFzA hatsehr viele Stellen mit kw-Vermerken, inzwischen aber25 wichtige Aufgaben übertragen bekommen, zum Bei-spiel das Hilfetelefon für Frauen in Not. Immerhin rufenda, obwohl es ein neues Angebot ist, täglich schon130 Frauen, die professionell beraten werden, in höchs-ter Not an. Ich denke, dass wir darauf einmal genauschauen müssen. Über die Stellen wurde damals imHaushaltsausschuss ausführlich beraten. Man kam dannzu dem Schluss, dass da gekürzt werden muss. Inzwi-schen ist es aber so, dass das BAFzA wichtige Aufgabenübernommen hat.Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns allen istbewusst, dass in einem Haushalt mit 88 Prozent Pflicht-leistungen nur noch wenig zu schaffen ist. Trotzdemmöchte ich mich ausdrücklich bei der Ministerin und ih-rem Team bedanken; denn sie haben es hinbekommen,trotz aller Finanzzwänge auch in diesem Haushalt ihreDuftmarken zu setzen, ein beeindruckendes Tempo vor-zulegen und viel Tatkraft zu beweisen. Ich denke, daswar richtig gut. Auch für die gute und gedeihliche Zu-sammenarbeit möchte ich mich im Namen der SPD-Fraktion hier recht herzlich bedanken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Rede-zeit ist um. Deswegen will ich nur noch sagen: DerHaushalt 2014 ist eine solide Grundlage für eine zu-kunftsweisende Gesellschaftspolitik. Daher bitte ich umdie Zustimmung aller hier im Hause. Vielleicht kann dieOpposition über ihren Schatten springen.Danke schön.
Nun hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, ich glaube, ich muss etwas Wasser inden Wein gießen. Das wird Sie aber nicht überraschen.Im Vorwort Ihres Haushaltes steht geschrieben, Deutsch-land sei ein familienfreundliches Land. Ich sage Ihnen:Nein, das stimmt nicht, Deutschland ist kein familien-freundliches Land. Mit dieser Aussage stehe ich auchnicht allein da, sondern die Mehrheit der Bevölkerungteilt diese Meinung.In der letzten Studie der Stiftung für Zukunftsfragenbejahten nur 15 Prozent der Befragten die Aussage,Deutschland sei kinderfreundlich. Damit rangiertDeutschland im europäischen Vergleich auf dem aller-letzten Platz. Das hat die Presse genüsslich ausge-schlachtet; denn in Dänemark – das Land ist Spitzenrei-ter – stimmten 90 Prozent der Befragten der Aussage zu,ihr Land sei kinderfreundlich.In der Presse wurde – das ist das eigentlich Interes-sante – allerdings nicht reflektiert, dass es zwei Jahre zu-vor eine ähnliche Umfrage gab. Damals waren inDeutschland – das ist immer noch ein katastrophalerWert – immerhin 21 Prozent – also 6 Prozentpunktemehr – der Auffassung, Deutschland sei kinderfreund-lich. Somit haben wir einen rückläufigen Trend. Eigent-
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Michael Leutert
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lich sollte dieser Trend durch die Politik umgedreht wer-den. Zumindest war das der politische Wille.So wurde 2007 zum Beispiel – auch damals von einerGroßen Koalition – per Gesetz das Elterngeld eingeführtund das Erziehungsgeld abgeschafft. Auch in diesemHaushalt stehen wieder über 5 Milliarden Euro dafür zurVerfügung. Ziel dieses Gesetzes war aber explizit, dieGeburtenrate anzuheben. Dieser Effekt ist eben nichteingetreten. Es gibt heute genauso viele Geburten inDeutschland wie im Jahr 2007. Herr Kollege Rainer, ichweiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen. Ich kannnämlich den von Ihnen genannten Trend aus der Statistiknicht herauslesen. Kinderfreundlicher ist das Land inden Augen der Bevölkerung auch nicht geworden.Genauso verhält es sich mit dem Kitaausbau. Er isteine Notwendigkeit, reicht aber bei weitem nicht aus, dieselbst gesteckten Ziele zu erreichen. Genauso notwendigist eine gute Betreuung in den Kitas. Weiter ist es not-wendig, dass die Kitas Öffnungszeiten haben, die mitden Arbeitszeiten der Eltern übereinstimmen. Die Quali-tät ist eben genauso wichtig.Statt an diesen Dingen bzw. an den realen Problemenzu arbeiten, haben Sie auf Betreiben der CSU das Be-treuungsgeld – die „Herdprämie“ – eingeführt und finan-zieren es mit über 500 Millionen Euro pro Jahr.
Dagegen läuft eine Klage vor dem Bundesverfassungs-gericht, eingereicht vom SPD-geführten Hamburger Se-nat. Im Bundestag gibt es eine breite Mehrheit – sie um-fasst Linke, Grüne und SPD sowie wahrscheinlich auchTeile der CDU – gegen diese Familienförderung aus demletzten Jahrhundert.
– Vorletzten Jahrhundert!
Ich bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, die Frage zustellen, was in Deutschland trotz der Sozialleistungen,die zur Verfügung gestellt werden, schiefläuft, und wa-rum sich an der Einstellung Kindern gegenüber nichtviel geändert hat.Ich bin davon überzeugt, dass sich auch in den klei-nen und ganz banalen Dingen im Alltag etwas ändernmuss. Ich glaube, alle, die Kinder haben, wissen, wovonich spreche. Wer zum Beispiel einmal mit einem Kinder-wagen in einen ICE eingestiegen ist, weiß, was ichmeine. Man muss schon sehr sportlich sein, um in denZug hineinzukommen, und wenn man es geschafft hat,ist man sozusagen geparkt, weil man mit dem Kinderwa-gen nicht weiterkommt; denn er passt nicht durch dieGänge. Diese Liste von Beispielen könnte ich beliebiglange fortsetzen. Wie gesagt, Sie alle kennen das.In Deutschland wird meines Erachtens Gesellschaftviel zu wenig aus dem Blickwinkel von Kindern, Fami-lien oder Schwangeren betrachtet. Wenn über Kinder ge-sprochen wird, ist immer die Rede von Problemen unddavon, dass Kinder zu viel kosten, dass die persönlicheFreiheit eingeschränkt ist, dass die Karriere durch Kin-der behindert wird oder dass Kinder zu laut sind. SolcheEinstellungen können sich auch ganz schnell zu echtenMauern auftürmen, wie zum Beispiel in Berlin, wo einInvestor tatsächlich eine 5 Meter hohe Mauer errichtenließ, um den Lärm des angrenzenden Kinder- und Ju-gendzentrums von seinen neu errichteten Eigentumsvil-len fernzuhalten. Ich nenne hier dieses Beispiel, weil esfür mich ein Paradebeispiel dafür ist, wie sich Kinderun-freundlichkeit im Alltag manifestiert.Frau Ministerin, ich vermisse in Ihrem Haushalt dieinnovativen Elemente. Sie schreiben tatsächlich nur denalten Haushalt von Kristina Schröder fort. Sie habenaber selbst formuliert, dass Sie eine moderne Familien-politik und eine gute Kinderpolitik machen wollen. Dazubenötigen wir in Deutschland aber zuallererst ein kinder-freundliches Klima. Die 500 Millionen Euro, welchejetzt für das Betreuungsgeld ausgegeben werden müs-sen, wären meines Erachtens besser für Maßnahmen ge-eignet, mit denen positive Anreize für Kinderfreundlich-keit geschaffen werden.Man könnte das Geld aber auch dafür verwenden,Kinderarmut zu bekämpfen – das ist hier schon mehr-fach angesprochen worden, Frau Kollegin Gottschalck –,aber dieses Wort kommt ja leider im Koalitionsvertragnicht vor. Kinderarmut existiert aber real. 2,5 MillionenKinder in Deutschland sind von Kinderarmut bedrohtoder leben in Kinderarmut. Wir Linke haben konkret dazueinen Antrag vorgelegt. Seine Umsetzung würde 500 Mil-lionen Euro kosten; das wären genau die 500 MillionenEuro für das Betreuungsgeld. Wir schlagen vor, den Un-terhaltsvorschuss auszuweiten, die Grenze von 72 Mo-naten Bezugsdauer und die Altersgrenze von zwölf Jah-ren aufzuheben. Das wäre ein ganz konkreter Vorschlag,um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere vonder Koalition, Frau Ministerin, dieser Haushalt ist zu-kunftsunfähig. Er tut nichts gegen die Kinderunfreund-lichkeit in Deutschland, auch nichts gegen die Kinderar-mut. Aus diesen Gründen können wir diesem Etat in derForm nicht zustimmen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die KolleginNadine Schön das Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesenTagen kommen wir wegen der Fußballweltmeisterschaftin Brasilien auch in unserem Land nicht so ganz um dasThema Fußball herum, gerade in der Woche, in der
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Nadine Schön
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Deutschland noch ein wichtiges Vorrundenspiel hat. Ichbin hier im Parlament bestimmt nicht die Erste, die einenFußballvergleich heranzieht. Die aktuellen Haushaltsde-batten sind gerade dazu prädestiniert, sie mit dem be-kannten Spruch von Sepp Herberger zu vergleichen
– genau, Herr Wunderlich hat es schon gesagt –: Nachdem Spiel ist vor dem Spiel.
Während wir Mitte des Jahres 2014 den Haushalt für2014 verabschieden, finden parallel bereits die Vorbera-tungen für den Haushalt 2015 statt. Deshalb will ich inmeiner Rede nicht nur über den Haushalt 2014 reden,sondern schon einen kleinen Ausblick auf das geben,was wir im nächsten Jahr in der Großen Koalition an fa-milienpolitischen Maßnahmen planen, was die zukünfti-gen Schwerpunkte der Familienpolitik sein werden.Wir haben in der Großen Koalition drei Ziele. Wirwollen erstens mit unserer Politik den Zusammenhalt inder Gesellschaft stärken. Wir wollen zweitens, dass Fa-milie in Deutschland gelebt werden kann. Wir wollendrittens, dass dort Hilfe geleistet wird, wo Hilfe ge-braucht wird, dass wir die Menschen, die in Not sind, ander richtigen Stelle unterstützen. Der Haushalt 2014spiegelt genau diese Bemühungen wider.Beginnen wir mit dem Thema Zusammenhalt der Ge-sellschaft. Es ist natürlich sehr schwer, dies in Haus-haltszahlen abzulesen. Einen Zusammenhalt in Haus-haltszahlen auszudrücken, ist ein Widerspruch in sich.Aber es gibt auch in diesem Haushalt ein paar Punkte,die belegen, dass das Miteinander der Menschen in unse-rem Land auch für uns in Berlin ein wichtiges Anliegenist. Nehmen wir das Thema Bundesfreiwilligendienst;Frau Pahlmann wird darauf nachher noch näher einge-hen. Dass sich in den letzten drei Jahren 128 000 Men-schen in Deutschland freiwillig in den Dienst der Sachegestellt und sich ein halbes Jahr oder ein Jahr lang fürandere Menschen eingesetzt haben, ist wirklich eine her-vorragende Leistung. Das gilt vor allem dann, wenn mansich vor Augen führt, mit welchen Kommentaren dieEinführung des Bundesfreiwilligendienstes vor drei Jah-ren begleitet wurde. Damals haben viele gesagt: Daswird nichts. Kein Mensch macht den Bundesfreiwilli-gendienst. Das wird ein Flop. – Der Bundesfreiwilligen-dienst ist ein Riesenerfolgsmodell; wir können stolz da-rauf sein. Ich bin froh, dass wir auch in diesem Jahr dienotwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, da-mit die freiwillig Dienstleistenden ihre Arbeit aufneh-men können.
Ein weiterer Punkt ist das Thema Jugendarbeit; heuteAbend sitzen ja viele junge Menschen auf der Zuschau-ertribüne. Die Jugendarbeit werden wir noch stärker un-terstützen, als es bisher der Fall war. Es fließt schon sehrviel Geld in die Förderung ehrenamtlicher Strukturen,die durch eine gewisse hauptamtliche Basis unterstütztwerden. Deshalb haben wir den Ansatz für die Jugend-verbandsarbeit um 1 Million Euro aufgestockt.Aber Geld ist eben nicht alles, sondern zu Geld gehörtauch Anerkennung. Deshalb will ich an dieser Stelle dieGelegenheit nutzen, um auf den Deutschen Engagement-preis hinzuweisen. Ende des Monats läuft die Bewer-bungsphase aus. Auf der Homepage zum Deutschen En-gagementpreis findet man viele nützliche Informationenzum ehrenamtlichen Engagement. Mit diesem Preis wirddas Ehrenamt nicht nur finanziell unterstützt – das istganz gut und ganz nett –, sondern vor allem auch ideell.Unsere Politik gilt den Ehrenamtlichen. Das gilt sowohlfür den Haushalt als auch im täglichen Leben.Der zweite wichtige Punkt neben dem Zusammenhaltder Gesellschaft ist, dass Familie gelebt werden kann;dazu haben die Kollegen schon viel gesagt. Familie istein Wert, der auch von jungen Menschen wieder alswichtig erachtet wird; das besagen die Ergebnisse alleraktuellen Studien und Umfragen. Ich finde, es ist eineschöne Entwicklung, dass Familie wieder wichtigerwird.Kollege Leutert, ich war ganz überrascht über IhreAnsätze im Bereich der Familienpolitik und darüber,dass Sie das wichtige Thema Familienfreundlichkeit inden Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben. Sonst heißt esvonseiten der Linken ja immer: Wir brauchen mehrGeld! – Dabei geben wir in Deutschland für die Fami-lienpolitik mehr Geld aus als alle anderen europäischenLänder. Allerdings haben wir das Problem, dassDeutschland als nicht familienfreundlich genug wahrge-nommen wird. Wir dürfen nicht nur auf das Geldschauen, sondern müssen uns auch fragen: Was könnenwir darüber hinaus tun, um familienfreundlicher zu wer-den? Das ist ein guter Ansatz, über den wir schon öfterdiskutiert haben. Ich bin froh, dass wir jetzt auch dieLinken auf unserer Seite haben. Über diesen Punkt kön-nen wir sehr gerne weiter diskutieren.
Wir unterstützen Familien mit kleinen Kindern durchdas Elterngeld und das Betreuungsgeld. Mittlerweilefließen 5,8 Milliarden Euro in diese Projekte. ZumElterngeldPlus führen wir gerade Beratungen durch. Wirwerden das Elterngeld noch flexibler und partnerschaft-licher gestalten. Es ist unser großes Anliegen, das Er-folgsmodell Elterngeld für junge Familien noch attrakti-ver zu machen, damit es den Bedürfnissen jungerFamilien genau entspricht.Wir werden auch weiterhin die Kinderbetreuung stär-ken. Dabei geht es etwa um das Thema Sprachförderungund um die Qualifizierungsoffensive. Dafür haben wir indiesem Haushalt 126 Millionen Euro veranschlagt. Zusagen, der Bund halte sich bei diesem Thema heraus, istwirklich unwahr. Wir unterstützen die Kommunen unddie Länder bei der Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe.Das werden wir auch weiterhin tun.
Metadaten/Kopzeile:
3650 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Nadine Schön
(C)
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Wir werden auch unser Programm zu familienbe-wussten Arbeitszeiten fortführen. Herr Leutert, Sie ha-ben recht: Familienfreundlichkeit muss sich in allen Be-reichen der Gesellschaft zeigen, auch im Arbeitsleben.Deshalb ist es richtig, dass die guten Projekte der letztenLegislaturperiode mit Mitteln dieses Haushalts weiterge-führt werden. Die Arbeitswelt ist im Hinblick auf dieVereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtigerPunkt. Aber ich sage auch ganz klar an die Adresse derUnternehmen: Es reicht nicht, nur flexible Arbeitszeitenanzubieten. Auch die Strukturen in den Unternehmenmüssen sich ändern, und die Karrierewege müssen ange-passt werden. Erst dann haben wir eine echte Vereinbar-keit von Familie und Beruf und echte Familienfreund-lichkeit erreicht. Unser Gesetz zum Thema „Frauen inFührungspositionen“ wird die eine oder andere Diskus-sion in den Unternehmen sicherlich noch einmal anregenund beschleunigen, und das ist gut so.
Immer brisanter in den Familien wird das ThemaPflege. Nicht jeder hat Kinder, aber jeder hat Eltern; des-halb ist Pflege in jeder Familie früher oder später einThema. Minister Gröhe ist mit großem Engagement beider Sache; aber auch wir Familienpolitiker haben hiereine Verantwortung. Wir müssen das Konzept der Fami-lienpflegezeit weiterentwickeln. Dafür steht derzeitschon 1 Million Euro im Haushalt. Es ist uns ein Anlie-gen, dass Familien Beruf und Pflege besser miteinandervereinbaren können. Das ist ein wichtiges Thema; dennviele Familien fragen sich: Wie schaffe ich es, meine Be-rufstätigkeit mit der Pflege meiner Angehörigen zu ver-binden? – Wir müssen die Menschen, die diese wichtigeAufgabe übernehmen, besser unterstützen. Wir müssenmehr hinhören: Was sind eure Bedürfnisse? Was mussgetan werden? – Die Familienpflegezeit ist ein wichtigerAnsatz; damit sind wir aber ganz sicher noch nicht amEnde der Diskussion.Der dritte Punkt unserer Familienpolitik ist: Hilfeleisten, wo Hilfe gebraucht wird. Wir haben in diesemFrühjahr ein Gesetz zur vertraulichen Geburt auf denWeg gebracht. Wir haben die vertrauliche Geburt imple-mentiert. Mit diesem neuen Modell helfen wir Frauen,die schwanger sind, aber damit hadern und noch nichtwissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Des-halb gibt es hier spezifische Beratung und die Möglich-keit, das Kind anonym unter guten und hygienischen Be-dingungen zur Welt zu bringen und die eigenen Daten– das ist aus rechtlichen Gründen erforderlich – anonymzu sichern. Wir stellen für dieses wichtige Projekt undfür die Unterstützung von ungewollt Kinderlosen12 Millionen Euro in den Haushalt ein. Damit stärkenwir Menschen, die sich in diesen schwierigen Lebens-situationen befinden.Wir stärken außerdem das Programm „Frühe Hilfen“.Wir haben gerade wieder erschreckende Zahlen zur Ge-walt gegen Kinder und zur Gewalt in Familien gehört.Hier bringt unser Programm „Frühe Hilfen“ die richtigenAnsatzpunkte. Es ist ein kluges Modell, zusammen mitden Ländern und den Kommunen zu schauen, wie mandie Netzwerke auf der einen Seite und die Eltern auf deranderen Seite stärken kann. Ein ganz wichtiger Punkt ist:Wie kann man die Eltern in ihrer Erziehungskompetenzstärken? An diesem Punkt müssen wir ansetzen; denndie Erziehungskompetenz der Eltern ist der Schlüssel zuweniger Gewalt gegen Kinder und damit der Schlüsselzu glücklichen Familien und gesunden Kindern – waswir in unserem Land erreichen wollen.
Der Dreiklang „Zusammenhalt der Gesellschaft“,„Familie leben“ und „Hilfe bieten“ wird auch in Zukunftdie Richtschnur unserer Familienpolitik sein. Wir wollenaber genauso, dass auch künftige Generationen nochMöglichkeiten haben, das Land zu gestalten. Deshalb istuns als Unionsfraktion auch die Schuldenbremse wich-tig. Wir wollen der nächsten Generation keine Schulden-berge hinterlassen. Deshalb wird auch die Aufstellungdes nächsten Haushaltes nicht leicht. Die Schulden-bremse gilt, wir müssen den Haushalt konsolidieren.Gleichzeitig wollen wir die Familien unterstützen, dieHilfe brauchen. Deshalb werden die anstehenden Bera-tungen ganz sicher nicht leicht.Ich darf zum Schluss noch einmal Sepp Herberger zi-tieren mit einer weiteren Fußballweisheit, die da heißt:Das nächste Spiel ist immer das schwerste.
Zur Information an die Unionsfraktion: Der Kredit,den der Kollege Rainer hinterlassen hat,
ist hiermit aufgebraucht; aber Sie haben ja noch drei Re-den auf der Redeliste.
Aber zuallererst hat die Kollegin Franziska Brantnerfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie heutebei uns sind! In einem Spiegel-Interview vom Dezemberhat Frau Schwesig noch erklärt, dass es von Bundesseiteaus „eine ordentliche Summe Geld“ für die Kitas gebenwird. Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig: Es solltenerst 2 Milliarden Euro sein. Dann hieß es: 1 MilliardeEuro. Jetzt sind es noch 550 Millionen Euro.Jetzt seien Sie einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnenund Kollegen von der SPD: Ist eine halbe Milliarde Eurofür vier Jahre ein gutes Ergebnis für die Kitas, oder warHerr Schäuble nicht einfach sehr pfiffig? Das könnteman ja auch einmal sagen: Er hat doch ganz klug und
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Dr. Franziska Brantner
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lustig-pfiffig verhandelt. – Für die Kinder in diesemLand ist das aber kein gutes Ergebnis.
Herr Rainer, es hat mich schon überrascht, dass Sievorhin einfach gesagt haben – der Kollege ist gar nichtmehr da –, das Betreuungsgeld sei wunderbar. Ich findees wirklich beeindruckend, dass jemand von der Regie-rungsseite die eigene Analyse aus dem Hause der Minis-terin einfach ignorieren kann, die eindeutig sagt: DasBetreuungsgeld trägt zu größerer sozialer Ungerechtig-keit bei. Ich finde es ganz schön mutig, das zu ignorierenund zu sagen, das sei trotzdem ein Erfolg, also einfachgegen die Fakten anzureden und zu sagen: Die Realitätist uns doch egal. Hauptsache, es passt in unsere Ideolo-gie!
Da wir jetzt über die Investitionen für die Kitas reden,können wir uns ja vielleicht auch einmal fragen – geradekam der Zuruf zu den Ländern –, wie wir es schaffen,dass das Geld wirklich zielgerichtet bei den Kitas an-kommt. Dafür brauchen wir ein Qualitätsgesetz, über daswir sicherstellen können, dass die Gelder vor Ort an-kommen. Das ist doch unsere Aufgabe.
