Protokoll:
15123

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 123

  • date_rangeDatum: 9. September 2004

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:55 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/123 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbe- treuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreu- ungsausbaugesetz – TAG) (Drucksache 15/3676) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Elternhaus, Bil- dung und Betreuung verzahnen Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Link (Diepholz) (CDU/CSU) . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Link (Diepholz) (CDU/CSU) . . . . . . . 11191 B 11202 C 11203 B 11205 B 11206 C 11207 D 11209 A 11210 A 11210 C 11210 D Deutscher B Stenografisc 123. Si Berlin, Donnerstag, de I n h a Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005) (Drucksache 15/3660) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 (Drucksache 15/3661) . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 11191 A 11191 B (Drucksache 15/3488) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 11191 C undestag her Bericht tzung n 9. September 2004 l t : Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Solides Finanzie- rungskonzept für den Ausbau von Kinder- betreuungsangeboten für unter Dreijährige (Drucksache 15/3512) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Schmidt, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11191 D 11191 D 11196 A 11198 B 11199 B 11200 C Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11211 A 11212 A II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. September 2004 Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 15/3674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Möglichkeiten der privaten Arbeitsver- mittlung durch marktgerechte Ausgestal- tung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen (Drucksache 15/3513) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Friedrich Merz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 11213 D 11213 D 11214 A 11218 D 11220 C 11225 C 11227 D 11229 D 11233 A 11234 A 11235 C 11237 A 11239 A 11240 B 11240 D 11241 A 11241 D 11242 B 11244 D 11246 C 11247 C 11249 B 11250 A Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD) . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doris Meyer (Tapfheim) (CDU/CSU) . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht Feibel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Michael Müller (Düsseldorf) (SPD) . . . . . . . Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auto- bahnmautgesetzes für schwere Nutz- fahrzeuge (Drucksache 15/3678) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Mautbefreiung für humanitäre Hilfs- transporte (Drucksache 15/3489) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Königshofen (CDU/CSU) . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11251 C 11254 A 11256 A 11257 D 11259 D 11261 B 11262 D 11265 B 11265 D 11266 A 11267 C 11269 D 11271 C 11271 C 11271 D 11274 B 11276 D 11279 A 11281 B 11283 C 11285 A 11286 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. September 2004 III Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Reinhard Weis (Stendal) (SPD) . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . Klaus Minkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU) . . . . . . . . Einzelplan 10 Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jella Teuchner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Helmut Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11288 A 11290 B 11291 C 11292 C 11294 C 11296 C 11298 B 11300 B 11302 A 11303 C 11304 D 11306 C 11308 D 11309 D 11310 D 11312 D 11315 B 11317 C 11319 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. September 2004 11191 (A) (C) (B) (D) 123. Si Berlin, Donnerstag, de Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. September 2004 11319 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Barthel (Berlin), Eckhardt SPD 09.09.2004 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 09.09.2004 Dr. Guttmacher, Karlheinz FDP 09.09.2004 Meckel, Markus SPD 09.09.2004 Raidel, Hans CDU/CSU 09.09.2004* Schauerte, Hartmut CDU/CSU 09.09.2004 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 09.09.2004 Schöler, Walter SPD 09.09.2004 Schösser, Fritz SPD 09.09.2004 Schreck, Wilfried SPD 09.09.2004 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 09.09.2004 Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 09.09.2004 Ulrich, Hubert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.09.2004 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 09.09.2004 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich 123. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. September 2004 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-

punkt 1 – fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005

(Haushaltsgesetz 2005)

– Drucksache 15/3660 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
– Drucksache 15/3661 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu-
tige Aussprache neun Stunden und für morgen dreiein-
halb Stunden beschlossen haben.

Rede
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.

Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und
7 b sowie Zusatzpunkt 3 auf:
7 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum quali-
tätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der
Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der
Kinder- und Jugendhilfe

(Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)

– Drucksache 15/3676 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
tzung

n 9. September 2004

.00 Uhr

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria
Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Elternhaus, Bildung und Betreuung verzah-
nen
– Drucksache 15/3488 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau
von Kinderbetreuungsangeboten für unter
Dreijährige
– Drucksache 15/3512 –

text
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Das Wort hat Bundesministerin Renate Schmidt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Se-
n und Jugend:
ter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe
Ich bringe hier heute den Einzelplan 17 ein
e dies mit der ersten Lesung unseres Tages-
Jugend (f)

nioren, Fraue

Sehr geehr
Kolleginnen!
und verknüpf

betreuungsausbaugesetzes, TAG. Dafür bedanke ich






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Schmidt

mich auch im Namen der Eltern und Kinder, die mehr
und bessere Betreuung in Deutschland brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich in aller Kürze mit dem Haushalt und
meinem Ministerium, das in diesem Jahr das Zertifikat
„familienfreundliche Behörde“ erhalten hat, beginnen.
Wir haben größte Anstrengungen unternommen und die
Zahl der Ausbildungsplätze in meinem Ministerium und
im Bundesamt für den Zivildienst um 40 Prozent gestei-
gert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir erreichen damit einen Anteil von 7,7 Prozent der so-
zialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Das ist eine
gute Nachricht für junge Menschen.

Eine gute Nachricht ist es auch, dass wir trotz des not-
wendigen Subventionsabbaus Programme im Kinder-
und Jugendplan erhalten können. Subventionsabbau darf
nämlich nicht bedeuten, dass wir bei Projekten für Kin-
der und Jugendliche sparen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


seien es die Programme für benachteiligte Jugend-
liche „Entwicklung und Chancen“ oder „Lokales Kapital
für soziale Zwecke“ oder die neuen Jugendmigrations-
dienste.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihr habt gekürzt wie noch nie! Sie haben Ihren eigenen Haushalt noch nicht gelesen!)


Unser Projekt „P – misch dich ein!“ steht für Partizi-
pation und für unser Leitbild einer aktivierenden Jugend-
politik. Mit „Jugend ans Netz“ schaffen wir die Vo-
raussetzungen dafür, dass alle Jugendeinrichtungen in
Deutschland zu vernünftigen Preisen online gehen kön-
nen. Wir führen ferner das Aktionsprogramm „Jugend
für Toleranz und Demokratie“ wie geplant fort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist wichtig in diesen populistisch hochgeputschten
Zeiten.

Wir wollen und werden entsprechend den Vorschlä-
gen der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“
das Modellprogramm für einen generationsüber-
greifenden Freiwilligendienst in diesem Jahr auf den
Weg bringen. Es geht nämlich künftig darum, die Chan-
cen des längeren Lebens für alle nutzbar zu machen: für
die Älteren und für alle Generationen. Wir wollen den
demographischen Wandel nicht erdulden, sondern wir
wollen ihn gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Fünfte Altenbericht, der im nächsten Jahr vorge-
legt wird, befasst sich deshalb mit dem Thema „Poten-
ziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“; denn
Alter ist kein Synonym für Hilfsbedürftigkeit und Ge-
brechlichkeit, sondern für Lebenserfahrung, Leistungs-
bereitschaft und Leistungsfähigkeit bei der allergrößten
Zahl der Menschen, und zwar bis ins höchste Alter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diejenigen allerdings, die im hohen Alter Unterstüt-
zung brauchen, werden mit der notwendigen Hilfe rech-
nen können. Ich habe gemeinsam mit Gesundheitsminis-
terin Ulla Schmidt im vergangenen Jahr einen runden
Tisch „Pflege“ ins Leben gerufen. Hier werden bis 2005
Vorschläge erarbeitet. Unser Ziel ist die Entbürokratisie-
rung der Pflege und die bessere Verzahnung der ambu-
lanten, teilstationären und stationären Einrichtungen.
Das ist umso notwendiger, als Pflegearbeit nach wie vor
ganz überwiegend in der Familie und von Frauen geleis-
tet wird. Deshalb muss nicht nur die Betreuung von
Kleinkindern, sondern auch die von älteren Angehörigen
mit Erwerbsarbeit vereinbar sein; denn gerade weil sich
Frauen für ihre Familien engagieren, sind sie im Berufs-
leben nach wie vor benachteiligt.

Wir wirken dem entgegen und setzen die gemeinsame
Arbeit mit den Wirtschaftsverbänden zur Gleichstellung
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft fort.
Die deutsche Wirtschaft erkennt zunehmend – manch-
mal noch etwas zögerlich –, wie wichtig Frauen für die
sich wandelnde Arbeitswelt sind und dass sie in Füh-
rungspositionen gehören und in der Selbstständigkeit un-
terstützt werden müssen, wie zum Beispiel mit unseren
Programmen für Existenzgründerinnen.

Das Berufswahlverhalten muss sich ebenfalls ändern.
Mit dem Girls’ Day


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was ist das denn?)


versuchen wir das zu erreichen, genauso wie mit unseren
IT-Programmen und dem neuen Internetportal „Beruf
und Karriere für Frauen“. Damit setzen wir den Old-
Boys-Networks endlich Young-Women-Networks entge-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Und das verstehen die Leute alles?)


2005 wird zudem das Gesetz zum Schutz vor Diskri-
minierungen in Kraft treten. Von da an wird eine natio-
nale Stelle diskriminierten Menschen zu ihrem Recht
verhelfen. Dies bedeutet dann weniger Benachteiligun-
gen und mehr Gleichstellung.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur
ein wichtiges gleichstellungspolitisches Thema. Viel-
mehr betrifft es die gesamte Gesellschaft, nicht zuletzt
die Männer und insbesondere die Väter. Es ist das zen-
trale Thema der Familienpolitik. Wir müssen versuchen,
endlich die Kluft zwischen Lebenswünschen und Le-
benswirklichkeiten – soweit Politik das kann – zu schlie-
ßen. Einerseits bestehen bei 96 Prozent der Bevölkerung
Wertschätzung der Familie sowie der Wunsch nach Fa-
milie und einem Leben mit Kindern. Andererseits haben
wir die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Schmidt

Union und die weltweit höchste Kinderlosigkeit. Das ist
nicht die Folge einer unzureichenden materiellen Förde-
rung von Familien. Da sehen wir im europäischen Ver-
gleich nämlich gut aus. Wir liegen hier insgesamt im
oberen Drittel. 34 Milliarden Euro sind im Haushalt des
Finanzministers für das Kindergeld sowie für die Aus-
wirkungen der von mir durchgesetzten steuerlichen Re-
gelungen insbesondere zugunsten der Alleinerziehenden
vorgesehen. Hinzu kommen in meinem Haushalt Mittel
für den neuen Kinderzuschlag. All das lässt mich mei-
nen Haushalt selbstbewusst vertreten; denn neue Kür-
zungen für Familien gibt es nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Änderungen betreffend das Erziehungsgeld kommen
2005 voll zum Tragen und führen deshalb zu niedrigeren
Ausgaben bei diesem Titel, ebenso wie die niedrigen Ge-
burtenzahlen.

Damit bin ich bei dem zentralen Thema: In Deutsch-
land werden zu wenige Kinder geboren. Die Herausfor-
derungen für uns sind offensichtlich. Junge Menschen
wollen mehr Kinder und wir brauchen sie; denn weniger
Kinder bedeuten weniger Innovationsfähigkeit, weniger
Wachstum, weniger Wohlstand und weniger soziale Si-
cherheit, und zwar nicht irgendwann, sondern bereits
heute.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das stimmt!)

– Wunderbar! Es freut mich, dass Sie mir einmal zustim-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frauen und insbesondere Mütter wollen erwerbstätig
sein. Wir brauchen auch mehr erwerbstätige Frauen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Auch das ist unbestritten!)


Wir brauchen eine bessere und vor allem frühe Erzie-
hung und Bildung unserer Kinder, damit die Herkunft ei-
nes Kindes nicht weiter wie bisher über seine Bil-
dungschancen entscheidet. Wir brauchen eine deutliche
Reduzierung von Familien- und Kinderarmut. Wir stel-
len uns diesen Herausforderungen mit einer nach-
haltigen Familienpolitik. Sie beruht auf folgenden drei
Säulen: erstens dem Ausbau der Infrastruktur für Fami-
lien – denn der deutsche Weg einer vorrangig monetären
Familienförderung ist im europäischen Vergleich eher
wirkungsschwach, um es ganz vorsichtig auszudrü-
cken –, zweitens deutlich mehr Familienfreundlichkeit
in den Kommunen und vor allen Dingen in den Unter-
nehmen und drittens zielgenauen finanziellen Leistun-
gen dort, wo sie Eigeninitiative stärken und die Ent-
scheidung für Kinder erleichtern, statt Leistungen nach
dem Gießkannenprinzip. Alle drei müssen zusammen-
kommen, damit eine effiziente Familienpolitik entstehen
kann.

Lassen Sie mich mit der dritten Säule beginnen. Erst-
mals gibt es in Deutschland ein Instrument zur gezielten
Bekämpfung von Armut bei Kindern. Zu diesem Schritt
waren Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von
der Opposition, in der Vergangenheit leider nicht in der
Lage, obwohl die Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe
leben, ebenfalls dramatisch hoch war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Den Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro erhalten El-
tern, die wenig verdienen und neben ihrem eigenen Be-
darf nicht auch noch den ihrer Kinder erwirtschaften
können. 150 000 Kinder und ihre Familien werden damit
ab 2005 in einem ersten Schritt von Arbeitslosengeld II
unabhängig. Wir werden die Wirkung dieses neuen
Instruments sorgsam prüfen und parallel an seiner Wei-
terentwicklung arbeiten, mit dem Ziel, deutlich mehr
Kinder unabhängig vom Arbeitslosengeld-II-Bezug zu
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch eine Umgestaltung des heutigen Erziehungsgel-
des zu einem einkommensbezogenen Elterngeld – das
ist Teil der aktuellen Diskussion – kann dazu beitragen,
dass sich Kinderwünsche häufiger erfüllen. Es würde zu-
dem mehr Väter motivieren, sich an der konkreten Fami-
lienarbeit zu beteiligen. Da kann uns die Steigerung von
1,5 Prozent auf 5 Prozent wahrhaftig noch nicht zufrie-
den stellen. Das müssen noch mehr werden, wenn wir
wirklich gleiche Chancen für Frauen und Männer in die-
sem Land erreichen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Übrigens stellt ein solches Elterngeld die Verkäuferin im
Vergleich zur heutigen Situation ebenso besser wie die
Lehrerin oder die Ärztin.

Ich bitte aber ganz herzlich darum, nicht immer ein
Entweder-oder zu diskutieren. Wir brauchen Kinderbe-
treuung und familienfreundliche Arbeitsbedingungen
und finanzielle Leistungen, die die Entscheidung für ein
Kind erleichtern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein guter Mix ist für Deutschland der Erfolg verspre-
chende Weg. Ich lade zu einer offenen und konstruktiven
Diskussion ein. Absolute Priorität haben für mich aber
der Ausbau der Betreuung und eine familienfreundliche
Unternehmenskultur. Dafür, dass aus einem kinderent-
wöhnten Land wieder ein kinderfreundliches Land wird,
sind nämlich nicht die Politik und der Staat allein verant-
wortlich, sondern die gesamte Gesellschaft.

Damit bin ich bei der zweiten Säule, bei der Wirt-
schaft, die eine besondere Verantwortung trägt. Deshalb
habe ich die Allianz für die Familie mit den vier Spit-
zenverbänden der deutschen Wirtschaft und den Ge-
werkschaften gegründet. Unser gemeinsames Motto ist:
Familie bringt Gewinn. Ein wichtiges Aktionsfeld dieser
Allianz sind die Lokalen Bündnisse für Familie. Über
Familienfreundlichkeit wird nämlich nicht in Berlin






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Schmidt

entschieden, sondern vor Ort und darum muss dort etwas
passieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit dem Start dieser Initiative im Januar 2004 hat sie
sich schnell zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. So
haben sich bislang 81 Bündnisse der Initiative fest ange-
schlossen. An weiteren 131 Standorten werden Bünd-
nisse mithilfe des Servicebüros meines Ministeriums
vorbereitet. In diesen 212 Kommunen oder kommunalen
Zusammenschlüssen leben rund 25 Millionen Men-
schen. Es ist wirklich ein Erfolg, dass über Familie vor
Ort jetzt regelmäßig nicht nur geredet, sondern im Inte-
resse von Kindern und ihren Familien auch gehandelt
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Zentrum dieser lokalen Bündnisse steht dabei im-
mer auch die Frage nach familienfreundlichen Arbeits-
bedingungen – schließlich beteiligt sich dort die Wirt-
schaft vor Ort – und nach besserer Betreuung. Zu dieser
besseren Betreuung leistet die Bundesregierung ihren
Beitrag. Dies ist die erste, die wichtigste Säule.

Dies ist trotz Kinderzuschlag und trotz der Diskussion
über das Elterngeld ein Paradigmenwechsel in der Bun-
desrepublik Deutschland: weg von der 30-jährigen über-
wiegend monetären Förderung von Familien hin zu einer
Politik besserer Infrastrukturen für Familien, die sie
nämlich am dringendsten brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Außerdem ist es der dritte und überfällige Schritt zu
einer Verbesserung der Tagesbetreuung. Im Jahr 1992
wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz
von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses beschlossen.
1996 wurde er – unter erheblichem Protest der Kommu-
nen; teilweise erinnern Sie sich vielleicht noch – gesetz-
lich verankert. Die Kommunen fühlten sich damals näm-
lich vom Bund finanziell vollkommen im Stich gelassen.

2002 haben wir mit 4 Milliarden Euro in dieser Legis-
laturperiode den Ausbau von Ganztagsschulen angesto-
ßen. Nun wollen wir ab 2005 in Westdeutschland die
magere Quote von 2,7 Prozent Krippenplätzen und
4,5 Prozent Tagespflegestellen für die unter Dreijährigen
bis 2010 auf ein bedarfsgerechtes Niveau anheben und in
Ostdeutschland die gute Betreuungssituation erhalten.

7 Milliarden Euro investiert der Bund damit allein in
dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulen und Betreu-
ung. Wir hätten uns viel Ärger ersparen können, wenn
wir diese 7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten.
Damit hätten wir aber nicht in die Zukunft investiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau das wollen und müssen wir aber tun: in die Zu-
kunft, in unsere Kinder und in deren bestmögliche und
frühe Förderung und Bildung investieren. Wir sind näm-
lich nicht nur Schlusslicht bei der Geburtenrate in
Europa, sondern auch bei Betreuungs-, Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen für Kinder. Die bisherige Ge-
setzeslage reichte offensichtlich nicht aus, um einen be-
darfsgerechten Ausbau zu gewährleisten.

Mit dem TAG konkretisieren wir diesen Bedarf. Wir
orientieren ihn am Kindeswohl und den Vereinbarkeits-
bedürfnissen der Eltern. Dabei handelt es sich um einen
Mindestbedarf, aus dem nicht abgeleitet werden darf,
dass die Kindertagesstättengesetze der ostdeutschen
Bundesländer verschlechtert werden können.

Wir wollen mit dem Gesetz bis 2010 circa
230 000 zusätzliche neue Plätze schaffen. Das Gesetz er-
öffnet den Kommunen die Möglichkeit, die Umsetzung
dieser Pflichtaufgabe – ich betone das – flexibel und am
lokalen Bedarf orientiert vorzunehmen. Sie sind aber zu
einer verbindlichen Ausbauplanung und jährlichen Bi-
lanzierung des Fortschritts verpflichtet.

Aber es geht nicht nur um Quantitäten, sondern vor
allem auch um Qualität. „Betreuung, Bildung und Erzie-
hung“ heißt die Trias, die auch von der OECD begrüßt
werden wird und die jetzt auch für die Kindertagespflege
gilt. Dies wird unter anderem durch bessere Qualifizie-
rung und bessere soziale Absicherung von Tagesmüttern
und Tagesvätern erreicht. Es ist aber nicht Aufgabe des
Bundes, Qualitäts- und Bildungskriterien detailliert zu
regeln. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Das wird
auch in Ihrem Antrag deutlich. Deshalb gehen die Vor-
würfe, das TAG schreibe zu wenig zu Qualität und Bil-
dung vor, ins Leere.

Ich bin im Übrigen dankbar dafür, dass sich in der
Zwischenzeit alle Länder auf vorschulische Bildungs-
ziele verständigt haben und dass unsere nationale Quali-
tätsinitiative mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt
wird. Das ist eine Form von Föderalismus, die funktio-
niert und die den Wünschen der Menschen entspricht:
Der Bund gibt einen verlässlichen Rahmen vor und die
Länder füllen ihn aus, auch im Wettbewerb miteinander.
Deshalb ist es im Interesse der Kinder in ganz Deutsch-
land gut, dass das Kinder- und Jugendhilferecht in der
Zuständigkeit des Bundes liegt. Das muss auch so blei-
ben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bedarf von zusätzlich mindestens 230 000 Plät-
zen soll in dreifacher Weise gedeckt werden: über das
Öffnen der Kindertagesstätten für unter Dreijährige, über
qualifizierte Tagespflege und, wo nötig, über neue Krip-
penplätze. Auf dieser Basis haben wir die Kosten be-
rechnet, und zwar jeweils zugunsten der Kommunen.
Wir haben hohe Kosten pro Krippenplatz zugrunde ge-
legt. Wir haben berücksichtigt, dass unter Dreijährige in
Kitas einen besseren Personalschlüssel brauchen und die
Qualifizierung von Tagesmüttern nicht umsonst zu ha-
ben ist. Wir können unsere Rechnung auf Euro und Cent
belegen.

Beginnend mit 400 Millionen Euro netto im Jahr
2005 entstehen bis zum Jahre 2010 1,5 Milliarden Euro






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Schmidt

Belastung für die Kommunen. Bis heute habe ich zwar
vielfältige Äußerungen des Inhalts gehört, das reiche
nicht, aber keinen einzigen Beleg für höhere Kosten ge-
sehen.


(Ina Lenke [FDP]: Aber auch nicht andersherum!)


– Ich kann das belegen. Ich kann das offen legen. Sie
können mich gern besuchen, Frau Lenke, und ich zeige
Ihnen, was das kostet – bis ins letzte Detail.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ina Lenke [FDP]: Ja, gut!)


Diese 1,5 Milliarden Euro sollen über das Zusam-
menlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe finan-
ziert werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch eine Luftnummer!)


2,5 Milliarden Euro an Einsparungen der Kommunen
werden verbindlich – so steht es im Gesetz – entstehen.
Die Einsparungen kommen bei den Ländern an – das
weiß ich wohl –, aber die haben sich verpflichtet, diese
an die Kommunen weiterzugeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sollen – auch das steht so im Gesetz – für Kinderbe-
treuung und Investitionen eingesetzt werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich habe das Gefühl, da wird so mancher Euro doppelt ausgegeben!)


Für die Erfüllung dieser Pflichtaufgabe der Kommu-
nen – das ist außerhalb jeder finanziellen Verantwortung
des Bundes; vielleicht darf man das noch einmal sagen –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

werden für ganz Westdeutschland in 2005 gerade einmal
– ich habe es eben gesagt – 400 Millionen Euro netto be-
nötigt. Dem stehen Entlastungen der Kommunen im sel-
ben Jahr, 2005 – das ist nachrechenbar –, von 6,6 Mil-
liarden Euro gegenüber, die auf den Bund zurückgehen.
6,6 Milliarden Euro Entlastung!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Das ist doch eine Luftbuchung! Eine absolute Luftbuchung!)


Ich halte noch einmal fest: auf der einen Seite eine Ent-
lastung in Höhe von 6,6 Milliarden Euro, auf der ande-
ren Seite eine Belastung in Höhe von 400 Millionen im
Jahr 2005.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein sozialdemokratischer Kommunalpolitiker nimmt Ihnen das ab!)


Wir müssen deshalb nicht an erster Stelle eine De-
batte über Finanzen, sondern über die Setzung neuer
Prioritäten zugunsten von Kindern und Familien führen.
Diese muss in der Bundesrepublik Deutschland endlich
einmal stattfinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU])


Wir in der Bundesregierung setzen diese Prioritäten und
erwarten dies auch von Ländern und Kommunen. Wir
entlasten die Kommunen im Übrigen über die
2,5 Milliarden Euro hinaus, und zwar dadurch, dass wir
sechs von sieben Vorschlägen des Bundesrates, die vom
Freistaat Bayern und vom Land Nordrhein-Westfalen
kommen, aufgreifen, um Fehlentwicklungen in der Kin-
der- und Jugendhilfe zu beseitigen. Das reicht vom stär-
keren Heranziehen von einkommensstarken Eltern bei
der stationären Unterbringung ihrer Kinder bis zur
Stärkung der Jugendämter. Über deren Köpfe hinweg
dürfen nicht länger Kosten verursacht werden, die sie
dann nur noch begleichen dürfen. Mit diesen Maßnah-
men entlasten wir die Kommunen pro Jahr zusätzlich um
220 Millionen Euro.

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, meine sehr geehr-
ten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem TAG
erfüllen wir nicht alle Wünsche; das weiß ich. Manche
möchten mehr: mehr Bildung, Einbeziehung von noch
mehr oder gar allen Kindern oder einen verbindlichen
Rechtsanspruch. Für andere ist das, was wir vorgesehen
haben, bereits viel zu viel. Ich meine, das TAG stellt eine
realistische und finanzierbare Lösung dar. Das TAG stei-
gert die Quantität und die Qualität von Kinderbetreuung
und der Bund überschreitet mit diesem Gesetz nicht
seine Kompetenzen. Die Zustimmung zu diesem Gesetz-
entwurf in der Gesellschaft ist groß. Sie reicht von den
Kirchen über die Wirtschaftsverbände und den DGB bis
hin zu Wohlfahrtsorganisationen und dem Kinderschutz-
bund, von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürger-
meistern von SPD und CDU bis hin zu Einzelpersonen
wie Gesine Schwan, Rita Süssmuth oder Sandra
Maischberger. Wenn Sie eine Blockadehaltung gegen
dieses Gesetz einnehmen, werden Sie – das prophezeie
ich Ihnen – scheitern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Wer will die denn? – Ina Lenke [FDP]: So ein Quatsch! Keiner will die!)


Wir sollten lieber gemeinsam dafür sorgen, dass dieses
Gesetz zu einem Erfolgsprojekt wird.

Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
men, mit dem Haushalt des Einzelplans 17 wird dafür
gesorgt, dass Kinder- und Familienarmut abnimmt, es zu
mehr Familienfreundlichkeit kommt, die Gleichstellung
von Frauen und Männern gefördert wird und Kindern
mehr Bildungschancen verschafft werden. Es ist ein
Haushalt für die Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300100

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Böhmer, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1512300200

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben soeben gehört, man dürfe bei
Kindern und Jugendlichen nicht sparen. Aber, Frau
Ministerin Schmidt, genau das tun Sie mit diesem Haus-
halt. Ihr familienpolitischer Haushalt sieht für das Jahr
2005 ein Minus von 238 Millionen Euro vor. Das ist die
zentrale Botschaft. Das ist ein Minus von 4,4 Prozent.
Das ist die größte Kürzung bei allen Haushalten im Be-
reich der Bundesregierung. Diese Negativbotschaft geht
von diesem Haushalt aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es kommt ein Zweites hinzu: Ich kann Ihnen nicht er-

sparen, dieses zu erwähnen, auch wenn Sie auf Verbesse-
rungen verweisen, die Familien, die von Sozialhilfe le-
ben, zugute kommen. Die Lage der Familien in
Deutschland hat sich nicht verbessert. Trotz steuerlicher
Verbesserungen geht es den Familien in Deutschland
schlechter. Sie kämpfen täglich darum, wie sie ihre Aus-
gaben bewältigen können, denn die Schieflage ist da.
Die täglichen Ausgaben fressen die steuerlichen Entlas-
tungen auf: die geringere Entfernungspauschale, die hö-
heren Benzinkosten, mehr Ausgaben für Öl, Gas und
Müll. Außerdem hat der rot-rote Senat in Berlin die
Lernmittelfreiheit abgeschafft und die Kindergartenbei-
träge sind in astronomische Höhen gestiegen – bis zu
500 Euro pro Kind! –, was zur Folge hat, dass die Kinder
vom Kindergarten abgemeldet werden. Das ist die Reali-
tät in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine neue Prioritätensetzung für Fa-

milien, wohl wahr; wir brauchen aber die richtige Priori-
tätensetzung. Schauen Sie in die unionsregierten Länder.
Seit Jahren haben wir uns angestrengt und dafür ge-
kämpft, dass der Ausbau der Kinderbetreuung voran-
kommt. In den unionsregierten Ländern finden Sie die
besten Voraussetzungen für die Kinderbetreuung. Aber
ich sage auch ganz klar: Wir brauchen einen weiteren
Ausbau für die unter Dreijährigen und wir brauchen
mehr Ganztagsangebote.


(Elke Ferner [SPD]: Hört! Hört!)

Wir haben hier nichts versäumt. Wir sind in Hessen und
Bayern mit Bildungsplänen vorangegangen. Das ist die
Botschaft der Union.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu dem, was in Ihrem Haushalt real geschieht, Frau

Schmidt. Sie haben eben gesagt, die Kürzungen beim Er-
ziehungsgeld seien die Kürzungen des vergangenen Jah-
res. Aber sie schlagen dieses Jahr für die jungen Fami-
lien voll durch. Die Einkommensgrenzen sind um
40 Prozent gesenkt worden. 40 Prozent weniger! Das
soll Mut machen für Kinder? Die Botschaft geht genau
in die andere Richtung; denn die Familien haben keine
Sicherheit und sie werden sich zögerlich verhalten, wenn
es um die Realisierung des Kinderwunsches geht.

In dieser Situation verkünden Sie uns eine neue Leis-
tung: das Elterngeld; es soll aus dem Dilemma heraus-
führen. Wir haben Ihnen gestern gesagt, wir werden uns
ganz genau anschauen, was dieses Elterngeld bedeutet.
Aber bis heute kennen wir nicht einmal ein Konzept. Sie
haben selbst gesagt, Sie haben das noch nicht einmal
durchgerechnet. Ich sehe in den Reihen der SPD, dass
Sie hart damit ringen; denn Sie müssen sich dann von ei-
nem ehernen Grundsatz der SPD verabschieden, nämlich
dem Grundsatz, dass jedes Kind gleich viel wert ist. Wie
wollen Sie in Ihren eigenen Reihen und wie wollen Sie
in Deutschland vermitteln, dass demnächst nicht mehr
jedes Kind gleich viel wert ist?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei diesem Konzept kommt ein Punkt hinzu. Ich

habe, genau wie Sie, schon in den 80er-Jahren nach
Schweden geschaut. Wir haben beide, wie viele andere
in diesem Raum, genau betrachtet, was in anderen Län-
dern geschieht, um eine bessere Vereinbarkeit von Fami-
lie und Beruf herzustellen. In Schweden dient das El-
terngeld hauptsächlich der Gleichstellung von Mann und
Frau; es ist kein Instrument, um eine Steigerung der Ge-
burtenrate zu erreichen. Die Sprache und die Botschaf-
ten in Schweden sind eindeutig. Aus dem Jahr 2001 gibt
es die Schlagzeile: Schweden sorgt sich um seine Gebur-
tenrate. Es sorgt sich, weil die Geburtenrate von 1990
mit 2,14 Kindern zunächst auf 1,5 Kinder und bis heute
auf 1,3 Kinder – das ist exakt die gleiche wie in
Deutschland – zurückgegangen ist. Und Sie sprechen da-
von, dass das Elterngeld zu einer Steigerung der Gebur-
tenrate führen soll? Ich warne vor einem Irrweg und vor
einem Ansatz, der nicht tragfähig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was Not tut, ist eine klar strukturierte Familienförde-

rung. Wir haben derzeit in Deutschland Ausgaben von
circa 150 Milliarden Euro für 155 Maßnahmen und
39 Stellen im familienpolitischen Bereich. Damit stehen
wir vor einem familienpolitischen Dschungel. Liebe
Frau Ministerin Schmidt, das ist ein Thema, dessen Sie
sich annehmen müssen: Licht in diesen Dschungel zu
bringen, für Transparenz und mehr Gerechtigkeit zu sor-
gen. Das ist es, was Familien in unserem Land brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne Ihnen zwei Wege. Der eine Weg ist: Schaf-

fen Sie Transparenz. Wir wollen von Unionsseite die fa-
milienpolitischen Leistungen in einer Familienkasse
bündeln. Es kann nicht mehr sein, dass nach dem Gieß-
kannenprinzip viel gegeben wird. Wir brauchen eine
zielgerichtete Familienpolitik. Dazu gehört eine fami-
lienfreundliche Steuerpolitik; denn Familien brauchen
mehr Geld in der Tasche und nicht weniger, wie es der-
zeit in Deutschland der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Böhmer

Der zweite Weg wird in Frankreich gegangen. In

Frankreich zahlt nur noch die Hälfte der Haushalte
Lohn- und Einkommensteuer, weil eine klare Entlastung
der Familien mit Kindern existiert. Ab dem dritten Kind
sind die Familien von der Steuer freigestellt.

Mit unserem Steuerkonzept, das neben dem Arbeit-
nehmerrfreibetrag von 1 000 Euro einen Grundfreibetrag
von 8 000 Euro vorsieht, muss eine Familie mit zwei
Kindern bei einem Einkommen bis zu 33 000 Euro
null Euro Steuern zahlen. Das ist die positive Botschaft
für Familien in Deutschland. Es gilt, dieses Konzept um-
zusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich: Es ist

fatal, dass Sie auch bei der Pflegeversicherung einen
falschen Weg eingeschlagen haben. Dadurch wird eine
falsche Botschaft ausgesendet. Durch die Neuregelung
der Pflegeversicherung erfüllen Sie nämlich nicht das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Familien zu ent-
lasten. Sie belasten vielmehr die Kinderlosen. Die Eltern
haben null Euro Vorteil von dieser Regelung und bleiben
auf der gleichen Belastung sitzen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und Sie erhöhen erst einmal die Beiträge für alle!)


Dagegen führt der Kinderbonus, den wir einführen wol-
len, zu einer Entlastung der Familien. Eine Alleinerzie-
hende mit zwei Kindern und einem Einkommen von
1 000 Euro wird zukünftig bei 5 Euro Kinderbonus
null Euro Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. So
muss man es machen: Entlastung der Familien, nicht Be-
lastung der Kinderlosen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Ihre Aktivitäten im Bereich der Gleichstellungspoli-
tik: Fehlanzeige. Auch die Seniorenpolitik – unsere Ge-
sellschaft wird immer älter; das ist eines der drängends-
ten Probleme in unserem Land – tritt auf der Stelle. Vom
Nationalen Aktionsplan zur Bewältigung der demogra-
phischen Herausforderung, dem Kernstück Ihrer Politik
für ältere Menschen, ist nichts zu sehen: Fehlanzeige.
Mit der Diskussion über das Tagesbetreuungsausbauge-
setz blenden Sie derzeit alles andere aus.

Für die Union sage ich klar und deutlich: Wir wollen
den Ausbau der Kinderbetreuung. Wir wollen im
Ganztagsbereich und im schulischen Bereich sowohl mit
der Betreuung der unter 3-jährigen Kinder als auch mit
der Betreuung für alle anderen Kinder vorankommen.
Die Botschaft ist klar: mehr Kinderbetreuung, mehr
Ganztagsplätze und mehr frühkindliche Förderung.


(Zustimmung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es muss auch bezahlbar sein und solide finanziert
werden. Genau da liegt der Fehler in Ihrem Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])

Frau Schmidt, Sie sind zurückgerudert. Sie haben
heute gesagt, es solle 230 000 Betreuungsplätze geben.
Das ist immerhin etwas. Aber Sie hatten ursprünglich
eine 20-prozentige Versorgungsquote eingeplant. Frau
Deligöz hat immer von einem Rechtsanspruch auch für
die unter 3-Jährigen geträumt.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir haben eben noch Träume!)


Das ist durchaus eine mögliche Zielvorstellung. Frau
Deligöz, Sie haben jetzt dieses Gesetz als mutlos be-
zeichnet. Da haben Sie Recht. Nicht nur dieses Gesetz,
sondern die gesamte Familienpolitik dieser Bundesregie-
rung ist mutlos. Wenn in diesem Land Mutlosigkeit aus-
gestrahlt wird, ist die Anzahl der geborenen Kinder nicht
so groß, wie wir uns das wünschen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Hinzu kommt: Der Ausbau soll nicht bis 2006 erfol-
gen, sondern erst bis zum Jahr 2010. Was machen denn
Eltern, deren Kind jetzt geboren wird? Denn bis es die
Betreuungsplätze gibt, ist das Kind schon in der Grund-
schule. Das kann doch nicht die frohe Botschaft sein, die
Sie hier verkünden wollen.

Trotzdem, Frau Schmidt: Wir werden gemeinsam mit
Ihnen dafür kämpfen, dass es mehr Kinderbetreuungs-
plätze gibt und dass es mehr und bessere Bildung gibt.
Der qualitative Aspekt ist durchaus auch für den Bun-
desgesetzgeber wichtig. Ich glaube, da sind wir uns ei-
nig. Aber Sie haben eine Weichenstellung in Ihrem Ge-
setz vorgenommen, die genau im Widerspruch dazu
steht. Wenn Sie sagen, das Kriterium „bedarfsgerecht“
wird festgemacht an der Erwerbstätigkeit der Eltern,
dann halte ich das für falsch. Denn alle Eltern – egal ob
die Mutter oder der Vater erwerbstätig ist – müssen die
Möglichkeit haben, ihr Kind in eine Kita – egal ob in
eine Krippe oder in einen Kindergarten – zu schicken.
Dieser Anspruch kann nicht an der Erwerbstätigkeit der
Eltern festgemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Wir haben in Bayern und Baden-Württemberg die
höchste Frauenerwerbsquote. Dort gibt es mit 1,4 auch
die höchste Geburtenrate. Das hängt auch mit einer gu-
ten wirtschaftlichen Entwicklung und mit einer besseren
Arbeitsmarktsituation zusammen. Die klare Botschaft
ist: Familien brauchen Sicherheit, auch Sicherheit durch
einen Arbeitsplatz. Das bedeutet: Wir müssen Deutsch-
land in puncto wirtschaftlicher Entwicklung wieder
voranbringen und mehr Arbeitsplätze schaffen. Hinzu
kommen müssen dann noch mehr Kinderbetreuungs-
möglichkeiten, eine bessere frühkindliche Erziehung
und eine steuerliche Entlastung. Wir werden auch über
das Elterngeld reden müssen. Vielleicht werden wir dann
in Deutschland eine Wende erreichen.

Wir haben einen Antrag vorgelegt. In diesem Antrag
haben wir deutlich gemacht, wie man Eltern nicht stän-
dig belastet, sondern entlastet. Im Saarland ist man vor
Jahren den Weg gegangen, das dritte Kindergartenjahr






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Böhmer

für Eltern kostenfrei zu stellen. Das ist ein Weg, den ich
mir für ganz Deutschland wünsche.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn damit würden Eltern entlastet und bessere Bedin-
gungen für Familien herbeigeführt.

Mein Fazit lautet: Wir brauchen in der Familienpoli-
tik einen Paradigmenwechsel; Frau Schmidt, Sie haben
Recht. Wir dürfen nicht mehr in dem Gegensatz denken:
entweder bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
durch Ausbau der Kinderbetreuung – wozu selbstver-
ständlich auch die Wirtschaft gehört, die familienfreund-
liche Arbeitsplätze schaffen muss – oder finanzielle För-
derung. Beides muss zugleich geschehen!

Was Familien in unserem Land aber wirklich brau-
chen, ist ein Politikwechsel, ein Wechsel von Rot-Grün
zur Union.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn dort, wo die Union regiert, geht es den Familien
und den Kindern besser. Deshalb brauchen wir auch auf
Bundesebene einen Wechsel.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Da müssen Sie ja selbst lachen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300300

Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-

Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Frau Böhmer, mit Ihrer Rede haben Sie es ge-
schafft, alles schlechtzureden. Ich werde gleich zeigen,
dass das, was Sie im Hinblick auf die Familienpolitik
gesagt haben, falsch war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Einzelplan 17 leistet mit einer Kürzung um
4,4 Prozent seinen Anteil an der Haushaltskonsolidie-
rung; das ist wahr. Dies fällt uns nicht leicht. Aber wenn
Sie sehen, dass bereits 66 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts an Schulden aufgelaufen sind, müssen Sie zuge-
ben, dass es zu diesen Einsparungen keine Alternative
gibt. Das sind wir der nächsten Generation schuldig.

Ich bin froh, Frau Böhmer, dass es im Wesentlichen
keine Leistungskürzungen gibt. Die Einsparungen resul-
tieren – vielleicht haben Sie das gesehen – aus der An-
gleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst und aus
der geringeren Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes
wegen rückläufiger Geburtenzahlen.

Ich sage es noch einmal an die Adresse der CDU/
CSU: Bei der Familienpolitik gibt es keine Abstriche.
Der Bund wendet im Jahr 2005 insgesamt 60 Milliarden
Euro für die Familien auf. 1998 lag dieser Betrag bei
40 Milliarden Euro. Eine Steigerung um 50 Prozent in
sechs Jahren, das kann sich doch wohl sehen lassen! Es
ist sehr durchsichtig, warum Sie das immer schlecht-
reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zu einem Thema, bei dem manchmal un-
terstellt wird, wir duckten uns weg. Ich meine das Thema
„Frauen und die Auswirkungen von Hartz IV“. Wir wis-
sen, dass es bei der Umsetzung Probleme gibt, zum Bei-
spiel durch die verschärfte Anrechnung des Partnerein-
kommens. Viele Frauen werden kein Arbeitslosen-
geld II erhalten. Wir werden aber dafür sorgen, dass auch
für Nichtleistungsempfängerinnen zumindest ein be-
stimmter Anteil am Integrationsbudget festgeschrieben
wird. Ähnliches gilt für Berufsrückkehrerinnen. Deren
Zahl hat sich halbiert. Das dürfen wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die meisten Betroffenen sind hochmotivierte Frauen mit
einer hohen Vermittlungschance. Hier brauchen wir eine
Verpflichtung der Bundesagentur, die auch die Auszah-
lung der ESF-Mittel für den Unterhalt beinhalten sollte.

Es gibt weitere Verbesserungen – auch wenn Sie es
nicht hören wollen –, über die wenig gesprochen wird.
Ein Viertel aller Alleinerziehenden sind heute Sozialhil-
feempfängerinnen und -empfänger. Sie erhalten ab 2005
Arbeitslosengeld II und damit erstmals eine Einbezie-
hung in die Sozialversicherung, ein Recht auf aktive Un-
terstützung bei der Suche nach Arbeit sowie Hilfe bei
der Suche nach einer Kinderbetreuung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und noch etwas, was gar nicht oft genug gesagt wer-
den kann: Jedem jungen Menschen bis zu 25 Jahren
wird ab 2005 verbindlich ein Aus- oder Weiterbildungs-
bzw. ein Arbeitsplatz angeboten. Wann hat es das schon
einmal gegeben? Warum reden Sie das alles eigentlich
klein?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein Wort zur Gleichstellungsbilanz der Bundesregie-
rung; daran hat es ja heftige Kritik des von mir sonst
sehr geschätzten Frauenrats gegeben. Er beklagt, dass
der Anteil der Frauen an den Professuren nur 8 Prozent
beträgt, obwohl die Studienanfänger zu über 50 Prozent
Frauen sind. Auch ich finde das beklagenswert, zumal es
mit einem Anteil von 18 Prozent genügend habilitierte
Frauen gibt. Aufgrund unseres Föderalismus kann der
Bund hier aber nicht regelnd eingreifen; da müssen die
Länder etwas tun.

Dann beklagt der Frauenrat, dass nur jede zehnte Frau
eine Führungsposition bekleidet. Dort, wo der Bund zu-
ständig ist, gibt es aber seit 1998 enorme Verbesserun-
gen. Ich erwähne hier nur die positive Einstellungsbilanz
der Ministerien. Im Auswärtigen Amt sind von den seit
1998 neu Eingestellten 67 Prozent Frauen, im Gesund-
heitsministerium sind es 62 Prozent.






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk

Nach meiner Überzeugung hätte ein Gleichstellungs-

gesetz für die Privatwirtschaft die Situation von
Frauen verbessern können. Die Wirtschaft triumphiert
noch heute, dass sie ein solches Gesetz verhindert hat.
Dies wird die Wirtschaft noch bereuen, ebenso wie sie es
bereut hat, dass sie viele über 50-Jährige ausgemustert
hat. Schon jetzt sieht sie den Schaden und gibt auch zu,
dass ihr die Erfahrung der Älteren fehlt. Es ist eine Ab-
wertung der Leistung älterer Menschen, für die es über-
haupt keine Grundlage gibt. Wenn ich hier in die Runde
schaue, sehe ich viele über 50-Jährige, die, wären sie in
der Wirtschaft, davon betroffen wären. Darum wird es
Zeit für ein arbeitsrechtliches und zivilrechtliches Anti-
diskriminierungsgesetz.

Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr ge-
freut, dass auch der Kanzler in seiner gestrigen Rede
auf die ungeheure Herausforderung durch die alternde
Bevölkerung hingewiesen hat. Hier müssen wir ganz
schnell Konzepte entwickeln, damit es nicht zu dem
von einigen proklamierten Krieg der Generationen
kommt. Dazu brauchen wir eine neue Politik für
ältere Menschen, die auch den Bedürfnissen der akti-
ven 50- bis 80-Jährigen Rechnung trägt. Der Fünfte Al-
tenbericht wird sich mit diesem Thema beschäftigen.

Daneben muss es weitere Verbesserungen in der
Pflege gerade auch für Demenzkranke geben. Ich bin si-
cher, dass der runde Tisch, den die Ministerin eingerich-
tet hat, wertvolle Handlungsempfehlungen geben wird.

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine
große Verantwortung gerade für die Menschen, die auf
unsere Hilfe angewiesen sind. Dieser Verantwortung
werden wir uns stellen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Otto Fricke, FDP-

Fraktion.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1512300500

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! In Bezug auf die Grünen muss ich präzisieren:
Meine lieben Kolleginnen! Männer sind bei dieser De-
batte in Ihrer Fraktion wieder einmal nicht zu sehen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Männer sind zu 90 Prozent in Führungspositionen!)


– Ich weiß, dass Sie damit Probleme haben. Schauen Sie
einmal, wie viele Männer in der liberalen Fraktion sit-
zen, die sich für dieses Thema interessieren.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben es auch nötig!)


Sie verlangen doch immer, dass Männer bei Familienpo-
litik mitreden und sich für sie interessieren. Setzen Sie
dies einmal bei Ihren eigenen Männern durch! Dann
käme es auch nicht zu dieser einseitigen Sicht.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Familienpo-
litik, Seniorenpolitik und Jugendpolitik sind Politikbe-
reiche, die sehr stark mit Emotionen zu tun haben. Hier
haben wir es mit Fragen zu tun, die unser gesamtes Le-
ben betreffen: Wie plane ich mein Leben? Wohin führt
mein Leben? Was sind die Ergebnisse? Hier geht es ganz
entscheidend darum, wie man ein Leben mit Kindern
so hinbekommt, dass man – das steht zwar so nicht in
unserer Verfassung; aber wir alle wollen es – sein per-
sönliches Glück verfolgen kann. Das schafft man nur, in-
dem man in einer Partnerschaft beide dazu führt.

In diesem Zusammenhang komme ich zu dem
Elterngeld, das Sie, Frau Ministerin, mithilfe einer ge-
zielten Öffentlichkeitsarbeit, begleitet von der Industrie
– das ist auch sehr geschickt gemacht –, nach draußen
gebracht haben. Meine Fraktion unterstützt Ihre Absich-
ten. Ob Ihre Fraktion es auch tut, weiß ich noch nicht.
Wenn ich die kritischen Blicke von Herrn Müntefering
sehe, komme ich zu dem Ergebnis, dass Sie hier noch ei-
niges an Arbeit leisten müssen. Wir begrüßen dieses El-
terngeld, weil die von Ihnen erwähnten bildungsnahen
Schichten ein Kapital für alle in unserer Gesellschaft
darstellen. Dabei müssen diese bildungsnahen Schichten
Verantwortung für die gesamte Gesellschaft überneh-
men, was eben auch bedeutet, Kinder zu haben und zu
erziehen. Hier ist es für eine Frau ausschlaggebend, was
passiert, wenn sie sich für Kinder entscheidet. Es geht
also um die Frage, wie man es hinbekommt, dass eine
Frau und ihr Partner in eine Position kommen, in der sie
Kinder nicht als eine Bedrohung ihres gewohnten Le-
bens, sondern als Teil ihres Lebens begreifen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun komme ich aber zu einem Problem, das die Kol-
legin gerade schon angesprochen hat: die Finanzierung.


(Ina Lenke [FDP]: Genau!)

Natürlich können Sie noch nicht genau sagen, wie Sie es
finanzieren. Wenn ich Herrn Diller sinnieren sehe, dann
ist mir schon klar, dass er große Probleme bei der Finan-
zierung sieht. Eines müssen wir aber verhindern: Wir
können keine neuen Versprechungen in einem Bereich
machen, die zwar richtig sind, die wir aber nicht bezah-
len können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn das passiert, gehen wir in die falsche Richtung.

Wenn die zweite Analyse jedoch lautet – das muss
man deutlich sagen –, dass die enormen finanziellen
Leistungen, die von der jetzigen Regierung und vom jet-
zigen System erbracht werden, nicht den erwarteten Ef-
fekt haben, dann werden wir im Zweifel in Zeiten knap-
per Kassen zu dem Schluss kommen, dass bestimmte
direkte Leistungen nicht mehr geeignet sind, die ge-
wünschten Ergebnisse zu erzielen. Welche Maßnahmen






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke

wir dann ergreifen werden, will ich jetzt gar nicht aus-
führen; denn immer dann, wenn man eine Leistung an-
spricht, heißt es sofort, dort wolle man kürzen. Ich will
hier auch niemandem etwas in die Schuhe schieben, aber
wir werden den Bereich nennen müssen, in dem es viel-
leicht wehtun wird.

Lassen Sie mich noch einen Aspekt des Elterngeldes
ansprechen. Wahrscheinlich hat Frau Schewe-Gerigk in
der Zwischenzeit alle Männer ihrer Fraktion angerufen,
damit sie hierher kommen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe alle zusammengerufen! Resen Sie noch etwas länger, damit sie kommen! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die betreuen die Kinder, während wir hier sitzen!)


Im aktuellen Haushalt 2004 wurde die Bemessungs-
grenze, bis zu der Erziehungsgeld geleistet wird, ge-
senkt. Ihr Vorschlag zum Elterngeld weist in eine andere
Richtung. Man muss klar sehen, dass hier ein gewisser
Widerspruch besteht. Ehrlicherweise sollte man auch sa-
gen, dass die Einsparungen im Haushalt 2004 natürlich
fiskalisch bedingt waren und mit nichts anderem zu be-
gründen sind.


(Ina Lenke [FDP]: Herr Fricke, da haben Sie Recht!)


Ich komme nun zu einem Punkt, der das Ministerium
immer betrifft, der aber stets nur am Rande erwähnt wird,
nämlich zum Zivildienst. Hartz IV und die 1-Euro-Jobs
spielen in diesem Bereich eine nicht unwesentliche
Rolle. Es wird immer deutlicher, dass es eine Wehrunge-
rechtigkeit gibt. Ich bitte das Ministerium, genau zu prü-
fen – das ist für meine Fraktion, die die Abschaffung der
Wehrpflicht bzw. die Aussetzung der Wehrpflicht for-
dert, wichtig –, ob nicht die 1- und 2-Euro-Jobs ein An-
satz dazu sind, dass Dienste, die bisher von den Zivil-
dienstleistenden übernommen wurden und die wir uns
sonst gar nicht leisten können, so finanziert werden kön-
nen. Damit könnte die menschlich nahe Betreuung
finanziert werden.

Mein letzter Punkt: Haushälter, gerade die der Oppo-
sition, werden immer dafür kritisiert, dass sie bei der
Öffentlichkeitsarbeit streichen wollen. In zwei Jahren
– da bin ich mir sicher – werden auch Sie, dann in umge-
kehrter Weise, Streichungen bei der Öffentlichkeitsarbeit
fordern.


(Beifall bei der FDP)

Ich will Ihnen auch sagen, warum. Schauen Sie sich ein-
mal an, was es im Internet Schönes zu finden gibt. Ich
habe hier das von der Ministerin aktuell vorgelegte Ge-
setz.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist ein starkes Stück! Sie, Frau Ministerin, tun so, als wenn es das schon gäbe!)


Hier wird so getan, als wäre dieses Gesetz schon be-
schlossen. Derjenige, der sich das im Internet anschaut,
glaubt, das sei schon beschlossen. Die Parlamentarier
sind unwichtig, alles ist schon beschlossen. Ich gebe
aber zu, dass es nicht ganz so ist. Auf der letzten Seite
steht: Das Gesetz soll Anfang 2005 in Kraft treten.

Es wird nie und nimmer – Frau Ministerin, auch Sie
glauben das sicher nicht – so in Kraft treten, wie es in
dieser Broschüre steht. Auch wir wollen das Gesetz,
dazu wird Ihnen aber meine Kollegin Lenke besser als
ich etwas sagen können. Sie dürfen aber nicht das Geld
der Steuerzahler verwenden, um etwas zu verkaufen,
was noch gar nicht existiert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott, das von der FDP!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300600

Ich erteile das Wort der Kollegin Christel Humme,

SPD-Fraktion.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1512300700

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Frau Böhmer, zum sechsten Mal in Folge bringen wir ei-
nen rot-grünen Haushalt ein.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Tatsächlich?)

Ich bin froh, dass wir die Regierungsverantwortung tra-
gen und diesen Haushalt einbringen, weil wir es trotz
leerer Kassen, die wir von Ihnen geerbt haben, und trotz
Haushaltskonsolidierung geschafft haben und schaffen,
zu einer besseren und sozial gerechten Familienpolitik
zu kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Maria Böhmer [CDU/ CSU]: Deshalb geht es den Familien schlechter in unserem Land!)


Der Haushalt 2005 und die Finanzpolitik der letzten
Jahre spiegeln das eindeutig wider.

Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil
wir, Frau Böhmer, den Familien tatsächlich eine solide
finanzielle Grundlage bieten. Die Familien haben heute
im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit rund 3 000 Euro
mehr im Portemonnaie.

Sie, Frau Böhmer, haben den Vergleich mit Frank-
reich angestellt. Ich bitte Sie, dann auch die Zahlen für
Deutschland zu nennen; denn eine Familie zahlt erst ab
einem Einkommen in Höhe von 37 000 Euro Steuern.
Das ist Fakt. Hier müssen Sie ehrlich bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Politik ist sozial gerecht für Familien, weil wir
mit unseren Arbeitsmarktreformen neue Chancen auf
Erwerbsarbeit eröffnen.


(Ina Lenke [FDP]: Was ist mit der hohen Arbeitslosigkeit? – Dr. Maria Böhmer [CDU/ CSU]: Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen!)







(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme

Mit dem Kinderzuschlag – das ist wichtig – unterstüt-
zen wir Familien, die wenig verdienen. Sie erhalten zu-
sätzlich zum Kindergeld monatlich bis zu 140 Euro mehr
pro Kind.

Unsere Politik ist sozial gerecht, weil wir von Bun-
desseite aus Verantwortung übernehmen und in Kinder-
betreuung und Ganztagsschulen investieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Den ersten Schritt haben wir erfolgreich mit dem Pro-
gramm zum Ausbau der Ganztagsschulen, das ein
Volumen von 4 Milliarden Euro hat, gemacht. Über
1 000 zusätzliche Ganztagsschulen meldeten die Länder
seit Beginn unseres Programms. Frau Böhmer, Sie haben
vorhin behauptet, dass die CDU/CSU-regierten Länder
auf diesem Gebiet vorne liegen. Dazu halte ich fest: In
Nordrhein-Westfalen bieten 703 Schulen Ganztagsbe-
treuung an. Mit dem neuen Schuljahr kommen damit
35 000 ganztagsbetreute Schulplätze hinzu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Betreuung am Nachmittag, aber keine Schule!)


In Bayern wurden nicht einmal halb so viele Ganztags-
schulen aufgebaut. Was Sie vorhin gesagt haben, ist da-
her nicht richtig.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Wenn Schule draufsteht, muss auch Schule drin sein!)


Mit unserem Gesetz zum Ausbau der Ganztagsbetreu-
ung unternehmen wir heute den zweiten Schritt. Wir hel-
fen, die Betreuungsangebote für Kinder unter drei
Jahren vor Ort zu verbessern. Familien brauchen und
wünschen finanzielle Entlastung, neue Chancen zur Teil-
habe am Erwerbsleben und den Ausbau von Ganztags-
schulen und Kinderbetreuung. Das verstehen wir unter
moderner Familienpolitik.

Das kann in keiner Weise, so wie Sie es tun, Frau
Böhmer, als Dschungel bezeichnet werden.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Ich rede über die familienpolitischen Leistungen! Da ist der Dschungel!)


Wir haben ein schlüssiges Konzept. Bei Ihnen, meine
Damen und Herren von der Opposition, vermisse ich ein
solches Konzept. Alles, was Ihnen einfällt, ist Populis-
mus. Nichts anders war die Äußerung des Generalsekre-
tärs der CSU, Markus Söder, im Juli, so genannten Ra-
beneltern Sozialhilfe und Kindergeld zu kürzen. Solche
Vorschläge helfen Familien überhaupt nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt in der Regie-
rungsverantwortung sind.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da sind Sie aber allein!)


Unsere Politik ist natürlich auch für Frauen sozial
gerecht. Frauen haben zu Recht den Wunsch nach
gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben. Dafür
schaffen wir die Voraussetzungen, Herr Kampeter. Denn
auch dazu brauchen die Frauen eine Ganztagsbetreuung
für ihre Kinder. Damit sie Familie und Beruf besser ver-
einbaren können, haben wir ihnen bereits am 1. Januar
2001 einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit einge-
räumt. Dieses Gesetz, das im Zusammenhang mit der
Gleichstellungspolitik zu sehen ist, ist Teil eines sehr
schlüssigen Konzepts.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist kontraproduktiv!)

Ein solch schlüssiges Konzept vermisse ich von der

Opposition, Frau Böhmer. Ich gebe zu, dass ich etwas ir-
ritiert bin. Sie verlieren sich in Widersprüchen: Einmal
haben Sie das Familiengeld, dann die Betreuung in den
Vordergrund gestellt. Andere in Ihren Reihen sagen, Be-
treuung sei überhaupt nicht finanzierbar. Heute höre ich
sogar etwas ganz Neues: die Kinderkasse. Alles in al-
lem: Es liegt überhaupt kein Konzept vor, wie das insge-
samt seriös gegenfinanziert werden soll.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Von seriösen Finanzen verstehen Sie überhaupt nichts! – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber kühn! Das ist ja lachhaft!)


Darum bin ich froh, dass wir in der Regierungsverant-
wortung sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Last but not least ist unsere Politik auch sozial gerecht
für Kinder und Jugendliche, weil wir Kindern und Ju-
gendlichen von Anfang an beste Bildungschancen bieten
wollen, und zwar in Krippen, Kindertagesstätten und
Ganztagsschulen. Wenn Kinder und Jugendliche unsere
besondere Unterstützung brauchen, muss sichergestellt
sein, dass die Jugendhilfe vor Ort greifen kann. Das
heute vorgelegte Kinder- und Jugendhilfegesetz ist eine
Weiterentwicklung. Es soll Bewährtes erhalten und Pra-
xiserfahrungen einarbeiten. Wir wollen kein Gesetz, das
einer Jugendhilfe nach Kassenlage Tür und Tor öffnet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bei der Rente haben Sie das schon eingeführt!)


Für die Zukunft ist es darum wichtig, dass das Kin-
der- und Jugendhilfegesetz im Rahmen der föderalen
Neuordnung in der Zuständigkeit des Bundes bleibt. In
diesem Zusammenhang unterstütze ich die Forderung
von Renate Schmidt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendliche brau-
chen von Anfang an Bildung und Chancengleichheit.
Auch hierfür haben wir ein schlüssiges Konzept, das ich
bei Ihnen völlig vermisse. Alles, was Ihnen dazu einfällt,
sind Sparvorschläge nach der Rasenmähermethode.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich glaube, es war Herr Steinbrück, der den Rasenmäher an den Subventionsabbau angesetzt hat!)







(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme

Nichts anderes sind auch die Vorschläge Ihres Kollegen
Stoiber,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war ein gewisser Steinbrück mit einem gewissen Koch!)


den Haushalt pauschal um zusätzlich 5 Prozent zu kür-
zen. Das würde für den Familienhaushalt bedeuten, dass
zusätzliche Kürzungen in Höhe von 230 Millionen Euro
erfolgen müssten.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Bei Familie soll nicht gestrichen werden!)


Wollen Sie das wirklich? Wo wollen Sie streichen?
Selbst wenn Sie alle freiwilligen Leistungen aus dem
Kinder- und Jugendplan streichen würden, hätten Sie
zwar einen Kahlschlag betrieben


(Ina Lenke [FDP]: Die zweitgrößte Streichung aller Haushalte!)


– das ist richtig –, aber noch nicht einmal die Hälfte der
230 Millionen Euro erreicht. Deshalb bin ich froh, dass
wir in der Regierungsverantwortung sind und die ent-
sprechenden Weichenstellungen vornehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Um 4,4 Prozent kürzen! Das ist ja lächerlich! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mit der Wahrheit habt ihr es nicht so, was?)


Unser Tagesbetreuungsausbaugesetz ist ein gutes
Beispiel für sozial gerechte Politik. Damit gehen wir ein
ganzes Problembündel effizient an. Wir verbessern die
Bildungschancen für Kinder und die Erwerbschancen für
Frauen. An dieser Stelle tun wir auch etwas für den Wirt-
schaftsstandort Deutschland.

Folgendes ist wichtig – das sage ich bewusst in Rich-
tung FDP, die an dieser Stelle den entsprechenden An-
trag gestellt hat –:


(Ina Lenke [FDP]: Ja, so ist es!)

An Finanzierungsstreitigkeiten darf dieses Zukunftspro-
jekt nicht scheitern.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie? Das Geld ist jetzt nicht mehr wichtig, oder was soll das heißen? – Ina Lenke [FDP]: Wir streiten uns doch gar nicht!)


– Frau Lenke, mit der Zusammenlegung von Arbeitslo-
senhilfe und Sozialhilfe entlasten wir die Kommunen um
jährlich 2,5 Milliarden Euro.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wenn Sie mit Luftbuchungen arbeiten!)


Ich denke, es ist unser gutes Recht, dass wir uns hier ein-
mischen und von den Kommunen erwarten, in Zukunft
1,5 Milliarden Euro jährlich in Betreuungsangebote für
unter Dreijährige zu investieren;


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ja, aber woher sollen sie denn das Geld nehmen?)

denn der Ausbau der Kinderbetreuung ist unser zentrales
Zukunftsprojekt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wenn Sie denen das Geld geben, werden sie es gerne tun!)


– Hören Sie doch zu, Frau Eichhorn. Ich habe Ihnen ge-
rade gesagt, woher das Geld kommt.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ja, ja! Luftschlösser sind das!)


Jetzt ist es an Ihnen, zu zeigen, wie wichtig Ihnen der
Ausbau der Kinderbetreuungsangebote wirklich ist.
Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu und sorgen Sie
in den von Ihnen geführten Ländern und Kommunen für
seine Umsetzung: zum Wohle der Kinder, der Familien
und unserer Zukunft in Deutschland.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512300800

Ich erteile das Wort der Kollegin Maria Eichhorn,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1512300900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Nach sechs Jahren rot-grüner Familienpolitik
kommt die größte gesellschaftspolitische Online-Um-
frage „Perspektive-Deutschland“ zu dem Ergebnis, dass
nicht nur Familien mit Kindern, sondern alle Befragten
mit der Situation von Familien mit Kindern in
Deutschland sehr unzufrieden sind. 64 Prozent der Be-
fragten fordern, Deutschland endlich familien- und kind-
gerechter zu machen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was heißt das denn?)


Meine Damen Vorrednerinnen, die Wahrnehmung der
Bevölkerung ist also eine ganz andere als die, die Sie
vorhin angeführt haben. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Familienpolitik konzentriert sich bei Rot-Grün seit

Monaten ausschließlich auf die Kinderbetreuung der
Null- bis Dreijährigen. Die Finanzierung haben Sie aber
nicht sichergestellt. Sie bauen diese auf Luftschlösser
aus Hartz IV


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist doch der Gipfel!)


und fordern die Kommunen auf, 1,5 Milliarden Euro in
Betreuungsangebote für Null- bis Dreijährige zu in-
vestieren. Ob, wann und in welcher Höhe die Einsparun-
gen, die den Kommunen versprochen wurden, tatsäch-
lich eintreten, weiß keiner.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mit der Revisionsklausel zeigen sie ja, dass sie selber nicht daran glauben!)







(A) (C)



(B) (D)


Maria Eichhorn

Zudem zeigen die Berechnungen der Spitzenverbände

der Kommunen, dass die von der Bundesregierung kal-
kulierten 1,5 Milliarden Euro für einen qualitätsorien-
tierten Ausbau der Betreuung nicht ausreichen. Die Ent-
lastungen durch das KJHG, die Sie auf Druck der
Kommunen im TAG vorgesehen haben, sind gering. Sie
sind nicht einmal bereit, die gemeinsamen Vorschläge
von Nordrhein-Westfalen und Bayern mitzutragen. Frau
Ministerin, das ist zu wenig.

Die Wahlfreiheit der Eltern hinsichtlich der Verein-
barkeit von Familie und Erwerbstätigkeit hat bei Ih-
nen einen geringen Stellenwert. Der von Ihnen festge-
legte Bedarf an Kinderbetreuungsangeboten orientiert
sich nicht am Wohl des Kindes, sondern an arbeitsmarkt-
politischen Erfordernissen. Sie vermitteln den Eindruck,
dass alle Eltern eine Vollzeiterwerbstätigkeit anstreben
und eine Rundumbetreuung der Null- bis Dreijährigen
wünschen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir auch den Rechtsanspruch auf Teilzeit eingeführt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512301000

Kollegin Eichhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Hagedorn, SPD-Fraktion?


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1512301100

Bitte sehr.


Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1512301200

Sehr geehrte Kollegin Eichhorn, ich hätte eine Frage

an Sie. Im Hinblick auf die Gegenfinanzierung der Kin-
derbetreuung im Rahmen von Hartz IV haben Sie davon
gesprochen, dass das in keinster Weise gesichert sei.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dabei haben wir seit Ende Juni dieses Jahres Einverneh-
men mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen
Städte- und Gemeindebund, die anerkannt haben, dass
ab 2005 pro Jahr 2,5 Milliarden Euro bei den Kommu-
nen verbleiben werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das haben die doch gar nicht bestätigt! Das ist unwahr, Frau Kollegin Hagedorn! Eine Ihrer üblichen Unwahrheiten!)


Das ist durch die Revisionsklausel auch gesichert. Neh-
men Sie dies bitte zur Kenntnis. – Es wäre schön, wenn
Ihre Kollegen mich ausreden lassen würden. – Es ist nur
ein kleiner Bruchteil – wie die Ministerin ausgeführt
hat – der tatsächlich von den Kommunen in die Kinder-
betreuung investiert werden muss.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann kommt die Frage, Frau Kollegin?)


Da Sie ja, wie man an Ihrem Akzent hören kann, eher
aus dem südlichen Teil unseres Landes kommen, fände
ich es sehr schön, wenn Sie Stellung dazu beziehen wür-
den, was Sie von dem Vorschlag von Herrn Stoiber hal-
ten, der die generelle Absenkung des Haushaltes um
5 Prozent gefordert hat.


(Ina Lenke [FDP]: Sie haben doch den Haushalt um 5 Prozent abgesenkt! Das ist doch so! – Gegenrufe von der SPD: Zusätzlich!)


Das würde für den Einzelplan 17 230 Millionen Euro be-
deuten, zusätzlich wohlgemerkt zu Koch/Steinbrück und
allem anderen. Würden Sie dazu Stellung nehmen, was
Ihrer Vorstellung nach im Einzelplan 17 zu streichen sei?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1512301300

Sehr geehrte Frau Hagedorn, zum letzten Punkt kann

ich Ihnen sagen, dass die Kürzungen in Ihrem Haushalt
bei 4,4 Prozent liegen. Wie viel Unterschied ist da zu
5 Prozent? Ich kann Ihnen sagen, dass in Bayern gespart
wird – aber nicht bei den Familien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Gegenteil, das Erziehungsgeld in Bayern bleibt. Zu-
dem ist ein Bildungsplan für die Kindergärten neu er-
stellt worden. Das heißt, Bayern geht gerade in der Fa-
milienpolitik mit einem sehr guten Beispiel voran.
Machen Sie das im Bund nach, dann können wir mitei-
nander diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Halbtagskindergärten!)


Zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses: Ich weiß
nicht, ob wir auf unterschiedlichen Ebenen leben. Wenn
ich mit Vertretern der Kommunen rede, dann sagen sie
mir alle, dass das, was im Vermittlungsausschuss verein-
bart worden ist, gerade einmal der Ausgleich für das ist,
was den Kommunen vorher genommen worden ist.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!)

Von den 1,5 Milliarden Euro, die ihnen jetzt versprochen
worden sind,


(Caren Marks [SPD]: Wer hat denn für die Entlastung der Kommunen gesorgt?)


können sie diese Betreuung nicht finanzieren, denn sie
müssen zunächst einmal die Kosten aus der Zusammen-
legung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe tragen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)

Die Kosten, die durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz
entstehen, sind hier noch nicht gedeckt. Lesen Sie ein-
mal die Stellungnahme der kommunalen Spitzenver-
bände nach, diskutieren Sie mit Oberbürgermeistern und
mit Landräten, dann werden Sie zu der Erkenntnis kom-
men, dass die Finanzierung nicht gesichert ist. Tun Sie
etwas für die Finanzierung!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach den Hauptgründen befragt, warum Eltern auf ein

zweites Kind verzichten, antworten in der bereits zitier-
ten Studie 68 Prozent der Eltern, sie würden deswegen






(A) (C)



(B) (D)


Maria Eichhorn

auf ein zweites Kind verzichten, weil Kinder viel Geld
kosten und sie sich das nicht leisten können, nur
38 Prozent der Eltern gaben an, dass Kinderbetreuungs-
möglichkeiten fehlen.


(Caren Marks [SPD]: Weil sie nicht arbeiten gehen können und die Betreuung fehlt!)


Das Statistische Bundesamt beziffert die Kosten für
ein Kind, von der Geburt bis zum Ende der Ausbildung,
auf rund 220 000 Euro. Nach dem Sechsten Familienbe-
richt decken davon die staatlichen Fördermaßnahmen
etwa ein Viertel ab. Für den Rest müssen die Eltern auf-
kommen. Familien mit zwei Kindern verfügen über die
Hälfte des Einkommens kinderloser Ehepaare. Immer
mehr Kinder und Jugendliche werden zu Sozialhilfe-
empfängern: Im letzten Jahr ist die Anzahl der Kinder,
die von Sozialhilfe abhängig sind, um 6 Prozent gestie-
gen. Trotzdem setzen Sie überwiegend auf Betreuungs-
angebote. Frau Ministerin, Tatsache ist, dass Sie mit den
Kürzungen beim Erziehungsgeld und mit den Plänen zur
Abschaffung der Eigenheimzulage noch mehr Familien
ins Abseits stellen.

Obwohl Sie keine verlässliche Finanzierungsgrund-
lage für die Betreuung der unter Dreijährigen anbieten,
versprechen Sie nun das Elterngeld. Von Finanzierung
keine Spur. Dieses Elterngeld wird aufgrund der hohen
Kosten und auch wegen dessen fehlender Wirksamkeit
und Gerechtigkeit in Ihren eigenen Reihen in Zweifel
gezogen, und zwar nicht nur von den Kabinettskollegen,
sondern auch von der Vorsitzenden des Familienaus-
schusses, Ihrer Fraktionskollegin Kerstin Griese.

Sie wollen die Familienförderung von der Erwerbstä-
tigkeit abhängig machen. Das widerspricht der Wahlfrei-
heit, meine sehr geehrten Damen und Herren von SPD
und Grünen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Be-
ruf und Familie müssen und sollen entsprechend den
Wünschen der Eltern in eine ausgewogene Balance ge-
bracht werden.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wunderbar!)


Deshalb ist ein qualitativer und bedarfsgerechter Ausbau
der Kinderbetreuung notwendig; das wollen auch wir.
Genauso notwendig sind aber auch eine angemessene fi-
nanzielle Förderung, die eine echte Wahlfreiheit ermög-
licht und nicht nur eine bestimmte Schicht von Eltern
fördert, und die Stärkung der Erziehungs- und Eltern-
kompetenz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie es besser gehen kann, macht Frankreich vor.

Der Erfolg der französischen Familienpolitik, die zu ei-
ner durchschnittlichen Geburtenrate von 1,9 führt, liegt
in einer Vielzahl von Maßnahmen und Instrumenten zur
Unterstützung der Familien.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganztagsbetreuung ab sechs Monate!)


In Deutschland werden meist nur die Betreuungsmög-
lichkeiten genannt, die natürlich auch in Frankreich ein
Teil der Familienpolitik sind. Hinzu kommen aber – und
das ist besonders wichtig – eine Reihe von steuerlichen
Entlastungen von Familien und die gezielte finanzielle
Förderung französischer Familien. Deswegen ist der Er-
folg der französischen Familienpolitik so groß.

Nach einer Studie des BAT-Freizeit-Forschungsinsti-
tuts ist die Familie die umfangreichste und beständigste
Zukunftsvorsorge. Die Familie vermittelt Werte, bietet
ein verlässliches soziales Netz und fördert die Lebens-
qualität für alte und junge Menschen sowie die Stabilität
der Beziehungen und Bindungen zwischen den Genera-
tionen.

Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Zur
Bewältigung dieser vor uns liegenden Aufgaben benöti-
gen wir leistungsbereite und starke junge Menschen,
aber auch erfahrene Ältere.

Die Jugendarbeitslosigkeit und das Problem fehlender
Ausbildungsplätze sind Ihnen völlig aus dem Ruder ge-
laufen. Ihre Programme „JUMP“ und „JUMP Plus“ blie-
ben ohne Erfolg,


(Caren Marks [SPD]: Das gibt es doch gar nicht!)


weil Sie damit keinen Einstieg in eine reguläre sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung oder in eine Ausbil-
dung geboten haben. Eine Anhörung unserer Fraktion
mit Experten und betroffenen Jugendlichen hat gezeigt,
dass Sie die falschen Rezepte haben. Statt qualifizierte
Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche zu
schaffen, haben Sie die Unternehmen und die Jugendli-
chen durch Ihre Debatte um eine Ausbildungsplatzab-
gabe verunsichert und viel Zeit verloren.

Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Berufsbildungsno-
velle vorgelegt, durch die es den Betrieben erleichtert
wird, Ausbildungsplätze zu schaffen. Durch sie erhalten
junge Menschen wieder mehr Chancen auf dem Ausbil-
dungs- und auf dem Arbeitsmarkt. Sie hat vor allem jene
Jugendliche im Blick, die mehr praktisch begabt sind.
Auch an diese Jugendlichen müssen wir denken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Absolute Stiefkinder Ihrer Politik sind der Jugend-
schutz und der Jugendmedienschutz.


(Kerstin Griese [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Nach den Ereignissen von Erfurt haben wir das Jugend-
schutzgesetz in der letzten Legislaturperiode hopplahopp
geändert. Bereits damals haben Ihnen die Experten ge-
sagt, dass diese Änderung nicht helfen wird, die Gewalt
an den Schulen einzudämmen. Leider hat sich diese Ein-
schätzung als richtig erwiesen. Hätten Sie unsere Vor-
schläge angenommen, dann könnte es heute etwas an-
ders aussehen.

Ein ganz trauriges Kapitel ist der Zivildienst. Dabei
haben Sie vor einem Jahr Entspannung angekündigt.
Wenn Sie aber so weitermachen, werden Sie den Zivil-
dienst kaputtsparen, bis er sich letztlich überhaupt nicht
mehr lohnt.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist doch Absicht!)

Das ist die Wahrheit und wohl auch Ihre Absicht.






(A) (C)



(B) (D)


Maria Eichhorn

Schon lange warten wir auf einen Vorschlag zum Auf-

bau von Freiwilligendiensten zur Förderung der ehren-
amtlichen generationenübergreifenden Arbeit. Das soll
jetzt endlich kommen. Sehen Sie sich an, welche Vorlage
wir während unserer Regierungszeit mit den Senioren-
büros erbracht haben. Bauen Sie darauf auf, dann haben
Sie eine gute Grundlage!


(Christel Humme [SPD]: Wenn das alles war, dann war das nicht viel!)


Lebensqualität ist nicht nur Erholung, Freizeit und
Ruhestand, sondern vor allem das Gefühl, gebraucht zu
werden. Wenn wir wissen, dass heute nur noch 39 Pro-
zent der erwerbsfähigen Menschen zwischen 55 und
64 Jahren in Arbeit sind, dann frage ich Sie: Was tun Sie,
um ältere Arbeitnehmer wieder in Arbeit zu bringen?


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir dem Norbert Blüm mit seinem Frühverrentungsprogramm zu verdanken!)


Wer heute über 50 Jahre alt und arbeitslos ist, hat kaum
noch Chancen, wieder eine Stelle zu bekommen. Sie ha-
ben keine Konzepte, um diesen älteren Arbeitnehmern
Perspektiven zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dringender Handlungsbedarf besteht auch im Bereich

der Altenpflege. Bei der Novellierung des Heimgesetzes
hatten wir Ihnen schon prophezeit, dass es zu einer er-
heblichen Bürokratisierung kommen wird. Das ist jetzt
eingetreten. Frau Ministerin, Sie müssen etwas tun, da-
mit wieder mehr Zeit für die Pflege bleibt und die Zeit
der Pflegekräfte nicht mit Dokumentations- und Verwal-
tungsaufgaben in Anspruch genommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frauenpolitik? – Fehlanzeige! Sie haben schon lange das
Antidiskriminierungsgesetz angekündigt. Aber wo bleibt
es denn? Darauf haben Sie keine Antwort.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut Ding braucht Weile!)


Frau Ministerin, Ihre Halbzeitbilanz ist sehr dürftig.
Der Etat Ihres Haushalts weist die stärksten Kürzungen
unter allen Ministerien auf. Ihr Haushalt bietet keinerlei
Zukunftsperspektiven.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Sehr gute Rede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512301400

Ich erteile das Wort Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die

Grünen.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512301500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach den Reden der CDU/CSU-Fraktion ist man schon
ein bisschen verwundert: Der Bundesrat befasst sich
demnächst auf Ihren Antrag hin zum dritten oder vierten
Male mit Kürzungsmaßnahmen in der Jugendhilfe und
hier tun Sie so, als ob Sie das Rad neu erfinden würden,
und setzen sich vehement für die Kinderbetreuung ein.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Wir machen es doch sogar! Wir machen es!)


Ich frage mich: Wo bleiben denn Ihre Anträge im Bun-
desrat, wo Sie die Mehrheit haben, für mehr Kinderbe-
treuung und den Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo sind Ihre Ansätze und Gestaltungsvorschläge?

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht im Bundesrat!)

– Aber im Bundesrat haben Sie die Mehrheit. Dort haben
Sie sehr wohl die Möglichkeit, Ihre Vorschläge einzu-
bringen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ihre Kürzungsvorschläge bringen Sie auch in den Bundesrat ein!)


– Ja, Frau Kressl hat völlig Recht.
Hier wurde mehrfach Bayern als positives Beispiel

angeführt. Ich komme aus Bayern und bekomme durch-
aus mit, wie die Kinderläden, Kindergärten, Elternver-
eine und -verbände um jeden Cent zittern.


(Nina Hauer [SPD]: Wie in Hessen!)

Dort wird Folgendes gemacht: Da die Geburtenziffer zu-
rückgeht, wird in absehbarer Zeit von sinkenden Ausga-
ben ausgegangen.


(Ina Lenke [FDP]: Damit rechnen Sie doch auch!)


Daher wird innerhalb der nächsten zehn Jahre bei der
Kinderbetreuung mit einer Kürzung von 9 000 Stellen
gerechnet.


(Ina Lenke [FDP]: Sie argumentieren doch genauso!)


Das ist eine verlogene und doppelzüngige Politik. Das
ist CSU und nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Zentrum unseres Gesetzes steht die Kinderbetreu-
ung und der Ausbau der Infrastruktur, wie wir es seit An-
fang dieser Wahlperiode angekündigt haben.


(Ina Lenke [FDP]: Seit 1998 versprechen Sie das schon!)


Dieses Gesetz haben wir gemacht, weil sich insbeson-
dere die heute CDU/CSU-regierten Länder und auch
viele Kommunen geweigert haben, diese Aufgabe zu er-
füllen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben eine etwas schräge Wahrnehmung der Wirklichkeit!)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz

Diese Aufgabe, die schon im KJHG steht, ist nicht neu,
aber passiert ist nichts. Schauen Sie sich einmal die Quo-
ten an. Weil nichts passiert ist, ist es notwendig gewor-
den, dass wir genauere Kriterien formulieren, die Sie
wiederum angreifen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sechs Jahre ist nichts passiert!)


Weil nichts passiert ist, fordere ich für die Grünen, dass
wir die Rechte der Eltern stärken. Wenn wir Eltern ein
einklagbares Recht geben wollen, dann hat das nichts
damit zu tun, dass ich der Ministerin nicht traue; das
möchte ich dazusagen. Ich vertraue ihr voll und ganz.
Sie kämpft in dieser Sache wirklich. Ich traue Ihnen und
Ihren Bürgermeistern vor Ort nicht, die nach wie vor die
Meinung vertreten, das Beste für das Kind ist, wenn die
Mutter zu Hause bleibt und die Hausfrauenrolle über-
nimmt.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal in unsere Städte!)


Das ist Ihre Politik. Deshalb fordere ich die Stärkung der
Elternrechte, aus keinem anderen Grund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Maria Böhmer [CDU/ CSU]: Sie müssen mal den SPD-Ländern Beine machen!)


Wir reden über ein Gesetz, von dem wir keine Wun-
der erwarten. Wir haben eine Zeitschiene und müssen
natürlich bedenken, dass die Kommunen in einer
schwierigen Lage sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat sie in die gebracht?)


Wir reden aber auch darüber, dass die Kinderzahlen in
Deutschland zurückgehen, Kapazitäten frei werden und
diese Kapazitäten wieder zugunsten der Eltern und ihrer
Kinder genutzt und keine Mittel eingespart werden sol-
len. Darum geht es letztendlich, auch wenn wir über die
Kindertagespflege reden. Es geht ferner darum, in ländli-
chen Gebieten den Frauen Gleichberechtigungschancen
zu bieten, damit sie wieder erwerbstätig werden können.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Völlig richtig!)


Ich verstehe nicht, was die Kritik soll, dass wir mit der
Reform nur auf die Gleichberechtigung abzielen. Was
denn sonst, meine Damen und Herren? Genau das ist es,
was wir machen müssen. Gleichberechtigung von Mann
und Frau durchzusetzen, das ist unsere Aufgabe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Diskussion über den Ausbau der Tagesbetreu-
ung findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Schwie-
rigkeit ist auch, dass über uns wie ein Damoklesschwert
die Forderung von den CDU/CSU-regierten Ländern
schwebt, das Kinder- und Jugendhilfegesetz von der
Bundeszuständigkeit in die Länderzuständigkeit zu über-
führen. Unsere Befürchtung ist, dass es dann zu starken
Einschnitten zulasten der Kinder kommen wird. Unsere
Befürchtung ist, dass genau diese Menschen, die wir ver-
teidigen, auch die Jugendlichen, die Sie anscheinend
ebenfalls verteidigen wollen, die Opfer dieser Änderung
sein werden. Deshalb ist unsere Forderung: Das Kinder-
und Jugendhilfegesetz muss in der Zuständigkeit des
Bundes bleiben.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Völlig richtig!)


Die Debatte über die Kinderbetreuung zeigt, wie Recht
wir damit haben, diese Forderung weiterhin aufrechtzu-
erhalten und dafür auch im Bundesrat zu kämpfen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann überzeugen Sie den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Steinbrück davon! Der ist anderer Meinung!)


Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512301600

Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Frak-

tion.

Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1512301700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Humme, ich möchte zu Ihnen und zu Ihrem Schwer-
punkt soziale Gerechtigkeit kommen. Wir wissen alle:
Im Osten haben wir eine gute Kinderbetreuung, aber
eine hohe Arbeitslosigkeit, im Westen haben wir wenig
Betreuung und weniger Arbeitslosigkeit. Frau Humme,
Sie als SPD-Kollegin sprechen von sozialer Gerechtig-
keit; ich spreche als Liberale von sozialer Gerechtigkeit.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die kennt die FDP doch gar nicht!)


Wo bleibt die denn bei 4,3 Millionen Arbeitslosen? Das
ist heute hier überhaupt kein Thema. Wir sollten uns ein-
mal um die Arbeitslosigkeit kümmern. Das gehört ge-
nauso in den Einzelplan 17.


(Beifall bei der FDP – Christel Humme [SPD]: Vorschläge bitte!)


Nach sechs Jahren Regierungszeit hat die Bundesre-
gierung endlich das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf
den Weg gebracht. Die FDP hat bereits sehr viele, sehr
konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Kinderbe-
treuung gemacht. Denken Sie an unseren Antrag zur
Verbesserung der Bedingungen für Tagesmütter oder un-
seren Vorschlag, die Kinderbetreuung durch mehr Markt
und Wettbewerb zu verbessern. Die Altersvorsorge für
Tagesmütter und andere „Beipackprobleme“ haben Sie
leider in diesem Gesetz nicht gründlich genug ange-
packt. Davon steht nichts drin.

Nun zu Ihrem TAG-Entwurf und dem FDP-Antrag
„Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kin-
derbetreuungsangeboten für unter Dreijährige“. Die FDP
hat im Deutschen Bundestag wiederholt den bedarfsge-
rechten Ausbau von Betreuungsplätzen und eine Quali-






(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke

tätsoffensive von der Bundesregierung gefordert. Jetzt
endlich, nach den Wahlversprechen von 1998 und nach
den Wahlversprechen von 2002, haben Sie begonnen.
Ich finde es sehr diskriminierend und volkswirtschaftlich
verheerend, wenn gut ausgebildete Frauen und an Fami-
lienarbeit interessierte Väter heute immer noch keine
Chance haben, Erwerbs- und Familienarbeit miteinander
zu verbinden.

Ein Pluspunkt, Frau Ministerin, in Ihrem Gesetz ist,
dass qualifizierte Tagesmütter jetzt Krippen und Kitas
gleichgestellt werden. Das ist sehr schön. Ich freue mich
darüber, dass Sie sich dazu durchgerungen haben. Ich
kann für meine Fraktion sagen, dass es uns freut, dass
gerade der beharrliche Hinweis der Liberalen auf die
misslichen Rahmenbedingungen von Tagesmüttern jetzt
von der Bundesregierung aufgegriffen wurde.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was mich auch freut, sind die Verbesserungen hin-
sichtlich der Familienkrankenversicherung und Unfall-
versicherung für Tagesmütter. Die sind gut und das müs-
sen wir zugeben. Das mache ich auch gerne. Die FDP
hat sich, wie die Bundesregierung auch, für bundesweite
pädagogische Mindeststandards eingesetzt.

