Protokoll:
11185

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 185

  • date_rangeDatum: 14. Dezember 1989

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:53 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/185 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 185. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 Inhalt: Zusätzliche Überweisung eines Gesetzentwurfs — Umsatzsteuergesetz (Drucksache 11/5977) — an den Haushaltsausschuß 14269 A Erweiterung der Tagesordnung 14269 A Begrüßung des Marschalls des Sejm der Volksrepublik Polen und einer Delegation 14272 C Begrüßung einer Besuchergruppe aus OstBerlin 14283 C Zur Geschäftsordnung Such GRÜNE 14269D Bohl CDU/CSU 14270 D Lüder FDP 14272A Tagesordnungspunkt 5: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt (Drucksachen 11/6018, 11/6083) 14272D Tagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" (Drucksachen 11/2583, 11/5723, 11/6097) Neumann (Bremen) CDU/CSU 14273 B Duve SPD 14275B, 14280D Lüder FDP 14277 B Frau Teubner GRÜNE 14278 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 14279 D Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Produktpiraterie (Drucksachen 11/4792, 11/5744) Dr. Kreile CDU/CSU 14281 D Stiegler SPD 14283 D Kleinert (Hannover) FDP 14286 B Engelhard, Bundesminister BMJ 14287 A Jäger CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 14287D Präsidentin Dr. Süssmuth 14288 B Tagesordnungspunkt 8: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Zur EG-Charta sozialer Grundrechte (Drucksache 11/5906) b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt (Drucksache 11/5332) c) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt im Rahmen der Vollendung des Binnenmarkts (Drucksache 11/5333) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur sozialen Dimension des Binnenmarktes (Drucksachen 11/4340, 11/5996) in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat in Straßburg am 8./9. Dezember 1989 (Drucksache 11/6089) Frau Wieczorek-Zeul SPD 14289 A Fuchtel CDU/CSU 14291 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 14294 A Heinrich FDP 14296 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 14299 C Peter (Kassel) SPD 14303 B Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 14305 D Dr. Wieczorek SPD 14308 A Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (Drucksachen 11/4793, 11/5952) 14310D Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Susset, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes (Drucksache 11/6090) 14310 D Zusatztagesordnungspunkte 10 bis 12: Beratung der Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 142, 143, 144 zu Petitionen (Drucksachen 11/5921, 11/5980, 11/5981) 14311A Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 145 (Drucksache 11/6087) 14311 B Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Frau Abgeordneten Wieczorek-Zeul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stationierung von Flugzeugen der US-Streitkräfte auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Stationierung von US-Kampfhubschraubern auf dem Flughafen Wiesbaden-Erbenheim zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN: Rücknahme der Einverständniserklärung der Bundesregierung zur Stationierung von amerikanischen Kampfhubschraubern auf dem Militärflughafen Wiesbaden-Erbenheim (Drucksachen 11/2868 [neu], 11/2890, 11/2891, 11/4883) Frau Wieczorek-Zeul SPD 14314 A Petersen CDU/CSU 14316D Frau Schilling GRÜNE 14318 C Ronneburger FDP 14319 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg 14321B Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 14322 D Horn SPD (Erklärung nach § 31 GO) 14323 C Becker (Nienberge) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 14323 C Vizepräsident Stücklen 14320D, 14321A Namentliche Abstimmungen 14323 D Ergebnisse 14324 A, 14325 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Aktuelle Stunde betr. die Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag nach dem Gipfeltreffen von Malta, Brüssel und Straßburg Frau Dr. Vollmer GRÜNE 14327 C Frau Geiger CDU/CSU 14328 C Wischnewski SPD 14329 D Mischnick FDP 14330 C Schäfer, Staatsminister AA 14331 B Verheugen SPD 14333 B Freiherr von Schorlemer CDU/CSU 14334 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 14335 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 14336 A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 14337 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 14337 D Dr. Soell SPD 14338 C Uldall CDU/CSU 14339 B Lummer CDU/CSU 14340 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Datenschutz im Strafverfahren (Drucksachen 11/173, 11/1878) Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 14341 C Eylmann CDU/CSU 14343 B Häfner GRÜNE 14345 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 III Funke FDP 14347 B Dr. de With SPD 14348 B Wüppesahl fraktionslos 14350 A Engelhard, Bundesminister BMJ 14350 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 137 zu Petitionen (AIDS-Bekämpfung) (Drucksache 11/5474) Peter (Kassel) SPD 14352 B Geis CDU/CSU 14353 C Frau Nickels GRÜNE 14355 A Funke FDP 14356 B Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 14357 A Tagesordnungspunkt 13: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 141 zu Petitionen (Kernkraftwerk Nekkar-Westheim II) (Drucksache 11/5695) Frau Teubner GRÜNE 14358 A Dr. Göhner CDU/CSU 14358 D Reuter SPD 14359 D Funke FDP 14361 C Gröbl, Parl. Staatssekretär BMU 14362 A Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Trenz und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes (Drucksache 11/3823) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Trenz und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Drucksache 11/3824) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die rechtliche Möglichkeit des Umgangs zwischen Vater und nichtehelichem Kind (Nichtehelichen-Umgangsgesetz — NEhelUmgG) (Drucksache 11/5494) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sorgerecht für nichteheliche Kinder bei Ruhen des Sorgerechts oder beim Tod der sorgeberechtigten Mutter (Drucksache 11/4277) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN: Namensrecht (Drucksache 11/4437) Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 14363 D Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 14365 B Dr. Pick SPD 14367 C Funke FDP 14369 D Werner (Ulm) CDU/CSU 14371 B Engelhard, Bundesminister BMJ 14371 D Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften (Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz) (Drucksache 11/5465) Seehofer, Parl. Staatssekretär BMA 14373 D Frau Steinhauer SPD 14374 D Frau Würfel FDP 14376 B Dr. Warrikoff CDU/CSU 14377 B Tagesordnungspunkt 16: a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Brück, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verhandlungen über ein neues Abkommen EWG-AKP (Drucksache 11/3738) b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Verhandlungen über ein 4. AKP-EWG-Abkommen (Lomé IV) (Drucksache 11/5935) Brück SPD 14378 C Höffkes CDU/CSU 14380 A Volmer GRÜNE 14381 D Frau Walz FDP 14382 D Dr. Warnke, Bundesminister BMZ 14383 D Tagesordnungspunkt 17: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Umwelt-Swings und Umwelt-Fonds zur Minderung grenzüberschreitender Emissionen durch DDR-Kraftwerke (Drucksachen 11/3661, 11/6094) Bohl CDU/CSU (zur GO) 14385 A Dr. Knabe GRÜNE 14385 C Harries CDU/CSU 14386 B Schütz SPD 14387 C Frau Dr. Segall FDP 14388 B Gröbl, Parl. Staatssekretär BMU 14389 A Dr. Knabe GRÜNE (zur GO) 14390 A Lüder FDP (zur GO) 14390 C IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung) : Fragestunde — Drucksache 11/6009 vom 8. Dezember 1989 — Versuch der Streichung des Abschnitts über die Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika durch die bundesdeutsche UNO-Vertretung MdlAnfr 39 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE Antw StMin Schäfer AA 14311D ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 14312 A Beurteilung und Finanzierung des Einsatzes von Bundesgrenzschutzbeamten im Rahmen der Friedenstruppe der Vereinten Nationen zur Beobachtung der Wahlen in Namibia MdlAnfr 48, 49 Frau Dr. Timm SPD Antw StMin Schäfer AA 14312B, 14312D ZusFr Frau Dr. Timm SPD 14312C, 14312D Nächste Sitzung 14390 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 14391* A Anlage 2 Kosten für die Anzeigenkampagne „Die große Steuerreform" MdlAnfr 9 — Drs 11/6009 — Frau Schulte (Hameln) SPD SchrAntw BMin Klein BPA 14391* C Anlage 3 Vereinbarungen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zur Wiedervereinigung Deutschlands; beharrliche Vertretung des Wiedervereinigungsanspruchs durch die Bundesregierung, insbesondere gegenüber dem französischen Verteidigungsminister und dem sowjetischen Staatspräsidenten MdlAnfr 51, 52 — Drs 11/6009 — Niegel CDU/CSU SchrAntw StMin Schäfer AA 14391* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14269 185. Sitzung Bonn, den 14. Dezember 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Ahrens SPD 15. 12. 89 * Dr. Apel SPD 15. 12. 89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Becker-Inglau SPD 15. 12. 89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 14. 12. 89 * Dr. Bötsch CDU/CSU 15. 12. 89 Egert SPD 15. 12.89 Dr. Ehrenberg SPD 15. 12. 89 Dr. Emmerlich SPD 15. 12. 89 Frau Frieß GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Gautier SPD 14. 12. 89 Genscher FDP 15. 12. 89 Frau Hasselfeldt CDU/CSU 15. 12. 89 Haungs CDU/CSU 14. 12. 89 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 15. 12. 89 Heyenn SPD 15. 12. 89 Irmer FDP 15. 12. 89 Jaunich SPD 15. 12. 89 Kißlinger SPD 15. 12. 89 Klein (Dieburg) SPD 15. 12. 89 Frau Kottwitz GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 15. 12. 89 Kreuzeder GRÜNE 15. 12. 89 Leonhart SPD 14. 12. 89 Link (Diepholz) CDU/CSU 14. 12. 89 Meneses Vogl GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU 15. 12. 89 Möllemann FDP 14. 12. 89 Dr. Müller CDU/CSU 15. 12. 89 Niegel CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 15. 12. 89 Reddemann CDU/CSU 15. 12. 89 Reuschenbach SPD 14. 12. 89 Frau Rock GRÜNE 15. 12. 89 Sieler (Amberg) SPD 14. 12. 89 Dr. Sperling SPD 15. 12. 89 Spranger CDU/CSU 14. 12. 89 Dr. Thomae FDP 15. 12. 89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 14. 12. 89 Waltemathe SPD 15. 12. 89 Wieczorek (Duisburg) SPD 14. 12. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 15. 12. 89 Dr. de With SPD 14. 12. 89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 15. 12. 89 Würtz SPD 15. 12. 89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 15. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Bundesministers Klein auf die Frage der Abgeordneten Frau Schulte (Hameln) (SPD) (Drucksache 11/ 6009 Frage 9): Wieviel Geld hat die Bundesregierung für die Anzeigenkampagne „Die große Steuerreform" in den letzten Tagen und Wochen ausgegeben? Viele Bürger sind zunehmend interessiert zu erfahren, welche Auswirkungen die 3. Stufe der Steuerreform ab 1. Januar 1990 für sie hat. Die Bundesregierung trägt diesem aktuellen Informationsbedürfnis durch Herausgabe eines Beihefters Rechnung. Diese achtseitige Informationsschrift, die als Anzeige gekennzeichnet ist, wird Publikumszeitschriften, vor allem Programmzeitschriften beigeheftet. Bei einer Gesamtauflage von ca. 28 Millionen Exemplaren entstehen Kosten von ca. 4,7 Millionen DM, davon ca. 2,7 Millionen DM für die Beiheftung und ca. 2 Millionen DM für Druck und Gestaltung der Informationsschrift. (Damit liegen die Kosten übrigens deutlich niedriger als bei einer vergleichbaren Anzeige.) Anlage 3 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) (Drucksache 11/6009 Fragen 51 und 52): Welche Verträge, Vereinbarungen und Erklärungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs bzw. der drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich bzw. der Verbündeten einschließlich der Verpflichtung der drei Westmächte bei der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die WEU (Erklärung der Westmächte vom 3. Oktober 1954, 9. Final act of the Nine-Power Conference 28. September bis 3. Oktober 1954 V. 4.) und des Deutschlandvertrages vom 23. Oktober 1954 Artikel 7 Abs. 2 existieren, in denen sich die vorgenannten Mächte zur friedlichen Wiedereinigung Deutschlands bekannten, und in welcher Weise hat die Bundesregierung unter Berücksichtigung des Auftrags des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 (Wiedervereinigungsanspruch nach außen beharrlich zu vertreten) diese Vereinbarungen nachdrücklich und „beharrlich" in Erinnerung gebracht? Wie tritt die Bundesregierung der Auffassung des französischen Verteidigungsministers Chevénement in der WEU-Versammlung vom 6. Dezember 1989 und der ähnlichen Auffassung des Staatspräsidenten der Sowjetunion, Generalsekretär Gorbatschow, entgegen, daß durch die Schlußakte der HelsinkiKonferenz (KSZE) die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges so festgeschrieben sei, daß sie einer Wiedervereinigung im Wege stünde, obwohl in der Schlußakte der Grundsatz festgehalten wurde, daß die Grenzen durch friedliche Mittel und durch Vereinbarungen verändert werden können? Zu Frage 51: Die Fülle der Verträge, Vereinbarungen und Erklärungen, nach denen gefragt wird und die alle veröffentlicht sind, läßt sich in einer kurzen Antwort nicht darstellen. Als Beispiele aus jüngster Zeit erwähne ich: Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der NATO vom 30. Mai 1989 und die Erklärung des Europäischen Rates zu Mittel- und Osteuropa vom 9. Dezember 1989. Der Kern beider Erklä- 14392* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 rungen ist die Bekräftigung des auch im Brief zur Deutschen Einheit festgelegten politischen Ziels der Bundesrepublik Deutschland, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt" . Die Beharrlichkeit der Bemühungen der Bundesregierung ergibt sich u. a. aus allen Kommuniqués der NATO-AM-Konferenzen seit Mai 1955. Zu Frage 52: Die Bundesregierung beruft sich zur Interpretation der Prinzipien der Schlußakte von Helsinki auf die im Prinzipienkatalog der Schlußakte selbst enthaltenen Anwendungs- und Interpretationsbestimmungen. Das Prinzip X bestimmt: Alle die vorstehend aufgeführten Prinzipien sind von grundlegender Bedeutung und werden folglich gleichermaßen und vorbehaltlos angewendet, wobei ein jedes von ihnen unter Beachtung der anderen ausgelegt wird. Das gilt auch für das Verhältnis des Prinzips der Unverletzlichkeit der Grenzen (Prinzip III.) zum Selbstbestimmungsrecht der Völker (Prinzip VIII.) und zur Möglichkeit friedlichen Wandels (Prinzip I.).
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Der Haushaltsausschuß bittet, den in der 181. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksache 11/5977 — dem Haushaltsausschuß zusätzlich gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
8. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat in Straßburg am 8./9. Dezember 1989 — Drucksache 11/6089 —
9. Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen (Nordstrand), Rossmanith, Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Sauter (Epfendorf), Börnsen (Bönstrup), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Dr. Jobst, Fellner, Fuchtel, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn, Dr. Solms und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes — Drucksache 11/6090 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118500100
Sammelübersicht 142 zu Petitionen — Drucksache 11/5921 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118500200
Sammelübersicht 143 zu Petitionen — Drucksache 11/5980 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118500300
Sammelübersicht 144 zu Petitionen — Drucksache 11/5981 —
13. Aktuelle Stunde: Die Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag nach den Gipfeltreffen von Malta, Brüssel und Straßburg
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung über den Begriff des Arbeitsumfelds und den Anwendungsbereich von Artikel 118a des EWG-Vertrags — Drucksachen 11/3899, 11/5997 —
15. Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Scheer, Dr. Soell, Verheugen, Bahr, Fuchs (Verl), Horn,
Gansel, Jungmann, Stobbe, Voigt (Frankfurt), Catenhusen, Matthäus-Maier, Schäfer (Offenburg), Bachmaier, Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten — Drucksachen 11/2202, 11/5705 —
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte
— soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Dem ist so. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag „Keine Unterzeichnung des Zusatzabkommens zum ,Schengener Vertrag'"
- Drucksache 11/6096 — zu erweitern.
Wird zu dem Antrag das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Such.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118500400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung beantrage ich namens meiner Fraktion, die heutige Tagesordnung um eine Aussprache über unseren Antrag „Keine Unterzeichnung des Zusatzabkommens zum ,Schengener Vertrag"' — Drucksache 11/6096 — zu ergänzen; die Drucksache liegt Ihnen vor.
Die Grenzen zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und der Bundesrepublik sollten am 1. Januar 1990 geöffnet werden. So hatten es die Staaten in ihrem Schengener Abkommen von 1985 beschlossen. Das wird nun nicht der Fall sein. Die Menschen werden weiter in Schlangen zur Kontrolle vor den Grenzen stehen. In Folgeverhandlungen wurden Rechtsangleichungen und Kooperationsmaßnahmen vereinbart. Das Endergebnis, das Schengener Zusatzabkommen, soll morgen von den Regierungschefs unterzeichnet werden.
Die Dringlichkeit unserer Intervention hat sich erst in den letzten Tagen und Wochen in aller Deutlichkeit abgezeichnet, und zwar aus folgenden Gründen:
Informationen der Bundesregierung in dieser Sache hat es anfangs gar nicht und dann nur zögerlich gegeben. Die Verhandlungen über die Nichtöffnung der
14270 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Such
Grenzen sind am Parlament vorbei gelaufen, von der Öffentlichkeit gar nicht zu sprechen.

(Widerspruch des Abg. Dr. Stercken [CDU/ CSU])

Die jetzt zu unterzeichnende Fassung des Folgeabkommens haben einige wenige Kolleginnen und Kollegen erst am letzten Freitag erhalten.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Wenn Sie nicht in den Ausschuß kommen, können Sie das auch nicht hören! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Diese Fassung bestätigt unsere seit langem existierende Skepsis gegen den Inhalt voll und ganz.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Innenausschuß! Auswärtiger Ausschuß!)

— Kollege, regen Sie sich doch bitte nicht auf, hören Sie doch einmal zu! —(Fellner [CDU/CSU]: Wenn Sie so lügen, ist
das nicht möglich! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)

(Fellner [CDU/CSU]: Nein, wir hören nicht zu!)

mit der Mahnung, diesen nicht an ausländische Parlamentarier weiterzugeben, weil die anderen Regierungen der Schengener Vertragsstaaten auf Geheimhaltung drängten.
Das allein muß schon Grund genug sein, die Unterzeichnung morgen zu verhindern. Die Debatte muß im Parlament — eigentlich in der Öffentlichkeit — hier und heute, also vor der Unterzeichnung, nicht erst während des Ratifizierungsvorganges ermöglicht werden. Denn sonst wird — machen wir uns da doch nichts vor — die Erörterung auf die pauschale Formel eines Ja oder Nein zu Europa reduziert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im übrigen hat sich die zweite Kammer des niederländischen Parlaments gestern mit dem Abkommen beschäftigt, und sie wird es heute wieder tun. Es ist gar nicht einmal so sicher, ob die Niederländer unterzeichnen werden. Wenn sie es tun, dann werden sie es, wie ich gehört habe, nur deshalb tun, weil sie nicht als erste ausscheiden wollen.
Auch die bisher nicht beteiligten EG-Staaten haben bereits Bedenken angemeldet. Da sie bisher nicht an den Beratungen beteiligt wurden, werden sie sich die Vertragsbedingungen demnächst nicht aufdrücken lassen. Das Europa-Parlament hat nicht allein aus diesem Grunde in einer Entschließung von der Unterzeichnung abgeraten. Dem sollten auch wir folgen. Gerade in der jetzigen europäischen Situation mit der Öffnung der Grenzen in Osteuropa paßt dieses Abkommen nicht in die politische Landschaft oder in das politische Klima.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Gerade auch in diesem Bereich haben sich erst in den letzten Tagen bisher nicht erkannte Probleme ergeben. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die jetzt endlich reisen dürfen, werden an den Grenzen der Vertragsstaaten wie Drittausländer behandelt, es sei denn, wir muteten ihnen zu, sich einen bundesrepublikanischen Paß zu besorgen, wogegen wiederum die Vertragsstaaten — insbesondere Frankreich — Bedenken angemeldet haben.
Es bestehen grundsätzliche datenschutzrechtliche Bedenken im Hinblick auf dieses Vertragswerk.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118500500
Herr Such, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie hier eine inhaltliche Debatte führen und nicht zur Geschäftsordnung sprechen. Entweder Sie kommen zum Schluß, oder ich muß Ihnen das Wort entziehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)


Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118500600
Ich bin sofort fertig.
Ich mache darauf aufmerksam, daß es hierbei nicht um mehr Sicherheit geht.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Schon wieder zur Sache! Unverschämt!)

Mehr Sicherheit wird dadurch nicht erreicht.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Zur Geschäftsordnung!)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unserem Antrag zu folgen und die Bundesregierung aufzufordern, das Vertragswerk nicht zu unterzeichnen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118500700
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118500800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst klarstellen, daß es sehr wohl Unterrichtungen und Informationen in den beteiligten Ausschüssen gegeben hat.

(Fellner [CDU/CSU]: Eine eigene Arbeitsgruppe war eingesetzt! — Such [GRÜNE]: Fragen Sie doch mal die Öffentlichkeit, was sie darüber weiß, Herr Kollege Bohl!)

Es hat auch eine entsprechende Arbeitsgruppe gegeben. Der Vorwurf mangelnder Information kann hier sicherlich nicht im Raum stehenbleiben. Damit, Herr Such, sollten Sie auch nicht operieren.

(Such [GRÜNE]: Am Freitag lag das Vertragswerk vor, und morgen soll es unterzeichnet werden! Das kann doch nicht richtig sein!)

Sie haben auch den Zwischenruf des Vorsitzenden
des Auswärtigen Ausschusses hier gehört. Sie müßten
das vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen und
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14271
Bohl
nicht immer Halbwahrheiten wiederholen; sie werden dadurch nicht wahrer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin zunächst einmal aus ganz formalen Gründen dagegen, daß wir diesen Punkt heute auf die Tagesordnung nehmen. Wir haben die gute Übung — das wird Ihnen Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer gerne bestätigen — , daß wir uns am Mittwoch nachmittag zur Besprechung der Tagesordnung treffen. Wir besprechen im Normalfall die Tagesordnung der laufenden Sitzungswoche und die der kommenden Sitzungswoche.
Gestern haben wir von 16.30 Uhr bis 17.15 Uhr getagt. Während dieser Besprechung ist der jetzt eingegangene Antrag nicht angekündigt worden.

(Such [GRÜNE]: Es reicht doch heute morgen!)

— Herr Such, nun hören Sie doch bitte einmal zu! Können Sie zuhören?

(Such [GRÜNE]: Natürlich! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Kann er nicht!)

— Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das auch tun würden. — Während wir tagten, haben Sie diesen Antrag beim Büro der Präsidentin eingereicht. Ich muß Ihnen sagen: Ich halte es aus kollegialen Gründen für kaum glaubhaft, daß Sie so mit uns verfahren. Ich weiß gar nicht, was für einen Sinn Besprechungen der Geschäftsführer noch haben sollen, wenn wir uns zur Besprechung der Tagesordnung treffen

(Such [GRÜNE]: Das niederländische Parlament hat gestern getagt, bis gestern abend, Herr Kollege!)

und Sie dann hinter unserem Rücken solche Anträge einreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Jahn [Marburg] [SPD])

Wir hatten diesen Antrag logischerweise erst um halb acht in unseren Büros.

(Hüser [GRÜNE]: Wir können doch spontan reagieren! Gestern nachmittag wußten wir noch nichts davon!)

Ich selbst habe einen auswärtigen Termin wahrgenommen, den ich sofort abgebrochen habe; ich bin sofort ins Büro zurückgefahren.

(Such [GRÜNE]: Sie sind nicht flexibel!)

Ich muß sagen, daß ich nicht in der Lage war, die Dinge noch gestern abend mit unseren Arbeitsgruppen zu besprechen. Es ist schlicht und einfach unzumutbar,

(Sehr wahr! bei der FDP)

sich unter Kollegen gegenseitig so etwas anzutun.

(Zustimmung bei der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Jahn [Marburg] [SPD])

Ich möchte Sie herzlich bitten, das in Zukunft zu lassen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Kindereien sind das!)

— Man kann es auch als Kindereien bezeichnen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ja, so ist es richtig! — Such [GRÜNE]: Sprechen Sie doch einmal zur Sache!)

Aus diesen Gründen — und ich möchte fast sagen: aus erzieherischen Gründen —

(Heiterkeit bei der SPD — Lachen und Widerspruch bei den GRÜNEN — Such [GRÜNE]: Ist ja unerhört: „aus erzieherischen Gründen" ! — Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Herr Bohl, unser großer Lehrmeister!)

ist es deshalb schon geboten, den Antrag heute nicht auf die Tagesordnung zu nehmen.
Aber ich will über das Formale hinaus gerne sagen — —

(Hüser [GRÜNE]: Wenn Sie keine besseren Argumente haben zu diesem wichtigen Thema als „erzieherische Gründe" ! — Duve [SPD]: Herr Bohl, mit diesem Zitat werden Sie leben müssen! Wir werden das sehr oft benutzen!)

— Ich will Ihnen mal folgendes sagen, Herr Duve: Es geht doch nun wirklich nicht, daß wir so miteinander umgehen.

(Such [GRÜNE]: So geht es nicht, eben! Aus „erzieherischen Gründen" wollen Sie das ablehnen!)

Wir tauschen im Laufe der Woche unsere Anträge aus, damit wir uns darauf einstellen können. Wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, uns bis zum Abend vorher diese Anträge zu geben,

(Such [GRÜNE]: Das niederländische Parlament tagt heute noch darüber!)

dann lehnen wir ab, daß sie an dem Tag auf die Tagesordnung kommen. Das lassen wir uns von Ihnen doch nicht bieten! Das sind Kindereien, unter denen wir ständig zu leiden haben

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Zu leiden?)

und gegen die wir uns endlich mal mit Entschiedenheit zur Wehr setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Such [GRÜNE]: Wir mußten erst abwarten, wie die Niederländer darüber entscheiden würden!)

Jetzt darf ich Ihnen zur Sache noch folgendes sagen

(Hüser [GRÜNE]: Sie sollen nicht zur Sache reden! — Such [GRÜNE]: Nicht zur Sache, nur zum Antrag!)

— zum Antrag, zur Sache — : Wegen der jüngsten deutschlandpolitischen Entwicklung darf ich Ihnen für die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP und damit für die Koalition sagen, daß aus unserer Sicht die Notwendigkeit besteht, daß wir als Bundesrepublik Deutschland mit unseren Schengener Partnern weitere Gespräche zu der aufgezeigten Problematik führen. Aus diesem Grunde besteht auch keine Not-
14272 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bohl
Wendigkeit, in dieser Woche Ihren Antrag auf die Tagesordnung zu nehmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118500900
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lüder.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1118501000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der FDP lehnt zusätzlich zu den Gründen, die Herr Bohl genannt hat, aus folgenden Gründen die Heraufnahme auf die Tagesordnung ab:
Ich bin Ihnen, Herr Such, dafür dankbar, daß Sie sich unter Mißbrauch der Geschäftsordnung zur Sache eingelassen haben, weil Sie damit deutlich gemacht haben, daß Ihnen nicht an einer sachlichen Debatte liegt.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Sie wollen heute eine Schnellschußwertung haben; denn Sie haben beantragt, daß heute abgestimmt wird und daß ein definitives Nein kommt.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Wer macht hier Schnellschüsse? — Such [GRÜNE]: Natürlich! Wo ist das unsachlich?)

Das, was wir wollen, ist — und da komme ich auf das zurück, was Herr Bohl eben angekündigt hat —, daß wir aus der jetzigen Situation heraus mit unseren Partnern über das nachdenken, was notwendig, richtig und sachlich geboten ist. Darüber werden wir weiter sprechen. Aber wir werden nicht heute einen Schnellschuß in der Weise verabschieden, daß wir nein zu dem sagen, was hier ausgehandelt worden ist.

(Such [GRÜNE]: Wollen wir mal warten, was die Niederländer machen!)

Ich darf aus dem Innenausschuß in Ergänzung zu dem, was als Zwischenruf aus dem Auswärtigen Ausschuß kam, berichten, daß wir, seit Herr Stavenhagen Staatsminister ist, über den Lauf der Dinge informiert wurden. Das politische Problem für uns liegt wie bei allen Verträgen — ich erinnere etwa an den Moskauer Vertrag — darin, daß in der Schlußphase kritische Punkte zwischen den Partnern erst noch einer Einigung zugeführt werden müssen. Und diese Punkte konnten uns erst Freitag letzter Woche zur Kenntnis gegeben werden.

(Such [GRÜNE]: Die kritischen Punkte stehen ja immer noch drin! Von „nationaler Sicherheit" ist da die Rede, von „Staatssicherheit", von „Stasi"!)

— Wenn Sie glauben, sich mit Ihren Zwischenrufen dieser sachlichen Thematik entledigen zu können, so wollen wir den fairen Weg der Gespräche mit den Vertragspartnern gehen und nicht heute eine Schnellschußdebatte mit einem Nein zu einem so wichtigen Vertragswerk haben.

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Sie haben selber gesagt, daß das erst Freitag auf den Tisch gekommen ist!)

Deswegen stimmen wir dem Verlangen, diesen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, nicht zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Herr Lüder hat recht! — Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Schnellschußdebatte? Ich denke, Sie wissen so gut Bescheid! Dann ist das doch kein Schnellschuß!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118501100
Weitere Beiträge zur Geschäftsordnung werden nicht erwartet.
Damit komme ich jetzt zur Abstimmung über den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer stimmt für diesen Antrag?

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Vier Leute! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn die Fraktion?)

Gegenprobe! — Enthaltungen?

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Prozentual ist das bei Ihnen meistens genauso!)

— Der Erweiterungsantrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.

(Unruhe)

— Meine Damen und Herren, darf ich vielleicht um einen Augenblick Ruhe für die Begrüßung unserer polnischen Gäste bitten?
Auf der Ehrentribüne hat der Marschall des Sejm der Volksrepublik Polen Herr Professor Dr. Mikolaj Kozakiewicz mit einer parlamentarischen Delegation Platz genommen. Im Namen des Deutschen Bundestages und persönlich begrüße ich Sie sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ihr Besuch unterstreicht die Bedeutung der Beziehungen zwischen unseren Parlamenten,

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Da hat er gerade einen guten Eindruck gekriegt!)

die in den letzten Jahren weiter gewachsen sind.
Der Deutsche Bundestag verfolgt den Reformprozeß in den Staaten des Warschauer Paktes und insbesondere in Ihrem Land mit Aufmerksamkeit und großem Interesse. Er verbindet damit die Hoffnung auf eine erfolgreiche demokratische Entwicklung und ein Zusammenwachsen Europas.
Ich wünsche Ihnen bei Ihrem Aufenthalt gute und nützliche Gespräche sowie interessante Begegnungen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt
— Drucksachen 11/6018, 11/6083 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6083?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur drei!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14273
Präsidentin Dr. Süssmuth
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gegen 3 Stimmen!)

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/6018? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Wahlvorschlag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt und ihre Stellvertreter gewählt.

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Auch ein Stück Demokratie, was sie gerade wieder gesehen haben!)

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"
— Drucksache 11/2583 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 11/5723 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Neumann (Bremen) Duve
Lüder
Frau Dr. Vollmer
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/6097 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Frau Vennegerts

(Erste Beratung 125., 151. Sitzung)

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/6093 vor.
Vereinbart ist im Ältestenrat für die Beratung eine Stunde. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Herr Neumann das Wort.

Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1118501200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes wird das geplante Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das 1993 in Bonn seine Pforten öffnen wird, auf eine endgültige, gesetzlich abgesicherte Grundlage gestellt. Damit wird ein lebendiges Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum geschaffen, das in anschaulicher Weise Kenntnisse über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vermittelt, über die Gründe für ihr Entstehen, ihre Anfangsjahre und ihre Entwicklung bis in die Gegenwart, eingebettet in das politische Umfeld. Es ist ein Angebot insbesondere an die jüngere Generation in Deutschland mit dem Ziel, dieser einen bedeutsamen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte nahezubringen.
Das Haus der Geschichte soll nicht ein geschlossenes oder gar ein amtlich verordnetes Geschichtsbild vermitteln, sondern offen sein für die verschiedenen Betrachtungsmöglichkeiten, offen für kontroverse Deutungen und Diskussionen. Die verschiedenen pluralistisch zusammengesetzten Gremien der Stiftung, die bisher schon mitgewirkt haben und weiter mitwirken, bürgen dafür.

(Duve [SPD]: Ja, das haben wir in der letzten Kuratoriumssitzung gesehen!)

Meine Damen und Herren, selten hat es um die Entstehung eines Museums oder einer vergleichbaren Einrichtung eine so breite öffentliche und auch transparente Diskussion gegeben wie bei dem Haus der Geschichte. Sie war gewollt, um eine breite Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das einstmals von einer Sachverständigenkommission erarbeitete Konzept ist in vielfacher Weise diskutiert worden. Über 100 gesellschaftliche Gruppen, Institutionen und Einzelpersonen haben Stellungnahmen dazu abgegeben, auch Sie, Herr Kollege Duve von der SPD-Fraktion. Entscheidende Änderungen — auch solche, die Sie vorgeschlagen haben — sind eingebracht worden, so daß man, was die Konzeption betrifft, in der Tat sagen kann: Sie hat inzwischen einen Konsens gefunden, der weit über die Regierungskoalition hinausgeht, der weit in die breite Öffentlichkeit geht und die Mehrzahl der Organisationen und gesellschaftlichen Gruppierungen einbezieht.
Meine Damen und Herren, dieser Konsens über die Konzeption des Hauses der Geschichte hat sich auch in den Beratungen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages widergespiegelt.

(Duve [SPD]: Na, na?)

— Wenn man einmal, Herr Kollege Duve, Ihre bedeutenden Anträge nimmt, so sieht man,

(Zuruf von der SPD: Sie sind alle bedeutend!)

daß sie alle akzeptiert worden sind. Ich verweise auf die Einigung in bezug auf das wichtige Kuratorium. Das Kuratorium ist das Gremium, welches die eigentliche Kontrolle dieser Stiftung wahrnimmt. Wir haben sichergestellt, daß in diesem Kuratorium auch alle elf Bundesländer vertreten sein können. Um die Parität im Verhältnis Bundesregierung, Bundestag und Bundesländer beizubehalten, mußten wir zu einem komplizierten Verfahren bezüglich der Berechnung der Stimmen kommen. Aber ich glaube, im Ergebnis ist es angemessen.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir auch zwei andere Anträge der SPD-Opposition übernommen haben, nämlich den, daß alle vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder Abgeordnete sein müssen, und den, daß sich der Stiftungsbericht, der alle zwei Jahre vorzulegen ist, nicht nur auf die zurückliegende Zeit bezieht, sondern daß auch künftige Vorhaben in diesem Bericht enthalten sein müssen.
14274 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Neumann (Bremen)

In einem Punkte konnten wir keine Einigung erzielen. Er betrifft die Einstufung der Besoldung des Direktors des Hauses der Geschichte.

(Zuruf von der SPD: Der ist zu hoch besoldet!)

Ich darf darauf hinweisen, daß das Kuratorium bereits im Mai 1987 mit breiter Mehrheit gefordert hatte, die Besoldung auf die Stufe B 6 anzuheben; sonst werde man — so hieß es damals — der schwierigen Aufgabe und der Bedeutung des Direktors nicht gerecht. Zum Vergleich darf ich anführen, daß der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Besoldungsgruppe B 5 eingestuft ist. Vieles spricht für eine Gleichstellung des Hauses der Geschichte in Bonn und des Deutschen Historischen Museums in Berlin; denn beide Projekte haben den gleichen Rang.
Auch die Besoldung des künftigen Intendanten der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland wird sich in dieser Größenordnung bewegen. In der Anfangsphase liegt sie sogar deutlich höher.

(Abg. Duve [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Wenn Sie mich diesen Punkt im Zusammenhang abhandeln lassen, gehe ich davon aus, daß Sie dann keine Fragen mehr haben.

(Duve [SPD]: Ja, das kann sein! — Jahn [Marburg] [SPD]: Es scheint eine der wichtigsten Fragen des Museums zu sein, wie der Direktor besoldet wird!)

— Nein, es ist wohl eine der wichtigsten Fragen für Ihre Fraktion, Herr Kollege Jahn. Das ist der einzige Punkt, auf dem Herr Duve dauernd herumreitet. Es scheint ihn nur das zu interessieren. Ich finde es schade; wir sollten uns lieber über die inhaltlichen Fragen unterhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Duve [SPD]: Sie sind sehr lernfähig, wenn Hamburger etwas sagen!)

— Lieber Herr Kollege Duve, Sie frohlocken, weil Sie glauben, für Ihre Zielsetzung, die Vermeidung der Anhebung zu erreichen, nun die vermeintliche Unterstützung des Haushaltsausschusses zu haben.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Weit gefehlt!)

Es ist richtig, daß bisher mit den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, bezogen auf die Anhebung, keine Einigung erreicht werden konnte. Da es nicht sinnvoll ist, sich mit dem Haushaltsausschuß zu streiten, Herr Kollege Duve, stimmen wir dem Antrag zu, es vorerst so zu belassen. Gehen Sie aber bitte davon aus, daß wir das, weil wir es in der Zielsetzung für richtig halten, der nächsten Runde im Rahmen der Besoldungsstrukturveränderungen erneut einbringen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zur bisherigen Arbeit des Hauses der Geschichte sagen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118501300
Herr Abgeordneter Neumann, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1118501400
Mit der üblichen Bemerkung, daß Sie mir das bitte nicht von der Redezeit abziehen.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1118501500
Herr Kollege, bedeutet das, daß der interfraktionelle Antrag, der hier vorliegt, auch von Ihnen weiterhin getragen wird, und bedeutet das, daß die gesetzliche Festschreibung auf B 5 von Ihnen nicht mehr angestrebt wird?

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Er hat nicht zugehört!)


Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1118501600
Das bedeutet das, was ich eben gesagt habe. Sie haben sich leider unterhalten, aber ich wiederhole es trotzdem:

(Duve [SPD]: Seien Sie doch nicht so mucksig heute morgen!)

Es bedeutet, daß wir natürlich einem interfraktionellen Antrag zustimmen, weil wir im Augenblick keinen Konflikt mit dem Haushaltsausschuß haben wollen. Dies bedeutet aber wiederum, daß wir an der Zielsetzung, eine vergleichbare Einstufung des Direktors des Hauses der Geschichte und des Direktors des Deutschen Historischen Museums vorzunehmen, festhalten und zum gegebenen Zeitpunkt darauf zurückkommen. Mehr kann ich nun nicht sagen.
Meine Damen und Herren, kurz noch einmal zur Bewertung der Arbeit des Hauses der Geschichte, die bisher schon geleistet worden ist. Es gibt dort bereits seit längerer Zeit ein engagiertes qualifiziertes Mitarbeiterteam — der Direktor wurde berufen — , und dieses Team bereitet die Eröffnung des Hauses vor. Aber es ist wichtig: Diese Arbeit geschah nicht im verborgenen, sondern es sind inzwischen mehrere öffentliche Ausstellungen erfolgt. Einige von Ihnen haben sie besucht. Ich erinnere an „Notbehelfe der Nachkriegszeit", an die Ausstellung „Medien vor 40 Jahren" , an die kürzliche Ausstellung im Bundeskanzleramt „Sammlerfreude — 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" sowie an die Ausstellung „1949 — Gründungsjahr der Bundesrepublik " .
Die bisherige Arbeit des Hauses kann man, wenn überhaupt, also nur an Hand dieser Ausstellungen bewerten. Diese Ausstellungen und ihre Strukturen sind damit die ersten Vorzeichen für die späteren Konturen des Hauses, und hier kann man feststellen, Herr Kollege Duve, daß von den verschiedensten Experten, vom wissenschaftlichen Beirat dieser Stiftung wie auch von dem Arbeitskreis gesellschaftlich relevanter Gruppen der Stiftung, alle diese Ausstellungen insgesamt als sehr positiv und als sehr qualifiziert beurteilt wurden. Deshalb kann man sagen: Das Haus der Geschichte und seine Mitarbeiter sind auf einem guten Weg, und die Eröffnung 1993 läßt hoffen, daß wir eine gute Arbeit vorgelegt bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun kann man natürlich in Anbetracht der aktuellen Ereignisse in Deutschland die Frage stellen: Ist es überhaupt sinnvoll, zu diesem Zeitpunkt ein Haus der
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14275
Neumann (Bremen)

Geschichte der Bundesrepublik Deutschland — und dann noch in Bonn — zu planen und zu bauen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber ja!)

Die Antwort lautet eindeutig ja, denn gerade im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen erhält dieses Haus der Geschichte eine besondere Dimension.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Wer wird sich in einigen Jahren möglicherweise noch an die Zeit vor dem 9. November 1989 erinnern, oder wer wird sich an die Geschehnisse in der Nachkriegszeit erinnern? Wir als CDU/CSU hoffen und machen Politik dafür, daß sich die beiden Teile Deutschlands in Einheit und Freiheit mit der Folge zusammenfinden, daß der jetzige Staat Bundesrepublik Deutschland irgendwann tatsächlich einmal der Geschichte angehört. Wie lange dieser Prozeß dauert, der in das Zusammenwachsen Europas eingebettet sein muß, wissen wir nicht.
Tatsache bleibt, daß sich in den letzten 40 Jahren eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat und daß diese Geschichte in der Bundeshauptstadt Bonn entscheidend geprägt wurde. Von den politischen Entscheidungen in Bonn ausgehend hat sich in einem Teil Deutschlands eine der attraktivsten und gesündesten Demokratien der Welt formiert, die für die Nachkriegsgeschichte Europas von prägender Bedeutung war und ist, deren Existenz und zum Teil auch deren Faszination für die aktuelle Entwicklung in der DDR und in Osteuropa mit ursächlich war. Dies in einem Haus der Geschichte und natürlich in Bonn zu dokumentieren bleibt unabhängig von den künftigen Entwicklungen ein legitimes und wichtiges Vorhaben.
Meine Damen und Herren, je schneller wir uns verändern, desto wichtiger ist es, das Gewesene festzuhalten. Wir müssen immer aus der Geschichte lernen, aber wir können dies nur, wenn wir sie nicht vergessen. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird dazu — da bin ich sicher — einen guten Beitrag leisten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118501700
Als nächster hat der Abgeordnete Herr Duve das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1118501800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sieben Jahre nach Ankündigung, drei Jahre nach dem ersten Gesetzentwurf soll heute das Gesetz zum Haus der Geschichte in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Ich will einmal das berühmte Diktum eines BerlinBesuchers aus Moskau abwandeln. Man könnte heute, vier Wochen nach Öffnung der Mauer, sagen: Wer mit einem Museum zu früh kommt, den bestraft die Geschichte selbst.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Frau Teubner [GRÜNE])

Die wirkliche Geschichte hat in den letzten Wochen
das Haus der Geschichte eingeholt. Was als markantes Wahrzeichen der eigenen Geschichte der Bundesrepublik geplant ist, wird vielleicht eines Tages — Sie haben es soeben angedeutet — zur wichtigen Gedächtnisstütze für eine abgeschlossene Entwicklung sein.
Zwei Fragen bewegen die Menschen in der Sowjetunion, in Osteuropa, in der DDR am drängendsten. Sie haben diese demokratische Revolution in Gang gesetzt.
Die eine Frage, symbolisiert in der Gruppe „Memorial" in der Sowjetunion, ist die endliche Befreiung der Geschichte, der geschichtlichen Wahrheit vom staatlichen Diktat. Das ist einer der wichtigsten Antriebe für das, was wir in Osteuropa erleben. Gespräche mit den Menschen dort zeigen immer wieder zuerst den Ruf nach der geschichtlichen Wahrheit in Ungarn, in der Tschechoslowakei, übrigens auch in Argentinien. Geschichtliche Wahrheit ist etwas, was die Menschen demokratisch antreibt. Manche haben gesagt: Bevor wir die Ökonomie in Ordnung bringen, wollen wir diese geschichtliche Wahrheit in unsere eigenen Köpfe bringen und sie uns nicht vorschreiben lassen. Das scheint in der Tat ein ungeheuer bewegendes Element für viele Menschen zu sein. Häufig wird gesagt, Geschichte sei unwichtig. Hier können wir ganz lebendig sehen, daß die Geschichte ein zentraler Antrieb für die aufregendste demokratische Revolution dieses Jahrhunderts gewesen ist.
Der zweite Antrieb ist die Offenheit nach vorn, die Offenheit in die Zukunft, Geschichte, Staat, Gesellschaft so zu gestalten, daß kein geschlossenes Modell vorgegeben ist, nach dem gehandelt wird. Das einzige, was klar ist, ist die demokratische Form. Dies ist eine Revolution, in der keine Meisterplaner genau sagen, wie es morgen aussehen soll, sondern eine Revolution, die sagt: Es muß offen sein nach vorne. Viele von uns beschweren sich ein bißchen, daß man so wenig darüber nachgedacht hat, wie es morgen sein soll. Nein, man verlangt die Offenheit.
Das, was 40 Jahre Bundesrepublik ausmacht, ausmachen soll, ist der Streit um diese Offenheit. 40 Jahre offene Republik: Das haben wir gelebt. Das mußten wir manchmal gegen einen Kanzler, der noch fast aus einem anderen Jahrhundert stammte, durchsetzen.

(Toetemeyer [SPD]: Was heißt „fast"?)

— Na ja. Er war in der Kindheit vom vorigen Jahrhundert geprägt. Aber Kölner Oberbürgermeister war er erst in diesem Jahrhundert, Herr Kollege.
Das heißt, das Wichtige für so ein Museum wird sein, daß diese beiden Erwartungen an die westliche offene Gesellschaft wirklich erfüllt werden. Mit einem Wortspiel versuche ich immer, zu sagen: Aus dem Ostblock ist der Westblick geworden. Dieser Westblick sucht diese beiden Dinge: Wie gehen die Leute mit Geschichte um? Und wie gehen die Leute mit einer offenen Lage, mit einer offenen Gesellschaft um?
Da muß ich sagen: Die Geschichte dieses Hauses der Geschichte, nun schon sieben Jahre alt, ist ein bißchen ein Spiegel dieser beiden Forderungen. Am Anfang hatte man sehr stark den Eindruck, daß der Bundeskanzler sozusagen ein bißchen sein und seines Großvaters Haus da haben wollte. Ja, der Enkel wollte ein bißchen die Adenauer-Republik dokumentieren.
14276 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Duve
Die vier Gutachter haben dann ein Gutachten gemacht, in dem manches Interessante und Positive war. Wir haben dann — übrigens leider als einzige Fraktion; die anderen haben es in dieser Form nicht gemacht; die GRÜNEN haben es in Berlin gemacht — eine Anhörung gemacht und sehr viele Fachleute dazu gehört. Das von Professor Gall und anderen gemachte Gutachten ist in vielem verbessert, auch kritisiert worden. Aber es gab auch Stimmen, die gesagt haben: Leute, macht das gar nicht, das bringt nichts; man kann einen so jungen Zeitabschnitt, der so mit den handelnden Personen und den handelnden Politikern verknüpft ist, nicht so gestalten, daß diese Offenheit des Geschichtsblicks auch wirklich erreicht wird, weil sich natürlich die handelnden Personen und die Strömungen irgendwie wiederfinden und Einfluß gewinnen wollen.
Der große, jetzt leider verstorbene Historiker Broszat — ich möchte ihn hier besonders erwähnen — hat in dieser Anhörung eine sehr eindringliche Warnung vor der Wiederkehr des alten Historismus deutscher Prägung in einer sehr eindrucksvollen Weise ausgesprochen und vor dem Museum gewarnt.
Jetzt, nachdem wir so viel diskutiert und uns so oft getroffen haben, ist, denke ich, von der Form und auch vom Gesetz her die Möglichkeit gegeben, dem zu entsprechen, was hier gefordert ist: ein offenes Geschichtsbild, auch ein Streit um Positionen. Der Besucher könnte in einem solchen Museum wirklich sehen: Diese Bundesrepublik Deutschland war nach der Weimarer Republik die erste offene Demokratie.
Nun haben wir in der Praxis ein merkwürdiges Phänomen. Wir haben in den Beratungen zum Gesetzentwurf gesagt: Der Wissenschaftliche Beirat soll eine besondere Bedeutung bekommen. Das ist jetzt im Wortlaut des Gesetzes in dieser von uns damals gemeinten Form nicht mehr wiederzufinden. Nun hat der Wissenschaftliche Beirat unter seinem Vorsitzenden, Herrn Professor Schwarz, eine Rolle angenommen, die ihm eigentlich nicht zusteht und die in der Praxis die Gefahr eines Wiederauflebens des Historismus bietet. Das Interessante ist, daß das Kuratorium, also die Politiker, viel offener ist und viel weniger einwirken will, während der Wissenschaftliche Beirat in guter alter preußisch-historischer Manier sagt: Das ist jetzt sozusagen unser Haus.
Man hat erst einmal ein Unterkomitee für Personalfragen gebildet. Die dort Tätigen tun so, als wären sie die eigentlichen Direktoren. Sie haben dem Direktor jetzt untersagt, weitere Gastausstellungen, das ist das, was Sie eben gelobt haben; — auch ich lobe es — durchzuführen. Jetzt sollen keine Ausstellungen mehr durchgeführt werden.

(Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Das haben wir korrigiert!)

Ich will nur einmal die Selbsternennung von Professoren ansprechen, von denen man eigentlich diesen offenen Streit erwartet hat. Jetzt haben wir sozusagen Treitschke auf neu. Das meine ich nicht inhaltlich. Falls Herr Schwarz diese Debatte hier verfolgt: Herr Schwarz, ich meine das mit Treitschke nicht inhaltlich. Ich meine die Form, wie Sie mit diesem Institut umgehen.
Herr Schwarz hat sich über eine Ausstellung geärgert, in der die Rolle der Frau in einer besonderen Weise dargestellt wurde. Er hat gesagt: Das sei eine Anpassung an den Zeitgeschmack, das gehe eigentlich nicht.
Wenn er das als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats sagt, hat das natürlich sein Gewicht. Da muß man ein bißchen aufpassen. Wir müssen den Direktor und die Mitarbeiter stärken, daß sie sich das nicht zu eigen machen. Sie sollen Ausstellungen durchführen und sich nicht von einem Historiker sagen lassen, welches nach seiner Meinung die Rolle der Frau in der Geschichte der Bundesrepublik ist. Das ist überhaupt nicht seines Amtes.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Er hat sich fürchterlich aufgeregt, als ich das in der letzten Kuratoriumssitzung moniert habe. Er hat gesagt, mir stehe gar nicht das Recht zu, ihn da zu kritisieren. Ihm steht natürlich das Recht zu, das Haus zu kritisieren, aber es soll keine Wirkung auf die Mitarbeiter haben. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen.
Wir haben jetzt schon zum zweitenmal in der Praxis dieses Museums den Fall, daß der stellvertretende Direktor dort nur ganz kurze Zeit tätig sein konnte und nun schon wieder herausbefördert wird. Auch hier muß man wach und aufmerksam sein. Man hat das Gefühl: Hier gibt es eine kleine Gruppe von Leuten, die nur ihresgleichen bei sich haben wollen. Ich will nicht im Detail ausführen, was unter „ihresgleichen" zu verstehen ist; das ist schon deutlich.
Das geht nicht. Es muß sich auch bezüglich der personellen Zusammensetzung um ein Museum handeln, bei dem Offenheit klar bleibt. Ich möchte das als ganz starke Mahnung an den hoffentlich anwesenden zuhörenden Direktor aussprechen. Also bitte: Gehen Sie auch mit dem Personal so um, daß das, was Menschen von diesem Museum erwarten, auch wirklich stattfindet! Sonst bekommen Sie Ärger mit dem Kuratorium. Das Kuratorium ist ja extra dafür da, daß wir da so ein bißchen mit aufpassen, allerdings nicht nach Parteipolitik, sondern nach inhaltlichem Interesse. Ich lade also alle Kollegen, die im Kuratorium sind, ein, sich auch wirklich ernsthaft mit der Sache zu befassen. Da gibt es Protokolle. Ich hoffe auch, daß die Protokolle des Wissenschaftlichen Beirats so offen und informativ bleiben, daß man sich wirklich damit auseinandersetzen kann.
Wir müssen aufpassen, daß dies in der Praxis nicht in eine falsche Richtung geht, eine Richtung, die der intensiven und auch der konfliktorientierten Diskussion, die wir viele Jahre über dieses Museum haben, dann nicht mehr entspräche. Das wäre dann ja toll: Wir haben uns hier bemüht, etwas Gutes und Neues zu schaffen, aber das Museum selber verhärtet sich dann. Das ist gar nicht nötig.
Die Grundlagen sind positiv. Es hat sich sehr viel auch im Gutachten geändert. Wir hoffen jetzt, daß das Haus bald zustande kommt und daß es den beiden Grundansprüchen offene Gesellschaft und nicht fe-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14277
Duve
stes, nicht von irgendeiner Stelle vorgegebenes Geschichtsbild entspricht.

(Dr. Hitschler [FDP]: Das war nie beabsichtigt!)

— War nie beabsichtigt, richtig. Aber es gab natürlich
— wir wollen jetzt nicht über das Berliner Museum sprechen — manche wichtige Persönlichkeiten dieser Republik, die meinten, man könne sozusagen mit einer Handbewegung vom Staat her ein Museum gründen. Dieses Museum ist jetzt nicht mehr vom Staat gegründet worden. Wir haben dazu kräftig beigetragen.
Ich will jetzt nicht die ganze Bilanz unserer Schritte und Einwürfe unserer Schreiben vorlegen. Ich finde es gut, daß im Gesetz steht, was mein Kollege Ehmke schon in der ersten Sitzung im Kanzleramt klargemacht hat, daß dieses Museum nicht auf einem geschichtslosen Boden anfangen kann, daß davor eine Nazi-Zeit war, daß davor, im 19. und im 20. Jahrhundert, große Diskussionen um eine parlamentarische Demokratie bei den Deutschen stattgefunden haben, daß man dies bei diesem Museum auch merkt und nicht bei Null angefangen wird.
Eines bitte ich wirklich sehr ernst zu nehmen; Herr Professor Broszat hat es bei der Anhörung bei uns vorgeschlagen und vorgetragen: Man sollte im Museum sehr intensiv erkennen, wie denn diese merkwürdige lebendige Zeit von 1945 bis 1949 war. Sie ist dieser brodelnde Neubeginn und die Zeit der Demokratie wollenden Militärregierungen, eine ganz denkwürdige Phase in unserer Geschichte. Da hat sehr viel, auch geistig, stattgefunden, und dies muß mit gezeigt werden.
Wir werden streng und kritisch, offen und demokratisch und mit historisch wachem Bewußtsein die Arbeit dieses Museums weiter verfolgen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118501900
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lüder.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1118502000
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als das Vorhaben, hier in Bonn ein Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu errichten, auf den Weg gebracht wurde, sah mancher darin einen Trostpreis für Bonn dafür, daß in Berlin das Museum für die ganze deutsche Geschichte errichtet wird. Manch einer befürchtete hier sonst eine Lücke, die aber nur schwer zu finden sein wird. Das hat nicht zuletzt gestern auch der Bonn-Vertrag gezeigt.
Nicht erst seit heute wissen wir — dies ist in den letzten Monaten besonders deutlich geworden — , daß die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ihren sehr eigenen Platz in der deutschen Geschichte haben wird.
40 Jahre Demokratie, 40 Jahre ohne Krieg — allein dies ist schon etwas Wichtiges in der langen deutschen Geschichte. Gerade wenn wir die Attraktivität unseres Gesellschaftssystems, unserer Staatsordnung, unseres Wirtschaftssystems, ja, auch unserer kulturellen Pluralität und insbesondere unserer gesicherten Grundrechte sehen, die diese Merkmale für unsere Landsleute in der DDR ausüben, müßte auch der letzte Kritiker davon überzeugt sein, daß das, was unsere politischen Vorfahren mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht haben, was in diesen 40 Jahren mit und für diesen Staat und seine Bürger geleistet wurde, was im europäischen Frieden und für ihn bewirkt wurde, was an Neuem geschaffen, aber auch was in Bindung an die gute Tradition bewirkt wurde, festgehalten und gezeigt verdient, ausgestellt und stets von neuem aufgearbeitet werden muß.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, am Ende dieses Jahres, 1989, weiß keiner von uns, welchen Weg die deutsche Nation, die jetzt in zwei Staaten organisiert ist, in Zukunft gehen wird. Für das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sollten wir gerade jetzt drei Feststellungen treffen:
Erstens. Die demokratische Reformbewegung in der DDR, die dort die nachstalinistischen Strukturen aufgebrochen hat, hat ihre Wurzeln in den gleichen Freiheits- und Rechtspositionen, die bei der Gründung der Bundesrepublik für diesen Staat maßgeblich waren.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Es wird zu den Aufgaben des Hauses der Geschichte auch gehören, aufzuarbeiten, was in unserer Bundesrepublik davon durch tagesaktuelle Opportunität verdeckt worden ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Ein Haus der Geschichte wird stets deutlich machen müssen, warum und zu welchem Zweck diese Bundesrepublik so, wie geschehen, gegründet wurde und die ersten 40 Jahre erfolgreich bestanden hat. Dazu gehört die stolze Bilanz 40jährigen demokratischen und sozialen Rechtsstaats ebenso wie die Feststellung, daß die Präambel des Grundgesetzes auch nach 40 Jahren ihre Erfüllung noch nicht gefunden hat.
Drittens. Gerade weil wir in diesen Tagen und Wochen überall darüber nachdenken, was in Zukunft mehr, wieder oder neu in Berlin geschehen soll — worüber ich mich als Berliner besonders freue — , gehört das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hierher nach Bonn. So wie die deutsche Geschichte insgesamt umfassend ins Historische Museum nach Berlin gehört, gehört dieses Haus hierher nach Bonn; denn auch die Entscheidung für diese Stadt als, wie man früher sagte, „provisorische Hauptstadt" dieser Republik behält ihre historische Bedeutung.
So verstehen wir den Stiftungszweck, wie er in § 2 des Gesetzes niedergelegt ist. Zweck der Stiftung ist es, in einem Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im geteilten Deutschland einschließlich der Vor- und Entstehungsgeschichte darzustellen und Kenntnisse hierüber zu vermitteln.
14278 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Lüder
Meine Damen und Herren, durch die heute vorgeschlagenen Änderungen zum Gesetzentwurf wird noch stärker als im ersten, bisherigen Regierungsentwurf sichergestellt, daß eine breite Repräsentanz bei der weiteren Verwirklichung des Vorhabens verantwortlich mitwirken kann. Gerade weil wir, Herr Duve, diese Breite der Mitwirkung ermöglichen, will ich davon absehen, auf die Einzelheiten, die Sie aus Kuratoriums- und anderen Sitzungen vorgetragen haben, einzugehen. Wir wollen gerade die Beratungsgremien in ihrer Breite und Vielfalt haben, um dort das Sachgespräch zu führen

(Duve [SPD]: Richtig!)

und die Offenheit zu gewährleisten. Das gehört nicht ins Plenum des Deutschen Bundestages, wo sich diejenigen, die angesprochen sind, dann noch nicht einmal wehren können.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir möchten auch durch die entsprechende Stellenbewertung sicherstellen, daß die Leitung des Hauses der Geschichte so ausgewählt werden kann, wie es der schwierigen und vielfältigen Aufgabenstellung entspricht. Wir werden dem heutigen Drei-Parteien-Antrag zustimmen. Wir behalten uns aber vor, in dem Sinne weiter zu prüfen, wie wir es im Innenausschuß vorgesehen haben, um die Möglichkeiten wirklich optimal ausschöpfen zu können. Es darf nicht am Stellenrahmen liegen, wenn Qualität verhindert werden würde. Dieser Grundsatz hat uns bisher bei allen wichtigen Stellenplanentscheidungen bewegt. Das ist keine Entscheidung zur Person, sondern eine Grundsatzbemerkung, die uns hier weiter bewegen muß.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf in der Fassung, in der er vom Innenausschuß vorgelegt worden ist.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118502100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118502200
Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! „Deutsches Alltagsleben in der Vitrine", das war die Titelzeile der „Bonner Rundschau" vom 15. September dieses Jahres. Es ging um die dritte Ausstellung des Hauses der Geschichte, um die Ausstellung „Sammlerfreude". Sie stellte in sechs Vitrinen sogenannte Objekte — so heißt ein Gegenstand, sobald er, und sei er noch so gewöhnlich, im Museum landet — aus dem bundesdeutschen Alltagsleben zur Schau, zum Anschauen und Sich-Erinnern aus. Ja, diese Objekte ließen sich auch als „Denk-Male" bezeichnen, als Denkmale im buchstäblichsten Sinn des Wortes.
In die letzte Vitrine hatten die Ausstellungsgestalter und Gestalterinnen zwei Uhren gestellt, die das Wachstum der Weltbevölkerung und das Wachstum der bundesdeutschen Bevölkerung darstellten. Herr Dr. Schäfer, seines Zeichens Museumsdirektor, sagte hierzu in seiner Eröffnungsrede — ich zitiere — :
Die Welt hat zum Teil andere, oft größere Probleme als die Bundesrepublik. Bei jeder historischen wie auch aktuellen Betrachtung wollen wir nicht vergessen, daß die Bundesrepublik Deutschland und ihre Geschichte ein kleiner Teil des Ganzen ist. Ein Blick aus dem Weltall auf den blauen Planeten, die Erde, wird Sie in dieser Vitrine davon überzeugen.
Wir erleben — es wird natürlich auch und gerade in einer Debatte wie der heutigen darauf hingewiesen — in den Tagen und Wochen dieses Herbstes 1989 eine historische Stunde nach der anderen. Wer davon spricht, hat meist das Attribut welthistorisch im Kopf. Dies mag auch richtig sein. Dennoch dürfen wir die sechste Vitrine nicht aus unserem Horizont ausblenden, auch nicht in diesen Tagen, die für so manche andere Vitrine Fundstücke zuhauf liefern, Objekte, die den großen Vorteil haben, daß der auf der Suche nach Sammlerstücken an den historischen Orten herumreisende Direktor heute preisgünstigst erwerben kann, wofür ein Nachfolger in 30 oder 40 Jahren Unsummen ausgeben müßte.

(Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Das wird ja getan!)

Aber wer mag heute schon den Museumswert des Adenauer-Mercedes — 45 000 Dollar — mit dem eines 10-DM-T-Shirts „9. November — Ich war dabei" oder eines Originalmauerbruchstücks — Preis je nach Gewicht — vergleichen?
Ich rede die ganze Zeit vom Museum; aber das sollte das Haus der Geschichte ja gerade nicht sein. Jedoch ist hier und zum heutigen Zeitpunkt wohl nicht mehr der richtige Ort, um über diesen inhaltlichen Aspekt des Gesetzentwurfs zu diskutieren.
In der parlamentarischen Beratung des Themas standen, wie üblich, Formfragen im Vordergrund — man merkte es auch bei der Rede des Kollegen Duve — , wie z. B. der Streit um die quantitative Zusammensetzung des Kuratoriums und des Wissenschaftlichen Beirates oder um die Besoldung des Direktors. Die inhaltliche Debatte über Ziele und Aufgabe trat demgegenüber während der Beratungen des Gesetzentwurfs in den Hintergrund.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118502300
Frau Teubner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve? —

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1118502400
Frau Kollegin, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß die umfänglichen Anhörungen, die durch Fraktionen des Bundestages gemacht worden sind und die öffentlich waren, und die Publikationen zu diesen Anhörungen all diesen Gesetzesberatungen vorausgegangen sind und daß in der Tat dann irgendwann ein Zustand erreicht wird, wo man sich in der Diskussion nur noch ganz nah am Gesetzestext bewegt?

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118502500
Ich stimme Ihnen gerne zu; das ist der Fall gewesen. Aber auch im Gesetzestext geht es ja um die Konzeption, und ich hätte mir schon gewünscht, daß vor allen Dingen im Innenausschuß und auch im Bauausschuß darüber noch einmal gesprochen worden wäre. Das ist mir zu kurz gekommen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14279

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118502600
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Neumann?

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118502700
Bitte schön.

Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1118502800
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die Beiträge, die Sie jetzt einfordern, im Innenausschuß zumindest nicht von Ihren Kollegen gekommen sind, sondern daß einer der Hauptpunkte Ihrer Kollegen die Tatsache war, daß sie gerne im Kuratorium mitwirken wollten, und daß das der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen zwischen uns und den GRÜNEN war, so daß das, was Sie hier einfordern, zumindest auf Ihre Kollegen nicht zutrifft?

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118502900
Das kann ich mir eigentlich insofern nicht vorstellen, als wir ja im Kuratorium vertreten sind. Also, warum hätten wir darüber so lange diskutieren sollen?

(Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sie sollten sich besser informieren! Bei dem neuen Gesetzentwurf wild es schwierig sein, Sie im Kuratorium vertreten zu haben, es sei denn, Sie werden bei der Wahl des Deutschen Bundestages demnächst 30 oder 40 % erreichen, und das ist nicht zu erwarten!)


Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118503000
Das wollen wir einmal abwarten.

(Heiterkeit)

Mittlerweile hat die jüngste deutsch-deutsche Entwicklung der schon abgesegneten Konzeption des Hauses der Geschichte auf überraschende Weise ein Schnippchen geschlagen. Denn zumindest angesichts der neuesten Ergebnisse ist z. B. die sogenannte neue Ostpolitik unter dem Bereich A 13 des Ausstellungsschemas in neuem Licht zu sehen, und es ist zu fragen, ob wir im Bewußtsein, daß die Zukunft der beiden deutschen Staaten auf völlig neue Weise plötzlich sehr offen ist, noch in der alten Manier über unsere Vergangenheit verfügen können, d. h. so, als ob sich nach wie vor in aller Ruhe eine nationale Tradition im Schutze der Westintegration aufbauen ließe.
Es stellt sich heute natürlich auch die Frage, ob ein Raum für diesen Themenkomplex ausreichen wird, sowie die Frage — sie ist mir wichtiger als die Frage nach dem quantitativen Volumen für den Bereich 1989, der 40 Jahre nach der Gründung dieses Staates sicher einen großen Teil einnehmen wird — : Was hat der Direktor aus diesem Jahr noch gesammelt, um es ebenfalls auszustellen? Einen „Stern" mit dem Libyen/Rabta-Titel vom Januar? Oder die Plastiktüte mit den Habseligkeiten eines Obdachlosen? Oder ein Bestrahlungsgerät aus den Arsenalen der Krebsbehandlung? Oder ein Stück vom Wackersdorfer Zaun? Einiges davon wird morgen nicht mehr Gegenwart sein, sondern Geschichte. Doch zeigen schon diese wenigen Beispiele, wie schwer es ist, eine Auswahl zu treffen. Sie wird wohl immer subjektiv sein, ohne daß sie beliebig sein dürfte.
Die berechtigte Forderung, bei der Konzeption des Hauses der Geschichte Schwerpunkte zu setzen, ist verschiedentlich gestellt worden, nicht zuletzt vom
Wissenschaftlichen Beirat. In den Ausstellungen dieses und des vergangenen Jahres ist diese Forderung auch erfüllt worden, wobei Herr Schäfer verschiedentlich bescheiden darauf hingewiesen hat, daß es sich hierbei lediglich um Provisorien gehandelt habe. Mich persönlich hat gerade dieser provisorische Charakter überzeugt, weil die Ausstellungen gerade nicht vollständig, sondern schwerpunktmäßig konzipiert waren und von daher eine besondere Qualität in der Vermittlung hatten.
Leider hat die Bundesregierung dem Anschein nach das Verhältnis von Finanzvolumen und inhaltlicher Schwerpunktsetzung zugunsten einer aufwendigen Form bestimmt, in baulicher wie in organisatorischer Hinsicht. Abgesehen von den bisher veranschlagten Baukosten von 115 Millionen DM betrug z. B. der Etat für das Haus der Geschichte im Haushalt 1988 3,5 Millionen DM, davon 1 Million DM für Exponatankäufe. Dem steht für 1989 zwar eine große Steigerung von 61 % auf 6,1 Millionen DM gegenüber, davon jedoch nur 1,5 Millionen DM für Ankäufe.
Statt dessen liegt der geschätzte Personalbedarf bei 58 Mitarbeitern, davon bis jetzt schon sechs Verwaltungsbeamte mit einem Jahresgehalt von insgesamt 411 000 DM, was die Verwaltung z. B. eines Staatstheaters weit übertrifft — womit, in Klammern vermerkt, selbstverständlich nicht das Staatstheater in dem schwarzen Kasten auf der gegenüberliegenden Straßenseite gemeint ist.
Zwar ist für sich genommen der Bau eines Museums eine viel sinnvollere Investition in die Zukunft als beispielsweise ein Atomkraftwerk; darüber dürfte kein Streit sein. Das heißt, ich würde mich trotz allem mit Ihnen auf ein Haus der Geschichte hier in Bonn freuen, wenn nicht die Zukunft so bedrohlich über uns allen lasten würde und uns daher zwingt, einen anderen Überblick zu behalten und aus der Geschichte das zu lernen, was uns von alten Denk- und Betrachtungsmustern befreit, was uns zu Alternativen im Denken und Handeln befähigt und was letztlich den Prozeß der Veränderung über die Verherrlichung dessen, was war, und des Bestehenden stellt.
Dies jedoch wird unseres Erachtens im Entwurf des Gesetzes und in der Konzeption des Hauses der Geschichte nicht ausreichend ersichtlich. Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118503100
Das Wort hat von seiten der Bundesregierung der Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1118503200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen zeigt sich einmal mehr, daß hinter der Entscheidung zum Bau eines Hauses der Geschichte eine wichtige Erkenntnis steht: Durch die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte werden wir fähig, Gegenwart zu begreifen und Zukunft zu gestalten; denn unsere Geschichte ist nicht allein — das ist ja heute morgen mit Recht angesprochen worden — die Geschichte einer jungen Demokratie in unserer Bundesrepublik Deutschland. Sie ist bis in diese Stunde auch die Ge-
14280 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
schichte einer geteilten Nation. Die Entwicklung in der DDR wird, so hoffen wir, den Menschen dort das bringen, was der Bundesrepublik Deutschland schon vor 40 Jahren in die Wiege gelegt wurde: Freiheit und Demokratie.
Ich denke, wir dürfen heute feststellen, daß wir mit den Möglichkeiten dieses Hauses der Geschichte zweierlei tun können: die Bundesrepublik Deutschland darstellen als den freiheitlichsten Staat, den es je auf deutschem Boden gab, aber zugleich auch mit Behutsamkeit und mit Besonnenheit manche Erfahrung und Erkenntnis einbringen in die neue Entwicklung in unserem deutschen Vaterland und beim Bau des Hauses Europa.
Das, was wir in 40 Jahren in der Bundesrepublik gestalten konnten, was wir leider in der Teilung unseres Vaterlandes, der Teilung der Nation erleben mußten, ist in eine ganz unermeßlich wichtige, neue Phase der Entwicklung getreten. Was zusammengehört, kann schrittweise zusammenkommen. Aus der Erfahrung der Entwicklung in 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland dürfen wir jetzt mit Behutsamkeit und Besonnenheit dazu beitragen. Dem will dieses Haus auch dienen.
Aber ein dritter Aspekt kommt hinzu. Wer historische Zusammenhänge begreifen will, fragt immer: Was geschah vorher? Welche vorangegangenen Ereignisse sind es, die geschichtliches Geschehen mitbestimmen? So finde ich: Eine Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist ohne eine Berücksichtigung der Vorgeschichte und dabei vor allem auch der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur schlechthin nicht vorstellbar. Nur so können wir verstehen, von welchen Wertvorstellungen, Idealen und Sorgen sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes leiten ließen und in welcher Stimmungslage sich die Menschen in den ersten Nachkriegsjahren befanden.
Ich will ausdrücklich hinzufügen — Herr Kollege Duve, ich glaube, Sie und auch der Kollege Neumann haben es angesprochen — : Wir müssen, wenn wir Geschichte in den 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland darstellen, auch die unerhört wichtige Geschichte von 1945 bis 1949 einbeziehen, diesen lebendigen Neubeginn in den Städten und Gemeinden in vielen Bereichen.
Die Vielschichtigkeit unserer Nachkriegsentwicklung lebendig und in der Vielfalt der Meinungen darzustellen ist eine ungeheuer wichtige, aber auch reizvolle Aufgabe. Sie ist heute genauso wichtig wie in dem Zeitpunkt, als Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung diese Aufgabe beschrieb.
Vor allen Dingen sollten wir daran denken, daß dieses Haus der Geschichte eine ganz wichtige Quelle der Information für die junge Generation in unserem Lande wird. Wenn wir als Abgeordnete immer wieder erleben, daß uns Tausende junger Menschen bei der Arbeit im Deutschen Bundestag besuchen, dann sollten wir sie auch mitnehmen zu den Ausstellungen, die künftig im Haus der Geschichte stattfinden, damit sie sehen, wie sich das entwickeln konnte, was heute ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Noch zwei abschließende Bemerkungen. Es hat in den zuständigen Gremien Diskussionen gegeben: Soll schon manches an Ausstellungen stattfinden, bevor das Haus der Geschichte in seiner ganzen Breite und geplanten Wirkung in Erscheinung treten kann? Ich möchte für die Bundesregierung ein kristallklares Ja zu diesen Aktivitäten sagen. Ich will an dieser Stelle dem Aufbaustab und den Frauen und Männern, die das im Kuratorium, im wissenschaftlichen Beirat und in den anderen Gremien gesellschaftlich begleiten, die hier mittun, auch einmal ein herzliches Wort des Dankes für alle Initiativen sagen, die bereits ergriffen wurden. Auch das sollte hier heute morgen ausgesprochen werden.
Ich möchte den Leiter des Hauses der Geschichte und seinen Mitarbeiter ausdrücklich ermutigen, die eine oder andere wichtige Aufgabe aufzugreifen und uns auch jetzt schon mit Ausstellungen auf das neugierig zu machen, was im Haus der Geschichte dann endgültig in voller Tragweite dargestellt wird.
Eine wichtige Aussage möchte ich auch noch machen. Wir haben uns mit den Ländern unterhalten. Was jetzt im Gesetz vorliegt, trägt — gerade wohl auch in der Zusammensetzung des Kuratoriums — den Interessen sowohl des Bundes als auch der Länder Rechnung, die Wichtiges eingebracht haben.
Das Jahr 1989 war das Jahr, in dem wir mit vielen Initiativen an 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland gedacht haben. Kurz vor Ende dieses Jahres 1989 kann das Gesetz verabschiedet werden. Wir alle haben sicherlich den einen Wunsch, daß das Haus der Geschichte für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch für die Menschen in unserem gesamten deutschen Vaterland und darüber hinaus nach Europa hinein das eine aussagt: Wir Deutschen möchten eine freiheitlich-demokratische Entwicklung in unserem Land und für die Zukunft der Menschen in unserem Vaterland und in Europa gestalten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118503300
Das Wort hat noch einmal Herr Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1118503400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will noch zwei kurze Bemerkungen machen.
Erstens. In einem muß ich der Kollegin der GRÜNEN recht geben. Wir haben während der ganzen Legislaturperiode, als die zwei wichtigen Projekte der Bundesregierung diskutiert wurden, kein wirkliches parlamentarisches Gremium gehabt, wo man das mit allen gemeinsam hätte diskutieren können. Der Unterausschuß „Kunst und Kultur" des Innenausschusses ist abgeschafft worden. Im Innenausschuß sind so viel Gegenstände zu beraten, daß dem Museum in der Tat wenig Zeit zugemessen wurde.
Zweitens. Wir haben uns bei der Schlußabstimmung im Innenausschuß der Stimme enthalten, weil
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14281
Duve
wir dort deutlich machen wollten, daß wir in zwei Punkten nicht einverstanden sind. Einmal waren wir in der Besoldungsfrage nicht einverstanden. Ich will das inhaltlich jetzt nicht weiter erörtern. Das ist jetzt korrigiert worden. Da können wir zusammen stimmen.
Aber ich wollte im Innenausschuß auch noch einmal daran erinnern, daß bei unseren ursprünglichen Diskussionen immer Geschäftsgrundlage war, daß bei dieser Einrichtung alle Fraktionen des Hauses — unabhängig von ihrer Größe — eine Chance zur Mitwirkung haben müßten. Dies ist in seinem Charakter etwas anderes als andere Einrichtungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Republikaner!)

— Sie sagen jetzt „Republikaner". Sie können dann nicht an der Demokratie — sozusagen mathematisch — herumrechnen. Diese Möglichkeit für die Kleinen ist jetzt nicht mehr drin. Diese Möglichkeit war einmal Geschäftsgrundlage vor einigen Jahren.
Wir werden heute dem Gesetz in der dritten Lesung zustimmen. Wir wollen damit dokumentieren, daß wir die Sache all die Jahre in den Diskussionen wirklich ernst genommen haben. Wir werden die Sache auch weiter begleiten. Viel von dem, was wir diskutiert haben, hat in diesem Gesetz auch Niederschlag gefunden.
Das wollte ich hier gerne noch anmerken und verdeutlichen.
Danke schön.

(Dr. Penner [SPD]: Trefflich! Das ist gut!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118503500
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in der Ausschußfassung.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/6093 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt für Art. 2 mit der soeben beschlossenen Änderung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe die Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, nachdem in der zweiten Beratung ein Änderungsantrag angenommen worden ist, können wir in die dritte Beratung eintreten, wenn zwei Drittel der Anwesenden damit einverstanden sind. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Produktpiraterie
— Drucksache 11/4792 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/5744 —
Berichterstatter: Abgeordnete Geis Stiegler

(Erste Beratung 151. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Kreile.