Ich finde, wir sollten daran arbeiten. Ich weiß, dassSie das wollen, Frau Schwesig, und ich finde das absolutrichtig. Unsere Unterstützung haben Sie, weil diejeni-gen, die sich in den Verhandlungen für die kleinen Kin-der einsetzen, immer den Kürzeren ziehen werden, wennwir es nicht schaffen, dieses Gesetz voranzubringen.Hier können Sie auf unsere Unterstützung zählen. Wirkämpfen mit an Ihrer Seite für die Qualität in den Kitasund für unsere kleinen Kinder in Deutschland.
– Die einzelnen Bundesländer will ich jetzt nicht erwäh-nen.Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der im Haus-halt leider nicht stark genug berücksichtigt wird. Wir allefinden es beschämend, dass rund 2,5 Millionen Kinderin Deutschland in Armut leben. 15 Prozent der Kinder inDeutschland leben in Haushalten mit Hartz-IV-Bezug.Wo tauchen diese Kinder und ihre Familien im Haushaltauf? Selbst die Erhöhung des Kinderzuschlags – undauch sie wäre nur ein kleiner Schritt in die richtige Rich-tung – ist in weiter Ferne. Wir müssen endlich die Kon-sequenzen aus der Evaluation der Ehe- und Familienför-derung ziehen und uns an die Umgestaltung derLeistungen machen.Frau Schön, Sie haben es ja richtig gesagt: Wir gebenin Deutschland in diesem Bereich sehr viel Geld aus. –Die Frage ist nur: Geben wir es richtig aus, sodass wirdie Ziele, die Sie genannt haben – davon können wir allewahrscheinlich relativ viele unterschreiben –, damitauch erreichen? Unserer Meinung nach tun Sie das nicht.Die Evaluierung hat auch gezeigt: Sie erreichen dieselbstgesetzten Ziele mit diesen Geldern nicht. GehenSie dieses schwierige Thema deshalb endlich einmal an– Sie sind eine Große Koalition und haben eine großeMehrheit –, und zeigen Sie Mut, diese Gelder inDeutschland endlich wirklich im Sinne der Kinder zuvergeben, und zwar unabhängig vom Trauschein der El-tern, sodass es Gerechtigkeit gibt und Kinderarmut inDeutschland effektiv bekämpft wird.
Beim ElterngeldPlus geht es voran. Große Teile da-von finden wir richtig. Die Kollegin hat es aber schon er-wähnt: Wir finden es schwierig, dass es bei jenen, dieHartz IV beziehen, angerechnet wird.Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang noch ei-nen Punkt zu erwähnen: Es geht um Flexibilisierung.Wir wünschen uns, dass das Ganze noch wesentlich fle-xibler gestaltet wird. In anderen europäischen Ländern,zum Beispiel in Belgien und Schweden, kann die Eltern-zeit vierteltägig genommen und entsprechend verlängertwerden. Das kostet de facto nicht mehr, verschafft denEltern aber die Flexibilität, die sie wollen, sodass sie dasganz individuell gestalten können. Wenn wir schon Fle-xibilität in dieses System hineinbringen: Warum erhöhenSie sie nicht ganz stark, indem die Elternzeit vierteltägiggenommen und somit das Elterngeld über einen entspre-chend längeren Zeitraum bezogen werden kann?Frau Schwesig, liebe Kolleginnen und Kollegen derRegierungsfraktionen, mit dem Haushalt 2014 könnenSie uns vielleicht noch vertrösten, weil Sie neu im Amtsind, aber für 2015 erwarten wir Taten, vor allem zur Be-kämpfung von Kinderarmut. Wir zählen auf Sie.
Der Herr Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Wunderlich telefoniert. Lieber geschätzterKollege Wunderlich, ich komme noch einmal zu der Sa-che mit dem Kinderzuschlag zurück, auch wenn ich ge-fühlt der 27. Redner bin, der das korrigiert.
Ganz im Sinne von Oscar Wilde, den Sie so gerne zitie-ren, sage ich: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagenhaben und den Mund halten.“ Da das Thema vom Tischist und die Angelegenheit bereinigt ist, bitte ich Sie: Wirsollten nicht verschiedene Dinge miteinander vermi-schen, die nichts miteinander zu tun haben.
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Marcus Weinberg
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Ich will in meiner Rede darauf hinweisen, dass derAnfang der Haushaltsberatungen immer eine gute Gele-genheit bietet, sehr konkret zu definieren: Worin inves-tiert man, und wo setzt man politische Schwerpunkte?Es ist auch immer so, dass eine Haushaltsberatung insge-samt dazu dient, zu überlegen: Was ist eigentlich diePhilosophie, möglicherweise sogar der gute Geist einerKoalition, wenn es um die Frage geht, wie Familienpoli-tik aussehen sollte? Nadine Schön hat schon viel dazugesagt, was uns bei der Entwicklung von familienpoliti-schen Maßnahmen in den nächsten Jahren prägt.Ich möchte ihre Ausführungen gerne noch um dreiPunkte ergänzen. Der erste Punkt ist das Thema Wahl-freiheit. Wir sehen, dass Familien und Betroffene fürsich in einer verstärkten Form von Wahlfreiheit entschei-den müssen, was die richtigen Mittel oder Möglichkeitensind. Der zweite Punkt betrifft die Chancengerechtigkeitauf mehreren Ebenen. Es geht um die Frage des Einkom-mens, um die Rolle von Mann und Frau sowie inzwi-schen auch um die Frage von Jung und Alt und darum,hier einen Ausgleich zu schaffen. Der dritte Punkt ist dieimmer häufiger in unserer Gesellschaft geführte Diskus-sion, im Zusammenhang mit Familienbildern die Le-bensqualität zu stärken. Diese Lebensqualität hängt vonfolgendem Dreieck der Familienpolitik ab: finanzielleLeistung auf der einen Seite, Infrastrukturmaßnahmenauf der anderen Seite und Zeitmanagement auf der drit-ten Ebene.Ich möchte die Grünen, weil sie mehrfach die finan-ziellen Leistungen dieser Bundesregierung kritisierthaben, daran erinnern – ich erwähne es mittlerweileungern –: Wir haben den Etat im Bereich der Familien-politik im Vergleich zum letzten rot-grünen Etat, an demSie beteiligt waren, um über 76 Prozent gesteigert. Es istein deutliches Signal der letzten Jahre gewesen, dass inFamilien investiert wird.
Es gilt, bei den Grundlagen zu sehen, dass sich Fami-lienbilder und Leitbilder natürlich verändern. Es wirdunsere Aufgabe sein, in der Zukunft diese verändertenFamilienbilder verstärkt anzuerkennen. Ich meine damit,die Vielfalt bedarfsgerecht zu unterstützen und dabeiVertrauen zu haben, dass die Familien, wenn sie dieWahl haben, am besten wissen, was sie zu tun haben undwelche Leistungen sie in Anspruch nehmen können, unddabei den Eltern nichts vorzuschreiben, also diesen Be-reich zu entideologisieren. Jahrzehntelang haben wir ge-nau das gemacht, nämlich ideologisiert. Diese Zeit mussvorbei sein. Vielmehr muss die Anerkennung der Frei-heit ganz oben auf unserer Agenda stehen.
Das heißt dann auch, dass Familienleistungen zuüberprüfen sind. Da Familienleistungen in bestimmtenJahrzehnten unter gewissen gesellschaftlichen Bedin-gungen entwickelt wurden, wird man immer wiederüberprüfen müssen: Sind sie noch aktuell? Helfen sienoch da, wo sie helfen sollen? Das werden wir tun. Alldas müssen wir aber auch unter dem Gesichtspunkt derHaushaltskonsolidierung sehen, das ein Grundziel ist.Nadine Schön hat es deutlich gemacht: Unter dem Strichist das Wichtigste für die nachfolgende Generation, fürunsere Kinder, dass wir ihnen so wenig Schulden wiemöglich hinterlassen; denn sie sind diejenigen, die dieseSchulden begleichen müssen. Diese Last sollten wir ih-nen nehmen.
Wenn man sich die familienpolitischen Maßnahmenvon heute und der nächsten Jahre anschaut, dann ist eswichtig, nicht nur zu überlegen, was wir in der Politikwollen, sondern die Frage ist: Was sind die Wünscheund Erfordernisse, die von Familien definiert werden?Wenn man sich die TOP 4 der Erwartungen von Elternan die Familienpolitik ansieht, dann stellt man fest, dasssich in den letzten Jahren nicht viel verändert hat, ob-wohl bereits viel passiert ist. Es sind die Themen Verein-barkeit von Beruf und Familie, Ausbau von Krippenplät-zen, Stärkung junger Familien und Schaffung bessererBildungschancen, gerade für Kinder bedürftiger Fami-lien. Das ist auch unser Ansatz, unsere rote Linie, diesich seit vielen Jahren durch unsere Familienpolitikzieht.Eines ist hinzugekommen und wird sich im Laufe dernächsten Jahre noch verstärken – das bildet dieser Haus-halt ab; es wird in den nächsten Jahren noch stärker ab-gebildet werden –: Das ist der Wunsch vieler Mütter undVäter, gemeinsam und partnerschaftlich Erwerbstätig-keit und Familienarbeit zusammenzubringen. Das istauch unser Ansinnen in der Politik. Wir sehen, dassmehr junge Väter mehr Zeit mit Kindern verbringenwollen, dass aber auch mehr junge Mütter wieder ver-stärkt arbeiten wollen. Danach hat sich die Politik auszu-richten. Das machen wir.
Der erste Schritt war, zu sagen: Das Elterngeld istdie richtige Maßnahme. Jetzt kommt der zweite Schritt,indem wir sagen: Diese Maßnahme muss mit dem El-terngeldPlus noch verstärkt werden. Insbesondere derWunsch nach mehr Partnerschaftlichkeit wird sich inden Maßnahmen der Politik abbilden.Wenn ich von dem Dreieck Infrastruktur, Geld undZeitmanagement spreche, dann kann man mit Blick aufden Haushalt erstens feststellen, dass beim Krippenaus-bau Enormes geleistet worden ist. Es wurden 5,4 Mil-liarden Euro für mittlerweile über 800 000 Betreuungs-plätze bereitgestellt. Das betraf den Rechtsanspruch ab1. August 2013. Jahrelang von der Opposition belächelt,hat es geklappt. Jetzt wird man schauen, wie der weitereBedarf ist, und dann wird man Lösungen finden – das isteine klare Zusage –, wie dieser weitere Bedarf abgebil-det wird.Dazu bekommen die Länder bis jetzt noch einmal845 Millionen Euro für die Betriebskosten, und ab 2017kommen noch einmal 100 Millionen Euro hinzu.
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Marcus Weinberg
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Damit ist auch verbunden, dass die Länder gerade beidem Gesichtspunkt der Qualitätssteigerung in der Ver-antwortung stehen. Denn es ist so, dass, wenn wir ab2017 diese Mittel in Höhe von jährlich fast 1 MilliardeEuro bereitstellen, damit die Erwartung verbunden ist,dass uns die Länder dann auch deutlich signalisieren,dass Qualitätssteigerungen angestrebt werden.Der zweite Punkt ist die Einführung des Elterngeldes;dafür wurden mittlerweile im Etat 2014 deutlich über5 Milliarden Euro veranschlagt. Es ist also ein Erfolgs-modell, das angenommen wurde und deshalb auch ent-sprechend ausgebaut wird.Drittens will ich noch einmal die SchwerpunktkitasSprache ansprechen. Hierfür sind im Jahr 2014 126 Mil-lionen Euro eingestellt worden. Gerade auch im Hin-blick auf das Thema Bildungschancen – das ist ja immerIhr Thema – haben viele Maßnahmen der Vergangenheitgut gewirkt – übrigens nicht nur im Bereich der Familie,sondern auch im Bereich der Bildung. Ich habe hierzunoch das „Haus der kleinen Forscher“ und Ähnliches imKopf. Wer das erlebt hat, weiß, dass Bildungsimplikatio-nen mehr und mehr an Bedeutung gewonnen haben undauch ausgeweitet wurden.Der Bundesfreiwilligendienst und die Mehrgeneratio-nenhäuser sind bereits angesprochen worden und werdennoch einmal angesprochen werden. Dies sind wichtigeThemen genauso wie das Thema Familienpflegezeit,wofür 1,1 Millionen Euro bereitgestellt wurden. Auchhier werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wirin fünf oder in zehn Jahren über ganz andere Summenund Maßnahmen sprechen werden, um dies abzufedernund dem demografischen Wandel entgegenzuwirken.Fazit für den Haushalt 2014: Sicherung, Bewahrungund Verstetigung von guten Maßnahmen der letztenJahre. Diese werden fortgeführt, verstetigt und an der ei-nen und an der anderen Stelle neu justiert.Noch ein Ausblick auf 2015. Das Thema Flexibilisie-rung der Elternzeit ist angesprochen worden. Ich freuemich, dass die Grünen da mit an unserer Seite stehen,wenn es darum geht, dass dies ein wichtiges Thema ist.Nun kann man lange darüber reden, das noch flexiblerzu gestalten. Ich meine aber, familienpolitische Maßnah-men müssen auch im Einvernehmen mit der Wirtschaft,insbesondere mit dem Mittelstand, entwickelt werden.Wir haben nichts davon, wenn wir versuchen, Themennur über gesetzliche Grundlagen durchzusetzen, sondernes muss ein Einvernehmen geben.
Wenn mittelständische Betriebe das so akzeptieren,ist es übrigens auch in deren Sinne; denn diese haben jaein Interesse an Fachkräften und auch ein Interesse da-ran, dass zum Beispiel aus Teilzeit wieder Vollzeit wird.Insoweit gibt es da eine sogenannte Win-win-Situationfür beide Seiten. Das ElterngeldPlus verbessert dieKombination von Teilzeit und Elterngeld. Über dieseFlexibilisierung wollen wir dazu kommen, dass die Fa-milien wirklich sehr individuell abbilden können, wassie sich wünschen – auch mit dem Partnerschaftsbonus.Als entscheidendes Kriterium bzw. als Überbau mussfür uns gelten: Wir wollen eine familiengerechte Ar-beitswelt statt einer arbeitsgerechten Familie. Das heißt,der Ansatz muss immer sein, dass Familie das ist, wasuns prägt, auch wenn sich die traditionellen Familienbil-der verändert haben. Auch wenn es dort neue Justierun-gen und neue Veränderungen gibt, ist es so, dass sich dieArbeitswelt auch nach der Familie ausrichten muss. Des-wegen wird man genau überlegen, welche Rechtsansprü-che es gibt. Ich nenne beispielsweise die Rückkehr inVollzeit nach Teilzeit. Wir müssen sehen, welche famili-enpolitischen Maßnahmen wir überprüfen müssen.Ich glaube, es wird notwendig, die familienpoliti-schen Leistungen noch stärker zu bündeln und strate-gisch noch besser aufzustellen, auch unter Effizienzge-sichtspunkten, also unter dem Kriterium, welcher Euroeigentlich für die Familien, für die Gesellschaft – auchunter dem Gesichtspunkt von Bildungsimplikationen –welchen Mehrwert hat. Das wird in den nächsten Jahreneine Aufgabe sein.Das Zweite wird sein, noch stärker die Vielfalt derverschiedenen Lebensentwürfe zu akzeptieren und durchkonkrete Maßnahmen zu unterstützen. Die Situation vonAlleinerziehenden ist noch nicht gelöst. Wir haben unsin der Koalitionsvereinbarung dazu geäußert; das wirdnoch ein Thema sein, das auf der Agenda steht.Insoweit, glaube ich, haben wir mit dem Haushalt2014 in konsequenter Art und Weise das fortentwickeltund weiter ausgebaut, was wir in den letzten Jahren auf-gebaut haben. Dafür bin ich sehr dankbar.Jetzt möchte ich ein zweites Mal Oscar Wilde – Siezitieren ihn ja immer so gern – zitieren: Die Anzahl un-serer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.
In diesem Sinne einen schönen Restabend.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stefan
Schwartze das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freuemich, dass wir mit diesem Haushalt besonders die eigen-ständige Jugendpolitik in den Fokus nehmen. Zurzeit re-den alle über Rente und Pflege. Das ist richtig und wich-tig. Vor der Sommerpause beschließen wir noch denMindestlohn. Damit bekämpfen wir Erwerbsarmut undKinderarmut.
Unsere Zukunft sind unsere Jugendlichen von heute.Sie werden den demografischen Wandel auf ihren Schul-
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Stefan Schwartze
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tern tragen müssen, und diese Generation hat jedesRecht, sich jetzt einzubringen.Leider wurde in der Vergangenheit der Fokus auf dieFehler gerichtet, die Jugendliche gemacht haben. Einesolche einseitige Definition von Jugendlichen ist in einerso vielfältigen Gesellschaft wie der unseren fatal. Heutesind wir glücklicherweise weiter.Unsere Gesellschaft kann Jugendlichen zugestehen,sich auszuprobieren. Wir verstehen Jugendliche als Her-anwachsende, die ihr Leben selbst gestalten. Deswegenist es wichtig, dass sie Raum zum Ausprobieren, für dieEntwicklung der Persönlichkeit und auch für Fehler be-kommen, dass sie eine zweite Chance oder auch weitereChancen bekommen. Nur, die Möglichkeit, ein Leben zugestalten, Chancen zu erfahren und Perspektiven aufzu-bauen, hängt immer noch viel zu stark vom Elternhausab.Deshalb gilt, dass wir alle Jugendlichen bei den Ent-scheidungen und Maßnahmen, die sie betreffen, mitneh-men und mitmachen lassen müssen. Deshalb gilt, dasseine eigenständige Jugendpolitik in unserer Zeit integrie-rend und zuhörend sein muss.
Deshalb gilt, dass wir die Organisationen und Institu-tionen stärken und fördern müssen, die dies ermögli-chen. Im Mittelpunkt unserer Politik stehen deshalb dieJugendverbände. Es ist ein großer Erfolg, dass es uns ge-lungen ist, mit diesem Haushalt die Jugendverbandsar-beit deutlich zu stärken und 1 Million Euro mehr für dieJugendverbände bereitzustellen.
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Es braucht einganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Dieses Dorf sindbei uns die Schulen, Vereine und Jugendverbände. Des-wegen muss auch im Rahmen der Ganztagsschulen, aberauch ganz besonders in Zeiten eines erhöhten Leistungs-drucks für viele Jugendliche die Zusammenarbeit vonJugendverbänden und Schulen gestärkt werden.
Dabei sind eine bessere Kommunikation und mehr Fle-xibilität notwendig. Hier muss die eigenständige Jugend-politik jetzt ansetzen und Vorschläge gründlich diskutie-ren und ausarbeiten.Ich habe eben gesagt, dass wir unseren Jugendlichenmehr zuhören müssen. Zuhören heißt aber auch, dieKommunikationsform der Jugendlichen aufzunehmenund anzunehmen. Um Jugendlichen zuhören zu können,müssen die Erwachsenen, die sie umgeben – Eltern, Leh-rer, Betreuer –, auch ihre Kommunikationsformen be-herrschen. Konkret heißt dies, dass wir Jugendliche da-bei begleiten müssen, verantwortungsvoll mit den neuenMedien umzugehen. Nicht die neuen Medien sind dasProblem, sondern dass wir die Jugend damit alleine las-sen.
Fest steht: Starke Jugendliche kommen aus starkenFamilien. Es ist die Aufgabe dieses Hauses, die best-möglichen Rahmenbedingungen für Eltern zu schaffen.So ist die deutliche Steigerung der Mittel beim Eltern-geld ein großer Erfolg, besonders deshalb, weil auch im-mer mehr Väter das Elterngeld und die Elternzeit in An-spruch nehmen.
Mit dem ElterngeldPlus werden wir noch stärkereAkzente hinsichtlich der partnerschaftlichen Vereinbar-keit von Familie und Beruf setzen können. Der Gesetz-entwurf dazu greift die Wünsche einer Vielzahl von El-tern auf. 60 Prozent von ihnen wollen Erwerbsarbeit undFamilie partnerschaftlich teilen.Bisher gelingt das nur 14 Prozent. Das ElterngeldPluswird helfen, dieses favorisierte Lebensmodell wirklichzu leben,
ein Modell, bei dem die Partner in gleichem Umfang er-werbstätig sind und sich gleichermaßen um Haushaltund Familie kümmern, ein Modell, das es ihnen ermög-licht, aktive Vorbilder zu sein und am Leben ihrer Kin-der tatsächlich teilzuhaben. Lasst uns das jetzt anpacken!Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Pantel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haus-halt für das laufende Jahr ist unter Dach und Fach. Ersetzt gerade im Bereich des Familienministeriums dierichtigen Akzente. Woran können die Bürgerinnen undBürger erkennen, ob eine Regierung gute Politik macht?Man könnte sich fragen: Geht es mir persönlich, unsererGemeinschaft und unserem Land besser oder schlechterdurch die politischen Entscheidungen? Ich möchte ei-nige Aspekte aufzeigen, die Antworten auf diese Fragengeben.Wir sorgen dafür, dass der Zusammenhalt zwischenden Generationen in unserer Gesellschaft gefestigt wirdund Familien ausreichend Unterstützung erhalten. Wirhaben als Union lange für die Mütterrente gekämpft. Esist mehr als gerecht, dass die rund 9 Millionen betroffe-nen Väter und Mütter durch die Erhöhung der Mütter-rente nun mehr Geld zur Verfügung haben.
Ältere Väter und Mütter haben nicht die staatlichen Un-terstützungsleistungen erhalten, wie es sie heute gibt.Deshalb ist es eine Frage der Gerechtigkeit, deren Erzie-hungsleistungen besser als bisher anzuerkennen.
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Sylvia Pantel
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Wir wollen, dass Familien selbst entscheiden, wie sieleben möchten. Familie hat für uns einen hohen Wert. Sostellt diese Koalition alleine für das Betreuungs- und dasElterngeld fast 6 Milliarden Euro zur Verfügung. DasBetreuungsgeld erhöhen wir ab August von 100 auf150 Euro. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde das Be-treuungsgeld für 146 000 Kinder ausgezahlt. Das über-trifft alle Erwartungen und zeigt, dass die Familien die-ses Angebot annehmen. Abgesehen davon, dass es dasRecht und die Pflicht der Eltern ist, ihre Kinder zu erzie-hen, hat mir bisher keiner überzeugend darlegen können,dass nur die staatliche Betreuung richtig ist. Das Betreu-ungsgeld zu streichen, wie es die Grünen fordern, undausschließlich die staatliche Betreuung von Kindern aus-zubauen, ist ein Irrweg und hat nichts mit Wahlfreiheitzu tun.