Wir müssen aber auch im Ausschuss über Weiteres dis-
kutieren. Das Versprechen aus der Koalitionsvereinba-
rung von 2002, nachfrageorientierte Finanzierungsinstru-
mente zu prüfen, wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst.
Auch hier gibt es liberale Konzepte: Bildungsgutscheine
oder Pro-Kopf-Zuweisungen, damit gezielt Kinder und
nicht Einrichtungen gefördert werden. Darüber müssen
wir im Ausschuss reden. Durch mehr Markt und mehr
Wettbewerb entstehen mehr Qualität und höhere Flexibi-
lität. Deshalb muss neben kommunalen und freien Trä-
gern auch die privatwirtschaftliche Kinderbetreuung in
die Förderung mit einbezogen werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, alles, aber auch alles hängt
– trotz Ihrer blumigen Reden – am seidenen Faden der
Finanzierung. Die Bundesregierung will aus den Ein-
sparungen bei Hartz IV das alles finanzieren. Die Kom-
munen stellen die Berechnungen der Bundesregierung
zu Recht infrage – als Kommunalpolitikerin kann ich Ih-
nen das hier sagen. Obwohl die Ministerin, der Bundes-
kanzler und Sie als rot-grüne Fraktionskollegen landauf,
landab mehr Kinderbetreuung versprechen, haben Sie
heute mit dem Entwurf des TAG keine Finanzierung
mitgeliefert.


(Christel Humme [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Lügen!)


Das ist die mangelnde Qualität dieses Gesetzentwurfes.

(Zuruf von der SPD: Herr Hirche kürzt den Fi nanzausgleich um 240 Millionen Euro!)

– Herr Kollege aus Niedersachsen, Sie müssen sich et-
was besser informieren.
Wir haben einen Antrag mit zwei Forderungen vorge-
legt. Erstens: Legen Sie ein solides und von Hartz IV un-
abhängiges Finanzierungskonzept vor! Zweitens: Veran-
kern Sie dabei das Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“!


(Zuruf von der SPD: Sie kürzen doch den kommunalen Finanzausgleich in Niedersachsen, niemand anderes!)


Denn es kann nicht sein, dass die Bundesregierung den
Kommunen mehr Gesetze und Kosten aufdrückt und sie
bei der Finanzierung im Regen stehen lässt.


(Beifall bei der FDP – Christel Humme [SPD]: Unglaublich!)


Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wir sind uns sicher einig, dass die-
ser Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung bera-
ten werden muss. Die FDP will die Kinderbetreuung mit
bundesweiten Standards. Die FDP will für Frauen und
Männer mehr Chancen für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Der wirkliche Pferdefuß von Hartz IV ist die
Finanzierung: Keiner weiß, woher das Geld kommen
soll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512301800

Ich erteile das Wort der Kollegin Caren Marks, SPD-

Fraktion.

Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1512301900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Reden der Opposition haben eines immer
wieder deutlich gemacht: Reden und Handeln liegen bei
Ihnen sehr weit auseinander.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie verdrehen Tatsachen, Sie operieren mit falschen
Zahlen – Frau Böhmer –


(Ina Lenke [FDP]: Stimmt doch überhaupt nicht!)


und Sie haben keine Konzepte vorzuweisen. Sowohl für
die CDU/CSU als auch für die FDP trifft dies ganz deut-
lich zu.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist doch Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Anfang

kommt es an. Der Ausbau der Betreuung für Kinder
unter drei Jahren ist eines der wichtigsten gesellschaftli-
chen Reformprojekte unserer Regierung in dieser Legis-
laturperiode. Vorrangiges Ziel des Tagesbetreuungsaus-
baugesetzes ist die Erziehung und Entwicklung eines
jeden Kindes zu einer eigenverantwortlichen und ge-
meinschaftsfähigen Persönlichkeit. Wir, die Bundesre-
gierung und die Fraktionen der SPD und der Grünen,
orientieren uns zuerst am Wohl des Kindes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks

Diesbezüglich unterstützen und ergänzen wir auch die
elterliche Erziehungskompetenz. Sie wird keineswegs
ersetzt, wie von der Opposition immer wieder gern be-
hauptet.

Bis 2010 ist schrittweise ein bedarfsgerechtes Betreu-
ungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen und
der westeuropäische Standard endlich zu erreichen. Ins-
besondere in Westdeutschland besteht hier ein extremes
Defizit. Wir, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, nehmen das nicht hin. Wir handeln. Beim Ausbau
der Betreuungsplätze setzen wir auf ein differenziertes
Angebot: in guter Qualität, zeitlich flexibel, bezahlbar
und vielfältig. Durch die Formulierung von Bedarfskrite-
rien konkretisieren wir in dem Gesetz die bereits beste-
hende Pflichtaufgabe der Kommunen, ein bedarfsgerech-
tes Angebot vorzuhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Lenke, die Verdoppelung der Zahl der Betreu-

ungsplätze in Westdeutschland bis 2006, das heißt die
Schaffung von circa 60 000 Plätzen, ist ein realistisches
Ziel und mit 400 Millionen Euro keine finanzielle Über-
forderung der Kommunen, die im Zuge von Hartz IV ein
zugesichertes Einsparvolumen von 2,5 Milliarden Euro
pro Jahr haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gute Kinderbetreuung und frühe Förderung ermögli-
chen Kindern – unabhängig von ihrer sozialen Her-
kunft – echte Chancengleichheit in Bildung und Erzie-
hung. Die dringend benötigte Bildungsreform muss im
Kleinkindalter beginnen und nicht erst mit der Hoch-
schulausbildung; denn dann ist es für viele bereits zu
spät und dann sind Entwicklungschancen bereits vertan.
Mit unserem Ansatz leisten wir einen wesentlichen Bei-
trag zur Stärkung der Innovationsfähigkeit unseres Lan-
des; denn, wie bereits gesagt, auf den Anfang kommt es
uns an.

Wissenschaftlich ist belegt, dass sich gerade bei den
Kleinkindern jeder eingesetzte Euro überdurchschnitt-
lich rentiert. Motivierte und gut ausgebildete Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter sind ein Gewinn für jede Firma.
Das Potenzial gut ausgebildeter junger Frauen und Män-
ner ist gleichermaßen zu nutzen. Kinderbetreuung und
frühe Förderung sind ein Standortvorteil, und zwar so-
wohl im kommunalen als auch im internationalen Ver-
gleich. Das bedeutet Wirtschaftswachstum. Das ist ak-
tive Wirtschaftspolitik, Frau Lenke. Meine Damen und
Herren von der Opposition, im Gegensatz zu Ihnen hat
die Wirtschaft das bereits begriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Dagegen haben wir nichts!)


Ganztagsbetreuung bedeutet aber auch, Eltern bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen und
ihnen bei ihrer Lebensplanung wirkliche Wahlmöglich-
keiten zu verschaffen. Das Armutsrisiko von Familien
wird verringert und die eigenständige Lebensführung
von Müttern wird so erst ermöglicht. Auch Frau Kolle-
gin Böhmer von der CDU/CSU stellte vor kurzem fest,
dass ein besserer Ausbau der Kinderbetreuung vorrangig
vor finanziellen Anreizen sei, um eine höhere Geburten-
rate zu erreichen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Bitte?)

Ich begrüße diesen Sinneswandel ausdrücklich, Frau
Böhmer. Unser Paradigmenwechsel – weg von einer mo-
netären Familienpolitik hin zu einer Familienpolitik
besserer Infrastrukturen – ist nicht nur der richtige
Weg, sondern findet auch breite gesellschaftliche Unter-
stützung.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserer Ministerin
Renate Schmidt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die durch die Initiativen „Allianz für Familie“ und „Lo-
kale Bündnisse für Familie“ unterschiedliche Partner aus
Wirtschaft, von Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften,
Kirchen, freien Wohlfahrtsträgern und aus der Politik
mit wirklich großem Erfolg zusammenführt. Erfolgrei-
che Familienpolitik braucht breit angelegte Unterstüt-
zung. Die Rahmenbedingungen für Familien werden so
erst vielfältig optimiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Ausbau einer qualifizierten Tagesbetreuung für
Kinder ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirt-
schaft und Gesellschaft. Das Wohl der Kinder muss uns
am Herzen liegen. Doch damit ist es nicht getan. Wir
müssen vielmehr bereit sein, in die Zukunft unseres Lan-
des, also in unsere Kinder, zu investieren. Kinder mit
verpassten Chancen werden kein Verständnis dafür ha-
ben, wenn wir einen verträglichen Subventionsabbau
zuungunsten von Lobbyisten scheuen. Das Bestehen auf
nicht mehr zeitgemäßen Subventionen wie der Eigen-
heimzulage würde notwendige Investitionen in Bildung,
Betreuung und Erziehung einschränken bzw. blockieren.


(Ina Lenke [FDP]: Die Grünen wollen die Grundsteuer erhöhen! Das ist abenteuerlich!)


Die Oppositionsfraktionen rufen zwar häufig und gerne
nach Subventionsabbau, knicken aber immer wieder vor
Interessenverbänden ein.


(Zurufe von der CDU/CSU: Kohle!)

Ich wünschte mir, dass die Fürsprache für Kinder in den
Reihen der Opposition stärker ausgeprägt wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das bedeutende Reformprojekt der Bundesregierung
und der Fraktionen von SPD und Grünen


(Ina Lenke [FDP]: Sie sollten unsere Anträge einmal gut durchlesen!)


– Frau Lenke, hören Sie zu; dann verstehen vielleicht
auch Sie es –, der Ausbau von Betreuungsangeboten so-
wie die Investitionen in Bildung, Betreuung und Erzie-
hung sind von großer gesamtgesellschaftlicher Rele-
vanz. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu






(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks

verzichten. Meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, wir haben Konzepte für die Zukunft unseres Lan-
des. Wir gestalten die Zukunft sozial gerecht, familien-
freundlich und innovativ.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512302000

Nun hat Kollege Walter Link, CDU/CSU-Fraktion,

das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1512302100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier

im Deutschen Bundestag! Frau Bundesministerin Renate
Schmidt, Sie haben sich in diesem Jahr gegenüber Ihrer
Haushaltsrede des letzten Jahres gesteigert; denn damals
hatten Sie für die Seniorenpolitik nur einen Halbsatz;
heute waren es mehrere Halbsätze.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte Sie bitten, das in Zukunft ein bisschen erns-
ter zu nehmen.

Wann immer in der deutschen Seniorenpolitik über
gute Ideen diskutiert wird, sagen Sie, Frau Schmidt: Das
ist schon in der Pipeline. – Irgendwann muss aus dieser
Pipeline einmal etwas herauskommen, auch in der Senio-
renpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


So hat die von mir geleitete Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“ bereits vor zwei Jahren
konkrete Vorschläge zur Reformierung der Seniorenpoli-
tik in Deutschland gemacht, unter anderem zusammen
mit Herrn Rürup. Obwohl unsere Empfehlungen weit-
gehend im fraktionsübergreifenden Konsens mit der
deutschen Wissenschaft beschlossen wurden, ist ihre
Umsetzung bisher – jedenfalls bei Ihnen in der Bundes-
regierung – auf der Strecke geblieben.

So ist das groß angekündigte Rentenreformprogramm
von SPD und Grünen nur halbherzig darangegangen, die
Lebensarbeitszeit zu verlängern. Weitere langfristig
wirksame Reformen, die unser Land wieder zukunftsfä-
hig machen sollten, sind – ebenfalls nach großartigen
Ankündigungen – für die kommenden zwei Jahre bis
2006 ausgesetzt worden. Jeder fragt, warum.

Frau Ministerin, ich will dabei Ihre Aktivitäten – auch
heute Morgen – nicht schlechtreden. Auch wir in der
Union sind für einen runden Tisch zur Verbesserung der
Pflegequalität und für den Abbau der Bürokratie; denn
das ist im Sinne der deutschen Seniorinnen und Senio-
ren. In den nächsten Jahren wird das Erwerbspersonen-
potenzial stark abnehmen. Wenn wir es nicht schaffen,
die – das ist heute Morgen schon ein paar Mal angespro-
chen worden – gegenwärtig 45- bis 55-Jährigen im Be-
rufsleben zu halten, werden wir in zehn Jahren massive
Probleme bekommen. Lebenslanges Lernen sollte nicht
nur als Schlagwort gebraucht, sondern auch aktiv betrie-
ben und gefördert werden.

Außerdem fehlt es an Modellen eines veränderten
Übergangs von der Erwerbsarbeit in den dritten Lebens-
abschnitt. Von solchen Modellen hat man nichts gehört.
Während bei uns eine Erwerbsquote von 41,5 Prozent
bei über 55-Jährigen besteht, haben wir in Japan erfah-
ren – fraktionsübergreifend sind wir mit dem Ausschuss
dort gewesen –, wie mit differenzierten Modellen eine
Erwerbsquote von über 80 Prozent möglich ist. Frau
Kollegin, vielleicht können Sie das in die Regierungs-
koalition einmal einbringen. Die hohe Quote dort liegt
an speziellen Arbeitsförderungsprogrammen der Japaner
für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mehr
Flexibilität und Abstimmung auf individuelle Leistungs-
fähigkeit der älteren Menschen sind gefragt.

Die Wirtschafts- und Haushaltspolitik von Rot-Grün
war in den letzten Jahren aber so miserabel, dass jetzt
kein Geld für wichtige, zukunftsorientierte Projekte vor-
handen ist. Ihre Politik beschränkt sich nur noch auf
Flickschusterei am Sozialsystem. Frau Ministerin, Sie
können nicht sagen: Ich bin nicht für alles zuständig. Die
Zuständigkeiten müssen mit den anderen Ministerien ge-
klärt werden. Da Sie nicht in der Lage waren, eine zu-
kunftsfähige Reform zu beschließen, fehlt Geld in der
Rentenkasse. Das Zumuten von Nullrunden ist keine
Art, wie man Menschen behandeln sollte.

Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland ist
60 Jahre und älter. Erfreulicherweise sind die meisten äl-
teren Menschen noch fit und gesund. Die veränderten
demographischen Vorzeichen zwingen uns zum Um-
denken. Sie trauen sich offensichtlich nicht zu, unsere
Sozialsysteme nachhaltig und zukunftsfähig umzugestal-
ten. Die Solidarität zwischen den Generationen ist
extrem wichtig und muss im Rahmen einer Pflegereform
gefördert werden.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Etwas mehr Dynamik!)


Im Ausschuss haben wir uns gerade gemeinsam, also
fraktionsübergreifend, mit dem vierten Altenbericht be-
fasst, der eine gute Aufarbeitung des Lebens älterer
Menschen darstellt. Ich will durchaus einräumen, dass
dieser Altenbericht viele gute Ansätze hat. Wir haben
auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorge-
legt.

Frau Ministerin, Sie machen genau das Gegenteil von
dem, was notwendig ist, zum Beispiel dadurch, dass Ihr
Ministerium aus der Förderung des Deutschen Zen-
trums für Alternsforschung in Heidelberg zum Jahres-
ende aussteigt. Das las ich dieser Tage in der Zeitung.
Warum wird dieser Weltruf genießende Lehrstuhl von
Frau Professor Lehr in diesem Jahr finanziell kaputtge-
macht? Ich weiß, dass die Förderung des Zentrums in
Berlin aufgestockt werden soll. Über diese Frage, Frau
Ministerin, müssen wir uns im Ausschuss unterhalten;
das will ich nicht heute Morgen hier im Parlament vor-
tragen. Das ist ein Skandal. Die Forschung wird kaltge-
stellt.






(A) (C)



(B) (D)


Walter Link (Diepholz)



(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel)


– Frau Staatssekretärin, das machen wir im Ausschuss
zum Thema.

Frau Ministerin, Sie haben mit Frau Süssmuth, Frau
Lehr und Frau Merkel große Vorgängerinnen gehabt, die
als Frauen in der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung sa-
ßen, sich durchsetzen konnten


(Lachen der Abg. Kerstin Griese [SPD])

und in den letzten Jahren dieser Regierung Pflöcke ein-
geschlagen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512302200

Kollege Link, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Niebel von der FDP-Fraktion?

Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1512302300

Herr Präsident, Sie haben mir ständig Minuten abge-

zogen, aber ich gestatte, Herr Kollege, wenn Sie es kurz
machen.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512302400

Vielen Dank, Herr Kollege. Die Zwischenfrage wird

nicht auf die Redezeit angerechnet. Ich will es aber trotz-
dem kurz machen.

Ich möchte Ihre Ausführungen zum Zentrum für Al-
ternsforschung in Heidelberg aufgreifen. Stimmen Sie
mir darin zu, dass die Masse der Kompetenz in der deut-
schen Alternsforschung in diesem Heidelberger Zentrum
angesiedelt ist und dass es politisch unverantwortlich ist,
bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in der
Bundesrepublik Deutschland die Mittel gerade in diesem
wichtigen Forschungsbereich zu kürzen?


Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1512302500

Herr Kollege, ich habe es der Frau Ministerin gerade

sehr deutlich, glaube ich, gesagt. Das wird Thema bei
uns im Ausschuss sein. Sie sind herzlich dazu eingela-
den.

Zwar erhalten Sie, Frau Ministerin, oftmals die
öffentliche Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers,
aber aus unserer Sicht kann das auch eine Bedrohung
sein. Seniorenpolitik spielt bei Rot-Grün und der amtie-
renden Bundesregierung nur noch eine untergeordnete
Rolle. Wir in der Union wollen eine zeitgemäße, an den
individuellen Bedürfnissen der älteren Generation aus-
gerichtete und zukunftsorientierte Seniorenpolitik. Wann
immer Sie, Frau Schmidt, die machen und nicht nur an-
kündigen, haben Sie unsere Unterstützung. Vor allem
wollen wir – ich wiederhole das – eine massive Qualifi-
zierung älterer Arbeitnehmer.

Ich widerspreche Ihnen auch nicht. Sie tragen oft
sympathisch vor – wie heute Morgen; überhaupt keine
Frage – und wenn man mit Ihnen irgendwo in der Dis-
kussion ist, ist das auch unwahrscheinlich nett. Der gute
Wille ist bei Ihnen da – überhaupt keine Frage –, aber
Sie gehören einer Regierung an, die nicht in der Lage ist,
das umzusetzen, was Sie tagtäglich verbreiten. So eine
Politik haben die Seniorinnen und Senioren, die unser
Land aufgebaut und zum Blühen gebracht haben, nicht
verdient. Darum werden wir alles daransetzen, dass die
Regierungsbank im Jahr 2006 anders besetzt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512302600

Für eine Kurzintervention erteile ich Kollegin

Christel Riemann-Hanewinckel das Wort.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1512302700

Herr Präsident! Lieber Kollege Walter Link, Sie wis-

sen sehr genau, denke ich, dass die Förderung für das
DZFA in Heidelberg nicht etwa deshalb verändert wer-
den soll, weil wir die Forschung nicht schätzen oder weil
wir wegen der Begründerin, Frau Lehr, etwas gegen die-
ses Institut haben; im Gegenteil. Sie kennen den Vor-
gang. Sie kennen den Briefwechsel. Sie wissen ganz ge-
nau, dass es nicht darum geht, bei diesem Institut die
Inhalte zu kritisieren. Der Bundesrechnungshof hat sehr
deutlich gemacht, dass unser Ministerium nicht mehrere
solcher Institute parallel fördern kann.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Billige Ausrede!)


– Augenblick! Ich bin noch nicht fertig.
Sie wissen mit Sicherheit auch, dass verschiedenste

Kolleginnen und Kollegen daraufhin hier im Parlament
nachgefragt haben und klare und deutliche Antworten
bekommen haben. Sie wissen ferner, dass es Vereinba-
rungen mit dem Bundesland gibt, nach denen der Teil
der Förderung, der vonseiten des Bundesministeriums
schrittweise abgebaut wird, vom Land übernommen
werden soll, weil sehr deutlich ist, dass der größte Teil
der inhaltlichen Arbeit nicht auf Bundesinteresse hin
ausgerichtet ist. Deshalb soll vor allem das jeweilige
Bundesland – das gilt auch für andere Institute, nicht nur
für das DZFA – in die Förderung einsteigen.

Die Abschmelzung der Förderung geschieht auch
nicht von jetzt auf gleich, sondern ist über Jahre hinweg
geplant. Es gibt dazu entsprechende Vereinbarungen
zwischen dem Bundesministerium und dem zuständigen
Landesministerium. Deshalb finde ich es unfair, wenn
Sie das hier so darstellen, als würden wir dieses Zentrum
aus inhaltlichen Gründen nicht mehr finanzieren wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512302800

Kollege Link, Sie haben das Wort.


Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1512302900

Frau Staatssekretärin, wir kennen uns viel zu lange zu

gut. So wissen Sie, dass auch ich die Prozesse, die hier-
bei im Ministerium abgelaufen sind, sehr genau kenne.
Ich möchte sie aber jetzt nicht hier im Parlament und da-






(A) (C)



(B) (D)


Walter Link (Diepholz)


mit in der Öffentlichkeit darlegen. Das machen wir im
Ausschuss. Tatsache ist, dass das Land Baden-Württem-
berg in den vergangenen Jahren – Jahrzehnten beinahe –
wesentlich mehr finanziert hat als das Land Berlin. Sa-
gen Sie bitte nicht, ich hätte etwas gegen Berlin; ich war
ein Befürworter des Berlin-Umzugs. Jetzt wird hier in
Berlin mehr Geld in diese Sache hineingesteckt, als man
in Baden-Württemberg benötigen würde. Auf diese
Weise wird dort ein weltweit anerkanntes Institut kaputt-
gemacht. Das ist überhaupt keine Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512303000

Das Wort hat nun Kollegin Jutta Dümpe-Krüger,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, dieser

Haushalt steht unter Sparzwang; alles andere wäre
traumhaft. Unsere Aufgabe wird es sein, die vorhande-
nen Mittel möglichst sozial, gerecht, effektiv und zu-
kunftsweisend einzusetzen. Zwei Bereiche möchte ich
hier besonders hervorheben: die Freiwilligendienste und
die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus.

Den Freiwilligendiensten wird der Bund auch im
kommenden Jahr die Mittel anteilig zur Verfügung stel-
len, die sie zur Finanzierung ihrer Plätze benötigen. Wir
von Rot-Grün werden darüber hinaus unser Ziel verfol-
gen, die Freiwilligendienste auszubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextre-
mismus in Deutschland müssen verstetigt werden. Dass
wir hier – auch in Anbetracht der aktuellen Lage – nicht
nachlassen dürfen, hat mein SPD-Kollege Edathy vor-
gestern in einer, wie ich fand, sehr eindrucksvollen Rede
zum Einzelplan 06 deutlich gemacht.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und des Abg. Otto Fricke [FDP])


Ich kann – das ist auch in seinem Sinn – die Union nur
warnen: Lassen Sie diesmal Ihre gewohnten Anträge, die
Mittel zu streichen, wirklich in der Schublade; denn da
gehören sie hin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, mit dem TAG greift die
Koalition auch Neuregelungen zum KJHG auf. Wir wol-
len ein starkes Kinder- und Jugendhilfegesetz, und zwar
deswegen, weil es ein sattes Pfund und eine Investition
in die Zukunft unserer Kinder ist. Als positive Ände-
rungsbeispiele möchte ich hier die Anpassung der Kin-
der- und Jugendhilfestatistik ebenso wie die Stärkung
der Steuerungskompetenz der örtlichen Jugendämter
nennen. Über die im Kabinettsentwurf gewählte Defini-
tion des § 35 a, der Eingliederungshilfen für Kinder und
Jugendliche mit seelischen Behinderungen, werden wir
uns im parlamentarischen Verfahren aber noch unterhal-
ten müssen. Ich bin der Ansicht, dass wir an der jetzigen
Formulierung des § 35 a festhalten müssen, der der Be-
hindertenbegriff der WHO zugrunde liegt. Dafür gibt es
gute Argumente:

Wenn Kinder und Jugendliche einen Hilfebedarf ha-
ben und ihnen dann nicht schnellstmöglich geholfen
wird, wäre das nicht nur ein schwerer Schlag für die Be-
troffenen, es wäre auch schädlich für den präventiven
Charakter der Jugendhilfe. Denn das würde ja bedeuten,
dass die Gefahr besteht, dass sich eine Behinderung erst
manifestieren müsste, bevor professionelle Hilfe ein-
setzt. Das, denke ich, kann keiner von uns wollen.

Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union, die Sie leider immer nur auf die finanzielle Seite
schielen


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


– das ist einfach so; das konnte man heute Morgen auch
beim Zuhören feststellen –, lassen Sie mich sagen: Es
entstünde ein Mehrfaches an Kosten. Nach Experten-
schätzung müssten wir für jeden Euro, den wir bei sol-
chen Dingen einsparen, in demselben Ressort 2 bis
3 Euro ausgeben, um die Schäden, die wir angerichtet
haben, wieder gutzumachen, und das nicht erst, wenn
wir alle in Rente sind, meine Damen und Herren, son-
dern vermutlich im Laufe von höchstens zehn Jahren.
Ich denke, wir sollten uns das wirklich gut überlegen.
Das muss Ihnen klar werden und muss auch bei den
Kämmerern vor Ort endlich einmal ankommen: Kinder-
und Jugendhilfe erbringen keine Luxusleistungen, son-
dern das absolute Unverzichtbare.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt natürlich Vorschläge, wie man die Qualität
des KJHG beibehalten oder sogar noch steigern und
trotzdem die Kommunen entlasten kann. Zukunftswei-
send wäre es zum Beispiel, wenn wir die Bereiche Qua-
lifizierung von Pflegestellen und das Verfahren bei der
Kostenerstattung, das sich vereinfachen ließe, einmal
unter die Lupe nehmen würden. Hier könnten wir einer-
seits eine echte Qualitätsverbesserung erreichen und an-
dererseits die Kommunen finanziell entlasten.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich
geworden: Jede Änderung des KJHG muss sorgfältig,
zielführend und nach fachlichen Gesichtspunkten abge-
wogen werden. Mir wird allerdings ganz anders, wenn
ich sehe, was die unionsgeführten Länder über den Bun-
desrat da schon wieder ausgebrütet haben. Das kom-
plette TAG wird infrage gestellt; Sie fordern Eingliede-
rungshilfen für junge Menschen nur noch vor dem
18. Lebensjahr, die Verlagerung der Aufsichtspflicht für
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – wahr-
scheinlich damit künftig jeder die Fachaufsicht über sich
selbst führt – und dergleichen Unsinn mehr.

Da kann man Ihnen wirklich nur sagen: Das ist eine
völlig unfachliche Reise als Elefant durch den KJHG-
Porzellanladen. Damit tragen Sie ein wirklich dickes






(A) (C)



(B) (D)


Jutta Dümpe-Krüger

Ding auf dem Rücken unserer Kinder und Jugendlichen
aus. Lernen Sie endlich, dass es uns allen in erster Linie
darum gehen muss, junge Menschen in ihrer individuel-
len und sozialen Entwicklung zu fördern!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hören Sie endlich damit auf, die Zukunft unserer Kinder
immer nur in schönen Sonntagsreden spazieren zu füh-
ren; das nützt nichts. Beweisen Sie endlich einmal Ihre
Alltagstauglichkeit!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512303100

Ich erteile das Wort Kollegin Antje Tillmann, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1512303200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, es ist schon ge-
schickt, die Diskussion über das TAG zeitgleich mit den
Haushaltsberatungen hier ins Haus einzuführen. Das
täuscht darüber hinweg, dass die Finanzierung dieses
Gesetzes in Ihrem Etat jedenfalls nicht zu finden ist. Der
Hinweis, dass das verfassungsrechtlich nicht möglich
sei, hat jedenfalls Ihrer Kollegin Bulmahn bisher nicht
imponiert. Sie hat Ihnen mit dem Ganztagsschulpro-
gramm vorgemacht, wie eine Idee des Bundes sehr wohl
im Bundeshaushalt etatisiert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist auch ausgesprochen geschickt, das Elterngeld
ausgerechnet jetzt in der Presse zu lancieren, obwohl
dieser Vorschlag Ihnen schon im Oktober letzten Jahres
von Herrn Professor Rürup in einem Projekt vorstellt
wurde. Zum damaligen Zeitpunkt waren Sie aber gerade
damit beschäftigt, das Erziehungsgeld abzuschaffen


(Christel Humme [SPD]: Bitte?)

bzw. die Grenzen zu senken. Deshalb haben Sie seiner-
zeit den Vorschlag zum Elterngeld von Professor Rürup
in der gemeinsamen Presseerklärung einfach verschwie-
gen. Jetzt passt es Ihnen in den Kram, denn jetzt müssen
Sie es nicht finanzieren; im Haushalt findet sich dazu je-
denfalls kein einziger Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

All das soll darüber hinwegtäuschen, dass Ihr Etat auf

dem Papier um 4,4 Prozent gekürzt wurde;

(Ina Lenke [FDP]: Richtig!)


das ist die größte Kürzung nach dem Bauetat. Rechnet
man auch noch die Mittel für den Kinderzuschlag he-
raus, der, obwohl Sie das immer wieder behaupten, keine
zusätzliche Leistung für die Familien ist – lesen Sie nur
die Begründung zum Gesetz; ganz überwiegend ist es
einfach ein Ausgleich für Sozialhilfe –, kommt man auf
eine Kürzung des Familienetats von über 10 Prozent. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass das zu Ihren großen Plä-
nen der Familienförderung passt, die Sie im Moment in
der Presse verkünden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese ganz massiven Einsparungen begründen Sie

großzügig mit Koch/Steinbrück. Die Mittel für den
Zivildienst sollen um 85 Millionen Euro gekürzt werden
und Sie entblöden sich nicht, zu behaupten, das sei ein
Ergebnis des Koch/Steinbrück-Papiers. Interessanter-
weise taucht der Zivildienst in diesem Papier überhaupt
nicht auf. Aber das Koch/Steinbrück-Papier wird ja zur
großen Entschuldigung für alle Einsparmaßnahmen die-
ser Regierung. Seien Sie gewiss: Wir werden Sie jeweils
darauf hinweisen, wenn Sie da die Unwahrheit sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Und wann fangen Sie mit der Wahrheit an?)


Nun ist es schon schlimm genug, dass Sie den Zivil-
dienst zusammenstreichen. Aber noch schlimmer ist,
dass Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken,
der Zivildienst könne durch Freiwilligendienste ersetzt
werden. In einer Vorversion des Berichtes der Kommis-
sion „Impulse für die Zivilgesellschaft“, in der Sie erklä-
ren lassen, dass die Freiwilligendienste die Lücken fül-
len, sagt Ihr Haus – ich zitiere –:

… selbst wenn eine Gesetzgebungskompetenz des
Bundes für neue … Freiwilligendienste bejaht wer-
den könnte, … läge doch die Finanzierungsverant-
wortung auf Seiten der Länder …

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


In der Endfassung dieses Berichtes steht das nicht mehr.
Selbst wenn ich unterstelle, dass es sich hierbei nicht um
Absicht handelt, denke ich doch, dass es Ihnen sehr gele-
gen kommt, wenn alle Träger der Freiwilligendienste
darauf warten, dass der Bund die Freiwilligendienste mit
finanziert. So richtig ehrlich ist das nicht. Sie machen
Geschäfte zulasten Dritter, wie schon beim TAG und bei
den Jugendprogrammen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Pfui!)


Ich kann nur alle Beteiligten davor warnen, zu glau-
ben, dass der Bund ein flächendeckendes Netz an Frei-
willigendiensten finanzieren könnte. Gerade in diesem
Haushalt 2005 werden nämlich die Mittel für Freiwilli-
gendienste und Ehrenämter wieder um fast 1 Million
Euro gekürzt.

Nächstes Beispiel: Kinder- und Jugendplan. Hier
betragen die Kürzungen 5,6 Millionen Euro. Ich sage
ganz offen: Das ist ausnahmsweise einmal tatsächlich
auf Koch/Steinbrück zurückzuführen. Diese Einsparung
tragen wir dem Grunde nach mit. Interessant ist den-
noch, welche Schwerpunkte Sie setzen und wie die Ver-
teilung der Mittel aussieht.

Sie haben jedes Jahr neue Ideen, lächeln auf Glanz-
broschüren für neue Programme – ich gebe zu, Sie ma-






(A) (C)



(B) (D)


Antje Tillmann

chen das sehr charmant – und lassen sich für schicke
Projekte feiern, so zum Beispiel bei der Beteiligungsbe-
wegung oder beim Projekt „Wir hier und jetzt“, das frü-
her „Jugend bleibt“ hieß. Wie gesagt, Sie legen Pro-
gramme auf und lassen sich feiern. Aber sobald das
Projekt zu Ende bejubelt ist und die knochenharte Routi-
nearbeit anfängt, verweisen Sie auf die eigentlich zu-
ständigen Kommunen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Liebe Kollegin, das ist Aufgabe der Länder, das ist doch nicht Aufgabe des Bundes! Stoiber will dem Bund doch noch einmal 5 Prozent wegnehmen! Sie müssen sich schon entscheiden! – Caren Marks [SPD]: Haben Sie schon einmal etwas davon gehört, Projekte zu initiieren?)


Das, verehrte Frau Ministerin, ist nicht sehr fair.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten ehrlicherweise die Gelder nehmen, wie ich es
hier im letzten Jahr schon vorgeschlagen habe, und die
Arbeit von den Kommunen und Ländern sofort machen
lassen. Dann kann man auf die Glanzbroschüren ver-
zichten.

Ich nenne als weiteres Beispiel das freiwillige kultu-
relle Jahr. Die Festveranstaltung findet erst im Oktober
statt, aber Sie lassen jetzt schon mitteilen, dass nach die-
ser Festveranstaltung die Mittel für diese Projekte zu-
sammengestrichen werden. Ich bin gespannt, ob die
Staatssekretärin diese Tatsache im Oktober den jungen
Menschen und den Trägern mitteilt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)


Frau Ministerin, im Rahmen von Projektbeteili-
gungsbewegungen werden sehr bizarre Projekte finan-
ziert, unter anderem der 100. Geburtstag der Sozialisti-
schen Jugend. Darüber kann man sich ärgern. Aber ich
sehe eine sehr viel größere Gefahr an dieser Stelle. Sie
gewöhnen einer ganzen Generation von Jugendlichen
an, dass es nicht mehr ein Sinn an sich ist, Kröten zu
schützen, alte Leute zu besuchen oder sich in der Schule
zu engagieren. So richtig schlau ist Engagement nur,
wenn man das passende Förderprogramm dazu findet. In
Deutschland wird „Fußball gegen Rechts“ gespielt und
gebastelt unter dem Motto „Demokratie heute“.


(Kerstin Griese [SPD]: Das sind gute Projekte! Nicht so überheblich!)


Graffitischmierereien werden aus dem Förderprogramm
des Bundes finanziert.

Sie finanzieren Schülervollversammlungen, die an
Tausenden von Schulen ohne weiteres Aufsehen stattfin-
den. Aber wird diese Versammlung „Schülermitbestim-
mung als Open-Space“ genannt, bekommt man dafür
Fördermittel. Meine Generation muss ja bescheuert ge-
wesen sein, all diese ehrenamtlichen Arbeiten gemacht
zu haben, ohne erst nach einem Förderprogramm Aus-
schau zu halten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)

Frau Ministerin, ich halte es für gefährlich, wenn wir
jungen Menschen anerziehen, dass man sich erst nach
Geld umschauen muss, bevor man sich engagiert. Wir
werden jedes einzelne Programm in den Haushaltsbera-
tungen darauf überprüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das ist unglaublich!)


Ich hoffe sehr, dass Sie bei dieser Überprüfung anwe-
send sind.

Ich hätte gerne weniger geschrieen. Aber dazu waren
Sie einfach zu laut.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bravo! Eine sehr gute Rede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512303300

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

Drucksachen 15/3676, 15/3488 und 15/3512 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit.

Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 sowie
Zusatzpunkt 4 auf:

8 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetz-
buch
– Drucksache 15/3674 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermitt-
lung durch marktgerechte Ausgestaltung der
Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen
– Drucksache 15/3513 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirt-

schaft und Arbeit, Wolfgang Clement.

(Beifall bei der SPD)


Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir, einige kurze Bemerkungen zu
dem angekündigten Wechsel von Herrn Staatssekretär
Tacke aus dem von mir zu verantwortenden Ministerium
in die Wirtschaft zu machen, bevor ich über den Haus-
halt spreche. Ich möchte dies tun, weil sein Name ges-
tern in der Debatte gefallen ist und auch in der öffentli-
chen Diskussion eine Rolle spielt.

Erste Bemerkung. Ich sage in aller Klarheit, dass Herr
Tacke zu den Besten innerhalb der Bundesregierung ge-
hört, wenn es um nationale und internationale Wirt-
schaftspolitik geht. Zusammen mit vielen in dem von
mir zu verantwortenden Ministerium bedauere ich sehr,
dass er sich zu diesem Wechsel entschlossen hat.

Zweite Bemerkung. Ich kann gegen einen solchen
Wechsel wenig sagen, weil ich es für richtig halte, dass
zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ein Aus-
tausch stattfindet.

Ich selbst habe das in meinem Leben schon zweimal
praktiziert; es ist nicht immer ganz leicht. Ich glaube,
dass solche Wechsel richtig sind und dass sie gelegent-
lich – wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf –
durchaus mehr Praxis verdienten.

Dritte Bemerkung. Es ist hier ein Zusammenhang mit
der Ministererlaubnis im Fall Eon hergestellt worden.
Diese Entscheidung liegt zwei Jahre zurück. In Diskussio-
nen im Ausschuss, die ich jetzt nicht darstellen kann,
weil sie nicht öffentlich waren, ist, denke ich, deutlich
geworden: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für
einen Zusammenhang zwischen der Ministererlaubnis
zum Fall Eon und dem beabsichtigten Wechsel – er ist ja
noch nicht vollzogen – von Herrn Tacke zum Unterneh-
men Steag. Ich könnte Ihnen das im Einzelnen erläutern.
Ich bitte Sie aber darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es hierfür keinen Anhaltspunkt gibt.

Im Übrigen hat Herr Tacke, wenn die Entscheidung
gefallen ist, die Absicht, um Entlassung aus dem öffent-
lichen Dienst zu bitten. Das heißt, er scheidet ohne Ver-
sorgungsbezüge und ohne rechtliche Beschränkungen
aus. Er bleibt aber der Amtspflicht der Verschwiegenheit
verpflichtet.

Mit diesem Wechsel ist nichts Negatives zu verbin-
den. Er ist ein hochangesehener, integrer Staatssekretär.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und den beab-
sichtigten Wechsel nicht zu zerreden.

Ich möchte nichts zu den Diskussionen um einen
Ehrenkodex oder gesetzliche Regelungen, von denen ich
hier und da gelesen habe, sagen. Selbst Karenzzeiten von
mehr als zwei Jahren sind auch sonst kaum vorgesehen.
Unabhängig davon ist meine herzliche Bitte: Wenn Sie
über solche Fragestellungen diskutieren, was natürlich
jederzeit möglich ist – ich selbst habe solche Diskussio-
nen hinter mir –, sollten Sie dies nicht mit dem Namen
Tacke verbinden. Denn mit diesem Namen lässt sich
kein Vorwurf und noch nicht einmal ein Verdachtsmo-
ment der Befangenheit verbinden.

Meine Damen und Herren, zum Haushalt. Diese De-
batte findet in einer veränderten Lage statt, in einer
Lage, die unseren Kurs bestätigt, die es aber auch erfor-
dert, unseren Kurs mit aller Konsequenz fortzusetzen.
Die seit dem Jahr 2001 anhaltende Phase der wirtschaft-
lichen Stagnation in Deutschland ist definitiv beendet.
Die deutsche Wirtschaft hat sich in der zweiten Jahres-
hälfte 2003 kräftig erholt und im Verlauf dieses Jahres
weiter an Fahrt gewonnen. Das Bruttoinlandsprodukt ist
im Vergleich zum ersten Vierteljahr dieses Jahres im
zweiten Vierteljahr real um 0,5 Prozent und damit um
2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Aktuell sind die Daten noch besser: Die deutsche In-
dustrieproduktion läuft auf Hochtouren und befindet sich
in der Spitze Europas. Das produzierende Gewerbe hat
im Juni/Juli im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozent
zugelegt. Im Vergleich zum Vorjahr stehen 7,7 Prozent
mehr Aufträge in den Büchern der Unternehmen. Und
nicht nur nebenbei bemerkt: In den Büchern der Unter-
nehmen in den neuen Ländern steht ein Plus von
15,3 Prozent.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
sprechen für eine Fortsetzung des Aufschwungs in die-
sem Jahr und darüber hinaus. Nach allem, was wir und
die Experten abschätzen können, wird der Welthandel
weiter wachsen, wenn auch vermutlich nicht mehr mit
dem Schwung der vergangenen Monate, weil der Öl-
preisanstieg die Produktion verteuert, Kaufkraft bei uns
und unseren Handelspartnern abzieht und die Binnen-
nachfrage sowie die Exportdynamik überlastet.

Die Lohnstückkosten werden auch in diesem Jahr vo-
raussichtlich rückläufig sein und damit einen großen
Beitrag zur Verbesserung der preislichen Wettbewerbs-
fähigkeit deutscher Produkte leisten. Die kurz- und die
langfristigen Nominalzinsen sind weiterhin niedrig und
die Kerninflation ist nach wie vor gering.

Das heißt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
in Deutschland sind so gut wie seit Jahren nicht mehr.
Die Geschäftslage wird von den für die Erstellung des
Ifo-Geschäftsklimaindex befragten Unternehmen im Au-
gust zuversichtlicher gesehen. Die Erwartungen haben
sich trotz des Rekordhochs des Ölpreises – dieses Re-
kordhoch scheint inzwischen überwunden – nur gering-
fügig eingetrübt. Die Exporterwartungen der deutschen
Unternehmen sind sehr gut. Ihre Investitionsneigung
nimmt zu. Die Nachfrage bei den Zeitarbeitsfirmen – sie
sind ein Frühindikator der wirtschaftlichen Belebung
und der Belebung auf dem Arbeitsmarkt – steigt.

Das alles spricht dafür, dass die Lage besser ist und
besser wird und dass wir gute Chancen haben, den Auf-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

schwung zu einer Phase längeren, nachhaltigen Wachs-
tums zu verstetigen, um 2005 endlich auch den Durch-
bruch auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen; denn darum
geht es.

Hinter diesem, wie ich es empfinde, sehr erfreulichen
Panorama einer kräftigen Erholung verbirgt sich aller-
dings eine gespaltene Konjunktur. Das Wachstum
speist sich bei uns zurzeit fast ausschließlich aus der
Auslandsnachfrage. Die Warenexporte liegen mittler-
weile um stolze 16,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Die Stützen sind insbesondere die Exporte nach China
mit einem Plus von 27,9 Prozent und nach Russland mit
einem Plus von 18,9 Prozent. Demgegenüber sind der
private Konsum und die Investitionen weiterhin die
Achillesferse der Konjunktur. Wir haben eine schwache
Binnennachfrage. Die Ursachen dafür liegen in den wei-
terhin rückläufigen Bauinvestitionen, darin, dass die
Ausrüstungsinvestitionen noch nicht angesprungen sind,
sowie in einer außerordentlichen Kaufzurückhaltung, ei-
ner Stagnation der privaten Konsumausgaben. Das Fazit
dieser Situation: Wir haben eine hochgradig wettbe-
werbsfähige Exportwirtschaft mit höchstem Produktivi-
tätsniveau, müssen andererseits aber eine immer noch zu
geringe Dynamik auf den Heimatmärkten, also in den
nicht exportorientierten Sektoren, registrieren, auf die
etwa 60 Prozent der Arbeitsplätze im Handel, im Bau, in
den lokalen Diensten, im Hotel- und Gaststättenbereich,
im öffentlichen Dienst, im klassischen Handwerk und in
anderen Bereichen entfallen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Die konjunkturelle Belebung hat deshalb den
Arbeitsmarkt bisher auch nur an den Rändern erreicht.
Dies macht sich bei den Minijobs, bei den Ich-AGs und
bei der Zeitarbeit bemerkbar. Es zeigt sich, dass es rich-
tig war, dass wir auf diesen Gebieten Veränderungen
herbeigeführt haben; hier ist die Belebung spürbar. Im
Kernsegment der Erwerbstätigkeit, der sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung, ist es bisher nur gelun-
gen, den Beschäftigungsabbau zu bremsen und aktuell
fast zu stoppen. Wir stehen also ganz offensichtlich kurz
vor einer Trendumkehr zum Beschäftigungsaufbau; er-
reicht haben wir ihn aber noch nicht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das haben Sie vor einem Jahr auch schon gesagt, Herr Minister!)


– Ich sage Ihnen bei dieser Gelegenheit gleich, dass die
Zahl der Unternehmen im Handwerk aufgrund unserer
Handwerksreform um 16 000 gestiegen ist. Dies zeigt
die Richtigkeit unserer Reformen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt Wirkung erzielen
wollen, dann muss der Exportfunke endlich auch auf die
Binnennachfrage überspringen. Dann werden wir es
auch schaffen, die Menschen in Deutschland, die arbei-
ten können und wollen, in Arbeit zu bringen. Was ist
dazu erforderlich?
Als Erstes brauchen wir mehr Investitionen, meine
Damen und Herren. Dass auch hier das Feuer schon
glimmt, zeigt der jüngste Ifo-Investitionstest, der endlich
einen Anstieg der Investitionen in der Industrie und dem
verarbeitenden Gewerbe von 6 Prozent signalisiert. Jetzt
geht es vor allen Dingen darum – ich unterstreiche, was
der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Franz Müntefering,
gesagt hat –, dass auch die Kommunen auf Grundlage
der erheblichen Verbesserungen der Gemeindefinanzen
– sie werden sich im nächsten Jahr um rund 7 Milliarden
Euro verbessern – von den sich daraus ergebenden Mög-
lichkeiten Gebrauch machen und so viel wie möglich in-
vestieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit kann und wird es gelingen, meine Damen und
Herren, den Investitionsattentismus zu brechen, der un-
ser Land sonst ökonomisch lähmen könnte.

Als Zweites müssen wir die Bremsen lockern. Ich
nenne dafür zwei Beispiele: In den USA wie in Großbri-
tannien spielt ein boomender Häuser- und Immobilien-
markt gesamtwirtschaftlich eine wesentliche Rolle. Er
ist eine Triebfeder des Wachstums. Daran muss man die
Frage anschließen, warum es bei uns nicht so ist: Warum
ist Bauen bei uns so teuer? Warum schaffen wir es noch
nicht, eine konsequente Liberalisierung der Märkte für
Güter und Dienste durchzusetzen? Dies müssen wir etwa
durch Bürokratieabbau auf allen Ebenen – beim Bund,
bei den Ländern sowie bei den Städten und Gemein-
den –, durch eine Vereinfachung des Baurechts und
durch eine Reform des Vergaberechts erreichen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


aus meiner Sicht auch durch eine Reform der Honorar-
ordnung für Architekten und Ingenieure. Die Bremsen
müssen auf allen Ebenen weg: nicht nur im Handwerks-
recht, sondern in vielen Bereichen, in denen wir gesetzli-
che Bremsen eingebaut haben.

Ich füge hinzu – ich sage dies ganz persönlich –, dass
die Bremsen auch weg müssen, wo es um Forschung,
Entwicklung und die Anwendung der Forschungsergeb-
nisse in Deutschland geht. Dies gilt beispielsweise für
die Bio- und Gentechnologie, für die Grüne wie die Rote
Biotechnologie, aber etwa auch dafür, dass wir die
Stammzellenforschung in Deutschland unbegrenzt zu-
lassen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der FDP)


und dass wir auch unter humanen Aspekten über diese
Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse in
Deutschland noch einmal diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der FDP)


Denn wir werden Forschung auf all diesen Sektoren nur
dann erhalten, wenn wir ihre Ergebnisse auch bei uns an-
wenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

Ich sage für mich persönlich: Das gilt unter humanen,
sozialen und ethischen Gesichtspunkten auch für die
Stammzellenforschung.

Es geht um ein Drittes, es geht darum, dass wir die
Steuer- und Abgabenlast in Deutschland weiter verrin-
gern. Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass zum
1. Januar 2005 die nächste Stufe der Steuerreform folgt.
Sie ist und bleibt sicher und es wird dadurch zu einer
Entlastung der Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bür-
ger von 6,8 Milliarden Euro kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb ist es wichtig, den Prozess der Senkung der
Lohnnebenkosten voranzutreiben. Deutschland in Arbeit
zu bringen ist mein Bild. Deutschland in Arbeit zu brin-
gen, muss ein gemeinsames verbindliches Ziel werden.
Das beinhaltet, Verantwortung wahrzunehmen, verant-
wortlich zu handeln und Gruppeninteressen zurückzu-
stellen und zu überwinden.

Die Politik hat gehandelt, jetzt heißt es, dazu im Inte-
resse des Landes zu stehen. Damit ich nicht nur abstrakt
bleibe, sage ich: Die Krankenkassen müssen jetzt die
Chancen, die durch die Gesundheitsreform eröffnet wor-
den sind, nutzen, um die Beiträge, so weit es geht, zu
senken. Wir brauchen das auch im Interesse der Wirt-
schaft. Hier geht es um Gesamtverantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])


In ebensolcher Klarheit sage ich an die Adresse der
Energieversorgungsunternehmen: Wir können in
Deutschland nicht nur über Lohnnebenkosten und die
sozialen Lasten reden, wir müssen auch über alle sonsti-
gen Kosten reden. Dazu gehören in ganz besonderer
Weise die Energiekosten als Schlüsselelement.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage auch von hier aus, dass die Ankündigungen
von Preis- und Tariferhöhungen, die vonseiten der Ener-
gieversorgungsunternehmen vorgenommen worden sind,
auf den ersten Blick alles andere als überzeugend sind.
Sie sind nicht angemessen. Ich appelliere von hier aus an
die Unternehmen, ihrer Verantwortung für die gesamt-
wirtschaftliche, für die gesamtindustrielle Entwicklung
in Deutschland gerecht zu werden, also die angekündig-
ten Tariferhöhungen so nicht vorzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Ökosteuer!)


– Darüber reden wir, Herr Kollege Austermann, in aller
Offenheit und Klarheit.

Die politischen Lasten und Aufgaben, die wir mit den
Energiepreisen verbinden, machen 40 Prozent der Ener-
giepreise aus,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: 70 Prozent!)

aber 60 Prozent sind im Markt gestaltete Preise. Hier
stellen sich die Fragen: Sind die angekündigten Preis-
und Tariferhöhungen in diesem Segment angemessen
oder nicht? Sind sie missbräuchlich? Wenn sie miss-
bräuchlich sind, werden sie entweder so oder mithilfe
des Kartellamtes und später der Regulierungsbehörde
zurückzunehmen sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Ich höre aus

vielen Ländern die Kritik, dass wir keine Ex-ante-
Regulierung in dem Entwurf vorgesehen haben. Wir
werden darüber im Einzelnen noch zu diskutieren haben.
Als jemand, der bereits Wirtschaftsminister in einem
Bundesland war und als solcher auch für die Tarifgeneh-
migungsbehörde für den privaten Stromverbrauch ver-
antwortlich war, weiß ich, dass es dort eine Ex-ante-
Genehmigung gibt. Die Ex-ante-Prüfung durch alle
Wirtschaftsministerien der Länder – von dort höre ich
viele Erwartungen – hat die Strompreisentwicklung in
Deutschland für die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls
an keiner Stelle aufgehalten. Ich warne vor der Vorstel-
lung, dies sei das Heilmittel für alles. Ich plädiere klar
für eine sehr harte, durch nationale und internationale
Preis- und Tarifvergleiche gestützte Missbrauchsaufsicht
durch eine Regulierungsbehörde, die sich bei der Post
und Telekommunikation bewährt hat. Das ist die Regu-
lierungsbehörde in Bonn, sie sollte die Regulierungsauf-
gaben in den Bereichen Strom und Gas ebenfalls über-
nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen eine klare Missbrauchsregelung. Wir

haben es in diesem Sektor mit 1 700 Anbietern zu tun
und die Vorstellung, die Preise ex ante, also im Vor-
hinein, prüfen und regulieren zu wollen, halte ich für
ziemlich anspruchsvoll, um es vorsichtig auszudrücken.
Wir werden zu jeder Zeit darüber diskutieren, aber neh-
men Sie die Erfahrungen zur Kenntnis, die mit dieser
Prüfung bisher erzielt worden sind.

Wichtiger ist mir aber, die Unternehmen in die Ver-
antwortung zu nehmen, damit sie jetzt die angekündig-
ten Preiserhöhungen zurückziehen. Nur so können wir in
eine vernünftige und ruhige Diskussion eintreten, und
zwar auch über die Frage der künftigen Preis- und Tarif-
regulierung.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In meinem Ressort spielen die Arbeitsmarktrefor-
men eine herausragende Rolle. Wir stehen jetzt vor der
Realisierung der wichtigsten Stufe der Arbeitsmarktre-
formen. Sie kennen das: Es geht um Fördern und For-
dern. Es geht um Vermitteln in Arbeit statt Administrie-
ren von Arbeit. Es geht um eine soziale Grundsicherung
statt zweier, unabhängig voneinander nebeneinanderher,
teilweise gegeneinander laufender staatlicher bzw. kom-
munaler Fürsorgesysteme.

Dabei ist klar: Das Gesetz wird keine Arbeitsplätze
schaffen, aber das Gesetz wird wie noch nie in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Bewegung in den Arbeits-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

markt bringen. Die Vorläufer dieser Bewegung kann je-
der und jede bereits jetzt beispielsweise anhand der
Erkenntnisse der Zeitarbeitsfirmen feststellen.

Das Gesetz ist auch notwendig. Ich respektiere die
Demonstrationen, die Proteste, die Kritik, soweit sie sich
im Rahmen des demokratisch Zulässigen bewegen. Ich
sage aber an alle gerichtet, die dort demonstrieren und
kritisieren: Nicht die Reform ist der Skandal. Der Skan-
dal ist die in Deutschland seit Jahr und Tag ständig an-
steigende Langzeitarbeitslosigkeit. Sie ist inzwischen
fast die höchste in Europa. Sie ist die längst dauernde
und sie steigt und steigt. Das ist der eigentliche Skandal,
und das zeigt in aller Deutlichkeit, dass wir den Weg,
den wir bisher gegangen sind, nicht fortsetzen dürfen,
sondern hier zu einer grundlegenden Korrektur kommen
müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP] – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dass Sie sechs Jahre nichts gemacht haben, ist der Grund!)


Die Koalitionsfraktionen werden jetzt gesetzliche
Klärungen herbeiführen. Sie beziehen sich – wie Sie
alle wissen; ich brauche das hier nicht weiter zu erläu-
tern – auf die Auszahlungstermine. Diesbezüglich ist
– entgegen dem Vorschlag, den ich gemacht habe – Klä-
rung hergestellt worden. Sie beziehen sich außerdem auf
den Kinderfreibetrag, der völlig außerhalb der Diskus-
sion steht. Es wird keinerlei bürokratischen Umgang mit
Kindersparbüchern, Kinderausbildungsversicherungen
und Ähnlichem geben. Es wird eine Klärung hinsichtlich
der Vermittlungsgutscheine sowie über die AB-Maßnah-
men geben, um dort zu entbürokratisieren. Bei der Ich-
AG, die ich nach wie vor für richtig halte – die bisheri-
gen Erkenntnisse, auch wenn sie noch nicht umfassend
sind, sprechen dafür, das fortzusetzen, weil es ein ver-
nünftiges Instrument ist –, werden wir im Rahmen der
Gewährung des Arbeitslosengeldes I – denn darum geht
es – eine Tragfähigkeitsprüfung vorsehen.

Zu vielen Einzelfragen brauche ich jetzt keine Stel-
lung zu nehmen, denn über vieles ist diskutiert worden.
Ich glaube, inzwischen ist viel Klarheit hergestellt wor-
den. Die viele – meist berechtigte – Kritik, die an meine
Adresse gerichtet worden ist, und die damit verbundene
heftige Auseinandersetzung haben den Vorteil, dass
rechtzeitig, bevor die Reform in Kraft tritt, alles disku-
tiert worden sein müsste, was zu diskutieren ist.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Hoffentlich!)


Ich habe gestern noch einmal beim Zentralverband
des Deutschen Handwerks die Gelegenheit gehabt, deut-
lich zu machen, dass beispielsweise die öffentlichen Ar-
beitsgelegenheiten weder rechtlich so angelegt noch
sonst dazu angetan sind, Beschäftigungen oder gerade
kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksun-
ternehmen in den Kommunen zu beseitigen oder zu ge-
fährden. Das ist auch von Gesetzes wegen anders vorge-
sehen.
Wir brauchen solche öffentlichen Arbeitsgelegenhei-
ten, weil ab dem 1. Januar 2005 – das wird vielfach gar
nicht gesehen – fast 1 Million Menschen, die bisher So-
zialhilfe bezogen haben, als erwerbsfähig gelten, weil sie
mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten können. Diese
werden in die Arbeitsvermittlung aufgenommen. Jeder
und jede von uns weiß, dass eine Vermittlung in den ers-
ten Arbeitsmarkt nicht auf Anhieb gelingen kann, son-
dern dass wir Einstiegsmöglichkeiten benötigen. Diese
sind sehr unterschiedlich. Das reicht beispielsweise von
Trainingsprogrammen wie Sprachenprogrammen oder
auch Lohnkostenzuschüssen, die mindestens gleichwer-
tig sind, weil sie vielleicht schneller zu einer Vermittlung
in den ersten Arbeitsmarkt führen können, bis hin zu öf-
fentlichen Arbeitsgelegenheiten.

Die örtlichen Arbeitsagenturen entscheiden. Nicht wir
wollen von hier aus entscheiden, wie jemand vermittelt
wird und welche Hilfe er bekommt. Das muss vor Ort
entschieden werden. Das ist auch von allen Seiten gesagt
worden. Das Ziel derer, die vor Ort entscheiden, wird die
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein. Niemand
dort hat den Auftrag, Lohndumping zu betreiben, Men-
schen in möglichst schlecht bezahlte Jobs zu vermitteln,
und niemand dort wird sich so verhalten. Ziel ist der
erste Arbeitsmarkt. Wir brauchen aber Instrumente, um
möglichst viele Menschen dorthin zu führen. Dazu gehö-
ren die öffentlichen Arbeitsgelegenheiten.

Gestern habe ich beim Zentralverband des Deutschen
Handwerks gesagt: Natürlich wird man sich vor Ort
– möglicherweise in Form eines Beirates oder einer
ähnlichen Konstruktion – etwa mit einem Vertreter der
Industrie- und Handelskammer, einem Vertreter der
Handwerkskammer, einem Vertreter der Gewerkschaften
und einem Vertreter der Kommune zusammensetzen, um
über die Einrichtung öffentlicher Arbeitsgelegenheiten
vor Ort zu sprechen und zu verhindern, dass das zulasten
des Handwerks oder der kleinen und mittleren Unterneh-
men geht.


(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Merkel, Sie haben sich gestern die

Chance nicht entgehen lassen, unter anderem über die
Fragebögen zu sprechen. Es ist ja auch zu schön, über
Fragebögen zu sprechen. Dieses Thema hat die Literatur
schon häufig beschäftigt und das wird sicherlich auch
mit diesen Fragebögen geschehen. Dazu will ich zwei
Dinge bemerken: Wie viele antworten, ist regional sehr
unterschiedlich. Neulich war ich in Ludwigshafen. Dort
sind bereits 40 Prozent der Fragebögen eingegangen.
Das schlechteste Ergebnis hat Leipzig. Dort waren es zu-
letzt 4 Prozent.

Die Qualität der beantworteten Fragebögen, die ein-
gehen, ist hervorragend. Die Bearbeitungszeit dieser
Fragebögen beträgt in der Agentur, die dafür eingerichtet
wurde, ein Drittel der geschätzten Arbeitszeit. Es zeigt
sich also, dass gar nicht alles so weit daneben liegt.

Weil ich verschiedene Boykottaufrufe gehört habe
und zur Kenntnis nehmen musste, dass Menschen aufge-
fordert werden, diese Fragebögen nicht auszufüllen,
muss ich in aller Deutlichkeit sagen: Bitte lassen Sie sich






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

von einem solchen Unsinn und von solchen Abwegig-
keiten nicht beeinflussen. Das richte ich an die Adresse
derer, die diese Fragebögen ausfüllen müssen.

Einen Anspruch auf öffentliche Unterstützung kann
man natürlich nur dann bekommen, wenn man diese Fra-
gen beantwortet, die Fragebögen ausfüllt und einen ent-
sprechenden Antrag stellt. Das sage ich in aller Ernsthaf-
tigkeit und in alle Richtungen in der Bundesrepublik,
damit hier kein Irrtum entsteht. Meine Bitte ist, dass
dies, wenn irgend möglich, unterstützt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Merkel, Sie haben gestern das Thema Subven-
tionen im Niedriglohnsektor angesprochen. Ich ver-
stehe Sie immer so – so habe ich auch die Diskussion
mit der Union verstanden –, dass Ihr Vorschlag auf eine
flächendeckende Subvention niedrig entlohnter Jobs hi-
nausläuft. Um das klar zu sagen: Das halte ich für falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Richtig ist: Es werden in Ostdeutschland wie in West-

deutschland Subventionen getätigt, wenn sie sinnvoll
sind: entweder in Form von Lohnkostenzuschüssen oder
als Leistungszulagen, die der einzelne Fallmanager ver-
geben kann und über die er selbst entscheidet. In diesen
Fällen werden diese Zuschüsse gezahlt, damit die Men-
schen nach Möglichkeit in den ersten Arbeitsmarkt ge-
langen. Flächendeckend so zu verfahren, würde aber
eine „Subventionitis“ sein. Es würde zu Lohndumping in
den Unternehmen führen und den Rest hätte der Staat zu
zahlen. Das kann nicht richtig sein. Dieser Kurs, der
beide Nachteile gleichzeitig mit sich bringen würde
– Subventionen in einer unglaublichen Größenordnung
und niedrigstmögliche Löhne –, kann nicht vernünftig
sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema Ostdeutschland möchte ich darauf hin-
weisen, dass genau 41,8 Prozent der Eingliederungsmit-
tel von nahezu 10 Milliarden Euro dorthin fließen wer-
den; nicht weil es sich um Ostdeutschland handelt,
sondern weil die Belastungen auf dem Arbeitsmarkt dort
am größten sind. Frau Merkel, eines möchte ich bei die-
ser Gelegenheit sagen: Sie haben hier eine andere Sicht-
weise. Ich möchte in aller Klarheit sagen: Meine Wahr-
nehmung Ostdeutschlands als jemand, der dort zurzeit
viel lernt, ist eine sehr differenzierte.

Ich kann nur hoffen, dass wir es nach und nach schaf-
fen, nicht mehr in unserem Bild von West- und Ost-
deutschland zu verharren. Wir müssen uns von diesem
Bild lösen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in
den verschiedenen Regionen sehr unterschiedliche Ent-
wicklungen und einen sehr unterschiedlichen Status gibt.

Eine Stadt wie Jena hat einen Arbeitsmarkt wie die
Universitätsstadt Göttingen. Im Umfeld Berlins ist die
Arbeitsmarktsituation besser als beispielsweise in mei-
ner Heimat, dem südlichen – nicht dem nördlichen –
Ruhrgebiet. Ich könnte – Sie kennen das – genauso gut
durch Ostdeutschland gehen und Ihnen zeigen, wo dort
ganz unterschiedliche Entwicklungen stattfinden. Man
sollte das alles nicht auf Dauer zusammenbündeln, als
seien wir wirklich zwei getrennte Etwas.


(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Wenn man zueinander kommen will, dann gehört dazu
ein differenziertes Bild, zu dem wir kommen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Neulich habe ich es gewagt, zu sagen, dass ich gerne
eine an die Adresse junger Leute gerichtete Kampagne
durchführen würde, um sie aufzufordern, entweder nach
Ostdeutschland zurückzukehren oder überhaupt nach
Ostdeutschland zu kommen; denn vielfach sind die Bil-
dungs-, Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen dort
mindestens genauso gut wie im Westen. Aber dort kann
man – im Gegensatz zu den überfüllten Hochschulen in
Westdeutschland – wenigstens noch einen Professor
oder eine Professorin sehen und sie sprechen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512303400

Herr Bundesminister, entschuldigen Sie, dass ich Sie

unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Hinsken?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Gerne, ja.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512303500

Bitte schön, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1512303600

Herr Minister, Sie haben soeben die Lohnkosten-

zuschüsse angesprochen und gesagt, sie seien ein un-
taugliches Mittel.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Bitte?

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1512303700

Sie haben gesagt, sie seien ein untaugliches Mittel,

um der Arbeitslosigkeit vor allen Dingen in struktur-
schwachen Bereichen zu begegnen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Hörtest!)

Daher möchte ich folgende Frage an Sie richten: Ist

Ihnen bewusst, dass gegenwärtig, gerade im grenznahen
Bereich, Tausende von Arbeitsplätzen in die neuen mit-
telosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU abwandern?
Wie sieht Ihre Alternative dazu aus? Wie wollen Sie dem
begegnen? Denn zum Beispiel zwischen Tschechien und
Deutschland besteht ein Lohnunterschied im Verhältnis
von eins zu sechs; zwischen Polen und Deutschland ist
er noch etwas höher. Dem kann doch nur mit neuen Re-
zepturen begegnet werden. Aber in dieser Angelegenheit
habe ich noch nichts von Ihnen gehört. Bisher warte ich
vergebens.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft

und Arbeit:
Herr Kollege Hinsken, zum Ersten: Ich habe nicht

Lohnkostenzuschüsse als untaugliches Mittel bezeich-
net, sondern als taugliches Mittel; sie sind ausdrücklich
vorgesehen bei den Eingliederungsmitteln, eines der
wichtigsten Elemente.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nur bin ich dagegen, sie flächendeckend einzusetzen.

Zum Zweiten: Ich verstehe die Fragestellung, die Sie
haben; es ist eine sehr wichtige. Allerdings ist das Instru-
ment der Lohnkostenzuschüsse aus meiner Sicht nicht
geeignet. Was wir mit den Beitrittsstaaten natürlich dis-
kutieren müssen – aber tunlichst in einem ruhigeren Pro-
zess –, ist, wie dort in Zukunft das Instrumentarium zum
Fördern, durch Strukturfördermittel und beispielsweise
Steuerentlastungen, gehandhabt wird. Zwischen den al-
ten und den neuen Ländern in Deutschland haben wir
das ja auch nach einer Übergangsphase hinbekommen,
nämlich so, dass Übersiedlungen und Standortverlage-
rungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland nur
im Einvernehmen zwischen den Ländern stattfinden.
Man wird das zwischen uns und den Beitrittsländern
jetzt so noch nicht erreichen, aber wir brauchen solche
ruhigen Gespräche, um mit diesem Thema umzugehen.

Dass die Menschen und die Unternehmen in den un-
mittelbaren Grenzregionen in Bayern, insbesondere in
Ostbayern, im Verhältnis zur Tschechischen Republik
zurzeit erhebliche Standortprobleme haben, ist richtig.
Es gibt dazu kein generelles Instrument; ich habe da-
rüber schon viele Diskussionen geführt. Wir brauchen
Diskussionen vor Ort und müssen unter Hinzuziehung
der Kreditwirtschaft, der KfW und all derer, die dazu
beitragen können, dazu kommen, dass wir den Unterneh-
men in diesem Übergang helfen, soweit es geht mit
Strukturfördermitteln und soweit es geht mit ebensol-
chen Instrumenten, wie ich sie angesprochen habe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Entwurf
des Einzelplans 09 für das nächste Haushaltsjahr, über
den ich spreche, sieht Ausgaben in Höhe von 34,3 Mil-
liarden Euro vor. Man muss sehen, dass 85 Prozent der
Ausgaben in unserem Einzelplan Ausgaben für den Ar-
beitsmarkt sind. Ich meine, dass wir da mittelfristig eine
Veränderung erreichen müssen und dass wir diese Inves-
titionen in den Arbeitsmarkt vor allen Dingen durch Ef-
fizienzgewinne sehr rasch zu lohnenden Investitionen
machen müssen. Dann wird sich auch die Struktur des
von mir vertretenen Haushaltes wieder verändern. Der
Schwerpunkt wird – das ist das Ziel – dann nicht mehr
bei den Ausgaben infolge der Arbeitslosigkeit liegen,
sondern bei der zukunftsorientierten Stärkung der
Wachstums- und Innovationskräfte.

Unter dem Strich trägt das Ministerium für Wirtschaft
und Arbeit trotz der notwendigen Investitionen in den
Reformprozess an anderen Stellen erheblich zur Konso-
lidierung des Bundeshaushalts bei, beispielsweise mit
den Erlösen im Zusammenhang mit der vorgesehenen,
noch im Einzelnen zu diskutierenden Übertragung des
ERP-Sondervermögens auf die KfW, beispielsweise
durch den Subventionsabbau im Rahmen der Vorschläge
von Koch/Steinbrück, beispielsweise durch die Reduk-
tion der finanziellen Förderung der Steinkohle. Nicht
zuletzt dank dieser Einsparungen werden wir die Haus-
haltsstruktur verbessern und gezielt Impulse für zu-
kunftsgerichtete und investive Maßnahmen setzen. Der
Schwerpunkt liegt dabei in der Förderung von For-
schungs- und Technologievorhaben und in der Steige-
rung der Innovationskraft kleinerer und mittlerer Unter-
nehmen.

Die Regionalförderung durch die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
wird mit rund 700 Millionen Euro für die neuen Länder
und die Förderregionen in den alten Ländern ausgestat-
tet. Sie wird in den Folgejahren auf diesem Niveau wei-
tergeführt; die Länder erhalten auf diese Weise die ge-
wünschte Planungssicherheit. Mit den komplementären
Landesmitteln und den Mitteln der Europäischen Union
stehen im nächsten Jahr 1,7 Milliarden Euro zur Förde-
rung neuer Investitionen zur Verfügung.

Der Erfolg der Regionalpolitik – damit bin ich noch
einmal bei dem, was Herr Kollege Hinsken angespro-
chen hat – hängt aber nicht nur vom Mittelvolumen ab,
sondern insbesondere auch vom intelligenten Einsatz der
Fördermittel durch die Landesregierungen. Sie haben die
Möglichkeit, zielgenaue Investitionsanreize zu geben
und die Entwicklung von Spitzenstandorten oder von
wirtschaftlichen Clustern, etwa in Ostdeutschland, noch
effizienter zu unterstützen.

Die GA-Förderung ist Teil des Solidarpakts II für die
neuen Länder, der ab 2005 wirksam wird. Er umfasst ein
Volumen von, wie wir schon gehört haben, 156 Milliar-
den Euro, verteilt auf die Jahre bis 2019. Das ist das si-
chere finanzielle Fundament für die Fortsetzung des
Aufbaus Ost. Ich bin überzeugt, dass wir auf diesem
Fundament weiterhin erfolgreich, wenn auch nicht die
Welt von heute auf morgen verändernd, arbeiten. Aber
es verändert sich die Situation in Ostdeutschland. Wer
dies wahrnimmt, ohne geblendet zu sein, mit realisti-
schem Blick, auch gestützt auf Erfahrungen in anderen
Regionen Deutschlands, wird diese Ansicht teilen müs-
sen.

Meine Bitte ist natürlich – ich sage das auch etwas
polemisch, einmal ausnahmsweise an die Adresse von
Herrn Ministerpräsidenten Milbradt: Nicht demonstrie-
ren ist gefragt für einen Ministerpräsidenten, sondern
mitarbeiten vor Ort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mitarbeiten vor Ort – das heißt beispielsweise, dass man
in den Städten und Gemeinden dafür sorgt, dass erstens
die Gelder wirklich dort ankommen, dass zweitens diese
Gelder möglichst investiv eingesetzt werden und dass
drittens die Arbeitsagenturen vor Ort bzw. die Kommu-
nen, falls sie optieren, konkret arbeiten und in Gang
kommen. Es kommt darauf an, dass alle mitmachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

Es geht ja darum, die Menschen in Deutschland in Ar-

beit zu bringen: Deutschland in Arbeit. Das heißt, wir
müssen Erwartungen an all diejenigen richten, die in
Deutschland Verantwortung tragen:

Erstens erwarten wir von den Unternehmen, dass sie
jetzt investieren, dass sie die Standorte sichern anstatt sie
zu verlagern, wenn das aus Kostengründen nicht anders
geboten ist, und dass sie vor allen Dingen etwas für die
Ausbildung tun. Wir müssen das Ausbildungsproblem in
Deutschland lösen und den Ausbildungspakt einlösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin unverändert davon überzeugt, dass das möglich
ist.

Ich werde gleich mit dem Regierenden Bürgermeister
von Berlin in Gesprächen mit Unternehmen wieder für
solche Ausbildungsplätze werben. Es ist möglich und
mit dem Ausbildungspakt ist bei den Industrie- und Han-
delskammern sowie bei den Handwerkskammern schon
Erhebliches erreicht worden. Die Aktivität, die dort ent-
faltet worden ist, ist teilweise sehr beeindruckend.

Die Nachvermittlungsaktion, die zum ersten Mal ge-
regelt und vereinbart wurde, wird am 1. Oktober 2004
beginnen. Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist,
unser Versprechen, das eingehalten werden muss, auch
wirklich einzuhalten: Jeder, der will und kann, muss ei-
nen Ausbildungsplatz, eine andere adäquate Einstiegs-
qualifikation oder Ähnliches erhalten.

Zweitens appelliere ich an die besondere Verantwor-
tung der Energiewirtschaft. Sie ist eine strategische
Branche und hat insbesondere in dieser Phase Einfluss
auf die weitere Entwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland. Deshalb: Nehmen Sie die angekündigten
Preis- und Tariferhöhungen zurück! Davon kann und
sollte jetzt kein Gebrauch gemacht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens appelliere ich an die Banken und an das
Kreditgewerbe. Über 40 Prozent der Manager in mittel-
ständischen Unternehmen klagen heute immer noch über
Probleme beim Erhalt von Krediten und beim Eigen-
kapital. Ich appelliere an das Kreditgewerbe, alles zu
tun, um diese Probleme zu überwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Durch die KfW werden Haftungserleichterungen und
Haftungsentlastungen für das Kreditgewerbe organisiert
und ermöglicht. Davon muss mehr und intensiv Ge-
brauch gemacht werden,

Viertens habe ich die Erwartung an die Gewerk-
schaften, sich so besonnen wie in der Tarifpolitik in den
letzten Jahren auch gegenüber der Agenda 2010 und den
Protesten zu verhalten.

Fünftens habe ich die Erwartung an die Arbeit-
suchenden, die Herausforderungen anzunehmen und
neue Chancen zu sehen. Wer bedürftig ist, dem wird
geholfen. Ich habe das schon so oft gesagt: In diesem
Prozess der Umgestaltung unserer Arbeitswelt wird nie-
mand abstürzen. Aktives Mitwirken ist besser als passi-
ves Sich-verwalten-Lassen. Darum geht es, wenn wir die
Arbeitsmarktreform jetzt vollziehen.

Die Ziele, die wir uns setzen, werden erreicht sein,
wenn bei künftigen Haushaltsberatungen nicht mehr
über Vergangenheitsinvestitionen contra Zukunftsinves-
titionen diskutiert wird, sondern wenn wir darüber strei-
ten, wem in Zukunft unsere ganze Aufmerksamkeit gilt.
Diese muss der Existenzförderung, der Forschung und
Innovation und der Bildung und Weiterbildung gelten.

Auf diesen Wettbewerb, den wir erreichen müssen,
freue ich mich. Erst recht werde ich mich natürlich
freuen, wenn er in diesem Hause stattfindet.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512303800

Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1512303900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lassen Sie mich aus unserer Sicht zunächst eine
Vorbemerkung zum Wechsel Ihres Staatssekretärs in die
Privatwirtschaft machen. Der Wechsel ist in Ordnung.
Sie verlieren einen der besten Beamten der Bundesregie-
rung. Ich teile Ihre Einschätzung, dass es gut wäre, wenn
wir in Deutschland einen Wechsel zwischen Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik in alle Richtungen etwas häufi-
ger erleben würden.


(Franz Müntefering [SPD]: Nein, bleiben Sie hier!)


– Herr Müntefering, dass Sie hier bleiben, empfinden
wir eher als Drohung. Aber es ist ja auch eine Frage der
Verwendungsfähigkeit an anderer Stelle.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich begrüße es ausdrücklich, Herr Clement, dass Sie

unsere Nachfragen hierzu nicht kritisiert haben; denn
dass heute Morgen eine Sondersitzung des Wirtschafts-
ausschusses auf unseren Antrag und den der FDP statt-
gefunden hat, ist begründet gewesen. Es ist unsere
Aufgabe nachzufragen. Die Antworten auf unsere Nach-
fragen haben keinerlei Anlass zu Kritik gegeben. Inso-
fern begleiten Herrn Tacke unsere guten Wünsche auf
seinem Weg in eine neue berufliche Aufgabe.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist ein eleganter Rückzug, Herr Merz! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Schlagzeilen der letzten Tage sprechen eine andere Sprache! – Klaus Brandner [SPD]: Späte Einsicht!)


Wir sprechen über Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland. Herr Clement, Sie haben erneut eine relativ
optimistische Prognose für das laufende Jahr und insbe-






(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Merz

sondere für das Jahr 2005 gewagt. Als ich Sie gehört
habe, habe ich gedacht: Das kommt mir bekannt vor.
Wenn man es nachschauen würde, könnte man feststel-
len, dass Sie im letzten und auch im vorletzten Jahr etwa
um diese Zeit fast wortgleich ähnlich optimistische Pro-
gnosen über Wachstum und Beschäftigung abgegeben
haben. Ich sage ganz ausdrücklich: leider. Dies sage ich
auch an Ihre Adresse, Herr Müntefering, weil Sie gestern
Bemerkungen in dem Sinne gemacht haben, wir würden
ein Interesse daran haben, dass die Krise in Deutschland
fortbesteht. Ich erkläre ausdrücklich: Leider sind diese
Prognosen der letzten zwei Jahre von Ihnen, Herr
Clement, bis heute nicht eingetreten. Ich halte sie – offen
gestanden – auch für das Folgejahr für zu optimistisch.

Wir haben in der Tat in Deutschland ein geringes
Wachstum. Wir haben möglicherweise im nächsten Jahr
ein etwas höheres Wachstum. Aber diese Wachstums-
zahlen – der Hinweis ist zutreffend – beruhen nicht auf
einer zunehmenden Belebung der Inlandsnachfrage, son-
dern sind ganz wesentlich dem Export geschuldet. Der
Export aber ist jedenfalls zu einem beträchtlichen Teil
mittlerweile eine statistische Größe geworden; denn er
spiegelt sich nicht in inländischer Wertschöpfung wider.
Diesen Zusammenhang will ich einmal aufzeigen.

Wir haben es hier mit Wertschöpfungsketten zu tun,
die so auseinander genommen werden, dass größere
Teile dessen, was produziert wird, nicht mehr in
Deutschland entstehen, etwa in der Automobilindustrie,
sondern Vorleistungen aus dem Ausland nach Deutsch-
land importiert, in hochmodernen Montagewerken zu
Fahrzeugen montiert und dann exportiert werden. Der
gesamte Wert eines solchen Fahrzeuges findet sich in der
Exportstatistik wieder, aber eben nicht mehr die Wert-
schöpfung in Deutschland. Das ist das eigentliche Pro-
blem.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen kann ich nur davor warnen, Herr Clement,
die Behauptung zu wiederholen, es sei doch wunderbar,
dass wir Exportweltmeister seien. Bei Licht betrachtet
ist dies immer mehr – ich sage nicht: ausschließlich –
eine statistische Größe im Hinblick auf die Exportstatis-
tiken und findet sich nicht in inländischer Wertschöp-
fung und inländischen Arbeitsplätzen wieder.


(Franz Müntefering [SPD]: Da irren Sie sich!)

Die Arbeitsplätze werden in den osteuropäischen Län-
dern geschaffen. Sie entstehen mittlerweile auch zuneh-
mend in den südeuropäischen Ländern. Abwanderungen
von Unternehmen in die Schweiz und nach Österreich
sind keine Abwanderungen in Billiglohnländer oder
Niedrigsteuerländer, sondern Abwanderungen in Länder,
die offensichtlich ein wesentlich stabileres und vertrau-
enswürdigeres politisches System haben als die Bundes-
republik Deutschland. Das hat nicht nur etwas mit Kos-
ten, sondern auch mit Stabilität und Vertrauen zu tun, das
an diesen Standorten größer ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben auf Ihren Etat Bezug genommen und
durchaus kritisch den Hinweis gegeben, 85 Prozent des-
sen, was in Ihrem Etat, dem Einzelplan 09, an Steuermit-
teln ausgegeben wird, werde für die Arbeitsmarkt-
politik zur Verfügung gestellt. Das ist das eigentliche
Problem. Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland redu-
ziert sich weitgehend auf die Bewirtschaftung der Ar-
beitslosigkeit. Dies ist mittlerweile in einem Umfang
haushaltswirksam, dass zeitgleich der Anteil der Investi-
tionen auch aus Ihrem Etat auf einen Tiefstand zurück-
gefahren werden musste. Wenn ein Land wesentlich
mehr für die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit als für
Investitionen in die Zukunft ausgibt, dann hat die Volks-
wirtschaft dieses Landes ein fundamentales Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Dieses fundamentale Problem ist nicht kleiner gewor-
den, sondern es ist in Ihrer Amtszeit, Herr Clement, lei-
der größer geworden. Nun reden wir hier abstrakt über
große Zahlen. Ich will sie einmal auf den einen oder an-
deren Sachverhalt herunterbrechen, der mit den Hartz-
Gesetzen in Verbindung steht. Ich will nur drei Sachver-
halte aufgreifen: PSA, Ich-AG und Jobfloater. Sie haben
zwar gesagt: keine Vergangenheitsbewältigung – in Ord-
nung –; aber dass wir zur Halbzeit der Wahlperiode ein-
mal nachfragen, was aus dem geworden ist, was vor
zwei Jahren, wenige Wochen vor der Bundestagswahl,
mit großem propagandistischen Aufwand der Öffentlich-
keit vorgestellt worden ist, gehört zu unserer Aufgabe
und interessiert auch große Teile der Öffentlichkeit.

Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, wie Herr Hartz,
für den kein Raum in Berlin gut genug war – man
musste sogar in eine säkularisierte Kirche gehen, um den
Inhalt einer kleinen CD-ROM vorzustellen –, die Pro-
gnose stellte, innerhalb von drei Jahren 2 Millionen neue
Jobs in Deutschland zu schaffen.

Wie sieht die Lage heute aus, zwei Jahre danach? Sie
haben mit den Personal-Service-Agenturen 350 000 so-
zialversicherungspflichtige Jobs pro Jahr angekündigt.
Das heißt, wir müssten heute ungefähr 700 000 haben.
Tatsache ist, dass wir 15 000 haben, davon 4 200 im Os-
ten. Insgesamt haben Sie dafür aus Ihrem Etat 340 Mil-
lionen Euro ausgegeben. Das heißt, jeder Job, der ent-
standen ist, hat über 20 000 Euro gekostet. Ein
Facharbeiter muss lange arbeiten, um die Steuern aufzu-
bringen, die dafür bezahlt werden müssen. Es sind hier
Randbereiche des Arbeitsmarktes gefördert worden. Mit
dem eigentlichen Arbeitsmarkt hat das nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich-AG: 500 000 Existenzgründungen pro Jahr sind
angekündigt gewesen. Es sind 180 000. In der Tat ist das
– jedenfalls vordergründig betrachtet – zunächst ein Er-
folg, aber nur jede zehnte Gründung einer solchen Ich-
AG überlebt das erste Jahr ihrer Existenz. Neun von
zehn werden nicht älter als ein Jahr. Die Insolvenzrate ist
überproportional hoch. Im laufenden Jahr müssen Sie für






(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Merz

die Ich-AGs aus Ihrem Etat bzw. aus dem der Bundes-
agentur für Arbeit 850 Millionen Euro ausgeben, damit
diese so genannten Ich-AGs bestehen können.


(Doris Barnett [SPD]: Haben Sie da mitgemacht?)


Ganz absurd wird es nun beim Jobfloater. Dass Sie
dieses Thema nicht mehr angesprochen haben, kann ich
verstehen, obwohl Sie noch vor zwei Jahren mit großer
Emphase diesen Begriff in die deutsche politische Spra-
che eingeführt und erklärt haben, das sei die Idee
schlechthin, um auf diese Art und Weise eine Brücke
von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung zu bauen.
240 000 sozialversicherungspflichtige Jobs sollten mit
diesem so genannten Jobfloater entstehen. Das ist der
größte Jobflop geworden, den wir jemals in der Arbeits-
marktpolitik der Bundesrepublik Deutschland erlebt ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Zahlen ausgedrückt: 120 000 Jobs pro Jahr sollten es
sein. Bis heute hätten es also 240 000 sein müssen. Es
sind ganze 12 800 entstanden. Dafür hat die Kreditan-
stalt für Wiederaufbau in einem Programm 925 Millio-
nen Euro ausgegeben. Das sind pro Job über
72 000 Euro. Herr Clement, wenn wir an dieser Stelle
sagen, dass Steuergelder verschwendet werden und die
falsche Politik gemacht wird, dann lässt sich das auch in
sehr griffigen Zahlen ausdrücken, die nicht nur etwas
mit Milliardenbeträgen zu tun haben, sondern mit Beträ-
gen, bei denen jedermann sofort einsieht, dass man so
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nicht machen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun haben Sie erneut – der Bundeskanzler hat es ges-

tern getan und Frau Merkel in ihrer Erwiderung auf den
Bundeskanzler auch – Hartz IV angesprochen. Ich will
aus meiner Sicht noch einmal sehr deutlich sagen: Wir
stehen dazu, dass wir der Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zugestimmt haben.
Das war richtig. Ich selbst habe von dieser Stelle aus
diese Forderung mehrfach erhoben. Es ist richtig, dass
wir Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinan-
zierte soziale Transferleistung zu einem einheitlichen
System zusammenfügen. Trotzdem reißen die Debatten
über dieses Thema nicht ab. Dies hat nicht parteipoliti-
sche Gründe, sondern das hat sehr objektive Gründe. Ich
will Ihnen zwei nennen.

Wir bleiben fundamental unterschiedlicher Auffas-
sung darüber, wer in Zukunft die Verantwortung über die
Verwendung der Mittel und die Vermittlung der Lang-
zeitarbeitslosen übernehmen soll. Herr Clement, Sie ha-
ben eben in Ihrer Rede selbst das beste Beispiel dafür ge-
geben, dass das, was Sie jetzt planen, nämlich die
Zuständigkeit einer zentralistisch geführten Bundesbe-
hörde, nicht erfolgreich sein kann. Sie selbst haben völ-
lig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir nicht mehr
zwischen Ost und West unterscheiden dürfen, dass sich
die Arbeitsmärkte in Deutschland höchst unterschiedlich
entwickeln, und zwar nicht zwischen Ost und West, son-
dern im Osten wie im Westen. Aber gerade weil das so
ist, muss Arbeitsmarktpolitik dezentral organisiert wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil nur mit dezentraler Arbeitsmarktpolitik erfolgrei-
che Arbeitsmarktpolitik gemacht werden kann, hätten
wir uns gewünscht,


(Waltraud Lehn [SPD]: Das passiert doch!)

dass Sie die Städte und die Kreise in Deutschland in die
Verantwortung genommen hätten, und zwar nicht mit ei-
ner Optionsklausel, sondern flächendeckend. Es wäre
richtig gewesen, die Städte und Kreise in Deutschland
mit dieser Aufgabe zu betrauen.