Dr. Reinhold Kreile (CSU):
Rede ID: ID1118503600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren bemühen sich viele Institutionen im nationalen und internationalen Bereich, die EG-Kommission und die Uruguay-Runde des GATT, die WIPO, die Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf, und der Europarat, dem Unwesen der Produktpiraterie zu begegnen. Eine Fülle durchaus brauchbarer Vorschläge wurde gemacht.
Daraufhin hat die Bundesregierung gehandelt. Sie hat nach intensiver Beratung eines den Stand der internationalen Überlegungen zusammenfassenden Referentenentwurfs dem Deutschen Bundestag am 15. Juli 1989 den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Produktpiraterie vorgelegt. Der Deutsche Bundestag hat daraufhin ebenfalls unverzüglich gehandelt und das Gesetz zügig und zielgerichtet beraten, nämlich in vier Sitzungen: im September, Oktober, November und Dezember. In diesen Sitzungen hat er den Entwurf nicht nur intensiv beraten, sondern auch erweitert und verdichtet.
Heute kann der Deutsche Bundestag über dieses Gesetz befinden, dessen umfassende Bedeutung auch durch seine neue Überschrift gekennzeichnet ist. Es heißt nunmehr: „Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie". Ich meine, daß wir uns nicht nur angesichts der Kürze der Zeit, in der dieses Gesetzesvorhaben nach einer langen Vorbereitungszeit bewältigt worden ist, sondern auch angesichts des Inhalts im
14282 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14, Dezember 1989
Dr. Kreile
internationalen Vergleich sehen lassen können. Der deutsche Gesetzgeber hat wiederum eine Spitzenposition im Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums erreicht.
Was ist Produktpiraterie, um was geht es? Produktpiraterie ist das gezielte Verletzen von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, ist das gewerbliche Aneignen von fremdem geistigen Eigentum. Sowenig die Piraten auf hoher See und in Küstengewässern Kavaliere waren, so wenig sind es die Produktpiraten: Sie beuten fremdes geistiges Eigentum aus, sie ahmen nach, was ihnen nicht gehört, stehlen anderer Leute geistiges Vermögen. Insofern hat die Bezeichnung „Produktpiraterie" noch geradezu einen verharmlosenden Charakter. Denn nicht allein das Produkt wird geraubt, sondern auch der Geist, der hinter dem Produkt steht, der seine Gestaltung erst ermöglichte. Das Unverwechselbare wird von den Piraten verdorben.
Der Gesetzgeber steht hier nun vor der gleichen Frage, vor der er immer steht, wenn es um den Schutz des geistigen Eigentums geht: Wie kann der Schutz des einzelnen vor dem technischen Fortschritt verwirklicht werden, ohne den Fortschritt der Technik zu hemmen oder zu hindern?
Die Entwicklung auf dem Gebiet der Reproduktionstechniken ermöglicht es heute fast jedem, zum Kopierer zu werden, jede Ware, ihre Verpackung und ihr Warenzeichen täuschend ähnlich technisch nachzuahmen, jedes Buch als Raubdruck photomechanisch zu vervielfältigen, jede Musikkassette, jedes Videoband, jeden Film und jedes Computerprogramm zu überspielen und dann gewerblich weiterzuverbreiten. Bei dieser Weiterverbreitung muß der Ansatz für den Schutz gefunden werden; denn durch die Produktpiraterie, durch das rechtswidrige Nachahmen und Kopieren von Waren, wird nicht nur der Autor, nicht nur der Erfinder, der gestaltende Künstler um seinen Lohn gebracht, es wird auch den Originalherstellern und damit den innovativen Klein- und Mittelbetrieben, also dem Mittelstand im weitesten Sinne, erheblicher Schaden zugefügt.
Der Arbeitsmarkt auf diesem Gebiet wird erheblich geschädigt. 50 000 Arbeitsplätze pro Jahr gingen verloren, wenn es nicht einen Schutz gegen eine solche Nachahmungs- und Raubkopierindustrie und gegen einen Handel mit deren Produkten gäbe.
Die Bundesregierung und, ihr folgend, der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages haben deswegen ein verbessertes rechtliches Instrumentarium für alle Fälle der Verletzung von Schutzrechten des geistigen Eigentums entwickelt.
Strafrechtliche Sanktionen allein tun es dabei sicherlich nicht, aber sie müssen in das Instrumentarium eingeführt werden und müssen dieses Instrumentarium anführen. Das beginnt bei der Erweiterung des Strafrahmens bei vorsätzlicher Verletzung der Schutzrechte, bezieht die Strafbarkeit des Versuchs ein und geht bis zur Ausgestaltung der qualifizierten Schutzrechtsverletzung als Offizialdelikt. Auch hier zeigt sich die in der Rechtsordnung notwendigerweise immer mehr zu verankernde Gleichstellung des dinglichen mit dem geistigen Eigentum. Der
Diebstahl einer geistigen Sache ist nicht besser als der Diebstahl einer realen Sache.
Ergänzt werden müssen diese strafrechtlichen Instrumentarien allerdings durch zivilrechtliche Handhaben. Dies beginnt mit einer erheblichen Verbesserung des zivilrechtlichen Anspruchs auf Auskunft über die Herstellung, über die Herkunft und die Vertriebswege der schutzrechtsverletzenden Waren. Hier wird im Gesetz der zivilrechtliche Grundgedanke von Treu und Glauben in sinnvoller Weise weiterentwikkelt. Wer also schutzrechtsverletzende Waren vertreibt, muß künftig Angaben über Namen und Anschriften des Herstellers und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und Auftaggeber machen. Es handelt sich also um einen selbständigen Auskunftsanspruch, der seine Wirkung hoffentlich nicht verfehlen wird.
Der Rechtsausschuß ist jedoch nicht dem Gedankengang der Bundesregierung gefolgt, daß diese Auskunft in einem sogenannten einstufigen Verfahren sofort der eidesstattlichen Versicherung unterliegen sollte. Hier soll es nach der Meinung des Rechtsausschusses zunächst bei der Regelung der §§ 259ff. BGB blieben. Statt dessen wurde die Verpflichtung zur unverzüglichen Auskunft, also zu einer Auskunft ohne schuldhaftes Zögern, eingeführt, um damit den Schutzbereich zu stärken.
Der Rechtsausschuß hat jedoch in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, die Bundesregierung auf zu-fordern, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Wirkung dieses neuen Auskunftsanspruches Bericht zu erstatten und dabei insbesondere auch zu klären, ob die jetzt vorgesehene Ausgestaltung des Auskunftsanspruchs ausreichend ist.
Das zivilrechtliche Instrumentarium setzt sich dann fort in einem zivilrechtlichen Anspruch auf Vernichtung solcher schutzrechtsverletzenden Waren. Dabei muß es nicht immer zu einer Vernichtung der Waren kommen. Im Einvernehmen zwischen Verletzer und Verletztem könnte man diese Waren auch karitativen Zwecken zuführen, in Weiterführung dieses Gedankens auch bei einer Einziehung schutzrechtsverletzender Waren in einem Strafverfahren. Hierbei wünscht der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, daß eine eventuelle Änderung der Strafvollstreckungsordung zwischen Bund und Ländern noch eingehend erörtert wird, damit die Möglichkeit dazu geschaffen wird.
Im Zusammenhang mit dem Produktpirateriegesetz hat der Rechtsausschuß den dem Deutschen Bundestag nahezu zeitgleich damit, nämlich am 4. Juli 1989, zugeleiteten Ersten Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 1985 und Fragen des Urheber- und Leistungsschutzrechts erörtert. Von den Gesetzesvorschlägen, die dieser sehr kluge, ausgewogene und die Entwicklung des Urheberrechts weiterführende Bericht enthält, duldeten zwei keinen Aufschub, mußten also noch in dieser Legislaturperiode behandelt und verabschiedet werden. Es sind zwei Bereiche, bei denen wegen Fristablaufs sonst nicht wiedergutzumachender Schaden eintreten würde.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14283
Dr. Kreile
Das erste ist eine Verlängerung der Schutzfristen für das Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler. Dies wäre am 31. Dezember 1990 auf Grund der am 1. Januar 1966 eingeführten 25jährigen Schutzfrist ausgelaufen. Hier haben die wirtschaftliche und technische Entwicklung, aber auch der Zwang zur internationalen Anpassung gezeigt, daß eine 25jährige Schutzfrist zu kurz ist. Der Vorschlag der Bundesregierung, sie auf 50 Jahre zu verlängern, mußte noch aufgegriffen werden, da sonst der Anschluß zum 1. Januar 1991 im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr hätte erreicht werden können.
Die in diesem Zusammenhang stehende Verlängerung der Schutzfrist für die Herausgabe wissenschaftlicher und nachgelassener Werke von zehn auf 25 Jahre ist eine gleichsam miteinzubeziehende Folgerechtsänderung.
Das Thema der Schutzfristen und ihrer Synchronisierung bzw. Harmonisierung wird, wie bereits jetzt zu erkennen ist, im europäischen Bereich von der Europäischen Kommission aufgenommen werden. Nicht zuletzt auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre in allen Fragen des geistigen Eigentums international beachtete Rolle auch hier wieder eingenommen hat.
Auch die zweite Regelung hängt mit einer europäischen Fristsetzung zusammen. Beim Wegfall der europäischen Binnengrenzen 1992, wenn es also zu dem wirklich gemeinschaftlichen europäischen Markt kommt, wird eines der wesentlichsten Instrumente zur Sicherung des Inkassos für die Vergütung für Urheber, Schriftsteller, Musiker und Künstler, im Bereich der Geräte und Leerkassetten sowie der Fotokopiergerätevergütung ebenfalls wegfallen, nämlich die Einfuhrkontrollmeldungen, die der Deutsche Bundestag den Berechtigten zugestanden hat.
Hier war also ähnlich wie bei den weiteren Bereichen des Produktpirateriegesetzes eine Verbesserung des bestehenden Auskunftsanspruchs erforderlich. Dieser Auskunftsanspruch verpflichtet im wesentlichen Importeure — um die geht es nämlich — von Geräten und Leerkassetten und Betreiber von Fotokopiergeschäften, den sogenannten Copyshops, vollständig Auskunft und diese auch rechtzeitig zu erteilen. Durch einen solchen erweiterten Auskunftsanspruch wird insbesondere auch der Schutz der deutschen Industrie, der deutschen Hersteller von Geräten und Leerkassetten erreicht, die bisher gewissenhaft ihrer Auskunftspflicht nachgekommen sind und die vor unlauterem Wettbewerb durch Waren aus unkontrollierten Auslandslieferungen geschützt werden müssen.
Der Rechtsausschuß hat in diesem Zusammenhang den Grundgedanken der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aufgenommen, daß man denjenigen, der die richtige Auskunft gibt, nicht mit notwendigen Kosten eines Kontrollapparats belasten dürfe, daß man deswegen denjenigen, der falsche Auskunft erteilt, zur Zahlung der doppelten Vergütung verpflichten müsse. Die vom Rechtsausschuß demgemäß hier vorgenommene Verpflichtung zur Zahlung der doppelten Vergütung durch diejenigen, die schuldhaft ihrer Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Auskunft nicht nachgekommen sind, entspricht dem unser deutsches Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben.
Durch die Ausgestaltungen, die im Rechtsausschuß vorgenommen sind, hat das Produktpirateriegesetz seinen umfassenden Titel gerechtfertigt, wonach es ein Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums ist. Der deutsche Gesetzgeber hat hier gezeigt, daß er es mit dem Schutz des geistigen Eigentums ernst meint und diesen mit großer Effektivität angeht. Dieser Aufgabe wird sich der deutsche Gesetzgeber auch bei der weiteren Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts, nicht zuletzt bei der weiteren Umsetzung der Vorschläge des Berichts der Bundesregierung nicht nur nicht entziehen, sondern — da bin ich ganz sicher — auch hier seine führende Rolle in Europa bekräftigen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Stiegler [SPD])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118503700
Bevor ich Herrn Stiegler das Wort gebe, möchte ich die erste Besuchergruppe aus Ost-Berlin und damit aus der DDR hier auf der Tribüne ganz herzlich begrüßen. Sie ist von Herrn Feilcke eingeladen. Herzlich willkommen.

(Beifall)

Als nächster hat das Wort Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1118503800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An unsere Gäste aus der DDR gerichtet können wir sagen: Parlamente, die üblicherweise ganz voll sind, haben in aller Regel nichts zu sagen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)

Dort, wo die Parlamente so besetzt sind wie gerade hier, haben sie in Wirklichkeit Entscheidungsbefugnisse.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das ist richtig!)

Schauen Sie nach Amerika, nach England oder wohin auch sonst! Man darf sich von dem Schein eines vollen Plenums nicht täuschen lassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zur Sache kommen. Wir sozialdemokratischen Rechtspolitiker haben eine lange Tradition, das geistige Eigentum engagiert zu schützen. Deshalb wird es keinen wundern, daß wir an der heute zur Verabschiedung anstehenden Regelung sehr engagiert und konstruktiv mitgearbeitet haben. Ich kann mich deshalb in den meisten Punkten auf das beziehen, was Professor Kreile gesagt hat, und muß keine Wiederholungen vornehmen.

(Beifall des Abg. Dr. Hitschler [FDP])

Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß die gute Vorlage des Ministeriums — ich habe im Ausschuß gesagt: manche Studenten könnten sie geradezu als Einstieg in den gewerblichen Rechtsschutz benutzen — aus den Reihen der Koalition leider etwas verschlimmbessert worden ist. Ein wichtiger Zahn in dem
14284 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Stiegler
ganzen Instrument ist auf diese Weise herausgebrochen worden.
Ich möchte jedoch, nachdem wir am Schluß trotzdem zugestimmt haben — denn so weltbewegend war das auch wieder nicht —, die urheberrechtliche Situation an den Streichungen am Auskunftsanspruch klarstellen. Wir Sozialdemokraten hätten es durchaus gerne gesehen, wenn derjenige, der Auskunft erteilen muß, an Eides Statt versichern müßte, daß seine Auskunft richtig ist. Die jetzige Regelung, die wir mühselig ausgehandelt haben, ist zwar auch ein Fortschritt, aber es hätte besser sein können. Auf der anderen Seite weise ich manche anmaßenden Briefe, die wir in den letzten Tagen von Verbänden bekommen haben, doch zurück. Denn der Rechtsausschuß ist nicht dazu da, nur Wünsche zu erfüllen und sich dann, wenn er anders entscheidet, anmachen zu lassen. Hier ist es fast aus erzieherischen Gründen notwendig, manches anders zu machen, als es sich die Damen und Herren der Verbände wünschen.

(Zurufe von der FDP)

— Ich kann nichts dafür, daß Sie schon am frühen Morgen eine lebhafte Phantasie haben. Das semantische Differential des Wortes „anmachen" ist durchaus vielseitig. Schauen Sie in den entsprechenden Lexika nach! Aber gegen schlechtes Gewissen kann ich nichts haben. Das müssen Sie mit Ihrem Beichtvater ausmachen.
Meine Damen und Herren, wir haben miteinander das Gesetz angereichert, indem wir gerade auch das Gebrauchsmustergesetz wesentlich verbessert haben. Wir sind noch nicht so weit gegangen, wie wir gerne gehen würden. Ich sage: Wir wollen das Gebrauchsmuster systematisch als „kleines Patent" ausbauen. Das wird in der nächsten Legislaturperiode sicher dazu führen, daß wir die Verfahrenserfindungen einbeziehen. Ich hoffe, daß auch die Koalition in diesem Bereich mitziehen wird.
Wir haben aus dem Urheberrechtsbericht der Bundesregierung, nicht zuletzt auf Initiative der Opposition, einige wichtige Sachen herausgenommen. Aber wir ermuntern die Bundesregierung nachhaltig, schon jetzt damit zu beginnen, die große Urheberrechtsnovelle und die Entwicklung des Urheberrechts insbesondere auch im europäischen Zusammenhang weiter voranzutreiben.
Ansonsten haben wir mit dem Produktpirateriegesetz ein wichtiges Instrument geschaffen, das gerade auch den Arbeitnehmern dient. Herr Professor Kreile hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jährlich allein in der Bundesrepublik 50 000 Arbeitsplätze durch die Ausbeutung fremder Leistungen gefährdet werden. Ziel des gewerblichen Rechtsschutzes ist es, daß man seine geistigen Leistungen selber verwerten kann und daß man von der Ausbeutung durch Fremde geschützt ist, die sich die eigene Leistung aneignen.
Weil wir in diesem Punkt so einig sind, kann ich die Gelegenheit nutzen, in dieser Rede ein Resümee über den Stand des gewerblichen Rechtsschutzes und des Schutzes des geistigen Eigentums zu ziehen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor allem einem Mann besonders danken, der demnächst aus seinem Führungsamt im Ministerium ausscheiden wird. Ich
möchte Herrn Ministerialdirektor Krieger danken und diesen Dank einbinden in eine kleine Bilanz des Aufbaus des Schutzes des geistigen Eigentums nach dem Kriege.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, 1948 ist das Gesetz über die Errichtung von Annahmestellen für Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen geschaffen worden, 1949 das Gesetz über die Errichtung des Patentamtes im Vereinigten Wirtschaftsgebiet.
Von 1949 bis 1953 sind die Überleitungsgesetze auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes geschaffen worden. Damals ist der gewerbliche Rechtsschutz wieder aufgebaut worden.
1957 wurde das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen verabschiedet, ein Gesetz, das nach sehr kontroverser Diskussion nahezu einstimmig verabschiedet worden ist und weltweit eine hohe Anerkennung genießt.
1957 war die diplomatische Konferenz in Nizza zur Nizzaer Fassung des Madrider Abkommens über die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken, 1958 die diplomatische Konferenz in Lissabon zur Revision der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums.
1959 wurde das Gesetz über die Eingliederung des Saarlands auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes geschaffen. Das ist von hoher Aktualität; denn damals haben die Beteiligten gemeint, das wäre das Mustergesetz zur Wiedereingliederung der DDR. Das würde in der Konföderation sicher anders sein. Hier hat man so etwas aber schon probiert. Man sollte sich dieses Gesetz näher ansehen.

(Grünbeck [FDP]: Was sagt der Oskar?)

— Oskar wird sagen, Herr Grünbeck: Das Saarland ist wie immer vorbildlich.
1960 wurde das europäische Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen beschlossen, 1961 das 12. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes; hier ist das Bundespatentgericht errichtet worden.
1961 war die diplomatische Konferenz in Rom zum Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, 1963 das Straßburger Übereinkommen über die Vereinheitlichung der Begriffe des materiellen Patentrechts, ein Recht, mit dem wir heute gerade im Gebrauchsmustergesetz zu tun haben.
1965 fand die große Urheberrechtsreform statt, deren Urhebern damals im Parlament wir herzlich zu danken haben. Ich erinnere in dem Zusammenhang an meinen Freund Georg Kahn-Ackermann.
1967 wurden die verschobene Prüfung im Patenterteilungsverfahren und vor allem der Benutzungszwang im Warenzeichenrecht eingeführt.
1967 fand die diplomatische Konferenz in Stockholm über die Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum statt. Ich meine, wir sollen der WIPO gerade heute immer mehr Aufmerksamkeit schenken und auch mit unseren amerikanischen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14285
Stiegler
Freunden reden, die gerne auf Bilateralität ausweichen und die WIPO nicht immer so unterstützen, wie sie unterstützt werden sollte. Ich finde, die WIPO ist auf Weltebene ein verdienstvolles und unverzichtbares Instrument für das geistige Eigentum.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

1971 fand die diplomatische Konferenz in Paris zur Revision der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst statt, 1971 die diplomatische Konferenz in Washington zum Patentzusammenarbeitsvertrag. 1971 wurde die Bibliothekstantieme eingeführt. 1973 fand die diplomatische Konferenz in München zum europäischen Patentübereinkommen statt, 1976 die Luxemburger Konferenz über das Gemeinschaftspatentübereinkommen.
1976 wurde das Gesetz über das Internationale Patentübereinkommen geschaffen, 1979 das Gemeinschaftspatentgesetz und die Änderung des Warenzeichengesetzes.
1985 fand die zweite große Urheberrechtsnovelle statt, 1986 die Gebrauchsmusternovelle, ebenfalls 1986 die Geschmacksmusternovelle mit der Zentralisierung in Berlin, im vorauseilenden Gehorsam.
1987 wurde das Halbleiterschutzgesetz beschlossen, 1988 die erste EG-Richtlinie zur Angleichung des Markenrechts.
1989 fanden die diplomatische Konferenz in Washington zum Halbleiterschutzabkommen statt, das momentan noch etwas hängt, sowie die diplomatische Konferenz in Madrid über die Reform des Madrider Markenabkommens.
Schließlich sind wir heute, 1989, beim Produktpirateriegesetz. Dieses Produktpirateriegesetz heißt nicht ohne Grund „Gesetz zur Stärkung des geistigen Eigentums", weil es quasi den Schlußstein in einer sehr, sehr langen Entwicklung in der Entfaltung des geistigen Eigentums setzt.
In diesem Zusammenhang ist ein Mann zu rühmen, Ministerialdirektor Dr. h. c. Albrecht Krieger, der im Grunde seit Beginn seiner Laufbahn die Entwicklung des geistigen Eigentums vorangetrieben hat. 1949 hat er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim Deutschen Patentamt in München begonnen, 1953 war er Hilfsreferent für den gewerblichen Rechtsschutz im Bundesjustizministerium — ich bitte um Vergebung, ich habe mir das unter Verstoß gegen den Datenschutz alles besorgt —, 1959 Versetzung an das Bundesministerium der Justiz für das Referat Warenzeichenrecht, Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, dann 1963 Übernahme des Referats Patent- und Gebrauchsmusterrecht, dann 1970 von Gerhard Jahn, meinem Fraktionskollegen, zum Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung III, Handels- und Wirtschaftsrecht, ernannt.

(Lambinus [SPD]: Die haben GmbH-Recht gemacht, ein guter Mann!)

— Das GmbH-Recht ist ein Bereich des Handels- und Wirtschaftsrechts. Auch Uwe Lambinus sagt das und schließt sich mir an.

(Feilcke [CDU/CSU]: Hat er Ihnen auch Re den geschrieben?)

— Nein, so etwas macht er nicht. Außerdem können wir sowas selber.
Meine Damen und Herren, Herr Krieger hat viele Minister und Abgeordnete kommen und gehen sehen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Wie das bei der Bürokratie so ist!)

Er verkörpert die Kontinuität der Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes. Er hat das Vertrauen unendlich vieler Parlamentarier immer wieder erworben. Wenn er im Rechtsausschuß aufgetreten ist, hatte er die Aufmerksamkeit und das Vertrauen. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, Herrn Krieger für sein Lebenswerk herzlich zu danken.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Denn Herr Krieger hat nicht nur im nationalen Bereich unendlich viel gemacht, er hat auch im internationalen Bereich, etwa bei dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber-und Wettbewerbsrecht Großes geleistet, als Vorsitzender des Koordinierungsausschusses der Weltorganisation für geistiges Eigentum, als Präsident der Generalversammlung der Weltorganisation für geistiges Eigentum, als Präsident der Versammlung der Berner Union zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Da sieht man mal, was so ein Mann im Laufe der Jahrzehnte alles geleistet hat. Wir Parlamentarier sehen, wo eigentlich auch das geistige Eigentum politisch gestaltet wird, nämlich nicht nur hier im Parlament, im Rechtsausschuß, sondern es ist hunderttausendmal draußen gearbeitet worden, bevor hier im Parlament was läuft. Wenn wir vermehrt mitreden wollen, müssen wir uns z. B. jetzt um das GATT kümmern.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118503900
Herr Stiegler, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler zulassen?

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1118504000
Ich hoffe, er fragt mich etwas, was ich auch vorbereitet habe.

(Heiterkeit)


Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1118504100
Herr Kollege, ich wollte Sie nur fragen, ob Ihre Rede als Beitrag für eine Festschrift gedacht ist.

(Heiterkeit)


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1118504200
Nein, es ist nicht als Festschrift gedacht. Ich bin nicht qualifiziert genug, um Herrn Krieger sozusagen eine Festschriftgabe darbringen zu können, aber es ist der Dank eines Parlamentariers, der seit 1980 immer wieder erlebt hat, was dieser Mann mit seinen Mitarbeitern alles geleistet hat. Ich finde, es steht uns Parlamentariern gut an, auch einmal der Bürokratie zu danken. Die sind nämlich nicht
14286 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Stiegler
nur unsere Fußabstreifer, sondern wir kooperieren miteinander.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Da mir das nicht auf die Zeit angerechnet wurde, kann ich jetzt noch die letzte Minute nutzen.
Herr Krieger hat Erhebliches geleistet als Vorsitzender des Interimsausschusses für das Gemeinschaftspatent, als Leiter vieler Regierungskonferenzen, vieler diplomatischer Konferenzen und vieler Verhandlungen.
Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des geistigen Eigentums wird in Zukunft noch mehr die Zusammenarbeit mit qualifizierten Beamten bedeuten. Wenn wir auf der europäischen Ebene unsere Überlegungen einbringen wollen, dann können wir sie nicht selbständig, sondern nur über die einbringen, die für die Bundesregierung verhandeln, wir vielleicht im Gespräch mit unseren Kollegen im Europäischen Parlament. Wir müssen in all diesen Bereichen eine ganz neue Form der Zusammenarbeit mit den Ministerien finden. Die alte Ausschußarbeit in diesem Bereich reicht nicht mehr; wir müssen neue Methoden und Techniken erfinden, und Männer wie Herr Krieger und seine Mitarbeiter sind dafür unsere guten Partner.
Ich wünsche ihm einen gewaltigen Unruhestand, eine kreative Zeit im Unruhestand und danke ihm nochmal herzlich für seine Lebensleistung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118504300
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1118504400
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Aber jetzt nicht zu Herrn Krieger!)

Als ich zum Wasserwerk ging, habe ich schon überlegt, daß das Besondere heute eine ungewöhnlich einige Verabschiedung eines ganz normalen, wenn auch sehr wichtigen, Gesetzes ist, fernab von irgendwelchen Parteiungen. Der festschriftartige Beitrag von Herrn Stiegler soeben hat sich ja, wie Eingeweihte wissen, ebenfalls erkennbar außerhalb der Parteigrenzen abgespielt, so daß es wirklich sehr schwerfällt, Ihre Erwartungen an eine auch nur einigermaßen kämpferische Rede zu erfüllen.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen) Das gibt die Sache nicht her.

Wir sind sehr zu Dank verpflichtet

(Feilcke [CDU/CSU]: Herrn Krieger!)

den einschlägigen Verbänden der Wirtschaft, die wenigstens noch etwas Feuer in die Geschichte gebracht haben mit den empörten Telefaxen, mit denen sie uns in den letzten Tagen zugedeckt haben, in völliger Unkenntnis, daß wir, wenn wir die Beratungen im Ausschuß endlich abgeschlossen haben, uns höchst selten entschließen, in der zweiten Lesung auf Grund
solcher Telefaxe noch einmal verändernd tätig zu werden.
Aber vielleicht hat die Empörung gutgetan. Wenn man bedenkt, was sowohl Herr Kreile wie Herr Stiegler hier dargestellt haben, was alles hier zusätzlich an Schutz des geistigen Eigentums sowohl im zivilrechtlichen wie auch im strafrechtlichen Bereich geschaffen worden ist, dann ist schwer verständlich — das geht ja weit über die Sache mit dem halbvollen und halbleeren Glas hinaus — , daß an einem einzigen Punkt festgemacht werden soll, dies alles sei nichts.
Dieser eine Punkt wird sehr falsch gesehen, meine ich. Denn wir müssen natürlich in erster Linie an die gesamte Rechtsordnung und an die Einordnung einer hier zu treffenden gesetzlichen Regel in unser System denken, nicht an das Interesse einer noch so bedeutenden Gruppe von Interessenten an dieser Regelung.
Wenn man das tut, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß die sogenannte einstufige Einführung einer eidesstattlichen Versicherung den Rahmen all dessen, was uns vertraut ist, in diesem Zusammenhang erheblich gesprengt hätte.
Die Richter verwenden sehr viel Sorgfalt und Mühe darauf, sich in den Beratungen zu überlegen, ob man im Einzelfall einen Eid abnimmt. Sie möchten nicht, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist, jemanden in das Risiko eines etwaigen falschen Eides hineinbringen.
Aus dem gleichen Grund haben wir sehr komplizierte und sorgfältig geregelte Verfahren zur Ablegung der eidesstattlichen Versicherung. Nun in einem Einzelfall es in die Hand des Privatmanns, des Geschäftsmanns und Konkurrenten zu legen, jedermann ohne jedes vorgeschaltete Verfahren eine eidesstattliche Versicherung zuzuschieben, geht einfach zu weit.
Wir sind der Meinung, daß z. B. die bereits erwähnte doppelte Gebühr in den Fällen, in denen die Auskünfte nicht anständig erteilt worden sind, ein viel vernünftigeres und ebenfalls greifendes Mittel ist, ganz zu schweigen von den wiederum verschärften Strafvorschriften.
Die Bundesregierung ist gebeten worden — vielleicht wäre die Bitte gar nicht erforderlich gewesen, weil ja üblicherweise der Erfolg von Gesetzen in der praktischen Anwendung kontrolliert zu werden pflegt — , uns einen Bericht zu geben, wie sich die Vorschriften in der Praxis entwickeln. Wir werden dann über etwaige Konsequenzen erneut, natürlich auch in Zusammenarbeit mit den unmittelbar Betroffenen in der Wirtschaft, nachzudenken haben und in der nächsten Wahlperiode sicherlich der einen oder anderen Anregung, die soeben Herr Stiegler vorgetragen hat, entsprechen.
Daß wir dieses Gesetz so einvernehmlich haben verabschieden können, ist sicher in erster Linie der tadellosen Vorarbeit des Bundesjustizministers und aller seiner Mitarbeiter, einschließlich des Herrn Ministerialdirektor Krieger und des Herrn Ministerialdirigen-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14287
Kleinert (Hannover)

ten Faupel, zuzuschreiben. Auch wir bedanken uns für diese Leistung sehr herzlich.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118504500
Als nächster hat das Wort Herr Bundesminister Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118504600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Schlußberatung dieses Gesetzentwurfs möchte ich sehr herzlich den Mitgliedern des Rechtsausschusses und den Mitgliedern des mitberatenden Wirtschaftsausschusses danken. Besonders danke ich den Berichterstattern.
Weil das Stichwort gefallen ist, möchte ich Herrn Kollegen Stiegler dafür danken, daß er Gelegenheit genommen hat, einen Mitarbeiter meines Ministeriums hier in einer so herausgehobenen, aber, wie ich meine, auch gebührenden Art und Weise zu erwähnen. Herr Krieger wäre möglicherweise hier, wenn er heute nicht bei der Luxemburger Konferenz zum Gemeinschaftspatent wäre.
Nun habe ich kürzlich gelesen, Peter Bamm habe gesagt, eine Laudatio habe immer so etwas von einem Nachruf unter Lebenden an sich. Nur: Was Herr Stiegler heute sagte, ist wohlangemessen und angebracht bei einem Manne, der über so viele Jahrzehnte in diesem Bereich gearbeitet hat und dessen Ruhestand für Ende April des nächsten Jahres ansteht. Ich finde es gut, wenn bei passender Gelegenheit gerade auch aus dem Ministerialbereich Namen genannt und entsprechend gewürdigt werden.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entwurf haben wir zusätzlich zu den schon getroffenen ersten Einzelmaßnahmen zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums sozusagen als Schlußstein ein den Gesamtbereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts umfassendes Gesetz zur Bekämpfung der Produktpiraterie vorgelegt. Der Gesetzentwurf kann sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen; nein, ich meine, mehr noch: Mit dem Instrumentarium dieses Gesetzes kann die Bundesregierung eine Vorreiterrolle im Kampf gegen die Produktpiraterie übernehmen. Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn ich sage, daß dieses Gesetz auch Vorbildcharakter für andere Länder hat.
Das Instrumentarium, welches das Gesetz zur Bekämpfung von Schutzrechtsverletzungen zur Verfügung stellen wird, ist wohlausgewogen. Es ist ausreichend scharf, um die Verletzer wirksam zu treffen. Es wird den durch die Produktpiraterie für die betroffenen Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft verursachten Schaden weitgehend reduzieren können. Aber es ist auch so gestaltet, daß redlich handelnde Personen und Firmen nicht betroffen werden können. Bei der Erarbeitung des Entwurfs haben wir auch besonders darauf geachtet, daß ein Mißbrauch des Gesetzes zur Behinderung von Konkurrenten nicht möglich ist.
In einem Punkt — dieser Punkt ist von allen Vorrednern bereits deutlich angesprochen worden — hätten wir es allerdings sehr gern gesehen, wenn der Gesetzentwurf wie in den anderen Teilen auch unverändert
geblieben wäre. Ich meine die bereits angesprochene Frage des Auskunftsanspruchs und der zusätzlichen eidesstattlichen Versicherung. Ich hoffe, daß die Streichung dieser letzteren Möglichkeit nicht auf eine ganz erhebliche Schwächung des Instrumentariums hinausläuft.
Nun wird die Bundesregierung — auch dies ist bereits angesprochen worden — selbstverständlich wie in anderen Bereichen auch sehr sorgfältig die Auswirkungen des Gesetzes beobachten. Einen zusätzlichen Antrieb hierfür haben wir durch den Auftrag des Bundestages erhalten, einen Erfahrungsbericht vorzulegen. Nun mag man die Frage stellen, ob zwei Jahre zu einer umfassenden Beobachtung bereits ausreichen. Aber es werden uns in diesem Zeitraum ganz sicher eine ganze Fülle von Erkenntnissen zuwachsen, die wir dann in diesem Bericht verarbeiten und Ihnen mitteilen werden.
Ihr Anliegen, meine Damen und Herren, nachgeahmte, ansonsten aber durchaus brauchbare Ware anstatt der Vernichtung karitativen Zwecken zuzuführen, greifen wir für den dort vorgesehenen Fall gerne auf. Wir werden gemeinsam mit den Bundesländern durch Änderung der Strafvollstreckungsordnung Mittel und Wege suchen, solche Waren einer sinnvollen, gemeinnützigen Verwendung zuzuführen.
Zum Abschluß ein Wort noch zu den vom Rechtsausschuß beschlossenen zusätzlichen Änderungen des Urhebergesetzes, um die sich Herr Kollege Dr. Kreile in ganz besonderer Weise verdient gemacht hat,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und zur Einbeziehung des Gebrauchsmustergesetzes. Diese Bestimmungen, die in das Produktpirateriegesetz eingefügt werden, gehen im wesentlichen auf Vorschläge der Bundesregierung in ihrem Bericht zur Urheberrechtsnovelle 1985 sowie auf meine Vorschläge im Bericht zur Frage des Verzichts auf das Raumerfordernis im Gebrauchsmusterrecht zurück. Ich begrüße es sehr, daß der Rechtsausschuß diese Vorschläge aufgegriffen und unverzüglich umgesetzt hat. Ich bin davon überzeugt, daß mit den vorgesehenen Regelungen eine weitere Verbesserung des Schutzes des geistigen Eigentums erreicht wird. Wir handeln damit im Interesse der Schutzrechtsinhaber und zum Wohle der gesamten Wirtschaft, insbesondere auch der kleinen und der mittleren Unternehmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118504700
Ich schließe die Aussprache.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Kollege Jäger gewünscht.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1118504800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Artikelgesetz, über das jetzt abgestimmt werden wird, verschärft der Deutsche Bundestag die strafrechtlichen Sanktionen in einer ganzen Reihe von Gesetzen, die dem Schutz des gei-
14288 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Jäger
stigen Eigentums dienen. Das ist eine gute Sache und findet meine Billigung.
Nicht meine Billigung findet, daß sich derselbe Deutsche Bundestag, jedenfalls in einer breiten Mehrheit von rechts bis links, bis zum heutigen Tage weigert, die Bestimmungen zum Schutze des menschlichen Lebens vor der Geburt ebenfalls zu verschärfen, insbesondere jenen Teil des § 218 — ich nenne namentlich § 218 Abs. 3 —, in welchem noch ein Rest der verfassungswidrigen Fristenregelung enthalten ist, aus dem Gesetz zu entfernen. Solange hier keine Änderung geschaffen wird, sehe ich in der Verschärfung des Schutzes vergleichsweise weniger hoher Rechtsgüter eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und eine tiefe Ungerechtigkeit, die ich mit meiner Stimme jedenfalls nicht unterstützen kann.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Da könnte man sich auch noch zu einigen Allgäuer Problemen äußern!)

Ich sehe mich daher trotz grundsätzlicher Zustimmung zu den Intentionen des vorliegenden Gesetzentwurfs und der Beschlußempfehlung nicht in der Lage, diesem Gesetz meine Zustimmung zu geben.

(Hüser [GRÜNE]: Dann kann man ja gar keinem Gesetz mehr zustimmen!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118504900
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Produktpiraterie. Es geht um die Drucksachen 11/4792 und 11/5744.
Ich rufe die Art. 1 bis 14, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.
Wir kommen noch zu einer weiteren Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/5744 unter Buchstabe b die Annahme von Entschließungen. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließungen sind bei zwei Enthaltungen angenommen.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 8 aufrufe, muß ich dem Kollegen Fellner einen Ordnungsruf erteilen, weil seine Aussage lautete — was ich heute morgen überhört habe — : „Wenn Sie so lügen, ist das nicht möglich." Dies ist ein unparlamentarisches Verhalten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:
8. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Zur EG-Charta sozialer Grundrechte
— Drucksache 11/5906 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt
— Drucksache 11/5332 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
c) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt im Rahmen der Vollendung des Binnenmarkts
— Drucksache 11/5333 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur sozialen Dimension des Binnenmarktes
— Drucksachen 11/4340, 11/5996 —
Berichterstatter: Abgeordneter Peter (Kassel)

ZP8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Europäischer Rat in Straßburg am 8./9. Dezember 1989
— Drucksache 11/6089 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14289
Präsidentin Dr. Süssmuth
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118505000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion möchte diese Europadebatte gerne nutzen, um die Ergebnisse des europäischen Gipfels in Straßburg kritisch zu bewerten; denn es ist eigentlich merkwürdig, daß wir zu diesem Gipfel von seiten der Bundesregierung in diesen Tagen keine Regierungserklärung erleben.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Sie erklärt sich doch schon lange nicht mehr!)

— Ja.
Die Staats- und Regierungschefs haben beim europäischen Gipfel in Straßburg festgestellt, daß das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten in den Prozeß des Zusammenwachsens Europas eingebettet sein müsse, und zwar sowohl in bezug auf die Europäische Gemeinschaft als auch in bezug auf die gesamteuropäische Sicherheitszusammenarbeit. Damit hat der Europäische Rat eindeutig auf den wahltaktisch bedingten Alleingang des Bundeskanzlers und seine unklare Haltung zur polnischen Westgrenze geantwortet, die bei unseren Nachbarn im Westen wie im Osten Mißverständnisse und Mißtrauen ausgelöst haben. Ich sage ganz klar an dieser Stelle: Derartige Alleingänge schaden der Sache aller Deutschen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Noch mehr schadet der Sache aller Deutschen, wer immer noch Unklarheit in der Frage der polnischen Westgrenze zuläßt. Wer sich in dieser Frage nicht klar die Entscheidung des Deutschen Bundestages zu eigen macht, mit der die bestehende polnische Westgrenze anerkannt wird, der schürt Ängste vor einer großdeutschen Restauration.
Es ist schon schlimm genug, liebe Kolleginnen und Kollegen — da bitte ich insbesondere diejenigen, die von seiten der CDU/CSU-Fraktion präsent sind, genau zuzuhören — , daß die deutsche Bundesregierung gestern — gestern, betone ich — vom Europäischen Parlament mit folgender Passage aufgefordert werden mußte, endlich unzweideutig die polnische Westgrenze anzuerkennen:
Der Beschluß des Europäischen Parlaments, den ich hier zitiere, lautet folgendermaßen:
Das Europäische Parlament ist der Auffassung, daß die Respektierung der Grenzen, wie sie aus der Gebietsregelung nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind, insbesondere der Oder-Neiße-Grenze, einen grundlegenden Aspekt der europäischen Sicherheit darstellt. Das Europäische Parlament appelliert an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, diese Grenzen unverzüglich und unzweideutig anzuerkennen und nicht das Schreckgespenst eines Deutschlands, das seine Grenzen von 1937 fordert, heraufzubeschwören.
Dem ist nichts hinzuzufügen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Eine verantwortliche deutsche Bundesregierung darf aber auch nicht den leisesten Zweifel aufkommen lassen, daß sie die Fragen des engen Zusammenwachsens der beiden deutschen Staaten nicht mit den europäischen Nachbarn abstimmen wolle. Äußerungen wie die von CDU-Generalsekretär Rühe, wir brauchten uns mit unseren europäischen Nachbarn nicht abzustimmen, machen deutlich, daß hier nicht für die Zukunft Deutschlands und Europas vorgeplant wird, sondern für den heimischen Vorwahlkampf am rechten Rande. Diese Äußerungen sind im übrigen auch sachlich falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen alle sehr genau: Daß das Schengener Abkommen, das die Freizügigkeit zwischen mehreren EG-Mitgliedsstaaten vorsah, faktisch gescheitert ist, hängt doch damit zusammen, daß unsere Nachbarn z. B. Sorge haben, daß die gewonnene neue Freizügigkeit von Deutschen aus der DDR bedeuten könnte, daß es mehr Freizügigkeit auch in ihren Ländern von seiten dieser Bürger aus der DDR geben könnte. Da wird doch sehr deutlich, daß Abstimmung auch im Interesse der Deutschen aus der DDR dringend notwendig ist.
Im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat die deutsche Geschichte schmerzhaft gezeigt, daß alle diejenigen, die Deutschland über alles und damit über alle seine Nachbarn setzen wollten, unserem Land unermeßlichen Schaden zugefügt haben.

(Jäger [CDU/CSU]: Eine Mißdeutung Hoffmann von Fallerslebens!)

Die deutsche Geschichte hat gezeigt, daß nur der ein wirklicher Patriot ist, der mit seinen Nachbarn in Ost und West friedliches Zusammenleben praktiziert, weil er nur damit seinem eigenen Volk am besten nutzt.

(Beifall bei der SPD — Jäger [CDU/CSU]: Sie haben Hoffmann von Fallersleben nie verstanden!)

Wenn also die Pläne zum deutsch-deutschen Zusammenwachsen ernst gemeint sind, dann müssen sie in den Prozeß europäischer Integration eingefügt sein. Nur eine starke Europäische Gemeinschaft kann einen starken Beitrag zum Aufbau des neuen Europa leisten; nur eine starke Europäische Gemeinschaft hat überhaupt die wirtschaftliche und politische Kraft, den Reformländern in Osteuropa und der DDR wirksam Unterstützung zu leisten.
Diesem Prozeß der Stärkung der europäischen Integration und der Vertiefung hat die Beschlußfassung zur Charta sozialer Grundrechte von seiten des Europäischen Rates in keiner Weise Rechnung getragen. Die jetzt beschlossene Erklärung ist eine bloße Absichtserklärung zu elft. Auch hier empfehle ich den Kollegen, die angetreten sind, sie zu verteidigen, sich die Beschlußfassung des Europäischen Parlamentes einschließlich der christdemokratischen Fraktion von gestern anzusehen.
Die Erklärung zur Charta sozialer Grundrechte entspricht nicht der notwendigen und erwarteten europäischen Sozialverfassung. Wir müssen sagen, daß die Bundesregierung im stillen Kämmerlein des Rates
14290 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Wieczorek-Zeul
und in trauter Zusammenarbeit mit der englischen Regierung dazu beigetragen hat, aus dem notwendigen europäischen Soziallöwen mit Biß einen dürftigen, zahnlosen Papiertiger zu machen. Es fehlt der ursprünglich vorgeschlagene Zeitrahmen; denn die europäische soziale Dimension soll ja zusammen mit dem Binnenmarkt verwirklicht werden. Es fehlt der Hinweis auf rechtsverbindliche, auch kollektive Rechte, die Bürgerinnen und Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen könnten. Hier rächt sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß europäische Entscheidungen in den Ministerräten weitgehend nichtöffentlich und parlamentarisch unkontrolliert erfolgen. Ich möchte sagen: Wir können von den osteuropäischen Ländern schlecht mehr parlamentarische Demokratie verlangen, wenn wir gleichzeitig einen EG-Gesetzgebungsprozeß zulassen, der mittlerweile nicht einmal den Standards entspricht, die für den Obersten Sowjet gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Am Prozeß verstärkter europäischer Integration führt kein Weg vorbei. Die Europäische Gemeinschaft hat die Konsequenzen aus den schrecklichen Kriegen zwischen den Nationalstaaten gezogen, die Europa zweimal verwüsteten. Wir wollen beim Zusammenwachsen Deutschlands und Europas nicht zurück in das Zeitalter der Nationalstaaten. Nicht umsonst haben die Männer und Frauen des Widerstands gegen Faschismus und Nationalismus in ihren Überlegungen der damaligen Zeit sich für ein föderatives Europa engagiert, in dem die Nationalstaaten bestimmte nationale Zuständigkeiten freiwillig abgeben sollten, so daß für alle künftige Zeit ein friedliches Zusammenleben der Nationen organisatorisch quasi gesichert würde. Ich erinnere an das Manifest der Verbannten von Ventotene; das waren die Widerständler aus Italien, die während des Mussolini-Regimes dorthin verbannt worden sind. Sie haben in ihrem Manifest ein Europa vorgedacht, das die Nationalstaaten überwindet.
Ich erinnere an Carlo Mierendorff, der formuliert hat, daß Europa eine Organisation aus überstaatlichem Denken braucht, das die Überwindung jenes Nationalstaatenwahns notwendig und möglich macht, an deren Forcierung die europäischen Völker heute zugrunde zu gehen drohen.
Ich erinnere an Carl Goerdeler, ich erinnere an Helmuth von Moltke und das Arbeitspapier des Kreisauer Kreises, in dem das gleiche zum Ausdruck gebracht worden ist.
Der Weg zurück zum Nationalstaat wäre im übrigen eine Sackgasse; denn wirtschaftspolitisch oder gar umweltpolitisch ist heute kein Nationalstaat mehr souverän. Wir wollen vielmehr nach vorn in ein Europa, in dem die Völker ihre Kräfte nicht gegeneinander richten, sondern in dem sie sich gemeinsam zusammenfinden, um die großen Menschheitsaufgaben wie Bekämpfung des Hungers und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu ihren zentralen Aufgaben zu machen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118505100
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118505200
Bitte.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1118505300
Frau Kollegin, weil Sie im Augenblick das hohe Lob der europäischen Integration singen, darf ich fragen, ob Ihnen noch erinnerlich ist, daß es Ihre Fraktion war, die im Jahre 1950 sogar den Beitritt zu dem noch nicht einmal supranationalen Europarat aus nationalen und gesamtdeutschen Erwägungen heraus abgelehnt hat.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118505400
Das ist jetzt Ihr Problem, Herr Jäger; denn Sie müssen sich daran erinnern, daß unser Ziel damals war, die Einheit Deutschlands zu sichern. Sie standen damals auf der Seite derjenigen, denen diese Frage der Einheit Deutschlands gleichgültig war.

(Jäger [CDU/CSU]: Das ist unerhört!)

Das ist interessant, wenn man die heutige Situation beobachtet.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich darf die Gelegenheit nutzen — Sie geben mir diese Gelegenheit —, folgendes zu sagen: Diejenigen, die immer die Einheit Deutschlands auf den Lippen geführt haben, haben eine Praxis betrieben, die die reale Aufteilung des Kontinents und auch der beiden deutschen Staaten noch verstärkt hat.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Da waren Sie doch noch im Rüsselsheimer Kindergarten!)

— Herr Blüm, kümmern Sie sich lieber um die Aufgaben, um die Sie sich eigentlich kümmern müßten, statt daß Sie jetzt dazwischenrufen.
Ich würde zum Schluß gerne fünf Stufen vorschlagen, in die das Zusammenwachsen der deutschen Staaten in den europäischen Prozeß eingegliedert sein soll.
Erstens. Notwendig ist ein umfassender Entwicklungsplan für die politische und wirtschaftliche Erneuerung Osteuropas und der Sowjetunion. Dazu muß die EG endlich Handelsabkommen auch mit der Sowjetunion und der DDR so schnell wie möglich abschließen. Sie muß vor allen Dingen schnell handeln und darf nicht nur reden.

(Dr. Hoyer [FDP]: Das ist zwar richtig, aber die Sozialcharta steht auf der Tagesordnung!)

— Gott sei Dank richtet sich die Tagesordnung der Geschichte wenig danach, was der Deutsche Bundestag auf seine Tagesordnung gesetzt hat. Ich muß das einmal sagen, weil hier der Vorwurf kam, die sozialen Anträge stünden zur Debatte. Sie standen natürlich auch zur Debatte, aber bei diesem Gipfel ging es um mehr. Wenn der Bundeskanzler nicht den Mumm hat, heute hierherzukommen, dann ist das sein Problem, aber nicht unseres.
Zweiter Schritt: Notwendig ist, daß die Europäische Gemeinschaft den osteuropäischen Reformländern und auch der DDR die Möglichkeit einer Assoziierung anbietet.

(Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Das geht aber schon weit!)

— Ja. Zehn Punkte, fünf Punkte, Frau Hellwig. —
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14291
Frau Wieczorek-Zeul
Die dritte Stufe: Die Europäische Gemeinschaft muß gleichzeitig ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber den demokratischen Staaten Osteuropas und der DDR erklären, wenn sie der Europäischen Gemeinschaft beitreten wollen. Leider fehlt auch da ein Großteil Mut auf der westeuropäischen Seite. Man kann aber nicht den Mut der Demonstranten in Prag, in Leipzig und in Moskau bewundern und sich selbst unter vergleichsweise einfacheren Bedingungen auf westlicher Seite als europäischer Hasenfuß erweisen.
Die vierte Stufe: Notwendig ist schließlich die Verklammerung der verschiedenen Teile Europas — der Europäischen Gemeinschaft, der assoziierten Länder, der EFTA, der Sowjetunion — durch gesamteuropäische Institutionen und Vereinbarungen.
Fünftens. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sollte zu gesamteuropäischer Zusammenarbeit und für überstaatliche Institutionen genutzt werden.
In diesem Zusammenhang würden wir es außerordentlich begrüßen, wenn im nächsten Jahr eine vorgezogene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zustande käme.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]:: Dann werden Sie ja im Januar unseren Antrag unterstützen!)

Die Neuordnung Europas soll zur Auflösung der Blöcke und zur vollständigen Ablösung der Vorbehaltsrechte der Vier Mächte führen. Weniger Rüstungsausgaben, weniger Militär, Abzug der Atomwaffen — das muß das neue Kapitel europäischer Abrüstungspolitik sein.
Das heißt für uns: Einbettung der deutschen Frage und der Einigung der Deutschen in den europäischen Prozeß. Die deutsche Einheit kann nicht dadurch hergestellt werden, daß mit ihr die NATO beibehalten und auch noch nach Osten verschoben würde.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Die friedliche Revolution der Menschen in der DDR und in vielen Staaten Osteuropas ist eine historische Chance für Deutschland und für Europa. Zum erstenmal können Freiheit und Selbstbestimmung für alle Menschen in Europa Wirklichkeit werden. Zum erstenmal kann eine friedliche, soziale europäische Staatengemeinschaft entstehen, die auf den gemeinsamen europäischen Traditionen der Aufklärung, des Humanismus, der Demokratie und des sozialen Rechtsstaats fußt. Zum erstenmal kann durch Abrüstung und Zusammenarbeit Krieg in Europa unmöglich gemacht werden. Zum erstenmal können wir die Einheit der Deutschen zusammen mit der Einheit Europas in konkreten Schritten verwirklichen.
Die vereinigten Staaten von Europa — im Osten und im Westen — , die die Sozialdemokratische Partei bereits 1925 forderte, für die die Männer und Frauen des Widerstandes noch in Gefängnissen, in der Verbannung und in Konzentrationslagern eingetreten sind, sind noch in diesem Jahrhundert erreichbar.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118505500
Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.

Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1118505600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das eigentliche Thema der heutigen Debatte ist die europäische Sozialpolitik. Dieses Thema kommt schon seit langem zu kurz. Deshalb ist es notwendig, daß wir heute einmal eingehend darüber reden.

(Dr. Wieczorek [SPD]: Sie haben nicht aufgepaßt!)

— Es könnte Ihnen gefallen, uns mit so einem oberflächlichen Antrag von den eigentlichen Sachfragen abzulenken. So funktioniert das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Sagen Sie einmal, was Sie zustande gebracht haben! — Weitere Zurufe von der SPD)

Zum Erfolg des Binnenmarktes in Europa gehört die soziale Stabilität wie das Salz zur Suppe. Man braucht dazu überhaupt keine neuen Modelle. Die Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft und ihre Prinzipien sind gut und geeignet zur weiteren Verbreitung in Europa. Deswegen hat sich die CDU/ CSU beispielsweise für verbindliche Grundrechte im sozialen Bereich eingesetzt. Das galt vor dem Gipfel in Straßburg, und das gilt natürlich auch für die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn es in Straßburg zu keiner Einigung über die Verabschiedung einer gemeinsamen Erklärung aller Zwölf kam, so liegt das in keinster Weise an der deutschen Seite.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat mehr als ihre Hausaufgaben gemacht.

(Jäger [CDU/CSU]: So ist es!)

Nennen Sie mir ein Land, das bisher einen Katalog für ein Aktionsprogramm vordringlicher sozialer Grundrechte vorgelegt hat. Nennen Sie mir ein Land, wo eine gemeinsame Linie in wichtigen Fragen mit den Sozialpartnern abgestimmt werden konnte.

(Jäger [CDU/CSU]: Sie konnte gar keines nennen!)

Die Bundesregierung braucht man nicht immer mit neuen Anträgen zur Aktivität zu ermuntern. Die deutsche Bundesregierung gehört zu den sozialpolitischen Stürmern im europäischen Spiel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Stürmer! — Weitere Zurufe)

Helmut Kohl hat während der deutschen EG-Präsidentschaft einen steilen Paß nach vorne geschlagen. Denken Sie an den Gipfel von Hannover. Denken Sie an die Einheitliche Akte. Denken Sie an die Einführung des wichtigen Art. 118 a.
Vergessen wir doch bitte nicht: Das war die Voraussetzung für viele Richtlinien zum Schutz der Arbeitnehmer, die auch Sie von der Opposition begrüßt ha-
14292 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Fuchtel
ben und die zwischenzeitlich zur europäischen Praxis gehören. Das ist konkreter sozialer Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)

Meine Damen und Herren, hier sollten deswegen heute auch keine falschen Stimmungen aufkommen. Uns Deutschen tut der Ausgang in Straßburg am wenigsten weh, weil wir keinen akuten Nachholbedarf an sozialen Errungenschaften im Vergleich zu den europäischen Ländern haben.

(Jäger [CDU/CSU]: So ist es!)

Richtig ist aber, daß wir ein Zukunftsinteresse an einer schnellen Abklärung der Elemente der sozialen Dimension des Binnenmarktes haben, weil dies im Zusammenhang mit der Standortgunst für die Wirtschaft, der Sicherung der Arbeitsplätze und der Inanspruchnahme unserer sozialen Sicherungssysteme steht. Gefragt sind daher Prioritäten, Strategien, Konzepte und letztendlich auch Übereinstimmungen.
Wenn man den sozialpolitischen Passus im neuesten Antrag der SPD liest, dann geht es dort nach dem Motto: Wir haben selbst Jahre nichts getan; aber bitte jetzt komplette Lösungen, und dies sofort.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Was erzählen Sie denn da!)

Meine Damen und Herren, wenn es nach Ihnen geht, soll die Bundesregierung im Rat und bei der EG-Kommission einerseits alles durchsetzen. Zum anderen servieren Sie ein Maximalprogramm. Wenn man heimkommt und nicht alles durchgesetzt hat, dann gibt es Schimpfe. So in etwa ist Ihre Strategie. Das ist nach meiner Meinung einfach zuwenig. Sie bleiben uns bei Ihren umfassenden Angeboten an Sozialplanung — da waren Sie schon immer gut —

(Zuruf von der SPD: Das ist wirklich wahr! In der Sozialpolitik waren wir schon immer gut!)

die Antwort schuldig, wie angesichts der eindeutigen Normen des Vertrages vorgegangen werden soll und wie die Länder mit niedrigem Sozialstandard nachziehen sollen. Hier bleiben Sie die Antwort schuldig.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Luftschlösser bauen kostet bekanntlich nichts. Aber der Abriß ist meistens sehr teuer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Machen wir uns deswegen nochmals das Ziel unserer Bemühungen deutlich.

(Zuruf von der SPD: Sie reißen Luftschlösser ab!)

Der Binnenmarkt ist kein Selbstzweck. Er soll zu mehr Wohlstand für die Bürger in Europa führen. Die Unterschiede sind groß. Es gibt noch Länder wie Spanien mit einer Arbeitslosenquote von 17 %, tarifliche Jahresarbeitszeiten von 2 025 Stunden in Portugal gegenüber 1 697 in Deutschland,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Spannen bei den Jahresnettoverdiensten von 8 130 DM in Portugal bis 31 000 DM in Luxemburg.
All dies kann nur erfolgreich weiter zusammengeführt werden, wenn den einzelnen Ländern auch im sozialen Bereich Gestaltungsfreiheit belassen bleiben und wenn vor allem die soziale Belastbarkeit mit der ökonomischen Entwicklung Schritt hält. Wer die Leistungsfähigkeit außer acht läßt, kann nur über Sozialtransfers in großem Umfang ausgleichen. Das ist zu teuer und schafft Abhängigkeiten statt Unabhängigkeiten und Selbständigkeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)

Sozialer Fortschritt muß deswegen seine ökonomische Grundlage vor Ort bekommen.
Europäische Solidarität heißt, den sozial nicht so weit entwickelten Ländern zunächst ihren Wettbewerbsvorteil zu belassen und mit wachsendem Leistungsvermögen soziale Standards zu verwirklichen. Wie diese Standards auszusehen haben, können und sollten wir nicht vorschreiben. Es muß auch hier einen Wettbewerb zwischen den einzelnen Ländern geben können. Dies ist auch erklärter Wille der Mitgliedstaaten. Nicht umsonst hat auch die erweiterte EG-Akte die Kernbereiche der Sozialpolitik der Nationalstaaten belassen.
Gerade vor diesem Hintergrund der Entscheidung, was europäisch und was national geregelt werden soll, sage ich dies. Es geht hier um historische und traditionelle Entwicklungen. Wir haben beispielsweise mit unserem sozialen Sicherungssystem auf der Ebene der Beitragsbezogenheit und andere mit anderen Systemen gute Erfahrungen gemacht.
Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen um gesicherte und auch einklagbare grundlegende Arbeitnehmerrechte zu sehen und im Interesse eines arbeitnehmerfreundlichen Europas auch zu verwirklichen.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ich setze trotz des Ablaufs in Straßburg sehr stark darauf, daß wir hier weiterkommen. Dies rührt vom Wesen der Sozialpolitik her — von Haushaltspolitikern wird das ungern gesehen — : Wenn man Sozialpolitiker nicht durch das Hauptportal läßt, dann kommen sie durch den Nebeneingang und sitzen oft schneller im Wohnzimmer, als anderen lieb ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf die EG-Ebene übertragen heißt das: Wir müssen sehr genau abwägen, welche wichtigen Arbeitnehmerrechte auf der Basis des Art. 118a des EWG-Vertrages auf der Grundlage von Mehrheitsentscheidungen durchgesetzt werden können. Art. 118 a darf nicht überdehnt werden — dies schadet dem Vertrauensverhältnis der Vertragspartner und würde auch nicht immer zu Ergebnissen führen, die wir uns wünschen — , aber konsequente Anwendung muß die Strategie der nächsten Zeit sein.
Die Regierung braucht auch gar nicht zur Eile angetrieben zu werden. Denn Norbert Blüm hat bereits auf der letzten Sitzung des Arbeitsministerrats seinen Fuß in diesen berühmten Nebeneingang gesetzt.

(Heinrich [FDP]: Aha!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14293
Fuchtel
Ich meine den Neun-Punkte-Katalog,

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Der Kanzler hatte einen Punkt mehr!)

der mit den Sozialpartnern rechtzeitig abgestimmt wurde. Dieser sieht als Schwerpunkte vor: Jahresurlaub, Schutz von Kindern und Jugendlichen, Mutterschutz, Eingliederung Behinderter, Berufsberatung und Arbeitsvermittlung, Entgeltfortzahlung an Feiertagen, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz und Arbeitnehmerüberlassung.
Nicht bei allen Materien kann per Mehrheitsentscheidung vorgegangen werden. Aber Art. 118 a läßt Mehrheitsentscheidungen bekanntlich dann zu, wenn es um die Förderung der Arbeitsumwelt geht, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Dies ist bei einer ganzen Reihe dieser Vorschläge der Fall. Insoweit sind wir sicher, daß man mit Art. 118a vorankommen kann.
Gerade bei Materien, über die per Mehrheitsentscheidung entschieden wird, ist die Abstimmung mit den Sozialpartnern außerordentlich wichtig. Seitens der Politik verdient es Anerkennung gegenüber Arbeitgebern und Gewerkschaften, daß diese Bereitschaft vorhanden ist. Die Sicherung sozialer Grundrechte in Europa ist ein gemeinsames Anliegen der Sozialpartner und der Politik. Parallel zu diesem Vorgehen kann man in vielen Teilen des Aktionsprogramms vorankommen, das von der EG-Kommission nunmehr vorgelegt wurde.
Damit ist aber das Haupthandlungsfeld noch lange nicht erschöpft. Angesichts der Freizügigkeit werden Abgrenzungen bei der Inanspruchnahme sozialer Sicherungssysteme immer dringender. Das Stichwort heißt hier „Sozialtourismus". Bisher gibt es keine Anzeichen, daß die Tatsache besserer Sozialleistungen in einzelnen Ländern zu Wanderbewegungen in der EG geführt hat. Was es aber gibt, sind Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, in denen bereits bestehende Normen ausgelegt werden — und in der Regel extensiv. Ich erinnere an den Fall des Italieners Salzano, in dem es um die Kindergeldfrage geht. Sozialpolitische Entscheidungen sind deswegen eilig, weil der sozialpolitische Handlungsspielraum auf europäischer Ebene durch die Politik und nicht durch die Gerichte abgegrenzt werden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich mache darauf aufmerksam, daß auch eine Überdehnung der Auslegung für Mehrheitsentscheidungen zu unliebsamen Ergebnissen führen kann. So etwas wird nämlich nur im Wege von stark interpretierbaren Kompromissen möglich sein und anschließend die Gerichte beschäftigen. Deswegen ist es wahrscheinlich besser, in manchen Fällen keine Regelung auf europäischer Ebene zu finden, als eine Regelung zu haben, die sehr unklar ist. Daher bitten wir die Bundesregierung, gerade in diesem Bereich weitere Abklärungen vorzunehmen und dafür Sorge zu tragen, daß ungerechtfertigter Sozialleistungsexport von vornherein unterbleibt.
Damit meine ich nicht das Thema Rentenbezug. Dieser ist unstreitig. Klärungen sind aber beispielsweise beim Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung
erforderlich. Wenn ein in Deutschland arbeitender Portugiese als Arbeitsloser in sein Heimatland zurückkehrt und dort die Leistungen bekommen könnte, die er hier als Arbeitsloser bekommt, dann würde es sich für ihn mehr lohnen, nicht zu arbeiten, als der Arbeit nachzugehen.

(Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es ist zwar richtig, daß der Arbeitslose seinen Beitrag entrichtet hat, entscheidend ist aber wohl, daß er für den hiesigen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht. Es muß sichergestellt werden, daß dies auch künftig entscheidend bleibt und nicht durch andere Auslegungen europäisiert wird. Die Träger der Sozialhilfe würden sehr schnell die Begeisterung für Europa verlieren, wenn die Sozialhilfe nicht von bestimmten Voraussetzungen — wie z. B. der Dauer des Aufenthalts im Lande — abhängig bleibt.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Ähnliche Klärungen müssen auch im Krankenversicherungswesen erfolgen. In parlamentarischen Initiativen wurden in den vergangenen Monaten die Fakten aufgearbeitet und der Ist-Zustand beschrieben. Nun gilt es, die notwendigen Klärungen vorzunehmen. Dies ist im übrigen auch der Grund dafür, warum die CDU/CSU immer herausgestellt hat, daß es sich hier um die Rechte der Wanderarbeitnehmer handelt, und warum sie nicht etwa den Begriff „europäischer Bürger" verwendet hat. Diese Haltung ist sehr wohl zu begründen, denn es ist keine Diskriminierung, wenn EG-Ausländern der Zugang zu den Solidargemeinschaften nur unter der Voraussetzung gestattet wird, daß damit nicht nur Ansprüche auf Leistungen erworben, sondern auch Verpflichtungen zu ihrer Finanzierung übernommen werden.
Ich möchte einen weiteren, in engem Zusammenhang mit der Sozialpolitik stehenden Punkt ansprechen, der zunehmend auf Interesse stößt und besorgt macht. Es entstehen zunehmend Sorgen wegen des Einsatzes von Arbeitnehmern mit niedrigen Lohnkosten in Ländern mit hohen Lohnkosten. Es liegt auf der Hand, daß dadurch tatsächlich ein soziales Dumping neuer Art, eine Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft, ja ein geteilter Arbeits- und Sozialmarkt entstehen könnten.
Wenn sich die Bundesregierung hier eindeutig erklärt und darlegt, was sie getan hat, dann ist dies voll zu unterstützen. Es muß sichergestellt sein, daß die Arbeitsregelungen des Produktionsorts und nicht die des Heimatlandes gelten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mit dieser Skizzierung der eigentlichen Handlungsfelder möchte ich auch zum Ausdruck bringen, daß wir alles andere als eine Europäisierung der gesamten Sozialpolitik brauchen und daß wir auch nicht alles normieren und regeln müssen. Nationale Instrumentarien, die sich bewährt haben — ich nenne die Tarifpolitik — , sollen erhalten bleiben. Erinnern wir uns an die Entwicklung in unserem eigenen Land. Die SPD ist der Marktwirtschaft einstmals mit großer Skepsis begegnet.

(Jäger [CDU/CSU]: Heute tun es noch viele!)

14294 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Fuchtel
Aber die Marktwirtschaft schuf die Voraussetzung für unser heutiges Sozialniveau. Auch damals wurde nicht alles sofort gesetzlich geregelt, aber es hat sich dank der Vernunft der Sozialpartner und der Politik alles zum Guten entwickelt. Eine solche Chance haben wir auch in Europa, wenn wir die europäischen Fragen auf dem Pfad der Sozialen Marktwirtschaft gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118505700
Das Wort hat der Abgeordnete Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118505800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Straßburg sollte der Gipfel sein, auf dem die Europäische Sozialcharta mit einiger Feierlichkeit verabschiedet werden sollte. Gegen das Europa der wirtschaftlichen Interessen sollten nun wenigstens ansatzweise auch gemeinsame Interessen der Arbeitnehmer formuliert und diskutiert werden, und vielleicht sollten auch schon einmal Mindeststandards durchgesetzt werden.
Herausgekommen ist, daß die Charta zwischen Tür und Angel verabschiedet wurde. Verabschiedet wurde eine Charta ohne rechtliche Verbindlichkeit, die rein deklaratorischen Charakter hat, so daß selbst die dem Kapital ja nun wahrlich nicht so abgeneigte „Neue Zürcher Zeitung" berichtet: „Zyniker sprachen von einer Liquidierung der Charta."
Weiterhin sollte der Eintritt in die Phase verbindlicher Verhandlungen zur Bildung einer Währungsunion beschlossen werden. Hierzu gab es dann den Theaterdonner des Kanzlerbriefs. Der Kanzler entdeckte plötzlich, daß die Brüsseler Veranstaltung reichlich undemokratisch sei. Er hatte den beabsichtigten wahltaktischen Erfolg: Die Verhandlungen beginnen erst nach den Bundestagswahlen. Der Vorwurf des D-Mark-Weichmachers bleibt dem Kanzler vorläufig erspart. Danach war von seinem Herzensanliegen, von der Demokratisierung der EG, nichts mehr zu hören.
Es wäre nun viel dazu zu sagen, was diese permanente Zurücksetzung von Sozial- und Umweltinteressen gegenüber den ja nur taktisch etwas verzögerten Wirtschaftsinteressen für den Charakter der EG bedeutet.
Es wäre auch einiges zu sagen zur schiefen Schlachtordnung der SPD, die in ihren Presseerklärungen zum Straßburger Gipfel einerseits der Bundesregierung wahltaktische Verzögerungen in der Frage der monetären Integration vorwirft, damit also sagt, daß sie das natürlich viel konsequenter und schneller betreibe,

(Peter [Kassel] [SPD]: So ist es!)

andererseits zur Frage der Sozialcharta aber bedauert, daß sie so unverbindlich und folgenlos sei.

(Brück [SPD]: Wo ist da der Widerspruch?)

Wenn man den zukünftigen Charakter der EG mitbestimmen will, kann man sich nicht immer als der eifrigere Europäer darstellen, man muß dann gelegentlich auch einmal seine Prioritäten ordnen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118505900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118506000
Wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird. Sie merken, ich spreche sehr schnell.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118506100
Ja, ja.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1118506200
Herr Kollege Lippelt, können Sie mir mal den Widerspruch deutlich machen, den Sie da sehen?

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118506300
Ja, Herr Brück. Man kann beispielsweise sehr wohl sagen: In monetären Dingen, die eine Vertiefung der Integration bedeuten, treten wir so lange etwas kürzer, bis wir in anderen Dingen, die wir für wichtig halten, etwas weitergekommen sind. Das kann man schon mal machen.

(Brück [SPD]: Tolle Logik! Können wir ganz aufhören! — Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Dann kommt man gar nicht weiter!)

Aber diese Diskussion über den Gang der EG ist in einem Augenblick relativ unerheblich geworden, wo aus dem Straßburger Gipfel ein Gipfel der deutschen Frage wurde. Und so müssen wir denn hier über die Politik des Kanzlers sprechen, die ja nur zum Teil die Politik dieser Bundesregierung ist, wie sie sich seit der Zehn-Punkte-Erklärung über die Gipfel von Malta, Brüssel und Straßburg entwickelt hat.
Es ist schlimm und bedauerlich und es zeigt eine eklatante Mißachtung dieses Bundestages, daß wir diese Debatte über einen speziellen EG-Aspekt nutzen müssen, um die Politik des Kanzlers überhaupt einmal diskutieren zu können. Wir haben viele Regierungserklärungen aus zum Teil unerheblichen Anlässen erlebt — und ich höre, in der nächsten Woche haben wir schon wieder eine zur Gesundheitsreform —, Regierungserklärungen der Selbstdarstellung. Aber jetzt, wo wir einen Umbruch Europas erleben

(Brück [SPD]: Nächste Woche haben wir keine Sitzung mehr! — Esters [SPD]: Nächste Woche geht gar nichts!)

— nächste Sitzungswoche, habe ich gesagt — , wo wir einen Kanzler erleben, der sich allem Anschein nach in historische Dimensionen hineinträumt, werden uns Regierungserklärung und Debatte verweigert; denn so ist es ja.
Hat der Kanzler ein so schlechtes Gewissen, weil er weiß, daß er ein so ernstes Thema, wie es uns durch die demokratische Erhebung in der DDR aufgegeben ist, hier zu Wahlkampfzwecken mißbraucht? Sind die übrigen Fraktionen dieses Hauses so sehr beschäftigt, ihre eigenen Schlangenlinien und Pirouetten zu begradigen, daß sie mit uns nicht wenigstens eine gemeinsame Debatte vereinbaren konnten? Oder ist man im Grunde damit einverstanden, daß man, statt hier an dieser Stelle den Austausch von Argumenten und den Streit um die richtige Politik zu suchen, von vornherein lieber auf Parteitage zieht und Wahlkampf betreibt, Wahlkampf, der sich auf und in die DDR richtet und dort eine freie politische Willensbildung kaum noch zuläßt?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14295
Dr. Lippelt (Hannover)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den vergangenen Tagen konnte man Bilder aus der DDR sehen, die sehr widersprüchlich waren. Da gingen mit einer bewundernswerten Ruhe und Sachlichkeit Vertreter der Opposition in die Zitadellen der Unterdrükkung, in die Gebäude der Stasi, versiegelten die Akten, übernahmen die Waffen und händigten sie der Polizei aus. Auf der anderen Seite die Bilder von den Demonstrationen, insbesondere in Leipzig, wo doch alles so machtvoll angefangen hat. Die großartige Bewegung zerfällt in Befürworter und Gegner der Wiedervereinigung. Man streitet um Transparente. Die Stimmung wird bitter und aggressiv.
Dabei waren vor kurzem die Wünsche der Opposition noch identisch mit denen der Demonstrierenden. Man wollte Zeit zum Nachdenken. Man wollte den politischen Weg gehen, den man nun, befreit von der Diktatur, gehen konnte, und wollte ihn erst einmal für sich selbst erkunden. Und jetzt schrumpft alles auf die Frage der Wiedervereinigung, eine Frage, von der Sie alle hier in diesem Raume wissen, daß sie sich in den nächsten Jahren nicht stellen wird. Insofern tragen wir hier, trägt insbesondere der Bundeskanzler mit seinem Zehn-Punkte-Plan schwere politische Verantwortung.
Der Weg, auf dem sich die deutsch-deutschen Beziehungen, über die wir zu diskutieren haben, entwikkeln, ist von den tiefen Schlagschatten der Geschichte ebenso umgeben wie vom Mißgrauen und vom Argwohn der Nachbarn. Deshalb ist, was wir brauchen, eine ehrliche und nicht opportunistische nationale Debatte zwischen den beiden Deutschlands, zwischen uns hier in der Bundesrepublik und der Bevölkerung der DDR. Sie muß ehrlich sein, aber sie ist leider nur parteipaktisch und demagogisch. Es muß eine Debatte sein über das Bild von Deutschland, das wir in den Köpfen haben, und über die Vorstellungen eines Europas, in dem wir gemeinsam leben wollen.
Da die Zeit so kurz ist, kann ich hier nur stichwortartig einige Feststellungen treffen:
Erstens. Vor der deutschen Geschichte besteht das Bild einer deutschen Kulturnation in verschiedenen Staaten weit besser als das eines Einheitsstaats. Die Finalität des 10-Punkte-Programms des Bundeskanzlers ebenso wie die an diesem Wochenende von der SPD beabsichtigte Erklärung verengen deshalb in verhängnisvoller Weise die Diskussion.
Zweitens. Nochmals: Sie setzen sich über die Mehrheit hinweg, die in der DDR so tapfer begonnen hat, vor einigen Monaten zu sagen: Wir bleiben hier in unserem Land. Friedrich Schorlemmer sagte bei der Verleihung der Ossietzky-Medaille : „Die Feigen von gestern sind die Radikalen von heute. " Das bedeutet: Die von den großen Parteien der Bundesrepublik in die DDR hineingetragenen Wirkungen führen auch zu Radikalisierungen auf dem rechten Flügel der sich erst herausbildenden Meinung. Ich vermute, daß der Bundeskanzler eine Ernte sät, die andere in ihre Scheuer fahren werden.
Drittens. Man kann nicht die demokratische Erhebung in der DDR, die Sprechchöre „Wir sind das Volk", als schönsten Ausdruck der Volkssouveränität feiern und gleichzeitig sie vereinnahmen wollen.
Souveränität muß von innen bestimmt werden, nicht von außen. Die Wirtschaftsexperten des Neuen Forums haben vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz hier in Bonn zu Recht dagegen protestiert, daß „verschiedenartigste Persönlichkeiten und Institutionen der BRD mit den bisherigen Vertretern der alten Machtstrukturen des überlebten Staatsgefüges bereits Absprachen und Vereinbarungen treffen, die auf keinem einheitlich abgestimmten Gesamtkonzept beruhen und große Gefahren für die Zukunft der DDR beinhalten. Dies trifft auch für den bevorstehenden Besuch des Bundeskanzlers Kohl am 19. Dezember 1989 in Dresden zu".
Viertens. So sehr die Bundesregierung und jetzt auch die SPD betonen, daß jede Deutschlandpolitik in Europapolitik eingebettet sein müsse, Zehn-PunkteProgramm des Bundeskanzlers und die bevorstehende Berliner Erklärung sind in ihrem Kern leider nur nationale Politik mit europäischer Bemäntelung. Denn in diesen Erklärungen findet sich keine Diskussion europäischer Möglichkeiten. Dafür ein Beispiel: Wenn die SPD schon in einem Sofortprogramm die Vorbereitung einer Währungsgemeinschaft mit der DDR fordert, andererseits aber beklagt, daß die EG-Regierungskonferenz unnötig verzögert wird, so muß sie nun wirklich sagen, was für eine Währung sie denn haben will und was sie zuerst und was sie danach haben will. Es ist eine klare Doktrin der Zwölf, daß jegliche Erweiterung der EG erst nach einer Integration stattfinden soll.
Fünftens. Überhaupt hat die handlungsleitende Doktrin der Regierung, der sie tragenden Parteien und der SPD, die Bundesrepublik müsse ein Vorreiter der westeuropäische Integration sein, da sie nur dann unbeargwöhnt Deutschlandpolitik betreiben könne, mehr den Charakter einer rituellen Beschwörung an sich als den eines rationalen Gedankens. Hätte der Bundeskanzler in Straßburg nicht viel besser dagestanden, wenn er statt zu taktieren eine politische Diskussion über die Zukunft der Strukturen Gesamteuropas, insbesondere der Strukturen des Wirtschaftsraumes des ehemligen RGW, gefordert hätte?
Sechstens. Gorbatschow macht zu Recht darauf aufmerksam, daß die Reformbewegung in Mittelosteuropa ohne die Politik der Perestroika nicht denkbar ist. Der Bundeskanzler hat in Lublin zu Recht betont, daß ohne die Entwicklung in Polen und Ungarn die in der DDR nicht denkbar gewesen sei. Wie bestimmt sich nun das Verhältnis der deutsch-deutschen Politik zur deutsch-polnischen oder deutsch-sowjetischen? Wenn man die finanziellen Dimensionen der jetzt im Zehn-Punkte-Programm des Bundeskanzlers wie auch in dem der SPD angelegten Politik mit den über zwei Jahre verhandelten finanziellen Dimensionen des deutsch-polnischen Durchbruchs vergleicht, so ergibt sich daraus kein Bild einer guten europäischen Politik. Allein die für die Ermöglichung des Reiseverkehrs angesetzte Stützungssumme übersteigt um ein Mehrfaches das Polen zur Verfügung gestellte frische Geld. Es wäre für die Zukunft Mittelosteuropas verhängnisvoll, wenn der Zusammenhang der Demokratiebewegung etwa an der Oder oder am Bug zerreißen würde.
14296 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Lippelt (Hannover)

Siebtens. Wie wenig sich nationale Politik als europäische Politik verkaufen läßt, machen die internationalen Rückwirkungen auf die Politik des Bundeskanzlers seit Verkündung des Zehn-Punkte-Programms deutlich. Richtig ist natürlich, daß weder die USA noch Frankreich und selbst nicht die Nachbarn in Osteuropa den Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR den Wunsch nach freier Selbstbestimmung, auch über eine eventuelle gemeinsame staatliche Existenz, bestreiten. Nur, deutlich ist auch, daß sie das Vorgehen des Bundeskanzlers für einen nationalen Alleingang halten und daß sie dagegen nun allerdings nachdrücklich Einspruch einlegen.
Achtens. Das dürfte ganz besonders verursacht sein und verschärft werden durch die in Straßburg nun erneut vorgetragene Weigerung des Bundeskanzlers, die Oder-Neiße-Grenze ohne Wenn und Aber anzuerkennen.
Daß die „FAZ" am Montag dieser Woche eine von ihr übernommene, mißverständliche Reuter-Meldung unter der Schlagzeile „Die Oder-Neiße-Linie in Straßburg nicht anerkannt" korrigieren mußte, ist eine nicht mehr zu überbietende Peinlichkeit. Da diese Position des Bundeskanzlers in diesem Hause ganz klar keine Mehrheit mehr hat, ist es eine Frage an die FDP, wie lange sie sich noch weiterhin in ihrer Haltung vom Bundeskanzler beschädigen lassen will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Neuntens. Wer zu einer echten Europapolitik zurückfinden will, wird den KSZE-Prozeß dem Prozeß einer EG-Integration einerseits und einer Öffnung der EG für Osteuropa andererseits überordnen müssen.
Das Programm der SPD, die DDR privilegiert in die EG hineinzuheben, wie andererseits das Programm des Bundeskanzlers, die EG vage für offen zu erklären
— von der Elbe bis zum Ural — haben einen zu unbestimmten Charakter und sind damit dem Argwohn gegen eine voluntaristische deutsche Politik zu sehr offen, als daß sie nicht der Einbettung in ein gesamteuropäisches, politisches Gespräch bedürften.

(Fuchtel [CDU/CSU]: Das ist doch schon politologisch!)

— Sie können es ja nachlesen, vielleicht ist es für Sie dann einfacher.
Deshalb möchten wir Sie mit allem Nachdruck auffordern, den Vorschlag Gorbatschows für eine Helsinki-II-Konferenz zu unterstützen.
Meine Fraktion hat selber schon im September einen Antrag eingebracht, der jetzt dem Auswärtigen Ausschuß zur Beratung vorliegt. Es geht um die Einführung des Themas „Schriftliche Fixierung einer Europäischen Friedensordnung in den KSZE-Prozeß".
Natürlich kann eine solche Konferenz erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres stattfinden, erst dann, wenn die DDR ihre demokratisch legitimierten Repräsentanten gewählt hat. Dann allerdings sind die Fragen reif zur Behandlung: die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ohne Wenn und Aber unter Ausräumung des Grundgesetzvorbehalts durch international rechtlichen Vertrag ohne neuen Vorbehalt, die Frage der Zukunft der DDR, die Frage einer radikalen Entmilitarisierung Mitteleuropas, die
Frage eines breitangelegten Unterstützungsprogramms für Mittelosteuropa, die Fragen der Entwicklung transnationaler, gesamteuropäischer, demokratischer Institutionen.
Die Aufgaben legen uns eine große Verantwortung auf. Sie können allerdings durch eines ruiniert werden: durch einen nationalistischen Wahlkampf.
Ich bedanke mich für die Geduld, mit der mir die Sozialpolitiker erlaubt haben, eine außenpolitische Rede zu halten, die ich mangels Bereitschaft der Regierung anders nicht loswerden konnte.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Doch! Wir haben heute nachmittag eine Aktuelle Stunde! — Gegenruf Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Was können wir in fünf Minuten sagen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118506400
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118506500
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Beiträge der Opposition zeigen, daß sie entweder nichts zur Sozialdimension Europas zu sagen hat oder hier allgemeines Geschwafel vorziehen will.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Es gibt wichtigere Fragen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Freie Demokraten begrüßen die Verabschiedung der europäischen Sozialcharta am vergangenen Wochenende.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit! Was fällt Ihnen denn ein, das als „Geschwafel" zu bezeichnen! Was soll denn das?)