Das Betreuungsgeld ist zusammen mit dem Eltern-geld und zukünftig mit dem ElterngeldPlus ein Bausteinfür die Anerkennung verschiedener Lebensentwürfe.Der Staat soll den Familien nicht vorschreiben, wie siezu leben haben, sondern er soll sie dabei unterstützen,dass sie so leben können, wie sie selber es wollen.
Der Erfolg des Betreuungsgeldes zeigt: Viele Eltern wol-len sich selbst um ihre Kinder kümmern. Eine starke undstabile Bindung zwischen Eltern und Kindern ist diebeste Investition in eine generationenübergreifende Ge-meinschaft und eine sichere Zukunft. Dafür braucht manZeit für Kinder.
– Es gibt ein paar, die vielleicht ein bisschen mehr brau-chen und wollen.Unser Ansatz ist, dass wir die Familien entscheidenlassen, was sie wollen, und dass die Politik nicht zu wis-sen glaubt, was besser für die Familien ist.
Die Opposition ignoriert diese Tatsache, wenn sie dasBetreuungsgeld kürzen oder abschaffen möchte.
Kollegin Pantel, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Leutert?
Ja, klar.
Bitte.
Frau Kollegin, Sie sprechen von der Wahlfreiheit. Die
Eltern sollen entscheiden, ob sie Betreuungsgeld in An-
spruch nehmen oder ob sie ihre Kinder in der Kita be-
treuen lassen. Ist Ihnen bewusst, dass die Wahlfreiheit
nur auf bestimmte Gruppen zutrifft, dass aber ALG-II-
Bezieherinnen gezwungen sind, Betreuungsgeld zu be-
antragen? Sie haben überhaupt keine Chance, zu wählen.
Beim Jobcenter hört die Wahlfreiheit auf, weil es mit
Hartz IV verrechnet wird.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir kön-nen das gerne später vertiefen. Nur so viel: Wenn ich ei-nen Job und einen Kitaplatz habe, dann verdiene ich na-türlich mehr Geld als dann, wenn ich Betreuungsgeldbekomme. Natürlich verbessert das Betreuungsgeld diefinanzielle Situation, wenn ich zu Hause bleibe. Sie tunso, als ob ich sofort einen Kitaplatz und auch einen Ar-beitsplatz hätte, wenn ich das Betreuungsgeld nichthätte. Das eine bedingt das andere nicht unbedingt.Es gibt mehrere Studien – die wurden hier eben an-deutungsweise zitiert –, die besagen, dass die Tatsache,dass jemand wenig Geld oder einen Migrationshinter-grund hat, ein Indiz dafür sei, dass die Betreuung zuHause eine schlechtere sei. Dem kann ich mich nicht an-schließen.
Weder das Geld noch der Migrationshintergrund sagenetwas über die Qualität der Betreuung zu Hause aus.
– Man muss den Einzelfall betrachten. Das können wirgerne machen.Der Bund engagiert sich auch weiterhin beim Ausbauder Kinderbetreuung. Ab 2015 wird der Betrieb von neugeschaffenen Kitaplätzen mit jährlich 845 MillionenEuro finanziert. In einem speziellen Sondervermögenstehen rund 2,7 Milliarden Euro für den Bau und dieEinrichtung neuer Betreuungsplätze zur Verfügung, aufdie die Länder anteilig zugreifen können. Die Mittel fürBau- und Sanierungsmaßnahmen sind dadurch sicherge-stellt.Der demografische Wandel betrifft junge genauso wieältere Menschen. Wir nutzen diese Chance und richtenunsere Gemeinschaft an den neuen Bedürfnissen aus.Mehrgenerationenhäuser nehmen das Bild von der frü-her existierenden Großfamilie auf. Sie fördern den Zu-sammenhalt über Generationen hinweg. Sie bieten füralle die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichen Kompe-tenzen an der passenden Stelle einzubringen. Hier habenalle Generationen einen Raum, den sie ganz unterschied-lich miteinander und füreinander gestalten können.Der Bund sichert für die bestehenden Mehrgeneratio-nenhäuser auch zukünftig die finanziellen Rahmenbe-
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dingungen, auch wenn die Förderung über den Europäi-schen Sozialfonds wegfällt. Jetzt haben wir das ersteinmal gesichert. Ich hoffe, dass wir das auch danachweiterhin sichern können. Die Mehrgenerationenhäusersind ein unverzichtbares Angebot geworden. Hier zeigensich auch die vielfältigen Möglichkeiten von bürger-schaftlichem Engagement.Wir alle wissen, dass der Staat nicht alle Aufgaben lö-sen kann, selbst wenn er es wollte. Unsere Gemeinschaftist stark, wenn auch das freiwillige Engagement stark ist.Beim Bundesfreiwilligendienst werden wir alle Zusageneinhalten. Das Interesse und die Nachfrage sind sehrgroß, und im Verlauf des Haushaltsverfahrens haben un-sere Haushälter die zusätzlich notwendigen 20 MillionenEuro bereitgestellt. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
Bürgerinnen und Bürger im Bundesfreiwilligendienstengagieren sich zum Beispiel im Zivil- und Katastro-phenschutz. Wir in Düsseldorf haben gerade jetzt beidem großen Sturm erlebt, wie wichtig dieser Einsatz ist.Es ist gut, dass das THW mit diesem Haushalt 10 Millio-nen Euro zusätzlich erhält. Der Bundesfreiwilligendienstist ein Musterbeispiel für Gemeinsinn. Er ist ein unver-zichtbares Kulturgut geworden. Wir werden weiterhinalle Anstrengungen unternehmen, um Barrieren abzu-bauen. Jeder, der sich engagieren will, soll sich engagie-ren können.
Wenn wir hier über den Haushalt sprechen, dann soll-ten wir uns auch die Alternativen ansehen, die die Oppo-sition in den vergangenen Wochen geboten hat: Da gabes Ausgabenwünsche ohne Ende. Unsere Koalition stelltdem Familienministerium fast 8 Milliarden Euro zurVerfügung und schafft es gleichzeitig, einen strukturellausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Davon profitieren die kommenden Generationen, die da-durch ihre Zukunft selbst gestalten können.
Ich bedanke mich an dieser Stelle für die gute Arbeitunserer Haushälterinnen und Haushälter, die das persön-liche Wohl der Bürgerinnen und Bürger genauso imBlick hatten wie das große Ganze. Dieser Haushalt stärktunsere Familien, unterstützt unsere Seniorinnen undSenioren, gibt Männern und Frauen die notwendigenWahlmöglichkeiten bei der Vereinbarkeit von Familieund Beruf und stärkt die Chancen von Kindern und Ju-gendlichen. Der Haushalt des Ministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend wächst im Vergleich zumVorjahr um mehr als 1 Milliarde Euro. Wir setzen dierichtigen Akzente und halten Maß. Daran erkennt maneben eine gute Regierung.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Petra
Crone das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Meine Damen und Herren! Der Haushalt, der heute hierzur Abstimmung steht, kann für den Rest des Jahreswichtige Akzente setzen. Herzlichen Dank, Frau Minis-terin! Ich freue mich sehr darüber. Auch wenn aus Sichtder Opposition der Teufel im Detail stecken mag, sind inihm doch einige von der SPD lang ersehnte Akzente ent-halten.
Dieser Haushalt mahnt auch dringende Arbeit für diekommenden Jahre an. Darum beschäftigt mich am meis-ten der Blick nach vorn. Auch auf die Gefahr hin, dassich wiederhole, was einige schon gesagt haben: Mir alsSeniorenpolitikerin ist die Verlängerung des Aktionspro-gramms Mehrgenerationenhäuser II ein ganz wichtigesAnliegen.
Mit diesem Haushalt stellt sich das Problem zwarnicht direkt, doch er weist auf den Wegfall der ESF-Mit-tel und auch auf das Auslaufen des Programms hin. Aberglücklicherweise ist sich die Große Koalition einig, dasseine Verlängerung über 2014 hinaus gewünscht wird.
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, gehen noch einenSchritt weiter: Wir setzen uns für eine Verstetigung derMehrgenerationenhäuser ein, und diese möglichst flä-chendeckend überall im Land.
Denn wir können nicht gebetsmühlenartig den Zusam-menhalt von Alt und Jung in unserer älter werdendenGesellschaft anmahnen; aber dann bei der Verlängerungder nicht nur von Alois Rainer, von mir und eigentlichvon allen gewünschten Förderung der Mehrgeneratio-nenhäuser prinzipiell werden.Daher habe ich eine ganz dringende Bitte: Lassen Sieuns, liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam dafürsorgen, dass in den Eckpunkten des Haushaltes 2015 derTitel für die Mehrgenerationenhäuser steht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3657
Petra Crone
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Ich wende mich damit an den in diesem Hause heute ammeisten angesprochenen Mann: Herr Kampeter, ichhoffe, Sie sorgen ebenfalls dafür.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ein weiteres Themabrennt seit Jahren nicht nur auf meinen Nägeln: die Al-tenpflegeausbildung bzw. die geplante Reform der Pfle-geausbildung. Die bereitgestellten Mittel beim Gesund-heitsministerium für gezielte Fachkampagnen, die dieAttraktivität und insbesondere die Wertschätzung derPflegeberufe steigern sollen, sind sicherlich begrüßens-wert.
Ich erinnere aber selbstkritisch daran, dass öffentlich-keitswirksame Fachkampagnen nicht neu sind. Bereits2003 gab es unter Rot-Grün den Runden Tisch Pflege.Dann hat eine Familienministerin von der Leyen der Al-tenpflege medienwirksam den roten Teppich ausgerolltund ein Festival der Altenpflege inszeniert. Aber die Er-gebnisse waren insgesamt ziemlich übersichtlich. Fach-kampagnen sind sicher gut und wichtig. Ich freue michaber, dass im Koalitionsvertrag nun eine weitreichendeReform der Pflegeberufe verabredet worden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Altenpflegerin-nen und Altenpfleger der Zukunft haben es wirklich ver-dient, dass wir uns endlich um eine bessere und attrakti-vere Ausbildung kümmern.
Der kontinuierliche Aufwuchs beim Etat für das Deut-sche Zentrum für Altersfragen ist angesichts unserer äl-ter werdenden Gesellschaft im Grunde erfreulich. DasDZA ist unter den vier geförderten Institutionen mit über2,7 Millionen Euro das mit dem größten Finanzvolumen.Natürlich kommt dann auch die Frage auf, welche öf-fentlichen Aufgaben es eigentlich neben den Surveysund den Altenberichten der Bundesregierung über-nimmt. Ich fände es ziemlich gut, wenn das DZA auchim Rahmen der Demografiestrategie des Bundes einenunabhängigen Beitrag leisten könnte.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich freue mich imÜbrigen sehr, dass der Kürzungswahn bei der Antidiskri-minierungsstelle beendet ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Anstieg beider ADS und damit das erste deutliche Signal der Wert-schätzung ihrer Arbeit.Insgesamt konnten in diesem Haushalt 2014 wichtigeAkzente gesetzt werden. Aber wir müssen uns in denkommenden Jahren gerade in einer Großen Koalitionden großen Herausforderungen des demografischenWandels stellen, und zwar ohne, liebe Kollegen und Kol-leginnen von der Opposition, Jung gegen Alt auszuspie-len.Ich danke Ihnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin
Ingrid Pahlmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Viele Facetten des Haushalts wurden von meinenVorrednern bereits beleuchtet. Liebe Kollegin PetraCrone, auch wir als CDU/CSU freuen uns, dass viele un-serer Ziele sich in diesem Haushalt wiederfinden und be-rücksichtigt werden.
Ich möchte heute bei der Budgetdebatte den Blick be-sonders auf die Freiwilligendienste lenken. Sie sinddurch die Haushaltsberatungen auf sichere Füße gestelltworden. Vielleicht können wir alle uns nachher – ich bindie letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt –hinter diesem Punkt versammeln; vielleicht macht dieOpposition da auch mit.Heute in einer Woche, nämlich genau am 1. Juli, jährtsich die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes zumdritten Mal. Allen Bedenken und Unkenrufen zum Trotz– Frau Schön hat es schon erwähnt – hat der Bundesfrei-willigendienst nach dem Ende des Zivildienstes alle Er-wartungen übertroffen und sich zu einem Modell mitüberragendem Erfolg entwickelt.
Über alle Generationen hinweg erfreut er sich seit seinerEinführung vor drei Jahren eines gewaltigen Zuspruchsund zeigt, wie viele in unserer Gesellschaft bereit sind,sich einzusetzen, für andere da zu sein, Erfahrungen wei-terzugeben und ein Miteinander zu leben.Rund 100 000 Freiwillige beiderlei Geschlechts undaller Altersgruppen engagierten sich seit Juli 2011. Auchin diesem Jahr gibt es wieder rund 35 000 Bufdis in un-serem Land. Sie leisten ihren Dienst in den unterschied-lichsten Bereichen: im sozialen, ökologischen und kultu-rellen Bereich, auf dem Gebiet des Sports, bei derIntegration oder im Zivil- und Katastrophenschutz. Siebringen den Einrichtungen oftmals einen frischen undmanchmal erfrischenden Blick von außen. Auch sind sieunverzichtbarer Bestandteil in den bundesweit über450 Mehrgenerationenhäusern, deren Finanzierung – eswurde bereits gesagt – wir ebenfalls für dieses Jahr si-chern konnten. Ich bin sehr froh, dass innerhalb der Ko-alition Einigkeit darüber herrscht, die bestehendenMehrgenerationenhäuser zu erhalten und die in Zukunft
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Ingrid Pahlmann
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wegbrechenden Mittel aus dem Europäischen Sozial-fonds gemeinsam aufzufangen.Bufdis finden sich in allen Altersgruppen. Ein beson-derer Erfolg des Konzepts ist, dass sich in seinem Rah-men auch Menschen mittleren Alters sowie Seniorenund Seniorinnen freiwillig engagieren können. Geradedie zuletzt Genannten sind eine sehr heterogene Gruppe:zum Teil Menschen ohne Bildungsabschluss, die vonArbeitslosengeld II leben, sich sanft wieder in die Ar-beitswelt eingliedern wollen und eine neue beruflicheChance erhoffen; Ältere, oftmals auch Frauen, die langeehrenamtlich tätig waren und ihr Engagement über denFreiwilligendienst intensiver gestalten wollen; Men-schen im Ruhestand, die sich engagieren möchten undnach dem Arbeitsleben nach sinnvoller Betätigung su-chen.Mittlerweile sind rund 40 Prozent der Bufdis älter als27 Jahre. Für sie bietet sich auch die Möglichkeit, sich inTeilzeit zu engagieren. Dadurch erhöht sich die Attrakti-vität des Freiwilligendienstes für ältere Menschen. Siealle bringen ihre umfangreichen Erfahrungen ein, gebensie weiter. So profitieren einerseits die Bundesfreiwilli-gendienstler, andererseits die Einsatzstellen und nichtzuletzt die Menschen, die durch ihr Handeln unterstütztwerden.
In einer Gesellschaft des längeren Lebens ist das Enga-gement älterer Menschen gleichermaßen sinnstiftendund gesundheitsfördernd für die Engagierten; es istgleichzeitig aber auch unverzichtbare Expertise für dieGestaltung unserer Gesellschaft.Freiwilligendienste bilden Empathie, soziales Emp-finden und Gewissen. Dies ist eine gesellschaftlicheAufgabe und nach dem Wegfall des verpflichtenden Zi-vildienstes besonders wichtig.Die bewährten Jugendfreiwilligendienste, die seit50 bzw. 30 Jahren bestehen – hier gab es ja an der einenoder anderen Stelle gewisse Sorgen –, haben unter dieserEntwicklung nicht gelitten; im Gegenteil: Durch die Ein-führung des Bundesfreiwilligendienstes haben wir dasfreiwillige Engagement in seiner Vielfalt gestärkt. Rund100 000 Menschen jährlich leisten inzwischen einenFreiwilligendienst: ob Freiwilliges Soziales Jahr, Frei-williges Ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilli-gendienst.Erst vor wenigen Wochen konnten wir in diesem Be-reich ein anderes Jubiläum feiern. Viele von Ihnen warendort. Wir haben 50 Jahre Freiwilliges Soziales Jahr ge-feiert. Seit einem halben Jahrhundert bietet das Gesetzzur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres denrechtlichen Rahmen, in dem sich junge Menschen biszur Vollendung des 27. Lebensjahres ein Jahr lang im so-zialen Bereich engagieren. Mit der Erweiterung um dasFreiwillige Ökologische Jahr rund 30 Jahre später wurdeder Freiwilligendienst über den sozialen Bereich hinausauch auf den Umweltbereich ausgedehnt. Mit der Öff-nung des Freiwilligendienstes für alle Altersgruppendurch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstesvor drei Jahren sind diese Dienste insgesamt aus ihrerNische herausgerückt und in der Mitte der Gesellschaftangekommen.Erste Ergebnisse einer laufenden Evaluation belegendie hohe Qualität der Dienste: 85 Prozent der Befragtenwaren mit ihrer Tätigkeit sehr oder überwiegend zufrie-den, 88 Prozent der Befragten würden den Freiwilligen-dienst weiterempfehlen.Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, auch Siemüssen zur Kenntnis nehmen: Der Bundesfreiwilligen-dienst ist eine Erfolgsgeschichte.
Mit Ihrer Forderung nach dessen Abschaffung, wie Siees zuletzt in den Beratungen des Familienausschussesüber den Haushalt erneut auf das Tapet brachten, bewei-sen Sie wieder einmal Ihre Realitätsferne und Ihre Igno-ranz der zivilgesellschaftlichen Gestaltungskraft.
Der Haushaltsausschuss hat den Freiwilligen und denEinsatzstellen des Bundesfreiwilligendienstes zum drei-jährigen Geburtstag indes ein besonderes Geschenk ge-macht. Ich möchte den Haushältern von Union und SPDdanken, dass es gelungen ist, in langwierigen und sicher-lich durchaus schwierigen Beratungen die fehlenden20 Millionen Euro für den Bundesfreiwilligendienst be-reitzustellen.
Denn es wäre sowohl den Einsatzstellen wie auch denBufdis nicht zu vermitteln gewesen, dass durch einenBerechnungsfehler im System ihre Arbeit gelitten hätte.Durch das Handeln der Haushälter, die dieses erkannthaben, konnte ein Einstellungsstopp beim Bundesfrei-willigendienst verhindert werden. So werden in diesemJahr rund 187 Millionen Euro in diesen Dienst investiert.Es ist nicht nur, aber auch für die Kommunen eine guteNachricht, die von der noch vor wenigen Monaten dro-henden Einfrierung der Haushaltsmittel für die kommu-nalen Einsatzstellen besonders stark betroffen gewesenwären.Abschließend möchte ich an dieser Stelle allen dan-ken, die sich aus freien Stücken für die Allgemeinheitengagieren und damit das gute Miteinander in unsererGesellschaft stärken,
die, wie es ein 18-jähriger Bufdi formuliert hat, von an-deren Menschen lernen, neue Bereiche kennenlernen,sich weiterentwickeln und etwas für die Gesellschaft tunmöchten. Vor diesem Engagement können wir alle nurden Hut ziehen und versuchen, sie mit all unseren Mög-lichkeiten zu unterstützen, wo immer es nur geht; dennihr Handeln ist von unschätzbarem Wert für den Zusam-menhalt in unserem Land. Sie alle machen die Gesell-schaft aus, die uns so wichtig ist und in der wir lebenwollen. Deshalb werden wir auch in Zukunft daran ar-beiten, jedem, der einen Freiwilligendienst leistenmöchte, dies auch zu ermöglichen.
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Ingrid Pahlmann
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Dabei ist die finanzielle Ausstattung durch Bund undLänder die eine Seite der Medaille. Anerkennung, Wür-digung jenseits monetärer Zuwendung ist die andereSeite. Daran müssen wir im Interesse aller Freiwilligenund im Interesse der Zivilgesellschaft verstärkt arbeiten;denn ihr Einsatz ist unbezahlbar und wichtig für uns alsGesellschaft.Ich danke Ihnen.
Kollegin Pahlmann, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich wünsche Ihnen sicherlich im Na-
men des gesamten Hauses viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Der Präsidentin sei erlaubt, anzumerken: Wenn Red-
nerinnen und Redner schon bei der ersten Rede bemer-
ken, dass sie die Redezeit überzogen haben, dann gibt es
Hoffnung für die Zukunft.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 17? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Uni-
onsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.8 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft
Drucksachen 18/1010, 18/1023
Die Berichterstattung haben die Kollegen Cajus
Caesar, Ulrich Freese, Roland Claus und Sven-Christian
Kindler inne.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppie-
rungen in den Reihen der Fraktionen, aber auch auf der
Regierungsbank jetzt zügig vorzunehmen und die ent-
sprechende Aufmerksamkeit herzustellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Vielleicht beschäftigen wir uns, wenn wir über Land-wirtschaft und Ernährung sprechen, nicht mit dem größ-ten Haushalt; aber wir reden über ein lebensnotwendigesThema.Auf unserem Planeten leiden fast 900 Millionen Men-schen an Hunger, während zugleich 1,4 Milliarden Men-schen krankhaft übergewichtig sind. Im vergangenenJahr ist weltweit so viel Getreide geerntet worden wienoch nie zuvor: 2,5 Milliarden Tonnen. Aber nur 45 Pro-zent dieser Ernte – nicht einmal die Hälfte – diente alsLebensmittel. Der Rest wurde zu Tierfutter, zu Sprit undzu Industrierohstoffen verarbeitet.
Die vorherrschende Agrarpolitik ist eine wichtige Ur-sache für Klimawandel, Artensterben, Umweltvergif-tung, Wasserknappheit, Krankheiten, Kinderarmut undUngerechtigkeit.
Es ist ein krankes System, das dringend verändert wer-den muss. Die Linke will eine Landwirtschaft, die dieMenschen versorgt und nicht die globalen Märkte.