Ich bleibe bei meiner Kritik. Ich werde gleich noch et-
was zum Bürokratieabbau sagen. Sie haben dazu er-
staunlicherweise kaum etwas gesagt. Das, was jetzt zum
Jahreswechsel 2004/2005 mit der Übertragung der Zu-
ständigkeit an die Bundesagentur für Arbeit geschieht,
also auf die regionale Arbeitsverwaltung, wird ein büro-
kratisches Monstrum werden. Die örtlichen Arbeitsver-
waltungen werden ein riesiges Problem haben, dieses
Thema wirklich zu schultern, was die Sozialämter in
den Städten und in den Kreisen längst hätten machen
können und in der Vergangenheit erfolgreich gemacht
haben. Deswegen ist es so kritisch gewesen und es bleibt
aus unserer Sicht auch so kritisch.

Es gibt einen zweiten Grund, der insbesondere für den
Osten zutrifft. Es ist, wie ich finde, nach wie vor ein be-
dauernswerter Zustand, dass wir erstmalig ein Gesetz im
Bundesrat verabschiedet gesehen haben, dem der ge-
samte Westen zugestimmt hat und das der gesamte Osten
abgelehnt hat. Das ist, wenn ich mich richtig erinnere,
das erste Gesetz nach der Wiedervereinigung – –


(Franz Müntefering [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Die haben doch zugestimmt! Erzählen Sie doch nicht so ein Zeug!)


– Herr Müntefering, hören Sie mir zu, bevor Sie Zwi-
schenrufe machen. – Ich sage, es ist ein bedauernswerter
Zustand, dass dies ein Gesetz ist, das – sozusagen ent-
lang der alten Demarkationslinie – im Osten abgelehnt
worden ist und dem im Westen zugestimmt worden ist.


(Franz Müntefering [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Die haben dem Gesetz zugestimmt! – Zuruf von der SPD: Das ist aber eine Legende!)


Ich stehe zu der Zustimmung. Ich sage Ihnen nur: Die
kritischen Anmerkungen, die der Ministerpräsident
Milbradt aus Sachsen hier zu machen hat, haben an einer
wesentlichen Stelle eine sehr gute, nämlich eine in Ihrem
Haushalt aufgeschriebene Begründung. Herr Milbradt
weist völlig zu Recht darauf hin, dass mit diesem Gesetz
der Druck auf Arbeitslose erhöht wird, sich eine Be-
schäftigung zu suchen und auch eine Beschäftigung an-
zunehmen.


(Klaus Brandner [SPD]: Herr Milbradt wollte viel größeren Druck haben!)







(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Merz

Nur, meine Damen und Herren, wenn keine Beschäfti-
gung entsteht, wenn keine Jobs da sind, dann nützt auch
der beste Druck nichts, den Sie jetzt auf die Arbeitslosen
ausüben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Er hat zugestimmt! Der Mann ist nicht auf dem Laufenden, Herr Präsident! Er erzählt die Unwahrheit!)


Jetzt sage ich Ihnen ganz konkret, was das mit Ihrem
Haushalt zu tun hat. Wir haben hier vor einem Jahr eine
so genannte Koch/Steinbrück-Liste zum Thema
Subventionsabbau diskutiert.


(Waltraud Lehn [SPD]: Bestenfalls sind das jetzt Märchen!)


In dieser Diskussion sind auch die Mittel für die Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ behandelt worden. Wir haben verabre-
det, dass diese Mittel einmalig gekürzt werden und dass
sie dann auf dem alten Plafond fortgesetzt werden. Ab-
weichend von dieser Vereinbarung kürzen Sie jetzt diese
Mittel auch und besonders wirksam für den Osten, auch
in den nächsten Jahren, also den Jahren 2005, 2006 und
2007.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Insgesamt kürzen Sie die Mittel entgegen unserer Verab-
redung um rund 300 Millionen Euro, davon 260 Millio-
nen Euro im Osten.


(Peter Dreßen [SPD]: Wo haben Sie das her?)

Gleichzeitig erhöhen Sie entgegen unserer Verabredung
die Subventionen für die Steinkohle. Damit kein Miss-
verständnis entsteht: Ich bin davon überzeugt, dass die
Steinkohle in Deutschland Zukunft haben muss, jedoch
auf einem wesentlich niedrigeren Niveau als gegenwär-
tig.


(Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!)

– Das habe ich immer so gesagt, dazu werden Sie keine
andere Äußerung von mir finden. – Sie haben aber nach
einer Zusage des Bundeskanzlers beim Deutschen Stein-
kohletag die Subventionen für die deutsche Steinkohle
im selben Zeitraum, in dem die GA-Mittel gekürzt wer-
den, noch einmal um 800 Millionen Euro erhöht. Das
passt nicht zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


An dieser Stelle ist die Kritik von Herrn Milbradt völlig
gerechtfertigt. Sie können nicht die Basis für Investitio-
nen im Osten entziehen und gleichzeitig Subventionen
im Westen erhöhen, weil es dort vielleicht einer gewis-
sen Klientel gefällt und nicht zuletzt weil es Ihnen im
Hinblick auf Wahlergebnisse des nächsten Jahres so in
den Kram passt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat denn die Basis entzogen? Das stimmt doch gar nicht!)

Das ist eine Politik, die voller Widersprüche ist. Deswe-
gen, Herr Clement, kann ich Ihnen die Kritik nicht erspa-
ren: Hier machen Sie einen schweren Fehler, der ver-
meidbar gewesen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben die Energiepolitik angesprochen. Ich will
auch dazu eine Anmerkung machen. Uns liegt der Ent-
wurf eines neuen Energiewirtschaftsgesetzes vor, der in
den nächsten Wochen und Monaten beraten wird. Der
Versuch der letzten Tage, Energiepreiserhöhungen
durchzusetzen, hat in der Tat den Beigeschmack, als ob
monopolähnliche Strukturen versuchen, Preise durchzu-
setzen. Darüber, wie man dies in den Griff bekommt,
müssen wir reden. Wenn Sie hier allerdings das lobens-
werte Beispiel Post und Telekommunikation anführen
und sich gleichzeitig gegen die Ex-ante-Regulierung
wehren, dann ist das ein Widerspruch. Über die Auflö-
sung dieses Widerspruchs unterhalten wir uns im Herbst.

Nur, meine Damen und Herren, ein wesentlicher Teil
der Energiepreiserhöhungen in Deutschland hat mit den
Monopolstrukturen nichts zu tun; vielmehr sind sie die
Folge politisch gewollter Steuer- und Abgabeerhöhun-
gen, die diese Bundesregierung in den letzten sechs Jah-
ren massiv zulasten der privaten Haushalte und der Be-
triebe in Deutschland durchgesetzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die letzte Strompreiserhöhung hat wenig mit Monopol
und sehr viel mit dem novellierten Energieeinspeisege-
setz zu tun. Insgesamt hat diese Bundesregierung in den
letzten sechs Jahren die Belastung der Strompreiskunden
durch Steuern und Abgaben mehr als verfünffacht. Sie
haben innerhalb von sechs Jahren die Belastung des
Stromes mit Steuern und Abgaben von 2,5 Milliarden
Euro auf über 12 Milliarden Euro gesteigert. Das ist ein
wesentlicher Grund dafür, dass Deutschland im interna-
tionalen Vergleich zu hohe Energiepreise und insbeson-
dere zu hohe Strompreise hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit sind wir bei der Steuer- und Abgabenpolitik.

Das Ressort des Bundeswirtschaftsministers umfasst
auch – wie ich meine: richtigerweise – die Arbeitsmarkt-
politik. Aber er hat natürlich eine weit darüber hinausge-
hende Verantwortung für die Wirtschaftspolitik insge-
samt. Zu einer guten Wirtschaftspolitik eines Landes
gehört natürlich ein Steuersystem, das angenommen
wird und das als Standortfaktor positive Wirkungen ent-
faltet. Ich hätte mir deswegen gewünscht, dass Sie, Herr
Clement, wenigstens einen Satz zur steuerpolitischen
Debatte in Deutschland gesagt hätten. Uns liegt seit eini-
gen Wochen eine Untersuchung von der Harvard-Uni-
versität und dem Weltwirtschaftsforum über die Effizi-
enz und die Transparenz der Steuersysteme auf dieser
Welt vor. 102 Staaten sind untersucht sowie über
5 000 Unternehmen und Fachleute befragt worden. Das
ist wahrscheinlich die breitest angelegte Untersuchung,
die es jemals über Effizienz und Transparenz der Steuer-
systeme auf dieser Welt gegeben hat. Auf Platz eins der
erstellten Bestenliste liegt Hongkong, dicht gefolgt von






(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Merz

Estland, einem neuen Mitgliedstaat der Europäischen
Union, auf Platz vier. Dann folgen viele andere Staaten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bin nicht sicher, ob
Sie wissen, auf welchem Platz Deutschland liegt. In die-
ser Untersuchung liegt Deutschland auf Platz 102, also
auf dem letzten Platz.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD])


– Vielen Dank für den Zuruf. Vielleicht geben Sie ihn
noch einmal zu Protokoll.

Ich möchte Ihnen ein paar der Länder nennen, die vor
uns liegen: Trinidad und Tobago, Ghana, Sambia, Ma-
lawi, Haiti, Angola, Nicaragua, Bangladesch. All diese
Länder liegen vor uns, natürlich nicht was die Höhe der
Steuersätze betrifft!


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Gehen Sie doch dahin! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Albernheit! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein merkwürdiges Verständnis!)


– Sie können froh sein, dass die meisten Ihrer Zurufe
nicht so verständlich sind, dass sie die Fernsehzuschauer
mitbekommen oder dass sie Eingang in das Protokoll
finden. Seien Sie froh, dass die meisten Ihrer Zurufe
nicht protokolliert werden! Sie sind an Dummheit und
Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Präsident, das ist doch kein Umgang! Herr Präsident, berührt es Sie eigentlich nicht, wenn wir unsere Zwischenrufe so kommentiert kriegen? Unglaublich!)


Ich führe dieses Thema deswegen in die Debatte ein,
weil wir es uns nicht leisten können, auf Dauer ein so
komplexes, kompliziertes und intransparentes Steuersys-
tem in Deutschland beizubehalten. Herr Clement, Sie ha-
ben von Bürokratieabbau gesprochen. Ich nenne Ihnen
zwei große Bereiche, in denen Bürokratieabbau wirklich
notwendig ist. Der eine ist die Arbeitsmarktpolitik. Dort
machen Sie das glatte Gegenteil von Bürokratieabbau.
Sie bauen dort zusätzlich eine riesengroße Bürokratie
auf. Der andere ist die Steuerpolitik. Die Steuerverwal-
tung in Deutschland weiß selbst nicht mehr, wie die
Steuergesetze der rot-grünen Bundesregierung vollzogen
werden sollen. Deswegen ist Deutschland auf dem letz-
ten Platz der erwähnten Liste. Wenn Sie darüber lachen,
empfehle ich Ihnen, einen mittelständischen Betrieb zu
besuchen und den Betriebsinhaber und die Betriebsräte
zu fragen – diese werden Ihnen sicherlich ein paar Takte
dazu sagen können –, wie die Betriebe in Deutschland
mittlerweile das Steuerrecht anwenden. Es ist eigentlich
die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, darauf auf-
merksam zu machen, dass wir aus dem bestehenden
Steuerchaos herausmüssen und dass wir ein wirklich ra-
dikal vereinfachtes Steuerrecht in Deutschland brauchen.
Wir haben dazu Vorschläge gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben vor Jahr und Tag den Masterplan „Bürokra-
tieabbau“ mit großem propagandistischem Aufwand und
großen Ankündigungen, jetzt endlich werde mit Büro-
kratieabbau in Deutschland ernst gemacht, auf den Weg
gebracht. Herr Clement, die Weltbank hat gestern eine
Studie über Bürokratieabbau auf dieser Welt veröffent-
licht. Sie kann man heute in vielen Zeitungen nachlesen.
Danach sind 89 große Reformen zum Bürokratieabbau
auf der Welt identifiziert worden, davon 36 in den Staa-
ten der Europäischen Union. Aber keine einzige ist in
Deutschland identifiziert worden. Wörtliches Zitat:

Im Jahre 2003 ist in Deutschland zum Thema Büro-
kratieabbau nichts geschehen.

Das ist die traurige Bilanz Ihrer großen Ankündigungen.
Mit vielen Ankündigungen und wenigen Taten, insbe-
sondere beim Bürokratieabbau, geht die Reise in eine
andere Richtung.

Abschließend zu der von Ihnen angesprochenen Re-
form der sozialen Sicherungssysteme: Wir alle streiten
hierüber. Es geht um äußerst schwierige Sachverhalte,
die jeden Bürger in Deutschland in seinem Kernbereich
berühren. Deswegen möchte ich jenseits aller Details,
über die wir uns noch im kommenden Herbst zu streiten
haben, eine allgemeine Bemerkung machen. Die ent-
scheidende Frage ist, ob es uns gelingt, die deutsche Be-
völkerung zu einem Wandel der Mentalität zu veranlas-
sen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So wie Sie reden, schaffen wir das nicht!)


Wir brauchen in Zukunft eine fundamentale Neuabgren-
zung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität.

Ein Ereignis der letzten Tage ist symptomatisch für
Deutschland. Der eine oder andere von Ihnen wird
gleich schreien und es als an den Haaren herbeigezogen
bezeichnen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schön, dass Sie das selbst so sagen!)


In der Nacht von Donnerstag auf Freitag – Herr Schmidt,
vielleicht haben Sie noch gar nicht registriert, dass das
passiert ist – ist die Anna-Amalia-Bibliothek in Wei-
mar abgebrannt, weswegen große Teile ihres Bestandes
vernichtet worden sind.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Gut, dass Sie uns das endlich sagen!)


Wie reagiert Deutschland auf einen solchen Sachver-
halt? Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt stellt
innerhalb weniger Stunden, also fast sofort, einen Betrag
von 4 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist gut ge-
meint. Aber sind wir uns eigentlich darüber im Klaren,
was das für Wirkungen hat? Große Teile der Bevölke-
rung haben doch das Gefühl: Also, wenn die das Geld
dahaben, dann ist das damit erledigt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch unglaublich! Wir sind Mitbetreiber dieser Bibliothek! Sie haben keine Ahnung! Das ist doch nicht zu fassen! Das ist wirklich unanständig, was Sie gerade machen!)







(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Merz

In vielen anderen Ländern hätte der Staat gesagt: Jetzt

etwas zu tun ist in erster Linie gar nicht unsere Aufgabe.
Dort hätten die Repräsentanten des Staates – der Bun-
deskanzler, der Staatsminister für Kultur und andere –
gesagt: Das ist jetzt die Stunde des großen bürgerschaft-
lichen Engagements für ein Weltkulturerbe, für das sich
alle Menschen in Deutschland interessieren und begeis-
tern lassen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Was dort geschehen ist, ist ein typisches Beispiel dafür,
wie in Deutschland politisch gedacht und gehandelt
wird: Der Staat tritt sofort in Vorlage, statt zu sagen:
Dies ist jetzt die Stunde der Bürger und des ehrenamtli-
chen Engagements.

Wir können uns das ganze Gerede über Bürgergesell-
schaft, über Engagement und über Eigenverantwortung
sparen, wenn der Staat schon an einer solchen Stelle so-
fort wieder in Vorlage tritt und den Bürgern sozusagen
das Signal gibt: Wir sind für alles zuständig und die Bür-
gerinnen und Bürger müssen nur weitgehend auf den
Staat vertrauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben doch gerade staatliches Handeln in extenso gefordert! Sie widersprechen sich doch selbst! Unglaublich! Nicht zu fassen!)


Dies ist der entscheidende Punkt, über den wir uns
politisch auseinander setzen müssen. Wenn wir bürger-
schaftliches Engagement und Eigenverantwortung wol-
len, dann müssen wir es fördern und nicht im Keim ersti-
cken. Wenn Sie die Probleme in unserem Lande lösen
wollen, dann sind wir auch bereit, mit Ihnen zusammen-
zuarbeiten. Wir haben unsere Bereitschaft dazu in den
letzten Monaten doch gezeigt.

Herr Müntefering, eines ist doch klar: Wenn Sie und
wir und alle, die hier sitzen, nicht in kürzester Zeit einen
Silberstreif am Horizont aufzeigen können, der andeutet,
dass dieses Land aus seiner Krise herauskommt, dann
werden wir uns über Jahr und Tag nicht mehr nur über
eine ökonomische Krise, sondern über eine fundamen-
tale Sinn- und Akzeptanzkrise der gesamten demokrati-
schen Ordnung unterhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sollten uns mit Ihren Redebeiträgen von dieser
Stelle aus nicht unterstellen, dass wir sozusagen auf
Baisse spekulieren, dass wir also versuchen, aus der
Krise politisches Kapital zu schlagen. Wir sind über den
Zustand dieses Landes tief besorgt.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

– Ihr Gefeixe spricht Bände über die Ernsthaftigkeit, mit
der Sie sich über diese Themen zu unterhalten bereit
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn man in Ihre Gesichter schaut, dann erkennt man:
Ihr Gefeixe spricht Bände.

Wir sind über den Zustand dieses Landes tief besorgt.
Sie tragen als Regierungsfraktionen hier die Verantwor-
tung. Wir bieten Ihnen an, dabei mitzuhelfen, dass dieses
Land aus der Krise herausfindet.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512304000

Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert vom Bünd-

nis 90/Die Grünen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512304100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Merz, ich will aus Ihrem Themenhopping nur ei-
nige Punkte herausgreifen; alles werde ich hier nicht be-
handeln können. Es ist schon erstaunlich, wie Sie bei-
spielsweise versuchen, aus der positiven Tatsache, dass
Deutschland Exportweltmeister ist, eine Negativbot-
schaft abzuleiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist erstaunlich, wie Sie hier darstellen wollen – das

kommt nicht an; das sage ich Ihnen auch –, dass notwen-
dige Arbeitsmarktreformen mit von uns geschaffenen
neuen Instrumenten angeblich nicht greifen. Auch Sie
wissen – Ihr Hinweis auf die Binnenkonjunktur war rich-
tig –, dass eine positive Konjunktur die Voraussetzung
für eine positive Entwicklung des Arbeitsmarktes ist und
dass die neuen Instrumente, beispielsweise Zeitarbeit
und Ähnliches, erst dann wirken können, wenn sich die
Konjunktur belebt.

Herr Merz, schauen Sie doch hin! Der Minister hat es
gesagt und er hat auch die Zahlen genannt: Die Indika-
toren zeigen Positives. Wir können das beobachten. Wir
sehen mittlerweile auch – vorsichtig, vorsichtig –, dass
die neuen Instrumente greifen. Ich nenne nur eines: die
Zeitarbeit. Wir können nachweisen, dass wir gerade in
diesem Bereich in den letzten Wochen einen enormen
Entwicklungsschub gemacht haben.

Was machen Sie hier? Ob das Export ist, ob das Ar-
beitsmarkt ist, ob das binnenkonjunkturelle Entwicklung
ist, Sie suchen sich das heraus, was Ihnen passt, um die
Entwicklung schlecht zu reden. Das ist Ihr Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wissen offensichtlich überhaupt nicht, worüber
Sie reden. Sie haben als nächsten Punkt die Hartz-
Reformen thematisiert. Sie sagen, die Reformen müss-
ten durchgesetzt werden. Prima! Ich habe heute Morgen
auch gelesen, dass Herr Koch, der noch vor ein paar Mo-
naten die Kommunen zum Boykott der Hartz-Reformen
aufgerufen hat, jetzt sagt: Man muss dazu stehen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert

Gleichzeitig aber machen Sie sich hier einen schlan-

ken Fuß, Herr Merz; denn Sie reden über etwas, was gar
nicht Inhalt dieser Reform ist. Sie sprechen von einem
bürokratischen Moloch und fordern Dezentralität ein.
Der Kern dieser Reform ist Dezentralität. Wir machen
mit dieser Reform Folgendes – das wird am 1. Januar
2005 losgehen –: Wir geben den Kommunen, den Regio-
nen vor Ort ein umfassendes Handwerkszeug und auch
Geld in die Hand, damit vor Ort mit den regionalen Trä-
gern, mit den Akteuren, mit der Wirtschaft, mit den Ge-
werkschaften zusammen eine Arbeitsmarktpolitik betrie-
ben werden kann, die an den Individuen orientiert ist und
die die dezentralen Strukturen nutzt.

Herr Merz, Sie stellen die Frage der Option als ein
großes Problem dar. Es ist richtig: Nicht alle Kommunen
können optieren. Herr Merz, Sie sind im Vermittlungs-
ausschuss mit dicken Backen aufgetreten und haben
viele, viele Optionen gefordert. Ich nenne nur ein Bei-
spiel: Baden-Württemberg. Dort sind sechs Optionen
möglich. Fünf sind jetzt beantragt. Dort ist die CDU in
der Regierung!


(Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich habe am Sonntag mit dem Ministerpräsidenten von
Niedersachsen gesprochen. Auch er sagte mir: Wir kom-
men damit gut aus. Vermutlich werden weniger Kommu-
nen optieren.


(Dirk Niebel [FDP]: Es sind schon 13 Anmeldungen in Niedersachsen!)


Meine Damen und Herren, blasen Sie sich hier also
nicht so auf für eine Reform, die Sie durch die Hintertür
doch wieder schlecht machen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir machen im Bereich Sozial- und Arbeitsmarkt-
politik sicherlich gerade die größten Reformen in der
Geschichte der Bundesrepublik. Wir machen sie deshalb
erst so spät, weil Sie sich, alle, wie Sie da sitzen, von
FDP bis CDU/CSU, in den 90er-Jahren an diese unbe-
quemen Reformen nicht herangewagt haben. Sie haben
sich weggeduckt. Von Herrn Merz ist die geschickte
Form des Wegduckens wiederum vorgeführt worden. Sie
in der Union sind, was den Mut anbelangt, eine Reform
auch umzusetzen und durchzusetzen, ein Duckmäuser-
verein. Ich will Ihnen das auch zeigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hinter verschlossenen Türen feiern die Hardliner
fröhliche Urständ. Da wird dann zum Beispiel gefordert,
die Leistung zu reduzieren. Öffentlich wird eine andere
Melodie gespielt. Wir haben es hier gehört und wir hören
es jeden Tag. Rüttgers will eine Generalrevision der Re-
form. Milbradt will verschieben, Schonvermögen he-
raufsetzen. Böhmer will beim Zuverdienst etwas ma-
chen. Söder hat unter Tränen beklagt, was mit den
Kindersparbüchern passiert.
Sie spielen hier mit gezinkten Karten. Sie haben im
Vermittlungsausschuss durchsetzen wollen, dass die
Leistungen niedriger sind. Sie wollten keine Kinderzu-
schüsse für Leute mit geringem Einkommen, die verhin-
dern, dass sie in die Sozialleistung abrutschen. Sie woll-
ten Verschärfung der Sanktionen. Sie haben es
durchgesetzt, dass die Zuverdienstmöglichkeiten – zum
Beispiel bis 400 Euro – erheblich schlechter sind, als wir
das wollten. Dort machen Sie also eine Politik, die Ver-
schärfung zum Inhalt hat. Auf der Straße spielen Sie eine
andere Melodie. Meine Damen und Herren, das ist un-
redlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verlogen!)


Wir müssen jetzt, hier und heute, die Reformen angehen;
dabei steht die Umsetzung im Vordergrund. Deshalb
macht es keinen Sinn mehr, noch hier und da Verände-
rungen zu fordern. Wir werden den Umsetzungsprozess,
der am 1. Januar 2005 beginnt, sehr genau beobachten.

Diese Reform ist deshalb so notwendig, weil sie eine
Etappe markiert: Wir verabschieden uns jetzt von einer
Politik, die von Ausgrenzung und Alimentierung geprägt
war, und treten in eine Politik ein, die Integration in den
ersten Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Es geht darum, ernst
zu nehmen, dass Langzeitarbeitslosigkeit eine der
schlimmsten Geißeln für die Betroffenen und übrigens
auch für die Ökonomie ist. Wir haben in Deutschland
eine überdurchschnittlich hohe Dauer der Arbeitslosig-
keit; im Schnitt beträgt sie 32 Wochen. Das ist schlimm
für die Betroffenen. Wir müssen ihnen helfen, da schnel-
ler wieder herauszukommen. Das ist das Ziel dieser sehr
schwierigen und unbequemen Arbeitsmarktreform.

Das ist, wie ich glaube, noch nicht überall angekom-
men, beispielsweise auch nicht bei unseren Freunden
vom DGB. Herr Sommer hat letztens – ich glaube, es
war vor zwei Wochen – gesagt, mit der Reform werde
die Würde der Beschäftigten angegriffen. Ich entgegne
darauf: Langzeitarbeitslosigkeit greift die Menschen-
würde an. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen
wir diese Politik weiter verfolgen, auch gegen den von
Ihnen organisierten Widerstand.

Wir können nicht akzeptieren, dass es in Deutschland
zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen gibt: die einen in
der Arbeitslosenhilfe, die anderen in der Sozialhilfe. Da-
bei haben die, die von Sozialhilfe leben, so gut wie keine
Chance, wieder in den Arbeitsmarkt hereinzukommen,
da sie keinen Zugang zu den Mitteln der aktiven Arbeits-
marktpolitik haben. Das ist ein ganz wesentlicher Be-
standteil der Reform. Gegen diese Neuorientierung hin
auf Integration wird jetzt von außen mit Ihrer Unterstüt-
zung – ich nenne beispielsweise Herrn Milbradt –


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)

vorgegangen und Wind gemacht.

Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal an
die Adresse all derjenigen, die jetzt auf Montagsdemons-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert

trationen oder anderswo falsche Parolen gegen dieses
Gesetz in Umlauf bringen,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Lafontaine! Ströbele!)


Folgendes zur Klarstellung sagen: Es ist schlichtweg
falsch, dass die Leute, wie es beispielsweise die PDS un-
ermüdlich behauptet, massenhaft ihre Wohnungen ver-
lassen müssten. Sie haben vielmehr die Möglichkeit, in
ihren Wohnungen zu bleiben. Angemessener Wohnraum
wird zugestanden. Auch andere Dinge sind übrigens ver-
bessert worden; so werden sogar die Zinsen für Darlehen
weiter gezahlt, wenn es sich um eine Eigentumswoh-
nung handelt.

Die Menschen, die das neue Arbeitslosengeld II be-
ziehen, werden alle sozialversichert sein. Es handelt sich
um eine Verbesserung für all diejenigen, die vorher Sozi-
alhilfeempfänger waren.

Denjenigen, die immer wieder das Prinzip „Fördern
und Fordern“ problematisieren, sage ich: In diesem
Gesetz wurde eine richtige Balance zwischen Fördern
und Fordern gefunden. Ich nenne beispielsweise die
Maßnahmen für Jugendliche. Jugendliche haben erst-
mals Anspruch auf eine elternunabhängige Leistung.
Das wollten Sie von der Union übrigens nicht. Ab 1. Ja-
nuar haben sie auch einen Rechtsanspruch auf ein Ar-
beits- oder Ausbildungsangebot. Dem steht gegenüber,
dass ihnen, wenn sie Angebote nicht annehmen, die
Leistungen für eine bestimmte Frist gestrichen werden.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dass diese beiden
Punkte, nämlich auf der einen Seite das neue Angebot
einer Unterstützung in Form einer eigenständigen Leis-
tung und auf der anderen Seite die Forderung nach eige-
ner Aktivität, in guter Weise beschreiben, was dieses Ge-
setz will, nämlich fördern und fordern. Wir werden in
Zukunft speziell auf das Fördern unser Augenmerk rich-
ten.

Das Gesetz hat Schwächen. Für viele dieser Schwä-
chen sind Sie von der Opposition verantwortlich.


(Widerspruch der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU])


Ich nenne nur zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist die
Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen. Allen Kriti-
kerinnen und Kritikern, die uns anmailen und von uns
fordern, diesen Punkt zu ändern, sage ich: Schickt eure
Beschwerden bitte zielgerichtet und direkt an die CDU/
CSU und an die FDP; denn die haben uns diese Regelun-
gen im Gesetz eingebrockt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Wir werden natürlich eine Debatte über das Thema

Lohndumping führen müssen. Wir werden beobachten
müssen, ob es zu Lohndumping kommt, und eventuell
Maßnahmen dagegen ergreifen müssen. Eine Maßnahme
kann durchaus ein branchenbezogener Mindestlohn sein,
wenn die Tarifautonomie dadurch gewahrt bleibt. Es gibt
aber auch andere Möglichkeiten. Wir brauchen auf jeden
Fall eine Debatte, denn wir wollen nicht das Lohn-
dumping, das Sie durchgesetzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512304200

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512304300

Ich komme zum Schluss. Aber ich möchte an dieser

Stelle noch auf einen fundamentalen Unterschied in un-
seren arbeitsmarktpolitischen Ansätzen hinweisen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512304400

Frau Kollegin – –

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512304500

Das ist wirklich der letzte Satz, Herr Präsident.
Frau Merkel hat gestern den flächendeckenden

Niedriglohnsektoren, mit viel Geld staatlich subventio-
niert, das Wort geredet, übrigens ohne Gegenfinanzie-
rungsvorschlag. Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik,
die für das Individuum, für den Langzeitarbeitslosen
Brücken in den Arbeitsmarkt baut, finanziert durch
Lohnkostenzuschüsse, durch eine ganze Reihe von An-
geboten. Wir sehen keine Möglichkeit, den Menschen in
Deutschland in irgendeiner Weise durch einen flächen-
deckenden Niedriglohn zu helfen; das wäre auch ökono-
misch fatal.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist aber ein langer Satz!)


Wir können mit Tschechien nicht konkurrieren, meine
Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512304600

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von

der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1512304700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi-

nister Clement, auch ich will mit einer Bemerkung zu
Herrn Tacke beginnen. Es ist unbestritten, dass Herr Ta-
cke ein hoch qualifizierter, verdienter Staatssekretär ist.
Es ist auch völlig unbestritten, dass ein Wechsel zwi-
schen Politik und Wirtschaft wünschenswert ist. Aber
für mich ist und bleibt es schlechter politischer Stil,
wenn ein Staatssekretär, der kurz vor der Bundestags-
wahl eine höchst umstrittene Ministererlaubnis gegen
das Kartellamt und gegen die Monopolkommission
durchgezogen hat und damit die Fusion von Eon und
Ruhrgas mit einem Marktanteil von 85 Prozent – das soll
mir einer erläutern, dass man in einer sozialen Markt-
wirtschaft einen Marktanteil von 85 Prozent braucht –
ermöglicht hat


(Zuruf der Abg. Dr. Elke Leonhard [SPD])

– was haben Sie bis hin zum Regierungssprecher in die-
ser Geschichte nicht alles verkündet; heute sind Sie
schön ruhig –, anschließend bei einem wesentlich von
Eon Ruhrgas bestimmten Unternehmen Vorstandsvorsit-
zender wird. Ich empfehle Ihnen dringend, einen Ehren-
kodex zu entwickeln, in dem wenigstens eine Schamfrist






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle

fixiert wird. Es geht nicht um eine Rechtsfrage; das hat
der Ausschuss heute geklärt. Beamtenrechtlich ist nichts
zu beanstanden, denn er scheidet aus dem öffentlichen
Dienst aus. Aber guter politischer Stil ist das für mich
nicht; es dient nicht dazu, das Ansehen der Politik in der
Bevölkerung zu stärken.


(Beifall bei der FDP)

Wir befinden uns im vierten Jahr der Stagnation der

Binnenwirtschaft. Kernbereich wirtschaftlicher Bele-
bung ist der private Konsum. Fast 60 Prozent des Sozial-
produkts entstehen durch den Konsum. Dort kommen
wir im vierten Jahr in Folge nicht voran. Heute hat das
Kieler Institut seine Wachstumsprognose für das nächste
Jahr auf 1,2 Prozent gesenkt. Sie kennen die Risiken
draußen. Wir profitieren – ich füge hinzu: Gott sei
Dank – von Boomregionen wie China und Teilen Ameri-
kas. Der Export ist davon abhängig; er ist in der Tat ein
Stück geborgte Wertschöpfung – Herr Kollege Merz hat
dazu Ausführungen gemacht –; denn vieles, was als Sie-
mens-Produkt verkauft wird, beinhaltet China. Das ist
alles begrüßenswert. Aber die Risiken – die Überhitzung
in China, die Entwicklung in Amerika – sind sehr groß.

Das Entscheidende ist: Der Transmissionsmechanis-
mus, das Überspringen der Exportimpulse auf die
Binnenkonjunktur, funktioniert nicht mehr. Das hat
seine Ursache. Es liegt an der tiefen Verunsicherung der
Verbraucher und von Teilen unserer Wirtschaft, insbe-
sondere des Mittelstands. Deshalb birgt Ihr Haushalt
große Risiken. Mein Kollege Niebel wird zu den Wa-
ckelpositionen bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit
später noch detailliert Stellung nehmen. Ihre Inkonsis-
tenz und die fehlende Klarheit der Politik verstärken die
Verunsicherung in der Bevölkerung und deshalb kom-
men wir nicht voran.

Herr Bütikofer erklärt gestern, die Erbschaftsteuer
müsse erhöht werden; das betrifft zu zwei Dritteln die
Betriebsübergänge. Frau Simonis will die Mehrwert-
steuer erhöhen. Dadurch wird die Verunsicherung stän-
dig vergrößert. Es ist ein natürlicher Reflex, sein ange-
spartes Geld zurückzuhalten, wenn man nicht weiß, ob
man einen Job bekommt oder seinen Job behält. Die
Sparquote hat eine Rekordhöhe von über 11 Prozent er-
reicht. Eine hohe Sparquote ist aber nicht hilfreich in ei-
ner Situation, in der die Binnenkonjunktur anspringen
muss. Denn sie macht 60 Prozent des Bruttosozialpro-
dukts aus.


(Beifall bei der FDP)

Da hilft uns der Export allein nicht weiter und der Staat
kann eh nicht eingreifen.

Die Situation in Europa hat sich verschärft. Mit dem
Beitritt von zehn weiteren Ländern zur Europäischen
Union sind Länder wie Estland und Slowenien hinzuge-
kommen, in denen es eine Flat Tax gibt. Das heißt, bis
zu einer bestimmten Grenze gilt Steuerfreiheit und die
maximale Besteuerung liegt bei unter 20 Prozent. Es
wird den Firmen und Holdings bald relativ egal sein, ob
sie ihren Sitz in Tallin oder in Ljubljana bzw. in Düssel-
dorf oder Berlin haben. Der Unterschied liegt darin: Hier
zahlen sie mehr als 50 Prozent Steuern und dort weniger
als 20 Prozent.

Wir haben Niedriglohngebiete auf dem gemeinsa-
men Binnenmarkt. Die Relation der Facharbeiterlöhne
zwischen Deutschland und Polen beträgt eins zu zehn bis
eins zu zwölf. Die IG Metall hat bei den großen Konzer-
nen kapiert – die können ihren Standort nämlich schnell
verlagern –, dass sich etwas tun muss. Dort akzeptiert sie
Nullrunden. Wir brauchen aber auch einen Spielraum
beim Mittelstand. Denn im Mittelstand entstehen die
Jobs und nicht in den großen Konzernen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Mittelstand haben wir Zehntausende von Arbeitsplät-
zen verloren. Eine Gewerkschaftspolitik, die sich auf die
Großkonzerne konzentriert, ist falsch angelegt.

Man muss in diesem Zusammenhang folgendes Ta-
buthema ansprechen. Die paritätische Mitbestimmung
in Deutschland ist eine Fehlentwicklung. Ich weiß sehr
gut, wie sie entstanden ist. Das ist die Gedankenwelt der
Wirtschaftsdemokratie: Es war die Zeit der Gemeinwirt-
schaft, der Neuen Heimat und der Bank für Gemeinwirt-
schaft – die kennt gar keiner mehr; dort wurden viele Ar-
beitergroschen versenkt. Damals entstand die Idee, dass
man etwas anderes dazwischen erfinden müsste, eine Art
Rätesystem.

Dieses System ist zunehmend ein Standortnachteil.
Andere werben inzwischen damit, die Holdings nach
Holland oder in die Schweiz zu verlagern, weil es dort
solche Regelungen nicht gibt. In der Diskussion, ob die
Deutsche Bank mit einem anderen großen europäischen
Bankinstitut zusammengeht, war immer klar, dass der
Standort in Luxemburg oder in London sein würde, weil
es dort andere Regelungen gibt. Man muss offen darüber
reden, dass sich ein Mechanismus entwickelt hat, der ein
Standortnachteil geworden ist. Dieses Thema kann man
nicht einfach tabuisieren und fortschreiben; darüber
muss ein Dialog stattfinden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nächster Punkt: Energiegipfel. Ich bin froh, dass der
Bundeskanzler unsere Anregung aufgegriffen hat und
jetzt zu einem entsprechenden Gipfel eingeladen hat.
Aber ein bisschen zwiespältig ist es schon. Diese Bun-
desregierung hat den Konzentrationsprozess am Gas-
markt – 85 Prozent Marktanteil – zugelassen und wun-
dert sich jetzt, dass die Gaspreise steigen.


(Beifall bei der FDP)

Wettbewerb ist der beste Schutz vor überzogenen Prei-
sen. Deshalb gilt es, den Wettbewerb zu stärken. Die Re-
gulierungsbehörde kommt nicht in die Pötte. Ich bin kein
Freund der Regulierungsbehörde. Es wäre besser, die
Kompetenzen wären bei einer Wettbewerbsbehörde,
dem Kartellamt, konzentriert. Die Regulierungsbehörde
funktioniert nicht, weil Sie keine vernünftigen Regelun-
gen hinbekommen. Wahrscheinlich haben die Grünen
noch einen Postenwunsch.






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle

Sie kriegen die Energiewirtschaftsgesetzverordnung

nicht hin. Da besteht seit einem Jahr Unsicherheit; sie ist
immer noch nicht in Kraft. Das verunsichert natürlich
die Energieunternehmen.

Sie senden falsche Signale aus. Sie sollten überden-
ken, ob das ERP-Sondervermögen, das einen Symbolge-
halt für den Mittelstand hat, verkauft und der KfW als
Eigenkapitalhilfe übertragen werden soll. Das soll wahr-
scheinlich deshalb gemacht werden, damit Herr Eichel
seine Telekom- und Postaktien besser platzieren kann.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Denn es handelt sich um Aktien mit einem Kursrisiko,
das durch Eigenkapital abgedeckt werden muss. Das ist
der falsche Ansatz.

Herr Clement, Sie sind so etwas wie der letzte Mohi-
kaner der Marktwirtschaft in dieser Regierung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die anderen roten Brüder haben sich schon längst in die
Büsche geschlagen. Sie träumen wahrscheinlich davon,
wie sie in der Opposition Marterpfähle wie Bürgerversi-
cherung und Steuererhöhungen, mit denen die deutsche
Volkswirtschaft getroffen werden soll, errichten können.


(Widerspruch des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Was Sie zur Forschung gesagt haben, unterschreibe
ich alles. Man muss an das Thema Biotechnologie he-
rangehen. Auf diesem Gebiet gibt es im Moment noch
Entwicklungshemmnisse in Deutschland.

Warum gehen Sie nicht wirklich glaubwürdig an den
Bürokratieabbau heran? Wir diskutieren seit Jahrzehn-
ten – auch mein Verein – über den Abbau von Bürokra-
tie. Ich sehe nur einen Weg, wie wir es schaffen können:
Sie müssen die kommunale Selbstverwaltung und damit
den Föderalismus in den Wettbewerb einbeziehen. Las-
sen Sie doch beispielsweise die Ostländer Gesetze außer
Kraft setzen! Lassen Sie Kommunen den Spielraum, Ge-
setze außer Kraft zu setzen! Nur wenn wir den Wettbe-
werb innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung und
des föderalen Systems nutzen – wer Arbeitsplätze
schafft, Investitionen anzieht und wer eine geringere Re-
gelungsdichte hat, hat den attraktiveren Standort –, kom-
men wir voran. Sonst fördern wir nur die Auswanderung
aus Deutschland. 120 000 Spitzenkräfte in Forschung,
Wirtschaft und Wissenschaft verlassen Deutschland je-
des Jahr. Kaum einer kommt zurück. Kapital wandert
aus, weil die Situation bei uns so schwierig ist und weil
wir keine Beweglichkeit und Flexibilität hinbekommen.
Da liegen Sie zwar im Ansatz richtig; aber mehr errei-
chen Sie nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will nicht wiederholen, was Kollege Merz richti-
gerweise angesprochen hat. Sie haben auf die Energie-
preise permanent Belastungen geknallt. Die damalige Li-
beralisierung hat eine Entlastung von 18 Milliarden DM
gebracht. Die ist voll geschluckt worden. Damit werden
die Windrädchen der Grünen finanziert. Diese sollen ein
Drittel der Kernenergie ersetzen.

Ich halte es übrigens für falsch, dass wir aus dieser
Technologie ausgestiegen sind. Wir sollten uns sehr
wohl überlegen, diese Technologie weiterzuentwickeln
und die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke zu verlän-
gern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir werden noch große Probleme bekommen. Lieber
deutsche Ingenieure als verrückte Derwische in Nahost
als Garanten unserer Energieversorgung! Sie haben ei-
nen falschen Ansatz gewählt.

Wir brauchen das Vertrauen der Bevölkerung. Es ist
nicht vorhanden, weil es keinen klaren Kurs gibt.
Schauen Sie einmal die Ergebnisse im Saarland und die
Umfragen in Sachsen an! Das Schlimme im Saarland ist:
Rund 10 Prozent der jungen Wähler bis 25 Jahre haben
NPD gewählt. Die Wähler der NPD sind keine alten
Nazis, sondern junge Leute. Wir alle haben nur ein be-
grenztes Zeitfenster, um notwendige Veränderungen zu
vollziehen; ansonsten werden alle Parteien verlieren.

Schauen Sie einmal über die Grenzen unseres Lan-
des! Ich bin in der Südpfalz aufgewachsen. Das Elsass
ist eine wohlhabende Region. Dort ist kein Militär ein-
marschiert; dort waren keine Panzer. Bei der letzten Re-
gionalwahl hat der Front National, die DVU Frank-
reichs, mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten.
Schauen Sie nach Italien! Da gibt es im Grunde keine
Sozialdemokratie und keine liberale Partei. Die Demo-
crazia Cristiana ist eine Splitterpartei, die 1 Prozent der
Stimmen erhält. Dort gibt es völlig andere politische
Strukturen, wobei ich nicht glaube, dass wir mit diesen
Strukturen glücklicher wären.

Deshalb ist es höchste Zeit. Was zu tun ist, wissen
wir. Dies steht jedes Jahr im Gutachten des Sachverstän-
digenrats. Es ist in Veröffentlichungen der Bundesbank
und des IWF nachlesbar. Die Europäische Kommission
mahnt Deutschland, endlich glaubwürdige, mit Prinzi-
pien und Charakter versehene Reformen durchzuziehen.
Warum tun wir das nicht? Warum verharren wir vorder-
gründig bei Detailpunkten, während das Land weiter vor
sich hindümpelt? 6 Millionen Arbeitslose sind 6 Millio-
nen Schicksale, die nach Veränderung schreien.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512304800

Das Wort hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1512304900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie alle

Jahre wieder: Herr Brüderle bläst Trübsal und lässt die






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler

Welt untergehen. Herr Merz teufelt schneidig aus dem
Handtäschchen von Frau Merkel,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

und zwar mit herzlich wenig Kenntnissen versehen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und was kommt jetzt?)


Alle seine Prognosen sind am unteren Rand. Er
nimmt nicht zur Kenntnis, was die Fachleute sagen, weil
er ansonsten nicht mehr anklagen könnte. Er ist ein ge-
lehriger Schüler von Franz Josef Strauß: nur anklagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was er zum Export erzählt, ist Unsinn. Wir haben mit
der internationalen Arbeitsteilung in der Wertschöp-
fungskette der Exportindustrien Erfolg gehabt. Wir ha-
ben mehr Arbeitsplätze als vorher, auch wenn die eine
oder andere Arbeitsteilung notwendig war und notwen-
dig bleiben wird.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Mehr als wann?)


Man sollte zumindest die Zahlen zur Kenntnis neh-
men und man sollte froh sein, dass Deutschland in der
Welt von morgen und insbesondere in einer Zeit, in der
sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft in Richtung
Asien bewegt, eine starke Exportnation ist und bleibt.
Wir sollten alles dafür tun, dass wir an dieser Stelle stark
bleiben, und sollten uns nicht mit Mäkeleien aufhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was Herr Merz über die PSA sagt, ist pure Mäkelei.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber wahr!)


Was er über die Ich-AGisten sagt, ist im Grunde völlig
daneben. Noch nicht einmal ein Jahr wirkt das Instru-
ment und schon weiß Herr Merz, dass nur 10 Prozent
überleben.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Es sind ja schon 30 000 pleite! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Das sind die Fakten! Zahlen lesen!)


Sie plaudern nur die Dampfplaudereien von Herrn
Philipp nach. Dieser will keine Ich-AGs. Sie wollten die
Ich-AGisten von vornherein nicht haben. Darum muss-
ten Sie sie schon von vornherein zum Untergang verur-
teilen.

Herr Clement geht den richtigen Weg. Wir unterstüt-
zen die Ich-AGs jetzt mit Qualifizierungen und mit Busi-
nessplänen. Wir sollten den Menschen Mut machen und
nicht sagen; jeder Zehnte wird scheitern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Besonders unsinnig waren die Bemerkungen zum
Jobfloater. Es hörte sich an, als hätten wir Geld in einer
Zeit weggegeben, in der die Kreditwirtschaft den Mittel-
stand hat verhungern lassen. In dieser Situation hat der
Jobfloater der KfW dazu beigetragen, dass Investitionen
wieder in Gang gekommen sind. Es waren keine Zu-
schüsse, sondern Kredite, mit denen Arbeitsplätze ge-
schaffen worden sind. Dafür muss sich niemand ent-
schuldigen. Wäre Herr Merz auf der Höhe der Zeit – als
Verwaltungsratsmitglied der KfW müsste er es eigent-
lich sein –, wüsste er, dass die Jobfloater längst in die
Kategorie Unternehmerkredit weiterentwickelt worden
sind und dass die KfW daraus ein wirklich Wachstum
schaffendes Finanzierungsinstrument gezaubert hat.
Dies alles erfolgte, wie gesagt, in einer Zeit, in der die
Banken ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)

Einen besonderen Pappkameraden stellen seine An-

merkungen zu Hartz IV dar. Er beklagt die fehlende
Dezentralisierung, obwohl das ganze Konzept auf De-
zentralisierung angelegt ist. Wir haben immer gesagt,
dass im Gegensatz zu Ihrer Zeit, als Herr Stingl und an-
dere das Sagen hatten, nicht mehr der Wasserkopf in
Nürnberg alles entscheiden darf, sondern die vielen krea-
tiven Köpfe vor Ort die notwendigen Entscheidungen
treffen sollen. Schauen Sie doch wenigstens einmal ins
Gesetz hinein, bevor Sie polemisieren! Es wäre dann im
Hinblick auf die politische Kommunikation vielleicht
leichter.

Meine Damen und Herren, um das, was er heuchle-
risch – –


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Na! Na! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Vorsicht!)


– Vielleicht auch nicht. Ich nehme das Wort Krokodils-
tränen; das klingt etwas neutraler. – Hinsichtlich dessen,
was er zur Ost-West-Spaltung gesagt hat, muss ich sei-
nem Gedächtnis ebenfalls nachhelfen. All das, was mo-
mentan bestritten wird, haben die Herren Ministerpräsi-
denten aus den neuen Ländern kurz vor Weihnachten mit
verabschiedet. Heute geht es nicht um das, wogegen sie
im Juli gestimmt haben; für die Frage der kommunalen
Option hat sich bei den Montagsdemonstrationen kein
Mensch interessiert. Die Grundentscheidung ist mit der
Zustimmung von Herrn Milbradt im Dezember gefallen.
Damals hat er die 349 Millionen Euro gerne mitgenom-
men.


(Beifall bei der SPD – Waltraud Lehn [SPD]: Alles andere ist schlicht gelogen!)


Auch das, was Sie zum Haushalt der GA sagten, ist
falsch. Meine Damen und Herren, wir haben bei der GA
nachgebessert.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!)

Dort, wo es um ein paar aktuelle Dinge am Rand geht,
werden wir es auch noch hinbekommen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo wurde denn nachgebessert?)


– Entschuldigung, es ist bei den Haushaltssperren und
den Verpflichtungsermächtigungen nachgebessert wor-
den. Inzwischen können die Länder über den größten
Teil der Mittel verfügen. Jetzt geht es noch um ein Delta,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und warum?)







(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler

weil die Baransätze für die Folgejahre mit den Verpflich-
tungsermächtigungen noch nicht hundertprozentig über-
einstimmen. Auch dies werden wir noch hinbekommen.
Das ist eine Folge der Verabredungen von Koch und
Steinbrück.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein! Das stimmt so nicht!)


Daran, dass Mittel nicht vorhanden sind, wird jedenfalls
keine Investition scheitern.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Doch! Das scheitert zurzeit schon!)


– Das werden Sie nicht erleben. Das würden Sie zwar
gern beklagen; das werden Sie aber nicht erleben.

Was der Bierdeckelexperte dann zu Steuern und Ab-
gaben im internationalen Gefüge sagte, folgte der Me-
thode: Ich glaube nur der Statistik, die ich selber ge-
fälscht habe. Inzwischen habe ich mir von Karl Diller
sagen lassen, dass der von Herrn Merz zitierte famose
Professor auf Malta so viele Unternehmen wie in
Deutschland befragt hat. Sie haben sich hier also auf ein
verdammt „repräsentatives“ System bezogen. Bevor
man hier über das komplexe Steuersystem in Deutsch-
land redet, sollte man lieber über Berater reden, die die
Kommunen und den Staat um ihren gerechten Anteil am
Unternehmensertrag bringen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Berater, das ist ein gutes Stichwort! 500 Millionen Euro haben Sie für Berater ausgegeben!)


Unser Steuerrecht ist nur deshalb so komplex geworden,
weil viele den stillen Gesellschafter Staat um seinen An-
teil bringen wollen, gleichzeitig aber beklagen, dass zu
wenig in Infrastruktur oder Bildung investiert werde.

Herr Austermann, Sie mit Ihren Zahlenprognosen
sind ohnehin kein guter Kronzeuge.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es reicht ja nicht einmal für den Ortsverein!)


Herr Merz sollte sich mehr um Herrn Rüttgers kümmern.
Er hätte genug damit zu tun, wenn er seinen Rückwärts-
und Vergangenheitsminister nach vorne holte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Tätä! Tätä!)


Meine Damen und Herren, niemand kann davon ab-
lenken, dass die Erholung der Wirtschaft in Gang
kommt. Niemand kann davon ablenken, dass die Exporte
brummen und Marktanteile in der Weltwirtschaft errun-
gen worden sind.

Auch wenn Sie sich noch so sehr in Ihrem Bärenstall
suhlen wollen, auch wenn Ihnen der Sumpf noch so sehr
gefällt, der Sonnenstrahl des Optimismus wird Ihren
Sumpf des Pessimismus austrocknen. Es wird dort zu-
nehmend ungemütlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn die deut-
sche Wirtschaft zu Ihrer Regierungszeit solche Rahmen-
bedingungen gehabt hätte, wie sie heute bestehen, hätte
sie Feste gefeiert, gegen die der Tanz um das Goldene
Kalb ein kleiner Event gewesen ist. Das muss man Ihnen
immer wieder entgegenhalten. Noch nie waren die Steu-
ern für die Untenehmen so niedrig wie heute. Die Lohn-
nebenkosten sinken und die Gesundheitsreform wirkt.

Mit der Gesundheitsreform war das auch so eine Sa-
che. Als wir sie mit Ihnen zusammen ausgearbeitet ha-
ben, hat sich Horst Seehofer feiern und fotografieren las-
sen und von der glücklichsten Nacht seines Lebens
schwadroniert. Mancher hat damals gezweifelt, ob er
noch nichts Anständiges erlebt hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann ist er davongelaufen und wollte die Verantwortung
dafür nicht übernehmen. Jetzt hat Ulla Schmidt das Kind
großgezogen, jetzt würde er sich wieder gern mit dem
Töchterchen fotografieren lassen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Art und Weise kann weiß Gott nicht angehen. Die
Gesundheitsreform erzielt gerade erste Wirkungen und
die Arbeitsmarktreformen schaffen bei den Beteiligten
neues Vertrauen in die Handlungsfähigkeit dieses Lan-
des.

Schauen Sie sich doch an, was wir zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und im Bereich der Schulen ge-
leistet haben. Damit wollen wir die künftige Erwerbstä-
tigkeit von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf erleichtern. Das ist eine Riesenaktion für die
wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Wir wollen da-
mit das Potenzial der Frauen für dieses Land voll nutzbar
machen und gleichzeitig die Chancengleichheit verbes-
sern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen Sie sich an, was wir für die Kommunen tun:
Die Steuerreform hat gegen Ihren Widerstand Verbesse-
rungen für die Kommunen gebracht; 2,5 Milliarden Euro
werden durch die Arbeitsmarktreform freigesetzt,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Witzbold!)


das heißt, das Handwerk kann wieder auf kommunale
Investitionen bauen. Wir fordern die Innenminister der
Länder von dieser Stelle aus auf: Lockert den Schulden-
deckel in den Städten und Gemeinden, die noch unter
Kuratel stehen. Die Steuersenkungen und die Entlastun-
gen durch Hartz IV sind nicht beschlossen worden, um
Schulden von einem Titel auf den anderen zu buchen,
sondern sie sind beschlossen worden, um wieder Investi-
tionen in den Kommunen zu finanzieren. Darüber sollten
wir uns miteinander unterhalten. Hier müssen alle Chan-
cen genutzt werden. Dann lacht auch Ernst Hinsken wie-
der.






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Bei der verheerenden Politik gibt es nichts zu lachen!)


Auch der Haushalt trägt dazu bei, und zwar in der
Fassung, in der wir ihn vorgelegt haben. Wir gehen nicht
vor wie Herr Stoiber, der hier mit seiner 5-Prozent-Ra-
senmähermethode alles durcheinander bringt, oder wie
Herr Austermann, der von der Hälfte des Preises spricht.
Das ist übrigens wieder typisch Union: Die einen singen
das Lied „Spart!“ und die anderen singen das Lied „Gebt
mehr aus!“. Das ist die reinste Kakophonie. Moderne
Musik ist im Vergleich zu dem, was Sie hier aufführen,
ein Ohrenschmaus. Sie müssen die Konsequenzen zie-
hen und deutlich machen, was Sie eigentlich wollen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Der ist ja betrunken!)


Wollen Sie, dass der Haushalt seinen Beitrag zur Sta-
bilisierung der Konjunktur leistet, oder möchten Sie lie-
ber alles abwürgen? Wenn Sie Letzteres wollen, könnten
die Pessimisten unter Ihnen wieder klagen. Wir werden
ihnen diese Gelegenheit aber nicht geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hören wir auf, den Aufbau Ost schlecht zu machen!
Auch im Osten ist das Glas mehr als halb voll. Wenn ich
die von Ihnen zu verantwortende Überhitzung der Bau-
wirtschaft – Sie haben durch Ihre Abschreibungsmodelle
eine Fehlinvestitionswelle im Osten ausgelöst, die jetzt
abebben muss – außer Acht lasse, kann ich feststellen: In
der gewerblichen Wirtschaft kommt der Aufbau Ost
voran und wir sollten niemandem erlauben, das mies zu
machen.

Schauen Sie nach Dresden! Was haben der Bundes-
wirtschaftsminister und Edelgard Bulmahn in Dresden
geleistet! Wir können darauf stolz sein, dass sich die IT-
Region so entwickelt hat. Bedanken Sie sich dafür, statt
alles mies zu machen!


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU: Bei Herrn Milbradt!)


– Was heißt „Herr Milbradt“? Ohne das Geld von
Edelgard Bulmahn hätte Herr Milbradt auf Demonstra-
tionen mit dem Fähnchen hinterherlaufen, aber nicht in-
vestieren können.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das konnte überhaupt nur mit dem Geld der Bundesre-
gierung gehen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Geld der Steuerzahler, nicht der Bundesregierung!)


Es gehört zum Grundanstand, einen gemeinsam errunge-
nen Erfolg auch gemeinsam zu feiern und nicht zu versu-
chen, die Partner zu betrügen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Aufbau Ost kommt voran. Die I-Zulage ist si-
chergestellt und die letzten Ungereimtheiten der Ge-
meinschaftsaufgabe werden so beseitigt, dass im Osten
keine Investitionen verloren gehen werden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Seit einem halben Jahr!)


– Im letzten halben Jahr ist eine Menge passiert.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nichts Gutes!)

Wir sagen den Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Osten
aber auch: Wir brauchen mehr Mut zur Selbstständig-
keit. Wir werden den Schwerpunkt auf die Gründung
neuer Unternehmen setzen müssen. Es kann keiner da-
rauf warten, dass ihm gebratene Tauben in Form von In-
vestitionen aus dem Westen ins Land fliegen. Wir müs-
sen hier Hilfe zur Selbsthilfe organisieren.

Dafür hat diese Koalition mit der Mittelstandsfinan-
zierung eine Menge getan.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Eine Drohung! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist ja der Höhepunkt!)


Wir haben die Steuern deutlich gesenkt. Wenn der Auf-
schwung kommt, kann wieder Eigenkapital aufgebaut
werden.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Der Minister hat gesagt, das sei schon da!)


Die Mittelständler haben ganz erhebliche Probleme. Wir
haben aber mit der Restrukturierung der Mittelstands-
bank des Bundes die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass der Mittelstand Beteiligungskapital bekommt, ohne
an die Börse gehen zu müssen, dass er in den Genuss der
Mezzanininstrumente sowie der Nachrangdarlehen
kommt. In diesem Herbst werden die entsprechenden
Gründungsfonds, die Dachfonds, eingerichtet, was der
Bundeswirtschaftsminister eingeleitet hat und wofür wir
die steuerlichen Voraussetzungen geschaffen haben.

Das Hauptproblem war, dass sich die hier gestern von
Michael Glos so bedauerten Banken mit ihren Invest-
mentbankern an den internationalen Börsen verspeku-
liert und Geld in der Größenordnung von zwei bis drei
Bundeshaushalten verloren haben. Sie haben dann den
Mittelstand nicht mehr mit Krediten versorgt, sodass
selbst der normale Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhal-
ten werden konnte. Hier haben Wolfgang Clement und
Hans Eichel mit der KfW dem Mittelstand mit neuen
Programmen unter die Arme gegriffen und dafür bin ich
dankbar.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt fängt selbst die Deutsche Bank an, über den Kre-

ditkanal zu klagen, obwohl sie früher selbst zu den
Schlimmsten gehört hat. Fragen Sie einmal die Mittel-
ständler in den Flächenstaaten, wie die Bank mit ihnen
umgegangen ist! – Herr Präsident, der Kollege Hinsken
möchte meine Redezeit verlängern.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512305000

Herr Kollege Stiegler, ich wollte Sie gerade fragen,

ob Sie die Zwischenfrage zulassen wollen.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1512305100

Immer.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512305200

Bitte schön, Herr Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1512305300

Herr Kollege Stiegler, Sie haben eben das Hohelied

des Mittelstands gesungen und darauf verwiesen, dass es
gilt, Existenzen zu sichern und neue Existenzen zu
schaffen. Meine Frage lautet deshalb: Worauf führen Sie
es zurück, dass allein in den letzten zwei Jahren in der
Bundesrepublik Deutschland 80 000 Betriebe in Kon-
kurs gegangen sind und diese Zahl in letzter Zeit leider
wieder steigt und somit zu befürchten ist, dass es in die-
sem Jahr sogar einen neuen Konkursrekord in der Bun-
desrepublik Deutschland gibt?


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1512305400

Ich empfehle die Studie der Creditreform. Ihr kann

man entnehmen, dass die Gründe dafür sind: 75 Prozent
eigene Schuld, kein Controlling, keine Unternehmens-
planung, zu einem großen Teil fehlendes Eigenkapital.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und schlechte Politik!)


Unsere Maßnahmen zielen genau auf diese Punkte: Der
Beratungsetat wird entsprechend erhöht. Es gibt auch
verstärkt die Möglichkeit, Beteiligungskapital zuzufüh-
ren. Hinzu kommt, dass viele Banken in den letzten Jah-
ren aufgrund ihrer eigenen Krise den Kredithahn zu früh
zugedreht und dadurch Zehntausende von Unternehmen
ruiniert haben, die eigentlich hätten überleben können.
Das habe ich in meiner Region immer wieder erlebt.
Jetzt, da die KfW und auch die Landesförderbanken zur
Unterstützung bereit sind, gibt es wieder Überbrü-
ckungsdarlehen und auch Kredite für Sanierungen.

Aber der Mittelstand muss sich auch Kenntnisse über
moderne betriebswirtschaftliche Instrumente aneignen.
Die Hosentaschenbuchhaltung hat ein Ende. Eine mittel-
fristige Finanzplanung gehört ebenfalls dazu. Man kann
nicht immer sagen, die bösen Rahmenbedingungen hät-
ten den Mittelstand ruiniert.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die falsche Politik der Bundesregierung!)


Gerade als Handwerksfunktionär muss man sich auch
einmal an die eigene Nase fassen und fragen, wer viel-
leicht mit Schuld hat. Das sind nicht immer der Staat und
die Rahmenbedingungen. Man muss sich fragen, ob man
alles getan hat, was man heute für eine kaufmännische
Unternehmensführung braucht.


(Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist nach dem Motto „Haltet den Dieb!“)

Meine Damen und Herren, zum Thema Beteiligung
gehört auch die Mitarbeiterbeteiligung. In Zukunft
werden wir Mitarbeiter in zunehmendem Maße ermuti-
gen müssen, sich an den Unternehmen, in denen sie ar-
beiten, zu beteiligen. Hier besteht noch die Notwendig-
keit, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Mitarbeiter
werden nicht dem reinen Shareholder-Value-Denken
verfallen, sondern gerade in Zuliefererbetrieben und in
ländlichen Regionen zur Stabilität ihrer Unternehmen
beitragen. Wir haben die Weichen in Richtung Wachs-
tum des Sozialprodukts und nicht nur in Richtung Vertei-
lung des Sozialprodukts gestellt. Es wird eine große
Aufgabe sein, nun eine neue Kultur der Selbstständigkeit
zu begründen. Dazu gehören die Qualifikation und die
notwendige Finanzierung.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einer
Branche Dank sagen, die sehr viel für unsere Arbeits-
und Ausbildungsplätze tut, dem Tourismus. Sie hat in
den letzten Jahren weiß Gott einen großen Beitrag ge-
leistet. Wir wünschen dem Tourismus, gerade dem
Deutschlandtourismus, durch die Weltmeisterschaft Er-
folge. Ich danke dem Bundeswirtschaftsminister, dass
die Zuschüsse an die Deutsche Zentrale für Tourismus
stabil geblieben sind, sodass wir den Incoming-Touris-
mus entsprechend fördern können.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir haben bundesweit 2 Prozent minus!)


– Im letzten Jahr gab es in diesem Bereich einen Zu-
wachs an Ausbildungsplätzen. Ich denke, wir werden
hier auch in Zukunft vorankommen. Jedenfalls müssen
wir alles dafür tun, dass diese Branche ihren Beitrag leis-
tet.

Zur Energiepolitik hat Wolfgang Clement alles ge-
sagt. Aber ich warne Sie vor kurzatmigem Populismus,
wenn Sie meinen, jetzt über die Unternehmen herfallen
zu können. Sie kriegen die Prügel, die sie brauchen. Wer
Luftballonpreiserhöhungen ankündigt und sich dann,
wenn auf diese Luftballons geschossen wird, zurück-
zieht, der ist nicht sonderlich seriös. Grundsätzlich ist
aber klar: Wir werden die Rahmenbedingungen so ge-
stalten, dass Versorgungssicherheit und stabile Netze ge-
währleistet sind. Ich möchte das Geschrei hören, sollte
das eines Tages anders sein.

Es zeigt sich auch angesichts der Entwicklung im
Energiebereich, dass die Politik nach dem Motto „weg
vom Öl“ richtig war. Herr Brüderle, Ihre Rückkehr zur
Atomwirtschaft, ohne dass die Entsorgung gewährleistet
ist, bleibt ein alter Irrtum. Hören Sie endlich mit Ihrer
Atommeilerei auf! Wenn Sie den Dreck selbst zu sich in
die Pfalz nehmen, dann können wir miteinander reden.
Aber zu glauben, dass die Entsorgung in anderen Regio-
nen stattfindet und Sie den Nutzen haben, das haut nicht
hin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Stagnationskrise ist überwunden. Die Innovatio-
nen kommen voran. Sie wollen zwar, wie auch Professor
Sinn, Herr Milbradt und andere, Niedriglöhne einführen,
aber diesen Weg gehen wir nicht mit. Nein, dieses Land






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler

soll eine hoch qualifizierte Volkswirtschaft sein und blei-
ben. Dazu gehören die Erneuerung der Bildungskette,
die Qualifikation, der Technologietransfer und nicht zu-
letzt der Ausbildungspakt. Denn unsere Zukunft hängt
davon ab, dass jeder junge Mensch in das Wirtschaftsle-
ben integriert wird. Dafür schaffen wir mit Hartz IV die
Voraussetzungen. Erstmalig wird jeder junge Mensch ab
dem 1. Januar 2005 einen Rechtsanspruch auf eine Ar-
beit, eine Arbeitsgelegenheit, eine Ausbildung oder eine
Qualifikation haben. Helfen Sie dabei mit! Das ist die
beste Zukunftssicherung. Aber hören Sie mit Ihrem Pes-
simismus auf!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512305500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1512305600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

20 Minuten Ludwig Stiegler haben zwar einen großen
Unterhaltungswert, aber leider wenig Inhalt.

Seit sechs Jahren erleben wir jedes Jahr im September
dasselbe Trauerspiel:


(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt kommen 15 Minuten Pessimismus!)


In einer unwahrscheinlichen Dreistigkeit wird uns ein
Fantasieprodukt unter die Nase gehalten, von dem wir
wissen, dass es das Papier, auf dem es gedruckt ist, nicht
wert ist.


(Zuruf von der SPD: Diese Aussage war dreist!)


Alle sechs Jahre legen Sie Zahlen zugrunde, die sich
nicht halten lassen, und jedes Mal wissen Sie, dass Sie
vor einem Haushaltsfiasko stehen. Sie bringen keinerlei
Ideen, wie Sie den Haushalt wieder in die richtige Rich-
tung lenken können, wie Sie die Staatsschulden in den
Griff bekommen wollen, wie Sie die Ausgaben unter
Kontrolle bekommen wollen und wie Sie wenigstens
mittelfristig die Finanzen des Staates auf eine seriöse,
solide und berechenbare Grundlage stellen wollen.

Das allergrößte Defizit Ihrer Haushaltsplanung ist der
Vertrauensverlust, den Sie verursachen,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Diese Rede haben Sie schon zehnmal gehalten!)


der Vertrauensverlust bei der Bevölkerung und auch bei
den Unternehmen vor Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen ganz genau, dass dieser Vertrauensverlust der
größte Wachstumskiller ist, den wir haben. Auch wenn
Herr Eichel sich hier hinstellt und sagt, das wäre die
Konsolidierung – von dieser Regierung wird keine Kon-
solidierung betrieben. Das zeigt die Tatsache, dass es al-
lein 26 Milliarden Euro Mehrausgaben gegenüber 1998
gibt.

Wenn man sich andere Länder anschaut, Irland, Spa-
nien, Dänemark oder Finnland, stellt man fest: Diese
Länder haben es geschafft, in der Krise mit dem Sparen
anzufangen, und zwar mit Erfolg. Sie haben gezeigt,
dass es keine Diskrepanz gibt zwischen Sparen und
Wachstum. Wir haben ein anderes Problem mit dem
Sparen, nämlich bei unserer Bevölkerung. Warum spart
unsere Bevölkerung, warum wächst unsere Sparquote?
Das ist ein Angstsparen aufgrund der Politik, die Sie
praktizieren. Die Sparquote kann nicht sinken, solange
die Menschen nicht wissen, wie Sie in der Zukunft für
die Schulden des Staates aufkommen wollen, und so-
lange sie das Gefühl haben, dass Sie die Zukunft ihrer
Kinder verfrühstücken: mit Ihrer Schuldenmacherei,
durch das Verscherbeln des letzten Tafelsilbers


(Ludwig Stiegler [SPD]: Den Rekord bei den Schulden hält immer noch Theo Waigel, kein anderer!)


und durch Ihren fehlenden Sparwillen. Sie machen wirk-
lich eine Politik nach dem Motto „Nach mir die Sint-
flut“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von Nachhaltigkeit, die Sie immer wieder anzubrin-

gen versuchen, findet man in Ihrer Politik, durch alle
Ressorts hindurch, nicht das Geringste.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn jetzt vor, zum Beispiel beim Wirtschaftswachstum?)


Unsere Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.
Immer mehr Unternehmen verlassen fluchtartig das
Land. Wieso wollen denn inzwischen 43 Prozent der
Unternehmen abwandern? 2003 waren es erst 38 Pro-
zent. Was kam denn bei der Umfrage des DIHK heraus?

Ausländische Standorte stellen also zunehmend
eine echte Alternative zur heimischen Produktion …
dar.

Das ist die Realität. Das kann man doch nicht leugnen.
Es ist nicht mehr wie früher, als es nur die Großindustrie
war, die ins Ausland gegangen ist. Inzwischen sind es
die kleinen und mittleren Betriebe, die die Flucht ergrei-
fen, um wirtschaftlich überleben zu können.

Deutschland ist wegen seiner Sozialbeiträge eines
der teuersten, wenn nicht sogar das teuerste Produktions-
land der Welt. Die Kostendifferenzen betragen bis zu
80 Prozent. Der Satz, den man früher immer im Mittel-
stand gesagt hat – „lebenslang Deutschland“ –, gilt
schon lange nicht mehr.

Unser Problem ist ein ganz anderes: Wir haben eine
neue Art der Verlagerung. Inzwischen sind es die kapi-
tal- und wissensintensiven Unternehmensteile – Verwal-
tung, Forschung, Entwicklung –, die ins Ausland gehen.
In der Elektrobranche, in der chemischen Industrie, im
Maschinenbau wird zukünftig in Breslau und in Bratis-
lava entwickelt, geforscht und investiert, nicht mehr in






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

Baden-Württemberg und Berlin, wie es vorher gewesen
ist. Die Folge ist, dass hier immer mehr Arbeitsplätze
gestrichen werden, dass Arbeitsplätze nicht mehr hier
geschaffen werden, sondern in Polen, Tschechien und
Ungarn. Wir werden es erleben, dass allein dieses Jahr
50 000 neue Arbeitsplätze im Ausland geschaffen wer-
den, und zwar von deutschen Unternehmen. Das bedeu-
tet netto einen Beschäftigungsverlust für Deutschland.
Das ist das, was uns zu denken geben sollte. Unser beto-
nierter, überregulierter Arbeitsmarkt schafft es nicht, die
verlagerten Arbeitsplätze durch neue zu ersetzen; dieses
Problem müssen wir angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Stiegler, Sie können sich hier hinstellen und

nochmals das Hohelied des Exportweltmeisters bringen.
Exportweltmeister kann man auch ohne Wertschöpfung
sein.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ist man aber nicht!)

Es stimmt nicht, dass die Wertschöpfung bei uns zu-
nimmt. Nehmen Sie allein die Automobilindustrie: In
der Automobilindustrie haben wir in Deutschland inzwi-
schen nur noch eine Wertschöpfung von 20 Prozent.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ist doch nicht wahr!)

Wir verlieren nicht nur Fertigungstiefe, wir haben

auch das weitere Problem, dass hier nicht mehr so inves-
tiert wird wie früher. Inzwischen sind die Auslandsin-
vestitionen unserer Unternehmen genauso hoch wie die
Investitionen hier in Deutschland. Wie Umfragen erge-
ben haben, verschieben 40 Prozent aller kleineren und
mittleren Unternehmen ihre Investitionen. Zudem halten
sie Investitionen in einer Höhe von 15 Prozent des
Jahresumsatzes zurück. Rechnen Sie das einmal gesamt-
wirtschaftlich hoch! Investitionen in Höhe von 15 Pro-
zent des Jahresumsatzes werden zurückgehalten. Das be-
deutet längerfristig, dass die Wachstumsrate um
5 Prozent niedriger ausfällt. In unserer jetzigen Situation
würden wir uns die Finger lecken, wenn wir eine solche
Steigerung hätten. Das ganz große Problem ist: Wo sind
Ihre Antworten auf diese wirklich drängenden Fragen?


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die wollen nicht antworten!)


Herr Stiegler, um die Haushaltslöcher zu stopfen, tun
Sie etwas, bei dem Ihnen das Herz bluten müsste. Unser
bester Mittelstandstopf, den wir seit vielen Jahrzehnten
haben, das ERP-Sondervermögen, wird für 2 Milliar-
den Euro cash an die KfW weggegeben, sozusagen ver-
schenkt. Das Eigenkapital dieses Mittelstandstopfes be-
trägt 12,7 Milliarden Euro. Seine Bilanzsumme beläuft
sich auf 32,9 Milliarden Euro. Ein solches Vorgehen ist
gesetzlich eigentlich gar nicht zulässig, weil wir ein Sub-
stanzerhaltungsgebot bezüglich des ERP-Sondervermö-
gens haben. Diese Mittel werden aber an die KfW flie-
ßen. Dadurch wird dieser Förderungstopf, der zentrale
Baustein der Mittelstands- und der Existenzgründungs-
politik, 2 Milliarden Euro weniger enthalten.

Dieser Topf hat eine Erfolgsbilanz ohnegleichen: Al-
lein seit 1949 wurden 111 Milliarden Euro zur Wirt-
schaftsförderung eingesetzt. Mit ihm wurden gut
8 Millionen neue Arbeitsplätze gefördert und wurde
dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. 1,7 Millio-
nen Betriebe haben davon profitiert.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512305700

Frau Kollegin Wöhrl, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Barnett?


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1512305800

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512305900

Bitte schön, Frau Barnett.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1512306000

Vielen Dank, Kollegin Wöhrl. Sie singen hier das Ho-

helied des Arbeitsplatzabwanderns und sagen, dass nicht
abgebaut, sondern alles vernichtet wird. Ich nehme an,
dass Sie die KfW nicht als einen Klickerverein, sondern
als eine Institution betrachten, deren Arbeit auf fundier-
ten Daten beruht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie ist sehr regierungsnah!)


– Ach so, ob sie richtig oder falsch arbeitet, hängt davon
ab, wer gerade an der Regierung ist. Ich verstehe.

Wie stehen Sie zu der Aussage, die in der September-
ausgabe des „Wirtschaftsbarometers“, herausgegeben
von KfW-Research, steht? Ich zitiere:

Die im Juli von der KfW-Bankengruppe geförder-
ten Mittelständler wollen im Gefolge des finanzier-
ten Investitionsprojekts ihre Arbeitsplatzzahl um
5,9 Prozent erhöhen, genauso viel wie im Monat
zuvor.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die Frage ist ja, wo!)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1512306100

Gut, Sie müssen natürlich auch sagen, in welchem

Bereich erhöht werden soll. Wenn Sie sich die DIHK-
Umfragen, die Kammerumfragen und viele andere Um-
fragen anschauen, dann erkennen Sie, dass es im Mo-
ment vor allem im industriellen Bereich einen immensen
Arbeitsplatzabbau gibt.

Unser ganz großes Problem momentan ist, dass unser
industrieller Bereich schrumpft, während andere Länder,
die die gleichen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingen
wie wir haben, ihre Industriebereiche ausbauen. Ohne
die Industriebereiche werden aber auch die Dienstleis-
tungsbereiche nicht wachsen, sodass dort keine weiteren
Arbeitsplätze entstehen. Deswegen bezweifle ich die
hier angeführte Aussage, dass das für alle Bereiche zu-
trifft.

Der Kollege Hinsken hat vorhin die Zahl der Insol-
venzen angesprochen. Diese werden in diesem Jahr auf
über 40 000 wachsen. Damit ist der Verlust von Arbeits-
plätzen verbunden. Daran sehen wir, dass es keinen Ar-
beitsplatzaufbau gibt. Wie könnte es sonst sein, dass wir






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

innerhalb von zwei Jahren über eine Million weniger Be-
schäftigte haben


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigten jeden Tag um 1 600 sinkt? Die Zahlen wür-
den ja nicht stimmen, wenn in diesem Bereich ein Ar-
beitsplatzzuwachs gegeben wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich auf unseren Mittelstandstopf zurück-

kommen. Diesen Topf, der unabhängig vom Haushalt
existiert und den wir immer als etwas ganz Wertvolles
und Wichtiges gehütet haben, entziehen Sie dem Ein-
fluss des Parlaments. Das Parlament kann zukünftig
nicht mehr über die Programme zur Mittelstandsförde-
rung entscheiden. Es kann nicht mehr – darüber haben
wir bisher entscheiden können – den Nachteil des Mittel-
stands gegenüber den Großunternehmen, die von den
Banken immer leichter Geld bekommen als die kleinen
Unternehmen, ausgleichen, weil Sie in einem Jahr kurz-
fristig Ihre Haushaltslöcher stopfen wollen. Sie singen
zwar immer das Hohelied des Mittelstands, aber bei den
Fakten versagen Sie kolossal.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da Sie von den Energiepreisen gesprochen haben,

möchte auch ich dieses Thema aufgreifen. Der Energie-
preis ist nicht irgendeine Variable der Volkswirtschaft.
Er ist ein immens wichtiger Standortfaktor, mit dem un-
heimlich viele Arbeitsplätze verbunden sind. Es ist für
mich schon erstaunlich, mit welch populistischem Pa-
thos die Preistreiberei einiger Stromkonzerne – es sind ja
nicht alle – vollkommen zu Recht angeprangert wird. Es
ist wirklich unverschämt, sozusagen am Vorabend der
Regulierung noch einmal richtig Kasse zu machen. Ich
glaube, auch Sie, Frau Hustedt, stimmen mir da zu. Aber
wäre das Wirtschaftsministerium in der Lage gewesen,
die EU-Richtlinie rechtzeitig umzusetzen, nämlich bis
zum 1. Juli eine Regulierungsbehörde einzurichten,
wäre das gegenwärtige Vakuum gar nicht erst entstan-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Nur ein halbes Jahr später!)


Noch etwas muss man sehen: Es ist schamlos, in die-
sem Zusammenhang den Versuch zu unternehmen, zu
verschleiern, wie diese Regierung dazu beigetragen hat,
dass sich die Energiepreise in den letzten sechs Jahren
erhöht haben. Allein für die Kunden waren das
40 Prozent; denn 40 Prozent des Strompreises hat die
Politik zu verantworten. Die 2,3 Milliarden Euro, die der
Verbraucher 1998 an den Staat, nicht an die Energiever-
sorgungsunternehmen zahlen musste, sind inzwischen
auf 12,3 Milliarden Euro im letzten Jahr gestiegen. Über
die Benzinpreise, bei denen über 18 Milliarden Euro
über die Ökosteuer abkassiert werden, will ich über-
haupt nicht reden. Es gäbe noch viele andere Beispiele.
Immer nur auf den anderen zu zeigen, um nicht selbst
die Verantwortung zu übernehmen, ist die falsche Poli-
tik.
In unserem Land leben 82 Millionen Menschen, da-
von 26,4 Millionen Sozialversicherungspflichtige, denen
über 20 Millionen Rentner gegenüberstehen. Die Zahl
der registrierten Arbeitslosen beträgt 4,5 Millionen. Wie
viele es in Wirklichkeit sind, darüber möchte ich gar
nicht erst mutmaßen. Statistikänderung lässt grüßen!
Das bedeutet, dass de facto jeder Beschäftigte inzwi-
schen seinen eigenen Transferbezieher hat, den er aus
seinem Arbeitseinkommen mitfinanziert. Das Missver-
hältnis zwischen denen, die mit ihrer Arbeit durch sozi-
alversicherungspflichtige Beschäftigung zum Wohl-
stand aktiv beitragen, und denen, die die Wertschöpfung
konsumieren, wird immer größer.

Ich habe vorhin schon angesprochen, dass bei uns die
Zahl der Beschäftigten rückläufig ist, während es euro-
paweit einen Zuwachs an Beschäftigung von 0,25 Pro-
zent gibt. Dadurch kommen wir in die Situation, dass die
Sozialbeiträge unter Druck geraten. Niemals in der deut-
schen Geschichte ist der Faktor Arbeit mit derart hohen
gesetzlich fixierten Lohnzusatzkosten so verteuert wor-
den wie unter Rot-Grün. Das ist ein Fakt. Auf den Job-
floater und die anderen falschen Subventionen, die auf
den Weg gebracht wurden, will ich gar nicht näher ein-
gehen. Man muss sich das aber einmal vorstellen:
72 000 Euro pro Arbeitsplatz für den Jobfloater. Ein
PSA-Arbeitsplatz wird mit 38 000 Euro pro Jahr subven-
tioniert. – Angesichts dieser Zahlen fragt man sich
schon: Wird hier das Geld richtig angelegt? Wie Sie sich
vorstellen können, bezweifeln wir das.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Der Jobfloater subventioniert nicht! Was für ein Unsinn!)


Die Wahrheit ist – das wissen Sie –, dass man in unse-
rem Land mit Ende vierzig nur sehr schwer eine Arbeit
findet und dass die 1,7 Millionen Langzeitarbeitslosen
von Maßnahme zu Maßnahme gereicht werden, ohne je
wieder einen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz zu be-
kommen. Über 50 Milliarden Euro geben wir in diesem
Land inzwischen für die Arbeitslosigkeit aus, fast die
Hälfte davon für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512306200

Frau Kollegin Wöhrl, bitte.

Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1512306300

Kein Land auf der Welt – danke, Herr Präsident – be-

treibt mehr aktive Arbeitsmarktpolitik als wir und kein
Land ist so erfolglos wie wir. Das kann man nur damit
begründen, dass von Rot-Grün bei der Arbeitsmarktpoli-
tik und in vielen anderen Bereichen ein falscher Weg
eingeschlagen worden ist. Man versucht immer, den Ku-
chen zu verteilen, der vorhanden ist, aber man versucht
nie, den Kuchen zu vergrößern. Man geht Arbeits-
marktreformen nicht an,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


man bringt kein modernes Kündigungsschutzgesetz auf
den Weg, man fördert den Niedriglohnsektor nicht –


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Witz!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512306400

Frau Kollegin Wöhrl, bitte.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1512306500

– und viele andere Dinge mehr.


(Zuruf des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])

Arbeit ist vorhanden, aber sie ist nicht bezahlbar, Herr
Stiegler. Die Schattenwirtschaft mit einem Volumen von
400 Milliarden Euro spricht für sich.

Wir haben ein Problem, wir haben eine Verunsiche-
rung, die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Die
Hoffnung braucht Träger und die sind Sie ganz bestimmt
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Das musste kommen! Das kommt seit zehn Jahren! Bonjour Tristesse!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512306600

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512306700

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die hochverehrte Frau Wöhrl hat gerade das
Wort Angstsparen gebraucht. Wenn man eine Rede wie
die Ihre hört, dann kommt Angstsparen erst richtig auf.


(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Das ist doch logisch. Sie machen nichts anderes, als Ihre
Redezeit mit Aussagen darüber zu füllen, wie mies und
elend es in Deutschland ist.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie sagen jedes Mal das Gleiche, wenn Sie anfangen, Herr Kuhn!)


Wer dies an den Fernsehschirmen hört, der muss denken,
er sei der letzte Idiot, wenn er überhaupt noch einen
Euro ausgibt. Das ist die Wirkung Ihrer Reden. Ich bitte
Sie, in einer ruhigen Minute – das müssen Sie nicht jetzt
tun – darüber einmal nachzudenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben eine Haushaltsdebatte. Dazu haben Sie

auch eine Bemerkung gemacht. Darauf will ich kurz ant-
worten. Ich habe mir die Reden gestern und vorgestern
angehört, auch das, was Sie gesagt haben. Ich stelle Fol-
gendes fest: Sie werfen der Regierung a) vor, sie gebe zu
viel aus, und Sie werfen ihr b) vor, sie gebe zu wenig
aus, zum Beispiel für Investitionen. Das ist ein bisschen
widersprüchlich, aber Sie und auch Herr Austermann ha-
ben bislang keine Sparliste vorgelegt, auf der steht, wo
die Union einsparen will. Der einzige Vorschlag ist die
Einsparung von 5 Prozent nach der Rasenmähermethode
von Herrn Stoiber. Ich bin mir sicher, dass niemand von
Ihrer Fraktion diese Forderung in der letzten Konse-
quenz durchhält, weil wir sonst bei entscheidenden Zu-
kunftsinvestitionen sparen müssten. Das heißt, Sie erhe-
ben Kritik, haben aber in diesem Parlament in keiner
Weise gesagt, wie Sie das insgesamt machen wollen.
Deswegen ist die Kritik billig und in der Weise auch
nicht zu rechtfertigen.


(Beifall der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Herr Merz, ich will etwas zum Standort Deutsch-
land sagen, weil Sie darauf eingegangen sind. Es ist
doch völlig klar, dass wir positive Seiten haben und dass
wir noch Schwächen haben. Nur in diesem Bewusstsein
kann man eine vernünftige wirtschaftspolitische Debatte
führen. Lasst uns zu unseren Stärken stehen und lasst
uns an unseren Schwächen arbeiten!

Ich will zwei Punkte aufgreifen, weil Frau Wöhrl ge-
sagt hat, wir hätten keine Arbeitsmarktreform. Erstens.
Frau Wöhrl, der Chefökonom der Allianz, Michael
Heise, hat vor zwei Wochen in den Medien gesagt, mit
diesen Reformen, die wir gerade machen, nämlich
Hartz IV und den anderen Hartz-Gesetzen, würden wir
die Beschäftigungsschwelle in Deutschland, die bei ei-
nem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent liegt, auf 0,8
bis 1 Prozent senken können. Das heißt, in einiger Zeit
kann es gelingen, dass wir bei viel geringerem Wachs-
tum als in der Vergangenheit neue Jobs schaffen. Sie
aber stellen sich hier frohgemut, wie Sie nun einmal
sind, hin und sagen, uns fehle eine Arbeitsmarktreform.
Gehen Sie doch nach München und informieren Sie sich,
wie das dort gesehen wird!

Zweitens. Lesen Sie das Augustheft der Deutsche
Bank Research. Darin werden klare Prognosen für den
Standort Deutschland gemacht. Danach steigen die Aus-
rüstungsinvestitionen im Jahr 2004 um 3 Prozent und
im Jahr 2005 um 6,5 Prozent. Das heißt, wir haben bei
einem entscheidenden ökonomischen Indikator, den die
Ausrüstungsinvestitionen darstellen, einen Zuwachs. Die
Gesamtinvestitionen inklusive Bau wachsen – so die
Aussage – im Jahr 2004 um 3 Prozent und im Jahr 2005
um 4,5 Prozent. Eine weitere Zahl aus dieser Untersu-
chung betrifft die Lohnstückkosten, Herr Merz. Diese
sind vom Jahr 2000 bis heute im EU-Raum ohne
Deutschland um 9,25 Prozent gestiegen, in der Bundes-
republik im selben Zeitraum um 2,25 Prozent. Das heißt,
beim entscheidenden Indikator für das produzierende
Gewerbe haben wir durch die Kombination einer guten
Lohnentwicklung und Produktivitätssteigerungen eine
positive Entwicklung. Dieses muss man an der Stelle der
Debatte auch einmal sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie versündigen sich am Standort Deutschland, wenn

Sie aus politischem Kalkül heraus die Zahlen nicht zur
Kenntnis nehmen wollen. Deswegen will ich sie hier in
aller Deutlichkeit nennen.