— Das war ein allgemeiner Rundumschlag, der mit der Tagesordnung überhaupt nichts zu tun hat.

(Dr. Wieczorek [SPD]: Dann kennen Sie aber nicht die Anträge! Was ist das überhaupt für ein Verfahren?)

— Jetzt hören Sie doch einmal zu!

(Dr. Wieczorek [SPD]: Lesen Sie einmal, was darin steht!)

— Wenn ich weitermachen kann, dann sagen Sie es.

(Peter [Kassel] [SPD]: Wir machen eine Lesepause!)

Ich sage deutlich, daß wir die Verabschiedung der Sozialcharta in Straßburg am vergangenen Wochenende ausdrücklich unterstreichen. Wenn diese Charta auch rechtlich unverbindlich ist, so wird durch sie zum erstenmal nach außen hin dokumentiert, daß die sogenannte soziale Dimension des europäischen Binnenmarktes keine leere Worthülse ist. Ihre psychologische und vor allen Dingen auch ihre politische Wirkung sollte man nicht unterschätzen.
Damit wird anerkannt, daß Sozialordnung und Wirtschaftsordnung eben keine voneinander losgelösten und getrennten Dinge sind, sondern daß sie sich ge-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14297
Heinrich
genseitig ergänzen bzw. sich wechselseitig bedingen.
Wir sollten dabei nicht vergessen, daß auch unsere Soziale Marktwirtschaft ihren Erfolg nicht nur ihrer hohen Effizienz und Leistungsfähigkeit verdankt, es war auch die Fähigkeit zum sozialen Ausgleich und zum sozialen Konsens,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

durch die die Zustimmung der Bürger zu eben dieser Wirtschaftsordnung sichergestellt werden konnte.
Diese Interdependenz der Ordnungen gilt es auch bei der Weiterentwicklung der europäischen sozialen Dimension zu berücksichtigen, d. h. sich insbesondere darüber im klaren zu sein, daß sozialer Fortschritt ohne steigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit undenkbar ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das heißt wiederum, daß die soziale Dimension Europas vor allem in den positiven Impulsen liegt, die vom Binnenmarkt, vom Wachstum, von Beschäftigung und vom Wohlstand ausgehen. Denn auch in Europa gilt das, was bei uns gilt: Nur das, was erwirtschaftet wird, kann auch verteilt werden.
In einer wirtschafts- und sozialpolitischen Gesamtschau für Europa muß es meines Erachtens darum gehen, zum einen die wirtschaftlichen Möglichkeiten und beruflichen Fähigkeiten der Menschen in den schwächeren Mitgliedstaaten stärker zur Entfaltung zu bringen und damit dort die Voraussetzungen für den sozialen Fortschritt zu verbessern. Ich denke hierbei z. B. an die bessere Schulausbildung, an die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Hochschulabschlüssen, den verstärkten Ausbau der Beruf schulausbildung. Andererseits dürfen aber auch die sozialen Errungenschaften der wirtschaftlich stärkeren Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden.
Die traditionellen, gewachsenen Strukturen in den Mitgliedstaaten müssen erhalten bleiben. Sie sind, für sich genommen, jeweils ein Stück der jeweiligen nationalen Identität. Dies gilt insbesondere auch für das soziale Netz in den jeweiligen Mitgliedstaaten.
Die sozialen Sicherungssysteme unterscheiden sich in Europa ausgesprochen stark voneinander. Nehmen Sie einmal als Beispiel nur die unterschiedliche Ausgestaltung, Finanzierung, Leistungen der jeweiligen nationalen Alterssicherungssysteme in Dänemark und in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird völlig klar, daß es nicht nur schwierig, sondern sogar kontraproduktiv wäre, darüber einen sozialen Einheitstopf zu stülpen oder, mit anderen Worten, eine Harmonisierung um jeden Preis zu betreiben. Wer das Zusammenwachsen Europas auch in seiner sozialen Dimension will, der darf gerade nicht mit dem Rasenmäher Harmonisierung möglichst alles auf einmal auf ein Niveau bringen wollen. Eine zu weitgehende Harmonisierung müßte das ökonomische Nord-Süd-Gefälle in Europa tendenziell verstärken und damit destabilisierend auf die Gemeinschaft wirken. Auch der Akzeptanz europäischer Entwicklungen in der Bevölkerung wäre wenig gedient.
Das bedeutet allerdings nicht, daß es im Bereich der sozialen Ausgestaltung Europas keinen gemeinschaftlichen Handlungsbedarf gibt. Erst kürzlich hat darauf noch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einem lesenswerten Kapitel seines Jahresgutachtens hingewiesen.
Den sozialen Mindeststandards, die die notwendigen Freiräume für Abweichungen nach oben zulassen, und die im Interesse der Schaffung und des Funktionierens des gemeinsamen Marktes für erforderlich gehalten werden, wird niemand etwas einzuwenden haben. Ich halte sie auch deswegen für wichtig, um die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs, in Grenzen zu halten.
Der Bundesarbeitsminister hat für die Bundesregierung in Konsens mit den Tarifparteien neun konkrete Aktionsfelder aufgezeigt. Ich habe dabei insbesondere die Tatsache, daß im Konsens zwischen Regierung und Tarifparteien ein sozialpolitisches Aktionsprogramm erarbeitet wurde, für außerordentlich wichtig. Dies sollte für die weitere Entwicklung beispielhaft sein. Es ist zu hoffen, daß die EG-Kommission diese Punkte aufgreift, wenn sie an die Konkretisierung der Sozialcharta geht.
Die Chance zur Berücksichtigung der sozialen Dimension innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist auch eine Chance für die Frauen. Dabei geht es weniger darum, zusätzliche Schutzvorschriften für Frauen zu schaffen, vielmehr um die Harmonisierung der sozialen Situation der Frauen. Frauen sollen frei über ihre Erwerbstätigkeit entscheiden dürfen. Wo, wann und in welchem Bereich sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen können, muß im persönlichen Interesse der Frauen liegen. Ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich auf die Vorreiterrolle der Bundesrepublik bei der Realisierung frauenpolitischer Anliegen hinweise.

(Peter [Kassel] [SPD]: Das sah aber der Europäische Gerichtshof anders, Herr Kollege!)

Die Erhöhung des Zweitkindergeldes, die Verlängerung des Erziehungsgeldes, die steuerliche Entlastung für Familien, um nur die frauenpolitisch wichtigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode zu nennen, sprechen eine deutliche Sprache.
Aber all diese Maßnahmen waren nur machbar, weil eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik und ein stetiges Wirtschaftswachstum als Ausgangsbasis vorhanden waren und sind.
Mit der materiellen Konkretisierung der Sozialcharta darf allerdings nicht die formale Verlagerung von Kompetenzen der nationalen Regierungen an die EG-Kommission einhergehen.
Inwieweit für eine Verabschiedung von Richtlinien Einstimmigkeit im Rat erforderlich ist, oder ob für einzelne Punkte des Aktionsprogramms eine qualifizierte Mehrheit ausreicht, ist für mich z. B. eine ganz entscheidende Frage.
Ich bin daher mit dem Bundesrat in seinem Beschluß zum Entwurf einer Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte einer Meinung, daß der Grundsatz der Subsidiarität in sozialpolitischen Angelegenheiten zu wahren ist. Und nach der Europäischen Akte liegt die
14298 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Heinrich
Sozialpolitik entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip eben ganz überwiegend in der Verantwortung der Mitgliedstaaten.
Gemeinschaftsangelegenheiten können soziale Fragen nur mit Einstimmigkeit aller Mitgliedsländer werden. Dabei sollte es bleiben.
Ich weiß, daß die Kommission ebenso wie das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof z. B. den Art. 118 a der Europäischen Akte so weit wie möglich auslegen möchten, um damit mehr Kompetenzen an sich zu ziehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118506600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wieczorek-Zeul?

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118506700
Ja, bitte sehr. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118506800
Ich wollte gern nachfragen, wie Sie die Position, die Sie eben beziehen, nämlich daß solche Fragen nur auf der Basis der Einstimmigkeit im Rat entschieden werden können, und den Wunsch auch der FDP-Europaabgeordneten nach einem Gesetzgebungsprozeß, der dem Europäischen Parlament mehr Möglichkeiten der Mitwirkung gibt und der notwendigerweise eben nicht das Einstimmigkeitsprinzip im Rat zur Voraussetzung haben kann, miteinander vereinbaren können und ob Sie sich da nicht im Widerspruch zu Ihrem Grundsatzprogramm und auch zu der immer wieder geäußerten Überzeugung befinden, daß das Europäische Parlament mehr Rechte braucht?

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118506900
Frau Kollegin, wir beide sind uns sicher darüber einig, daß das Parlament mehr Rechte braucht. Ich bin aber der Meinung, daß in Fragen der sozialen Dimension in Europa die Einstimmigkeit im Rat hierzu nicht im Widerspruch steht.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Aber natürlich!)

Sie steht nicht im Widerspruch,

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Aber praktisch doch!)

weil wir eine Unterscheidung in den Einstimmigkeitsbeschlüssen durchaus als erträglich empfinden können. Wir brauchen nicht grundsätzlich für alle Beschlüsse Einstimmigkeit. Hier kann durchaus unterschieden werden. Und wir sind der Meinung, daß im sozialpolitischen Bereich die Einstimmigkeit so nicht vollzogen werden sollte.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Habe ich Sie richtig verstanden: Im sozialpolitischen Bereich keine Einstimmigkeit?)

— Ja.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist sehr schön!)

Ich habe gerade von dem Art. 118a und davon gesprochen, daß die Bestrebungen der Kommission, immer mehr Kompetenzen an sich zu ziehen, hier sehr deutlich zu spüren sind. Ich weiß auch — wir haben dies in der Beschlußempfehlung unseres Ausschusses
zu diesem Artikel niedergelegt — , daß diese Vorschrift des EWG-Vertrags ein Rechtsinstrument ist, das hervorragend geeignet ist, Harmonisierungsprozesse im Bereich der EG-Sozialpolitik zu beschleunigen. Aber diese schleichende Ausdehnung der Regelungskompetenz birgt ihre Gefahren in sich.
Wir haben daher in der gleichen Beschlußempfehlung gesagt, daß jede Interpretation des Art. 118 a sich nur an der engen Zielsetzung dieser Vorschrift, nämlich daran, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen, zu orientieren hat.
Wer gestalten möchte, muß wissen, was die Realität ist. Und die Realität im sozialpolitischen Bereich — so fürchte ich — ist vielen noch gar nicht in vollem Umfang geläufig. Der von mir bereits zitierte Sachverständigenrat sagt in seinem Gutachten völlig zu Recht, daß im Zuge der Vorbereitung des europäischen Binnenmarktes die soziale Dimension lange Zeit hinter der Erörterung monetärer und finanzpolitischer Integrationsaspekte zurückstand. Dies mag erklären, daß manche bedenkliche Entwicklung erst relativ spät erkannt worden ist.
Aber dies kann selbstverständlich nicht bedeuten, daß dieses Bedenkliche nun einfach übergangen oder unter den Tisch gekehrt werden dürfte. Das gilt insbesondere für den möglichen Export von Sozialleistungen, z. B. bei der Zahlung von Kindergeld, in der Krankenversicherung, beim Arbeitslosengeld und in der Sozialhilfe. Es ist meines Erachtens nicht zu vertreten, daß Länder mit hohem Leistungsniveau und niedrigen individuellen Leistungsvoraussetzungen durch Gerichtsbeschluß oder durch Verordnungen gezwungen werden, ihre Leistungen in andere Länder auszuführen. Das Kindergeld z. B. ist ein Instrument des Familienlastenausgleichs in der Bundesrepublik, bei dem sich die Leistungshöhe an den Kosten und Lebensverhältnissen des Landes orientieren muß, in dem die Kinder leben.
Im Bereich der Krankenversicherung muß das Äquivalenzprinzip aufrechterhalten werden, d. h. also, daß Leistungen der sozialen Versicherung nur derjenige erhält, der sich auch an der Finanzierung beteiligt hat.

(Zustimmung des Abg. Fuchtel [CDU/ CSU])

Und ein Arbeitsloser kann nur dann Arbeitslosengeld beziehen, wenn er dem Arbeitsmarkt des Landes, das die Unterstützung zu leisten hat, auch zur Verfügung steht.
Wenn wir hier den tendenziell gegenläufigen Vorstellungen der Kommission und den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs folgen müssen, dann drohen für unsere Sozialversicherungssysteme weitreichende finanzielle Konsequenzen.
Wenn man liest, daß die EG-Kommission im Zusammenhang mit nationalen portugiesischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit an die dortige Regierung schreibt, daß sie gegen die Durchführung solcher Maßnahmen keine Einwendungen erhebt, daß mit anderen Worten nationale Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik von der Genehmigung durch die EG-Kommission
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14299
Heinrich
abhängig sein sollen, dann kann man nur ahnen, was da gegebenenfalls auf uns zukommen könnte, wenn wir nicht rechtzeitig und immer wieder auf die institutionellen Grenzen der sozialpolitischen Zuständigkeit der Kommission hinweisen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich meine, daß das Territorialitätsprinzip, d. h. der Grundsatz, nach dem Leistungen der sozialen Sicherung nur an den gezahlt werden, der innerhalb der Grenzen des Landes Ansprüche erworben hat, und die Zahlung auch nur innerhalb des Landes erfolgt, unbedingt beibehalten werden muß.
Wir haben dies ja auch in unserer Beschlußempfehlung zur EG-Sozialcharta verankert, in der es heißt, daß für die Gewährung von Sozialleistungen auch künftig uneingeschränkt das Territorialitätsprinzip gelten muß. Eine Aufgabe des Prinzips wäre das Ende jeglicher nationaler Sozialpolitik.
Die Grenzen der Harmonisierung und Europäisierung von Sozialleistungen müssen dort gezogen werden, wo sie zu einer Beeinträchtigung der Stabilität der sozialen Sicherungssysteme jener Länder führen, die die Kosten dafür zu tragen haben.
Dies dient im übrigen, wie ich vorhin schon sagte, auch den strukturschwachen Ländern mit niedrigem Leistungsniveau. Eine zu schnelle und überzogene Zwangsharmonisierung würde die Wettbewerbschancen dieser Länder deutlich verringern.
Ich bin insofern ganz entschieden der Auffassung, daß eine — auf diese Weise bewirkte — internationale Umverteilung nicht die Aufgabe der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedsländer sein darf und sein soll.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal den Sachverständigenrat zitieren; die Lektüre seiner Aussagen lege ich jedem Interessierten sehr ans Herz. Er warnt davor, das Mehrheitsprinzip zum allgemeinen Prinzip zu erheben, weil dies bedeuten würde, daß Länder mit niedrigem Sozialleistungsniveau eine Zugriffsmöglichkeit auf die Sozialbudgets anderer Länder erhalten würden, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Das unterstreicht, Frau Kollegin, deutlich meine Aussage, warum wir die Mehrheitsentscheidung in diesem Bereich nicht wollen. Wir sollten diese Warnung ernst nehmen;

(Zuruf des Abg. Peter [Kassel] [SPD])

denn, Herr Kollege Peter, dem Rausch folgt der Kater. Auch die soziale Dimension käme so bald in Mißkredit, und sie würde statt zu einer Belebung zu einer Belastung der europäischen Integration.
Was wir brauchen, ist daher eine behutsame Ausfüllung der sozialen Dimension Europas mit Augenmaß, die das Machbare in Übereinstimmung mit den Sozialpartnern und den nationalen Parlamenten angeht, aber andererseits auch die Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz der jeweiligen Volkswirtschaften und Gesellschaften nicht überfordert.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118507000
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118507100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schlagzeilen dieser Tage und Wochen kommen aus Leipzig, Dresden, Berlin, aus Warschau, Budapest, Prag, Sofia. Die deutsche Frage, die epochalen Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa schlagen uns, schlagen die ganze Welt in Bann. Wenn gerade in diesen Tagen der Deutsche Bundestag zum wiederholten Male die Fragen der Integration der Europäischen Gemeinschaft in den Mittelpunkt seiner Debatten stellt, so unterstreicht dies, daß die deutsche Einheit und die europäische Integration keine Gegensätze sind, sondern sich einander bedingen. Ich habe auch noch nie verstanden, warum wir das zum Gegensatz machen, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, wie ich es heute morgen in Ihrem Beitrag mehrfach empfunden habe.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört! Der Herr Rühe sagt das!)

— Einem Franzosen würde niemand zumuten, er müsse ein weniger guter Franzose werden, um ein besserer Europäer zu sein. Wir können doch beides sein.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Nur das politische Verhalten in dem Konzert!)

Auch wenn man die Prämisse akzeptiert, daß deutsche Einheit nicht eine Sache des Alleingangs ist, auch wenn man die Prämisse akzeptiert, daß sie im Zusammenhang mit europäischer Ordnung steht, dann enthebt es uns doch nicht der Antwort auf die Frage, was wir wollen. Auf diese Frage antworte ich: Ich will Wiedervereinigung. Darüber haben die Deutschen in der DDR zu entscheiden, und darüber haben wir zu entscheiden. Aber die Frage darf nicht umgangen werden, als sei das etwas Unschamhaftiges.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Aber die Frage ist, wie man solche Fragen in den politischen Prozeß einbringt!)

Auch wenn die deutsche Frage offen ist, enthebt es uns nicht der Pflicht, unsere Position jedermann klarzumachen. Wenn eine Tür offen ist, muß ich trotzdem entscheiden, ob ich durch will oder nicht.
Der Vorwurf, den Sie heute morgen gegenüber den zehn Punkten gemacht haben, erinnert mich an einen Vorwurf, den Sie vor wenigen Wochen gemacht haben, der Kanzler würde zur deutschen Frage keine konkreten Punkte vorlegen. Jetzt legt er sie vor, und jetzt sagen Sie wieder, das wäre auch nicht gut. Ja, was gilt denn?

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Begrüßen Sie diese Wirkungen in Leipzig, diesen bitteren Streit und die Demonstrationen?)

14300 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Blüm
— Ich begrüße die Wirkung, daß die Bundesrepublik einen Beitrag leistet, wie wir uns die deutsche Einheit vorstellen. Niemand wird damit überwältigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist unser Debattenbeitrag. Ich sage: Ich möchte Wiedervereinigung. Das heißt nicht, daß der Faden dort wieder angeknüpft wird, wo er gerissen ist.

(Peter [Kassel] [SPD]: Sagen Sie einmal, was es heißt und was es nicht heißt!)

Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß einsteigen. Aber es heißt, daß wir wieder vereint sein wollen unter einem nationalen Dach.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Dann sagen Sie auch dazu, in welchen Grenzen!)

— Frau Wieczorek-Zeul, auch dazu etwas. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Entschließung am 8. November gesagt:
Das polnische Volk ist vor fünfzig Jahren das erste Opfer des von Hitler-Deutschland vom Zaune gebrochenen Krieges geworden. Es soll wissen, daß sein Recht, in sicheren Grenzen zu leben, von uns Deutschen weder jetzt noch in Zukunft durch Gebietsansprüche in Frage gestellt wird.

(Dr. Wieczorek [SPD]: Der Kanzler soll das auch sagen, auch woanders!)

Wollen wir uns das jetzt jeden Tag durch Wiederholungen bestätigen? Ich finde, dieser Wiederholungszwang ist eher ein Faktor der Unsicherheit.

(Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD] und Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE] melden sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118507200
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118507300
Bitte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118507400
Ich weiß jetzt nicht genau, wer sich von Ihnen zuerst gemeldet hat. Lassen wir der Dame den Vortritt. Bitte schön, Frau WieczorekZeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118507500
Herr Blüm, ist Ihnen bekannt, daß François Mitterrand unter Bezug auf den Europäischen Rat in Straßburg gesagt hat, es sei besser, wenn diese Sache dort ausgesprochen würde, statt daß es immer nur sozusagen unter der Hand zugestanden werde, und wie stehen Sie dazu?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118507600
Wir haben nicht etwas unter der Hand

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Natürlich!) und nicht neben der Tagesordnung — —


(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Der Kanzler Kohl schon!)

— Bundeskanzler Helmut Kohl und Mitterrand, hier
im Kanzleramt nebeneinander sitzend, haben sich
beiderseitig vor aller Öffentlichkeit auf Wiedervereinigung verpflichtet. Es kann sein, daß Sie da nicht anwesend waren.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Es geht um die Frage der polnischen Westgrenze, Herr Blüm!)

— Zur Oder-Neiße-Grenze habe ich Ihnen doch unsere Position klar und deutlich gesagt.

(Dr. Wieczorek [SPD]: Das sagt aber der Kanzler nicht!)

Soll ich Ihnen noch eine sagen? Ich will Ihnen noch eine hinzufügen. — Seien Sie doch nicht so aufgeregt! Warum denn so aufgeregt? — „Wir haben leider keinen Friedensvertrag. Wir sind nicht so souverän, über Grenzen endgültig verfügen zu können. Die Rechtslage ist klar." Dieser Text stammt nicht von mir, der stammt auch nicht vom Bundeskanzler. Er stammt von Egon Bahr aus einem Brief vom 13. Juli an den Vorsitzenden der CSU.
Lassen Sie mich doch für uns gemeinsam feststellen: Das ist die Meinung des Deutschen Bundestages. Warum wollen Sie die eigentlich täglich wiederholt wissen? Merken Sie nicht, daß Sie durch die Wiederholung Zweifel an unserer Absicht säen und den Polen dadurch gar nicht helfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118507700
Herr Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118507800
Vielen Dank, Herr Minister. Finden Sie es dann zusammen mit mir bedauerlich, daß die „FAZ" am Montag die Schlagzeile schreiben muß: „Die Oder-Neiße-Linie in Straßburg nicht anerkannt"?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118507900
Ich begebe mich nicht in die Philologie von Zeitungen. Ich begebe mich in die eindeutige Festlegung des Deutschen Bundestages; ich begebe mich in die eindeutige Erklärung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung. Das ist die Position. Ich habe keine weiteren Interpretationen zu liefern.

(Abg. Dr. Wieczorek [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn ich zu dem Thema, das dieser Tagesordnung gestellt ist, zurückkehren könnte. Aber ich will Ihnen die Frage natürlich nicht verweigern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118508000
Bitte schön, Herr Wieczorek.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118508100
Die Frage ist ganz einfach und kurz. Herr Bundesminister, können Sie uns hier erklären, wann und wo der Kanzler genau diesen Text des Bundestages etwa bei seinem Polenbesuch genannt hat? Können Sie mir, wenn er es gemacht hat, dann erklären, warum der Vorsitzende des polnischen Parlaments gestern hier in Bonn geäußert hat, er hätte sich gewünscht, daß diese Klarstellung endlich erfolgt?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118508200
Ich kann die Meinungsäußerungen des Präsidenten des polnischen Parlaments nicht interpretieren. Ich interpretiere die Entschließung des Deut-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14301
Bundesminister Dr. Blüm
sehen Bundestages, mitbeschlossen und mitproklamiert durch den Bundeskanzler in Übereinstimmung mit seiner Regierungserklärung. Ich bedaure es, meine Damen und Herren, daß wir diese Frage pausenlos in den Mittelpunkt stellen.
Die Meinungsbildung ist eindeutig. Die aufregende Frage ist, wie die Mauer fällt, wie die Grenze mitten in Deutschland fällt. Das ist die Frage, die in dieser Zeit die Herzen der Menschen bewegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht darum, wie wir europäische Einheit und deutsche Einheit miteinander verbinden, wie wir sie nicht in Gegensätze bringen. Es geht auch darum, daß wir sagen, was wir wollen. Ich beantworte diese Frage: Ich will Wiedervereinigung. Wenn jemand sie nicht will, muß er das sagen. Dann müssen wir in der Bundesrepublik und in der DDR abstimmen.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Herr Blüm, sagen Sie doch etwas zu der Frage „Wann?"!)

Daraus ergibt sich das Handlungskonzept für die Zukunft.
Ich will ausdrücklich aus den zehn Punkten zitieren:
Die EG darf nicht an der Elbe enden, sondern muß die Offenheit auch nach Osten wahren.
So einer der zehn Punkte aus der Erklärung des Bundeskanzlers.
Die EG als Fundament einer neuen gesamteuropäischen Friedensordnung — ich bin sicher, es ist nicht zuletzt der Prozeß des friedlichen Zusammenwachsens der westeuropäischen Staaten, der die Menschen in ganz Europa von Portugal bis zum Ural, von Irland bis Rumänien fasziniert. Gerade von diesem freiheitlichen Prozeß geht doch die Faszination aus, die Hoffnung und Zuversicht gibt. Deshalb brauchen wir einen stetigen, von allen Bürgern akzeptierten Integrationsprozeß. Deshalb brauchen wir eine intakte Europäische Gemeinschaft als Fundament und als stabiles Element einer neuen gesamteuropäischen Friedensordnung.
Jetzt zitiere ich die EG-Kommission:
Der Zustand der Gemeinschaft zu Beginn des neuen Jahrzehnts ist vielversprechend. Wichtige Schritte zur wirtschaftlichen, finanziellen, monetären und sozialen Integration der Gemeinschaft wurden unternommen.
Ich will nur ein paar Fakten aus den zehn Jahren nennen: 3,5 % Wachstum haben wir, knapp 2 Millionen neue Arbeitsplätze und Rückgang der Arbeitslosenquote. Wir sind bei weiten noch nicht am Ziel. Ich stehe hier nicht mit Zielangaben. Aber wir sind wichtige, bedeutende Schritte vorwärtsgekommen, und das alles bei halbwegs stabilen Preisen. Das ist doch eine Bilanz, auf die wir stolz sein können. Bei den wirtschaftlichen Indikatoren liegen wir in der Bundesrepublik besser, bei der Beschäftigung sogar deutlich besser als der EG-Durchschnitt. Wir haben zu Hause unseren Beitrag für eine intakte Europäische Gemeinschaft geleistet.
Aber auch auf der Gemeinschaftsebene ist auf sozialpolitische Fortschritte zu verweisen, die maßgeblich auf Anstöße und Initiativen aus der Bundesrepublik zurückzuführen sind. Ich möchte den Arbeitsschutz an erster Stelle nennen. Hier sind wir schon weit über das Stadium politischer Absichtserklärungen hinaus und können, Frau Wieczorek-Zeul, auf ein ganzes Bündel konkreter Maßnahmen und Richtlinien verweisen. Warum wollen Sie das zu einem Papiertiger herunterspielen? Ich will nur ein paar konkrete Rechtsakte nennen: die neue Rahmenrichtlinie für einen umfassenden Arbeitsschutz.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Wir sprechen über die Sozialcharta!)

— Ist das nicht soziale Dimension? Das ist nicht die philosophische soziale Dimension, sondern die ganz handfeste.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Ich habe von der Charta, von den sozialen Grundrechten gesprochen!)

Fünf Einzelrichtlinien sind endgültig verabschiedet. Dabei geht es um konkrete Regelungen über Notausgänge, Brandbekämpfung, Lüftung, Beleuchtung, Raumtemperatur, Fußböden, Verkehrswege, Pausen- und Sanitärräume. Ich weiß, daß man sich großspurig darüber hinwegsetzt.
Der sozialpolitische Fortschritt, dem ich verpflichtet bin, ist immer ganz konkret.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn von den großen Erklärungen können sich die Arbeiter weder in Palermo noch in Bochum etwas kaufen.

(Beifall des Abg. Fuchtel [CDU/CSU])

Ich sehe im Arbeitsschutz in der Tat eine Gelegenheit, die soziale Dimension europaweit einheitlich zu gestalten. Krebs ist in Neapel genauso gefährlich wie in Gelsenkirchen. Deshalb brauchen wir einheitliche Grenzwerte.
Ich sehe wie der Kollege Heinrich und der Kollege Fuchtel, daß das nicht im ganzen Feld der Sozialpolitik möglich ist. Da würde ich mich auch sehr gegen Mehrheitsentscheidungen wehren. Wollen Sie aus einem staatlich finanzierten Gesundheitssystem in England und einem — Gott sei Dank — beitragsfinanzierten Gesundheitssystem in Deutschland mit Mehrheitsentscheidungen ein drittes bilden?

(Heinrich [FDP]: Das hat die SPD doch nicht kapiert!)

Wie wollen Sie Alterssicherung in Deutschland mit Alterssicherung in Frankreich harmonisieren? Ich finde, es ist ein Teil der gewachsenen Sozialkultur Europas, daß wir eigenständige Systeme haben und daß wir ein Wechselspiel zwischen Mindeststandards, die angehoben werden, und Harmonisierung und der europäischen Tradition der Vielfalt brauchen. Hier geht es nicht um die Frage von Dogmatik. Deshalb müssen die Instrumente geordnet werden, wo Mehrheitsentscheidungen und wo Einstimmigkeit wichtig sind.
Beim Arbeitsschutz hat die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft konkrete Gestalt ange-
14302 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Blüm
nommen. Niemand, der noch nicht zufrieden ist, sollte vergessen: Im Vordergrund der Diskussion stand in den letzten Monaten die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, auch wenn hier noch kein rechtsverbindlicher Akt möglich war.
Frau Wieczorek, ich teile ausdrücklich Ihre Meinung, daß das zu guter Letzt zu rechtsverbindlichen, konkreten und einklagbaren Rechten führen muß und daß die ganze Feierlichkeit nichts wert ist, wenn ihr nicht weitere konkrete Schritte folgen.

(Beifall des Abg. Fuchtel [CDU/CSU])

Aber deshalb sollte man doch die Sozialcharta nicht abwerten. Sie weist zumindest die Richtung. Wir dürfen mit ihr nicht als Endziel zufrieden sein; aber sie ist richtungsweisend im Sinne der Absichtserklärung. Ich finde jedenfalls, als Bezugs- und Orientierungspunkt ist sie brauchbar. Die Charta ebnet den Weg zu konkreten und rechtsverbindlichen sozialen Mindeststandards in der Gemeinschaft. Die Bundesregierung wird dabei ihrer von Anfang an eingenommenen Vorreiterrolle in der europäischen Sozialpolitik treu bleiben. Wir haben ein wichtiges Etappenziel erreicht, aber keineswegs das Ziel.
Außer der Bundesregierung hat bisher niemand in Europa, auch nicht die EG-Kommission, konkrete Mindeststandards ausformuliert. Wir sind das einzige Land und die einzige Regierung, die mit konkreten, ausformulierten Mindeststandards in die europäische Debatte eingetreten sind. Wir haben der Kommission entsprechende Vorschläge an die Hand gegeben. Denn, wie Sie wissen, hat die Kommission selber das Vorschlagsmonopol. Jetzt muß die Kommission Farbe bekennen, weil erst ihre formal eingebrachten Vorschläge den europäischen Gesetzgebungsprozeß in Gang setzen. Ich bedauere wie Sie, daß dieser Prozeß sehr schwerfällig ist und sehr viele Kurven und Slaloms hat. Aber wir haben unsere Hausaufgaben erledigt. Angesichts dieser Tatsachen laufen Vorwürfe ins Leere, wir hätten auf Initiative verzichtet. Es ist ja auch kein Wunder — darauf berufe ich mich ganz gerne — , daß Ernst Breit, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Aktivitäten der Bundesregierung mehrfach anerkannt hat.
Wir müssen jetzt den Fortschritt dort suchen, wo er am ehesten möglich ist. Mindestnormen zur Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer können nach Art. 118 a des EWG-Vertrages mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. Zu diesem Bereich zählen wir auch einige der Vorschläge, die wir einvernehmlich mit DGB, BDA und DAG vorgelegt haben, nämlich zum Jahresurlaub, zu Mutterschutzregelungen, zum Kinderarbeitsverbot und zum besonderen Arbeitsschutz.
Aber, meine Damen und Herren, ich will vor einer Illusion warnen, daß nämlich diese Mindeststandards unser Sozialsystem anheben würden. Nein, wir sind halt das Spitzenland, auch wenn es manche nicht zur Kenntnis nehmen. Es geht bei diesem Mindeststandard darum, daß wir denjenigen, die zurückgefallen sind, helfen, aufzuholen. Unter einem rein nationalegoistischen Gesichtspunkt würde ich sagen: Was nützen uns Mindeststandards, z. B. ein Mindesturlaub, der bei uns in Tarifverträgen längst überholt ist?
Mindeststandards ändern ja die Situation der Arbeitnehmer hier nicht, aber sie drücken die Bandbreite der Unterschiede zusammen, die in Europa herrschen.
In diesem Zusammenhang noch einmal ein Wort zu dem Neun-Punkte-Katalog, auf den sich in der Bundesrepublik Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber verständigt haben. Wir waren das einzige Land in ganz Europa, das mit neun Punkten einvernehmlich zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern in die europäische Diskussion eingetreten ist — kein anderes Land! Darauf bin ich stolz. Das ist keine Leistung der Bundesregierung, sondern die Leistung der Beteiligten. Es ist einer unserer großen Fortschritte, daß wir uns in der Nachkriegszeit nicht für Klassenkampf, sondern für Partnerschaft entschieden haben. Das bringen wir jetzt in die europäische Integration ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der soziale Friede ist einer unserer wichtigsten Produktionsfaktoren. Er ist uns nicht geschenkt worden. Er ist das Ergebnis der Anstrengung zur Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ich finde, gegenüber mancher Klassenkampftradition auch in Europa haben wir da einen spezifischen Beitrag geleistet.
Der Neun-Punkte-Katalog — auch das will ich hinzufügen — ist keineswegs abschließend. Ich halte es für unverzichtbar, daß wir uns auch einigen, daß wenn Unternehmen europaweit tätig werden, dann Arbeitnehmer ebenfalls europaweit tätig werden können.
Ich sehe nicht, daß wir unser Mitbestimmungsmodell einfach nach Portugal, Irland oder Griechenland exportieren; die wollen das gar nicht. Aber daß wir, wenn europäische Integration zur europäischen Aktion der Unternehmen führt, auch den Arbeitnehmervertretungen von grenzüberschreitenden Großunternehmen auf Gemeinschaftsebene Beratungs-, Informations- und Konsultationsrechte geben, das, finde ich, liegt im Sinne von Partnerschaft, ja, auch von Waffengleichheit bei der Vertretung von Interessen.
Ich ermahne uns nicht zu einem blinden Aktionismus oder einem Europa der Worte und der Feierlichkeit, sondern zu einem Europa bester sozialpolitischer Tradition entsprechend: konkret, pragmatisch, Fortschritt, Schritt für Schritt.
Wir haben immer wieder betont, eine vernünftige Sozialpolitik darf nicht als Zentralisierungswelle, schon gar nicht als Nivellierungswelle stattfinden. Sie muß der Vielfalt auch der nationalen Sozialpolitik weiten Raum geben. Europäische Sozialpolitik braucht die Vielfalt und den Wettbewerb unterschiedlicher sozialer Systeme. Dem stehen unsere Forderungen nach gemeinschaftsweit verbindlichen sozialen Grundstandards nicht entgegen.
Der Vorsitzende der IG Metall hat das so formuliert — ganz drastisch — : „Wenn man etwa in Portugal die Sozialleistungen auf einen Schlag an unsere Sozialstandards anpassen wollte, würde man das Land konkursreif schießen. " — So militärisch würde ich es nicht ausdrücken, aber es ist einerseits ein Kompliment an den hohen Spitzenstandard hier und andererseits die
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Bundesminister Dr. Blüm
Einsicht darein, daß Harmonisierung im Interesse der Arbeitnehmer nicht Nivellierung heißen kann.
Von dieser Frage ist ein anderes Problem deutlich zu unterscheiden, das unter den Bedingungen des Binnenmarktes auf uns zukommt: Wenn Unternehmen aus den Ländern, die billiger produzieren können, also aus dem Süden, mit eigenen Arbeitskräften z. B. im Rahmen öffentlicher Auftragsvergabe auf den Märkten der Staaten des Nordens tätig werden, ohne deren Tariflöhne und Sozialabgaben zahlen zu müssen, dann haben wir es mit dem klassischen Fall des sozialen Dumpings zu tun. Das kann nicht der Weg zu Europa sein.
Deshalb wird für diese Fragen das Produktionsortprinzip gelten müssen: Es gelten die Arbeitsbedingungen des Ortes, an dem produziert wird. Es kann nicht das Sitzlandprinzip gelten, nämlich daß die Arbeitsbedingungen des Herkunftslandes gelten; denn dann wäre, fürchte ich, europäische Integration ein neues Programm für Chaos, das niemand will.
In den hochsensiblen Fragen der Sozialpolitik empfehle ich uns Besonnenheit, eine Konkretisierung und eine Konzentration auf den nächsten Schritt. Das bedeutet nicht Stillstand, sondern das bedeutet, daß wir eine Sozialpolitik europäischen Ausmaßes betreiben, die für die Arbeitnehmer erlebbar ist, die sich nicht auf Proklamationen einschränken läßt, sondern konkreten Fortschritt ermöglicht.
Europa braucht Soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft ist die Integration von Wirtschaft und Sozialpolitik. Ich finde, es gibt in diesen Tagen ein besonderes Erlebnis: Offenbar hat sich der Kapitalismus leichter sozial bändigen lassen, als sich der Sozialismus wirtschaftlich hat aufpolieren lassen. Das ist ein Ergebnis gerade dieser Tage. Ich habe die Soziale Marktwirtschaft immer als den Versuch verstanden, Wettbewerb mit Solidarität, Leistung mit sozialem Ausgleich, zu verbinden.
Ich denke, daß auf dieser Linie auch unser Beitrag für ein soziales Europa liegt. Denn Europa wird kein einiges Europa, wenn es nicht die Massen ergreift. Wenn es nur das Europa der Banken und Unternehmensleitungen wäre, dann erreichte es die Herzen nie. Insofern bedeutet soziales Europa auch das Europa der Millionen Arbeitnehmer, die in Europa leben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118508300
Das Wort hat der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118508400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn jemand glaubt, er könnte eine Woche nach dem Gipfel, dem für den Gesetzgebungsgang in der EG eigentlich entscheidenden Markstein
— die Gipfel finden bekanntlich alle halbe Jahr statt
—, eine Debatte über Europapolitik auf den Bereich der europäischen Sozialpolitik begrenzen, geht er an der politischen Wirklichkeit vorbei. Ich erwarte von dem Vertreter der Bundesregierung in dieser Stunde, daß er auch auf die Ergebnisse des Gipfels insgesamt eingeht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch gemacht!)

Ich erwarte auch, daß er sich mit der Frage auseinandersetzt, was es denn bedeutet, daß das Europäische Parlament diese eindeutige Erklärung des Bundeskanzlers zur Westgrenze Polens eben vermißt. Eine Stellungnahme dazu erwarte ich einfach. Wenn sie nicht erfolgt, ist das entweder ein Zeichen dafür, daß das Fachressortsdenken die Verabschiedung von der Politik bedeutet, oder aber man kann nur sagen: Es ist langsam peinlich, daß der Herr Bundeskanzler offensichtlich erwartet, daß alle Regierungschefs und Gesprächspartner im Ausland mit dem Protokoll des Deutschen Bundestags unter dem Arm herumlaufen. Ein klärendes Wort in dieser Frage täte tatsächlich not.

(Beifall bei der SPD — Dr. Rüttgers [CDU/ CSU]: Da brauchen Sie kein Protokoll, da brauchen Sie nur zu sagen, was wir hier beschlossen haben!)

Wenn in dieser Debatte über Europa die Frage der Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments angesprochen wird und die Antwort des Sprechers der FDP lautet, Stärkung des Europäischen Parlaments ja, aber in der sozialpolitischen Frage der restriktivste Kurs, der überhaupt denkbar ist, dann wirft das auch ein Licht darauf, wie der europäische Binnenmarkt und die soziale Dimension von der Lambsdorff-FDP beurteilt werden; die soziale Dimension offensichtlich als ein notwendiges Übel, aber wohl nicht als das, was für ein soziales Europa die Voraussetzung ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118508500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118508600
Selbstverständlich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118508700
Herr Kollege Peter, würden Sie mir bitte zustimmen, daß ich in meiner Antwort, die ich Ihrer Kollegin gegeben habe, deutlich unterschieden habe zwischen der Einstimmigkeit im Rat und der Situation im Europäischen Parlament?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118508800
Es ist nun einmal so, daß in der Frage der Mehrheitsentscheidung das Kooperationsverfahren des Europäischen Parlaments greift, während das in der Frage des Einstimmigkeitserfordernisses leider nicht der Fall ist. Insofern haben Sie sich in eine Widersprüchlichkeit verwickelt. Es tut mir leid, aber das muß in dem Zusammenhang einfach einmal gesagt werden.
Nun zu dem sozialpolitischen Teil des Gipfels. Ich meine, der Gipfel kreißte und gebar eine sozialpolitische Maus. Das ist das Gebilde, das als Sozialcharta nach der ganzen Diskussion übriggeblieben ist. Der Bundeskanzler war dabei der Geburtshelfer. In der Tat ist die Erklärung der Regierungschefs zur Europäischen Sozialcharta ein europapolitischer Skandal. Der Bundeskanzler trägt dafür die politische Mitverantwortung.
Noch am Vorabend des Gipfels mußte der DGB einen dramatischen Appell an die Regierungschefs und an den Bundeskanzler loslassen, um daran zu erinnern,

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Um Hilfe für Coop zu erreichen?)

14304 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Peter (Kassel)

daß Kommissionspräsident Delors und Bundeskanzler Kohl ihr Versprechen abgegeben hatten, sich nachdrücklich für diese grundlegenden sozialen Rechte einzusetzen, die rechtlich verbindlich sein und auf EG-Ebene eingeklagt werden können sollten. Die Bundesregierung stehe im Wort, daß diese Rechte für die europäischen Arbeitnehmer wirklich spürbare Verbesserungen brächten. Herausgekommen ist einen Tag später ein Text, von dem dessen Hauptgegnerin Margaret Thatcher berechtigt am Ende sagen konnte, es habe keinerlei operative Bedeutung.
Damit wird deutlich, wie dünn das Eis ist, auf dem der Bundeskanzler seit dem Gipfel von Hannover 1988 sein sozialpolitisches Denkmal bauen wollte: Gleichzeitigkeit der Binnenmarktentwicklung und der Entwicklung des Sozialraums — Fehlanzeige. Versprechen gegenüber den Arbeitnehmern, auf zwei nationalen Europa-Konferenzen für die deutschen Arbeitnehmer Verbesserungen herauszuholen — Makulatur. Offensives Eintreten für die soziale Dimension im Rahmen des Binnenmarktprozesses — offensichtlich geheime Kommandosache geworden. Wo da der Bundeskanzler offensiv aufgetreten ist, ist rätselhaft und geheim geblieben.
Das Ergebnis europäischer Sozialpolitik ist für die Bundesregierung offensichtlich eine zweitrangige Angelegenheit, wie es die nationale Sozialpolitik ja auch schon seit sieben Jahren ist. Die Deregulierer, Herr Kollege Heinrich, scheinen sich da durchzusetzen.

(Heinrich [FDP]: Gott sei Dank!)

Der Bundesarbeitsminister hat sich zum Mithelfer dieses sozialpolitischen Offenbarungseides gemacht. Seine Hoffnung, Frau Thatcher mit einem Minimalprogramm, das er jetzt Neun-Punkte-Programm nennt, doch noch auf eine Zustimmungslinie zu drängen, ist zusammengebrochen. Er selbst ist Gefangener seiner Minimallinie geworden, die Zustimmung der Arbeitgeber zur Bedingung für das zu machen, was er auf europäischer Ebene einsetzt. Maximalist beim Sprücheklopfen, Herr Bundesarbeitsminister, aber Minimalist bei realen europapolitischen Taten!
Der Beschluß des Deutschen Bundestages — nicht etwa der SPD, sondern des Deutschen Bundestages — vom 1. Juni, einen Kernbestand einheitlicher, verbindlicher, in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltender sozialer Grundrechte durchzusetzen, ging nach dem Verständnis des Bundestages weiter, als Sie in Ihrem Neun-Punkte-Plan gegangen sind. Das muß hier einmal deutlich gesagt werden.
Der Beschluß ist dem Konsensbestreben geopfert worden. Dieses Neun-Punkte-Programm ist tatsächlich ein Minimalkonsens. Was es für die deutschen Arbeitnehmer bedeutet, ist keine Aussicht auf konkrete soziale Verbesserung. So gewinnt man die deutschen Arbeitnehmer nicht für den Binnenmarkt, sondern so schreckt man sie eher ab. Zurück hinter die eigene Position sind Sie dabei gefallen.
Herr Kollege Fuchtel, der Antrag der SPD-Fraktion ist kein Maximalprogramm der SPD. Wir haben dort das hineingeschrieben, was der Bundesarbeitsminister als Ausgangsposition für seine Verhandlung mit den Arbeitgebern

(Zustimmung bei der SPD)

und den Gewerkschaften zur Grundlage gemacht hat und sich doch offensichtlich als Position auch zu eigen gemacht hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118508900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118509000
Bitte sehr.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118509100
Herr Kollege Peter, wären Sie bitte so nett und würden Sie das Haus davon unterrichten, wo die deutschen Arbeitnehmer konkrete Verbesserungen — jetzt in Ihrem Sinne — unmittelbar von dieser Charta zu erwarten haben?

(Zuruf von der SPD: Im Zeitrahmen!)


Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118509200
Entgegen den Vorstellungen, die wir haben, ist in der Frage des Kündigungsschutzes für deutsche Arbeitnehmer eine ganze Menge zu machen. Wir haben ja gerade das Beschäftigungsförderungsgesetz mit Ihren Stimmen verlängert. Bei der Arbeitszeitgestaltung wäre für deutsche Arbeitnehmer eine ganze Menge auch durch eine Sozialcharta zu verbessern.

(Zuruf von der FDP: Hochinteressant!)

Bei dem Schutz prekärer Arbeitsverhältnisse wäre eine ganze Menge zu verbessern. Informieren Sie sich einmal über den Kündigungsschutz, der beispielsweise in Spanien besteht. Dann werden Sie deutlich sehen, daß die Bundesrepublik nicht überall sozialpolitisch Spitze ist. Das nur zur Erklärung für Sie.
Wir müssen von Ihren eigenen Positionen her fragen, Herr Minister: Warum verzichten Sie auf den Kündigungsschutz und den Schutz prekärer, bisher ungesicherter Arbeitsverhältnisse als eine Position, die dann aus dem Neun-Punkte-Plan einen ZehnPunkte-Plan gemacht hätte? Es ist keine Assoziation zu einem anderen Zehn-Punkte-Plan drin. Warum verzichten Sie auf den Schutz der Teilzeitbeschäftigten, den Sie in die Gespräche eingebracht haben? Warum verzichten Sie auf Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertretung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, bei neuen Techniken, in sozialen Angelegenheiten bei grenzüberschreitenden Konzernen und Unternehmen, was Sie selbst in die Verhandlungen eingebracht haben? Warum verzichten Sie auf die Verankerung grundlegender Gewerkschaftsrechte wie Tarifautonomie und Streikrecht, was Sie selbst in die Verhandlungen eingebracht haben? Alle diese Punkte haben Sie deshalb nicht aufgenommen, weil die Arbeitgeber natürlich dagegen waren. Sie werden damit zum Erfüllungsgehilfen der Position des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände und verzichten auf eine eigenständige sozialpolitische Position.

(Beifall des Abg. Dr. Wieczorek [SPD] — Fuchtel [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Bundesminister Dr. Blüm: Das stimmt doch nicht!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14305
Peter (Kassel)

Das alles sind Punkte, die Sie selbst für notwendig gehalten haben. Wer sich von der Position der Arbeitgeberseite so abhängig macht — trotz Stütze durch den Beschluß des Bundestages, trotz Stützen durch verschiedene Beschlüsse des Europäischen Parlaments, bei denen die Europapolitiker der christlichen Volksparteien mitgestimmt haben —, darf sich nicht wundern, wenn er bei den Arbeitnehmern an Vertrauen verliert.
Wir hoffen, daß Sie wenigstens versuchen, sich bei dem jetzt erhöhte Bedeutung erhaltenden sozialpolitischen Aktionsprogramm der EG für eine Ausweitung der sozialen Rechte auch deutscher Arbeitnehmer einzusetzen. Jetzt geht es darum, Arbeitnehmerrechte in verbindlichen Richtlinien festzuklopfen. Dabei kann man über die Priorität von Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz durchaus reden — das ist eine notwendige und wichtige Sache — , aber es geht auch um einige der Punkte, die eben nicht in Ihrem Neun-Punkte-Plan stehen. Jetzt geht es darum, über Ihr Minimalprogramm hinauszugehen: beim Verbot ungeschützter Arbeitsverhältnisse, bei Arbeitszeitregelungen, beim Kündigungsschutz, bei der Gleichstellung von Mann und Frau — auch hier ist die Bundesregierung keineswegs Spitze gewesen; da gibt es ja Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu der Frage, wie der Gleichstellungsauftrag der EG in der Bundesrepublik gehandhabt wird —, bei Gewerkschaftsrechten, bei dem Recht auf Ausbildung, beim Elternurlaub und bei der Information, Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Unternehmen.
Und dann geht es um einen konkreten Zeitplan, meine Damen und Herren. Denn wir wollen, daß die soziale Dimension 1993 Bestandteil des Binnenmarktes ist und daß dort nicht nachgebessert werden muß. Das ist immer sehr viel schwieriger, als einen Prozeß integrierend in Gang zu bringen; das wissen Sie selber.
Auch hier gibt der Deutsche Bundestag Ihnen heute oder morgen weitere Rückendeckung. Denn die Auslegung des Art. 118 a, die der Arbeits- und Sozialausschuß dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt, geht schon von einer vollen Ausschöpfung der Möglichkeiten dieses Artikels des EWG-Vertrages, der Einheitlichen Europäischen Akte, aus. Dabei ist die Grenze durch den Text des Art. 118a gezogen, aber zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gehört es auch, die Fragen der Arbeitszeit, der Arbeitszeitgestaltung und der Schichtarbeit mit einzubeziehen. Da ist es durchaus möglich, sich in Richtlinienvorschlägen stark zu machen und nach außen ein Zeichen dafür zu setzen, daß es eben mehr ist als nur ganz eng beschriebener Arbeitsschutz.

(Heinrich [FDP]: Das sehen wir anders! — Fuchtel [CDU/CSU]: Das ist der grobe Hobel, den Sie ansetzen!)

Die sozialistische Fraktion erwägt — das sollte Ihnen zu denken geben — ein Mißtrauensvotum gegen die Kommission, falls diese die sozialen Prioritäten nicht in ihr Arbeitsprogramm 1990 übernimmt. Wenn die bisherige sozialpolitische Koalition des Europäischen Parlaments weiter steht — und es gibt keine Anzeichen dafür, daß das nicht der Fall ist — , dann
wird das Europäische Parlament auf diese Art und Weise die Tür tatsächlich dafür öffnen — und nicht nur den Fuß zwischen die zuklappende Tür stellen —, daß wir mit mehr Recht von einer europäischen Sozialstaatspolitik sprechen können, als das bisher leider der Fall ist.
Wenn es bei einer Revision der Verträge im Zusammenhang mit der Währungs- und Wirtschaftsunion um die Erweiterung der Verträge geht, müssen wir uns überlegen, ob nicht eben dann auch die Rechtsgrundlagen für weitere Bereiche der Sozialpolitik geschaffen werden, wobei die Dinge, die sich einer Harmonisierung entziehen, Herr Arbeitsminister, selbstverständlich auch nach Ansicht der SPD nicht in diesen Bereich einbezogen werden müssen.

(Fuchtel [CDU/CSU]: Welche sind das?)

— Das sind die Sozialversicherungssysteme. Was im Bereich der Sozialversicherungssysteme nationalstaatlich gewachsen ist, kann nicht von einem von oben vorgegebenen anderen Ansatz überwölbt und aufgehoben werden. Zwischen diesen Dingen und dem, was Art. 118a EWG-Vertrag ermöglicht, gibt es aber eine ganze Menge von Handlungserfordernissen, die der FDP angesichts der von ihr betriebenen Deregulierungspolitik natürlich nicht gefallen. Sie haben ja kein sozialpolitisches Referat gehalten, Herr Kollege Heinrich, sondern Sie haben hier eine urliberale wirtschaftspolitische Rede gehalten, bei der den Sozialpolitikern der CDU eigentlich hätte grausen müssen.
Wir müssen bei der Revision der Verträge also überlegen, ob sozialstaatliche Erweiterungen möglich sind. Wir meinen, daß europäische Sozialpolitik tatsächlich eine ganz konkrete Aufgabe ist. Es gilt, ein Aktionsprogramm zu erstellen, das es ermöglicht, konkrete Vorhaben innerhalb eines festen Zeitrahmens auch tatsächlich in Angriff zu nehmen. Dafür, nicht aber für den Weg, den Sie bei der Diskussion über die Europäische Sozialcharta eingeschlagen haben, werden Sie unsere Unterstützung haben.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118509300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118509400
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerade dort weitermachen, Herr Peter, wo Sie aufgehört haben.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Obwohl sich das nicht lohnt!)

Sie haben gesagt, Herr Heinrich habe keine sozialpolitische Rede gehalten. Sie fassen den Begriff Sozialpolitik viel zu eng, wenn Sie nur die sozialen Sicherungssysteme als Bestandteile der sozialen Dimension ansehen. Wir haben heute einen Sozialstandard, ein soziales Wohlstandsniveau, von dem unsere Landsleute in der DDR nur träumen. Wenn unsere Landsleute in der DDR von Sozialpolitik reden, dann denken sie an höhere Einkommen und vor allem an einen besseren Lebensstandard. Genau dieses Ziel suchte die EG von Anfang an zu erreichen, indem sie die freie Marktwirtschaft durchsetzte und damit der Entfal-
14306 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Dr. Hellwig
tung einer Wirtschaftsdynamik zum Durchbruch verhalf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich deswegen in Form von neun kurzen Thesen zu der Frage eines EG-Sozialraums Stellung nehmen.
Die erste These ist: Die vier großen Freiheiten des Binnenmarkts — die allgemeine Freizügigkeit, der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie der freie Kapitalverkehr — sind die wichtigsten Grundlagen der sozialen Dimension.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie es mich wiederholen: Die Wirtschaftsministerin der DDR, Frau Luft, hält es zur Zeit für die wichtigste Aufgabe, Bestandteile der Marktwirtschaft in der DDR einzuführen, um soziale Verbesserungen zu erreichen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP Ich bin sicher, daß sie sich dabei auf eine breite Zustimmung der Bevölkerung stützen kann. Die zweite These ist: Wissenschaftler gingen bisher immer davon aus, daß sich Konjunkturaufund -abschwünge in einem vierjährigen Rhythmus vollziehen. Wir befinden uns jedoch bereits im siebten Jahr des Konjunkturaufschwungs. Wenn wir ganz erstaunt feststellen, daß das in allen EG-Ländern der Fall ist, und uns fragen, woran das liegt, dann kommen wir zu dem Ergebnis: Das liegt an der Öffnung der Grenzen, an der Dynamik, die dieser Binnenmarkt entfaltet. Ich behaupte sogar, daß diese Dynamik mit ihren positiven sozialen Auswirkungen mit die wichtigste Ursache für den Prozeß der politischen Öffnung in Osteuropa ist. Man hat dort gemerkt, daß man auf Grund des miserablen Lebensstandards der Bevölkerung und der daraus folgenden großen Unzufriedenheit den Laden nicht mehr dichthalten kann, während hier bei uns Wachstum, Öffnung und Fortschritt das Geschehen bestimmen, und damit in der EG und über sie hinaus eine so erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen ist. Ich komme zu meiner dritten These. Sie besagt, daß wir in einem offenen Markt, in dem ein unmittelbarer gegenseitiger Wettbewerb herrscht, eine maßgeschneiderte Sozialpolitik brauchen, weil die Möglichkeiten, die sich der Sozialpolitik eröffnen, in engem Zusammenhang zur Wirtschaftskraft stehen. Dieser Meinung ist übrigens auch ein Herr Steinkühler, den ich hier zitieren muß. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Wer ist das denn?)


(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Richtig!)


(Zuruf von der CDU/CSU: An uns!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Er hat immerhin gesagt: Vor dem Hintergrund so hoher Produktivitätsunterschiede, wie wir sie in der EG haben — Produktivität ist das, was pro Arbeitnehmer als Erfolg, als Leistung, herauskommt; das ist in Deutschland das Siebenfache dessen, was ein Arbeitnehmer, dank der schlechteren Maschinen, des noch geringeren Standards, z. B. in Portugal schafft —, wäre die Forderung nach Harmonisierung aller Sozialleistungen auf bundesdeutschem Niveau für die weniger entwickelten Mitgliedstaaten geradezu halsbrecherisch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Sie würden an den damit auf sie zukommenden Kosten ersticken.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das Beispiel zeigt: Die EG-weite Einführung des deutschen Standards bedeutete jährlich 1 000 Milliarden DM Mehrkosten. Daß das nicht aufzubringen ist, ist doch wohl ganz klar.
Meine Damen und Herren, meine vierte These: Durch die Öffnung der Grenzen finden natürlich auch Wanderungsbewegungen von Industrieansiedlungen und, damit verbunden, von Arbeitsplätzen statt. Dies ist keineswegs ein soziales Unglück. Wenn Arbeitsplätze, die hier nicht mehr besetzbar sind, weil unsere anspruchsvollen Arbeitnehmer besser bezahlte Arbeitsplätze suchen, jetzt z. B. in Portugal angeboten werden, hat das einen doppelten Vorteil, einmal den, daß damit in Portugal Arbeit entsteht, daß Verdienstmöglichkeiten entstehen. Verdienstmöglichkeiten heben das Lebensniveau, das Anspruchsniveau, verbessern die Einkaufsmöglichkeiten, und damit werden automatisch auch unsere Exportchancen verbessert. Im Grunde genommen sind also wohlhabende Nachbarn ein besserer Garant für den eigenen Lebensstandard als arme Nachbarn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage immer gern: Die Öffnung im Binnenmarkt, wie wir sie haben, ist die beste und ehrlichste Form der Entwicklungshilfe,

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

weil sie in diesem Bereich eine ungeahnte Dynamik entfaltet.
Die fünfte These ist, daß natürlich angesichts der relativen Schwäche der Gewerkschaften in ärmeren Ländern die Durchsetzung sozialer Mindeststandards und die Bemühungen der dortigen Gewerkschaften, bessere soziale Schutzrechte durch bessere Tarifabschlüsse zu erreichen, durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen unterstützt werden. Wir haben in der EG ein stetes Ansteigen der Produktivität, aber auch des sozialen Standards. Dies zu unterstützen, gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten: einerseits Gesetze, andererseits Tarifverhandlungen.
Steinkühler und Breit erleben bei EG-Verhandlungen, daß sie z. B. mit ihren Mitbestimmungsforderungen bei den anderen überhaupt nicht durchkommen, weil die sagen: Das ist nicht unsere These; wir leben in Gegnerschaft zu unseren Arbeitgebern. — Sie sind
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14307
Frau Dr. Hellwig
noch nicht so weit, daß sie den Wert der Mitbestimmung begreifen würden.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Doch, die sind so weit!)

Und — was als weiteres hinzukommt — sie sehen sich auch gar nicht in der Lage, Lohnforderungen etwa wie bei uns zu stellen, so daß es auf absehbare Zeit ein gewisses Gefälle geben wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118509500
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118509600
Ja, wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird.

(Kassel Ja, aber sie sind längst nicht so weitgehend wie die Mitbestimmungsmöglichkeiten, die wir hier haben. Diese Mitwirkungsmöglichkeiten wären also unter dem Niveau, auf das sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im deutschen Rahmen geeinigt haben. Lassen sie mich sechstens die These aufstellen, daß wir auch mit der Ausweitung der Strukturfonds einen sehr wichtigen und entscheidenden Schritt in Richtung Regionalpolitik und damit Verbesserung der Aufholmöglichkeiten für die Nachzügler getan haben. Siebente These: Als Weiteres erscheint es mir unabdingbar, daß wir mehr voneinander lernen. Wir müssen die unterschiedlichen nationalen Sozialsysteme, ihre Vorund Nachteile, genauer im Blickfeld behalten, weil wir da durchaus voneinander lernen können. Herr Peter, wenn Sie hier ganz stolz zitiert haben, daß Spanien einen so hohen Kündigungsschutz hat, dann empfehle ich den Spaniern, einmal darüber nachzudenken, ob das der Weisheit letzter Schluß ist. Bei einer Arbeitslosigkeit von 17 %, wobei die Jugendarbeitslosigkeit fast 30 % beträgt, weiß ich nicht, ob diese Form des Closed Shop eines hohen Kündigungsschutzes die ideale Form ist, das Strukturproblem hoher Arbeitslosigkeit zu überwinden. Meine Damen und Herren, neues Denken, d. h. Denken über die eigenen nationalen Grenzen und Erfahrungen hinweg, von den anderen zu lernen, dabei auch eingeschliffene eigene Thesen zu überwinden und zu merken, daß der eine oder andere etwas besser macht, genau das wird zunehmend auch im Bereich der Sozialsysteme möglich, wenn wir den Erfahrungsaustausch intensivieren, wie wir es in zwei großen Anhörungen im Frühjahr dieses Jahres versucht haben. Achte These. Mit der Grenzöffnung werden, wie ich schon sagte, die Wanderungsbewegungen innerhalb der EG natürlich zunehmen. Das halte ich auch gar nicht für schlecht. Denn wenn Arbeitsplätze wandern, wenn Industrien wandern, dann wollen wir, daß auch die Bereitschaft der Arbeitnehmer, zu wandern und andere Erfahrungen zu machen, gegeben ist. Aber die Furcht, es könnte eine Massenwanderungsbewegung zustande kommen, ist meines Erachtens angesichts der Sprachund Mentalitätsbarrieren überhaupt nicht gerechtfertigt. Allerdings wird hier auch deutlich, daß wir Deutschen mit unserem besonders hohen Sozialniveau, was den Export unserer Sozialleistungen anbelangt — einige haben hier davon gesprochen, sowohl von der Koalition als auch von der Opposition —, eine ganz bestimmte Interessenlage haben. Wir müssen aufpassen, ob es im europäischen Rahmen nicht ewas sehr egoistisch wirkt, wenn wir sagen: kein Export unserer Sozialleistungen. Aber es gibt meines Erachtens doch eine Begründung für unseren Standpunkt. Denn natürlich ist die Eigenentwicklung z. B. des portugiesischen Sozialsystems in sich selber extrem gestört, wenn etwa — genau das wollen wir verhindern — deutsches Arbeitslosengeld dorthin gezahlt wird. Denn die Dynamik des arbeitenden Portugiesen wird praktisch gelähmt, wenn ein arbeitsloser Portugiese in Portugal durch deutsches Arbeitslosengeld ein höheres Einkommen hat als er. (Dr. Warrikoff [CDU/CSU]: Ja, ein höheres Einkommen!)

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118509700

(Beifall des Abg. Fuchtel [CDU/CSU])


(Heinrich [FDP]: Genau so ist es!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber mein lieber Norbert Blüm, das ist für mich nicht nur ein europäisches Problem — wie Sie wissen, Herr Minister — , sondern auch ein deutsches Problem. Denn ich glaube, daß wir, was die Dynamisierung unserer Arbeitslosen anbelangt, durchaus mehr tun können, als wir bisher tun. Es freut mich, sagen zu können, daß in Baden-Würtemberg angesichts der Zunahme an DDR-Übersiedlern die Arbeitslosigkeit nicht zu-, sondern abgenommen hat,

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Musterländle!)

weil es einen Wanderungseffekt unserer einheimischen Arbeitslosen in Richtung Arbeit ausgelöst hat, als sie die dynamischen DDRler zu uns auf den Markt drücken sahen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118509800
Frau Kollegin, würden Sie einmal auf das leuchtende Schild sehen.

(Heinrich [FDP]: Lassen Sie sie doch reden! Sie ist doch gut!)


Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118509900
Lassen Sie mich einen neunten und letzten Punkt bringen. Das Wichtigste an der Sache ist, daß sich der EG-Markt international nicht abschottet. Wir werden uns gegenüber osteuropäischen Entwicklungen nicht abschotten. Aber dabei die entsprechenden fairen Lösungen zu finden wird uns meines Erachtens nicht unerhebliche Arbeit und auch noch Schwierigkeiten bereiten. Wir werden sie nur bestehen, wenn wir auf der Basis der EG-Solidarität und der damit verbundenen hohen Wirtschafts-
14308 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Dr. Hellwig
kraft, die wir hier haben, jetzt in Richtung Osteuropa europäische Solidarität zeigen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bravo-Rufe bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118510000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118510100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung: Ich finde es fast eine Zumutung, wenn die Drucksache 11/6089 hier zur Beratung ansteht, der zweite Punkt darin die Frage der Wirtschafts- und Währungsunion ist und dazu überhaupt nicht Stellung genommen wird,

(Beifall bei der SPD)

wenn gleichzeitig der sich zuständig fühlende Finanzminister einen Streit mit Herrn Genscher darüber anfängt, wer die Verhandlungen führen soll, er aber noch nicht einmal dem Parlament Rede und Antwort steht und wenn im Vorfeld des Gipfels doch angeblich die Frage der parlamentarischen Kontrolle für den Kanzler eine entscheidende Frage war. Ich glaube, ein solches Verhalten ist einfach nicht zu vertreten.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe allerdings den Eindruck, daß dahinter eine Strategie steht. Herr Kohl hatte Herrn Mitterrand zuerst zugesagt: Wir machen die Regierungskonferenz im Dezember oder vorher. — Dann hat er einen Brief geschrieben, in dem er Bedingungen gestellt hat, die woanders hingingen. Jetzt ist es zwar so gekommen wie ursprünglich angekündigt, aber offensichtlich nur unter Druck.

(Abg. Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte, Frau Kollegin.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118510200
Sie gestatten eine Zwischenfrage von Frau Dr. Hellwig? — Bitte schön.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118510300
Herr Kollege, gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie insbesondere aus diesem Grunde eine Aktuelle Stunde beantragt haben und daß es berechtigt war, anzunehmen, daß diese Fragen heute um 16 Uhr erörtert werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118510400
Verehrte Frau Kollegin, nicht wir haben eine Aktuelle Stunde beantragt, sondern eine andere Fraktion, für deren Handlungen wir nicht zuständig sind. Ich darf aber darauf verweisen, daß dies Verfahrenslage ist. Dazu ist dann auch zu reden. Es tut mit schrecklich leid.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage noch einmal: Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung dieser Debatte gerne aus dem Weg geht. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube, daß es ein Thema ist, daß Sie im Wahlkampf nicht haben wollen. Entweder sind Ihre Positionen so unsicher — vielleicht haben Sie gar keine — , oder Sie haben
Angst, bei den Verhandlungen in der EG zu verlieren.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Angst haben wir noch nie gehabt!)

— Das passiert gelegentlich, wie Abstimmungen eben so ausgehen. Wir müßten uns über die Fusionskontrolle unterhalten, Das ist ja sehr lustig; das können wir gern machen, aber das ist jetzt nicht das Thema.
Ich habe den erheblichen Verdacht, daß Kollege Waigel, der jetzt nach der Konferenz — Frau Thatcher hat das nach Madrid auch gemacht — zusätzliche Bedingungen gestellt hat, hier im Textbuch von Frau Thatcher abgeschrieben hat. Ich sage nur: Frau Thatcher hat damit schon eine Wahl verloren. Sie hat außerdem das Vertrauen der Wirtschaft verloren. Das kann Ihnen dann in dieser Frage auch passieren; denn die Wirtschafts- und Währungsunion ist kein Selbstzweck.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Aber ein Selbstläufer!)

Sie ist notwendiger und integraler Bestandteil eines tatsächlichen einheitlichen Binnenmarktes, in dem Güter und Dienstleistungen frei ausgetauscht werden können.
Der von uns begrüßte Delors-Bericht hat genau da eine doppelte Parallelität festgestellt, nämlich einerseits zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik, aber andererseits auch zwischen der Entwicklung der realen Märkte und der Rahmenbedingungen.
Dies ist eine sehr entscheidende Frage; denn die Währungsverhältnisse bestimmen sehr wohl darüber, wie die Kostenstrukturen sind, auch wie die Investitionsentscheidungen gefällt werden und wie Entscheidungen über die Ausgestaltung und Erschließung von Märkten erfolgen. Es gibt also ein vehementes Wirtschaftsinteresse daran.
Es gibt bei den Währungsbeziehungen einen Unterschied zu den sonstigen Regelungen im Güter- und Dienstleistungsverkehr, weil die bisher im Vertrag schon ziemlich weitreichend geregelt sind. Sie müssen nur ausgefüllt werden. Die Währungsbeziehungen sind aber im Vertrag unzureichend ausgefüllt. Deswegen bedarf es der Vertragsrevision.
Wer aber das Zusammenwachsen der realen Märkte haben möchte, der muß hier und heute anfangen, die Vertragsbedingungen so zu ändern, daß die Währungsunion möglich wird. Wir wissen doch alle, wie lange die Verhandlungen dauern und wie lange es dann dauert, die Vertragsänderungen in allen zwölf Parlamenten zu verabschieden. Ich will auch einen Zeitraum nennen. Wir können überhaupt erst 1993/94 mit der Realisierung des europäischen Währungssystems, mit einem einheitlichen europäischen Zentralbanksystem, anfangen. Das heißt: Wir haben gar keine Zeit mehr.
Ich möchte auch etwas zu dem viel diskutierten Souveränitätsverlust in der Währungspolitik sagen. Ich halte das für eine Chimäre. G 3, G 7, Baseler Club, dies alles sind freiwillige Vereinbarungen, um bisher vorhandene Souveränität einzuschränken, weil
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14309
Dr. Wieczorek
man weiß, daß man das nur in gegenseitiger Abstimmung machen kann. Was in den realen Finanzmärkten weltweit passiert, erzwingt ebenso einen Souveränitätsverlust.
Wenn man mithalten will — und das genau ist doch das Ziel eines europäischen Zentralbanksystems —, dann muß man dies gemeinsam in Westeuropa machen, damit man sein Gewicht einbringen kann. Es ist eine Illusion, zu glauben, die Bundesbank und die Bundesrepublik könnten diese Last alleine tragen.

(Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Sehr wahr! Da stimme ich Ihnen zu!)

Ich fürchte, wir sind total überfordert. Deswegen ist es notwendig, daß wir da weiterkommen.
Im übrigen ist auch die Frage der Souveränitätsrechte insgesamt für mich kein Thema. Was machen wir denn — wir haben ja gestern noch zusammen im Ausschuß gesessen, Frau Kollegin Hellwig — , wenn wir EG-Richtlinien ausfüllen? Dann sitzen wir hier und spielen Notar; das ist alles, was wir machen. Wir haben die Kompetenzen längst abgegeben.
Deswegen sage ich — ich kann mich der Frau Kollegin Wieczorek-Zeul voll anschließen — : Ich bin dafür, daß die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt werden, und zwar die Kontrollrechte und die parlamentarischen Rechte. Wenn ich aber hier und heute erlebe — ich habe vorhin etwas dazu gesagt —, wie die Regierung mit diesem Thema hier umgeht, und wenn ich dann sehe, daß ausgerechnet die Währungsunion und die Frage der Zentralbank zu dem entscheidenden Thema für die Rechte des Europaparlaments wird, dann kommt mir die Argumentation ein bißchen merkwürdig vor. Damit meine ich den schönen Hinweis, daß wir uns alle einig sind — davon gehe ich aus — , daß die Zentralbank nicht vom Parlament abhängen soll. Ich finde es dann schon einigermaßen merkwürdig, genau da diesen Aufhänger für die Parlamentsrechte zu suchen. Das weckt Verdächtigungen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118510500
Sind Sie noch einmal bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118510600
Gerne.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118510700
Herr Kollege, können Sie sich mit mir gemeinsam vorstellen, daß die Franzosen, die unbedingt die Währungsunion wollen, mit uns den ganz guten Deal machen, daß wir im Tausch zu Befürwortern der Rechte des Parlaments werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118510800
Frau Kollegin, da ich zufällig ein bißchen darüber unterrichtet bin, nehme ich an, daß der Deal darin liegt, daß die Franzosen bereit sind, eine unabhängige Notenbank zu akzeptieren. Sie kriegen für die Ware nicht zweimal etwas geliefert. Ich glaube, das ist eine Fehleinschätzung.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist eine Frage des Verhandelns!)

— Nein, nein. Die Verhandlungen sind schon gelaufen. Wenn Sie den Delors-Bericht richtig lesen und wissen, wer ihn unter welchen Bedingungen unterschrieben hat, dann wissen Sie, was gelaufen ist. Ich kann Ihnen gern Privatissima darüber geben.
Jetzt bin ich auch an dem Punkt, einmal klarzumachen, was unsere Bedingungen, die der Sozialdemokraten, sind. Wir sind für eine unabhängige Zentralbank, die die Währungspolitik in eigener Verantwortung gestaltet, die nicht gezwungen werden kann, Haushaltsdefizite durch Geldschöpfung abzudecken, und die auch nicht gezwungen werden kann, mit einer Politik leichten Geldes notwendige Strukturveränderungen zu unterlaufen.
Wir sind allerings auch der Ansicht, daß zu einer solchen Unabhängigkeit besondere Verantwortung für andere wirtschaftspolitische Grundziele gehört neben dem Ziel der Sicherung der Währung, wie es im Bundesbankgesetz heißt. Die Begründung, die unsere Vorgänger 1956 zu § 3 des Bundesbankgesetzes gegeben haben, bietet nicht nur eine vernünftige Interpretation dafür, sondern bietet auch den Franzosen und anderen die Gelegenheit, mit uns an einem Strang zu ziehen.
Auch vertrete ich die Auffassung, daß das europäische Notenbanksystem verpflichtet werden sollte, gegenüber dem Europäischen Parlament Rechenschaft abzulegen, Bericht zu geben. Wenn das für die amerikanische Federal Reserve Bank eine selbstverständliche Sache ist, warum dann nicht für die europäische Zentralbank? Das ist nicht Weisungsabhängigkeit, aber wer hoheitliche Rechte übertragen bekommt, muß im Grundsatz seine Handlungen auch gegenüber der Öffentlichkeit darstellen und rechtfertigen. Darauf möchte ich schon bestehen.
Dann möchte ich noch etwas zur Konstruktion sagen, da wir von der Bundesregierung dazu noch nichts gehört haben. Wir gehen davon aus, es wird ein föderatives System sein — anders kann das gar nicht sein —, und wir stellen uns das so vor, daß der gegenwärtige Zentralbankratsausschuß, in dem Herr Pöhl gestern oder vorgestern den Vorsitz übernommen hat, in einen Gouverneursrat umgebildet wird, der die Grundsätze der Politik bestimmt. Allerdings sage ich auch dazu: Wir stellen uns vor, daß in diesem Gouverneursrat die Stimmrechte quotiert sind,

(Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Richtig! Sehr gut!)

daß nicht wie etwa bei uns oder im EG-Ministerrat „one country, one vote" gilt, sondern daß wie beim IWF eine Quotierung da ist.
Wenn wir ganz andere Zentralbankwerte einbringen, insbesondere Währungsreserven, und andere dies auch tun, dann ist es notwendig, eine Quotierung zu machen. Das braucht nicht nur auf der Basis der Währungsreserven zu erfolgen, sondern da können Bevölkerungsgröße, GNP und anderes eine Rolle spielen, aber das müßte sicherlich sein. Ebenso sind wir der Ansicht, daß das eigentliche Geschäft von einem Direktorium gemacht werden sollte, das dann allerdings auch die Hauptländer als Mitglieder haben sollte.
Im übrigen meine ich, daß ein solches Quotensystem auch eine erhebliche Sicherung dafür wäre, daß bei uns nicht weiter die Befürchtung besteht, daß die Devisenreserven der Bundesbank sozusagen auf dem Etat der europäischen Einigung geopfert werden. Ich glaube, es ist eine gute Sicherung, und damit könnte
14310 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Wieczorek
manchem von dem, was da an unverantwortlichem Gerede gemacht wird, der Boden entzogen werden.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß selbst dann, wenn in diesem Zeitraum, den ich genannt habe, 1993/94, damit angefangen wird, ein europäisches Zentralbanksystem zu etablieren, damit nicht alles, was bisher vorhanden ist, verschwindet. Wir halten es gerade für einen wichtigen Punkt im Delors-Prozeß, daß er den Prozeßcharakter betont und daß das ein Hineinwachsen nach dem Grad der realwirtschaftlichen Verflechtung, die nach 1992 ja weitergeht, bedeutet. Nach 1992 bis zu diesem Zeitpunkt liegen dann auch die Erfahrungen vor.
Ich möchte damit zu einem letzten Punkt kommen. Es ist die Frage der sogenannten zwei Geschwindigkeiten. Ich bin nicht der Ansicht, daß, wie Herr Waigel das jetzt formuliert hat, alle Länder dies alles gleichzeitig mitmachen müssen. Wenn sie es können, ist es schön, aber wenn sie es nicht machen können, meine ich, sollten wir nicht auf die, die noch nicht können
— nehmen wir mal Griechenland — , oder auf die, die
— wie Großbritannien — nicht wollen, Rücksicht nehmen. Sonst kommen wir im Einigungsprozeß nicht weiter. Das EWS, wie es heute ist, das eine quasi private Veranstaltung ist, hat doch gezeigt, daß sich dann, wenn man im Wechselkursmechanismus zusammenarbeitet, auch die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen sehr annähern. Die Inflationsunterschiede zwischen Frankreich und der Bundesrepublik sind zur Zeit praktisch nicht mehr existent.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Hellwig [CDU/ CSU])

Wenn das so ist, dann ist die Zielsetzung, weiterzugehen und nicht darauf zu warten, wann der Letzte mitkommt.
Deswegen meine ich, wir sollten uns dazu aufraffen, nicht zu sagen: Abwarten, bis alles dabei ist. Wer eine solche Bedingung stellt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er das Ganze nicht will. Das ist genau der Verdacht. — Ich muß zum Schluß kommen; es blinkt schon. —

(Beifall des Abg. Bohl [CDU/CSU])

— Herr Bohl, daß Sie das so sehen, ist mir ja klar. Aber wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie vielleicht festgestellt, daß Ihre Kollegen zu einigen Äußerungen, die ich gemacht habe, etwas anderer Ansicht waren.

(Heinrich [FDP]: Die eigenen Kollegen haben nicht zugehört!)

— Die eigenen Kollegen kennen das, weil wir gerade ausführlich darüber diskutiert haben, verehrter Herr Kollege.
Lassen Sie mich aber dies zum Ende bringen. Wenn wir solche Bedingungen machen, setzen wir uns dem Verdacht aus, daß wir mit der westeuropäischen Einigung nicht weiter wollen. Der Kanzlerbrief in dieser Frage war nicht sehr gut; auch nicht manches von dem, was jetzt gelaufen ist.
Wenn man so handelt, darf man sich nicht wundern, daß gerade in bezug auf die Fragen „Wie geht es weiter zwischen den Deutschlands? Was ist mit dieser Einigkeit gemeint?" Zweifel an dem Willen, die EG als
die Basis des westeuropäischen Einigungsprozesses fortzuführen, auftauchen.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das Fernsehinterview!)