Wir wollen soziale und ökologische Weichen stellen,und dafür kann auch in einem Bundeshaushalt etwas ge-tan werden.
Wir haben über 20 Vorschläge gemacht, wie der Einzel-plan 10 in diese Richtung verändert und verbessert wer-den könnte. Ich will drei Beispiele herauspicken und hierkurz vorstellen:Erstens. Wir wollen, dass Deutschland den Weltagrar-bericht unterstützt und international verantwortlich han-delt. Was es bedeutet, international verantwortlich zuhandeln, wird in ebendiesem Weltagrarbericht skizziert.Über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ha-ben darin im Jahr 2008 den Stand des Wissens über dieglobale Landwirtschaft, ihre Geschichte und ihre Zu-kunft zusammengetragen. Menschen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen, Religionen und Denkschulenwaren daran beteiligt. Diese Arbeit ist mit dem Welt-klimabericht vergleichbar, der inzwischen für die Politikauf dieser Welt prägend ist. Der Bericht ist unbequemund alarmierend. Er warnt davor, einfach so weiterzuma-chen wie bisher.Im Weltagrarbericht wird gefordert, den Hunger inden Ländern des Südens nicht mit Exportpolitik oder mitNahrungsmittellieferungen zu bekämpfen,
sondern die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Klein-bäuerinnen und Kleinbauern vor Ort zu verbessern.Denn sie sind das Rückgrat der Welternährung und nichtdie großen Betriebe und Agrarkonzerne der Industrielän-der, die viel zu viel Öl, Wasser, Boden und Dünger ver-brauchen. Es geht nicht allein um die Erträge, die in derLandwirtschaft erzielt werden, sondern gleichrangig da-rum, dass die Bäuerinnen und Bauern von ihrer Arbeitleben können. Auch dafür setzt sich die Linke ein.
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Sabine Leidig
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Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie denBericht mit ihrer Unterschrift anerkennt und die Agrar-und Entwicklungspolitik daran ausrichtet. Wir haben be-antragt, dass 500 000 Euro zur Verfügung gestellt wer-den, damit der Weltagrarbericht fortgeschrieben werdenkann.Der zweite Punkt, der uns wichtig ist, betrifft denökologischen Landbau. Das ist die umwelt- und klima-schonendste Form der Agrarwirtschaft. Wir Linke wol-len, dass mehr Bauernhöfe auf Bio umstellen und dassmehr Menschen genug Geld im Portemonnaie haben fürgute Ökolebensmittel. Die sind zwar nicht unbedingt ge-sünder, aber sie sind mit weniger Chemie belastet, undvor allem sind sie besser für die Umwelt.
Biobauern verschmutzen Erde und Wasser wenigermit Pflanzenschutzmitteln und Dünger und sorgen fürmehr Artenvielfalt. Weil die meisten ökologisch wirt-schaftenden Agrarbetriebe sehr arbeitsintensiv sind, leis-tet der Ökolandbau außerdem einen wichtigen Beitragzur Beschäftigung in den ländlichen Räumen.Hierfür braucht es nicht nur die Unterstützung beimtäglichen Einkauf. Eine politische Aufgabe kann nichtprivatisiert werden. Es braucht den Beitrag der Politik,und ein solcher Beitrag kann und muss das Bundespro-gramm Ökologischer Landbau leisten.
Bisher werden nur 6,3 Prozent der landwirtschaftlichenNutzfläche der Bundesrepublik ökologisch bewirtschaf-tet. Wir sagen: Da geht wesentlich mehr.Es hat verschiedene Gründe, dass Agrarbetriebe nichtauf Bio umstellen. Nach wie vor sind Saatgut, Zuchtli-nien, Pflanzenschutz usw. nicht genügend erforscht, esherrscht auch ein ruinöser Wettbewerb auf dem Bio-markt, und es fehlt an Beratung und Wissenstransfer.Mit dem Bundesprogramm Ökologischer Landbausoll nach unserer Meinung vor allem die Forschungska-pazitäten ausgebaut und dafür gesorgt werden, dass ein-heimische ökologische Erzeugnisse besser bekannt ge-macht und vermarktet werden. Wir haben beantragt, dassdas Bundesprogramm dafür um 8 Millionen Euro aufge-stockt wird und dass es gänzlich dem Ökolandbau zugu-tekommt und nicht – wie es im Namenszusatz diesesProgrammes beschrieben ist – auch andere nachhaltigeFormen der Landwirtschaft gefördert werden, weil damitdem Ökolandbau etwas entgeht. Diese anderen Formenmüssen durch andere Programme finanziert werden.Sie haben unseren Antrag leider abgelehnt, aber im-merhin ist ein Vorschlag der Linksfraktion aufgenommenworden, nämlich einen eigenen Titel für Eiweißfutter-pflanzenprojekte einzustellen. 3 Millionen Euro stellenSie dafür zur Verfügung. Ich sage Ihnen, warum wir daswollen. Das Problem ist, dass Tierhaltungsbetriebe ei-weißhaltiges Futtermittel importieren. Zu großen Teilenwird es aus Südamerika importiert, und dort werdenNutzflächen in Konkurrenz zu den Kleinbauern vor al-lem von großen Agrarkonzernen bewirtschaftet. Wirbrauchen eine eigene Eiweißfuttermittelproduktion. Da-für braucht es Forschung und Unterstützung. Wir müs-sen perspektivisch aufhören, Lebensmittel zu importie-ren. Wir müssen die Ernährungssouveränität überallrespektieren.
Schließlich möchte ich noch einen letzten Punkt an-sprechen.
Kollegin Leidig, das können Sie gerne tun, tun das
aber jetzt auf Kosten Ihrer Kollegin.
Gut, dann erwähne ich nur, dass wir die Subventionen
für den Agrardiesel schrittweise streichen wollen, dass
wir damit jährlich 43 Millionen Euro einsparen könnten
und dass mit diesem Geld sehr viel sinnvolle sozial-öko-
logische Projekte gefördert werden könnten anstatt Sprit
zu verbrennen.
Besten Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Cajus
Caesar das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Zuallererst geht mein Dank an den MinisterChristian Schmidt und natürlich auch an die anwesendenStaatssekretäre. Der Minister steht für einen starkenländlichen Raum, er steht für eine multifunktionaleLandwirtschaft, und er steht für bäuerliche Betriebe, diesich entwickeln können. Dafür darf ich ihm an dieserStelle, auch im Namen meiner Fraktion, herzlichen Danksagen.
Ich darf mich auch beim Team des Ministeriums fürdie gute Zuarbeit bedanken. Wir haben alle Informatio-nen erhalten. Ich darf mich besonders bei den Mitbe-richterstattern bedanken: bei Ulrich Freese, bei Sven-Christian Kindler und bei Roland Claus, der im Momentnicht hier ist. Herzlichen Dank für die faire Zusammen-arbeit.Die Union steht für eine Landwirtschaft des unterneh-merischen Mittelstandes. Wir stehen aber auch für ge-
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Cajus Caesar
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sunde Ernährung, und wir stehen für eine Entwicklungdes ländlichen Raums. Wir, die Große Koalition, messendem ländlichen Raum, der 90 Prozent der FlächeDeutschlands ausmacht, große Bedeutung für die Ent-wicklung unseres Landes bei. Wir sehen darin großeChancen für die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft,für all diejenigen, die mit ihren Familien im ländlichenRaum ihre Heimat gefunden haben. Deshalb danke ichall denen, die sich im und für den ländlichen Raum enga-gieren.
Ländlicher Raum bedeutet Arbeit und Einkommen.Wir, die Union, setzen in diesem Bereich Schwerpunkte.Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Der Mensch imMittelpunkt – das bedeutet auch, Verantwortung für Tierund Umwelt zu übernehmen. Dementsprechend setzt un-sere Facharbeitsgruppe mit Franz-Josef Holzenkamp, mitAlois Gerig, mit Marlene Mortler und unserem stellver-tretenden Fraktionsvorsitzenden Dr. Franz Josef JungAkzente. Deshalb haben wir mit unseren Partnern vonder SPD in der Großen Koalition einen Haushalt gestal-tet, der sich sehen lassen kann.
Wir setzen in diesem Haushalt zusätzliche Mittel fürdie sogenannte Eiweißstrategie ein. Wir sehen darin diegroße Chance, dass auf Dauer weniger Importe notwen-dig sind. Wir sehen darin die Chance für Innovationenfür unsere Landwirtschaft insgesamt.Wir halten die Tierwohlinitiative mit den entspre-chenden Modell- und Demonstrationsvorhaben für dierichtige Vorgehensweise. Wir haben dafür 3 MillionenEuro im Haushalt verankert. Diese 3 Millionen Eurosind uns, auch wenn das kein riesiger Betrag ist, sehrwichtig. An dieser Stelle darf ich denjenigen aus dembäuerlichen Metier danken, die diesbezüglich zusammenmit der mittelständischen Wirtschaft etwas voranbrin-gen. Wir sind damit auf dem richtigen Weg. Das ist dieVorgehensweise der Union: Mit den Menschen vor Ortund mit den Beschäftigten wollen wir Akzente setzen.Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Wir setzen auf Forschung und Innovation. Deshalbsind uns unsere Forschungsinstitute sehr wichtig. Wirhaben sie personell und finanziell gut ausgestattet; dennForschung und Innovation bedeuten Zukunft für unsereLandwirtschaft, für unsere Forstwirtschaft, für unsereFischerei, für all diejenigen, die in diesem Bereich Akti-vitäten entfalten.Wir haben mit diesem Haushalt Akzente gesetzt, ins-besondere im Bereich der Forst- und Waldwirtschaft.Nun kann man denken, dass das ein kleiner Randbereichist. Man sollte aber genau hinschauen: In der Forst- undHolzindustrie gibt es mehr Arbeitsplätze als in der Auto-mobilindustrie. Das sollte man nicht vergessen. Mit ei-nem Umsatz von 170 Milliarden Euro ist das ein riesigerBereich. Dieser Aufgabe stellen wir uns.
Wir haben in dieser Koalition gemeinsam festgelegt,dass uns dieser Bereich wichtig ist. Daher setzen wir5 Millionen Euro für die internationale nachhaltigeWaldbewirtschaftung ein. 20 Prozent des weltweitenCO2-Ausstoßes werden durch Waldvernichtung erzeugt.Jährlich werden 13 Millionen Hektar Wald vernichtet.Deshalb ist es richtig, dass wir das Holzhandels-Siche-rungs-Gesetz auf den Weg gebracht haben; aber es mussauch mit Leben erfüllt werden. Deshalb müssen diefinanziellen und personellen Rahmenbedingungen rich-tig ausgestaltet werden. Das ist der richtige Weg. Im Be-reich der nationalen Waldwirtschaft haben wir ebenfallsentsprechende Mittel verankert. Ich glaube, auch diesbe-züglich sind wir auf dem richtigen Weg. Wir wollen die-sen Weg weitergehen; denn ein umweltfreundlich er-zeugter Rohstoff bedeutet Arbeitsplätze, Wertschöpfungund letztendlich auch eine stoffliche Verwertung sowiedurch die Kaskadennutzung auch eine energetische Nut-zung. Dies ist ein wichtiger Bereich für uns. Deshalb ha-ben wir ihn in diesem Haushalt entsprechend abgebildet.Wir sind dankbar dafür, dass maßgebliche Verbändeunsere Politik unterstützen.
– Wir waren sehr froh, Sven-Christian Kindler, dass wirin diesem Bereich sehr positive Resonanz der Verbände– des WWF, des NABU, der Schutzgemeinschaft Deut-scher Wald und des Bundes Deutscher Forstleute –, er-halten haben, um die entsprechenden Antworten gebenzu können. Die Menschen vor Ort sind uns also wichtig.Auch die Verbände, welche die Menschen vertreten, sinduns wichtig. Wir als Union sind an der Seite dieser Men-schen.
Wir haben auch sehr intensiv über den Bereich dernachwachsenden Rohstoffe diskutiert. Dieser Bereich,der insgesamt mit 60 Millionen Euro ausgestattet ist– Alois Gerig lächelt gerade, weil er dort Verantwortungträgt –, ist uns wichtig, weil er auch Zukunftsprojekteauf den Weg bringt. Ich nenne nur die Erforschung neuerBiogaspflanzen und Energiepflanzenfruchtfolgen. Er be-inhaltet aber auch Projekte, die dazu führen sollen, dassbeispielsweise durch Mikroalgenanbau Kraftstoff er-zeugt werden kann. Das sind aktuelle Projekte, die finan-ziell von uns ausgestattet worden sind, weil sie zukunfts-fähig sind. Mit ihnen werden die nachwachsendenRohstoffe gut erforscht.In vielen Bereichen reden wir über Vermaisung. Des-halb ist es richtig, dass wir alle Alternativen betrachten.Ganz davon abgesehen gibt es gar keine Vermaisung;denn viele Bereiche haben unter 10 Prozent oder nur15 Prozent Maisanteil. Das sollte an dieser Stelle fairer-weise auch einmal zum Ausdruck gebracht werden.
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3662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Cajus Caesar
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Im Hinblick auf den Stellenplan haben wir sehr wohlin Betracht gezogen, wie die Bürger uns sehen. Die Bür-ger wollen sehen, was sie kaufen. Sie wollen aber auchsehen, wie es produziert wird. Deshalb setzen wir durchdie entsprechenden Forschungsmittel in der Lebensmit-telsicherheit auf Rahmenbedingungen für gesunde Er-nährung.Wir sind, glaube ich, auch beim Tierwohl auf demrichtigen Weg. Dort wollen wir entsprechende Maßnah-men sowohl im Forschungsbereich als auch im prakti-schen Bereich auf den Höfen selbst durchführen. Dassoll im Miteinander von bäuerlichen Familienbetriebenbzw. bäuerlichem Mittelstand und dem Bürger gesche-hen, der die Produkte – so denke ich – ganz gerne alsNahrung zu sich nimmt, um diese Verbindung herzustel-len bzw. diesen Kreis zu schließen. Dieses Miteinandersoll stattfinden, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Essoll nicht gegeneinander gearbeitet werden. Das ist unswichtig.Nach dem Hochwasser haben wir – das kann sich se-hen lassen – 8 Milliarden Euro für die Flutopferhilfe be-reitgestellt. Das haben wir unbürokratisch getan; deshalbsind auch so viele Mittel abgeflossen. Wir wollen aber– deshalb haben wir diesen Akzent gesetzt – nicht nurreparieren, sondern zukünftig in besonderem Maße indiesem Bereich präventiv tätig werden. Darum habenwir als Haushaltsausschuss einen Maßgabebeschluss ini-tiiert. Wir wollen, wenn in wenigen Wochen die Ergeb-nisse in Bezug auf den Hochwasserrahmenplan vorlie-gen, diese präventiven Maßnahmen in den dannfolgenden Monaten mit Leben erfüllen. Deshalb habenwir mit dem Maßgabebeschluss die Bundesregierungaufgefordert, aktiv zu werden, sobald die Ergebnissevorliegen und wir die entsprechenden länderübergreifen-den Maßnahmen auf den Weg bringen können.
– Das ist ein wichtiger Bereich. Sehr richtig! – DieGroße Koalition setzt mit diesem Haushalt Akzente. Siehandelt im Sinne der Zukunftsfähigkeit des ländlichenRaums sowie einer hochwertigen und gesunden Ernäh-rung. Natürlich handelt sie im Rahmen von Klima- undUmweltschutz, aber auch, um Arbeitsplätze im ländli-chen Raum zu sichern und weitere hinzuzugewinnen.Ich danke Ihnen.
Der Kollege Sven-Christian Kindler spricht nun fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben in der Landwirtschaft in Deutsch-land heute mit sehr vielfältigen Problemen zu kämpfen.Dabei geht es unter anderem um industrielle Massentier-haltung, Monokulturen, gentechnisch verändertes Saat-gut,
die Dominanz von Agrarkonzernen gegenüber bäuer-lichen Betrieben und das Höfesterben, das wir inDeutschland erleben. Die Frage ist: Was macht die Bun-desregierung, was machen eigentlich Sie als Landwirt-schaftsminister, Herr Schmidt? Sie machen weiter wiebisher. Das ist „business as usual“. Keine neuen Ideen,keine Antworten auf die großen Probleme in der Land-wirtschaft. Ich sage Ihnen: So kann es nicht weitergehen.Wir brauchen in Deutschland endlich eine Agrarwende.
– Da brauchen Sie bei der Union gar nicht zu lachen.
Die großen Probleme zeigen sich auch in diesemAgrarhaushalt, zum Beispiel war die Aufhebung derZweckbindung der Mittel für das BundesprogrammÖkologischer Landbau ein riesiger Fehler. Dies hat denÖkolandbau auf Bundesebene enorm geschwächt.
Dabei entstehen gerade im Ökolandbau viele nachhaltigeArbeitsplätze. Dort sorgt man für Naturschutz, für Um-weltschutz, und es entstehen leckere Produkte. Deswe-gen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, das Bundespro-gramm Ökologischer Landbau zu kastrieren. Es mussendlich gestärkt werden.
– Ich bin im Gegensatz zu Ihnen im Haushaltsausschussund habe den Haushalt auch gelesen.
Ich würde Ihnen einen Blick in den Haushalt empfehlen.Gleichzeitig haben wir immer größere Probleme inder agroindustriellen Landwirtschaft. Diese werden im-mer offensichtlicher. Das jüngste Beispiel sind die anti-biotikaresistenten Krankheitserreger in Wurst undSchinken. Ihren Ursprung haben diese Bakterien auchim massiven, häufig unsachgemäßen Einsatz von Anti-biotika in der Massentierhaltung. Die Mastställe sindquasi ein Fitnessstudio für Bakterien. Eine wirksame Re-aktion der Bundesregierung bleibt bisher aus. Das ist un-verantwortlich gegenüber den Menschen und auch ge-genüber den Tieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3663
Sven-Christian Kindler
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Für diese immer wiederkehrenden Lebensmittelskan-dale sind nicht nur einzelne schwarze Schafe verantwort-lich. Das sind keine Einzelfälle. Vielmehr handelt es sichum strukturelle Probleme der Agrarpolitik, einer Agrar-politik, die ihren Fokus eben nicht auf Verbraucher-schutz legt, ihren Fokus nicht auf Tierschutz und nichtauf Klimaschutz legt, sondern auf industrielle Massen-tierhaltung und Großbetriebe. Die Lebensmittelskandalesind nicht ein Fehler im System, sondern das System istder Fehler.
Die Bundesregierung schützt dieses System auf Teu-fel komm raus. Der Bundesregierung geht es in derAgrarpolitik leider nicht um gesunde Ernährung, um ge-sunde Böden und um gesunde Tiere. Ihnen geht es dochprimär um die Interessen der Agrarlobby. Bestes Bei-spiel dafür ist die Gentechnik. Minister Schmidt, Sie ha-ben angekündigt, dass Sie angeblich ein nationales An-bauverbot in Deutschland erreichen wollen. Als daseuropaweite Verbot von Genmais in Brüssel anstand, hatdie Bundeskanzlerin allerdings mit der Enthaltung inBrüssel dafür gesorgt, dass dem Genmais der Weg geeb-net wird. Frau Merkel hat damit gegen den Willen derbreiten Bevölkerung verstoßen und der Gentechniklobbyin Europa Tür und Tor geöffnet. Hier in Deutschland mitdem Verbot Scharade spielen und in Brüssel für die Kon-zerne den Genmais durchkämpfen – das ist die MethodeMerkel. Diese Doppelmoral, diese Doppelzüngigkeit beider Gentechnik finde ich wirklich unerträglich.
Frau Merkel, Herr Schmidt, Sie sind damit Erfül-lungsgehilfen der Gentechniklobby. Sie alle kennen dasPapier der Gentechniklobby in Brüssel, die einen kon-kreten Plan vorgelegt hat, wie man die Gentechnik inEuropa gegen den Willen der breiten Bevölkerung wie-der hoffähig macht. Nach diesem Plan agiert jetzt dieBundesregierung. Das nationale Anbauverbot war jaeine Idee der Konzerne. Die Konzerne müssen der Opt-out-Lösung zustimmen, damit das Ganze rechtssicherist. Ich frage mich, wo wir eigentlich sind.
Herr Schmidt, Sie haben gesagt, Sie seien Koch undnicht Kellner. Dann verhalten Sie sich bitte auch so, undlassen Sie sich von der Lobby nicht Ihre Politik diktie-ren.
Für die großen Agrarkonzerne setzt sich die Bundes-regierung leider auch bei den anstehenden Freihandels-abkommen der Europäischen Union mit den USA, TTIP,und mit Kanada, CETA, ein. Es zeigt sich leider, dass alsErstes der Konzernprofit kommt. Das dahinter ist nach-rangig. Diese Abkommen sind ein großer Angriff aufVerbraucherschutzstandards, auf Tierschutzstandardsund auf Lebensmittelstandards. Diese Abkommen sindauch ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat.
Schauen wir uns einmal die rechtsstaatliche Seite an:Sonderprivilegien bei Gerichten für bestimmte Gruppen,in diesem Fall Konzerne, und eine Justiz, die im Gehei-men tagt, die nicht öffentlich tagt. Das ist tiefstes Mittel-alter, das ist ideengeschichtlich vor der Aufklärung. Wirsagen ganz klar: Diese Konzernjustiz geht gar nicht.Herr Schmidt, ich fordere Sie auf: Erteilen Sie dieserKonzernjustiz eine klare Absage!
Dabei geht es auch anders. Die Agrarpolitik muss sichnicht vor den Karren der Agrarlobby spannen lassen.Das hat Renate Künast bewiesen.
– Ja, so ist es; Sie wissen das doch genau.
Renate Künast hat auf Bundesebene den Ökolandbauund die Agrarwende eingeleitet. Schwarz-Gelb und dieGroße Koalition machten die Rolle rückwärts. Vielegrüne Agrarminister zeigen in den Ländern, wie es geht.Ich komme aus Niedersachsen, dem Landwirtschafts-land Nummer eins. Ich kann Ihnen sagen: Wenn mandurch das Land fährt, ist spürbar, wie die sanfte Agrar-wende der rot-grünen Landesregierung wirkt. HerrSchmidt, ich lade Sie ein: Kommen Sie nach Nieder-sachsen und schauen Sie sich an, wie man die Abkehrvon der Massentierhaltung und der Agroindustrie schaf-fen kann! Ich bin mir sicher, der niedersächsische Land-wirtschaftsminister Christian Meyer erklärt Ihnen gerne,wie man die Agrarwende auch auf Bundesebene einlei-ten kann.