Nachdem ich gestern Frau Merkel und andere aus der
Union gehört habe, habe ich folgenden Eindruck: Sie sa-
gen, die Reformen müssten schon sein. Sie stehen zu
Hartz; denn Sie wissen genau, dass diese Reformen not-
wendig sind, damit in Deutschland wieder mehr Be-
schäftigung entsteht. Das heißt, die Reformen nehmen
Sie gerne in Kauf, Sie wollen aber dafür sorgen, dass die
Stimmung in Deutschland schlecht bleibt. Die Struktur-
reformen soll die Regierung machen und die schlechte






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

Stimmung heizen Sie aus billigem politischen Kalkül an.
Ich kann Ihnen nicht ersparen, hier ganz klar darauf hin-
zuweisen. Anders kann man die Doppelstrategie ja nicht
erklären: Milbradt mosert in Sachsen und will am
Montag demonstrieren und Sie sagen hier im Parlament,
dass Hartz IV notwendig ist. Die schlechte Stimmung
soll verstärkt werden. Aber das Positive, was die Regie-
rung leistet, sacken Sie schon einmal ein; denn man kann
ja vernünftigerweise nicht dagegen sein. Das ist eine
doppelzüngige, scheinheilige Politik, die die Union hier
macht. Sie macht diese Politik zulasten der Arbeitslosen;
denn die Schlechtrederei, die Sie hier betreiben, Frau
Wöhrl – Sie reden das Kaputtsparen ja herbei –, geht na-
türlich zulasten der Arbeitslosen. Es ist doch völlig klar,
dass die Situation auf dem Binnenmarkt schlecht aus-
sieht und dass wir sie verbessern müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Merz und Frau Wöhrl haben beide das Argument
gebracht, unsere Exportstärke sei im Wesentlichen eine
Basarökonomie, das heißt, wir hätten gar nicht die Wert-
schöpfung, die in der Bundesrepublik notwendig wäre,
da wir anderswo vorproduzieren ließen. Herr Merz, die
Betrachtung, die Sie da angestellt haben, ist falsch.
Schauen Sie sich das in den einzelnen Branchen einmal
an. Wir haben in der Automobilindustrie ganz klar und
eindeutig mehr Arbeitsplätze, weil wir in Billiglohnlän-
dern vorproduzieren.


(Klaus Brandner [SPD]: So ist es!)

Das können Sie jederzeit feststellen. Dass der Produkti-
onswert und die Wertschöpfung nicht gleich laufen und
dass es da eine Lücke gibt, hat ganz andere Gründe, die
zum Beispiel mit Statistik zu tun haben. Da viele Be-
triebe in Deutschland ihre Dienstleistungskomponenten
und die produktionsnahen Dienstleistungen ausgelagert
haben – und zwar im Binnenmarkt –, steigt die Wert-
schöpfung in diesen Bereichen nicht mehr; sie steigt aber
natürlich bei den ausgelagerten Firmen. Herr Merz,
schauen Sie sich, ehe Sie das Argument von Herrn Sinn
wiederholen, noch einmal in Ruhe an, wie sich in
Deutschland die Dienstleistungen – auch die produk-
tionsnahen Dienstleistungen – entwickelt haben. Dann
kommen Sie, glaube ich, zu einem anderen Urteil. Aber
Sie wollen politisch ja etwas anderes erreichen.

Auch die Exportstärke Deutschlands – wir können sa-
gen, das ist ein aktives Pfund unserer Wirtschaft – soll
schlecht geredet werden. Ihr Argument ist natürlich:
Auch die gesteigerte Wertschöpfung bei den ausgelager-
ten Unternehmen taugt nichts; denn sie sind ja nur vor-
gelagert. Da liegen Sie falsch. Noch einmal, Frau Wöhrl:
In der Automobilindustrie ist es anders, in der chemi-
schen Industrie ist es anders; bei der Elektrotechnik hat
Herr Merz Recht; beim Maschinenbau hat er wiederum
nicht Recht, vor allem weil der Maschinenbau mittel-
ständisch geprägt ist und deswegen Wertschöpfung und
Produktionswert nicht so auseinander laufen.

Jetzt komme ich zum Abschluss zu der Diskussion
über die Energiepolitik, die Sie aufgemacht haben. Frau
Hustedt wird dazu nachher noch einiges ausführen. Ich
will Ihnen nur sagen: Die Polemik von Herrn Merz, die
wir gehört haben, es liege alles nur am Erneuerbare-
Energien-Gesetz und an der Energiepolitik, ist wirklich
Kappes. Im letzten Jahr hat die Menge des eingespeisten
Stroms aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland
nicht zugenommen. Dennoch sagt RWE, dass die Kosten
steigen würden und man jetzt so unsittliche Preiserhö-
hungen machen müsse. Ich glaube, diese Tour zieht ein-
fach nicht. Eine Betrachtung der Zahlen gibt das nicht
her, was Sie da darstellen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Im Übrigen, Herr Merz, müssten Sie einmal erklären,

warum die Ministerpräsidenten der Länder dem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz im Bundesrat zugestimmt haben,
oder Sie müssen den Wählerinnen und Wählern erklä-
ren, ob Sie es abschaffen wollen. Ganz konkret: Wollen
Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen? Dann
sagen Sie es ganz deutlich! Sagen Sie dann auch den
130 000 Menschen, die in diesem Bereich seit 1998 neue
Arbeitsplätze gefunden haben, dass Sie das Gesetz ab-
schaffen möchten. Das wäre doch eine interessante Bot-
schaft aus einer solchen Debatte: Der Großökonom Merz
will 130 000 Arbeitsplätze in der Wind- und Solartech-
nik gefährden. Prost Mahlzeit, Herr Merz, da haben Sie
eine tolle Aussage geliefert!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind ein Schwätzer! Reden Sie doch nicht so einen Quatsch daher!)


Ich muss zum Schluss kommen und will noch darauf
hinweisen, Herr Minister, dass wir, auch wenn vieles po-
sitiv läuft, mit den Befunden beim Bürokratieabbau
nicht zufrieden sind. Nach der Studie der Weltbank müs-
sen wir uns nach meiner Überzeugung noch einmal hin-
setzen und die Frage stellen, in welchen Bereichen wir
zusätzlich etwas erreichen können. Ich finde, dass wir
darauf umgehend reagieren sollten. Der Masterplan ist
zwar in Ordnung. Aber angesichts der jetzt vorliegenden
Daten sollten wir uns erneut fragen, was wir darüber hi-
naus noch tun können. Herr Brüderle hat Recht: Das
Ganze hat viel mit einer Föderalismusreform zu tun. Ich
meine, dass es des Schweißes der Edlen wert ist, sich da-
rum zu kümmern.

Damit komme ich zum Schluss.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512306800

Aber jetzt ganz schnell!


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512306900

Ich bin eigentlich schon am Schluss, aber nicht am

Ende.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512307000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512307100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Leider ist es schon Tradition geworden, dass uns
hier ein Haushalt vorgelegt wird, der das Jahr nicht über-
stehen wird. Das gilt auch für den Haushalt des Bundes-
wirtschafts- und -arbeitsministers. Sein eigenes Institut,
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB,
kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis – Herr
Clement, Sie hätten sich das heute Morgen um 6.50 Uhr
ausdrucken können –: Die neuen Daten bergen auch Ri-
siken im Hinblick auf den erwarteten Jahresdurchschnitt
der Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II sowie bei
den vorgegebenen Budgets für Personal, Verwaltung und
Eingliederung sowie in der Kalkulation von Betreuungs-
schlüsseln und Pro-Kopf-Sätzen.


(Bundesminister Wolfgang Clement übergibt dem Redner ein Schriftstück)


– Das ist fein. Vielen herzlichen Dank. Das werde ich
mir nachher durchlesen.

Ihr eigenes Forschungsinstitut sagt also, dass es allein
im Bereich des Arbeitslosengeldes II Risiken in Bezug
auf die Anzahl der betroffenen Personen und des benö-
tigten Personals – wir wissen, dass es eine Aufblähung
der Bundesagentur für Arbeit geben wird – sowie andere
Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung gibt. In die-
sem Jahr sind in den Bundeshaushalt 5,2 Milliar-
den Euro für den Bundeszuschuss eingestellt. Das wird
nicht reichen, weil das Defizit schon im August
4,8 Milliarden Euro betrug. Aber Sie gehen in Ihrem
Haushaltsansatz für das kommende Jahr von einem Bun-
deszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aus. Das
ist nicht sonderlich realistisch, wenn wir ehrlich sind.

Herr Clement, ich habe die Sorge, dass Ihre Ansätze
im Endeffekt auch Auswirkungen auf die tatsächliche
Arbeitsmarktpolitik haben. Sie haben einen Haushalt
von 34,3 Milliarden Euro. Davon sind insgesamt
24,4 Milliarden Euro für die neue Grundsicherung, das
Arbeitslosengeld II, vorgesehen. Ein weiterer großer
Posten mit gut 1,7 Milliarden Euro sind die Steinkohle-
subventionen. Wir diskutieren also in diesem Jahr – das
trifft auch auf die Haushalte in den vorangegangenen
Jahren zu – über einen Haushalt für Grundsicherung und
Steinkohlesubventionen, aber nicht über einen Haushalt,
der Impulse für neue Arbeitsplätze und Wirtschafts-
wachstum setzt und der die Chancen der Arbeitslosen
verbessern hilft, wieder in Arbeit zu kommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist der Haushalt
der Bundesagentur für Arbeit eigentlich viel interes-
santer. Er hat in diesem Jahr ein Volumen von 57 Mil-
liarden Euro. Auf diesen Haushalt hat aber das Parla-
ment keinen Zugriff.


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Gott sei Dank!)


Er wird aufgestellt vom Vorstand – das ist Herr Weise –,
festgestellt von der Selbstverwaltung – das ist Frau
Engelen-Kefer – und genehmigt von der Bundesregie-
rung. 57 Milliarden Euro! Allein der Eingliederungstitel
liegt bei über 20 Milliarden Euro. Das ist fast so viel wie
der gesamte Haushalt des Bundesverteidigungsminis-
ters. Trotzdem hat das deutsche Parlament keinen Zu-
griff. Das ist ein Skandal. Wir brauchen dringend eine
Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall bei der FDP)

Eine Redemokratisierung muss mit einer Dezentrali-

sierung der Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Wir alle
wissen – das konnte man auch den Worten des Kollegen
Merz entnehmen –, dass die Bundesagentur für Arbeit,
die mit 90 000 Mitarbeitern versucht, 4,5 Millionen Ar-
beitslose zu vermitteln – das kann sie bestenfalls mehr
schlecht als recht –, überfordert sein wird, wenn sie zu-
sätzlich die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und de-
ren Bedarfsgemeinschaften betreuen soll. Deshalb haben
wir im Dezember letzten Jahres vereinbart – wir haben
das trotz unserer unerfüllten Wünsche mitgetragen –, zu-
mindest den Kommunen, die sich das zutrauen, eine
Chance zum Optieren zu geben. Das haben Sie aber kon-
terkariert, indem Sie in dem kommunalen Optionsgesetz
– das hat die FDP-Bundestagsfraktion als einzige abge-
lehnt – dafür gesorgt haben, dass bundesweit nur
69 Kommunen überhaupt die Chance erhalten, zu optie-
ren. Statt einen Wettbewerb um die besten Vorschläge
zur Integration von Langzeitarbeitslosen zwischen
Bundesagentur und den kommunalen Trägern der So-
zialhilfe in Gang zu setzen, haben Sie einen Wettbewerb
der Kommunen untereinander um die Chance kreiert
überhaupt optieren zu dürfen. Das ist mit Sicherheit der
falsche Weg.


(Beifall bei der FDP)

Ich möchte jetzt auf Hartz IV eingehen. Nach einer

Umfrage von Infratest-dimap haben sich in den letzten
Tagen bundesweit 58 Prozent der Bevölkerung persön-
lich mit diesem Thema beschäftigt. Das ist also ein sehr
virulentes Thema. Ich sage ausdrücklich: Die FDP-Bun-
destagsfraktion war und ist für die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, weil es sinnvoll ist – das
haben wir schon vor Jahren beantragt –, zwei steuerfi-
nanzierte Transferleistungen für den gleichen Sachver-
halt zusammenzulegen. Es ist auch eine Frage der
Würde der Betroffenen, ob sie sich in Bezug auf ihre in-
timsten Daten vor zwei unterschiedlichen Behörden oder
nur vor einer entkleiden müssen. Aber da hören die Ge-
meinsamkeiten dann auch schon auf.

Herr Kuhn hat sich hier hingestellt und von Doppel-
züngigkeit und von Heuchelei gesprochen. Dazu möchte
ich anmerken, dass er, was den sächsischen Ministerprä-
sidenten Milbradt angeht, Recht hat. Als wir im Vermitt-
lungsverfahren gesagt haben: Hinzuverdienst muss sich
lohnen – nach unserem Konzept sollen 50 Prozent des
Hinzuverdienstes anrechnungsfrei gelassen werden –,
saß er dort mit einem Taschenrechner und hat uns ent-
gegnet: Das ist zu teuer.

Aber auch die Grünen sind doppelzüngig und schein-
heilig. Der grüne Verdi-Vorsitzende, Herr Bsirske, der
sich in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der
Lufthansa selbst bestreikt hat, heizt doch die Stimmung






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Niebel

in Ostdeutschland an. Herr Ströbele geht auf Montagsde-
monstrationen, die von den ehemaligen SED-Kadern
missbraucht werden. Das müsste einen eigentlich wirk-
lich zur Weißglut bringen. Natürlich muss man die
Ängste der Betroffenen aufnehmen. Erst jetzt lassen Sie
Ihre Propagandamaschine mit 11 Millionen Euro anlau-
fen. Das ist viel zu spät. Man hätte viel schneller infor-
mieren müssen und man hätte viel mehr dafür sorgen
müssen, dass die handwerklichen Fehler, die zu befürch-
ten waren, nicht eintreten.

Sie haben vorhin als letzten Punkt den Rücklauf der
Anträge angesprochen. Vielleicht sind es in Ludwigsha-
fen 40 Prozent. Sie sagten, in Leipzig seien es 4 Prozent.
Nach Auskünften der Bundesagentur sind bundesweit
bisher nur 10 Prozent der ausgegebenen Anträge zurück-
gekommen. Das bedeutet in der Konsequenz nicht nur
einen Antragsstau und Verwaltungsaufwand, sondern
auch, dass die EDV, die noch nicht getestet ist, nicht die
nötigen Daten hat, um sie tatsächlich im Echtlauf zu prü-
fen. Das heißt, dass es dort weitere Gefahrenpunkte gibt.

Wir müssen diese Reform, wenn sie denn nicht funk-
tionieren sollte, zumindest verschieben. Denn wenn sie
nicht funktioniert, werden wir die Reformbereitschaft
der deutschen Bevölkerung auf Jahre hinaus verloren ha-
ben.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512307200

Herr Kollege Niebel.

Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512307300

Das ist ein ganz großes, staatsgefährdendes Risiko.

Das sollten Sie nicht eingehen, Herr Clement.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512307400

Es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512307500

Ja, gerne, selbstverständlich. Ich wäre ja sowieso fer-

tig gewesen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512307600

Sie waren fertig. Ich bitte Sie, nur die Frage zu beant-

worten und danach nicht in Ihrer Rede fortzufahren.

Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512307700

Jawohl.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512307800

Bitte schön, Frau Pau.

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1512307900

Es tut mir Leid, dass wir uns nicht schon vorher ver-

ständigen konnten.
Sie haben gerade noch einmal dargestellt, dass Sie im

Prinzip für all die mit Hartz IV getroffenen Regelungen
– jenseits der Optionsregelung – sind. Außerdem haben
Sie aufgezählt, wer sich wie zu den Protesten verhält.
Ein Rätsel treibt mich seit meinem letzten Besuch in
Sachsen vor zwei Wochen um. Was meint Ihre Partei mit
den Wahlkampfplakaten in Sachsen, auf denen der Slo-
gan „Herz statt Hartz“ steht?


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1512308000

Das kann ich Ihnen problemlos erklären, liebe Kolle-

gin. Ich habe eben angeführt, dass die FDP im Rahmen
des Vermittlungsverfahrens, was die Möglichkeit, etwas
hinzuzuverdienen, anbetrifft, der Ansicht war: 50 Pro-
zent des Hinzuverdienstes sollten anrechnungsfrei gelas-
sen werden, damit – wie in Sonntagsreden immer wieder
gefordert – derjenige, der arbeitet, mehr in der Tasche
hat als derjenige, der nicht arbeitet.


(Beifall bei der FDP)

Wir waren im Vermittlungsverfahren der Ansicht,

dass es nicht sein kann, dass derjenige, der sein Geld ein
Leben lang versoffen hat, besser dasteht als derjenige,
der Eigenvorsorge betrieben hat. Deswegen waren wir
der Ansicht, dass nachweislich für die Altersvorsorge
bestimmtes Kapital, zum Beispiel eine Lebensversiche-
rung, die nach dem 60. Lebensjahr ausgezahlt wird, an-
rechnungsfrei bleiben muss.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nebel statt Niebel!)


– Herr Kuhn, Sie waren beim Vermittlungsverfahren lei-
der nicht dabei; deswegen können Sie das nicht wissen.

Wir waren der Ansicht, dass es sinnvoll ist, für die
Ausbildung der Kinder vorzusorgen, und dass die ent-
sprechenden Freibeträge deswegen höher sein müssen.
Wir waren diejenigen, die mit Herzblut dafür gekämpft
haben, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in den
Arbeitsmarkt zu kommen. Leider hatten wir im Vermitt-
lungsverfahren nur eine Stimme. Das reicht manchmal
nicht.

Aber vom Grundsatz her ist diese Reform richtig und
notwendig. Alle die, die Panikmache betreiben, verhal-
ten sich staatspolitisch in höchstem Maße gefährlich.
Das gilt ganz besonders für die PDS, für die NPD und
für die anderen Splittergruppen, die versuchen, die
Ängste der Menschen in Ostdeutschland zu instrumenta-
lisieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512308100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512308200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Der Tenor der Reden der Opposi-
tion und die Konjunkturentwicklung stehen aus meiner
Sicht in diametralem Widerspruch.

Beispiel eins: Sie klagen über die fehlende Wirt-
schaftsdynamik. Die Realität: Gestern hat das Institut für
Weltwirtschaft seine Wachstumsprognose für dieses
Jahr auf 1,9 Prozent angehoben.






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner


(Rainer Brüderle [FDP]: Falsch! Gesenkt haben sie sie!)

Beispiel zwei: Herr Glos jammert über den Ausver-

kauf der deutschen Wirtschaft und über die Standortver-
lagerung deutscher Unternehmen. Die Realität: Die Di-
rektinvestitionen nach Deutschland waren in 2002 netto
mit gut 29 Milliarden Euro und im letzten Jahr mit gut
9 Milliarden Euro im positiven Bereich. Das heißt, das
ausländische Kapital kommt nach Deutschland. Dahinter
steht auch: Das Ausland nimmt wahr, dass Deutschland
auf Modernisierungskurs ist. Dafür steht diese Bundes-
regierung. Dafür steht diese Koalition. Miesmache,
meine Damen und Herren, schadet dem Land. Verun-
sicherung hemmt die Kauflust der Menschen. Sie dürfen
ruhig fröhlicher und mit größerer Zuversicht durch das
Land ziehen. Damit helfen Sie den Menschen mehr als
mit Ihrer dauernden Miesmacherei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512308300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Abgeordneten Brüderle?


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512308400

Bitte, Herr Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1512308500

Herr Kollege Brandner, können Sie mir darin zustim-

men, dass Ihnen ein Fehler unterlaufen ist? Das Kieler
Institut hat seine Wachstumsprognose, wie ich vorhin
ausführte, von 1,9 Prozent auf 1,2 Prozent zurückge-
nommen. Wenn Sie mir das nicht glauben: Ich habe ei-
nen schriftlichen Beleg dabei.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für 2005 oder 2004?)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512308600

Herr Brüderle, die Institute insgesamt – nicht nur das

Kieler Institut – haben die Wachstumsprognosen in den
letzten Wochen und Monaten eher angehoben als nach
unten korrigiert.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was ist mit dem Jahr 2005, für das wir den Haushalt beraten?)


Insofern ist in diesem Land mehr Zuversicht angesagt.
Darauf sollten wir auch bauen.

Ich finde es wichtig, dass eine Partei wie Ihre, die sich
als wirtschaftsnah versteht, dabei mithilft, nicht nur
positive Stimmung in diesem Land zu verbreiten, son-
dern auch die positiven Fakten zu nennen, weil das am
ehesten dazu beiträgt, dass sich die Wirtschaft positiv
entwickelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wurde für das Jahr 2005 gesagt! Das ist eine objektive Tatsache!)

Zur Verunsicherung haben wir aus meiner Sicht keinen
Grund.

Es ist bedauerlich, dass insbesondere führende Per-
sönlichkeiten der CDU/CSU massenhaft zur Verunsiche-
rung in diesem Land beitragen. Herr Milbradt ist mehr-
fach erwähnt worden. Erst stimmt er dem Hartz-Gesetz
zu, wie wir alle wissen, dann will er von alledem nichts
mehr wissen und dann lässt er auch noch offen – um das
klar zu sagen –, ob er Arm in Arm mit der PDS und der
NPD, mit den Populisten also, bei den so genannten
Montagsdemonstrationen mitmacht.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Das zeigt nur, wie Verantwortungslosigkeit und böse
Stimmungsmache zusammenkommen. Das ist etwas,
was wir aufs Schärfste verurteilen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512308700

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512308800

Bitte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512308900

Ich würde sagen: Das sollte ein bisschen zurückhal-

tender geschehen. Der Kollege kommt gar nicht zu sei-
ner Rede. – Bitte, Herr Kollege Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1512309000

Herr Kollege, da Sie so auf den Kollegen Milbradt

schimpfen und auf seine angebliche Bereitschaft, bei den
Demonstrationen mitzulaufen, frage ich Sie: Wie beur-
teilen Sie es eigentlich, dass bei der so genannten Mon-
tagsdemonstration in Halle in der letzten Woche Ottmar
Schreiner Chefredner war, dass das, was er gesagt hat,
keinesfalls eine Loyalitätsadresse an Ihre Politik gewe-
sen ist und dass diese Montagsdemonstration maßgeb-
lich von einem Hallenser Sozialdemokraten organisiert
wird? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass Sie erst
einmal vor der eigenen Tür kehren sollten, ehe Sie ost-
deutsche Ministerpräsidenten kritisieren?


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: Das ist aber ein Unterschied, ob jemand Privatperson oder Ministerpräsident ist!)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512309100

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, meine Kritik richtet

sich in allererster Linie an diejenigen, die in diesem
Land zur Unglaubwürdigkeit und zur Verunsicherung
dadurch beitragen, dass sie in ihrem Auftreten nicht eh-
renhaft sind. Gerade Herr Milbradt als Person


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie doch was zu Schreiner!)


hat im Vermittlungsausschuss, im Bundesrat offensivst
ständig Verschärfungen der Hartz-Gesetze verlangt.
Er konnte an Schärfe kaum überboten werden. Dass sich






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

diese Person, die in Ihren Reihen durchgesetzt hat, dass
erhebliche Verschärfungen eingefordert worden sind, an-
schließend auf die Seite der Protestler schlägt und sagt,
mit denen könne sie gemeinsam gegen die Politik der
Bundesregierung demonstrieren, ist etwas, was ich ver-
urteile und was ich als nicht charakterfest bezeichne.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Schreiner – um es deutlich zu sagen – hat immer
gegen die Hartz-Gesetze gestimmt. Er ist offen aufgetre-
ten. Wir sind eine demokratische Partei. Wir als SPD ste-
hen mit großer Mehrheit geschlossen hinter dem Re-
formkurs. Diese Unterscheidung will ich ganz deutlich
machen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Milbradt hat auch nicht für Hartz IV gestimmt!)


– Herr Milbradt hat den Hartz-Gesetzen zugestimmt, lie-
ber Abgeordneter Kampeter. Im Dezember hat Herr
Milbradt im Bundesrat den Gesetzen zugestimmt. Wir
haben im Juli dieses Jahres nichts anderes mehr be-
schlossen, als im Rahmen der Experimentierklausel die
Optionsmöglichkeit zuzulassen. Dem – um das ganz
deutlich zu sagen – hat Herr Milbradt nicht zugestimmt.
Insofern bitte ich hier einfach um Ehrlichkeit und Klar-
heit. Darum ging es mir. Das musste hier einmal gesagt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512309200

Jetzt möchte auch noch der Kollege Laumann eine

Zwischenfrage stellen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512309300

Mit Blick auf die Uhr denke ich, dass mit Zwischen-

fragen jetzt Schluss sein sollte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512309400

Eben dies wollte auch ich sagen. Ich werde auch

keine weitere Zwischenfrage außer dieser mehr zulas-
sen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Einmal noch!)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512309500

Na gut.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1512309600

Kollege Brandner, auch Sie haben ja jetzt in Ihrer

Rede wieder erwähnt, Milbradt und andere von der
Union – das ist ja zurzeit eine durchgehende Argumenta-
tion bei Ihnen –


(Klaus Brandner [SPD]: Das sind Fakten!)

hätten Verschärfungen im Vergleich zu Ihren Vorstellun-
gen in das Gesetz gebracht.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das denn mit der Zumutbarkeit?)


Deshalb möchte ich folgende Fragen stellen:
Ist es richtig, dass Rot-Grün bei Hartz I beschlossen

hat, den Freibetrag an Geldvermögen, den Arbeitslo-
senhilfebezieher behalten dürfen, von 500 auf 200 Euro
pro Lebensjahr herabzusetzen?

Ist es richtig, dass die B-Länder und unsere Fraktion
schon damals sehr stark dafür geworben haben, nicht Le-
bensalter, sondern Beschäftigungsjahre zu zählen, und
dass wir entsprechende Anträge in den entsprechenden
Ausschüssen des Deutschen Bundestages vorgelegt ha-
ben, wodurch höhere Vermögen hätten behalten werden
dürfen?

Ist es richtig, dass die von Ihnen gewählte Lösung
dazu führt, dass ein 55-Jähriger, der mit 44 Jahren nach
Deutschland gekommen ist, neun Jahre lang in einem
Beschäftigungsverhältnis stand und jetzt arbeitslos wird,
18 Monate Arbeitslosengeld beziehen kann und ihm der
höhere Vermögensfreibetrag für Ältere – Sie haben ihn
ja zur Schonung des Vermögens Älterer eingeführt – zu-
gestanden wird, während ein Mensch, der mit 14 Jahren
in die Lehre gegangen ist, 31 Jahre lang Beiträge und
Steuern gezahlt hat, diesen Schutz bei Ihnen nicht hat?

Nachdem Sie die entsprechenden Anträge von uns, in
denen das geändert werden sollte, niedergestimmt ha-
ben, sollten Sie ein wenig vorsichtiger argumentieren
und nicht pauschal behaupten, wir hätten alles ver-
schärft. Richtig ist – dazu stehen wir auch –, dass wir be-
züglich der Zumutbarkeitsregelungen einen Vorschlag
aufgenommen haben, der aus dem Ministerium von
Herrn Clement kam. Nachdem er von Ihrer Fraktion ver-
wässert worden war, haben wir da den ursprünglichen
Zustand wieder hergestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1512309700

Kollege Laumann, Sie brauchen gar nicht so laut zu

sprechen. Wir können jedes Argument Stück für Stück
zusammen durchgehen.

Das Erste ist, dass wir im Rahmen der Arbeitsmarkt-
gesetze, nicht erst jetzt im Zusammenhang mit Hartz III
und Hartz IV, sondern viel früher, die Freibetragsgrenze
für Arbeitslosenhilfebezieher von 520, nicht 500 Euro
pro Lebensjahr auf 200 Euro gesenkt haben. Zusätzlich
haben wir, ohne dass es einen entsprechenden Antrag
von Ihrer Seite gab, einen Vermögensfreibetrag von
200 Euro für die Altersversorgung eingeführt. Sie wer-
den kein Beispiel anführen können, wo Sie in Ihren An-
trägen höhere Freibeträge für die Betroffenen gefordert
haben, als diese rot-grüne Koalition schließlich durchge-
setzt hat. Ich sage ganz klar: Wir sind bereit, hierfür je-
derzeit den Beweis anzutreten.

Zwischenzeitlich haben wir dadurch – und das wissen
Sie –, dass auch für jedes Kind ein Freibetrag in Höhe
von 4 100 Euro angerechnet wird, einen riesigen Freibe-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

trag vorgesehen, den Sie sich selbst in Ihren besten Zei-
ten nicht erträumt hätten. Sie können sich dieser Leis-
tung nicht rühmen, weil wir die Vermögensfreibeträge in
dieser Größenordnung organisiert haben. Sie können,
wenn Sie übers Land ziehen, den Menschen nicht einen
einzigen verlässlichen Beleg vorzeigen, aus dem hervor-
geht, dass Sie diejenigen gewesen wären, die das Schon-
vermögen vergrößert hätten. Sie haben es reduziert, Sie
haben es gekürzt und im Kern gefordert, dass im Rah-
men der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe das Sozialhilferecht auf beide Gruppen, so-
wohl auf die Arbeitslosenhilfebezieher als auch auf die
Sozialhilfebezieher, angewendet wird.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Senkung der Regelleistungen! – Dirk Niebel [FDP]: Ihr Kanzler wollte das!)


Genau das bedeutet, dass es für Kinder nur einen Freibe-
trag von 256 Euro und für den Ehepartner nur einen
Freibetrag von 680 Euro und für den Haushaltsvorstand
einen Freibetrag von 1 556 Euro geben würde.

Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben, war
die Dauer der Versicherungsleistungen. Sie geben mir
damit die Gelegenheit, deutlich zu machen, dass es sich
hierbei um zwei Systeme handelt. Im Bereich der Ar-
beitslosenversicherung besteht ein Versicherungssystem,
wobei letztlich die Versicherung für einen bestimmten
Zeitraum ein Risiko abdeckt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Richtig!)

In den Debatten der Vergangenheit haben Sie gesagt,
man müsste für die Dauer der Abdeckung dieses Risikos
vielleicht einmal andere Bemessungsgrundlagen einfüh-
ren, also längere Versicherungszeiten anders bewerten.
Ihre Parteivorsitzende hat auf die Rede des Bundeskanz-
lers am 14. März letzten Jahres gesagt: Wir sind bereit,
den Versicherungszeitraum auf ein Jahr festzulegen,
nicht mehr. Im Gegensatz dazu hat die Koalition einen
besseren Vorschlag gemacht und eine Abstufung zwi-
schen zwölf und 18 Monaten vorgenommen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie kennen doch unsere Anträge!)


Dann zu dem, was Sie zur Ausdehnung der Versiche-
rungsleistungen gesagt haben. Die Versicherungsleistun-
gen waren ja wohl keine Wohltat, sondern Sie wollten
damit seinerzeit arbeitsmarktpolitisch korrigierend ein-
greifen und verhindern, dass von der IG Metall die Ar-
beitszeitverkürzung durchgesetzt wird und die Vorruhe-
standsregelung zulasten der Versichertengemeinschaft
erfolgt. Das haben Sie unterstellt. Sie haben damit den
Prozess ausgelöst, dass in Deutschland massenhaft Früh-
verrentungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft
durchgeführt worden sind.

Ich dachte, wir wären einvernehmlich zu dem Ergeb-
nis gekommen, diese Fehlsteuerung gemeinsam zu been-
den. Das würde im Übrigen ein Stück weit das Vertrauen
in diesem Land fördern. Es wäre anständig gewesen,
wenn wir uns darauf gemeinsam verständigt hätten, eine
erkannte Fehlsteuerung, die so nicht mehr finanzierbar
und arbeitsmarktpolitisch so nicht gewollt war, zu durch-
brechen.

Man kann sagen, was man will; es ist einfach so, dass
sich die Opposition einen schlanken Fuß machen will.
Herr Rüttgers ruft: Verschiebung um ein Jahr! General-
revision! Ihr CDA-Bundesvorsitzender fordert einen
Vermögensanrechnungsfreibetrag von 1 000 Euro pro
Lebensjahr. Ich habe mich gefragt: Wann haben Sie das
jemals hier im Parlament beantragt? Herr Merz will den
Kündigungsschutz im Prinzip völlig abschaffen. Kol-
lege Laumann sagt, über den Kündigungsschutz könne
man mit ihm reden, ebenso über das Schleifenlassen der
betrieblichen Bündnisse und der Tarifautonomie. In die-
sen Fragen ist man sich recht nahe, bei manchen Dingen
im sozialpolitischen Bereich nicht. Ich sage an diesem
Punkt gern, dass der Kollege Karl-Josef Laumann be-
züglich der Umsetzung von Hartz IV in der Öffentlich-
keit klare Worte gefunden hat, im Unterschied zu dem,
was er den Arbeitnehmern bei der Tarifautonomie und
dem Kündigungsschutz zumuten will.

Frau Wöhrl beklagt das mangelnde Ansparen; Kol-
lege Kuhn hat schon etwas dazu gesagt. Wie soll denn
die Wirkung aussehen, wenn dauernd verunsichert wird?
Wer wird denn konsumieren, wenn eine Politik der Ver-
unsicherung betrieben wird? Herrn Brüderle kann man
in der Richtung nur Recht geben, wenn er sagt, wir
müssten die Linie halten, Charakterstärke zeigen und die
Reformen durchführen. Aber wenn die Opposition in der
Öffentlichkeit so uneinheitlich auftritt und sich nicht mit
Ruhm bekleckert, dann kann in diesem Land kein Ver-
trauen für den notwendigen und von den im Bundestag
vertretenen Fraktionen ansonsten gemeinsam getragenen
Grundkurs geweckt werden, sondern dann muss Un-
sicherheit entstehen.

Unabhängig von dieser Verunsicherung – lassen Sie
mich das klar sagen – ist die konjunkturelle Entwick-
lung in Deutschland positiv. Alle wichtigen Forschungs-
institute und internationalen Organisationen haben, wie
ich bereits angesprochen habe, ihre Schätzungen korri-
giert; ein Wachstum von 2 Prozent ist gegebenenfalls
möglich. Die positiven Indikatoren will ich, Kollege
Brüderle, auch mit einigen anderen Fakten belegen.

Der Auftragseingang der Industrie lag im Juli dieses
Jahres um 3 Prozent höher als im Juni, die Industriepro-
duktion hatte im Juli eine Steigerung von 1,6 Prozent
gegenüber Juni zu verzeichnen und auch die Einzelhan-
delsumsätze sind in demselben Monatsvergleich um
1,1 Prozent gestiegen. Die Informations- und Telekom-
munikationsindustrie als Barometer für die Investitions-
attraktivität rechnet in ihrem Bereich mit einem Wachs-
tum von 2,5 Prozent in diesem Jahr und für das nächste
Jahr sogar mit einem Umsatzplus von 3,7 Prozent.

Der Aufschwung wird in den nächsten Monaten auch
neue Arbeitsplätze schaffen, wenn das Land nicht wei-
terhin mit solcher Wucht mit einer Verunsicherungsstra-
tegie überzogen wird. Die Arbeitsmarktreformen – ei-
nige Vorredner haben es angesprochen – führen zu
einem kräftigeren Beschäftigungszuwachs, als es früher
bei einem Konjunkturaufschwung der Fall war. Alle






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

Experten gehen davon aus, dass die Beschäftigungs-
schwelle deutlich sinken wird und schon bei einem ge-
ringeren Wachstum arbeitsmarktpolitische Erfolge sicht-
bar und zählbar gemacht werden können.

Zu den Konjunkturrisiken gehört ohne Frage, dass die
hohe Abhängigkeit von der internationalen Entwicklung
und natürlich auch die von vielen angesprochenen hohen
Ölpreise im Auge behalten werden müssen. Als Grund
für die Ölpreisentwicklung kann man zum einen durch-
aus die zusätzliche Nachfrage aus China auf diesem
Markt angeben. Zum anderen ist die Preisentwicklung
aber auch ein Indikator für die Endlichkeit der Energien.
Im Kern ist es die Bestätigung dafür, dass wir unsere
nachhaltige Energiepolitik zugunsten der erneuerbaren
Energien und zugunsten des Einsparens von Energie
fortsetzen müssen. Wir müssen vorsorgen. Die Ölpreis-
erhöhungen sind zum großen Teil spekulativer Natur. In-
sofern ist es richtig, dass wir auf größere Unabhängig-
keit in diesem Bereich setzen.

Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Es ist unver-
ständlich, dass die großen Energieunternehmen in dieser
labilen Situation unverfroren Energiepreiserhöhungen
ankündigen. Auch Energieoligopolisten tragen eine Ver-
antwortung für die Konjunktur. Ich begrüße deshalb aus-
drücklich die Aktivitäten des Bundeskartellamtes in die-
ser Angelegenheit.

Der Standort Deutschland ist nicht so schlecht, wie
ihn so mancher Oppositionspolitiker, auch in der Haus-
haltsdebatte, darstellt.


(Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU])


– Ich möchte über die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit kein
Referat halten. Ich will nur sagen, dass es wirklich keine
glanzvollen Ergebnisse gab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das erleben wir jetzt von Unionspolitikern: An-
statt zu helfen, gemeinsam den notwendigen Kurs einzu-
schlagen – nämlich mehr Spielräume für Innovationen
zu erreichen –, wird die alte Leier angestimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zuwächse im Export zeigen die hohe Wettbe-
werbs- und Innovationsfähigkeit. Es ist im Übrigen
unsere tiefe Überzeugung, dass eine bessere Wettbe-
werbsfähigkeit nicht durch einen Lohnsenkungswettbe-
werb und durch einen radikalen Abbau der Arbeitneh-
merrechte zu erreichen ist. Der Umbau wird am ehesten
gelingen, wenn sich das Investitionsklima noch weiter
verbessert, wenn es mehr öffentliche Investitionen gibt
und wenn mehr Effizienz auf den Güter- und Dienstleis-
tungsmärkten erreicht wird. Für mich ist klar: Deutsch-
lands Stärke ist die Innovationskraft. Damit das so
bleibt, müssen wir bessere Produkte herstellen, effizien-
tere Produktionsverfahren entwickeln und eine schnel-
lere Umsetzung von Forschungsergebnissen in den Un-
ternehmen erreichen.
Mehr Investitionen – das ist ein weiterer Punkt – feh-
len uns gerade im Bereich der Kommunen. Durch
Hartz IV eröffnen wir den Kommunen größere finan-
zielle Spielräume. Durch die Anhebung der Gewerbe-
steuerumlage wird die Finanzausstattung der Kommu-
nen verbessert. Für den Abbau des Investitionsstaus der
Kommunen müssen aber nach Berechnungen des Deut-
schen Instituts für Urbanistik in diesem Jahrzehnt insge-
samt 685 Milliarden Euro veranschlagt werden.

Ein weiteres Stichwort ist ÖPP. Öffentlich-private
Partnerschaften sind sicherlich eine gute Möglichkeit,
zusätzliche Investitionen auf kommunaler Ebene schnel-
ler durchzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Internationale Erfahrungen bestätigen: Mit ÖPP können
öffentliche Leistungen früher, schneller und kostengüns-
tiger bereitgestellt werden. Deshalb ist es sinnvoll – das
will ich ganz deutlich sagen –, dass der Aufbau von
Kompetenznetzwerken gefördert wird, wie er beispiels-
weise in Nordrhein-Westfalen schon in vorbildlicher
Weise erfolgt. An diesem positiven Beispiel sollte man
anknüpfen und dafür sorgen, dass diese Maßnahme in
der Fläche schneller umgesetzt wird und von diesem In-
strument Gebrauch gemacht werden kann.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Deutschland
befindet sich in einem weit gehenden Modernisierungs-
prozess, den viele Nachbarländer schon längst hinter
sich haben. Große Veränderungen verunsichern viele
Menschen. Sie suchen Stabilität und glauben gern an die
Versprechungen so genannter Problemlöser. Alle demo-
kratischen Kräfte haben in diesen Monaten die Aufgabe,
sachlich zu informieren. Wir müssen gemeinsam den
Spaltern und Brandstiftern entgegentreten. Dies müssen
wir tun, um auch die Glaubwürdigkeit der Politik zu be-
wahren. Das wird eine wichtige Aufgabe der nächsten
Wochen und Monate sein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512309800

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim

Fuchtel.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1512309900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie mir, dass ich nach dieser Gesundbeterei
des Kollegen Brandner einige nüchterne Bemerkungen
zur Haushaltslage in diesem Land mache.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hätte mich auch gewundert, wenn Sie nicht schwarz malen würden!)


Dieser Haushaltsentwurf ist nach dem Motto aufge-
stellt: Nach uns die Sintflut. Normalerweise tun sich die
Haushaltslöcher am Ende eines Haushaltsjahres auf. Am
Anfang des Jahres werden die Haushaltslöcher versteckt.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Fuchtel

Aber noch nicht einmal dazu ist die Regierung fähig. Die
Haushaltslöcher treten vielmehr offenkundig zutage; so
dramatisch ist die Haushaltslage in diesem Jahr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Herr Minister Clement, in Ihrem Haushalt ist bereits,
gesetzlich definiert, eine Lücke von 2,8 Milliarden Euro
und prognostisch von 4,5 Milliarden Euro festzustellen.
Darüber sind sich alle Fachleute einig. Das sind 8 bzw.
13 Prozent Ihres gesamten Haushaltes. Ich kann dazu
nur sagen: Der Minister sitzt hier mit abgeschnittenen
Haushaltshosen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat kein Wort dazu gesagt, wie auch alle anderen von
der Koalition heute kein einziges Wort dazu gesagt ha-
ben, wie sie das Problem lösen möchten. Daran erkennen
wir, dass keine Kompetenz vorhanden ist. Wahrschein-
lich versuchen Sie wieder, dieses Problem durch globale
Minderausgaben zu lösen. Aber davor kann im Wirt-
schaftsförderungsbereich – da bin ich mit dem Kollegen
Brüderle völlig einig – nur gewarnt werden.

Ihre heutige Rede lässt vermuten, dass Sie, Herr Su-
perminister, noch keine Zeit gehabt haben, die von Ihren
tüchtigen Beamten zur Vorbereitung der Berichterstatter-
gespräche verfassten Papiere zu lesen. Damit die Öffent-
lichkeit endlich einmal mitbekommt, wie groß der Un-
terschied zwischen dem ist, was in Ihrem Haus gedacht
wird, und dem, was Sie uns hier erzählen, möchte ich
exemplarisch den Kommentar der Beamten zu Seite 20
der Haushaltsvorlage zur globalen Minderausgabe für
das Jahr 2005 vortragen. Dort heißt es, zunächst bezogen
auf das Jahr 2004 – ich zitiere –:

Die Umsetzung dieser Einsparauflagen erforderte,
dass zu Jahresbeginn rd. 20 % der Ansätze mit frei
verfügbaren Mitteln nicht zur Bewirtschaftung
übertragen werden konnten. In der Konsequenz
konnten bereits veröffentlichte Förderaktivitäten
nicht oder zumindest nur verspätet begonnen wer-
den.

Es heißt weiter:
Die politische Glaubwürdigkeit insbesondere in zu-
kunftsorientierte Programmbereiche und Mittel-
stand hat dadurch gelitten.

Das schreiben Ihnen Ihre Beamten auf. So ist es. Da
glaubt doch niemand mehr an eine verlässliche Mittel-
standspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist eben der Unterschied zu dem, was eine bür-

gerliche Regierung machen würde. Eine bürgerliche Re-
gierung würde diese psychologische Frage anders be-
handeln, mit der Folge, dass dann wieder mehr Vertrauen
entsteht und aus diesem Vertrauen ein Klima, in dem
wieder Arbeitsplätze entstehen. Das ist der Unterschied
zwischen Rot-Grün und dem bürgerlichen Lager in die-
ser Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich zitiere weiter – jetzt wird es besonders wichtig –,
was Ihre Beamten – es sind gute deutsche Beamte; die
wissen, dass sie der Sache verpflichtet sind – schreiben:

Dieses Szenario wird sich 2005 möglicherweise
wiederholen.

Natürlich wird es sich wiederholen! Wenn Sie schon
jetzt eine Haushaltslücke in Höhe von 2,8 Milliarden
Euro haben und diese nicht stopfen können, dann wer-
den Sie diese Verunsicherung weiter betreiben, mit der
Folge, dass im Mittelstand keine Arbeitsplätze entste-
hen. Man muss die Leute verstehen, die sich auf eine
solche Politik nicht verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die rot-grüne Regierung

hat, seitdem sie im Amt ist, für Zuschüsse an die Bun-
desagentur und für die Arbeitslosenhilfe Schulden in
Höhe von 114,3 Milliarden Euro – das ist fast eine Vier-
tel Billion D-Mark – gemacht. Aber sie bringt noch nicht
einmal die paar 100 Millionen Euro auf, die nötig sind,
um eine vernünftige Mittelstandsförderung zu betreiben.
Hier sieht man das Ungleichgewicht, das verändert wer-
den muss. Wenn es verändert wird, dann tut sich auch
wieder etwas zum Wohle aller – und hoffentlich vor al-
lem in Ostdeutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Stattdessen gibt es ideologische Spielwiesen, Berater-
verträge, Dialogprogramme, Aktionismus. Ich sage: So
nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ohne ein mittelstandsfreundliches Wirtschaftsklima
wird es auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Erfolg ge-
ben. Daher werfen wir Ihnen besonders vor, dass Sie
keine Perspektiven für die Menschen eröffnen. Wenn
man schon von jedem Einsparungen verlangt, dann brau-
chen die Leute auch Perspektiven. Man muss sonst ver-
stehen, dass sie sich aggressiv gebärden und auf die
Straße gehen. Das haben Sie zu verantworten. Dabei
geht es nicht um Hartz IV, sondern um die Tatsache, dass
es 4,3 Millionen Arbeitslose gibt. Das und die Verspre-
chungen, die Sie 1998 und 2002 im Französischen Dom
gegeben haben, als es hieß: „Wir fahren die Arbeitslosig-
keit durch Hartz zurück“, treiben die Menschen auf die
Straße.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so schreien!)


Meine Damen und Herren, ich vermute, dass man Sie ein
zweites Mal in den Französischen Dom einlädt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so schreien!)


Bei diesem zweiten Mal werden Sie eingeladen, um
Buße zu tun und sich beim deutschen Volk für Ihre Un-
kenntnis zu entschuldigen. Das wäre wohl das Wich-
tigste, was man mit Ihnen machen müsste.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Fuchtel

Sie haben genug Geld gehabt, um Ihre Konzeptionen

öffentlichkeitswirksam herüberzubringen. Sie haben
30 Millionen Euro für die Agenda 2010 verplempert, in-
dem Sie an den Themen vorbei argumentiert haben. Das
Volk will nicht wissen, wer der Schönste im Lande ist,
sondern es will wissen, wo es sachlich entlang geht. Es
will nicht, dass Sie vor lauter Aktionismus von einem
Fettnäpfchen ins nächste stolpern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


– Ich muss mich ja gegen diese Oberschreier wehren.
Deswegen müssen Sie verstehen, dass es auch von mei-
ner Seite etwas lauter dröhnt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Herr Kollege!)


Meine Damen und Herren, Sie haben 11 Millionen
Euro allein für Hartz eingeplant.


(Rainer Brüderle [FDP]: Für Propaganda!)

Sie haben 42 Millionen Euro bei der Bundesagentur für
Arbeit deponiert. Geld haben Sie genug. Trotzdem ge-
schieht nichts. Das ist auch ganz klar: Die Leute können
bei einer Politik, die wie ein Fass ohne Boden ist und in
der alles Mögliche probiert, aber nichts Vernünftiges
daraus gemacht wird, natürlich auch nicht an die Wer-
bung glauben. Sie können nicht erwarten, dass die Men-
schen darauf reinfallen. Sie haben von der Schönwetter-
politik genug, die Sie auch heute wieder vorgetragen
haben: Es wird alles besser! Seit ich mit Ihnen hier im
Parlament zusammenarbeiten darf, erzählen Sie dieselbe
Story vom lahmen Gaul. Dass diese Story nicht besser
wird, muss dann wohl an Ihnen liegen. Daher sollten Sie
Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, einige konkrete Beispiele,

warum so manches nicht läuft. Jeder weiß über den
Pflegenotstand Bescheid. Sie legen kein Programm auf,
mit dem Sie einmal 50 000 Pflegekräfte ausbilden. Nein,
Sie halten an unwirtschaftlichen Programmen wie Jump
plus fest und verstecken sie jetzt in den Sozialgesetz-
büchern. So kann es nicht funktionieren. Sie müssen al-
les auf den ersten Arbeitsmarkt ausrichten und dürfen
nicht im zweiten Arbeitsmarkt verharren. Auch dies
werden wir anders machen, wenn wir wieder an der Re-
gierung sein werden.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das wird noch lange dauern!)


Zum Thema Vermittlungsgutscheine: Es ist doch
unsinnig, dass es nicht möglich ist, dass ein Langzeitar-
beitsloser durch einen Vermittlungsgutschein ins Aus-
land vermittelt wird. Das heißt, lieber lange Zeit arbeits-
los im Lande als irgendwo draußen in Europa in Brot
und Arbeit. Dies ist ein Unsinn sondergleichen, der ge-
ändert werden muss. Es muss doch unterstützt werden,
wenn es jemand auf sich nimmt, im Ausland zu arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel stellt
das Betreuungspersonal im Zusammenhang mit
Hartz IV dar. Gestern hat der Herr Bundeskanzler selbst
ganz sang- und klanglos versucht, das Verhältnis 1 : 75,
von dem in allen Papieren die Rede war, in 1 : 140 zu
modifizieren. Hier geht es um 16 000 Stellen. Wir wer-
den in den Haushaltsgesprächen ganz genau kontrollie-
ren, was es damit auf sich hat. Hier schleicht sich eine
Manipulation sondergleichen im Nachhinein in das
Hartz-IV-Gesetzgebungsverfahren hinein. Wir werden
nicht akzeptieren, dass Sie auf dieser Basis versuchen,
sehr viel Geld für Kampagnen auszugeben, sich aber der
eigentlichen Aufgabe, der Betreuung und Vermittlung
der Menschen, nicht richtig widmen. Wir werden dieses
Thema mit Ihnen im Haushaltsausschuss ganz ernst dis-
kutieren; darauf können Sie sich verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310000

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310100

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es

wurde hier schon mehrmals gesagt, wie doppelzüngig
und widersprüchlich die Politik der Opposition ist. Hartz
zuzustimmen und dann auf der Straße zu polemisieren
oder wie Herr Rüttgers sogar eine Generalrevision zu
fordern ist in der Tat verlogen.


(Dirk Niebel [FDP]: Oder wie Bsirske!)

Wenn ein Haushälter hier Sparen einfordert, aber nicht
einen einzigen Vorschlag dazu macht, wie tatsächlich
gespart werden kann, ist das unsolide und unlautere Poli-
tik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Menschen im Land beobachten das zunehmend
und auch aus diesem Grunde verschlechtern sich die
Umfrageergebnisse für die CDU/CSU. Ich halte eine
solche unlautere, doppelzüngige und verlogene Politik
für eine riesige Gefahr; denn sie führt dazu, dass die Po-
litikverdrossenheit größer wird, und treibt die Leute in
fundamentalistische Positionen. Ich möchte Sie daher
bitten, Ihre Position genau zu überdenken.

Dieselbe doppelzüngige Politik betreiben Sie auch im
Energiebereich, vor allem dann, wenn es um die hohen
Energiepreise geht. Sie empören sich über die hohen
Energiepreise und fordern lautstark eine stärkere Regu-
lierung. Überraschend ist das, was hier passiert, aber
nicht. Ich möchte daran erinnern, dass wir seit Jahren da-
vor warnen, dass die Selbstverpflichtung oder die Selbst-
regulierung der Industrie bei der Preisfestsetzung nicht
funktioniert. Deshalb fordern wir schon seit Jahren eine
Wettbewerbsbehörde.

Als die rot-grüne Regierung diesen starken Schieds-
richter am Markt beschlossen und sich an die Umsetzung
der Novellierung des Gesetzes begeben hatte, war von
der Opposition – von der FDP wie von der CDU/CSU –






(A) (C)



(B) (D)


Michaele Hustedt

nur zu hören, dass die Selbstregulierung der Stromkon-
zerne doch der bessere Weg sei.

Ich bin sehr froh, dass auch Sie inzwischen bei der
rot-grünen Politik angekommen sind. Ich hoffe, dass wir
im kommenden Gesetzgebungsverfahren das Gesetz
noch einmal verbessern können. Tun Sie aber nicht so,
als hätten Sie die Stromkonzerne an ihrem Vorgehen hin-
dern wollen. Die rot-grüne Regierung hat bereits Konse-
quenzen gezogen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die Konsequenzen spürt der Verbraucher!)


Auch bezüglich der erneuerbaren Energien ist Ihre
Politik doppelzüngig. Auf der einen Seite stimmen Sie
im Bundesrat zu – das wurde hier bereits gesagt –, auf
der anderen Seite sagt Herr Merz hier, dass die erneuer-
baren Energien die Preistreiber seien. Er entschuldigt die
Preiserhöhung der Stromkonzerne am Anfang des Jahres
mit dem Verweis auf die erneuerbaren Energien. Das
zeigt: Herr Merz ist auf einem Auge blind.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf beiden!)


Fakt ist: Die Stromkonzerne haben im letzten Jahr
mehr auf die Strompreise umgelegt, als tatsächlich ein-
gespeist wurde. Ursache dafür war der heiße Sommer.
Die Stromkonzerne hätten die Strompreise also am An-
fang des Jahres mit dem Hinweis auf das EEG senken
und nicht erhöhen müssen. Dass Herr Merz das Verhal-
ten der Stromkonzerne entschuldigt, zeigt, dass er auf ei-
nem Auge blind ist. Statt die Stromkonzerne anzugreifen
und sie an ihre Pflicht zu erinnern, schiebt er alles nur
auf die erneuerbaren Energien. Das ist keine richtige Po-
litik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was macht Herr Stoiber? Er führt als Erstes den Mi-
nisterpräsidenten Chinas durch eine Biogasanlage, die
nur gebaut werden konnte, weil ein rot-grünes Gesetz es
ermöglicht hat, sie zu betreiben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat es vorher schon gegeben! Die war vorher schon längst da!)


Er schmückt sich mit Lorbeeren unserer Politik, steht
aber nicht dazu, dass diese Politik etwas kostet.


(Zuruf von der SPD: Man darf ihn nicht überfordern!)


Das nenne ich: Wasch mir den Pelz, aber mach mich
nicht nass. Das ist eine unsolide, eine verlogene Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die wahren Preistreiber sind die Stromkonzerne. Wir
haben die höchsten Durchleitungspreise in Europa. Die
Investitionen sind aber seit 1995 um 30 Prozent gesun-
ken. Die staatlichen Auflagen – um es Ihnen ganz klar zu
sagen – sind seit 2000, also seit vier Jahren, konstant ge-
blieben. Jetzt kündigen die Stromkonzerne weitere Erhö-
hungen an, obwohl in den letzten drei Jahren bei allen
großen Stromkonzernen wie RWE und Vattenfall die Ge-
winne mehr als verdoppelt wurden. Ich bin froh, dass in-
zwischen nicht nur bei uns, sondern bei allen Parteien
angekommen ist, dass die Selbstregulierung nicht funkti-
oniert, sondern wir einen starken Schiedsrichter am
Markt brauchen.

Wir werden in den Verhandlungen sehen, ob Ihre An-
kündigungen wirklich ernst gemeint sind. Ich nehme
gern die Anregung auf, über eine Form der Anreizregu-
lierung zu sprechen. Ich finde den Vorschlag, den Herr
Claassen von EnBW gemacht hat, sehr interessant. Den
sollten wir uns genau anschauen. Ich möchte dann aber
auch sehen, dass Sie dazu stehen und sich nicht wieder
vom Acker machen, wenn es ernst wird. Ich freue mich
auf die Gespräche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1512310300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Der erste Fakt ist, Frau Kollegin
Hustedt, dass 40 Prozent des Energiepreises, den die
Verbraucher heute zu zahlen haben, von dieser Bundes-
regierung aufoktroyiert wurden und daher zu verantwor-
ten sind.


(Zuruf von der SPD: Falsch!)

Der zweite Fakt ist – was hier bereits des Öfteren darge-
legt wurde –, dass wir in dieser Woche einen Haushalts-
entwurf in erster Lesung beraten, der von Hause aus un-
seriös und mit so vielen Risiken behaftet ist, dass er im
Endeffekt gar nicht beratungsfähig ist.

Ich brauche überhaupt nicht zum Beispiel auf die
„Berliner Morgenpost“ zurückzugreifen, in der Graf von
Hohenthal von einem „Witz“ spricht, „wenn der Bundes-
finanzminister noch von seinem Konsolidierungskurs
spricht“. Ich werde auch hier im Hause fündig. Die Mit-
berichterstatterin für das Bundesministerium für Wirt-
schaft und Arbeit, die Kollegin Anja Hajduk vom Bünd-
nis 90/Die Grünen, hat gestern im „Inforadio“ zu den
erwarteten Privatisierungserlösen – es sind immerhin
15 Milliarden Euro als Einnahmen eingesetzt worden –
gesagt:

Die können ausfallen. Aber es ist doch wichtig,
dass wir die Verfassung einhalten.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir legen bei diesem Haushaltsplan vor, dass wir
dazu Privatisierungserlöse in einem hohen Maße
brauchen.

Sie sagt also selber nicht, dass diese Erlöse erzielt wer-
den, sondern sie sagt einfach: Die setzen wir ein, damit
die Bilanz ausgeglichen ist. Dazu fällt mir nur ein: Ent-
weder hat sie eine Anleihe am damaligen österreichi-
schen Kaiserreich genommen, wo man in derartigen






(A) (C)



(B) (D)


Kurt J. Rossmanith

Situationen zu sagen pflegte: „Die Lage ist hoffnungs-
los, aber nicht ernst“ – das ist eigentlich das, was die
Kollegin zum Ausdruck gebracht hat –, oder sie wartet
auf einen Deus ex Machina, der kommen soll, um diese
Koalition mit ihrer Finanzmisere aus dem Untergang zu
retten.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor!)


– „Vor“. Ich bedanke mich, Herr Kollege Kuhn, für diese
Korrektur.


(Ute Kumpf [SPD]: Von Allgäuer zu Allgäuer!)


– Es ist immer gut, wenn man hier als Allgäuer Unter-
stützung hat. Es wäre gut, wenn das in anderen politi-
schen Positionen auch der Fall wäre. Aber der Kollege
Kuhn ist sicherlich noch lernfähig.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310400

Ich glaube, grammatikalisch geht beides.

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1512310500

Ich will den Versuch unternehmen, den mit circa

34,3 Milliarden Euro vorgesehen Haushaltsentwurf des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit anhand
einiger Beispiele, insbesondere mit Blick auf Anspruch
und Realität, zu durchleuchten.

Heute wurde wieder mehrfach von der Koalition rich-
tigerweise gesagt, welch große Bedeutung der Mittel-
stand für die wirtschaftliche Entwicklung hat. In der Tat
sind laut neuester Statistik im mittelständischen Sektor
von 1996 bis 2003 1,5 Prozent zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen worden, während in den Großkonzernen im
gleichen Zeitraum 15 Prozent der Arbeitsplätze abge-
baut wurden.

Aber, Herr Bundesminister Clement, in diesem Haus-
haltsentwurf lassen Sie den Mittelstand schlicht und ein-
fach links liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Lassen Sie mich hierzu ein Faktum nennen: den Bereich
„Förderung der Leistungs– und Wettbewerbsfähigkeit
kleiner und mittlerer Unternehmen der gewerblichen
Wirtschaft sowie freier Berufe“. Auch hier beschreiben
Sie in Ihren Erläuterungen die Wichtigkeit des Mittel-
standes, also kleiner und mittlerer Betriebe. Aber die
Fakten und Zahlen, die Sie in Ihrem Haushaltsentwurf
anführen, um diese Aussage zu untermauern, sprechen
eine ganz andere Sprache. Trotz Lehrstellenmisere wer-
den die überbetrieblichen Lehrgänge im Handwerk ge-
kürzt. Bei der Modernisierung und Ausstattung von
überbetrieblichen Fortbildungseinrichtungen wird sogar
drastisch gekürzt, um 7,5 Millionen Euro.

Von der Meisterausbildung, lieber Bundesminister
Clement, verabschieden Sie sich gänzlich. Ich glaube,
Sie hätten gut daran getan, im Sommer einmal bei Hans
Sachs nachzulesen, der schreibt: „Verachtet mir die
Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“ Weiter heißt es:
„Ehrt eure deutschen Meister! Dann weckt ihr gute Geis-
ter.“ Aber mit diesem Haushalt, lieber Herr Bundes-
minister, wecken Sie keine guten, sondern sehr schlechte
Geister. Denn Sie wissen, dass gerade die Meisterausbil-
dung ein ganz wesentlicher Faktor für die Selbstständig-
keit ist und dass durch sie Arbeitsplätze und Lehrstellen
geschaffen werden. Aber Sie sagen: „Damit will ich
überhaupt nichts mehr zu tun haben.“

Im vergangenen Jahr haben Sie noch ganz groß die
Außenwirtschaftsinitiative gepriesen; es wurde ja schon
einiges dazu gesagt, dass wir Exportweltmeister sind.
Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Die Bundesregie-
rung will die Mittel für Auslandsmessen um weitere
1,5 Millionen Euro kürzen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das betrifft den Mittelstand!)


sodass für Auslandsmessen, die insbesondere für kleine
und mittlere Unternehmen – genau für diese Unterneh-
men, nicht etwa für die großen – eine Hilfe sind, im
nächsten Jahr nur noch 34,5 Millionen Euro zur Verfü-
gung stehen sollen.

Ich hoffe, dass wir in der Berichterstatterrunde noch
einiges hiervon korrigieren können. Denn, Herr Bundes-
minister, Sie wissen so gut wie ich: Allein durch die
Messeförderung, also dadurch, dass kleine und mittlere
Unternehmen an Messen teilnehmen können und die ent-
sprechenden Hilfen bekommen, werden zusätzlich Ex-
portumsätze in Höhe von 3,6 Milliarden Euro erwirt-
schaftet.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Richtig!)

20 000 Arbeitsplätze werden dadurch gesichert. Steuer-
einnahmen von über 170 Millionen Euro werden er-
reicht; allein für den Bund sind es über 77 Millionen
Euro. Das ist ein Betrag, der doppelt so hoch ist wie Ihre
Anschubhilfe. Ich muss sagen: Jeder Kaufmann, der
diese Rechnung sieht, würde seinen Einsatz erhöhen und
nicht absenken, damit die Steuereinnahmen noch stärker
fließten.

Auf der einen Seite lässt der Bundeskanzler der Stein-
kohlenindustrie – das hat er in einem Nebensatz ge-
sagt – für den Zeitraum von 2006 bis 2012 noch einmal
16 Milliarden Euro zukommen.


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Das war doch gar nicht so!)


– Doch, so war es. Er hat Sie ja nicht einmal gefragt,
sondern Sie, Bundesminister Clement, haben hinterher
in der Zeitung lesen können, was er dort zugesagt hat. –
Auf der anderen Seite sagen Sie, dass Sie im Steinkohle-
bereich, dem Sie im kommenden Jahr nur noch 1,6 Mil-
liarden Euro zur Verfügung stellen, doch kürzen. Auch
hier erkennt man die Unseriosität dieses Haushalts.
Denn eigentlich handelt es sich um 2 Milliarden Euro,
aber Sie haben gleich gesagt: „Lieber Kollege Müller,
die restlichen 400 Millionen Euro bekommst du erst im
Januar 2006, damit unser Haushalt einigermaßen in Ord-
nung ist.“ Offiziell sind es also 1,6 Milliarden Euro, aber






(A) (C)



(B) (D)


Kurt J. Rossmanith

im „Kleingedruckten“ steht, dass im folgenden Jahr
400 Millionen Euro hinzukommen.


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Vielleicht habe ich das von Herrn Kohl gelernt!)


Eines will ich am Schluss noch sagen. Der Kollege
Stiegler war vorhin noch da. Entschuldigung, da ist er ja.
Er hatte nur den Platz gewechselt. Er ist jetzt dahin ge-
gangen, wohin er gehört: nach ganz links außen. Respekt
und Anerkennung für diese auch nach außen hin sicht-
bare Standortbestimmung. Lieber Kollege Stiegler, Sie
haben davon gesprochen, die Bundesregierung habe bei
der Gemeinschaftsaufgabe nachgebessert.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310600

Herr Kollege, Sie sehen, dass Ihre Redezeit abgelau-

fen ist.

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1512310700

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Was unwahr ist,

muss man richtig stellen. – Ich will diesem Hohen Hause
und der Bevölkerung sagen, was diese Bundesregierung
unter Nachbesserung versteht: Seit 1998 werden 1 Mil-
liarde Euro weniger an Bundesleistung bereitgestellt; das
sind insgesamt 2 Milliarden Euro, einschließlich der
Ländermittel. Von diesem Jahr, 2004, zum nächsten Jahr,
2005, werden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
überdies um weitere 200 Millionen Euro zurückgeführt.
Das sind die Fakten, und da spricht die große derzeitige
Regierungsfraktion von „Nachbesserung“. Das kann
nicht angehen. Hier werden wir in den Haushaltsbera-
tungen, die vor uns liegen, den Finger auf die Wunde le-
gen, auch wenn wir nicht alles korrigieren können. An
sich müsste dieser Haushalt sofort wieder im Papierkorb
verschwinden. Er ist das Papier nicht wert, auf dem er
steht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512310800

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1512310900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Finanzminister Eichel hat vorgestern vorsichtigen Opti-
mismus versprüht: Die Wirtschaft springe an, die Ex-
porte boomten und vielleicht, so der Minister, gesunde
alsbald auch der Binnenmarkt. Dann lobte er Hartz IV.
Genau das hätte er nicht tun sollen. Denn kommt Hartz
IV, dann – so haben die Wirtschafts- und Arbeitsminister
aller neuen Bundesländer hochgerechnet – geht allein in
den neuen Bundesländern 1 Milliarde Euro an Kaufkraft
verloren. Anders gesagt: Der Binnenmarkt wird ge-
schwächt, kleinen und mittleren Betrieben drohen Kon-
kurse und die Arbeitslosigkeit wird eher zu- als abneh-
men. Das ist ein Grund, warum die PDS Hartz IV
ablehnt.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


„Hartz“ wurde mit dem Versprechen präsentiert, binnen
zwei Jahren werde die Arbeitslosigkeit halbiert. Davon
ist längst nicht mehr die Rede. Die jüngste Arbeitslosen-
statistik sagt ohnehin etwas anderes und hinzu kommt:
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gestiegen.
Zugleich ist die Zahl der Arbeitsplätze spürbar gesun-
ken.

Aber es geht in diesen Debatten nicht nur um
Hartz IV. Sie machen eine Steuerreform, bei der Groß-
verdiener gewinnen, und Sie machen eine Arbeits-
marktreform, bei der die Schwachen verlieren. Sie neh-
men also denjenigen, die konsumieren, und Sie geben
denjenigen, die spekulieren. Für die Grünen, die neue
Partei der Besserverdiener, mag das ja inzwischen nor-
mal sein, aber sozialdemokratisch ist das, was Sie hier an
Politik abliefern, nie und nimmer.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Die Wirkungen von Hartz betreffen übrigens alle
strukturschwachen Regionen, auch die im Westen. Des-
halb ist es ein schnödes Ablenkungsmanöver, wenn
Hartz IV und die Proteste dagegen in einen Ost-West-
Konflikt umgedeutet werden. Meine Generalthese ist
vielmehr: Die Agenda 2010 insgesamt ist der Gegenent-
wurf zu einem modernen sozialen Rechtsstaat.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Nun ist ja viel von Populismus die Rede, auch heute
wieder, und der Vorwurf wird mit Vorliebe gegen die
PDS geschleudert. Ich finde das wenig souverän. Sie ha-
ben in Ihrem Wahlprogramm versprochen – ich zitiere –:

Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der
Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der
zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau.

Bei den Grünen heißt es:
ArbeitslosenhilfebezieherInnen sollen nicht schlech-
ter gestellt werden als bisher.

Deshalb behalten Sie bitte Ihre Populismusvorwürfe für
sich. Übrigens keinen Deut besser sind die Ministerprä-
sidenten Milbradt und Böhmer: Sie suggerieren immer
noch, sie hätten im Dezember gegen Hartz IV gestimmt.
Etwas anderes war der Fall.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Dagegen ist der Wirtschaftsminister Clement übrigens
eine ganz ehrliche Haut. Er kämpft für Hartz IV, zwar
mit bitterböser Miene, aber ich finde, das ist dem Gesetz
dann auch angemessen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Ein letzter Punkt. Sie – von CDU bis zu den Grünen –
haben die PDS mehrfach mit der NPD in einen Topf ge-
worfen. Ich finde, diejenigen, die das getan haben, soll-
ten sich schämen und entschuldigen. Nicht nur, dass sie
damit Antifaschisten, die der Folter im KZ knapp ent-
ronnen sind und heute in der Nähe der PDS stehen,
schlimm beleidigen. Sie verharmlosen mit diesem Vor-
wurf auch die NPD, die mit nationalistischen und rassis-
tischen Parolen durchs Land zieht. Ferner gefährden Sie






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

mit dieser absurden Gleichsetzung das gesellschaftliche
Bündnis gegen rechts und für Toleranz. Ich finde, so
kurzsichtig darf man auch im Wahlkampf nicht denken.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Es kommt immer die Frage nach den Alternativen der
PDS. Ich finde, wir brauchen Reformen, allerdings wirk-
liche. Erstens wollen wir eine andere Steuerpolitik, eine,
die von oben nach unten umverteilt und nicht anders he-
rum. Zweitens wollen wir eine andere Sozialpolitik,
eine, die gerecht ist und solidarisch wirkt. Drittens wol-
len wir mehr Demokratie und keine „Basta-Politik“.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph

Bergner.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1512311100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist auf den Tag genau zwei Monate her, dass der Bun-
desrat über das Kommunale Optionsgesetz zu Hartz IV
entschieden hat. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten
haben einheitlich gegen dieses Gesetz votiert. Ich
glaube, dass wir als Deutscher Bundestag bei einem so
akzentuierten Minderheitenvotum unserer Länderkam-
mer die Pflicht haben, uns etwas seriöser mit den Be-
weggründen zu beschäftigen, als das hier mit manchem
platten Populismusvorwurf geschehen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun kann ich schlecht für Mecklenburg-Vorpommern

oder Berlin und ihre rot-roten Koalitionen sprechen.
Frau Pau ist da möglicherweise kompetenter. Ich bin
aber bereit, hier um Verständnis und Unterstützung für
die Motive der CDU-Ministerpräsidenten zu werben.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was denn nun? Dafür oder dagegen?)


Die Ministerpräsidenten haben nie einen Zweifel da-
ran gelassen, dass die Zusammenlegung von Arbeitslo-
senhilfe und Sozialhilfe auch unter den sehr viel schwie-
rigeren Bedingungen in den neuen Bundesländern
richtig und notwendig ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Deswegen waren sie dagegen! Schwachsinn!)


Deshalb haben sie am 19. Dezember 2003 für das
Grundsatzgesetz zu Hartz IV gestimmt. Das sollten Sie
ihnen nicht zum Vorwurf machen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ja, aber!)


Sie haben dann allerdings gehofft – das habe ich auch
getan –, dass es im Zusammenhang mit den Beratungen
zum Kommunalen Optionsgesetz zu Lösungen kommt,
in denen eine einfache Tatsache besser berücksichtigt
wird, als es bisher geschehen ist, nämlich die Tatsache,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland einen tief
gespaltenen Arbeitsmarkt haben,


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Richtig!)

sodass man also mit Instrumenten, die im Main-Taunus-
Kreis sehr leicht anwendbar sind, in den Bereichen Vor-
pommerns oder Ostsachsens auf Schwierigkeiten stößt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist aus meiner Sicht ein Zeichen von Verantwor-

tungsbewusstsein gegenüber der eigenen Bevölkerung,
dass man sein Votum im Bundesrat dafür nutzt, für wei-
tere Verbesserungen im Sinne einer Spezifizierung für
Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit einzutreten. Genau
darum geht es.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten das Geld dafür!)


Herr Minister Clement, auch wenn die Abstimmun-
gen stattgefunden haben und Sie jetzt sagen, dass
42 Prozent der Eingliederungsmittel in den Osten kom-
men sollen, ist das Thema noch nicht erledigt. Denn das
Grundproblem ist folgendes: Mit Hartz IV erhöhen Sie
den Druck auf Langzeitarbeitslose. Dort aber, wo keine
Arbeitsplätze sind, können Sie denen, auf die Sie einen
verstärkten Druck ausüben, keine Option bieten. Da
nützt auch die größere Zahl an Fallmanagern nichts.
Dies bedeutet nichts anderes, als wollten Sie einen Nah-
rungsmangel durch eine höhere Zahl an Brotverkäufern
beheben. Es muss darum gehen, dass an der Substanz et-
was geändert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Haltung der CDU zu Hartz! Sie machen sich einen schlanken Fuß!)


Friedrich Merz hat hier einiges zur Gemeinschafts-
aufgabe gesagt. Ich möchte noch auf weitere Änderungs-
notwendigkeiten hinweisen.

Sie erzeugen also Druck, für den es nur noch wenig
Ausweichmöglichkeiten gibt. So wird es zu einer Flucht
in die 1-Euro-Jobs kommen. Herr Minister Clement, ich
sehe mit großer Sorge, wie diese Situation – ich habe
versucht, sie kurz zu beschreiben – dazu führt, dass es in
den neuen Bundesländern zu einem, wie ich meine, un-
gesunden Druck im Zusammenhang mit den so genann-
ten 1-Euro-Jobs auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse
kommen wird. Ich kann sehr gut verstehen, wenn Vertre-
ter privater Pflegedienste – um nur ein Beispiel zu nen-
nen – vor dem, was jetzt auf sie zukommt, Sorgen und
Befürchtungen haben. Ich kann Sie nur auffordern, im
Rahmen der Monitoringgruppe und bei anderen Gele-
genheiten alle Möglichkeiten zu nutzen, damit wir mög-
lichst viele zusätzliche arbeitsmarktkonforme Beschäfti-
gungsverhältnisse für Langzeitarbeitslose finden. Auch
auf die Gefahr hin, Widerspruch zu wecken – ich saß
nicht mit im Vermittlungsausschuss, Frau Dückert –:


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das merkt man!)


Ich bin dafür, die Zuverdienstmöglichkeiten im Niedrig-
lohnbereich zu erweitern und zu verbessern, da Sie nicht






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christoph Bergner

bereit waren, die Lohnergänzungsleistungen in der ge-
forderten Weise zu ermöglichen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Partei hat im Vermittlungsverfahren durchgesetzt, dass es so ist, wie es jetzt ist! Unglaublich!)


Einen zweiten Punkt kann ich nur schematisch anrei-
ßen; Stichwort: 58er-Regelung. Gegenüber diesen Leu-
ten, die Ihre Behörde, Herr Minister, überzeugt hat, dass
sie der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung ste-
hen sollen, haben Sie Wortbruch begangen. Man muss
sich etwas einfallen lassen, wie man mit dieser Bevölke-
rungsgruppe umgeht.

Einen dritten Punkt kann ich leider ebenfalls nur sehr
kurz anreißen. Ich kann nur mit Verwunderung vermer-
ken, wie immer auf Einsparungen bei den Kommunen
als Folge von Hartz verwiesen und gesagt wird, diese
Gelder könne man für Tagesstätten und Investitionen
nutzen.


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Zusätzliche Zuweisungen!)


– Einschließlich der zusätzlichen Zuweisungen. Ich habe
an Ihr Haus eine Anfrage über die Höhe der Einsparun-
gen bei den Kommunen einschließlich der zusätzlichen
Zuweisungen in den einzelnen Bundesländern gerichtet.
Die Antwort ist ernüchternd. Daraus ergibt sich, dass
hinsichtlich der Einsparungen die Stadtstaaten am besten
dastehen. Die Hansestadt Bremen hat pro Einwohner
eine Entlastung von 171 Euro, Hamburg von 107 Euro,
der Freistaat Bayern von 5 Euro und der Freistaat Thü-
ringen von 16 Euro.


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Nennen Sie mal Berlin!)


– Berlin ist zwar ein Stadtstaat, aber ich habe keinen An-
lass, für Berlin zu sprechen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie es doch mal!)


Sie werden doch eines zugeben müssen, Herr Clement:
In der vorherigen Debatte haben die Redner Ihrer Frak-
tion diese Einsparungen als die Finanzierungsquelle für
das Tagesbetreuungsausbaugesetz bezeichnet. Bei einer
Verteilung der Einsparungen aufgrund von Hartz IV
kommen Sie zwar bundesweit auf eine Summe von
2,5 Milliarden Euro, zu denen Sie durch die Revisions-
klausel verpflichtet sind. Die Tatsache, dass unterschied-
liche Beträge in den Ländern ankommen und dass Unter-
schiede innerhalb der Länder durch kommunale
Ausgleichsgesetze ausgeglichen werden müssen, wird
jedoch zu Ungerechtigkeiten führen. Das wird auch in
der Zukunft nichts bringen.

Mit der gegenwärtigen Gesetzeslage können wir die
Probleme nicht lösen. Ich fordere die Bereitschaft ein,
für Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit weiter um krea-
tive Lösungen zu ringen, um zu passgenauen Konzepten
zu gelangen. Genau deshalb sollte man den ostdeutschen
Ministerpräsidenten keine ungerechten Vorwürfe ma-
chen, am wenigsten übrigens Herrn Milbradt, der heute
von der „Wirtschaftswoche“ als „Ministerpräsident des
Jahres“ ausgezeichnet wurde.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Leider! Wegen der Fluthilfegelder!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311200

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/3674 und 15/3513 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesmi-
nister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor
sechs Jahren hat die Koalition von SPD und Grünen den
umweltpolitischen Stillstand unter Helmut Kohl und
Angela Merkel beendet.


(Heiterkeit der Abg. Waltraud Lehn [SPD] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Da lacht sogar die SPD! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Man kann sich doch auch mal freuen, wenn man einen guten Treffer landet!)


– Das ist so. – Wir haben seitdem eine umfassende
Energiewende eingeleitet, wir haben weltweit den Kli-
maschutz vorangebracht, wir haben eine neue Flusspoli-
tik umgesetzt, wir haben den Naturschutz auf eine neue
Grundlage gestellt, wir haben die Abfallwirtschaft zur
Kreislaufwirtschaft fortentwickelt


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wann denn?)

und wir haben zum Beispiel mit der Novelle zur Strah-
lenschutzverordnung den Schutz der Bürger vor Strah-
lungen und gefährlichen Chemikalien verbessert. Mit ei-
nem Wort: Wir haben die ökologische Modernisierung
Deutschlands umfassend vorangetrieben.

Unsere Politik findet dabei die Zustimmung der Be-
völkerung. Anfang des Jahres gab es eine Umfrage, nach
der 66 Prozent der Bevölkerung mit dem Schutz der
Umwelt durch die Bundesregierung zufrieden sind. Üb-
rigens, liebe Frau Homburger, sogar 80 Prozent der
FDP-Wähler.


(Birgit Homburger [FDP]: So?)

Dies ist – ich traue mich kaum, das zu sagen – der am
besten bewertete Bereich der Bundesregierung.


(Georg Girisch [CDU/CSU]: Das ist keine Kunst!)


Übrigens haben wir das, liebe Vertreter des Finanzminis-
teriums, mit 0,3 Prozent des Gesamthaushalts erreicht.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Jürgen Trittin


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was aber entscheidender ist: Wir haben in diesen Jahren
die Zustimmung zur Umweltpolitik kontinuierlich stei-
gern können. Gegenüber dem Jahr 2000 ist die Zustim-
mung um 9 Prozent gestiegen. Wenn etwas von dieser
Regierung in der Umweltpolitik erwartet wird, dann ist
es nicht etwa, dass sie weniger, sondern, dass sie mehr
tut. Aber diese Erwartungshaltung, meine Damen und
Herren von der Union, können Sie kaum als Legitima-
tion für Ihre Arbeit nehmen. Denn während in diesem
Zeitraum beispielsweise das Vertrauen in die Umweltpo-
litik der Grünen parteiübergreifend noch einmal um
3 Prozent auf 43 Prozent gesteigert wurde, sank das Ver-
trauen in die Umweltpolitik der Union von im
Jahre 2000 immerhin noch 23 Prozent auf 17 Prozent.
Die Zahlen für die FDP will ich hier lieber nicht nennen.


(Georg Girisch [CDU/CSU]: Das war im Jahr 2000!)


Sie von der Union sollten sich einmal fragen, woran
dieser Einbruch in der Zustimmung zu Ihrer Politik liegt.
Ich will eine Vermutung äußern: Meine Vermutung ist,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Die haben Töpfer abgestoßen!)


dass Sie noch meilenweit von dem entfernt sind, was
Ihre Partei- und Fraktionsvorsitzende gestern hier so
leichtfertig ausgerufen hat,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie ist das mit den Zahlen für die SPD?)


nämlich die so genannte neue Union, die angeblich eine
Politik aus einem Guss macht. Nach sechs Jahren im
Amt kann ich nur sagen: In der Umweltpolitik, meine
Damen und Herren von der Union, stehen Sie eher als
begossene Pudel da.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Aber Ihre Noten sind schlecht! Ihre Arbeit wird in der Umfrage mit mangelhaft bewertet!)


Wollen Sie Beispiele hören? Ihr Grundproblem ist, dass
Sie es mit notorischer politischer Amnesie zu tun haben,
dass Ihre Handlungsmaxime ist: Was schert mich mein
Geschwätz von gestern? Sie selber haben das Dosen-
pfand eingeführt, heute sind Sie aber nicht einmal in der
Lage, einen geschlossenen Kompromiss im Bundesrat
zu Ende zu bringen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da müssen Sie alle Zahlen vortragen!)


Nehmen wir die Energiepolitik, einen der zentralen
Faktoren für die ökologische Modernisierung. Wir alle
wissen, dass wir weg vom Öl müssen. Diese Koalition
hat auf mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffi-
zienz und mehr Energieeinsparungen gesetzt und hat das
mit erheblichen Haushaltsmitteln unterlegt. Wir wissen,
dass die erneuerbaren Energien ein wichtiger Faktor zur
Schaffung von Arbeitsplätzen sind, gerade für die struk-
turschwachen Regionen an der Küste und im Osten.
Gestern erst haben wir zusammen mit der Firma Shell
den weltgrößten Solarpark in Espenhain bei Leipzig er-
öffnet. Der Boom alleine in der Solarwirtschaft hat in
diesem Jahr 5 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da haben wir zugestimmt!)


Heute arbeiten 120 000 Menschen im Bereich der erneu-
erbaren Energien. Im Jahr 2020, wenn wir die 20 Pro-
zent erreichen, können es bis zu 400 000 sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und wie viel kostet das?)


Was fällt der Union in Gestalt des bayerischen Minis-
terpräsidenten zu dem Thema „weg vom Öl“ ein? Der
einzige Satz, der ihm dazu einfällt, ist, dass er die Ver-
längerung der Laufzeit von Atomkraftwerken will. Eines
habe ich aber weder von Herrn Stoiber noch von Herrn
Teufel gehört, nämlich dass sie den dann zusätzlich an-
fallenden Atommüll bei sich gerne lagern möchten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Gegenteil: Ich bekomme im 14-Tage-Abstand von
Herrn Kauder ein Schreiben, in dem er sich besorgt äu-
ßert über die Pläne der Schweiz, Atommüll in Benken zu
lagern. Ich bekomme Schreiben aus dem Südwesten, in
denen man sich über den maroden Zustand von Fessen-
heim, und aus Bayern, in denen man sich über den maro-
den Zustand von Temelin Sorgen macht. Aber die glei-
chen Leute, die diese Briefe schreiben, treten dafür ein,
dass die Laufzeiten von altersschwachen Reaktoren wie
Biblis und wie Neckarwestheim verlängert werden sol-
len. Das ist die doppelte Moral; das ist der Widerspruch,
unter dem Ihre umweltpolitische Glaubwürdigkeit leidet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir teilen die Sorge
um Fessenheim; wir teilen die Sorge um Temelin. Aber
wir sind vor diesem Hintergrund nicht bereit, die alten
Möhren bei uns 60 Jahre lang von einer Panne zur nächs-
ten laufen zu lassen. Denn was in Biblis zurzeit passiert,
können Sie ja nicht mehr als Betrieb bezeichnen; das ist
sozusagen immer nur die Zwischenphase bis zur nächs-
ten Abschaltung. Das ist überhaupt kein Unterschied zu
Temelin.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dann müssen Sie sofort abschalten! Das ist doch im höchsten Maße unlogisch!)


Deswegen gehen wir diesen Weg weiter. Wir legen
nächstes Jahr, im Frühjahr 2005, Obrigheim still. Im Juli
nächsten Jahres enden die Transporte in die Wiederauf-
arbeitung. Damit wird endlich Schluss gemacht mit der
Plutoniumwirtschaft in Europa.

Ein anderes Beispiel: Herr Stoiber hat plötzlich ge-
merkt, dass die Energiekonzerne die Preise erhöht ha-
ben. Das einzige, was ihm dazu einfällt, ist: Schuld seien
das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Ökosteuer und die
Kraft-Wärme-Kopplung. Meine Damen und Herren, Sie
wissen es besser.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Jürgen Trittin


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ökosteuer! Stimmt doch! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Stimmt ja!)


– Da sagt doch einer „Stimmt ja“; er demonstriert sozu-
sagen die eigene Unkenntnis. Manche Unkenntnis, die
vorsätzlich herbeigeführt wird, pflegt man als Ignoranz
zu bezeichnen, lieber Kollege.

Stromintensive Aluhütten unterliegen im Erneuer-
bare-Energien-Gesetz einer Härtefallregelung. Das pro-
duzierende Gewerbe ist von der Kraft-Wärme-Kopp-
lungs-Umlage ausgenommen. Die Ökosteuer entlastet
die deutsche Industrie um 17 Milliarden Euro Rentenbei-
träge.


(Lachen bei der CDU/CSU – Gegenruf der Abg. Waltraud Lehn [SPD]: Das stimmt! Da muss man nicht lachen!)


Das ist das größte Entlastungsprogramm, das es bei den
Lohnnebenkosten gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu diesen 17 Milliarden Euro kommen noch 4,2 Milliar-
den Euro an steuerlichen Subventionen durch die redu-
zierten Beiträge hinzu. Wenn es also etwas gibt, was die
Strompreise in Deutschland nach oben treibt und die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie infrage
stellt, dann ist das die Politik von Monopolisten wie
RWE und Vattenfall, die ihre Marktposition schamlos
ausnutzen.


(Otto Fricke [FDP]: Oder Eon, wo Sie Ihre Staatssekretäre hinschicken!)