Ich teile diese Zweifel nicht. Aber ich verstehe, daß sie auftauchen können. Wir sollten alles tun, um zu verhindern, daß das weitergeht. Das ist eine gefährliche Bahn.
Ich hoffe nur, daß sich das, was ich jetzt aus Zwischenrufen von Ihnen gehört habe, in die Politik umsetzt und nicht das, was Herr Waigel etwa gestern im „Handelsblatt" hat verbreiten lassen.
Ich danke.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118510900
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/5332, 11/5333, 11/5906 und 11/6089 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/5996. Wer für diese Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.
Ich hoffe, Sie sind einverstanden, wenn wir noch drei Minuten für andere Tagesordnungspunkte verwenden, die ohne Aussprache abgehandelt werden können und über die nur abzustimmen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 und die Zusatztagesordnungspunkte 9 bis 12 auf:
9. Beratung ohne Aussprache
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte
— Drucksache 11/4793 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses

(6. Ausschuß)

— Drucksache 11/5952 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Eylmann Stiegler

(Erste Beratung 158. Sitzung)

ZP9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen (Nordstrand), Rossmanith, Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Sauter (Epfendorf), Börnsen (Bönstrup), Freiherr von Schorlemer, Borchert,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14311
Vizepräsident Westphal
Dr. Jobst, Fellner, Fuchtel, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn, Dr. Solms und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes
— Drucksache 11/6090 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten (federführend) Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
ZP10 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 142 zu Petitionen —— Drucksache 11/5921 —
ZP11 Beratung der Beschußempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 143 zu Petitionen —— Drucksache 11/5980 —
ZP12 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 144 zu Petitionen —— Drucksache 11/5981 —
Zusätzlich rufe ich die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses — Sammelübersicht 145 — auf Drucksache 11/6087 auf, die nach einer interfraktionellen Vereinbarung ebenfalls beraten werden soll.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Erleichterung der Berufsausübung von Rechtsanwälten in Europa. Es handelt sich um die Drucksachen 11/4793 und 11/5952.
Ich rufe auf Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —

(Unruhe)


(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die SPD-Fraktion hat überhaupt nicht mit abgestimmt! Die ist leicht von der Rolle! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Augenblick! Ich habe noch kein Abstimmungsergebnis festgestellt. Aber es hat eine Mehrheit der Koalitionsfraktionen für die aufgerufenen Vorschriften gestimmt. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wer treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes Drucksache 11/6090 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/5921, 11/5980, 11/5981 und 11/6087. Das sind die Sammelübersichten 142 bis 145. Wer für diese Beschlußempfehlungen stimmt, den bitte ich ums Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN sind diese Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen worden.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.05 bis 14.00 Uhr)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511000
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/6009 —
Wir kommen zunächst zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Die Frage 9 der Abgeordneten Frau Schulte (Hameln) soll auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover) auf:
Warum hat die bundesdeutsche UNO-Vertretung während der UNO-Vollversammlung versucht, den Passus zur Aufforderung an die Bundesregierung, die Firmen strafverfolgen zu lassen, die U-Boot-Pläne an Südafrika geliefert haben, aus der Resolution A/44/L.34/Rev. 1 streichen zu lassen, und wie wertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Streichung der Passage von der Vollversammlung der Vereinten Nationen abgelehnt wurde?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118511100
Herr Kollege, Ihnen ist auf Ihre schriftliche Frage bereits geantwortet worden. Ich wiederhole diese Antwort, indem ich folgendes sage. Die Bundesregierung steht wie die Regierungen einer zunehmenden Zahl von UN-Mitgliedstaaten Namensnennungen in UN-Resolutionen grundsätzlich kritisch gegenüber. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß die Strafverfolgung Sache der deutschen Behörden ist und sich die völker-
14312 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Staatsminister Schäfer
rechtlichen Verpflichtungen aus dem Waffenembargo nicht hierauf, sondern auf die Verhinderung des Exports von Waffen nach Südafrika beziehen.
Die Bundesregierung betrachtet die Beibehaltung der Namensnennung daher als nicht gerechtfertigt. Im übrigen hat sich in getrennter Abstimmung zur Namensnennung nur eine Minderheit von einem Drittel der UN-Mitgliedstaaten für deren Beibehaltung ausgesprochen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511200
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118511300
Herr Staatsminister, nachdem Sie bzw. Ihre Kollegin in der letzten Fragestunde so großen Wert darauf gelegt haben, festzustellen, daß die Bundesregierung von dieser Resolution nicht direkt betroffen sei, sondern sich diese Resolution gegen Firmen gerichtet habe: Warum dann dies jetzt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß dem endgültigen Text in den Vereinten Nationen ein anderer Text vorausgegangen war, der unmittelbar die Bundesregierung angegriffen hat. Dieser Text ist redigiert, ist verändert worden. Der neue Text bezieht sich auf die Firmen und nicht mehr unmittelbar auf die Bundesregierung.
Aber generell — das ist nicht nur unsere Haltung — sind wir gegen Namensnennungen in solchen Fällen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511400
Die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Frau Rust, die Frage 42 der Abgeordneten Frau Wollny, die Fragen 43 und 44 der Abgeordneten Frau Schmidt (Hamburg), die Frage 45 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer sowie die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Reuter werden wie in der Geschäftsordnung vorgesehen behandelt, da die Fragestellerinnen bzw. Fragesteller nicht im Saal sind.
Ich rufe die Frage 48 der Abgeordneten Frau Dr. Timm auf :
Wie beurteilt die Bundesregierung den Beitrag der 50 Bundesgrenzschutzangehörigen, die im Rahmen der UN-Aktion UNTAG (United Nations Transnational Assistance Group) die Durchführung von Wahlen in Namibia beobachtet und gewährleistet haben, und wie wird sie sich verhalten, falls der Auftrag dieser UNTAG-Mission verlängert wird?
Ich freue mich außerordentlich, Frau Abgeordnete Dr. Timm, daß Sie anwesend sind. — Bitte sehr.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, das gesamte Bundesgrenzschutzkontingent leistet seinen Dienst im Norden Namibias unter zum Teil schwierigsten Bedingungen. Gleichwohl haben sich die Beamten diesen Bedingungen sehr gut angepaßt und arbeiten ohne Schwierigkeiten mit ihren Kollegen aus anderen Ländern zusammen. Die Effektivität und Einsatzbereitschaft der Beamten wird sowohl bei der namibischen Bevölkerung als auch bei den Vereinten Nationen anerkannt.
Die Bundesregierung wird die Frage eines weiteren Verbleibs der Beamten prüfen, wenn feststeht, ob und für welchen Zeitraum das UNTAG-Mandat verlängert wird.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511500
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Timm.

Dr. Helga Timm (SPD):
Rede ID: ID1118511600
Sie haben eben schon von den Bedingungen gesprochen; nach ihnen wollte ich eigentlich noch fragen. Ich frage Sie aber weiter: Hat sich ergeben, daß man noch andere und auch verstärkte Ausbildung vornehmen muß, wenn man Grenzschützer in solche Aufgaben schickt?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, das ist eine sehr allgemeine Frage. Selbstverständlich unterscheiden sich die Bedingungen, die es im Falle Namibia gibt, von Bedingungen, wie sie beispielsweise bei der Grenzüberwachung an anderer Stelle eintreten könnten. Sie wissen auch, daß es sich bei diesem Einsatz um einen wahrscheinlich einmaligen Einsatz von in diesem Falle Bundesgrenzschutz- — , also Polizeieinheiten gehandelt hat und daß bei uns die Debatte über die Frage noch aussteht, inwieweit bei zukünftigen Aktionen der Vereinten Nationen nach der Klärung der in diesem Haus noch bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken auch die Bundeswehr beteiligt werden kann.

Dr. Helga Timm (SPD):
Rede ID: ID1118511700
Ich darf noch weiter fragen. Herr Staatsminister, sind Sie der Meinung, daß solche Vorhaben insgesamt zeitlich begrenzt sein sollten?
Schäfer, Staatsminister: Selbstverständlich, Frau Kollegin, werden diese Vorhaben immer zeitlich begrenzt sein. Es gibt einige wenige Ausnahmen, wo das Mandat der UN-Streitkräfte immer wieder verlängert werden muß, wie Sie wissen, beispielsweise im Nahen Osten, an der Grenze des Libanon. Es gibt auf der anderen Seite im Falle Namibia den deutlichen Willen der Vereinten Nationen, den zeitlichen Ablauf zu begrenzen, auch weil ein langer Verbleib sehr kostspielig ist.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 49 von Frau Dr. Timm auf:
Wie hoch war der finanzielle Beitrag, mit dem die Bundesrepublik Deutschland sich an diesem Vorhaben beteiligt hat, und kann die Bundesregierung bestätigen, daß jeder der Grenzschutzangehörigen ein Entgelt von monatlich mehr als 3 000 US-Dollar erhalten hat?
Bitte sehr.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesrepublik Deutschland trägt die Inlandsbezüge der Beamten. Darüber hinaus erhalten die Beamten den ihnen zustehenden Auslandszuschlag und gegebenenfalls Auslandstrennungsgeld. Die Auslandsbezüge werden uns jedoch von den Vereinten Nationen weitgehend erstattet. Insgesamt betragen unsere freiwilligen Leistungen zu UNTAG 5 Millionen DM. Die Bundesgrenzschutzbeamten erhalten von den Vereinten Nationen grundsätzlich unentgeltliche Unterkunft und Verpflegung, ersatzweise eine Ausgleichszahlung von monatlich bis zu 3 000 DM.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118511900
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Helga Timm (SPD):
Rede ID: ID1118512000
Herr Staatsminister, Sie haben wie auch ich wahrscheinlich von dem Notruf des Generalsekretärs gehört, daß die Vereinten Nationen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14313
Frau Dr. Timm
vor dem Jahresende schon wieder einmal fast vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Hängt das mit den erhöhten Kosten und Aufwendungen für Friedensaktionen dieser Art zusammen, oder ist das eher im Zusammenhang mit der Zahlungsmüßigkeit mancher Beitragsländer zu sehen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, sicher beides. Erstens hat natürlich die zunehmende Inanspruchnahme der Vereinten Nationen für sehr kostspielige Befriedungsaktionen, wie sie beispielsweise in Namibia — wenn ich es recht sehe, bis Ende März 400 Millionen Dollar — und an anderer Stelle der Welt stattfinden, das Budget der Vereinten Nationen in Mitleidenschaft gezogen. Zweitens ist es richtig, zu sagen, daß eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nach wie vor Rückstände bei ihren Zahlungen haben. Dazu zählen z. B. auch die Vereinigten Staaten von Amerika.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118512100
Herr Staatsminister, sieht sich die Bundesregierung angesichts dieser Lage und auch angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik zugestimmt hat, an weiteren Friedensaktionen, beispielsweise in Mittelamerika, teilzunehmen, vielleicht in der Lage, ihre Beiträge, freiwillige wie auch andere, sofort zu zahlen, um den Vereinten Nationen über die unmittelbare Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsschwierigkeit hinwegzuhelfen?
Schäfer, Staatsminister: Soweit mir bekannt ist, gehören wir zu den Nationen, die ihre Beiträge rechtzeitig zahlen. Ich bin jetzt nicht über einzelne Details, die Sie möglicherweise kennen, informiert. Aber generell teile ich Ihre Meinung, daß wir angesichts der schwierigen Lage der Vereinten Nationen selbstverständlich darauf achten sollten, daß wir unsere Beiträge zumindest pünktlich einzahlen. Ich meine, darüber hinaus wäre es nicht nur Sache der Bundesregierung, sondern auch der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bei ihren vielfältigen Reisen in Länder, die solche Beitragsrückstände möglicherweise aufweisen, einmal ein bißchen mitzuhelfen, daß diese Länder angesichts der wachsenden Bedeutung der Vereinten Nationen bereit sind, ihre Beitragsrückstände aufzuholen.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Danke schön!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118512200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragestellerin der Frage 50, Frau Abgeordnete Vennegerts, ist nicht im Saal. Es wird so verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.

(Nagel [SPD]: Darf ich zu Frage 50 eine Zusatzfrage stellen und den Staatsminister bitten, ergänzend zu antworten?)

— Frage 50 haben wir abgeschlossen. Herr Abgeordneter, diese Frage ist nicht existent, weil die Fragestellerin nicht im Saal ist. Daher wird sie nicht behandelt. Daher gibt es auch keine Zusatzfragen. So ist es nun einmal. Ordnung muß sein.
Die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Niegel sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde, die ich hiermit schließe.
Um 14.30 Uhr soll in die Tagesordnung eingetreten werden. Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 10 auf. Die Sitzung ist so lange unterbrochen.

(Unterbrechung von 14.11 bis 14.30 Uhr)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118512300
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten WieczorekZeul, Daubertshäuser, Antretter, Bamberg, Büchner (Speyer), Diller, Ewen, Faße, Gerster (Worms), Dr. Götte, Haar, Hasenfratz, Dr. Hauff, Horn, Ibrügger, Jahn (Marburg), Klein (Dieburg), Kretkowski, Leonhart, Müller (Pleisweiler), Nehm, Dr. Niese, Pauli, Peter (Kassel), Reimann, Reuter, Scherrer, Sielaff, Dr. Sperling, Dr. Timm, Dr. Pick, Pfuhl, Voigt (Frankfurt), Walther, Weiler, Weyel, Dr. Wieczorek, Wittich, Zander, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Stationierung von Flugzeugen der US-Streitkräfte auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Stationierung von US-Kampfhubschraubern auf dem Flughafen Wiesbaden-Erbenheim
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rücknahme der Einverständniserklärung der Bundesregierung zur Stationierung von amerikanischen Kampfhubschraubern auf dem Militärflughafen Wiesbaden-Erbenheim
— Drucksachen 11/2868 (neu), 11/2890, 11/2891, 11/4883 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Jung (Limburg)

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6029 und 11/6105 vor. Über diese Änderungsanträge soll, wie dem Präsidium bekannt ist, namentlich abgestimmt werden.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul. Bitte sehr.
14314 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118512400
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die US-Pläne zur Stationierung neuer Kampfhubschrauber auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim. Mittlerweile hat die US-Army diese Pläne auf 100 Kampfhubschrauber ausgerichtet. Es steht die Genehmigungsentscheidung an, die Bundesverteidigungsminister Stoltenberg geben wird. Ich gehe deshalb davon aus, daß der Bundesverteidigungsminister dieser Debatte beiwohnen wird.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ist doch da!)

— Er kommt, wunderbar. Er ist gerade hereingekommen, Herr Kollege.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Noch bevor Sie angefangen hatten!)

Was dort vorgeschlagen wird, ist kein Kompromiß, sondern der Einstieg in eine Neustationierung, welcher der US-Army und dem deutschen Verteidigungsministerium, wie sie es in einem gemeinsamen Geheimpapier ausgedrückt haben, als politisch akzeptabel erscheint.
Die Beratungen im Deutschen Bundestag seit über einem Jahr liefen auf der Basis eines Antrags, den die Sozialdemokraten mit dem Ziel eingebracht hatten, die Stationierung zu verhindern und alle vorhandenen Maschinen abzuziehen. Die Beratungen im Deutschen Bundestag haben alle Argumente gegen die geplante Stationierung erhärtet.
Schon die bisherige Nutzung des Flugplatzes Erbenheim, so hat die Anhörung des Verkehrsausschusses gezeigt, erfolgt ohne rechtliche Grundlage. Sowohl die betroffenen Kommunalpolitiker als auch der entsprechende Gutachter Wolfgang Kassebohm haben in der Anhörung eindeutig belegen können, daß bei der jetzigen Nutzung des Flugplatzes Erbenheim die Sicherheitsmindesthöhe von den Hubschraubern unterschritten wird, daß also der Flugbetrieb gegen geltendes Recht und Gesetz erfolgt.
Die Lufthansa und auch die Flughafen-Aktiengesellschaft haben betont, daß der bisherige Flugbetrieb in Erbenheim den Vorrang des zivilen Luftverkehrs in Rhein-Main behindert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Sie sich die Vorlage des Verkehrsausschusses an. Dort werden angebliche Zusagen der US-Streitkräfte genannt, nämlich vier Instrumentenflüge pro Stunde und 30 pro Tag. Nach Aussagen aller Praktiker, der Fluglotsen und der Flugsicherung, sind das rein statistisch gegriffene Größen, die überhaupt nichts mit der Realität zu tun haben und die immer überschritten werden. Das heißt, das ist schon heute so; und es wird in Zukunft bei mehr Kampfhubschraubern und mehr Flugbewegungen einen massiven Konflikt mit der zivilen Luftfahrt, mit dem Flughafen Frankfurt geben.
In der Anhörung wurde auf die hohen Gesundheits- und Umweltbelastungen aufmerksam gemacht, ebenso auf das Absturzrisiko. Ich will an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur die Zahlen und die Daten und die Orte nennen. Wo auch immer diese Kampfhubschrauber der US-Army in der Bundesrepublik stationiert sind, herunter kommen sie immer. Am 23. September 1987: Absturz bei Döhle in Niedersachsen; am 19. Mai 1989: Absturz, Notlandung in Bernkastel-Kues; am 26. September 1989: Absturz in
Lipporn bei Wiesbaden; Ende Mai 1989: Absturz eines Hubschraubers bei Herrenberg; am 11. Oktober 1989: Absturz eines Kampfhubschraubers südlich von Melsungen; am 17. Oktober 1989: Absturz eines Kampfhubschraubers in Neustadt a. d. Aisch, beide Besatzungsmitglieder starben; am 30. November 1989: Absturz eines Kampfhubschraubers im bayrischen Effeldorf; der Pilot starb, der Copilot wurde schwer verletzt. Ich habe jetzt noch nicht die Abstürze der Flugmaschinen in den USA genannt; die habe ich hier ausgelassen. Ich frage Sie, Herr Minister: Was muß noch passieren, bevor Sie handeln, ein Flugverbot aussprechen und sich gegen weitere Stationierung aussprechen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In der Anhörung, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde zum erstenmal in aller Offenheit dargestellt, daß die US-Armee — ich zitiere den Kommandeur der US-Streitkräfte, General Crosbie E. Saint — diese Kampfhubschrauber als „Angriffshubschrauber, die bei deep operations, d. h. Aktionen im Rahmen des Air-Land-Battle-Konzepts, eingesetzt werden sollen" betrachtet. Im Spannungs- oder Konfliktfall würden diese Kampfhubschrauber 70 Kilometer vor die Grenze zur DDR verlegt.
Die Anhörung im Deutschen Bundestag durch den Verkehrsausschuß zeigt: Wenn weiter so geplant wird, wenn sich die Planungen der US-Streitkräfte, immer mehr Kampfhubschrauber in der Bundesrepublik zu stationieren, fortsetzen, würde das in den 90er Jahren bedeuten: 1 500 Kampfhubschrauber in der Bundesrepublik. Zur Erinnerung: 1955 gab es null solcher Kampfhubschrauber.

(Jung [Limburg] [CDU/CSU] und Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Das ist unredlich!)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es heute zwar regional um Erbenheim, aber es geht auch um Mainz-Finthen, es geht um Erlensee, es geht um Illesheim, um Ansbach, es geht um viele Orte in der Bundesrepublik Deutschland, und wir wollen, daß nirgendwo Kampfhubschrauber stationiert werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: In der Politik sind Ehrlichkeit und Redlichkeit gefragt, Frau Kollegin!)

Das Ministerium hat in der Anhörung festgestellt, daß der zweite Stationierungsschritt, d. h. die Verlagerung des 2. Kampfhubschrauberbataillons nach Wiesbaden-Erbenheim, erst nach 1990 erfolgen solle. Wenn das so ist, so wird ersichtlich: Es gibt keinerlei militärische Notwendigkeit,

(Wilz [CDU/CSU]: Keine Ahnung!)

die Kampfhubschrauberbataillone in Wiesbaden-Erbenheim zu stationieren.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig!)

Wir appellieren an Sie, die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- und besonders der FDP-Bundestagsfraktion: Es gibt keinerlei Notwendigkeit für
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14315
Frau Wieczorek-Zeul
einen Genehmigungsentscheid von Bundesverteidigungsminister Stoltenberg!

(Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Appelle müssen auf Wahrheit beruhen!)

Sie wissen genau so gut wie wir: In der NATO hat Bundesverteidigungsminister Stoltenberg ein Verhandlungsangebot mit beschlossen, das bedeuten würde, daß von jetzt 2 419 Kampfhubschraubern auf der westlichen Seite zum Schluß noch 1 900 Kampfhubschrauber übrigblieben. Das heißt, selbst nach den Planungen der NATO ist — mit Stoltenbergs Stimme — eine Abrüstung von über 500 Kampfhubschraubern vorgesehen. Warum also, frage ich, eine Genehmigung für die Aufrüstung mit Kampfhubschraubern geben,

(Wilz [CDU/CSU]: Das ist doch keine Aufrüstung!)

wenn das sichere Ergebnis der Wiener Verhandlungen im nächsten Jahr die Abrüstung bereits vorhandener Kampfhubschrauber wäre?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Wilz [CDU/CSU]: Sie verwechseln Äpfel mit Birnen!)

Es sei denn, Herr Stoltenberg, Sie planten ein, daß die Abrüstung der Kampfhubschrauber überall in der NATO, aber nicht auf deutschem Boden, in der Bundesrepublik erfolgen solle. Dann sagen Sie das aber bitte auch offen!
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Während des einen Jahres, in dem sich der Deutsche Bundestag und der Verkehrsausschuß mit den Plänen der US-Army in Wiesbaden-Erbenheim befaßten, waren manche Entwicklungen noch nicht absehbar, auch nicht zu dem Zeitpunkt, als der Verkehrsausschuß am 21. Juni dieses Jahres seinen Beschluß gefaßt hat, der Stationierung der 100 Kampfhubschrauber zuzustimmen. Zwischenzeitlich haben wir einen revolutionären Prozeß der Demokratisierung in Osteuropa und vor allem in der DDR erlebt. Aber für Bundesverteidigungsminister Stoltenberg hat sich absolut nichts geändert. Für ihn gilt offensichtlich: Alles, was die USA militärisch geplant haben, was seine Amtsvorgänger willfährig zugesagt hatten, muß durchgezogen werden, Irrtümer dürfen nicht zugestanden, Korrekturen nicht gemacht werden.
Als Antwort auf die faszinierenden Entwicklungen in der DDR will Bundesverteidigungsminister Stoltenberg die Neustationierung von bis zu 100 Kampfhubschraubern der US-Army in Wiesbaden-Erbenheim genehmigen.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Totaler Blödsinn!)

Das heißt, er reagiert mit alten Rüstungsplänen auf neues Denken und neue Entwicklungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Sie wissen, was das heißt: Das sind Kampfhubschrauber, die im Konfliktfall — er ist nach dem, was in der DDR passiert, ja gar nicht mehr vorstellbar — zirka 150 km weit in das Gebiet der DDR eindringen könnten.
Welch absurde Vorstellung: Während in Eisenach, in Halle, in Leipzig, in Magdeburg die Menschen den
Frieden dadurch wirklich sicher machen, daß sie in ihrem Land Demokratie verwirklichen, ist das erste Signal des Bundesverteidigungsministers auf diese Entwicklung die Genehmigung neuer militärischer Fluggeräte, die im Zweifelsfall auf eben diese Menschen in Eisenach, Halle, Leipzig, Magdeburg herniedergingen.

(Wilz [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Skandalös! Eine solche Heuchelei habe ich noch nie gehört!)

Wer so handelt wie Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, der zeigt, daß Realitätsverlust auch bei unseren Politikern vorhanden ist,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und er zeigt, daß er am Bewußtsein der Menschen in diesem Lande vorbei handelt, und er zeigt auch, daß auch unter unseren Bedingungen gilt: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

(Wilz [CDU/CSU]: Die SPD ist zu spät gekommen! Die ist immer noch nicht aufgewacht!)

Die Entscheidung über die geplante Stationierung, die Sie heute im Deutschen Bundestag treffen, ist in mehrfacher Hinsicht von hoher überregionaler Bedeutung und von großem Signalcharakter:

(Wilz [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Sie ist ein Testfall dafür, ob die Bundesregierung die vorhandenen rechtlichen und politischen Möglichkeiten, die ihr gegeben sind, wirklich ausnutzen will, um den US-Streitkräften gegenüber deutsche Interessen zu vertreten, oder ob sie vorauseilenden Gehorsam praktiziert und — wie es das Verwaltungsgericht Wiesbaden formuliert hat; ich zitiere — „Besatzungsdenken gegenüber den US-Behörden an den Tag legt."
Die Geschichte des Flugplatzes Erbenheim seit der Wende 1983 ist die Geschichte der freiwilligen vorbeugenden Unterwerfung der zuständigen Verteidigungsminister Wörner und Scholz unter die US-Planungen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig! — Zuruf von der CDU/CSU: Dummes Zeug!)

Wir fordern Bundesverteidigungsminister Stoltenberg auf, sich nicht in diese unrühmliche Reihenfolge einzuordnen.
Wir sagen: Die Bundesrepublik ist viel souveräner, als diese Bundesregierung es glauben machen möchte. Aber offensichtlich ist diese Bundesregierung gegenüber der US-Army nicht souverän genug.

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig! — Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Nehmen Sie mal eine Lehrstunde bei Helmut Schmidt in Sachen Verteidigung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Entscheidung über die geplante Stationierung von Kampfhubschraubern ist auch ein Testfall dafür, wie die Bundesregierung auf die neue demokratische Entwicklung in den osteuropäischen Ländern und in
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Frau Wieczorek-Zeul
der DDR reagiert. Wir sagen: Die Antwort auf die demokratischen Veränderungen in der DDR und in den osteuropäischen Staaten muß Abrüstung sein und darf nicht ein neuer Schritt zur Aufrüstung auf unserer Seite sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Stoltenberg und liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, die Sie heute die Entscheidung treffen müssen — denn Sie haben die Mehrheit in diesem Hause —,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir die Mehrheit!)

welche Sie auch vertreten müssen, nehmen Sie sich den Brief zu Herzen, den Ihnen die CDU in Wiesbaden, Herr Riedle und Herr Klee, im November dieses Jahres geschrieben hat. Darin heißt es — ich zitiere wörtlich — :
Heute bitten wir eindringlich darum, die Stationierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auszusetzen ... Der Grund: Die dramatischen Entwicklungen und aus der Sicht unserer Demokratie positiven Entwicklungen im Osten Europas .. .

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

Nehmen Sie zur Kenntnis, was die CDU in Wiesbaden gesagt hat.
Die Entscheidung heute ist auch ein Testfall dafür, ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihre Verantwortung ernst nehmen.

(Jung [Limburg] [CDU/CSU]: Wir nehmen unsere Verantwortung ernst, auch wenn wir Ihnen nicht zustimmen!)

Ich wende mich deshalb an die Abgeordneten der CDU/CSU- und der FDP-Bundestagsfraktion und dabei besonders an die Kolleginnen und Kollegen aus Hessen: Wenn Sie heute der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zustimmen und unseren Antrag ablehnen, dann wissen Sie, daß Sie dem Bundesverteidigungsminister grünes Licht für seine Genehmigungsentscheidung zur Stationierung geben.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Furchtbar ist so etwas! — Ronneburger [FDP]: Also Landtagswahlkampf!)

Ich weiß, daß es Zweifler in Ihren eigenen Reihen gibt. Ich weiß auch, daß Sie sich kritisch mit Bundesverteidigungsminister Stoltenberg auseinandergesetzt haben. Deshalb fordere ich Sie auf: Folgen Sie Ihrer eigenen Überzeugung.

(Wilz [CDU/CSU]: Das tun wir!)

Stimmen Sie in dieser Abstimmung mit uns, und sorgen Sie dafür, daß sich Bundesverteidigungsminister Stoltenberg nach der Mehrheit dieses Hauses richten muß, die dann gegen die Stationierung sein würde!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Wilz [CDU/CSU]: Die bestimmen wir noch! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das werden wir gleich sehen, wo die ist!)

Sie haben die politische Verantwortung, wenn die Genehmigungsentscheidung von Herrn Stoltenberg entsprechend fällt.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Sie machen nur wieder Hänneschen!)

Sie haben auch die Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen: Geben Sie zwei Signale an die Bevölkerung in unserem Land, einmal an die Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Region um Wiesbaden, der Gemeinden, der Städte in den Kreisen in der Umgebung. Diese Region ist besonders betroffen. Sie ist bereits umweltbelastet. Geben Sie der Bevölkerung in dieser Region mit Ihrer Entscheidung die Überzeugung zurück, daß Politik Irrtümer zugestehen und sie korrigieren kann!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Geben Sie ein zweites Signal: Geben Sie der Bevölkerung in der Bundesrepublik die Überzeugung: Auch wir reagieren mit neuem Denken auf neues Denken und nicht mit alten Rüstungsplänen.

(Wilz [CDU/CSU]: Ihr habt doch noch nie gedacht! Ist ja was ganz Neues!)

Setzen Sie in dieser letzten Sitzungswoche vor Weihnachten, dem Fest des Friedens, ein Signal des Friedens und nicht der Aufrüstung!
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Wilz [CDU/CSU]: Mir kommen die Tränen! — Nolting [FDP]: Das fehlte noch! — Frau Unruh [fraktionslos]: Ist doch ein Mißbrauch mit eurem Mandat! — Dr. Friedmann [CDU/ CSU]: Die wird zur Ordnung gerufen! — Gegenruf — Frau Unruh [fraktionslos]: Das machen doch nicht Sie! Das macht der Präsident!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118512500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1118512600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte gnädige Frau WieczorekZeul, ich würde empfehlen, die ganze Geschichte doch etwas niedriger zu hängen.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Ich bin aus der Region! Verstehen Sie? Kommen Sie da mal hin!)

— Ja, natürlich. Sie sollten sich ein Beispiel nehmen an Ihrer Kollegin Frau Rönsch, die auch aus dieser Region kommt.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Bitte nicht!)

— Frau Unruh, ich kann leider nicht so laut schreien wie Sie. — Nehmen Sie sich also ein Beispiel an Ihrer Kollegin Frau Rönsch, der sehr wohl das Interesse der Bevölkerung dort am Herzen liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Unruh [fraktionslos]: Nein! — Frau Schilling [GRÜNE]: Das war ja wohl glatt gelogen!)

Aber ich möchte gern auf ein paar Punkte eingehen. Sie sprachen — und ich finde das traurig für die So-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14317
Petersen
zialdemokratische Partei — davon, daß wir uns in diesen Entscheidungen den USA unterworfen hätten.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Natürlich! Tun Sie doch auch!)

Sie sollten sich einmal mit unserem gemeinsamen Freund Erwin Horn zusammensetzen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118512700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1118512800
Bitte sehr.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118512900
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118513000
Ist Ihnen bekannt, daß bereits vor einer Entscheidung dieses Hauses, bereits vor gerichtlichen Entscheidungen der damalige Bundesverteidigungsminister Wörner an Herrn Otis geschrieben hat: Ich billige diese Entscheidung, und Sie können stationieren? — Ist Ihnen das bekannt,

(Petersen [CDU/CSU]: Ja!)

und wie würden Sie bezeichnen, daß ein solcher Brief von Herrn Wörner an die US-Streitkräfte geschickt wurde, bevor in dieser Frage überhaupt ein Genehmigungsverfahren nach deutschem Recht und Gesetz durchgeführt worden ist?

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist doch keine Unterwerfung! — Frau Unruh [fraktionslos]: Anbiederung ist das!)


Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1118513100
Ein Verteidigungsminister hat selbstverständlich die Pflicht, seine Haltung unseren Verbündeten mitzuteilen.

(Beifall des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ CSU])

Aber, Entschuldigung, lassen Sie mich den Gedanken mal zu Ende führen: Ich hatte Ihnen empfohlen, sich mal mit unserem gemeinsamen Freund Erwin Horn zusammenzusetzen. Der würde Ihnen nämlich eine niedliche Geschichte erzählen.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Darf ich noch eine Rückfrage stellen?)

— Nein, noch nicht.
Wir waren, Erwin, im amerikanischen Senat mit den entscheidenden Senatoren einschließlich Senator Nunn zusammen. Es ist noch gar nicht so lange her. Damals haben wir uns überlegt, was eigentlich im Zusammenhang mit der INF-Entscheidung, der Reduzierung der Bedeutung der nuklearen Abschreckung, passieren sollte.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Ist das jetzt Redezeit?)

Wir haben darauf gedrängt und die Amerikaner haben darauf gedrängt — wir waren uns darin einig —, daß die Überzeugungskraft der konventionellen Verteidigungsfähigkeit erhöht werden müsse. Wir haben darauf hingewiesen — und das hast du mit großer Überzeugung getan —, daß im Bereich der Panzerüberlegenheit der anderen Seite damals überhaupt keine Anzeichen für Veränderungen waren. Wir haben deshalb gesagt: Könntet ihr nicht Kampfhubschrauber, die auf Panzerbekämpfung spezialisiert sind, bringen? — Daraufhin, auf unser Drängen hin, haben die Amerikaner innerhalb ihres Haushalts einiges umgeschaufelt.

(Nolting [FDP]: So ist es!)

Dann kamen sie mit den Hubschraubern an, aber die Deutschen sagten: Wir sind zwar dafür, daß sie kommen, aber, bitte schön, nicht bei uns. — Meine Damen und Herren, es geht auch um unser Vertrauen bei den Verbündeten.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Es geht um euer Vertrauen bei der Bevölkerung!)

Deshalb, meine ich, müssen wir alles tun, um die Stabilität in Mitteleuropa und die Zuverlässigkeit auch innerhalb des Bündnisses in diesen dramatischen Zeiten zu festigen. Das sagen auch Herr Gorbatschow und Herr Bush. Gnädige Frau, wenn Sie in diesem Zusammenhang von Unterwerfung reden, bringen Sie einen Akzent in die Diskussion, der in bezug auf unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sicher nicht hilfreich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Bitte schön.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118513200
Ich wollte Sie rückfragen, ob Sie nicht mit uns davon überzeugt sind, daß zu einer entsprechenden Stellungnahme bei einer Flugplatzerweiterung durch die US-Streitkräfte ein formelles Genehmigungsverfahren nach deutschem Recht und Gesetz notwendig ist und, solange dies noch nicht erfolgt ist, eine entsprechende Genehmigung von seiten eines Ministers, damals von Herrn Wörner, nicht hätte erfolgen dürfen.

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1118513300
Gnädige Frau, Herr Wörner hat damals seine Einstellung, die der von Erwin Horn und mir entsprach, die wir im Senat vorgetragen hatten, zum Ausdruck gebracht, nämlich: Kommt mit diesen Dingern! Wir müssen die Panzerabwehrmöglichkeit verbessern, wenn unsere Verteidigungsfähigkeit glaubwürdig bleiben soll. Mich haben hinterher einige amerikanische Offiziere angesprochen und gefragt: Wo steht ihr Deutschen eigentlich? Erst fällt dem Helmut Schmidt der NATO-Doppelbeschluß ein.

(Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Er ist seiner eigenen Partei zum Opfer gefallen!)

Dann kippt die SPD ihren eigenen Kanzler um. —

(Frau Dr. Timm [SPD]: Zumindest aussetzen!)

Inzwischen hat sich die Welt verändert. Da haben Sie natürlich recht. Nur: Zählen Sie einmal nach, was heute an modernsten Panzern in der DDR und im ganzen Ostblock steht. Man weiß auch, daß Gorbatschow nicht so sicher im Sattel sitzt, wie wir das alle erhoffen. Er selber hat gegenüber Herrn Mitterrand angedeutet, daß sein Nachfolger ein Marschall sein könnte, der eine ganz andere Politik macht. Ich halte es für unverantwortlich, meine Damen und Herren, wenn wir vor Wien — ich teile Ihre Hoffnungen in bezug auf Wien — ein Vakuum entstehen lassen. Das
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Petersen
wäre eine Friedensgefährdung. Kein Mensch hat jemals behauptet, daß Kampfhubschrauber Angriffsmittel seien.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Es sind aber welche! Die Militärs wissen das!)

Sie sind eine sehr überzeugende Abschreckungsmöglichkeit gegenüber einem gewaltigen Übergewicht gerade im Bereich der Panzer.

(Abg. Horn [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— So, Erwin, jetzt kommst du dran.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1118513400
Vielen Dank. Dann brauche ich nachher keine persönliche Erklärung abzugeben.
Lieber Kollege Peter Petersen, kannst du mir dahin gehend zustimmen, daß dieses Gespräch vor über drei Jahren im Senat im Zusammenhang mit der Frage stattgefunden hat, wie wir das nukleare Damoklesschwert bei uns hier beseitigen und dazu ein entsprechendes Abwehräquivalent schaffen können, also in einer Zeit, in der jene dramatischen Veränderungen bei weitem noch nicht erkennbar oder überhaupt nicht ersichtlich waren und sich noch nicht vollzogen hat, was sich gerade innerhalb des letzten Jahres und insbesondere des letzten halben Jahres vollzogen hat?

(Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Also auch Wendehälse in der Verteidigungspolitik!)


Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1118513500
Lieber Herr Kollege Horn, Sie haben meine Argumentation unterstrichen. Natürlich hat keiner von uns damals — es war vor zwei Jahren, nicht vor drei Jahren — geahnt, welche revolutionären Veränderungen sich in Mitteleuropa, in der DDR und in all den anliegenden Ländern des Warschauer Pakts abspielen würden. Wir haben es gehofft. Aber wir können doch zwei Dinge nicht bestreiten.

(Horn [SPD]: Darauf brauchen wir jetzt eine politische Antwort! — Frau Dr. Timm [SPD]: Zumindest aussetzen können Sie doch!)

Erstens. Das Gefährlichste in der heutigen Situation ist Instabilität, also Unzuverlässigkeit, Mißtrauen zwischen Bündnispartnern und auch ein Vakuum bezüglich der gesicherten, überzeugenden Abwehrfähigkeit. Auch Gorbatschow hat gesagt: Die NATO muß bestehen bleiben, damit dieses Netz stabil bleibt.

(Dr. von Bülow [SPD]: Gott sei Dank!)

— Dem stimmen wir ja zu, Herr von Bülow. — Zweitens. In bezug auf die Stationierung von Panzern im Bereich des Warschauer Pakts hat sich uns gegenüber leider überhaupt nichts verändert oder verbessert. Deshalb halten wir den Entschließungsantrag der Sozialdemokraten für verfrüht. Ich hoffe sehr — wir alle hoffen das doch —, daß wir in absehbarer Zeit im Zusammenhang mit den Ergebnissen von Wien dazu kommen werden, alle Kampfhubschrauber und alle Panzer abzuschaffen. Das wäre doch schön. Nur: Solange im Bereich des Warschauer Pakts modernste
Panzer stehen, können wir in Verantwortung für eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: In großer Überlegenheit stehen!)

dem Antrag der Sozialdemokraten nicht folgen.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Das ist doch antiquiert!)

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118513600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118513700
Alle wissenschaftlichen, rechtlichen, ökologischen und friedenspolitischen Sachargumente und Fakten gegen eine Stationierung sowohl im Hearing des Verkehrsausschusses als auch in der Region um Erbenheim sind hier bisher mehrheitlich nicht beachtet worden.
Auch das flehende Schreiben der CDU im Wiesbadener Stadtparlament an Herrn Stoltenberg mit Verweis auf die politische Situation im Osten, in dem es u. a. heißt: „Heute bitten wir eindringlich darum, die Stationierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auszusetzen", ist spurlos an Ihnen vorübergegangen.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Traurig!)

Ich möchte deshalb noch einmal den Versuch machen, Ihnen vor Augen zu führen, was Sie anrichten, wenn Sie für eine Stationierung in Wiesbaden-Erbenheim eintreten.
Die Apache 64 sind für den Einsatz in 150 km Entfernung bestimmt. Ist unsere Antwort auf den Abbau der Mauer die Bedrohung der mutigen Bevölkerung im Osten? Ist die Vernichtung der Bevölkerung, wie sie die NATO-Strategie impliziert, unsere Antwort für die Menschen, die gerade dabei sind, den Stalinismus zu vernichten?
Von westlicher Seite wird hier kein Verteidigungsauftrag erfüllt, sondern ein Angriffskrieg geplant, ein Angriffskrieg genau gegen die Menschen, die wir zur Zeit alle bewundern, die ihre Probleme mit einer einzigartigen gewaltfreien Revolution selbst mutig in die Hand genommen haben,

(Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Die wir mit Wirtschaftshilfe unterstützt haben!)

weil „von oben" keine Hilfe zu erwarten war.
Wenn Sie das alles so nicht wollen, dann müssen Sie gegen eine Stationierung in Wiesbaden-Erbenheim stimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dem Panzerabwehrhubschrauber Apache ist der reale Feind inzwischen völlig entzogen. Das merken auch alle, nur nicht die sogenannten verantwortlichen Politiker.
Mehrheitlich werden in diesem Bundestag und im Verteidigungsministerium immer noch Kalte-KriegsArgumente gebraucht, auch wenn Gorbatschow und
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14319
Frau Schilling
Bush den Kalten Krieg schon längst für beendet erklärt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das, was hier gegen alle Vernunft und Verantwortung läuft, könnte sich zur Zeit keine Partei und kein Parlament in der DDR oder im Osten erlauben. Solche Betonköpfe gibt es jetzt nur noch hier.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wissen Sie was? Sie haben noch eine Chance: Gehen Sie doch nach drüben — um einmal ein oft gebrauchtes Argument an Sie zurückzugeben.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)

Da können Sie zumindest sehen, wie man aus Fehlern lernt und was mit denen passiert, die das immer noch nicht kapiert haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir gehen täglich nach drüben!)

Die derzeitige NATO-Strategie und Waffenproduktion widerspricht einem friedlichen Zusammenleben der Völker. Würde das alles in die Tat umgesetzt, was Sie mit Erbenheim vorantreiben, so liefe das auf eine Wiedervereinigung im Tode hinaus.

(Beifall der Abg. Frau Wollny [GRÜNE])

Der Abzug amerikanischer Soldaten ist zu erwarten, aber Sie wollen in Erbenheim stationieren. Haben Sie denn immer noch nichts aus Ihren Pleiten — um nur die jüngste zu nennen: die Bundeswehrplanung — gelernt?
In den Wiener Verhandlungen sollen Kampfhubschrauber auf Wunsch der NATO abgerüstet werden. Wäre es da nicht wenigstens angebracht, wenn Sie den Ausgang der Verhandlungen entweder abwarteten oder aktiv dadurch unterstützten, daß Sie keine Stationierung vornehmen?

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD])

Sie beachten weder rechtsstaatliche Voraussetzungen einer solchen Entscheidung — es existiert nämlich bis heute keine Genehmigung nach dem Luftverkehrsgesetz — , noch wägen Sie die berechtigten Lebensinteressen der Bevölkerung gegen das Militär ab. Wie könnten Sie sonst so verantwortungslos sein und Hubschrauber stationieren wollen, die noch nicht einmal die vorgeschriebenen Sicherheitstests in den USA bestanden haben und dort auch wegen ihrer Störanfälligkeit betreffend elektromagnetischer Felder nicht eingesetzt werden sollen!

(Frau Unruh [fraktionslos]: Ach nee!)

Hier sollen sie der Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet, einem der größten Ballungsgebiete, zugemutet werden.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Herr Stoltenberg, das ist ja unverschämt!)

Sie kalkulieren kaltblütig die nächste Katastrophe ein. Auch aus Ramstein und Remscheid haben Sie nichts gelernt.
Können es sich denn ein bundesdeutscher Verteidigungsminister und ein bundesdeutsches Parlament leisten, mehrheitlich rechtsstaatliche Voraussetzungen zu ignorieren, geltendes deutsches Recht nicht umzusetzen? Viele Grundrechte, z. B. das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, sind doch außer Kraft gesetzt. Damit werden der Rechtsstaat und das Vertrauen in den Rechtsstaat unterhöhlt.

(Frau Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Frau Schilling, definieren Sie mal für die GRÜNEN, was Sie vom Rechtsstaat halten!)

Bei der nächsten Katastrophe stehen Sie dann mit den bekannten heuchlerischen Gesichtern wieder da und sagen der Bevölkerung: Wir werden alles tun, schnell und unbürokratisch. Ich sage Ihnen was: Jetzt können Sie was tun, und zwar schnell und unbürokratisch unserem Antrag zustimmen, und der besagt: keine Stationierung in Erbenheim, die Null-Lösung für Erbenheim.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118513800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118513900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Versuch unternehmen, zu einer sachlichen Abwägung zweier Problemkreise zurückzuführen,

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Warum spricht denn der Herr Gries nicht? — Frau Schilling [GRÜNE]: Entweder durfte er nicht, oder er hat sich nicht getraut!)

die in dieser Frage zweifellos gegeneinanderstehen und deren sorgfältige Abwägung nur dann möglich ist, wenn man sich mit Fakten und Tatsachen auseinandersetzt, mit denen wir es zu tun haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der erste Problemkreis ist derjenige, der geprägt wird erstens von dem so verständlichen Interesse der betroffenen Bevölkerung in dem Raum Erbenheim im Umfeld des Rhein-Main-Flughafens und zweitens auch von im Zeitablauf durchaus nicht realistischen Erwartungen bezüglich der Abrüstung geprägt wird, die wir wollen und die wir mit unserer Politik auch vorangetrieben haben.
Es ist voll verständlich — ich sage es noch einmal —, daß die Betroffenen in diesem Raum versuchen, eine zusätzliche Stationierung von Flugzeugen neben der Belastung durch den Rhein-Main-Flughafen zu verhindern. Nehmen Sie es bitte nicht als Zynismus, wenn ich sage: Ganz allein mit dem Sankt-Florians-Prinzip werden wir allerdings solche Probleme nicht lösen können.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Nehmen Sie doch Bonn!)

— Liebe Frau Unruh, ich glaube, Sie sollten lieber „Frau Aufgeregt" heißen, wenn ich Sie und Ihr Auftreten in diesem Bundestag zu beurteilen habe.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Was soll das denn? Lieber Friedensbewegung! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Wir sind doch hier in keiner Irrenanstalt! Sie sollten in den Zirkus gehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

14320 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Ronneburger
Das ist die eine Seite der Sache.

(Fortgesetzte weitere Zurufe)

— Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn Sie mir solche Unterbrechungen nicht auf meine Redezeit anrechnen würden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118514000
Herr Abgeordneter Ronneburger, fahren Sie ruhig fort. Sie bekommen genug Zeit.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118514100
Ich fahre in der Hoffnung auf Ihr freundliches Wohlwollen fort, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118514200
Das haben Sie immer. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118514300
Ich muß der Frau Kollegin Wieczorek-Zeul sagen: Auch Ihre Fraktion und Partei hat sich eingesetzt für erfolgreiche INF-Verhandlungen, für die Herbeiführung eines Mittelstreckenabkommens mit der Absicht, diese Waffengattung zu beseitigen, und genau in diesem Zusammenhang, Frau Kollegin, haben Vereinbarungen Platz gegriffen, die zur Senkung der Nuklearfähigkeit in einer eventuellen Auseinandersetzung dazu geführt haben, Hubschrauber mit konventioneller Bewaffnung an die Stelle solcher teuflischen Waffen und Massenvernichtungsmittel zu setzen.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Furchtbar!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118514400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118514500
Ja, bitte.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118514600
Herr Kollege Ronneburger, ich habe vorhin skizziert — ich frage Sie, was Sie dazu sagen —: Es ist so, daß die NATO selbst eine Abrüstung um rund 500 Kampfhubschrauber in Wien angeboten hat, d. h. das sichere Ergebnis ist eine Abrüstung von mindestens 500 Kampfhubschraubern, d. h. die NATO selbst ist offensichtlich der Meinung, daß in diesem Bereich Abrüstung angesagt ist. Das nimmt doch Ihr Argument weg. Sagen Sie doch dazu etwas!

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118514700
Frau Kollegin, das nimmt mein Argument überhaupt nicht weg, denn in Wien wird verhandelt. Ich teile mit Ihnen wahrscheinlich die Hoffnung, daß der erste Part der VKSE-Verhandlungen in Wien im kommenden Jahr abgeschlossen wird, und ich teile mit Ihnen vermutlich auch die Hoffnung, daß das Ergebnis so sein wird, daß im Frühjahr 1991 eine weitere Stationierung von Kampfhubschraubern auf diesem Flugplatz nicht mehr notwendig sein wird.
Aber erinnern Sie sich eigentlich noch daran, daß die Mittelstreckenraketen nicht dadurch beseitigt worden sind, daß wir vorzeitig auf Stationierung und Aufstellung verzichtet haben?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Schilling [GRÜNE]: Kommen Sie doch nicht mit dem alten Kram! Sie belügen sich selber!)

Sie brauchen mir und meiner Fraktion weiß Gott keinen Nachhilfeunterricht in Fragen Abrüstung und Entspannungspolitik zu geben. Aber ich möchte, daß wir in Verhandlungen mit unseren Bündnispartnern auch die Glaubwürdigkeit in die Zukunft hinüberretten,

(Frau Schilling [GRÜNE]: Die lachen sich doch kaputt über die blöden Deutschen!)

die wir uns durch eine konsequente Politik in der Vergangenheit erworben haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Die Zuverlässigkeit, diese Anerkennung unserer Zuverlässigkeit ist unaufgebbar,

(Frau Schilling [GRÜNE]: Die lachen Sie doch aus!)

auch für alle weiteren Schritte der Abrüstung.
Deshalb sage ich Ihnen: Es sind im Augenblick in Erbenheim 25 Starrflügler und 32 Hubschrauber stationiert. Die ursprüngliche Planung sah statt der 32 Hubschrauber, die dort im Augenblick stehen, 156 Hubschrauber vor. Es ist den von Ihnen also so willfährig bezeichneten Vorgängern von Herrn Stoltenberg gelungen, diese Zahl von 156 auf 100 zu reduzieren. Ich wehre mich in diesem Plenum des Bundestags dagegen, daß hier mit den Fragen der Souveränität eine Stimmung erzeugt werden soll, die nichts anderes bedeuten würde als eine Schwächung der Zusammengehörigkeit in der NATO und eine Schwächung der Stellung

(Frau Schilling [GRÜNE]: So ein ausgemachter Quatsch!)

unserer amerikanischen Verbündeten in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118514800
Herr Abgeordneter Ronneburger! Frau Abgeordnete Schilling, haben Sie den Zwischenruf gemacht: „Ein absoluter Quatsch! "?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118514900
„Ein ausgemachter Quatsch" habe ich gesagt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118515000
„Ein ausgemachter Quatsch". Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Dann sage ich es gleich noch mal!)

Damit Sie Bescheid wissen.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118515100
Vielen Dank, Herr Präsident.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Noch mehr Quatsch!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118515200
Ich habe es allmählich satt, daß ich mit großer Duldsamkeit hier Ihre permanenten Zwischenrufe aus diesem Bereich mir anhöre.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Das werden Sie schon müssen!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14321

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118515300
Herr Präsident, ich bin Ihnen um so dankbarer, als ich es mir versagt habe, Frau Schilling, bei Ihren Ausführungen entsprechende Zwischenrufe zu machen.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Ich habe ja auch nicht so einen Quatsch geredet!)

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn auch Sie mit etwas mehr Höflichkeit reagieren könnten, die andere Ihnen, wenn auch mühsam, entgegenbringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Schilling [GRÜNE]: Ich bin nur ehrlich!)

Bis Ende 1990 — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118515400
Frau Abgeordnete Schilling, ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Ordnung.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Ist okay, Chef!)

— Frau Abgeordnete Schilling, ich werde im Protokoll nachsehen, was Sie für meinen Zwischenruf nach meiner Anordnung noch gemacht haben.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118515500
Bis Ende 1990 soll die VSKE I in Wien zum erfolgreichen Abschluß gekommen sein. Ich glaube, wir hätten alle Veranlassung, uns mehr darauf zu konzentrieren, daß dieser erfolgreiche Abschluß tatsächlich zustande kommt und daß wir zu unserem Teil mit bewirken, daß in Zukunft Waffen in geringerer Zahl erforderlich sind, um Sicherheit und Frieden und Freiheit in Europa und auch für unser Land sicherzustellen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118515600
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1118515700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim, auf dem kürzlich der Luftbrücke nach Berlin und ihrer Opfer gedacht wurde, wird ja von den amerikanischen Streitkräften seit Jahrzehnten als Militärflugplatz genutzt. Diese Nutzung ist übrigens auch nach Auffassung der hessischen Landesregierung rechtlich gesichert. Sie ist nie aufgegeben worden. Das ist natürlich auch allen bekannt, die hier einen anderen Eindruck erwecken wollen.
Zur Gewährleistung eines ungehinderten und sicheren Flugbetriebs besteht seit 1962 ein Bauschutzbereich mit bestimmten Einschränkungen für die gemeindliche Planungshoheit.
Die Bundesregierung war sich von Anfang an bewußt, daß die Stationierung zusätzlicher Hubschrauber eine kritische Debatte auslösen würde, auch wenn damit ein Abzug der in Erbenheim stationierten Flugzeuge verbunden ist.
Deshalb hat das Verteidigungsministerium gemeinsam mit den amerikanischen Streitkräften in den letzten Jahren immer wieder umfangreiche Untersuchungen auch nach anderen Standorten durchgeführt. Dabei war es von Anfang an ganz unwahrscheinlich, daß man Erbenheim ganz aufgeben könne. Aber es ist
nach Alternativen gesucht worden, allerdings ohne Ergebnis. Die sorgfältige langanhaltende Prüfung und die begleitende kritische Debatte führten jedoch zu einer ganz deutlichen Verringerung der ursprünglichen Planungen und, gemessen an ihnen, mit dem jetzigen Konzept zu einer wesentlich geringeren Lärmbelastung.
Die von der Frau Kollegin Wieczorek-Zeul in der Öffentlichkeit gebrachte und heute wiederholte Version eines angeblichen Geheimprotokolls, welches das Gegenteil aussagen soll, ist schlicht unzutreffend. Es gibt weder ein Geheimprotokoll, noch gibt es konkrete realisierbare Vorschläge der Amerikaner für eine bestimmte Alternativlösung.
Ich sage das, weil hier, Frau Kollegin WieczorekZeul, bei Ihnen im Grunde nur ein Feindbild sichtbar wurde; das sind die amerikanischen Streitkräfte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

Das ist ein absurdes Denken im Hinblick auf einen Stützpunkt, von dem aus bereits während der Berliner Blockade die notleidende und bedrohte Berliner Bevölkerung von den Amerikanern unterstützt wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Wiezcorek-Zeul meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118515800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1118515900
Nein, das tue ich nicht. Dann müßte ich zu einer Reihe anderer Unwahrheiten Stellung nehmen, die Sie hier vorgetragen haben. Ich möchte fortfahren.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Es ist noch absurder, wenn die Kollegin Frau Schilling in diesem Zusammenhang — —

(Unruhe)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118516000
Herr Bundesminister, gestatten Sie die Unterbrechung. Meine Damen und Herren, der Plenarsaal füllt sich wieder. Dabei entsteht eine ganz natürliche Unruhe. Es geht nicht an, mit solchen Zwischenrufen Ausführungen eines Ministers oder eines Abgeordneten permanent zu unterbrechen. Das ist nicht parlamentarisch.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1118516100
Es ist noch absurder, Frau Schilling, wenn Sie hier in Verbindung mit Erbenheim behaupten, die westliche Seite bereite einen Angriffskrieg vor. Aber das zeigt natürlich den Grad der Verworrenheit und Hemmungslosigkeit, mit der manche die Debatte über Sicherheitsfragen und unsere Verbündeten heute führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor der abschließenden Entscheidung über den Umfang einer für Wiesbaden-Erbenheim zulässigen Stationierung von Luftfahrzeugen ist das eingeleitete Verfahren nach dem Luftverkehrsgesetz zu Ende zu führen. Die Fristen für die Anhörung endeten am 16. Oktober 1989. Die Auswertung und Bewertung
14322 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Stoltenberg
der eingegangenen Beiträge sind durchgeführt worden. Die Bundesregierung wird bei ihrer Entscheidung die Stellungnahme der Angehörten ebenso berücksichtigen wie die Ergebnisse der parlamentarischen Ausschußberatung.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Dann dürfen Sie heute nicht abstimmen!)

Wir haben die amerikanischen Streitkräfte auch auf die Empfehlung der Auschüsse dieses Hauses hin noch einmal ersucht, für einen möglichst baldigen Abzug der zur Zeit in Erbenheim stationierten Starrflügelflugzeuge zu sorgen. Durch den Wegfall einer erheblichen Zahl von Instrumentenflügen, die durch den Rhein-Main-Flughafen überwacht werden müssen, wird sich in diesem Zusammenhang die Flugsicherheit in der Region erhöhen.
Wir haben darüber hinaus die amerikanischen Streitkräfte gebeten, nach Möglichkeiten zu suchen, die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm zu verringern. Deshalb findet nach den jetzigen Planungen der gesamte Übungsbetrieb außerhalb der Region Wiesbaden statt.
Ich will im übrigen hervorheben, daß die für Erbenheim vorgesehenen Haubschraubertypen um drei bis vier Dezibel leiser sind als die bisher dort stationierten.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Das ist aber auch eine Lösung!)

Die fachlichen Einschätzungen und Gutachten kommen zu dem Ergebnis, daß sich durch diese Verlagerung und Neustationierung insgesamt die Lärmbelästigung gegenüber dem Durchschnitt der letzten Jahre nicht erhöht.
Der Vorwurf, daß die vorgeschriebenen Sicherheitsmindesthöhen nicht überall eingehalten

(Frau Schilling [GRÜNE]: Können gar nicht eingehalten werden!)

und dadurch die Unfallrisiken erhöht würden, wird von den amerikanischen Streitkräften mit ernstzunehmenden Argumenten zurückgewiesen. Allerdings dürfen nach der Luftverkehrsordnung die Sicherheitsmindesthöhen für An- und Abflugzwecke am Flugplatz unterschritten werden, um sichere Starts und Landungen zu ermöglichen.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Und was ist die Mindestsicherheitshöhe?)

Aber außerhalb der unmittelbaren An- und Abflugbereiche wird die über dichtbesiedeltem Gebiet vorgeschriebene Flughöhe von 300 m eingehalten. Es gibt nur ganz wenige Stellen, wo aus topographischen Gründen eine begrenzte Abweichung geboten ist.
Meine Damen und Herren, die kritischen Diskussionen der letzten Jahre sind im wesentlichen unter dem Vorzeichen des befürchteten Anstiegs des Flugbetriebs auf 90 000 bis 100 000 Flugbewegungen im Jahr geführt worden. Jetzt ist beabsichtigt, die US-Stationierungsplanung für Erbenheim auf 100 Hubschrauber zu verringern und die Zahl der Flugbewegungen im Jahr auf rund 60 000 als Obergrenze zu beschränken. Bisher gibt es rund 45 000 Flugbewegungen im langfristigen Durchschnitt vergangener Jahre. Die
vorgesehenen Typen, insbesondere der Apachi, verursachen, wie schon erwähnt, im Vergleich zu den bisher dort stationierten Transporthubschraubern eine eindeutig geringere Lärmbelästigung. Der Stationierungsplan der amerikanischen Streitkräfte sieht vor, die genannte Obergrenze bis zum Juni 1991 schrittweise zu erreichen. Im Rahmen dieses Konzepts werden die jetzt dort vorhandenen Hubschrauber und Flugzeuge verlegt.
Im Gegensatz zu Ihren Behauptungen, Frau Wieczorek-Zeul, ist dieses Konzept vereinbar mit der westlichen Verhandlungsposition bei den Wiener Gesprächen über konventionelle Abrüstung in Europa. Wenn wir nach einem Erfolg in Wien zu einer Reduzierung des Umfangs vor allem der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland kommen, gewinnt die Luftbeweglichkeit und die Transportkapazität des Bündnisses eher eine größere Bedeutung.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Das heißt, sie bleiben!)

Darauf sind die abgestimmten Planungen der Bündnispartner eingestellt.
Wir wollen die Chancen zur Abrüstung nutzen, und wir wollen zugleich Verteidigungsfähigkeit gewährleisten. Hierfür bleibt der Beitrag unserer amerikanischen Verbündeten weiterhin von besonderer Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118516200
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Rönsch.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1118516300
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Ich gebe heute diese persönliche Erklärung zur Abstimmung ab, weil ich mich als Wiesbadener Bundestagsabgeordnete bei der Frage der Stationierung von Flugkörpern auf dem in meinem Wahlkreis Wiesbaden gelegenen Flugplatz Wiesbaden—Erbenheim in einer ganz besonderen Verantwortung sehe, in Verantwortung vor den Bürgern der Stadt, aber auch in Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes. Ich spreche hier auch im Namen meiner Kollegen Otto Zink und Michael Jung, die in den Nachbarregionen ihrer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in gleicher Weise gerecht werden wollen.
In der heute hochdramatischen Phase der politischen und wirtschaftlichen Annäherung zwischen Ost und West, der für uns historischen Entwicklung in der DDR sowie der ernsthaften Abrüstungsinitiativen auf beiden Seiten erscheint es vielen Menschen kaum noch verständlich, wenn gleichzeitig Hubschrauber nach Wiesbaden-Erbenheim verlegt werden sollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Verteidigungsfähigkeit aber, meine Herren und Damen von der Opposition, halten viele heute nicht mehr für zeitgemäß, für eine überholte Vokabel des kalten Krieges. Ich kann diese Denkweise nicht nachvollziehen. Wir alle stehen ja unter dem Eindruck der tief-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14323
Frau Rönsch (Wiesbaden)

greifenden Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Systeme in Osteuropa. Doch ich halte dies nicht für ausreichend zu Ende gedacht.
Ich will mein Abstimmungsverhalten für die jetzige Stationierung in Wiesbaden-Erbenheim mit dem Hinweis auf die Nachrüstungsdebatte von vor sechs Jahren begründen. Erst die damals von uns, der CDU/ CSU-Fraktion, bewiesene Vertragstreue zu den Zusagen von Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in den Folgejahren zur Vernichtung der Mittelstreckenraketen geführt,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und zwar vertraglich vereinbart und für beide Seiten überprüfbar. Dies erhoffe ich mir dringend auch für die jetzt in Erbenheim unterzubringenden Hubschrauber, die nicht einmal ein Mehr an Waffensystem bedeuten, sondern nur dorthin verlegt werden.
Es ist nach meiner Einschätzung die Aufgabe der Wiener Abrüstungsverhandlungen, zu raschen Ergebnissen bei der Reduzierung von konventionellen Streitkräften zu kommen. Wenn die dort beschlossenen Schritte zur Minderung der Waffenbestände führen und die Friedenssicherung auf niedrigerem militärischem Niveau gewährleistet ist, dann erwarte ich allerdings — hier ist die Bundesregierung, Herr Bundesverteidigungsminister, in der Pflicht — , daß Erbenheim an vorderster Stelle steht und der Stadt Wiesbaden sowie den Bürgern Entlastung erteilt wird.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Er hat doch gesagt: Sie bleiben! Auch dann!)

Es kann, Frau Kollegin, hier nicht um parteipolitisches Taktieren gehen.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Genau das machen Sie aber!)

Es geht um Verantwortung, die man zu tragen bereit sein muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Entlastung für den speziellen und wichtigen Beitrag, den die Bürger von Wiesbaden momentan für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland leisten, müßte dann gewährleistet sein.
Mut, meine Herren und Damen, wird von mir momentan von einer Wiesbadener Bürgerinitiative gefordert, indem ich mich gegen die Stationierung aussprechen soll. Mutig ist es aber sicher nicht, Frau Kollegin, auf kurzsichtige parteitaktische Vorteile zu spekulieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich meine, Mut gehört zur Verantwortung. Ich bin heute bereit, die Verantwortung zu übernehmen, indem ich die Stationierung als einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes und für den Erfolg der weltweiten Abrüstungsverhandlungen betrachte. Für die Menschen in meiner Stadt erwarte ich in dieser Verantwortung, daß dieser Beitrag im europäischen Rahmen bald überflüssig ist.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118516400
Ebenso nach § 31 der Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1118516500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Peter Petersen hat mich vorhin leider Gottes in falschem Zusammenhang zitiert. Ich stelle dazu fest:
Erstens. Das Gespräch im Senat fand im Juli 1985 statt, also vor viereinhalb Jahren.
Zweitens. Das Gespräch fand im Zusammenhang mit der Beseitigung der atomaren Waffen in Mitteleuropa statt. Das habe ich immer begrüßt.
Drittens. Das Gespräch fand vor der Ankündigung und Durchführung einseitiger sowjetischer Abrüstungen in Mitteleuropa statt.
Viertens. Das Gespräch fand vor der Wiener Mandats- und der Wiener Abrüstungskonferenz statt.
Fünftens. Das Gespräch fand in einer militärpolitisch völlig anderen Lage statt, als sie jetzt vorliegt. Die jetzige Lage sollten wir durch richtige Signale stützen und nicht durch falsche Entscheidungen gefährden.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118516600
Ebenso nach § 31 der Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1118516700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumente sind ausgetauscht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema. Dazu gibt es auch unterschiedliche Anträge. Die Sozialdemokraten haben auf Drucksache 11/6029 ihren Antrag vorgelegt. In diesem Antrag setzen wir uns für eine Änderung ein, welche die völlige Null-Lösung für Erbenheim zum Inhalt hat. Deswegen werden wir uns bei dem zweiten, gleichlautenden Antrag der GRÜNEN der Stimme enthalten; denn wir wollen unseren Argumenten zustimmen. Wir haben das immer so gehalten, und das soll auch so bleiben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118516800
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4883, zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6029. Die Fraktion der SPD hat zu diesem Änderungsantrag namentliche Abstimmung beantragt.
Wir treten in die namentliche Abstimmung ein. Die Abstimmung ist eröffnet.
Ich mache darauf aufmerksam, daß sich unmittelbar an diese namentliche Abstimmung eine zweite namentliche Abstimmung anschließt und wir die Schlußabstimmung erst durchführen können, wenn die beiden Ergebnisse vorliegen.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sich an der Abstimmung beteiligen will? Können mir die parlamentarischen Geschäftsführer signalisieren, ob ich die Abstimmung schließen kann? — Ich sehe überall Zustimmung. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6105. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —
14324 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Vizepräsident Stücklen
Meine Damen und Herren, nach Abschluß dieser namentlichen Abstimmung werde ich vermutlich die Sitzung für 15 Minuten unterbrechen müssen, bis die Ergebnisse vorliegen. Dann kommt die Schlußabstimmung.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob sich Mitglieder des Hauses noch an der Abstimmung beteiligen wollen? Können mir die parlamentarischen Geschäftsführer und die Schriftführer das sagen? — Kein Bedarf mehr. Ich schließe die Abstimmung und bitte mit der Auszählung zu beginnen.
Wir treten in eine Pause von ungefähr 15, höchstens 20 Minuten ein.

(Unterbrechung von 15.31 bis 15.43 Uhr)

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Mir liegen die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen vor.
Zuerst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6029 zur Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr. Abgegebene Stimmen: 376. Mit Ja haben 156 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 220 Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 373; davon
ja: 156
nein: 217
Ja
SPD
Frau Adler
Amling Andres Antretter
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker (Nienberge) Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme (Unna) Brandt
Brück Büchler (Hof)

Büchner (Speyer)

Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Catenhusen
Frau Conrad
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Dreßler Duve
Dr. Ehmke (Bonn)

Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Fuchs (Verl)

Frau Ganseforth
Gansel Gilges
Frau Dr. Götte Großmann Grunenberg
Dr. Haack
Haack (Extertal) Haar
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann
Heistermann Hiller (Lübeck) Dr. Holtz
Horn
Huonker
Ibrügger
Jahn (Marburg) Dr. Jens
Jungmann (Wittmoldt) Frau Kastner
Kiehm
Kirschner
Dr. Klejdzinski Koltzsch
Koschnick
Kuhlwein
Leidinger
Frau Luuk
Menzel
Meyer
Müller (Düsseldorf) Müller (Pleisweiler) Müller (Schweinfurt) Nehm
Frau Dr. Niehuis Dr. Niese
Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Opel
Dr. Osswald
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter (Kassel)

Pfuhl
Dr. Pick Porzner Purps
Frau Renger
Reschke Reuter Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg) Schanz
Scherrer
Schmidt (Salzgitter)

Dr. Schmude
Schreiner
Schütz Seidenthal
Frau Seuster
Sielaff Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Stahl (Kempen)

Frau Steinhauer
Stobbe
Frau Terborg
Frau Dr. Timm
Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Dr. Vogel
Voigt (Frankfurt) Wartenberg (Berlin)
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler
Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With
Wittich Zander Zeitler Zumkley
FDP
Gries
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels (Regensburg) Eich
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hüser
Kleinert (Marburg)

Dr. Knabe
Dr. Lippelt (Hannover) Frau Nickels
Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling
Frau Schmidt (Hamburg) Frau Schoppe Stratmann
Frau Teubner Frau Dr. Vollmer Weiss (München) Wetzel
Frau Wollny
Fraktionslos Frau Unruh
Nein
CDU/CSU
Frau Augustin Austermann
Bauer Bayha Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm (Melsungen)

Börnsen (Bönstrup)

Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Bühler (Bruchsal) Buschbom
Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels (Bonn)

Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Francke (Hamburg)

Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster (Mainz)

Glos
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Hames Hedrich Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Helmrich
Herkenrath
Hinrichs
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14325
Vizepräsident Stücklen
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Graf Huyn
Dr. Hüsch Jäger
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Limburg)

Jung (Lörrach)

Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki
Kiechle
Kittelmann
Klein (München) Kossendey
Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs Lenzer
Frau Limbach
Link (Frankfurt)

Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo Marschewski
Dr. Möller Müller (Wadern)

Müller (Wesseling)

Nelle
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog Oswald
Pesch
Petersen Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Probst Rauen
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Rossmanith
Frau Rost (Berlin)

Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Sauter (Epfendorf)

Frau Schätzle
Schemken Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt (Spiesen) Schmitz (Baesweiler)
von Schmude
Dr. Schneider (Nürnberg) Freiherr von Schorlemer
Schreiber
Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz

Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stercken
Dr. Stoltenberg Straßmeir Stücklen
Frau Dr. Süssmuth Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Düren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wulff
Zeitlmann Zierer
Zink
FDP
Baum
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth) Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer
Kleinert (Hannover) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer (Mainz)

Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Timm
Frau Walz
Dr. Weng (Gerlingen) Frau Würfel
Der Änderungsantrag ist daher mit Mehrheit abgelehnt.
Das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6105: abgegebene Stimmen: 372; ungültig: keine. Mit Ja haben 37, mit Nein haben 218 Abgeordnete gestimmt; Enthaltungen: 117.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 373; davon
ja: 37
nein: 219
enthalten: 117
Ja
SPD
Frau Fuchs (Verl) Leidinger
Müller (Pleisweiler) Peter (Kassel)
Reuter
Dr. Scheer
Sielaff Verheugen
Frau Weiler Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels (Regensburg) Eich
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hüser
Kleinert (Marburg)

Dr. Knabe
Dr. Lippelt (Hannover) Frau Nickels
Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling
Frau Schmidt (Hamburg) Frau Schoppe
Stratmann Frau Teubner
Frau Dr. Vollmer
Weiss (München)

Wetzel
Frau Wollny
Fraktionsios Frau Unruh
Nein
CDU/CSU
Frau Augustin Austermann Bauer
Bayha
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen)

Börnsen (Bönstrup)

Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Bühler (Bruchsal)

Buschbom
Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels (Bonn)

Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer
Francke (Hamburg)

Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster (Mainz)

Glos
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries Hedrich Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Helmrich Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
14326 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Vizepräsident Stücklen
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung (Limburg) Jung (Lörrach) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kiechle
Kittelmann
Klein (München) Kossendey
Kraus
Dr. Kreile
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach Link (Frankfurt) Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Dr. Mahlo
Marschewski Dr. Müller
Müller (Wadern) Müller (Wesseling)
Nelle
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog Oswald
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger
Dr. Probst
Rauen
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Rossmanith
Frau Rost (Berlin)

Ruf
Sauer (Salzgitter) Sauer (Stuttgart) Sauter (Epfendorf)
Frau Schätzle Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt (Spiesen) Schmitz (Baesweiler)
von Schmude
Dr. Schneider (Nürnberg) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd)

Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stercken
Dr. Stoltenberg Straßmeir
Stücklen
Frau Dr. Süssmuth Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen
Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wulff
Zeitlmann
Zierer
Zink
SPD
Grunenberg Dr. Haack
Nehm
FDP
Baum
Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth) Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Grüner
Heinrich
Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer
Kleinert (Hannover) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Neuhausen
Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Timm
Frau Walz Dr. Weng (Gerlingen) Frau Würfel
Zywietz
Enthalten
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker (Nienberge) Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme (Unna) Brandt
Brück
Büchler (Hof) Büchner (Speyer)
Dr. von Billow Frau Bulmahn Catenhusen Frau Conrad Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke (Bonn)

Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Ganseforth
Gansel
Gilges
Frau Dr. Götte Großmann
Haack (Extertal)

Haar
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann
Heistermann Hiller (Lübeck) Dr. Holtz
Horn
Huonker
Ibrügger
Jahn (Marburg) Dr. Jens
Jungmann (Wittmoldt) Frau Kastner
Kiehm
Kirschner
Dr. Klejdzinski Koltzsch
Koschnick
Kuhlwein
Frau Luuk Menzel
Meyer
Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Purps
Frau Renger Reschke
Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg) Schanz
Scherrer
Schmidt (Salzgitter)

Dr. Schmude Schreiner
Schütz
Seidenthal Frau Seuster Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Stahl (Kempen)

Frau Steinhauer
Stobbe
Frau Terborg Frau Dr. Timm
Urbaniak
Vahlberg
Dr. Vogel
Voigt (Frankfurt) Wartenberg (Berlin)
Frau Dr. Wegner Weiermann
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Wiefelspütz von der Wiesche
Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP Gries
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Ziffer 1 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4883. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2868 (neu) abzulehnen.
Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? —

(Zurufe von der SPD: Das ist die Mehrheit!)

Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist dieser Antrag abgelehnt.

(Zurufe von der SPD: Nein, angenommen!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14327
Vizepräsident Stücklen
— Angenommen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein, abgelehnt war richtig! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das war eindeutig! — Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

— Moment, Herr Abgeordneter Ehmke. Das Ergebnis festzustellen ist Sache des Präsidiums.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie haben ja gesagt: „Abgelehnt" ! )

— Moment. Es ist keinesfalls auszuschließen, daß sich der amtierende Präsident, der ein Ergebnis bekanntgibt, verspricht.

(Heiterkeit und Beifall)

Daher lasse ich, wenn es wirklich Zweifel geben sollte
— wir wollen schon klare Abstimmungsergebnisse haben — , die Abstimmung wiederholen.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2868 (neu) abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Präsidium ist sich einig,

(Feilcke [CDU/CSU]: Das ist ein gutes Präsidium!)

daß die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen ist. Damit ist der Fall endgültig und eindeutig abgeschlossen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Ziffer 1, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2890 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Würden Sie bitte wiederholen!)

— Sehr gerne. — Wer für die Beschlußempfehlung ist, diesen Antrag der GRÜNEN abzulehnen, möge bitte das Handzeichen geben; das bedeutet ja. —

(Heiterkeit)

Wer dagegen ist, den bitte ich ebenfalls um ein Handzeichen; das bedeutet nein. — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit zugestimmt.
Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus unter Ziffer 1, einen weiteren Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2891 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen und der Antrag damit abgelehnt; so ist es nun einmal.

(Heiterkeit)

Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 11/4883 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 13 auf: Aktuelle Stunde
Die Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag nach den Gipfeltreffen von Malta, Brüssel und Straßburg
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem obengenannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118516900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ganze Welt redet über Helmut Kohls Wiedervereinigungspläne. Eine große Verunsicherung, ja sogar Alarmstimmung über die bundesdeutsche Politik beherrscht das diplomatische Parkett in Ost und West. Aber der Deutsche Bundestag soll darüber nicht einmal diskutieren. Das ist in einer Demokratie etwas Ungewöhnliches, ja ein Skandal.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Man kann bei den Gesprächen am runden Tisch in der DDR nur raten, eine Verfassung zu schaffen, die eine solche Demütigung des Parlaments nicht zuläßt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn nicht alles täuscht, befinden wir uns an einem ausgesprochen gefährlichen Zeitpunkt: Viel in Jahrzehnten aufgebautes Vertrauen in die Berechenbarkeit der bundesdeutschen Politik und der europäischen Verhältnisse kann dabei verspielt werden. Jacques Chirac hat vom drohenden Weg von Jalta zurück nach Sarajevo gesprochen.

(Lummer [CDU/CSU]: Nun ist es aber gut!)

Und warum das Ganze? Weil ein Provinzpolitiker Weltpolitik machen will.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Weil ein Mann, der in seiner Partei alles weggebissen hat, was Arbeits- und Ämterteilung garantieren würde, zur Zeit die Wahlkampfführung als seine zentrale Aufgabe ansieht.

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das ist einer Parlamentarierin unwürdig! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es ist blanker Haß, was Sie da erzählen!)

Staatsmännische Klugheit, politische Vorsicht, diplomatische Höflichkeit und koalitionspolitisches Fair play gelten einfach nichts mehr. Manchmal fürchte ich, es könnte zu einem großen Unglück für die Demokratiebewegung in der DDR werden, daß sie mit ihrer gewaltfreien Revolution einfach nicht mehr so lange warten wollte, bis hier bei uns der Wahlkampf vorbei ist.
Was gilt noch ihr Recht auf Selbstbestimmung? Was zählt, daß sie Zeit brauchen, Zeit und nochmals Zeit? Wer achtet darauf, daß jeder Schritt, den sie jetzt tun, korrigierbar bleiben muß, weil die Korrigierbarkeit das Wesen demokratischer Entscheidungen ausmacht?
Helmut Kohl und die bundesdeutsche Politik spielen mit dem Feuer. Wann gab es das jemals, daß unisono von der „Bild"-Zeitung bis zu Rudolf Augstein und zur „Frankfurter Allgemeinen" ein Thema jede
14328 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Dr. Vollmer
andere politische Frage in der Welt an den Rand gedrückt hat? Was ist, wenn wir uns damit irren? Und was ist, wenn der große nationale Konsens, der leider auch die SPD erfaßt hat, haarscharf an der Wirklichkeit, an den realen Möglichkeiten vorbeigeht?

(Lummer CDU/CSU: Sind Sie nun für oder gegen Selbstbestimmung? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Es ist absurd, daß ausgerechnet die GRÜNEN in diesem Parlament die einzigen Realpolitiker sein sollen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Was ist mit der SPD los, wenn sie die ganzen mühsam errungenen Früchte des internationalen Vertrauens ihrer Ostpolitik zusammen mit einem doch durchaus hoffnungsvollen Kanzlerkandidaten in einem nationalen Strohfeuer mit verfeuern läßt?
Wir schlagen in aller Kürze folgendes als rauschabstinente Alternative vor:
Erstens. Respektieren wir das Recht der DDR-Bevölkerung, sich über freie Wahlen eine demokratische Verfassung, ein Parlament und eine demokratische Öffentlichkeit zu gestalten,

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)

und zwar ohne unsere Einmischung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Ihre Belehrungen brauchen wir gar nicht!)

Zweitens. Leisten wir sofort wirtschaftliche Hilfe, und denken wir dabei auch an einen Lastenausgleich, der die hohen Reparationszahlungen und die ungleichen Startbedingungen der DDR ausgleicht.
Drittens. Lassen Sie uns über Formen einer Vertragsgemeinschaft mit der dann legal gewählten Regierung unter Kontrolle der dann konstituierten demokratischen DDR-Öffentlichkeit reden und diese rechtlich und politisch gestalten.
Viertens. Das ist sehr wichtig: Dazu gehört auch die Anerkennung dieser legal gewählten Regierung sowie der Eigenexistenz ihres Staatswesens inklusive der Respektierung einer eigenen Staatsbürgerschaft. Mit einem Staat, der völkerrechtlich ein Nichts ist, kann man nämlich weder Verträge schließen noch eine Konföderation bilden.
Fünftens. Erproben wir dann konföderative Strukturen oder auch eine Konföderation. Das dauert aber mindestens zwei Legislaturperioden beider deutscher Parlamente, die dann hoffentlich so zusammengesetzt sind, daß sie dieser Aufgabe auch politisch gewachsen sind.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch das müssen die Bürger der DDR entscheiden!)