Wir haben Ihnen auch im Hinblick auf den Haushaltgezeigt, wie man die Agrarwende auf Bundesebene vo-rantreiben kann. Klimaschutzprogramm, Subventionsab-bau beim Agrardiesel, Investitionshilfen für bäuerlicheBetriebe, Ökolandbauforschung, all das haben wir imAusschuss beantragt. Sie haben es abgelehnt; das ist klar.Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz und Verbraucher-schutz spielen für die Große Koalition keine Rolle. Eineechte Agrarwende gibt es eben nur mit den Grünen.Vielen Dank.
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3664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
(C)
(B)
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Ulrich Freese
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kindler,
in Niedersachsen sind Sie ja erst seit anderthalb Jahren
mit uns gemeinsam an der Regierung. Das Land Nieder-
sachsen am heutigen Tage in dieser Art und Weise für
seine Agrarpolitik zu loben, obwohl ein nicht unerhebli-
cher Anteil der Erträge der Flächen nicht für den Teller,
sondern für den Tank ist, halte ich für unangemessen.
Es gibt kein anderes Bundesland, in dem ein so großer
Anteil in der Energiewirtschaft eingesetzt wird.
Die zweite Bemerkung. Wenn unsere Exporte aus
dem Bereich der Landwirtschaft und der Ernährungs-
wirtschaft ein Volumen von 66 Milliarden Euro haben
und davon 80 Prozent in die Europäische Union fließen,
wo ja hohe Lebensmittelstandards gefordert sind, dann
können die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft
in Deutschland nicht schlecht sein. Dann müssen sie bei-
spielhaft sein; denn unsere Produkte werden in allen
Ländern nachgefragt.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um den
Haushalt 2014 und perspektivisch natürlich auch um den
Haushalt 2015. Das, was wir zu entscheiden haben – ich
habe das schon in meiner Einbringungsrede gesagt –,
stammt aus Zeiten einer CDU/CSU-FDP-Regierung
bzw. von einem von der Union geführten Ministerium.
Durch konstruktive und gute sachliche und fachliche Ar-
beit unter Einbeziehung der Fachpolitiker – meiner An-
sicht nach ist sie allerdings noch ausbaufähig – ist es ge-
lungen, sozialdemokratische Vorstellungen zum Teil
schon in den Haushalt 2014 einzubeziehen.
Cajus Caesar hat auf die Eiweißstrategie hingewiesen.
Es ist dem sozialdemokratischen Engagement zu verdan-
ken, dass hierfür perspektivisch ein eigener Haushaltsti-
tel im Ministerium hinterlegt ist. Es wurde klar definiert,
dass es um einen Betrag von 3 Millionen Euro geht;
auch aus anderen Bereichen des Haushalts sind be-
stimmte Punkte übernommen worden. Für die Zukunft
sind also 3 Millionen Euro, verbunden mit Ausbauzie-
len, hinterlegt. Die Eiweißpflanzenstrategie ist nämlich
strategisch bedeutsam – das haben einige Rednerinnen
und Redner hier klar und deutlich zum Ausdruck ge-
bracht –, um die Futtermittelwirtschaft auf eigene und
gesunde Beine zu stellen.
Ein weiterer Punkt ist nicht unwichtig. Als ich auf
dem Verbandstag des Landesbauernverbandes Branden-
burg war, hat mich ein Begriff in dem, was wir tun, sehr
bestärkt, und zwar der Begriff „nasse Enteignung“. Dass
wir uns nun auf den Weg machen und durch den Maßga-
bebeschluss einen nationalen Hochwasserschutzplan für
die Bundesrepublik Deutschland in den Haushalt 2015
hineinbringen, ist ein deutliches Signal an alle, die von
Hochwasser geschädigt sind.
Ich will sagen, dass mich die Aussage der Ministerin
Hendricks in der Bereinigungssitzung sehr erfreut hat,
dass das Ministerium Schmidt und das Ministerium
Hendricks gemeinsam beim Bundesfinanzminister – für
das Haushaltsjahr 2014 beim BMEL angesiedelt –
40 Millionen Euro als ersten Schritt für den nationalen
Hochwasserschutzplan angemeldet haben. Wir werden
sie dabei unterstützen, dass dies auch 2015 tatsächlich
realisiert wird.
Als weiterer Punkt ist für uns Sozialdemokraten von
großer Bedeutung, dass wir mit der sozialen Ungerech-
tigkeit im Bereich der Altersversorgung der Landwirte
aufräumen und damit beginnen, vernünftige Regelungen
herbeizuführen. Die Hofabgabeklausel muss für das
Haushaltsjahr 2015 endlich modifiziert werden.
Die Gutachten sind eindeutig und zeigen uns den Weg
auf. Wir haben bei der Einbringung des Haushaltes ge-
sagt: 10 Prozent Abschlag, wenn der Hof weitergeführt
wird; das wird auch vom Thünen-Institut vorgeschlagen.
Das halte ich für eine vernünftige sachliche Regelung,
die wir gemeinschaftlich anstreben sollten.
Herr Minister, die sportliche Aufgabe wird nun darin
bestehen, bei der Aufstellung und Beratung des Haus-
halts für 2015 hierfür auch die notwendigen finanziellen
Untersetzungen zu bedenken und klarzustellen, dass wir
dieses gemeinsame Ziel in dieser Wahlperiode, am bes-
ten zu Beginn des Jahres 2015, endlich angehen wer-
den. – Ich sehe, die rote Lampe leuchtet. Meine Kolle-
ginnen und Kollegen, die aus fachpolitischen Gründen
noch sprechen werden, werden an der einen oder ande-
ren Stelle noch vertiefend darauf eingehen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung undLandwirtschaft, Christian Schmidt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3665
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Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vorneweg: Herzlichen Dank dem Fachaus-schuss und dem Haushaltsausschuss, den Berichterstat-tern, für die auch bei unterschiedlichen Positionen imErgebnis doch sehr konsensuale Aufstellung des Einzel-plans 10: mit 5,3 Milliarden Euro sogar noch etwas ontop drauf, zwar nicht sehr viel, aber immerhin, auch ineinem Bereich, Kollege Freese, der das Thema Wald undandere Themen betrifft. Herzlichen Dank dafür!Wir haben damit für 2014 Verlässlichkeit für Bauern-familien und Verbraucherinnen und Verbraucher ge-schaffen. Der Haushalt steht für die bäuerlich-nachhal-tige Landwirtschaft, für die Sicherung gesunderLebensmittel, für den Schutz des Waldes durch Nutzungund für attraktive ländliche Räume.Wir setzen – ich darf den Hinweis gerne aufnehmen –auch in der landwirtschaftlichen Sozialpolitik wichtigeAkzente. Die Sozialpolitik ist in der finanziellen Struk-tur des Etats meines Hauses das Schwergewicht. Dort fe-dern wir durch eine Mittelaufstockung die Folgen desgeringeren Bundeszuschusses an den Gesundheitsfondsab. Das sind allein in diesem Jahr 37 Millionen Euro, mitdenen wir unsere Landwirte vor einer einseitigen Belas-tung schützen, die wir aber – um keinen falschen Ein-druck entstehen zu lassen – nicht allein dem Finanz-minister anlasten. Wir haben die Mittel auch aus eigenenReserven mit Zustimmung des BMF aktiviert.Die soziale Sicherung der Bauernfamilien und einegeregelte Hofnachfolge sind wesentliche Säulen für einezukunftsfeste Landwirtschaft in Deutschland. Wir habenin der Koalitionsvereinbarung die Neugestaltung derHofabgabeklausel zugesagt, und wir werden uns auchdaran halten.
Dabei werden wir sowohl die Interessen der ausschei-denden Generation als auch die Interessen der kommen-den Junglandwirte im Auge behalten.Kollege Freese, gestatten Sie mir, auf einen Punkthinzuweisen, der mir aufgefallen ist: Bei allem Respektvor denen, die sich um das Thema kümmern – wir ken-nen die Arbeitsgruppen –: Das sind keine Organisatio-nen oder Gruppen, die vor extremer Jugendlichkeit sprü-hen. Das heißt nicht, dass deren Hinweise nicht inOrdnung sind, aber ich finde schon, dass wir auch mitder jungen Generation sprechen müssen, wenn wir überSozialpolitik reden, und das will ich tun.
Ich will zugleich noch auf einen anderen Punkt hin-weisen, der sich auf die Substanz der Höfe und der Ver-mögen bezieht: In den nächsten Wochen findet in Karls-ruhe eine mündliche Verhandlung statt, in der es um dieErbschaftsteuer geht, also ein anderes Thema. Mittelbarkann diese Verhandlung aber durchaus auch Bezüge zurGenerationenfolge im landwirtschaftlichen Betrieb ha-ben. Deswegen werden wir die Erfahrungen und Er-kenntnisse, die sich daraus ergeben, in unsere Beratungenmit aufnehmen. Das lässt sich auch zeitlich gut paralleli-sieren; denn ich gehe davon aus – das hört man –, dasshierzu möglicherweise noch in diesem Jahr etwas gesagtwerden muss. Wir haben aber Argumente dafür, dass dieBetriebsvermögen nicht mit weiteren Substanzsteuernbelastet werden sollten. Das muss der Ausgangspunktsein.
Ein Thema beim morgen beginnenden Deutschen Bau-erntag wird sein, dass wir unseren Landwirten mit demdurch die Energiewende bedingten Flächenverbrauch– wir werden in dieser Woche ja noch über den Kompro-miss beraten, der zum EEG gefunden worden ist –
und mit den Vorschriften zum Dünge- und Pflanzen-schutz nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. DerBoden ist Geschäftsgrundlage unserer Bauern, und dasmuss er auch bleiben.Einer bäuerlich nachhaltigen Landwirtschaft den Rü-cken zu stärken, ist auch ein wichtiges Anliegen der Ver-braucherinnen und Verbraucher. Sie vertrauen auf dieLeistungsträger in der Fläche, stellen jedoch zugleichhohe Ansprüche an die Erzeuger von Nahrungsmittelnund Energie, an die Pflege der Kulturlandschaften undvor allem an die Produkte. Das tun sie zu Recht.Die Gemeinsame Agrarpolitik gibt Antworten aufdiese hohen Ansprüche. Sie wurde jahrelang hart ver-handelt. Jetzt steht sie sowohl auf europäischer Ebeneals auch in Deutschland vor der Umsetzung. Ich bedankemich auch hier noch einmal dafür, dass das eine oder an-dere abschließend angepasst worden ist – natürlich imWege der Kompromissfindung –, sodass wir die Zahlun-gen zum 1. August 2014 mit einer, wie ich finde, gutenPerspektive auf eine neue Basis stellen können, indem4,5 Prozent der Mittel aus der ersten Säule – den Direkt-zahlungen – in die zweite Säule umverteilt werden.Ich meine, dass wir die zweite Säule auch für das eineoder andere im Blick behalten müssen, was wir in dernächsten Zeit und in den nächsten Jahren gestalterischnoch tun können. Die Verbraucher, die Bürgerinnen undBürger und auch die Landwirte wünschen sich eine Be-wirtschaftung der Flächen, die im Einklang mit der Um-welt steht. Dazu gibt es nicht nur das Schlagwort desGreening, sondern auch die Umsetzung des Greening,das den Wechsel der Fruchtfolgen, den wirksamenSchutz von Dauergrünland und ökologische Vorrangflä-chen vorschreibt – all das, ohne pauschal wertvolle Flä-chen stillzulegen. Ich denke, wir haben hier einen gutenWeg gefunden.Im Bereich des Tierwohls werden wir – das ist heuteangesprochen worden – in absehbarer Zeit von verschie-denen Seiten Unterstützung erhalten. Ich denke, dasssich daran auch der Deutsche Bauernverband mit seinerInitiative und der Handel beteiligen werden. Danebenwerden wir auch weitere wichtige Verantwortliche indiese Tierwohlinitiative mit einbeziehen. Von meiner
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Bundesminister Christian Schmidt
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Seite aus werde ich dem Koalitionsvertrag natürlichauch Folge leisten, und wir werden seitens meines Hau-ses weitergehende Initiativen zu diesem Thema ergrei-fen.Es geht um Forschungsprojekte. Wie können wir ver-hindern, dass jedes Jahr 45 Millionen männliche Kükensterben müssen oder dass, wie wir neulich gelernt haben,trächtige Rinder geschlachtet werden? Es geht um Inno-vation. Wie modernisiert man, und zwar ökonomischtragbar, einen Stall so, dass das Schwänzebeißen in derRindermast verhindert wird? Es geht um Demonstra-tionsvorhaben. Wer taugt als Vorbild, vielleicht für eineganze Branche? Es geht um Best Practice, also darum,sich vom anderen, egal ob inländisch oder ausländisch,das Gute abzuschauen. Das ist für mich ein ganz wichti-ger Weg.In den nächsten drei Jahren geben wir 30 MillionenEuro für Innovationen im Rahmen einer nachhaltigenNutztierhaltung aus, 12 Millionen Euro für die Minimie-rung von Antibiotika in der Lebensmittelkette und21 Millionen Euro für Modell- und Demonstrationsvor-haben. Noch einmal herzlichen Dank an die Haushälterfür die Unterstützung dieser Initiative.
Wir werden die Forschung noch weiter ausbauen. Ichhabe nicht zum Haushalt 2015 zu reden, aber ich darfmeinen Grundoptimismus anmelden, dass gezielte For-schung auch in dieser Zeit einen Platz in unserem Etatfinden wird.Ich bekenne mich zur Tierhaltung in Deutschland,keine Frage. Sie muss wissensbasiert das Wohl des ein-zelnen Tieres im Blick behalten. Es muss aber auch da-rüber informiert werden, was die Grundlagen und Not-wendigkeiten der Nahrungsmittelversorgung sind, diesich daraus ergibt.Ich will zum Thema TTIP – Herr Kollege Kindler, Siehaben das angesprochen – einen Satz sagen. Ja, ich binsehr dafür, dass wir nicht nur über Transparenz diskutie-ren, sondern auch Transparenz haben. Mein tüchtigerParlamentarischer Staatssekretär Peter Bleser hat mirheute einen guten Vorschlag unterbreitet. Er hat gesagt:Lasst doch einmal Vertreter der amerikanischen FDA,also der Food and Drug Administration, amerikanischeund europäische Wissenschaftler – wir werden sie nichtzusammen einsperren – miteinander diskutieren. Wirstellen Fragen, und wir lassen uns auch über unter-schiedliche Positionen informieren. Es wird sicherlichviele Punkte geben, wo wir einen völlig anderen Ansatzhaben, dem die andere Seite nicht folgen kann.Mir wäre es schon recht, wenn wir die Diskussion einklein wenig, lieber Kollege Kindler, über das Plakatierenvon Chlorhühnchen hinaus führen würden.
Schon auf Plakaten kann man nicht unterscheiden, wosich das Chlor wirklich befindet. Wir sollten uns schondie Mühe machen, dass wir diese Themen intensiv dis-kutieren.
Herr Minister, würden Sie, kurz bevor die Ihnen von
der Fraktion zugedachte Redezeit zu Ende ist, eine Frage
des Kollegen Kindler zulassen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Aber sehr gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Minister. – Das Wort „Chlorhühn-chen“ habe ich in meiner Rede nicht erwähnt.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Das ist richtig.
Gut. – Mir ging es neben der Gefahr für Verbraucherund Lebensmittelstandards vor allen Dingen um dieFrage von Rechtsstaatlichkeit. Ich kann nicht verstehen,warum es, wie gesagt, notwendig ist, bestimmten Grup-pen Sonderprivilegien vor Geheimgerichten einzuräu-men, gerade zwischen funktionierenden Rechtsstaatenwie der Europäischen Union und den USA.Meine Frage in meiner Rede auch an Sie war, ob Siesich klar gegen „investor to state arbitration“ und Kon-zernjustiz aussprechen und deutlich sagen: Ein Abkom-men mit solchen Regelungen kann es nicht geben.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Lieber Kollege, Sie hatten das Ganze in die vordemo-kratische Zeit verlegt. Meine Antwort ist daher Ja undNein. Investitionsschutzabkommen waren das klassischeInstrument, um beim Handel mit Ländern, die dazu neig-ten, alle zwei Jahre die Produktionsmittel zu verstaatli-chen, sicherzustellen, dass derjenige, der investiert hat,seine Mittel behält. So war das, und so ist es.
– Ich glaube, das ist unbestritten. – Lassen Sie uns denGedanken weiterentwickeln. Ich weiß, ich bin zu leiseund zu zurückhaltend, aber ich denke, und dann mussman manchmal auch zuhören.
Jeder so, wie er es gelernt hat und wie er es kann. In die-ser Sache kenne ich mich ziemlich gut aus.
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Bundesminister Christian Schmidt
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Ich bin sehr mit Ihnen einer Meinung, lieber KollegeKindler, dass es nicht sein kann, dass im Rahmen vonAbkommen zwischen demokratischen Staaten demokra-tische Entscheidungen infrage gestellt werden, wenn sienach internationalen Regeln getroffen wurden. Ich darfdarauf hinweisen: Die WTO gibt uns internationale Re-geln, und in diesem Rahmen müssen wir uns bewegen.Wenn wir im Rahmen dieser Regeln beispielsweise einnationales Anbauverbot für gentechnisch veränderte Or-ganismen aussprechen, kann es nicht sein, dass durchSchiedsverfahren, die von amerikanischen oder brasilia-nischen Anwaltskanzleien oder von wem auch immerangestrengt werden, Entscheidungen gefällt werden, diedas aushebeln. Das kann nicht sein. Das wäre in der Tatvordemokratisch.
Deswegen empfehle ich schon jetzt – das als Hinweis –die sehr gute Ausarbeitung und Positionierung zur Lek-türe, die die Europäische Kommission im letzten Jahr zudieser Frage gemacht hat.Das kann nicht sein, und das darf nicht sein. Was al-lerdings schon sein muss, ist, dass in einem Schiedsver-fahren Streitigkeiten zwischen Beteiligten gelöst werdenkönnen. Denn ein solches Abkommen wird es auf derWelt nicht geben, bei dem es keine unterschiedlichenAuslegungen gibt.
Herr Minister, ich habe den Eindruck, dass der Kol-
lege Kindler einsieht, dass er fast Ihrer Meinung ist.
Wenn Sie jetzt noch einen schönen Schlusssatz formulie-
ren, könnten wir in der weiteren Debatte fortfahren.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident! Ihrer Anregung folgend und auf das
Angebot verweisend, dass wir dieses Thema dann nicht
nur bei der Bleser’schen Veranstaltung vertiefen,
möchte ich betonen, dass wir uns sauber Grundlagen le-
gen, bevor wir allgemein über diese Dinge diskutieren.
Denn der Schutz des Waldes durch Nutzung, die Stimme
der ländlichen Räume und das Hochwasserthema, das
angesprochen worden ist, sind Fragen, mit denen wir uns
auch in diesem Haushalt – jedenfalls ansatzweise, was
das Hochwasser betrifft – beschäftigen werden.
Ich bedanke mich sehr, dass wir auch im Rumpfhaus-
haltsjahr 2014 in der Lage sein werden, Akzente zu set-
zen.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Karin Binder für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Diese Woche,noch kurz vor der Sommerpause, wird uns die abschlie-ßende Beratung des Bundeshaushalts 2014 aufgetischt.Wir beraten einen Speiseplan, dessen Zutaten schon zurHälfte aufgegessen sind. Da bleibt natürlich auch imHaushalt des Ministeriums für Landwirtschaft und Er-nährung einiges auf der Strecke, vor allem die gesundeErnährung, der gesundheitliche Verbraucherschutz undletztlich die Verbraucherinnen und Verbraucher.Sie selbst, Herr Minister, haben am 8. April in diesesMikrofon gesprochen – ich zitiere –:Der gesundheitliche Verbraucherschutz wird imZuge der weiteren Globalisierung eine immer grö-ßere und wichtigere Rolle spielen.Aber welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Ich habejetzt in Ihrer Rede wirklich nur die Themen Landwirt-schaft und TTIP gehört. Ihre Feststellungen vom 8. Aprilschlagen sich leider nicht in den Zahlen und in den Pro-jekten des Haushaltsplans 2014 nieder.Herr Minister, wo bleibt Ihr Gestaltungswille? Ichfrage Sie: Was machen Sie gegen die Schadstoffflut inimportierten Kinderspielzeugen? Welche Folgen hat esfür die Gesundheit vieler Menschen, wenn die Zutatenfür unsere Lebensmittel weltweit zu Dumpinglöhnen an-gebaut werden, um dann von den Handelskonzernen zuDumpingpreisen an- und verkauft zu werden? An wel-cher Stelle im Haushalt haben Sie Mittel für die Überwa-chung der globalisierten Lebensmittelindustrie einge-stellt? Welche Mittel setzen Sie ein, um das sogenannteFreihandelsabkommen zwischen USA und EU und auchdas CETA daraufhin zu untersuchen, welche Auswirkun-gen sie auf unsere Lebensmittel, die Verbraucherrechteund unsere Verbraucherinnen und Verbraucher haben?Das alles fehlt mir in diesem Haushalt. Diese Bundes-regierung setzt sich bislang mit wichtigen Projekten undanstehenden Herausforderungen nicht genügend ausei-nander – zumindest noch nicht. Deshalb nutze ich jetztdie Gelegenheit, schon einmal einen Blick auf das Haus-haltsjahr 2015 zu werfen. Wir werden nämlich bereits imSeptember, also in wenigen Wochen, mit den Haushalts-beratungen beginnen.Im Bereich „Ernährung und gesundheitlicher Ver-braucherschutz“ haben wir uns mit wirklich wichtigenProjekten und Fragen zu beschäftigen. Ich nenne an ers-ter Stelle gefährliches Kinderspielzeug. Damit die Ge-sundheit von Kindern nicht weiter durch Spielzeuge, dieKrebs erzeugen, Allergien hervorrufen oder Erbgut schä-digen können, gefährdet werden kann, muss die Kon-trolle der Spielwarenhersteller und der Importeure ver-bessert werden. Das ist nur dann möglich, wenn Sie dieZuständigkeit dafür auf die Bundesebene verlagern unddie amtliche Überwachung auf das BVL übertragen.Denn ich behaupte, dass die internationalen Konzerne
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Karin Binder
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nicht von kommunalen Behörden überprüft werden kön-nen.Ein weiteres wichtiges Thema ist die Forschung. Wiewirken sich künstliche Nanostoffe im Essen, in den Le-bensmitteln aus, oder was hinterlässt der Einsatz vonNanotechnologie in der Herstellung? Welche Folgen hateine globalisierte Lebensmittelherstellung für die Le-bensmittelsicherheit in der gesamten Produktionskette?Zur Beantwortung dieser Fragen brauchen wir dieForschung, zum Beispiel beim Max-Rubner-Institut. Siemuss ausgebaut werden.Auch das Thema Lebensmittelsicherheit ist ein sehrwichtiges Thema. Die amtliche Lebensmittelüberwa-chung muss auf unzulässige Bestandteile, Schadstoffe,korrekte Kennzeichnung und gefährliche Keime kontrol-lieren. Das alles ist bei einer globalisierten Lebensmittel-industrie heute nicht mehr über kommunale Behördenmöglich. Deshalb ist eine Koordinierung auf Bundes-ebene nötig.