Meine Damen und Herren, ich lege – weil das zustim-
mungspflichtig ist – großen Wert darauf, festzustellen,
dass auch Sie in der Verantwortung sind, dass zum 1. Ja-
nuar tatsächlich Wettbewerb in den Netzen herrscht, dass
der Regulierer seine Arbeit aufnehmen kann und dass
Sie nicht auch in diesem Fall wieder auf Blockieren,
Verhindern und Verzögern setzen; denn das wäre in der
Tat ein Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Industrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man kann jeden Bereich der Umweltpolitik nehmen;
Sie werden immer das Gleiche erleben: Der von mir per-
sönlich sehr geschätzte Kollege Paziorek wird versu-
chen, mich anzutreiben, mehr Umweltpolitik zu machen.
Dann kommt die Industrielobby bei der Union, bremst
ihn aus und am Ende beschließt die Union das Gegenteil.
Nehmen Sie – willkürlich ausgesucht – ein weiteres Bei-
spiel: Nächste Woche Montag findet die Verbändeanhö-
rung zum Fluglärmgesetz statt. Ich habe mehrere Anfra-
gen von Ihnen bekommen, wann die Novelle endlich
komme. Ich weiß genau, dass Ihre Landesverkehrsminis-
ter alles tun werden, diese Novelle, die die Anwohner
von Flughäfen vor Lärm besser schützen wird, zu blo-
ckieren.

(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Wo landen Sie denn?)


Entscheiden Sie sich für das eine oder für das andere!
Aber hören Sie auf, hier „Umweltpolitik!“ zu rufen und
in der Realpolitik die Blockade von Umweltpolitik zu
betreiben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Letzte Bemerkung. Manchmal nimmt das ganz skur-
rile Züge an. Im Juni 2003 schreibt mir der sächsische
Staatsminister Flath einen Brief, in dem er schreibt: Herr
Trittin, Sie müssen etwas gegen die Belastung der Be-
völkerung mit Radon – einem radioaktiven Gas – tun;
schaffen Sie eine bundesgesetzliche Regelung. Im Juli
dieses Jahres veröffentlichte die Strahlenschutzkommis-
sion einen Bericht im Bundesanzeiger – das kann jeder
nachlesen –, in dem festgestellt wird, dass die Belastung
mit Radon, wenn sie 150 Becquerel pro Kubikmeter
Raumluft überschreitet, ein signifikant höheres Lungen-
krebsrisiko zur Folge hat. Im August des gleichen Jahres
habe ich den Ländern einen Entwurf für eine bundesge-
setzliche Regelung geschickt. Wer nun glaubt, dass der
Erste, der mir applaudiert hat, Herr Flath gewesen wäre,
der irrt. Herr Milbradt, sein Ministerpräsident, hat das al-
les für überflüssig erklärt und hat auf dem anschließen-
den Parteitag dem Ganzen die Krone aufgesetzt, indem
er mich in das Erzgebirge einlädt und sagt, dort könne
ich merken, wie gesund Radonstrahlung sei.


(Georg Girisch [CDU/CSU]: Das stimmt auch!)


Die Bayern haben das übrigens noch einmal getoppt.
Der bayerische Umweltminister hat als Vorsorge gegen
Radonbelastungen im Haushalt einen ganz einfachen
Ratschlag: Lüften!

Sie haben seit 18 Jahren nichts dazugelernt. Wer Ra-
dioaktivität für gesundheitsförderlich und Lüften für
eine Strahlenschutzmaßnahme hält,


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Ihre Redezeit ist gleich zu Ende!)


der ist noch immer auf dem Niveau von vor 18 Jahren.
Damals hat ein bayerischer Minister der Bevölkerung
empfohlen – empfohlen! –, von tschernobylverseuchter
Molke zu essen. Solange dies so ist, so lange dürfen Sie
sich nicht wundern, dass Ihre Glaubwürdigkeit in der
Umweltpolitik immer weiter abnimmt, und so lange
müssen wir als Regierung damit leben, dass es eine um-
weltpolitische Opposition in diesem Lande nicht gibt.
Aber ich verspreche Ihnen eines: Trotz dieses Handicaps
werden wir unseren Weg der ökologischen Modernisie-
rung fortsetzen. Das führt zu mehr Umweltschutz und zu
mehr Beschäftigung und ist deswegen vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus

Lippold.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1512311400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Trittin hat gerade eine Statistik angeführt, die äußerst in-
teressant ist. Er hat den wesentlichsten Punkt dieser Sta-
tistik weggelassen, nämlich dass Minister Trittin von den
Bundesdeutschen die schlechteste Note aller Minister im
Kabinett erhält.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wer weiß, wie dieses Kabinett insgesamt bewertet wird,
der kann sich vorstellen, welch eine schallende Ohrfeige
das für ihn ist.

Es gelingt ihm gelegentlich – das muss ich zugeben –,
über Sachverhalte hinwegzutäuschen. Ein erstes Bei-
spiel: Er hat in letzter Zeit die Klimaschutzpolitik he-
rausgestellt und groß getönt, dass bis zum Jahr 2020
40 Prozent der CO2-Emissionen eingespart würden. Ermacht das, weil er darüber hinwegtäuschen will, dass er
nicht in der Lage war, die von der damaligen Opposition
immer als zu gering angesehene Vorgabe der Union ein-
zuhalten, bis 2005 die CO2-Emissionen um 25 Prozentzu reduzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weil Sie, Herr Trittin, dort ganz eklatant versagt haben,
kommt nun das klassische Ablenkungsmanöver, das wir
bei der Bundesregierung immer erleben: Wenn Sie in der
Gegenwart versagen, versprechen Sie mehr für die Zu-
kunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe beispielsweise das letzte Mal zu Herrn Clement
gesagt, dass er zum 25. Mal eine wirtschaftliche Erho-
lung angekündigt hat – in dieser Haushaltsdebatte ist sie
zum 26., 27. und 28. Mal angekündigt worden –, dass sie
aber nicht eingetreten ist. Es gibt weniger Beschäftigung
als jemals zuvor.

Das ist aber nicht alles. Herr Minister Trittin, Sie ha-
ben auf die Energiekonzerne geschimpft. Sie haben zwar
in Teilen Recht. Aber Sie verschweigen – damit täu-
schen Sie auch hier –, dass Sie mit Ihrer Energiepolitik
zu der momentanen Preistreiberei ganz erheblich beige-
tragen haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ökosteuer!)

Um es deutlich zu sagen: Ich finde es unanständig, mit
dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man selbst an
der Entwicklung einen nicht ganz unerheblichen Anteil
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn schon die Wahrheit, dann bitte die ganze Wahrheit
und nicht nur teilweise. Wenn, dann bitte richtig!

Herr Trittin, Sie haben auf die Kreislaufwirtschaft
verwiesen. Aber was haben Sie dort bislang geleistet?
Null, gar nichts! Das Chaos, das Sie beim Dosenpfand
angerichtet haben, jetzt noch als Vorzeigestück Ihrer Po-
litik zu präsentieren ist schon eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist das Merkel-Pfand!)


Die Arbeitsplätze, die dadurch verloren gegangen sind,
gehen auf Ihr Konto. Aber Sie sind ja auch der einzige
Minister dieser Regierung, der den Verlust von Arbeits-
plätzen mit Sektempfängen feiert. So war es im Fall
Stade. Das ist eine Unverschämtheit, die auch einmal er-
wähnt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Drei Unwahrheiten in drei Minuten!)


Herr Trittin, es lohnt sich nicht, darüber zu grinsen; denn
die Menschen, die dadurch ihre Arbeitsplätze verloren
haben, haben ein schweres Schicksal. Darüber hilft auch
das Grinsen eines bundesdeutschen Ministers nicht hin-
weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben mit der Nutzung von regenerativen Ener-

gien begonnen. Wir werden diesen Weg fortführen. Das
ist gar keine Frage. Aber wir werden Ihre Fehler in der
Energiepolitik insgesamt nicht mitmachen. Zu diesen
Fehlern, Herr Trittin, gehört der Ausstieg aus der Kern-
energie, wie Sie ihn planen. Wir werden ihn rückgängig
machen.

Sie stehen mit diesem Ausstieg weltweit völlig allein
auf weiter Flur: Die Chinesen planen 40 weitere Kern-
kraftwerke, die Inder planen 20 weitere Kernkraftwerke
und in Finnland wird gerade ein neues Kernkraftwerk
gebaut. Nur der überkluge Minister der Bundesrepublik
Deutschland sagt: Das ist eine Auslaufenergie. Man
kann das zwar so machen; aber das wird Ihnen bei der
Beurteilung des Gesamtsachverhalts nicht weiterhelfen.
Wenn wir einen erfolgreichen Klimaschutz wollen, dann
sind wir auch auf Kernenergie angewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Herr Minister, Sie haben auch versucht, das Instru-
ment Emissions Trading – es ist im Grunde ein guter An-
satz – zu missbrauchen, um die Entwicklung der Kohle-
energie negativ zu beeinflussen. Wie sähe denn die
deutsche Energiewirtschaft aus, wenn wir, erstens, auf
Kernenergie verzichteten und wenn wir, zweitens, auf
Kohle verzichteten? Das kann man doch mit regenerati-
ven Energien gar nicht ausgleichen, erst recht nicht zu
wettbewerbsfähigen Preisen.

Diese Regierung hat seit Jahren versprochen, ein ge-
schlossenes Energiekonzept vorzulegen. Sie müssten da-
ran einen ganz maßgeblichen Anteil haben. Bis heute ist
außer dem Ausstieg aus der Kernenergie nichts passiert
und Sie haben kein geschlossenes Energiekonzept vor-
gelegt, was Ihnen von allen Seiten angekreidet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Von wann ist denn Ihr letztes? Von 1981! 16 Jahre haben die Schwarzen nichts beschlossen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


Sie wissen doch, dass wir ein solches Konzept auf jeden
Fall brauchen, um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu
sein.

In Bezug auf den Vorwurf der Preistreiberei kommt
natürlich noch eines hinzu – das will ich ganz deutlich
machen –: Wir warten auf eine Studie, die von der Bun-
desregierung in Auftrag gegeben worden ist und unter
Mitwirkung der Wirtschaft zustande kommt: Ich meine
die so genannte DENA-Studie zu den regenerativen
Energien und ihren Kosten. Herr Minister Trittin, weil
Ihnen die Ergebnisse dieser Studie nicht passen, ver-
schieben Sie ihre Vorlage jetzt schon um Monate. Das,
was Sie hier vorgaukeln, ist im Licht der Ergebnisse die-
ser Studie nicht haltbar.


(Jürgen Trittin, Bundesminister: Sie kennen sie schon! Das finde ich gut, Herr Lippold!)


Man kann regenerative Energien, insbesondere im Off-
shorebereich, nicht so einsetzen, wie Sie es vortäuschen.
Sie belügen die Bevölkerung. So geht es nicht, Herr Mi-
nister.

Wir haben übrigens noch andere Anhaltspunkte, auch
Gutachten aus dem Wirtschaftsministerium, zur Frage
der Beschäftigungssicherung durch regenerative Ener-
gien, die Sie hier so groß herausgestellt haben. Diese
Anhaltspunkte haben Sie ganz einfach verschoben, un-
terschlagen, nie vorgelegt, weil Ihnen die Ergebnisse
nicht passen und weil sie Ihre Politik widerlegen. Auch
so kann man Politik machen: Täuschen, wissenschaft-
liche Ergebnisse unterschlagen und dann behaupten, Sie
seien der Größte und der Schönste. Das sind Sie nun
weiß Gott nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Groß ist er, das kann man nicht bestreiten!)


– Herr Kollege, das war das Stichwort: Lang ist er; aber
groß ist er noch lange nicht.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Loske, das ist beim besten Willen so nicht darstell-
bar.

Es gibt Punkte, wo Sie ganz einfach hätten handeln
können; aber nicht gehandelt haben. Die Energieeinspa-
rung im Altbaubestand ist einer dieser Punkte. Sie ha-
ben unseren Vorschlag in Ihr Regierungsprogramm über-
nommen, dafür steuerliche Erleichterungen vorzusehen.
Allerdings haben Sie das bis heute nicht realisiert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Verzehnfacht gegenüber eurer Zeit!)


– Das ist etwas anderes. Sie sprechen jetzt von Zinszu-
schüssen. Wenn Sie nicht unterscheiden können, dass
das Gewähren von Zinszuschüssen etwas anderes ist, als
Anreize bei der Besteuerung zu setzen, dann verstehen
Sie auch nicht, warum das eine Instrument auf ganz an-
deren Feldern wirkt als das andere. Lassen Sie es sich
von Herrn Loske einmal erklären.
Es handelt sich um einen Kernpunkt. Dazu sage ich
ganz deutlich: So ist das nicht aufrechtzuerhalten. Die
Punkte, wo wir wirklich noch enormen Handlungsspiel-
raum haben, lassen Sie beiseite. Außerdem vernachlässi-
gen Sie aus meiner Sicht ganz deutlich die Energie-
einsparungen. Sie haben auf diesem Felde viel
versprochen, aber nichts geleistet. Die CO2-Vermei-dungskosten bei Energieeinsparungen sind deutlich ge-
ringer als alles andere, was im Moment zur Diskussion
steht. Sie haben hier ein weites Feld; aber Sie nutzen es
nicht. Auch hier versagen Sie und das ist sehr bedauer-
lich. Sehen Sie: Man muss nicht schreien, um solche
Fehler deutlich zu machen.

Es gibt einen weiteren Punkt, der erwähnt werden
muss und der uns sehr nachdenklich macht: Das ist die
Chemiepolitik, die derzeit in der Europäischen Union
konzipiert wird. Diese Chemiepolitik ist nicht nur für
Chemieunternehmen selbst wichtig, sondern ist in glei-
chem Maße für den Gesamtbereich Wirtschaft wichtig,
insbesondere aber für kleinere und mittlere Unterneh-
men sowie für die Innovation. Diese Chemiepolitik
droht im Moment zu einem ganz erheblichen bürokrati-
schen Hemmnis zu werden und Arbeitsplätze nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Europa insgesamt zu
gefährden.

Was tun Sie? In einer beispiellosen Anzeigen-
kampagne loben Sie diese Politik uneingeschränkt und
fordern eine Verschärfung. Das ist eine Politik, von der
Rezzo Schlauch – ein Kollege von Ihnen nicht nur aus
der Bundesregierung, sondern auch aus Ihrer grünen
Partei – ganz deutlich sagt, sie müsse so korrigiert wer-
den, dass sie nicht zum Schaden der Menschen in der
Bundesrepublik Deutschland werde. Sie fordern eine
Verschärfung. Ihr Kollege Rezzo Schlauch sagt, sie
müsse korrigiert werden. Ich will an diesem Beispiel
deutlich machen, wie widersprüchlich die Aussagen der
Bundesregierung sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Für unanständig halte ich – Herr Trittin, ich kann es
wiederum nicht anders bezeichnen –, dass Sie Anzeigen
Dritter finanzieren, in denen der Chemieindustrie nicht
belegbare und nicht haltbare Vorwürfe gemacht werden.
Sie und das Umweltbundesamt finanzieren mit Steuer-
geldern solche Anzeigen und schreiben dann noch hi-
nein, dass Sie für den Inhalt der Anzeige und die Aussa-
gen keine Gewähr übernehmen. Das ist unanständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür, dass Sie andere mit Dreck werfen lassen, das
Ganze noch finanzieren und dann sagen: „Aber dafür
übernehme ich nicht die Verantwortung“, werden wir Sie
schon zur Verantwortung ziehen. So lassen wir Sie nicht
davonkommen.

Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Punkten,
Herr Minister, die wir für wichtig halten, zum Beispiel
den Schutz und die Erhaltung der Wälder, insbeson-
dere den Schutz der tropischen Regenwälder. Wir als
Union haben unendlich viel dafür geleistet, weil es hier-
bei nicht nur um den Tropenwaldschutz geht, sondern






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


weil das auch ein ganz zentraler Ansatz für die Artener-
haltung ist. Die Artenvernichtung, die in tropischen Re-
genwäldern geschieht, ist ein ganz zentrales Problem.
Davon haben Sie nicht gesprochen.

Sie haben auch nicht vom Armutsbegriff gesprochen
und davon, was Armut weltweit für Umweltschutz be-
deutet. Sie haben nicht über die Bedeutung von Wasser
gesprochen, nicht darüber, was wir weltweit realisieren
müssen, damit die Menschen sauberes Trinkwasser ha-
ben, damit sie nicht aufgrund vergifteten oder verseuch-
ten Wassers unter Gesundheitsschäden leiden.

Das alles haben Sie elegant ausgeklammert, weil Sie
in Ihrer Themensicht verengt sind. Es wäre gut, wenn
Sie diese verengte Themensicht aufgeben würden, wenn
Sie sich in Zukunft etwas mehr an die Wahrheit halten
würden und wenn Sie gleichzeitig sehen würden, wohin
weltweite Entwicklungen tatsächlich laufen. Mit Ihrer
Brille, die nur einen verengten Blick erlaubt, ist das nicht
drin.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311500

Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Ernst Ulrich von

Weizsäcker.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1512311600

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine verehrten

Damen und Herren! Wie Herr Minister Trittin gerade
schon richtig gesagt hat: Es ist ein sehr kleiner Haushalt.
Man könnte jetzt natürlich über die Zahlen im Einzelnen
reden. Dabei würde herauskommen, dass diese 0,3 Pro-
zent des gesamten Bundeshaushalts ganz erstaunlich
effizient eingesetzt werden. Die Umweltpolitik ist wie-
der da – und das mit einem sehr geringen Finanzauf-
wand. Ich finde all das, was der Herr Minister gesagt hat,
sehr überzeugend, insbesondere mit Blick darauf, dass
man das Thema in der Bevölkerung und auch in der In-
dustrie im Gegensatz zu der Zeit vor, sagen wir einmal:
zehn Jahren wieder wirklich ernst nimmt.

Ich werde jetzt nicht über all die einzelnen Haushalts-
titel reden, zum Beispiel den Baufortschritt beim Langen
Eugen, dem UNO-Zentrum in Bonn, aber ich will doch
wenigstens zwei umweltpolitisch wichtige Haushaltstitel
erwähnen, bei denen trotz der enormen Sparsamkeit
– ein Minus von insgesamt 2,6 Prozent – eine erhebliche
Steigerung zu verzeichnen ist.

Bei dem einen Titel geht es um die Stärkung der För-
derung der Nichtregierungsorganisationen, die im
Umweltschutz tätig sind. Da sind Millionen junger und
alter Menschen im Land bereit, ihre Freizeit für ein idea-
listisches Ziel zu opfern. Ohne diese – häufig stille –
idealistische Arbeit wäre es um die Umwelt und auch um
die Umweltpolitik im Land viel schlechter bestellt. Ich
kenne kaum einen Haushaltstitel, in dem die Mittel so
kosteneffizient eingesetzt werden wie hier diese 4,5 Mil-
lionen Euro. Jeder Effizienzberater in der Wirtschaft
– McKinsey, Roland Berger oder wer auch immer –
kann nur vor Neid erblassen angesichts dieser Art von
Kosteneffizienz. Das sollte man in einer Haushaltsde-
batte doch auch einmal erwähnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt, bei dem wir eine ganz erhebliche
Steigerung erlebt haben – das begrüße ich sehr –, ist die
Förderung der erneuerbaren Energien: einerseits
über das Marktanreizprogramm, das eine Größenord-
nung von 20 Millionen Euro umfasst, und andererseits
über verstärkte Forschung auf dem Gebiet der erneuer-
baren Energien. Von diesen 20 Millionen Euro stehen
5 Millionen noch unter dem Vorbehalt, dass der Bundes-
rat dem Abbau der Subventionen für den Eigenheimbau
zustimmt. Das ist in einer Zeit ja ganz besonders ver-
nünftig, wo unausgesetzt leer stehende Häuser abgeris-
sen werden. Das kann man also auch aus anderen Grün-
den gutheißen und nicht nur deswegen, weil es in diesem
Fall die erneuerbaren Energien fördern würde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Marktanreizprogramm und verstärkte Forschung auf
dem Gebiet der erneuerbaren Energien stehen im Zu-
sammenhang mit der deutschen Innovationsoffensive.
Bei einem Arbeitsfrühstück gestern, an dem auch einige
aus der Opposition teilgenommen haben, haben wir von
der DENA gehört, dass China als mit Abstand größter
Absatzmarkt für erneuerbare Energien ganz eindeutig
auf Deutschland als Partner setzt, weil wir auf diesem
Gebiet die technologische Führerschaft haben.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)

Damit zeigt sich, dass die deutsche Exportinitiative für
erneuerbare Energien von ihrem internationalen Erfolg
und von ihrer nationalen Arbeitsplatzwirksamkeit her
außerordentlich vernünftig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kohler hat übrigens bei dieser Gelegenheit die
Veröffentlichung der DENA-Studie bis Jahresende in
Aussicht gestellt. Wir könnten zwar eventuell noch et-
was aus der Studie lernen, ich habe aber das Gefühl, dass
sie heute, da wir über die Haushaltsansätze für das Jahr
2005 reden, vergleichsweise irrelevant ist. Denn das,
was wir mit der Verabschiedung des Haushaltes be-
schließen, ist auf jeden Fall richtig. Herr Kohler würde
das mit Sicherheit auch so sehen.

Überhaupt ist die Umwelttechnologie weiterhin und
in verstärktem Maße ein Exportschlager. Die Exporter-
folge bestätigen unsere führende Stellung. Vor ein paar
Jahren war es ja in konservativen Kreisen noch ein we-
nig üblich, Umweltschützer als Miesmacher, Müsliesser
oder in ähnlicher Weise zu diskreditieren. Heute ist es
berechtigt, in den Umweltschützern die Wegbereiter zu
neuem Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft zu se-
hen. Die Identifikation etwa mit den erneuerbaren Ener-
gien ist in der breiten Bevölkerung und auch in Wirt-
schaftskreisen sehr hoch, und das trotz reißerischer






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker

Artikel in einem Nachrichtenmagazin oder mancher ge-
lehrter Kalkulationen aus der Wissenschaft, in denen
man diese Frage offensichtlich nur auf kurze und nicht
auf lange Sicht betrachtet hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Optimismus in der Branche freut mich besonders,
denn in der Wirtschaft und beim Einwerben von Kapital
haben natürlich Optimisten durchweg bessere Karten als
Miesmacher.

Zu dem Stichwort Miesmacher fällt mir auch noch ei-
niges ein, was in dieser Haushaltsdebatte im Hohen
Hause gelaufen ist. Zum Beispiel hat sich Herr Glos in
seiner Eröffnungsrede gestern darüber beklagt, dass nun
amerikanische Aufkäufer durchs Land zögen und zu Bil-
ligpreisen deutsche Aktien einkauften.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein, das ist nicht richtig!)


– So hat er es gesagt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er hat von Forderungen gesprochen!)

– Es handelt sich um Amerikaner und zum Teil auch um
Banken. – Auf jeden Fall ist die Begründung dafür ja
ganz offensichtlich.
Die amerikanischen Finanziers schätzen den Wert und
die Ertragsfähigkeit der deutschen Wertpapiere viel hö-
her ein als wir.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es ging doch gar nicht um Wertpapiere! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Er hat von Anteilen von Banken gesprochen!)


– Wir wissen doch aus den Wirtschaftsseiten der Zei-
tung, was da alles eingekauft wird, wie in DAX-Werte
und andere deutsche Werte investiert wird. Bei uns
scheint es so zu sein, dass man erst einmal das Land
miesredet, sich dann ärgert, dass sich die Kurse nicht so
recht erholen, und schließlich schimpft, dass wir zu ei-
nem Land für Schnäppchenjäger geworden sind. Das
heißt, die wirtschaftspolitische Logik des Miesmachens
ist unvernünftig. Demgegenüber ist der Umweltschutz
heute ein ausgesprochener Hoffnungsträger. Das sollte
auf die Wirtschaft abfärben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen müssen selbst die, denen, aus welchen
politischen Gründen auch immer, nicht nach Optimis-
mus zumute ist, Umweltschutz proaktiv, in die Zukunft
gerichtet, betreiben. Unsere Enkel werden über die par-
teipolitischen Streitereien des Jahres 2004 nicht sehr viel
wissen; aber sie werden wissen, ob wir ihnen eine in-
takte Umwelt hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang ist langfristig natürlich die
Klimapolitik das wichtigste Thema. Herr Lippold hat
völlig Recht mit der Aussage, dass die Weichen dafür
zur Zeit der Regierung von Herrn Dr. Kohl gestellt wor-
den sind. Frau Dr. Merkel war selber in Kioto und hat
das Kioto-Protokoll unterschrieben. Das heißt, darüber
gibt es überhaupt keinen Streit. Unsere Regierung hat
die Umsetzung des Kioto-Protokolls konsequent fortge-
setzt, allerdings in dem Bewusstsein, dass das Kioto-
Protokoll nicht ausreicht, sondern wir darüber hinausge-
hen müssen.

Ich bin, und zwar gerade im europäischen Vergleich,
sehr froh darüber, dass es uns, der Bundesregierung und
dem Bundestag, gelungen ist, mit der Verabschiedung
des TEHG und des nationalen Zuteilungsplanes die Initi-
ative zu ergreifen und zu zeigen, dass wir als Deutsche
an vorderster Front der Modernisierung und zugleich des
Umweltschutzes stehen. Klimaschutzpolitik ist ja gleich-
zeitig Modernisierungspolitik. Das sieht man etwa bei
der jetzt anstehenden Modernisierung der Kraftwerke in
Niederaußem. Wenn die gegenwärtigen veralteten Blö-
cke abgeschaltet und durch neue ersetzt werden, werden
wir damit den noch fehlenden Anteil zur Erreichung des
Kioto-Ziels erbringen. Das ist ein hervorragendes Sym-
bol dafür, dass uns die Modernisierung im Klimaschutz
voranbringt.

Die Situation in Niederaußem steht symbolisch für
das, worauf wir achten müssen. Es geht darum, durch
Modernisierung und Effizienzgewinne den Kohlenstoff-
einsatz zu vermindern, und das so frühzeitig, dass wir
die Technologieführerschaft nicht ans Ausland abgeben
müssen. Das ist das Motto, das sich durch alle Branchen
ziehen sollte, nicht nur durch die der Kraftwerksbauer:
Umweltschutz als Modernisierung und Effizienzgewinn.

Insofern muss man als Umweltschützer nicht unbe-
dingt traurig sein, wenn der Umwelthaushalt einmal in
einem Jahr nicht ansteigt und wenn er, prozentual gese-
hen, auf einem niedrigen Niveau ist. Es kommt immer
darauf an, was man aus den zur Verfügung stehenden
Mitteln macht, und ich finde, das wird hier außerordent-
lich effizient gemacht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311700

Danke schön. – Das Wort hat jetzt die Abgeordnete

Birgit Homburger.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1512311800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte an das anknüpfen, was der Vorredner, der
Herr Kollege von Weizsäcker, hier gerade gesagt hat.
Herr von Weizsäcker, wir streiten uns hier ja nicht über
die Frage des Ziels. Ich glaube, kein Mitglied des Deut-
schen Bundestages, egal aus welcher Partei, wird
abstreiten, dass wir uns alle dafür einsetzen, den nachfol-
genden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlas-
sen. Die Frage ist nur, wie das gemacht wird: effizient






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger

oder ineffizient? Das ist doch der Kern des Streits, den
wir hier haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In den Erläuterungen des BMU-Haushalts heißt es,

der Staat habe den marktwirtschaftlichen Rahmen für
umweltgerechtes Verhalten zu schaffen. Genau das ist
richtig, Herr Minister Trittin. Der Haushalt selber sagt
nur wenig über die Umweltpolitik aus. Aber Ihre Rede
spricht Bände. Bei allen Punkten, die Sie hier genannt
haben, geht es immer nur nach dem Motto: bevormun-
den, verhindern und regulieren. Wir sagen Ihnen ganz
klar: Wenn wir eine vernünftige Umweltpolitik wollen,
die bezahlbar und effizient ist und mit der man die Ziele
erreichen kann, dann brauchen wir Wettbewerb im
Umweltschutz. Wir stehen für Wettbewerb. Sie und die
Grünen dagegen stehen für Staatsinterventionismus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie reden von einer umfassenden Wende in der

Energiepolitik. Aber Sie haben bisher überhaupt noch
kein entsprechendes Gesamtkonzept vorgelegt, in dem
auch die Versorgungssicherheit berücksichtigt wird. Ich
sage Ihnen einmal, wo wir heute stehen. Als die FDP
noch an der Regierung beteiligt war, haben wir die Libe-
ralisierung des Energiemarktes durchgesetzt und einge-
leitet. Dadurch wurde das Ziel der Preissenkung erreicht.
Sie dagegen haben es geschafft, dass der staatliche An-
teil an den Energiekosten wieder auf über 40 Prozent
gestiegen ist. Und dann erklären Sie, man müsse einen
Energiegipfel abhalten! Wir befürworten zwar diesen
Gipfel, aber Sie müssen sich endlich einmal bewegen
und zugeben, dass ein großer Anteil an den Energieprei-
sen politisch bedingt ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Gott sei Dank!)


Wenn Ihre Ankündigungen nicht nur Aktionismus
sein sollen, müssen Sie deutlich erklären, dass Sie von
der Ökosteuer weggehen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ja, ja!)

Der Emissionshandel wurde jetzt beschlossen. Die Öko-
steuer hat doch nichts mit Ökologie zu tun. Wir rasen für
die Rente; denn Sie brauchen das Geld aus der Öko-
steuer für die Rentenversicherung. Das ist doch der ent-
scheidende Punkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie reden schlicht Unsinn!)


Herr Müller, die Ökosteuer ist nichts anderes als Etiket-
tenschwindel.

Die Dreifachförderung im Bereich der Kraft-Wärme-
Kopplung ist nichts anderes als die Bedienung Ihrer
Klientel.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wie kann man nur solch einen Unsinn reden!)


Auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz rücken Sie
nicht vom Dirigismus ab,

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sind Sie flach!)


sondern Sie geben weiterhin staatlicherseits Technik und
Preis vor. Dadurch entsteht ein hoher Finanzaufwand.
Dem setzen wir die Förderung erneuerbarer Energien
durch ein wettbewerbliches Modell entgegen. Deshalb:
Wenn wir jetzt über die hohen Energiepreise sprechen,
müssen wir vor allem über die verfehlte Energiepolitik
dieser Bundesregierung reden. Solange Sie von Ihrer Po-
sition nicht abrücken, so lange ist der Energiegipfel
nichts anderes als der Ausdruck der Hilflosigkeit von
Kanzler und Kabinett.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Brüderle hat ihn doch gefordert!)


In der Erläuterung zum Haushalt des BMU steht, die
wichtigste Veränderung im Vergleich zum Jahr 2004
liege darin, dass der Ansatz für die Forschung im Be-
reich der erneuerbaren Energien um 5 Millionen Euro er-
höht werde. Natürlich sagen Sie nicht dazu, dass diese
Förderung unter dem Vorbehalt steht, dass die Eigen-
heimzulage abgeschafft wird.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Es steht drin!)


Sie verschweigen auch, dass Sie dieses Spiel in mehre-
ren Einzelplänen betreiben. Alles Mögliche wollen Sie
durch Einsparungen bei der Eigenheimzulage finanzie-
ren; in der Summe wollen Sie ungefähr 150 Millionen
Euro zusätzlich ausgeben. Die Abschaffung der Eigen-
heimzulage bringt aber nur 95 Millionen Euro, Herr
Müller. In diesem Punkt erkennt man, dass dieser Haus-
halt eine einzige Luftbuchung ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dasselbe gilt für das Thema Kreislaufwirtschaft.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!)

Wo haben Sie, Herr Minister Trittin, denn nur annähernd
etwas für die Kreislaufwirtschaft getan? Wir haben das
entsprechende Gesetz 1994 beschlossen. Seitdem ist bei
Ihnen nicht viel passiert.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ach! Nur den Titel haben Sie gemacht, sonst nichts! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja natürlich! 1994!)


Zum Zwangspfand – dieses Thema ist in diesen Ta-
gen durch die Beratungen im Bundesrat wieder aktuell
geworden – kann man nur sagen: Erkennen Sie doch
endlich die Ergebnisse neuerer Studien an! Sie wissen
ganz genau, dass wir zwischenzeitlich eine andere Situa-
tion haben als vor zehn, 15 Jahren. Das Zwangspfand ist
ökologisch und ökonomisch unsinnig. Deswegen brau-
chen wir eine neue Konzeption. Dieser verweigern Sie
sich aber. Sie machen eine Politik, die auf Zwangserzie-
hung der Menschen in diesem Land setzt. Wir wollen
Wettbewerb und freiheitliche Bedingungen auch in der
Umweltpolitik.






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ganz besonders unerträglich finde ich, was Sie zum

Thema altersschwache Reaktoren gesagt haben. Ihre Be-
hauptung war, man wolle die Laufzeit altersschwacher
Reaktoren verlängern. Dazu kann ich nur sagen: Wir ha-
ben in Deutschland eines der höchsten Sicherheitsre-
gimes im Bereich der Reaktorsicherheit, und zwar zu
Recht. Daran halten wir auch fest. Ein Reaktor, der die-
sen Sicherheitsbestimmungen nicht entspricht, kann in
diesem Land nicht weiterbetrieben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Herr Minister Trittin, was Sie hier gemacht haben, ist
doch nichts anderes als eine Brandrede, die emotionali-
siert und Angst schürt. Es geht Ihnen doch überhaupt
nicht um die Umweltpolitik. Wenn die Reaktoren wirk-
lich so gefährlich wären, wie Sie es sagen, dann müssten
Sie diese sofort abschalten. Es ist doch scheinheilig, was
Sie da machen!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das war polemisch!)


Schauen wir uns einmal die Entsorgung radio-
aktiver Abfälle an; auch Sie haben dies angesprochen.
Hier handeln Sie absolut verantwortungslos. Sie ver-
schieben dieses Problem auf die zukünftigen Generatio-
nen. Sie haben einen AkEnd, den Arbeitskreis Endlager,
eingesetzt. In den Erläuterungen zum Umwelthaushalt
schreiben Sie – ich zitiere –:

Die Entwicklung der Kriterien ist auf wissenschaft-
licher Basis sachorientiert, unvoreingenommen und
ohne Ausschluss relevanter Aspekte erfolgt.

Bei dieser Gelegenheit, Herr Minister Trittin, verschwei-
gen Sie, dass Sie dem Arbeitskreis Endlager schlicht und
ergreifend vorgegeben haben, dass er nicht erarbeiten
darf, was eigentlich sachlich richtig wäre: ein Zwei-
Endlager-Konzept, das bisher die Grundlage unserer
Arbeit war. Im Bericht des AkEnd steht vielmehr
unter „Vorbemerkungen“: „BMU-Vorgabe ‚Ein-Endla-
ger-Konzept‘ …“


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist die Wissenschaftsfreiheit bei Trittin!)


Auf der gleichen Seite steht unten ganz klar, dass die
Verfolgung des Ein-Endlager-Konzepts der öffentlichen
Hand beträchtliche Mehraufwendungen bringen wird
und wesentliche sicherheitsrelevante Kompromisse ge-
schlossen werden müssen, also Gefahren damit verbun-
den sind. Sie aber erklären uns in dieser Haushaltsde-
batte, Sie hätten völlig unvoreingenommen gehandelt.
Das Gegenteil ist der Fall, Herr Minister Trittin. Das
werden wir Ihnen deshalb nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie werfen den Oppositionsparteien weiter vor – das

ist im Übrigen eine Neuerung in den Haushaltserläute-
rungen –, dass wir uns im Hinblick auf die Einsetzung
einer weiteren Arbeitsgruppe verweigert hätten. Sie
müssen den Menschen in diesem Land aber bitte schön
dazusagen, dass wir uns nicht für ideologische Vorgaben
Ihrerseits missbrauchen lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind jederzeit gerne bereit, an einer Konzeption mit-
zuarbeiten, die zu einem vernünftigen Ergebnis bei der
Endlagerung führt und an einer fachlichen und wissen-
schaftlichen Basis orientiert ist. Wir sind aber nicht be-
reit, an dem mitzuarbeiten, was Sie uns hier vorlegen.

Das verdeutlicht beispielsweise auch der entspre-
chende Bericht des Bundesrechnungshofes, der uns
zwischenzeitlich vorliegt. Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung und das Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit haben im Gegensatz zu Ihnen
nicht nur erklärt, dass das Ein-Endlager-Konzept finan-
zielle Risiken berge, sondern darüber hinaus auch er-
klärt, dass sicherheitstechnische Vorteile für ein Mehr-
Endlager-Konzept sprechen würden. Das ist die Realität.
Sie sind sich innerhalb der Regierung nicht einig und
deswegen haben Sie bisher noch keine Lösung vorge-
legt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In dem Bericht des Bundesrechnungshofes werden die
finanziellen Risiken ganz klar aufgezeigt. Ich weise zu-
sätzlich auf die Rückforderungen der Wirtschaft hin, die
auf Sie bzw. den Bundeshaushalt zukommen werden,
wenn wir den Schacht Konrad nicht entsprechend wei-
terbetreiben. Das heißt, dass von unabhängiger Seite ein
klares Urteil gefällt wurde.

Herr Minister Trittin, Sie sind ein wandelndes Haus-
haltsrisiko. Der Umweltsachverständigenrat hat Anfang
Mai die umweltpolitische Zurückhaltung der rot-grünen
Bundesregierung in heftigen Worten kritisiert. An diesen
Ausführungen zeigt sich ganz klar: Ihnen geht es nicht
um den Umweltschutz, sondern um eine Instrumentali-
sierung der Ökologie für ideologische Zwecke. Das hat
man heute sehr deutlich an Ihrer Rede gesehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512311900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winne Hermann.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512312000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegin Homburger, Sie haben Ihre Rede damit begon-
nen, dass Sie gesagt haben: Wir alle wollen doch ge-
meinsam das Gute; wir unterscheiden uns nur im Weg.
Sie haben Ihre Rede damit beendet, dass Sie festgestellt
haben, dass der Umweltminister selber auf gar keinen
Fall etwas Gutes will, sondern nur ein Ideologe ist. Ich
finde, das ist kein besonders guter kommunikativer Stil;
damit kommen wir nicht weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, in Haushaltsdebatten wird
bisweilen entweder grundsätzlich kritisiert und der






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann

Haushalt an sich vergessen oder es wird nur haushalte-
risch kritisiert. Ich will versuchen, beide Elemente, den
Haushalt und die grundsätzliche Politik, miteinander zu
verbinden.

Diese Haushaltsberatungen stehen wie auch die Bera-
tungen der letzten Jahre unter dem schwierigen Vorzei-
chen, dass wir Haushaltskonsolidierung betreiben
müssen. Egal, welcher Couleur wir angehören, wir müs-
sen uns Gedanken um die Frage machen, wo und wie ge-
spart wird und ob an der richtigen Stelle gespart wird.
Mir ist wichtig, aus Sicht der Grünen deutlich zu ma-
chen, dass eine Verschärfung beim Sparen insofern aus
dem Subventionsabbaupapier von Koch und Steinbrück
herrührt, als jetzt pauschal gekürzt werden muss, wobei
es egal ist, ob es sich um sinnvolle ökologische Zu-
kunftsinvestitionen handelt – ich nehme an, dass auch
Sie nicht abstreiten werden, dass es solche sinnvollen
Fördermaßnahmen gibt – oder ob es sich um Subventio-
nen in alte Strukturen oder für eine alte Klientel handelt.
Aus grüner Sicht ist es notwendig, hier zu differenzieren.
Wir müssen auch bei der Haushaltspolitik deutlich ma-
chen, dass man hier unterscheiden kann. Nur wenn wir
dies schaffen, können wir auch in Haushaltsfragen eine
ökologische Debatte eröffnen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Kollege von Weizsäcker hat darauf hingewiesen, dass

der Umweltetat relativ klein und bescheiden ist. Ent-
scheidend ist aber, dass es uns Umweltpolitikern inzwi-
schen gelungen ist, wirklich massiv in zahlreiche andere
Etats einzugreifen, Vorschläge zu machen, wie was ge-
ändert wird, und Programme aufzulegen, die ökologi-
sche Zukunftsfähigkeit fördern. So gibt es beispiels-
weise im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ein Großprogramm für Nachhaltigkeit.
Ferner gibt es Projekte im Umfang von fast 700 Millio-
nen Euro im BMZ, in denen es im Wesentlichen um
nachhaltige Entwicklung, um Wasserversorgung und
Wasserreinigung usw. in Entwicklungsländern geht. Im
Haushalt des Finanzministeriums findet sich die Finan-
zierung der Altlastensanierung, im Wirtschaftsministe-
rium die Energieeffizienzförderung. Bei all diesen Maß-
nahmen, die der nachhaltigen Entwicklung dienen, geht
es stets um Beträge von mehreren 100 Millionen Euro.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kollege Lippold, Sie bringen in fast jeder Debatte das
Argument von der Altbausanierung. Das muss ich Ih-
nen doch einmal vorrechnen. Die letzte CDU-geführte
Bundesregierung hat in ihrem Etat gerade einmal
20 Millionen für Altbausanierung ausgewiesen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: D-Mark!)


– Ja, 20 Millionen DM. – Wir haben im Jahre 2004
360 Millionen Euro; das ist das 36fache. Außerdem ste-
hen 2,2 Milliarden Euro bei der Kreditanstalt für Wie-
deraufbau an Krediten für ökologische Haussanierung
oder den Neubau von Energiesparhäusern zur Verfü-
gung. Dies ist in der Summe weit mehr als das, was Sie
getan haben. Von daher empfinde ich es als vollkommen
daneben und auch als ziemlich ungeschickt von Ihnen,
diesen Punkt anzusprechen. Hier stehen wir wirklich
bestens da.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Was, bestens? Ihr seid aber mit euren Ansprüchen heruntergegangen!)


Wir haben in diesem Etat einige Akzente gesetzt und
trotz der Notwendigkeit des Sparens versucht, not-
wendige Modernisierungsmaßnahmen und Zukunftsin-
vestitionen im Haushalt zu verankern. Das Marktanreiz-
programm für erneuerbare Energien wird auf 193 Mil-
lionen Euro erhöht. Wir hatten einmal 200 Millionen
Euro anvisiert. Unter den gegebenen Bedingungen ist
das, was wir erreicht haben, schon ziemlich viel; es wird
uns mächtig voranbringen. Dies zeigt sich an den vielfa-
chen Formen der Umsetzung. Fahren Sie heute durch
Deutschland und schauen auf die Dächer oder in die
Landschaft, dann erkennen Sie, dass überall die
Energiewende praktiziert wird. Dies haben wir dem
Markteinführungsprogramm, den Forschungsbemühun-
gen, die ebenfalls gefördert werden, und dem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz zu verdanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


FDP und CDU haben uns erneut den Vorwurf ge-
macht, wir hätten kein geschlossenes Gesamtkonzept
im Energiebereich.


(Birgit Homburger [FDP]: Ja!)

Das von Ihnen zu hören ist putzig. Immerhin haben wir
schon ein Klimaschutzprogramm, eine ganze Reihe von
energiegesetzlichen Maßnahmen als Bausteine und ein
Atomausstiegsgesetz vorgelegt. Das alles zusammen ist
ein weit entwickeltes und in Ihrer Sprache ein fast schon
geschlossenes Bild.


(Birgit Homburger [FDP]: Aber kein Konzept!)


Es fehlen noch ein paar Mosaik- bzw. Bausteine; aber
wir arbeiten weiter daran.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was ist denn daran ein Konzept?)


In all diesen Jahren haben Sie kritikasterhaft mal ge-
gen das eine und mal gegen das andere geredet, ohne
auch nur in einem einzigen Punkt konsistent gewesen zu
sein. Vielleicht ist es der Einzelne bei Ihnen. Aber wenn
man mit den verschiedenen Flügeln – den Mittelständ-
lern, den Marktwirtschaftlern oder den Ökologen – re-
det, bekommt man jeweils eine andere Antwort.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Mit den Haushältern müssen Sie mal reden, Herr Hermann!)


Sie erwarten von uns ein Gesamtkonzept, aber: Wo ist
Ihr Energiekonzept? Sie haben doch in keinem einzigen
Bereich der Energiepolitik ein Konzept, geschweige
denn eines aus einem Guss.


(Birgit Homburger [FDP]: Wir haben es als Bundestagsdrucksache vorgelegt!)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann

Wir haben uns der Herausforderung verschrieben,

vom Öl wegzukommen. Wir wollen das nicht nur, son-
dern machen auch konkrete Schritte in diese Richtung,
wir machen Programmvorschläge und entwickeln Strate-
gien, um Schritt für Schritt von dieser Abhängigkeit los-
zukommen. Diese Zukunftsinvestitionen werden sich
doppelt rechnen: ökologisch, weil wir weniger Kohlen-
stoff verbrennen und weniger CO2 ausstoßen, und öko-nomisch, weil wir angesichts der Verteuerung von Gas
und Öl gottfroh sein können, dass wir in Teilbereichen


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie groß ist der Anteil?)


unseres Energieverbrauchs nicht mehr vom Öl abhängig
sind,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie teuer ist das?)


weil es dank der Effizienzsteigerung auch gelungen ist,
weit weniger Energie als bisher zu verbrauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Weg vom Öl? Wo sind eure Erfolge?)


In der Summe kann ich Ihnen sagen: Wir haben schon
einiges getan. Dass das Konzept noch nicht ganz ge-
schlossen ist, mögen Sie verzeihen. Angesichts der Tat-
sache, dass Sie gar kein Konzept haben, sehen wir schon
ziemlich gut aus. Wir sorgen für Zukunftsinvestitionen,
weil wir wissen, dass wir all das, was heute nicht getan
wird, was heute nicht in Zukunftsfähigkeit investiert
wird, morgen bitter bezahlen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512312100

Das Wort hat nun die Kollegin Doris Meyer, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Doris Meyer (CSU):
Rede ID: ID1512312200

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! „Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirk-
lich Antworten gibt.“ Dieses Zitat des Philosophen
Martin Buber führt uns zu einem der Hauptprobleme von
Minister Trittin: fehlende Antworten auf drängende Fra-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viele Antworten ist die rot-grüne Bundesregierung bis-
her schuldig geblieben, Antworten beispielsweise auf
die Frage nach der Zukunft der Energiepolitik.

Herr Hermann, bereits vor einem Jahr habe ich an die-
ser Stelle ein zukunftsweisendes geschlossenes Energie-
gesamtkonzept angemahnt,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Angemahnt“, ja, ja!)


passiert ist immer noch nichts. Die Bundesregierung hält
sich mit Vorschlägen vornehm zurück. Stattdessen re-
agiert sie auf die vielen offenen Fragen mit einem Mehr
an Öffentlichkeitsarbeit. Keine Frage: Gute Öffentlich-
keitsarbeit ist für die Politik wichtig. Mit immer mehr
Öffentlichkeitsarbeit aber fehlende Konzepte, handwerk-
liche Fehler und Schnellschüsse im Gesetzgebungsver-
fahren zu kaschieren ist reines Blendwerk.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist Blendwerk gegenüber den Bürgerinnen und

Bürgern, die ihre Steuergelder beispielsweise im Fall der
Stilllegung des Kernkraftwerks Stade oder in Sachen
Dosenpfand in großformatigen Anzeigen wiederfinden
mussten. Eine Zahl möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
Fast 1 Million Euro wurden von Juni 2001 bis Mitte
2004 für Dosenpfandwerbung ausgegeben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Lassen Sie uns nun einen kritischen Blick auf den

Haushalt 2005 werfen. Er wurde weiter abgespeckt,
nach 2004 sollen auch 2005 nominal rund
20,6 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. So
weit, so gut, könnte man meinen. Sparen und weniger
ausgeben ist ja prinzipiell ganz in Ordnung. Man muss
aber genau hinsehen: Der Haushalt ist zwar insgesamt
kleiner geworden, aber das Ministerium selbst, die Bun-
desämter für Naturschutz und für Strahlenschutz und das
Umweltbundesamt wollen trotz Umschichtungen fast
100 neue Stellen schaffen. Die Verwaltung wird größer.
Ob das auch dem Umwelt- und Naturschutz zugute
kommt, bezweifele ich ernsthaft.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nicht bei dieser Regierung! – Albrecht Feibel [CDU/ CSU]: Mehr als fraglich!)


Ein Mehr an Verwaltung hat nur selten etwas gebracht.
Trotz der Aufstockung des Personals in der Verwal-

tung kam es in Ihrem Hause zu Versäumnissen bei der
Ausübung der Bundesaufsicht über die Landessammel-
stellen für radioaktive Abfälle. Dieser Fehler kann den
Bund nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes rund
7 Millionen Euro kosten. Das sind 7 Millionen Euro, die
dem Umwelthaushalt dann anderswo fehlen werden.

Umwelt? Richtig, da war doch etwas im Haushalts-
entwurf und diese Woche in der Zeitung zu lesen. Zur
Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Afrikanisch-
Eurasischen Wasservogel-Übereinkommen benötigt Mi-
nister Trittin fast 140 000 Euro. Was man mit diesem
Geld alles machen könnte!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hinfliegen!)

Es gäbe sicherlich sinnvollere Einsatzmöglichkeiten wie
beispielsweise die Förderung von Forschungsprojekten
im Bereich der Energieeffizienz, der Energieeinsparung,
der Brennstoffzellentechnik und der Speichertechnolo-
gie. Hier muss Deutschland schneller vorankommen.
Unsere Unternehmen müssen diese Technik exportieren.
Das ist die Chance für unsere Wirtschaft.

Externer Sachverstand in Form von Beratern wird
auch im nächsten Jahre wieder in steigendem Maße zu-
gekauft; das Ergebnis sieht man. Trotzdem keine ausge-
feilten Konzepte!






(A) (C)



(B) (D)


Doris Meyer (Tapfheim)


„Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich

Antworten gibt.“ – Das gilt auch für Ihr so genanntes
Endlagerkonzept; denn „Konzept“ kann es wahrlich
nicht genannt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofes wur-

den Ihre Vorstellungen gerügt. Die Arbeit Ihres Hauses
in diesem Bereich sei „nicht zielgerichtet, unwirtschaft-
lich und wenig transparent“. Kurz nach dem Regierungs-
wechsel 1998 haben Sie sich von dem Zwei-Endlager-
Konzept für unterschiedlich stark strahlende Abfälle
verabschiedet. Sie haben all das achtlos und noch im
Siegestaumel der gewonnenen Wahl über Bord gewor-
fen. Sie wollten und wollen noch immer einen Sonder-
weg beschreiten und favorisieren ein einziges Endlager.

Große Teile der Bevölkerung, auch die in meiner
schwäbischen Heimat beim Kernkraftwerk Gundrem-
mingen, sind in Sorge, dass es kein zentrales Endlager
geben wird, sondern die Zwischenlager zu dezentralen
Endlagern werden. Diese Sorge, meine Damen und Her-
ren, kann ich gut nachvollziehen. Wir, aber vor allem
Sie, Herr Minister, müssen diese Sorgen ernst nehmen
und sie so weit als möglich ausräumen. Wie aber soll das
gehen, wenn Ihre Regierung unverdrossen an ihren Plä-
nen festhält?

Minister Trittin hat der Union vorgeworfen, sie habe
die Endlagersuche blockiert. Dies entspricht nicht den
Tatsachen. Tatsache ist vielmehr, dass die Union noch
vor der Sommerpause einen Antrag in den Deutschen
Bundestag eingebracht hat, in dem Sie, Herr Trittin, auf-
gefordert werden, eine Lösung für die Entsorgung nu-
klearer Abfälle zu finden und dies nicht weiter zu verzö-
gern. Was aber macht die Bundesregierung? Nichts.

Herr Minister Trittin, Sie ignorieren. Sie ignorieren in
unverantwortlicher Weise mehrere Gutachten. Darin
sind die Nachteile des Ein-Endlager-Konzepts aufgelis-
tet. Sowohl unter Sicherheits- als auch unter Kostenas-
pekten schneidet die Ein-Endlager-Lösung schlecht ab.
Fachleute, die nicht regierungskonform argumentieren,
werden einfach von den weiteren Beratungen ausge-
schlossen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist auch eine Art und Weise, die eigene Ideologie zu
pflegen und möglichst unangetastet zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie sich derartige Vorgänge mit den Grundsätzen unse-
rer Demokratie vereinbaren lassen, sei dahingestellt.

Für die Union hatte und hat die technische Sicherheit
bei der Endlagersuche stets absoluten Vorrang.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es! Und die Sicherheit der Bevölkerung!)


Wir von der CDU/CSU werden diesen Standpunkt im In-
teresse der bundesdeutschen Bevölkerung auch in Zu-
kunft nicht aufgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wegen des bis heute fehlenden Bundestagsbeschlus-
ses zu einem Wechsel vom Zwei- zum Ein-Endlager-
Konzept sowie der fehlenden Berechnungen dazu sind
Risiken in Milliardenhöhe zu befürchten. Je länger die
Entscheidungsfindung dauert, umso höher wird das
finanzielle Risiko.

Es sieht düster aus: mit der Bundesregierung sowieso
und leider auch mit der Energieversorgung in Deutsch-
land. Die erneuerbaren Energien allein können das nicht
leisten. Hier müssen wir realistisch sein. Das wissen Sie
so gut wie ich. Ich hoffe nur, dass Ihre energiepolitischen
Überlegungen – ich nenne sie nicht „Konzept“; denn es
ist weit und breit kein Konzept zu sehen –


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

nicht ideologisch verunstaltet sind. Mit Ideologie lässt
sich weder heizen noch Strom erzeugen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihre Regierungszeit neigt sich langsam, aber ganz si-

cher dem Ende zu. Trotzdem möchte ich Sie – ich bin ja
Optimistin – nochmals auffordern: Legen Sie endlich
schlüssige, zielgerichtete, zukunftsweisende und vor al-
lem finanzierbare Konzepte auf den Tisch. Wenn Sie
schon Steuergelder verbrauchen, dann wenigstens für
Sinnvolleres als für afrikanisch-eurasische Wasservögel.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was du nicht alles zur Vorbereitung einer Rede liest!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512312300

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Frak-

tion, das Wort.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1512312400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Debatten leben auch davon, dass man aufeinander
eingeht. Deswegen, Frau Meyer, möchte ich auf Ihr rhe-
torisch geschickt gewähltes Beispiel der afrikanisch-eu-
rasischen Wasservögel eingehen. Wie Sie, wenn Sie re-
cherchiert haben, wahrscheinlich wissen, handelt es sich
dabei um einen Teil der Verpflichtungen Deutschlands
zur Erfüllung der UN-Konvention zur Erhaltung der
wandernden wild lebenden Tierarten. Sie haben vor kur-
zem dort drüben am Brandenburger Tor ihr zehnjähriges
Jubiläum gefeiert.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Wasservögel?)


– Nein, die Konvention.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, ja! Das war schon klar!)

Sie wurde vor zehn Jahren ratifiziert und die damalige
Umweltministerin hieß Angela Merkel. Daher sage ich
Ihnen vielen Dank dafür, dass Sie die Erfüllung von Ver-
pflichtungen, die Angela Merkel eingegangen ist, kriti-
siert haben.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber


(Doris Meyer [Tapfheim] [CDU/CSU]: Ich habe die Verpflichtungen erwähnt!)

Zurück zum Haushalt des Umweltministeriums. Der

Haushalt des Umweltministeriums setzt klare Schwer-
punkte bei den erneuerbaren Energien, der Energieeffizi-
enz und beim Weg „Weg vom Öl“. Die Mittel für das
Marktanreizprogramm für die erneuerbaren Energien
und die Fördergelder für die Forschung im Bereich der
erneuerbaren Energien sind erhöht worden. Der Bund
hat in diesen Bereichen einige äußerst erfolgreiche Kre-
ditprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau finan-
ziert. Wenn Sie von der CDU/CSU sich die Mühe ma-
chen würden, sich einmal die Zahlen zu besorgen, wie
viele Förderanträge bei der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau für Projekte in Ihren eigenen Wahlkreisen geneh-
migt worden sind, würden Sie sehen, dass diese Pro-
gramme mit einem Zinssatz von nur knapp über
2 Prozent vor Ort sehr gut greifen.

Wir haben in diesem Jahr die Novelle des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes beschlossen, mit der Steuerbe-
freiung für Biotreibstoffe begonnen und anderes mehr.
Diese Koalition hat 1998 eine Politik begonnen, die
nicht nur die richtige Antwort auf Daueraufgaben wie
Klimaschutz ist, sondern die, wie wir vor allem in die-
sem Jahr sehen, auch die einzige wirklich wirksame Per-
spektive ist, um unabhängiger von Ölimporten und
damit von den sprunghaften Preisentwicklungen für Pri-
vathaushalte und die Wirtschaft in Deutschland zu wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das kann man ganz einfach in zwei Punkten festhal-
ten: Erstens. Es gibt keine bessere Versicherung gegen
steigende Energiepreise als eine höhere Energieeffizienz
und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Zweitens.
Es gibt keinen besseren Weg, Arbeitsplätze zu schaffen,
als Geld in den Ausbau erneuerbarer Energien und in
eine höhere Energieeffizienz statt in hohe Ölrechnungen
zu investieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind mit dieser Politik auf dem richtigen Weg.
Die Erfolgsmeldungen kommen in immer dichteren Ab-
ständen. Dafür nenne ich Ihnen vier Beispiele.

Erstes Beispiel. Seit wenigen Wochen wissen wir,
dass die erneuerbaren Energien erstmals in der Neuzeit
wieder mehr als 10 Prozent zur deutschen Stromerzeu-
gung beitragen. Das ist ein sehr stolzes Zwischenergeb-
nis. Wir sind klar Weltmeister beim Ausbau der erneuer-
baren Energien.

Diese 10 Prozent erinnern mich wiederum an Frau
Merkel, diesmal allerdings in einer anderen Angelegen-
heit. Als sie Umweltministerin war, sollte sie eine Ab-
schätzung abgeben, wie hoch das Potenzial für erneuer-
bare Energien in Deutschland sei. Dazu sagte sie Mitte
der 90er-Jahre: Auch auf mittelfristige Sicht höchstens
6 Prozent.


(Lachen des Bundesministers Jürgen Trittin)

Derzeit liegen wir bei 10 Prozent. Dazu sage ich nur:
Willkommen in der Wirklichkeit!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Frau Homburger bzw. die FDP sagt, dass sie
marktwirtschaftliche Ausschreibungsmodelle will, stel-
len wir immer eine Frage, die uns aber nie beantwortet
wird: In welchem Land, das Ausschreibungsmodelle für
erneuerbare Energien durchführt, gibt es Erfolge, die
wenigstens einen Bruchteil der deutschen Erfolge aus-
machen? – In keinem.

In einem der Vorreiterländer auf dem Gebiet der er-
neuerbaren Energien, in Dänemark, wurde einmal das
deutsche System angewendet. Unter einer konservativen
Regierung ist man dann zu einem Ausschreibungsmodell
übergegangen. Jetzt können wir lesen, dass man diesen
Schritt in Dänemark wieder rückgängig macht und zu
dem richtigen Modell zurückkehrt, weil das Ausschrei-
bungsmodell keinen Erfolg hat.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! Wie kommst du denn darauf?)


Sie beenden es also. Aber Sie wollen das, was unsere
Nachbarländer probiert haben und was dort versagt hat,
in Deutschland einführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: Weder das englische noch das dänische Modell, sondern ein eigenes! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Schlecht vorbereitet!)


Zweites Beispiel. Auf der großen internationalen Re-
gierungskonferenz Renewables 2004, die im Juni in
Bonn stattgefunden hat, wurde nicht nur das erste Akti-
onsprogramm für den Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien, sondern auch eine entsprechende Aufmerksamkeit
für deutsche Technologie und deutsche Politik erreicht.
Eine sinnvolle Fortsetzung der Renewables wäre jetzt
die konsequente Umsetzung des Bundestagsbeschlusses
zur Schaffung von IRENA, also einer internationalen
Regierungsagentur, die diese internationale Regierungs-
konferenz fortsetzt. Herr Minister Trittin, bitte agieren
Sie hier genauso engagiert wie bei der Renewables 2004,
damit wir diese Agentur auch einführen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Erlauben Sie mir an dieser Stelle die Bemerkung: Bonn
wäre ein guter Standort für die Agentur.

Drittes Beispiel. Erneuerbare Energien made in Ger-
many sind nicht nur im Inland erfolgreich. Seit einigen
Tagen wissen wir auch, dass fast ein Viertel aller außer-
halb von Deutschland aus erneuerbaren Energien er-
zeugten Leistung aus Anlagen stammt, die deutsche Un-
ternehmen errichtet haben; das ist ein beeindruckender
Weltmarktanteil und eine beeindruckende Exportquote
in so kurzer Zeit.

Genauso kennen wir seit einigen Tagen eine genaue
Analyse des Arbeitsplatzeffektes der erneuerbaren
Energien: 118 700 Menschen arbeiten in Unternehmen






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

der Erneuerbare-Energien-Branche, davon 53 200 in der
Windenergiebranche. Das sollte man im Hinterkopf be-
halten, wenn man versucht, sein politisches Süppchen
gegen die Windenergie zu kochen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Was kostet es denn?)


29 000 Menschen arbeiten im Bereich der Biomasse.
Was für eine Perspektive für den ländlichen Raum! Ich
nenne Ihnen ein Beispiel im Zusammenhang mit der Li-
beralisierung des Zuckermarktes: Anstatt sich jetzt über
Hofstilllegungen zu unterhalten, wie wir das in der Ver-
gangenheit hatten, bemühen sich die Rübenbauern und
die entsprechenden Unternehmen, dafür zu sorgen, dass
hier vom Landwirt zum Energiewirt umgesattelt wird,
das heißt, wir haben einen Strukturwandel, der gleichzei-
tig mit guter Umweltpolitik verbunden ist. Das ist doch
einmal eine Perspektive für den ländlichen Raum!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zahlen stammen übrigens vom Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung und spiegeln den Beschäfti-
gungsstand Ende 2002 wider. Seitdem haben wir einen
weiteren deutlichen Aufbau.

Viertes Beispiel. Die Kapazitäten deutscher Unter-
nehmen in den Erneuerbare-Energien-Branchen wach-
sen rapide, besonders in der Photovoltaik, aber nicht nur
dort. Für das Bonner Unternehmen Solarworld – ich darf
das als Bonner Abgeordneter betonen – produzieren al-
lein in Sachsen über 500 Menschen Photovoltaikmodule.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wir haben doch bei der Photovoltaik zugestimmt!)


Diese Produktion soll in den nächsten Jahren vervier-
facht werden – unter Schaffung entsprechender Arbeits-
plätze. Mit dieser Erfolgsmeldung schmückt sich auch
die CDU-Landesregierung in Dresden. Die dafür not-
wendigen Fördergesetze sind aber von allen sächsischen
Bundestagsabgeordneten der CDU abgelehnt worden.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das kann gar nicht sein!)


– Von allen sächsischen CDU-Bundestagsabgeordne-
ten! – Das heißt, diese Arbeitsplätze sind entstanden, als
Rot und Grün die sächsische CDU-Regierung an dieser
Stelle zu ihrem Glück gezwungen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Das Photovoltaikgesetz ist doch einvernehmlich beschlossen worden!)


Das gespaltene Verhältnis von CDU und CSU zu den
erneuerbaren Energien ist zunehmend absurd. Ich kann
Ihnen da noch ein weiteres Beispiel nennen, auch aus
meiner Heimatstadt: Da wird die CDU-OB-Kandidatin
am Wochenende eine Photovoltaikanlage einweihen.
Das Unternehmen, das diese baut, möchte weiter Geld
damit verdienen. Ich habe ihr viele Dinge auf den Weg
gegeben, unter anderem, sie möge doch Frau Merkel
schreiben, dass sie zurücknimmt, dass nach einem even-
tuellen Wahlsieg von CDU und CSU 2006 das Förder-
modell, das dem Bau dieser Photovoltaikanlage zu-
grunde lag, wie Sie es angekündigt haben, auslaufen
soll.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wieso denn das? Herr Kelber, so schlecht waren Sie ja noch nie! – Birgit Homburger [FDP]: Es gibt einen Bestandsschutz!)


– Ich beantworte Ihnen die Frage, obwohl Sie keine Zwi-
schenfrage gestellt haben: Natürlich wird der Zuschuss
zur gebauten Anlage behalten werden dürfen; das fällt
unter den Bestandsschutz. Aber dieses Unternehmen
will Menschen einstellen, um Photovoltaikanlagen bei
anderen zu bauen. Sie wollen in Arbeitsplätze investie-
ren und sie wollen natürlich wissen: Gibt es die Förder-
bedingungen, zu denen heute weitere Menschen einge-
stellt werden sollen, auch 2006 und 2007 noch? Oder
macht die rechte Seite des Parlaments wirklich Ernst da-
mit, die erfolgreiche Förderung der erneuerbaren Ener-
gien in Deutschland zu beenden? Diese Fragestellung
beschäftigt den Handwerker von dieser Firma und die
Menschen, die bei ihm arbeiten wollen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Antwort wissen Sie selbst: Das werden wir machen!)


Da wir über die Studien der DENA reden, Herr Lippold:
Die DENA hat diese Woche zu einem energiepolitischen
Frühstück eingeladen. Ich habe Sie dort nicht gesehen,
aber man hat ja auch andere Verpflichtungen, das
stimmt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Dort ist nach der Studie gefragt worden und dort hat der
Chef der DENA Antwort gegeben. Ich hätte schon er-
wartet, dass Sie diese Antwort einmal lesen, bevor Sie
hier gegenüber der Regierung Falschaussagen zu dieser
Studie treffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: Wie soll man eine mündliche Antwort lesen?)


– Da von einer Kollegin von der CDU/CSU gefragt
wurde, hätten Sie es vielleicht weitergeben können, oder
man hätte bei der DENA zumindest einmal nachfragen
können, bevor man eine Behauptung aufstellt.

Zurück zum aktuellen Thema der Energiepreise. Vor
allem aus den Reihen der CDU/CSU gibt es täglich po-
pulistische Vorschläge dafür, was man dort tun kann. Ich
habe gelesen, dass man das ex ante regeln sollte. Es geht
dabei um alle 1 700 Stromunternehmen, die bis zum
1. Januar 2005 eine Entscheidung über ihren Antrag ha-
ben wollen. Ich bin gespannt, wie viele Mitarbeiter der
Regulierer einstellen soll, um im Dezember 1 700 An-
träge durchgängig zu prüfen.

Ohne jegliche Antwort darauf, wie das finanziert wer-
den soll, werden Steuersenkungen gefordert. Damit
würde das Problem nur um einige Jahre in die Zukunft
verschoben. Wer Energie heute künstlich verbilligt, der
wird die Menschen in zwei Jahren vor viel größere Pro-
bleme stellen. Die beste Versicherung ist es, den Ver-
brauch von Öl und Gas in diesem Land zu reduzieren,






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

weil das die Höhe der Rechnungen senkt. Darin müssen
wir investieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Sie verteuern die Energiepreise doch künstlich!)


Für diesen Weg – weg vom Öl und hin zu einer umwelt-
verträglichen und kostenstabilen Energieversorgung –
setzen wir mit dem Haushalt die richtigen Schwer-
punkte.

Leider geht es bei Haushaltsdebatten nicht immer nur
um Schwerpunkte, sie sind oft auch mit ätzenden
Ritualen gespickt. Eines dieser Rituale ist, dass sich die
CDU/CSU und auch die FDP immer hier hinstellen und
sagen, dass wir eigentlich zu wenig für den Umwelt-
schutz tun und zu wenig Geld dafür ausgeben. Eigentlich
möchten Sie das besser machen. Ich befürchte, es gibt
sogar einige Journalisten und Bürger, die das glauben.
Diese lade ich ein, in den Umweltausschuss zu kommen
und persönlich nachzuprüfen, wie die Umweltpolitik
von CDU/CSU und FDP wirklich aussieht.

Herr Lippold hat vorhin gesagt, wir würden die CDU/
CSU-Klimaschutzziele nicht erreichen. Im Umweltaus-
schuss haben Sie vor wenigen Wochen gefordert, dass
Deutschland im Jahre 2007 mehr Treibhausgase emittie-
ren können soll als 2004. Das wäre die Beendigung des
Klimaschutzes. Jeder kann im Umweltausschuss persön-
lich nachprüfen, wie die echte Umweltpolitik aussieht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Manchmal hört man fast das Zähneknirschen von wirk-
lich engagierten CDU/CSU-Politikern, wie zum Beispiel
der Kollegin Meyer, der ich das zubillige, wenn die Vor-
turner an dieser Stelle so etwas fordern.

Ich könnte an dieser Stelle einige weitere Beispiele
aufzählen, aber meine Redezeit beträgt noch genau null
Sekunden. Mit dieser Opposition ist in diesem Staat kein
Umweltschutz zu machen. Es gibt keine Alternative zu
dem Weg, den wir eingeschlagen haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512312500

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Peter

Paziorek das Wort.

Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1512312600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kelber hat gerade eine Aussprache und Diskussion
in einer der letzten Sitzungen des Umweltausschusses zi-
tiert. Es ging um die Frage, wie viel CO2 gemäß dem na-tionalen Zuteilungsplan in der ersten Zuteilungsperiode
bis Ende 2007 in Deutschland reduziert werden soll.

Herr Kelber hat das gerade so dargestellt, als ob die
CDU/CSU nur ein Interesse daran hätte, einen ehrgeizi-
gen Plan zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu boy-
kottieren und zu hintertreiben. Herr Kelber, das, was Sie
gesagt haben, war falsch. Sie haben die Diskussion im
Umweltausschuss völlig verfälscht wiedergegeben.

Im Umweltausschuss ging es um die Frage, ob wir
das Ziel der CO2-Reduktion, zu dem wir uns völker-rechtlich gemeinsam verpflichtet haben, im Jahre 2012
erreichen oder ob wir es in der Form, die Sie vorgeschla-
gen haben, weitgehend bereits im Jahre 2008 erreichen
müssen. Wir als Union haben vorgeschlagen, den gesam-
ten Zeitraum zu sehen und die Phasen gegenseitig zu ge-
wichten. Daneben haben wir deutlich gemacht, dass wir
schon eine Reduktion von fast 19 Prozent – insgesamt
werden 21 Prozent angestrebt – erreicht haben. Wir ha-
ben vorgeschlagen, die noch fehlenden 2 Prozent nicht
in der ersten Phase bis 2008 übermäßig stark anzustre-
ben, sondern die Erreichung dieses Ziels praktisch auf
beide Phasen zu verteilen und den Anteil für die zweite
Phase bis 2012 zu erhöhen.

Das hätte den Vorteil gehabt, dass die deutsche Wirt-
schaft schrittweise in den Emissionshandel hineingeführt
worden wäre und dass der Wettbewerb zwischen den na-
tionalen Volkswirtschaften nicht zulasten des deutschen
Standortes beeinträchtigt worden wäre. Dennoch hätten
wir das gemeinsame Ziel bis 2012 erreichen können.

Dafür und nicht dafür, sich von einer CO2-Politik zuverabschieden, haben wir plädiert.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nee, nee, nee! Was ist mit dem 25-Prozent-Ziel?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512312700

Kollege Kelber zur Erwiderung.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1512312800

Herr Kollege Paziorek, Sie haben gerade eigentlich

nur das bestätigt, was ich gesagt habe. Ich habe zwei Sa-
chen unterschieden:

Erstens habe ich gesagt, dass sich die CDU/CSU in
Form von Herrn Lippold hier hingestellt und gesagt hat,
wir hätten das 25-Prozent-Ziel eigentlich erreichen müs-
sen, was etwa 100 Millionen Tonnen CO2 weniger gewe-sen wären.

Zweitens. Bei den Verhandlungen über den Klima-
schutz in den letzten Wochen, bei denen es um zwei
Zeiträume geht, 2005 bis 2007 und 2008 bis 2012, als
wir vorgeschlagen haben, bis 2007 nicht um 100 Millio-
nen, sondern um 2 Millionen Tonnen zu reduzieren, ha-
ben Sie erklärt, dass das nicht machbar sei. Zu dem Ziel,
bis 2012 von 505 Millionen auf 499 Millionen Tonnen
für die Energiewirtschaft und die Industrie herunterzuge-
hen, haben Sie sich gar nicht geäußert, sondern sind ganz
still gewesen. Als wir vorgeschlagen haben, von
505 Millionen auf 503 Millionen Tonnen zu reduzieren
– der CDU-Vorschlag von 1990 lag bei knapp über
400 Millionen Tonnen –, hieß es, diese 2 Millionen Ton-
nen Reduktion seien nicht zu erreichen.

Bei diesem Verhalten ist es unehrlich, heute zu sagen,
wir haben von euch 100 Millionen Tonnen Reduktion






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

gefordert, die ihr aber nicht erreicht. Dabei waren Sie
doch nicht einmal bereit, uns bei 2 Millionen Tonnen
entgegenzukommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512312900

Nach meinem Eindruck hatte sowohl derjenige, der

die Kurzintervention machen wollte, wie auch derjenige,
der darauf reagieren darf, Gelegenheit, das zu tun.

Nun können wir dem nächsten Redner lauschen. Das
ist der Kollege Albrecht Feibel für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Albrecht Feibel (CDU):
Rede ID: ID1512313000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir sprechen heute über den Haushaltsplan 2005. Herr
Kelber, Sie sind eine ganz wichtige Antwort schuldig ge-
blieben. Natürlich sind neue Arbeitsplätze im Bereich
der erneuerbaren Energien wünschenswert.


(Ulrich Kelber [SPD]: 118 700!)

– Von mir aus sind es gut 100 000. Aber was diese Ar-
beitsplätze kosten, haben Sie hier nicht vorgetragen. Das
ist dann eine unredliche Diskussion über neue Arbeits-
plätze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: In dieser Diskussion sind Sie doch Weltmeister!)


Der Kollege von Weizsäcker hat davon gesprochen,
dass es ein Haushalt der Kosteneffizienz sei, der vom
Umweltminister vorgelegt wurde. Wer genau hinschaut,
sieht viele Möglichkeiten der Einsparungen, die vorge-
nommen werden können. Selbst wenn der Haushalt mit
rund 750 Millionen Euro eher klein ist, so wissen wir
doch, dass die großen Ausgaben in Milliardenbeträgen
außerhalb dieses Haushaltes stattfinden. Deshalb müssen
wir das Gesamtpaket betrachten und dazu Einsparvor-
schläge machen.

Der Bund ist in einer außerordentlich schwierigen Si-
tuation, weil er seit etlichen Jahren etwa 200 Milliar-
den Euro einnimmt und rund 250 Milliarden Euro aus-
gibt und diese Lücke von 40 bis 50 Milliarden Euro im
Wesentlichen immer wieder durch Neuverschuldung
abgedeckt werden muss. Das heißt, wenn wir eine ver-
antwortungsvolle Haushaltspolitik machen wollen, ist es
dringend notwendig, dass diese Lücke reduziert wird.
Deshalb muss in allen Einzelplänen gespart werden.

Vor einer Politik, wie sie im Moment gemacht wird,
hat der Bundeskanzler vor einem Jahr in Berlin gewarnt.
Er hat gesagt: Wir dürfen heute nicht all das aufessen,
wovon diese morgen auch noch leben wollen. – Ich
nehme an, dass er mit „diese“ die nächsten Generationen
meint. Das sei künftigen Generationen gegenüber nicht
fair, so der Bundeskanzler.

Betrachten wir einmal den Einzelplan 16. Er zeugt
nicht gerade von Rücksichtnahme auf künftige Genera-
tionen. Unter der Überschrift „Wir tun etwas für die Um-
welt“ kann man vieles entschuldigen. Man kann erklä-
ren, dies seien im Rahmen des Umweltschutzes
zwingende Investitionen. Aber das Haushaltsgebaren
des Einzelplans 16 ist weder fair, wie es der Bundes-
kanzler gefordert hat, noch verantwortungsbewusst.
Deshalb nützt es auch nichts, wenn der Kanzler fest-
stellt: Der Bundesfinanzminister hat damit begonnen,
den Haushalt erfolgreich zu konsolidieren. Bei einer Lü-
cke von 40 bis 50 Milliarden Euro im Jahr kann man das
sicher nicht sagen. Eine erfolgreiche Konsolidierung be-
steht bei dieser Regierung in einer hohen Neuverschul-
dung. Das kann nicht das Ziel der Haushaltspolitik sein.

Wer wie diese Bundesregierung von den Bürgern
Sparsamkeit verlangt, der muss auch selbst ein gutes
Beispiel geben. Selbst wenn das erwartete bescheidene
Wirtschaftswachstum den Haushalt sicher nicht verfas-
sungsgemäß und auch nicht den Maastricht-Kriterien
entsprechend werden lässt, müssen wir daran gehen, in
dem Einzelplan des Umweltministers nach Einspar-
möglichkeiten zu suchen.

Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, insbe-
sondere im konsumtiven Bereich. Da sind die Personal-
ausgaben. Der Finanzminister fordert von jedem Minis-
ter jährlich Einsparungen von 1,5 Prozent. Dem kommt
der Umweltminister rein formal auch nach, indem er die
regulären Personalkosten um 1,5 Prozent kürzt, aller-
dings parallel dazu – dies auch wieder im Jahr 2005 –
Hilfskräfte und Mitarbeiter mit Zeitverträgen beschäf-
tigt. Das ist ein Nullsummenspiel, aber keine Einspa-
rung. Wenn wir genau hinschauen, könnte im Bereich
der Hilfskräfte und der Mitarbeiter mit Zeitverträgen
eine Summe von mindestens 6 Millionen Euro einge-
spart werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der nächste Punkt. Für internationale Zusammen-

arbeit und internationale Organisationen sieht der Ein-
zelplan des Umweltministers 32,5 Millionen Euro vor.
Da sind sicher die größten Beträge nützlich angelegt.
Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Trotzdem bin
ich der Auffassung, dass auch dort Einsparmöglichkeiten
gegeben sind. Ich denke an eine Summe von etwa
5 Millionen Euro.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das sind doch Zusagen!)


– Nicht alles sind Zusagen. Schauen Sie sich den Haus-
halt genau an! Sie werden feststellen, dass da noch aller-
hand Luft ist.

In Zeiten knapper Kassen müssen die Ausgaben für
Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentation und Dienstrei-
sen reduziert werden. Diese Ausgaben machen annä-
hernd 12 Millionen Euro aus. Ich gehe von einem Ein-
sparvolumen von mindestens 5 Millionen Euro aus. In
diesem Zusammenhang ist auch die Kritik des Bundes-
rechnungshofes zu sehen, der im Zusammenhang mit der
verschwenderischen Brasilienreise davon gesprochen
hat, dass es immer noch ein ungenügendes Reisema-
nagement im Ministerium gibt.






(A) (C)



(B) (D)


Albrecht Feibel

Mehr als 260 Millionen Euro sollen auch im

Jahr 2005 für die Förderung erneuerbarer Energien
ausgegeben werden. Das ist sicher in Ordnung. Wir wol-
len das auch. Aber ich bin der Meinung, dass man auch
diese Ausgaben auf den Prüfstand stellen muss, um zu
sehen, ob es Einsparmöglichkeiten gibt. In diesem Zu-
sammenhang noch ein Wort zur Einspeisevergütung. Es
ist nicht zu leugnen, dass 40 Prozent der Stromkosten
vom Staat bestimmt werden. Wenn die Preise so hoch
sind wie in diesen Tagen, was kritisiert wird, und die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gefährdet ist,
dann muss man diesen Anteil von 40 Prozent ebenfalls
unter die Lupe nehmen.

Ein leidiges Thema sind die enormen Kosten für
Sachverständige, Berater, Gutachten und Fachbeiräte.
Deren Sinnhaftigkeit muss man einmal überprüfen. Das
Bundesumweltministerium verfügt über ausgezeichnete
Fachkräfte oder wollten Sie das bestreiten, Herr Minis-
ter? – Er hört überhaupt nicht zu. Deshalb sollte es nur in
Ausnahmefällen auf die Beschäftigung Externer zurück-
greifen. Auch da gibt es ein erhebliches Einsparpoten-
zial. Ich gehe davon aus, dass man hier mindestens
50 Prozent – sprich: 2 Millionen Euro – einsparen kann.

Die letzte ergiebige Position für Einsparungen liegt
bei der Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven
Abfällen, die chaotisch ist. Ich möchte hier keine Wer-
tung über die Kernenergie abgeben. Das haben Sie und
andere schon gemacht. Es ist lediglich die Betrachtung
und die Kritik des Haushälters, der sich um Sparsamkeit
und Wirtschaftlichkeit im Umgang mit den Steuergel-
dern sorgt. Da werden Gutachten für viel Geld in Serie
bestellt, Kommissionen beschäftigt und Projektgruppen
berufen, deren Beratungsergebnisse den Minister über-
haupt nicht interessieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Offensichtlich ist er deshalb nicht interessiert, weil die
vorgeschlagenen Lösungen nicht seinen Vorstellungen
entsprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


In Wirklichkeit will der Minister mit diesen Gutachtern,
Projektgruppen und Kommissionen nur eine Verzöge-
rung der Problemlösung herbeiführen. Der Bundesrech-
nungshof hat in seinem Bericht vom 31. August 2004
eine vernichtende Kritik hinsichtlich der Endlagerung
atomarer Abfälle in der Verantwortung des Bundesum-
weltministers abgegeben. Der Konzeptwechsel vom
Mehr- zum Einendlager birgt nach Auffassung des Bun-
desrechnungshofes Risiken für den Bundeshaushalt in
Höhe mehrerer Milliarden Euro. Diese Risiken wachsen
mit der Dauer der Entscheidungsfindungsprozesse, Herr
Minister. Sie sind kräftig dabei, diese Entscheidungsfin-
dungsprozesse in die Länge zu ziehen.

Wir schließen uns der Aufforderung des Bundesrech-
nungshofes an, der Sie, Herr Trittin, auffordert, endlich
die Ihnen vorliegenden Erkenntnisse auszuwerten, eine
Bilanz aus den bisherigen Untersuchungen zu ziehen
und auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Wirt-
schaftlichkeitsuntersuchung zügig eine Entscheidung
herbeizuführen, um die finanziellen Risiken für den
Bundeshaushalt zu beherrschen. Das schreibt Ihnen der
Bundesrechnungshof ins Stammbuch.

Im Übrigen sollten Sie bedenken, dass in keinem an-
deren Staat auf dieser Erde bisher das Ziel einer gemein-
samen Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in einem
einzigen Endlager verfolgt wurde. Das sollte eigentlich
zum Nachdenken führen. Handeln Sie ohne ideologische
Scheuklappen, damit Sie dem ohnehin gebeutelten Steu-
erzahler nicht noch höhere Stromrechnungen, noch hö-
here Kosten und noch höhere Haushaltsdefizite zumu-
ten.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313100

Nächster Redner ist der Kollege Michael Müller,

SPD-Fraktion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1512313200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

noch gar nicht so lange her, da hörte man überall, das
Jahrzehnt der Ökologie sei vorbei. In der Zwischenzeit
hat uns die Wirklichkeit eingeholt, und zwar härter, als
viele geglaubt haben. Man muss sich nur die Entwick-
lung auf den Rohstoff- und Energiemärkten anschauen.
Das entscheidende Problem, mit dem wir es heute zu tun
haben, ist ein ökologisches Problem. Es ist nicht so, dass
dieses Thema abgeschrieben ist; im Gegenteil: Wenn wir
jetzt die Weichen falsch stellen, dann wird uns sowohl
eine ökonomische Krise als auch eine ökologische Krise
einholen. Insofern muss man sich jetzt genau anschauen,
wie die langen Linien unserer Politik aussehen sollen.
Das ist wichtiger denn je.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an ei-
nem Punkt verdeutlichen: Seit der industriellen Revolu-
tion, also seit 1850, ist die entscheidende Grundlage des
industriellen Wachstums der Einsatz von Ressourcen.
Er ist inzwischen auch ein entscheidender Motor der
Globalisierung, aber gerade auch die Schwäche der Glo-
balisierung. Wir kommen an der einfachen Feststellung
nicht vorbei: Das heutige Energie- und Rohstoffsystem
ist auf 1 Milliarde Menschen ausgerichtet. Selbst diese
1 Milliarde Menschen überfordert das System bereits.
Wir haben aber 5 bis 6 Milliarden Menschen auf der
Erde, die dieses System nutzen wollen. Deshalb kann
man das bisherige Energie- und Rohstoffsystem nicht
fortsetzen. Das ist der entscheidende Punkt, um den es
geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen einfach begreifen: Wenn nicht einige In-
dustrieländer Vorreiter sind bei der Neuordnung in Rich-
tung Energieeffizienz und Solarwirtschaft, dann wird
genau das eintreten, was uns eigentlich seit Ende der
60er-Jahre alle prognostizieren, nämlich dass wir keine






(A) (C)



(B) (D)


Michael Müller (Düsseldorf)


friedliche Zukunft haben. Das ist der Punkt, um den es
geht.

Frau Homburger, wenn Sie von Freiheit reden, dann
muss ich Ihnen auch einmal sagen: Es gibt keinen nen-
nenswerten wichtigen Philosophen der Moderne, der
Freiheit nur individuell definiert hat – was Sie perma-
nent tun.


(Birgit Homburger [FDP]: Tue ich überhaupt nicht! Das ist völliger Quatsch! Freiheitlich und verantwortlich gehören zusammen!)


Es ist immer so gewesen, dass es eine Wechselwirkung
zwischen Verantwortung für die Gemeinschaft und in-
dividueller Freiheit gegeben hat. Das ist die Grundlage
der Moderne, nicht Ihr verengtes und meines Erachtens
auch sehr verklemmtes Verständnis von Freiheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch Joseph Schumpeter, der Innovationstheoretiker
Nummer eins, hat es immer abgelehnt, Markt nur als in-
dividuelle Freiheit zu definieren; er hat ihn immer im
Zusammenhang mit den öffentlichen, mit den gemein-
schaftlichen Gütern, wie er es genannt hat, definiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben bis heute nicht verstanden, dass in einer zu-
sammenwachsenden Welt das Prinzip der Gegenseitig-
keit wichtiger denn je wird, und zwar nicht nur Gegen-
seitigkeit der heute lebenden Generation, sondern
gleichzeitig auch der künftig lebenden Generationen.

Meine Damen und Herren, es gehört zum Verständnis
von Freiheit, dass man auch die Verantwortung über-
nimmt. Genau das tun wir. Es ist natürlich einfach, zu sa-
gen: Wir versprechen billige Energie. Nur, es ist eine
Lüge; denn niemand kann dieses Versprechen einhalten.
Insofern geht es um preiswerte Energie. Es wird in Zu-
kunft aber keine billige Energie mehr geben; denn die
Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Deshalb
müssen wir alles tun, um vor allem Energie einzusparen
und neue Energietechnologien zu entwickeln. Man darf
nicht, wie Sie das tun, glauben, die Lösung liege darin,
dass man einfach das Energieangebot ausweitet.

Die Atomkraft, die Sie favorisieren, ist jedoch keine
Lösung. Würden die Ausbaupläne, über die momentan
in vielen Ländern diskutiert wird, umgesetzt, dann wür-
den die Uranressourcen nach Untersuchungen des
VDEW – das sollten Sie wissen – in 20 bis 25 Jahren er-
schöpft sein. Wollen Sie in diese Falle laufen oder – das
wäre dann die Alternative – wollen Sie die Plutonium-
wirtschaft? Sie sollten hier die Wahrheit sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Tatsache ist: Wir erleben zum ersten Mal im indus-
triellen Zeitalter, was es bedeutet, mit Grenzen umgehen
zu müssen. Das ist die Herausforderung, der wir uns stel-
len müssen. Man kann ja beispielsweise über die Öko-
steuer oder das EEG denken, was man will. Aber wer be-
streitet, dass damit tendenziell eine Wende in der
Energiepolitik eingeleitet wurde, der hat nichts begriffen
oder will die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Seit der
Ölpreiskrise Anfang der 70er-Jahre sinkt zum ersten Mal
der Kraftstoffverbrauch in Deutschland, und zwar
nicht unter Krisenbedingungen. Es gibt eine massive
Steigerung der Energieproduktivität. Das Wachstum
liegt in diesem Bereich bei 2 Prozent. In den vergange-
nen Jahrzehnten haben wir selten mehr als 1 Prozent er-
reicht. Es gibt hier auch einen Aufwuchs an Arbeitsplät-
zen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zu den Kosten!)