Alles, was zur Zeit über diese fünf Schritte hinausgeht, verunsichert unsere Nachbarn und ist unerlaubte Traumtänzerei.

(Feilcke [CDU/CSU]: Wir verbitten uns Ihre Belehrungen!)

Ich habe nichts gegen Traumtänzer, aber wenn ich Helmut Kohl ansehe, dann weiß ich, daß er kein Talent für diese Kunst hat.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind eine Traumtänzerin!)

Ich weiß, wie sein Drahtseilakt enden muß: mit einem harten Sturz auf den Boden der Tatsachen. Er wird nicht mehr, sondern weniger erreichen, als in den jetzigen, wirklich historischen Möglichkeiten liegt. Sorgen wir dafür, daß er bei seiner notwendigen Bruchlandung nicht allzuviel von dem mit einreißt, was wir für eine andere Politik noch dringend brauchen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118517000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1118517100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik der GRÜNEN an der Informationspolitik der Bundesregierung nach den Gipfeln von Malta, Brüssel und Straßburg, von denen Sie übrigens überhaupt nicht gesprochen haben, ist vollkommen unberechtigt und auch unbegründet. Es gibt für die Bundesregierung nicht nur das Plenum.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Es gibt das Plenum für sie offensichtlich überhaupt nicht mehr!)

Die Bundesregierung hat sehr wohl sehr gut informiert. Der Auswärtige Ausschuß hat am 7. Dezember eine Sondersitzung gehabt. Dazu waren der Kollege Lippelt und die übrigen Kollegen von Ihnen eingeladen. Ich hoffe, auch Sie waren da.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Und was bedeutet das für die hier nötige nationale Debatte?)

Wenn Sie das nicht nutzen, dann ist das Ihre Schuld.
Aber ich finde es gut, daß wir diese Aktuelle Stunde haben. So können wir die Verdienste dieser Bundesregierung noch einmal vor Weihnachten besprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was hat der Bundeskanzler denn nächste Woche in der DDR vor?)

— Frau Vollmer, ich habe den Eindruck, es geht Ihnen um etwas ganz anderes. Sie wollen eine Vertrauenskrise herbeireden.

(Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich frage mich wirklich: Was nützt Ihnen dies? Wem soll dies nützen? Den Deutschen wird dies ganz sicherlich nicht nützen. Deshalb müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie dies hier tun.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sollen wir mit dem Bundeskanzler auf seiner abschüssigen Bahn reiten? — Gegenruf Feilcke [CDU/ CSU]: Sie sind eine Giftzwergin!)

Was war denn wirklich? Die Orte Malta, Brüssel und Straßburg liegen nicht nur geographisch gesehen in
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14329
Frau Geiger
Europa; dort wurden jetzt auch wichtige Weichenstellungen für Europa und für Deutschland vorgenommen.
Das erfreulichste Ereignis — davon hätten Sie auch sprechen können, wenn Ihnen der Frieden so am Herzen liegt — , ist, daß im Sturm vor Malta der Kalte Krieg endgültig beendet worden ist.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Das haben Sie doch noch nicht verstanden!)

Es ist gut, daß dort die zwei mächtigsten Staatsmänner der Welt sich verstanden haben, daß sie über die neue Lage in der Welt gesprochen haben und daß sie sich gegenseitig versprochen haben, daß keiner Kapital daraus schlagen wird, wenn der andere Schwierigkeiten haben sollte.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Sie widersprechen sich mit jedem Satz, wie es gerade paßt!)

Das ist ganz besonders für Präsident Gorbatschow wichtig. Wir alle wissen, daß er vor großen Schwierigkeiten steht, nicht nur im Warschauer Pakt, sondern auch ganz besonders in seinem Lande.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Diese Schwierigkeiten steigern sich! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Haben Sie gehört, was die sowjetische Seite dazu gesagt hat, wo sie die Schwierigkeiten sieht?)

Insofern war der Malta-Gipfel ein sehr guter Gipfel.
Ein gutes Verhältnis der beiden Supermächte ist ganz besonders wichtig, wenn sich der Wandel in Europa ungestört weiter fortsetzen soll und wenn sich auch für die deutsche Frage eine Lösung finden soll. Das geht nur dann, wenn auch die beiden Großen mitmachen.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Aha!)

Das Motto dieses Gipfels kann man nennen: Von der Konfrontation zur Kooperation. Dies ist überhaupt das Motto der derzeitigen Entwicklungen, der derzeitigen Großwetterlage. Natürlich kommt dieser Wandel von der Konfrontation zur Kooperation ganz besonders denen zugute, die dort leben, wo die stärkste Konfrontation war, im Herzen Europas, im Herzen Deutschlands, an unserer Grenzlinie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb sollten wir hier nicht tragische Dinge herbeireden, die es nicht gibt.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Nicht neue Hubschrauber!)

Es ist verständlich, wenn viele denken, in einer Zeit des Wandels gebe es labile Zustände. Das ist auch so. Wir müssen sehen, daß wir diese labilen Zustände überwinden.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Und was macht dann eine vernünftige Politik? Anheizen oder Sicherheiten schaffen?)

Falsch ist aber, wenn man unter Stabilität die Zementierung des Status quo versteht. Dies wollen wir ganz gewiß nicht. Der Status quo, den wir bis vor kruzem hatten, war ja keine organische Friedensordnung, sondern er hat sich auf eine Zwangsherrschaft
in Osteuropa gestützt. Erst die friedlichen Massendemonstrationen in Osteuropa, auch in der DDR, und nicht zuletzt die Haltung Gorbatschows haben dazu geführt, daß diese Zwangsherrschaft überwunden werden konnte.
Wir müssen uns auf eines einstellen: Die beiden Pakte werden sich ändern. Das, was sie an militärischer Bedeutung verlieren, werden sie ganz gewiß an politischer Bedeutung dazugewinnen. Wenn es im Ost-West-Verhältnis keine dramatischen Rückschläge gibt, werden die beiden Bündnisse ihre Hauptaufgabe nicht mehr so stark in der gegenseitigen Abschreckung, sondern in der Überwachung des Gleichgewichtszustandes in Europa sehen.
So gesehen ist auch ein wie auch immer gearteter Bund der beiden deutschen Staaten in zwei unterschiedlichen Paktsystemen durchaus vorstellbar. So gesehen sind auch die zehn Punkte des Bundeskanzlers genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Sie geben den Deutschen eine Vision für ihre Zukunft, aber sie zeigen gleichzeitig unseren Freunden, daß wir verläßliche Partner im Bündnis sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz kurz noch: In Straßburg sind wir dem Ziel einer politischen Union wieder ein Stück nähergekommen. Allen Unkenrufen — auch den Ihren — zum Trotz hat sich das deutsch-französische Gespann erneut bewährt.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie wissen, daß es anders ist! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Einer sagt hü, der andere hott!)

Die EG hat zu einer einheitlichen osteuropäischen Politik gefunden. Das Ziel der politischen Union steht in keinem Widerspruch zu einer europäischen Friedensordnung, in der das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung über seine staatliche Einheit entscheiden kann. Europäische Einigung und deutsche Wiedervereinigung schließen sich keineswegs aus, sondern ergänzen sich. Das sollten auch Sie glauben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118517200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID1118517300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist wegen der Informationspolitik in bezug auf die Gipfeltreffen Malta, Brüssel und Straßburg einberufen worden. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie zu den drei Gipfeln ein Wort gesagt und nicht zu einer völlig anderen Frage Stellung genommen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Was die Thematik anbetrifft, stelle ich fest: Der Auswärtige Ausschuß ist durch den Bundesaußenminister über den Gipfel informiert worden.

(V o r sitz : Vizepräsidentin Renger)

Brüssel und Straßburg waren diesmal derartig bedeutungsvoll für die ganze weitere europäische Entwicklung, daß eine Regierungserklärung absolut gerecht-
14330 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Wischnewski
fertigt war. In dieser Hinsicht habe ich die Informationspolitik der Bundesregierung zu kritisieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will ein paar Bemerkungen zu Malta machen, an dem wir ja nicht beteiligt waren, aber das für uns alle in Europa von ganz, ganz großer Bedeutung ist. Dieses Treffen ist auf Vorschlag des amerikanischen Präsidenten zustande gekommen. Das ist eine Veränderung der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion — man geht aufeinander zu —, die wir ausdrücklich begrüßen und über die wir uns freuen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Drei Themen haben im Vordergrund gestanden. Alle drei Themen sind für uns wichtig.
Das erste, das Treffen am 2. und 3. Dezember in Malta, hat neue Impulse für die Abrüstungspolitik gegeben, und zwar in nahezu allen Bereichen: in bezug auf die Verhandlungen in Genf über die strategischen atomaren Waffen und in ganz besonderem Maße in bezug auf die Wiener Verhandlungen. Ich bin der Auffassung, daß die Gespräche in Malta dafür Sorge tragen werden, die Verhandlungen in Wien zu beschleunigen. Es ist klar und eindeutig: Es hat auch eine Annäherung in der Frage der chemischen Waffen gegeben. Darüber haben beide miteinander geredet. Bei mir entsteht der Eindruck, als wenn beide aufeinander zugekommen wären.
Es wäre gut gewesen, wenn der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit wenige Tage vorher bei der Haushaltsberatung zur Abrüstung einen Beitrag geleistet hätte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben sich dem verweigert. Das hätte unser Beitrag für Malta sein müssen. Sie haben ihn leider nicht mitgemacht.

(Frau Dr. Timm [SPD]: So ist es! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Pfui!)

Es gibt auch Fragen, in denen es keine Übereinstimmung gibt. Es hat sich gezeigt, daß in der Frage der Kriegsschiffe erhebliche Unterschiede bestehen.
Das zweite große Thema: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird besser werden. Hier ist es an der Zeit, daß sich die Europäische Gemeinschaft darum bemüht, ihre Rolle gegenüber der Sowjetunion zu spielen. Dazu gehört auch, daß man nicht nur über Kooperation redet, sondern die COCOM-Liste entscheidend bereinigt.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die muß irgendwann ganz weg!)

Das Dritte, worüber miteinander geredet worden ist, sind die regionalen Konflikte. Auch dort gibt es in einigen Bereichen eine Annäherung der Positionen. Wenn heute die Sowjetunion einen Dialog mit Israel führt und die Vereinigten Staaten mit der PLO reden, ist das eine veränderte Situation.
Als letztes, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir müssen wissen: Die beiden Präsidenten haben auch über uns geredet.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Nicht über die GRÜNEN!)

Dies ist ein normaler Vorgang bei den Weltmächten. Ich habe die Pressekonferenz sehr, sehr genau verfolgt. Jeder von uns muß wissen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten für die Situation und für die Position des sowjetischen Präsidenten viel Verständnis hat. Ich empfehle ganz dringend, dieses in all unsere politischen Überlegungen einzubeziehen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118517400
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID1118517500
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Informationspolitik über die Konferenzen von Malta, Brüssel und Straßburg soll das Thema sein. Es ist bekundet und bestätigt worden, daß das Ganze im Ausschuß behandelt worden ist. Ihnen reicht es nicht aus. Wir stellen hier fest: Alle drei Treffen, Konferenzen haben eine Politik bestätigt, die in diesem Hause seit Jahren verfolgt wird, wobei wir feststellen können, daß bei uns, den Freien Demokraten, die Kontinuität über viele Legislaturperioden hinweggeht und wir erneut die Bestätigung für diese Politik bekommen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die Frage ist nur, ob der Bundeskanzler diese Politik verkörpert!)

Daß dabei auch Fragen aufgetaucht sind, Probleme aufgetaucht sind, bei denen wir, Herr Kollege Wischnewski, sehr genau hinhören müssen, daran besteht gar kein Zweifel. Deshalb haben wir nie einen Zweifel daran gelassen, daß alles, was mit der deutschen Frage zusammenhängt, in europäische Lösungen eingebettet sein muß. Deshalb haben wir immer gemahnt, daß man nicht in Hektik verfällt, sondern daß man Schritt für Schritt die Entwicklung vorantreibt. Deshalb habe ich hier gesagt: Das Sachkonzept des Bundeskanzlers wird unterstützt. Die ersten drei Punkte sind aktuell, sie müssen wir Schritt für Schritt umsetzen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn nun Sie, Frau Kollegin Vollmer, hier den falschen Eindruck erwecken, als würde sich dieser Bundestag diesen Fragen nicht widmen, dann muß ich leider feststellen, daß Ihr Gedächtnis kurz ist, denn die Fragen, von denen Sie geredet haben, sind hier von allen Fraktionen ausführlich behandelt und diskutiert worden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie dann so tun, als würden wir die Redefreiheit, die Diskussionsfreiheit, den Pluralismus hintanstellen, sind solche Verfälschungen der Fakten in der Bundesrepublik Deutschland zu Ihrem Schaden, nicht zu unserem Schaden, denn jeder draußen weiß, daß wir diese Diskussion in aller Offenheit führen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14331
Mischnick
Mahnungen sind ausgesprochen worden, die ich verstehe; Mahnungen — die nicht zuletzt der Bundespräsident zum Ausdruck gebracht hat und die von vielen geteilt werden —, daß man jetzt die friedliche Entwicklung weiter unterstützen muß und daß sichergestellt werden muß, daß nichts geschieht, was zum „Aufheizen" beiträgt. Dies bedeutet aber, daß man nach beiden Seiten hin — auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland — nichts tut, was zur Aufheizung führen kann, sei es in der Kritik der Opposition gegenüber der Regierung, sei es in der Kritik der Regierungsseite gegenüber der Opposition.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Aber Sie sind mit der Brandstifter! — Gegenruf Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Nun hören Sie mal damit auf! Das ist ja unerhört!)

Wir müssen uns alle daran halten. Ich habe manchmal den Eindruck, man fängt schon an, die Entwicklungen, die in der DDR erfolgen, kleinkariert zu behandeln. Ich habe mir erlaubt, vor einigen Wochen davor zu warnen, daß das bei uns geschieht. Hüten wir uns davor, Einzelpunkte, die kritikwürdig sind, in eine falsche Kiste hineinzustecken!
Noch einmal zu den beiden Gipfeln in Brüssel und Straßburg. Hier hat sich gezeigt, daß unsere Bemühungen, unsere europäischen Partner zu überzeugen, daß wir nicht einen eigenständigen, einen selbständigen, einen vom Bündnis gelösten Weg gehen wollen, sondern diesen Weg im Bündnis gehen, erfolgreich waren.
Malta hat bewiesen, daß — worauf wir immer gesetzt haben — zwischen den Großmächten auch in der Abrüstungspolitik eine Verständigungspolitik zustande gekommen ist. Sie ist aber zustande gekommen, weil wir in der Zeit, in der die Ergebnisse noch nicht abzusehen waren, konsequent an unserer Politik festgehalten haben. Wir sind zur Abrüstung bereit, wenn dies auf beiden Seiten in gleichgewichtiger Weise geschieht. Jetzt ist der Durchbruch da. Jetzt werden wir das Schritt für Schritt umsetzen. Dazu brauchen wir nicht alle 14 Tage oder vier Wochen Entschließungen. Jedermann weiß: Wir sind für die Abrüstung und werden das, was z. B. in Wien beschlossen wird, so schnell wie möglich umsetzen. Fakten müssen geschaffen werden, die dann von uns auch in die Praxis umgesetzt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118517600
Das Wort hat der Herr Staatsminister Schäfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118517700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat Bundesaußenminister Genscher bereits in der vergangenen Woche in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen über das Treffen von Präsident Bush mit Generalsekretär Gorbatschow bei Malta unterrichtet und dabei auch eine Vorschau auf den Europäischen Rat in Straßburg gegeben. Ich komme gern im Namen der Bundesregierung der Bitte nach, das Hohe Haus noch zusätzlich zu informieren.
Die persönliche Information durch Präsident Bush auf dem NATO-Rat zeigt den engen Informations- und Konsultationsprozeß zwischen den USA und ihren europäischen Partnern. Wir können als Europäer mit dem Ergebnis des Treffens bei Malta sehr zufrieden sein. Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow erklärten den Beginn einer neuen Ara und das Ende des Kalten Krieges. Sie haben sich eindeutig dazu bekannt, ihre Zusammenarbeit künftig noch weiter zu intensivieren und Interessengegensätze nur mit politischen Mitteln auszutragen. Zum erstenmal seit 40 Jahren sind die USA bereit, die Sowjetunion wirtschaftlich aktiv zu unterstützen. Sie wollen ihrerseits zum Gelingen des von Gorbatschow eingeleiteten Prozesses der Umgestaltung beitragen.
Weiterhin haben sich die Gipfelteilnehmer geeinigt auf die zweite Junihälfte 1990 als Zeitraum für ein formelles Gipfeltreffen in den USA, das die Außenminister beider Staaten in einer Begegnung im Januar in Moskau vorbereiten sollen. Kooperative Beziehungen zwischen den beiden Mächten schaffen Gestaltungsräume auch für die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Westeuropa und Mittel- und Osteuropa. Die Erörterung der Lage in der Sowjetunion sowie in den Staaten Mittel- und Osteuropas, einschließlich der DDR, sowie die deutsche Frage nahmen naturgemäß einen sehr breiten Rahmen ein.
Gorbatschow betonte bei dem Treffen mehrfach, daß die mittel- und osteuropäischen Staaten ihren eigenen Weg definieren müßten. Die Sowjetunion und die USA haben ihr Interesse an stabilen Rahmenbedingungen für den Reformprozeß in Mittel- und Osteuropa bekräftigt. Die USA streben eine Vertiefung ihrer Beziehungen zu diesen Ländern an, respektieren aber sowjetische Sicherheitsinteressen. Die Sowjetunion ihrerseits stellt sich hinter den Reformprozeß. Beide sehen — wie die Bundesregierung schon seit langem — in der Helsinki-Schlußakte die Kursbestimmung und im KSZE-Prozeß den Rahmen für die künftige Zusammenarbeit zwischen West und Ost.
Die fortdauernde Präsenz der USA und Kanadas in Europa wird auch von der Sowjetunion gewünscht. Hinsichtlich der künftigen Rolle der Bündnisse besteht weitgehende Übereinstimmung, d. h. die Notwendigkeit des Fortbestands der Bündnisse als stabilisierendes Element in einer Phase der Umgestaltung und die zunehmende politische Funktion der Bündnisse wird klar gesehen. -
Rüstungskontrolle war ein wichtiges, wenn auch nicht zentrales Thema. Das Treffen gab dem Rüstungskontrollprozeß durch die Aufstellung eines konkreten Arbeitsprogramms zur Vorbereitung des Gipfeltreffens 1990 durch die Festlegung von Terminen einen kräftigen Anstoß.
Bei START sollen die Außenminister die noch offenen Einzelprobleme, wie z. B. bei luftgestützten Cruise Missiles, nicht-dislozierte Raketen, Verschlüsselung von Telemetrie-Daten, bis zum Gipfel lösungsreif machen. Eine Vertragsunterzeichnung ist bis Ende 1990 beabsichtigt.
In den Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa besteht Einvernehmen, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Unterzeichnung ei-
14332 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Staatsminister Schäfer
nes KSZE-Abkommens auf Gipfelebene noch 1990
nach sowjetischen Vorstellungen anläßlich eines Treffens der Staats- und Regierungschefs der 35 KSZE-Staaten im Herbst nächsten Jahres — zu ermöglichen.
Der sowjetische Vorschlag, nach den jetzt verhandelten Reduktionen der Land- und Luftstreitkräfte
— Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, auch der Luftstreitkräfte — auch die Seestreitkräfte rüstungs-kontrollpolitisch zu erfassen, nämlich das Verbot taktischer seegestützter Nuklearwaffen, wurde von den USA abgelehnt.
An der Eröffnung der sogenannten „Open Skies"-Konferenz, Überwachungsflüge also über die Territorien der jeweils anderen Seite, in Ottawa am 12. Februar 1990 werden die Außenminister teilnehmen, um auch am Rande der Konferenz der VKSE einen zusätzlichen Impuls zu vermitteln.
Gorbatschow hielt Bushs Vorschlag, bis zum JuniGipfel 1990 eine Einigung über eine vorzeitige Bestandsvernichtung der chemischen Waffen bis auf 20 % des gegenwärtigen US-Bestandes anzustreben, für prüfenswert.
Die Aussprache im NATO-Rat unterstrich erneut die Bedeutung der Allianz in diesen für uns so zentralen Fragen.
Der Europäische Rat in Straßburg ergab in wesentlichen Bereichen des Integrationsprozesses Grundsatzbeschlüsse, die neue, wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft geben werden.
Mit Ausnahme Großbritanniens einigten sich alle Delegationen darauf, daß die Regierungskonferenz zur Änderung des EWG-Vertrags im Hinblick auf die Wirtschafts- und Währungsunion im Dezember 1990 zusammentritt.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Also sie fängt nächstes Jahr zu arbeiten an! — Brück [SPD]: Warum eigentlich im Dezember? Das ist ein sehr belasteter Monat!)

— Herr Kollege, wir werden doch einen Beschluß von elf Staaten gegen einen, im Dezember nächsten Jahres eine solche Konferenz zu veranstalten, nicht nachträglich in Zweifel ziehen wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Inhaltliche Grundprinzipien unserer deutschen Position — z. B. Unabhängigkeit des Europäischen Zentralbanksystems, dauerhafte Sicherung der Geldwertstabilität, Sicherung der Haushaltsdisziplin — wollen wir eindeutig und wirksam verankern. Der Bundeskanzler hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei der Vertragsänderung den institutionellen Fragen, insbesondere der Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments vor dessen Neuwahl Mitte 1994, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Premierministerin Thatcher hat erklärt, Großbritannien werde bei der Konferenz voll und konstruktiv mitarbeiten.
Daneben konnte die „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer" von elf Mitgliedstaaten gegen Großbritannien verabschiedet werden. Für die Ausgestaltung der sozialen Dimension des Binnenmarkts wird es nun entscheidend auf die verbindlichen Einzelmaßnahmen in dem jüngst von der Kommission vorgeschlagenen Aktionsprogramm ankommen.
Im Binnenmarktbereich erwartet der Europäische Rat baldige weiterführende Beschlüsse. Die vor einem Jahr vom Europäischen Rat in Rhodos eingesetzten Koordinatoren für die Begleitmaßnahmen bei der Aufhebung der Grenzkontrollen sollen ihre Arbeit fortsetzen mit dem Ziel, sie bis spätestens Ende 1990 abzuschließen.
Seine Aussagen zu den EG-Außenbeziehungen konzentriert der Europäische Rat auf die Nachbarn der Gemeinschaft, nämlich die EFTA-Staaten, die mittel- und die osteuropäischen Staaten und die Mittelmeerländer. Neben Grundsatzpositionen und der Bilanz der gegenseitigen Beziehungen stehen dabei weitreichende neue Beschlüsse zu Mittel- und Osteuropa im Vordergrund, z. B. die Lieferung weiterer Agrarerzeugnisse an Polen, die grundsätzliche Unterstützung des Antrags der Sowjetunion auf Beobachterstatus beim GATT, die Errichtung einer „Europäischen Stiftung für die berufliche Bildung " Anfang 1990, die Schaffung einer „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" , und schließlich auch die Gewährung eines Ein-Milliarden-ECU-Darlehens an Ungarn. In diesem Zusammenhang weise ich auch auf die gestrige erfolgreich verlaufene Sitzung der 24 Geberstaaten in Brüssel hin.
Straßburg hat gezeigt: Die Europäische Gemeinschaft ist eine Kraft, die für die ganze Welt ein bedeutendes Wachstumspotential bereithält,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

die auch gewillt ist, ihre Verantwortung für Frieden, Freiheit und Durchsetzung der Menschenrechte überall in der Welt wahrzunehmen.

(Uldall [CDU/CSU]: Richtig!)

Straßburg hat vor allem gezeigt, daß die Gemeinschaft ein Stabilitätsanker für ganz Europa ist und daß — wie es der amerikanische Außenminister vorgestern in Berlin betont hat — ihre weitere Entwicklung eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des Neuen Europas spielen wird.
Mit dem Signal der Integration hat sie ein Signal der Kooperation gegenüber den reformwilligen Staaten in Mittel- und Osteuropa gesetzt. Sie hat eine kohärente Außenpolitik im Verhältnis zu diesen Staaten formuliert. Die Entscheidungen und Angebote zur Zusammenarbeit im Rahmen der EG-Außenbeziehungen ebenso wie die Erklärung der EPZ zu Mittel- und Osteuropa sind als deutliche Botschaft der Ermutigung und Unterstützung der dortigen Reformprozesse unter Wahrung der Stabilität in Europa angelegt. Für diese Linie haben wir uns in der Vorbereitung des Europäischen Rats nachdrücklich eingesetzt.
In Malta und in Brüssel wie in Straßburg war auch die deutsche Frage — Frau Kollegin Vollmer unterhält
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14333
Staatsminister Schäfer
sich gerade — Gegenstand der Gespräche und Beratungen.

(Dr. Feldmann [FDP]: Warum hören die nicht zu? Warum sind sie nicht da? — Feilcke [CDU/CSU]: Jetzt haben die ihr Gift verspritzt! — Gegenruf des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Wir haben nicht danach, sondern nach den Zielen der Bundesregierung gefragt!)

In Malta hat sich Präsident Bush mit großem Verständnis und mit großer Weitsicht zum Thema der deutschen Einheit geäußert. Die Erklärung des Europäischen Rats in Straßburg zu Mittel- und Osteuropa umfaßt — und dies zum ersten Mal — eine Aussage der Gemeinschaft zur deutschen Einheit in untrennbarer Verbindung mit der Zukunft Europas. Die Zwölf haben sich damit grundsätzliche Positionen der Bundesrepublik Deutschland zu eigen gemacht, wie sie schon im Brief zur Deutschen Einheit festgelegt und in der Debatte des Bundestags am 28. November 1989 von einer großen Mehrheit unterstützt wurden. Wir begrüßen ausdrücklich, daß in der Erklärung der Zwölf erneut die feste Einbindung der deutschen Frage in den Entwicklungsprozeß der europäischen Friedensordnung herausgestellt wurde. Alle Teile des Prinzipienkatalogs der Schlußakte von Helsinki gelten auch für uns Deutsche. Der KSZE-Prozeß wird weiter unseren Kurs bestimmen, hin zu einer europäischen Friedensordnung, die die Trennung Europas überwindet und in der das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann.
Ein solcher friedlicher und demokratischer Prozeß kann sich nur entfalten unter stabilen Rahmenbedingungen. Dazu bedarf es — auch das ist in Straßburg erfreulicherweise ausdrücklich bestätigt worden — der Perspektive der europäischen Integration.
Wir begrüßen die Ergebnisse von Malta und Straßburg. Sie bedeuten wichtige Schritte auf unserem gemeinsamen Weg mit unseren Freunden und Partnern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118517800
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1118517900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus meiner eigenen Zeit im Auswärtigen Amt, Herr Staatsminister, erinnere ich mich an diese Art von Unterrichtung, die Sie heute gemacht haben. Ich weiß, wie das geht.
Ich weiß auch, daß in diesem speziellen Fall, was Malta angeht, die Bundesregierung wahrscheinlich gar nicht besser unterrichten konnte, als sie unterrichtet hat, weil das, was dort wirklich besprochen worden ist, wahrscheinlich auch der Bundesregierung nicht bekannt ist.
Im Fall Brüssel ist es so, daß sie nicht besser unterrichten wollte, weil das, was dort wirklich vorgefallen ist, nach ihrer Auffassung nicht geeignet ist, hier debattiert zu werden. Unabhängig davon, was Sie berichten oder nicht: Was in Brüssel passiert ist, können wir uns aus frei zugänglichen Quellen sehr gut zusammenreimen. Ich brauche nicht aus dem zu zitieren, was der Außenminister im Auswärtigen Ausschuß gesagt hat.
Was ist passiert? Die Verbündeten haben dem Bundeskanzler seine Grenzen gezeigt, und zwar gleich dreifach: die Grenzen seines Handlungsspielraums, die Grenzen seiner außenpolitischen Kompetenz und — im engen geographisch-historischen Sinn — auch die deutschen Grenzen. In einer Situation, da die Deutschen in beiden Staaten auf Vertrauen und Verständnis angewiesen sind, hat der Bundeskanzler mit dem Alleingang, den Herr Kollege Mischnick, den ich gerade sehe, und Frau Hamm-Brücher kritisiert hatten, Mißtrauen und Unverständnis bei den engsten Verbündeten hervorgerufen.
Das hat Folgen gehabt, die wir alle sehen können. Dazu brauchen wir keinen Bericht. Was ist nach der Verkündung des Deutschlandplans geschehen? Aus Kiew kam ein sowjetisch-französisches Signal, eine sowjetisch-französische Warnung, die Stabilität in Europa dürfe nicht durch deutsche Extratouren aufs Spiel gesetzt werden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Wo ist denn eigentlich Ihr Standpunkt?)

Die Ergebnisse der Rundreise des Bundesaußenministers nach Paris, London und Moskau waren wohl so, daß die Bundesregierung es vorzieht, dem Bundestag darüber nichts zu erzählen. Ich kann das gut verstehen; denn so schroffe Töne aus Moskau hat man lange nicht mehr gehört.
Noch einmal aus meiner Erfahrung aus dem Auswärtigen Amt: Wenn der Außenminister nach einer Konsultation mit einer auswärtigen Regierung vor die Kamera tritt und sagt „Es waren sehr ernste Gespräche " — so war es in Moskau — , dann heißt das auf deutsch: Die Fetzen sind geflogen, es ist auf den Tisch gehauen worden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Was wollen Sie eigentlich?)

Meine Damen und Herren, in dieser Woche trafen sich die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Warum? Um über die Olympiade im Jahre 2004 zu sprechen? Das glauben Sie ja wohl selbst nicht. Diese Begegnung war vielmehr eine Demonstration, daß es Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte gibt, die Deutschland als Ganzes und Berlin betreffen, und daß die Vier Mächte auf ihre Rechte pochen. Der interessante Tatbestand ist der, daß sie es für nötig gehalten haben, das in dieser Woche zu demonstrieren. Nicht der Inhalt war das außenpolitische Signal, sondern das Treffen als solches war es.
Ein Signal war auch das Treffen des amerikanischen Außenministers Baker mit Ministerpräsident Modrow ausgerechnet in Potsdam — Außenpolitik benutzt manchmal auch Symbole, meine Damen und Herren — , wo die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs besiegelt wurden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Was wollen Sie damit sagen? Glauben Sie, daß Herr Modrow ein Sieger ist?)

— Ich will damit nur sagen, daß es Sache der Bundesregierung ist, diese Botschaften und Signale richtig zu
14334 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Verheugen
entschlüsseln. Um Ihre Frage zu beantworten, Herr Feilcke: Es ist so, daß der Bundeskanzler in den letzten Wochen außenpolitisch gleich zweimal auf Grund gelaufen ist, weil er die Außenpolitik innenpolitischen Opportunitäten unterworfen hat. Der erste Fall war der Polenbesuch, wo das große Ziel verfehlt wurde, weil der Bundeskanzler mit Rücksicht auf den rechten Wählerrand

(Feilcke [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)

das erlösende Wort nicht gesprochen hat und die für Polen zentrale Frage der Oder-Neiße-Grenze offengelassen hat. In der Deutschlandinitiative steckt derselbe Fehler.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sie mögen die Einheit nicht, Herr Verheugen! Sagen Sie es doch deutlich!)

Es kommt hinzu, daß diese ganze Initiative rein innenpolitisch — oder sagen wir einmal: rein wahltaktisch — bestimmt war.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Wenn Herr Rühe sagt, die Schaffung konföderativer Strukturen geht das Ausland nichts an, dann haben die Nachbarn ihn eines Besseren belehrt, wenn Herr Rühe sich überhaupt noch belehren läßt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es gäbe hier wahrlich genug Stoff, über den debattiert werden muß — nicht in Fünfminutenbeiträgen, das schaffen wir nicht — : die künftige politische Rolle der NATO; wie geht es weiter mit der Abrüstung? Die Wiener Verhandlungen hinken hinter dem tatsächlichen politischen Zustand in Europa weit hinterher.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas Positives!)

Was stellt sich die Bundesregierung vor, welche Initiativen in Wien jetzt folgen sollen? Wie denken Sie sich das mit den Kurzstreckenraketen, die immer noch nicht aus Ihren Köpfen weg sind. Deshalb wären die Regierungserklärung und auch die Debatte nötig gewesen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Fünf Minuten und nichts gesagt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118518000
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.

Freiherr Reinhard von Schorlemer (CDU):
Rede ID: ID1118518100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Verheugen, bei Ihrer Rede dachte ich an die Anmerkungen Ihrer Bundesgeschäftsführerin Frau Fuchs, die, befragt, wie sie denn ihre Deutschlandpolitik beurteile, von einer Schlangenlinie sprach. Sie wissen, Fahrzeuge, die in Schlangenlinien fahren, müßten normalerweise aus dem Verkehr gezogen werden. Aber ich will das hier nicht weiter ansprechen. Ich möchte zu den Ergebnissen des Gipfels in Straßburg sprechen.
Ich glaube, daß der Gipfel in Straßburg durch die besondere Situation, die sich zur Zeit in Mittel- und Osteuropa und insbesondere in der DDR abspielt, gekennzeichnet ist. Wir müssen bei dieser Situation doch alle wissen, daß die Bürger in der DDR nicht jenen Freiheitsprozeß hätten beginnen können, wenn nicht durch die Gorbatschowsche Politik und vor allem durch die Menschen in Polen und in Ungarn der Weg dafür gewiesen worden wäre. Daher ist es wichtig und auch richtig, daß bei Hilfsmaßnahmen nicht nur die EG, sondern auch wichtige Länder, wie z. B. Frankreich, Großbritannien und Italien, neben uns Polen und Ungarn direkt unterstützen. Die Spruchbänder von Budapest „Wir sind heimgekehrt nach Europa" müssen alle EG-Länder und auch andere Länder unseres westlichen Kontinents ermuntern, die schwierige Situation gerade in Polen und auch in Ungarn durch Hilfen zu verbessern.
Genau hierzu paßt die Erklärung des EG-Gipfels von Straßburg, in der es heißt:
Der Europäische Rat begrüßt die Beschlüsse des Rates vom 27. November, mit denen Polen und Ungarn vorübergehend besondere Handelserleichterungen gewährt werden, um einen Beitrag zur Lösung ihrer besonderen politischen und wirtschaftlichen Probleme zu leisten.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Man kann Kommuniqués zitieren, aber nichts verstehen!)

Er hat die Beschlüsse der Gemeinschaft zur Kenntnis genommen, mit denen die wirtschaftlichen Reformen in Polen und Ungarn unterstützt werden sollen.
— Sie wollten doch informiert werden. Dann hören Sie doch einmal zu, was an Informationen aus diesen Kommuniqués, verehrter Kollege Lippelt, entnommen werden kann!

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Ich sage, man kann Kommuniqués zitieren und nichts verstehen!)

Dieser Straßburger Gipfel hat in seinem Abschlußbericht auch festgestellt:
Die Veränderungen berechtigen zu der Hoffnung, daß die Teilung Europas überwunden werden kann — gemäß den Zielsetzungen der Schlußakte von Helsinki, die darauf abzielt, im Rahmen eines umfassenden, ausgewogenen Konzepts auf der Grundlage einer ganzen Reihe von Prinzipien, die weiterhin ihre volle Gültigkeit behalten, neue Beziehungen zwischen den europäischen Ländern herbeizuführen, sei es auf dem Gebiet der Sicherheit und der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit oder hinsichtlich der menschlichen Dimension.
Wenn hier schon angeprangert wird, es sei in Straßburg oder auch in Brüssel nichts geschehen, dann muß man doch hinzufügen, daß in der für uns Deutsche besonders wichtigen Passage formuliert worden ist:
Wir streben die Stärkung des Zustands des Friedens in Europa an, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Dieser Prozeß muß sich auf friedliche und demokratische Weise, unter Wahrung der Abkommen und Verträge sowie sämtlicher in der Schlußakte von Helsinki niedergelegten Grund-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14335
Freiherr von Schorlemer
Sätze im Kontext des Dialogs und der Ost-WestZusammenarbeit vollziehen. Er muß auch in die Perspektive der europäischen Integration eingebettet sein.
Wir alle wissen oder sollten wissen: Der Fortschritt der weiteren Einheit in der EG ist notwendig für die Vollendung der Einheit der Deutschen. Da ist für mich der Gipfel in Straßburg unter Präsidentschaft des französischen Staatspräsidenten Mitterrand ein erfolgreicher Gipfel gewesen. Dies war ein Gipfel der europäischen Solidarität als Antwort auf die uns alle bewegende Situation in der DDR, in Mittel- und in Osteuropa.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118518200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1118518300
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hat bereits heute morgen bei der Diskussion über die eingebrachten Anträge Punkte zur Bewertung des Gipfels in Straßburg vorgebracht. Ich will die wichtigsten Punkte bei der Bewertung dieses Gipfels für unsere Fraktion hier noch einmal nennen.
Erstens. Wir halten es für unerträglich, daß Bundeskanzler Kohl auch beim europäischen Gipfel kein klärendes Wort zur polnischen Westgrenze gefunden hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle sagen, weil wir dazu beitragen müssen, das zu verbreiten — ich empfehle es den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion und auch der Regierung zur Lektüre — : Das Europäische Parlament hat gestern einen Beschluß gefaßt, in dem es die deutsche Bundesregierung auffordert, unmißverständlich klarzustellen, daß die polnische Westgrenze von ihr anerkannt wird.

(Uldall [CDU/CSU]: Das haben wir doch gerade beschlossen! Das steht in unserem Beschluß! — Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Sie kennen doch unseren Beschluß!)

— Entschuldigung, diskutieren Sie doch einmal mit Ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen von der EVP-Fraktion; denn diese haben einem solchen Antrag zugestimmt. Sie spüren vielleicht mehr als Sie hier, daß es Ängste und Besorgnisse vor einer möglichen großdeutschen Restauration gibt. Die spüren das sehr viel deutlicher.

(Uldall [CDU/CSU]: Beschlüsse des Bundestages gelten doch länger als vier Wochen!)

— Sagen Sie das bitte dem Herrn Kohl.

(Uldall [CDU/CSU]: Er hat doch die Frage nicht aufgeworfen! Sie haben doch die Frage aufgeworfen! Unerhört ist das, was Sie sagen!)

Zweitens. Es ist unakzeptabel, wenn der CDU-Generalsekretär, Rühe, sagt, wir brauchten in Fragen, die die deutsch-deutsche Zusammenarbeit und die Konföderation und die Föderation anlangen keine Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie gesehen: Das Schengener Abkommen ist geplatzt?

(Uldall [CDU/CSU]: Das war doch vorher! Das ist doch schon viel früher zurückgenommen worden!)

— Jedenfalls die Unterzeichnung ist verschoben worden. Warum ist sie verschoben worden? Weil unsere europäischen Nachbarn Sorge haben, wie sich die Frage der neu gewonnenen Freizügigkeit der Bürger aus der DDR auf ihre eigenen Länder auswirken. Von daher ergibt sich von selbst: Wer deutsche Interessen wahrnimmt, muß sie mit dem europäischen Nachbarn absprechen und muß solche Konzeptionen gemeinsam diskutieren.

(Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Dann sollen wir die Grenze zur DDR zumachen?)

— Frau Hellwig, wir kennen uns doch. Ich weiß genau, daß Sie solche Positionen eigentlich teilen.
Drittens. Ich muß ehrlich sagen: Ich halte es für unerträglich, daß der Beginn der Arbeit der Regierungskonferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion aus rein wahltaktischen Gründen auf Anfang des nächsten Jahres verschoben worden ist. Madame Cresson, die französische Europaministerin, hat im Auswärtigen Ausschuß gesagt, das sei mit Rücksicht auf die deutsche Bundesregierung bzw. auf den Wahltermin so gemacht worden.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: War die Sitzung öffentlich? — Frau Geiger [CDU/ CSU]: Die Sitzung war nicht öffentlich!)

Ich halte das für unerträglich. So hängt man sich an Rep-Stimmen. So schafft man jedenfalls keine europäische Gesinnung. Ich glaube, das muß ganz klar sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Viertens. Die Charta sozialer Grundrechte ist angesichts der gesamten sonstigen europapolitischen Diskussionen und der ost- und deutschlandpolitischen Erklärungen etwas untergegangen. Aber eines ist klar: Von dieser Charta sozialer Grundrechte kann man nicht erwarten, daß das, was da beschlossen worden ist, in irgendeiner Form praktische Auswirkungen hat. Vor allen Dingen ist der Zeitrahmen völlig weggefallen. Der Zeitrahmen hat aber vorgesehen, daß es gemeinsam, mit der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes auch ein soziales Europa gibt. Dadurch, daß der Zeitrahmen jetzt weggefallen ist, ist zu erwarten, daß der Binnenmarkt verwirklicht wird, daß aber all das, was zu seiner sozialen Ausgestaltung notwendig ist, unerträglich verschoben wird.
Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Wir unterstützen das Europäische Parlament, dort auch mit seiner Mehrheit von Sozialdemokraten und Christdemokraten. Diese meinen: Notfalls muß man einen Teil der Richtlinien zum Binnenmarkt blockieren, damit das soziale Europa durch solche Regierungschefs und Minister nicht vergessen wird.
Letztlich ist bei dieser Charta sozialer Grundrechte keinerlei rechtsverbindliche Regelung beschlossen worden, so daß wir jetzt auf das angewiesen sind, was
14336 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Wieczorek-Zeul
uns als entsprechendes Aktionsprogramm vorliegen wird. Von diesem Aktionsprogramm werden wir dadurch, daß die Zeitfrist entfallen ist, dann erst in den nächsten Monaten oder vielleicht sogar erst in den nächsten Jahren hören.
Wir wollen also, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß bei der Regierungskonferenz, die im nächsten Jahr stattfindet, erstens die Wirtschafts- und Währungsunion, zweitens eine wirkliche Sozialcharta mit Konsequenzen und drittens eine Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments zustande kommen; denn eine Erweiterung der Kompetenzen der EG ohne mehr Rechte für das Europäische Parlament führt nicht zu mehr Demokratie.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118518400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118518500
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin eigentlich traurig. Wir haben eine Situation, in der wir alle jubeln müßten. Seit Jahrzehnten haben wir gegen diese Mauer in diesem Bundestag hier angeredet. Das Wünschenswerteste für uns war immer, daß diese Mauer endlich fällt und daß wir eine solche Traumentwicklung bekommen, wie sie sich jetzt abzeichnet, nämlich in Richtung auf offene, freiheitliche, soziale und marktwirtschaftliche Demokratien in ganz Europa hin.
Angesichts einer solchen Situation streiten wir uns hier jetzt kleinlich, ob der Bundeskanzler hätte das oder jenes sagen sollen, ob die Nachbarn lieber dies oder jenes hätten nicht sagen sollen, statt zu sehen, daß die Herausforderungen, die in dieser phantastischen Entwicklung liegen, uns geradezu beschwörend zu einem gemeinsamen, über die Parteien hinausgehenden deutschen und gleichzeitig europäischen Standpunkt führen müßten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Aber das muß doch auch erzielt werden!)

Ich mache noch einmal einen nachdrücklichen Appell an Sie, meine Damen und Herren: Erkennen wir unsere gemeinsamen Interessen, die hier weit über parteipolitische Differenzen hinausgehen.
Sie sprechen jetzt von der Informationspolitik der Bundesregierung. Also, der Bundeskanzler kann es Ihnen ja überhaupt nicht recht machen. Wenn er hier eine Regierungserklärung abgibt, dann hört man: Diese Selbstdarstellung. Bis jetzt hat er nach jedem Gipfel eine Regierungserklärung abgegeben, und die Opposition hat ihm vorgeworfen: die Regierung betreibe nichts anderes als Selbstdarstellung und Selbstreklame. Jetzt gibt er einmal keine Regierungserklärung ab, und jetzt geht das große Gejammere los: Es gibt keine ausreichende Information.

(Dr. Soell [SPD]: Entzugserscheinungen!)

— Wir diskutieren jetzt sozusagen unter uns über dieses Thema. Deswegen sollen Sie auch unseren Standpunkt dazu hören.
Das Zehn-Punkte-Programm war das beste, was vom Bundeskanzler und der Regierung hier erfolgen konnte.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich begründe auch, warum. Der Zeitpunkt war ebenfalls sehr gut; er war ganz ausgezeichnet.
Natürlich haben wir noch einen weitergehenden Erklärungsbedarf und auch eine gewisse Unruhe bei den Nachbarn. Das ist auch ganz richtig so, und zwar deswegen, weil sie gar nicht wissen können, in welch unmittelbarer Konfrontation und Herausforderung wir durch die jetzt offenen Grenzen innerhalb Deutschlands — es ist praktisch innerhalb Deutschlands — stehen. Da sind Solidaritätsverpflichtungen, die für viele meiner Kollegen tagtäglich stattfinden. Im Laufe des Wochenendes haben Abgeordnete in grenznahen Wahlkreisen mit ca. hundert DDR-Bürgern Kontakt. Das ist etwas, was unsere europäischen Nachbarn gar nicht beurteilen können.
Das Zehn-Punkte-Programm bedeutet faktisch, einer überzogenen Erwartung, daß morgen schon die Wiedervereinigung stattfindet, einen braven Aufgabenkatalog gegenüberzustellen, von dem ein Punkt nach dem anderen zu erledigen ist. Im Grunde genommen ist es ein Geduldsprogramm

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: In gewisser Weise ein Vertagungsprogramm!)

sowohl für uns hier in der Bundesrepublik Deutschland als auch für unsere Nachbarn in der DDR, weil es die einzelnen Punkte genau aufzeichnet und deutlich macht, in welch engem Zusammenhang wir hier unsere Schritte in Richtung Wiedervereinigung sehen, bevor es zu einer endgültigen staatlichen Einigung kommt, und wie eng sie an die europäische Entwicklung gekoppelt sind. Das ist auch deutlich geworden.
Da muß ich der Opposition sagen: Ich weiß eigentlich nicht, was jetzt im Endeffekt Ihre Haltung ist.

(Frau Geiger [CDU/CSU]: Das Bild des Bundeskanzlers muß kleiner gemacht werden!)

— Ja, ja, natürlich; es ist im Grunde genommen nur ein parteipolitischer Streit.
Die Regierungschefs der Mitgliedstaaten haben sowohl auf dem Brüsseler als auch auf dem Straßburger Gipfel unzweideutig zugestanden, daß die Formen der Kooperation zwischen den beiden deutschen Staaten immer enger werden und auch enger werden müssen und daß sie sich im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses nach wie vor verpflichtet fühlen, dieses Selbstbestimmungsrecht der beiden deutschen Staaten bis zum Punkt der Einigung mit zu unterstützen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Es gibt kein Selbstbestimmungsrecht von Staaten, sondern nur von Menschen und Völkern!)

Solange alles ganz abstrakt war und die Möglichkeit der Realisierung nicht bestand, war alles viel einfacher. Deswegen war es so wichtig, dies jetzt noch einmal ausdrücklich sowohl in Brüssel als auch in Straßburg zu bestätigen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14337
Frau Dr. Hellwig
Natürlich sind die Nachbarn von der deutsch-deutschen Grenze weiter weg als wir. Deswegen ist es unsere Aufgabe, sie darüber aufzuklären, in welch unmittelbarer Solidaritätsverpflichtung wir uns jetzt befinden.
Aber andererseits ist es auch unsere Aufgabe, unsere deutsche Öffentlichkeit darüber aufzuklären, daß diese ganzen Bedenken und diese Verzögerungen, die insbesondere von den uns besonders nahestehenden Nachbarn in Europa kommen, nicht ein Zeichen — —

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wen meinen Sie damit?)

— Ich meine die Franzosen, ich meine die Holländer, ich meine die Engländer, ich meine die Italiener.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118518600
Die Redezeit ist zu Ende.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118518700
Frau Präsident, ich bin am Ende; ich möchte nur noch den Satz zu Ende bringen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118518800
Nein.

Dr. Renate Hellwig (CDU):
Rede ID: ID1118518900
Gut. Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118519000
Es tut mir leid, aber die Grenzen sind so eng gezogen, daß ich leider nicht anders handeln kann.
Herr Dr. Lippelt, Sie haben das Wort.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118519100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten ursprünglich dieses Thema unter dem Stichwort: das Schweigen der Bundesregierung zu diesen drei Gipfeln angemeldet, aber Sie wissen, man darf nicht polemisieren, und so kam das Wort „Informationspolitik".
Aber das ist doch der eigentliche Skandal: Wir erleben so oft Regierungserklärungen. Und jetzt, in einem Moment, wo der Bundeskanzler kurz vorher ein ZehnPunkte-Programm hineinwirft, das hinterfragt werden müßte, daß Sie im Kanzleramt in einer Nacht zusammengestoppelt haben, wie sich nachher herausgestellt hat,

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Waren Sie dabei?)

das mit niemandem abgestimmt war, wo Sie anschließend Ihre internationalen Reaktionen bekommen, in einem solchen Moment bekommen wir dazu keine Regierungserklärung.
Aber wir bekommen eine andere: In der nächsten Sitzungswoche bekommen wir eine Regierungserklärung zu den Konsequenzen der Gesundheitsreform und zum Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. — So läuft das hier.
Der zweite Punkt: Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn wir die Unterstützung der Fraktionen gehabt hätten, um wenigstens eine Debatte zu vereinbaren. Aber die einen fuhren Schlangenlinien, die anderen drehten Pirouetten. Sie waren so sehr mit der Ordnung Ihrer internen Probleme beschäftigt, daß es auch dazu nicht kam.
Was kam statt dessen — darüber muß man nun sprechen —? Statt dessen erleben wir diesen Stimmungswandel in der DDR. Das muß man ganz deutlich aussprechen: Das Volk erhob sich; wir alle feiern es. Wir sagen Volkssouveränität, aber Volkssouveränität bestimmt sich doch wohl von innen und nicht von außen. Wir sagen: die sollen selbst bestimmen, und wir verengen. Die sagen: Wir wollen wählen, wir wollen unseren Weg finden. In einen solchen Moment Motzen Sie ein Programm zur Wiedervereinigung hinein; die Debatte ist verengt. Gucken Sie sich das doch an:

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie haben das Programm bis heute noch nicht genau gelesen!)

In Leipzig gibt es bei den Demonstrationen jetzt bittere Debatten. Es ist eine richtig gefährliche Stimmung um diese Schose. Das hätten wir nicht nötig gehabt.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Jawohl, genau durch solche Sachen haben Sie die Debatte verengt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118519200
Herr Dr. Lippelt, es tut mir leid.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118519300
Sie haben den Leuten ihre Selbstbestimmung von innen genommen; Sie haben ihnen von außen eine aufgedrückt.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118519400
Herr Dr. Lippelt, es geht leider nicht anders.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Ich bitte um Entschuldigung!)

Das Wort hat Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1118519500
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben, offen gesagt, nicht so recht gewußt, worauf es bei dieser Aktuellen Stunde hinauslaufen soll. Jetzt habe ich das Gefühl, das ist eine Art kunterbunter Kehraus, und jeder sagt noch einmal, was er am Ende des Jahres sagen möchte. Dieser Versuchung kann auch ich dann nicht widerstehen.
Es ist natürlich sehr bedauerlich, wenn die Erstrednerin nicht da ist, Herr Lippelt;

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Entschuldigen Sie, sie ist bei der Anhörung zum Thema Zwangsarbeiter!)

Denn dieser wirklich polemische Zerrbildangriff auf den Bundeskanzler möchte ich für unsere Fraktion sehr nachdrücklich zurückweisen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist unter dem Niveau von Frau Vollmer gewesen, was sie in ihrem kunterbunten Kehraus losgelassen hat.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Frau Hamm-Brücher, sie ist bei der „Zwangsarbeiteranhörung" ! )

Im Grunde ist es doch so: Die Entwicklungen verlaufen eigentlich so rasch, daß alles, was seit dem EG-
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Frau Dr. Hamm-Brücher
Rat schon wieder passiert ist, auch einer Aktuellen Stunde bedurft hätte: Botschaftertreffen der Siegermächte, Baker-Rede, Deutschlandtreffen der Außenminister, NATO-Außenministerkonferenz. Alles wäre ein Thema für eine Aktuelle Stunde gewesen,

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: So ist es!)

weil die Entwicklung so rasch verläuft und weil der Informationsbedarf so groß ist. Das schaffen wir aber beim allerbesten Willen nicht. Darum müssen wir uns eben einmal selber informieren. Und wenn wir wollen, können wir hier debattieren.
Alles ist verzahnt: Innenpolitik, Deutschlandspolitik, Europapolitik, KSZE-Prozeß, Sicherheitspolitik.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Seerecht fehlt!) — Seerecht fehlt; wer weiß, Herr Voigt!

Ich glaube, für uns alle ist es wichtig, in unserer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit dem Bürger diese sehr komplizierte, sehr schwierige Verzahnung deutlich zu machen; denn immer mehr greift in der Öffentlichkeit um sich: Was schert uns das Gerede unserer Nachbarn und Freunde? Wir wollen unsere Wiedervereinigung!

(Verheugen [SPD]: Siehe Herr Rühe!)

Das Wichtige für uns alle, die hier sitzen — in diese Verantwortung möchte ich auch die GRÜNEN einbinden —, ist, diese Verzahnung deutlich zu machen und nicht zu sagen: der und der heizt die Diskussion an; Sie heizen auch an. Wir müssen diese Verzahnung und diese Verantwortung gegenüber den deutschen Bürgern in Ost und West deutlich machen.
Jetzt sind Geduld und Augenmaß erforderlich, so wie das gestern der Bundespräsident in hervorragender Weise zum Ausdruck gebracht hat. Ich wiederhole einen seiner Sätze: Zusammenwachsen heißt nicht zusammenwuchern. Das ist ein wichtiger Satz, an den wir uns wirklich halten können.
Wir möchten auf die Erklärung des Europäischen Rates zu sprechen kommen, weil sie jedenfalls für unsere Partei eine Bestätigung unserer Außen-, Europa-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik gewesen ist, und noch einmal die Grundsätze festklopfen. Das Ziel heißt: Die deutsche Einheit und die Wege dorthin müssen eingebettet sein in den Einigungsprozeß Europas, ins westliche Bündnis, das — wie wir das übrigens immer gesagt haben — nicht erst heute ein überwiegend politisches Bündnis ist, das Bündnis einer Wertegemeinschaft. Die Verteidigung war eine Konsequenz dieses Bündnisses der Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich glaube, Augenmaß und Geduld sind die oberste Tugend: Anheizen, Alleingänge, Sonderweg sind ein sehr schlechter Ratgeber. Da möchte ich auch meinen Freunden von der CDU/CSU sagen: Es ist nicht gut, wenn ein Regierungsmitglied in Versammlungen und auf Parteitagen so ungefähr sagt: Was geht uns die Meinung von „Andorra" usw. an? Das entspricht nicht unserer Verantwortung.
Das Vertrauen, das wir in den 40 Jahren so mühsam aufgebaut haben, dürfen wir nicht beschädigen.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Ich glaube, dieses Vertrauen ist unser größtes Kapital und der sicherste Weg, um die Einheit wiederzuerlangen. Wir sollten dieses Vertrauen nicht beschädigen. Das geht nämlich in Schönhuber-Richtung. Der sagt das in BBC und anderswo ganz genauso.
Ich möchte mit einem kurzen nachdenklichen Wort schließen. 1989 hat als ein Jubiläumsjahr begonnen. Wir haben vieler wichtiger Daten gedacht. Jetzt endet das Jahr als ein Anfang für eine ganz neue Epoche. Wenn diese 40 Jahre wirklich einen Sinn gehabt haben, wenn wir eine Rückbesinnung anstellen, dann sollten wir auf Grund unserer Verantwortung die Erfahrungen, die wir gemacht haben, in die Aufbruchsituation des nächsten Jahrzehnts einbringen.
Ich glaube, wenn wir den Weg mit Augenmaß und Geduld weitergehen, werden wir am Ende dieses Jahrtausends wirklich ein einiges Deutschland und ein einiges Europa haben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118519600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1118519700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Malta war nicht die Fortsetzung von Jalta, aber vielleicht — vielleicht! — war es der Anfang vom Ende von Jalta. Denn es gibt eine unübersehbare historische Beziehung zu Jalta. Dort ist Polen — die Freiheit Polens — mit verspielt worden. Malta steht inmitten eines Prozesses, an dessen Anfang — nämlich in der Aufhebung der von Jalta ausgehenden Ordnung — der Kampf um die Freiheit Polens gestanden hat, die Jahre 1980/81. Das sollten wir hier durchaus mit erwähnen, weil es in den Kontext gerade auch der Diskussion und Bewegungen der letzten Wochen gehört, häufig aber vergessen wird.
Teilweise war Malta sogar das direkte Gegenteil von Jalta. Lesen Sie etwa die Pressekonferenzen nach. Beide Seiten mußten zugeben, daß die Weltmächte gewissen Bewegungen fast ohnmächtig gegenüberstehen, allerdings, muß ich hinzufügen, nicht der Bewegung in Deutschland. Kiew und auch die Botschaftergespräche der Vier in Berlin waren unüberhörbare Signale, daß es so nicht ist. Wir haben in der Tat die Situation, daß, wie Josef Joffe in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, die Lösung der deutschen Frage längst nicht mehr in alliierten Händen liegt, aber auch noch lange nicht in deutschen Händen.
Frau Vollmer ist leider nicht mehr da. Sie hat die Bewegung in der DDR und auch die Folgen der zehn Punkte falsch wahrgenommen. In der DDR hat neben der ideologisch-politischen Revolution auch eine Revolution der steigenden Erwartungen stattgefunden. Das auslösende Moment dafür war der 9. November. Ich sehe die zehn Punkte als einen wenn auch sehr unvollkommenen Versuch an, aus dem Gefängnis der eigenen Rhetorik — Wahlkampfrhetorik — zu ent-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14339
Dr. Soell
kommen und zu sagen: Wiedervereinigung in dem traditionellen Sinne steht nicht auf der Tagesordnung, sondern das wird schrittweise in Übereinstimmung mit unseren europäischen Nachbarn in Ost und West erfolgen.
Hier möchte ich den Kolleginnen und Kollegen von der CDU sagen:

(Zuruf von der CDU/CSU: Wieso ist das ein untauglicher Versuch?)

Dort in der DDR heißt es: „Wir sind das Volk". Sie kleben jetzt: „Wir sind ein Volk". Denken Sie an die Spannungen zwischen Freiheit und Einheit im 19. Jahrhundert und daran, wie tragisch diese Spannung aufgelöst worden ist. Ich sage Ihnen, es ist sehr, sehr wichtig für Sie, sich wieder sehr viel mehr an die Zurückhaltung in der Sprache gewöhnen zu müssen. Sie müssen von Ihrer Wahlkampfrhetorik Abstand nehmen und sehr genau auch das wahrnehmen, was rings um uns her diskutiert wird.
Ich bin dafür, daß wir an allen europäischen Baustellen gleichzeitig arbeiten: am Westtrakt Vorbereitung des Binnenmarktes, an dem übergreifenden Sicherheitsfundament und an dem Sicherheitsdach. Hierzu gehört auch die ökologische und ökonomische Zusammenarbeit zwischen West- und Osttrakt. Aber ich bin ebenso dafür, daß wir am deutschen Mitteltrakt intensiv arbeiten. Es kann durchaus sein, daß Teile dieses Mitteltrakts früher fertig werden als andere Teile des europäischen Hauses. Nur, sie müssen immer wieder bei der Fertigstellung anderer Bauteile in Europa eingepaßt werden.
Die Amerikaner mahnen ein neues atlantisches Denken an. Dabei haben sie eine ganz besonders wichtige Aufgabe. Es geht dabei um unsere Möglichkeiten der Beeinflussung der amerikanischen Politik, auch über den Kongreß. Die Amerikaner haben in Europa die geringsten Sorgen über Gleichgewichtsprobleme. Ich sehe ihr Votum für ein neues atlantisches Denken zumindest als einen Ansatz — noch nicht sehr konkret, aber doch erkennbar —, daß die bisherigen Bündnisstrukturen, so wichtig sie sind, nach einem gewissen Ablauf der Zeit durch übergreifende europäische Sicherheitsstrukturen abgelöst werden. Das heißt nicht, daß die Bündnisse gleich wegfallen. Das heißt aber, daß dies ein zeitlich sinnvoller Übergang sein sollte. Damit sind auch die deutschen Probleme sehr viel leichter lösbar.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118519800
Das Wort hat der Abgeordnete Uldall.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Was haben Sie jetzt noch Neues zu sagen?)


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1118519900
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Es ist in Straßburg auch über die Wirtschafts- und Währungsunion gesprochen worden. Dazu möchte ich jetzt einige Ausführungen machen, Herr Kollege Voigt. Insofern ist das tatsächlich etwas abweichend von dem, was bisher gesagt worden ist.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ah so!)

Einer erfolgreichen Wirtschaftsunion, meine Damen und Herren, wohnt auch immer eine Tendenz zu einer Währungsunion inne. Die Bundesrepublik ist ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, wir haben auch eine einheitliche Währung. Es wäre völlig undenkbar, daß wir hier mit unterschiedlichen Währungen operieren könnten. So erkennt man, daß eben die Vorteile eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes erst dann richtig zum Tragen kommen, wenn es auch eine einheitliche Währung gibt. Daher bin ich absolut sicher, daß die Europäische Gemeinschaft auch zu einer Währungsunion führen wird. Aber man darf eben nicht übersehen, daß auf dem Wege zu dieser Währungsunion auch gewisse Klippen zu umschiffen sind und daß es dann, wenn man diese nicht umschifft, zu einem Schiffbruch kommen kann.
Die Delors-Kommission hat aus gutem Grunde ein stufenweises Vorgehen empfohlen. Erst an dessen Ende soll eine Währungsunion stehen. Zu unterschiedlich ist die Ausgangssituation in den einzelnen EG-Staaten. Verstehen z. B. alle Länder der EG unter Preisstabilität das gleiche, wie wir es tun? Während eine Preissteigerung von 2 % in Deutschland schon zur Nervosität führt, wären andere Staaten in der EG bereits glücklich, wenn sie diese Zielmarke erreicht hätten.
Dies wird durch die unterschiedliche Entwicklung der Preissteigerungsraten seit 1980 deutlich: Während die Preise z. B. in Italien seit 1980 um 138 % stiegen, stiegen sie in Deutschland um 26 %. Während die Preise in Spanien um 130 % stiegen, stiegen sie in den Niederlanden nur um 24 %. Es müssen deswegen bei einer so unterschiedlichen Ausgangsposition wichtige Bedingungen erfüllt sein, bevor eine Währungsunion errichtet werden kann.
Erstens nenne ich: Die Preisstabilität muß das höchste Ziel des europäischen Zentralbanksystems sein. Preisstabilität muß in diesem Zusammenhang so definiert werden, wie wir Preisstabilität in der Bundesrepublik beschreiben.
Zweitens muß deswegen das europäische Zentralbanksystem unabhängig sein. Das heißt: Weder formal darf es eine Abhängkeit geben, noch darf es durch das Entsenden von gefügigen Persönlichkeiten dazu kommen, daß die Mitgliedstaaten auf die Zentralbank Einfluß nehmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens darf es keine Defizitfinanzierung von Staatshaushalten durch die europäische Zentralbank geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Währungsunion stellt den bisher weitestgehenden Verzicht auf Souveränität im europäischen Einigungsprozeß dar. Wir dürfen unsere Souveränität nur solchen Gremien übertragen, von denen wir auch wissen, daß sie unseren politischen Zielvorstellungen entsprechen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß es auch bei der Einigung des Deutschen Reiches vor mehr als
14340 Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Uldall
100 Jahren zunächst die politische Einigung im Jahre 1871 gegeben hat und die Währungsunion erst nach der politischen Einigung eingeführt wurde.

(Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Man kann es aber auch umgekehrt machen, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, die europäische Wirtschafts- und Währungsunion und die Preisstabilität sind keine Gegensätzlichkeiten, sondern können sehr wohl verbunden werden, wenn man behutsam, Schritt für Schritt vorgeht und alle Bedingungen erfüllt, die im Delors-Bericht gefordert sind, und zwar erfüllt, bevor der nächste Schritt kommt. Zu große Eile kann eben auch großen Schaden hervorrufen — wie in vielen anderen Politikbereichen auch.
Im Beschluß des Europäischen Rates heißt es — ich zitiere — :
Im Hinblick auf die neue Legislaturperiode des Europäischen Parlaments, die 1994 beginnt, verlangt er, daß die Wirtschafts- und Währungsunion diesem Demokratieerfordernis in vollem Umfang Rechnung trägt.
Ich interpretiere diesen Beschluß so, daß das Europäische Parlament 1994 entscheidend prüfen soll, ob die nächste Stufe in diesem Sinne angepackt werden soll.
Helmut Kohl, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das zum Abschluß sagen — , ist es gelungen, beide Ziele, Fortschritt in der europäischen Einigung und Bewahrung der Preisstabilität, im Gleichklang weiterlaufen zu lassen. Unsere Fraktion gratuliert Helmut Kohl zu diesem Erfolg. Wir sind sicher: Am Ende der Entwicklung wird eine europäische Wirtschaftsunion mit einer gemeinsamen Währung und mit stabilen Preisen stehen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118520000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118520100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Voigt, ich glaube kaum, daß ich etwas Neues sagen werde, aber ich hoffe in jedem Fall, daß ich nichts Falsches sagen werde, nichts Falsches wie etwa der Kollege Verheugen im Gegensatz zum Kollegen Professor Soell.
Herr Verheugen, wenn Sie die Aussage des Außenministers, es seien ernste Gespräche gewesen, so interpretieren, daß in den Gesprächen in Moskau die Fetzen geflogen seien, dann will ich einmal in Frageform kleiden, was dort hätte sein können. Hätte es nicht sein können, daß Herr Gorbatschow wirklich ernsthaft über die Entwicklung besorgt ist, über eine Entwicklung, die er selber initiiert hat und die nun einen Punkt erreicht hat, an dem die Kontrolle verlorengehen könnte, und an dem ihm die Geister, die er selber gerufen hat, davonlaufen könnten? Das ist sowohl für ihn als auch für uns besorgniserregend. Aber es brauchen nicht die Fetzen zu fliegen, wenn man solche ernsten Gespräche führt.

(Zuruf von der SPD: Sind sie aber!)

Sie können dessen sicher sein, daß es so gewesen ist.
Was die GRÜNEN angeht

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die sind doch gar nicht mehr hier!)

— ja, ja — , so habe ich ursprünglich angenommen, sie wollten hier eine Debatte führen, in der sie die Bundesregierung gewissermaßen zwingen, nach dem Motto zu handeln: Tue Gutes und rede davon. — Die Bundesregierung hat ausnahmsweise einmal nicht über ihre guten Taten geredet, und schon wird es ihr vorgeworfen, was ich bedauerlich finde.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie wollten über Ihre Abneigung gegenüber dem erkennbaren Prozeß hin zur Einheit Deutschlands reden. Sie haben heute im wesentlichen skeptische Nachbarn und Verbündete bemüht. Das ist in der Tat ein Thema. Informieren lassen wollten Sie sich jedenfalls nicht, denn sonst wären Sie ja hier geblieben oder erst einmal hier gewesen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Es geht also um einen Prozeß, von dem man sicherlich annehmen muß, daß er nicht auf ungeteilten Beifall stößt. Die Schwierigkeit des gegenwärtigen Prozesses besteht darin, daß drei unterschiedliche Entwicklungslinien vorhanden sind — der Kollege Professor Soell hat darauf hingewiesen —, der Prozeß der europäischen Einigung, der Prozeß zur deutschen Einheit und der Prozeß hin zur Errichtung eines Sicherheitsgebäudes.
Wir glaubten immer, wir hätten das Tempo dieses Prozesses in unseren eigenen Händen und unter Kontrolle. Im Grunde waren wir alle überrascht, daß die Geschichte oder die Menschen in der DDR oder in Ungarn, die Geschichte machen, diesen Prozeß in anderer Weise bestimmen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: So ist das nun einmal in der Demokratie!)

Gegenwärtig besteht die Gefahr, daß es unterschiedliche Tempi bei dieser Entwicklung gibt, daß der Prozeß der deutschen Einheit schneller zu sein scheint als die anderen Prozesse und daß damit Spannungselemente entstehen. Das ist wohl so. Aber wir können die Antwort doch nicht in der Weise geben — wie auch manche der Freunde es tun, wenn ich an die Äußerungen von Dumas denke, die er gestern gemacht hat —, daß wir dem Selbstbestimmungsrecht den absoluten Charakter nehmen und es so relativieren, daß es zur Disposition der Nachbarn und Verbündeten steht. Das geht nicht. Das ist ein Widerspruch in sich.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es ist allerdings unsere Verpflichtung, in einer weisen Selbstbeschränkung von dem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen, und das versprechen wir auch. Ich bitte, mit Verlaub sagen zu dürfen: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Leistung für Europa, Leistung für die Demokratie sind ein hinrei-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14341
Lummer
chender Beweis dafür, daß es Alleingänge, die zu Lasten anderer gehen, nicht geben wird.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Jetzt kommt die Bewährungsprobe!)

Ich glaube, in diesem Bemühen sollten wir uns wirklich einig sein.

(Beifall bei bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Kollege Lippelt hat gesagt, wir hätten es gewissermaßen provoziert, daß in Leipzig zunehmend von Einheit und nicht nur von anderen Dingen die Rede sei. Anfangs haben die GRÜNEN hier von dieser Stelle aus ja noch stolz verkündet, von Einheit sei da drüben gar nicht die Rede, sondern man rede von ganz anderen Dingen.
In der Geschichte gibt es immer wieder einmal gleichlaufende Prozesse. Denken Sie an den 17. Juni: Erst waren es die Normen, dann kam die Demokratie, dann kam die Einheit. In der Sowjetunion geht es erst um das Wohlergehen, aber sehr bald kommen andere Prozesse, die die Einheit und die Freiheit betreffen, hinzu. Das ist offenbar ein natürlicher Verlauf der Entwicklung, und das hat ja etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht zu tun. Insofern kann man es letztendlich nur unterstützen.
Von daher sage ich: Das, was in Leipzig geschieht, ist nicht Ausdruck einer Beeinflussung von außen, sondern etwas, was mit dem Selbstbestimmungsrecht zu tun hat. Davon wollen die Menschen Gebrauch machen.
Ich denke, wir sollten uns selber verpflichten, zu versuchen, diesen Prozeß zu kontrollieren. Wir sollten gemeinsam den Versuch machen, unseren Verbündeten klarzumachen, daß dieser Prozeß, der die Einheit Deutschlands herbeiführt, der die Teilung Deutschlands überwindet, auch ein Vorteil für Europa ist, in das wir diesen Prozeß eingebettet wissen wollen. Ich glaube, wir haben durch unsere Politik hinreichende Beispiele dafür gegeben, daß Sorgen und Angste der Verbündeten zwar verständlich, aber letztendlich unbegründet sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118520200
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Penner, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Dr. Schöfberger, Schmidt (München), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Datenschutz im Strafverfahren
— Drucksachen 11/173, 11/1878 —
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6031 vor.
Es wird vorgeschlagen, eine Stunde für die Beratung vorzusehen. Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1118520300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt geht es um den Datenschutz im Strafverfahren, eigentlich um den nicht vorhandenen Datenschutz im Strafverfahren. Wie Sie gesehen haben, haben wir dazu eine Menge parlamentarischer Initiativen gemacht, eine Große Anfrage — die wurde dann auch beantwortet —, einen Entschließungsantrag; und heute reden wir darüber. Das ist gut so; denn es ist geradezu auf den Tag vor sechs Jahren gewesen, daß das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts gesprochen wurde. Dieses Urteil ist Anlaß für unsere Überlegungen.
Dieses Urteil hat das Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung als Freiheitsrecht im elektronischen Zeitalter zum Grundrecht erhoben. Das war unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung mit ihrer ins Unendliche gesteigerten Möglichkeit zum Sammeln, Weitergeben und Weiterverwerten jeder Art von Informationen notwendig. Das Urteil war auch notwendig, um die Sammelwut von Behörden und Verwaltungen, die sich für alles und jedes interessieren und jetzt auch die technischen Möglichkeiten haben, das zu tun und durchzusetzen, zu stoppen.
Gleichzeitig — und das ist das Wichtigste — hat das Bundesverfassungsgericht ernst gemacht mit dem Auftrag unseres Grundgesetzes, unseren Grundrechten immer gerade dann wieder Geltung zu verschaffen, wenn sich die äußeren Bedingungen verändern. Die Einführung der Kommunikations- und Informationstechnologien hat in der Tat die Bedingungen dramatisch verändert.
Das hat ein ehemaliger Präsident des Bundeskriminalamts schon vor mehreren Jahren auf den Punkt gebracht, der sagte: Möglichkeiten von Angriffen auf die Menschenwürde finden sich bereits in den Strukturen der Elektronik angelegt. Er sprach davon, daß die Isoliertheit der Ressorts aufgehoben werden könne, daß internationale und nationale Grenzen überwunden würden, daß das Wissen immer größer werde, daß man immer mehr sammeln könne, daß die Grenzenlosigkeit der Informationsverarbeitung es gestatte, das Individuum auf seinem ganzen Lebensweg von der Wiege bis zur Bahre zu begleiten, daß Momentaufnahmen, Ganzbilder, Profile der Persönlichkeit geliefert werden könnten und daß es die Gnade des Vergessens von Daten nicht mehr gebe, sondern daß alles präsent bleibe, daß der „Große Bruder" eben nicht nur eine Gefahr in der Literatur sei.
Das ist eine prägnante Umschreibung und zugleich eine Aufforderung an den Gesetzgeber gewesen, dies alles zu verhindern. Wie er das verhindern soll, dazu hat das Bundesverfassungsgericht in eben jenem Urteil, das jetzt gerade sechs Jahre alt wird, die genauen Merkmale geliefert. Es hat gesagt: Wir brauchen die Feststellung, daß Erhebungen von personenbezogenen Informationen, personenbezogenen Daten, immer Eingriffe sind. Die sind nur dann zulässig, wenn sie im überwiegenden Allgemeininteresse liegen, wenn klare Gesetze da sind, die dem Gebot von Normenklarheit, Verfassungs- und Verhältnismäßigkeit
14342 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Dr. Däubler-Gmelin
entsprechen, wenn Mißbrauch und auch Zweckentfremdung verhindert werden.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, sich das auch in dieser Stunde immer wieder in Erinnerung zu rufen, weil das auch für den Rechtsbereich des Strafrechts und des Strafprozeßrechts gilt; denn die Strafprozeßordnung hat die Aufgabe, im Strafverfahren die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen und damit einen wichtigen Beitrag für den inneren Frieden zu leisten.
Warum ist das so? Weil eine ganze Menge von Beschuldigten, Zeugen, Verletzten und Hinweisgebern beteiligt sind und weil Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte von all denen persönliche Daten und Umstände brauchen. Deshalb brauchen wir auch klare Normen, die sagen, was möglich ist und was nicht.
Jetzt muß die Strafprozeßordnung dem angepaßt werden, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, und zwar nicht in einzelnen Fällen, sondern insgesamt. Das ist umfangreich, das ist schwierig, zumal es wirklich auch um heikle Entscheidungen geht, weil z. B. die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, also auch zwischen Justiz- und Innenbereich, neu geordnet werden muß.
Zeit genug, das zu tun, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen und auch von der Regierung, hätten Sie wahrhaft gehabt, auch wenn es nicht einfach ist, das alles zu tun. Ihre Untätigkeit grenzt mittlerweile an die ausdrückliche Mißachtung unseres höchsten Gerichts.
Aber das ist es nicht allein. Es ist schlimm, aber zutreffend, wenn mehrere Strafgerichte sagen: Der zeitliche Übergangsbonus des Gesetzgebers ist endgültig vorbei. Meine Damen und Herren, das ist deswegen schlimm, weil wir die Folgen sehen müssen. Die sind klar. Die Gefahr wird größer, daß bald einmal ein an sich überführter Straftäter allein deswegen freigesprochen werden muß, weil die Anpassung der Strafprozeßordnung eben nicht erfolgt ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wer das nicht will, muß jetzt handeln, vor allem auch deshalb, weil Sie mit jedem Tag des Säumens Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizei zumuten, sich zunehmend auf schwankendem Boden zu bewegen. Das schafft Unsicherheit, und zwar auch in bezug auf den Beitrag, den unsere Strafprozeßordnung leisten muß. Deswegen prangern wir diese Versäumnisse an.
Uns ist klar, warum Sie nichts zuwege gebracht haben. Das liegt an den enormen Unterschieden der Auffassungen in Ihren Reihen. Das können wir aus jeder Stellungnahme herauslesen, wenn z. B. Teile von Ihnen — es sind ja nie alle — Datenschutz als Täterschutz diffamieren oder wenn man einmal das eine, einmal das andere zur Rasterfahndung oder auch zum Problem des verdeckten Ermittlers liest. Freilich ist es so: Je konkreter die Probleme sind, die gelöst werden müssen, desto schwieriger wird es.

(Zuruf von der FDP: Eben!)

Das wissen wir auch. Wir haben deshalb die kritischen
Punkte sehr frühzeitig herausgestellt, eben in unserer
Großen Anfrage. Mit der Beantwortung haben Sie
sich über ein Jahr Zeit gelassen und sich dann noch um klare Antworten herumgedrückt.

(Dr. de With [SPD]: So ist es!)