Dafür brauchen wir entsprechende Mittel, und wir brau-chen viel mehr Kontrolleure, um diesen wichtigen Be-reich, der für die Gesundheit vieler Menschen notwendigist, so auszubauen, dass er funktioniert.Wir haben ein weiteres Thema: die Ernährungssitua-tion von Kindern in Deutschland. Wir brauchen eine flä-chendeckende Untersuchung zu diesem Thema. Wir wis-sen, dass viele Kinder fehlernährt sind. Es gibt nicht nurdas Problem zu dicker Kinder, sondern auch der Fehl-ernährung.Wie sieht die Ernährungssituation von Jugendlichenund Kindern in Deutschland inzwischen aus? Wir brau-chen die Mittel, um dies zu erfassen, zu untersuchen undSchlüsse daraus zu ziehen. Ich denke nämlich, ein weite-rer wichtiger Punkt wäre das Thema Kita- und Schulver-pflegung. Ein erster Schritt, mit dem die Situation vielerKinder verbessert werden könnte, wäre die Kofinanzie-rung des EU-Schulobstprogramms durch den Bund. Sokämen endlich alle Kinder und Jugendlichen in den Ge-nuss einer täglichen Portion Obst und Gemüse.Ich habe gelesen, dass Baden-Württemberg jetzt1 Million Euro mehr in den Haushalt einstellen wird.Wenn man das durch 250 000 Kinder teilt, dann sind das4 Euro pro Kind. Entschuldigung! Wie kann man mit4 Euro ein Kind ein Jahr lang mit Obst und Gemüse ver-pflegen? Das reicht nicht.
– Die Länder haben nicht die Mittel dafür. Sonst wärensie doch schon längst dabei. Das ist ein Problem.
Weitere Probleme mit der Schulverpflegung habenwir durch die unsinnige Mehrwertsteuer. Wir müssenendlich die Mehrwertsteuer abschaffen, wenn es umSchul- und Kitaverpflegung geht. Wir brauchen natür-lich auch fachliche Beratung und Unterstützung derSchulen und der Kitas unter anderem durch die Vernet-zungsstellen „Schulverpflegung“. Ein Projekt wie die-ses, das sich bewährt hat, muss man langfristig sichern.
Es reicht nicht, das Projekt an die Länder zu übergeben,wenn man weiß, dass es dann wieder stirbt. Dann stirbtnämlich die Schulverpflegung insgesamt.Herr Minister, wir hätten noch viele Vorschläge zumachen. Wir setzen auf eine vernünftige Beratung mitIhnen. Davon, dass Sie Vorschläge anhören und anneh-men, bin ich überzeugt. Aber wir würden uns sehrfreuen, wenn wir das gemeinsam anpacken könnten.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, und – ja –einen schönen Abend!
Ein noch schönerer Abend als dieser lässt sich
schwerlich vorstellen. – Nun hat die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Das Budget für den Bereich„gesundheitlicher Verbraucherschutz und Ernährung“ istin diesem Jahr kleiner geworden. Das liegt vor allem da-ran, dass ein Teil der Mittel für Verbraucherschutz undVerbraucherinformation in das Bundesministerium derJustiz und für Verbraucherschutz gewandert ist. Es blei-ben aber nach wie vor 16,8 Millionen Euro. Was stecktda drin? Darin stecken unter anderem Fördermittel fürProjekte, die Kinder für das Kochen begeistern sollen,für die Vernetzungsstellen „Schulverpflegung“, für Er-nährungsbildungsprojekte, für die Kampagne gegen Le-bensmittelverschwendung und für das Portal „Lebens-mittelklarheit“. Für dieses Jahr ist die Finanzierung alldieser Projekte sichergestellt.Wichtig ist aber, dass wir diese Unterstützung in dennächsten Jahren konsequent fortsetzen. Das gilt nicht nurfür die Ernährungsbildung, sondern auch – das ist mirbesonders wichtig – für das Portal „Lebensmittelklar-heit“. Für all diejenigen, die nicht wissen, was das ist:Das ist ein Projekt der Verbraucherzentrale. Verbrauche-rinnen und Verbraucher können dort Projekte melden,von denen sie sich getäuscht fühlen. Das Ganze wird ge-sammelt und ausgewertet und wurde bereits durch einefundierte Verbraucherforschung begleitet. Diese müssenwir fortführen, keine Frage.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3669
Elvira Drobinski-Weiß
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Wir müssen aber auch endlich Konsequenzen aus denErkenntnissen und Ergebnissen dieses Portals und seinerBegleitforschung ziehen. Diese lauten nämlich: VieleDefinitionen, Verkehrsbezeichnungen und Leitsätze fürLebensmittel werden von den Verbraucherinnen undVerbrauchern nicht verstanden und als irreführend emp-funden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geei-nigt, das zu ändern. Das sollten wir alsbald angehen.Wir müssen nicht nur „Lebensmittelklarheit“ weiter-finanzieren. Auch die Arbeit der Deutschen Lebensmit-telbuch-Kommission muss sich künftig stärker an denBedürfnissen der Konsumenten nach Klarheit und Wahr-heit orientieren. Auch hier für all diejenigen, die dieseKommission nicht kennen: Die Lebensmittelbuch-Kom-mission ist das Gremium, das erarbeitet, woraus zumBeispiel Früchtetee, Geflügelwürstchen oder Alaska-Seelachs bestehen sollten. Wer sitzt in diesem Gremium?Zu gleichen Teilen Wissenschaftler, Mitarbeiter der Le-bensmittelüberwachung sowie Verbraucherverbände unddie Lebensmittelwirtschaft. Wenn Letztere nicht will,dass ein Leitsatz oder eine Definition neu gefasst wird,dann blockiert sie eben. Wir wollen, dass die Verbrau-chererwartung künftig das stärkste Gewicht bekommt.Das ist bisher nicht der Fall. Im Moment darf in Geflü-gelwürstchen Schweinespeck stecken, und die Alaska-Seelachs-Schnitzel sind zwar rosa gefärbt, haben abermit Lachs nicht das Geringste zu tun.Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, ich weiß, dassSie die Arbeit der Lebensmittelbuch-Kommission ge-rade evaluieren lassen. Deshalb möchte ich unterstrei-chen, wie wichtig es aus Sicht der SPD ist, dass die Le-bensmittelkennzeichnung künftig verbrauchergerechterund die Erarbeitung der Leitsätze für die Bürgerinnenund Bürger nachvollziehbarer und transparenter wird.Ich sage Ihnen auch, warum das so wichtig ist. Laut ei-ner Studie ärgern sich 80 Prozent der Konsumenten beimEinkauf über unverständliche Angaben auf dem Etikett.81 Prozent sagen, dass sie anhand der vorhandenen In-formationen nicht einschätzen können, ob ein Produktgut oder schlecht ist, welche Qualität es also hat. Genaudas müssen wir ändern, und zwar nicht nur im Interesseder Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch imInteresse aller guten, seriösen und ehrlichen Anbieter.Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Qualitätenverlässlich erkennen und unterscheiden können, sind sieauch bereit, für ein gutes Produkt einen angemessenenund fairen Preis zu zahlen.
Selbstverständlich ist es deshalb wichtig, in die Verbrau-cher- und Ernährungsbildung, in Aufklärungsangebotezu investieren.Gute Verbraucherpolitik darf sich aber gerade nichtnur in Informationskampagnen für die Verbraucher er-schöpfen. Sie muss auch die Anbieter in die Verantwor-tung nehmen. Lebensmittel müssen so gekennzeichnetsein, dass jeder auch ohne Lupe, ohne Lexikon und ohneHochschulabschluss verstehen kann, was er oder siekauft. Daran gemeinsam zu arbeiten, liebe Kolleginnenund Kollegen, verehrter Herr Minister Schmidt, darauffreue ich mich.Vielen Dank.
Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrter Herr Minister Schmidt, bei einem Ihrer ersten Be-suche bei uns im Ausschuss haben Sie gesagt, Ernährungsei Ihr Kernthema. Davon ist leider nicht viel zu merken,nicht in der Rede, die Sie gehalten haben, nicht in die-sem Haushalt und auch nicht anhand sonstiger Initiati-ven. Für Ihr angebliches Schwerpunktthema Ernährunghaben Sie keinen Arbeitsplan, und für 1,5 MillionenEuro im Ernährungsbereich haben Sie jetzt, im Juni, wodas Haushaltsjahr schon zur Hälfte herum ist, immernoch keine Verwendung. Der Vorwurf des unsichtbarenMinisters, wenn es um gesunde Ernährung geht, trifftleider voll ins Schwarze.
Sie verwalten still und leise, wie Sie es hier vorgetra-gen haben, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeitvor sich hin. Aber man kann auf Ihrer Homepage nachle-sen, was Sie so tun. Immerhin führen Sie die Kampagnegegen Lebensmittelverschwendung Ihrer VorgängerinFrau Aigner fort. Auch Sie beteuern auf Podiumsdis-kussionen, wie wichtig Ihnen die Wertschätzung vonLebensmitteln ist. Natürlich lassen Sie auch Informa-tionsbroschüren drucken. Aber das reicht nicht aus. Bro-schüren alleine lösen keine gesellschaftlichen Probleme.Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Konzepte vorlegen,wie wir von den 11 Millionen Tonnen genießbarer Le-bensmittel, die jährlich in Deutschland im Müll landen,herunterkommen.
Wir fragen Sie: Wo sind die verbindlichen branchen-spezifischen Zielvereinbarungen mit der Wirtschaft? Woist der Innovationswettbewerb zur Müllvermeidung, undwo sind die Forschungsprojekte, die wir gemeinsam inder letzten Legislatur in diesem Bereich fraktionsüber-greifend beschlossen haben?Herr Minister Schmidt, Ihr Haus ist in den Koalitions-verhandlungen arg gerupft worden. Sie als Ernährungs-minister müssen jetzt beweisen, dass Ihr Haus nochmehr ist als ein weiterer Versorgungsposten für die CSU.Gelegenheit dazu gäbe es genug. Nehmen Sie die neueStudie der Bertelsmann Stiftung zur miserablen Qualitätder Kita- und Kindergartenverpflegung in Deutschland.Nur jede dritte Betreuungseinrichtung bietet kleinenKindern ein gesundes Mittagessen an. 1,2 MillionenKinder in diesem Land bekommen nach der Bewertungder Deutschen Gesellschaft für Ernährung mieses Essen:zu wenig Obst, zu wenig Gemüse, zu viel Fleisch, zu
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3670 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Nicole Maisch
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wenig frische Lebensmittel. An den Schulen in diesemLand sieht es nicht besser aus.Das sollte bei Ihnen als Ernährungsminister Kreativi-tätsschübe auslösen und „leise und langsam“ durch „lautund wütend“ ersetzen. Das sollte Sie zum Nachdenkenüber Ihr unsinniges Kooperationsverbot bringen, dasdem Bund verbietet, den Schulen beim Thema Verpfle-gung unter die Arme zu greifen.
Aber was machen Sie? Sie lassen sogar die Finanzie-rung für die Schulvernetzungsstellen nach 2017 im Un-gewissen. Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert.Jeder fand es wichtig, jeder fand es gut, was die Schul-vernetzungsstellen machen, aber Geld geben möchte derBund nicht. Wir halten das für unverantwortlich. Das istSparen am falschen Ende.
Da wir gerade beim Sparen am falschen Ende sind:Genauso unverantwortlich ist die fehlende Finanzierungdes Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dort-mund. Dieses Institut, europaweit einzigartig und seitJahrzehnten anerkannt, hat vor der Kinderkommissiondes Deutschen Bundestages einen Hilferuf abgesetzt.Dieses Institut, das für Forscherinnen und Forscher ausganz Europa einzigartige Basisarbeit betreibt, steht vordem Aus; denn es gibt keine gesicherte Finanzierung fürdieses Forschungsinstitut mehr.Die Geschäftsführung, die wissenschaftliche Leitung,wird seit einiger Zeit ehrenamtlich betrieben. Ich finde,das kann nicht sein.
Die Langzeitforschung und die Forschungsergebnissemüssen wir retten. Ich fordere Sie auf: Nutzen Sie dasGeld, das im Haushalt noch nicht verplant ist! Retten Siedas FKE! Geben Sie 500 000 Euro aus, stellen Sie einerichtige Geschäftsführung und ein Sekretariat ein, damitdiese wichtigen Forschungsergebnisse für die Gesund-heit unserer Kinder nicht verloren gehen!
Ein weiteres unrühmliches Beispiel dafür, dass unterdieser Großen Koalition beim Thema Kindergesundheiteiniges im Argen liegt, ist der Umgang mit der Nationa-len Stillkommission. Sie ist bei einer zum Geschäfts-bereich Ihres Ministeriums gehörenden Behörde, beimBundesinstitut für Risikobewertung, angesiedelt. DieseKommission ist derzeit faktisch nicht arbeitsfähig, weildie zuständige Stelle am BfR finanziell heruntergestuftund mit weiteren Aufgaben überfrachtet wurde und sichkeiner mehr findet, der diesen Job machen will. Wir fin-den, das ist ein untragbarer Zustand. Die Förderung desStillens ist einer der wichtigsten Bausteine zur Überge-wichtsprävention bei Kindern. Das ist wissenschaftlichunumstritten; das ist ganz eindeutig. Ich finde, es ist fürDeutschland peinlich, wenn wir nicht in der Lage sind,die Nationale Stillkommission arbeitsfähig zu halten undangemessen auszustatten.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt und IhrePolitik der letzten sechs Monate lassen noch viel Luftnach oben. Das gilt besonders für den Tierschutz. DieVorgängerregierung hat mit der missglückten Tier-schutznovelle in einigen Bereichen für mehr Schaden alsNutzen gesorgt. Wir erwarten von dieser Koalition, dasshier nachgebessert wird. Wir werden ganz genau hin-schauen, ob Sie wirklich mehr Tierschutz erreichen odernur mehr Chancen zum Export von deutschem Fleisch indie ganze Welt realisieren. Wenn Sie den Schutz derTiere, der im Grundgesetz verankert ist, wirklich ernstnehmen, dann müssen Sie Schluss machen mit dem Sys-tem der tierquälerischen industriellen Massentierhal-tung. Das ist eine Systemfrage in der Landwirtschaft.Wir werden genau hinschauen, wie vor allem die SPDdiese Systemfrage beantwortet.
Das bedeutet für die Union – wenn sie den Tierschutz soernst nimmt –, dass man auch einmal den einen oder an-deren Konflikt aushalten muss, etwa mit den Bauernver-bandsfunktionären außerhalb, aber auch innerhalb derFraktion. Wir werden genau schauen, ob ein schwarzerAgrarminister so etwas austragen kann.Wir Grüne wollen, dass der Tierschutz in Deutschlandmächtiger wird. Wir fordern einen Tierschutzbeauftrag-ten mit angemessener Amtsausstattung und das Ver-bandsklagerecht für Tierschutzorganistionen.Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Tierversuchensagen.
Aber ganz schnell, bitte.
Ja, das schaffe ich ganz schnell. – Wir finden, dassdas Thema „Ersatzmethoden für Tierversuche“ finan-ziell wesentlich mehr unterstützt werden muss. Siehaben zwar die Finanzmittel für die Zentralstelle zur Er-fassung und Bewertung von Ersatz und Ergänzungsme-thoden zum Tierversuch aufgestockt, aber nicht etwa,um Alternativen zu Tierversuchen zu erforschen, son-dern lediglich um ein Internetportal zu pflegen. Wir fin-den, das kann es nicht sein. Da hätten Sie nachlegenmüssen.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist leiderdie agrar- und ernährungspolitische Fortsetzung vonSchwarz-Gelb unter anderer Flagge. Das ist peinlich fürdie SPD, und es ist schlecht für die Menschen und Tierein diesem Land. Wer daran gezweifelt hat, ob es nötigist, zur nächsten „Wir haben es satt“-Demo zu fahren,dem sage ich: Leute, ihr müsst fahren. Das ist leiderauch unter Schwarz-Rot unbedingt notwendig.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3671
Nicole Maisch
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Nächster Redner ist der Kollege Franz-Josef
Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Frau Maisch, ich fand Sie im Ausschuss viel netter. Ei-nes aber kann ich Ihnen versichern: Konfliktscheu sindwir Schwarzen garantiert nicht.
Aber an den Konflikten werden wir gemeinsam Spaß ha-ben.Zunächst möchte ich allen Beteiligten, die diesenHaushalt aufgestellt haben, Danke sagen: Herrn Ministermit seinem ganzen Team, sämtlichen Ministerien, denHaushältern, allen Fachgruppen. Ich finde, wir haben ei-nen guten Haushalt aufgestellt. Er trägt der Konsolidie-rungsnotwendigkeit Rechnung – wir wissen, dass wirnur das ausgeben können, was wir im Portemonnaie ha-ben –, aber setzt gleichzeitig die richtigen Signale.Meine Damen und Herren, die jüngste Verbraucher-befragung im Auftrag des BMEL hat festgestellt, dass80 Prozent aller Verbraucher mit der Qualität der Le-bensmittel der deutschen Land- und Ernährungswirt-schaft sehr zufrieden sind. Sie erfreuen sich an der Viel-falt und an der Hochwertigkeit deutscher Lebensmittel.Das ist eine gute Botschaft. Da dürfen wir uns auch ein-mal freuen; da dürfen wir auch einmal lächeln.Frau Binder, ein sehr deutlicher Hinweis auf die Qua-lität unserer Ernährung ist die Tatsache, dass die Men-schen in unserem Land immer älter werden. Es gab nochnie so viele Alte wie heute, und die durchschnittliche Le-benserwartung steigt weiter. Das ist das beste und deut-lichste Zeichen dafür, wie gesund unsere Ernährung ist;das ist ganz einfach feststellbar.
In einem pflichte ich allen Beteiligten bei – FrauDrobinski-Weiß hat ein paar Punkte angesprochen –: Esbleibt einiges zu tun.Ich kann die gute Stimmung aber nachvollziehen;denn Landwirtschaft in Deutschland steht für Verantwor-tung, für Vielfalt und auch für Erfolg. Darauf können wirstolz sein; damit können wir auch selbstbewusst umge-hen. Wir als Land- und Ernährungswirtschaft inDeutschland sind wer. In der gesamten Kette sind esetwa 5 Millionen Arbeitskräfte; das ist die zentrale Wirt-schaftssäule des ländlichen Raums. Wir investieren imländlichen Raum, in sichere Arbeitsplätze dort, allein imersten Halbjahr 2014 6 Milliarden Euro. Das bedeutetInvestitionen in moderne Technik, mehr Umweltschutz,mehr Tierschutz und mehr Effizienz. Das ist der richtigeWeg. Wir machen es so, anstatt Verbote zu fordern, waszu Produktionsverlagerungen führt, womit wir dem Tier-oder Umweltschutz einen Bärendienst erweisen. Das istIhr Weg, und der ist falsch.
Zum Thema Forschung. Das ist mir ein besonderesAnliegen, weil Forschung letztendlich – da sind wir unsalle einig, denke ich – Zukunft bedeutet. Die Landwirt-schaft in Deutschland ist gut aufgestellt. Aber auch wirsehen in verschiedenen Bereichen die Notwendigkeitvon Weiterentwicklungen. Ich will einige Beispiele an-sprechen: Wie können wir das Tierwohl in DeutschlandsStällen verbessern? Deshalb machen wir Praxis- und De-monstrationsversuche. Wir wollen nicht verbieten, son-dern Lösungen erarbeiten. – Wie können wir negativeEffekte auf die Umwelt verringern? Deshalb gibt es beiuns den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen An-wendung von Pflanzenschutzmitteln. Deshalb sind wirdabei, in der Düngeverordnung bessere Bedingungen fürunsere Umwelt zu erreichen. – Wie können wir die Pro-duktivität im Ökolandbau verbessern, damit auch dortdie Nachhaltigkeit gesteigert wird? Deshalb – das ist,glaube ich, vorhin nicht richtig verstanden worden – se-hen wir in diesem Haushalt mehr Forschungsförderungfür den Ökolandbau vor.Meine Damen und Herren, zu welcher Produktions-form sich ein Landwirt auch immer entschließt: Ent-scheidend ist stets die enge Verzahnung zwischen Öko-logie, Ökonomie und letztendlich auch sozialenAspekten. Dieses Zieldreieck müssen wir immer imBlick haben, weil wir anders keine intelligente Lösungfür die Landwirtschaft von morgen finden, die allePunkte berücksichtigt.