Natürlich ist das ein schwieriger Weg. Aber glauben Sie
im Ernst, dass alles automatisch geregelt wird, wenn wir
es dem Markt überlassen? Warum ist es dann aber in der
Vergangenheit nicht passiert? Es bedarf politischer Rah-
mensetzungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu muss man sich bekennen. Das tun wir. Ich finde
das auch richtig.

In einer sehr weitsichtigen Rede vor der Wirtschafts-
kammer von Madrid hat John Maynard Keynes 1933
gesagt – das haben die Keynesianer, die nur über das
Deficit-spending reden, bestimmt nie gelesen; ich finde,
dass das einer der interessantesten Punkte ist –:

Die zentralen Zukunftsfragen werden sein: techno-
logische Arbeitslosigkeit und die Verwerfungen
zwischen Geldanlagen und Produktivität im inter-
nationalen Bereich.

Genau das tritt heute ein. Interessanterweise ist auch hier
Ökologie ein entscheidender Punkt, um das Problem zu
lösen. In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, Pro-
bleme in der Beschäftigungspolitik ausschließlich über
den Faktor Arbeit zu lösen. Deutschland braucht gerade
als Exportland eine hohe Produktivität. Das können wir
nur über mehr Materialeffizienz, Energieeffizienz und
Ressourceneffizienz erreichen. Das ist der entscheidende
Weg. Auch hier liegt Rot-Grün richtig, nicht Sie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was Verantwortung der Politik bedeutet, möchte ich
an drei Punkten deutlich machen. Erster Punkt. Wir ma-
chen eine Energiepolitik der Effizienz und der solaren
Wende, weil wir nicht wollen, dass die Zukunft von Res-
sourcenkriegen bestimmt wird. Wenn man sich in der
Welt genau umschaut, dann weiß man, dass das bereits
real ist. Was erleben wir denn momentan? Ein Teil der
Energiepreissteigerungen ist darauf zurückzuführen,
dass jetzt große und sich industrialisierende Schwellen-
länder das Gleiche tun, was wir in der Vergangenheit ge-
macht haben. Deshalb explodiert beispielsweise der Erd-
ölpreis im Nahen Osten. Es ist eine Illusion, zu glauben,
dass diese Entwicklung allein auf den Terrorismus zu-
rückgeht. Vielmehr entwickelt sich eine ganz andere
Nachfragestruktur. Das kann man nicht einfach hin-
nehmen. Man muss vielmehr einen intelligenteren Um-
gang mit Energie entwickeln. Das ist die Antwort darauf.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Müller (Düsseldorf)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt betrifft die Klimagefahren. Nehmen

Sie als Beispiel nur die letzte Studie der Europäischen
Umweltagentur. Was dort vor allem im Hinblick auf die
Veränderung der Meeressysteme festgestellt wird, ist
dramatisch. Wir nehmen das viel zu wenig zur Kenntnis.
So hat sich der Druckwirbel im Nordatlantik beispiels-
weise in den letzten 15 Jahren um ungefähr 25 Prozent
verringert. Was dies in Konsequenz für das gesamte
europäische Klima bedeutet, kann man sich gar nicht
ausmalen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Doch! Das steht da drin!)


Auf jeden Fall wird es verhängnisvoll sein. Andere Bei-
spiele sind die Veränderung des Salzgehaltes in den
Ozeanen und das immer häufigere Auftreten des Henry-
Effektes, also des Abbrechens großer polarer Eisschich-
ten. All das sind Phänomene, deren Bedeutung wir bei
einer kurzfristigen Betrachtungsweise überhaupt nicht
erfassen können. Auch hier hat die Politik die Verant-
wortung, in langen Zeiträumen zu denken. Das bedeutet
„Energiewende“.

Dritter Punkt. Die technologische Arbeitslosigkeit
wird – ich habe es schon einmal angesprochen – nicht zu
beseitigen sein, sofern wir den gesamten Rationalisie-
rungsdruck in reifen Ökonomien nur über den Faktor Ar-
beit organisieren. So wird dieses Problem nicht gelöst.
Wir brauchen einen anderen, einen intelligenteren Um-
gang mit Produktivität.

Sie müssen sehen: Die Ressourcenproduktivität ist
im Vergleich zur Arbeitsproduktivität nur um etwa ein
Viertel, wenn nicht sogar nur um ein Fünftel gestiegen.
Steigende Arbeitsproduktivität heißt: Es wird immer
mehr Arbeitskraft durch Technik ersetzt. Warum fördern
wir nicht eine Produktivitätssteigerung, die im Grunde
genommen die Natur und die Ressourcen schont? Auch
das ist möglich und es schafft Arbeit. So sieht ein ande-
res, ein zukunftsweisendes Denken aus, wie wir es wol-
len und wie es unserer Linie entspricht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass die Ökologie wieder eine zentrale,
eine viel größere Bedeutung bekommt, als wir es uns im
Moment vorstellen; denn in Zukunft wird in einer zu-
sammenwachsenden Welt die stoffliche Seite des Wirt-
schaftens von zentraler Bedeutung sein. Jetzt können wir
die Weichen stellen: Entweder wir bleiben bei der
Verschwendungswirtschaft – wir müssen sie dann unter
Inkaufnahme immer größerer Konflikte absichern; logi-
scherweise werden wir dann zur Nutzung von Atom-
energie und vielem anderen zurückkehren – oder wir be-
greifen, dass Zukunftsverantwortung für uns heißt: Wir
müssen versuchen, mit möglichst wenig Energie und mit
möglichst wenig Rohstoffen auszukommen.

Herr Paziorek, Anfang der 90er-Jahre haben wir die
Idee der Kreislaufwirtschaft entwickelt. Doch leider ist
diese Idee – das ist mein Vorwurf – Papier geblieben.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein, das ist Gesetz geworden!)


– Doch, es ist Papier geblieben. – Ich erinnere beispiels-
weise an Ihr, wie ich finde, fast nur noch karikierendes
Verhalten gegenüber dem Dosenpfand. Wenn man genau
hinschaut, erkennt man: Das Dosenpfand war ein Pfeiler
des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Da kann ich nur sagen:
Ihr ganzes Denken ist: Überschriften setzen, aber bitte
keine Konsequenzen daraus ziehen. Das geht nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer Verantwortung will, muss auch einmal Konflikte
durchstehen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Herr Kollege, das ist hier die Haushaltsdebatte! Erzählen Sie mal was zum Haushalt!)


Unser Land und vor allem Europa haben in einer glo-
balisierten Welt wirklich die große Chance, die ökologi-
sche Modernisierung zum Markenzeichen eines neuen,
verträglichen Fortschritts zu machen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie waren doch auch für die Abgabe, Herr Müller!)


– Ich war immer dafür. Mein Problem war, dass ich da-
mals gegen Sie kämpfen musste.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)


– Aber Entschuldigung. Ich erinnere mich doch noch an
die Debatte Anfang der 90er-Jahre. Damals hat die SPD-
Fraktion – Stichwort Grüner Punkt – eine Abgabe ver-
langt und Sie haben genau das Gegenteil durchgesetzt.
Wir haben es doch heute mit Ihrem und nicht mit unse-
rem Gesetz zu tun.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Wo sind wir denn? Verdrehen Sie doch nicht die Tatsa-
chen.

Lassen Sie uns gemeinsam für diese große Zukunfts-
chance kämpfen! Die ökologische Modernisierung ist
Europas Chance. Wenn wir da versagen, dann ist das
mehr als nur eine parteipolitische Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Wie hieß eigentlich das Thema des Vortrages?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313300

Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der

Kollege Professor Bietmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Bietmann (CDU):
Rede ID: ID1512313400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Werter Kollege Müller, es war unbestreitbar sehr interes-
sant, Ihnen zuzuhören.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Bietmann


(Ute Kumpf [SPD]: Es ist immer interessant, dem Kollegen Müller zuzuhören!)

Aber Ihre Ausführungen über den Rohstoffeinsatz und
die Entwicklung der Weltbevölkerung können nicht da-
rüber hinwegtäuschen, dass es heute um den Bundeshaus-
halt des Jahres 2005 von Herrn Trittin geht. Ich denke,
damit sollten wir uns auch beschäftigen. Ich sage das,
obwohl ich eingestehen muss, dass insbesondere die
Ausführungen von Herrn Kollegen von Weizsäcker sehr
interessant waren.

Es ist sicherlich unbestreitbar, dass die Bewahrung ei-
ner aktiven, lebenswerten Umwelt zu den großen politi-
schen Herausforderungen der Gegenwart zählt. In Kon-
sequenz dieser Erkenntnis haben von der Union geführte
Bundesregierungen ein auf Naturschutz und Umweltbe-
lange ausgerichtetes Ministerium geschaffen. Ziel dieser
Politik war es, Umweltschutz eben nicht nur als Quer-
schnittsaufgabe zu akzeptieren, sondern die Umwelt-
schutzaufgaben des Bundes in einem spezifisch dafür
eingerichteten Ministerium zu konkretisieren und damit
klare Verantwortlichkeiten zu schaffen.

Schaut man sich das heute, sechs Jahre nach der Re-
gierungsübernahme durch Rot-Grün, an, dann stellt man
fest, dass davon nicht viel übrig geblieben ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von den im Bundeshaushalt 2005 vorgesehenen Um-
weltschutzausgaben in Höhe von insgesamt 4,1 Milliar-
den Euro entfallen lediglich 769 Millionen Euro, also
nur rund 19 Prozent, auf das Bundesumweltministerium.
81 Prozent der umweltschutzrelevanten Ausgaben wer-
den durch die Bundesregierung auf andere Ressorts ver-
teilt. Dies ist mit Sicherheit kein Vertrauensbeweis für
Sie, Herr Trittin.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dahinter steckt Absicht! – Zuruf des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Für mich ist überhaupt nicht nachvollziehbar – Herr
Kollege Hermann, ich habe mir das sehr genau ange-
sehen –, dass beispielsweise für Forschung im Haushalt
des Umweltministeriums lediglich 21 Millionen Euro,
im Haushalt der Bundesbildungsministerin für Grundla-
genforschung zum Umweltschutz aber 604 Millionen
Euro zur Verfügung stehen. Wer wirklich wirksamen
Umweltschutz in Deutschland will, der muss auch die
organisatorischen Voraussetzungen für eine zielgerich-
tete Umweltpolitik schaffen. Ein vielfach bedeutungslos
gewordenes Umweltministerium können wir uns in die-
sem Land nicht erlauben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Natürlich kann man für das am Haushalt ablesbare
Misstrauen gegenüber dem Umweltminister Verständnis
haben. Hier ist mehrfach der Bericht des Bundesrech-
nungshofes über das Endlagerkonzept dieses Ministers
zitiert worden. In ungewöhnlich krasser Form wird des-
sen Politik gerügt. Der Rechnungshof spricht gar von
Beratungsresistenz Trittins und wirft ihm vor, aus rein
ideologischen Erwägungen die Bundesrepublik Deutsch-
land mit finanziellen Risiken in Milliardenhöhe zu über-
ziehen.

Diese schonungslose Kritik immerhin des Bundes-
rechnungshofes


(Ulrich Kelber [SPD]: Wortwahl von Herrn Hauser!)


wird auch durch einen Blick in den Haushalt 2005 bestä-
tigt. Die Zahlen, die wir dort lesen, dokumentieren den
Schaden, der durch die politisch gewollte Verzögerung
der Endlagerlösung entsteht. Allein für die Offenhaltung
des Standortes Gorleben werden 26,6 Millionen Euro
vorgesehen. Für das Endlager Schacht Konrad sind
weitere 20 Millionen Euro veranschlagt. Rechnet man
die Kosten, die nur für die Offenhaltung der beiden End-
lagerstandorte angesetzt worden sind, für die Dauer des
Moratoriums zusammen, so ergeben sich allein hieraus
Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Dabei blei-
ben die Erforschungs- und Ausbaukosten in Milliarden-
höhe unberücksichtigt.

Der Genehmigungsbescheid für den Schacht Konrad
als Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle
liegt bereits seit dem 5. Juni 2002 vor. Wir brauchen die-
ses Endlager dringend. Schwach und mittelradioaktive
Abfälle fallen in großer Zahl an, insbesondere im medi-
zinischen Bereich, aber auch im Forschungsbereich.

Die baden-württembergische Landesregierung hat
erst vor wenigen Wochen Herrn Trittin darauf aufmerk-
sam gemacht, dass rund zwei Drittel aller schwach und
mittelradioaktiven Abfälle in Deutschland in der For-
schungsanlage Karlsruhe oberirdisch gelagert werden –
mit erheblichem Gefährdungspotenzial für die Bevölke-
rung.

Die Endlagerung dieser Abfälle im eigens dafür vor-
gesehenen Schacht Konrad ist im Interesse des Schutzes
der Bevölkerung unverzichtbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Unverantwortlich von Trittin!)


Es ist höchste Zeit, dass diese verantwortungslose
Verzögerungspolitik in Sachen Endlager gestoppt wird.
Darum fordern wir den Sofortvollzug der Genehmigung
für den Schacht Konrad und die Beendigung des Mora-
toriums für Gorleben.

Stattdessen werden die Energieversorgungsunterneh-
men verpflichtet, das gesamte Bundesgebiet mit ober-
irdischen Zwischenlagern für hoch radioaktive Stoffe
zu überziehen. Die hierdurch bedingte, politisch ge-
wollte Mehrung von atomarem Gefährdungspotenzial ist
unverantwortbar.

Ich muss Ihnen sagen, Herr Trittin: Ihr Auftritt heute
in Sachen Atomkraft war meines Erachtens nur peinlich.
Dass sich ein Bundesumweltminister hier hinstellt, das
Kernkraftwerk Biblis mit Temelin vergleicht, dann noch
sagt, das seien – wörtlich – alte Mühlen,


(Jürgen Trittin, Bundesminister: Möhren!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Bietmann

und damit in der Bevölkerung Unsicherheit und Angst
schürt – als Mittel der politischen Auseinandersetzung –,


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: So ist er!)

ist des Amtes eines Umweltministers der Bundesrepu-
blik Deutschland wahrhaft nicht würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Natürlich haben Sie sich auch zu den Energiekosten
geäußert; das haben wir nicht anders erwartet. Gemäß
der Devise „Schuld sind immer die Unternehmen“ haben
Sie den Versuch gestartet, von eigenem Versagen abzu-
lenken. Fest steht aber, dass in den Jahren der rot-grünen
Regierungsverantwortung der auf den Staat entfallende
Anteil in den Stromkosten um mehr als 20 Milliarden
Euro gestiegen ist.

Plötzlich erkennt man in der rot-grünen Regierung,
dass hohe Energiekosten zum Standortnachteil für
Deutschland werden, dass sie für die Abwanderung von
Unternehmen und damit den Verlust von Arbeitsplätzen
mit ursächlich sind. Die Union hat diese Preisspirale be-
reits bei Einführung der Ökosteuer vorhergesagt. Herr
Trittin war es ja, der dem seinerzeit entgegengehalten
hat, Energiepreise könnten gar nicht hoch genug sein, da
hierdurch ein Anreiz zum Energiesparen geschaffen
werde.

Vor diesem ideologischen Hintergrund wurde die
Ökosteuer eingeführt und fortlaufend erhöht. Wenn dann
gleichzeitig noch eine KWK-Abgabe und eine EEG-
Umlage den Stromkunden tangieren, dann wird ver-
ständlich, warum die Bundesrepublik Deutschland heute
europäischer Spitzenreiter bei den Stromkosten ist.

Natürlich sind die erneuerbaren Energien – da gebe
ich Ihnen ausdrücklich Recht – weder alleiniger noch
wesentlicher Preistreiber. Wir von der Union wollen und
werden erneuerbare Energien fördern. Wer jedoch wie
die Union ein klares Bekenntnis zu erneuerbaren Ener-
gien und deren Förderung ablegt, der kann nicht gleich-
zeitig die Einführung einer umweltpolitisch wirkungslo-
sen Ökosteuer befürworten, die dann auch noch Jahr für
Jahr kräftig erhöht wird. Diese Rechnung geht nicht auf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen ist das Ergeb-
nis.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Haus-
haltsentwurf ist insgesamt nicht nur Dokument einer zu-
nehmenden haushaltspolitischen Bedeutungslosigkeit
des Umweltministers, er zeigt gleichzeitig auch völlig
unvertretbare Schwachstellen rot-grüner Umweltpolitik
auf. CDU und CSU treten angesichts der internationalen
Herausforderungen insbesondere im Bereich des Klima-
schutzes für ein starkes Umweltministerium ein. Um-
weltschutz ist für uns eine Kernaufgabe zukunftsorien-
tierter Politik. Der werden wir uns auch in den nächsten
Jahren engagiert annehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313500

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich

liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-

desministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a und

9 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Autobahnmautgesetzes für
schwere Nutzfahrzeuge
– Drucksache 15/3678 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W.
Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Mautbefreiung für humanitäre Hilfstrans-
porte
– Drucksache 15/3489 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Bundesminister Manfred Stolpe.

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und der
Aufbau Ost sind drei Arbeitsfelder, die – ich darf das so
sagen – mit über Deutschlands Zukunft entscheiden wer-
den.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Man sollte sich nicht zu viel vornehmen!)


Es sind mittel- und langfristige Aufgaben, die unser aller
Anstrengungen brauchen. Für Schnellschüsse sind sie
schlecht geeignet. Es handelt sich um Arbeitsfelder, bei
denen wechselseitige Polemik wenig hilft, aber Kon-
senssuche und Ehrlichkeit der Sache und vielleicht sogar
dem Ansehen der Politik helfen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Langfristig muss eine ausreichende Finanzierung die-
ser drei Arbeitsfelder gesichert werden. Daran besteht si-
cherlich kein Zweifel in diesem Haus. Kein Zweifel be-
steht sicher auch darin, dass Haushaltskonsolidierung
alternativlos ist. Deshalb tragen wir die Beschlüsse des
Bundestages und des Bundesrates zum Subventions-
abbau mit, aber in der Erwartung, dass die nötigen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe

Sonderhilfen für Ostdeutschland davon unberührt blei-
ben, und in der Überzeugung, dass Verkehrsinfrastruk-
turinvestitionen keine Subventionen sind – weder bei
Straßen noch bei Wasserstraßen noch bei Schienenwe-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Lebensadern müssen gestärkt werden, um das
Transitland Deutschland und seine Wirtschaft zukunfts-
sicher zu machen.

In dieser Spannung zwischen hohem Finanzbedarf
und Zwang zum Sparen gehen wir in unserem Ministe-
rium neue Wege zur Sicherung unserer Aufgaben. Im
Bereich des Bauwesens und des Städtebaus setzen wir
unsere konsequente Innovationspolitik fort. Das neue
Baugesetzbuch vereinfacht das Planen und Bauen und
gibt die Möglichkeit, neue, moderne Ziele wie das Pro-
gramm „Soziale Stadt“, das in das Gesetz integriert
wurde, zu handhaben. Die Taskforce Public Private Part-
nership hat ihre Arbeit aufgenommen; sie sorgt damit für
mehr Vielfalt bei den Investitionsmöglichkeiten.

Der Stadtumbau West tritt neben den Stadtumbau Ost.
Wir helfen den Städten massiv bei der Überwindung der
Probleme, die Globalisierung, demographischer Wandel
und Schrumpfung mit sich bringen. Die Stiftung „Bau-
kultur“ wird im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen
können. Mit aufgestockten Beträgen zur Altschulden-
hilfe unterstützen wir sehr wirksam die ostdeutsche
Wohnungswirtschaft.

Gut aufgestellt sind wir auch in der Verkehrspolitik.
Der Bundesverkehrswegeplan und die Ausbaugesetze
wurden verabschiedet. Die Investitionen in die Verkehrs-
infrastruktur konnten wir auf hohem Niveau fortsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Trotz Konsolidierungsnotwendigkeiten verbleibt die In-
vestitionshöhe deutlich über dem Stand von 1998.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr gut!)

Die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger,
die Entwicklung neuer Technologien und Kraftstoffe,
unsere erneute Kampagne zur Verkehrssicherheit, all das
gibt der Verkehrspolitik ein modernes, zukunftsfähiges
Gesicht.

Die Mitfinanzierung der Verkehrswegeinvestitionen
durch eine Maut für Lastkraftwagen wird mit an Sicher-
heit grenzender Wahrscheinlichkeit am 1. Januar 2005
starten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der CDU/CSU: Wirklich?)


Der Weg war lang und nicht einfach. Sieben Verkehrsmi-
nister vor mir haben an diesem Projekt gearbeitet. Nun
werden unsere Auftragnehmer Daimler-Chrysler, Tele-
kom und Cofiroute mithilfe von Siemens das modernste
Gebührenerfassungs- und -berechnungssystem betreiben
können. Zur Vergangenheitsbewältigung hinsichtlich der
Mautausfälle haben wir inzwischen das vereinbarte
Schiedsverfahren eingeleitet.

Voranbringen werden wir auch die stärkere Einbezie-
hung privater Investoren bei Straßeninvestitionen. Die
gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen und In-
vestoreninteresse ist vorhanden. Wir werden dadurch
noch schneller mehr Straßen bauen können.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, beim Aufbau Ost haben

wir Halbzeit. Es war im Juni 2001 die richtige Entschei-
dung des Bundes und aller Länder, für teilungs- und ver-
einigungsbedingte Sonderfinanzierungen einen Zeitraum
bis 2020 vorzusehen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jawohl!)

Jetzt stehen wir beim Aufbau Ost vor zwei Aufgaben:
Wir müssen erstens die wachsende Differenzierung be-
rücksichtigen. Osten ist eben nicht mehr gleich Osten, so
wie Westen kein anderer Ausdruck für Paradies ist. Wir
müssen Wachstumskerne stärken und die Chancen peri-
pherer Regionen unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens müssen wir die ostdeutsche Realität, Enttäu-
schung, Unzufriedenheit und Zukunftssorgen, berück-
sichtigen. Das bedeutet ehrliche Problembeschreibung,
breite Einbeziehung der Menschen in Problemlösungen
und Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen.
Die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost und
West ist eine vorrangige nationale, ja europäische Auf-
gabe, die gemeinsam gelöst werden kann und gelöst
werden muss.

Ostdeutschland ist kein Fass ohne Boden. Die ganz
überwältigende Mehrheit der Menschen in Ostdeutsch-
land trägt aktiv dazu bei, dass unser Land wieder in
Schwung kommt.


(Beifall des Abg. Reinhard Weis [Stendal] [SPD])


Sie arbeiten in Unternehmen und Verwaltungen, sind
Selbstständige oder Wissenschaftler. Ganz genauso wie
alle Deutschen zahlen sie Steuern, mit denen Kommu-
nal- und Landeshaushalte, aber auch der Bundeshaushalt
bestritten werden. Aber viele, viel zu viele können nicht
dabei sein. Oft sind sie seit Jahren ohne Arbeit und auf
Unterstützung angewiesen. Das ist sicher eine Wurzel
von Unzufriedenheit und Protest.

Am 1. Januar 2005 beginnt mit dem Solidarpakt II
die zweite Phase des Aufbaus Ost. Bis Ende 2019 stehen
Fördermittel in Höhe von 156 Milliarden Euro zur Ver-
fügung. Im so genannten Korb I erhalten die ostdeut-
schen Länder vom Bund insgesamt 105 Milliarden Euro
unmittelbar. Die neuen Länder sind gefordert, diese Mit-
tel zum Abbau des infrastrukturellen Nachholbedarfs
und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Fi-
nanzkraft einzusetzen. Für die Verbesserung der Wettbe-
werbsfähigkeit der Unternehmen, die Förderung der In-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe

novationskraft und der Beschäftigung sowie den Ausbau
der Infrastruktur und der ländlichen Entwicklung stellt
der Bund im so genannten Korb II 51 Milliarden Euro
bereit. Das wären im Durchschnitt bis 2019 jährlich etwa
3,4 Milliarden Euro.

Um der Entwicklung in den neuen Ländern jetzt einen
kräftigen Schub zu geben, wird der Bund mit seinem
Haushalt 2005 diesen Betrag deutlich überschreiten und
mehr als 5 Milliarden Euro ausgeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die vier großen Förderressorts Wirtschaft und Arbeit,
Bildung und Forschung, Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen sowie Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft können damit den Aufbau Ost weiter gezielt
voranbringen und wichtige Impulse für mehr Wachstum
und Beschäftigung in den neuen Ländern geben. Das
Kooperationsangebot dieser vier Ministerien liegt den
neuen Ländern vor. Mit ihnen werden wir die Gespräche
darüber fortsetzen. Wir werden mit ihnen auch über die
Möglichkeiten des Korbs II konkret reden.

Eine bedeutende Rolle spielt in diesem Zusammen-
hang auch die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der
regionalen Wirtschaftsstruktur. Ich bin stolz, dass es uns
trotz bestehender Sparzwänge gelungen ist, diese sehr
wichtige Förderung auf hohem Niveau fortzusetzen. Zu-
dem konnten wir die Investitionszulage für die gewerbli-
che Wirtschaft über das Jahr 2004 hinaus um weitere
zwei Jahre verlängern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland hat eine starke Infrastruktur, das dich-
teste und beste Verkehrsnetz Europas. Das dürfen wir
nicht schlechtreden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf dieses Verkehrsnetz können wir alle stolz sein.
Denn es ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Bemü-
hens auch in diesem Hause.

Nach meiner Überzeugung ist heute die zentrale Auf-
gabe die Erhaltung. Es war diese Bundesregierung, die
den stetigen Rückgang der Mittel für die Erhaltung ge-
stoppt und umgekehrt hat. Das spiegelt sich auch im
Haushalt 2005 wider. Die Finanzmittel für 2005 und die
folgenden Jahre sind umfangreich; weit umfangreicher,
als manch einer prophezeit hat. Der Gesamthaushalt
sinkt zwar von 24,7 Milliarden auf 23,2 Milliarden Euro.
Aber dabei muss berücksichtigt werden, dass fast 1 Mil-
liarde Euro auf die Umsetzung der Wohngeldansätze
zum Wirtschafts- und Arbeitsministerium zurückzufüh-
ren ist. Der reale Rückgang um 2,3 Prozent ist moderat
und noch vertretbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist die Konzentration auf Erhalt und Mo-
dernisierung des Bundesfernstraßennetzes. Das sind In-
vestitionen von rund 4,5 Milliarden Euro in 2004 und
rund 4,6 Milliarden Euro in 2005. Schwerpunkte sind
dabei die Ausfinanzierung aller laufenden Maßnahmen,
die Realisierung der Vorhaben des Anti-Stau-Programms
und der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sowie die
Refinanzierung privat vorfinanzierter Bundesfernstra-
ßenabschnitte.

Zum Auf- und Ausbau der Schienenwege stehen für
Ersatzinvestitionen im bestehenden Netz mittelfristig Bun-
desmittel von rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Da-
mit kann auch nach Einschätzung der Bahn der Bedarf für
Erhaltung und Modernisierung des Bestandsnetzes voll-
ständig gesichert und ein Bestandsverzehr vermieden wer-
den. Darüber hinaus verfügbare investive Bundesmittel von
insgesamt bereits gesicherten rund 3,1 Milliarden Euro
werden zur Realisierung eines bedarfs- und leistungsge-
rechten Aus- und Neubaus der Bundesschienenwege ein-
gesetzt.


(Beifall des Abg. Reinhard Weis [Stendal] [SPD])


Damit können die aus verkehrlicher Sicht wichtigsten
Vorhaben, wenn auch in Baustufen, realisiert werden.

Trotz der Festlegung, dass Bedarfsplanvorhaben vor-
erst in Baustufen realisiert werden, ist es weiter gemein-
same Zielsetzung, dass auch die anschließenden Aus-
baustufen realisiert werden müssen. Aufgetretene
Unklarheiten in der Durchführung, die viele Fragen im
Lande ausgelöst haben, werden von unserem Ministe-
rium mit der Bahn geklärt.

Ich möchte noch einige einzelne Bahnprojekte nen-
nen, die wegen ihrer überregionalen Bedeutung hier her-
vorgehoben werden sollen.

Erstens. Im größten Ballungsraum Europas werden
wir die Schieneninfrastruktur deutlich stärken und die
infrastrukturellen Voraussetzungen für den Rhein-Ruhr-
Express schaffen.

Zweitens. Wir stehen zum Transrapid. Die Bayerische
Staatsregierung hat zugesagt, zügig ein Gesamtfinanzie-
rungskonzept vorzulegen. Ich habe in Gesprächen mit
der Staatsregierung dargelegt, dass die zugesagten Mittel
des Bundes auch weiterhin zur Verfügung stehen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wo bleibt der Beifall? Unglaublich!)


Drittens. Wir müssen Berlin-Schönefeld zu einem
leistungsstarken Luftverkehrsstandort machen. Das be-
inhaltet die Anbindung an das Straßen- und Schienen-
netz.

Schließlich müssen wir unsere auf den maritimen
Konferenzen gemachten Zusagen zur Verbesserung der
Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen umsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet übrigens ganz konkret, die Mittel für den
Bau der Autobahn 20 bereitzustellen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt
bei den Investitionen in die Infrastruktur Schwerpunkte.
Sie ist in der Lage, das Notwendige zu finanzieren. Aber






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe

der Haushalt des Ministeriums hat mehr zu bieten. Bei
vielen Projekten unterstützen wir zusammen mit der For-
schung oder auch der Industrie konkrete Innovationsvor-
haben. So steht Deutschland zum Beispiel bei der Ent-
wicklung alternativer Kraftstoffe weltweit mit an der
Spitze. Vor wenigen Wochen ist es gelungen, zusammen
mit der chinesischen Regierung und den beteiligten Un-
ternehmen einen Lenkungsausschuss für die deutsch-
chinesische Zusammenarbeit im Rahmen der Kraft-
stoffstrategien zu gründen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir fördern Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffi-
zienz von Gebäuden. Das verbessert die Qualität des
Wohnraums, schützt das Klima und sichert Arbeits-
plätze.

Unsere drei Felder sind viel weiter, als es hier be-
schrieben werden kann. Wir sind in der Lage – das ist die
wichtigste Aussage für mich –, mit dem Haushalt 2005
das Nötige zu tun. Über die Arbeit in Bezug auf die Be-
reiche Verkehrsinfrastruktur, Bau, Wohnen und Aufbau
Ost muss weiter diskutiert werden. Sie braucht auch
konstruktive Kritik und darauf freue ich mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313600

Und nun will der Kollege Eduard Oswald für die

CDU/CSU-Fraktion dem Minister sicher diese Freude
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1512313700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesminister Stolpe, bei Ihrer liebevollen und
sanften Art fällt es nun wirklich schwer, zur Faktenlage
in diesem Lande zurückzukehren. Aber wenn Sie schon
von uns konstruktive Kritik hören wollen, dann will ich
das gerne tun. Denn Sie, die Koalition, tragen mit dem
Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Verantwortung für drei Aufgabenbereiche von gesell-
schafts-, wirtschafts-, umwelt- und arbeitsmarktpolitisch
hohem Rang. Dies sind nicht nur drei Politikfelder, son-
dern ist auch dreimal eine Bilanz des Versagens rot-grü-
ner Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist ja wieder die alte Rede! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Hol mal die neue hervor! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wir sind hier nicht im Bayerischen Landtag! – Gegenruf des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Braucht man nicht! Ihr seid jedes Jahr so schlecht!)


Erstens. Die ehemals vorbildliche deutsche Ver-
kehrsinfrastruktur droht zu verkommen. Umfang und
Zustand des Verkehrsnetzes werden schon den heutigen
Mobilitätsanforderungen nicht mehr gerecht.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es!)

Nicht das Verkehrsaufkommen und den für die wirt-
schaftliche Entwicklung notwendigen Bedarf für den In-
frastrukturausbau haben Sie zum Ordnungsmaßstab für
die Gestaltung des Verkehrsetats herangezogen, sondern
einzig und allein Ihre Kassenlage.

Zweitens. Den Baubereich haben Sie in all den Jah-
ren Ihrer Regierungsverantwortung sträflich vernachläs-
sigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die deutsche Bauwirtschaft ist unter den von Ihnen vor-
gegebenen Rahmenbedingungen in die schwerste Krise
der Nachkriegsjahre geraten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Was ist denn das? – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])


– Ich sage Ihnen: Je lauter die linke Seite hier ist, desto
klarer ist, dass ich mit meinen Feststellungen Recht
habe.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben dem Herrn Minister ganz diszipliniert zuge-
hört. Aber dass hier Unruhe entsteht, darüber braucht
man sich nicht zu wundern. Wer ein schlechtes Gewissen
hat, wird laut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Nein!)


Drittens. Im Wohnungsbau ignorieren Sie den Be-
darf an neuen, bezahlbaren Wohnungen. Sie ignorieren
den Wunsch großer Teile der Menschen nach den eige-
nen vier Wänden. Für die Opposition halte ich fest: Wer
in Deutschland eine Diskussion wie „Bildung statt Be-
ton“ oder „Bildung statt Eigenheimzulage“ zulässt, hat
für das Bau- und Wohnungswesen nichts übrig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist reinster Populismus und so realitätsfern wie die
rot-grüne Investitionspolitik insgesamt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Beton-Ede! So geht das nicht!)


– Parlamentarische Geschäftsführer werden für ordent-
liche Arbeit und nicht für dumme Zwischenrufe bezahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber ich bin eng bei der Wahrheit!)


Wir brauchen beides: Bauinvestitionen sind ebenso
Zukunftsinvestitionen wie Bildung oder Forschung. Der
Bau braucht Perspektiven.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nicht bauen um des Bauens willen!)


Die Bauwirtschaft leidet ganz besonders unter den ge-
samtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie müssen
die Lösung der Probleme ernsthaft anpacken. Oder wol-
len Sie den Kollaps einer so wichtigen Wirtschaftsbran-






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Oswald

che in Kauf nehmen? Der Wohnungsbau in unserem
Lande befindet sich im freien Fall; hier haben sich die
Aussichten auf eine Stabilisierung weiter verringert. Wer
Bauen auf Beton verkürzt, versteht nichts von der Bau-
branche. Bauen von heute ist Innovation, Bauen ist Zu-
kunftsvorsorge. Deshalb braucht der Bau unsere Unter-
stützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies ist keineswegs als Selbstzweck zu verstehen.

Dem Wohnungsbau wie dem Verkehrsbereich muss drin-
gend wieder neuer Schwung gegeben werden. Genauso
wichtig wie die Schaffung von Wohnraum ist die Siche-
rung von Mobilität. Die Politik hat dazu die notwendi-
gen Voraussetzungen zu schaffen; denn Infrastruktur-
politik ist ein elementarer Bestandteil moderner
Wirtschaftspolitik. Gute Verkehrsanbindungen und die
Sicherstellung reibungsfreier Verkehrsflüsse sind unver-
zichtbare Voraussetzungen für eine funktionierende
Wirtschaft.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Mehr Mobilität darf aber nicht zu weniger Sicherheit

führen; wenigstens sind wir uns in dieser Frage einig.
Deshalb müssen Verkehrserziehung und Verkehrsaufklä-
rung hohe Priorität genießen.

Meine Damen und Herren, erstens müssen Sie beim
Regierungshandeln die Investitionen in die Verkehrs-
wege als Zukunftsinvestitionen begreifen. Zweitens
müssen Sie die im Fernstraßen- und Schienenwegeaus-
baugesetz zügig vorgesehenen Projekte zügig umsetzen.
Und drittens sollten Sie unsere Vorschläge für notwen-
dige weitere Neu- und Ausbauvorhaben nicht selbstherr-
lich zurückweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Landesverkehrsminister haben Ihnen längst die

Defizite Ihrer Politik einmütig vorgerechnet.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und anschließend selbst gekürzt!)


Denken Sie an dieses einmütige Votum aller Landesver-
kehrsminister aus allen Parteien.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Da war doch ein Akkord! Den gibt es doch noch, oder?)


Ein Land, das die Anpassung seines Verkehrswege-
netzes an den aktuellen Bedarf verzögert oder gar unter-
lässt, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes
und damit den Wohlstand der Bürger.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das nach Ihrem Bundesverkehrswegeplan zum Ausbau
der Verkehrswege für erforderlich gehaltene Investi-
tionsvolumen von jährlich 10 Milliarden Euro wird mit
dem in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen
durchschnittlichen Betrag von 7,7 Milliarden Euro deut-
lich unterschritten.

Dies ist eine Besorgnis erregende Entwicklung. Hinzu
kommt, dass sich auch der Verfall der deutschen Infra-
struktur längst zur Wachstumsbremse ausgeweitet hat.
Wir dürfen uns von den Entwicklungen in Europa nicht
abkoppeln. Das ist unsere Sorge.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wieder so ein Schlechtredner!)


Dabei muss sich Deutschland auch seiner Verantwortung
als europäische Verkehrsdrehscheibe stärker bewusst
sein.

Ohne eine Kurskorrektur hin zu höheren Investitio-
nen werden wir mit zunehmenden Staus auf Schiene und
Straße zu einem weiteren Stau in der Gesamtwirtschaft
kommen. Wo der Haushalt an Grenzen stößt, ist die For-
cierung von Projekten der Public Private Partnership der
einzige Weg, um den Stau bei den öffentlichen Investi-
tionen aufzulösen. Alles, was Sie hier bisher getan ha-
ben, geht viel zu langsam.

Die 12 Milliarden Liter Kraftstoff, die in Deutschland
jährlich im Stau vergeudet werden – man höre: 12 Mil-
liarden Liter Kraftstoff werden jährlich im Stau vergeu-
det –, entsprechen rund 18 Prozent des Gesamtver-
brauchs im Straßenverkehr.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Motor abschalten!)


Sie müssen daher doch auch erkennen, wie wichtig eine
weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung ist. Dafür
brauchen wir ein leistungsfähiges Straßennetz.

In den kommenden zehn Jahren sind allein 40 Prozent
der Fahrbahndecken im Fernstraßennetz erneuerungsbe-
dürftig. Rund 5 000 Brücken und Tunnel befinden sich
schon heute in einem kritischen Bauwerkszustand. Das
ist doch die Realität in Deutschland! Darum sage ich:
Wo investiert wird, gibt es Zukunft. Wo Investitionen
unterlassen werden, lebt man von der Substanz und ver-
spielt Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch wenn die Straße Verkehrsträger Nummer eins

ist, brauchen wir jeden unserer Verkehrsträger: die Bin-
nenschifffahrt, die Seeschifffahrt, den Luftverkehr und
auch die Bahnen. Lassen Sie Ihren Erklärungen über den
herausgehobenen Stellenwert des Systems Schiene end-
lich Taten folgen. In Ihrem Haushaltsentwurf fährt die
Bahn aufs Abstellgleis.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na! Na! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehen Sie mal zu, dass Sie nicht auf dem Abstellgleis landen!)


Wenn Sie der Bahn bis 2008 insgesamt 3,5 Milliarden
Euro weniger für den Netzausbau zur Verfügung stellen,
als noch vor einem Jahr geplant,


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das sind 1,3 Milliarden mehr, als ihr 1998 zur Verfügung gestellt habt!)


dann ist die Sorge der Bahnindustrie berechtigt, die von
einer regelrechten Investitionskrise spricht.






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Oswald


(Beifall bei der CDU/CSU – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir brauchen eine neue Regierung!)


Die Bahn beziffert den Bedarf für die Schieneninfra-
struktur auf jährlich mindestens 4,2 Milliarden Euro,
davon 1,7 Milliarden Euro allein für die Realisierung des
Bedarfsplans, das heißt für Neu- und Ausbauten. Tat-
sächlich werden aber nach Angaben der DB AG selbst
ab 2005 jährlich insgesamt nur etwa 3 Milliarden Euro
zur Verfügung stehen. Das heißt im Klartext, dass zur
Abarbeitung des Schienenwegeausbaugesetzes jährlich
nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen sind. Das ist
ein Engpass mit fatalen Folgen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Hierzu kommt, dass auch die Deutsche Bahn AG bei

ihren Investitionen zunehmend zurückhaltend ist. Die
Erlangung der Kapitalmarktfähigkeit – ich sage Ihnen
das wohlformuliert –


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist aber höflich ausgedrückt!)


darf nicht zu einem Verzicht auf notwendige Investitio-
nen führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das zahlt sich nicht aus!)


Wo es Baustopp gibt, wird nicht nur Mobilität ausge-
bremst, sondern es werden Baubetriebe in die Insolvenz
getrieben.

Beim angestrebten Börsengang sind alle verkehrs-,
finanz- und haushaltspolitischen Chancen und Risiken
gründlich zu prüfen. Bei den verschiedenen Möglichkei-
ten für eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG ist
eine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Modell nicht ziel-
führend. Mein Rat, Herr Bundesminister, lautet: Sorgfalt
vor Geschwindigkeit.

Das gesamte Verkehrsgewerbe, also die Bahn wie
auch die Unternehmen der anderen Verkehrsträger, müs-
sen für den Wettbewerb in Europa fit gemacht werden.
Wir brauchen faire Bedingungen, damit sich unsere Un-
ternehmen auf dem größer gewordenen europäischen
Verkehrsmarkt besser behaupten können. Unser Ziel
muss sein, Deutschland gesamtwirtschaftlich wieder
nach vorne zu bringen.

Wir fordern Sie auf, das Bauwesen in unserem Lande
nicht weiter zu vernachlässigen, dem Wohnungsbau, bei
dem auch die Eigenheimzulage ihre Berechtigung hat,
neuen Schwung zu geben, zu einer am volkswirtschaftli-
chen Bedarf ausgerichteten Verkehrswegeplanung zu
kommen, den Investitionsanteil an den Gesamtausgaben
des Bundeshaushaltes zu steigern, mit einer soliden
Haushaltsplanung langfristig für Finanzierungssicherheit
bei Schiene, Straße und Wasserstraße zu sorgen, die
Mauteinnahmen zweckentsprechend für die Verkehrsin-
frastruktur zu verwenden, und zwar genau so, wie das
seinerzeit im Vermittlungsverfahren vereinbart worden
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen: Beim Thema Maut müssen Sie uns
schon eine besondere Sensibilität zugestehen. Nachdem
die Einnahmen entgegen den Absprachen im Haushalt
2005 untergegraben werden sollen, wollen Sie jetzt mit
dem Gesetz zur Änderung des Autobahnmautgesetzes
die Länder umgehen. Die mit Zustimmung des Bundes-
rates einst erlassene Rechtsverordnung mit dem Termin
des Mautstarts halten Sie – wortwörtlich – für ver-
braucht. Dabei nennen Sie vorsorglich keinen konkreten
Termin. Ich hoffe, Sie sind sich nicht selbst unsicher, ob
es denn nun zum 1. Januar 2005 wirklich klappt. Wir
wünschen uns das. Wir wollen einen Erfolg des deut-
schen Systems und damit auch den Erhalt und die Siche-
rung deutscher Arbeitsplätze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Geregelt wird nun endlich auch die Inkassoberechti-

gung des Mautbetreibers. Das hatten Sie in der vorheri-
gen Rechtsetzung schlichtweg vergessen. Das war wirk-
lich keine handwerkliche Glanzleistung.

Zu beraten haben wir heute auch über einen Antrag
zur Mautbefreiung für humanitäre Hilfstransporte. Ich
gehe davon aus, dass Sie die Notwendigkeit einer sol-
chen Freistellung einsehen und sich nicht auch hier unse-
ren Vorschlägen verweigern.

Meine Damen und Herren, mit Ihrer Politik befinden
Sie sich auf der falschen Spur. Nur wenn Sie schnell um-
steuern, können Sie den Crash vermeiden. Nutzen Sie
jetzt die Möglichkeiten bei den anstehenden Haushalts-
beratungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Albert Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

einem Jahr hing der Haushaltsentwurf zum Einzel-
plan 12 an einem seidenen Faden. Heute hängt er an ei-
nem dicken Tau.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das haben Sie doch heute früh schon im Frühstücksfernsehen gesagt!)


Damit will ich sagen: Wir haben jetzt das Mautdebakel
– ich hoffe, definitiv – hinter uns. Wir haben das Koch/
Steinbrück’sche Schlachtfest mit Blessuren überstanden.

Das neue Management bei Toll Collect, ein wesent-
lich stringenteres Controlling – durch das Management,
aber auch durch das Ministerium und seine nachgeord-
neten Behörden – und auch die erfolgreichen bisherigen
technischen Tests geben Anlass zu Optimismus.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie haben jetzt die fehlenden On-Board-Units dabei!)







(A) (C)



(B) (D)


Albert Schmidt (Ingolstadt)


– Ich sage gleich etwas dazu. – Aber Gewissheit – das
sage ich Ihnen ganz ehrlich – haben wir erst am
1. Januar. Von daher bleibt bei mir ein Rest Misstrauen.
Wir haben zu viel und zu oft Versprechungen gehört.

Das eigentliche Risiko scheint mir aber derzeit darin
zu bestehen, dass schlicht und einfach zu wenig On-
Board-Units in LKWs eingebaut sind. Das birgt das Ri-
siko kilometerlanger Rückstaus an den Terminals zur
manuellen Einbuchung. Ich will in aller Deutlichkeit sa-
gen: Wer mit dem Gedanken spielt, durch verzögerten
Einbau von On-Board-Units den Projektstart vielleicht
doch noch einmal um zwei, drei Monate hinausschieben
zu können, um noch ein paar Monate gebührenfrei auf
Deutschlands Autobahnen fahren zu können, der wird
wegen dieser kilometerlangen Staus kein Verständnis
finden, weder bei den PKW-Fahrern noch bei sonstigen
Teilen der Bevölkerung. Deswegen kann ich nur sagen:
Jetzt die On-Board-Units einbauen, in die Werkstätten
gehen! Die Kapazitäten sind da. Die Geräte liegen auf
Halde. Man muss nur hingehen und sie einbauen lassen.
Man sollte nicht länger glauben, man könne die Sache
noch irgendwie aussitzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Seit wann liegen die auf Halde?)


– Es sind 165 000. Sie müssen sich ein bisschen kundig
machen.

In diesem Verkehrsetat sind 10,8 Milliarden Euro an
Verkehrsinvestitionen vorgesehen. Das ist sogar ge-
ringfügig mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Das ist,
finde ich, angesichts der allgemein schwierigen Haus-
haltssituation, die niemand bestreitet, eine erstaunliche
Leistung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der verehrte Kollege Oswald hat die Bahn angespro-

chen. Im letzten Jahr, 2003, wurden nahezu 4,5 Mil-
liarden Euro an Bundesmitteln für Investitionen in die
Schieneninfrastruktur überwiesen und ausgegeben.
Das zeigt den Stellenwert, den der Schienenbau in die-
sem Lande für Rot-Grün hat. Ich will aber hinzufügen:
Im aktuellen Haushaltsjahr, 2004, stehen nur noch
3,7 Milliarden Euro zur Verfügung und im nächsten Jahr
wird es wieder exakt dieser Betrag sein. Das ist deutlich
weniger und liegt für mich nicht nur an der untersten
Grenze, sondern schon an der Schmerzgrenze, also da,
wo es aufhört, Sinn zu machen. Dennoch bin ich bereit,
diesen Entwurf mitzutragen. Er ist gerade noch vertret-
bar. Aber unser mittelfristiges Ziel muss die 4 vor dem
Komma bei den Schieneninvestitionen bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das eigentliche Problem nämlich ist die Absenkung
der Mittelfristlinie. Dass in den Jahren ab 2006 nur
noch 3,3 Milliarden, 3,2 Milliarden und am Ende nur
noch 2,x Milliarden Euro zur Verfügung stehen, kommt
mit Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einen solchen Haushalt werden wir, sollte es dazu kom-
men, nicht mittragen können. Da muss sich eine ganze
Menge bewegen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

– Das können Sie zu Protokoll nehmen. – Ich bin sehr
dankbar, dass im Kabinett eine Protokollnotiz aufge-
nommen wurde: 1 Milliarde Euro zusätzlich für den
Bahnbau in den nächsten Jahren. Wir müssen das aber
noch mobilisieren. In der Tasche haben wir das noch
lange nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von uns be-
trachten mit allergrößter Sorge, was sich derzeit bei der
Deutschen Bahn abspielt: Ende Juli wurde ein Ausga-
benstopp verhängt. Selbst bereits beschlossene Investi-
tionsprojekte müssen neu beantragt werden. Die Auf-
träge im Bahnbau brechen um 32 Prozent ein. Insolven-
zen und Arbeitsplatzverluste drohen. 1 500 Stellen fallen
bei DB Projektbau weg, 1 500 Stellen bei privaten Inge-
nieurbüros. Ein Planungsstopp gilt für Projekte, die be-
reits zwischen Bund und Bahn verabredet waren. Bei-
spiele können Sie heute in der Zeitung nachlesen: die
Grunderneuerung von drei Berliner S-Bahn-Linien, die
Verbindung zum Flughafen Schönefeld, dessen Bedeu-
tung der Minister gerade noch einmal herausgestellt hat,
und die Franken-Sachsen-Magistrale usw. Ich will gar
nicht alles aufzählen.

Das Ganze ist so, obwohl der Bund im Jahre 2001
460 Millionen Euro extra als Planungsreserve zur Verfü-
gung gestellt hat.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da gibt es in der Koalition kräftig Zoff! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist ja ein Bruch der Koalition!)


Das Ganze ist so, obwohl nach meiner Kenntnis bei der
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft verfügba-
re Investitionsmittel in Höhe von 780 Millionen Euro
bereit liegen, von denen bis zur Stunde aber nur 250 Mil-
lionen Euro von der Deutschen Bahn AG abgerufen wor-
den sind. Das Ganze ist so, obwohl die Mittel für das Be-
standsnetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Wesent-
lichen gar nicht strittig sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das bedeutet eine Krise für die Koalition!)


Ich kann nur sagen: Eine Vernachlässigung des Be-
standsnetzes wird zu Langsamfahrstellen und zu Un-
pünktlichkeit führen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihr watscht den Minister bald mehr ab als Herr Oswald!)


Auch die aktuellen Zahlen zur Pünktlichkeitsquote – sie
beträgt nur noch 82 Prozent statt der eigentlich ange-
strebten 95 Prozent – verheißen nichts Gutes.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Neueste, was
wir mit Erstaunen hören, ist, dass offenbar zum






(A) (C)



(B) (D)


Albert Schmidt (Ingolstadt)


15. Dezember dieses Jahres eine zweifache Fahrpreis-
erhöhung geplant ist:


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist eine Krise in der Koalition! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da war die Rede von Herrn Oswald ja geradezu eine Lobrede im Vergleich zu Ihrer!)


indirekt bzw. verdeckt durch eine Ausdünnung von IC-
und EC-Verbindungen zugunsten von ICE-Verbindun-
gen, damit die Fahrgäste in diese teureren Züge einstei-
gen, und direkt durch eine Erhöhung um generell
3,5 Prozent pro Fahrkarte, wie im Gespräch ist.

Ich sage ganz offen: Ich mische mich – auch aus
Überzeugung – nicht gerne in die Preisgestaltung von
privatisierten Unternehmen ein. Da mag auch in bilan-
zieller Hinsicht alles logisch kalkuliert sein, aber ver-
kehrspolitisch gesehen wird dadurch genau das falsche
Signal gesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Verheerend ist das!)


Statt auf mehr Fahrgäste zu setzen und mit lukrativen
Angeboten zu werben, werden die verbliebenen Fahr-
gäste umso mehr abkassiert.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das haben Sie auch schon heute Morgen im Frühstücksfernsehen gesagt!)


Die Energiepreise mögen ein Grund dafür sein; da-
rüber muss man nachdenken. Aber im letzten Jahr waren
die Energiepreise moderat und trotzdem wurden im
Fernverkehr Miese in Höhe von 600 Millionen Euro ge-
macht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und die Preise erhöht!)


Daran allein kann es also nicht liegen. Hier bestehen tief
sitzende strategische Probleme wie das missglückte neue
Fahrpreissystem.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und danach gab es ja noch einmal eine Erhöhung!)


Das hat Vertrauen gekostet. Um dieses Vertrauen muss
bei den Kunden wieder geworben werden.

Investitionsstopp, Arbeitsplatzabbau, Fahrpreiserhö-
hungen – wenn auf Biegen und Brechen eine schwarze
Null als bilanzielles Betriebsergebnis herausgepresst
werden soll, um einen schnellen Börsengang der Deut-
schen Bahn AG zu begründen, dann ist das ein schädli-
cher Brachialkurs, den wir politisch nicht ohne Weiteres
decken können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer sitzt denn da im Aufsichtsrat?)


Die aktuellen Beratungen zeigen, dass sich im Bun-
destag nach wie vor alle einig sind: ein prinzipielles Ja
zur Öffnung des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG für
private Kapitalbeteiligungen, aber kein überstürztes Vor-
gehen. Wir stellen Bedingungen, die auch der Gutach-
ter, Morgan Stanley, gestellt hat. Die erste Bedingung ist,
dass die Performance im Unternehmen stimmen muss.
Der erste Lackmustest im ersten Halbjahr 2004 ist nicht
bestanden worden. Die zweite Bedingung ist eine ver-
tiefte Untersuchung anderer Modelle der Teilprivatisie-
rung, zum Beispiel unter Verbleib des Netzeigentums bei
der öffentlichen Hand.

Wir wollen – um dieses Schlagwort aufzugreifen –
keine Zerschlagung des Konzerns herbeiführen, sondern,
dass die Bewirtschaftung der Infrastruktur durch DB
Netz innerhalb der Holding des DB-Konzerns erfolgen
könnte. Das muss gutachtlich geprüft werden.

Die dritte Bedingung lautet zusammengefasst: Gründ-
lichkeit vor Eile. Wir wollen nicht unter Zeitdruck eine
möglicherweise nicht verantwortbare Entscheidung tref-
fen, die uns am Ende, siehe LKW-Maut – und sei es in
der nächsten Legislaturperiode –, auf bittere Weise ein-
holt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die SPD wird sich freuen!)


Ich will zum Schluss kommen. Licht und Schatten lie-
gen nah beieinander, übrigens auch im Haushalt zum Be-
reich Bauen und Wohnen. Wir sehen gute Ansätze, die
verstetigt worden sind: die Programme „Soziale Stadt“
und „Stadtumbau Ost“, das Gebäudemodernisierungs-
programm zur CO2-Minderung und aktuell auch das Pro-gramm „Stadtumbau West“, das wir sehr begrüßen. Das
sind Schritte in die richtige Richtung und die richtigen
Antworten auf die Strukturprobleme unserer Städte.

Herr Kollege Oswald, meine letzte Bemerkung: Die
notwendige Antwort auf die Strukturprobleme unserer
Städte ist doch nicht, mit der Eigenheimzulage eine
überholte Subvention zu pflegen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!)

Diese zielen auf Strukturprobleme von gestern, die nur
in München, sonst in keiner einzigen Metropole
Deutschlands, vielleicht noch vorhanden sind. Jetzt geht
es darum, die 6 Milliarden Euro, die jedes Jahr aus öf-
fentlichen Kassen für etwas aufgewendet werden, was
gar nicht mehr gebraucht wird, nämlich für zusätzlichen
Wohnungsbau, endlich dort zu verwenden, wo wir sie
wirklich brauchen: –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512313900

Herr Kollege Schmidt, achten Sie auf Ihre Redezeit.
Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
– zum Beispiel für die Sanierung in ost- und west-

deutschen Städten und für Bildung und Forschung. So-
lange Sie dazu nicht bereit sind, haben Sie kein Recht,
hier über Baupolitik zu schwadronieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Diese Rede war zu 70 Prozent Regierungskritik! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Diesen Schlusssatz musste er bei dieser Rede ja noch sagen!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512314000

Herr Kollege Schmidt, wenn deutlich nach Über-

schreiten der Redezeit ein letzter Satz angekündigt wird,
wäre es schön, wenn es auch bei diesem einen bliebe.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Man sollte alles aus dem Protokoll streichen, was über die Zeit ging!)


Nun hat der Kollege Friedrich für die FDP-Fraktion
das Wort.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt wird es noch einmal lustig!)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1512314100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

war wirklich erstaunt, Herr Minister, wie Sie Ihren
Haushalt heute vertreten und begründet haben. Man
könnte dies unter der Überschrift zusammenfassen: Seid
zufrieden, es hätte noch viel schlimmer kommen kön-
nen! Im Prinzip hieß es, man solle die Infrastruktur nicht
schlechtreden, es sei ja alles gut, man müsse nach vorne
schauen.


(Ulrich Kalb [SPD]: So redet der Schmidt!)

Gleichzeitig würde konstruktive Kritik eingefordert. Die
kam dann teilweise auch vom Kollegen Albert Schmidt.
Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Herr
Minister, dass Ihre Aufforderung, diese Politik müsse se-
riös begründet werden, weil sie nicht für Schnellschüsse
geeignet ist, bei Ihnen immer mit dem Eindruck des
hoch gelobten Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Bran-
denburg einhergeht, der einmal gesagt hat:

Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab sei-
ner beschränkten Einsicht an die Handlungen der
Obrigkeit anzulegen.

Sie fordern zwar Kritik ein, aber Sie sind offensicht-
lich nicht bereit, sie umzusetzen. Wie sonst könnten Sie
einen Haushalt aufstellen, der von vornherein Planungs-
risiken gigantischen Ausmaßes hat? Das sagt nicht nur
die Opposition. Das sagen auch fast alle Wirtschaftsver-
bände; ich will nur das DIW nennen. Sie kommen in Ih-
rem Haushalt insgesamt nur deshalb auf verfassungsmä-
ßige Zahlen, weil Sie Privatisierungserlöse von fast
16 Milliarden Euro einstellen. In den letzten Jahren wa-
ren es einmal 5 oder 6 Milliarden Euro, aber noch nie-
mals 16 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen voraus: Das
sind Luftnummern; ich will gar nicht auf die Maut einge-
hen.

Wenn das alles nicht eintrifft, Herr Minister, dann
werden sich natürlich die Zahlen Ihres Haushaltes ent-
sprechend verändern. Das ist bei einem Haushalt, der die
Investitionen insgesamt bei ungefähr 9 Prozent deckelt,
aber für soziale Ausgaben fast 34 Prozent vorsieht, na-
türlich sehr schmerzhaft. Die Verfassungsmäßigkeit des
Haushalts gelingt Ihnen ja nur dadurch, dass die Investi-
tionen höher sind als die Neuverschuldung. Bei der Ver-
schuldung – das, glaube ich, kann man mittlerweile sa-
gen – hat sich Herr Eichel in den letzten Jahren aber
immer verrechnet, und zwar zu seinen Ungunsten und
nicht zu seinen Gunsten. Wenn sie noch höher wird, sehe
ich große Probleme.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Wir auch!)


Dann ist es schon fast eine Frechheit, wenn Sie zum
Haushalt sagen, Sie hätten die Investitionen gegenüber
dem Haushalt 2004 gesteigert. Das ist ja theoretisch
richtig, aber das ist schlicht mathematisch bedingt: Wenn
die Investitionen weniger stark zurückgehen als der Ge-
samthaushalt, ist die Basis für das Verhältnis von Inves-
titionen zur Haushaltssumme eine andere. Wenn dadurch
ein etwas höherer Prozentwert herauskommt, dann ist
das kein Erfolg, sondern eher ein Eingeständnis Ihrer
Hilflosigkeit, was die Investitionen angeht. Das wird
auch nicht dadurch besser, Herr Minister, dass Sie sagen,
Sie hätten im letzten Jahr und auch in diesem Jahr deut-
lich höhere Ansätze als wir in unserem letzten
Regierungsjahr 1998. Numerisch ist das richtig. Sie ha-
ben ungefähr eine halbe Milliarde Euro mehr zur Verfü-
gung. Das ist traumhaft. Sie vergessen allerdings zu er-
wähnen, dass Sie dem deutschen Autofahrer in Ihrer
Regierungszeit dafür zusätzlich 15 Milliarden Euro ab-
knöpfen. Wo sind die denn geblieben?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: In der Rente!)


Sie nehmen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Aussa-
gen, die Sie zur Infrastruktur gegenüber dem Rech-
nungsprüfungsausschuss gemacht haben, als Realität. Da
erklärt die Frau Kollegin Angelika Mertens, Parlamenta-
r
Gerhard Rübenkönig (SPD):
Rede ID: ID1512314200


Um langfristig zumindest den derzeitigen Qualitäts-
standard auf Bundesstraßen zu halten und für Auto-
bahnen leicht zu verbessern, sind nach der Pro-
gnose insgesamt 34,4 Milliarden Euro bis 2015, das
heißt, 5,6 Milliarden Euro jährlich, notwendig, und
zwar zusätzlich.

Das heißt, kurzfristig wäre eine Steigerung ab 2004 von
700 Millionen Euro jährlich für den Infrastrukturerhalt
notwendig. Wo sind die denn in Ihrem Haushalt? Ich
sehe nicht, dass Sie das, was Sie selbst aufgeschrieben
haben, unbedingt ernst nehmen.

Auch wenn der Kollege Küster meint, damit würden
wir die Situation schlechtreden, muss doch erwähnt wer-
den, dass wir in Deutschland im Schnitt bestenfalls noch
70 Prozent der Infrastruktur uneingeschränkt nutzen
können. Der Rest ist bereits nicht mehr oder nur noch
eingeschränkt nutzbar. Der Verfall geht konzentriert und
stetig weiter. Je weniger schnell Sie reagieren, desto zü-
giger wird der Verfall vonstatten gehen.

Das ist ja nicht das Einzige. Durch den Anstieg des
Verkehrs, der durch die EU-Osterweiterung ja nicht we-
niger, sondern eher mehr geworden ist, weisen
30 Prozent unserer Autobahnen in Deutschland mittler-
weile eine tägliche Verkehrsdichte von 65 000 Fahrzeu-
gen auf. Dies bedingt eine Durchschnittsgeschwindig-
keit von unter 60 Stundenkilometern. Rund 20 Prozent






(A) (C)



(B) (D)


Horst Friedrich (Bayreuth)


der deutschen Autobahnen weisen bereits eine tägliche
Verkehrsdichte von über 80 000 Fahrzeugen auf. Das
heißt, hier geht nichts mehr. Trotzdem sagen Sie, man
solle die deutsche Verkehrsinfrastruktur nicht schlechtre-
den. Herr Minister, ich glaube, Sie haben die Zeichen der
Zeit nicht erkannt.

Das gilt genauso für die Bahn. Eigentlich kann man
das, was der Kollege Schmidt ausgeführt hat, nur unter-
streichen. Aber wer lässt denn das Ganze zu?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, genau!)

Wer sitzt denn an den Schaltstellen? Wer kritisiert denn
andere, wenn sie sagen, dass sich entgegen der Meinung
in der Geschäftsführung der Bahn an der Positionierung
am Markt etwas ändern muss? Was ist denn, wenn
jemand wie die FDP kommt und endlich auch Wettbe-
werb auf der Schiene fordert? Das wird ja krampfhaft
verhindert.


(Beifall bei der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Es gibt doch keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten!)


Wenn der deutsche Eisenbahnfahrer nur die Wahl
zwischen der Deutschen Bahn und der Deutschen Bahn
hat, dann wird sich nichts ändern.

Es nützt dann auch nichts, dass sich der Kollege
Schmidt hier hinstellt und auch im Hinblick auf die Bau-
industrie von dem Untergang der Bahnwelt spricht. Die
Charts haben wir ja alle. Im Übrigen, Herr Minister: Bei
den der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
in diesem Jahr zur Verfügung gestellten Geldern für die
Bahn – es sind knapp 800 Millionen Euro – hatten wir
bis Mitte des Jahres einen Mittelabfluss von Null.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! 250 ist die richtige Zahl!)


Im Juli betrug er auch Null. Es kann ja vielleicht noch
besser werden. Mit einem Mittelabfluss von Null kann
man aber weder Schienen bauen noch Arbeitsplätze in
der Bauindustrie erhalten. Insofern hat der Kollege
Oswald völlig Recht.

Vor diesem Hintergrund wurde gestern erklärt, dass
das Ausbauziel für die Eisenbahnstrecke von Mannheim
nach Basel bis 2008 zu erreichen sei, weil die Bahn bis
2008 480 Millionen Euro an Eigenmitteln zusätzlich
hineingeben wird. Nach dem, was der Kollege Schmidt
gesagt hat, kann man eigentlich nur fragen, wo die denn
herkommen sollen. Gibt es hier eine wundersame Geld-
vermehrung oder habe ich irgendetwas versäumt?

Entgegen den Aussagen der Bahn – sowohl von Herrn
Mehdorn als auch von Herrn Sack – wird auch bei den
Investitionen gespart. Es ist ja nicht so, wie es in der Zei-
tung steht, nämlich dass die Investitionen weiterhin getä-
tigt werden. Nein, jede einzelne Investitionsentschei-
dung muss genehmigt werden. Alle Budgets wurden
gedeckelt und die freie Verfügbarkeit über diese wurde
gestoppt. Wer bei der Bahn derzeit Geld ausgeben will,
muss sich das in jedem Einzelfall vom Bahnvorstand
höchstpersönlich genehmigen lassen. Dieser hat nur ein
Ziel: Er möchte am Jahresende 2004 – koste es, was es
wolle, und unter Inkaufnahme aller Probleme – bewei-
sen, dass die Bahn börsenfähig ist.

Am meisten ärgert mich, dass die Mehrzahl der
Bauauftragnehmer in Deutschland – das sind gut
168 kleine und mittelständische Unternehmen mit knapp
11 000 Mitarbeitern, die bisher familiär und hoch quali-
tativ geführt worden sind – am Jahresende nur deshalb
vor dem Konkurs steht,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jawohl!)

weil die Bahn nicht bereit ist, das Geld, das selbst diese
Bundesregierung ihr gegeben hat, tatsächlich auszuge-
ben. Das sehe ich bei diesem Thema als wirklichen
Skandal an.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wir sind in tiefer Sorge wegen dieses Zustandes!)


Ich komme zum Thema Transrapid, der unendlichen
Geschichte. Herr Stolpe, mit großer Freude habe ich ge-
hört, dass Sie zu Ihren Verpflichtungen gegenüber der
Bayerischen Staatsregierung stehen und endlich die
Fertigstellung der Strecke auf den Weg bringen wollen.
Sie haben in Ihren Haushaltsreden mehrfach angedeutet,
dass für die Einführung dieser Technik in Deutschland
2,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen werden. Wenn
ich es richtig in Erinnerung habe, ist das Projekt, mit
dem sich Bayern die Mittel teilen sollte, der Metrorapid
in NRW, auf Wunsch der Landesregierung in Nordrhein-
Westfalen eingestellt worden. Was hindert Sie eigentlich
daran, Herr Minister, das für diese Technik insgesamt
zur Verfügung stehende Geld, welches man damals im
Einvernehmen mit der Magnetschwebebahnindustrie
nach dem Ende der Strecke Berlin–Hamburg bereit-
gestellt hat, auf eine Strecke zu konzentrieren, damit
Deutschland tatsächlich einmal in der Lage ist, Innova-
tionen auch auf diesem Sektor umzusetzen?


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Haushaltsverantwortung!)


Es ist doch relativer Nonsens, wenn Frau Bulmahn er-
klärt, wir müssten Forschung fördern, und zwar mit dem
blöden Schlagwort „Bildung statt Beton“, wenn gleich-
zeitig eine Realisierung einer in der Welt federführenden
Technik, über die wir verfügen, verhindert wird. Im
Zweifel laufen wir Gefahr, dass wir diese Technik ir-
gendwann aus dem Ausland zurückkaufen zu müssen.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das glaube ich nicht! Das will kein Mensch! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wenn sie keiner will, kaufen wir sie auch nicht aus dem Ausland zurück!)


Wie hoch qualifiziert die deutsche Bahnindustrie ist, ha-
ben wir gerade beim Wettbewerb in China gemerkt.


(Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Die Chinesen haben vielleicht eine intelligentere Stra-
tegie, Herr Kollege Schmidt; das muss nicht jeder nach-
vollziehen. Ich schließe aber nicht aus, dass die Chine-






(A) (C)



(B) (D)


Horst Friedrich (Bayreuth)


sen Industrie und technisches Know-how aus aller Welt
kaufen, auswerten und dann irgendwann drohen: Wenn
ihr uns die Netzpläne und alles, was dazugehört, nicht
liefert, dann kaufen wir von euch nichts mehr. – Das
könnte dann bedenklich werden. Dazu möchte ich aber
nicht weiter ausführen.

Ich bleibe dabei, Herr Minister: Investitionen sind in
Deutschland ein Schicksalsthema.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Richtig!)

Wer will, dass der Osten einen Aufschwung erlebt, dass
Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, dass sich Bil-
dungsinvestitionen lohnen, dass sich auch Investitionen
von privaten Eigentümern in Wohnungen und in den
Städtebau lohnen, der muss auch in die Verkehrswege
investieren.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch!)


Nur Investitionen sichern die Zukunft der Menschen.
Wer auf den Verzehr von Substanz setzt, der kann das

nur so lange machen, bis die Substanz aufgebraucht ist.
Wenn sie weg ist, ist sie weg. Es geht vordergründig
nicht um den Umsatz in der Bauwirtschaft oder um Auf-
träge für die Hersteller in der Bahnindustrie.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

Es geht darum, dass durch die Verweigerung von Rot-
Grün das Gegenteil von dem erreicht wird, was Sie an-
streben. Sie setzen vollmundig auf neue Arbeitsplätze
und beschließen Gesetze wie die Hartz-IV-Reform, mit
denen neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Aber mit Ih-
rer Politik im investiven Bereich und im Verkehrswege-
bau machen Sie das genaue Gegenteil: Sie sabotieren die
Voraussetzungen für den Verkehrswegebau. Diesen Weg
werden wir nicht mitgehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Mit dieser Rede können wir eine Koalition beschließen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512314300

Nun hat die Kollegin Faße für die SPD-Fraktion das

Wort.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1512314400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Herren von CDU/CSU und FDP, Horrorszenarien
lösen keine Probleme.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ihr Haushaltsansatz auch nicht!)


Das muss man Ihnen heute wohl klar und deutlich sagen;
denn auch Sie tragen in vielen Punkten Verantwortung.
Das betrifft auch die Instandhaltungsquote. Ich glaube
nicht, dass Sie behaupten können, der Vorgabe der In-
standhaltung der Straßen in den 16 Jahren Ihrer Regie-
rungszeit gerecht geworden zu sein. Der Zustand der
Straßen ist ja nicht plötzlich schlecht geworden. Das
hängt auch mit der Historie zusammen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Der große Historiker mit dem Mantel der Geschichte ist nicht mehr da!)


Der Einzelplan 12 ist besser, als Sie ihn versuchen
darzustellen. Ihre Kritik ist überzogen. Ihre andauernde
Forderung nach mehr Geld ist unrealistisch. Auch wir
fänden es schön, wenn es Goldstücke regnen würde. Das
ist aber nicht der Fall. Von daher sind Ihre überzogenen
Forderungen völlig daneben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Umsetzung der Koch/Steinbrück-Vorschläge

und die Vorgaben der globalen Minderausgabe finden
sich auch im Einzelplan 12 wieder. Ich muss wohl daran
erinnern, dass die Opposition den Sparmaßnahmen aus
dem Koch/Steinbrück-Papier zugestimmt hat. Das schei-
nen Sie nämlich manchmal zu vergessen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Verdrängungswettbewerb!)


Mit knapp 23,22 Milliarden Euro ist und bleibt dieser
Haushalt der viertgrößte Einzelhaushalt, und das obwohl
gegenüber dem bereinigten Soll 2004 im Einzelplan 12
für das Jahr 2005 rund 1,57 Milliarden Euro weniger zur
Verfügung stehen. Dieses Minus – darauf muss auch
noch einmal hingewiesen werden – ist überwiegend
darauf zurückzuführen, dass durch die Umsetzung von
Hartz IV das Wohngeld aus dem Einzelplan heraus-
genommen wurde, und zwar ohne eine Kürzung des
Wohngeldes an sich. Wir haben also ein Minus von
2,3 Prozent zu verkraften.

Der größte Investitionshaushalt des Bundes – ich sage
das noch einmal klar und deutlich – bleibt unser Haus-
halt. Das ist auch richtig so und wichtig. Uns ist wichtig:
Die Kontinuität der Investitionen auf hohem Niveau
muss Planungssicherheit für die Verkehrsträger und für
die Industrie schaffen. Wir haben hier unsere Hausaufga-
ben gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Erinnerung: Zu der Zeit, als Sie die Regierung
stellten, lagen die Verkehrsinvestitionen zuletzt bei
9,5 Milliarden Euro, und das zu einer Zeit, in der die
Konjunktur mit der heutigen überhaupt nicht zu verglei-
chen ist.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Das ist über 1 Milliarde weniger als bei uns! Wie kommt das, ihr Helden des Verkehrswesens?)


Wir wissen: Infrastrukturinvestitionen sind Zukunfts-
investitionen in den wirtschaftlichen, sozialen und ge-
sellschaftlichen Standort Deutschland. 1 Milliarde Euro
schaffen und sichern 25 000 Arbeitsplätze. Unsere
Investitionsschwerpunkte für das Jahr 2005 liegen im
Erhalt und in der Modernisierung des Bestandsnetzes
von Schiene, Straße und Wasserstraße. Hier gilt es Prio-
ritäten zu setzen. Dazu gehören die Weiterführung der
laufenden Vorhaben, die Verkehrsprojekte „Deutsche






(A) (C)



(B) (D)


Annette Faße

Einheit“ und die Vorhaben zur Bewältigung der Ver-
kehre im Zusammenhang mit der Erweiterung der Euro-
päischen Union.

Wir sehen in der Mitveranschlagung der eingeplanten
Mittel aus der LKW-Maut kein Risiko.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das hat man 2003 auch schon gehört!)


Wir alle wissen, wie schwierig es war, haushaltsmäßig
zu klären,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das haben Sie im letzten Jahr auch erzählt!)


wie die nicht erfolgte rechtzeitige Einführung der Maut
auf den Haushalt gewirkt hat. Aber wir stellen hier ein
System um und das wird uns zum 1. Januar 2005 gelin-
gen. Wir wissen aus den Zwischenberichten, dass alles
positiv gelaufen ist. Ich finde, wir sind gemeinsam in der
Verantwortung. Heute habe ich im Frühstücksfernsehen
gesehen, welche Horrorszenarien ein Kollege der CDU
gezeichnet hat. Das halte ich für unverantwortlich. Sie
sollten mit dem Gewerbe und dem Verband darauf drän-
gen, dass endlich die On Board Units, die vorhanden
sind, bestellt werden. Dann brauchen wir uns auch keine
Gedanken über Schlangen an den Tankstellen zu ma-
chen.


(Beifall bei der SPD)

Zur Bahn ist einiges gesagt worden. Der Kollege

Weis wird detailliert darauf eingehen. Ich sage ganz klar:
Die 2,5 Milliarden Euro, die wir der DB AG für die Er-
satzinvestitionen zur Verfügung gestellt haben, wurden
von der DB AG als ausreichend betrachtet. Aber – darin
sind wir uns alle einig – die DB AG muss dieses Geld
auch abrufen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ach was!)

Sie muss Planungs- und Bauaufträge vergeben und darf
nicht die eigenen Planungskapazitäten zurückfahren. Es
ist richtig, dass wir oft darüber diskutieren, dass die Mit-
tel nicht abfließen. Wir haben extra Gelder für Planungs-
kapazitäten freigestellt. Wir haben unsere Hausaufgaben
gemacht. Wir sehen die DB AG und den Vorstand in be-
sonderer Verantwortung. Wir, die Regierung und die Ab-
geordneten, lassen uns nicht den Schwarzen Peter zu-
spielen, um das deutlich zu sagen. Auch Herr Mehdorn
trägt Verantwortung für die Arbeitsplätze in unserem
Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass die Wasser-
straßen im integrierten Verkehrssystem unverzichtbar
sind.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Die investiven Mittel in Höhe von rund 625 Millionen
Euro werden auf Projekte konzentriert, die für den Erhalt
und die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
keit des Wasserstraßennetzes von besonderer Bedeutung
sind und einen hohen verkehrswirtschaftlichen Nutzen
versprechen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sind die Grünen damit einverstanden?)


Mein persönlicher Wunsch und der Wunsch des Ge-
werbes wäre es, eine Aufstockung der Mittel zu errei-
chen. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass die
Infrastruktur auf den Wasserstraßen nicht das einzige
Problem unserer Binnenschifffahrt ist. Um die Probleme
zu lösen, haben wir ein Gutachten vorgelegt und das Fo-
rum „Binnenschifffahrt und Logistik“ gegründet. Am
20. September wird ein erster Zwischenbericht vorgelegt
werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir dem Gewerbe
helfen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, auch das Maritime Bünd-

nis liegt mir natürlich ganz besonders am Herzen. Wir
stehen zum Maritimen Bündnis. Das zeigt sich auch da-
ran, dass wir wieder 44,8 Millionen Euro an Bundes-
zuwendungen in den Haushalt eingestellt haben. Wir
sichern damit Arbeitsplätze deutscher Seeleute an Bord
und die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses.
Wir halten Wort und gehen davon aus, dass die Reeder
dies auch tun. Wir erwarten Rückflaggungen im dreistel-
ligen Bereich. Sollten wir über den zugesagten mindes-
tens 100 liegen, dann müssten wir uns allerdings die mit-
telfristige Finanzplanung noch einmal genau ansehen.
Wir stehen zu dem Versprechen, das wir gegeben haben.
Auf diese Bundesregierung ist Verlass.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Davon sind wir nicht überzeugt!)


Jetzt komme ich zu dem schon angesprochenen
Thema Transrapid. Wir bleiben dabei, dass der Magnet-
schwebetechnik in Deutschland eine Chance zu geben
ist. Wir sagen auch ganz klar und deutlich: Dies ist ein
Landesprojekt. Der Bund unterstützt dieses Projekt,


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


aber Voraussetzung dafür, dass die derzeitige Sperre
– sie ist auch im Haushalt 2005 wieder vorgesehen – be-
seitigt werden kann, ist ein tragfähiges Gesamtfinanzie-
rungskonzept des Landes Bayern, nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf warten wir bis heute!)


Das Land hat das vorzulegen. Wir sollten hier auch kei-
nen Hoffnungen Raum geben, dass das Geld, das NRW
zugestanden hätte, jetzt einfach Bayern bekommen wird.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So muss es sein!)


Man hat Bayern eine Summe zugesagt, zu der wir ste-
hen. Mehr, meine Damen und Herren, wird nicht passie-
ren. Der Ball liegt bei Bayern und nicht bei uns.






(A) (C)



(B) (D)


Annette Faße


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Positiv zu bewerten, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ist die Entwicklung im kombinierten Verkehr. Hier ha-
ben wir Gelder zur Verfügung gestellt, deren Einsatz
sich positiv ausgewirkt hat. Viele haben gesagt, der
Kombiverkehr werde weiter langsam abnehmen und
sterben. Das ist nicht der Fall: Er hat positive Zahlen zu
vermerken. Ich muss auch sagen, dass ich mich bei ei-
nem Besuch des Hafens in Braunschweig sehr gefreut
habe: VW verlegt Transporte aufs Wasser, Ikea verlegt
Transporte aufs Wasser.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Hoffentlich gehen sie nicht unter, wenn sie aufs Wasser gehen!)


Auch die Industrie merkt also, wie sinnvoll die Nutzung
unserer Wasserstraßen ist.

Wir haben auch keine Kürzungen in dem für uns
wichtigen Bereich der Verkehrssicherheit vorgenommen.
Dieser Bereich liegt uns weiterhin sehr am Herzen. Wir
haben einen Rückgang bei der Zahl der Verkehrstoten zu
vermelden. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg
sind. Wir werden gemeinsam mit den Verbänden weiter
an einer Verbesserung der Verkehrssicherheit arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in diesem Haushalt zum ersten Mal drei
Stellen, an denen gesondert Mittel für Radwege bereit-
gestellt werden: an den Bundesfernstraßen, an den Bun-
deswasserstraßen und 2 Millionen Euro zur Umsetzung
des Nationalen Radverkehrsplanes. Ich meine, dass das
ein deutliches Zeichen dafür ist, dass wir auch diesen
Verkehrsträger nicht vergessen; wir berücksichtigen ihn
und werfen entsprechende Studien nicht einfach in den
Papierkorb, sondern setzen sie konsequent um.

Lassen Sie mich zum Schluss zu einem Thema Stel-
lung nehmen, über das ich mich bei meinen Recherchen
gefreut habe: Das ist die Situation der Ausbildungs-
plätze in unserem Ministerium.


(Beifall bei der SPD – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das muss man einmal laut sagen!)


Meine Anfrage hat dazu beigetragen, dass wir schon im
Jahr 2004 unser Ausbildungsplatzangebot von 7 Prozent
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zur Ver-
fügung stellen. Das reicht so aber nicht aus: Auch das
Ministerium übernimmt Verantwortung und stellt zusätz-
liche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Die Zahl der
Ausbildungsverhältnisse soll von zurzeit 1 177 auf
1 429 erhöht werden. Das ist ein gutes Zeichen für die
jungen Menschen in unserem Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist jetzt Sache der Abgeordneten, im Fachaus-
schuss über den vorliegenden Haushaltsentwurf zu bera-
ten. Ich bin gespannt, welche Anträge von Ihnen kom-
men werden. Wenn es – wie bei den Anträgen zum
Bundesverkehrswegeplan – wieder um die Zahlen geht,
dann wissen Sie, was damit passiert. Aber vielleicht kön-
nen wir uns bei einigen Änderungsanträgen auch eini-
gen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512314500

Das Wort hat der Kollege Norbert Königshofen,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Königshofen (CDU):
Rede ID: ID1512314600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

80 Prozent der Bürger haben kein Vertrauen in die
Finanzpolitik der Bundesregierung. Mit dieser Feststel-
lung, dem Ergebnis einer Emnid-Umfrage, habe ich in
der letztjährigen Haushaltsdebatte meine Rede begon-
nen. Nun, meine Damen und Herren von der Koalition,
mit der Vorlage des Haushalts 2005 dürften Sie auch das
Vertrauen der übrigen 20 Prozent verspielen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn aus Ihren vollmundigen Ankündigungen, Deutsch-
land fit für die Zukunft zu machen, ist wieder nichts ge-
worden. Der Haushalt 2005 ist ein Dokument nicht ge-
haltener Versprechen und ein Dokument des Scheiterns.
Das gilt auch und besonders für den Verkehrsbereich, zu
dem Sie, Herr Minister Dr. Stolpe, gerade in Ihrer Rede
feststellten, dass er über Deutschlands Zukunft ent-
scheide. Ich frage Sie: Was ist aus Ihrem Zukunftspro-
gramm Mobilität geworden? Was ist aus Ihrer zukunfts-
orientierten Investitionspolitik geworden? Was ist aus
Ihren Zusagen und Versprechen geworden? Die Antwort
lautet schlicht und einfach: Nichts, gar nichts!


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Schaufensterreden!)


Nehmen wir als Beispiel die LKW-Maut. Mit ihrer
Einführung sollte bekanntlich zweierlei erreicht werden:
Zum einen sollten die Wettbewerbsverzerrungen zulasten
des deutschen Güterkraftgewerbes gemindert werden.
Zum anderen sollten zusätzliche Mittel für Verkehrsin-
vestitionen mobilisiert werden. Beide Versprechen haben
Sie von Rot-Grün gebrochen. Die Erfüllung des ersten
Versprechens scheiterte daran, dass Sie sich in Brüssel
viel zu spät und dann nicht hart genug für das deutsche
Güterkraftgewerbe eingesetzt haben. Es ist daher kein
Wunder, dass die Verhandlungen bis jetzt ohne positives
Ergebnis geblieben sind.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Deshalb ist die Mauthöhe auch gesenkt worden!)


– Die Maut ist zwar gesenkt worden, aber für alle. Da-
durch sind die Wettbewerbsverzerrungen nicht beseitigt,
mein lieber Kollege.

Schlimmer aber als die Nichteinlösung des Verspre-
chens, 600 Millionen Euro als Ausgleich zu zahlen, ist
der Bruch des zweiten Versprechens. Hier geht es ja um
zusätzliche Milliardeninvestitionen in den Verkehrsbe-
reich. So heißt es beispielsweise nach der Vereinbarung






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Königshofen

des Vermittlungsausschusses vom 21. März 2003 in
§ 11 des Mautgesetzes – ich darf das zitieren –:

Das verbleibende Mautaufkommen wird zusätzlich
dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Um-
fang zweckgebunden für die Verbesserung der Ver-
kehrsinfrastruktur, überwiegend für den Bundes-
fernstraßenbau, verwendet.

Davon kann im vorliegenden Haushaltsentwurf keine
Rede sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genauso wie im letzten Jahr senken Sie die steuer-

finanzierten Investitionen. Die dafür eingesetzten
Mauteinnahmen gleichen das noch nicht einmal aus. Das
heißt, es fließt nicht mehr, sondern weniger Geld in die
Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine klare Verletzung des
Mautgesetzes. Dabei ist noch keineswegs sicher, dass
die für 2005 in den Haushalt eingestellten Mauteinnah-
men in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für Investitionen
zur Verfügung stehen. Nicht nur für den Finanzexperten
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
Vesper, ist völlig offen, ob das Mautsystem 2005 endlich
funktionieren wird. Herr Minister, wir haben ja diesbe-
züglich unsere schmerzhaften Erfahrungen. Ich hoffe,
dass Sie mit Ihrem Optimismus Recht haben; denn wir
brauchen das Geld dringend. Aber wir haben ja unsere
Erfahrungen gemacht. Wie oft sind wir da vertröstet
worden!

Doch selbst wenn die Mauteinnahmen pünktlich flie-
ßen, fehlen im Vergleich zu 2004 rund 542 Millionen
Euro, im Vergleich zu 2003 sogar 800 Millionen Euro.

Insgesamt reicht die mangelnde Investitionsbereit-
schaft nicht einmal aus, den schleichenden Substanzver-
lust auf Deutschlands Autobahnen und Bundesstraßen
aufzuhalten, und das, obwohl der Staat durch Steuern
und Abgaben im Bereich Straßenverkehr – nehmen wir
einmal die Mineralölsteuer – zurzeit circa 50 Milliarden
Euro pro Jahr einnimmt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mit Maut wären es 53 Milliarden Euro!)


Herr Minister, das ist schlichtweg ein Skandal. Es ist
zu befürchten, dass das noch nicht einmal das Ende der
Fahnenstange sein wird. Am Ende der Haushaltsberatun-
gen wird, so fürchte ich, noch weniger zur Verfügung
stehen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist zu erwarten!)


Doch nicht nur die Straßenbauinvestitionen kommen
bei Ihnen stiefmütterlich weg. Das Gleiche gilt für die
Schiene, eigentlich ein Lieblingskind der rot-grünen Ko-
alition. Herr Kollege Oswald hat überzeugend dargelegt,
dass die Entwicklung auf diesem Gebiet negativ sein
wird. Wohin das Ganze führt, konnte man in der „FAZ“
am Montag nachlesen: Die Deutsche Bahn wird ihr Per-
sonal wegen der sinkenden Bundesmittel für die Schie-
neninfrastruktur für die Planung von Investitionsvorha-
ben reduzieren, und zwar um 1 500 Stellen; von
5 400 Stellen fallen 1 500 weg und auch die externen
Planungsbüros bekommen weniger Aufträge.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie glauben auch jeder Propaganda, was?)