Ich finde das bedauerlich. Wir sagen deshalb: Es müssen jetzt vier Punkte klargestellt werden.
Erstens. Die Eingriffsvoraussetzungen der Strafverfolgungsbehörden müssen neu definiert werden.
Zweitens muß jener Bereich genau umrissen und auch geschützt werden, in dem Ermittlungshandlungen überhaupt nicht stattfinden dürfen, auch nicht durch elektronische Lausch- oder sonstige Geräte.
Drittens. Die strafverfahrensrechtlichen und die polizeirechtlichen Befugnisse müssen klar voneinander getrennt werden, auch dann, wenn dies Spannungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft auslöst. Wir sagen: Die Befugnisse der Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren müssen gestärkt werden.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Wir müssen mit äußerster Zurückhaltung gesetzlich regeln, wie die Einbeziehung unbeteiligter Dritter z. B. auf Fotos, Tonbändern oder Filmen möglichst gering gehalten werden kann. Außerdem brauchen wir flankierende Schutzvorschriften, Verwertungsverbote , Löschungsvorbehalte, Richtervorbehalte und Befristungen der Datenspeicherung.
Wir haben das zur Kenntnis genommen, was Sie an Vorentwürfen in die Öffentlichkeit gebracht haben, Herr Justizminister. Wir haben natürlich auch die negativen, ja vernichtenden Stellungnahmen dazu gelesen und ausgewertet. Deswegen sage ich Ihnen: So können wir nicht weitermachen. Sie sollten bald einen Gesetzentwurf vorlegen, der erstens umfassend und zweitens sehr deutlich ist.
Lassen Sie mich einen einzigen Punkt herausgreifen — mein Kollege de With wird nachher weiteres tun —, den ich für besonders heikel halte, der aber zeigt, daß wir uns vor kritischen Punkten keineswegs drücken. Das ist die Frage des Einsatzes von verdeckten Ermittlern.
Wir wissen: Gerade da spitzen sich die Fragen ungewöhnlich scharf zu, etwa die: Wie weit darf der dem inneren Frieden verpflichtete Rechtsstaat von seinem Grundsatz des öffentlichen Handelns lassen? Wie weit darf er sich ins Verborgene zurückziehen, das Visier herunterlassen, wenn er durch Polizei oder in Strafverfahren tätig wird? Müssen sich nicht die Verteidiger des Rechtsstaats, also die ermittelnden Polizeibeamten, unter allen Umständen zweifelsfrei an die Gesetze halten? Darf der Rechtsstaat, wie Adolf Arndt 1961 schon gefragt hat, betrügen? Das sicher nicht. Aber wie ist es denn? Müssen wir nicht doch verdeckte Ermittler haben, weil wir eben im Bereich des Terrorismus, der Drogenmafia, des Menschenhandels, des Waffenhandels Verbrecherstrukturen haben, die wir anders nicht bekämpfen können?
Uns ist die Antwort auch nicht leicht gefallen, weil wir Adolf Arndts damalige Warnungen für sehr zutreffend halten. Der Rechtsstaat kann hier sehr schnell zugrunde gehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat Adolf Arndt recht gegeben, gerade im Volkszählungsurteil.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14343
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Wir brauchen rechtsstaatliche Mittel. Gegen verdeckte Ermittler haben wir allerdings genau wie gegen V-Leute erhebliche Bedenken, auch aus tatsächlichen Gründen. Ich möchte einmal den Innenminister oder den Behördenleiter sehen, der guten Gewissens verantworten kann, junge Leute in diesen Bereich hineinzuschicken, wenn er ganz genau weiß: Deren Möglichkeiten zu operieren sind ohnehin gering, weil sie sich an die Gesetze halten müssen. Das fällt in diesem hochkriminellen Bereich sehr schnell auf. Eine perfekte Gegenwelt, in der so jemand operieren könnte, können wir gar nicht errichten. Ein Innenminister, ein Behördenleiter weiß auch, daß er diese hochqualifizierten jungen Leute, die maximal zwei Jahre zum Einsatz kommen könnten, nicht schützen kann, wenn sie enttarnt werden. Die dann das ganze Leben lang vor Verfolgung in Obhut zu nehmen, das wird sehr schwierig.
Wir sagen deswegen — gerade auch, weil wir als Gesetzgeber eine Fürsorgepflicht diesen jungen Beamten gegenüber haben — : Wenn verdeckte Ermittler eingeschaltet werden sollen, dann muß eine ganz schmale Gratwanderung vorgenommen werden. Dann muß der Ausnahmefall festgelegt werden. Und dann muß in dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sehr deutlich gemacht werden, was wir alles brauchen — vom Richtervorbehalt bis zu der Klarstellung, daß die Rechts- und Wahrheitsfindung vor Gericht auf keinen Fall behindert werden darf.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, der in der Sache sehr hilfreich sein könnte, Herr Bundesjustizminister. Wir fänden es gut, wenn Sie über Ihren Schatten sprängen, diesen Entschließungsantrag annähmen und dann möglichst umgehend einen umfassenden Gesetzentwurf vorlegen könnten, der diese und andere heikle Fragen dann wirklich zur Zufriedenheit regelt.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118520400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118520500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinem Volkszählungsurteil das sogenannte informationelle Selbstbestimmungsrecht als ein Recht des einzelnen Individuums statuiert. Es hat dieses Recht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet. Dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird seitdem gern und häufig zitiert. Und auch Sie, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, haben das getan — durchaus zu Recht, denn es ist ein wichtiges Grundrecht. Das wird überhaupt nicht in Zweifel gezogen.
Es wäre allerdings schön, wenn man in diesem Zusammenhang nicht verschweigen würde, daß es nicht in jedem Falle uneingeschränkt gilt. Sie haben das zwar einmal kurz anklingen lassen, aber doch sehr am Rande. Es ist nach dem besagten Urteil nicht schrankenlos gewährleistet. Wörtlich heißt es in dem Urteil:
Der einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten uneingeschränkten Herrschaft über seine Daten, er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Grundsätzlich muß daher der einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
Ich möchte dem ein anderes Zitat gegenüberstellen, und zwar aus der Ziffer 2 Ihrer Großen Anfrage, in der es zu Beginn heißt:
Ein Gegensatz zwischen Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz einerseits und einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung andererseits besteht nicht.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

Wenn das richtig wäre, müßte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung also ohne Einschränkung auch bei der Strafverfolgung gelten.

(Widerspruch bei der SPD)

Das ist nicht der Fall. Deshalb ist dieser Satz aus Ihrer Großen Anfrage ein typisches Beispiel dafür, wie man ein Problem aus durchsichtigen politischen Gründen vernebeln kann.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber Herr Eylmann, das ist doch nicht zutreffend!)

— Doch, das ist genau zutreffend.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ich habe das auch nicht gesagt!)

— Sie haben gesagt, es besteht kein Gegensatz.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118520600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1118520700
Verehrter Herr Eylmann, wir brauchen uns ja hier angesichts dieser „Massen von Kollegen" nicht zu streiten. Nur sollten wir uns darüber im klaren sein, worüber wir reden. Ich habe gerade als Voraussetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich erwähnt, daß Eingriffe im überwiegenden Allgemeininteresse möglich sind. Sie finden das in unserer Großen Anfrage und im Entschließungsantrag. Wären Sie so lieb und würden das bitte zur Kenntnis nehmen?

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118520800
Wenn das richtig ist — und ich will das nicht in Zweifel ziehen —, besteht ein Gegensatz zu dem, was Sie in Ziffer 2 gesagt haben,

(Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!)

wo Sie ausdrücklich sagen, ein Gegensatz bestehe nicht.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ja eben, er besteht auch nicht!)

Ich wiederhole: In Wahrheit stoßen doch gerade bei der Kriminalitätsbekämpfung zwei Verfassungswerte von hohem Rang hart und zum Teil unvereinbar aufeinander. Zum einen geht es um das Interesse des Bürgers an der Gewährleistung seines informationel-
14344 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Eylmann
len Selbstbestimmungsrechtes, zum andern geht es aber um das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Recht des Bürgers auf einen effektiven Strafrechtsschutz.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das muß man austarieren!)

Es muß also eine Abwägung stattfinden.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ja, sicher!)

Wir müssen eine Lösung finden, die beide Verfassungswerte im Rahmen des Möglichen möglichst weitgehend zum Tragen bringt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Deshalb besteht schon ein Gegensatz. Das sollten wir bitte nicht unter den Teppich kehren.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nein, der besteht eben nicht!)

Ein Kommentator hat geschrieben, diese Aufgabe, vor der wir ständen, sei eine Aufgabe, die so schwierig sei, daß sie fast der Quadratur des Kreises gleichkomme. Und dann sagen Sie, es bestehe kein Gegensatz! Das ist doch nicht richtig.

(Dr. Soell [SPD]: Spannungsverhältnis ist doch etwas anderes!)

Wer, wie Sie es getan haben, so tut, als existiere dieses Abwägungsproblem nicht, hat natürlich keine Aussicht, es zu lösen.
In Ihrem Satz steckt noch ein zweiter Fehler, und wir wollen uns da auseinandersetzen. Sie sagen: Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz ist das eine Begriffspaar, und die Kriminalitätsbekämpfung steht auf der anderen Seite.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das sagen Sie!)

Dazu sage ich: Die Rechtsstaatlichkeit ist nicht eindeutig, nicht einseitig dem Datenschutz zuzuordnen. Rechtsstaatlich kann und muß auch die Strafverfolgung sein.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Natürlich! Deswegen haben wir die StPO!)

Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit erfüllt sich in beidem, nämlich dadurch, daß das Gesetz klar und eindeutig und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festschreibt, wo, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das informationelle Selbstbestimmungsrecht bei der Strafverfolgung zurückzustehen hat. Das ist der entscheidende Punkt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Richtig!)

Um diesem Gebot der Rechtsstaatlichkeit zu genügen, ist im BMJ nach langen Vorarbeiten der Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes erarbeitet worden. Er regelt die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit mit Hilfe bestimmter hergebrachter und neuartiger Ermittlungsmethoden, die Verwendung personenbezogener Informationen, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, sowie die Verarbeitung derartiger Informationen. Was die strafprozessuale
Ermittlungstätigkeit angeht, so werden sehr ausführlich die Voraussetzungen der sogenannten Rasterfahndung näher bestimmt, die sogenannte polizeiliche Beobachtung usw., auch die Zulassung und die Grenzen des Einsatzes von sogenannten verdeckten Ermittlern.
Es ist richtig, Frau Kollegin Däubler-Gmelin: Dieser Referentenentwurf ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Das ist auch nicht verwunderlich. Wenn in einem so sensiblen Bereich wie der Kriminalitätsbekämpfung versucht wird, einen Kompromiß zwischen den von mir eingangs dargestellten beiden Verfassungswerten zu finden, wäre es verwunderlich, wenn es keine Differenzen darüber gäbe, ob die Kompromißlinien richtig gezogen worden sind. Diese Kritik ist grundsätzlich legitim, sie ist nützlich, und sie muß ernstgenommen werden. Ich nehme sie um so ernster, je sachbezogener sie ist und je weniger in dieser Kritik Blindheit gegenüber dem einen oder dem anderen der beiden hier zur Abwägung stehenden Verfassungswerte sichtbar wird.
Der Deutsche Richterbund hat ausdrücklich begrüßt, daß dieses Gesetz vorgelegt worden ist

(Häfner [GRÜNE]: Daß, aber nicht wie!)

und daß damit gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Er hat gegen die Zulässigkeit der Rasterfahndung und auch gegen die Zulässigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittler vom Grundsatz her keine Bedenken. Er meldet allerdings in einer Vielzahl von Einzelfragen Bedenken an. Soweit er rügt, daß eine Reihe von Vorschriften zu kompliziert gefaßt seien, bin ich geneigt, ihm zuzustimmen, wenn auch nicht uneingeschränkt.
Von besonderem Interesse ist für mich immer die Stellungnahme der Anwaltschaft; kein Wunder, denn ich bin selbst Anwalt. Der DAV hat nun allerdings diesen Entwurf nicht einer Detailkritik für würdig befunden. Er hat ihn vielmehr in Bausch und Bogen verworfen, ohne daß deutlich wird, daß für ihn das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung einen hohen Verfassungsrang hat. Es wird völlig einseitig auf die absolute Wahrung des Datenschutzes abgestellt. Ferner wird auch, was die Benutzung von Daten angeht, auf einer strikten Trennung zwischen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr bestanden. Die Polizei soll also Informationen, über die sie auf Grund einer Strafverfolgung verfügt und die sie infolgedessen nicht noch einmal erheben muß, nicht zur Abwehr einer Gefahr nutzen dürfen, nur weil die Informationen aus einem Strafverfahren stammen. Das wird kaum jemandem plausibel gemacht werden können.
Die Vorwürfe des DAV gipfeln in der Feststellung, die Strafprozeßordnung werde nunmehr ein Spezialgesetz des Allgemeinen Polizeirechts. Das, meine ich, ist letztlich eine abwegige Bewertung. Wenn der DAV schließlich den Entwurf in die Nähe eines Polizeistaats rückt, verliert er vollends jedes Maß und entwertet damit selbst sein Votum.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was ist aus diesem Verein geworden?)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14345
Eylmann
Es heißt in der Kritik, der Entwurf würde zu einem in einem Polizeistaat üblichen, von Angst und Unsicherheit geprägten Verhalten des Bürgers zum Staat führen. Die Verfasser dieser Stellungnahme scheinen sehr fern vom Bürger zu leben. Ihnen scheint nämlich entgangen zu sein, daß es zwar durchaus Angst und Unsicherheit unter den Bürgern gibt, aber aus ganz anderen Gründen, nämlich weil sich viele Bürger unzureichend vom Staat gegen die Kriminalität geschützt sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wollen diejenigen, die nun diesen Entwurf so massiv und undifferenziert kritisieren, nicht sehen, daß neben anderen Gründen auch das angeblich zu lasche Vorgehen des Staates gegen die Kriminalität den Republikanern Stimmen zugetrieben hat, auch aus ihrer Klientel? Ich bin weit davon entfernt, Stammtischparolen zu Leitlinien für die Gesetzgebung zu machen, insbesondere für die Strafgesetzgebung, aber ich muß doch wohl diese verbreitete Furcht der Bürger ernstnehmen.

(Häfner [GRÜNE]: Wollen Sie den Republikanern nach dem Munde reden?)

Diese Furcht ist nicht unbegründet. Wir haben erst kürzlich zu unserer großen Bestürzung zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Terrorismus in unserem Lande ungebrochen ist. Ich erinnere darüber hinaus an den Rauschgifthandel, an den Bandendiebstahl, an die Betrugsringe, an den Mädchenhandel, an die mit schlimmem Kindesmißbrauch verbundene Pornographie, alles betrieben heutzutage zum erheblichen Teil von bandenmäßig organisierten und über die Grenzen hinaus international operierenden Gruppen. Es wäre doch wirklich übertrieben, zu sagen, wir hätten die Kriminalität in allen Bereichen im Griff. Ausgerechnet in dieser Situation der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr enge datenschutzrechtliche Fesseln anlegen zu wollen beweist eine bemerkenswerte Verständnislosigkeit gegenüber dem, was die Bürger wirklich bewegt.
Ich betone noch einmal, meine Damen und Herren: Polizeistaatliche Gesetze sind mit unserer Fraktion nicht zu machen. Ich nehme wie meine Fraktion den Datenschutz ernst und will dort, wo er im Interesse der Strafverfolgung zurücktreten muß, eindeutige und praktikable gesetzliche Grenzen setzen. Daß das möglich ist, ist in der letzten Wahlperiode mit der neuen gesetzlichen Regelung der Schleppnetzfahndung in § 163d StPO bewiesen worden. Dort haben Sie ein Beispiel, wie ein solcher Kompromiß zwischen Datenschutz und Strafverfolgung aussehen kann. Ich habe an dieser Regelung mitgearbeitet.
Ich gehörte, wie Sie genau wissen, auch nicht zu denen, die bei jeder Terrortat sofort nach neuen Strafgesetzen rufen, aber eines sage ich hier mit aller Deutlichkeit: Täterschutz durch eine einseitige Betonung des Datenschutzes ist mit uns und ist mit mir nicht zu machen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch wieder eine Schimäre!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118520900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118521000
Frau Präsidentin! Liebe wenige Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat im April letzten Jahres eine Große Anfrage zum Datenschutz im Strafverfahren eingebracht. Die Antwort der Bundesregierung kam übrigens spät, und sie ist mehr als ungenügend. Sie hat es inbesondere vermieden, auf konkrete Fragen — das hat mir an der Anfrage gefallen — auch konkrete Antworten zu geben, und sie hat damit — das sage ich, weil wir gestern über Parlamentsreform sprachen — nach meinem Dafürhalten auch ein weiteres Mal das Recht des Parlaments auf ausreichende Information und Kontrolle mißachtet.
Dies alles ist aber im Moment gar nicht mehr so wichtig, denn inzwischen liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, auf den sie in der Antwort zur Anfrage auch verweist. Dieser Gesetzentwurf ist schlimmer, als wir nach den vielfältigen und deutlichen Protesten der Sachverständigen und der einschlägigen Fachverbände gegen den Referentenentwurf und seine verschiedenen Vorstadien hatten erwarten können. Die Bundesregierung hat nämlich praktisch alle ihre Warnungen in den Wind geschlagen und einen Gesetzentwurf vorgelegt, den ich nicht anders denn als sicherheitsgefährdend und als rechtsstaatswidrig bezeichnen kann.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist aber noch kein Gesetzentwurf!)

— Das Ding trägt den Titel „Gesetzentwurf", es ist offensichtlich noch nicht durchs Kabinett gegangen, aber es wird damit als Gesetzentwurf gearbeitet. Das Verfahren könnte die Bundesregierung hier einmal erläutern. Ich wäre da auch gespannt.
Nötig geworden war das Gesetz — darauf wurde schon hingewiesen — durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, denn es hatte sich im Bereich der Ermittlungsmethoden und des Umgangs mit personenbezogenen Daten in Polizei und Justiz seit Jahren eine illegale Grauzone entwickelt, in der vom Mißbrauch persönlicher Daten bis hin zu staatlich geförderten Verbrechen alles möglich war.
Die Aufforderung zu klaren gesetzlichen Regelungen und Grenzziehungen durch das Bundesverfassungsgericht muß die Bundesregierung aber mißverstanden haben. Sie will keine Grenzen ziehen, sondern sie will Grenzen verwischen. Sie will die illegalen Praktiken nicht dadurch beenden, daß sie sie ein für allemal untersagt, sondern dadurch, daß sie sie legalisiert. Sie erklärt einfach Ungesetzlichkeit zum Gesetz, schwarz zu weiß, und hofft, daß die Öffentlichkeit dies mitmacht.
Ich kann nur hoffen, daß es dazu nicht kommt. Die Fachverbände haben in seltener Einmütigkeit, einer Einmütigkeit übrigens, die in letzter Zeit angesichts der Kahlschlagpolitik der Bundesregierung im Bereich von Grund-, Freiheits- und auch Verfahrensrechten immer häufiger entsteht, der Bundesregierung ihren Entwurf um die Ohren geschlagen und ihren entschiedenen Widerstand angekündigt. Ich bin dankbar für diese Stellungnahmen, und ich meine, daß dieser Widerstand zu Recht so angemeldet wird;
14346 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Häfner
denn mit dem Gesetzentwurf wird die Strafprozeßordnung zweckentfremdet. Sie wird unterminiert und — wie der Deutsche Anwaltverein zu Recht feststellt — in ein Spezialgesetz des allgemeinen Polizeirechts umgewidmet.

(Eylmann [CDU/CSU]: Ja, gerade das ist falsch!)

Der Rahmen für die Rasterfahndung mit der Folge der Erfassung und Speicherung zahlloser an Straftaten völlig unbeteiligter Menschen soll in dem Gesetzentwurf sogar noch ausgeweitet werden. Mit dem Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern wird die Grenze zwischen Recht und Unrecht und zwischen Gesetz und Verbrechen aufgehoben. Eine Polizei, ein Staat, der selbst Verbrechen begeht, in Auftrag gibt oder deckt, der kann nicht erwarten, daß die übrigen Bürger diese Grenzen ernst nehmen und daß sie uneingeschränktes Vertrauen in ihre Behörden und die jederzeitige Geltung der Gesetze haben. Er unterminiert dabei das, was er zu schützen vorgibt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von freier Rede gehört?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118521100
Nein! Aber Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Eylmann zulassen?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118521200
Gerne, ich lasse immer Zwischenfragen zu.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118521300
Herr Kollege Häfner, glauben Sie im Ernst, daß sie bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität ohne verdeckte Ermittler auskommen kann?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118521400
Herr Kollege Eylmann, ich kenne mehrere Fälle — einen konkreten Fall in Tübingen, den Namen kann ich Ihnen nachreichen — , wo ein verdeckter Ermittler im Bereich der Rauschgiftfahndung eingesetzt war. Er wollte Erfolge vorweisen. Er hat in einem Lokal eine Frau kennengelernt. Er ist mit ihr nach Hause gegangen, ins Bett gegangen, und man hat bei dieser Frau später entsprechende Rauschgiftmengen gefunden, die er ihr unterschoben hatte, um einen Erfolg nachweisen zu können. Sie kennen diese Fälle sicher auch aus der Literatur. Der Staat muß Verbrechen bekämpfen, gerade auch im Bereich der Drogenkriminalität, aber nicht dadurch, daß er selbst Recht und Gesetz bricht oder verwischt. Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf regelt die Einbindung der Staatsanwaltschaft und der Strafjustiz in einen allgemeinen Präventionsauftrag operativer Verbrechensbekämpfung unter dem Stichwort einer Vorsorge für künftige Strafverfolgung, obwohl Aufgabe der Staatsanwaltschaften ausschließlich sein darf, begangene Straftaten aufzuklären. Der Gesetzentwurf führt zu einer Vorherrschaft des Opportunitätsprinzips gegenüber dem Legalitätsprinzip auch bei der Strafverfolgung. Er unterminiert die Rolle der Staatsanwaltschaft als allein zuständiger Strafverfolgungsbehörde und sekretiert — so sagt der Deutsche Anwaltverein
in seiner Stellungnahme — die Ermittlungsverfahren und führt zu einer uferlosen Ausweitung staatlicher Eingriffsbefugnisse in die Privat- und Geheimsphäre des einzelnen.
Ohne Rechtsbruch — das noch einmal zu diesem Punkt — ist der Einsatz verdeckter Ermittler gar nicht möglich. Der Agent Mauss z. B. hat in seiner Tätigkeit wohl wesentlich mehr Verbrechen begangen als aufgeklärt; gedeckt von Polizei, Behörden und weiten Teilen der Justiz. Wie soll im übrigen — bitte bedenken Sie auch das — die Justiz Straftaten aufklären, wenn in die Verfahren Zeugen eingeführt werden, deren Identität verborgen bleiben soll, für die die Wahrheits- und die Zeugenpflicht faktisch eingeschränkt gilt und die möglicherweise selbst an den zur Verhandlung stehenden Straftaten beteiligt waren, ohne dafür belangt werden zu können.
Nein, so ist Rechtsstaat nicht zu machen, so kann er nur Schritt um Schritt zerstört werden.

(Beifall der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Fritz Baur hat einmal gesagt, Gesetze sind nicht auf Pergament, sondern auf empfindliche Menschenhaut geschrieben. Dieses bedenkliche Wort — es stammt von einem Sozialdemokraten, Frau Präsidentin—...

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118521500
Das ist mir wohl bewußt.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118521600
... ist sogar einmal im Wortsinn entsetzliche Wirklichkeit geworden. Es gilt aber auch — vor allem im übertragenen Sinne — dort, aber auch sehr direkt; denn es sind Menschen und nicht Nummern, an denen ausgetragen wird, was wir hier verhandeln.
Deshalb bitte ich Sie und vor allem die Mitglieder der Bundesregierung, die ja noch etwas Zeit haben, bevor sie den Gesetzentwurf endgültig hier einbringen, dies noch einmal nachdrücklich in seinen Auswirkungen zu bedenken.
Zum Entschließungsantrag der SPD. Liebe Frau Kollegin Däubler-Gmelin, was Sie hier vorgetragen haben, kann ich mit einer Ausnahme alles ganz und gar unterschreiben. Der Entschließungsantrag der SPD läßt allerdings an zahlreichen Stellen klare Worte vermissen, klare Worte über das, was den Strafverfolgungsorganen im Bereich der Informationsbeschaffung und -weitergabe erlaubt und was ihnen verboten sein soll.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So?)

Welche Fahndungsmethoden wollen Sie denn nun wirklich zulassen und welche nicht? Bei manchen Formulierungen in Ihrem Entschließungsantrag habe ich den Eindruck, daß Sie staatliches Handeln zwar kontrollieren wollen, in Wirklichkeit aber das Auslegungsmonopol letztlich den Behörden selbst überlassen wollen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Gar nicht!)

So drücken Sie sich auch um die klare Bewertung von Lauschangriffen von Wohnungen und damit um eine klare Aussage im Bereich der verdeckten Ermitt-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14347
Häfner
ler herum. Wir können diese Position nicht teilen. Wir lehnen verdeckte Ermittler in allen Fällen ab.

(Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1118521700
Lieber Kollege Häfner, ich finde es sehr ehrenwert, daß wir gerade über den verdeckten Ermittler und auch über die Frage reden, ob Lauschangriffe unter allen Umständen verboten sein sollen oder nicht. Das halte ich auch für die Aufgabe des Parlaments. Aber würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir da unseren Standpunkt haben und uns nicht davor herumdrücken?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118521800
Da haben Sie mich gründlich mißverstanden. Sie haben Ihren Standpunkt. Ich empfinde Ihren Standpunkt als eindeutig nicht ausreichend. Bitte verstehen Sie meine Äußerung bitte so: Indem Sie den Einsatz verdeckter Ermittler zulassen, kommen Sie zu generalklauselartigen Einschränkungen, die meines Erachtens in der Praxis so nicht zu halten sind. Wir sagen: Hier ist eine klare Grenze vonnöten. Deshalb werden wir Ihrem Entschließungsantrag nicht zustimmen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118521900
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118522000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist inzwischen ein ganz bewährtes Verfahren der Sozialdemokraten, kurz vor Vollendung eines Regierungsentwurfs für ein neues Gesetz dieses als besonders dringlich zu bezeichnen und dann bei der Bundesregierung anzumahnen.

(Dr. de With [SPD]: Nach sechs Jahren wohl angebracht! — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nach eineinhalb Jahren Große Anfrage; ich bitte Sie!)

Die SPD weiß doch ganz genau, daß insbesondere auf Grund des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 die Bundesregierung intensiv an einem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts gearbeitet hat.

(Dr. de With [SPD]: Seit sechs Jahren!)

— Natürlich, seit sechs Jahren. — Die Bundesländer, die von Ihnen mitregiert werden, sind in die Beratungen mit einbezogen worden.

(Dr. de With [SPD]: Aber nicht verantwortlich dafür, weiß Gott nicht!)

— Herr Dr. de With, Sie wissen doch ganz genau — Sie sind ehemaliger Staatssekretär im Bundesjustizministerium — , wie das läuft:

(Dr. de With [SPD]: Aber ein bißchen schneller ist es damals gegangen!)

daß diese Entwürfe natürlich in die Länder gehen müssen, mit ihnen besprochen werden müssen. Dazu zählen natürlich auch die von der SPD regierten Länder. Die haben die ihnen gesetzten Fristen nicht nur sehr gut ausgenutzt, sondern zum großen Teil überzogen. Daß dadurch natürlich Abstimmungsschwierigkeiten erfolgen, ist doch ganz klar.
Sie wissen ganz genau, daß es sich hier — das haben Frau Dr. Däubler-Gmelin sehr hübsch und auch Herr Eylmann dargestellt — um ganz schwierige Abwägungsprozesse handelt. Dieses Gesetz wird die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit mit Hilfe von neuartigen, aber auch althergebrachten Ermittlungsmethoden, die Verwendung personenbezogener Informationen, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, sowie die Verarbeitung personenbezogener Informationen in Dateien und ihre Nutzung regeln.
Es handelt sich dabei um schwierigste verfassungsrechtliche und strafprozessuale Aufgabenstellungen. Es ist also abzuwägen zwischen dem Interesse des Staates auf Strafverfolgung, auf möglichst effektive Strafverfolgung auf der einen Seite und auf der anderen Seite den individuellen Freiheitsrechten des Bürgers. Da hilft es uns überhaupt nichts, wenn wir auf die Schnelle Regelungen treffen. Selbst bei sechs Jahren muß man gelegentlich etwas abwägen. Wir sind noch bei einer Reihe von Gesetzen dabei, das Volkszählungsurteil aufzuarbeiten. Es ist nicht das einzige Gesetz, das auf Grund des Volkszählungsurteils novelliert werden muß.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wirklich wahr!)

— Natürlich. — Wir haben uns schon mehrfach über diese Fragen zu unterhalten gehabt. Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht ja auch weiter, so daß auch neue Urteile mit einzubeziehen sind.
Diese schwierigen Abwägungsprozesse werden von der Bundesregierung vorgenommen. Die Länder werden einbezogen. Die Wissenschaft wird einbezogen. Ich bin sicher, daß Anfang nächsten Jahres die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf als Regierungsentwurf vorlegen kann.
Es werden auch so wichtige Fragen zu behandeln sein wie die Rasterfahndung — Sie haben das erwähnt — , der EDV-Abgleich, den die Strafverfolgungsbehörden im Strafverfahren erhoben haben, sowie die Zulässigkeit des Abgleichens des Fahndungsbestandes mit sonstigen Daten, aber auch die Fahndung in der Öffentlichkeit für die Inanspruchnahme von Publikationsorganen. Dazu zählen auch die Zulässigkeiten und die Grenzen der langfristigen Observation, der Einsatz technischer Mittel zur Tataufklärung und der Einsatz der verdeckten Ermittler, wobei ich zugebe, auch Herrn Häfner gegenüber, daß man sich bei dem Einsatz verdeckter Ermittler natürlich unwohl fühlt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Es ist gut, daß Sie das sagen!)

Aber wir müssen auch die Frage der effektiven Strafverfolgung abwägen. Wir müssen mit den Kartellen von Banden fertigwerden, die uns zu schaffen machen. Ich möchte dann, wenn wir keinen verdeckten Ermittler einsetzen, von Ihnen gerne wissen, welche besseren polizeilichen Ermittlungsmethoden vorhanden sind; denn wir können uns diesen Banden auf Dauer nicht aussetzen.
14348 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Funke
Darüber hinaus müssen die Erteilung von Aktenauskunft und Akteneinsicht für Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden, Privatpersonen und natürlich auch für uns Anwälte geregelt werden. Wichtig ist auch, unter welchen Voraussetzungen Polizeibehörden personenbezogene Informationen, die zunächst allein für Zwecke der Strafverfolgung erhoben worden sind, auch für präventiv-polizeiliche Zwecke verwendet und gegebenenfalls in Dateien verarbeitet werden dürfen. Auch das ist ein sehr sensibler Bereich. Auch da sind wir gerne bereit, mit Ihnen darüber nachzudenken, wie die Prävention am besten erfolgen kann.
Gewünscht ist darüber hinaus die Einrichtung eines zentralen Staatsanwaltschaftsverfahrensregisters.
Erschwert wird die Arbeit an diesem Gesetzentwurf dadurch, daß einzelne Länder entweder kein entsprechendes Polizeigesetz haben oder diese Polizeigesetze noch nicht novelliert haben.
Unter diesen Umständen habe ich hinsichtlich des sogenannten Übergangsbonusses — Frau Dr. Däubler-Gmelin hat das ja vorhin erwähnt — keine Bedenken, wenn die Bundesregierung noch Anfang nächsten Jahres einen entsprechenden Regierungsentwurf vorlegt. Ich hoffe, daß dann alle Parteien, einschließlich der Sozialdemokraten, konstruktiv an der Beratung dieses neuen Gesetzes mitwirken werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. de With [SPD]: Das tun wir immer! — Häfner [GRÜNE]: Auch Widerspruch kann konstruktiv sein!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118522100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1118522200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Datenschutz ist ein sehr wesentlicher Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit, und Rechtsstaatlichkeit, Herr Eylmann, kann ohne Datenschutz nicht sein. Natürlich wissen auch wir, daß in jedem Ermittlungsverfahren Daten weitergegeben werden müssen. Deswegen besteht zwischen beidem ein natürliches Spannungsverhältnis.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Niemals haben wir gesagt, daß hier ein Gegensatz herrsche, der das eine oder andere ausschließe. Wenn Sie das unserem Entschließungsantrag entnommen haben, dann frage ich mich, wie Sie ihn gelesen haben. Er ist meiner Meinung nach nicht mißinterpretierbar. — Das zu Ihrer Kritik. —
Ich sage auch, daß Ihre Kritik gegenüber dem DAV, dem Deutschen Anwaltverein, ungerechtfertigt ist. Unser heutiger Entschließungsantrag zum Datenschutz zum Strafverfahren beschäftigt sich im Abschnitt C mit dem Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei. Wir verlangen darin nicht nur eine Stärkung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei in Ermittlungsverfahren. Wir fordern nachdrücklich — ich hoffe, Sie stimmen uns zu — die alleinige Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und damit die — ich drücke es so
aus — Herrschaft der Staatsanwaltschaft über die bei der Strafverfolgung gewonnenen und übermittelten Daten.

(Zuruf von der SPD: Das ist wichtig!)

Dazu besteht auch aller Grund; denn der bisher bekanntgewordene — ich gehe davon aus, es ist nur einer — Referentenentwurf des Bundesministers der Justiz, also der Referentenentwurf zur Regelung der durch das Volkszählungsgesetz aufgeworfenen Fragen, bringt Befürchtungen dergestalt, daß der Grundsatz, den ich soeben genannt hatte, umgestoßen werden könnte.
Der Deutsche Anwaltverein hat deswegen mit gutem Grund — das ist ein einmaliger Vorgang — zum 17. Januar 1990 in Bonn zu einem Forumsgespräch mit der Überschrift „Annexion des Strafverfahrens durch die Polizei" eingeladen. Denn die Strafverteidiger sind in höchstem Maße alarmiert und protestieren damit gegen — so heißt es dort — eine „Unterminierung der Staatsanwaltschaft in ihrer Rolle als allein zuständiger Strafverfolgungsbehörde".
Nun kann man vielleicht einwenden, das sei etwas zugespitzt. Aber Strafverteidiger im DAV müssen das tun; denn der Referentenentwurf ist in der Tat drauf und dran, das, was wir seit geraumer Zeit haben, zu verschieben, ja, fast umzustoßen. Dabei ist der Grundsatz der alleinigen Sachherrschaft — das sollte betont werden — der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eine Errungenschaft demokratischer Umwälzungen im letzten Jahrhundert, auf die wir nicht nur stolz sein, sondern die wir auch hüten sollten. Es war nämlich das berühmte Promemoria von Savigny und Uhden vom 23. März 1846, also der Zeit vor der Paulskirche, das den Staatsanwalt — ich zitiere — „als Wächter des Gesetzes" vorschlug, mit dem Ziel, daß dieser „nicht erst mit der Überweisung eines Angeklagten an die Gerichte, sondern schon bei den vorhergehenden Operationen der Polizeibehörden" zu wirken habe, nämlich „ebenso sehr zum Schutz des Angeklagten als zu einem Auftreten wider denselben".
Dieser Grundsatz ist über den reformierten Strafprozeß in unsere Strafprozeßordnung eingegangen und gilt mit gutem Grund bis heute. Wir sollten alles tun, daß auch nicht ein Deut daran jetzt geändert wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen der Protest der Anwälte, und deswegen mein Hinweis hier und jetzt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118522300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann, Herr Kollege?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1118522400
Gerne.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118522500
Herr Kollege de With, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch nach dem Entwurf allein die Staatsanwaltschaft darüber entscheidet, ob Anklage erhoben wird oder ein Verfahren eingestellt wird?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1118522600
Darüber kann es keinen Streit geben. Aber dort gibt es Eis, das so dünn ist, daß der
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14349
Dr. de With
Staatsanwalt einbrechen kann und die Gefahr besteht, daß sich die Polizei — ich will gar nichts gegen die Polizei sagen — einen Teil der Sachherrschaft nimmt, so daß der Sachwalter Staatsanwalt möglicherweise zum Teil keinen Einfluß auf bestimmte Ermittlungen mehr hat. Das allein ist der Punkt, der angegriffen wird. Der Punkt, den Sie hier aufzeigen, ist Gott sei Dank völlig unumstritten. Die Gefahr lauert woanders.

(Beifall bei der SPD)

Wir gehen davon aus, daß die erwähnten neuen Fahndungstechniken, die Rasterfahndung, die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung, der — auch das sage ich — genetische Fingerabdruck und die planmäßige Observation, nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch den Richter angeordnet werden dürfen und daß sie so auch wirksam zu begrenzen sind. Hier, meinen wir, besteht die Gefahr, daß ein Einbruch erfolgen könnte. Ich sage es noch einmal: nicht bei der Frage des Anklagemonopols; darüber hat bisher noch keiner gesprochen.

(Eylmann [CDU/CSU]: Nur, das war Ihr Zitat!)

Nur wenn wir in diesem Bereich aufpassen, können wir verhindern, daß sich Einbrüche — ich nenne das einmal so — in die staatsanwaltschaftliche und richterliche Kontrolle gewissermaßen einschleichen.
Eine, wie der Deutsche Anwaltverein meint, „Umwidmung" der Strafprozeßordnung auf diese Art ist unter allen Umständen zu verhindern, und ich hoffe, hier stimmen Sie uns zu.
Wenn der bekannte Strafrechtslehrer Roxin als Ziel des Strafprozesses „die Verurteilung des Schuldigen und den Schutz des Unschuldigen in einer aller Willkür entrückten Justizförmlichkeit des Verfahrens" fordert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der ist doch nicht bei uns, Herr Kollege!)

dann ist dies gleichzeitig eine vertrauensbildende Maßnahme nicht nur gegenüber dem Verdächtigen und dem Täter, sondern auch gegenüber der rechtstreuen Bevölkerung, auf die die Strafverfolgungsbehörden bei den Ermittlungen nun einmal angewiesen sind. Deswegen ist die alleinige Sachwalterschaft der Staatsanwaltschaft ebenfalls nötig. Es geht nämlich darum, das Vertrauen der Bevölkerung schlechthin wahren zu helfen.
Aber nicht nur bei dem Verhältnis Staatsanwalt/ Polizei ist in diesem Sinne dieser Forderung Sorgfalt, und zwar äußerste Sorgfalt, vonnöten. Die Zulässigkeit von neuen Fahndungstechniken ist an eigenständige, eng umgrenzte und enumerativ aufgeführte Straftaten zu knüpfen. Generalklauseln sollten tunlichst vermieden werden oder sind zumindest so einzuschränken, daß Unklarheiten überhaupt nicht erst aufkommen und vor allem ungewollte Ausweitungen ausbleiben.
Die Führung, die Zeit der Aufbewahrung und die Löschung bzw. Vernichtung der gewonnenen Daten ist detailliert zu regeln. Ebenso sorgfältiger Maßnahmen bedarf es bei der Akteneinsicht — das ist heute noch nicht angesprochen worden — und bei den Justizmitteilungen. Der Bürger — das gilt erst recht für Zeugen und Freigesprochene; das sage ich sehr betont — muß wissen, daß auch im Strafverfahren — ich sage es einmal so, Dossiers nie und nimmer existieren werden. — So kann es der Bürger verstehen, wenn wir nicht alle Sicherungen im Sinne dieses Volkszählungsurteils einbauen.
Das alles mag die Zahl der Paragraphen in der Strafprozeßordnung wieder einmal verlängern. Zur Sicherung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, in der Abwägung des Interesses der Allgemeinheit — hören Sie zu, Herr Eylmann — gegenüber der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege werden wir aber ohne Ausweitung der Strafprozeßordnung nicht auskommen können. Wenn das aber so ist, sollten wir darauf Bedacht nehmen, diese Bestimmungen in einer Sprache zu regeln, die unmißverständlich ist und die jeder versteht. Bei den bisherigen Regelungen zur Rasterfahndung habe ich Zweifel, ob das alles so gut formuliert war.
Herr Minister, die Bundesregierung hat sich schon zuviel Zeit genommen, und die Justizministerkonferenzen, wo der Bundesminister der Justiz nur einer der Minister ist, haben das auf ihre feine Art schon rügend gesagt. Es bestehen bereits jetzt Zweifel, ob das sicher nicht ganz einfache Gesetz, wird es im neuen Jahr alsbald vorgelegt — und wir rechnen damit —, noch in dieser Legislaturperiode wirklich gut durchberaten werden kann. Einfach wird das Gesetz nicht sein; da sind wir uns alle einig. Aber die Verantwortung für ein Aufschieben in die nächste Legislaturperiode trügen dann allein die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien.
Die Bundesregierung hat sich, wie ich meine, in einer nicht mehr zu verantwortenden Weise zuviel Zeit genommen. Wir haben nicht allein dieses Gesetz zu beraten: Denken Sie an das Betreuungsgesetz, denken Sie an das Jugendgerichtsgesetz, denken Sie an die Bestimmungen zur Regelung bestimmter Verfahren, um die Geldwäsche in den Griff zu bekommen. All das sind vordringliche und wichtige Bestimmungen. Wenn das aber so ist, sage ich, Herr Minister — um es platt auszudrücken — : Hier ist gebummelt worden.

(Marschewski [CDU/CSU]: Das wiederholen Sie ständig!)

Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Parlament zum Garanten des Datenschutzes eingesetzt. Das ist, wie wir gehört haben, fast genau sechs Jahre her; denn am 15. Dezember 1983 ist das Urteil gesprochen worden. Ein zu zögerliches Handeln und damit ein Unterlassen durch die Mehrheit bedeutete deshalb — um in dieser Ausdrucksweise zu bleiben — Schuld, von der uns dann niemand freisprechen kann. Deswegen noch einmal mein Hinweis: Hier ist wirklich Eile vonnöten. Wir üben keine floskelhafte Kritik; denn wir sind bereit — ich betone das —, mit Ihnen das Gesetz zügig zu verabschieden, allerdings in dem von uns geschilderten Sinn.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

14350 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118522700
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1118522800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Ronneburger [FDP]: Jetzt hält er uns auf!) — Ich halte Sie nicht auf, Herr Ronneburger.


(Ronneburger [FDP]: Sie waren die ganze Zeit nicht da!)

Ich habe den Eindruck, daß Sie die gestrige Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments nicht verfolgt oder nicht richtig zugehört haben; sonst könnten Sie einen solchen Zwischenruf nicht machen.

(Abg. Ronneburger [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118522900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1118523000
Selbstverständlich, wenn das nicht von der Zeit abgezogen wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118523100
Nein, das tue ich nicht.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118523200
Herr Kollege Wüppesahl, Sie haben anscheinend meinen Zwischenruf eben nicht verstanden. Deshalb frage ich Sie: Ist es nicht richtig, daß Sie bisher nicht da waren und jetzt in die Rednertribüne gehen, um tatsächlich aufzuhalten?

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1118523300
Herr Ronneburger, ich habe die gesamte Debatte bis auf fünf Minuten Fußweg von meinem Büro hierher am Hauskanal, der auch Ihnen zur Verfügung steht, verfolgt, weil ich durch andere Dinge im Büro gebunden war.
Aber zurück zu meinem Redebeitrag. Der Übergangsbonus, der mehrfach angesprochen wurde, ist nicht nur reichlich strapaziert worden — wie Herr Dr. de With formuliert hat — , sondern er ist selbst nach den Gutachten, die wir aus unserem eigenen Hause präsentiert bekommen haben, längst überschritten,

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

und das angesichts einer Verfassung im Bereich der Sicherheitsorgane, die dadurch gekennzeichnet ist, daß in ihren Reihen die technische Aufrüstung wirklich galoppierend vorangetrieben und auch die Anwendung, die Nutzung und Verarbeitung von Daten in einer Art und Weise betrieben wird, daß ein frühzeitigeres Handeln des Justizministeriums nicht nur angesagt, sondern dringend notwendig gewesen wäre.
Ich möchte aber noch einen zweiten Aspekt in die Debatte einführen, der bisher überhaupt nicht angesprochen wurde. Sie wissen, ich bin von Beruf Kriminalbeamter.

(V o r sitz : Vizepräsident Cronenberg)

Ich habe in Berichterstattergesprächen miterlebt, wie seitens des Vertreters des Bundeskriminalamts so getan wurde, als wenn die Beamten dem Datenschutz — wir bewegen uns ja im Bereich des Strafverfahrens — ohnehin ausreichend frönen würden. Es ist vielmehr so, daß bei der Polizei grundsätzlich überhaupt kein Interesse daran besteht, Datenschutz im
klassischen Sinne oder auch nur annähernd so zu praktizieren, wie es zur Zeit in den Gesetzen niedergelegt und in Verordnungen und Richtlinien weiter detailliert beschrieben worden ist, weil das zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet, weil das die eigentlichen Ermittlungstätigkeiten behindert.
Polizeibeamte haben in der Regel auch überhaupt keine Ausbildung in diesem Bereich.
Sie werden z. B. im Bundeskriminalamt im Rahmen von Ein- oder Zweitageskursen in Datenschutz sozusagen angelernt. In der Ausbildung, selbst für den gehobenen Dienst, ist das in der Regel nicht integriert. Selbst auf den Fachhochschulen der Landespolizeien, aber auch in Hiltrup, der Akademie für den höheren Dienst, wird so etwas nicht intensiv gelehrt. Es gibt dort keine Semester „Datenschutz" oder ähnliches, wie es das z. B. im Bereich der Kriminaltechnik gibt.
Wenn wir uns also im Zusammenhang mit dem Datenschutz nur über die normative Ebene unterhalten, im wesentlichen also darüber, wie die Gesetze abzufassen sind, so ist zu sagen, daß der Bereich der Umsetzung vollständig fehlt.
Das ist etwas, was Sie auch nicht nachholen können, selbst wenn Sie es im nächsten Jahr schaffen sollten, ein Gesetz in diesem Bereich zu verabschieden. Das bedarf vielmehr einer Zeitspanne von fünf bis zehn Jahren, so daß ich für mich bloß feststellen kann: Selbst wenn Sie nächstes Jahr die gesetzlichen Grundlagen schaffen sollten — die Sie nach dem Volkszählungsurteil schon längst hätten schaffen müssen —, werden weitere fünf bis zehn Jahre notwendig sein — wenn der politische Wille bei den Verantwortlichen vorhanden ist/wäre —, um im Bereich der Umsetzung bei den Sicherheitsorganen den Datenschutz auch tatsächlich greifen lassen zu können.
Ich kann Ihnen da Geschichten erzählen: mit eigenen Karteien in den Schubläden bei einzelnen Polizeibeamten — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118523400
Herr Abgeordneter, ehe Sie anfangen, Geschichten zu erzählen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1118523500
Danke schön, Herr Präsident.
Jetzt kommen wir vielleicht zu den spannendsten Kapiteln. Aber trotzdem hat der Kollege, der hinter mir sitzt, natürlich recht.
Ich schließe hiermit meinen Redebeitrag. Ich denke, daß ich die wesentlichen Gesichtspunkte der beiden Punkte, die ich vortragen wollte, genannt habe.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118523600
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118523700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon in der im Februar 1988 vorgelegten Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion hatte die Bundesregierung klargestellt, daß sie sich ihrer gesetzgeberischen Ver-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14351
Bundesminister Engelhard
antwortung, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt, bewußt ist und die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen unverzüglich eingeleitet hat.
Zunächst getrennt bearbeitete Projekte wurden in dem Referentenentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes im Jahre 1988 zusammengeführt. Es handelt sich dabei erstens um die Erarbeitung klarer gesetzlicher Grundlagen für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen, Fahndungsmaßnahmen und Hilfsmittel sowie für die Akteneinsicht; zweitens um die Erarbeitung gesetzlicher Grundlagen für den Einsatz verdeckter Ermittler; drittens um die Erarbeitung allgemeiner Bestimmungen über die Speicherung, Verwendung und Übermittlung personenbezogener Daten durch die Strafverfolgungsbehörden; sowie schließlich viertens um die Erarbeitung einer rechtlichen Regelung für ein länderübergreifendes staatsanwaltschaftliches Informationssystem.
Auf der Grundlage eines Referentenentwurfs, der zu ihm ergangenen Stellungnahmen und insbesondere der im April 1989 durchgeführten Beratungen mit den Landesjustizverwaltungen unter Einbeziehung der Innenseite sowie des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurde dann im Juni 1989 der Entwurf eines Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts erarbeitet. Dieser Entwurf wurde Anfang Juli 1989 den Ressorts zur Abstimmung zugeleitet.
Ich weiß, meine Damen und Herren, das ist die Beschreibung einer Technik und eines Verfahrensganges. Aber es war ja Gegenstand Ihrer Anfrage und der heutigen Bemühungen der Opposition, hier Näheres erfahren zu wollen, was ich hier zu schildern versuche.

(Wüppesahl [fraktionslos]: Das ist nun doch schon lange her!)

Wir haben in den Beratungen über den Entwurf im April 1989 neben den Landesjustizverwaltungen, wie ich bereits sagte, auch die Innenseite und auch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz beteiligt. Von Anfang an wurden ganz bewußt die Karten offen auf den Tisch gelegt, um mit den Verfahrensbeteiligten zum frühestmöglichen Zeitpunkt tragfähige Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Ressortabstimmung über den Regierungsentwurf konnte auf Fachebene zwischenzeitlich abgeschlossen werden. Ich bin davon überzeugt, daß noch bestehende Meinungsunterschiede alsbald ausgeräumt sein werden und in allernächster Zukunft der Regierungsentwurf vom Kabinett beschlossen werden kann.
Nur wer die außerordentliche Komplexität der zu regelnden Materie kennt und um die sehr unterschiedlichen Erwartungen weiß, die von allen Seiten aus den verschiedenen Richtungen an den Entwurf gerichtet werden, wird die Bundesregierung — so glaube ich sagen zu können — bei dem derzeitigen Stand des Gesetzgebungsvorhabens eher beglückwünschen als kritisieren können.
Hier wurde gesagt, dieser Entwurf sei bei öffentlichen Erörterungen auseinandergenommen und zerrissen worden, weil er unzureichend sei.

(Wüppesahl [fraktionslos]: Richtig!)

Darauf antworte ich, daß meist ein deutliches Zeichen richtigzuliegen darin liegt, wenn von verschiedenen Seiten, die Gegensätzliches von der Bundesregierung und von diesem Entwurf erwarten, Kritik geübt wird.

(Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Daß die Innenseite mit der Polizei etwas ganz anderes will als auf der anderen Seite etwa die Strafverteidiger, das liegt in der Natur der Sache. Man wird es nie der einen Seite völlig recht machen können, ohne natürlich die andere zutiefst und dann auch ungerechtfertigt zu verletzen und zu kurz kommen zu lassen. Hier geht es um ein ausgewogenes Konzept, das wir zu erreichen suchen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118523800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wüppesahl?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118523900
Ja, bitte, Herr Präsident.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118524000
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1118524100
Herr Bundesminister, meinen Sie nicht, daß Sie mit diesem etwas allgemeinen Bild und dem darin liegenden Vergleich die Problematik zu sehr vereinfachen? Wäre es Ihnen nicht möglich, auf die konkreten Kritiken, die Sie allgemein als Zerreißen des Regierungsentwurfs durch die unterschiedlichen Verbände dargestellt haben, einzugehen, also substantiell zu diesen Problempunkten Stellung zu nehmen?
Engelhard, Bundesminster der Justiz: Herr Wüppesahl, hier ist eine Kritik geübt worden, die darin eingemündet ist, daß dieser Entwurf auseinandergenommen worden sei, weil er unzureichend sei. Einer solchen Kritik mich entgegenstellend, ist es nicht meine Aufgabe, hier breit im einzelnen — in welchem Zeitraum eigentlich? — die verschiedenen Vorträge und das, was an uns herangetragen wurde, aufzulisten und den hier Versammelten zu unterbreiten. Dies kann nicht der Sinn sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schließlich, meine Damen und Herren, noch einige kurze Bemerkungen zum Justizmitteilungsgesetz. Auch hierzu hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion verdeutlicht, daß dieses Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich ist und die Bundesregierung die notwendigen Arbeiten aufgenommen hat. Es handelt sich auch hier um eine äußerst schwierige Materie. Denn das Justizmitteilungsgesetz berührt als ein „Querschnittsgesetz" zahlreiche komplizierte Einzelbereiche des materiellen Rechts, des Verfahrensrechts und auch Fragen des Verfassungsrechts.
14352 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminster Engelhard
Ein Diskussionsentwurf meines Ministeriums, der den Ressorts, den Landesjustizverwaltungen und anderen Stellen zugeleitet worden ist, ist bereits 1988 mit den Ländern erörtert worden. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Besprechungen wird derzeit ein Referentenentwurf gefertigt. Ich bin zuversichtlich, daß noch im Laufe des Jahres 1990 ein Regierungsentwurf vorgelegt werden wird.
Insgesamt ergibt sich aus dem Gesagten: Die Bundesregierung hat alles Erforderliche getan, um den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Sicherung des Datenschutzes im Strafverfahren zu erfüllen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Mit Sicherheit nicht!)

Sie ist darum bemüht, und sie ist überzeugt, die hierzu erforderlichen Regierungsentwürfe noch in dieser Legislaturperiode vorlegen zu können, wobei ich mich auf jenen von Ihnen genannten 31. Januar 1990 allerdings nicht einlassen werde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ich habe den auch gar nicht genannt!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118524200
Wir sind am Ende der Aussprache angelangt.
Wir können nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6031 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der GRÜNEN abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 137 zu Petitionen (AIDS-Bekämpfung)

— Drucksache 11/5474 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6086 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Peter (Kassel).

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118524300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Petenten dieser Petition geht es darum, gegen den bayerischen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von AIDS im Wege der Rechtsaufsicht vorzugehen. Die SPD beantragt „Erwägung" mit dem Ziel, die Bundesregierung solle nach Wegen suchen, den bayerischen Maßnahmenkatalog außer Kraft zu setzen. Wir haben mit Absicht „Erwägung" beantragt, weil wir meinen, es gebe für die Bundesregierung verschiedene Möglichkeiten, sich mit der Bayerischen Staatsregierung in dieser Frage auseinanderzusetzen, um ihre eigene Position durchzusetzen. Wir wollen da keinen festen Weg vorschreiben,
weil auch der Petent keinen festen Weg vorschreibt.
Wir meinen allerdings, daß die Auseinandersetzung mit dem bayerischen Maßnahmenkatalog mit dem Ziel, ihn außer Kraft zu setzen, notwendig ist, weil die Bundeseinheitlichkeit in der Frage der Auseinandersetzung mit der Krankheit AIDS durch das Verhalten des Freistaates Bayern verlassen worden ist. Eine solche Strategie ist auf jeden Fall kontraproduktiv.
Wir meinen, daß der bayerische Maßnahmenkatalog mit den vorgesehenen Zwangstests beim Eintritt in den öffentlichen Dienst, mit dem Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit für Ausländer — dabei gibt es Ausnahmen für den europäischen Bereich — , mit der Generalermächtigung, weitere Maßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz zu ergreifen — in dieser Generalermächtigung ist auf jedenfall vorgesehen, daß Prostituierte und Fixer zu den Risikopersonen gehören, bei denen solche Maßnahmen notwendig sind — , erstens rechtspolitisch bedenklich ist, zweitens gesundheitspolitisch verfehlt ist und drittens gesellschaftspolitisch schädlich ist, weil er Trends der Ausgrenzung von Gruppen in unserer Gesellschaft begünstigt, und das steht nach meiner Auffassung im Widerspruch zur Menschenwürde.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Gesundheitspolitisch steht der bayerische Ansatz in diametralem Gegensatz zu dem eigentlich weltweit akzeptierten Prinzip, dieser Krankheit durch Prävention, Aufklärung, Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe zu begegnen.

(Geis [CDU/CSU]: Sie haben ihn nicht gelesen!)

— Ich habe ihn sehr gründlich gelesen, und ich habe ihn sogar analysiert. Wenn ich richtig gelesen habe, hat sich auch die AIDS-Kommission des bayerischen Landtags mit einer Mehrheit von CSU-Abgeordneten sehr kritisch zu ihrem eigenen Katalog geäußert und deshalb auch den Zwangstest bei Beamten abgelehnt. Ich gebe den Vorwurf, etwas nicht gelesen zu haben, an den Zwischenrufer zurück.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Geis [CDU/CSU]: Sie haben es nicht gelesen! Ich bleibe dabei!)

Sozialdemokraten haben zum Zwecke des Kennenlernens der verschiedenen Möglichkeiten, wie man sich in den USA mit der Krankheit auseinandersetzt, deutlich gesehen, daß wohl allein die Form einer Aufklärungskampagne geeignet ist, die Eigenverantwortlichkeit von bedrohten und gefährdeten Personen so anzuregen, daß sie versuchen, durch eigenes Verhalten selbst etwas dagegen zu tun.
Wir haben aus den Stellungnahmen der Bundesregierung zu dieser Petition gelernt, daß die Bundesregierung unsere Vorbehalte gegen den bayerischen Katalog teilt und daß es ihr selbst sehr peinlich ist, daß das Ausschußbüro den sonstigen Gepflogenheiten, Stellungnahmen der Bundesregierung im wesentlichen auch zur Grundlage der eigenen Beurteilung im Petitionsausschuß zu machen, hier in diesem Fall nicht nachgekommen ist. Wir finden das sehr seltsam. Ich frage: Gibt es da bayerische Durchgriffe? So etwas
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14353
Peter (Kassel)

ähnliches haben wir bei anderen Petitionen — etwa zur A 94 — in den letzten Wochen ja auch erlebt.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Es ist immer noch nicht zu Ende!)

Wir finden es im höchsten Maße verwunderlich, daß die Mehrheitsfraktionen im Petitionsausschuß in diesem Falle der Meinung gewesen sind, der bayerische Maßnahmenkatalog müsse gestützt werden; denn das Votum ist letztlich, die Behandlung der Petition zu beenden, und zwar in einer Situation, in der wir der Auffassung sind, daß es gerade angesichts der abschließenden Beratungen der Enquete-Kommission AIDS des deutschen Bundestages sinnvoll und notwendig wäre, auch politisch das zu begleiten, was dort mit den Sachverständigen beraten wird und was eben genau auf Präventionsmaßnahmen hinausläuft.
In der Debtte wird sicherlich eingewandt werden, daß das neue Präparat AZT die Beurteilung des bayerischen Maßnahmenkatalogs in einem anderen Lichte erscheinen lasse. Wir sehen das nicht so. Die Vorstudie von Fauci sagt: Es gibt ein Medikament, das, schon in einem symptomfreien Stadium angewandt, zu medizinischen Wirkungen führt, wobei Unzulänglichkeiten in der Studie in bezug auf Nebenwirkungen, Resistenzen zugegeben werden. Das würde dazu führen, daß fast alle, die sich als gefährdet betrachten, zu Tests gehen würden. Das würde dann auch zu einer anderen Beurteilung des bayerischen Katalogs führen.
Ich glaube, genau das Gegenteil ist der Fall; denn in so einer Situation ist es notwendig, noch größeres Vertrauen in den Datenschutz — ich knüpfe da an die gerade erlebte Diskussion an —

(Zuruf von der CDU/CSU: Es geht kunterbunt durcheinander!)

beim Umgang mit diesen Daten durch die Gesundheitsbehörden zu setzen, weil das die Voraussetzung dafür ist, damit eigenverantwortlich alles getan wird, selbst festzustellen, ob man von der Krankheit infiziert ist. Das ist also kein Grund, den bayerischen Maßnahmenkatalog positiver zu beurteilen.
Ich glaube, diese Petition, die hier heute zur Beurteilung vorliegt, ergänzt ziemlich gut, was ich gestern im Rahmen der Diskussion um die Parlamentsreform gesagt habe. Das ist ein typischer Fall, wo ich glaube, daß eine parteienbezogene Auseinandersetzung mit dem Problem aufgegeben werden könnte,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ja!)

daß es möglich wäre, sich des Anliegens des Petenten auf Grund der eigenen Einschätzung der Problemlage anzunehmen.
Ich gebe von daher die Hoffnung nicht auf, daß wir bei der Abstimmung über unseren Antrag hier im Hause auch zu einer Mehrheit kommen, daß all die Kolleginnen und Kollegen, die gestern gesagt haben: Wir müssen versuchen, bei Themen, wo es sinnvoll und notwendig ist, eine eigene Qualität unseres Verhaltens zu gewinnen, das auch einmal machen. So ein Beispiel wie das hier vorliegende wäre meines Erachtens dazu ganz gut geeignet. Meine Damen und Herren, die Sie den Regierungsparteien angehören: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unserem Antrag
zu! Ich glaube, das wäre für die Beurteilung der Qualität der Diskussion um Petitionen in diesem Hause ein gutes Beispiel, das dann vielleicht auch Schule machen könnte.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118524400
Das Wort hat der Abgeordnete Geis.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Oh, der Herr Geis, der die Sachen alle nicht gelesen hat, der redet jetzt auch noch!)


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1118524500
Frau Nickels, ich habe sie sehr wohl gelesen. Aber ich muß den Vorwurf an den Kollegen Peter zurückgeben. Entweder Sie haben den Katalog nicht gelesen, oder Sie haben ihn nicht verstanden.
Im übrigen ist es mir völlig unerklärlich, wie die SPD fast drei Jahre, nachdem dieser Katalog erlassen worden ist, plötzlich auf den Gedanken kommen konnte, die Bundesregierung zu bitten, dafür Sorge zu tragen, daß dieser Katalog in Bayern aufgehoben wird.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Da gab es schon viele Debatten, Riesendebatten!)

Warum ist man damit eigentlich nicht schon früher gekommen? Warum hat man nicht schon früher eine Debatte hier im Bundestag angestrengt?

(Peter [Kassel] [SPD]: Das ist eine Petition!)

— Gut, Sie haben die Petition zum Anlaß genommen.

(Dr. Soell [SPD]: Das ist das Wichtige an Petitionen!)

Aber lassen Sie sich doch einmal sagen, was überhaupt in diesem Katalog steht.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das wissen wir doch!)

— Nein, Sie wissen es eben nicht, Frau Nickels.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Geis, seien Sie doch nicht so eingebildet!)

In dem Katalog steht erstens, daß natürlich die Primärprävention beim Kampf gegen AIDS eine entscheidende Rolle spielen muß.

(Dr. Soell [SPD]: Was heißt das: ,,Primärprävention"?)

Zm zweiten steht aber auch drin, daß nach dem Katalog alle Maßnahmen getroffen werden müssen, um die HIV-Infizierten und die AIDS-Kranken zu versorgen.
Der dritte Eckpfeiler dieses Katalogs, den Sie aufheben wollen, betrifft die Frage der Forschung und verlangt, daß alles unternommen werden muß, damit die Herkunft, die Ursache dieser Krankheit und die bestmögliche medizinische Bekämpfung erforscht werden. Sie können doch nicht im Ernst gegen eine solche Maßnahme sein. Überlegen Sie sich einmal, was Sie gefordert haben. Sie stellen sich hierher, verlangen die Aufhebung des bayerischen Maßnahmenkataloges, verlangen das so pauschal, wie Sie es hier vorge-
14354 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Geis
tragen haben, verlangen damit völlig blindlings, daß wir aufhören zu forschen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Geis, nehmen Sie mal Nachhilfeunterricht!)

Sie verlangen damit, daß wir aufhören, die HIV-Infizierten und die AIDS-Kranken zu versorgen. Das wollen Sie. Überlegen Sie sich nicht, was Sie vortragen? Sie erklären hier einfach pauschal: Heben Sie bitte den Maßnahmenkatalog auf! und wissen gar nicht, was Sie damit sagen. Das wollte ich Ihnen zunächst einmal gesagt haben.

(Abg. Peter [Kassel] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118524600
Herr Abgeordneter Geis, sind Sie bereit — — Bitte schön, Herr Abgeordneter Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1118524700
Herr Kollege, gehe ich recht in der Annahme, daß Sie, wenn Sie von „sie" sprechen, das klein schreiben und auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme in dem sehr umfangreichen Aktenmaterial zu dieser Petition mit meinen?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1118524800
Sie werden nachher die Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Munde der Frau Ministerin selbst hören. Dann werden Sie erkennen, daß Ihre Sicht, wie Sie sie darstellen — wenn ich richtig informiert bin — , so nicht zutrifft.

(Dr. Soell [SPD]: Aber Sie wissen es nicht genau!)

— Warten wir erst einmal ab. Wir haben die Möglichkeit, hier heute die Frau Ministerin zu hören. Sie wird ihre Stellungnahme abgeben. Dann wollen wir darüber rechten, ob es so ist, wie Sie meinen, oder ob es eher dahin geht, daß man sagt: Den Maßnahmenkatalog kann man so lassen, wie er ist.
Wenn man nun unterstellt, daß Sie sich nicht gegen den gesamten Maßnahmenkatalog wenden, so wie Sie das gesagt haben, also nicht gegen Forschung, nicht gegen Betreuung, sondern daß Sie sich nur gegen den ersten Punkt dieses Katalogs wenden, nämlich gegen die Prävention, geht Ihr Antrag ebenfalls ins Leere. Er geht deshalb ins Leere, weil die Prävention nach dem bayerischen Konzept — das ist hier vor zwei Jahren schon einmal gesagt worden — die Aufklärung selbstverständlich umfaßt. Natürlich ist es erstes Ziel des bayerischen Maßnahmenkatalogs, alles zu tun, damit die Bevölkerung über die Infektionswege aufgeklärt wird, darüber aufgeklärt wird, wie man sich dagegen schützen kann, darüber aufgeklärt wird, wie furchtbar diese Krankheit ist, und darüber, daß diese Infektion eine tödliche Infektion ist. Die Bayerische Staatsregierung hat ein ganz intensives Netz und eine dichte Folge von Aufklärungskampagnen in der Öffentlichkeit gestartet: in den Behörden, in den Schulen, in den Justizvollzugsanstalten. Man kann doch nicht ernsthaft sagen, daß der Maßnahmenkatalog so pauschal, wie Sie das hier verkünden, falsch sei. Das darf man so nicht stehen lassen. Das müssen Sie zurücknehmen. Insoweit jedenfalls haben Sie den Maßnahmenkatalog nicht gelesen. Wenn Sie ihn gelesen haben, haben Sie ihn nicht verstanden.
Auch wenn man Ihren Angriff nur darauf beziehen würde, daß nach dem bayerischen Maßnahmenkatalog neben der Aufklärung im Einzelfall Eingriffsmaßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz vorzusehen sind, geht er ins Leere. In der Zwischenzeit ist völlig unbestritten, daß im Einzelfall Eingriffsmaßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz möglich sein müssen. Es muß möglich sein, einen Desperado durch Absonderung daran zu hindern, die Infektion weiterzugeben. So etwas sieht das Bundesseuchengesetz vor. Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, daß Sie dagegen sind. Fragen Sie einmal Ihren Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales aus Nordrhein-Westfalen! Dieser Minister von Nordrhein-Westfalen hat sich ein Gutachten über das Problem „AIDS und Recht" erstellen und insbesondere diese Frage erörtern lassen. Dieses Gutachten kommt in der Frage, ob Eingriffsmaßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz, wie es der bayerische Maßnahmenkatalog vorsieht, im Einzelfall erlaubt sein müssen, zu dem Ergebnis: Jawohl, das ist richtig. Sie stellen sich hin und sagen: Was der da oben in Nordrhein-Westfalen macht, geht mich nichts an.
Sie gehen noch weiter. Sie sind völlig uninformiert darüber, Herr Kollege, daß sich auch die Gesundheitsministerkonferenz diesem Gutachten, das der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NordrheinWestfalen, der Ihrer Partei angehört, eingeholt hat, anschließt und erklärt: Jawohl, im Einzelfall müssen Maßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz möglich sein.
Ich kann es ja nicht von den Petenten verlangen, ich kann es nicht von jedem Staatsbürger verlangen, aber ich kann von einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der in einer solch massiven polemischen Weise den Maßnahmenkatalog von Bayern angreift, verlangen, daß er ihn durchliest. Von dem kann ich verlangen, daß er sich für den Kontext interessiert. Von dem kann ich verlangen, daß er sich darüber in Kenntnis setzt, wie sich die anderen Bundesländer, auch die A-Länder, also die SPD-regierten Länder, in dieser Frage verhalten. Sie verhalten sich inzwischen alle so wie Bayern. Es ist überhaupt kein Unterschied mehr. — Sagen Sie mir ein Land, in dem ein Unterschied gemacht wird! Es ist richtig, Herr Kollege, daß Bayern in der Bundesrepublik Deutschland am Anfang allein stand und daß Bayern harten Angriffen ausgesetzt war, daß gegen Bayern hämische Polemik ausgespuckt wurde. Das ist richtig. Aber Bayern stand am Anfang nur in der Bundesrepublik Deutschland allein, nicht im Ausland. Italien, Schweden, Osterreich hatten genau dieselben Maßnahmen vorgesehen, die wir schon eh vorgesehen haben. Inzwischen haben sich die anderen Bundesländer angeschlossen. Ich bitte Sie doch wirklich, das jetzt einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Natürlich — ich wiederhole es noch einmal — : Es geht uns in erster Linie um Aufklärung. Wir müssen die Bevölkerung darüber aufklären, wie gefährlich die Krankheit ist. Wir müssen alle Möglichkeiten suchen, an den Bürger, an den einzelnen heranzukommen und ihn über die Furchtbarkeit der Krankheit aufzuklären. Aber Sie müssen doch gestatten, daß im Einzelfall auch Eingriffsmaßnahmen möglich sein
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14355
Geis
müssen. Das sehen inzwischen alle Bundesländer vor. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Ich gebe Ihnen den Rat: Nehmen Sie den Antrag zurück! Dann tun Sie sich selbst und — vor allen Dingen — der Sache einen guten Dienst.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118524900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118525000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ganz wenig Redezeit, wie kleine Fraktionen das immer haben.

(Kraus [CDU/CSU]: Langsam!)

— Ich werde jetzt schnell reden, denn ich möchte versuchen, das was Herr Geis eben gesagt hat, wenigstens ein Stück weit klarzustellen. Herr Geis, der Maßnahmenkatalog — ich will nur einige Punkte herausgreifen — ist ja umfangreich. Aber eindeutig ist eine Priorität von Zwangsmaßnahmen darin. Ich will nur ganz wenige Beispiele nennen. Wir haben im Parlament lang und breit darüber diskutiert, u. a. letztes Jahr im April in einer riesengroßen Debatte, in der es auch einen Antrag meiner Fraktion gab, in diesen Bereichen bundeseinheitliche Politik durchgreifen zu lassen.
Zum einen gehört zu diesen Zwangsmaßnahmen, daß Prostituierte und intravenös Drogenabhängige generell und ohne Widerlegungsmöglichkeit unter einen seuchenrechtlichen Ansteckungsverdacht gestellt werden. Zum anderen ist es so, daß sich Ausländer aus dem außereuropäischen Ausland und der Türkei zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis nach diesen Richtlinien einem HIV-Antikörpertest unterziehen müssen. Gegen ansteckungsverdächtige Personen können seuchenrechtliche Zwangsmaßnahmen wie Vorladung, Blutentnahme für HIV-Antikörpertests usw. verhängt werden. HIV-infizierte Personen sind auch zur Offenbarung ihres Krankheitszustandes gegenüber Intimpartnern und Angehörigen des Gesundheits- und Rettungsdienstes verpflichtet.
Darüber, daß AIDS unzweifelhaft eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 1 des Bundesseuchengesetzes ist, hat es in den ganzen Debatten, die wir hier in den letzten zwei Jahren hitzig geführt haben, keinen Streit gegeben. AIDS ist aber nicht meldepflichtig im Sinne des § 2 des Bundesseuchengesetzes. Eine Anwendung der im Bundesseuchengesetz vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gegenüber tatsächlich oder vermeintlich Infizierten ist im präventiven Sinne — und darüber waren sich die Mehrheiten in den Parlamenten einig, daß hier nur die Prävention und alle die Anstrengungen, die in diesem Bereich wirklich Aussicht auf grundlegenden Erfolg haben, gefördert werden sollen — völlig nutzlos und daher unverhältnismäßig. Es geht also auch um die Verhältnismäßigkeit.
In der Stellungnahme zu der Petition hat das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit richtig festgestellt, daß der bayerische Maßnahmenkatalog keine unmittelbaren Auswirkungen entfaltet. Daher ist er auch einer direkten Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen.
Das ist auch sehr weitgehend eine rechtliche Problematik.
Nur gegen einzelne auf dem Maßnahmenkatalog beruhende Maßnahmen steht der Klageweg offen. Das hat aber dann für die HIV-Infizierten und AIDS-Kranken unter Umständen einen ganz langen Klageweg durch mehrere Instanzen zur Folge. Der wird ihnen zugemutet, obwohl sie oft das Ende von diesem langen Instanzenweg gar nicht mehr erleben. Ich frage mich, ob man das diesen Menschen wirklich zumuten kann, wenn man weiß, daß diese nervlichen Belastungen auch den Gesundheitszustand verschlimmern. Daher ist eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Nichtanwendung der Zwangsmaßnahmen des Bundesseuchengesetzes bei AIDS eine Möglichkeit, um Rechtseinheitlichkeit wiederherzustellen. Das ist auch schon öfters diskutiert worden. Ich glaube, es ist auch unbestritten, Frau Ministerin, daß das eine Möglichkeit wäre. Es ist bisher nur noch nicht gemacht worden.
Juristisch lassen sich viele Argumente gegen den Maßnahmenkatalog vortragen. Ich will nur einige herausnehmen.
Der Maßnahmenkatalog sieht die Weitergabe personenbezogener Daten vor. Eine rechtliche Grundlage könnte aber nur durch Anordnung der Meldepflicht geschaffen werden. AIDS ist aber bisher nicht meldepflichtig. Das heißt, hier wird regelmäßig gegen die datenschutzrechtlichen Grundsätze des Volkszählungsurteils verstoßen.
Zweitens. Die Maßnahmen des Maßnahmenkataloges sind nicht verhältnismäßig — auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist immer wichtig — , weil sie allesamt im Sinne einer effektiven AIDS-Prävention nicht erforderlich sind.
Drittens. Die Rechtsprechung ist auch der Ansicht, daß es unzulässig ist, durch Richtlinien alle Behörden in Bayern zu einer Untersuchung ihrer Bewerber zu verpflichten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118525100
Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118525200
Ja. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1118525300
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß beim bayerischen Maßnahmenkatalog, soweit es um die Prävention geht, lediglich in Einzelfällen, d. h. dann, wenn der Fall eines Desperados vorliegt — also eines Menschen, der nun wirklich uneinsichtig und einfach nicht bereit ist, sich behördlichen Anweisungen zu fügen, damit die Infektion, die möglicherweise von ihm ausgeht, nicht weitergegeben werden kann —, beispielsweise an das schwerste Mittel, das das Bundesseuchengesetz in § 37 vorsieht, nämlich das Mittel der Absonderung, gedacht ist?

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118525400
Also, Herr Geis, Ihnen ist wahrscheinlich entgangen, was ich gerade vorgetragen habe. Ich habe ausdrücklich vier Punkte aus dem großen Maßnahmenkatalog herausgegriffen. Das Argument, das Sie jetzt nennen, habe ich soeben nicht genannt. Das ist ein weiterer Bestandteil. Auch dazu
14356 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Nickels
kann man viel sagen. Dazu habe ich jetzt keine Zeit. Das können wir gern gleich nachher machen. Ich hoffe, daß wir sowieso hier noch mal eine AIDS-politische Debatte bekommen, was dringend notwendig wäre. Ich habe gerade aber vier andere Punkte vorgetragen, denen Sie hier nicht widersprochen haben. Das sind die Hauptargumente, die wir hier angreifen wollen und gegen die ich rede.
Das vierte rechtspolitische Argument gegen den Maßnahmenkatalog, das ich noch vortragen will, ist, daß die bayerische Staatsregierung bisher keinen Beweis hat erbringen können, daß ihr Maßnahmenkatalog AIDS effektiver bekämpfen kann als die Politik der übrigen Bundesländer oder die Politik der Bundesregierung. Das aber wäre die notwendige Voraussetzung, um die erheblichen Grundrechtseinschränkungen, die der Maßnahmenkatalog in weiten Bereichen vorsieht, zu rechtfertigen.
Ich denke, wir sollten diese Petition zum Anlaß nehmen, diese hier im Plenum auch im vorigen Jahr in einem breiten Konsens vorgetragenen Bedenken noch mal zur Kenntnis zu nehmen.
Wir schließen uns dem Antrag der SPD an, zur Erwägung zu überweisen, nicht, um der Regierung vorzugeben mit welchen Mitteln sie diesen Bedenken Rechnung tragen will, sondern damit — was ich mir wünsche — endlich das auf geeignetem Weg passiert, was dringend notwendig ist.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118525500
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118525600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Geis, Sie wissen, daß ich Sie außergewöhnlich schätze.

(Peter [Kassel] [SPD]: Ich auch!)

Auch die Zusammenarbeit mit Ihnen im Rechtsausschuß macht immer sehr viel Freude. Leider sind Sie viel zu selten im Petitionsausschuß, obwohl Sie dort stellvertretendes Mitglied sind. Es wäre auch gut gewesen, wenn Sie bei dieser Beratung des Petitionsausschusses dabeigewesen wären und Ihr Sachwissen dort eingebracht hätten.
Allerdings, Ihre Formulierungen von „Desperados" und davon, daß die abgesondert werden müßten, gefällt mir überhaupt nicht

(Geis [CDU/CSU]: Steht doch im Gesetz!)

und entspricht auch nur wenig den liberalen Grundsätzen, mit denen wir hier vorzugehen haben.

(Geis [CDU/CSU]: Das ist doch die Formulierung des Gesetzes!)

Herr Kollege Peter, Sie wissen, daß wir Liberalen im Petitionsausschuß uns an Bindungen und irgendwelche Koalitionsabreden überhaupt nicht halten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wir auch nicht!)

Deswegen kann ich den Vorwurf, wir sollten das hier nicht parteibezogen betreiben, wenigstens nicht gegen meine Fraktion gelten lassen.

(Peter [Kassel] [SPD]: Richtig!)

Ich glaube auch, wir sollten dieser Petition nicht mit Aufgeregtheiten begegnen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Aber wenn solch eine Rede kommt!)

— Da werde auch ich aufgeregt, Frau Nickels; und das ist bei mir relativ selten, wie Sie wissen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD — Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Aber ein bißchen Aufgeregtheit ist ganz gut!)

Aber ich glaube, daß auch durch Zeitablauf manche Aufgeregtheiten sich von selbst erledigt haben. Ich will damit nicht sagen, daß der AIDS-Bekämpfung nicht eine hohe Priorität eingeräumt werden muß.
Die Bundesregierung hat zu Recht immer den Standpunkt eingenommen, daß eine pauschale Anordnung von Zwangsmaßnahmen unsinnig sei.
Die Bundesregierung hat stets — und das ist richtig — den Schwerpunkt der AIDS-Bekämpfung auf Aufklärung und Betreuung, also auf präventive Maßnahmen, gesetzt.
Die Bundesländer — das ist der Kern dieser Petition — werden auf Grund des Art. 83 in der Weise tätig, daß sie das Bundesseuchengesetz als eigene Angelegenheit ausführen. In diesem Rahmen haben die Länder Verwaltungsvorschriften zur Bekämpfung von AIDS erlassen, nicht nur Bayern. Dies hat das Land Bayern mit der angegriffenen Verwaltungsvorschrift getan. Im Zuge der Ermittlungen sollen die Personen, die der Prostitution nachgehen oder drogensüchtig sind, vom Gesundheitsamt vorgeladen und notfalls zwangsweise vorgeführt werden. Bei Erhärtung des Verdachts auf AIDS und eines Anstekkungsverdachts soll auch die Blutabnahme angeordnet werden können und für sofort vollziehbar erklärt werden.
Nach Art. 83 Abs. 3 des Grundgesetzes unterliegen diese Vorschriften der Aufsicht der Bundesregierung. Dabei erstreckt sich die Aufsicht nur auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsmaßnahmen, nicht auf deren Zweckmäßigkeit. Da es sich bei dieser Frage um eine Frage der Ausführung und um eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht um eine Frage der Rechtmäßigkeit handelt, war und ist dieses Verhalten des Landes Bayern von der rechtlichen Seite her nicht zu beanstanden, da diese Maßnahmen nicht offensichtlich rechtswidrig sind.

(Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie stehen sicher nicht im Gegensatz zum Bundesseuchengesetz.

(Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Deswegen war das Einschreiten der Bundesregierung nicht möglich. Ob diese Anordnung der Bayerischen Staatsregierung zweckmäßig ist, daran habe ich allerdings großen Zweifel.