Deshalb unterstützen wir in unserem Haushalt die For-schung in der Gesamtsumme mit immerhin etwa 500 Mil-lionen Euro. Das sind Mittel für Forschung, für Nachhal-tigkeit und für mehr Innovation.Zudem haben wir die Eiweißstrategie verankert. Da-für gibt es einen eigenen Titel – das wurde schon mehr-fach angesprochen –, und das ist auch richtig. WilhelmPriesmeier, du hast mich sehr frühzeitig angesprochen:Können wir das nicht machen? Das ist uns wichtig. –Wir waren uns sofort einig und haben das gemeinsamauf den Weg gebracht. So arbeiten Koalitionen vernünf-tig zusammen. So gehört sich das. Gleichzeitig hat dasden Nebeneffekt, dass mehr Forschungsmittel für denÖkolandbau in dem entsprechenden Bundesprogrammzur Verfügung stehen.
– Da dürfte selbst die Opposition klatschen. Das müsstedoch eigentlich in Ihrem Sinne sein. Gucken Sie dochnicht so griesgrämig drein!Ich will an dieser Stelle, weil es um Eiweiß geht, auchdas Thema Greening noch einmal ansprechen. Wir hat-ten lange Diskussionen über die Anwendung von Pflan-zenschutz. Meine Damen und Herren, wenn wir denEiweißanbau fördern wollen, dann ist es richtig, auf öko-
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3672 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Franz-Josef Holzenkamp
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logischen Vorrangflächen Eiweißpflanzen so anzubauen,dass wir sie auch ernten können.
Deshalb gehört letztendlich der Pflanzenschutz mit dazu.Deshalb war das eine richtige Entscheidung. Wenn maneinfordert, mehr für die Eiweißstrategie zu tun, wie esdie Grünen machen,
dann dürfte man sich in dieser Frage eigentlich nicht ver-wehren.Ich will noch etwas zum Thema „Internationales undAgrarexporte“ sagen, weil das eine zunehmende Bedeu-tung hat. Ich bedaure, dass Grüne und Linke die Absatz-unterstützung des Ministeriums zusammenstreichenwollen. Meine Damen und Herren, es geht um KMU-Förderung, um die Förderung kleiner und mittelständi-scher Unternehmen. Das, was in allen Wirtschaftsbran-chen gewollt wird und gewollt ist, kann doch in derLandwirtschaft nicht falsch sein. Wenn Sie diese Posi-tion nicht verlassen, dann arbeiten Sie gegen die deut-schen Bauern; das muss man so deutlich sagen.
Man kann hier als Beispiel den Milchpreis anführen.Dieser Milchpreis, über den sich deutsche Milchbauernfreuen, würde nicht einmal annähernd erreicht, wenn wirnicht die Exportmöglichkeiten hätten. Sie lehnen denExport ab. Dann müssen Sie aber auch die Frage beant-worten: Wie wollen Sie mit Importen umgehen? WollenSie uns abschotten? Wollen Sie den deutschen Bürgerin-nen und Bürgern ausländische Lebensmittel vorenthal-ten? Wie wollen Sie es letztendlich handhaben? Exportist nichts Unanständiges und Verwerfliches. Export istnotwendig für ein ausreichendes und vernünftiges Fami-lieneinkommen deutscher Bauern.
Ich möchte – das ist mir ein Anliegen – noch einigeSätze zu den Schwellen- und Entwicklungsländern sa-gen. Auch im Zusammenhang mit dem Export wird unsimmer wieder vorgehalten, wir würden gegen diese Län-der arbeiten. Meine Damen und Herren, damit es klarbleibt oder dem einen oder anderen klar wird: Wir wol-len keine Exportsubventionen. Wir lehnen sie ab. Siedürfen nicht wiederkommen. Wir wollen aber für wich-tige Länder als Türöffner fungieren. Hier macht dasBMEL, mit Minister Schmidt vorneweg, einen sehr gu-ten Job, wofür wir dankbar sind. Wir stocken, wie in die-sem Haushalt ersichtlich ist, beispielsweise die Mittelfür die bilaterale technische Zusammenarbeit um fast2,5 Millionen Euro auf. Ich finde, das ist ein lohnendesProjekt, und bin verwundert, dass die Grünen diesen Ti-tel streichen wollen. Wir setzen diese Mittel in Projektefür die Ausbildung von Landwirten in Entwicklungslän-dern und in Schwellenländern ein, damit sie produktiverwerden. Sie sind dagegen, weil Sie Kommunikations-kampagnen, beispielsweise gegen Grüne Gentechnik,machen wollen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, las-sen Sie die Bedienung der Angstindustrie! Das bringt Ih-nen nichts ein.
Wir sind auch im gesundheitlichen Verbraucherschutzgut unterwegs. Lieber Christian Schmidt, es ist ein gro-ßer Erfolg, dass der gesundheitliche Verbraucherschutzin unserem Ministerium verbleibt. Hier ist die Fachkom-petenz. Ich kann mir nicht vorstellen, verehrte KolleginDrobinski-Weiß, –
Herr Kollege!
– ja, ich komme zum letzten Satz –, dass eine Veteri-
närabteilung in einem Querschnittsressort wie dem BMJ
Sinn macht. Deshalb ist es an dieser Stelle richtig aufge-
hoben.
Meine Damen und Herren, in den kommenden Jahren
haben wir die große Aufgabe, uns in einer kritischen
Diskussion mit der Landwirtschaft und der Gesellschaft
auseinanderzusetzen. Ich lade Sie alle ein, dieses mitei-
nander sachlich und realistisch zu tun, in die Zukunft ge-
richtet und so, wie es die 300 000 Bauernfamilien in
Deutschland verdienen.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Crone für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin-nen! Meine Damen und Herren! Der Prozess, eine euro-päische Waldkonvention ins Leben zu rufen, ist am21. Mai in Wien gescheitert. Es war der fünfte Versuch,und zum fünften Mal lief der Anlauf ins Leere. Nachvielen Verhandlungstagen blieben bis zum Schluss zehnwesentliche Punkte offen. So gab es beispielsweise keineEinigung unter den Staaten, wie Wald überhaupt zu defi-nieren sei; nur um eine elementar strittige Position zu be-nennen. Darum, liebe Kollegen und Kolleginnen, solltenwir das Ende der Verhandlungen zur europäischen Wald-konvention akzeptieren. Das weitere Vorgehen wird aufder nächsten regulären Ministerkonferenz Forest EuropeMitte des nächsten Jahres zu besprechen sein.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3673
Petra Crone
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Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verstän-digt, gemeinsam für Schutz, Erhalt sowie Wiederaufbauvon Wäldern und Waldstrukturen und für eine damit ver-bundene Waldfinanzierung einzutreten. Jetzt ergibt sichfür Deutschland in diesem Sinne die einmalige Chance,eine Vorreiterrolle in einem Prozess einzunehmen, derdie vielen internationalen Übereinkünfte zum Wald zumeinen koordiniert und zum anderen unter einem multila-teralen Dach in kooperativer Art und Weise bündelt.Die Übereinkünfte zum Wald – der Prozess Wald –sind stark fragmentiert: FLEGT, REDD+, CBD oder dasWaldforum der Vereinten Nationen, um nur einige zunennen. In der internationalen Waldpolitik Deutschlandsengagieren sich neben dem BMEL weitere Bundes-ministerien: das BMUB und das BMZ. Gemeinsam soll-ten wir einen Prozess anstoßen, der die vorhandenen in-ternationalen Übereinkünfte so belässt, aber durch einekoordinierende Dachorganisation besser miteinanderverzahnt, bündelt und dadurch vorantreibt.
Frau Kollegin Crone, darf der Kollege Kindler eine
Zwischenfrage stellen?
Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. – Wir befinden uns in einer Haushaltswo-
che und in einer Haushaltsdebatte. Sie haben gerade die
internationalen Initiativen zum Wald angesprochen, die
auch ich für sinnvoll und unterstützenswert halte. Dazu
passt allerdings nicht, dass die Bundesregierung in ihrem
Haushaltsentwurf die Mittel aus dem Energie- und Kli-
mafonds für den Waldklimafonds von 28 Millionen auf
14 Millionen Euro gesenkt hat; das ist eine Halbierung.
Wie erklären Sie sich das? Das ist ja eine dramatische
Kürzung, die international ein verheerendes Signal aus-
sendet.
Herr Kollege, Sie rennen da bei mir offene Türen ein.Ich bin auch nicht ganz einverstanden damit, dass esdazu gekommen ist. Aber wir haben andere Positionenaus dem Bereich der nachhaltigen Waldbewirtschaftungim Haushalt. Ich komme gleich noch zu diesem Punkt.Insofern hören Sie mir bitte gut zu.
Der neu geschaffene Haushaltstitel im Einzelplan 10„Internationale nachhaltige Waldbewirtschaftung“ sollbeispielsweise bilaterale Forstprojekte in Uganda, Russ-land, Kenia oder Uruguay fördern. Bislang sind vieleDetails der künftigen Zusammenarbeit mit den Partner-ländern im Abstimmungsprozess. Gemeinsam mit demBMEL werden wir die Schwerpunkte setzen und denProzess der Mittelvergabe an Partner und Organisatio-nen transparent gestalten. Immerhin handelt es sich um5 Millionen Euro. Eine solche Transparenz und guteKommunikation hätte ich mir auch für die Planung die-ses Haushalts gewünscht, lieber Kollege.
Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mich gefreut,dass Sie sich Anfang des Jahres – Sie haben es eben er-wähnt – ausdrücklich und mehrmals zum Ziel bekannthaben, 5 Prozent der deutschen Waldflächen nutzungs-frei zu halten, trotz der anhaltenden Widerstände. Ichmöchte Sie ausdrücklich bei der Umsetzung des 5-Pro-zent-Ziels unterstützen. Die SPD-Fraktion ist an IhrerSeite.
Der öffentliche Wald hat bei der Erfüllung des 5-Pro-zent-Ziels eine Vorbildfunktion; das ist klar. In Wittgen-stein, in Südwestfalen,
hat erstmals ein privater Waldbesitzer 350 Hektar seinesWaldes nutzungsfrei gestellt. Wir sollten überlegen, wel-che freiwilligen Anreize, welche privatrechtlichen Ver-einbarungen wir Privatwaldbesitzern anbieten können.
Mit Spannung erwarte ich in diesem Zusammenhang dieDaten aus der Bundeswaldinventur 2012.Sehr geehrte Damen und Herren, die nationale Wald-politik wird mit zusätzlichen 5 Millionen Euro im Ein-zelplan 10 gefördert. – Jetzt komme ich zu Ihrer Frage,Herr Kollege Kindler. – Ich will nicht verhehlen, dassich mir lieber eine finanzielle Stärkung des Waldklima-fonds gewünscht hätte. Er startete ja erst im vergangenenJahr als „Meilenstein“ – O-Ton BMELV – und ist un-trennbar mit der nachhaltigen Bewirtschaftung unsererWälder verbunden. Mir ist noch nicht ganz klar, wie ge-nau die Mittelstärkung im bestehenden Programm ausse-hen soll. Wir müssen bei der Ausgestaltung der Projekteaus diesem Titel daher auf zweierlei achten: erstens, dasswir keine Doppelstrukturen und neuen Bürokratien mitSteuermitteln schaffen, die ausschließlich privatwirt-schaftliche Interessen subventionieren, und zweitens,dass wir sicherstellen, dass die Projektmittel tatsächlichin den Wald fließen und nicht allein in Broschüren ver-schwinden.Ein letzter Punkt: Die Überdüngung mit Stickstoff,unter anderem aus der Landwirtschaft, ist nach wie vorein Problem in unseren Wäldern. Bitte lassen Sie unsvorrangig nicht die Symptome, sondern die hohen Stick-stoffemissionen als Ursachen bekämpfen.Ich freue mich auf eine transparente Debatte, wennwir über die Programme für die internationale und natio-nale Waldbewirtschaftung reden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. – Der Prä-sident jagt mich davon.
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3674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
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Jeder Blick auf die Uhr zeigt doch, dass die Geduld
des Präsidenten beinahe unerschöpflich ist.
Jetzt ist der Kollege Thomas Mahlberg an der Reihe,
der für die CDU/CSU-Fraktion spricht.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Esliegt in der Natur der Sache, dass in Bezug auf den Haus-halt jeder eine etwas andere Wahrnehmung hat. Ich fürmeinen Teil kann sagen – und ich hatte das Gefühl, dassChristian Schmidt dies sehr deutlich gemacht hat –, dassgerade der Haushalt für das BMEL eine sehr solide Basisfür unsere Arbeit darstellt. Aber nicht nur das: Ich finde,er ist auch eine sehr gute Antwort auf die großen Heraus-forderungen, mit denen wir im Landwirtschaftsbereichund in der Lebensmittelbranche konfrontiert sind, wie– ich will nur einige Punkte nennen – Welternährung,Nachhaltigkeit, Klimawandel, Lebensmittelsicherheitund Akzeptanz der Tierhaltung. Das sind keine neuenPunkte. Sie sind schon von meinen Vorrednern ange-sprochen worden. Es ist immer etwas schwierig, wennman nicht als Erster zu einem Thema spricht.Ein Menschenrecht auf Nahrung klingt wie selbstver-ständlich, gerade in dem Land, in dem wir leben. Aberleider ist dieses grundlegende Menschenrecht nicht über-all auf dieser Welt gewährleistet. Rund 840 MillionenMenschen leiden Hunger, fast ein Drittel der Weltbevöl-kerung ist unterernährt. Das sind keine Zahlen aus demMittelalter, sondern Fakten aus dem 21. Jahrhundert,über die ich hier spreche. Die Sicherung der Welternäh-rung ist eine riesige Herausforderung, die im Laufe derZeit nicht kleiner, sondern noch größer werden wird;denn wir erwarten, dass die Weltbevölkerung bis zumJahre 2050 auf 9 Milliarden Menschen steigen wird.Gleichzeitig werden Ressourcen wie Boden und Wasserknapper. Auch die Auswirkungen von Klimawandel undNaturkatastrophen verschärfen die Situation. Vor diesemdüsteren Hintergrund ist es, wie ich finde, sehr erfreu-lich, dass der Kampf gegen den Hunger auch für dieBundesregierung höchste Priorität hat.
Das zeigt sich gerade im Einzelplan 10, in dem ein zu-sätzlicher Titel zur Welternährung geschaffen wurde, umeinen weiteren Beitrag zur Ernährungssicherung in derWelt zu leisten.Die Nachhaltigkeit und die Eindämmung des Klima-wandels sind weitere wichtige Baustellen für die Land-wirtschaft. Schon heute ist die Basisressource BodenTeil eines weiten Konfliktfeldes; denn jeden Tag werdenüber 70 Hektar Fläche neu in Anspruch genommen. DieFlächenkonkurrenz zwischen Nahrungsherstellung, Be-bauung und Energiegewinnung ist nur noch mit einemklugen nachhaltigen Konzept zu lösen. Dieses Konzeptmuss auf der einen Seite die Folgen des Klimawandelsbedenken und auf der anderen Seite dem Klimawandelselbst entgegensteuern. Nur wenn wir unsere landwirt-schaftliche Produktion klima- und ressourcenschonendgestalten, werden wir auch in Zukunft das Land effizientbewirtschaften und andere natürliche Ressourcen nutzenkönnen. Deshalb freue ich mich sehr, dass das Bundes-ministerium insgesamt 510 Millionen Euro für For-schung und Nachhaltigkeit vorgesehen hat.Von unserer Nahrung erwarten wir alle gemeinsamnicht nur, dass sie unter nachhaltigen Gesichtspunktenhergestellt wurde. Wir wollen in allererster Linie sichereund gesunde Lebensmittel haben, die wir ohne Beden-ken und mit Genuss verzehren können. Das Prinzip derLebensmittelsicherheit bildet einen weiteren Schwer-punkt im Haushaltsplan des BMEL. Das ist, wie ichmeine, wichtig und richtig; denn die Gewährleistung desgesundheitlichen Verbraucherschutzes entlang der ge-samten Lebensmittelkette ist eine komplexe Aufgabe,die wir zu lösen haben. Diese Komplexität, die mit derfortschreitenden Globalisierung der Warenströme – daswar gerade auch Thema bei einem meiner Vorredner,und das kann ich nur zu gut aufgrund meiner früherenberuflichen Tätigkeit beurteilen – und auch der Entwick-lung neuer Produkte, die es auf dem Markt gibt, einher-geht, nimmt deutlich zu.Für gesunde Lebensmittel tierischer Herkunft brau-chen wir sichere und rückstandsfreie Futtermittel; dennnur ausgewogen ernährte Tiere liefern uns gesunde undqualitativ hochwertige Erzeugnisse – die Produkte ken-nen Sie: Fleisch, Eier und Milch zum Beispiel –, die füruns von besonderer Bedeutung sind. Futtermittelsicher-heit ist also eine Voraussetzung für Lebensmittelsicher-heit und Tiergesundheit. Zur Gewährleistung der Futter-mittelsicherheit haben wir in Deutschland ein sehrengmaschiges Kontrollnetz, das insbesondere durchQualitätssicherungssysteme – viele dürften Ihnen be-kannt sein – wie GMP oder QS der Unternehmen ergänztwerden.Meiner Ansicht nach ist es die originäre Aufgabe desStaates, für effiziente Kontrollen der Lebensmittelkettezu sorgen und diese zu finanzieren. Ich finde es wenighilfreich, wenn einzelne Bundesländer – das BundeslandNiedersachsen ist hier schon angesprochen worden –sich aus dieser Aufgabe herausstehlen und die Finanzie-rung den zu kontrollierenden Unternehmen aufbürden.
– Sehr geehrter Herr Kollege Kindler, Sie haben ebensehr lobend über Ihren Umweltminister in Niedersach-sen gesprochen.
Das ist das, was bei mir hängen geblieben ist. Wenn ichdurch Niedersachsen reise, höre ich keine Lobreden aufdiesen Umweltminister.
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– Ich glaube, ich bewege mich in Niedersachsen nichtnur innerhalb meiner Partei. Ich höre in Niedersachsenkeine Lobreden,
sondern eher Skepsis. Ich finde es mehr als merkwürdig,wenn, während sich die Bundesländer über ein solchesThema austauschen, ein Bundesland vorprescht und dieUnternehmen als erstes und einziges Bundesland belas-tet, anstatt eine mit den Ministern der anderen Länderabgesprochene vernünftige und konzeptionelle Lösungzu finden.
Ich habe mir einmal die Frage gestellt, wie es wohlwäre, wenn Ihr Minister Verkehrsminister gewordenwäre. Dann wäre mir auf einer Fahrt nach Hannoverwahrscheinlich Folgendes passiert: Ich wäre in eine Poli-zeikontrolle gekommen, hätte meine Papiere vorgezeigt,und der Polizeibeamte hätte gesagt: Alles in Ordnung;aber bevor Sie weiterfahren, müssen Sie 25 Euro zahlen.Das ist die Pauschale, die Sie jetzt bezahlen müssen.
Das ist genau das, was Ihr Minister mit den Betrieben inNiedersachsen veranstaltet.
Diese Maßnahmen kommen, glaube ich, von dem Herrn,von dem Sie eben gesprochen haben.Verantwortung ist ein wichtiges Stichwort, wenn esum die Nutztierhaltung geht. Das Staatsziel Tierschutzverpflichtet uns, mit unseren Mitgeschöpfen verantwor-tungsvoll umzugehen. Ich finde, gerade unsere Land-wirte in Deutschland tun das in besonderem Maße.
Das liegt sicherlich auch daran, dass Tierschutz das urei-gene Interesse der Landwirte in unserem Land ist. VieleVerbraucherinnen und Verbraucher wollen von uns wis-sen, wie ihre Lebensmittel hergestellt wurden und unterwelchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Es istunsere Aufgabe, für eine umfassende und sachliche In-formation der Gesellschaft über die moderne Nutztier-haltung zu sorgen. Viele Menschen in diesem Land ha-ben, glaube ich, noch ein sehr romantisches Bild von derLandwirtschaft. Sie denken oft an die Bauernhofidylle,die uns in Büchern geschildert wird. Tatsächlich ist dieLandwirtschaft heute aber durch den technologischenFortschritt geprägt, bei dem Innovationen eine großeRolle spielen.Ich glaube, nur mit Transparenz und einer sachlichenDiskussion können wir mehr Akzeptanz und Verständnisfür die unternehmerische und effiziente Nutztierhaltunggewinnen. Herr Kollege Kindler, ich spreche Sie in die-sem Zusammenhang noch einmal direkt an: Ich glaube,Kampagnen, mit denen man den Leuten Angst vor Le-bensmitteln macht, sind nicht hilfreich. Das ist der fal-sche Weg.
Wir haben sichere Lebensmittel. Wir haben gute Lebens-mittel. Die Leute können diese Lebensmittel mit Genussverzehren.
Bei Ihnen ist das ein politisches Programm; das versteheich. Sie suchen Themen, und das ist ein prima Thema.
Ich habe nur noch ein paar Sekunden Redezeit. Daherwill ich die Schulverpflegung, die hier Thema war, nurkurz ansprechen.
Das wird in zwei Sekunden aber schwierig.
Zwei Sekunden? – Ich will nur Folgendes sagen: Das
Ministerium hat sich klar dazu bekannt, das Programm
IN FORM weiterzuführen. Ich finde, das ist ein sehr
wichtiges Programm. Es ist wichtig für die Vernetzungs-
arbeit, die in den Ländern geleistet wird, damit Kitaver-
pflegung und Schulverpflegung gut organisiert werden.
Das ist keine Einbahnstraße. Hier sind auch die Länder
gefragt.
Der Bund leistet hierzu seinen Teil. Er hat Mittel bereit-
gestellt. Natürlich reden wir auch über die Anschlussfi-
nanzierung nach 2017. Ich finde, in diesem Bereich ist
der Bund beispielgebend, indem er diese Mittel für die
Vernetzungsarbeit bereitgestellt hat.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Spiering für
die SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da-men und Herren! Vor allen Dingen liebe Schülerinnenund Schüler! Toll, dass Sie zu dieser Zeit hier noch auf-
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3676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Rainer Spiering
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passen und mit dabei sind. Das finde ich ganz toll fürdieses Hohe Haus.
Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, Sie haben in Ih-rer Rede eben davon gesprochen, Forschung bzw. ge-zielte Forschung hat einen Platz im Haushalt 2014/2015.In der Tat wird im landwirtschaftlichen Bereich einehalbe Milliarde Euro für Forschung freigesetzt. Ichmöchte ein Thema ansprechen, mit dem ich mich, seit-dem ich hier im Bundestag bin, beschäftige. Jetzt habeich auch immer eine schöne, kleine Fibel über Bio-ökonomie dabei. Das ist ein Thema, welches mich sehrfasziniert. Ich möchte meine Rede als Appell verstandenwissen, Forschung gemeinsam über viele Häuser hinwegzu betreiben.Deutschland macht sich auf den Weg. Mit der Natio-nalen Forschungsstrategie BioÖkonomie wollen wir op-timale wirtschaftliche und politische Rahmenbedingun-gen für eine biobasierte Wirtschaft schaffen. Wir wolleneine Wirtschaft, die sektorübergreifend mit möglichstwenig fossilen Brennstoffen auskommt und naturbelas-sene Stoffe nutzt, dabei aber gleichzeitig neue, nachhal-tig erzeugte Produkte und Dienstleistungen hervorruftund unsere weltweite Spitzenposition bei Innovation undTechnologie sicherstellt. Dabei sollen ökonomischesWachstum und ökologische Verträglichkeit Hand in Handgehen.
Für die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomiestehen bisher in den Haushalten des Bildungs- und For-schungsministeriums sowie des Landwirtschaftsministe-riums respektable Summen zur Verfügung. Doch wir re-den hier von einer nationalen Wirtschaftsstrategie, liebeKolleginnen und Kollegen. So wurde aus meiner Sichtbei der Halbzeitkonferenz Bioökonomie in Berlin vorwenigen Wochen zu Recht festgestellt, dass dies eigent-lich das ganze Kabinett angeht. Ich freue mich, dass sichbesonders Bundesforschungsministerin Wanka und Bun-deslandwirtschaftsminister Schmidt diesem Thema per-sönlich gewidmet haben. Wer bei der Ausstellung undbei der Konferenz war, hat gesehen, welches unglaubli-che Spektrum sich dort in Bezug auf naturbelasseneRohstoffe gezeigt hat und auch welche unglaublicheProduktionskette sich einstellen kann. Die Dimension istfür uns in vielen Bereichen überhaupt noch nicht abseh-bar.Hierbei geht es nicht um den nachhaltig produziertenDübel, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern um eineVeränderung der Ressourcenentwicklung und Material-ströme. Wir wollen den Quantensprung einer deutlichenVerminderung des Einsatzes von Kohlenwasserstoffpro-dukten wie Öl und Gas hin zu nachhaltigen Materialienerreichen.
– Danke! – Ich rede deshalb von Quantensprung, da wirbeim Einsatz von nachhaltigen Ressourcen die gleicheEffizienz, den gleichen oder sogar einen besseren Wir-kungsgrad als beim Einsatz fossiler Brennstoffe errei-chen wollen. Sie alle wissen, glaube ich, dass wir, wennwir über fossile Brennstoffe reden, mit maximalen Wir-kungsgraden zwischen 40 und 45 Prozent – teilweisesind es 50 Prozent – rechnen. Wir haben aber immer mit50 Prozent Verlusten zu rechnen. Das muss man, findeich, wenn man nachhaltige Wirtschaft betreibt, immerdeutlich sehen.
Wo liegen die Einsatzgebiete? Sie liegen zum Bei-spiel in der Lebensmittelindustrie. Diese bildet inDeutschland den viertgrößten Wirtschaftszweig und be-steht vorwiegend aus kleinen und mittelständischen Un-ternehmen. Wie Sie alle wissen, sind mittelständischeund kleine Betriebe Basis und Rückgrat der deutschenWirtschaft. Insbesondere in den westlichen Industrie-staaten zeichnet sich ein starker Trend hin zu biobasier-ten und nachhaltig produzierten Lebensmitteln ab. Die-ser Entwicklung liegt eine extrem leistungsfähigeIndustrie zugrunde.Die weltweit wichtigste Wertschöpfungskette reichtvon der Energie- und Rohstoffgewinnung über die Ver-arbeitung bis hin zu den physiologischen und sozialenKonsequenzen unseres Konsumverhaltens. Allein in denUSA werden innerhalb dieser Wertschöpfungskette jähr-lich mehr als 4 Billiarden Wattstunden eingesetzt. Mankann das auch umformulieren und von 4 mal 106 Giga-wattstunden sprechen. Das ist die Einheit, mit der wirüblicherweise rechnen. Es handelt sich also um eine un-glaubliche Energiemenge. Ich kann das auch anders for-mulieren: 15 Prozent des weltweiten Energievolumenswerden in der Agrarwirtschaft verbucht. Das scheinteine sehr stichhaltige und konstante Zahl zu sein. Ichglaube, daran werden wir etwas ändern müssen. Wirwerden effizienter werden müssen, und wir werden an-dere Mittel und Wege finden müssen, um diesen Ener-gieverbrauch zu reduzieren.
Für die Kultivierung von Getreide, für die Viehzuchtund für die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnissewerden Energie, Wasser und Nutzflächen benötigt. EineZahl: Für die Produktion eines Kilogramms Rindfleischwird etwa das Zehnfache der Energie eingesetzt, die fürdie Produktion der gleichen Menge Brotweizen erforder-lich ist. Daraus ergibt sich für uns, glaube ich, eine Kon-sequenz. – Da die Redezeituhr abläuft, werde ich es jetztkurz machen.Damit sich die Bioökonomie durchsetzen kann, mussdie Performance stimmen. Es geht also um die Energie-frage im Ganzen, um die energetische Nutzung von Bio-masse und damit auch um das diese Woche so heiß dis-kutierte EEG. Alles hängt mit allem zusammen.Deswegen glaube ich: Die Bioökonomie brauchtstarke Partner. Biobasierte Wirtschaft ist eine Quer-schnittsaufgabe. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3677
Rainer Spiering
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als Haus die Bereiche Wirtschaft und Umwelt mit einbe-ziehen würden und in der Kombination von vier starkenHäusern genügend Energie freisetzen, um sich mit derFrage der Bioökonomie auseinanderzusetzen. LiebeKolleginnen und Kollegen, haben wir Mut zur Zukunft,Mut zur Forschung und Mut zur Bioökonomie! Mit derUnterstützung der vier genannten Häuser und mit demEinsatz, den Sie, Herr Schmidt, jetzt schon zeigen, binich mir sicher, wir können das leisten.Herzlichen Dank.
Marlene Mortler erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir reden heute über den zehntgrößten Haus-halt innerhalb der Ressorts der Bundesregierung. Ichmeine, 5,3 Milliarden Euro sind ein stolzer Betrag, einBetrag, der gut angelegt ist. Er ist für mich aber nochmehr. Das sage ich nicht nur, weil ich vom Bauernhofkomme, nicht nur, weil ich seit vielen Jahren in diesemHause Agrarpolitik mache, sondern auch, weil für michdas Landwirtschaftsressort eines der absoluten Schlüs-selressorts bei der Bewältigung der Herausforderungendes 21. Jahrhunderts ist.
Was erwartet uns in Zukunft? Ich freue mich, dasssich heute einige Kollegen mehr mit der Zukunft als mitder Vergangenheit beschäftigt haben. Uns erwartet einewachsende Weltbevölkerung. 10 Milliarden Menschen,das ist die Zahl, die wir auf uns zukommen sehen. Unserwartet eine noch viel schneller auf uns zukommendeNachfrage nach Lebensmitteln. Essgewohnheiten ändernsich. Immer mehr Menschen auf der Welt verfügen trotzaller Rückschritte und Wirren auf diesem Planeten überein Mindestmaß an Wohlstand. Wir alle wollen, dasssich dieser Trend fortsetzt, auch auf dem Teller. Aber dassind nur zwei der entscheidenden Trends. Der dritteheißt Klimawandel. Ich habe noch kein vernünftiges Kli-maschutzszenario gesehen, das ohne einen substanziel-len Beitrag der Landwirtschaft auskommt.
Wir brauchen die Biomasse schon heute als erneuerba-ren Energieträger. Wir werden sie in Zukunft noch mehrbrauchen – Klammer auf, Klammer zu –, trotz EEG. Oh-nehin werden wir die Endlichkeit fossiler Ressourcenmehr und mehr zu spüren bekommen. Wir werden im-mer mehr auf die Güter der Natur angewiesen sein, obals Baustoff, ob als Grundstoff in der chemischen Indus-trie oder als Blaupause unserer technischen Entwicklun-gen.Die Landwirtschaft kann hier eine Schlüsselfunktionübernehmen, wenn man sie lässt. Der Bedarf steigt kon-tinuierlich, doch die Rahmenbedingungen werden nichteinfacher. Wir müssen davon ausgehen, dass für dielandwirtschaftliche Produktion weltweit künftig nichtmehr, sondern weniger Flächen zur Verfügung stehen alsheute. Natürlich will niemand, dass für die Äcker dieletzten Regenwälder weichen und Steppenlandschaftengerodet werden. Deshalb lassen Sie mich an dieser Stellezwei Dinge sagen.Erstens. Ob Mensch und Natur in Frieden miteinanderleben, ob Nachhaltigkeit funktioniert oder nur ein Mode-wort bleibt, ob Klimaschutz einmal wirklich zur Realitätwird, das alles wird sich ganz wesentlich in ländlichenRäumen entscheiden, im Stall und auf dem Acker.
Zweitens. Nachhaltigkeit wird es nicht ohne Fort-schritt und Effizienz geben. Das kann vor dem Hinter-grund der globalen Lage nicht funktionieren. FruchtbareAckerflächen sind eine der knappsten Ressourcen, diewir haben.Deutschland hat das Glück, ein Gunststandort zu sein,gesegnet mit gutem Klima und guten Böden.
– Und Wasser, Kollege Bleser. – Deshalb bitte ich alle,denen wirklich daran gelegen ist, die globalen Heraus-forderungen im Hinblick auf Ernährungssicherheit, Kli-maschutz und auch Waldschutz zu bewältigen: Verhar-ren Sie in der Agrarpolitik nicht in Naivität undrückwärtsgewandter Romantik!
Wir haben eine Verantwortung, der wir uns stellen müs-sen. Das sind wir auch unseren Kindern schuldig.
Es geht um die Entwicklung neuer Produkte. Es geht umsinnvolles, umweltverträgliches Düngen. Es geht umfortschrittliche Bearbeitungsmethoden.Jüngst konnte ich die Feldtage in Sachsen-Anhalt be-suchen. Wer diese Feldtage erlebt hat – ich wünsche mir,dass ganz viele junge Menschen sie besuchen, weil siedort einen ganz anderen Einblick in die Zusammenhängebekommen und viel über die Zukunft lernen –, der setztin Zukunft darauf, dass Deutschland ein weltweit füh-render Technologiestandort sein, bleiben bzw. werdenmuss. Dann, meine Damen und Herren, werden wir ei-nen substanziellen Beitrag zur Lösung der weltweitenErnährungsprobleme leisten und den Klimaschutz weitervoranbringen.An genau dieser Stelle liegen die Ansichten in diesemHaus aber weit auseinander. Genau hier erkennen wir,wer sich wirklich für eine globale Bewältigung der Zu-
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3678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Marlene Mortler
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kunftsherausforderungen einsetzt. Lieber MinisterChristian Schmidt, ein herzliches Dankeschön, dass Siein der Lage sind, über den sprichwörtlichen Tellerrandblicken!Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zeigtauch der vorliegende Haushalt.
Ich finde es richtig, dass 70 Prozent des Agrarhaushaltesin die Agrarsozialpolitik fließen, weil es diese 70 Pro-zent sind, denen wir die starke und stabile Bauernschaftim Land verdanken; ich bin Berichterstatterin für diesesFeld und weiß genau um die Bedeutung jeder dieserMaßnahmen. Wir können diese 70 Prozent aber nur ver-antworten, weil wir weit über eine halbe Milliarde Eurofür Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation bereitstel-len – ich wiederhole das gerne –, und das allein imAgrarhaushalt. Wie Sie wissen, werden auch über denForschungsetat Maßnahmen finanziert, die für die Zu-kunftsfähigkeit unserer Landwirtschaft von großer Be-deutung sind.Meine Damen, meine Herren, ich bitte Sie um Unter-stützung einer Agrarpolitik, die erkennt, welche Schlüs-selfunktion die Landwirtschaft in diesem Jahrhunderthat, die bereit ist, diese Verantwortung wahrzunehmen,und für die eben deshalb Fortschritt, Effizienz und Er-tragssteigerung keine Schimpfworte sind und keineFeindbilder darstellen. Genau darum geht es. Aus die-sem Grund bitte ich um Ihre Zustimmung zum Agrar-haushalt des Jahres 2014.Ich danke Ihnen.
Bevor ich das Rednerpult verlasse, möchte ich nocheinen herzlichen Glückwunsch sagen – ich hoffe, manhat es mir gerade richtig zugeflüstert; ich habe auch nochetwas Redezeit, Herr Präsident –, und zwar dem Kolle-gen Johann Saathoff zum heutigen Namenstag. Ist ernoch da?
– Genau, als letzter Redner der Debatte.
Der Kollege Saathoff erhält nun zum Abschluss und
als Höhepunkt der heutigen Haushaltsdebatte das Wort. –
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Frau
Mortler, Sie haben für eine Premiere in meinem Leben
gesorgt. Es ist allererste Mal in meinem Leben, dass mir
jemand zum Namenstag gratuliert. Ganz herzlichen
Dank dafür!
Ich gebe offen und frei zu: Ich habe gar nicht gewusst,
dass er heute ist.
Das macht Frau Mortler ab jetzt jedes Jahr; dann wer-
den Sie sich daran gewöhnen.
Danke, Herr Präsident.Es gibt in der Landwirtschaftspolitik viel zu tun, liebeKolleginnen und Kollegen. An erster Stelle steht als zen-trale Zukunftsaufgabe aus meiner Sicht ganz klar dieEntwicklung der ländlichen Räume.Die SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt sich schonseit einigen Jahren intensiv mit der Entwicklung derländlichen Räume. Unter der Federführung meines Kol-legen Willi Brase
haben wir Sozialdemokraten vor kurzem hier im Deut-schen Bundestag eine Konferenz zu diesem Themadurchgeführt.Wir sind uns alle einig, dass die Wichtigkeit der länd-lichen Entwicklung deutlich stärker als bisher betontwerden muss. Aus meiner Sicht ist es bei der Entwick-lung der ländlichen Räume auch notwendig, das parla-mentarische Bewusstsein für diese Problematik zu stär-ken. Die Mehrheit der Parlamentarier lebt nämlich imGegensatz zur Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgernicht im ländlichen Raum und erlebt somit dessen Ent-wicklung und dessen Probleme nicht am eigenen Leibe.
Schulen, Arztpraxen, Dorfläden sterben. Die ländlichenRegionen verlieren zunehmend Einwohner, die sie ei-gentlich tragen sollen. Ich war vor meiner Wahl in denDeutschen Bundestag über zehn Jahre hauptamtlicherBürgermeister der Gemeinde Krummhörn. Das ist länd-licher Raum, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie er imBuche steht. Von den 19 Ortschaften der Gemeinde sindmittlerweile 11 ohne jegliches Gewerbe. Jedes Jahr ver-loren wir deutlich Einwohner, und die Geburtenzahlenhaben sich in diesen zehn Jahren fast halbiert. Die im-mensen Investitionen in die Dorferneuerung schienenohne Dorfbewohner ihren Sinn zu verlieren. Es wardeutlich zu erkennen, dass die Menschen ihrem Arbeits-platz hinterherziehen – eine Folge der drastisch gestiege-nen Mobilitätskosten. Außerdem suchen sie die Nähe zuGeschäften, Schulen, Kindertagesstätten und Freizeitein-richtungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014 3679
Johann Saathoff
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Aus dieser Erfahrung heraus halte ich es für unab-dingbar, dass es uns mit einem Maßnahmenplan zur Re-attraktivierung des ländlichen Raums gelingt, dort auchwieder Wertschöpfung stattfinden zu lassen.
Wir müssen uns verabschieden von der reinen Produk-tion landwirtschaftlicher Produkte; stattdessen muss zurProduktion die Veredelung der Produkte kommen. Hier-bei geht es vor allem um regionale Produkte, die wiederzu identifizieren, herzustellen und zu vermarkten sind.Regionalität als Marke ist – insbesondere im Tourismus –noch nicht ausreichend erkannt. Vor allem ist Regionali-tät nicht beliebig kopierbar.
Wenn über regionale Wertschöpfung wieder Arbeits-plätze im ländlichen Raum entstehen, wird das dazu füh-ren, dass wieder vermehrt Menschen auf dem Land woh-nen wollen.Als zweites Element werden wir die Dorferneuerungals reines Programm für den Tiefbau umwandeln müssenin eine Art soziale Dorferneuerung,
die zum Ziel hat, Initiativen und Projekte des sozialenMiteinanders und des sozialen Zusammenhaltes zu för-dern. Ich denke da nicht nur an Dorfgemeinschafts-häuser, sondern auch an Dorfläden und soziale Hilfsein-richtungen wie Dorf- oder Gemeindekümmerer. DenMenschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss gehol-fen werden, wenn sie erkennen, dass die Lebensbedin-gungen im ländlichen Raum durch Solidarisierung ge-halten und verbessert werden können.
Um das zu schaffen, möchte die Koalition die Ge-meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ perspektivisch zu einer Ge-meinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ weiterent-wickeln. Für meine Heimat Ostfriesland ist das – wie fürviele andere Regionen in Deutschland auch – ein wichti-ges Thema. Zum einen halte ich es nicht nur, aber auchals Deichrichter der Deichacht Krummhörn für unbe-dingt erforderlich, dass die Mittel für den Küstenschutztrotz der Erweiterung um den Hochwasserschutz fürFlüsse und trotz der Erweiterung um die Entwicklungländlicher Räume in unverminderter Höhe erhalten blei-ben.
Der Küstenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hatnicht ohne Grund Verfassungsrang. Ich kann mir vorstel-len, dass sich der ein oder andere alpin sozialisierte Ab-geordnete
manchmal fragt, ob die Mittel für den Küstenschutz indieser Höhe und in dieser Kontinuität erforderlich sind.
„Beter düür, as neet to kopen“ ist hier die ostfriesischeDevise.
Denn die Vernachlässigung des Küstenschutzes – daslehrt uns die Geschichte und das zeigen uns Beispieleaus anderen Ländern – ist nicht billiger, liebe Kollegin-nen und Kollegen, die Vernachlässigung ist unbezahlbar.
Ende vergangenen Jahres fegte Orkan „Xaver“ über dieNordsee. Die Flutlinie war genauso hoch wie 1962. Denstetigen Küstenschutzmaßnahmen ist es zu verdanken,dass ein solcher Orkan heute keine Katastrophe mehr zurFolge hat.Künftig werden wir auch den präventiven Hochwas-serschutz mit einem Sonderrahmenplan absichern; diesersoll bereits im Haushalt 2015 berücksichtigt werden. Diezuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird im Herbsttagen; dann können Entscheidungen zu Maßnahmen undMitteln getroffen werden.Hier sollen in den nächsten Jahrzehnten Flussauen re-naturiert, Polder angelegt und weitere Schritte zur Errei-chung der Ziele der EG-Wasserrahmenrichtlinie getanwerden, die auch Prävention beim Hochwasserschutzbedeuten. Eines ist auch hier klar: Vorsorgemaßnahmenkommen uns volkswirtschaftlich wesentlich günstigerals Hochwasserschäden ohne präventive Maßnahmen.Im Herbst werden wir dann weitere Schritte zur Um-setzung der GAP in Deutschland gehen. Außerdem wer-den wir uns mit der Hofabgabeklausel beschäftigen, wiewir heute schon mehrfach gehört haben. Wir müssen da-bei die agrarstrukturelle Wirkung der Verpflichtung zurHofabgabe genau betrachten. Dabei stellt sich die grund-sätzliche Frage, ob die Verpflichtung zur Hofabgabe zurErlangung der verdienten Rente heute noch zeitgemäßist.Sie sehen also: Die Koalition hat noch einiges vor.Das gilt auch für den Bereich der Eiweißpflanzen.Wir bekommen mit der Eiweißpflanzenstrategie 3 Mil-lionen Euro zusätzlich für den ökologischen Landbau.Das ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung unddarf an dieser Stelle ruhig einmal erwähnt werden.
Sojabohnen, Lupinen und Erbsen bereichern die Frucht-folge, fördern die Bodenfruchtbarkeit und tragen insge-samt zur biologischen Vielfalt bei. Aus SPD-Sicht möchteich auch noch ergänzen, dass es sich dabei nicht um gen-technisch veränderte Pflanzen handelt, sondern imGegenteil: Das ist ein erster Schritt zu mehr Unabhän-gigkeit von Futtermittelimporten und gentechnisch ver-änderten Pflanzen.
Metadaten/Kopzeile:
3680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 24. Juni 2014
Johann Saathoff
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Wir werden die Forschung in den Bereichen Boden-struktur, Pflanzengesundheit und Nährstoffversorgungsowie andere landwirtschaftliche Fachfragen weiter vo-ranbringen. Damit unterstützen wir eine Strategie, diemit der Entkopplung der Direktzahlungen begonnen hatund langfristig den Erhalt öffentlicher Gelder vollständigan die Erbringung öffentlicher Leistungen koppelt.
Im Rahmen des Direktzahlungs-Durchführungsgesetzeshaben wir ja gerade eine Mittelumschichtung in diezweite Säule, die Ausweisung ökologischer Vorrangflä-chen, den Erhalt von Dauergrünland und die Besserstel-lung kleinerer Betriebe beschlossen. Jetzt wollen wir mitder Eiweißpflanzenstrategie einen weiteren wichtigenSchritt machen.Wie ich schon sagte: Es gibt viel zu tun, liebe Kolle-ginnen und Kollegen. Packen wir es an!
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 10, Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit der
Mehrheit der Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition ist der Einzelplan 10 damit angenom-
men.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 25. Juni 2014,
9 Uhr, ein.
Wenn Sie mögen, können Sie gleich hier bleiben.
Wenn Sie nicht mögen, wünsche ich Ihnen noch einen
angenehmen Ausklang des Abends. Das gilt insbeson-
dere auch für unsere Gäste auf den Besuchertribünen,
denen ich für ihr Interesse danke.
Die Sitzung ist geschlossen.