– Nein, das steht in der „FAZ“.

(Heiterkeit bei der SPD)


Ich glaube gar nicht, dass das Propaganda ist; denn
selbst Herr Kollege Schmidt von den Grünen hat das be-
krittelt.

Ich muss hinzufügen: Herr Schmidt nimmt hier eine
ganz eigenartige Rolle ein. Er spielt so ein bisschen
Opposition in der Koalition. Man überlässt der SPD das
Unangenehme – für die Grünen ist das angenehm – und
selbst stellt man sich als Retter der Entrechteten dar. Das
müssen Sie natürlich intern klären. Meine Damen und
Herren von der SPD, was ich vorgetragen habe, ist nicht
nur eine Behauptung der „FAZ“, sondern es wird selbst
von Ihrem Koalitionspartner behauptet.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist die Realität!)


– Das ist die Realität.
Nachdem ich das alles gehört habe, weiß ich nicht,

Herr Minister, woher Sie Ihren Optimismus in Bezug auf
den Rhein-Ruhr-Express nehmen.

Wie es Frau Faße eben erst getan hat, wird für diese
Kahlschlagpolitik gern das Koch/Steinbrück-Papier
herangezogen. Das Koch/Steinbrück-Papier ist aber eine
Liste von Vorschlägen zum Subventionsabbau und keine
Liste mit Vorschlägen zu Investitionskürzungen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Wahrheit muss man abkönnen! – Annette Faße [SPD]: Falsch! Sie haben das nicht gelesen!)


– Nein. – Die beiden Ministerpräsidenten, also auch Ihr
Ministerpräsident Steinbrück, SPD, haben in einem
Brief vom 25. März an Herrn Dr. Stolpe klargestellt
– Frau Faße, ich zitiere das gern –:

Unsere Vorschläge bewirken einen Subventionsab-
bau auf breiter Front. Dabei ist aber stets darauf ab-
gestellt worden, dass es keine Verwechslungen zwi-
schen Infrastruktur-Investitionen und Subventionen
geben kann und darf. Schon gar nicht haben wir
Vorschläge zur Kürzung von Investitionen des drin-
gend benötigten weiteren Ausbaus der Bundesfern-
straßen gemacht. Deshalb ist Ihre Begründung der
Kürzung von Investitionen unter Berufung auf un-
sere Vorschläge schlicht falsch.

So die beiden Ministerpräsidenten. Sie können es ja
gerne nachlesen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Alles andere ist falsch!)


– Alles andere ist Geschichtsklitterung und -fälschung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Norbert Königshofen

Sie können sich nicht auf das Koch/Steinbrück-Papier

berufen. Es ist Ihre politische Entscheidung, zu kürzen.
Sie haben den Verkehrshaushalt nämlich immer als
Steinbruch zur Finanzierung anderer Maßnahmen ge-
braucht. Sie verwechseln gern Investitionen und Sub-
ventionen. Solche Verwechslungen haben bei Ihnen ja
Tradition. Ich brauche nur daran zu erinnern, dass Herr
Scharping einst brutto und netto verwechselt hat.


(Annette Faße [SPD]: Unsinn! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das sind doch olle Kamellen!)


– Nein, das ist Ihre Tradition, Herr Kollege!

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Verwechseln ist deren Tradition!)

Der Entwurf des Einzelplans 12 belegt, dass die rot-

grüne Koalition ihrem Anspruch, die Mobilität in
Deutschland zu fördern, nicht gerecht wird. Von daher
lehnen wir den von Ihnen, meine Damen und Herren,
vorgelegten Entwurf – jedenfalls in dieser Fassung – ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512314700

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier,

SPD-Fraktion.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1512314800

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Herr Königshofen, doch noch einmal zur Klar-
stellung und Erinnerung: Im Koch/Steinbrück-Papier war
sehr wohl eine massive Kürzung von Investitionen, näm-
lich im Bereich Schiene, vorgesehen.


(Annette Faße [SPD]: Und Wasserstraßen!)

– Und Wasserstraßen. – Wir haben das anders aufgeteilt,
nämlich entsprechend dem normalen Anteil der Investi-
tionen für Schiene, Straße und Wasserstraße. Ich darf Sie
von der CDU, Sie von der CSU und Sie von der FDP da-
ran erinnern – das tue ich hier schon zum wiederholten
Male –, dass wir alle gemeinsam hier im Deutschen
Bundestag das Ergebnis des Vermittlungsausschusses in
namentlicher Abstimmung angenommen haben


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber Sie haben es eigenmächtig umgesetzt!)


und damit auch dieser Kürzung der Investitionen, mit
anderer Aufteilung, zugestimmt haben. Wenn Sie es lie-
ber hätten, dass 600 Millionen Euro ausschließlich bei
der Bahn gekürzt werden, können Sie das gern hier in al-
ler Öffentlichkeit sagen.


(Beifall bei der SPD)

Zu Herrn Oswald. Sie spielen in dieser Woche wieder

einmal das übliche Spiel. Sie sagen: natürlich keine
Steuererhöhungen, natürlich eine weitere Begrenzung
der Verschuldung. Aber gleichzeitig fordern Sie deutli-
che Steigerungen der Ausgaben, diesmal allerdings ohne
Milliardensummen zu nennen.

(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kommt in der zweiten Lesung!)


Dieses Spiel müssen wir leider jedes Jahr erleben.
Sie setzen noch eins drauf. Ihre Zukunftspläne sind

Steuersenkung und Kopfpauschale; Gesamtkosten rund
100 Milliarden Euro. Da verfahren Sie nach dem Motto:
Was soll es? Man kann ja viel versprechen. – Das ist nun
wirklich unseriös.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass wir die Realität in unserem Land unterschiedlich
einschätzen und beschreiben, gehört auch mit zu dem
Spiel. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich manch-
mal wundern, weil sie ein eigenes Bild von der Wirklich-
keit haben.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Bürgerinnen und Bürger wählen!)


Zur Wirklichkeit im Bereich des Wohnens gehört: Der
Wohnungsmarkt ist weithin ausgeglichen. In den Bal-
lungszentren gibt es allerdings Engpässe; das ist richtig.
In den letzten zwölf Monaten ist ein Anstieg der Mieten
inklusive Nebenkosten von nur einem einzigen Prozent
zu verzeichnen. Er liegt deutlich unter dem Anstieg des
Indexes für die Lebenshaltungskosten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Weil die Mieten sinken und die Nebenkosten steigen!)


Es gibt allerdings schon jetzt – das will ich hier aus-
drücklich unterstreichen – erste Anzeichen für eine
Anspannung im preiswerten Wohnungssegment. Diese
werden sich zukünftig sicherlich noch verstärken. Preis-
werte Wohnungen werden knapp, nicht nur in den Bal-
lungszentren.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es ist schon ein Fortschritt, dass Sie das erkennen! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Warum denn wohl?)


Deswegen darf ich uns alle daran erinnern – das sage ich
an dieser Stelle mit allem Ernst –, welch hohe Bedeu-
tung das Wohngeld hat, und zwar ein ungekürztes Wohn-
geld.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Welch hohe Bedeutung Eigentum hat!)


– Zum Eigentum komme ich gleich.
Herr Oswald, Sie fordern hier eine Ankurbelung des

Mietwohnungsbaus. Ich weiß nicht, wo Sie die Wohnun-
gen bauen wollen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie müssen ganz genau zuhören!)


in Hoyerswerda, in Wilhelmshaven, in Duisburg oder bei
mir zu Hause, in Herford. Das wäre doch völlig am Be-
darf vorbei. Wir können uns in diesem Land solche staat-
lich geförderten Investitionsruinen ansehen. Diesen Feh-
ler sollten wir nicht noch einmal begehen.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Kein Mensch will so etwas!)


Gerade in unserem Bereich, in der Städtebau- und
Wohnungspolitik, kommt es auf die langen Linien der
Politik an. Wir müssen wirklich mittel- und langfristig
denken und uns rechtzeitig – es handelt sich nämlich um
langlebige Investitionen – auf die Auswirkungen des de-
mographischen Wandels einstellen. Wir haben diesen
Paradigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungs-
politik bereits vollzogen, Sie noch nicht ganz; aber eine
gewisse Lernfähigkeit unterstelle ich Ihnen heute ein-
fach mal.

Wir können hier diskutieren, wie wir wollen, und for-
dern, was wir wollen: Die Finanzlage der öffentlichen
Hand – Bund, Länder und Kommunen – ist nun einmal
so, wie sie ist. Wenn Sie in die Länderhaushalte schauen,
auch in die von CDU-regierten Ländern, dann werden
Sie sehen, dass die Länder ebenfalls nicht um massive
Kürzungen und Einsparungen herumkommen. Sie haben
ebenfalls weder den Verkehrsetat noch den Etat für Städ-
tebau und Wohnen ausgenommen.

Zur Eigenheimzulage: Da sind wir uns einig. Sie
müssen einem Ostwestfalen nicht erklären, welche Be-
deutung das Eigenheim für die Menschen hat.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! Erstes Mal Zustimmung!)


Wir haben eine hohe Eigentumsquote. Aber darum geht
es überhaupt nicht. Herr Oswald, Sie wissen, dass Herr
Stoiber – Ihnen bekannt –, Herr Faltlhauser – Ihnen be-
kannt, zur Information der anderen: bayerischer Finanz-
minister und ehemaliger Staatssekretär –,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gute, exzellente Leute!)


Herr Merz und viele weitere – ich könnte die schwarze
Liste fortsetzen – öffentlich die Streichung der Eigen-
heimzulage gefordert haben. Da wundere ich mich, wel-
che Position Sie heute einnehmen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Das ist so. Ich könnte es Ihnen nachweisen. Sie wissen,
dass ich solche Dinge nicht leichtfertig sage, schon gar
nicht in aller Öffentlichkeit. – All die Genannten fordern
die Abschaffung und wollen das Geld für einen anderen
Zweck – entschuldigen Sie diesen platten Ausdruck –
verbraten, nämlich für die von Ihnen als Fata Morgana
beschworene massive Steuersenkung,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Richtig zitieren! – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird der Schuldenberg noch größer!)


die insbesondere die Senkung des Spitzensteuersatzes
auf 36 Prozent umfasst. Ich kann Ihnen das nachweisen.
Das ist schlicht und einfach so. Deswegen sind wir auf
die Diskussionen der nächsten Wochen gespannt.

Wir müssen also einfach angesichts der demographi-
schen Entwicklung einsehen, dass Neubau zunehmend
eine geringere Rolle spielen muss, vor allen Dingen,
wenn er öffentlich gefördert wird. Jede andere Annahme
wäre unvernünftig. Wir müssen – auch mir fällt das
manchmal schwer – Prioritäten anders setzen und da, wo
wir Subventionen geben, schauen, dass sie möglichst
sinnvoll und möglichst zukunftsweisend eingesetzt wer-
den. Der Vorschlag der Bundesregierung geht genau in
diese Richtung. Das verlangt von uns Wohnungspoliti-
kern zwar einfach ein Stück weit auch Umdenken, aber
ich glaube, dass wir das nachvollziehen können.

Es findet eine Umschichtung in Richtung Bildung und
Forschung statt, aber auch eine Umschichtung in Rich-
tung Städtebauförderung. Von den Mitteln, die wir
durch die gemeinsam beschlossene 30-prozentige Kür-
zung der Eigenheimzulage freigesetzt haben – so viel sage
ich noch einmal zu Ihren glühenden Bekenntnissen –,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eines der am besten gehüteten Geheimnisse!)


werden 25 Prozent für die unterschiedlichen Haushalts-
positionen der Städtebauförderung verwendet.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich dachte, das ginge in die Konsolidierung!)


Das Stadtumbauprogramm ist uns also sehr wichtig. Wir
halten uns hierbei an die verabredete Finanzierung. Für
uns ist es auch sehr wichtig, dass wir jetzt endlich das
Stadtumbauprogramm West starten können. Uns ist auch
– das haben wir ja übrigens gemeinsam im Baugesetz-
buch verankert – das Programm „Soziale Stadt“ sehr
wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind froh, dass wir hier das finanzielle Niveau ver-
stetigen konnten.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512314900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Faße?

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bestellte Frage!)


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1512315000

Natürlich, klar. Es wird zwar behauptet, sie sei be-

stellt, aber ich bin gespannt, was sie fragt.

Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1512315100

Herr Kollege Spanier, ich möchte gerne auf das Stich-

wort „Soziale Stadt“ eingehen und nachfragen, ob Ihnen
bekannt ist und, wenn ja, wie Sie es bewerten, dass das
Land Niedersachsen den Anteil, den es für dieses Pro-
gramm im Jahr 2005 zu tragen hätte, vollkommen gestri-
chen hat.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Weil sie kein Geld mehr haben!)



Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1512315200

Wir alle waren uns politisch einig, dass das Programm

„Soziale Stadt“ an der richtigen Stelle ansetzt. Deswe-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier

gen gibt es ja auch weit über 250 Projekte in Deutsch-
land, verteilt auf alle Bundesländer. Es wäre natürlich
eine schlimme Sache, wenn eine Signalwirkung von
dem Verhalten Niedersachsens ausginge, sich die Länder
möglicherweise wie bei einem Dominoeffekt Schritt für
Schritt von der Mitfinanzierung verabschiedeten und da-
mit das Programm, das wir alle politisch gewollt haben,
kaputtmachten. Ich bitte deshalb die Kolleginnen und
Kollegen von der Union, vielleicht doch noch einmal mit
dem niedersächsischen Finanzminister und dem nieder-
sächsischen Ministerpräsidenten darüber zu sprechen, ob
sie an dieser Stelle wirklich eine richtige Entscheidung
getroffen haben. Wir halten sie für völlig falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Angesichts der extrem schwierigen Finanzlage ist es
eine gute und richtige Sache, dass die Mittel für die Alt-
schuldenhilfe im Zusammenhang mit dem Stadtumbau
noch einmal um 200 Millionen aufgestockt werden
konnten. Das Finanzvolumen beträgt jetzt insgesamt
1,1 Milliarden DM.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Euro!)

Die Bundesregierung hat das vorgeschlagen. Wir haben
Wort gehalten, was nur Schritt für Schritt möglich war,
aber wir haben es geschafft. Das ist ein ganz wichtiger
Schritt nach vorne und ein gutes Signal für die neuen
Bundesländer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die soziale Wohnraumförderung beträgt 2005 und in
den Folgejahren 202 Millionen Euro. Das ist mir persön-
lich zu wenig, das sage ich Ihnen ganz offen, vor allem
angesichts dessen, was ich gerade zum preiswerten
Wohnungsbestand gesagt habe. Aber hier hat Koch/
Steinbrück zugeschlagen. Wir alle haben das gemeinsam
beschlossen. Auch hier geht es um Investitionen. Den-
ken Sie bei Investitionen nicht immer nur an die Straße;
auch hier werden Investitionen angereizt. Das ist woh-
nungs- und städtebaupolitisch nicht besonders gut gelun-
gen. Darüber werden wir möglicherweise in den kom-
menden Jahren noch einmal neu nachdenken müssen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und das vor der Landtagswahl bei Herrn Steinbrück!)


Es gibt Haushaltspositionen, die zwar im Finanzvolu-
men klein, in der Bedeutung aber durchaus wichtig sind.
Ich freue mich, dass es gelungen ist, 1,5 Millionen Euro
für die Bundesstiftung „Baukultur“ bereitzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Da geht es nicht nur um die Qualität des Bauens, son-
dern sie ist auch hilfreich in Bezug auf internationale
Marktchancen unseres Planungs- und Bauwesens. Des-
wegen unterstützen wir diesen Vorschlag der Bundes-
regierung mit allem Nachdruck.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wir auch!)

– Sie auch; da sind wir uns einig. Wir sind uns wahr-
scheinlich in mehr Punkten einig, als die Brandreden
von Herrn Oswald, Herrn Königshofen und Herrn
Friedrich vermuten lassen.

Eine weitere Position, die im Volumen klein ist: Für
2005 und 2006 werden 2,2 Millionen Euro für Pilotpro-
jekte des genossenschaftlichen Wohnens bereitgestellt.
Ich glaube – das hat auch die Expertenkommission aus-
drücklich bestätigt; lesen Sie bitte einmal deren Bericht –,
dass gerade das genossenschaftliche Wohnen unter den
veränderten gesellschaftlichen Bedingungen besondere
Zukunftschancen für ältere Menschen, aber auch für
junge Familien mit Kindern bietet. Dass hier ein erster
Schritt getan werden konnte, halte ich für überaus er-
freulich und richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, in der Politik kommt es
nicht immer nur darauf an, welche Summen man zu be-
stimmten Haushaltsstellen nachweisen kann. Dennoch
ist es erfreulich, dass wir für die Städtebauförderung
– bei der wir die Weichen dafür gestellt haben, Städte-
bau- und Wohnungspolitik zu verzahnen und uns auf den
demographischen Wandel einzustellen – 522 Millionen
Euro zur Verfügung stellen und damit das Finanzvolu-
men auf einem hohen Niveau verstetigen konnten.

Entscheidend ist aber die Qualität der politischen Ent-
scheidungen. Ich denke, dass wir mit dem Programm
„Soziale Stadt“, mit dem Rahmengesetz zur sozialen
Wohnraumförderung, übrigens auch mit den Moderni-
sierungsprogrammen, die wir aufgelegt haben, mit dem
Stadtumbau Ost und, zunehmend wichtig, mit dem
Stadtumbau West die Weichen richtig gestellt haben.

Ich habe – das möchte ich zum Schluss sagen, Frau
Präsidentin – in den letzten Jahren manchmal vermisst,
dass Sie sich an der inhaltlichen Diskussion um den Pa-
radigmenwechsel in der Städtebau- und Wohnungspoli-
tik beteiligen. In der Fachwelt wird diese Diskussion seit
Jahren geführt und auch wir in der Koalition führen sie.
Nur Sie haben sich bisher auf die Position beschränkt,
die Situation zum Beispiel in der Bauwirtschaft zu be-
klagen, weil zu wenig Geld da sei. Diese Politik war
vielleicht in den 50er- und 60er-Jahren richtig; aber in
der heutigen Zeit bedeutet das – ich drücke mich vor-
sichtig aus – ein Sich-Enthalten jeglicher politischen
Mitgestaltung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie machen es sich jetzt zu einfach! Das entspricht gar nicht Ihrer sonstigen Art!)


Das bedaure ich. Lassen Sie uns die kommenden Wo-
chen nutzen, über den Haushalt zu reden und nicht nur
darüber zu jammern, dass da oder dort die Summe zu
niedrig ist,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist sehr polemisch! Das ist niveaulos!)


und uns über die Inhalte unserer Städtebau- und Woh-
nungspolitik zu verständigen. Mit den Ländern klappt






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier

das, da wird das doch vielleicht auch mit der Opposition
im Bundestag klappen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Das ist kleinkariert! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das war zu flach!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512315300

Das Wort hat die Kollegin Magdalena Strothmann,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Lena Strothmann (CDU):
Rede ID: ID1512315400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Deutschland ist geprägt von Mobilität, auch wenn viele
von uns diesen Sommer wieder in langen Staus gestan-
den haben und einen völlig anderen Eindruck hatten. Be-
weglichkeit und Flexibilität stellen keinen Luxus dar,
sondern sind Voraussetzungen für eine moderne Gesell-
schaft. Wer sich dies zu Eigen macht, erkennt, dass
Investitionen in unsere Verkehrswege für eine aktive,
agile und vor allen Dingen leistungsfähige Gesellschaft
wichtig sind. Die Grundaussage Ihres Haushaltsentwurfs
jedoch lautet: weniger Investitionen. Stillstand im Stau
und Stillstand in der Verkehrspolitik ist Ihre Linie.


(Annette Faße [SPD]: Keiner klatscht!)

Ein Haushalt mit nachvollziehbaren und klar formu-

lierten Zielen strahlt Glaubwürdigkeit aus und erzeugt
eine Aufbruchstimmung, das oft geforderte Signal für
Wirtschaftswachstum und Wirtschaftskraft. Davon ist
Ihr Entwurf weit entfernt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Woher sollen unsere Betriebe den Mut für Investitio-

nen und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nehmen,
wenn der Staat Stagnation zelebriert?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!)

Seit sechs Jahren ist es das erklärte Ziel dieser Bundesre-
gierung, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir
erinnern uns an das Ziel des Kanzlers, die Arbeitslosen-
zahlen zu halbieren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Lang ist es her!)


Das Ergebnis dieser Politik ist: Wachstum ist in weiter
Ferne, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch und die Zahl der
Erwerbstätigen nimmt ständig ab.

Nun liegt in schlechter Tradition ein Haushaltsent-
wurf jenseits der Verfassung vor, da die angesetzte Neu-
verschuldung auch in diesem Jahr nicht ausreichen
wird.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn vor?)


Dieser Haushalt ist nicht „auf Kante genäht“, wie der
Finanzminister immer stolz meint, sondern er ist wie ein
ausgefranster Saum. Ich glaube, vom Nähen verstehe ich
ein bisschen mehr als er.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Finanzierung des Haushalts ist einfach unsolide.

Es ist waghalsig, von Privatisierungserlösen in dieser
Höhe auszugehen und diese Wahnsinnssummen auch
noch im Voraus auszugeben. Das wird wieder zulasten
der Steuerzahler gehen. Der Börsengang der Post hat
schließlich gezeigt, wie zurückhaltend der Kapitalmarkt
derzeit ist und welchem Druck man bei der Preisgestal-
tung ausgesetzt ist.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Wie schon beim Bundesverkehrswegeplan stellt

sich auch beim Verkehrshaushalt Unbehagen ein.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist noch sehr zurückhaltend gesagt!)

Der unseriöse Finanzierungsansatz verursacht das schale
Gefühl, der Bundesverkehrswegeplan sei schon jetzt das
Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist leider wahr!)


Wie sollen 4,6 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen
reichen, wenn der Bedarf im Bundesverkehrswegeplan
auf 5,2 Milliarden Euro festgelegt wurde und der tat-
sächliche Bedarf noch höher liegt? Investitionen werden
gnadenlos gekürzt und außerdem werden schließlich
noch weitere Einschnitte durch die globale Minderaus-
gabe folgen.

Dazu stellt sich immer wieder die spannende Frage
der Maut. Gibt es eigentlich etwas Neues von Toll
Collect, zum Schadenersatz oder zum angestrebten Ter-
min?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schiedsverfahren!)


Es ist so verdächtig ruhig. Das muss man feststellen,
auch wenn der Minister etwas anderes sagt.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie keine Zeitung?)


Warum zögern eigentlich unsere Spediteure, die Ge-
räte in die LKWs einbauen zu lassen? Die Unternehmen
sind nämlich nicht vom Erfolg der Aktion überzeugt und
befürchten, dass auch das neue System wieder nicht
funktioniert und weitere Kosten für die Betroffenen ver-
ursacht. Für die Verunsicherung der Betriebe tragen Sie
die Verantwortung.

Auch die Harmonisierung ist dem Gewerbe verspro-
chen worden, liegt aber auf Eis. Außerdem rate ich: Im
EU-Verkehrsministerrat sollten Sie sich für eine Zweck-
bindung der Mauteinnahmen einsetzen und nicht § 11
des Mautgesetzes unterwandern. Die Maut wäre in dem
Fall nichts anderes als eine Steuer. Ich sage es noch ein-
mal: Eine Akzeptanz beim Gewerbe ist nur mit klarer
Zweckbindung zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Lena Strothmann

Aber das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen las-
sen: Sie produzieren Haushaltslöcher, um sie dann mit
theoretischen Mauteinnahmen zu stopfen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mehrfach!)


Das ist für mich ein Haushalt mit Luftbuchungen.
Die Kürzungen sind eindeutig. Im Straßenbau liegen

sie bei 10,5 Prozent, mit der Maut immer noch bei
5,3 Prozent. Bei der Schiene ist es das Gleiche. Die Kür-
zungen betragen dort 12,4 Prozent und mit der Maut im-
mer noch 6,7 Prozent.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aber den Mund vollnehmen!)


Sie sind dennoch immun gegen jegliche Ratschläge und
Empfehlungen. Sie ignorieren sogar einhellige Forde-
rungen der Landesverkehrsminister.

Die Verkehrsminister und -senatoren der Länder ha-
ben ausdrücklich beschlossen, dass die Mauteinnahmen
zusätzlich und nicht im Austausch gegen wegfallende
Haushaltsmittel für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfü-
gung stehen müssen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die haben unseren Haushalt aber nicht zu beschließen! So einfach ist das! – Weiterer Zuruf von der SPD: Weil sie selber Löcher im Haushalt haben!)


Investitionen sind der Weg in die Zukunft.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das war neben allen Sparbemühungen auch eine wich-
tige Erkenntnis von Koch/Steinbrück. Steinbrück ist üb-
rigens ein Ministerpräsident aus Ihren Reihen. Ein Er-
gebnis des Vermittlungsausschusses wurde allerdings
von Ihnen in sein Gegenteil verkehrt. Das war nicht nur
verkehrspolitisch, sondern auch ökonomisch falsch.

Sie behandeln die Straße wie ein ungeliebtes Stief-
kind. Insbesondere bei der Maut handeln Sie konsequent
zum Nachteil der Straße. Im neuen Haushaltsjahr rech-
nen Sie mit hohen Mauteinnahmen. So weit, so gut.
Aber leider wenden Sie dann erneut einen Verteilungs-
schlüssel an, bei dem die Mittel für den Straßenbau pro-
zentual am geringsten wachsen. Bei der Schiene ist ein
Plus von 14,3 Prozent, bei den Wasserstraßen von
12,85 Prozent und bei der Straße nur von 11,75 Prozent
zu verzeichnen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Bahn will das Geld gar nicht ausgeben!)


Aber als Betroffene erwarten die Mautzahler zu Recht
eine deutlich verbesserte Straßensituation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns
weiter auf ein intensives Wachstum des Verkehrs auf
unseren Straßen einzurichten haben. Die Mobilität steigt.
Die EU-Osterweiterung zeigt ihre Auswirkungen und
der Güterverkehr nimmt immer mehr zu. Die Vertriebs-
strukturen und die globalisierte Weltwirtschaft insge-
samt sind weitere Ursachen. Man kann nicht einerseits
die Einigung Europas vorantreiben oder Global Player
sein und andererseits die Verkehrs- und Warenströme
einfach ignorieren. Das verdeutlicht den Bedarf an ver-
besserten und in jedem Fall auch zusätzlichen Verkehrs-
achsen. Die Straße wird hieran einen entscheidenden
Anteil haben. Ob politisch nicht gewollt oder verteufelt,
dies bleibt eine Tatsache.

Die Maxime muss also lauten: Ausbau statt eines
notdürftigen Erhalts! Im Haushaltsentwurf steht genau
das Gegenteil.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Leider wahr!)


Dort steht, dass die Mittel für den Bundesstraßenerhalt
um 29 Prozent steigen, die Mittel für den Bundesstra-
ßenneubau aber um 41 Prozent sinken. Im Vergleich zu
2003 ist dies ein Minus von 78,3 Prozent.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Das sind die Zahlen! Das sind die Fakten!)


Hinzu kommt, dass die Kosten für die laufenden
Maßnahmen die Gelder größtenteils auffressen. Für neue
Baumaßnahmen ist nicht mehr genügend Geld übrig.
Das nenne ich unseriöse Finanzplanung und das kommt
einem Offenbarungseid gleich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist ein Witz; man hätte sich die Haushaltsberatungen
sparen können.

Weitere falsche Prioritätensetzungen können wir uns
nicht länger leisten. Das Straßennetz hat für die Bürger
und die Wirtschaft eine große Bedeutung. IHK-Umfra-
gen belegen, dass die Erreichbarkeit von Betrieben die
Standortentscheidung maßgeblich mitbestimmt. Die Er-
reichbarkeit rangiert als zweitwichtigster Standort-
faktor direkt nach der Gewerbe- und Grundsteuer.

Was bedeutet das? Die Verkehrssituation hat direkten
Einfluss auf die Betriebe und somit auf die Sicherung
und Schaffung von Arbeitsplätzen. Darum betonen wir
immer wieder, dass zukunftsorientierte Investitionen im
Verkehrs- und Baubereich positive Folgen haben – bis
hin zu höheren Einnahmen für die Steuer- und Sozial-
kassen und weniger Kosten für die Arbeitslosigkeit. Die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – ich glaube, da waren
wir uns alle einig – ist die wichtigste Aufgabe in unse-
rem Land und nicht etwa das Umsiedeln von Hamstern
und Fledermäusen, das oft mehr kostet als eine Ortsum-
gehung.

Der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland auf-
grund von Verkehrsstaus beläuft sich auf 80 Millionen
bis 100 Millionen Euro. Verkehrspolitik muss also
Strukturpolitik sein und sich an Bedürfnissen und Ent-
wicklungen orientieren. Sie orientieren sich aber stur an
einem korsettartigen Finanzrahmen, der keinen Blick für
das Notwendige zulässt.

Wir fordern von unseren Arbeitnehmern und Arbeits-
losen Flexibilität und Mobilität. Als Folge nimmt die
Zahl der Pendler ständig zu. Allein nach Bielefeld, einer
Stadt mit 328 000 Einwohnern, pendeln täglich






(A) (C)



(B) (D)


Lena Strothmann

50 000 Personen. Gerade in meiner Heimat kann die
Schiene nur noch bedingt zur Entlastung beitragen, und
zwar weder im Personenverkehr noch im Güterverkehr.

Dennoch ist eines sicher: Der Gütertransport wird
weiterhin seinen Schwerpunkt auf der Straße haben. Aus
dem Wirtschaftsleben sind LKWs nicht mehr wegzuden-
ken. Das deutsche Transportgewerbe kann im Wettbe-
werb jedoch nur mithalten, wenn wir die Bedingungen
verbessern.

Ändern Sie also Ihre verkehrspolitischen Prioritäten!
Sorgen Sie endlich für eine funktionierende und wettbe-
werbsfähige Verkehrsinfrastruktur! Eine Finanzierung
ist trotz aller Sparzwänge möglich.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512315500

Frau Kollegin, Sie müssen an Ihre Redezeit denken.


Lena Strothmann (CDU):
Rede ID: ID1512315600

Ich bin gleich am Schluss. – Wir werden im Verlauf

der Beratungen konkrete Vorschläge machen und Alter-
nativen aufzeigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Annette Faße [SPD])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512315700

Das Wort hat der Kollege Reinhard Weis, SPD-Frak-

tion.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1512315800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe
zu, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit mit – wenn
auch verhaltener – Freude zum Thema LKW-Maut
sprechen kann. Ich fasse den aktuellen Stand der Situa-
tion für die Kollegin Strothmann, die ja keinen richtigen
Überblick hatte, noch einmal zusammen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie hat doch selber gesagt, dass ihr die Informationen
fehlen.

Vor einem Jahr hat Toll Collect mit dem verpassten
Start der LKW-Maut zum 31. August 2003 ein techni-
sches K. o. in der ersten Runde erlitten. Niemanden wird
es daher wundern, dass wir mit einer gewissen Skepsis
auf die zweite Runde geblickt haben, die mit dem Be-
ginn der Mauterfassung am 1. Januar 2005 enden soll.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Betonung liegt auf „soll“!)


Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Abwicklung
unseres Haushalts; das ist richtig.

Diese zweite Runde läuft und diesmal hat Toll Collect
die Technik offensichtlich im Griff. Uns liegen zur
Funktionsfähigkeit und zum Stand der Einbauten der On
Board Units inzwischen Berichte von Toll Collect, vom
Verkehrsministerium und von Gutachtern vor. Diese In-
formationen werden durch Gespräche ergänzt, die wir
selber mit Spediteuren und den Verbänden führen.

All diese Berichte gipfeln in unserer Erwartung, dass
die Maut pünktlich starten kann. Ich will nicht alles wie-
derholen, was meine Vorredner gesagt haben, aber die
Botschaft muss klar sein: Die Mauterhebung kommt. Sie
wird komfortabel über die vorgesehene Technik der On
Board Units oder umständlicher über das manuelle Ein-
loggen erfolgen. Der Start des Mautsystems hängt von
der funktionierenden Technik und nicht von der Zahl der
eingebauten On Board Units ab.

Jeder Spediteur, der auf weitere Verzögerungen setzt,
handelt deshalb riskant. Wer immer noch glaubt, durch
gezielte Verschleppung der Mauterfassung zu entgehen,
sitzt einem bösen Irrtum auf. Man wird sich allenfalls
den Zorn der sonstigen Autofahrer zuziehen, wenn die
LKWs an Tankstellen oder Autobahnauffahrten den flie-
ßenden Verkehr behindern, um sich manuell einzulog-
gen. Wer dort sein Firmenlogo platziert, macht keine
gute Werbung für sich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch die Verbände des Güterkraftverkehrsgewerbes
haben das erkannt. Wir begrüßen ganz ausdrücklich die
Verbändeerklärung vom 27. August dieses Jahres, mit
der alle Spediteure eindringlich aufgefordert wurden,
sich rechtzeitig um den Einbau der On Board Units in ih-
ren Fuhrpark zu kümmern.

Insgesamt bin ich sehr froh, dass die Debatte um die
Mauterhebung mehr Sachlichkeit bekommen hat. Diese
Ruhe und Sachlichkeit haben wir alle nicht zuletzt der
Besonnenheit unseres Bundesministers zu verdanken. Er
hat sich allen Schwierigkeiten zum Trotz nicht zu fal-
schem Aktivismus treiben lassen, sondern ruhig sein
Ziel verfolgt, die Maut zu realisieren. Wie wir heute se-
hen, war dies wohl der richtige Weg. Das Konsortium
hat seine Lektion gelernt und ist heute ganz anders auf-
gestellt. Wir begegnen Transparenz in der Entwicklung
und Offenheit in der Information. Auch dies kann man
an dieser Stelle würdigen.

Mit dieser gebotenen Sachlichkeit wende ich mich
nun dem zur Debatte stehenden Antrag der CDU/CSU-
Fraktion zu. Sie fordert in ihrem Antrag, den wir heute
mit beraten, die Befreiung von der LKW-Maut auch auf
humanitäre Hilfstransporte auszudehnen. Ich sage Ih-
nen ganz ehrlich, dass ich viel Sympathie dafür habe.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist der erste gute Schritt!)


Ich könnte Ihnen zwar entgegnen, dass Sie bei der Ein-
führung der Vignette in Ihrer Amtszeit humanitären
Hilfstransporten auch keine Befreiung eingeräumt ha-
ben.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie unsozial! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das wäre die falsche Antwort!)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Weis (Stendal)


Deswegen könnten wir es uns mit Ihren eigenen Argu-
menten sehr einfach machen, indem wir darauf hinwie-
sen, dass Sie heute etwas fordern, was Sie in Ihrer Ver-
antwortung selber nicht getan haben. Aber so
vordergründig möchte ich nicht reagieren.

Allerdings ist es sicher richtig, dass Sie in Ihrer Zeit
dafür Gründe hatten, die heute noch genauso gelten.
Darüber werden wir im Ausschuss reden müssen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jawohl, denken wir alle noch einmal darüber nach!)


Das Hauptproblem wird in der Durchführung und
Kontrolle der Mautbefreiung liegen. Es darf nicht zu
Missbrauchs- oder Mitnahmeeffekten kommen. Wie
kann man sicherstellen, dass wirklich nur humanitäre
Hilfstransporte von der Maut befreit werden? Muss dann
jede Fahrt vorher geprüft und freigestellt werden? Sollen
Verbände generell freigestellt werden? Soll es hinterher
nach Prüfung eine Erstattung geben? Sie haben damals
gesehen, dass die Beantwortung dieser Fragen ein Pro-
blem darstellt; wir sehen das heute genauso. Aber ich
sage Ihnen auch zu, dass wir Ihren Antrag nicht rund-
heraus ablehnen, sondern uns in Zusammenarbeit mit Ih-
nen um eine praktikable Lösung kümmern werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können heute – ich muss noch einmal darauf hin-
weisen – keine Haushaltsdebatte führen, ohne das
Thema Schieneninvestitionen bzw. den Abfluss der be-
reitgestellten Bundesmittel anzusprechen. Ich spreche
jetzt also nicht über den Haushalt 2005, sondern gehe
auf den Vollzug des Haushalts des Jahres 2004 ein. Es
fließt bis heute zu wenig von unserem bereitgestellten
Investitionsgeld ab.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 21 Prozent!)


– Danke, Horst. – Darüber klagen Bahn- und Bauindus-
trie zu Recht.

Die Ursache für den Baustopp sind nicht fehlende
Bundesmittel oder fehlende Finanzierungsvereinbarun-
gen. Die Ursachen sind ein verordneter Baustopp durch
den Bahnvorstand, die Verschleppung der Abrufung
freier Mittel für das Bestandsnetz und die Verschleppung
von Bauterminen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Spanier [SPD] und des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Ich habe hier eine ganze Liste mit Beispielen vorliegen.
Ich sage das so deutlich, weil der Bahnvorstand in Pres-
severöffentlichungen den Eindruck vermittelt, gekürzte
oder fehlende Mittel des Bundes seien die Ursache für
diesen Baustopp. Das ist nicht zutreffend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zutreffender sind die Meldungen, dass der Bahnvor-
stand bereits fest vereinbarte Schienenbauprojekte auf
Eis legt und Planungen bzw. Bauaufträge streicht oder
verzögert.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512315900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Friedrich?


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1512316000

Bitte, Horst.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1512316100

Herr Kollege Weis, Sie haben dankenswerterweise

auf den Grund für den verzögerten Mittelabfluss seitens
der Bahn hingewiesen. Was halten Sie in dem Zusam-
menhang von einer Presseerklärung der Staatssekretärin
beim Bundesumweltminister Frau Margareta Wolf, die
bekanntermaßen Mitglied im Aufsichtsrat der Bahn ist,
dass das, was Sie jetzt sagen, eine Kampagne der Stra-
ßenlobby gegen den Zugang der Bahn zum Kapitalmarkt
sei? Teilen Sie diese Aussage?


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1512316200

Nein, Kollege Friedrich, ich teile diese Aussage nicht.

Wie wir alle wissen auch Sie, dass wir bei der Verwen-
dung der Investitionsmittel darauf achten, dass eine be-
stimmte Quote zwischen den Verkehrsträgern eingehal-
ten wird. Wir werden nicht zulassen, dass durch die
Diskussionen, die heute geführt werden, ein verfälschter
Eindruck entsteht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will wenigstens einige Beispiele von der Liste der
Bauvorhaben nennen, die verzögert oder gestrichen
werden, damit Sie sehen, wie regional breit gefächert die
Konsequenzen sind: Es geht um die Verschiebung von
Teilmaßnahmen an der Ausbaustrecke München–Ingol-
stadt–Nürnberg südlich von Ingolstadt. Auf der Strecke
Düren–Aachen an der Grenze zu Belgien gibt es eine
sechsmonatige Verzögerung der Sanierung des Busch-
tunnels wegen verspäteter Ausschreibung. Auf der Stre-
cke Berlin–Rostock gibt es eine Bauverzögerung von
zwei Jahren, weil die DB AG die Planung zu spät aufge-
nommen hat. Zahlreiche Maßnahmen zur Grunderneue-
rung der S-Bahn in Berlin, für die es Finanzierungsver-
einbarungen mit dem Bund gibt, werden aufgegeben
oder auf Jahre hinaus verschoben. Zahlreiche wichtige
Kreuzungsmaßnahmen werden nicht mehr realisiert,
weil die DB AG die Planungskosten, die über 10 Prozent
der Bausumme hinausgehen, nicht mehr finanzieren
will. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die eigentli-
chen Baukosten für Kreuzungsbauwerke staatlich finan-
ziert werden und keine Eigenmittel der DB erfordern.

Auf die Bahn- und die Bauindustrie hat diese neue Li-
nie bereits sehr negative Auswirkungen. Die Aufträge
für die Bahnindustrie im Bereich der Infrastruktur sind
im ersten Halbjahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um
mehr als 50 Prozent zurückgegangen. In diesem Zeit-
raum sind dadurch rund 1 800 Arbeitsplätze verloren ge-
gangen. In der Bauindustrie sieht die Situation nicht
besser aus. Einer Reihe von hoch spezialisierten Schie-
nenbauunternehmen droht das Aus, wenn der Bahnvor-
stand seine Investitionspolitik nicht kurzfristig ändert.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Weis (Stendal)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist leider wahr!)


Wir können in der sensiblen konjunkturellen Lage in
Deutschland nicht akzeptieren, dass der Volkswirtschaft
vorhandene öffentliche Investitionsmittel durch das Ver-
halten der DB AG vorenthalten werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann nur dringend an den Vorstandsvorsitzenden der
DB AG appellieren, mit der Realisierung baureifer Vor-
haben zu beginnen und, soweit es noch erforderlich ist,
auch die Baufreigaben durchzusetzen; das heißt, den
verordneten Investitionsstopp aufzuheben. Die Mittel
stehen zur Verfügung. Sie können beim Bund abgerufen
werden. Ansonsten könnte sich der Verdacht erhärten,
dass man mit dem intern verordneten Investitionsstopp
womöglich ganz andere Ziele verfolgt, dass die Bahn die
veranschlagten Eigenmittel einsparen will, um in diesem
Jahr doch noch die schwarze Null zu erreichen, mit der
das Signal für den Börsengang auf grün gestellt werden
soll.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider wahr!)


Investitionsentscheidungen sind nicht allein Sache
der Bahn. Der Bund trägt nach unserer Verfassung die
Verantwortung für den Bestand und den Ausbau des
Schienennetzes. Diese Infrastrukturverantwortung neh-
men wir sehr ernst. Die Haushaltsansätze stehen dafür.
Wir stellen unsere Steuermittel, die Steuermittel der Bür-
ger, dafür zur Verfügung. Es ist Aufgabe des Bahnvor-
standes und liegt auch im Interesse des Unternehmens,
diese Mittel tatsächlich für das Netz einzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein einmaliges positives Geschäftsergebnis für 2004
wird niemanden in diesem Hause von der Sinnhaftigkeit
eines Börsenganges überzeugen, wenn es auf dem Wege,
den ich eben geschildert habe, zustande kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Das ist auch eine Frage der Verantwortung der Verkehrs-
politik.

Die Bahn hat nur dann eine Chance, auf dem Ver-
kehrsmarkt mit Erfolg zu bestehen, wenn es ihr gelingt,
die Qualität ihrer Verkehrsangebote deutlich zu ver-
bessern. Einsparungen bei der Instandhaltung und bei
Ersatzinvestitionen ins Schienennetz, wie sie der Bahn-
vorstand verordnet hat, sind da kontraproduktiv.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie führen zwangsläufig zu Verspätungen und damit zu
Rückgängen bei den Fahrgastzahlen und zu Einnahme-
verlusten. Das verhindert das Erreichen der selbst ge-
steckten Ziele. Unseren gemeinsamen verkehrspoliti-
schen Zielen ist es ebenfalls abträglich.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP] – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr klare und deutliche Worte! Ich hoffe, die richtigen Leute lesen nach!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512316300

Das Wort hat der Kollege Klaus Minkel, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Klaus Minkel (CDU):
Rede ID: ID1512316400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Finanzminister verblüfft uns jedes Jahr aufs Neue.
Er hat nämlich die Gabe, auf einen stets schlechten
Haushalt immer noch einen schlechteren Haushalt drauf-
setzen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür halten Sie eine noch schlechtere Rede!)


Der Haushalt des Jahres 2005 ist durch Notverkäufe
im Umfang von 15,5 Milliarden Euro gekennzeichnet.
Diese Einnahmen werden nicht etwa für zusätzliche In-
vestitionen eingesetzt, von denen vielleicht auch etwas
für die Not leidende Bauwirtschaft abfallen könnte. Sie
werden auch nicht zur Schuldentilgung verwendet, die
unserer jungen Generation zugute käme. Nein, all die
Mehreinnahmen versinken in Eichels Schuldensumpf.

Das sind alles schlechte Voraussetzungen für den
Wohnungsbauhaushalt, über den wir hier zu sprechen
haben. Die Ausgabenansätze in Kap. 12 25 gehen von
4 342 Millionen auf 3 125 Millionen Euro


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und 90 Cent!)


zurück. Dieser Rückgang ist ganz wesentlich durch die
Ausgliederung des Wohngeldes gekennzeichnet. Auch in
diesem Bereich hat der Bauminister nichts mehr zu sa-
gen. Zukünftig werden dort andere den Takt angeben.

Aber auch die Mittel für die Investitionen, die eigent-
lich steigen müssten, sinken: von 1 475 Millionen auf
1 325 Millionen Euro.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und 25 Cent!)


Besonders groß ist der Mittelrückgang bei der sozialen
Wohnraumförderung. Die Haushaltsmittel gehen von
450 Millionen auf 338 Millionen Euro zurück. Dieser
starke Rückgang – Herr Spanier, lassen Sie sich das von
einem altgedienten Kämmerer sagen – hat nichts mit
dem Koch/Steinbrück-Papier zu tun, sondern ist die
Auswirkung der vorangegangenen Haushaltsjahre. Auch






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Minkel

in den vorangegangenen Haushaltsjahren hat diese rot-
grüne Koalition ja bewiesen, dass sie mit der sozialen
Wohnraumförderung nichts mehr am Hut hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Haushaltsmittel für die Städtebauförderung, die

tatsächlich ausgegeben werden können – nicht die Pro-
grammmittel, Herr Spanier –, gehen auch zurück, und
zwar von 520 auf 515 Millionen Euro. Dabei sind die
Mittel der Städtebauförderung ganz besonders beschäfti-
gungswirksam einsetzbar. Es ist bedauerlich, dass wir
auch hier weniger Geld zur Verfügung haben.

Die Mittel fließen überwiegend in die neuen Bundes-
länder, was sehr zu begrüßen ist. Die Bundesregierung
bleibt aber aufgefordert, die alten Bundesländer nicht zu
vernachlässigen. Hier baut sich nämlich ein großer Sa-
nierungsstau auf. In Nordrhein-Westfalen sind die För-
dermittel um das Siebenfache überzeichnet. Wenn sich
der Bauminister nicht bald etwas einfallen lässt, dann
werden wir in wenigen Jahren im Westen städtebauliche
Missstände haben, wie wir sie aus der alten DDR ge-
wohnt sind.


(Widerspruch bei der SPD)

Die Mittel für die Altschuldenhilfe scheinen im Augen-
blick auszureichen. Allerdings geschieht der Vollzug
nicht schnell genug.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Der war nie in der DDR! – Weiterer Zuruf von der SPD: Und auch nie in NRW!)


Im Übrigen werden im Wohnungsbauhaushalt die be-
kannten Finanzierungsprogramme der Kreditanstalt für
Wiederaufbau abfinanziert. Große neue Initiativen des
Bauministers sind in diesem Haushalt nicht erkennbar.
Der Bauminister geht offensichtlich nach der Devise
vor: Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wer nichts sagt, sagt nichts Falsches!)


Das ist aber verkehrt, weil es im Lande genug zu tun
gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Statistik, die einen ausgeglichenen Wohnungs-

markt ausweist, sagt nichts über die Qualität des Wohn-
raums aus. Es gibt viele Millionen Familien in unserem
Lande, die sich hinsichtlich ihres Wohnraums verbessern
möchten. Vor allen Dingen gibt es viele Millionen Fami-
lien in unserem Lande, die sich den Lebenstraum vom
eigenen Haus, vom eigenen Heim noch erfüllen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Für all diese Menschen wird vom Ministerium nicht
mehr in ausreichendem Maße gesorgt. Es ist sogar so,
dass wichtige Entwicklungen am Hause Stolpe vorbeige-
hen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Nein! Das stimmt nicht!)

Ich nenne Beispiele. Umweltminister Trittin hat die
Überschwemmung in Sachsen als Vorwand benutzt, um
in der Bundesrepublik flächendeckend einen verschärf-
ten Hochwasserschutz durch absolute Bauverbotszonen
einzuführen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Gerade da wolltet ihr bauen, wo jetzt das Verbot ist, oder was?)


Ich halte es, wie übrigens auch die Mehrheit des Bundes-
rates und viele Kommunen, für einen großen Fehler,
dass man die wirtschaftliche Entwicklung und die Bautä-
tigkeit in unserem Lande künftig von den Zufällen des
100-jährigen Hochwassers abhängig machen will.


(Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber die Auswirkungen waren ja wohl schlimm genug, dass man auch daraus lernen kann, oder nicht?)


Wenn man auch in der Vergangenheit so verfahren wäre,
dann wäre Deutschland nie das Land geworden, als das
es Ihnen vererbt worden ist.

Die Holländer können übrigens froh sein, dass Herr
Trittin hier und nicht dort zu Hause ist. Bekanntlich ist in
der Hälfte des Landes häufig Land unter. Wenn Herr
Trittin dort wäre, würde er sicherlich als Erstes verord-
nen, dass sich die Holländer, wenn sie sich zum Schlafen
niederlegen, einen Rettungsring um den Bauch binden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ein weiterer Punkt ist die Diskussion über den so ge-
nannten Flächenverbrauch. Hierbei handelt es sich um
einen politischen Kampfbegriff, ein Unwort, wenn nicht
sogar ein Lügenwort; denn die Flächen des Landes sind,
wenn man von höchst seltenen Sturmfluten einmal ab-
sieht, grundsätzlich unverbrauchbar. Es gibt höchstens
eine veränderte Flächeninanspruchnahme. Aber mir hat
noch kein Mensch erklären können, warum ein artenrei-
cher Hausgarten unter ökologischen Gesichtspunkten
schlechter sein soll als eine artenarme Monokultur in der
Landwirtschaft


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sehr gut!)

oder warum ein wohnungsferner Schrebergarten eines
Mieters besser sein soll als ein Hausgarten eines Hausei-
gentümers.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder der heruntergefallene Blumentopf!)


Deshalb gibt es keinen vernünftigen Grund, unsere Be-
völkerung am Wohnungsbau zu hindern;


(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ CSU] – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hindern? Oh!)


denn unsere Bevölkerung muss sowieso genug unter Re-
glementierungen leiden.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr!)







(A) (C)



(D)


Klaus Minkel

Ein weiterer Angriff auf die Wirtschaft und vor allen

Dingen auf die Bautätigkeit und die Zukunftspläne jun-
ger Familien ist in dem Entwurf eines „Gesetzes zur
finanziellen Unterstützung der Innovationsoffensive“
– bis hier klingt es gut, aber jetzt wird es schlecht –
„durch Abschaffung der Eigenheimzulage“ zu sehen.
Bei diesem hochtrabenden Gesetzesnamen handelt es
sich um nichts anderes als um den ganz ordinären Bruch
eines Wahlversprechens, das sowohl der Bundeskanzler
als auch SPD und Grüne vor der letzten Bundestagswahl
gegeben haben.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was, wir? – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, niemals!)


Sie haben damals nämlich den Bestand der Eigenheim-
zulage garantiert. Dafür gibt es schriftliche Belege,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

die schon bei anderer Gelegenheit vorgetragen worden
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die müssen Sie denen einfach nur vorlesen! – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo denn? Die wollen wir sehen!)


Das wäre auch ein Betrug an der jungen Generation.
Wenn Sie dieses Gesetz nämlich jetzt abschafften, dann
hätte die junge Generation noch auf zehn Jahre die alten
Bewilligungen durch ihre Steuerzahlungen abzufinan-
zieren.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Natürlich, wo er Recht hat, hat er Recht! – Wolfgang Spanier [SPD]: Erzählen Sie das mal Herrn Merz! Doppelzüngig!)


Ich schließe mit folgendem Satz: Die Union steht für
eine Politik, die Wohlstand für alle anstrebt.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch in den Schrebergärten?)


Mit uns ist eine herzlose Schröder/Eichel-Politik nicht
zu machen. Auch die einfachen Leute in diesem Lande
haben Anspruch auf ein eigenes Heim, nicht nur Ihr
Arbeiterführer Oskar Lafontaine in seinem Palast der so-
zialen Gerechtigkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da hat er es aber gegeben! Das war ein Blattschuss!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512316500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Kuhn.

Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1512316600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Glücklicherweise herrscht in diesem
Hause Konsens, dass eine gut ausgebaute Verkehrsinfra-
struktur die Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfä-
higkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist. Ich
denke, es war eine epochale Aussage des Herrn Minis-
ters, dass Investitionen keine Subventionen sind. Das
rechtfertigt doch unsere Kritik, dass immer versucht
wird, uns einzureden, dass die Herren Ministerpräsiden-
ten Koch und Steinbrück sogar die Baulastträgerschaft
des Bundes anzweifeln und dort Investitionen kürzen
wollten. Da fasst man sich doch an den Kopf!


(Zuruf von der SPD: Jetzt atmen! – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fassen Sie sich doch einmal an den Kopf!)


In vorauseilendem Gehorsam hat die Bahn sofort die
Mittel im investiven Bereich und im personellen Bereich
um dreimal 4 Prozent gekürzt, so wie das Koch und
Steinbrück vorgesehen haben. Sie, Herr Minister, haben
dann unter dem Druck des Finanzministers diese Investi-
tionskürzungen einfach auf Straße und Wasserstraße ver-
teilt. Das ist die eigentliche Krux und damit können wir
uns einfach nicht einverstanden erklären.


(Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das nehmen wir ganz allein auf uns!)


Hier muss einfach die Wahrheit gesagt werden.
Quell- und Zielverkehre müssen durch die Verkehrs-

adern aufgenommen und zu den Zielpunkten geleitet
werden. Aber auch die Linienführung ist von ganz ent-
scheidender Bedeutung; denn hierbei ist die Erschließung
des Raumes eine ganz wichtige Aufgabe. Ich sage als ein
Abgeordneter, der aus einem strukturschwachen Land
kommt: Das gibt es in Ost wie in West. Wir dürfen da
nicht immer nur nach dem Nutzen-Kosten-Faktor
schauen, sondern es ist auch notwendig, dass man dort
wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Die Grundvo-
raussetzung dafür ist, Verkehrsinfrastruktur zu schaf-
fen. Es war eine harte Aufgabe nach der Wiedervereini-
gung unseres Vaterlandes. Damals war die schwarz-gelbe
Regierung unter Führung von Helmut Kohl so weise, die
beiden sich auseinander entwickelt habenden Verkehrs-
systeme mit dem Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“
wieder zusammenzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Wirtschaftssysteme in Ost und West hatten sich in
40 Jahren natürlich unterschiedlich entwickelt und aus-
gerichtet.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach, tatsächlich? Was man hier so alles lernt! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Hätte ich nicht gedacht! – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was man nicht alles lernt!)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Werner Kuhn (Zingst)


Die traditionellen Verkehrsströme in den Verflechtungs-
gebieten konnten mit der Wirtschaftsentwicklung end-
lich wieder in das angestammte Bett zurückkehren.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach, ja, so war das also! „Angestammtes Bett“!)


Davon haben letztendlich alle Bundesländer profitieren
können, die auf beiden Seiten, in Ost und West, an der
alten Demarkationslinie lagen. Milliarden wurden in
diese Verkehrssysteme hineingesteckt – ich denke: zu
Recht –, aber man muss auch konstatieren, dass dort
nicht die Erfolge eingetreten sind, die wir uns gemein-
sam vorgestellt haben. Was die Wirtschaftsentwicklung
betrifft: Wettbewerbsfähige ostdeutsche Firmen sind
letztendlich nur punktuell entstanden. Ein Journalist hat
mich gefragt: Sie haben so viel investiert und dennoch
ist die Zahl der Arbeitsplätze so stark zurückgegangen,
die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Wie können Sie
mir das erklären? – Wenn wir nichts investiert hätten
und auf dem Niveau der damaligen DDR, die 40 Jahre
von der Substanz gelebt hat, geblieben wären, dann hät-
ten wir ein noch größeres wirtschaftliches Chaos. Des-
halb waren die Entscheidungen von damals völlig rich-
tig. Glücklicherweise hat auch diese Bundesregierung
den Investitionsfaden bei Infrastruktur nicht ganz abrei-
ßen lassen. Trotzdem muss ich an dieser Stelle sagen:
Sie hatten in den Jahren 1998 bis 2000 einen enormen
Durchhänger. Ich denke an die Schienenprojekte
VDE 8.1 und VDE 8.2, also an die ICE-Verbindung
Erfurt–Nürnberg. Mit Rücksicht auf den grünen Koali-
tionspartner haben Sie sie zwei Jahre lang auf Eis gelegt.
Das waren zwei verlorene Jahre für Deutschland und für
den Aufbau Ost. Es kann doch nicht sein, dass man mehr
als acht Stunden benötigt, um über eine ICE-Strecke
zwischen den beiden großen Ballungsgebieten Berlin
und München hin- und herzufahren. Das sind doch keine
wirtschaftlichen Entwicklungen, wie wir sie uns für die
Zukunft vorstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Anschluss der A 20 an die A 1 bei Lübeck ist

letztendlich professionell über die Bühne gebracht wor-
den. Das Reizwort dabei ist die Wakenitz-Brücke. Nach
dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz – es
gab eine höchstrichterliche Entscheidung – hätte es dort
sofort ein ganz klares Bauziel geben können. Sie haben
es vor sich herdümpeln lassen. Die Leute fahren nun ei-
nen Umweg von insgesamt 60 Kilometern, wenn sie von
Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Schleswig-Hol-
stein und Hamburg und wieder zurück wollen. Das be-
deutet zusätzliche Abgase, nämlich CO2, NOx und wasSie von den Grünen sonst noch definieren.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Staus!)

Wenn Sie das als Umweltschutz betrachten, dann liegen
Sie völlig falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich komme zur Thüringer-Wald-Autobahn. Dort gab

es eine ewige Verzögerung. Es ist toll, wenn der längste
Tunnel Deutschlands eingeweiht wird, in dem sich hoch
technisierte Anlagen befinden. Dabei kann man sich na-
türlich wunderbar in die erste Reihe stellen und Regie-
rungspolitik präsentieren. Auch dort waren es aber ver-
lorene Jahre für Deutschland und den Aufschwung Ost.

Das können Sie auch nicht durch Ihr Anti-Stau-
Programm wieder wettmachen, das Sie als Feigenblatt
etabliert haben.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Heute ist der Kuhn nicht in Form!)


Die Verkehrsminister der Länder haben im März 2004
konstatiert, dass wir für den Ausbau der Bundesfernstra-
ßen jährlich mindestens 5,8 Milliarden Euro und für die
Bundesschienenwege jährlich 4 Milliarden Euro brau-
chen. Das wurde schon von verschiedenen Rednern dar-
gestellt. Wenn Sie sich anschauen, was im Ansatz des
Einzelplans 12 steht, dann wissen Sie, dass es bei den
Bundesfernstraßen eine Unterdeckung von 1,5 Milliar-
den Euro und bei den Bundesschienenwegen eine Unter-
deckung von 1,9 Milliarden Euro gibt.

Herr Minister Stolpe, es ist wirklich an der Zeit, dass
die Einnahmen endlich zweckbestimmt für die Ver-
kehrsinfrastruktur eingesetzt werden.


(Beifall des Abg. Georg Brunnhuber [CDU/ CSU])


Schauen Sie sich an, wo wir Einnahmen haben, wo also
die Nutzer der Verkehrssysteme zur Kasse gebeten wer-
den. Ich habe das heute schon von verschiedenen Seiten
gehört: Durch die Kfz-Steuer werden mindestens
20 Milliarden Euro pro Jahr eingenommen. Daneben
gibt es noch die Mineralölsteuer. Wenn Sie das alles
hochrechnen, kommen Sie auf 51 Milliarden Euro jähr-
lich. Wir wissen, was Rot-Grün beschlossen hat und da-
mit auch, wohin dieses Geld fließt.

Die Maut für schwere LKWs ist bis jetzt ein reiner
Ausfall. Wir hoffen, dass sie am 1. Januar nächsten Jah-
res eingeführt wird. Herr Stolpe, Sie müssen sich endlich
gegen den Finanzminister durchsetzen, der beim Ein-
bringen seines Haushaltes nicht einmal seine zehn Ein-
nahme- und seine zehn Ausgabepositionen vernünftig
darstellen konnte, sondern stundenlang darüber geredet
hat, wann wer was wo über Zahnersatz gesagt hat. Das
kann doch nicht der Hauptbuchhalter der größten Nation
Europas sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich aber ganz geplättet von dem Argument! Sehr beeindruckend!)


– Herr Schmidt, ich denke, dieses Argument tut weh.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser im Zahn! Zahnweh!)

Wir kommunizieren nur das, was draußen reflektiert
wird.

Wie wollen Sie das Vertrauen des Speditionsgewerbes
für die Einführung der Maut zum 1. Januar 2005 erhal-
ten? Natürlich stehen die On Board Units in den Ver-
tragswerkstätten zur Verfügung. Kein einziger Spediteur






(A) (C)



(B) (D)


Werner Kuhn (Zingst)


lässt sie sich aber einbauen. Diesen Zinnober hat er näm-
lich schon einmal erlebt. Er hat sich eine On Board Unit
einbauen lassen, das einschließlich der Kabelsätze
230 Euro gekostet hat. Was ist dabei herausgekommen?
Er fährt jetzt gebundenes Kapital herum. Die Maut kann
er immer noch nicht darüber abrechnen.

Die Spediteure werden sagen: Wir haben ein Jahr lang
ganz gut damit gelebt, dass die Maut nicht gekommen
ist. Wir brauchten ja nicht zu zahlen. – Das kann aber
nicht die Politik sein, mit der man im Bereich der Infra-
struktur zukunftsweisend für den Wirtschaftsstandort
Deutschland arbeitet.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Zukunft und überhaupt!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist
natürlich, dass Sie dabei beachten, dass gerade in den
neuen Bundesländern eine Wirtschaftsförderung not-
wendig ist. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur allein
reicht hier nicht. Sachsen ist das einzige Land, das die
GA-Mittel in der Kofinanzierung vernünftig bedienen
kann. Die anderen neuen Bundesländer – das sage ich
durchaus kritisch – sehen darin nur die Möglichkeit, ihre
Defizite im konsumtiven Bereich auszugleichen. Hier
muss eine Kontrolle her. Das müssen wir gemeinsam in
Angriff nehmen.

Leider bleibt mir als letztem Redner die wenigste Re-
dezeit. Heute haben wir einen historischen Tag. Vor
15 Jahren wurde in der damaligen DDR die Bürgerbe-
wegung „Neues Forum“ gegründet, ein mutiger und im
DDR-Regime sehr gefährlicher Schritt. Wir waren nur
die Türöffner für eine bessere Zukunft, sagen Bärbel
Bohley und ihre Mitstreiter. Die Politik machen jetzt an-
dere.

Wir in diesem Hohen Hause haben eine verantwor-
tungsvolle Aufgabe, die sich aus unserer Verfassung er-
gibt: Einigkeit und Recht und Freiheit für ein gemeinsa-
mes Deutschland. Aber in allererster Linie sind die
gewählten Vertreter der Exekutive und die sie tragenden
Parteien gefragt. Sie haben den Osten in Ihrer Regie-
rungszeit sträflich vernachlässigt. Deshalb ist die Situa-
tion in den neuen Ländern jetzt so prekär. Darüber kön-
nen wir so viel diskutieren, wie Sie wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512316700

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen.


Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1512316800

Ich komme sofort zum Schluss. – Gerade von Ihnen,

Herr Minister Stolpe, erwarten wir erneute Anstrengun-
gen. Es bewahrheitet sich nämlich der Satz: Auch den
Aufbau Ost macht man nicht mit links.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512316900

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3678 und 15/3489 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft. Das Wort hat zu Beginn die Frau
Ministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Wir stehen vor der Aufgabe, der
ersten Generation des 21. Jahrhunderts neue Chancen zu
bieten, statt ihr immer mehr neue Schulden aufzubürden.
Wenn wir in dieser Art und Weise Verantwortung für die
Zukunft übernehmen, heißt das logischerweise, dass wir
uns immer um die Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte bemühen müssen. Voraussetzung dafür ist
eine strikte Ausgabendisziplin. Wenn man für die Jugend
Entwicklungsmöglichkeiten schaffen und erhalten will,
ist es notwendig, Subventionen und Steuervergünstigun-
gen abzubauen und Investitionen in zukunftsfähige Inno-
vationen zu ermöglichen.

Wenn wir in diesem Dreiklang übereinstimmen, dann
werden Sie auch meinem nächsten Satz zustimmen: Von
diesen Maßnahmen kann die Landwirtschaft nicht aus-
genommen werden. Deshalb hoffe ich, dass wir heute
sachlich diskutieren werden.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist an uns nie gescheitert!)


– In dem Fall war ich im letzten Jahr vielleicht auf einer
anderen Veranstaltung. Ich kann mich an viel populisti-
sches Getöse um diese Rasenmähermethode erinnern –
das ist meine Umschreibung der Koch/Steinbrück-Vor-
schläge. Später, als es darauf ankam, hat man gekniffen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Unglaublich sachlich! Ist das jetzt ein Sachlichkeitsanfall, den Sie haben?)


Sie haben viel davon gesprochen, die Ausgaben nach der
Rasenmähermethode zu kürzen, um so Gelder für Inno-
vationen und Bildung zu ermöglichen, sich dann aber im
Vermittlungsverfahren zum Haushaltbegleitgesetz 2004
der Diskussion entzogen, sich vom Acker gemacht und
gefordert, den Agrarbereich von Kürzungen auszuneh-
men. So geht es nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Ich bin von meinem Acker noch nie weggelaufen!)


Ich glaube – diesen Eindruck hatte ich zumindest auf
der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauernver-
bandes –, dass die Landwirte Sie nicht mehr ernst neh-
men. Sie wissen mittlerweile, dass sie ihren Teil dazu
beizutragen haben, zumal sie oft selbst Kinder haben.
Diese Kinder werden nicht alle ihr Auskommen in der






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

Landwirtschaft finden. Daher ist den Landwirten eine
gute Bildung und Ausbildung ihrer Kinder wichtig.

Es ist nur ehrlich, den Agrarbereich von den Kürzun-
gen nicht auszunehmen, sondern auch hier den solidari-
schen Beitrag zu verlangen. Mittlerweile ist das für die
Bauern selbstverständlich.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das haben sie doch immer gemacht!)


Das heißt, dass wir auch bei dem bedeutsamsten Teil des
Einzelplanes 10, der Agrarsozialpolitik, um Kürzungen
nicht herumkommen. Wir müssen an dieser Stelle vor-
sichtig sein. Wir wollen Vorzüge abbauen. Deshalb sol-
len in Zukunft auch die Landwirte einen Teil der Kosten
der älteren Generation tragen, wie das sonst in der GKV
üblich ist. Wir müssen also in der Krankenversicherung
der Landwirte durch eine Regelung im Übergangsrecht
den Bundeszuschuss im Finanzplanungszeitraum sen-
ken. Das sind 82 Millionen Euro.

Wir haben das auch im Zusammenhang mit dem
Agrardiesel diskutiert. Im letzten Jahr hatten wir hier
eine intensive Debatte, als es darum ging, eine betriebli-
che Obergrenze zu setzen und einen Selbstbehalt festzu-
legen. Das ist die Lösung des regionalen Ausgleichs.
Wenn man nämlich die Entscheidungen zum Agrardiesel
und zur Agrarsozialpolitik im Zusammenhang betrach-
tet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kombi-
nation beider Vorschläge regionale Unterschiede und un-
terschiedliche Betriebsgrößen berücksichtigt. Deshalb
halte ich dieses Modell nach wie vor für die gerechteste
und solidarischste Lösung. Ich glaube, dass die Land-
wirtschaft akzeptieren kann, dass innerhalb der Land-
wirtschaft Solidarität herrschen muss. Deshalb haben
wir das im Haushaltsbegleitgesetz 2005 erneut aufge-
griffen.

Allen, die das kritisieren möchten, sage ich eines: Ich
nehme Kritik nur auf und setze mein Gehirn nur dann in
Gang, wenn Sie sich gleichzeitig von Edmund Stoiber
distanzieren, der zusätzlich zu dem Entwurf der Bundes-
regierung noch einmal eine 5-prozentige Kürzung, auch
für die Landwirtschaft, gefordert hat.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Setzen Sie doch mal Ihr Gehirn in Gang!)


Dann müssen Sie hier sagen, dass Sie dagegen sind.

(Zuruf von der FDP)


Erst wenn Sie Edmund Stoiber kritisiert haben – das gilt
nicht für die FDP –, können Sie über das reden, was wir
inhaltlich vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die trauen sich ja nicht!)


– Die trauen sich nicht. Die Vermutung habe ich auch.
Wir haben mit der Agrarwende einen großen Schritt

getan. Wir haben mit den Reformen, die ab dem
1. Januar nächsten Jahres wirken, einen Schritt getan,
mit dem wir mehrere Dinge erreicht haben. Er hat mehr
Gerechtigkeit im Agrarbereich auf nationaler Ebene ge-
bracht. Wir haben auf europäischer Ebene mit den
Reformen einen Beitrag dazu geleistet, dass die EU am
31. Juli ein WTO-Rahmenabkommen abschließen
konnte. Das wird letztendlich auch positiv für die Ent-
wicklung in Deutschland sein. Wir alle haben gelernt,
sektorenübergreifend zu denken.

Wir können sagen, dass wir unsere Bäuerinnen und
Bauern für die neue europäische Agrarpolitik vorbereitet
haben, weil wir die Ergebnisse frühzeitig antizipiert ha-
ben. Wir haben am 9. Juli die Regelung im Bundesrat
umgesetzt und wir haben an vielen anderen Stellen die
Reformen umgesetzt, etwa bei der GAK. Wir werden
ebenso die Reformen für den Bereich Zucker und zur
Absicherung unserer Zuckerrübenanbauer machen. Ich
glaube, dass nur das verlässliche Politik ist. Es geht
nicht, bis zum letzten Augenblick Nein zu sagen, sich
dann zu wundern, dass Entscheidungen getroffen wer-
den, und den deutschen Landwirten erst fünf nach zwölf
die Möglichkeit zu geben, ihre betrieblichen Entschei-
dungen auf die neue Situation auszurichten. Ich glaube,
dass wir richtig liegen, denn unsere Bauern können früh-
zeitig beginnen, sogar früher als manche andere in
Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben mit der Modulation mehr Mittel für die
ländliche Entwicklung zur Verfügung. Wir alle wissen,
dass mittelständische Unternehmen dort, auf 80 Prozent
der Fläche in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeits-
plätze schaffen. Wir wollen den Übergang von der rein
agrarischen Produktion zu Dienstleistungen, zu Energie-
erzeugung und zu mehr Wertschöpfung auf dem Lande.
Wir alle wissen und gerade der Osten weiß, dass dieses
bitter nötig ist, wenn wir Arbeitsplätze im ländlichen
Raum haben wollen, die über die Landwirtschaft hinaus-
gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Zukunft!)


Ich glaube, dass wir damit einen Zukunftspunkt ange-
packt haben. Das betrifft auch die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“. Damit geben wir bundesweit sehr effektiv und un-
bürokratisch Linien vor, die wir in Brüssel notifizieren
lassen können. An der Stelle habe ich eine Frage hin-
sichtlich der weiteren Gestaltung der Politik. Ich würde
gerne wissen, ob sich dieses Haus zur Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-
tenschutzes“ bekennt. Ich höre in der Föderalismuskom-
mission von der CDU/CSU immer das Gegenteil.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Fragen Sie doch Herrn Müntefering!)


Wenn die Union nicht zur Gemeinschaftsaufgabe steht,
möchte ich wissen, wie sie sich zum Haushalt verhält.
Man kann nicht Kürzungen kritisieren, wenn man in
Wahrheit die gesamte Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-
serung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
streichen will. Das vertritt die CDU/CSU in der Födera-
lismuskommission.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich möchte, dass wir hier brillante Kofinanzierungsmit-
tel für die europäischen Töpfe haben. Ich meine nicht,
dass wir unterstützen sollten, dass das Geld anderswo in
Europa verteilt wird. Ich möchte hier Kofinanzierungs-
mittel; ich weiß, dass wir so in Ost und West die Zukunft
auf dem Lande sichern können.

Ich glaube, diese Dinge verbinden sich gut mit der
Förderung nachwachsender Rohstoffe, die ebenfalls im
Haushalt enthalten ist. Ich will, dass Biokraftstoffe einen
bedeutenden Platz in der nationalen Kraftstoffstrategie
einnehmen. Wir haben an dieser Stelle die Möglichkeit,
vorne zu sein und diese Technologie weiter zu entwi-
ckeln – auch für die Automobilindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will, dass die Landwirte erkennen – andere haben
es eigentlich längst erkannt –, wo unser Platz auf dem
Markt ist. Für die Landwirtschaft hier bedeutet das eine
Orientierung auf Qualität, Qualität, Qualität und auf
nachwachsende Rohstoffe, stofflich und energetisch ge-
nutzt. Aufgrund der Möglichkeit, die Eigenheimzulage
zu streichen und die frei werdenden Mittel auch für For-
schungs- und Entwicklungsmaßnahmen im Bereich der
Landwirtschaft zu nutzen, bringt das Innovationen für
den ländlichen Raum. Daraus kann man für die Zukunft
Arbeitsplätze schaffen. Dieses Ziel werden wir alle hier
wohl vertreten wollen.

Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf
enthält natürlich auch andere Bereiche, etwa die Berei-
che des gesundheitlichen und des wirtschaftlichen
Verbraucherschutzes. Wir alle wissen, dass wirtschaft-
liche Verbraucherpolitik – wir finanzieren die Stiftung
Warentest und die VZBV – wichtig ist. Wir wollen den
nachhaltigen Konsum fördern, weil wir alle wissen, dass
wir in allen Bereichen Verantwortung tragen. Wir wollen
und werden weiter die Verbraucheraufklärung im Ernäh-
rungsbereich finanzieren; denn wir wissen, dass dieser
Teilbereich einen wichtigen Aspekt der Gesundheit dar-
stellt. Alle Gruppen der Bevölkerung, auch die aus der
Unterschicht, müssen hier Chancen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich glaube, dass dies ein runder Budgetentwurf ist,
der alle Zukunftsthemen anpackt.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317000

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1512317100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Bevor ich zum Einzelplan 10, also dem
Haushalt des Ministeriums für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft komme, erlaube ich mir ein
paar allgemeine Anmerkungen zum Haushalt insgesamt.

Nach sechs Jahren rot-grüner Regierung müssen wir
feststellen, dass vieles anders, aber leider nichts besser
geworden ist.


(Zuruf von der SPD: In welchem Land leben Sie denn?)


Zum dritten Mal in Folge brechen wir in diesem Jahr den
Maastricht-Vertrag, und zwar sowohl was die Neuver-
schuldung als auch was die Gesamtverschuldungsgrenze
betrifft. Zum wiederholten Male liegt ein Haushaltsent-
wurf vor, der wirklich nur auf dem Papier nicht verfas-
sungswidrig ist. Das Hauptproblem, nämlich die
Arbeitslosigkeit oder – besser gesagt – die geringe Be-
schäftigungszahl, hat sich wesentlich verschärft. Ich
möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass sich der
Bundeskanzler eigentlich irgendwann an der Lösung
dieses Problems messen lassen wollte.

In den ersten Jahren von Rot-Grün hat es ja immer ge-
heißen, wir, also die frühere Bundesregierung, seien da-
für zuständig gewesen.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Bei Ihnen hat es ja keine Arbeitslosen gegeben! Das müssen Sie gerade sagen!)


Nachdem der allerletzte Journalist das nicht mehr ge-
glaubt hat, war es dann irgendwann die Weltwirtschaft,
die dafür zuständig war. Aber, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen, der Export läuft ja interessanterweise re-
lativ gut; bloß die Binnenkonjunktur lahmt etwas.

Ich erinnere mich, dass Finanzminister Eichel in sei-
ner Einbringungsrede verzweifelt in irgendeiner Tabelle
– sie ist offensichtlich genauso chaotisch gewesen wie
die Regierungspolitik – nach einem Beleg dafür gesucht
hat, dass die Bürgerinnen und Bürger durch die Maßnah-
men von Rot-Grün unter dem Strich angeblich mehr
Geld in der Tasche haben. Aber wenn das so ist, dann
muss es ja irgendeinen anderen Grund dafür geben, dass
die Leute weniger konsumieren. Entweder vertrauen sie
offensichtlich der Regierung nicht und konsumieren und
investieren deshalb auch nicht oder sie haben wirklich
nicht mehr in der Tasche. Ich vermute, dass letzteres
Szenario das realistischere ist. Beides ist schlimm genug.
Der Dreh- und Angelpunkt ist das geringe Wirtschafts-
wachstum, ist die hohe Beschäftigungsschwelle und sind
die fehlenden Arbeitsplätze.

Warum weise ich eigentlich auf dieses Problem
hin? – Weil wir aus genau diesem Grund so hohe Ausga-
ben für den Arbeitsmarkt haben und weil aufgrund der
geringen Beschäftigung natürlich auch der Zuschuss zur
Rentenkasse deutlich steigt. Das drückt natürlich auf den
Haushalt insgesamt. Als Folge muss in anderen Berei-
chen massiv eingegriffen werden. Dann sucht man sich
natürlich, wenn es irgend geht, Einsparmöglichkeiten bei
einer Klientel, die einem nicht so nahe steht.

Jetzt muss ich Ihnen erst einmal

(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Herr Stoiber hat ja Vorschläge gemacht!)







(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

vorrechnen, wie die Entwicklung des Gesamthaus-
halts im Vergleich zur Entwicklung des Einzelplans 10
gewesen ist. Die Ausgaben des Gesamthaushaltes sind
seit 1998 von 233 Milliarden Euro auf heute 258 Milliar-
den Euro gestiegen – ein Plus von 11 Prozent. 1998 lag
der Etat des Landwirtschaftsministeriums – damals noch
ohne Verbraucherschutz – bei 5,9 Milliarden Euro.
Heute liegt er einschließlich Verbraucherschutz bei
5,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer Kürzung von
15 Prozent. Dabei ist, wie gesagt, noch nicht berücksich-
tigt, dass der Verbraucherschutz inzwischen hinzuge-
kommen ist. Daran kann man schon erkennen, dass of-
fensichtlich doch größere Einsparungen im Bereich
der Landwirtschaft vorgenommen worden sind, dass
die Landwirtschaft also schon teilweise Vorleistungen
erbracht hat. Allein die Mittel für die von Ihnen ange-
sprochene Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und
Küstenschutz“ sind seit 1998 um 22 Prozent – ohne Be-
rücksichtigung der globalen Minderausgabe – gekürzt
worden. Ich persönlich stehe zur Gemeinschaftsaufgabe.
Ich bin mir sicher, dass die gesamte Unionsfraktion zur
Gemeinschaftsaufgabe steht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unter diesen Voraussetzungen ist die Union im letzten

Jahr in die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ge-
gangen. Weil sie genau wusste, welche Vorleistungen die
Landwirtschaft bereits in den letzten Jahren erbracht
hatte, hat sie gesagt: Bei der Landwirtschaft wird jetzt
nicht noch einmal gekürzt!


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das hat Herr Stoiber in Bayern ja auch nicht gemacht!)


Aber Sie kündigen jetzt den im Vermittlungsausschuss
erzielten Kompromiss einseitig auf. Sie brechen sozusa-
gen einseitig einen Vertrag. Ich kann mir in diesem Zu-
sammenhang nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass
Sie das auch in anderen Bereichen gemacht haben, aller-
dings zugunsten anderer Gruppen. Das kann ich Ihnen
nicht ersparen: Koch und Steinbrück haben vorgeschla-
gen, im Bereich der Steinkohleförderung 175 Millionen
Euro einzusparen. 175 Millionen Euro!


(Widerspruch bei der SPD)

Es ist aber im Rahmen der Haushaltsberatungen mit ein-
facher Mehrheit beschlossen worden, dies auf die glo-
bale Minderausgabe des gesamten Einzelplans zurück-
zuführen.

Zurück zum Haushaltsentwurf: Die ausgewiesene Ge-
samtkürzung der Ausgaben von 1,7 Prozent täuscht;
denn die Bezugsbasis 2004 ist nicht korrekt. Sie hatten
schließlich schon Ihre gewünschten Kürzungen einge-
rechnet. Wenn man das Jahr 2003 als Basis nimmt, dann
kommt man zu folgendem Ergebnis: Der Sollansatz der
Ausgaben lag damals bei über 5,6 Milliarden Euro. Der
jetzige Regierungsentwurf weist für 2005 aber nur noch
5,1 Milliarden Euro aus. Dies entspricht einer Kürzung
von fast 10 Prozent in zwei Jahren. Man kann wirklich
nicht behaupten, dass das zu wenig ist.

Es ist keine Frage, dass dies auch nicht an der land-
wirtschaftlichen Sozialpolitik vorbeigeht. In diesem
Bereich gibt es – genauso wie in der Knappschaft – de-
mographische und strukturbedingte Probleme. Immer
weniger aktiven Landwirten stehen immer mehr Alten-
teiler gegenüber, und zwar wegen des Strukturwandels
in einem wesentlich schlechteren Verhältnis als bei der
allgemeinen Kranken- bzw. Rentenversicherung. Dieses
Problem wird durch Ihr Haushaltsbegleitgesetz weiter
verschärft. Über die Konsequenzen haben wir schon in
der Anhörung am letzten Montag gesprochen. Aber ich
möchte hier – das ist meine Prognose der zukünftigen
Entwicklung – nochmals darauf hinweisen. Durch die
Kürzungen werden die Beiträge natürlich steigen. Die
Frage wird nicht sein, ob, sondern, wie viele und wie
schnell freiwillig Versicherte die Krankenversicherung
verlassen werden. Dadurch werden die Beiträge erneut
steigen. Irgendwann wird es eine Verfassungsklage ge-
gen eine Krankenversicherung geben, die die Beiträge
erhöht, die man aber im Gegensatz zur allgemeinen
Krankenversicherung nicht verlassen kann; denn dort hat
man jederzeit die Möglichkeit, zu wechseln, wenn die
Beiträge steigen. Aber das ist hier nicht möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen genau, dass der Vergleich mit der allge-

meinen Krankenversicherung hinkt, wenn man nur die
Beiträge in Prozent heranzieht; denn bei Prozentsätzen
hat man immer das Problem, dass sie sich auf eine be-
stimmte Basis beziehen. Man kann nicht einfach eine
gleiche Bemessungsgrundlage zwischen der allgemeinen
Krankenversicherung und der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung herstellen. Das ist der eigentliche
Grund, warum die landwirtschaftliche Krankenversiche-
rung bisher nicht in den Risikostrukturausgleich einbe-
zogen worden ist. Ich prophezeie Ihnen, dass keine all-
gemeine Krankenversicherung jubeln würde, wenn die
landwirtschaftliche Krankenversicherung eingegliedert
werden müsste; denn das, was die landwirtschaftliche
Krankenversicherung aus dem Risikostrukturausgleich
erhalten würde, wäre wesentlich höher als der Zuschuss
aus dem Bundeshaushalt. Deshalb wird das wohl nicht
stattfinden. Sie verweigern der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung im Prinzip die gleiche Behandlung
wie sie beispielsweise die knappschaftliche Krankenver-
sicherung genießt.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist eine glatte Frechheit!)


– Das ist keine glatte Frechheit. Das wissen Sie ganz ge-
nau, Frau Wolff.

Ein anderes Beispiel für die Benachteiligung der
Landwirtschaft ist die Mineralölsteuerbefreiung für
Agrardiesel. Auch hier gibt es einseitige Einschnitte.
Ich hätte von einer deutschen Ministerin erwartet, dass
sie irgendwann in Brüssel die am letzten Montag ange-
sprochene First-best-Lösung – die Angleichung auf eu-
ropäischer Ebene – durchsetzt. Stattdessen sieht das
Haushaltsbegleitgesetz – im Vergleich zu Frankreich –
künftig einen siebenfach höheren Steuersatz auf Agrar-
diesel vor. Wie kann man denn bei höheren Umwelt-
schutzauflagen, höheren Tierschutzauflagen und höhe-
ren Steuersätzen von der deutschen Landwirtschaft
erwarten, dass sie mit den Landwirtschaften in den






(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

Nachbarstaaten auch nur ansatzweise konkurriert? Das
müssen Sie mir einmal erklären.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gäbe im Rahmen dieser Haushaltsberatungen noch

sehr viel dazu zu sagen, was sonst alles gekürzt wurde.
Aber die Kollegen und Kolleginnen des Haushaltsaus-
schusses haben im Herbst mit Sicherheit viele Gelegen-
heiten, über die einzelnen Titel zu sprechen. Ich kann
Ihnen schon heute versprechen: Wir werden viele Ein-
sparungsvorschläge machen,


(Jella Teuchner [SPD]: Da sind wir jetzt mal gespannt! – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das wäre ja das erste Mal!)


die Ihnen allerdings nicht gefallen werden.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Die Gelegenheit heute hätten Sie gleich mal nutzen können!)


– Nein, leider habe ich nicht mehr so viel Zeit. Ich kann
Ihnen, Frau Wolff, und den Kolleginnen und Kollegen
versprechen, dass ich mit Sicherheit eine sehr konstruk-
tive Rolle spielen werde. Ich werde nicht nur Erhö-
hungsanträge, sondern – ganz im Gegenteil – sehr viele
Kürzungsanträge stellen, selbstverständlich im Einver-
nehmen mit meiner Fraktion.


(Gustav Herzog [SPD]: Und Herrn Stoiber!)

Wie gesagt, wir werden uns nicht einig werden. Aber

es gibt Alternativen zu den Vorschlägen, die Sie gemacht
haben. Diese Alternativen werden wir aufzeigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das werden wir bei den Beratungen sehen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317200

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Jella Teuchner.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1512317300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und

Damen! Als das Kabinett den Haushaltsentwurf be-
schlossen hat, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Union, mit zehn Pressemitteilungen reagiert.
In dreien werfen Sie uns den Marsch in den Schulden-
staat vor; in sieben kritisieren Sie konkrete Sparvor-
schläge und werfen Sie uns vor, wir sparten das Land
und insbesondere die Landwirtschaft kaputt. Das Glei-
che haben wir am Montag in der Anhörung im Haus-
haltsausschuss erlebt. Das Gleiche erleben wir jetzt in
den Haushaltsberatungen. Ich frage Sie: Halten Sie ei-
gentlich selbst Ihre Positionen für ein stringentes Kon-
zept? Oder ist Ihnen nicht vielmehr selbst bewusst, dass
Sie einfach keine Ahnung haben, wie auf die Haushalts-
situation zu reagieren ist?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie hier machen, ist eine Politik nach Dr. Jekyll
und Mr. Hyde: Der vermeintlich gute Dr. Jekyll will nie-
mandem wehtun und lehnt alle Sparmaßnahmen ab,
während der vermeintlich böse Mr. Hyde ruft: Sparen,
sparen, sparen! – Dr. Jekyll ist daran zerbrochen, dass er
seine beiden Egos nicht unter einen Hut bringen konnte.
Auch Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie nicht
endlich sagen, was Sie eigentlich wollen. Auch die Men-
schen wollen von Ihnen Antworten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Anhörung im Haushaltsausschuss wurde uns
ständig vorgeworfen, wir machten eine unanständige Po-
litik, weil wir auch im Haushalt des BMVEL kürzen.
Wissen Sie, was unanständig ist? Unanständig ist es,
ständig das Sparen zu fordern, es aber gleichzeitig zu
verhindern. Nichts anderes machen Sie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie prangern die Staatsverschuldung an und sorgen da-
für, dass wir neue Schulden machen. Das ist auch Ihre
Politik hier im Bundestag.