(Geis [CDU/CSU]: Alle Bundesländer haben so etwas!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14357
Funke
Es hat sich aber gezeigt, daß die Grundsätze, die von der Bundesregierung für die AIDS-Bekämpfung gemeinsam mit den Ministern und Senatoren der Länder in Berlin beschlossen worden sind, sich insgesamt bewährt haben. Die Unruhe, die durch das bayerische Vorgehen im Jahr 1988 entstanden ist, hat sich auf Grund der eigenen Praxis in Bayern von selbst gelegt. Auch die Bayerische Staatsregierung ist jetzt weitestgehend den Maßnahmen der Bundesregierung zur Seuchenbekämpfung gefolgt. Vielleicht hat sie auch die bessere Einsicht geleitet.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118525700
Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Dr. Lehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1118525800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Petition sind Fragen der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit von Maßnahmen der AIDS-Bekämpfung angesprochen, speziell des sogenannten bayerischen Maßnahmenkatalogs.
Der Wortlaut der beiden Stellungnahmen des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit liegt Ihnen vor. Ich will nur die wesentlichen Punkte hier hervorheben.
Erstens. AIDS ist eine übertragbare Krankheit im Sinn von § 1 des Bundesseuchengesetzes. Dieser Grundsatz ist heute allgemein anerkannt.
Zweitens. Damit sind alle Maßnahmen nach dem Bundesseuchengesetz zulässig, sofern die Voraussetzungen der einzelnen Vorschriften erfüllt sind.
Drittens. Bei der Durchführung sind die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zweckmäßigkeit und damit des Übermaßverbots zu beachten.
Der bayerische Maßnahmenkatalog ist eine interne Anweisung an Behörden zur Auslegung des Bundesseuchengesetzes und zielt auf die möglichst einheitliche Handhabung in der Praxis ab. Weder die Gerichte noch die Bürger sind unmittelbar daran gebunden. Wirksam gegenüber dem rechtsunterworfenen Bürger sind erst Anordnungen von zuständigen Behörden im Einzelfall, die auf der Grundlage des Katalogs im Freistaat Bayern einheitlich erlassen werden.
Für den Bund stellt sich die Frage, ob die in dem bayerischen Katalog vorgesehenen Maßnahmen einerseits rechtmäßig, andererseits zweckmäßig sind. Ein Einschreiben nach Art. 84 Abs. 3 des Grundgesetzes, das der Petent verlangt, ist nur dann möglich, wenn der Freistaat Bayern ein Bundesgesetz nicht dem geltenden Recht gemäß ausführt. Nach eingehender Prüfung läßt sich das hinsichtlich der von Bayern vorgesehenen Maßnahmen nicht feststellen, wobei die rechtliche Beurteilung in der juristischen Literatur kontrovers ist.
Sämtliche Maßnahmen können auf der Grundlage des Bundesseuchengesetzes angeordnet werden. Ob im Einzelfall alle Voraussetzungen gegeben sind, ist zunächst von der zuständigen Behörde unter Heranziehung der Auslegungsgrundsätze des bayerischen Maßnahmenkatalogs zu prüfen und kann von unabhängigen Gerichten überprüft werden. Daß dabei das Gericht die Anwendung des Bundesseuchengesetzes auf den Einzelfall zu beurteilen hat und nicht verwaltungsinterne Auslegungsregeln, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluß vom 15. Mai 1988 ausdrücklich klargestellt.
Ein Wort zur Zweckmäßigkeit dieses Maßnahmenkatalogs: Bayern weicht bei der Strategie der AIDS-Bekämpfung und auch in der Anwendung der Vorschriften des Bundesseuchengesetzes in Einzelheit von der Praxis in den zehn anderen Bundesländern ab. Dies hält sich aber im Rahmen von zulässigen Zweckmäßigkeitserwägungen.
Nach allem gibt es keine Grundlage für ein Einschreiten des Bundes nach Art. 84 Abs. 3 Grundgesetz. Allgemeine Verwaltungsvorschriften könnte der Bund mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Vom Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wird der Erlaß einer solchen allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach wie vor nicht für zweckmäßig gehalten wie es auch keinen entsprechenden Vorschlag der Gesundheitsministerkonferenz gibt.
Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, entsprechend der Beschlußempfehlung dem Anliegen der Petition nicht zu entsprechen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118525900
Meine Damen und Herren, nun kommen wir zur Abstimmung; zunächst einmal über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/6086.
Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5474 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe nun den Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 141 zu Petitionen (Kernkraftwerk Neckar-Westheim II) — Drucksache 11/5695 —
Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6072 vor. Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann können wir mit der Debatte beginnen.
14358 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Vizepräsident Cronenberg
Zunächst einmal hat das Wort die Abgeordnete Frau Teubner. — Frau Abgeordnete, ich hatte Sie gebeten, das Wort zu ergreifen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das sind wir nicht gewöhnt, Herr Präsident!)

— Aber wenn es sich doch schon um Ihren Antrag handelt, Frau Abgeordnete Nickels, so sind es die Usancen dieses Hauses, daß Sie zuerst das Wort bekommen. Das ist auch heute der Fall.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118526000
Gut, meine Rede ist auch fertig.
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Kollege Funke, Sie werden nachher sagen: Es handle sich hier um ein Mißverständnis, um einen Fehlgebrauch des Petitionsausschusses, er sei nicht zuständig für alle möglichen Sorgen, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes plagen. Oder Sie sagen dann weiter — vielleicht aber auch nicht, ich habe es aber vorweg gelesen —, es sei auch nicht Sache des Petitionsausschusses, hier eine Neubewertung der Gefahrenlage dieses Atomkraftwerks vorzunehmen. Sie wissen genau, Herr Funke, daß es darum auch nicht geht. Es geht nicht um irgendwelche Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um ein Atomkraftwerk, und es geht nicht darum, daß der Petitionsausschuß jetzt neue Begutachtungen vornimmt, sondern es geht darum, daß verschiedene Gutachter verschiedene wissenschaftlich begründete Meinungen zur Standortsicherheit haben. Das Anliegen des Petenten ist es gewesen, daß, wenn es diese verschiedenen wissenschaftlichen Meinungen gibt, man die erneut überprüfen muß. Sonst kann man so ein Kraftwerk nicht genehmigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zur Sache: Am 29. Dezember 1988 hat das Atomkraftwerk Neckar-Westheim II seinen Betrieb aufgenommen. Am 6. Dezember 1988 hatte der Bundesumweltminister den Genehmigungsbehörden des Landes Baden-Württemberg mitgeteilt, daß er der Inbetriebnahme zustimmt. Herr Töpfer hat diese Zustimmung erteilt, eine Woche, bevor der Wirtschaftsausschuß des Stuttgarter Landtags eine Expertenanhörung zur Eignung des Standorts für dieses Atomkraftwerk durchführte.

(Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Es bestehen nämlich — und darauf fußt diese vorliegende Petition — erhebliche Zweifel, daß dieses Kraftwerk auf sicherem Boden errichtet wurde. Diese Bedenken sind nicht neu. Sie wurden bereits in einem ersten Standortgutachten vor zwölf Jahren geäußert. Das paßte damals schon dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister nicht. Das Gutachten wünschte er nachgebessert zu haben. Doch die Sachverständigen blieben bei ihrer Aussage, der Standort sei denkbar ungünstig, woraufhin, man höre und staune, der Druck des Textes gestoppt wurde und die wenigen bereits fertigen Exemplare im Giftschrank eingeschlossen wurden. Schließlich behauptete der dortige Ministerpräsident, es gebe dieses Gutachten gar nicht.
Was ist so brisant daran? Südwürttemberg ist anfällig für Erdbeben. Das letzte schwerere Beben war
1978. Es ließ noch im weit entfernten Rheingraben Bilder von den Wänden fallen und Schränke wackeln. Der Schaden im Zentrum des Bebens: 60 Gebäude abbruchreif, 100 Millionen DM Gesamtschaden. Diese Erdbewegungen verlagern sich allmählich nach Norden Richtung Neckar und Neckar-Westheim. Das Maschinenhaus des Atomkraftwerks mit dem Notstromaggregat und die Hilfs- und Schaltanlagen stehen direkt auf Erdplatten, von denen die Gutachter sagen, man könne nicht wissen, ob sie nicht irgendwann einmal wieder in Bewegung geraten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Der Minister liest lieber Kaffeesatz als Gutachten!)

Der Sachverständige, der sich mit diesen Zweifeln an die Öffentlichkeit wagte, bekam dafür die Quittung, indem sein vorgesetzter Minister ihm zunächst die Teilnahme an der Anhörung zu dem Atomkraftwerk verbot. Das sind die Methoden unserer Restrisikopolitiker.
Und die Erdbebengefahr ist noch nicht einmal das einzige Untergrundrisiko dieser Anlage. Wir haben in der Begründung zu unserem Änderungsantrag auf weitere Gefahren hingewiesen, Gefahren, die unter Wissenschaftlern — darum geht es in dieser Petition — nicht restlos abgeklärt sind. Dennoch wurde die Betriebsgenehmigung vom Bundesminister für Umwelt und Reaktorunsicherheit erteilt, wie gesagt, noch bevor der zuständige Landtagsausschuß eine Sachverständigenanhörung zu dieser Problematik durchgeführt hat. Das ist keine Energiepolitik, die sich mindestens am Stand wissenschaftlicher Erkenntnis orientiert. Das ist Atompolitik mit der Brechstange.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kein Auto, bei dem der TÜV Sicherheitsbedenken äußert, wird in den Verkehr entlassen. Aber ein Atomkraftwerk in einem Ballungsraum von 2 Millionen bis 3 Millionen Menschen geht ans Netz, obwohl Wissenschaftler die Sicherheit des Standorts bezweifeln. Die Petition des BUND — von ihm wurde sie eingereicht — ist deshalb mehr als berechtigt. Sie darf nicht als erledigt betrachtet werden. Es muß ein unabhängiges Gutachten internationaler Sachverständiger eingeholt werden. Bevor das nicht geschehen ist, darf der Betrieb in Neckar-Westheim nicht weiterlaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118526100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1118526200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Petition um Fragen der Standortsicherheit eines Kernkraftwerks. Ich möchte zunächst einmal sagen, daß ich die aus eigener Erkenntnis und eigenem Sachverstand nicht beurteilen kann, und behaupte, nachdem ich die vorhandenen Gutachten gelesen haben, daß keiner aus diesem Bundestag das aus eigener Sachkenntnis beurteilen kann.

(Zuruf von der SPD: Sonst wären wir keine Abgeordneten, sondern Gutachter!)

Also bleibt es uns nur, hier Sachverständigengutachten von Experten, von Wissenschaftlern heranzuholen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14359
Dr. Göhner
Nun sind die Probleme der Tektonik, der Anhydritquellung, der Hohlraumbildung bei diesem Kernkraftwerksstandort seit längerem bekannt. Es hat zahlreiche Begutachtungen, Anhörungen, Gegengutachten, Obergutachten gegeben, die Reaktor-Sicherheitskommission hat mehrfach darüber beraten. Nun ist man zu dem Ergebnis gekommen, daß der Tatbestand beispielsweise über Tektonik, über die Quellungsmöglichkeiten, über die Hohlraumbildung unter den Wissenschaftlern unstreitig ist. Was differiert, sind die Einschätzungen eines Wissenschaftlers, der meint, daß die Senkung unter dem Maschinenhaus nicht lediglich ein paar Zentimeter ausmachen könnte, sondern möglicherweise einige Dezimeter.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Schon ein paar Zentimeter sind zuviel!)

Dann hat, nachdem das von Anfang an in diesem Verfahren eine große Rolle gespielt hat, noch einmal die Reaktor-Sicherheitskommission darüber beraten und ist zu dem Ergebnis gekommen, dem Bundesumweltminister zu empfehlen, seine Zustimmung zu der Betriebsgenehmigung zu erteilen. So ist es geschehen.
Ich finde in den Unterlagen keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Reaktor-Sicherheitskommission, daß die Landesanstalt für Geologie, die Genehmigungsbehörden und die übrigen beteiligten Gutachter sich einfach über die Auffassung des Herrn Behmel hinweggesetzt hätten. Im Gegenteil, sie haben sich intensiv damit auseinandergesetzt.
Jetzt kommt eine Petition mit der Forderung, ein neues Gutachten vorzulegen, und die GRÜNEN beantragen, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, die Bundesregierung solle dem entsprechen. Das heißt ja wohl, sie soll ein Gutachten einholen. Ich war als Berichterstatter — ich konnte in der Sitzung leider nicht sein — reichlich irritiert, als ich dann las, daß immerhin Frau Garbe, die als Sprecherin der GRÜNEN im Umweltausschuß in diesen Fragen durchaus sachkundig ist, die Auffassung vertreten hat, man brauche kein neues Obergutachten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Aber die Minderheitsmeinungen mit berücksichtigen!)

Dann lese ich mit großem Erstaunen, daß sich Herr Kollege Peter, der Sprecher der SPD im Petitionsausschuß, dieser Auffassung anschließt. Liebe Leute, wenn ihr der Auffassung seid, ihr brauchtet gar kein Gutachten mehr, weil ihr den Standort eh für ungeeignet haltet, dann könnt ihr hier doch nicht einen Antrag stellen und gleichzeitig sagen: Holt einmal ein neues Obergutachten ein.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Die Minderheitsgutachten beachten!)

Aber es kommt ja noch doller. Diese Petition besteht nämlich aus zwei Forderungen.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist interessant!)

Die zweite Forderung an die Bundesregierung geht dahin, die Betriebsgenehmigung nicht zu erteilen.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Den Antrag zurückzunehmen!)

Da müssen Sie nun wirklich einräumen: Das ist überholt. Sie können die Bundesregierung doch nicht ernsthaft zu etwas auffordern, was schon längst erledigt ist.

(Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das räumen die GRÜNEN in ihrer Begründung auch ein. In der Begründung ihres Antrages schreiben sie — ich zitiere — :
Insofern wäre aufgrund des neuen Verfahrensstands das Anliegen der Petition dahin gehend zu modifizieren, daß bis zum Vorliegen des Obergutachtens die Zustimmung des Bundesumweltministers zum Betrieb ... zurückzunehmen ist.
Das steht aber nicht in der Petition. Das heißt, Sie nehmen eine Modifizierung der Petition vor. Das ist schlecht. Da müssen Sie zunächst einmal den Petenten fragen. Es mag zwar sein, daß er dieser Auffassung ist. Aber Sie können der Bundesregierung nicht einfach eine Petition zur Berücksichtigung überweisen, was ja heißt: Wir, das Parlament, fordern euch, die Bundesregierung, auf: Tut das, obwohl Sie wissen, daß genau dies gar nicht mehr möglich ist. Da ist etwas paradox.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb würde ich Sie dazu ermutigen wollen, die Sache etwas sorgfältiger zu beraten, wenn Sie solche Anträge stellen. Sie müssen wenigstens noch einen sachlichen Gehalt haben. In beiden Punkten — der Forderung nach einem Gutachten und danach, keine Betriebsgenehmigung zu erteilen — ist die Sache längst überholt. Ich will damit die Sachfrage hinsichtlich der Standortsicherheit, die es hier zu entscheiden gilt, in keiner Weise diskreditieren; sie ist ernstzunehmen. Darüber gibt es ein Gerichtsverfahren; darüber werden jetzt die Gerichte entscheiden. Möglicherweise werden die Gerichte weitere Gutachten einholen. Das mögen sie tun. Aber Sie fordern die Bundesregierung zu einem rechtswidrigen Handeln auf. Das können wir nicht machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118526300
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1118526400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, Herr Kollege Dr. Göhner, ob man es sich so einfach machen kann, wie Sie das hier getan haben. Es gibt in der Republik ein Kernkraftwerk, bei dem einige Wissenschaftler der Meinung sind, daß der Untergrund nicht sicher ist.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Einer! — Frau Nikkels [GRÜNE]: Bei Mülheim-Kärlich ist das auch der Fall!)

— Einer ist schon einer zuviel, Herr Kollege Dr. Göhner.
Nun sagen Sie: Das ist ja übertrieben; das, was die GRÜNEN in ihrem Papier haben, ist so abwegig, weil sie fordern, keine Betriebserlaubnis zu erteilen. Aber es müßte doch in Ihrer Vorstellung liegen, daß man ein Kernkraftwerk einmal abschalten kann, um zu untersuchen, was da ist. Der Petent fordert, die geologische
14360 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Reuter
Standsicherheit des Kernkraftwerks Neckarwestheim II durch unabhängige Sachverständige aus der UNESCO-Liste erneut begutachten zu lassen und die Entscheidung über die Betriebsgenehmigung bis zum Abschluß dieser Begutachtung auszusetzen. Das ist doch denkbar.
Ich weiß, daß der Petitionsausschuß kein Überausschuß ist und daß nicht alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages Bodenmechaniker sind und wissen, was in der Erde vorkommt. Aber wenn Professor Dr. Gudehus am 12. Dezember 1988 erklärt, Herr Kollege Dr. Göhner, es seien geologisch verwirrende Kompliziertheiten in der Erde, und wenn vom zeitlichen Ablauf her einige Merkwürdigkeiten festzustellen sind, muß man den Eindruck gewinnen, daß die Bundesregierung seherische Fähigkeiten hat.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Sie rührt im Kaffeesatz, wenn es ihr paßt!)

— Es wäre ja noch in Ordnung, wenn sie wenigstens aus dem Kaffeesatz lesen würde.
Am 12. Dezember 1988 gibt es in Baden-Württemberg eine Anhörung, bei der Professoren ihre Bedenken dokumentieren.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Mehrere! Nicht nur einer!)

Aber der Bundesminister für Umwelt war schon zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich am 6. Dezember, in der Lage, in einem Schreiben der Inbetriebnahme zuzustimmen. Das heißt, er konnte die Ergebnisse dieser Erörterung überhaupt nicht in seine Überlegungen mit einbeziehen.

(Frau Teubner [GRÜNE] : Er ist auch ein Hellseher!)

Die Reaktorsicherheitskommission hat ja schon im Oktober des Jahres 1988 getagt, konnte also auch nicht wissen, was sich dort im einzelnen abspielt. Ich weiß nicht, ob wir jetzt überhaupt ruhig schlafen können, da wir diese Probleme kennen und nicht willens und bereit sind, hier einmal den Mut zu finden und zu sagen: Wir legen ein Kernkraftwerk still.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das steht doch gar nicht in der Petition!)

— Sie sind doch ein Semantiker, Herr Kollege, wenn Sie sagen, das sei nicht Gegenstand der Petition, weil da vielleicht steht: Betrieb nicht zu genehmigen. Da muß man halt flexibel sein.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ich habe gesagt, daß das überholt ist!)

— Das ist sicher überholt;

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Was heißt überhaupt „wir" ?)

aber es ist doch denkbar, daß man das Kernkraftwerk wieder vom Netz nimmt und einmal die Untersuchungen durchführt.
Herr Kollege Dr. Göhner, wenn Sie hier sagen, das sei alles überholt, dann frage ich allen Ernstes: Ist es gottgewollt und immer hinnehmbar, daß eine Petition
vor rund einem Jahr eingereicht wurde und erst heute hier zur Abstimmung gestellt wird?

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Aber das liegt doch an uns beiden! Wir waren die Berichterstatter!)

— Das lag bei mir nur einen oder zwei Tage; dann war es erledigt; dann habe ich mein Votum abgegeben. Vielleicht lag es bei Ihnen länger.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ich habe es am gleichen Tag gemacht!)

— Na also, da sehen Sie mal. Dann liegt es doch wohl auch an der Regierung und an den Ministerien, daß diese nicht, wie es sein müßte, hier ihre Hausaufgaben machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich muß Ihnen noch eines sagen. Wissen Sie, ich vermute, das geht alles nach dem Motto: Augen zu und durch! Was nicht sein darf, ist auch nicht.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Die Bundesregierung hat die Petition bekommen, als die Betriebsgenehmigung erteilt war! Das ist Faktum!)

— Es ging ja auch nicht anders — das ist klar — , weil der Herr Bundesminister Töpfer der Betriebsgenehmigung schon zugestimmt hat, als die Anhörung in Baden-Württemberg überhaupt noch nicht gelaufen war.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Nein, zwei Monate später!)

— Die Petition ist vom 12. Dezember; sie ist am 19. Dezember eingegangen. Die Anhörung in BadenWürttemberg war am 12. Dezember, und der Herr Minister hat geruht, vorher schon einen Brief zu schreiben, in dem er mitteilt, daß alles seine Ordnung hat. Das kann ja wohl nicht in Ihrem Sinne sein.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das hat er erst nach Auswertung am 28. Dezember gemacht!)

— Am 28. Dezember ist die Betriebserlaubnis erteilt worden.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Nein, am 29.!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118526500
Meine Herren Abgeordneten, ich habe den Eindruck, wir bewegen uns jetzt auf dem Niveau einer ordentlichen Ausschußsitzung. Aber ob das in dieser Form in das Plenum gehört, wage ich zu bezweifeln. Herr Reuter, fahren Sie fort.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1118526600
Ich will aber auch nicht, daß der Kollege Dr. Göhner uninformiert nach Hause fährt, sondern ich will, daß er hier von mir auch noch hört, wie die Fakten sind.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Schreiben Sie ihm mal einen Brief für Weihnachten! Dann hat er vielleicht Zeit, das alles einmal gründlich zu lesen!)

Wir haben das ja im Ausschuß schon einmal sehr sorgfältig beraten. Aber, meine Damen und Herren, ich frage hier die CDU/CSU und die FDP: Wo ist denn
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14361
Reuter
Ihr Bekenntnis, das da immer lautet: Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit?

(Zurufe von der CDU/CSU: Hier!)

— Nein, Sie haben jetzt nur Bedenken, und Sie haben Angst, dem Betreiber jetzt noch einmal aufzuerlegen, das Kraftwerk vom Netz zu nehmen.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Herr Göhner hat das doch dargelegt!)

Das ist das ganze Problem. Deshalb bin ich der Meinung, daß der Änderungsantrag, der hier von seiten der GRÜNEN vorgelegt wird, unsere Zustimmung und unsere Billigung finden sollte.
Sicher hätten wir Sozialdemokraten ebenfalls einen Änderungsantrag abschreiben können, ähnlich wie es die GRÜNEN bei Erbenheim gemacht haben. Aber in der vorweihnachtlichen Zeit, meine Damen und Herren, sind wir geneigt und bereit, einem vernünftigen Antrag zuzustimmen. Mein Wunsch wäre, daß in diesem Hause auch die CDU/CSU und die FDP endlich einmal über ihren Schatten springen könnten,

(Bohl [CDU/CSU]: Das tun wir ständig!)

um hier einem vernünftigen Änderungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen.

(Bohl [CDU/CSU]: Wir sind Hoch- und Weitspringer!)

— Ich wollte nicht hinzufügen, was für Springer Sie vielleicht sonst noch sind, meine Damen und Herren, weil das der Herr Präsident rügen würde.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

— Es ist zwar schön, daß wir zu vorgerückter Zeit die Dinge etwas humorvoll abhandeln. Nur, ich muß Ihnen sehr deutlich sagen: Es ist ein ernstes Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sollten die Sorgen der Menschen nicht so behandeln, daß wir jetzt mit einem Federstrich einfach darüber hinweggehen.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Aber auch nicht jeden Tag wieder Ängste künstlich nach oben schieben! — Widerspruch bei den GRÜNEN — Frau Garbe [GRÜNE]: Wir haben Ängste!)

— Es ist ja nicht so, Herr Kollege, daß wir Ängste nach oben schieben. Wir nehmen die Ängste ernst. Es geht ja nicht darum, daß wir verlangen, daß das abgerissen wird. Es soll noch einmal durch einen UNCECO-Gutachter untersucht werden. Dann sind wir zufrieden, und dann können wir viel ruhiger schlafen.
In diesem Sinne bitte ich doch hier, dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118526700
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Macht ihr eure Petitionsausschußsitzungen hier weiter, oder was ist das?)


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118526800
Der Einwand ist völlig berechtigt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Göhner hat die wesentlichen Dinge zur rechtlichen Beurteilung bereits gesagt. Es ist in der Tat ein grundsätzliches Problem des Petitionsausschusses. Sie haben ja die „fdk" schon gelesen; daran sehen Sie, wie schnell die FDP immer arbeitet.
Wir sind kein Überausschuß und können es auch gar nicht sein. Wir können die schwierigen tektonischen Probleme in diesem Gebiet überhaupt nicht beurteilen; keiner von uns kann es.
Was wir können und was wir tun müssen, ist zu prüfen, ob das Verwaltungshandeln ordnungsgemäß gewesen ist. Die Verwaltung hat im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Sachverständige gehört, und die Sachverständigen haben ihre Urteile und ihre Gutachten abgegeben, u. a. auch ein Herr Dr. Behmel, der im Prinzip den anderen Sachverständigen durchaus gefolgt ist. Nur in einer Frage hat er gemeint, daß ein Synergieeffekt entstehen könnte.

(Frau Teubner [GRÜNE]: In einer wesentlichen Frage! — Zurufe von der SPD: Synergie!)

— Synergie ist ein neutraler Ausdruck, weder positiv noch negativ, es sei denn, daß man ihn wirtschaftlich beurteilt. Ich meine das hier ganz neutral. — Bei diesem Synergieeffekt stützt er sich auf den Grundwasserstrom in der Hessigheimer Schleuse.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Nicht nur!)

— Unter anderem; er stützt sich aber im wesentlichen darauf. — Er sagt, wie bei der Hessigheimer Schleuse könne eine schädliche tektonische Bewegung entstehen. Nur, in dem konkreten Fall der Hessigheimer Schleuse hat der Grundwasserstrom eine etwa tausendmal höhere Geschwindigkeit als das Grundwasser unter dem Kernkraftwerk. in diesem Falle kann man sich der Beurteilung der Sachverständigen nicht anschließen, weil er Dinge zum Vergleich heranzieht, die eigentlich unzulässig sind.
Ansonsten hat er die Gefahren, die in dem Synergieeffekt liegen könnten, nicht begründet. Das mindeste, was ich von einem Sachverständigen erwarten kann, wenn ich mich dessen Meinung anschließen soll, ist doch wohl, daß er ausreichend begründet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118526900
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage beantworten, obwohl es bei Fünfminutenbeiträgen an sich unüblich ist?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118527000
Da ich einen Schluck Wasser trinken möchte, gerne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118527100
Bitte sehr.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118527200
Danke schön. — Ich würde den Kollegen gerne fragen, ob er mir erklären kann, warum auf Grund dieser Expertenanhörung beschlossen wurde, daß obligatorisch begleitende Untersuchungen stattfinden sollen — begleitend zum Betrieb des AKW —, um gerade diese hydrogeologischen Probleme noch zu prüfen? Das hat sich erst aus der Anhörung ergeben. Wenn der Fall so klar gewesen wäre, daß dort keine Probleme sind, warum dann diese obligatorischen Untersuchungen?
14362 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118527300
Das kann ich Ihnen sagen: Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Bundesregierung: Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir sind im Petitionsausschuß nach Abwägung aller vorgetragenen Auffassungen der Sachverständigen und auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, ob die nach dem Stand der Wissenschaft erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch den Betrieb der Anlage getroffen ist, zu der Auffassung gelangt, daß der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ordnungsgemäß, rechtmäßig die Zustimmung zur Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes erteilt hat. Wir können das Ermessen des Bundesministers nicht durch unser eigenes Ermessen ersetzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118527400
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1118527500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil es wenig Sinn hat, daß wir uns fachlich über die Quellfähigkeit von Anhydriten, über die horizontalen und vertikalen Verwerfungen und dergleichen geologische Besonderheiten mehr unterhalten, möchte ich mich auf die Schilderung des Verfahrens beschränken.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Auf einen solchen Untergrund kann man kein Atomkraftwerk setzen!)

Das Kernkraftwerk Neckar-Westheim II repräsentiert nach Auffassung der Bundesregierung den derzeit höchsterreichbaren Sicherheitsstandard.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Garbe [GRÜNE]: Auf unsicherem Boden!)

— Es steht auf sicherem Boden.
Sein sicherheitstechnisches Konzept berücksichtigt alle Erfahrungen, die weltweit beim Bau und Betrieb kerntechnischer Anlagen gewonnen wurden. Die am 29. Dezember 1988 in Betrieb gegangene Anlage zeichnet sich durch einen bis zum heutigen Tag praktisch störungsfreien Betrieb aus.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Sieben meldepflichtige Ereignisse der untersten Kategorie N — keines davon mit sicherheitstechnischer Relevanz — sind für das erste Betriebsjahr eines Kernkraftwerks ein ungewöhnlich niedriger Wert.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118527600
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuter? — Bitte.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1118527700
Herr Kollege, mich interessiert wie es dem Bundesumweltminister möglich war, am 6. Dezember 1988 in einem Brief seine Zustimmung zur Inbetriebnahme zu erklären, obwohl erst — —

(Zuruf des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU])

— Ich sage es noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben, weil hier auch Leute sitzen, die nicht so schnell sind: Am 6. Dezember 1988 hat der Minister seine Zustimmung zur Inbetriebnahme erklärt, aber erst am 12. Dezember 1988 fand die Anhörung der Experten im baden-württembergischen Landtag statt. Wie konnte Ihr Dienstherr, der Herr Minister, schon am 6. Dezember 1988 wissen, was Inhalt der Aussagen von Experten am 12. Dezember 1988 war?

(Frau Garbe [GRÜNE]: Prinzip Hoffnung!)


Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1118527800
Minister Töpfer hat diesen Brief in Form und mit dem Inhalt zu Recht geschrieben. Die Fragen, die bei dieser Anhörung zur Debatte standen,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Die Antworten kannte er schon?!)

wurden seit 1981 immer wieder von verschiedenen Kommissionen, verschiedenen Gutachtern geprüft. Ich werde darauf im einzelnen noch zu sprechen kommen, Herr Kollege.

(Hüser [GRÜNE]: Warum hat die Anhörung denn stattgefunden? Das ist doch lächerlich! — Frau Teubner [GRÜNE]: Warum ging es denn so knapp aus, nämlich 9: 8?)

— Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Warten Sie doch auf das, was ich Ihnen jetzt berichte.
Die Fragen der Standortsicherheit, Frau Kollegin, wurden bei der Planung, Genehmigung und Errichtung der Kernkraftwerke am Standort Neckarwestheim mit der hierfür erforderlichen fachlichen Sorgfalt behandelt. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß sich neben der im Auftrag der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde des Landes Baden-Württemberg erfolgten Begutachtung durch das Geologische Landesamt in Stuttgart im bundesaufsichtlichen Auftrag, also im Auftrag des Innenministers bzw. des Umweltministers, die Reaktorsicherheitskommission und ihre fachlich zuständigen Ausschüsse mehrfach mit Geologie und Tektonik des Standorts Neckarwestheim beschäftigt haben.
Abgesehen davon, daß die Eingabe dem Bundesumweltminister erst nach der Inbetriebnahme von Neckarwestheim II zuging — was Herr Göhner ausgeführt hat — , kann dem Begehren auch aus sachlichen Gründen nicht zugestimmt werden. Ich beziehe mich dabei auf die ausführliche Stellungnahme meines Hauses vom 20. Juli dieses Jahres und darf daraus die Kernsätze zitieren.
Die in der Petition für das Begehren auf Nichterteilung der Betriebsgenehmigung herangezogenen Auffassungen des Geologen Dr. Behmel sind den zuständigen Bundes- und Landesbehörden seit langem bekannt. Sie waren bereits Gegenstand der Baugrundbegutachtung im Jahr 1981 sowie der Beratungen der Reaktorsicherheitskommission zu Standort und Konzept der Anlage GKN II im Jahre 1982.
Nachdem Herr Dr. Behmel 1988 seine Auffassungen erneuerte, beauftragte die Reaktorsicherheitskommission ihre fachlich zuständigen Mitglieder, sich mit den genannten Bedenken inhaltlich nochmals
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14363
Parl. Staatssekretär Gröbl
auseinanderzusetzen und den Sachverhalt mit dem Gutachter der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde des Landes zu erörtern. Die Kommission gelangte auf ihrer 235. Sitzung am 12./13. Oktober 1988 zu der Auffassung — ich zitiere — , „daß die Schwierigkeiten des Baugrunds bei der Auslegung des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckarwestheim II bekannt waren, ausreichend berücksichtigt wurden und bautechnisch beherrscht werden.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Alles unwahr!)

Sie nimmt zur Kenntnis, daß ein betriebsbegleitendes Meßprogramm vorgesehen ist, zu dem geodätische, seismische und hydrogeologische Messungen gehören" .
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit diesem Meßprogramm darauf hinweisen, daß entgegen den Befürchtungen der Petenten und ihre Sachverständigen Setzungen bei den sicherheitstechnisch wichtigen Anlagengebäuden in der bisherigen Betriebszeit nicht aufgetreten sind. Das bedeutet, die gemessenen Werte sind gleich Null.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Ich darf zusammenfassen: Auf Grund der im Laufe des Genehmigungsverfahrens für die Errichtung und den Betrieb der Anlage GKN II durchgeführten bundesaufsichtlichen Prüfungen und Beratungen ist festzustellen, daß fachliche Bedenken des Umweltministers gegen die Entscheidungen der Genehmigungsbehörden des Landes Baden-Württemberg zur Standortsicherheit des Kernkraftwerks II weder bestanden noch bestehen.
Dem Begehren der Petenten kann, selbst wenn es terminlich rechtzeitig geäußert worden wäre, aus sachlichen Gründen nicht entsprochen werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118527900
Meine Damen und Herren, wir haben einen Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6072 vorliegen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zu der Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 11/5695 vor. Wer dieser Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Trenz und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes
— Drucksache 11/3823 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Trenz und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches
— Drucksache 11/3824 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die rechtliche Möglichkeit des Umgangs zwischen Vater und nichtehelichem Kind

(Nichtehelichen-Umgangsgesetz — NEhelUmgG)

— Drucksache 11/5494 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Beck-Oberdorf, Frau Frieß, Frau Krieger, Frau Nickels, Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sorgerecht für nichteheliche Kinder bei Ruhen des Sorgerechts oder beim Tod der sorgeberechtigten Mutter
— Drucksache 11/4277 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Beck-Oberdorf, Frau Frieß, Frau Nickels, Frau Schmidt (Hamburg), Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Namensrecht
— Drucksache 11/4437 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 45 Minuten vor. — Wenn das Haus damit einverstanden ist — das ist der Fall — , dann ist das so beschlossen.
Zunächst hat die Abgeordnete Frau OesterleSchwerin das Wort.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118528000
Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Rechte von Frauen geht, hat der Bundestag immer wenig Zeit. Deswegen müssen wir heute in 45 Minuten sage und schreibe
14364 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Oesterle-Schwerin
fünf Gesetzesinitiativen beraten. Vier der eingebrachten Gesetzentwürfe fordern mehr Rechte für Frauen. Sie stammen von den GRÜNEN. In einem Gesetzentwurf sollen die Rechte von Frauen eingeschränkt werden. Es ist nicht schwer zu erraten, woher dieser Gesetzentwurf kommt. Er kommt von der Bundesregierung.
Auf diesen Gesetzentwurf möchte ich zuerst eingehen. Es geht um die Erweiterung des Umgangsrechts für unverheiratete Väter mit ihren nichtehelichen Kindern. Das Sorgerecht für das nichteheliche Kind, zu dem auch die Bestimmung über seinen Umgang gehört, ist der einzige Bereich, in dem Frauen mehr Rechte haben als Männer. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dieses Gesetz zu ändern. Denn wenn es dem Wohle des Kindes dient — so steht es in dem bestehenden Gesetz, das Sie ändern wollen —, können Gerichte dem unverheirateten Vater den Umgang mit seinem nichtehelichen Kind schon heute gegen den Willen der Mutter gestatten.
Daß das häufig auch so gemacht wird, beweisen verschiedene Beispiele, von denen ich nur einige zitieren möchte. Das Umgangsrecht wird dem unverheirateten Vater auch gegen den Willen der Mutter gestattet, wenn er sich in den ersten Lebensjahren intensiv um das Kind gekümmert hat — so das Landgericht München, 13. Zivilkammer — oder wenn eine echte Anteilnahme des Vaters am Wohlergehen und der Entwicklung des Kindes und eine echte Zuneigung vorhanden sind — so das Landgericht Nürnberg, 13. Zivilkammer — oder wenn die Eltern in einem eheähnlichen Verhältnis zusammengelebt und das Kind zwei Jahre ab Geburt bei beiden Eltern aufgewachsen ist — so das Amtsgericht München.
Das sind nur wenige Beispiele. Wir halten solche Entscheidungen für richtig.
Was die Regierung auf Druck der Lobby einiger unverheirateter Väter jetzt allerdings vorschlägt — wohlgemerkt, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter ist gegen dieses Gesetz —, ist eine Verschärfung des Rechts zuungunsten der Mütter. Es handelt sich um nichts anderes als um eine Umkehr der Beweislast.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Unsinn! Absoluter Unsinn! — Gegenruf von den GRÜNEN: Das stimmt!)

Während im Streitfall der Vater bisher nachweisen mußte, daß der Umgang mit ihm dem Wohl des Kindes diene, wird nach den Vorstellungen der Bundesregierung in Zukunft die Mutter nachweisen müssen, daß der Umgang mit dem Vater dem Wohle des Kindes widerspricht. Das heißt: Im Konfliktfall wird der Gang zu den Gerichten der ökonomisch meist wesentlich schwächeren Mutter aufoktroyiert. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die zitierten Gerichtsentscheidungen beweisen, daß hier überhaupt kein Handlungsbedarf besteht.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

Väter, die sich von Anfang an um ihre Kinder kümmern, bekommen das Umgangsrecht, und zwar meist
schon von den Müttern selbst oder per Gerichtsentscheidung. Diejenigen, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, sollen es gegen den Willen der Mütter auch nicht bekommen. Sie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, Frauen unter Druck zu setzen und ihnen etwas zuzumuten, was sie nicht ertragen können.
Das Amtsgericht Bonn stellt in einer Entscheidung zu Recht fest:
Eltern eines Kindes sind vornehmlich diejenigen, die sich der Mühe unterwerfen, es zu einem vollwertigen, gemeinschaftsfähigen Menschen heranzubilden. Die biologische Elternschaft ist dafür weder erforderlich noch genügend. Erst die Übernahme von Elternaufgaben macht Erzeuger zu Eltern.
Das kann ich nur bekräftigen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Etwas kurz gegriffen!)

Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf im Interesse der Mütter und der Kinder zurückzuziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe hier auf ein weiteres Problem einzugehen, und zwar auf die Frage, wie das Sorgerecht für das nichteheliche Kind geregelt wird, wenn die sorgeberechtigte Mutter stirbt oder ernsthaft erkrankt. Diese Frage besorgt viele Menschen, die in nichtehelichen Gemeinschaften mit Kindern zusammenleben. Nach geltender Rechtsprechung erhält in einem solchen Fall in der Regel der leibliche Vater das Sorgerecht, wenn er es beantragt. Die Fälle, in denen Mutter und Kind mit anderen Personen als mit dem leiblichen Vater zusammenleben, werden aber immer häufiger.
Ich will das Problem an Hand eines Beispiels schildern: Frau A lebt seit acht Jahren mit Frau B zusammen. Frau A hat eine neunjährige Tochter, die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebt. Frau A stirbt plötzlich. Frau B nimmt sich der neunjährigen Tochter selbstverständlich an und führt den gemeinsamen Haushalt weiter. Sie war ja acht Jahre lang Bezugsperson für das Kind. Das kann sie jetzt aber nicht mehr lange; denn der leibliche Vater der Tochter beansprucht jetzt sein Sorgerecht. Er bekommt es nach geltendem Recht zugesprochen und gibt das Kind in den Haushalt seiner Mutter, mit dem das Kind bislang kaum Kontakt hatte. Das Kind, das durch den Tod der Mutter ohnehin schon angeschlagen ist, wird aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen und verliert faktisch auch die zweite Bezugsperson. Das ist ein Beispiel. Davon gibt es viele, und zwar in ganz verschiedenen Konstellationen.
Deswegen beantragen die GRÜNEN folgendes: Das Sorgerecht bekommt die Person, die im Testament der Mutter dazu bestimmt ist. Wenn kein Testament vorhanden ist — normalerweise ist keines vorhanden — , bekommt diejenige Person das Sorgerecht, der das Kind am nächsten steht. Ausgangspunkt ist das Kind! Das Vormundschaftsgericht ist gehalten, bei seiner Entscheidung die besonderen Bindungen des Kindes zu berücksichtigen. Der leibliche Vater kann das Sorgerecht bekommen, wenn das Kind ihm am nächsten steht. Er bekommt es aber nicht automatisch. Kinder ab sechs Jahren müssen im Verfahren
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14365
Frau Oesterle-Schwerin
angehört werden. Der Entscheidung von Kindern ab 14 Jahren ist zwingend zu folgen.
Unser Vorschlag ist ein Schritt zur Herstellung von größerer Sicherheit in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die gemeinsam mit Kindern leben. Ich bitte Sie, dem ebenfalls zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der dritte Antrag, auf den ich hier eingehen möchte, ist auch ein Antrag der GRÜNEN. Als weiteren Schritt zur Aufhebung der Diskriminierung von Frauen beantragen wir, die gesetzlichen Bestimmungen des Namensrechtes wie folgt zu ändern: Jede Person behält grundsätzlich — auch bei Eheschließung — ihren Namen. Kinder bekommen den Namen der Mutter. Wie Sie wissen, muß bei Eheschließungen eine der beiden Personen, die heiraten wollen, ihren Namen aufgeben und den Namen der anderen Person annehmen. In 98 % der Fälle wird der Name des Mannes übernommen. Wenn Frauen ihren Namen nicht freiwillig aufgeben, wird automatisch der Name des Mannes Familienname. Das steht aber in krassem Widerspruch zu Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Diese Situation ist aber nicht nur verfassungswidrig, sondern sie führt auch zu chaotischen Verhältnissen. Geschiedene Frauen tragen Namen von Männern, mit denen sie gar nichts mehr zu tun haben. Der umgekehrte Fall ist selten. Eine Frau kann mehrere Kinder mit verschiedenen Namen haben. Kinder wiederverheirateter Frauen tragen oft einen anderen Namen als den Namen der Familie, in der sie leben, was für diese Kinder nicht besonders angenehm ist.
Unser Vorschlag trägt hingegen der Tatsache Rechnung, daß die Mutterschaft immer, die Vaterschaft jedoch nicht immer feststellbar ist.

(Marschewski [CDU/CSU]: Das, was Sie da erzählen, ist im Zeitalter der Fortpflanzungsmedizin etwas ganz Neues!)

Unser Vorschlag hat außerdem noch weitere Vorteile: Der Name würde dann nur noch Auskunft über die Identität der Person, nicht jedoch — wie z. B. bei Doppelnamen — Auskunft über den Familienstand geben. Auch die Tatsache, ob ein Kind aus bestehender Ehe oder aus einer anderen Verbindung stammt, würde nicht schon über den Namen erkennbar werden. Keine Frau wäre mehr gezwungen, ihren Namen und damit einen Teil ihrer Identität zu ändern. Nichtehelichen Kindern sowie Kindern aus geschiedenen Ehen bliebe die Namensfrage erspart. Die Führung des mütterlichen Namens wäre Normalität.
Ich denke, das Namensrecht der GRÜNEN ist emanzipatorisch, weil es jeder Person ihre Identität beläßt und weil der Stellung der Frau als derjenigen, die die Kinder bekommt und in den meisten Fällen auch aufzieht, mehr Anerkennung zuteil würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118528100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1118528200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon der
Eingangssatz der Kollegin Oesterle-Schwerin, daß es sich hier um fünf Gesetze handele, die sich nur mit den Frauen beschäftigten — mit Ausnahme des Umgangsrechts — , ist falsch. Das wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie Sie die Familie und das Zusammenleben von Mann und Frau und Kindern beurteilen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Es geht um die Rechte der Frauen!)

Sehr verehrte Frau Kollegin, diese Gesetze betreffen Frau, Kind und Mann,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

und zwar auch den verheirateten Mann und den nichtehelichen Vater. Sie dürfen aus der Familie — das geht aus den Entwürfen hervor — keine GmbH & Co KG machen, wie Sie es wollen,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

in der jeder seine Rechte hat. Am besten wäre es dann, wenn der Staat dem Kind, der Frau und dem Vater einen Anwalt stellen würde.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und des Abg. Funke [FDP])

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben einen ganz anderen Familienbegriff. Auch unser Grundgesetz geht gemäß Art. 6 von einem ganz anderen Familienbegriff aus.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das hat mit den vorliegenden Entwürfen nichts zu tun!)

— Liebe Frau Nickels, mit Ihnen unterhalte ich mich im Rechtsausschuß. Stören Sie mich bitte nicht. Ich mache hervorragende Ausführungen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Zur Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes und zu den geplanten Änderungen beim Regelunterhalt wird mein Kollege Werner nachher sprechen. Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit dem Gesetz, das auch Sie in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt haben, nämlich mit dem Umgangsgesetz für Väter von nichtehelichen Kindern auseinandersetzen.
Wir haben im Jahre 1969, während der Großen Koalition, ein hervorragendes, modernes Nichtehelichen-Gesetz gemacht. Ich glaube, es ist eines der modernsten Gesetze dieser Art in der ganzen Welt. Es sieht u. a. einen Erbanspruch des nichtehelichen Kindes vor. Ich war maßgeblich am Zustandekommen dieses Gesetzes beteiligt. Ich war Berichterstatter meiner Fraktion für dieses Gesetz. Ich bin heute noch stolz darauf, daß es uns mit diesem Gesetz gelungen ist, daß das nichteheliche Kind und dessen Mutter aus der Diskriminierung herausgeholt wurden. Schon damals gab es eine große Diskussion: Wie weit soll der Vater des nichtehelichen Kindes eine Beziehung — und Sie reden ja soviel von Beziehungskisten; solche Dinge müßten Ihnen doch liegen — zu seinem Kind haben? Darüber gab es große Diskussionen im Unterausschuß und dann im Rechtsausschuß. Schon damals gab es die Meinung, daß das, was wir letztlich beschlossen haben, wohl nicht ausreichend sein würde. Danach hat der nichteheliche Vater nur zwei Pflichten: zu zahlen und Erbvater zu sein. Sonst hat er zu seinem Kind nahezu keinen Bezug. Im Gesetz heißt es nämlich:
14366 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Stark (Nürtigen)

Wenn er einen Umgang mit seinem Kind haben will, dann muß dieser Umgang dem Wohle des Kindes dienen. Der Vater muß das nachweisen. Er muß sagen: Ich bin ein so hervorragender Kerl, ich bin keiner normaler Mann, ich bin ein solcher Spitzenmann, daß mein Umgang mit meinem Kind dem Kind dient.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Sind Sie denn für schädlichen Umgang?)

Das mußte er also bisher darlegen. Von Beweislast, liebe Frau Nickels, kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein, da hier das freiwillige Gerichtsbarkeitsverfahren gilt. Da gibt es keine Beweislast. Da gibt es den Amtsermittlungsgrundsatz. Da gibt es nur eine Darlegungs- und Vortragslast. Das vielleicht nebenbei gratis und en passant, Frau Nikkels.
Jetzt macht die Regierung — und das findet nach reiflicher Diskussion meine und die Unterstützung meiner Fraktion — einen behutsamen Versuch, den Vater des nichtehelichen Kindes

(Eimer [Fürth] [FDP]: Der ist eher zu behutsam!)

— eher zu behutsam; ich komme gleich noch darauf — nicht mehr nachweisen zu lassen, daß ein Umgang mit seinem Kind, für das er zahlt und von dem er auch beerbt wird — das haben wir eingeführt — , dem Wohle des Kindes nicht widerspricht. Das ist die behutsame Änderung. Sie ist vernünftig, meine Damen und Herren.
Warum hat man das nicht schon im Jahre 1969
— das ist ja keine Vorschrift von vor hundert Jahren — gemacht? Weil man von einem etwas einseitigen Bild des nichtehelichen Vaters ausging. Ich sage es jetzt auf meine Art: Man ging davon aus, daß er nur ein Interesse an dem Akt der Zeugung und sonst keines mehr seinem Kind hat. Dann muß er eben zahlen und wird beerbt.
Das wird inzwischen nicht mehr so einfach gesehen. Ich weiß ganz genau — ich habe mich mit den Problemen beschäftigt — : Es gibt sehr verschiedene Typen nichtehelicher Väter, d. h. auch hier gibt es ein breites Spektrum.

(Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich möchte jetzt nicht unterbrochen werden.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Ich will nur fragen: Sie kriegen es doch gar nicht angerechnet!)

Es gibt keinen modellhaften Vater eines nichtehelichen Kindes. Es gibt sehr verschiedene Väter. Der eine hat sehr viel Interesse an seinem Kind und zahlt gern, der andere hat gar kein Interesse.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Den modellhaften ehelichen Vater gibt es auch nicht!)

Es gibt aber inzwischen immer mehr Väter, die an ihrem Kind Interesse haben und mit ihm Umgang haben möchten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Darf ich Sie gleich noch etwas fragen, Herr Stark?)

Viele Psychologen und Psychotherapeuten sagen, es
liege im Normalfall im Interesse eines kleinen Kindes
und eines Kindes im Alter von vier, acht oder zehn Jahren, daß es auch einen Vater hat und ihn kennt. Das wollen wir ermöglichen. Deshalb ist dies ein ganz vernünftiger Vorschlag, Herr Minister Engelhardt, wenn die Regierung will.
— Bitte schön.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118528300
Frau Abgeordnete Nickels, bitte sehr.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118528400
Danke schön, Herr Stark. Ich finde es wirklich nett, daß Sie mich jetzt noch fragen lassen.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1118528500
Das wird aber nicht angerechnet?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118528600
Nein, Herr Abgeordneter, das nicht.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118528700
Herr Stark, im Regierungsentwurf heißt es unter „Alternativen" :
Eine umfassende Überprüfung des nichteheliche Kinder betreffenden Sorge-, Adoptions-, Unterhalts- und Erbrechts ist notwendig und bereits in Angriff genommen. Der Entwurf hindert solche weiträumigen Überlegungen nicht.
Sie haben gerade gesagt, uns müsse es darum gehen, den nichtehelichen Vätern, die wirklich für das Kind sorgen wollen, die diese Sorge auch ernst nehmen, hier Möglichkeiten zu eröffnen. Ich frage Sie jetzt nur: Warum fangen Sie mit diesem Bereich an? Schon heute bekommen doch diese Väter — das hat Frau Oesterle-Schwerin dargelegt — vom Gericht auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches das Umgangsrecht auch gegen den Willen der Mutter zu Recht eingeräumt, wenn sie sich um die Kinder kümmern. Warum machen Sie angesichts dieser Möglichkeit nicht andere Vorschläge, die heute fehlen, z. B. betreffend Erziehungsgeld für nichteheliche Väter, die die kleinen Kinder dann auch betreuen wollen? Warum sehen Sie nicht endlich im Unterhaltsbereich die Gleichstellung der nichtehelichen Mütter oder Väter mit den verheirateten vor? Das gilt auch für das Erbrecht. Ich finde, es ist wirklich verdächtig, daß Sie diesen Punkt in einer Situation herausgreifen, wo sich mehr Frauen auch für nichteheliche Mutterschaft entscheiden.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1118528800
Frau Kollegin, Ihre erste Frage war sachbezogen. Was Sie sonst ausgeführt haben, lag daneben.
Ich darf Ihnen sagen — ich bin Rechtsanwalt, und ich weiß, wovon ich rede — : Nach der jetzigen Rechtslage erhält ein nichtehelicher Vater gegen den Widerstand der Mutter nur in ganz wenigen Fällen ein Umgangsrecht. Das ist nahezu unmöglich. Sie müssen sich einmal näher mit diesen Dingen befassen.
Jetzt möchte ich noch einige Takte zum Namensrecht sagen. Die übrigen beiden Gesetzentwürfe sind mit sehr heißer Nadel genäht. Ich glaube, sie sind an einem Abend gemacht worden. Zum Teil werden darin Sachen verlangt, die es schon gibt, z. B. die Sorgerechtsübertragung, wenn die Mutter ausfällt. Sie fordern in Ihrem Entwurf, daß der, den die Mutter in
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14367
Dr. Stark (Nürtingen)

ihrem Testament benennt, das Sorgerecht bekommt. Das ist bereits heute so. Sie wollen den nichtehelichen Vater möglichst ausschließen. Das geht aus Ihrem Gesetzentwurf und der Begründung hervor. Die ist hochinteressant. In dieser Begründung zur Sorgerechtsübertragung, wenn die Mutter ausfällt, steht, daß immer mehr Menschen ohne Ehe und Familie leben wollen. Das wird als Erfolgsbilanz herausgestellt. Es wird von Ihnen gefördert.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Der Erfolg Ihrer Familienpolitik!)

Das machen wir nicht mit. Wir haben einen anderen Familien- und Ehebegriff. Wir haben ein Grundgesetz. Sie werden den härtesten Widerstand von unserer Fraktion bekommen, wenn Sie aus der Familie eine GmbH & Co KG machen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau OesterleSchwerin [GRÜNE]: Es wird nicht besser, wenn Sie es wiederholen!)

Zum Namensrecht: Hier müssen Sie einmal die Begründung lesen. Wir haben vor einigen Jahren ein neues Namensrecht gemacht. Aber das reicht Ihnen nicht. Es soll — das steht versteckt in der Begründung — nicht mehr erkannt werden, ob jemand verheiratet ist oder nicht.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Bei Männern wird es ja nicht erkannt! Bei Männern wird es normalerweise nicht erkannt!)

Es ist sozusagen eine Schande, wenn jemand verheiratet ist. Das steht sinngemäß in Ihrer Begründung.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Lügen lasse ich mir aber nicht gefallen!)

— Ich verstehe Gesetzentwürfe zu lesen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das lasse ich mir nicht gefallen! Das ist eine Frechheit! Herr Präsident, so geht das nicht!)

Und es soll entwürdigend sein.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Warum tragen Sie nicht den Namen Ihrer Frau?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118528900
Frau Abgeordnete Nickels, bei allem Respekt und bei allem Verständnis für das Engagement: Es wäre nett, wenn Sie den Redner nicht zu oft unterbrechen würden.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das steht nicht in dem Gesetzentwurf! Das kann der nicht machen! Er soll zur Sache reden!)


Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1118529000
Es steht drin, es sei entwürdigend und diskriminierend, wenn die Frau den Namen des von ihr gewählten Mannes, mit dem sie verheiratet ist, ihrem Namen anfügt. Das dürfe es nicht geben.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Haben Sie den Namen Ihrer Frau dem Ihren angefügt?)

Dann wird gesagt, der Personenstand dürfe nirgends mehr zu erkennen sein. Das unterliege dem Datenschutz. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht Gott sei Dank gesagt, so sei es nun nicht.
Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wollen mit diesen Gesetzentwürfen an den Kern der Familie gehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch bei den GRÜNEN)

Sie wollen die Ehe ohne Trauschein. Die gibt es natürlich. Das wissen wir auch. Das wollen Sie damit fördern. Dabei werden Sie unseren harten Widerstand finden.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: So ein Quatsch! So ein Blödsinn!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118529100
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1118529200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stark, ich habe mich auch mit der Begründung zum Antrag „Namensrecht" beschäftigt. Ich habe diesen Antrag etwas anders interpretiert. Aber ich komme noch auf Ihre Argumentation zu sprechen. Ich würde nur empfehlen, sich innerhalb des „europäischen Hauses" , von dem Sie so häufig reden, zu informieren, wie das anderswo geregelt wird. Dann kann man zumindest nicht den Verdacht hegen — zumal das auch in romanischen Ländern so ist — , daß hier die Familie plötzlich in Gefahr sei.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. de With [SPD]: In katholischen Ländern!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir behandeln unter dem Punkt 14 — das ist in der Tat die Crux der Diskussion — sehr unterschiedliche Initiativen. Das macht die Diskussion etwas schwierig.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das stimmt!)

Es sind einerseits Aufforderungsanträge, es sind andererseits Gesetzesinitiativen. Sie haben eigentlich nur eines gemeinsam — Herr Dr. Stark, hier möchte ich Ihnen zustimmen — : Es gibt einen gemeinsamen familienpolitischen oder familienrechtlichen Bezug.
Ich will mich zunächst mit dem Entwurf der Bundesregierung befassen, der den schönen Titel trägt — man muß sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen — : „Entwurf eines Gesetzes über die rechtliche Möglichkeit des Umgangs zwischen Vater und nichtehelichem Kind (Nichtehelichen-Umgangsgesetz)". Dann kommt eine Abkürzung, die ich schlecht zitieren kann. Es wird also eine Neuordnung des Rechts des Vaters auf Umgang mit seinem nichtehelichen Kind verheißen.
Ich beginne mit diesem Gesetzentwurf deswegen, weil da die Gefahr, daß er Gesetzeskraft erlangt, am größten ist. Materiell, meine Damen und Herren, geht es um eine Änderung des § 1711 Abs. 2 Satz 1 BGB, der bisher dem Vater — Herr Stark hat das schon ausgeführt — des nichtehelichen Kindes mit Hilfe des Vormundschaftsgerichts ein Umgangsrecht gegen den Willen der Mutter ermöglicht, und zwar unter der Voraussetzung, daß dieser Umgang dem Wohle des Kindes dient. Es ist in der Tat ganz wichtig, daß man diesen Wortlaut im Gedächtnis behält. Nun soll offen-
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Dr. Pick
bar eine ziemlich unscheinbar wirkende Änderung dieses Wortlauts das Umgangsrecht auf völlig neue Füße stellen. Statt „dem Wohle des Kindes dient" soll es heißen: „dem Wohle des Kindes nicht widerspricht" .

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

Das heißt — und da muß ich Frau Oesterle-Schwerin zustimmen — , die Anforderungen an die Voraussetzungen der Einräumung des Umgangsrechts werden heruntergeschraubt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nicht die Förderung des Wohls des Kindes ist entscheidend, sondern in einer sozusagen ganz neutralen Beurteilung wird formuliert: Das Umgangsrecht darf zwar nicht schaden, aber es schadet auch nichts, wenn es nichts nützt, so würde ich das einmal ausdrükken.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

Man fragt sich also, warum diese Operation notwendig ist.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist die entscheidende Frage!)

Es stellt sich die Frage: Ist denn auch ein noch so kleiner Fortschritt im Hinblick auf das Kindeswohl wirklich entbehrlich? Mir scheint eher, Herr Minister, daß die ganze Neuregelung entbehrlich ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde, meine Damen und Herren, wenn wir schon Gesetze machen, dann doch mit dem Ziel, daß Recht und Gerechtigkeit wenigstens ein klein wenig nach vorne gebracht werden.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das scheint mir hier in der Tat zweifelhaft.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nein!)

Diese Zweifel, Herr Kollege Stark, werden auch nicht durch die relativ umfängliche Begründung ausgeräumt, zumal es dort ja ausdrücklich heißt — das werden Sie der Begründung schon entnommen haben —, daß auch der geltenden Vorschrift, wie sie jetzt im BGB steht, nicht schlechthin die Eignung zu bestreiten sei — und jetzt zitiere ich wörtlich — , „bei sensibler Handhabung am Wohl des nichtehelichen Kindes orientierte Entscheidungen zu ermöglichen". Also, eigentlich kommt die bisherige Rechtsprechung mit dieser Vorschrift recht gut zu Rande. Um so mehr frage ich mich — da erinnere ich mich an den Kollegen Kleinert, der immer sagt, man solle unnütze Gesetze möglichst nicht machen — , warum das Ganze hier eigentlich notwendig sein soll.
Der Entwurf, meine Damen und Herren, knüpft zwar verbal an die Kritik, die in der rechtspolitischen Diskussion zum Teil gegen diese Vorschrift geltend gemacht wird, an. Das ist zuzugeben, da gibt es durchaus eine Kontroverse. Aber in einem sind sich diese Kritikerinnen und Kritiker jedenfalls einig: Sie fordern mindestens auch die Möglichkeit eines gemeinsamen Sorgerechts der Eltern. Das ist die Mindestforderung. Häufiger wird sogar eine Gesamtreform des Nichtehelichenrechts gefordert — bis hin zur Schaffung
eines einheitlichen Kindschaftsrechts für eheliche und nichteheliche Kinder. Das heißt also, alle wollen eigentlich mehr. Sie wollen eine Gesamtlösung.
Was tut die Bundesregierung? Sie greift hier ein Sonderproblem heraus und etikettiert den Fall zum „nichtehelichen Umgangsgesetz". Sozusagen zur eigenen Rechtfertigung wird das Vorhaben auch ein bißchen in Frage gestellt, denn es wird hier gesagt: „Der Entwurf" — ich zitiere jetzt wörtlich — „gibt jedoch einem vorsichtigen, schrittweisen Vorgehen gegenüber grobflächigen Reformansätzen den Vorzug." Ist denn das die Alternative zu dem, was gesagt wird und wie hier gehandelt wird? Wir sagen nein.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Wir auch!)

Für uns steht fest, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine gesellschaftliche Realität einer Regelung zugeführt werden muß, über die man sich sicher im einzelnen streiten kann — insbesondere über die Frage: Wie dicht muß diese Regelung sein? —, die aber mit Sicherheit nicht grobflächig, sondern nach unserer Auffassung differenziert ausgestaltet werden muß. Sie hat auch auf die unterschiedlichen soziologischen Befunde in diesem Bereich einzugehen, und zwar in einer Form, die nicht, wie in diesem Entwurf, einseitig nur die Stellung des Vaters gegenüber Mutter und Kind verstärkt, ohne die Belange von Mutter und Kind zu berücksichtigen, sondern die auch die Frage nach den Pflichten des Vaters stellt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Rechte und Pflichten müssen sich entsprechen, und es kann z. B. auch nicht beliebig sein, ob sich der Vater, der sich dieses Recht erstritten hat, dann jederzeit ohne weiteres von diesem Kontakt wieder zurückziehen kann. Wir wissen, daß in diesen Fällen ein eher seelisch geschädigtes Kind zurückbleibt.
In der Anhörung der SPD-Fraktion zu den Problemen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft am 23. und 24. August letzten Jahres ist deutlich geworden, daß sorgerechtliche Regelungen sehr differenziert die Vater-Kind-Beziehung aufnehmen müssen. So kann ein gemeinsames Sorgerecht in vielen Fällen dem Willen des Vaters zu einer positiven Vater-Kind-Beziehung und dem Einverständnis der Mutter entsprechen. In anderen Fällen kann ein abgestuftes Umgangsrecht angemessen sein.
Wir kritisieren an dem vorliegenden Entwurf, daß er sich allein auf die konflikthafte Beziehung zwischen der sorgeberechtigten Mutter einerseits und dem Vater andererseits beschränkt, der mit Hilfe des Vormundschaftsgerichts sein „Recht" erstreiten muß. Es gibt sicher solche Fälle, wo dies das einzige Mittel sein kann, um eine — was es ja auch gibt — eigensüchtige Mutter zur Gestattung des Umgangs zum Wohle des Kindes zu zwingen, aber das ist mit Sicherheit nicht der Normalfall. Es ist schon gesagt worden: Die Mehrzahl der Mütter wünscht den Kontakt mit dem Vater. Auf der Vaterseite ist das ganz anders; die meisten nichtehelichen Väter wünschen überhaupt keinen Kontakt zu ihren Kindern.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Die verkrümeln sich! Die machen sich aus dem Staub! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da sind Sie nicht auf dem neuesten Stand!)

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Dr. Pick
— Auch diese soziologischen Befunde, Herr Kollege Stark, werden in diesem Entwurf noch nicht einmal angesprochen, geschweige denn aufgearbeitet. Wir meinen, daß man heute solche Gesetze ohne entsprechende Grundlagen nicht machen kann und daß sie insbesondere dann unnötig sind, wenn sie an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen und in diesem Fall aus unserer Sicht die Rechtslage eher verschlechtern als verbessern. Wir sind aber gern zur Hilfestellung bereit und stellen der Bundesregierung die Erkenntnisse, auch die Aussagen der Gutachter aus unserer Anhörung vom letzten Jahr, gerne zur Verfügung.
Ich möchte jetzt zum Antrag der GRÜNEN kommen, zunächst zum Tagesordnungspunkt 14 d. Hier fordert die Fraktion DIE GRÜNEN die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Sorgerecht für nichteheliche Kinder beim Ruhen des Sorgerechts oder beim Tod der sorgeberechtigten Mutter ändern soll. Wir wissen — auch das ist schon gesagt worden — , daß regelmäßig das Sorgerecht für nichteheliche Kinder der Mutter zusteht. Das Problem tritt dann auf, wenn sie nicht in der Lage ist, das Sorgerecht auszuüben, weil sie stirbt oder es aus anderen Gründen nicht ausüben kann. Dann steht das Vormundschaftsgericht vor der schwierigen Entscheidung, wem das Sorgerecht nun anvertraut werden soll.
Auch die Rechtsprechung, die hier schon zitiert worden ist, begünstigt im allgemeinen das Vorschlagsrecht der Mutter in einer entsprechenden letztwilligen Verfügung. Auch das sei noch einmal betont. Die Frage, Frau Oesterle-Schwerin, ist in der Tat, ob man ihr ein unbeschränktes Bestimmungsrecht geben soll. Ich denke, es gibt Fälle, in denen man von diesem Grundsatz durchaus eine Ausnahme machen sollte. Aber es muß im Regel-Ausnahme-Verhältnis sein. Es gibt Fälle, in denen diese Entscheidung dem Wohl des Kindes widerspricht, in denen eine andere Entscheidung möglich sein muß.
Wenn die Mutter keine Regelung für das Sorgerecht getroffen hat, dann soll nach dem Vorschlag ihrer Fraktion diejenige Person das Sorgerecht erhalten, der das Kind am nächsten steht. Das Vormundschaftsgericht soll dabei gehalten sein, die besonderen Bindungen des Kindes zu berücksichtigen. Wir halten diesen Ansatz für richtig, wobei allerdings auch nicht immer die Bereitschaft der betreffenden Person zur Übernahme der Verantwortung unterstellt werden kann.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist klar!)

Das Problem ist damit natürlich nicht gelöst; sicher auch nicht damit, daß man es immer dem biologischen Vater zuerkennt.
Wir begrüßen auch Ihren Vorschlag, eine intensivere Mitwirkung des Kindes einzubeziehen, gestaffelt nach Alter und entsprechender Einsichtsfähigkeit.
Was uns an diesem Entwurf ein bißchen stört, ist, daß hier ein Detailproblem aus dem Bereich des Nichtehelichenrechts herausgegriffen wird, ohne daß
eine Gesamtlösung angeboten ist. Aber ich denke, das ist ein geringerer Vorwurf.
Ich will, weil die Zeit drängt, nur noch etwas zu Ihrem Antrag zum Namensrecht sagen, der so großen Widerspruch des Kollegen Stark erfahren hat. Das ist sicher einer der spektakulären Bereiche der familienrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten und Kindern. Er betrifft praktisch jeden und jede. Sie haben in Ihrem Antrag drei Grundsätze festgelegt.
Erstens. Jede Person soll auch bei Eheschließung ihren Geburtsnamen behalten. Dem würden wir eigentlich gern zustimmen. Die SPD-Fraktion hat einen ausformulierten Gesetzesantrag zur Reform des Namensrechts in der letzten Fraktionssitzung verabschiedet. Wir werden ihn Anfang Januar der Öffentlichkeit vorstellen. Insofern stimmen wir mit Ihnen überein.
Kinder erhalten den Namen ihrer Mutter. Das ist der zweite Grundsatz. Da tun wir uns etwas schwerer, weil — immer unter der Voraussetzung, daß der Name des Vaters der Ehename geworden ist — zwar auch wir von der jetzigen Automatik nicht überzeugt sind, aber die Gefahr sehen, daß hier eine neue Automatik von Gesetzes wegen eingebaut wird. Wir versuchen hier eine andere Lösung,

(Dr. de With [SPD]: Eine sehr schöne!)

über die wir dann gern auch mit Ihnen diskutieren werden. Wir sagen auch: Der Geburtsname ist persönlichkeitsprägend. Wenn ein Ehegatte seinen Geburtsnamen behalten will, muß er ihn behalten können. Deswegen wollen wir diese Lösung vertreten.
Zu den beiden anderen Anträgen nur ganz kurz: Hier sind Ansätze, mit denen wir uns anfreunden können. Zum anderen meine ich, daß die Dinge doch noch sehr intensiv diskutiert werden müssen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118529300
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118529400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die rechtliche Möglichkeit des Umgangs zwischen Vater und nichtehelichem Kind vorgelegt hat.
Die bisherige gesetzliche Regelung, wonach praktisch der Vater mit seinem nichtehelichen Kind keinen Umgang haben kann, wenn die Mutter einer entsprechenden Besuchsregelung widerspricht, kann allzu oft dazu führen, daß aus Gründen, die mit dem Wohl des Kindes überhaupt nichts zu tun haben, die Kindesmutter den Umgang des Kindes mit dem Vater verhindert. Auch nichteheliche Kinder wünschen einen Bezug zu ihrem leiblichen Vater oder wollen zumindest die Möglichkeit haben, mit dem Vater Umgang zu pflegen.
Die Bundesregierung — darauf hat der Kollege Dr. Stark zu Recht hingewiesen — hat in weiser Beschränkung radikale Änderungen des Umgangsrechts nicht vorgeschlagen. Vielmehr werden nach dem Entwurf die gesetzlichen Möglichkeiten des Um-
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Funke
gangs zwischen Vater und nichtehelichem Kind behutsam erweitert.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Funke, glauben Sie das wirklich?)

— Ja. Sonst würde ich es nicht sagen. Ich schreibe ja meine Reden selber, wie Sie wissen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das kann ich fast nicht glauben!)

Danach soll die Mutter als Personensorgeberechtigte entscheiden, ob und in welchem Rahmen der Vater zu seinem Kind Kontakt aufnehmen und unterhalten kann. Wenn Vater und Mutter dieses Kindes sich nicht zu einer einvernehmlichen Regelung verstehen können, so soll das Vormundschaftsgericht entscheiden und dem Vater auch gegen den Willen der Mutter den persönlichen Umgang mit dem Kind gestatten können.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Das geschieht doch schon!)

— Nein. Das Vormundschaftsgericht ist hierbei an dem Kindeswohl orientiert. Dies wird sich dann auch in der Praxis zeigen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118529500
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels zuzulassen?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118529600
Ja, ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118529700
Bitte sehr, Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118529800
Herr Funke, ich glaube, es gibt überhaupt keine Differenz in der Auffassung, daß der Vater, wenn er sich kümmert, Umgangsrecht kriegen soll. Das kann er nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch heute zugebilligt bekommen.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118529900
Aber nicht, wenn die Mutter widerspricht; jedenfalls in der Praxis nicht.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118530000
Herr Funke, was Sie da vorschlagen, ist aber eine einzelne Maßnahme, völlig losgelöst von der Besserstellung der Väter und Mütter nichtehelicher Kinder auch in anderen Bereichen. Heute ist es so, daß gerade Mütter nichtehelicher Kinder sehr oft alleingelassen werden und sehr viel Ärger mit den Kindesvätern haben, weil die sich verdrükken. Warum schaffen Sie da nicht die Möglichkeit für die gutwilligen Väter, wie ich soeben schon sagte, also Erziehungsgeld und die ganzen Geschichten? Wenn eine Gleichstellung der nichtehelichen Mütter mit den ehelichen Müttern und umgekehrt da ist, dann können Sie sich über so etwas, wie Sie es da vorschlagen, unterhalten. Aber wenn Sie das vorziehen, führen Sie doch nur zu noch mehr Belastungen und noch mehr Ärger und Kümmernissen für die Mütter, auch zu Lasten der Kinder, als es heute schon ist. Ich verstehe nicht, daß Sie das billigen. Warum machen Sie so etwas denn?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118530100
Wenn Sie sich meinen nächsten Satz noch angehört hätten und Ihre Zwischenfrage nicht gestellt hätten, dann hätten Sie gehört, daß ich der Auffassung bin, daß natürlich diese behutsame Erweiterung, die jetzt die Bundesregierung vorschlägt, auch mitberücksichtigt, daß eine gewisse Sorge der alleinerziehenden Mutter berechtigt sein kann, daß das Umgangsrecht des Vaters die Erziehung des Kindes konterkarieren könnte und daß auch bei neu eingegangenen Ehen oder Lebensgemeinschaften mit einem anderen Mann der leibliche Vater die für das Kind gefundene Familienbindung verletzen könnte. Mit der hier gefundenen Regelung werden mögliche Bedenken der Mütter berücksichtigt, da sie ja beim Vormundschaftsgericht hinsichtlich des Umgangsrechtes angehört werden. Insoweit ist der Vorschlag der Bundesregierung sachgemäß.
Zu den Gesetzesvorschlägen der GRÜNEN möchte ich in aller Kürze noch folgendes sagen:
Erstens zum Unterhaltsvorschußgesetz. Dieses Gesetz ist sicherlich gut gemeint, aber auf Grund der Haushaltslage zur Zeit nicht zu verwirklichen, zumal wenn Sie das bis zum 18. Lebensjahr ausdehnen. Dies gilt im übrigen nicht nur für die Bundeskassen, sondern noch viel mehr für die Länderkassen, die ja da auch eingeschränkt sind.
Zweitens. Soweit der Unterhalt für nichteheliche Kinder durch die GRÜNEN verändert werden soll, sehen wir keinen Handlungsbedarf, da bereits heute ausreichend Möglichkeiten bestehen, den im Einzelfall nach dem Einkommen des Vaters angemessenen Unterhalt festzusetzen. Es wird ja nicht immer nur der Regelsatz genommen, sondern es wird, wenn Sie sich die Praxis der Gerichte und des Unterhaltsrechts einmal ansehen, sofort erkennbar, daß das Einkommen des Vaters als Bemessungsgrundlage genommen wird.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Für das Kind, für die Mutter nicht?)

Soweit Ihr Vorschlag dahin geht, Sozialleistungen künftig nicht mehr auf den Regelunterhalt anzurechnen, führt das im wirtschaftlichen Ergebnis genau dazu, daß Väter nichtehelicher Kinder Abänderungsklagen auf Herabsetzung des Regelunterhalts einreichen werden. Doch das ist genau das, was Sie gar nicht wollen. Ich glaube, Sie müssen Ihren Vorschlag da noch einmal ein bißchen intensiver durchdenken.
Drittens. Auch die Vorschläge der GRÜNEN zum Sorgerecht für nichteheliche Kinder sind zum Teil überflüssig und zum Teil auch nicht schlüssig.
Das geforderte Benennungsrecht der Mutter entspricht bereits geltendem Recht. Die Hinzuziehung des nichtehelichen Vaters liegt in dem am Kindeswohl orientierten Ermessen des Vormundschaftsgerichts.
Lassen Sie mich zum vierten Punkt kommen, nämlich dem Namensrecht. Da sind wir gemeinsam mit Ihnen, aber auch mit der SPD bereit, intensiv zu diskutieren. Schließlich gibt es ja Rechtsordnungen, die vorsehen, daß kein Ehepartner bei Eheschließung den Geburtsnamen verliert. Für mich ist es keine Frage einer Diskriminierung, ob der Ehename gemeinsam oder nicht gemeinsam ist oder ob das vom Gesetz vorgeschrieben ist. Das ist in erster Linie eine Frage der
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14371
Funke
Zweckmäßigkeit und hat sicherlich auch einen gewissen ordnenden Charakter.

(Widerspruch von den GRÜNEN)

— Ob das zweckmäßig ist oder ob das unzweckmäßig ist, das müssen wir miteinander diskutieren. Nehmen Sie z. B. die iranische Regelung; dort ist es in der Regel so, daß die Ehefrau ihren Namen behält und die Kinder den Namen des Vaters annehmen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Die iranische Regelung! Nehmen Sie die als Vorbild?)

— Wissen Sie, das ist eine sehr alte und gute Rechtsordnung, und sie sollte sich nicht durch Systeme, die zeitweise an der Macht sind, in den Rechtsordnungen irremachen lassen. Die haben in vielen Dingen gute Rechtsordnungen, auch im Erbrecht, mit denen wir durchaus leben können. Warum soll man nicht auch insoweit einmal rechtsvergleichende Betrachtungen anstellen? — Dort funktioniert es auch. Es muß nicht unbedingt so sein, daß immer nur ein Familienname da ist. Das hat meines Erachtens auch nichts mit Art. 6 des Grundgesetzes zu tun. Ich achte das Institut der Ehe mindestens genauso wie Sie, Herr Dr. Stark, und ich möchte das auch in Zukunft so sehen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das erörtern wir noch gemeinsam!)

— Das werden wir noch gemeinsam erörtern.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß ich für eine Zumutung halte, was hier mit uns gemacht wird: daß wir in 45 Minuten grundlegende familienrechtliche Fragen in erster Lesung beraten müssen.

(Beifall bei allen Fraktionen — Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann ist die Frage, warum Sie das mittragen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118530200
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1118530300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Unterhaltsvorschußgesetz hat sich prinzipiell bewährt. Aber angesichts der steigenden Zahl von Alleinerziehenden mit Kindern und auch der geringen Durchschnittsverdienste der alleinerziehenden und alleinstehenden Mütter haben die GRÜNEN die Probleme mit diesem Gesetz, glaube ich, nicht ganz zu Unrecht aufgegriffen. Das Anliegen ist zunächst einmal grundsätzlich bedenkenswert. Allerdings liegt, wie so oft, die Schwierigkeit im Detail. Sie wollen das Kindesalter vom 6. auf das 18. Lebensjahr hinaufsetzen, Sie wollen die Bezugshöchstdauer ohne Begrenzung auf 36 Monate nach oben offen gestalten. Sie weisen am entscheidenden Punkt nicht darauf hin, wie dies alles finanzierbar wäre. Denn Sie müßten wissen, daß im Bundesrat ein entsprechender Vorstoß des Landes Berlin bereits abgewiesen worden ist. Man muß sich natürlich die Frage stellen, ob der Bund von daher 240 Millionen DM im Jahr zusätzlich übernehmen könnte.
Ich möchte aber auch noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Sie fordern gleichfalls, daß die Mutter in Zukunft nicht mehr zur Mitwirkung etwa bei der Feststellung der Vaterschaft, bei der Feststellung des Aufenthaltsorts des Unterhaltspflichtigen anzuhalten sei. Man kann hier allen Ernstes doch nicht so verfahren, daß man die Frau von jeglicher Mitwirkung mehr oder weniger freistellt und der Gesetzgeber damit im Grunde automatisch darauf verzichtet, einen möglichen Regreßanspruch irgendwann auch einmal umsetzen zu können oder den Unterhaltspflichtigen auch nur an seine Pflicht zu mahnen.
Sie haben dann in einem zweiten Gesetzentwurf den Regelunterhalt angesprochen. Dazu hat mein Vorredner, glaube ich, schon das Entscheidende bemerkt. Es muß festgestellt werden: Wenn es nach Ihren Vorstellungen ginge, dann ist in der Tat zu befürchten, daß die Zahl der Klagen auf Erhöhung des Selbstbehalts der Unterhaltspflichtigen sprunghaft in die Höhe steigen würde und die Kinder davon letzten Endes nichts hätten. Ähnlich verhält es sich bei der von Ihnen geforderten Freistellung sämtlicher Sozialleistungen. Auch hier muß man dem Vater fairerweise doch das gleiche zubilligen, was man für das Kind fordert, nämlich einen einigermaßen angemessenen Lebensstandard zu erreichen, soll er seinerseits nicht unter die Sozialhilfegrenze zurückfallen. Auch hier wäre eine Riesenkette von Prozessen die Folge, und im Endergebnis müßte auf dem Wege über die Sozialhilfe wiederum die öffentliche Hand eintreten. Dies, meine ich, kann doch nicht der Sinn dessen sein, was Sie anstreben.
In dem Gesetzentwurf Drucksache 11/3824 streben Sie zum zweiten an, daß der Pfleger von Amts wegen nicht mehr automatisch eintreten soll. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Pfleger von Amts wegen dem Schutzbedürfnis zunächst einmal des nichtehelichen Kindes dient und nicht auf Diskriminierung der Frau angelegt ist. Ich könnte mir umgekehrt sehr wohl vorstellen, daß die Frau begründet beantragen können müßte, auf den Amtspfleger zu verzichten; aber dies dann bitte begründet.
Ich meine, derartige Überlegungen, so begründet sie sind, sind in den Gesetzesvorschlägen, die Sie vorlegen, eigentlich fehl am Platze.