Auch heute war wieder festzustellen, dass Sie sich um
konkrete Vorschläge eigentlich herumdrücken. Das hat
einen guten Grund: Auch Sie kämen nicht umhin, im
Haushalt des BMVEL zu sparen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das würden wir ja gerne tun!)


Der bayerische Ministerpräsident hat angeboten, im
Bund 5 Prozent zu sparen. Herr Austermann hat Vor-
schläge angekündigt, die Kürzungen von 3 Prozent vor-
sehen. Er hat es zwar angekündigt, aber bis heute nichts
vorgelegt. Wie aber wollen Sie denn das überhaupt um-
setzen? Haben Sie eigentlich überhaupt irgendwelche
Vorstellungen? Wenn ja, dann legen Sie sie endlich auf
den Tisch und dann können wir darüber reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Keine Sorge!)


Hören Sie endlich damit auf, so zu tun, als ob man
sparen könnte, ohne weniger Geld auszugeben! Das geht
nicht. Das können auch Sie nicht und das glaubt Ihnen
auch niemand.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Richtig!)

Wie gesagt, Sie haben keine Vorschläge vorgelegt.

Das ist auch logisch; denn sonst müssten Sie zugeben,
dass auch Sie schmerzhafte Maßnahmen durchsetzen
müssten, auch in der Landwirtschaft. Ein Blick in die
Länder zeigt es doch: 3,2 Prozent hat Edmund Stoiber in
Bayern eingespart, 4 Prozent pro Jahr hat Roland Koch
gemeinsam mit Peer Steinbrück vorgeschlagen.

Die Landwirtschaft können beide nicht ausnehmen.
Im Gegenteil: Die Bayerische Staatsregierung hat im
Nachtragshaushalt 2004 im Bereich des Landwirt-
schaftsministeriums mit 7,5 Prozent deutlich überpro-






(A) (C)



(B) (D)


Jella Teuchner

portional gekürzt. Das ist die Realität dort, wo Sie regie-
ren. Es wäre gut, wenn Sie diese Realität auch hier im
Bundestag wahrnehmen würden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir kennen die wirtschaftliche Situation in der Land-
wirtschaft. Auch ein Edmund Stoiber kennt sie. Ich kann
Ihnen sagen, dass wir genau prüfen, in welchen Berei-
chen Kürzungen vorgenommen werden müssen und
können. Wir stellen fest: Die Landwirtschaft profitiert
weiterhin wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig von
steuerlichen Sonderregelungen und Subventionen. Im
Agrarbericht 2003 sind 6,8 Milliarden Euro an EU-Mit-
teln, 5,3 Milliarden Euro an Bundesmitteln und 2,6 Mil-
liarden Euro an Landesmitteln ausgewiesen. Das macht
laut Agrarbericht 21 254 Euro pro Haupterwerbsbetrieb
oder 11 279 Euro pro Arbeitskraft aus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie wissen, dass das unfair ist!)


11 279 Euro an Direktzahlungen und Zuschüssen wer-
den für jede Arbeitskraft in einem Haupterwerbsbetrieb
ausgegeben. Das ist – das müssen Sie zugeben – eine
Menge Geld. Auch mit dem vorgelegten Haushalt wer-
den die Landwirte noch kräftig unterstützt.

Heute Morgen haben die Bauern vor dem Reichstag
demonstriert. Wir wissen – da gibt es kein Drumherum-
reden –, dass wir mit dem Haushalt 2005 die Bauern
belasten werden. Wir alle wissen aber auch, dass ein-
schneidende Reformen notwendig sind, die alle Bürge-
rinnen und Bürger unseres Landes betreffen. Angesichts
dessen können wir die Landwirtschaft nicht komplett au-
ßen vor lassen. Uns allen wäre es lieber, wir müssten im
Einzelplan 10 nicht sparen. Wir würden auch gern in al-
len anderen Einzelplänen genauso viel ausgeben wie bis-
her. Wir haben aber das Geld nicht dazu. Deswegen
muss gespart werden. Auch Sie müssten genauso sparen.

Die Bauern haben darauf hingewiesen, dass die Land-
wirte in Dänemark – das ist eben auch schon angespro-
chen worden – nur 3 Cent Steuern für den Agrardiesel
bezahlen. Sie haben in der Anhörung zum Haushaltsbe-
gleitgesetz eine Grafik des Ifo-Instituts verwendet, die
dies auch deutlich zeigt. Interessant ist, dass das Ifo-In-
stitut in dieser Studie nicht nur die Dieselbesteuerung in
Europa, sondern auch alle Steuern auf Produktionsmittel
vergleicht. Schaut man sich diese Steuern an, dann stellt
man fest, dass die dänischen Bauern, gemessen am Ge-
winn, doppelt so stark belastet werden wie die deut-
schen.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Die machen keinen Gewinn!)


Die Wettbewerbsbedingungen hängen nicht nur vom
Preis für Agrardiesel ab und das wissen Sie auch. Wa-
rum argumentieren Sie dann nicht auf der Grundlage Ih-
res Wissens?


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil man nicht will!)

Wir brauchen eine Agrarpolitik, die dafür sorgt, dass
sich die Landwirte am Markt ausrichten können. Mit der
Umsetzung der EU-Agrarreform haben wir dafür die
richtigen Weichen gestellt.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Erklären Sie mal, was Cross Compliance ist!)


Wir brauchen eine Agrarpolitik, die besondere Leistun-
gen von Landwirten fördert und damit Perspektiven
schafft. Hier haben wir im ökologischen Landbau eini-
ges erreicht. Durch die Förderung der nachwachsenden
Rohstoffe haben etliche Landwirte ein zusätzliches wirt-
schaftliches Standbein bekommen.

Vor der Sommerpause haben wir die Novelle des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen. Der Bauern-
verband hat diese Novelle begrüßt, weil sie eine Per-
spektive für etliche Landwirte schafft. Die Union hat
dagegengestimmt. Das ist Ihre Politik für die Landwirte:
Sonntagsreden halten, die dann bei der Abstimmung im
Bundestag nichts mehr wert sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in diesem Haushalt – das ist auch von der
Ministerin angesprochen worden – wieder einen
Schwerpunkt beim Verbraucherschutz gesetzt. Das ist
für die Landwirte wichtig. Sie leben davon, dass die Ver-
braucherinnen und Verbraucher Vertrauen in ihre Pro-
dukte haben. Das ist aber vor allem für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher wichtig. Wir sorgen dafür, dass
sie notwendige Informationen bekommen, dass ihre Ge-
sundheit und ihre wirtschaftlichen Interessen geschützt
sind und dass sie im Zweifel auch ihre Rechte durchset-
zen können. Dafür stehen wir. Das lässt sich auch am
Haushalt ablesen.

Der Haushalt 2005 ist ein Konsolidierungshaushalt.
Dies ist notwendig. Genauso notwendig ist es – daran
führt kein Weg vorbei –, dass auch die Landwirtschaft
einen Beitrag leistet. Umso mehr ist es notwendig, dass
wir die Weichen für eine auch wirtschaftlich nachhaltige
Landwirtschaft stellen. Das heißt, dass trotz der Sparvor-
gaben gezielt Schwerpunkte zu setzen sind. Das heißt
auch, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Landwirte
ihre Produktion an den Märkten ausrichten können.

Wir haben mit der Umsetzung der EU-Agrarreform
die richtigen Schritte unternommen. Wir stärken die
ländlichen Räume und eröffnen den Landwirten Spiel-
räume für unternehmerische Entscheidungen. Gerade
diese Ausrichtung an den Märkten, die wir durchgesetzt
haben, bringt deutliche Chancen für die Landwirte. Wer
jetzt nur jammert, der verspielt diese Chancen. Es geht
darum, diese Chancen zu nutzen. Dafür stellen wir die
Weichen – mit dem Haushalt und auch sonst mit unserer
Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317400

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael

Goldmann.






(A) (C)



(B) (D)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1512317500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministe-

rin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man, wäh-
rend man so dasitzt, aufgefordert wird, sachlich zu sein,
aber dann das hört, was Sie eben vorgetragen haben,
Frau Teuchner, wähnt man sich im falschen Film. Wer
behauptet, dass dieser Haushalt gegenüber der Agrar-
wirtschaft und der Ernährungswirtschaft fair und gerecht
ist und ihnen Marktchancen eröffnet, der hat noch nie in
den Haushalt hineingeschaut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich verstehe das ir-
gendwo nicht mehr. Man wird zu einer sachlichen Dis-
kussion aufgefordert und im gleichen Atemzug sagen
Sie, der Agrarhaushalt sei ausgewogen, gerecht und zu-
kunftsorientiert, obwohl Sie ganz genau wissen, dass
dies der Bereich des Gesamthaushaltes ist, der am meis-
ten blutet, da er ungefähr ein Drittel von den bisherigen
1,5 Milliarden Euro Zuwendungen, die er aus dem natio-
nalen Haushalt bekommen hat, verliert. Ich denke, so
kann man mit diesem Bereich nicht umgehen, man
müsste fairer und verantwortungsbewusster sein. Ihr
Haushalt ist aber nicht fair und nicht verantwortungsbe-
wusst.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Bei der Agrarreform waren wir uns weitgehend einig

und haben relativ viel – aus meiner Sicht fachlich be-
gründet – kollegial auf den Weg gebracht. Einig waren
wir allerdings auch, dass viele Landwirte in Deutschland
vor einer großen Herausforderung stehen.

Gestern kam der nächste Hammer: Wir stimmen doch
mit Ihnen darin überein, dass im Zusammenhang mit der
Reform des Zuckermarktes etwas passieren muss.
Nur, die Reform des Zuckermarktes kostet ebenso wie
die eigentliche Agrarreform jede Menge Unternehmen
und landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland Geld,
bringt eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und damit
von Zukunftsperspektiven in diesem Bereich mit sich.
Das wissen Sie doch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie aber reden von Gerechtigkeit und davon, dass alle ei-
nen Beitrag leisten müssen.

Sie wissen ganz genau, dass der niedersächsische
Landwirt aus dem Emsland beim Agrardiesel wesent-
lich stärker besteuert wird als sein niederländischer Kol-
lege. Aber der deutsche Kollege muss seine Kartoffeln
auf einem harmonisierten europäischen Markt zum glei-
chen Preis wie der niederländische oder der französische
Kollege verkaufen. Sie behaupten trotzdem, Sie würden
in diesem Bereich die Weichen für die Zukunft stellen.
Nichts, absolut nichts tun Sie.

Wissen Sie, Frau Teuchner, was ich daran so hinter-
fotzig finde – diesen Begriff darf man doch, glaube ich,
noch verwenden, oder?


(Widerspruch bei der SPD – Renate Künast, Bundesministerin: Nein, darf man nicht mehr sagen!)

– Darf man nicht mehr sagen? Okay, dann will ich Ihnen
sagen, was ich gemein finde: dass Sie sich beim Ökobe-
reich völlig anders verhalten. Hier rollen Sie einen roten
Teppich nach dem anderen aus und pusten an jeder Stelle
Geld hinein: bei Sachverständigengutachten, bei Pro-
grammen, bei Hilfen, bei Stützen, bei Subventionen. Als
die FDP letztes Jahr Vorschläge machte, in diesem Be-
reich zu kürzen, sagten Sie: Oh, ihr Bösen von der Op-
position! Nein, auf keinen Fall! – Zugleich kürzen Sie
aber in dem Bereich, wo intensive Landwirtschaft betrie-
ben wird, wo Landwirte Arbeitsplätze vorhalten, unsere
Weltmarktstellung im Agrarbereich und in der Lebens-
mittelwirtschaft sichern und unsere Qualitätsstandards
so hoch halten, dass man davon reden kann, dass wir in
diesem Bereich noch in der ersten Liga spielen. Durch
Ihr Hereinschlagen in diesen Bereich vernichten Sie Ar-
beitsplätze. Das finde ich nicht in Ordnung und halte ich
nicht für fair.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das tut auch weh.

Nun habe ich von Ihnen, Frau Künast, eben den Ver-
weis auf nachwachsende Rohstoffe vernommen. Ich
komme aus Papenburg. Da haben wir schon vor zehn
Jahren nachwachsende Rohstoffe erprobt. Dafür gibt es
einen Markt. Das ist gar keine Frage; das bestreite ich
nicht. Wenn Sie aber glauben, durch Aufbau eines Mark-
tes für nachwachsende Rohstoffe den Verlust an Arbeits-
plätzen, an Wirtschaftskraft und an Investitionen aus-
gleichen zu können, den Sie mit diesem Haushalt
verursachen, dann sind Sie falsch gewickelt.


(Jella Teuchner [SPD]: Mach doch mal Vorschläge!)


Was in diesen Bereichen verloren geht, kann man in den
Bereichen, die Sie angesprochen haben, nach meiner
tiefsten Überzeugung nicht ausgleichen.

Ich will noch auf etwas anderes hinweisen, weil daran
der ganze Charakter Ihrer Politik deutlich wird. Ich als
Grüner würde mich schämen.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: FDP und Zukunft!)


Noch 2002 haben die Grünen vor der Bundestagswahl
wörtlich zur Agrardieselbesteuerung versprochen:

Mit wettbewerbsverzerrenden nationalen Regelun-
gen in diesem Bereich muss endlich Schluss sein.

Ja, tun Sie es!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Warum wählen Sie hier in diesem Bereich wieder den
Weg des nationalen Alleingangs? Das wird wieder dazu
führen, dass unsere Bauern an den Pranger gestellt wer-
den und ihnen der Absatzmarkt unter den Füßen wegge-
schlagen wird. Wir sind in dieser Frage so grundsätzlich
anderer Auffassung, dass uns das schon wehtut.


(Jella Teuchner [SPD]: Was hat denn die FDP für Vorschläge gemacht?)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

– Nein, Frau Teuchner, Sie haben keine Ahnung von
Landwirtschaft. Sie haben von mir aus Ahnung von Ver-
braucherschutz. Ich will Ihnen gar nicht absprechen,
dass Sie sich Mühe geben, aber das reicht nicht.


(Widerspruch der Abg. Jella Teuchner [SPD] – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Blödsinn!)


– Nein, Sie haben schlicht und ergreifend keine Ahnung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie kennen zum Beispiel nicht die Wirtschaftskompe-
tenz der Ernährungswirtschaft insgesamt. Sie wissen
nicht, dass die Ernährungswirtschaft in Niedersachsen
der zweitgrößte Arbeitgeber ist.


(Jella Teuchner [SPD]: Dessen muss sich ausgerechnet die FDP rühmen!)


Sie wissen nichts von der Wertschöpfung. Die Sozial-
demokraten wissen nichts von der Wertschöpfung der
Agrar- und Ernährungswirtschaft im ländlichen Raum.
Nur deshalb können Sie hier solche Positionen vertreten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jella Teuchner [SPD]: Ich kenne das sehr wohl!)


– Nein, Frau Teuchner, da ist der Spaß am Ende, das
muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Sie lassen sich an
verschiedenen Stellen alles Mögliche einfallen, zum Bei-
spiel Bauernspione, die Sie im Haushalt für Nachfor-
schungen verankern.


(Jella Teuchner [SPD]: So ein Quatsch!)

– Natürlich! Sie denken über zusätzliche Steuern nach,
Sie diskriminieren Lebensmittel, indem Sie sie in ge-
sunde und ungesunde einteilen, und Sie wissen alles. Sie
wissen, was für die Verbraucher gut und was schlecht ist,
gießen das in Gesetze und wundern sich dann, dass das
nicht klappt.

Die Tabaksteuer ist das jüngste Beispiel dafür: Da
hatten Sie die glorreiche Idee, den Preis kräftig zu erhö-
hen, damit die Raucher aufhören zu rauchen,


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Ein Glück auch! Bleiben die Leute endlich gesund!)


dann aber stellen Sie voller Erstaunen fest, dass Ihnen
die Einnahmen wegbrechen. Das hätte ich Ihnen vorher
sagen können.

Genau in diesem Sinn machen Sie Politik. Sie ist un-
ausgewogen, unklug und wird dem Bereich der Ernäh-
rungs- und Agrarwirtschaft nicht gerecht. Wir werden
wieder unsere Änderungsanträge stellen. Letztes Mal
haben wir damit 200 Millionen Euro auf den Weg ge-
bracht. Sie haben die Gelegenheit, unseren alternativen
Vorschlägen zuzustimmen. Ihren Vorschlägen werden
wir auf keinen Fall zustimmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317600

Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist ja niemals eine besonders dankbare Auf-
gabe, Sparmaßnahmen in einem Haushalt zu vertreten
und zu verteidigen, auch dann nicht, wenn sie notwendig
und unvermeidbar sind wie dieses Mal. Noch schwerer
ist es, wenn man diese unmittelbar im eigenen Betrieb
und bei den Kolleginnen und Kollegen der Nachbar-
schaft erlebt.

Die Einsparungen im Bereich des Agrardiesels und
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung werden
einschneidend sein, keine Frage. Ich denke, wir sind es
den Betroffenen schuldig, dies in aller Deutlichkeit zu
sagen.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das hilft aber nichts!)


Wir müssen aber auch sagen: Die Gesundheitsreform hat
im letzten Jahr 5 bis 15 Prozent Beitragsentlastung für
unsere landwirtschaftlichen Betriebe gebracht und wird
in diesem Jahr über 30 Millionen Euro Entlastung brin-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Gut so!)


Außerdem haben die Kassen noch 60 Millionen Euro
Rücklagen für schlechte Zeiten, die jetzt genutzt werden
müssen.

Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Lasten ge-
recht verteilt werden. Dafür werden wir in diesen Haus-
haltsberatungen kämpfen. An Sie, Frau Aigner, sei als
Haushälterin gesagt: Hier werden wieder die Bauern
gegen die Bergleute ausgespielt. Aber der Bundeszu-
schuss für die Bundesknappschaft betrug 2002 7,4 Mil-
liarden Euro, in diesem Jahr beträgt er 7 Milliarden Euro
und im nächsten Jahr wird er 6,9 Milliarden Euro betra-
gen. Wer hier sagt, nur die Bauern würden herangenom-
men, der lügt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Bäuerinnen und Bauern aus Brandenburg haben
heute Morgen vor dem Reichstag zu Recht gefordert,
auch die Subventionierung von Flugbenzin und
Schiffsdiesel endlich abzubauen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Natürlich kann ich das nur unterstützen. Aber wir brau-
chen dafür auch Mehrheiten in Europa; das wissen Sie
ganz genau.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Da auf einmal!)


Natürlich ist es ebenso unverständlich, dass wir noch die
Mehrwertsteuersubventionierung von Hunde- und Kat-
zenfutter finanzieren. Aber daran arbeiten wir; das wird
sich noch ändern. Was den Treibstoff angeht, so wollen
und werden wir der Landwirtschaft helfen, vom Erdöl
unabhängiger zu werden; das hat die Ministerin betont.






(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Ostendorff

Meine Damen und Herren von der Opposition, hüten

Sie sich vor leeren Versprechungen. Versprechen Sie den
Landwirten nicht weiterhin blühende Landschaften; Sie
wissen doch sehr genau um die Lage der öffentlichen
Haushalte. Trotzdem versuchen Sie hier mit Ihrer Gum-
mistiefelrhetorik


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


den Bäuerinnen und Bauern weiszumachen, dass das al-
les nur Bosheiten seien und eigentlich alles bleiben
könne, wie es ist. Sie erzählen draußen ständig, wir wür-
den einseitig die Landwirtschaft zur Kasse bitten. Das ist
nicht wahr und das wissen Sie. Die Einsparungen, die
jetzt im Haushaltsbegleitgesetz anstehen, waren bereits
im letzten Jahr auf der Tagesordnung und schon damals
gab es von Ihnen keinen einzigen Antrag, weder zum
Agrardiesel noch zur Krankenversicherung. Aber dann
kam ja Herr Stoiber, der dafür sorgte, dass das Thema im
Vermittlungsausschuss von der Sparliste kam. Natürlich
wusste auch er, dass Sparmaßnahmen nicht zu vermei-
den sind und dass sie dieses Jahr wieder auf die Tages-
ordnung kommen. Aber das war egal. Es war ihm wich-
tiger, für sich ein paar Punkte zu machen, als den Bauern
und Bäuerinnen reinen Wein einzuschenken. Aber Ihr
Wein ist nicht rein, sondern gepanscht, und für die Kopf-
schmerzen wollen Sie dann uns verantwortlich machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das haben Sie bei der Agrarreform genauso versucht.
Was macht die FDP? Sie versucht beim Haushalt, die

Bauern gegeneinander auszuspielen, indem sie wider
besseres Wissen behauptet, man müsse nur beim Öko-
landbau ordentlich sparen, dann würden alle anderen
verschont bleiben. Ökobauer gegen Bauer in der kon-
ventionellen Landwirtschaft – Herr Goldmann, Sie wis-
sen doch selbst, was das für ein Unsinn ist. Sie betreiben
leider eine rein ideologische Haushaltspolitik.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit Ihrer Politik erweist die Opposition der Landwirt-

schaft einen doppelten Bärendienst. Erstens lassen Sie
die Bäuerinnen und Bauern im Unklaren darüber, worauf
sie sich einzustellen haben. Zweitens: Haben Sie sich ei-
gentlich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass die
Landwirtschaft bei vielen Menschen als Erstes mit Sub-
ventionen in Verbindung gebracht wird? Haben Sie sich
schon einmal klar gemacht, dass dieses Image vielleicht
nicht unbedingt ein gesellschaftliches Klima schafft,
welches die Verteidigung berechtigter Ansprüche der
Landwirtschaft erleichtert?

Ihr Gedröhne, Herr Carstensen und Herr Goldmann,
mag an den Stammtischen ankommen. Aber ich glaube
nicht, an vielen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Er hat doch gar nichts gesagt!)


Beim Rest der Gesellschaft bestätigt es aber Vorbehalte
und den Eindruck, Landwirtschaft sei etwas Überholtes,
das keine Unterstützung verdiene. Mit Ihren Spanferkel-
weisheiten


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist tierfeindlich, was Sie hier sagen!)


werden Sie in den Großstädten keine Solidarität mit der
Landwirtschaft gewinnen, meine Herren. Wir erleben
gerade in Schleswig-Holstein, wie die Unterstützung ab-
nimmt. Ihr Getöse findet noch nicht einmal bei Ihren ei-
genen Wirtschaftsleuten Unterstützung.

In diesem Sinne betrachte ich als Bauer Bundesminis-
terin Künast als einen echten Glücksfall für die Land-
wirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Zugabe!)


Wer sonst könnte die Brücke zwischen Landwirtschaft
und Gesellschaft bauen, die wir so dringend brauchen?
Darum geht es doch für uns Bauern und Bäuerinnen:
nicht Schlachten von gestern mit Sprüchen von vorges-
tern zu schlagen und dabei jeden Kredit zu verspielen,
sondern den gesellschaftlichen Konsens über die Stel-
lung der Landwirtschaft zu suchen und damit das Geld
zu sichern, das zurecht in die Landwirtschaft fließt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Eine Steigerung ist nicht mehr möglich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317700

Ich muss zugeben, dass ich den Begriff „Gummistie-

felrhetorik“ vorher noch nie gehört habe.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine neue Sprachschöpfung.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.

Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1512317800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Lieber Kollege Ostendorff, von einem Glücksfall für die
Bauern kann man wohl erst dann reden, wenn Peter
Harry Carstensen in Schleswig-Holstein die Wahlen für
sich entscheidet und dort bald Ministerpräsident wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das sehe ich genauso! – Zurufe von der SPD: Oh!)


Das wäre ein echter Glücksfall. Ich glaube, dass Frau
Künast für die Bauern und Landwirte eher ein Problem-
fall ist. Es wäre auf jeden Fall ein Glück, wenn Peter
Harry Carstensen im Norden dieses Landes an die Re-
gierung käme.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber Ursula Heinen das, was Frau Künast macht, kann ich nicht kompensieren!)





(A) (C)


(B) (D)


Auch das gehört zur Wahrheit und Klarheit.
Ich komme jetzt zu einem echten grünen Lieblings-

kind, nämlich zur Verbraucherpolitik. Da der Kollege
eben gesagt hat, dass im Haushalt nicht einseitig bei den
Landwirten gespart wird, muss ich feststellen, dass bei
diesem Lieblingskind des Ministeriums die Titelgruppe
Verbraucherpolitik im Gegenteil noch aufgestockt wor-
den ist. Es scheint doch zu gehen, dass dem einen ge-
nommen und dem anderen gegeben wird. Aber dabei
handelt es sich nur um Projekte der Öffentlichkeitsarbeit
und der Medienwirksamkeit.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das Glücksgefühl verstärken! – Gegenruf des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennst du dich ja aus!)


Es gibt aber eine positive Meldung – das muss ehrli-
cherweise gesagt werden –, nämlich dass die Ausstat-
tung der Verbraucherzentrale Bundesverband und der
Stiftung Warentest gleich geblieben ist. Diese Ent-
scheidung ist richtig. Das haben wir die ganze Zeit ge-
fordert und unterstützt. Den Bundesländern muss man
allerdings sagen: Wenn sie diesem Beispiel gefolgt
wären, dann wäre der Insolvenzantrag der Verbraucher-
zentrale Mecklenburg-Vorpommern mit all den sich
anschließenden Schwierigkeiten wie Auffanggesel-
lschaften etc. erspart geblieben. Insofern kann man nur
sagen, dass es eine vernünftige Entscheidung war, bei
der Ausstattung nicht zu kürzen. Mein Appell an die
Bundesländer ist, diesem Beispiel zu folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das war es aber auch schon an positiven Aspekten.
Ansonsten lässt dieser Haushalt in Bezug auf die Ver-
braucherpolitik schlüssige Konzepte und deutliche Im-
pulse vermissen. Es gibt zum Beispiel die Innovations-
offensive der Bundesregierung, für die auch in diesem
Haushalt 5 Millionen Euro vorgesehen sind. Es ist er-
freulich, dass das so ist. Nur, was unter Innovationen und
unter Innovationsförderung in diesem Haushalt verstan-
den wird, ist schon relativ abenteuerlich. Da geht es
nämlich beispielsweise um den Tierschutz, tiergerechte
Haltungsverfahren, den Ökolandbau oder aber um – ich
zitiere jetzt eine Überschrift aus den Unterlagen zum
Einzelplan 10 – „Lebensmittel der Zukunft“. Darunter
fallen Projekte zur „Entwicklung dem Lebensstil ange-
passter Lebensmittel“ – Stichwort: ausgewogene Ener-
giebilanz –


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das ist doch vernünftig! Das ist doch gut!)


oder die „Untersuchung ausgewählter Stoffe auf gesund-
heitsfördernde Wirkung“.

Was heißt das ganz konkret? Wollen Sie der Milchin-
dustrie mit 1,5 Millionen Euro – so viel nämlich wollen
Sie dafür zur Verfügung stellen – bei der weiteren Ent-
wicklung von Joghurts helfen? Die wird das sicherlich
begrüßen. Aber ist es Aufgabe des Staates, sich um Le-
bensmittel der Zukunft zu kümmern? Gibt es nicht,
wenn Sie schon sagen, dieser Forschungsbereich werde
vom Staat begleitet, beispielsweise Bundesforschungs-
anstalten, die diese Aufgabe übernehmen könnten? Oder
verbirgt sich hinter dem entsprechenden Titel doch nur
die Förderung des Ökolandbaus?

Damit zeigt sich für uns ganz klar, wo Ihre Prioritäten
liegen. Sie sind keine Ministerin aller Verbraucher, son-
dern nur eine Ministerin bestimmter Verbraucher, näm-
lich der Verbraucher, die an ökologischen Produkten in-
teressiert sind. Sie wollen allen Verbrauchern in diesem
Land Ihre Politik aufs Auge drücken


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Gustav Herzog [SPD]: Frau Heinen, das glauben Sie doch selber nicht! Wer hat Ihnen so einen Unsinn aufgeschrieben?)


und ihnen sagen: Ihr müsst diese Produkte kaufen; an-
dere Produkte dürft ihr nicht kaufen.

Ich nenne ein anderes Beispiel: Im Rahmen der Inno-
vationsoffensive gibt es das Vorhaben „Verbraucherin-
nen und Verbraucher als Innovationsmotor“. Dafür wol-
len Sie 2 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dabei
geht es um Maßnahmen, die „den Verbraucher als akti-
ven Gestalter eigenverantwortlicher Vorsorgemärkte“
unterstützen sollen oder „neue Märkte durch Verbrau-
chervertrauen stärken sollen“. Was sind denn diese
neuen Märkte? Sind das auch wieder Ökomärkte?

Ich bin froh – das habe ich schon meiner Kollegin Ilse
Aigner gesagt –, dass alle Ausgaben unter einem Sperr-
vermerk stehen und der Haushaltsausschuss darüber ge-
sondert abstimmen muss. Denn ansonsten, glaube ich,
würden wir hier mit verdammt viel Unsinn überzogen.
Gerade in Zeiten knapper Kassen sollte dieses Geld eher
für innovative Produkte ausgegeben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darunter könnte man – unabhängig davon, wie man

dazu steht – beispielsweise auch Innovationen in den
Gentechnikbereich verstehen. Es wäre durchaus sinn-
voll, auch dafür den einen oder anderen Euro auszuge-
ben statt immer nur für Ihre Lieblingsprodukte und Ihre
Lieblingsvorhaben.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Ich denke, wir sollen sparen!)


– Da kann ich Ihnen schon jetzt 5 Millionen Euro nen-
nen, wenn sie in der Form ausgegeben werden sollen,
wie sie im derzeitigen Haushaltsentwurf stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Ach, ich dachte 5 Prozent!)


Ich komme jetzt zu einem anderen Bereich, zur Ver-
braucheraufklärung. Er umfasst fast ausschließlich die
Bereiche Ernährung und nachhaltigen Konsum. Der
wirtschaftliche Verbraucherschutz kommt – ich habe das
schon im vergangenen Jahr kritisiert – so gut wie gar






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen

nicht vor. Es wird zurzeit eine Diskussion über die Ener-
giepreise geführt. Auch darum könnte sich das Verbrau-
cherschutzministerium einmal kümmern.


(Beifall der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU])

Wenn heute die Präsidentin des Bundesverbandes Ver-
braucherzentrale fordert, mit am Tisch der Energierunde
bei Bundeskanzler Schröder zu sitzen, wäre das durch-
aus eine Sache, die Sie, Frau Künast, besonders unter-
stützen könnten; denn von den hohen Energiepreisen
sind ja in der Tat diesmal alle Verbraucherinnen und Ver-
braucher und nicht nur eine kleine Gruppe betroffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Medien- und öffentlichkeitswirksame Themen sind
der Ministerin bzw. der Bundesregierung in diesem
Haushalt anscheinend die liebsten. Damit diese auch so
richtig vermarktet werden können, werden – abgesehen
von in anderen Titeln versteckten Ausgaben – für diese
Bereiche ähnlich hohe Mittel wie schon in den Haus-
haltsentwürfen der vergangenen Jahre zur Verfügung ge-
stellt.

Unserer Forderung, die wir in den letzten Haushalts-
beratungen schon mehrfach gestellt haben, nämlich
diese Mittel zu senken, sind Sie erneut nicht nachgekom-
men. Es ist noch immer nicht klar, was Sie mit der – so
heißt es in den Begründungen – „gleich bleibenden ho-
hen Nachfrage zu Informationsmaterial“ konkret meinen
und wer diesen gleich bleibend hohen Nachfragedruck
überhaupt hat. Ich frage mich immer wieder, wozu wir
die in diesem Bereich bestehenden vielen Institutionen
und Forschungsanstalten haben. Was den Ernährungsbe-
reich angeht, so haben wir darüber noch vor der Som-
merpause diskutiert: Es gibt die Deutsche Gesellschaft
für Ernährung und den Deutschen Landfrauenverband,
die sich durchaus um diese Fragen kümmern. Es gibt die
verschiedensten Organisationen, die Unterlagen zur Ver-
fügung stellen. Aber nein, auch das Ministerium muss
hier noch einmal Mittel bereitstellen. Das dient aus-
schließlich der Selbstdarstellung der Grünen und ist
nicht zum Nutzen unserer Verbraucherinnen und Ver-
braucher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Angesichts der vielen Kritikpunkte drängt sich erneut
die Frage auf, ob dieser Haushaltsentwurf wirklich dem
Anspruch des Verbraucherschutzes als Querschnittsauf-
gabe entspricht. Ich habe den wirtschaftlichen Verbrau-
cherschutz genannt; der rechtliche Verbraucherschutz ist
ebenfalls ein ganz wichtiges Thema, das zu kurz kommt.
Die Antwort auf die eben gestellte Frage lautet Nein.
Wir erwarten, dass in den Haushaltsberatungen während
der nächsten Wochen Nachbesserungen vorgenommen
werden und die Verbraucherinteressen wirklich ausge-
wogen berücksichtigt werden. Es geht um alle Verbrau-
cher und nicht um eine bestimmte grüne Klientel.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512317900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Zöllmer.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1512318000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu dem, was der
Kollege Goldmann eben in seiner Rede gesagt hat.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Er hatte Recht!)


Lieber Herr Goldmann, nach meinem Eindruck haben
Sie mit Ihrer Rede nur versucht, mit operativer Hektik
die geistige Windstille liberaler Politik zu verschleiern.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie lange haben Sie über diesen Satz nachgedacht? Mein Gott! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Den hat er sogar aufgeschrieben!)


Die Haushaltsdebatte, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, die wir in den vergangenen Tagen und auch jetzt bei
diesem optimistisch stimmenden Spätsommerwetter füh-
ren, belegt einmal mehr, dass wir vor großen Herausfor-
derungen stehen, die wir politisch meistern müssen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Zu Recht werden daher von der Politik Ehrlichkeit, Ein-
deutigkeit und Glaubwürdigkeit verlangt. Leider wird
vielen Menschen im Moment auf Straßen und Plätzen,
auf denen sie ihre Besorgnis über manche Teile der Re-
formpolitik zum Ausdruck bringen, Sand in die Augen
gestreut.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Dies gilt nicht nur für die rechten und linken Ränder des
politischen Spektrums. Auch bei manchen Äußerungen
der Opposition in den Medien oder hier im Bundestag
– wir haben es in dieser Woche erlebt – muss man sich
fragen, wo ihre Ehrlichkeit der Bevölkerung gegenüber
geblieben ist und wie es eigentlich um die Glaubwürdig-
keit der Opposition bestellt ist.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Machen Sie sich schon wieder unsere Sorgen, oder was?)


Deutschland verändert sich, weil sich die Welt verän-
dert hat.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja, deswegen verlieren Sie zurzeit jede Wahl!)


Wir leben in einer Welt, die immer mehr zusammen-
wächst, in einer Welt mit offenen Grenzen, im Europa
der 25 mit immer stärkeren Handelsbeziehungen. Als
Exportweltmeister haben wir ein besonderes Interesse
daran, die laufende Welthandelsrunde zu einem Erfolg
zu machen, unsere Grenzen zu öffnen und damit vor al-
lem den Entwicklungsländern faire Handels- und Ent-






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Helmut Zöllmer

wicklungschancen zu geben. Dies hat offensichtlich
auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion so gesehen und
in einem Antrag im Deutschen Bundestag gefordert – ich
zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache 15/1567 –, „auf
die Öffnung der Agrarmärkte, den Abbau produktions-
stimulierender Subventionen … hinzuwirken“. Hört,
hört! So stand es wörtlich in einem Antrag der CDU/
CSU-Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Das haben die beschlossen? Unglaublich! – Zuruf von der FDP: Welche Drucksachennummer?)


– Drucksache 15/1567.
Um dieses Ziel zu erreichen, war eine umfassende

Reform der gemeinsamen Agrarpolitik notwendig.
Diese haben wir gemeinsam mit den CDU-regierten
Ländern beschlossen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir haben sie verbessert!)


Dies ist ein echter Paradigmenwechsel, der, wie wir wis-
sen, der Landwirtschaft viel abverlangt. Er war aber not-
wendig; so ist es, wenn man den Stillstand Ihrer Regie-
rungszeit überwinden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viele Politikerinnern und Politiker der Opposition ha-
ben konstruktiv mitgewirkt. Ausnahmen waren der Frei-
staat Bayern und die Agrarpolitiker der CDU/CSU-Frak-
tion.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das weißt du doch gar nicht! Du warst doch gar nicht dabei! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Es ist klar, dass Sie so aufheulen. Das kann ich ange-
sichts Ihres schlechten Gewissens verstehen.

Deshalb lassen Sie mich zum Stichwort „Glaubwür-
digkeit“ einfach einmal fragen, wie glaubwürdig eine
Opposition eigentlich ist, die in einem Antrag im Bun-
destag die Öffnung der Agrarmärkte fordert, dies in je-
dem Einzelfall durch ihre Agrarpolitiker bekämpft und
diffamiert, sich aber zugleich – bis auf Bayern – im Bun-
desrat im Grunde konstruktiv an der Umsetzung dieser
Reform beteiligt.


(Zuruf von der SPD: Letzteres ist ja löblich!)

Wie glaubwürdig ist eigentlich eine Opposition, die hier
die Einkommenssituation der Landwirte beklagt, aber im
Bundesrat mit der Blockade des EEG verhindert, dass
die Landwirte sich nun neue Einkommensquellen er-
schließen können? Wie glaubwürdig ist eigentlich eine
Opposition, die öffentlich immer wieder Subventionsab-
bau fordert, gleichzeitig aber haben wir zur Kenntnis
nehmen müssen, dass Ministerpräsident Stoiber im Ver-
mittlungsausschuss klar und vollmundig erklärt hat, dass
es nicht 1 Cent Kürzungen im Bereich der Landwirt-
schaft geben soll? Selbst die Umsetzung der gemeinsam
vereinbarten Koch/Steinbrück-Liste hat er verhindert.
Derselbe Ministerpräsident aber kürzt in seinem Land im
Bereich der Landwirtschaft kräftig.
Wie glaubwürdig ist eigentlich die Oppositionspolitik
im Agrar- und Verbraucherschutzbereich, wenn die von
der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen hier
massiv kritisiert werden – wir haben es von Ihren Redne-
rinnen und Rednern gehört –, Edmund Stoiber für die
Union aber anbietet, 5 Prozent des Haushaltes insgesamt
pauschal zu kürzen? Das sind für diesen Bereich Kür-
zungen in Höhe von 255 Millionen Euro und bedeutet
nichts anderes als deutliche Einschnitte im Bereich der
landwirtschaftlichen Sozialpolitik und in anderen Fel-
dern, die Sie hier beredt kritisiert haben.

Was sollen wir, was soll die Öffentlichkeit nun glau-
ben? Bedeutet es, die Union erkennt die Notwendigkeit
zu Einsparungen und zum Subventionsabbau auch im
Bereich der Agrarpolitik an, oder ist es alles gar nicht so
gemeint? Wollen Sie einfach nur nach Bedarf allen alles
versprechen?


(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Die „Wirtschaftswoche“ – gewiss nicht eine regierungs-
nahe Zeitung – hat es bezogen auf Frau Merkel so for-
muliert – ich zitiere wörtlich –: „Feste Überzeugungen
können da hinderlich sein, gefragt sind griffige Positio-
nen, die Stimmen bringen.“ Das ist aus der „Wirtschafts-
woche“ vom 2. September dieses Jahres. Auch wenn es
völlig an der Realität vorbeigeht, auch wenn es völlig
unbezahlbar ist, das ist die Politik der CDU/CSU-Oppo-
sition hier im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass wir für unsere Reformpolitik auch
im Agrarbereich derzeit von den Wählerinnen und Wäh-
lern nicht gerade auf Händen getragen werden. Aber im
Gegensatz zu Ihnen haben wir eine klare Linie. Wir sa-
gen den Menschen, dass die Reformen im Agrarbereich
notwendig und richtig sind, dass es auch im Bereich der
Landwirtschaft einen Strukturwandel gibt, dass dieser
unvermeidlich ist und dass auch die Landwirtschaft zur
Konsolidierung des Haushaltes beitragen muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man von der Landwirtschaft spricht, kann man
ehrlich feststellen, dass es nur wenige Wirtschaftszweige
in Deutschland gibt, die von einer derart hohen staatli-
chen Eingriffsintensität und einem derart hohen Produ-
zentenschutz gekennzeichnet sind wie die Landwirt-
schaft. Mit unserer Agrarreform stellen wir allerdings
die Weichen auf eine sehr viel stärkere Marktorientie-
rung der Landwirtschaft.

Lieber Kollege Goldmann, Wettbewerbsanalysen
haben längst belegt, dass die deutschen Betriebe im eu-
ropäischen Vergleich mithalten können.


(Zuruf von der FDP: Falsch!)

Zuletzt auf der Akademietagung des Deutschen Bauern-
verbandes in Bonn in diesem Jahr haben Professor
Petersen und Professor Isermeyer deutlich zum Aus-
druck gebracht, dass die anstehenden Veränderungen im
Agrarsektor von der deutschen Landwirtschaft zu






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Helmut Zöllmer

bewältigen sind. Sie ist wettbewerbsfähig. Das sollten
Sie zur Kenntnis nehmen, statt immer wieder neue
Schwarzmalereien in die Welt zu setzen. So ist das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Koalition nimmt den Schutz der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher in unserem Land ernst. Dabei
sind Transparenz und Informationen die schärfsten Waf-
fen wirksamer Verbraucherpolitik. Dies wird durch den
Haushaltsentwurf der Bundesregierung an mehreren
Punkten deutlich. Frau Kollegin Heinen hat dies dan-
kenswerterweise bestätigt. Im Bereich der wichtigen
Verbraucherinstitutionen – ich nenne Stiftung Warentest
oder VZBV – werden die Ansätze insgesamt gehalten.
Ich kann nur unterstützen, was Kollegin Heinen hierzu
gesagt hat: Es wäre schön, wenn die Unterstützung der
Verbraucherzentralen in allen Bundesländern gegeben
wäre; sie sind extrem wichtig und müssen flächende-
ckend erhalten bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Koalition setzt die richtigen Schwerpunkte,
zum Beispiel beim Kampf gegen das Übergewicht von
Kindern. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Ju-
gendliche in unserem Land sich bewusst ernähren und
ausreichend bewegen. Die Initiative „Plattform Ernäh-
rung und Bewegung“, die im September in Berlin ihren
Gründungskongress durchführt, ist ein hervorragender
Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die von der WHO zur Bekämpfung des Übergewichts
angesagte Strategie, alle gesellschaftlichen Gruppen an
einen Tisch zu holen, wird damit umgesetzt.

Wenn wir uns berechtigt über unsere vielen überge-
wichtigen Kinder sorgen, dann müssen wir in dieser ge-
teilten Welt auch über die sprechen, die viel zu wenig
haben und Hunger leiden. Im Jahre 2000 waren dies
weltweit 448 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Des-
halb ist es sehr zu begrüßen, dass trotz der schwierigen
Haushaltslage die Mittel für die bilaterale Zusammenar-
beit mit der FAO gleich bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregie-
rung ergreift die Initiative, setzt klare Schwerpunkte und
handelt. Und wie sieht es mit der Opposition im Bereich
des Verbraucherschutzes aus?


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie haben jetzt alles gesagt! Sie könnten sich eigentlich setzen!)


Ich will hier die Novelle des UWG als Beispiel nehmen
und das Stichwort „Telefonmarketing“ darstellen.

Wir haben die so genannte Opt-in-Lösung im Gesetz
festgeschrieben. Sie verhindert eine unzumutbare Beläs-
tigung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Te-
lefonwerbung. Gegen diese Regelung ist die CDU hier
Sturm gelaufen, munitioniert von den einschlägigen
Wirtschaftsverbänden. Sie wollten die Opt-out-Lösung,
die sehr viel wirtschaftsfreundlicher ist, aber dazu führt,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Hause
belästigt und mit ungewollten Werbebotschaften traktiert
werden.

Die Frage ist: Warum haben Sie hier den Pfad des
Verbraucherschutzes einfach verlassen? Wir müssen lei-
der feststellen: Wenn es mit dem Verbraucherschutz
ernst wird, knicken Sie sofort ein und verfolgen nicht
mehr die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, sondern die reinen Wirtschaftsinteressen. Die CDU
betreibt eine Politik nach dem Motto: Als Krokodil ge-
startet, als Eidechse gelandet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber Eidechsen sind niedliche Tiere!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss
fit und zukunftsfähig gemacht werden. Der Einzel-
plan 10 lässt einen der wichtigsten gesellschaftlichen
Bereiche nicht außer Acht: den Bereich der Innova-
tionen. Wir können Deutschland nur dann modern und
zukunftsfähig gestalten, wenn wir überkommene Sub-
ventionen zugunsten von Zukunftsaufgaben abbauen.

Der Einzelplan 10 leistet seinen Beitrag zur Haus-
haltskonsolidierung. Er sieht schmerzliche, aber notwen-
dige Kürzungen vor. Er stärkt die aktive Verbraucherpo-
litik –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512318100

Herr Kollege, Ihre Zeit!

Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1512318200

– und sichert die Zukunft der Landwirtschaft.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512318300

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1512318400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Zöllmer, ich weiß, dass Sie in den meisten De-
batten dabei sind, körperlich jedenfalls. Aber geistig sind
Sie doch in der Regel weggetreten, wie ich Ihren Worten
entnehme.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Sparen ist eine Daueraufgabe. Wir sind verpflichtet,
die Gelder der Steuerzahler ordentlich auszugeben und
effizient zu nutzen. Das ist nichts Neues. Aber wer der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan

gesamten Etatdebatte gefolgt ist, weiß auch: Sparen
reicht nicht.

Wir brauchen Wirtschaftswachstum. Wirtschafts-
wachstum werden wir nur dann haben, wenn wir unseren
Betrieben faire Wettbewerbsbedingungen geben


(Beifall bei der FDP)

und alle nationalen Alleingänge vermeiden, egal in wel-
chem Bereich: nicht nur beim Agrardiesel, sondern auch
bei der Umsetzung von EU-Verordnungen. – Das ist das
eine.

Das andere ist: Wir brauchen Innovationen. Frau Mi-
nisterin, Ihr Innovationstitel von 5 Millionen Euro klingt
nett, ist aber letztlich nichts weiter als ein Feigenblatt.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Denn wirklich innovative Techniken kommen dabei
nicht vor.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die werden verhindert!)


Kanzler Schröder hat das Jahr der Innovation aufge-
rufen. Minister Clement fordert gerade heute:

Die Bremsen müssen auf allen Ebenen weg …
Das gilt beispielsweise für die Bio- und Gentechno-
logie, für die Grüne wie die Rote Biotechnologie …

Richtig gesprochen, Herr Minister! Völlig in Ordnung!
Aber bei dem heutigen Vorgespräch für den Vermitt-
lungsausschuss hieß es, beim Gentechnikgesetz solle
nichts geändert werden – und das obwohl die Bioregio-
nen deutlich gemacht haben, dass dies eine falsche Wei-
chenstellung ist, und obwohl die EU-Kommission gesagt
hat, dass dies absolut neben der Spur und keine ordentli-
che Umsetzung ist. Auch dies ist eine Fehlentwicklung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie alle wissen: Innovationen finden im Labor statt. Sie
stammen nicht vom Museumsbauernhof. Deswegen ist
das, was Sie machen, falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Es ist sehr deutlich, dass bei Ihnen die Linke nicht
weiß, was die Rechte tut. Im Haushalt des Forschungs-
ministeriums werden Genomprojekte auch weiterhin ge-
fördert; das ist auch gut so und in Ordnung. Aber, Frau
Ministerin Künast, durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit ver-
hindern Sie, dass das, was in diesem Bereich erdacht und
entwickelt wird, in Deutschland überhaupt zur Anwen-
dung kommt. Was ist das? Das, was Sie da machen, ist
eine doppelte Verschwendung von Steuergeldern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Regierung ist keine Regierung für das ganze
Volk, sondern eine Regierung für Verbandsvertreter und
Besserverdienende.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Denn angesichts unseres niedrigen Wirtschaftswachs-
tums weiß man ganz genau, dass sich die Ökoprodukte,
die Sie so gerne hätten, bald niemand mehr leisten kann.
Insofern sind auch die Ökobetriebe in einer ausgespro-
chen schlechten Situation.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)


Die Mittel für den Bereich nachwachsender Roh-
stoffe werden gegenüber dem Istzustand des Jahres 2003
nahezu verdoppelt.


(Zuruf von der SPD: In Ihrer letzten Rede haben Sie das noch beklagt!)


Ich bin durchaus für nachwachsende Rohstoffe. Aber
kann man sie realisieren, wenn man die Grüne Gentech-
nik total ausbremst? Ich meine nein; das wird nicht reali-
sierbar sein.

Die Mittel für die Holzcharta haben Sie auf
200 000 Euro festgesetzt; auch das ist eine sinnvolle
Maßnahme. Aber wird sie angesichts der Vorstellungen,
die Sie hinsichtlich der Novellierung des Bundeswaldge-
setzes und der weiteren Drangsalierung von Waldbesit-
zern haben, überhaupt zum Tragen kommen? Ich glaube,
das ist nicht der Fall.

Kollege Zöllmer, Sie haben die Initiative „Ernäh-
rung und Bewegung“ genannt; das ist völlig in Ord-
nung. Jeder weiß: Wer sich zu wenig bewegt, nimmt
zu. – Es gibt ja ein paar Kollegen, bei denen das mög-
licherweise der Fall gewesen sein kann. –


(Heiterkeit)

Aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum das Pro-
jekt des Landfrauenverbandes mit dem Titel „Kochen
aus dem Schulgarten“ nicht auch aufgenommen wurde.
Ich glaube, dass Sie manchmal auf einem Auge fürchter-
lich blind sind, und zwar zum Schaden des gesamten
Volkes.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512318500

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Nach dem Reinfall mit Herrn Ostendorff kann es ja nur noch besser werden!)



Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512318600

Danke. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie nett!)







(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Behm

Viel Geld auszugeben, wie Sie das aus Ihrer Regierungs-
zeit gewohnt sind, ist leicht. Aber mit wenig Geld viel zu
erreichen, das ist die Aufgabe, vor die uns der Agrar-
haushalt für das Jahr 2005 stellt.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Und daran seid ihr gescheitert!)


Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei werden wir uns
auf unsere mittel- und langfristigen Entwicklungsziele


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Langfristige Ziele müssen Sie sich gar nicht mehr vornehmen! So lange regieren Sie überhaupt nicht mehr!)


einer nachhaltigen Landwirtschaft und eines lebendigen
ländlichen Raumes konzentrieren.

Die rot-grüne Bundesregierung ist dabei, die Agrar-
politik Schritt für Schritt auf die Zukunft auszurichten.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wir setzen den Rahmen für die Landwirtschaft in einer
globalisierten Welt


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Bis der letzte Bauer weg ist!)


– denken Sie nur an die Zucker-Debatte – und wollen
mehr Umweltgerechtigkeit und Tierschutz erreichen.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Zur Stärkung der ländlichen Räume fördern wir regio-

nale Wirtschaftskreisläufe, indem wir auf nachwach-
sende Rohstoffe und erneuerbare Energien sowie auf
Weiterverarbeitung und Direktvermarktung von land-
wirtschaftlichen Erzeugnissen setzen; denn ländliche
Räume können längst nicht mehr nur von der Landwirt-
schaft leben. Deshalb haben wir die Förderung der länd-
lichen Entwicklung, wie im Übrigen auch auf EU-Ebene
geschehen, auf eine integrierte Förderung umgestellt.

Diesem Ziel dienen auch die Modulation der Direkt-
zahlungen und die neuen Fördergrundsätze der Gemein-
schaftsaufgabe „Agrar- und Küstenschutz“. Aus meiner
Sicht sind gerade die Gemeinschaftsaufgaben „Agrar-
und Küstenschutz“ und „Regionale Wirtschaftsförde-
rung“ für die Entwicklung der ländlichen Räume von he-
rausragender Bedeutung. Ohne sie – davon bin ich fest
überzeugt – bekämen die Regionen viel weniger Förder-
mittel. Denn die Länderfinanzminister wären erheblich
schwerer davon zu überzeugen, Mittel bereitzustellen,
wenn sie damit nicht gleichzeitig auch Bundesmittel für
ihr Land erhalten könnten.

Zwar muss auch bei der GAK gespart werden – dies
kritisiert die Opposition, mir will es im Übrigen auch
nicht gefallen –, aber wenn gleichzeitig mehrere CDU-
Ministerpräsidenten in der Föderalismuskommission die
Abschaffung der GAK fordern, finde ich diese Kritik der
Opposition schon ziemlich verlogen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Rot-Grün setzt in diesem
Haushalt einen Schwerpunkt bei den nachwachsenden
Rohstoffen. Denn für die ländliche Entwicklung werden
Anbau und Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe zu-
künftig eine ganz zentrale Rolle spielen. Derzeit entsteht
dank der Regelungen zur Einspeisevergütung für Ener-
gie aus Biomasse eine blühende Biogaswirtschaft, im
Übrigen gänzlich ohne Haushaltsmittel.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was?)

Diese Regelungen sichern vielen Bauern ein zusätzliches
Standbein. Somit trägt die von Ihnen abgelehnte EEG-
Novelle dazu bei, die flächendeckende Landwirtschaft in
Deutschland zu erhalten. Wenn Landwirte zu Energie-
und Rohstoffwirten werden, sichert das nicht nur die
Landwirtschaft, sondern durch die Ansiedlung des verar-
beitenden Gewerbes und den Bau und Betrieb dezentra-
ler Verarbeitungsanlagen werden zusätzliche, moderne
Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen. Deswe-
gen begrüße ich, dass die Haushaltsmittel für For-
schungs- und Entwicklungsvorhaben sowie für die
Markteinführung in diesem Bereich wieder auf über
43 Millionen Euro erhöht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Besondere Beachtung verdient aus meiner Sicht das im
Rahmen der Innovationsoffensive neu geschaffene Inno-
vationsprogramm „Ernährung, Verbraucher, Land-
wirtschaft“. Dieses Programm soll dazu dienen, neue
Technologien zu entwickeln oder deren Praxisreife vo-
ranzubringen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade
mit diesem Programm den jungen Landwirten Brücken
in die Zukunft bauen können. Dieses Programm ist aber
auch dafür geeignet, die Charta für Holz, die Ministerin
Künast am 3. September dieses Jahres vorgestellt hat,
mit Leben zu erfüllen.

Mit wenig Geld möglichst viel zu erreichen, das ist
eine schwere Aufgabe. Aber wir können sie mit diesem
Agrarhaushalt 2005 lösen. Ich hätte mich über bessere
Vorschläge von Ihrer Seite gefreut – bisher habe ich
keine gehört. Sogar die kreativen Wortschöpfungen ka-
men heute ausschließlich vonseiten der Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512318700

Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1512318800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die Frau Ministerin hat zwar Sach-
lichkeit angemahnt und der Vortrag von Frau Behm ist
auch durchaus als sachlich einzustufen, aber der Inhalt,
liebe Frau Behm, war alles andere als sachlich.

Ich komme auf den Dezember des Jahres 2003. Wir,
die CDU/CSU und die unionsgeführten Länder, haben
im letzten Jahr im Vermittlungsausschuss Einschnitte im
Haushalt bei der Besteuerung von Agrardiesel und beim
Zuschuss für die landwirtschaftliche Krankenversiche-






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Mortler

rung verhindert. Die Bäuerinnen und Bauern haben sich
auf diese Vereinbarung verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die bittere Erkenntnis heute ist, dass auf Rot-Grün kein
Verlass ist. Das Verlässlichste an Ihnen ist noch, dass
man sich auf Sie wirklich nicht verlassen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sind 1998 angetreten, nicht alles anders, aber vie-

les besser zu machen. Sechs Jahre lang haben Sie Zeit
gehabt, eine bessere, eine wachstumsorientierte Wirt-
schafts- und Finanzpolitik zu gestalten. Unsere Bäuerin-
nen und Bauern sollen nun diese Misswirtschaft der letz-
ten sechs Jahre ausbaden. Sie führen einen Beutezug
gegen diesen Wirtschaftszweig, obwohl Sie schon im
Agrarbericht 2003 und im Agrarbericht 2004 einen mas-
siven Einkommensrückgang von dramatischen 20 Pro-
zent eingestehen mussten und auch für das soeben abge-
laufene Wirtschaftsjahr einen weiteren Einkommens-
rückgang prognostizieren. Im Gegenteil: Sie geben im
Haushaltsplan 2005 und im so genannten Haushaltbe-
gleitgesetz Vollgas, und das, obwohl Sie wissen, dass
viele Bauern mit ihrem Einkommen bereits unter den
Hartz-IV-Sätzen liegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Meine Damen und Herren, das Landwirtschaftsgesetz

von 1955 ist noch heute aktuell. Jeder Minister hatte bis-
her den Auftrag, in dem Agrarbericht seine Vorschläge
vorzulegen, durch die die Einkommen der Landwirte im
Verhältnis zu der Entwicklung der Einkommen der übri-
gen Bevölkerung gesichert werden können. Frau Künast
kümmert sich aber schon seit Jahren nicht mehr um die-
sen Gesetzesauftrag. Sie missbraucht die Agrarberichte
gesetzeswidrig zur Propaganda für ihre unausgegorenen
verbraucherpolitischen Vorstellungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Durch unzählige Ökoprogramme haben Sie die Ab-

hängigkeit der Landwirte sogar vergrößert. Mit Ihrem
Ziel, dass die ökologische Landwirtschaft in Deutsch-
land einen 20-prozentigen Anteil erreicht, haben Sie die-
ser gut funktionierenden Nische massiv geschadet.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es! – Gustav Herzog [SPD]: Der Kollege hat gerade gesagt, das sei zu teuer, die Produkte könne er gar nicht kaufen! Frau Mortler, was ist denn jetzt richtig?)


Der Unwissende glaubt auch noch, dass das Biosiegel
weiterhin auf Erfolgskurs ist, wie Sie das in der letzten
Woche geschrieben haben. Das ist pure Heuchelei; denn
die Anzahl ausländischer Bioprodukte, die unter dem
deutschen Biosiegel angeboten werden, steigt täglich.
Das Angebot steigt, während die Nachfrage und die Bio-
preise sinken.


(Gustav Herzog [SPD]: Ein Kollege hat aber gerade gesagt, er könne das nicht bezahlen, das sei zu teuer!)

Frau Ministerin, dass Sie von der Praxis keine Ah-
nung haben, zeigen Sie auch dadurch, dass Sie nun dem
Agrardiesel wieder an den Kragen gehen. Dabei ist die
Steuervergünstigung beim Agrardiesel bereits jetzt sehr
niedrig. Sie sollten auch wissen, dass die Ökobetriebe ei-
nen höheren Aufwand für den Agrardiesel haben als ihre
konventionell wirtschaftenden Kollegen. Unsere wich-
tigsten Mitbewerber in Europa liegen hier bei der Steuer-
belastung ganz unten, während wir ganz oben sind. Das,
was Sie hier vorhaben, ist nichts anderes als eine ver-
steckte Steuererhöhung und eine Wettbewerbsverzerrung
zulasten unserer Bauern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Pro Hektar ergeben sich im Schnitt 30 Euro an Mehr-

belastung. Hinzu kommt, dass Sie gerade die kleinen Be-
triebe bis zu einer Größe von 17 Hektar mit dem so ge-
nannten Selbstbehalt belasten wollen. Sie wollen den
vollen Dieselsteuersatz von 47 Cent pro Liter erheben.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihre PR-Arbeit ist wirk-
lich exzellent, wenn es ums Tarnen und Täuschen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gefragt ist aber eine wirkliche Sachpolitik, die unsere
Landwirtschaft insgesamt stärkt und nicht weiter
schwächt.

Schauen Sie doch einmal zu unseren österreichischen
Nachbarn. Sie sind nicht nur bei der Maut spitze. Sie
werden ihre Steuer für den Agrardiesel im nächsten Jahr
von 30 auf 10 Cent senken.

Liebe Frau Wolff,

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ich habe doch noch gar nicht geredet!)

Ihr Auftritt heute Morgen bei der Demo der brandenbur-
gischen Bauern war nicht sehr glücklich. Sie haben näm-
lich gesagt, die Rückerstattung der Agrardieselsteuer
lasse sich ohnehin nicht mehr lange halten. Das war
wirklich alles andere als ermutigend für die Bauern. Das
war Motivation pur im negativen Sinne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gustav Herzog [SPD]: Das war ehrlich, im Unterschied zu Ihnen!)


Wenn man realistisch ist, erkennt man, dass sich die
Zahl der Betriebsaufgaben in der Landwirtschaft seit
der so genannten Agrarwende massiv erhöht hat. Auch
Nichtlandwirte begreifen inzwischen, dass Sie die Land-
wirte in die Irre geführt haben. Ist der Ruf erst ruiniert,
dann kürzt es sich gänzlich ungeniert.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Stoiber!)

Ich komme zur nächsten Baustelle, nämlich zu den

Kürzungen der Leistungsaufwendungen im Bereich der
Altenteiler in der LKV. Die massive Folge, nämlich
enorme Beitragserhöhungen, ist angesprochen worden.
Ich halte es für unanständig, zu sagen, die aktiven Land-
wirte müssten hier einen noch höheren Beitrag leisten.
Die Betriebsmittel und Rücklagen sind zu 100 Prozent
Gelder der Bauern, die im Laufe der Jahre für schlech-
tere Zeiten zurückgelegt worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Marlene Mortler

Die Bundesregierung macht sogar das Gegenteil: Sie
versucht, sich von der so genannten Solidarhaftung zu
entbinden, und ist dabei, dieses System insgesamt zum
Einsturz zu bringen, ohne dabei ein tragfähiges eigenes
Konzept zu haben.

Ich darf noch kurz weitere Knüppel, die Sie uns mit
dem Haushaltbegleitgesetz zwischen die Beine werfen
wollen, ansprechen: die Kürzungen im Bundeshaushalt
bei der Unfallversicherung, aber auch bei der Gemein-
schaftsaufgabe. Hier geht es um Investitionsförderung.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass diese Investi-
tionsförderung der landwirtschaftlichen Betriebe wegen
Ihrer unsicheren Politik in den letzten Jahren schon zu-
rückgefahren worden ist. Alleine im Jahr 2003 ist sie im
Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent gesunken. Im Mo-
ment haben wir einen Tiefstand von 1 600 Euro pro Be-
trieb an Investitionen erreicht. Der einzige Lichtblick
zurzeit ist die diesjährige gute Ernte. Aber sie ist nur
eine Momentaufnahme und verträgt kein Schönreden.

Man kann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten
viel erreichen. Aber gute marktwirtschaftliche Instru-
mente werden bei Rot-Grün mit planwirtschaftlichen In-
strumenten überlagert und so wieder kaputtgemacht.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es ist eben nicht so, dass der Bauer immer nur nach dem
Staat und nach mehr Geld ruft. Der Bauer will Unterneh-
mer sein.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Was denn nun?)


Er will aber unter guten Rahmenbedingungen wirtschaf-
ten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Ein planwirtschaftlicher Unternehmer? Ein staatlicher Unternehmer? Oder was?)


Noch eines: Unsere Bauern in Deutschland haben
sich den Herausforderungen im Zusammenhang mit der
EU-Osterweiterung längst gestellt. Sie haben ihre Ar-
beitszeit erhöht und damit ihre Lohnkosten gedrückt.
Sie haben sich beim Tierschutz, beim Umweltschutz und
bei der Lebensmittelsicherheit immer wieder neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Wir kön-
nen auch immer wieder von seriösen Instituten, zuletzt
vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicher-
heit in Erlangen hören: Unsere in Deutschland erzeugten
Produkte sind die sichersten auf der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512318900

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1512319000

Liebe Frau Künast, seien Sie so ehrlich und so fair,

dies in der Öffentlichkeit zu betonen, sonst sind Sie für
mich keine Verbraucherschutzministerin, sondern eine
Verbrauchertäuschungsministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512319100

Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Ende kom-

men.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1512319200

Ja. – Sie hätten wirklich vieles wieder gutzumachen.

Ich erwarte von Ihnen einen besseren und weniger
schlafmützigen Einsatz bei der Korrektur dieses Haus-
halts und bei der Umsetzung der EU-Agrarreform.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512319300

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschrit-

ten.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1512319400

Machen Sie endlich Schluss mit Ihren nationalen Al-

leingängen.

(Lachen bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512319500

Frau Kollegin, ich drehe Ihnen ungern das Mikrofon

ab, aber Sie haben Ihre Redezeit jetzt deutlich über-
schritten und achten nicht auf meine Hinweise. Deswe-
gen bitte ich Sie, zu Ihrem letzten Satz zu kommen.


(Zuruf von der SPD: Sie war heute nicht beim Hörtest!)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1512319600

Nur dort, wo die eigenen Bauern ernst genommen und

nicht schikaniert werden, werden sie auch in Zukunft
eine Chance haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Stoiber und 5 Prozent! Habe die Ehre!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512319700

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1512319800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Auch ich hatte mir vorgestellt, wir würden hier
eine sachliche Diskussion führen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie können ja dazu einen Beitrag leisten!)


Frau Mortler hat die angebliche Misswirtschaft der
letzten sechs Jahre von Rot-Grün angesprochen. In die-
sem Zusammenhang frage ich Sie, Frau Mortler: Wer hat
denn Reformen der landwirtschaftlichen Sozialversiche-
rung verhindert? Schuld waren 16 Jahre Kohl-Regierung
und nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


Sie haben sich doch an die Reform der Unfallversiche-
rung gar nicht herangetraut. Sie haben Ihre Klientel nicht
belasten wollen, davor hatten Sie doch Angst.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Sie belasten Ihre Klientel doch auch nicht!)


Außerdem haben Sie, Frau Mortler, hier eine ausgespro-
chen gute Planwirtschaftsrede gehalten. Das muss ich
einmal sagen. Ich dachte, ich sei in der DDR groß ge-
worden, aber das, was Sie hier vom Stapel gelassen ha-
ben, lässt darauf schließen, dass Sie Staatsunternehmer
haben wollen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Waren Sie eben im Saal oder wo haben Sie Ihre Erkenntnisse her?)


Meine Damen und Herren der Opposition, was glau-
ben Sie eigentlich?


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sollen uns nicht beschimpfen, sondern Vorschläge machen und regieren!)


Glauben Sie, dass man die Menschen im Lande nicht
ernst nehmen muss, dass man sie anlügen kann, dass
man ihnen Sand in die Augen streuen kann?


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wer macht das denn?)


Polemik vom Feinsten haben Sie nicht nur heute de-
monstriert, sondern schon die ganze Woche gemacht.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wann haben Sie die Rede eigentlich geschrieben?)


Das ist sehr unredlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Sagen Sie etwas zu den Problemen, die wir haben!)


Sie haben mehrfach die Demo von heute Morgen an-
gesprochen. Natürlich habe ich keinen Ruhm geerntet,
natürlich hat man mir keinen Beifall geklatscht, und
zwar deshalb, weil ich den Menschen die Wahrheit ge-
sagt und darauf hingewiesen habe, wie schwierig die Si-
tuation ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das nutzen Sie aus. Sie sind an dieser Stelle polemisch
und stellen sich auf die Seite der Bauern, obwohl Sie
wissen, dass man das nicht ändern kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

CSU): Wer hat uns in diese Lage gebracht?)

Ich könnte auch anders fragen. Wie kommen Sie
dazu, die Bundesregierung bei der Haushaltseinbringung
am Dienstag zu attackieren und zu sagen, die Einspar-
summe des Bundes sei bei weitem nicht hoch genug, und
anschließend nach dem Motto vorzugehen: „Was inte-
ressiert mich mein Geschwätz von gestern“? Bei jeder
Einzelplandebatte – das haben wir vorhin beim Verkehr
erlebt und erleben es jetzt wieder – sagen Sie, die kon-
kreten Einsparungen seien viel zu hoch und träfen die
Menschen über alle Maßen. Sie kündigen zwar Ange-
bote an, aber es kommt nichts außer Gemecker. Frau
Aigner war hierfür das allerbeste Beispiel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wir sind erst am Anfang der Haushaltsberatungen, Frau Wolff!)


Das passt nicht zusammen. Schenken Sie den Menschen
reinen Wein ein und hören Sie auf, sich selber zu wider-
sprechen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wissen Sie, dass wir noch drei Monate Haushaltsberatungen haben?)


Erinnern wir uns doch einmal an das vergangene Jahr.
Die Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück haben da-
mals ein gemeinsames Papier vorgelegt. Beide Minister-
präsidenten waren sich einig, dass auch Einsparungen im
Agraretat notwendig sind.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Fragt sich nur, wo!)

Warum machen das wohl zwei Ministerpräsidenten, ei-
ner von der SPD und einer von der CDU? Warum ma-
chen die wohl einen solchen Vorstoß?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fragen Sie die doch mal!)


Weil sie wissen, wie die Situation in Deutschland ist,
und weil sie wissen, dass es gilt, die Bundesländer, den
Bundesrat, den Bundestag und die Bundesregierung
gleichermaßen zu erreichen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil sie dieser Bundesregierung nichts mehr zutrauen!)


Natürlich bin ich der Auffassung, dass das Parlament
und die Bundesregierung eigene Akzente setzen müssen,
aber die Grundlinie war – so hatte ich das jedenfalls seit
dem letzten Jahr verstanden – die Vorgabe von Koch/
Steinbrück.

Die Vorschläge von Koch/Steinbrück galten für die
CDU schon bei den letzten Haushaltsberatungen nicht
mehr.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Was ist mit der Kohle?)


Durch die Blockade – Sie haben das hervorragend her-
ausgestellt – sind die Einsparungen im letzten Jahr nicht
möglich gewesen. Es ist doch völlig absurd zu glauben,
dass wir das vergangene Jahr komplett ausblenden kön-
nen. Es ist doch auch logisch, dass wir durch die er-
zwungene Nullrunde im letzten Jahr im Jahr 2005 stär-
ker betroffen sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gilt das für die Bildungspolitik auch?)


Ich möchte mich nur auf zwei wichtige Punkte im
Haushalt beziehen, deren Darstellung von mir erwartet
wird. Zum einen geht es um das agrarsoziale Siche-
rungssystem. Unser Ansatz sieht vor, dass die Landwirte






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


erstmals auch an den Leistungskosten für Altenteiler
beteiligt werden sollen. Die Unternehmer kommen bis-
her nicht für die Leistungen, sondern explizit nur für die
entstehenden Verwaltungskosten auf. Wie ist das eigent-
lich in der gesetzlichen Krankenversicherung? Circa
30 Prozent der Beiträge der Versicherten – auch von den
Leuten auf der Besuchertribüne – werden für Leistungs-
und Verwaltungskosten bei den Rentnern aufgebracht.
Das war nicht immer so. Auch in der GKV ist dieser An-
teil in den letzten Jahren immens gewachsen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eben!)

Mit den Änderungen durch das Haushaltbegleitgesetz
werden wir bis 2008 das Kosten-Leistungs-Verhältnis in
der Krankenversicherung der Landwirtschaft an die Be-
dingungen der gesetzlichen Krankenversicherung an-
gleichen. Es geht also nicht, wie die Opposition immer
wieder darstellt, um eine unzumutbare Belastung, son-
dern um ein Angleichen der Verhältnisse an die gesetzli-
che Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(FDP): Es geht um sachgerechte Lösungen!)


Außerdem muss man an dieser Stelle festhalten: Die
landwirtschaftliche Krankenversicherung wurde 1972
eingeführt. Es ist doch logisch, dass es in 32 Jahren land-
wirtschaftlicher Krankenversicherung Entwicklungen in
der Bevölkerung gibt und dass sich die Bedingungen än-
dern. Diese Veränderungen muss man begleiten können
und man muss auch Reformen vornehmen können; da
muss man neu nachdenken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch gar keine Reform!)


Dass Sie dies 16 Jahre lang nicht getan haben, ist aller-
dings bezeichnend für Ihre Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat mit Reform gar nichts zu tun!)


Bei der Anhörung zum Haushaltbegleitgesetz haben
die Experten ganz deutlich gemacht, dass genau der
Weg, den wir eingeschlagen haben, in die richtige Rich-
tung geht.


(Ute Kumpf [SPD]: Kollege Goldmann, packen Sie Ihre Gummistiefel ein!)


Ich bin der festen Überzeugung, dass das System der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf absehbare
Zeit das Beste ist, was wir den Landwirten geben kön-
nen. Es muss aber allen klar sein: Die landwirtschaftli-
che Sozialversicherung ist nicht am Ende der Reformen,
wenn sie auch künftig bestehen will. Nur wenn man die
Verwaltungskosten weiter senkt, nur wenn die Beitrags-
maßstäbe in der Krankenversicherung und in der Unfall-
versicherung modernisiert werden und nur wenn Sonder-
vergünstigungen, die der Allgemeinheit nicht zu erklären
sind, abgebaut werden,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nennen Sie einmal eine! Welche meinen Sie denn jetzt?)

dann hat das System aus meiner Sicht auch eine Zukunft.
Es ist wichtig, dass man dies den Vertretern der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung klar macht und dass sie
dies einsehen.

Die Botschaft heißt also: Beweisen Sie, dass Sie zu
solchen Reformen in der Lage sind. Ich stehe Ihnen
– wie in der Vergangenheit – als Partnerin gerne zur
Seite. Nur ein modernisiertes Sozialversicherungssystem
für die Landwirte wird eine echte Chance haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun zum zweiten Punkt, einem weiteren wichtigen
Posten des Haushaltbegleitgesetzes, der hier auch mehr-
fach angesprochen worden ist: dem Agrardiesel. Anders
als bei der Krankenversicherung – ich meine, auch an-
ders als bei der Unfallversicherung; das muss man ein-
fach eingestehen – handelt es sich beim Agrardiesel um
eine echte Subventionierung. Keine Frage: Eindeutig po-
sitiv für die Landwirte ist, dass durch die Agrardiesel-
rückerstattung die Energiekosten gesenkt werden und
dass im Blick auf die europäischen Nachbarn eine ge-
wisse Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Kennen Sie eigentlich die Zahlen?)


Durch die Agrardieselrückerstattung gibt es aber – das
müssen wir ehrlich zugeben – nicht genügend Anreize,
um weiter energiesparender zu wirtschaften oder auf re-
generative Energien umzusteigen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Opposition und Be-
rufsstand führen immer wieder die erheblichen Energie-
kosten für die Landwirtschaft auf – was ja berechtigt
ist – und geben hierfür eine Ifo-Studie an. Auch ich
möchte mich auf diese Studie beziehen; denn ich finde,
es geht nicht an, hier nur die halbe Wahrheit zu sagen.
Bei diesem länderübergreifenden Belastungsvergleich
kommt nämlich noch etwas ganz anderes heraus, näm-
lich dass die gesamten Produktionskosten, wenn man
also auch die Steuern auf Düngemittel, Pestizide usw.
einbezieht, für die deutschen Bauern etwa halb so hoch
sind wie für dänische Bauern. Das haben auch schon an-
dere Kollegen gesagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine etwa vergleichbare Belastung gibt es bei den nie-
derländischen, den österreichischen – Frau Mortler, so
weit zu den österreichischen Berufsgenossen – und den
schwedischen Bauern. Der Agrardiesel ist wichtig, keine
Frage. Aber er ist nicht alles.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man verliert natür-
lich ungern lieb Gewonnenes, das ist verständlich. Bei
aller Kritik wird aber leider außer Acht gelassen, was die
rot-grüne Bundesregierung für die Landwirtschaft
erreicht hat. Ich will nur ein paar Beispiele nennen. Ers-
tens: Die Befreiung von der Mineralölsteuer für Bio-






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


kraft- und -heizstoffe verbessert die Wettbewerbssitua-
tion der nachwachsenden Rohstoffe gegenüber den
fossilen Kraftstoffen. Zweitens: Mit der Verabschiedung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes haben wir den
Landwirten den Weg freigemacht, sich ein neues Stand-
bein zu eröffnen. Drittens: Mit der EU-Agrarreform wer-
den die Prämien von der Produktion abgekoppelt. Die
regionalisierte einheitliche Flächenprämie eröffnet end-
lich – das wollten auch die Bauern – die Möglichkeit,
sich am Markt zu orientieren und zu produzieren, was
gefragt ist. Da ist endlich Innovation möglich.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der von der Bundesregie-
rung eingeschlagene Weg ist eine Chance für die Land-
wirtschaft. Viele sehen das auch so. Ich werde beispiels-
weise häufig von Landwirten angesprochen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das glaube ich!)

die gerade die Umorientierung zur unternehmerischen
Verantwortung begrüßen.

Deshalb kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, verunsichern Sie diese
Menschen nicht länger!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Seien Sie ehrlich zu sich selbst und zur Bevölkerung!
Wir befinden uns in einem Zeitalter der globalisierten
Märkte. Subventionsabbau und Stärkung von Einkom-
mensalternativen sind der Weg, den wir im internationa-
len Kontext gehen müssen und auch gehen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512319900

Letzter Redner ist der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Peter Jahr (CDU):
Rede ID: ID1512320000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte
Frau Künast, ich denke, Landwirte sind sehr einsichtige
Zeitgenossen. Sie sind es gewohnt, hart zu arbeiten. Sie
denken an die Zukunft und an die ihrer Kinder. Die
Geburtenrate auf dem Lande ist übrigens doppelt so
hoch wie in der Stadt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sollte man ruhig einmal bemerken, wenn es um Zu-
kunftsaussichten geht. Der demographische Wandel
wäre viel schlimmer, wenn wir die Landbevölkerung
nicht hätten. Dort gibt es noch nachhaltige Wertvorstel-
lungen. Zur Zukunft gehören ganz einfach Kinder. Ohne
Kinder gibt es keine Zukunft. Auf dem Land hat man das
noch begriffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie viele haben Sie denn?)


– Ich habe vier. Ich denke, wenn es um die Kinderzahl
geht, sieht es in unserer Arbeitsgruppe gar nicht so
schlecht aus.

Auch die Landwirte stellen sich natürlich den gesell-
schaftlichen Anforderungen. Aber sie wollen gerecht be-
handelt werden. Wenn sie ungerecht behandelt werden,
dann werden sie böse. Von der Bundesregierung werden
sie ungerecht behandelt. Landwirte wollen Unternehmer
sein, wollen im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpoli-
tik unternehmerisch tätig sein.

Meine Damen und Herren von den regierungstragen-
den Fraktionen, Sie sagen immer, es seien nun einmal
schlechte Zeiten und man habe kein Geld. Aber man
kann doch zuerst mit den Dingen beginnen, die kein
Geld kosten. Wettbewerbsgleichheit bedeutet für die
deutsche Landwirtschaft: keine Sondersteuern, keine
Sonderauflagen und gemeinsames Wirtschaften; denn
die deutschen Landwirte müssen die von ihnen produ-
zierten Produkte auf einem gemeinsamen europäischen
Markt verkaufen. Umweltstandards und Sonderhaltungs-
bedingungen kosten kein Geld,


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das kostet schon Geld! So weit können Sie wohl rechnen!)


sondern nur politischen Willen und Durchsetzungsver-
mögen auf europäischer Ebene. Genau daran fehlt es Ih-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war vorhin ziemlich interessant, zu beobachten, dass
sich die Grünen im Hinblick auf die Besteuerung des
Agrardiesels ein bisschen einsichtiger gezeigt haben.
Sie haben eingeräumt, dass Kerosin für Flugzeuge nor-
malerweise in gleichem Maße besteuert werden müsste,
dass das irgendwann auch geschehen werde, dass sie
sich aber im Moment in Europa nicht durchsetzen könn-
ten. Offenbar wollen sie sich deshalb zuerst einmal an
unseren Landwirten vergreifen und sie richtig zur Kasse
bitten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da wir uns heute gegenseitig Sachlichkeit gelobt ha-

ben,

(Ute Kumpf [SPD]: Davon merkt man jetzt aber wenig bei Ihnen!)

möchte ich auf die Hauptindikatoren Ihrer Politik zu
sprechen kommen. Um deutlich zu machen, wie es um
die Prosperität in Ihrem Verantwortungsbereich bestellt
ist, habe ich mir die Kennzahlen für die Entwicklung der
Einkommen, der Marktanteile und der Beschäftigtenzahl
in der deutschen Landwirtschaft herausgegriffen. Diese
Zahlen kann man nicht dividieren. Auf sie hat auch der
Euro keinen Einfluss. Sie bleiben so, wie sie sind.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Jahr

Im Verlauf Ihrer Regierungszeit sank das Jahresein-

kommen plus der Ausgaben für Personalaufwand in der
Landwirtschaft von 19 900 Euro 1999/2000 auf mittler-
weile unter 18 000 Euro pro Arbeitskraft und Jahr, Ten-
denz sinkend. Ein solches Jahreseinkommen bietet den
deutschen Landwirte keine echten Chancen. Eine erfolg-
reiche Agrarpolitik sieht anders aus. Die Kollegin, die
vorhin darauf hingewiesen hat, dass man mit einem sol-
chen Einkommen nicht weit von Hartz IV entfernt ist
– das sollte wirklich jeder nachrechnen; Landwirte kön-
nen jedenfalls rechnen –, hat Recht. Es darf nicht sein,
dass die Landwirte für ihre Einsichtigkeit und dafür, dass
sie jeden Morgen aufstehen und in den Stall gehen, letzt-
endlich beim Einkommen bestraft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Betrachten wir die Marktanteile: Im Zeitraum von
1999 bis 2003 reduzierte sich die Fleischerzeugung in
Deutschland von 6,2 Millionen Tonnen auf 5,3 Millio-
nen Tonnen, also um ungefähr 15 Prozent. Somit gab es
auch dort einen drastischen Rückgang. Weniger Einkom-
men und weniger Produktion lassen für die Situation der
Beschäftigten wenig Gutes erahnen.

Interessant ist allerdings die Statistik: Zwischen 1995
und 1999 – da waren Sie noch nicht an der Regierung;
ich sage es bloß einmal zur Erinnerung;


(Ute Kumpf [SPD]: Landwirte können ja rechnen!)


manchmal gewöhnt man sich so an Regierungszeiten
und denkt, sie gingen nie zu Ende – stieg die Anzahl der
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte von 1,409 Millio-
nen auf 1,437 Millionen an. Das war zwar nicht viel, be-
deutete aber, dass die Anzahl der Beschäftigten im Jah-
resdurchschnitt um 6 800 stieg. In Ihrer Regierungszeit,
also im Zeitraum von 1999 bis 2003, verringerte sich die
Anzahl landwirtschaftlicher Arbeitskräfte von 1,437 Mil-
lionen auf 1,305 Millionen. Das heißt, in Ihrer Regie-
rungszeit wurden jährlich 33 000 landwirtschaftliche Ar-
beitskräfte abgebaut.


(Ute Kumpf [SPD]: Die meisten sind in Rente gegangen, Herr Kollege!)


– Es wäre schön, wenn sie nur in Rente gegangen wären.
Ich habe zuvor bewusst die anderen Kennzahlen ge-
nannt.

Auf sinkende Einkommen pro Arbeitskraft und auf
einen sinkenden Marktanteil muss man natürlich be-
triebswirtschaftlich reagieren, indem man, ganz einfach
gesagt, effektiver wirtschaftet und indem man mehr Ar-
beitskräfte abbaut, um halbwegs rentabel zu bleiben.
Durch die von Ihnen gesetzten Rahmenbedingungen
baut unsere Landwirtschaft mehr Arbeitskräfte ab, als ei-
gentlich notwendig ist.


(Ute Kumpf [SPD]: Wie im Handwerk!)

Dank Ihrer Politik wurden in zwei Jahren so viel Ar-
beitskräfte abgebaut, wie der Freistaat Sachsen insge-
samt hat.

(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Wir bauen keine Arbeitsplätze ab! Das ist doch Quatsch! Das sind unternehmerische Entscheidungen!)


Auf der anderen Seite preist der Wirtschaftsminister
die 1-Euro-Jobs in dem Bemühen an, dass dadurch ir-
gendwie Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Dazu
sage ich ganz einfach: Vernachlässigen Sie nicht die
deutsche Agrarpolitik! Betrachten Sie die deutsche
Agrarpolitik endlich als Wirtschaftspolitik! Denken Sie
daran: Auch in der Landwirtschaft bestehen ordentliche
Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse.


(Jella Teuchner [SPD]: Das hat niemand bestritten! – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das ist richtig! Ein Glück!)


Sie setzen ganz einfach die falschen Rahmenbedingun-
gen. Weniger Einkommen und weniger Produktion heißt
auch weniger Beschäftigung.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Weniger Subventionen heißt mehr Eigenständigkeit! Ja!)


Wenn man nur diese wenigen Zahlen betrachtet, muss
man im Endeffekt feststellen, dass Ihre so genannte
Agrarwende gescheitert ist.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das fanden die Bauern aber nicht!)


Dabei war Ihre Argumentation bei der Agrarwende da-
mals ziemlich einfach. Sie haben gesagt: Höhere Aufla-
gen bedeuten höhere Qualität, das bedeutet höhere
Preise. Es gibt nur ein Problem: Diese Politik hat nicht
funktioniert. Offenbar ist der Verbraucher nicht bereit,
die höheren deutschen Standards zu bezahlen.

Dabei sitzt die Hauptkonkurrenz der deutschen Land-
wirte nicht in Übersee, sondern in der unmittelbaren
Nachbarschaft: Holland, Frankreich und Österreich.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Franzosen lieben den Genuss! Hier heißt es immer nur: Geiz ist geil!)


Sie haben schon gehört, wie die Wettbewerbsbedingun-
gen dort aussehen. Die Österreicher haben es begriffen.
In Österreich werden die Landwirte in diesem Jahr ent-
lastet, um die österreichische Landwirtschaft wettbe-
werbsfähig zu machen und um dort möglichst viele
Marktanteile und möglichst viel Beschäftigung zu si-
chern.


(Jella Teuchner [SPD]: Österreich hat auch einen wesentlich höheren Anteil an Ökobetrieben!)


Was macht die zuständige Ministerin in dieser Situa-
tion? Sie erhöht zum Nachteil der deutschen Landwirte
die Dieselbesteuerung, getreu nach dem Motto: Beim
Spitzenverdiener Landwirt – er hat ein Einkommen von
immerhin 18 000 Euro pro Jahr – ist noch Luft. Was Sie
vorhaben, ist eine Frechheit. Für mich ist das ein gesell-
schaftspolitischer Skandal.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Jahr

(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Sie müssen erst einmal die eigenen Leute überzeugen! Da gibt es ein Defizit! – Gegenrufe von der CDU/CSU – Unruhe bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ich kann Ihnen auch meine Brille leihen!)


– Ich wollte Sie bloß ausreden lassen. Ich bin nämlich
gut erzogen und meine Sekundärtugenden kommen
manchmal durch. Ich dachte: Wenn sich erwachsene
Menschen unterhalten, dann sollst du nicht dazwischen-
reden.

Ich kann Ihnen versprechen, dass wir uns in den nun
folgenden Haushaltsberatungen intensiv einmischen
werden. Sie werden von uns Verbesserungsvorschläge
hören. Wir werden nicht zulassen, dass Sie die wirt-
schaftliche Situation und die Wettbewerbssituation der
deutschen Landwirtschaft weiter verschlechtern. Dage-

gen – dessen können Sie gewiss sein – gibt es unseren
enormen Widerstand.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512320100

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-

nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf morgen, Freitag, den 10. September 2004,
9 Uhr, ein.

Ich wünsche allen hier im Hohen Hause einen schö-
nen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.