(V o r sitz : Vizepräsident Westphal)

Sie gehören in den Rahmen der Gesamtneuregelung des Nichtehelichenrechts und auch des Sorgerechts, einer Gesamtregelung, die wir, wie Sie wissen, gerade den zuständigen Ministerien zur Überprüfung anheim gegeben haben. Deswegen meinen wir von der CDU/ CSU, daß die Anliegen, die Sie heute vortragen, verfrüht sind. Gleichwohl stimmen wir der Überweisung in die Ausschüsse, Frau Nickels, zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118530400
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118530500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch bei der Debatte zu dem Regierungsentwurf, den ich hier zu vertreten habe, habe ich dem Parlament den Vortritt gelassen. Ich will einige wenige Anmerkungen zum Entwurf machen.
14372 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminister Engelhard
Worum geht es? Sicherlich nicht um eine Gesetzgebung im Dienste der Männer zu Lasten der Frauen

(Frau Nickels [GRÜNE]: Genau darum geht es, Herr Minister!)

und ebenso nicht um mehr Rechte für Väter auf Kosten der Mütter. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Kind. Die Kenntnis vom Vater und die Beziehung zu ihm können für die Persönlichkeitsentwicklung auch des nichtehelichen Kindes von ganz wesentlicher Bedeutung sein.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Aber nicht der erzwungene Kontakt!)

Kontakte zwischen Vater und Kind können diese Kenntnis und Beziehung vermitteln oder erhalten.
Der Regierungsentwurf zieht hieraus die Konsequenzen. Auch künftig bestimmt die Mutter, ob und in welchem Umfang der Vater zu seinem nichtehelichen Kind Kontakt aufnehmen und unterhalten kann. Auch künftig kann wie schon bisher das Vormundschaftsgericht die von der Mutter getroffene Bestimmung korrigieren. Eine solche Korrektur durch das Vormundschaftsgericht soll jedoch nicht länger an besondere einschränkende Voraussetzungen gebunden sein. Die Einräumung des Umgangsrechts soll vielmehr im Ermessen des Vormundschaftsgerichts liegen. Maßstab für die Ausübung dieses Ermessens ist ausschließlich das Kindeswohl.
Der Entwurf möchte darüber hinaus gerichtliche Auseinandersetzungen über den Umgang des Vaters mit seinem nichtehelichen Kind nach Möglichkeit von vornherein vermeiden und die Bereitschaft der Elternteile fördern, sich unter Hintanstellung aller persönlichen Divergenzen allein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls über Umgangs- und Kontaktfragen auseinanderzusetzen. Freilich ist der Entwurf damit nur ein erster Schritt auf einem langen Weg, der über mehr elterliche Kooperation zu mehr Kindeswohl führt. Weitere Schritte — ich unterstreiche dies — müssen und werden folgen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Eltern, die kooperieren wollen, brauchen keine Gesetze!)

Nun wird dies alles häufig unter dem Stichwort der nichtehelichen Lebensgemeinschaft diskutiert. Wie ich meine, sehr zu Unrecht; denn all den Fragen, die ich jetzt kurz ansprechen und nennen werde, suche ich mich unter dem Gesichtspunkt des Interesses des Kindes zu nähern. Es kann nicht sein, daß ein Kind, nichtehelich geboren und nicht eingebettet in das, was man so nichteheliche Lebensgemeinschaft nennt, geringere Rechte und Möglichkeiten als das andere Kind haben soll.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118530600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118530700
Bitte, Herr Präsident.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118530800
Bitte schön, Frau Nikkels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118530900
Herr Minister, Sie sagen „nur das Kindeswohl" und die ganze Frage der Nichtehelichkeit oder Ehelichkeit spiele keine Rolle. Dann frage ich Sie, warum die ehemals verheiratete Mutter, die ein kleines Kind zu versorgen hat, selber Anspruch auf Unterhalt hat, weil sie das Kind betreut — das dient ja dem Kindeswohl — , aber die nichteheliche Mutter keinen Anspruch darauf hat. Wenn das Kindeswohl im Vordergrund stünde, müßten Sie nämlich z. B. das zuerst einmal ändern.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118531000
Ich habe aus gutem Grunde darauf hingewiesen, Frau Kollegin Nickels, daß das Kind stärker in den Mittelpunkt all dieser Betrachtungen zu rücken ein ungemein wichtiger Punkt ist, weil man in der Debatte über die nichteheliche Lebensgemeinschaft häufig an völlig anderen Punkten zu diskutieren beginnt, auch dort, wo aus einer solchen Verbindung ein Kind nicht hervorgegangen ist. Dies führt dann zwangsläufig zu völlig falschen Ergebnissen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118531100
Würden Sie dann auch noch eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schoppe beantworten?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118531200
Bitte, Herr Präsident.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118531300
Bitte schön, Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118531400
Herr Minister, ich bin der Meinung, daß die Frage von Ihnen nicht beantwortet worden ist. Ich weiß nicht, ob es da ein Mißverständnis gegeben hat. Daher frage ich noch einmal: Wenn das Kindeswohl im Mittelpunkt steht, warum wird dann nicht eine Regelung vorgeschlagen, die auch vorsieht, daß die Mutter von dem nichtehelichen Vater Unterhalt bekommen kann? Denn auch das dient dem Kindeswohl, wenn nämlich die Mutter zu Hause ist und sich um das Kind kümmert.
Aber das ist nicht meine Frage. Das ist nur eine Wiederholung, weil ich dachte, es habe da eine Verständigungsschwierigkeit gegeben.
Meine Frage ist jetzt: Sind Sie denn der Meinung, daß angesichts der Tatsache, daß sich viele nichteheliche Väter nach der Geburt des Kindes aus dem Staube machen, diese Väter tatsächlich in die Lage versetzt werden, eine Beziehung zum Kind zu entwikkeln, wenn man eine rechtliche Regelung vorschlägt, wie Sie sie vorgeschlagen haben?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1118531500
Sie fragen etwas länger und umfangreicher, als es in der knappen Zeit überhaupt zu beantworten ist, Frau Kollegin.
Aber ich will noch einmal darauf hinweisen, daß derjenige nichteheliche Vater — auch wenn die Gesetzesänderung jetzt kommt —, der sich nie um das Kind gekümmert hat, der keinerlei Interesse gezeigt hat und der sich nun plötzlich aus einem nicht für das Vormundschaftsgericht und schon gar nicht für die Mutter und auch nicht für das Kind, wenn es dies schon empfinden kann, erfindlichen Grund zu interes-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14373
Bundesminister Engelhard
Bieren beginnt, auch künftig das Umgangsrecht nicht erhalten wird.

(Beifall des Abg. Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU])

Aber wenden wir uns den anderen Fragen zu, über die ich soeben unter dem Stichwort nichteheliche Lebensgemeinschaft gesprochen habe.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Aber, meine Damen, es liegt etwas in der Natur der Sache, daß Fragen gestellt werden und anschließend die Behauptung aufgestellt wird, diese Fragen seien nicht oder nicht richtig beantwortet worden. Wir wissen doch, wie man da miteinander umzugehen pflegt. Es liegt vielleicht einfach nicht nur an meinem Unvermögen, es Ihnen entsprechend zu schildern, sondern auch an Ihrem Unvermögen, entsprechend zuzuhören.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Ach du lieber Gott! Wir hören immer ganz gut zu!)

Meine Damen und Herren, ich meine, daß die ganze Problematik zeigt, daß eine umfassende Überprüfung der gesamten Rechtsproblematik bei nichtehelichen Kindern im weiteren Verlauf erforderlich ist. Da geht es dann um das elterliche Sorgerecht; es geht um das Unterhaltsrecht, und es geht um das Erbrecht. Da hier in dieser Debatte die Frage aufgeworfen worden ist, warum wir das Umgangsrecht regeln und das andere noch nicht regeln, sage ich Ihnen, daß die soeben von mir genannten Punkte umfassende rechtsvergleichende und rechtstatsächliche Untersuchungen voraussetzen, die von uns bereits in die Wege geleitet worden sind.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Und warum haben Sie es mit dem Umgangsrecht so eilig?)

Selbstverständlich gehört auch der Unterhalt für nichteheliche Kinder in diesen weiten Zusammenhang. Die Vorschläge der GRÜNEN zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches — wenn ich diese Anmerkung machen kann — führen zu trügerischen Hoffnungen der Unterhaltsberechtigten. Eine völlige Veränderung des Regelunterhalts wird die Väter veranlassen, den Regelunterhalt künftig nicht mehr zu akzeptieren und auf eine Herabsetzung zu klagen. Die Absicht des Vorschlags würde so allzu leicht in ihr Gegenteil verkehrt.
Schlußbemerkung zum Ehenamensrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst den Grundsatz des einheitlichen Familiennamens für Ehegatten und Kinder als mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt. Es hat gleichzeitig aber zum Ausdruck gebracht, daß wir selbstverständlich frei sind, über dieses Problem nachzudenken.
Der Antrag der GRÜNEN zum Ehenamensrecht beschränkt sich jedoch nicht auf eine solche Auflockerung. Vielmehr schüttet dieser Vorschlag buchstäblich das bekannte Kind mit dem bekannten Bade aus.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Aber nicht das nichteheliche Kind!)

Der Ehegatte soll nach der Eheschließung zwingend seinen Geburtsnamen fortführen und Kinder ebenso zwingend den Namen der Mutter erhalten. Damit sind die Zeiten vorbei, in denen sich die Ehegatten einen gemeinsamen Familiennamen wählen durften. So weit sind wir gekommen. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Eltern und Kinder einen gemeinsamen Namen tragen durften.
Immerhin zeigt der Antrag — um dieses zum Schluß zu sagen — , daß die Preisgabe des Ehenamensrechts die Regelungsprobleme von der Ebene der Eltern auf die Ebene der Kinder überträgt.
Eine völlig befriedigende, völlig geschlechtsneutrale Regelung ist noch von niemandem gefunden worden. Es bleibt uns heute nur, hier festzustellen, daß, wie zu erwarten war, auch den GRÜNEN dieses Kunststück nicht gelungen ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118531600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/3823, 11/3824, 11/5494, 11/4277 und 11/4437 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften (Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz)

— Drucksache 11/5465 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Rechtsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Herr Seehofer.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1118531700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften vor. Das Ziel dieses Gesetzes ist es einmal, die Neuregelungen der Ressortierungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit vorzunehmen, und zweitens, die teilweise Angleichung der gesetzlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte zu erreichen.
Die Pläne mancher Bundesländer, die Zuständigkeit für sämtliche Zweige der Gerichtsbarkeiten in einem einzigen Ministerium zusammenzufassen und so die Landesjustizministerien zu sogenannten Rechtspflegeministerien auszubauen, sind bislang an der zwingenden gesetzlichen Regelung gescheitert,
14374 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Seehofer
daß die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte in das Ressort des jeweiligen Arbeitsministers fallen.
Der vorliegende Entwurf soll es den Ländern künftig freistellen, ob sie die Zuständigkeit für die Arbeitsgerichtsbarkeit wie bislang bei den Arbeitsministern belassen oder künftig auf die Justizminister übertragen. Da lediglich aus verfassungspolitischen Gründen die Organisationsfreiräume der Länder erweitert werden sollen, bleibt es für den Bund bei der bisherigen Regelung. Die Zuständigkeit für das Bundesarbeitsgericht und für das Arbeitsgerichtsgesetz liegt damit auch weiterhin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

(Frau Steinhauer [SPD]: Alles nur halbherzig!)

Ich füge hinzu, daß wir diese Zuständigkeit auch künftig gerne wahrnehmen.
Wir wissen, daß diese geplante Neuregelung der Ressortierung nicht unumstritten ist. Sie wird auch aus den Reihen der betroffenen Richter und Verbände in der Arbeitsgerichtsbarkeit kritisiert.

(Frau Steinhauer [SPD]: Mehr als kritisiert!)

Deshalb möchte ich noch einmal klarstellen: Der Grund für die Neuregelung ist nicht, daß sich die bisherige Zuordnung zu den Länderarbeitsministern nicht bewährt habe.

(Frau Steinhauer [SPD]: Ja, warum denn?)

Es geht nur darum, den Ländern aus verfassungspolitischen Gründen den gesetzlichen Freiraum für die Schaffung von Rechtspflegeministerien zu eröffnen.
Bereits nach geltendem Recht ist in bestimmten grundlegenden Fragen der Verwaltung und Organisation der Arbeitsgerichtsbarkeit eine Zusammenarbeit zwischen dem Arbeits- und dem Justizminister des jeweiligen Bundeslandes gesetzlich vorgeschrieben. Diese Regelung hat sich bewährt. Sie soll deshalb auch künftig beibehalten werden. Es gibt aber einen engen sachlichen Zusammenhang zwischen der arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Zuständigkeit der Arbeitsminister und der Verwaltungszuständigkeit für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Deshalb wird auch in den Ländern, die die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit zukünftig auf ihren Justizminister übertragen werden, dieser teils im Einvernehmen, teils im Benehmen mit dem jeweiligen Arbeitsminister seine neue Zuständigkeit wahrnehmen. Ich begrüße es ausdrücklich, daß bei den Ausschußberatungen des Bundesrates die Länder ganz überwiegend diese Auffassung geteilt und deshalb der im Regierungsentwurf vorgesehenen Einvernehmensregelung zugestimmt haben.
Der zweite wesentliche Punkt dieses Gesetzentwurfs betrifft die Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Berechnung verlängerter Kündigungsfristen. Je nach Maßgabe der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit gelten sowohl für Angestellte wie auch für Arbeiter verlängerte gesetzliche Kündigungsfristen. Bei der Berechnung dieser Beschäftigungsdauer wurden aber bei Angestellten bislang alle Zeiten nach der Vollendung des 25. Lebensjahres angerechnet, bei Arbeitern dagegen erst die Zeiten ab dem vollendeten 35. Lebensjahr.
Diese Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten wird durch diesen Entwurf ausgeräumt. Zukünftig sollen auch für Arbeiter alle Zeiten ab dem 25. Lebensjahr bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer berücksichtigt werden. Wir folgen damit einem Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts, das die bisherige Regelung als mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt hat.

(Frau Steinhauer [SPD]: Vor sieben Jahren!)

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dem vorliegenden Regierungsentwurf die Einbeziehung auch der in Heimarbeit Beschäftigten in diese Neuregelung der gesetzlichen Kündigungsfristen gefordert. Zu diesem frauen- und sozialpolitisch interessanten Vorschlag hat die Bundesregierung eine umfassende Prüfung im weiteren Gesetzgebungsverfahren zugesagt.
Die Frage einer Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im gesetzlichen Arbeitsrecht wird durch den vorliegenden Entwurf nur in dem Bereich neu geregelt, zu dem bis heute eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Hier handelt es sich um besonders schwierige Fragen. Wir alle — auch Sie, Frau Steinhauer; ich möchte das gleich vorsorglich sagen — haben seit den Zeiten der von Ihnen Mitte 1981 aufgelösten ArbeitsgesetzbuchKommission die Erfahrung machen müssen, daß der für die Gesetzgebung erforderliche sozialpolitische Konsens gerade in Fragen des gesetzlichen Kündigungsrechts nicht immer leicht zu erzielen ist.
Wir halten deshalb an unserem Grundsatz fest, daß nach der Klärung durch das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung die sich daraus ergebenden weiteren Konsequenzen für die gesetzliche Regelung prüfen wird.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118531800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1118531900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wir müssen uns heute mit einem völlig überflüssigen Gesetzentwurf der Bundesregierung beschäftigen,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften. Dieser Gesetzentwurf — wir haben das eben schon gehört — regelt in zwei Artikeln Problemfelder, die miteinander überhaupt nichts zu tun haben.
In Art. 1 sollen die Voraussetzungen für das Rechtspflegeministerium geschaffen werden. In Art. 2 wird das BGB geändert, weil das Bundesverfassungsgericht schon 1982 Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt hat, bei denen die Beschäftigungsdauer unterschiedliche Bedeutung für die Berechnung der Kündigungsfristen hat, je nachdem, ob es sich um Arbeiter oder Angestellte handelt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14375
Frau Steinhauer
Warum ist dieser Gesetzentwurf trotzdem überflüssig? Handlungsbedarf besteht seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1982. Aber erst jetzt wird die Regierungskoalition aktiv. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode genau wie in der letzten einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die längst überholten Ungleichbehandlungen von Arbeitern und Angestellten im Kündigungsrecht beseitigt werden sollten.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Unterschiedliche Kündigungsfristen, nämlich für Arbeiter 14 Tage und für Angestellte sechs Wochen zum Quartalsschluß, sind heute nicht mehr zu begründen. Zu einer berufsständisch gegliederten Gesellschaft mögen solche Unterscheidungen passen, zu einer modernen Industriegesellschaft aber keineswegs.

(Beifall bei der SPD)

Als unser Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode am 11. Mai 1989 in diesem Hause in der ersten Lesung debattiert wurde, haben Sie keine Zustimmung signalisiert. Wie so oft in der Vergangenheit haben Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, nur darauf hingewiesen, daß umfassende Prüfungen erforderlich seien. Jetzt, nach sieben Jahren, legen Sie uns die Reparatur in einem Randbereich vor, ohne das eigentliche Problem, nämlich die Angleichung der Kündigungsfristen anzugehen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Ja, schnell sind Sie immer nur dann, wenn es um die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten geht. Dann kann es gar nicht schnell genug gehen. Ich erinnere nur an die Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes vor einigen Wochen, an die Demontage des Betriebsverfassungsgesetzes, an § 116 und andere Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes.
Damit komme ich zu Art. 1 des jetzt zur Debatte stehenden Gesetzentwurfs, der Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes: eine wirklich überflüssige Änderung, denn niemand will sie. Die Länder wollen sie nicht, obwohl ihre Interessen doch angeblich gewahrt werden sollen, indem man ihnen die Möglichkeit der Umressortierung der Arbeitsgerichtsbarkeit einräumt. Die Arbeitsrichter wollen sie nicht, gleichgültig, ob sie in erster, zweiter oder dritter Instanz tätig sind. Die Verbände wollen sie nicht, seien es der DGB, der Deutsche Arbeitsgerichtsverband. Ja, offensichtlich ist nicht einmal der Bundesarbeitsminister davon überzeugt. Denn für das Bundesarbeitsgericht — das haben wir eben gehört — soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Zuständig bleibt auch nach diesem Gesetz der Bundesarbeitsminister.
Die Ablehnung aller, die von der Materie etwas verstehen, ist aber auch nur zu verständlich.
Die bestehende Zuordnung zu den Arbeitsministerien der Länder hat sich bewährt. Sie allein entspricht der Eigenart dieser Gerichtsbarkeit, die sich besonders in der verstärkten Mitwirkung der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter zeigt.

(Beifall bei der SPD)

Aus gutem Grund sind bei der Arbeitsgerichtsbarkeit — anders als in anderen Gerichtsbarkeiten — Abstimmungsverfahren mit den betroffenen gesellschaftlichen Organisationen vorgesehen. Deswegen haben die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Anhörungsrechte für die Vorbereitung gesetzlicher Regelungen zur Gerichtsorganisation — das bedeutet, an welchen Orten Arbeitsgerichte errichtet bzw. aufgegeben werden sollen — sowie zu der Abgrenzung der Arbeitsgerichtsbezirke. Das hat sich auf der kommunalen Verwaltungsebene sehr bewährt.
Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände werden angehört, bevor allgemeine Anordnungen erlassen werden, welche die Verwaltung der Arbeitsgerichte und die Führung der Dienstaufsicht über sie betreffen. Ohne ihre Anhörung kann die Bestellung der Vorsitzenden der Kammern der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte durch den Arbeitsminister nicht erfolgen.
Außerdem hat die bestehende Zuständigkeitsregelung dazu geführt, daß bei der Besetzung freier Arbeitsrichterstellen besonderes Augenmerk auf die notwendige arbeitsrechtliche Qualifikation gelegt wird. Da das Arbeitsrecht stärker als andere Rechtsgebiete durch Richterrecht geprägt ist, kann darauf auch in Zukunft nicht verzichtet werden.
Die Regierungskoalition hat sich dennoch schon in der Koalitionsvereinbarung auf etwas anderes verständigt, offensichtlich aus völlig sachfremden Erwägungen. Der Regierungskoalition ist nämlich die stärkere Mitwirkung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sei langem ein Dorn im Auge.

(Zuruf von der SPD: Leider wahr! — Bohl [CDU/CSU]: Wie können Sie so etwas behaupten?)

Sie wollen dieses bewährte Laienelement in der Arbeitsgerichtsbarkeit zurückdrängen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie sich das auf die Qualität der Rechtsprechung und besonders auf die Praxisnähe der Rechtsprechung auswirkt.
Man ist geneigt, die Koalition zu fragen: Will sie mit diesem Gesetz eine formaljuristischere, eine praxisfremdere und damit eine weniger soziale Rechtsprechung erreichen?

(Zuruf von der SPD: Ja, ja!)

Außerdem wollen Sie mit der Schaffung von Rechtspflegeministerien die Gerichtsbarkeiten untereinander durchlässiger machen. Gegen eine derartige Durchlässigkeit ist im Prinzip nichts einzuwenden. Doch zeigen die bisherigen Erfahrungen, daß der Wechsel von einer Gerichtsbarkeit zur anderen nicht unbedingt die Qualität der zu treffenden richterlichen Entscheidungen hebt. Es muß im Gegenteil befürchtet werden, daß die stärkere Öffnung der Arbeitsgerichtsbarkeit dazu herhalten soll, den Beförderungsstau
— etwa in der ordentlichen Gerichtsbarkeit — auf Kosten der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung aufzulösen. Daran kann ja wohl niemandem gelegen sein.

(Buschbom [CDU/CSU]: Ein bißchen frisch auf dem Gebiet!)

— Ich bin auf dem Gebiet nicht frisch. Ich habe im Arbeitsgericht sehr oft vor der „Theke" gestanden. Deshalb nehme ich für mich schon in Anspruch, etwas davon zu verstehen.
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Frau Steinhauer
Lassen Sie mich festhalten: Seit Inkraftreten des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953, also seit mehr als drei Jahrzehnten, und auch schon vorher fällt die Arbeitsgerichtsbarkeit in den Ländern in die Zuständigkeit der obersten Arbeitsbehörden, also der Arbeitsministerien.

(Andres [SPD]: Sehr richtig!)

Immer wieder gab es Bestrebungen von einzelnen, das zu ändern. Immer wieder ist von prominenten Wissenschaftlern und Richtern darauf hingewiesen worden, daß es dafür keine sachlichen Gründe gibt. Die Präsidenten der Landesarbeitsgerichte haben sich in ihrer 45., in ihrer 49. und zuletzt in ihrer 51. Konferenz in Wiesbaden im Jahre 1989 gegen eine beabsichtigte Umressortierung ausgesprochen. Der Bund der Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit hat sich dagegen ausgesprochen. Der Deutsche Arbeitsgerichtsverband, in dem die Vertreter der Richterschaft, der Sozialpartner, der Arbeitsrechtswissenschaftler und der Anwaltsvereinigungen vertreten sind, haben dasselbe getan. Der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Gewerkschaften sind ebenso wie die DAG gegen diese Vorhaben. Das gleiche gilt für die christlichen Gewerkschaften.

(Andres [SPD]: Genau so ist es!)

Nehmen Sie also Abschied von diesem insgesamt unsinnigen, überflüssigen Gesetzentwurf und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten zu. Sie haben Gelegenheit dazu; das Gesetz liegt ja schon längst im Ausschuß.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Volmer [GRÜNE])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118532000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.

Uta Würfel (FDP):
Rede ID: ID1118532100
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an diesen vorliegenden Entwurf eines Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetzes unter zwei Aspekten herangehen: einmal unter dem rechtspolitischen und zum anderen unter dem frauenpolitischen Aspekt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll den Ländern die Bildung von Rechtspflegeministerien ermöglicht werden. Ohne rechthaberisch sein zu wollen, möchte ich doch sagen, daß damit ein erster Schritt getan wird,

(Andres [SPD]: In die falsche Richtung!)

eine Forderung zu verwirklichen, die die FDP seit etwa 20 Jahren erhoben hat.
Wir sehen in einer solchen Maßnahme einen Schritt zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und der rechtsprechenden Gewalt. Auch sehen wir darin eine Verbesserung des Rechtsschutzes für den Bürger.

(Volmer [GRÜNE]: Wie war das: Verwässerung oder Verbesserung? — Frau Steinhauer [SPD]: Was? Waren Sie schon einmal im Arbeitsgericht?)

— Es hat immer wieder — leider vergebliche — Versuche, Frau Kollegin Steinhauer, gegeben, diese Forderung zu verwirklichen: Ich erinnere an die Gesetzesinitiative der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein in der 7. Wahlperiode,

(Andres [SPD]: Das verwundert uns nicht!)

an die Initiative der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in der 8. Wahlperiode

(Andres [SPD]: Das verwundert uns auch nicht!)

und den Antrag der Länder Berlin und SchleswigHolstein in der 10. Wahlperiode.

(Andres [SPD]: Auch das verwundert uns nicht!)

Natürlich sind wir als FDP froh darüber, daß der Bundesarbeitsminister nun wenigstens dazu bereit ist, den Bundesländern die Entscheidungsmöglichkeit zu eröffnen,

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Sehr richtig!)

auch die Arbeitsgerichtsbarkeit dem Justizministerium zu unterstellen. Sie können sich sicher vorstellen, daß wir hoffen, daß möglichst viele Bundesländer von dieser Regelung Gebrauch machen.
Wir sind sicher, Frau Kollegin Steinhauer, daß sich die Befürchtungen, die gegen den Entwurf auch von den Gewerkschaften vorgebracht werden, nicht bewahrheiten

(Frau Folz-Steinacker [FDP]: Wie immer!)

und daß dann auch der Bundesarbeitsminister bereit sein wird, der Bildung eines Rechtspflegeministeriums auf Bundesebene zuzustimmen.
Das war der rechtspolitische Aspekt.
Was die Diskriminierungstatbestände für Frauen betrifft, die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf nicht nur diskutiert, sondern auch aufgehoben werden müssen, möchte ich — ebenso wie Sie es getan haben, Frau Steinhauer — einen kleinen Rückblick geben: Allein auf Grund des Tatbestandes, daß Frauen Frauen sind, wurden sie beispielsweise noch vor wenigen Jahrzehnten ihr Vermögen los, sobald sie heirateten. Auch bei Scheidung hatten sie kein Anrecht auf das mit in die Ehe gebrachte Vermögen. Frauen durften bei Eheschließung ihren Namen nicht behalten. Frauen durften auch nicht berufstätig sein, wenn der Mann damit nicht einverstanden war, ja, er konnte sogar ein bestehendes Arbeitsverhältnis rechtskräftig kündigen. Und handelte es sich um eine Arbeiterin, so konnte der Mann sogar bestimmen, daß sie arbeiten gehen mußte.

(Frau Steinhauer [SPD]: Was haben Sie eigentlich für einen Gesetzentwurf gelesen?)

Richterinnen, also weibliche Richter, durften während der Nazizeit nicht berufstätig sein, und weibliche Beamte, also Beamtinnen, wurden nach Hause geschickt, sobald sie heirateten. Arbeiterwitwen erhielten keine Witwenrente, solange sie noch in der Lage waren, zu arbeiten.
Heute sieht es ja nicht viel besser aus, wenn ich das noch kurz sagen darf: Eine Frau, sofern Sie Katholikin ist, darf heute noch nicht als Pfarrerin Gottes Wort von
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14377
Frau Würfel
der Kanzel predigen. Im Verteidigungsfall dürfen Frauen nicht mit der Waffe das Vaterland verteidigen, und als Frau brauche ich bei vielen Kreditinstituten auch noch die Unterschrift des Ehemannes, wenn ich einen größeren Kredit beantrage.

(Andres [CDU/CSU]: Deswegen Arbeitsgerichtsgesetz!)

Für Frauen kommen bislang auch Berufe im Bauhauptgewerbe nicht in Frage, und Frauen dürfen nach wie vor nicht nachts arbeiten, sofern sie Arbeiterinnen sind.
Darauf, was die katholische Kirche macht, habe ich schon gar keinen Einfluß.

(Frau Steinhauer [SPD]: Aber es gibt Landesarbeitsgerichtspräsidentinnen!)

Darauf, daß Frauen in Zukunft das Vaterland mit der Waffe verteidigen dürfen, habe ich auch keinen Einfluß, jedenfalls keinen großen. Es ist auch nicht meine Sache, darüber zu entscheiden, wie es zukünftig bei den Kreditinstituten aussehen soll. Aber, Frau Steinhauer, wir müssen im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf darangehen, das bisherige Verbot für Arbeiterinnen, nachts zu arbeiten, aufzuheben.

(Beifall bei der FDP — Lachen bei der SPD)

Wir müssen auch darangehen, es Frauen zu ermöglichen, im Bauhauptgewerbe zu arbeiten. Ich werde mich daranmachen, das noch bis zur zweiten und dritten Lesung hinzubekommen.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU — Andres [SPD]: Damit eine Maurerin Arbeitsrichterin werden kann, Frau Kollegin? Das war wirklich eine scharfe Begründung! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das war eine Provokation!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118532200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warrikoff.

(Andres [SPD]: Jetzt bin ich gespannt, was Herr Warrikoff sagt!)


Dr. Alexander Warrikoff (CDU):
Rede ID: ID1118532300
Ich hoffe, daß ich Sie nicht enttäuschen werde. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz ist einiges gesagt worden. Wir sind der Ansicht, daß man die Arbeitsgerichtsbarkeit organisatorisch sehr wohl den Rechtspflegeministerien zuordnen kann, aber nicht muß. Deswegen meine ich, daß diese zusätzliche Gestaltungsfreiheit für die Länder — insofern gibt es hier einen kleinen Unterschied in der Betrachtungsweise — eine Sache ist, die nur gut sein kann. Die Länder, die das nicht wollen, müssen es ja nicht tun. Sie können es lassen. Es gibt Vor- und Nachteile. Insgesamt glauben wir, daß das eine vernünftige Regelung ist.
Was die Angleichung des Kündigungsrechts bei Arbeitern und Angestellten betrifft, so hat mich Ihre Aussage, Frau Kollegin Steinhauer, daß Sie das für überflüssig halten, etwas verblüfft, denn wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind auch Sie für diese Regelung; sie geht Ihnen nur nicht weit genug.

(Frau Steinhauer [SPD]: Das Gesetz liegt doch schon vor!)

— Wir machen etwas sehr Richtiges: Wir heben den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten auf einem sehr wichtigen Gebiet, nämlich bei der Anrechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf den Kündigungsschutz, auf. Wir müssen jedoch mit Verblüffung feststellen, daß die SPD dies für überflüssig hält. Im übrigen, Herr Staatssekretär, tun wir das nicht nur deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht das so beschlossen hat. Ich jedenfalls bin dafür, weil es insgesamt eine gute Sache ist.
Wir beabsichtigen, in den Ausschußberatungen über das Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz, das von der Bundesregierung eingebracht wurde, hinaus zusätzliche Themen anzusprechen. Frau Kollegin Würfel, Sie haben ja bereits ein wichtiges Gebiet angesprochen. Ihre Zusammenstellung, in der Sie den Nachholbedarf der Frauen aufgelistet haben, war ja äußerst eindrucksvoll. Ich muß mich darauf beschränken, darzulegen, was wir mit der geplanten Gesetzesänderung beabsichtigen.

(Andres [SPD]: Es hat Sie wohl erschlagen!)

— Ich war tief beeindruckt. Ja, das war gut. — Wie gesagt, ich möchte mich auf das beschränken, was wir vorhaben.
Wir müssen Abschied nehmen von überholten Bestimmungen, die die Arbeit von Frauen im Bauhauptgewerbe verbieten. Diese Vorschriften sind zum Teil über 50 Jahre alt. Sie waren damals — im Gegensatz zu den Beispielen, die Sie vorgetragen haben — auch durchaus vernünftig, und zwar einfach deshalb, weil die Arbeiten physisch so schwer waren — auch die Arbeitssicherheit war damals nicht so entwickelt, wie das heute der Fall ist — , daß es für Frauen damals aus gutem Grund nicht zumutbar war, als Maurerinnen, Dachdeckerinnen oder Tiefbauerinnen usw. zu arbeiten. Es fällt einem interessanterweise durchaus schwer, diese alten Männerberufe jetzt in ihrer weiblichen Form auszusprechen; ich stelle das soeben selber fest.

(Andres [SPD]: Sie füllen damit noch die Redezeit, Herr Dr. Warrikoff!)

Das hat sich jetzt geändert, und zwar — ich wiederhole das — wegen der Verbesserung der Arbeitssicherheit und der Arbeitstechnik.

(Andres [SPD]: Was sagen Sie zum Nachtarbeitsverbot für Beamtinnen?)

— Dazu wird es ganz sicher nicht kommen. — Ich habe auch gehört, daß die betroffenen Frauen dies wünschen, wobei es natürlich anachronistisch ist, wenn wir den Frauen im Rahmen einer Enquete „Frauen und Gesellschaft" einerseits den Zugang zu technisch-gewerblichen Berufen erleichtern wollen, andererseits jedoch an solchen Dingen festhalten.
Ich habe also gehört, daß die Frauen, die hiervon betroffen sind, dies ausdrücklich wünschen. Ich weise auch noch darauf hin, daß vor dem Hintergrund der Öffnung der Grenzen im Osten jetzt ganz praktischer Bedarf gegeben ist, weil die Frauen aus der DDR, aber auch aus anderen Ländern

(Andres [SPD]: Nachts bei uns arbeiten wollen!)

14378 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Warrikoff
— Herr Kollege Andres, Sie haben manchmal die Eigenschaft, an ernsten Punkten ganz ungeheuer heiter zu werden; ich habe Schwierigkeiten, das nachzuvollziehen, aber bitte —,

(Andres [SPD]: Sie begreifen das schon richtig!)

die dort z. B. als Maurerinnen oder Zimmererinnen tätig waren, dies auch hier tun wollen.
Wir haben ferner vor, medizinische Untersuchungen, die bei Lkw- und Busfahrerinnen vorgesehen sind, die, da sie nicht wirklich geschlechtsspezifisch begründbar sind, irgendwo einen diskriminierenden Charakter haben, in diesem Gesetz abzubauen.
Wir haben schließlich vor — jetzt machen wir etwas, meine Damen und Herren, wo sich die Gleichheit zugunsten der Männer auswirkt, oder auch nicht, das werden wir noch sehen — , den Hausarbeitstag für Frauen abzuschaffen. Das ist eine gesetzliche Regelung aus dem Jahre 1943, die in den 50er Jahren in verschiedenen Bundesländern aufgenommen wurde. Hier sind wir vom Bundesverfassungsgericht gehalten, Verfassungskonformität herbeizuführen. Wir werden das tun, indem winden Hausarbeitstag aufgeben.
Ich glaube, daß dieser Gesetzentwurf insgesamt eine gute Fortentwicklung unseres Arbeitsrechts darstellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Andres [SPD]: Das wundert uns nicht!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118532400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/5465 an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brück, Bindig, Dr. Ehmke (Bonn), Großmann, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Dr. Jens, Koschnik, Luuk, Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Wieczorek-Zeul, Wischnewski, Voigt (Frankfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verhandlungen über ein neues Abkommen EWG-AKP
— Drucksache 11/3738 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Verhandlungen über ein 4. AKP-EWG-Abkommen (Lomé IV)

— Drucksache 11/5935 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
Jeder kennt die Abkürzungen, und ich werde sie am späten Abend nicht übersetzen. Ich nehme an, es geht aus den Reden dann doch etwas klarer hervor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Vorlagen 45 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1118532500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über zwei Anträge. Der eine wurde von der SPD eingebracht und trägt das Datum vom 14. Dezember 1988. Der andere, der von CDU/CSU und FDP, trägt das Datum 30. November 1989. Beide befassen sich mit den Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten.
Im Antrag der SPD heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, daß bei den Verhandlungen für ein neues AKP-Abkommen folgende Grundsätze beachtet werden
Im Antrag der Koalitionsfraktionen, der, wie gesagt, ein Jahr später eingereicht worden ist, heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, daß bei den weiteren Verhandlungen insbesondere folgenden Belangen Rechnung getragen wird
Fast die gleichen Formulierungen!
Auch in den darauffolgenden Forderungen habe ich bei den Koalitionsfraktionen vieles entdeckt, was wir, die Sozialdemokraten, schon ein Jahr zuvor gefordert hatten.

(Dr. Solms [FDP]: Da sollten Sie stolz sein!)

— Ich finde es gut — das ist richtig — , wenn die Koalitionsfraktionen bei uns Sozialdemokraten abschreiben.

(Bohl [CDU/CSU]: Alwin, das kannst du aber nicht sagen!)

Das gilt nicht nur für die Deutschland- und Ostpolitik, das gilt auch für die Europapolitik und natürlich für die Entwicklungspolitik.

(Volmer [GRÜNE]: Das gilt überhaupt für Politik!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14379
Brück
Aber wenn sie schon abschreiben: Warum haben sie das nicht wenigstens früher getan?

(Volmer [GRÜNE]: Und fehlerfrei!)

Warum haben Sie nicht so rechtzeitig abgeschrieben, daß eine Debatte über diese Anträge noch einen Sinn gehabt hätte? Wir befassen uns heute mit Anträgen, die Forderungen für Verhandlungen stellen, die am 4. Dezember abgeschlossen worden sind, vier Tage nach Eingang des Koalitionsantrags. Morgen wird in Lomé das Abkommen unterzeichnet.

(Volmer [GRÜNE]: Noch eine Farce heute!)

Ursprünglich wollte ich den Präsidenten deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, die Anträge für erledigt zu erklären.

(Dr. Pick [SPD]: Sehr richtig!)

Dann aber kamen wir auf den Gedanken, daß es doch gut sei, sie an die in der Tagesordnung vorgeschlagenen Ausschüsse zu überweisen. Dort können sie dann als Material bei der Beratung des Ratifikationsgesetzes für das 4. Abkommen von Lomé dienen. Dann können wir dort in Ruhe den Inhalt des neuen Abkommens mit unseren Forderungen vergleichen, die, wie gesagt, wir Sozialdemokraten wenige Wochen nach Beginn der Verhandlungen vor einem Jahr gestellt haben, die Koalitionsfraktionen wenige Tage vor deren Abschluß.
Ich will heute noch einmal feststellen, was wir schon in unserem Antrag formuliert haben: daß sich nämlich die in den bisherigen Abkommen enthaltenen Formen der handels- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Grundsatz bewährt haben. Wir haben Forderungen nach Verbesserungen gestellt. Einige sind erfüllt, andere nicht. Ich will heute nicht in die Details gehen, jedoch einige Anmerkungen machen.
Wir Sozialdemokraten halten die vorgesehene Aufstockung des Finanzvolumens im entwicklungspolitischen Teil des Abkommens für nicht ausreichend. Natürlich weiß auch ich um Absorptionsprobleme in den AKP-Staaten. Natürlich bin auch ich der Auffassung, daß Kapital allein noch nicht von vornherein Entwicklung bedeutet. Die Aufstockung um 41 % nominal sieht von vornherein zwar recht beachtlich aus; nimmt man aber die Inflationsrate, die steigende Zahl der Mitgliedstaaten in Afrika, in Asien und in der Karibik und die steigende Einwohnerzahl in diesen Staaten, dann reduziert sich dieser Anstieg real schon sehr. Vergleicht man ihn mit dem Anwachsen des Bruttosozialprodukts in den europäischen Mitgliedstaaten, dann muß man zu der Feststellung kommen, daß die Aufstockung nicht ausreichend ist.

(Volmer [GRÜNE]: Sie ist knickerig!)

Schlimm ist auch die davon ausgehende negative Signalwirkung. Wir alle wissen, daß in den Entwicklungsländern die Sorge aufgekommen ist, daß wir Europäer sie vergessen werden, weil wir uns jetzt vorwiegend um die mittel- und osteuropäischen Länder kümmern würden. Deshalb frage ich mich heute immer noch, welcher Teufel die Koalitionsfraktionen geritten hat, als sie Mittel für Polen und Ungarn im Einzelplan 23, also im Haushalt des Entwicklungshilfeministers, eingestellt haben und nicht unserem Vorschlag gefolgt sind, diese Mittel im Einzelplan 60 auszuweisen. Das ist ein schlimmes Signal in Richtung Entwicklungsländer.
Deshalb wäre es auch besser gewesen, die Bundesregierung hätte sich nicht gegen eine stärkere Aufstockung der Finanzmittel im AKP-Abkommen gewehrt. Ich weiß es auf der anderen Seite durchaus zu würdigen, daß die Bundesrepublik zu den Staaten in der Europäischen Gemeinschaft zählt, die im Handelsbereich für mehr Liberalität eingetreten sind. Denn was nützt es, wenn wir auf der einen Seite bei Strukturanpassungen helfen, um den Entwicklungsländern zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen, auf der anderen Seite aber immer noch für manche Waren unsere Märkte verschließen?
Gewiß, im industriellen Bereich spielt das bei den AKP-Ländern keine Rolle. Aber was soll das, wenn jetzt gerade 100 Tonnen kleine Wintergurken importiert werden dürfen, umgerechnet auf die Einwohner der EG übrigens 0,3 g pro Kopf, oder in den Wintermonaten, vom 1. November bis zum 28. Februar, 1 500 Tonnen Erdbeeren? Ich weiß, daß das vor allem ein Problem der südeuropäischen Mitgliedstaaten ist. Aber ich denke, wir haben da auch unser Probleme im Norden der EG. Warum produzieren wir mit hohem Energieaufwand immer noch Tomaten unter Glas, die nach allem schmecken, nur nicht nach Tomaten? Übrigens: Deshalb kaufe ich sie auch nicht. Aber ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht wenigstens jetzt für Weihnachten Tomaten, die unter Glas in Holland oder auch in der Bundesrepublik gereift sind, kaufen sollte. Als Christbaumkugeln würden sie sich sicher gut eignen. Denn gut aussehen tun sie ja. Das ist nicht zu bezweifeln. Gut aussehen tun ja diese Tomaten unter Glas, nur — wie gesagt — sie schmecken nicht.
Damit komme ich zu einem anderen Punkt. Ich teile zwar nicht die Befürchtungen der Politiker in den Entwicklungsländern, daß der zu schaffende Binnenmarkt zusätzliche Probleme für sie bringen wird, also Probleme über die hinaus, die sie jetzt schon mit uns haben. Aber das Gerede von der Festung Europa sollte uns doch nachdenklich stimmen. Wir müssen alles tun, damit Europa eben nicht zu einer Handelsfestung wird — vor allem nicht zu einer gegenüber den Entwicklungsländern.
Weil wir über EG-Entwicklungspolitik reden, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal unsere Forderung nach Übertragung der Entwicklungspolitik auf die Gemeinschaft auch in diese Debatte einbringen. Ich denke, daß es sowohl entwicklungspolitisch als auch europapolitisch sinnvoll ist, der Gemeinschaft die Kompetenz für die Entwicklungspolitik insgesamt zu übertragen. Entwicklungspolitisch wäre das deshalb sinnvoll, weil es die Verwaltungen der Entwicklungsländer, die ja sehr oft überfordert sind, dann eben nur noch mit einer Verwaltung in Europa zu tun hätten. Die europapolitische Bedeutung liegt auf der Hand; die muß ich nicht erläutern. Entwicklungspolitisch wäre es auch deshalb sinnvoll, weil dann die Exportförderung, die mit der Entwicklungshilfe in den Mitgliedstaaten betrieben wird, entfallen würde, und dann so schlimme Dinge, wie sie jetzt in der deutschen Entwicklungspolitik — siehe letzte Ausgabe des
14380 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Brück
„Spiegel" — zu verzeichnen sind, unterbleiben würden. Entwicklungshilfe darf nicht zum Schmierstoff für den eigenen Export verkümmern.

(Beifall des Abg. Volmer [GRÜNE])

Welche Probleme man dann auch selbst bekommt, wenn man zuviel von diesem Schmierstoff einsetzt, kann man an der französischen Wirtschaft gut studieren. Ihr ist es nicht gut bekommen, daß ihr mit Entwicklungshilfe der Export in die Entwicklungsländer zu leicht gemacht worden ist. Sie hat Märkte in den Industrieländern verloren. Sie hat Wettbewerbsfähigkeit verloren. Deshalb ist das, was hier geschieht, auch ordnungspolitisch mehr als unvernünftig. Eine Übertragung der Entwicklungshilfe auf die Gemeinschaft würde hier Abhilfe schaffen. Dann könnte man keine engstirnige nationalstaatliche, an den Interessen der eigenen Wirtschaft orientierte Entwicklungspolitik mehr machen. Deshalb sollten wir Deutschen in der Europäischen Gemeinschaft auf eine gemeinschaftliche Entwicklungspolitik drängen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118532600
Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (CSU):
Rede ID: ID1118532700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brück, was Sie zum Zeitpunkt der heutigen Debatte gesagt haben, kann ich gar nicht bestreiten. Das ist richtig. Ich würde auf der anderen Seite aber sagen: Es handelt sich bei der Gesamtproblematik um ein Dauerproblem, und wir stehen auch noch vor der Ratifizierung.
Meine Damen und Herren, die bisherigen AKP-
EWG-Abkommen von Lomé I bis III haben den Dialog sowie die Zusammenarbeit zwischen EG- und AKP-Staaten auf politischem, wirtschaftlichem und soziokulturellem Gebiet erleichtert. Das erreichte Niveau gilt es zu wahren und durch kontinuierlichen Ausbau der Beziehungen weiter anzuheben. Wichtige Voraussetzungen sind die Festigung der Integration der Europäischen Gemeinschaft und enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen den AKP-Staaten.
Angesichts großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten der meisten AKP-Staaten, die durch Verschuldung, durch Bevölkerungswachstum und durch politische Entscheidungen wesentlich bestimmt werden, sind neue Akzente und Wege in der Entwicklungszusammenarbeit der EG mit den Vertragspartnern unumgänglich notwendig.
Der Finanzmittelzufluß für die jeweiligen LoméAbkommen hat eine beträchtliche Ausweitung erfahren, so daß die Möglichkeiten zwischen AKP und EG zunehmend erweitert werden konnten: Lomé I hatte ein Finanzvolumen von 3,4 Milliarden ECU, Lomé II eines von 5,6 Milliarden ECU, Lomé III eines von 8,5 Milliarden ECU, und nun sind für Lomé IV 10,8 Milliarden ECU zuzüglich 1,2 Milliarden ECU für Kredite der Europäischen Investitionsbank und 1,1 Milliarden ECU zur Unterstützung von Strukturanpassungsprogrammen des IWF vorgesehen.
Zur Handelspolitik ist festzustellen, daß auf Fertigwarenimporte aus den AKP-Staaten in die EG keine Zölle erhoben werden. Agrarprodukte können zu 95 % ohne Einfuhrbeschränkungen in die EG geliefert werden. Beschränkungen bestehen bei sogenannten sensiblen Produkten. Das sind solche, die auch im EG-Raum produziert werden und für deren Produzenten bei ungehindertem Import Nachteile befürchtet werden.
Die AKP-Staaten genießen bei diesen Produkten — Sie, Herr Kollege Brück, haben sie eben teilweise erwähnt: Zitrusfrüchte, Fleisch, Getreide — Präferenzregelungen und Handelsvorteile gegenüber dritten Anbietern. Diese Regelung soll die Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft in den AKP-Staaten fördern. Die Staaten können die günstigen handelspolitischen Bedingungen vor allen Dingen bei Industriewaren noch kaum nutzen. Der größte Teil ihrer Exporte besteht aus Rohstoffen. Die Produktion der verarbeitenden Industrie ist noch sehr gering, der Anteil verarbeiteter Produkte an den Ausfuhren praktisch unbedeutend. So ist — das möchte ich feststellen — die zollfreie Einfuhr von Industriewaren in die EG eher eine Chance für die Zukunft als ein Vorteil, den die AKP-Staaten gegenwärtig schon nutzen könnten. Lomé IV sollte großzügige Erleichterungen schaffen, was wir ja auch in unserem Antrag verlangen.
Zur Rohstoffpolitik ist zu sagen, daß das sogenannte STABEX-System das wichtigste Element des Abkommens ist. Dieses System zur Stabilisierung der Ausfuhrerlöse ist sicher zugleich der interessanteste Baustein des gesamten Lomé-Paktes. STABEX sichert Ausgleichszahlungen für Einkommensausfälle zu, die aus gesunkenen Rohstoffpreisen resultieren. Es werden nicht Rohstoffpreise künstlich gestützt; vielmehr werden direkte Haushaltshilfen gezahlt, womit Investitionen gefördert werden können, die die einseitige Abhängigkeit von bloßen Rohstoffexporten lindern können und die Diversifizierung für Halb- oder Fertigprodukte erleichtern sollen.
Die Praxis hat ergeben, daß die Finanzmittel für das STABEX-System bei weitem nicht ausreichen; hier ist eine Aufstockung der Mittel dringend erforderlich. In Lomé III standen nur 925 Millionen ECU für Ausgleichszahlungen zur Verfügung. Für Stabilisierungszahlungen werden keine Zinsen erhoben, aber die Transfers müssen zurückgezahlt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. In der Praxis werden nur selten Rückzahlungen geleistet. Die am wenigsten entwickelten AKP-Staaten sind ganz von Rückzahlungen befreit.
Auch dieses System sollte man für Lomé IV überdenken, und man sollte die Frage prüfen, ob nicht generell auf Rückzahlungen verzichtet werden könnte, ob also die Gesamtleistungen als Zuschüsse auszuweisen wären.

(Busch [SPD]: Steht alles in unserem Antrag!)

Bei einer solchen Regelung sollten Ausgleichszahlungen aber zweckgebunden werden, und zwar zur Verbesserung in Richtung auf Verarbeitung zur Halb- und Fertigfabrikaten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14381
Höfikes
Kritische Anmerkungen zum STABEX-System gelten vor allem der fehlenden Verwendungskontrolle und den kaum nachprüfbaren Statistiken. Zu bemängeln ist ferner, daß der größte Teil der Ausgleichszahlungen nur wenigen Ländern zugute kommt und auf eine kleine Zahl von Produkten konzentriert ist und daß die EG mit stark subventionierten Exporten ihrer Überschüsse an Nahrungsmitteln das Weltmarktpreisniveau drückt. Wenn dieser Zustand aufhören würde, wäre wahrscheinlich vielen Länder mehr geholfen als durch die bisherige Hilfe.
Der Mineralienfonds stellt bei Erlösausfällen für mineralische Rohstoffe — wie Kupfer, Kobalt, Mangan, Phospht, Bauxit, Zinn und Eisenerz — Mittel — bei Lomé III waren es 280 Millionen ECU — für Projekte im Rohstoffsektor bereit. Das Rohrzuckerprotokoll garantiert Exporteuren die Abnahme von jährlich immerhin 1,4 Millionen t Zucker zu EG-Preisen, die beträchtlich über den Weltmarktpreisen liegen. Einige Exporteure von Rindfleisch, nämlich Botswana, Kenia, Madagaskar und Swasiland, können bestimmte Mengen Rindfleisch in die EG liefern, wobei nur ein geringer Teil der sonst üblichen Abschöpfung erhoben wird.
Trotz vieler Vorzüge weist das Lomé-Abkommen auch fragwürdige Punkte auf. Kritisiert wird die Beschränkung des Geltungsbereichs. Kriterium für Vergünstigungen sollten nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region oder ehemaligen Kolonialmacht, sondern der Grad der Bedürftigkeit und die Notwendigkeit einer weltweiten Friedenspolitik sein. Die Entwicklungsländer Asiens wären zur regionalen Ausweitung wohl geeignet. Diese Frage sollte eine Erörterung wert sein. Ich weise auch auf die Aufnahme Namibias hin.
Welche Akzente wünschen wir?
Erstens. Um einen Beitrag zur Strukturanpassung in AKP-Staaten zu leisten, sollte die EG auch an der Finanzierung gesamtwirtschaftlicher Anpassungsstrategien mitwirken. Sektorbezogene Politik und Förderung einzelner Projekte reichen nicht aus.
Zweitens. Eng mit Globalkonzepten ist die Harmonisierung der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik verbunden. Es sollte eine bessere Geberkoordinierung stattfinden. Außerdem sollten verbindliche Regeln für Koordinierung der Entwicklungspolitik der einzelnen EG-Mitgliedstaaten gefunden werden. Vielleicht bieten sich hierfür Länderausschüsse und eine Bestandsaufnahme der Maßnahmen an.
Drittens. Nächste Forderung: Abbau des Protektionismus. Die „freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen" , zu denen Industrieländer die Entwicklungsländer im Rahmen von Lomé drängen, sind eine Belastung. Solche Vereinbarungen stehen nicht im Einklang mit den Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. Auch nichttarifäre Handelshemmnisse als Schutz vor unerwünschten Einfuhren nehmen immer mehr an Bedeutung zu. Auch die EG muß, meine ich, Anpassungsmaßnahmen durchführen, selbst wenn sie schmerzlich sind. Ich finde, der Protektionismus der EG ist ein Hindernis für Drittweltländer. Die EG-Agrarpolitik sollte hier zu Nachdenklichkeit anregen.
Viertens. Ein weiteres bedeutendes Kapitel ist die Schuldenkrise. Bereits bei Lomé III wurde berücksichtigt, daß hochverschuldete Entwicklungsländer, die nennenswerte Anpassungsmaßnahmen eingeleitet haben, mit Sonderprogrammen gefördert werden. Das Sonderprogramm des Wirtschaftsgipfels mit 100 Millionen ECU war gut gemeint, aber nicht ausreichend und bedarf der Aufstockung. Im Rahmen einer Strategie zur Bekämpfung der Schuldenkrise sollte besondere Aufmerksamkeit den afrikanischen Ländern südlich der Sahara gelten, in denen Verschuldung die Entwicklungsziele unwiderruflich in Frage zu stellen droht.
Fünftens. Eine Zwischen-Evaluierung wäre nach Ablauf der ersten Hälfte der Abkommenszeit sinnvoll, um Fehlentwicklungen schneller korrigieren zu können.
Sechstens. Was Vertragsart und -dauer anlangt, scheint sich unsere Forderung durchzusetzen, wonach ein Grundvertrag über eine längere Laufzeit, möglicherweise ohne Laufzeitbeschränkung, abgeschlossen werden sollte, in dem die bewährten Grundsätze festzuschreiben sind. Ein zweiter Vertrag — mit befristeter Laufzeit — sollte sich auf das Volumen der Hilfe beziehen.
Siebentens. Abschließend nenne ich die von uns geforderten und zu berücksichtigenden Schwerpunkte: a) Verbesserung der gesundheitlichen Rahmenbedingungen, vor allem der Bekämpfung der tödlichen AIDS-Seuche ; b) Stärkung der Rolle der Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit; c) Einbeziehung umweltpolitischer Überlegungen in die Entwicklungspolitik, wobei die Bekämpfung von Wüstenbildung und die Aufforstung im Vordergrund stehen sollten; d) die konsequente Verankerung der Menschenrechte; und auch in punkto Bevölkerungspolitik wird die Gemeinschaft auf konkrete und nachdrückliche Beschlüsse in der paritätischen AKP-EWG-
Versammlung zu drängen haben. Damit komme ich zum Schluß. Ich glaube, Lomé IV ist ein wichtiges Instrument, mit dem wir der Herausforderung begegnen müssen und die unser Bundespräsident wie folgt beschreibt:
Wir alle werden vor der Geschichte schuldig werden, wenn wir nicht unsere Kräfte anstrengen, die eine Welt zu schaffen, in der es keine Erste, Zweite, Dritte und Vierte mehr gibt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118532800
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118532900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir vor fünf Jahren hier über Lomé III geredet haben, haben auch wir GRÜNEN diesem Abkommen trotz einiger Bedenken zugestimmt. Lomé IV, so wie es nun vorliegt, entspricht nicht den Hoffnungen, die bei den Verhandlungen über Lomé III geweckt worden sind. Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Verschlechterung der Lage der Entwicklungsländer und den Kompensationsmöglichkeiten und Fazilitäten in dem neuen Abkommen. Man kann vielleicht sogar noch schlimmer sagen: Das Ab-
14382 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Volmer
kommen macht nun die Zustimmung zu IWF-Weltbank-Strukturanpassungsmaßnahmen zur Voraussetzung für die Hilfe. Über Strukturhilfen, die in dem Abkommen selber angesiedelt sind, können einige Auswirkungen abgemildert werden. Das heißt, praktisch alle eigenständigen Entwicklungswege; so sie in den AKP-Staaten noch existieren, werden gekappt. Die AKP-Staaten müssen sich bestimmten Weltmarktstandards unterwerfen. Der AKP-Sekretär Carrington drückte das so aus: Statt Präferenz wird nun Konkurrenz gefordert. — Diese Konkurrenz wird von denselben EG-Ländern gefordert, die auf der anderen Seite ihren Markt vor Importen aus Drittweltländern abschotten.
Der EG-Binnenmarkt wird diese Problematik noch verschärfen. Da habe ich eine etwas andere Auffassung als der Kollege Brück. Ich möchte einige Stellungnahmen von Wirtschaftsinstituten dazu zitieren.
Karl Wolfgang Menck vom HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg sagt dazu z. B., daß die Drittweltländer sich gegen Konkurrenten behaupten müßten, „die ihre Durchsetzungsfähigkeit auf dem europäischen Binnenmarkt durch die davon ausgehenden Rationalisierungseffekte erhöht haben".
Ähnlich vermutet Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, „daß Drittländer in einem Binnenmarkt vor nicht kleineren Problemen stehen werden".
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung befürchtet:
Die Gefahr ist groß, daß die EG ihre durch den Binnenmarkt gestärkte Marktmacht dazu einsetzt, ihre Wünsche nach Exportdrosselung bei einzelnen Entwicklungsländern wirksam durchzusetzen.
Dies sind alles Zitate aus einem Rundbrief „Weltwirtschaft und Entwicklung".

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118533000
Herr Abeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118533100
Bitte.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1118533200
Auch wenn es richtig ist, daß natürlich auf dem Binnenmarkt z. B. Länder wie Japan es leichter haben werden als die Entwicklungsländer, würden Sie mir nicht trotzdem zustimmen, daß die Vereinheitlichung der Normen, beispielsweise in der Europäischen Gemeinschaft, also die Schaffung einer Norm, es auch den Entwicklungsländern leichter machen wird, Zugang auf dem europäischen Markt zu finden?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118533300
Das kommt ganz darauf an, wie die Normen abgefaßt werden. Ich kann mir vorstellen, daß Normen durchaus so abgefaßt werden, daß diese Standards von Entwicklungsländern nicht ohne weiteres erreicht werden können. Gerade als jemand, der sich sehr intensiv für ökologische Standards etwa bei Produkten einsetzt, muß ich die Frage stellen, ob es nicht so etwas wie einen Öko-Protektionismus geben wird. Was passiert z. B. mit Tee-Einfuhren, wenn bestimmte Umweltstandards gefordert werden, etwa daß Tee nicht DDT-haltig sein darf. Was passiert dann mit Importen? Das ist eine ganz große Problematik. Auf die wollten wir nur hinweisen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wo das jetzige Abkommen unzureichend sein wird, ist: Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig das STABEX-System ist. Dem haben wir vor fünf Jahren auch zugestimmt. Es läßt sich aber ausrechnen, daß allein der weitere Verfall der Kaffeepreise — und der liegt ja in der Luft — das STABEX-System vollständig ruinieren wird. Da muß ganz dringend aufgestockt werden, damit dieses Instrument überhaupt noch erhalten bleibt.
Was also die jetzige Konstruktion, die jetzige Vorlage des Abkommens angeht, ziehen wir die gleiche Konsequenz wie die Nichtregierungsorganisationen der deutschen Entwicklungspolitik, die das in einem Memorandum getan haben. Sie sagen, daß die mit Lomé verknüpften Erwartungen in Lomé IV nicht erfüllt worden sind und dies angesichts der zusätzlichen Gefahren für die Drittweltländer, die von den GATT-Verhandlungen ausgehen, und sie bemängeln — dem schließen wir uns an —, daß die Drittweltländer gezwungen werden, um in den Genuß der Fazilitäten aus dem Abkommen zu gelangen, sich vorher IWF-und Weltbank-Strukturanpassungsmaßnahmen anzuschließen. Dies ist so nicht akzeptabel. Wir fordern statt dessen mit den Nichtregierungsorganisationen, daß die Verknüpfung der Leistungen aus dem Europäischen Entwickungsfonds mit Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank abgelehnt werden sollen und daß die EG umgekehrt die ursprünglichen Ziele der AKP-Abkommen in die Diskussion bei IWF und Weltbank einbringt. Die EG soll ferner die Schulden für alle assoziierten Staaten erlassen, und sie muß ihre gemeinsame Agrarpolitik so umbauen, daß faktisch kein Protektionismus mehr stattfinden kann.
Diesen Zielen kommt das jetzige Abkommen nicht entgegen. Deshalb stimmen wir den Nichtregierungsorganisationen zu, wenn sie sagen, daß dieses Abkommen nicht als Modell für eine neue Partnerschaft zwischen Nord und Süd gelten kann.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118533400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Walz.

Ingrid Walz (FDP):
Rede ID: ID1118533500
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Frage ist erlaubt: Ist Lomé IV ein Wechselbalg oder ein Meilenstein der Entwicklungspolitik? Die einen sprechen nämlich von einem neuen Kolonialismus, die anderen von einer Parität der Partnerschaft. Wieder andere würden die Dritte Welt am liebsten sich selbst überlassen, dies vor allem vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in Europa.
Trotz Skepsis gegenüber der Wirkung der vorhergehenden Abkommen, die wahrscheinlich Schlimmstes verhütet haben, wird mit Lomé IV auf jeden Fall von einer Geber-Nehmer-Philosophie alter Prägung Abschied genommen. In dem neuen Abkommen wird partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Feldern for-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14383
Frau Walz
muliert, die nicht nur für die Länder der Dritten Welt, sondern auch für uns, also weltweit, von Bedeutung sind. Beispielhaft werden in diesem Abkommen traditionelle Inhalte von Entwicklungspolitik mit den Vorteilen von Handelsbeziehungen verbunden, und auch die Wahrung der Menschenrechte wird in den Mittelpunkt dieses Vertragswerkes gestellt.
Meine Damen und Herren, Ursachen und Wirkungen von Fehlern der Entwicklungspolitik im Zusammenhang mit unterlassenen Eigenanstrengungen haben zu strukturellen Problemen vieler Volkswirtschaften in den Staaten der Dritten Welt geführt. Lomé IV ist ein Vertragswerk — wir hoffen es wenigstens —, das die Mobilisierung von Marktkräften und Eigeninitiative sowie die Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Inhalt haben muß.
Der Ausbau des privaten Sektors, der bisher eigentlich von niemandem angesprochen wurde, sowie die Schaffung eines guten Investitionsklimas sind nämlich Voraussetzung für eine sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung.

(Beifall bei der FDP)

Wie wir wissen, bedarf es dazu einer Vielzahl kleiner privater Initiativen. Wir werden das in den nächsten Monaten in den Staaten des Ostblocks erleben. Denn nur dort, wo der einzelne privatwirtschaftlich tätig werden kann, werden Kapital und Know-how auch optimal eingesetzt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nur dort, wo privatwirtschaftliche Kooperation den Austausch von Gütern und Dienstleistungen bestimmt, zeigt sich wirkliche nachhaltige Entwicklung.
Die Absicht, künftig im industriellen Bereich verstärkt kleinere und mittlere Unternehmen zu fördern, ist deshalb nachdrücklich zu unterstützen. Dazu zählen auch Diversifizierungsmaßnahmen und das Angebot, die Exportpalette zu erweitern.
Meine Damen und Herren, ein entscheidender Durchbruch für eine weitergehende Liberalisierung des Welthandels kann jedoch nur von einem erfolgreichen Abschluß der laufenden GATT-Verhandlungsrunde erwartet werden. Die Europäische Gemeinschaft muß dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Dieselben Hoffnungen knüpfen sich auch an die Vollendung des europäischen Binnenmarktes.
Ein wichtiger Aspekt dieses Abkommens ist die zwar kurz, aber präzis beschriebene Rolle der Frauen im Entwicklungsprozeß. Wie Sie wissen, hängt von der Einsicht, von der Stärke und von dem Wirtschaften der Frauen in der Dritten Welt nicht nur die Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch eine erfolgreiche Bevölkerungspolitik ab. Bisher wurde die Rolle der Frau im weltweiten Geschehen als untergeordnet betrachtet. Dies hat sich, wie wir wissen, gerächt und macht jetzt große Anstrengungen nötig, um entscheidende Faktoren der Unterentwicklung zu beseitigen.
Der Schutz von Umwelt und natürlichen Ressourcen hat einen besonderen Stellenwert erhalten. Dabei sollen Initiativen zur Erhaltung tropischer Wälder, eine systematische Einbeziehung des Umweltschutzes und die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen bei der Projektbeurteilung erfolgen. Dies ist angesichts der mit den Problemen verbundenen globalen Auswirkungen auch dringend geboten. Allerdings werden sich bei der Lösung dieser Probleme nur dann Erfolge einstellen — ich muß das noch einmal sagen — , wenn die dafür maßgebenden Ursachen erkannt und beseitigt werden.
Hierzu bedarf es auch einer Zusammenarbeit im Energiesektor; wir haben das in unseren gemeinsamen Antrag hineingeschrieben. Es wird um die Hilfe bei der Erschließung und Nutzung umweltverträglicher erneuerbarer Energiequellen sowie um die Energieeinsparung und um die Verbesserung der Energieeffizienz gehen.
Meine Damen und Herren, das neue Abkommen sieht ein Gesamtfinanzvolumen von 12 Milliarden ECU vor. Dem Vernehmen nach war der Finanzpoker erheblich und hat dem Feilschen auf Märkten geglichen. Wir sind jedoch der Auffassung, daß die jetzt gefundene Ausstattung dem Bedarf entspricht, der sich aus der Intensivierung der Zusammenarbeit und den neu hinzugekommenen Aufgaben ergibt.
Stellvertretend für meine Fraktion begrüße ich das Zustandekommen dieses Vertrages, der wesentliche Verbesserungen beinhaltet. Ich darf in diesem Zusammenhang besonders die Rolle von Frau Staatsministerin Dr. Adam-Schwaetzer hervorheben, die morgen zur Unterzeichnung des Abkommens in Lomé ist. Ich bedaure sehr, daß sie deshalb nicht hier sein kann.
Gleichzeitig möchte ich auf eine bisher noch nicht realisierte Forderung hinweisen; Sie, Herr Brück, haben sie angesprochen. Es geht dabei um die Übernahme des Europäischen Entwicklungsfonds in den Haushalt der Gemeinschaft. Dies scheint nicht nur auf Grund der gewachsenen Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Entwicklungspolitik geboten, sondern auch im Interesse einer weiteren Kompetenz des Europäischen Parlamentes.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118533600
Frau Kollegin, würden Sie bitte auf die Lichtsignale achten.

Ingrid Walz (FDP):
Rede ID: ID1118533700
Jawohl.
Wir meinen, Lomé IV schafft die Grundlage für die weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den EG-Staaten und den AKP-Staaten in den 90er Jahren. Ziel wird die Bewältigung unserer gemeinsamen globalen Probleme sein. Damit ist Lomé IV nicht ein Wechselbalg, sondern, wie wir meinen, ein Meilenstein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118533800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1118533900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, Frau Kollegin Walz, hätte die Kollegin Adam-Schwaetzer es sich nicht nehmen lasen, das Fähnlein der vierzehn Getreuen bei dieser Aussprache heute persönlich zu begrüßen,
14384 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Warnke
wenn sie sich nicht auf dem Weg nach Lomé befände.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Wir danken!)

Wenn es einen Grund gibt, daß das britische Beispiel, nämlich die Figur des „house in committee" — das Haus tagt als Ausschuß —, übernehmenswert erscheint, dann ist es unser Treffen heute abend hier. Ich danke Ihnen, daß Sie Interesse und Teilnahme an der großen weltweiten Entwicklungszusammenarbeit bekunden.
Wenn es, meine Damen und Herren, eines Beweises bedarf, daß die morgige Unterzeichnung ein Signal zur rechten Zeit ist, dann möchte ich das Stichwort „europäischer Binnenmarkt 1992" nennen. Lomé beweist: Europa bleibt für die Dritte Welt offen. Die Europäische Gemeinschaft ist sich auch weiterhin ihrer Verantwortung für das Schicksal der Menschen in den Entwicklungsländern bewußt.
Zum Stichwort „Reformbewegungen in Mittel- und Osteuropa". Lomé IV beweist: Hilfe für Mittel- und Osteuropa geht nicht auf Kosten der Entwicklungshilfe. Das Gegenteil ist wahr. In den nächsten fünf Jahren wird die Gemeinschaft den AKP-Staaten 12 Milliarden ECU für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zur Verfügung stellen. Dies ist eine Steigerung von nominal 40 %; es ist eine Steigerung von real 20 %. Dies wurde zum gleichen Zeitpunkt beschlossen, in dem sich die Gemeinschaft zu einer kraftvollen Hilfe für die Länder Mittel- und Osteuropas bereit erklärte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit diesem Zuwachs wird auch dem Beitritt neuer Mitglieder, der Dominikanischen Republik und Haitis, Rechnung getragen. Wir alle hoffen — und die Signale stehen über die Erwartung gut — , daß auch Namibia in kurzer Zeit dazugehören wird.
Die Bundesrepublik Deutschland wird sich mit 5,8 Milliarden DM an der Finanzierung des nächsten Europäischen Entwicklungsfonds beteiligen. Wir bleiben damit auch bei Lomé IV die größten Geber.
Mit dem vierten Abkommen von Lomé werden neue entwicklungspolitische Herausforderungen aufgegriffen. Ich möchte vier Beispiele hervorheben.
Der Schutz und die Wiederherstellung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen werden als Querschnittsaufgabe der Entwicklungspolitik erfaßt.
Erstmalig werden umfassende Mittel für die Unterstützung von Strukturanpassungsmaßnahmen in den AKP-Ländern vereinbart. Es sind insgesamt weit über eine Milliarde ECU, also mehr als 10 % der Mittel, die für den europäischen Entwicklungsfonds vorgesehen sind. Daß wir damit und mit den Bemühungen, die über Weltbank und Währungsfonds unternommen werden, Entwicklungshilfe aus einem Guß schaffen, ist ein Aktivposten und kein Nachteil von Lomé IV.
Wir haben die Rolle der nichtstaatlichen Akteure, insbesondere des Privatsektors, im Entwicklungsprozeß betont. Die Förderung privater Unternehmer, d. h. besonders der kleinen und mittleren Unternehmer, wird unter Lomé IV eine wesentliche Bedeutungssteigerung erhalten.
Wir haben schließlich im neuen Abkommen den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt aller Entwicklungsanstrengungen gestellt. Erstmals — bei Lomé III war uns das nicht gelungen — wird auch rechtsverbindlich festgehalten: Entwicklung und Achtung der Menschenrechte bedingen einander.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, so wichtig Transfers für Entwicklungshilfe sind und so sehr viele dem Irrtum unterliegen, sie seien das Herzstück der Entwicklungshilfe: Wichtiger ist es, daß wir im handelspolitischen Bereich Bremsklötze wegziehen, die es den Menschen in den Ländern der Dritten Welt erschweren, wenn nicht unmöglich machen, Früchte ihres eigenen Fleißes auch zu ernten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei Lomé wird der Marktzugang für Agrarprodukte verbessert. Sicher reifen nicht alle Blütenträume. Bei der Lockerung der Ursprungsregeln oder bei der Erhöhung der Kontingente für bestimmte Erzeugnisse gibt es Verbesserungen. Das Ergebnis: Heute sind 95 % der Importe der Gemeinschaft aus den AKP-Staaten liberalisiert. Diesen Weg werden wir weitergehen.
Eine Festung Europa, Herr Kollege Brück, gibt es eben nicht im Zeichen vom Lomé IV, wo Schranken gegenüber dem europäischen Markt zwar nicht restlos beseitigt, aber doch erheblich verringert werden.
Das System zur Stabilisierung der Erlöse aus Rohstoffexporten wird ebenfalls in zweifacher Hinsicht fortentwickelt. Daß die Bundesregierung einen eigenen Anlauf unternehmen wird, im neuen Jahr das Weltkaffeeabkommen wiederherzustellen, ist eben ganz maßgeblich auch auf den Bereich der afrikanischen Kaffeeanbauer abgestellt, die vom Zusammenbruch des Abkommens und der Preise am härtesten betroffen worden sind.
Meine Damen und Herren, wir haben mit Lomé IV den Rahmen und die Instrumente bereitgestellt, die zur Bewältigung der entwicklungspolitischen Herausforderungen in den AKP-Staaten bis zur Jahrtausendwende nötig sind.
Die Anregung des Kollegen Höffkes, einen Rahmen zu beschließen, der über den fünfjährigen Turnus hinausgeht, wird in Lomé IV verwirklicht. Wir werden außerhalb des Finanzteiles eine Zehnjahresdauer haben. Das nimmt allen den Wind aus den Segeln, die uns vorwerfen, Europa sei das Hemd näher als der Rock.
Lomé IV beweist: Die Gemeinschaft der Zwölf in Europa ist und bleibt ein verläßlicher Partner der Dritten Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118534000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge auf den Drucksachen 11/3738 und 11/5935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14385
Vizepräsident Westphal
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Einrichtung eines Umwelt-Swings und Umwelt-Fonds zur Minderung grenzüberschreitender Emissionen durch DDR-Kraftwerke
— Drucksachen 11/3661, 11/6094 — Berichterstatter:
Abgeordnete Harries Stahl (Kempen)

Dr. Knabe
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Herr Bohl, Sie wollen zur Geschäftsordnung sprechen?

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118534100
Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118534200
Bitte schön.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118534300
Herr Präsident! Nach der ausgedruckten Tagesordnung ist die Beratung des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung aufgerufen. Der von Ihnen vorgelesene Antrag ist nicht auf der ausgedruckten Tagesordnung.
Ich würde aber unter einer gewissen Bedingung — wenn ich es so formulieren darf — den Antrag stellen, den Bericht selber auf die Tagesordnung zu nehmen, weil dieser Bericht gestern im Umweltausschuß behandelt worden ist. Es wäre natürlich ein bißchen merkwürdig, wenn wir jetzt den Zwischenbericht nach § 62 Abs. 2 aufrufen, obwohl der Umweltausschuß gestern in der Sache entschieden hat.
Deshalb lautet mein Antrag, die Empfehlung und den Bericht des Ausschusses auf die Tagesordnung zu nehmen.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Der Bericht liegt nicht schriftlich vor!)

— Er liegt nicht schriftlich vor.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Er müßte nach der Geschäftsordnung verlesen werden!)

— Bleib doch einmal ganz ruhig. — Ich wäre also bereit, diesen Antrag unter der Bedingung zu stellen, daß das Haus damit einverstanden ist und keine verfahrensmäßigen Bedenken dagegen bestehen.
Werden dagegen verfahrensmäßige Bedenken erhoben, dann ist es nur möglich, den Bericht gemäß § 62 Abs. 2 aufzurufen. Dann können wir in der Sache aber nicht abstimmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118534400
Das heißt, wir wollen zu später Stunde die Tagesordnung ändern. Den Vorschlag dazu hat Herr Bohl gemacht. Es geht darum, einen Ausschußbericht zu behandeln und nicht einen Zwischenbericht gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung. Stimmt das Haus dem zu? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann dürfen wir so verfahren. —
In meinen Vorlagen steht allerdings, daß der Bericht vorliegt. Aber alles in Ordnung: Sie haben das mit Recht beanstandet. Wir können nicht über eine Tagesordnung verhandeln, die nicht mehr zutrifft. Das haben wir nun geändert.
Ich kann die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118534500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Umweltswing und Umweltfonds sind zwei wichtige Schritte zum grenzüberschreitenden Umweltschutz mit der DDR. Die beginnende Offenlegung der Umweltdaten in der DDR nach dem Sturz der absoluten SED-Herrschaft haben in erschreckender Deutlichkeit das Ausmaß der Umweltzerstörung sichtbar werden lassen. Erst jetzt brachte das Fernsehen die Bilder der verfallenden Städte, der verdreckten Flüsse und der abgestorbenen Wälder. Aber kein Fernsehbild kann die dreckige Luft simulieren, die die Menschen in den ökologischen Katastrophengebieten oder verrotteten Industrieanlagen einatmen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dank vieler Basiskontakte war den GRÜNEN der Ernst der Umweltlage schon früher bewußt. Aus diesem Grunde haben wir unter Ausnutzung auch früherer Gutachten für die AL Berlin und verdienstvoller wissenschaftlicher Arbeiten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung — DIW — und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung — IOW — vor mehr als einem Jahr diesen Antrag „Umweltswing und Umweltfonds" in den Bundestag eingebracht. Der Antrag ist nach wie vor hochaktuell. Wenn gestern im Umweltausschuß darauf verwiesen wurde, daß er ja schon ein Jahr alt und damit überholt sei, ist das reiner Hohn; denn dieselben Personen haben eine frühere Behandlung bis heute verhindert.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Richtig!)

Die DDR kann ihre Umweltprobleme nur durch einen ökologischen Umbau der Wirtschaft lösen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Uraltanlagen müssen stillgelegt, effiziente, umweltfreundliche Neuanlagen müssen gebaut werden. In Betrieben und Haushalten müssen die Folgen der Energieverschwendung für jeden einzelnen und für die Gesamtheit klargemacht werden, um den Willen zur Umgestaltung zu wecken.
Aber der gute Wille, die Motivation allein tun es nicht. Die DDR hat gut ausgebildete Fachleute. Sie kann ihre Organisation dezentralisieren, so daß der Entscheidungsträger die Folgen der Entscheidung unmittelbar spürt und von den Kollegen und Anwohnern und Anwohnerinnen seines Betriebes unmittelbar angesprochen werden kann. Aber auch das reicht noch nicht.
Es müssen Mittel in der Wirtschaft der DDR freigesetzt und Devisen aus dem Westen beschafft werden. Hier haben wir eine Riesenchance und gleichzeitig eine Riesenaufgabe. Auch im eigennützigsten Interesse jedes Westdeutschen und West-Berliners sollten
14386 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Knabe
wir helfen; denn Luftverschmutzung kennt keine Grenzen. Das hat selbst schon Herr Töpfer begriffen.
Die GRÜNEN haben zwei Instrumente zur Unterstützung der DDR angeboten: einen Umweltfonds in Form von Zuschüssen, um z. B. DDR-Kraftwerke zu modernisieren und mit Rauchgasreinigungsanlagen und Entstickungsanlagen auszurüsten, um unmittelbar die Immissionsbelastung West-Berlins und der grenznahen Gebiete zu mindern; zweitens einen Umweltswing, um Schwung in eine Gesamtmodernisierung des DDR-Kraftwerkparkes zu bringen.
Die Fondslösung hat einen großen Vorteil gegenüber den bisher behandelten Einzelprojekten: Sie schafft ein Verfügungspotential, aus dem nach Prioritäten gestaffelt der Umbau der Energiewirtschaft begonnen werden kann. Und in Gestalt des Swings wird ein Schwungriemen, ein Schwungrad geschaffen, um den ökologischen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben. Dabei kann dieser Swing durchaus mit einer Klausel zur degressiven Abschreibung versehen werden, die bei allen Projekten greift, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Westen und Osten passiert haben.
Bei der ersten Lesung des Antrages wurden die GRÜNEN wegen weit überzogener Forderungen kritisiert. Heute will Herr Minister Töpfer selbst fast 1 Milliarde DM für Umweltprojekte in der DDR ausgeben. Im gleichen Atemzug sagt er, daß diese Summe bei weitem nicht ausreicht, um eine Sanierung einzuleiten. Also was soll dann das Geziere?
Wir fordern die anderen Parteien auf, zu sagen: Dieser Antrag entspricht unserer Absicht, den grenznahen Umweltschutz als erstes zu verbessern und darüber hinaus Impulse für eine Sanierung der DDR-Energiewirtschaft zu geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das wäre gleichzeitig ein Signal der Hoffnung an die Menschen in der DDR, daß sich bald etwas bessert.
Sie können einer Zustimmung der DDR gewiß sein, wenn klar ist, daß sich jede investierte Million durch die enorme Energieeinsparung bereits in Kürze amortisiert haben wird. Nichts wirkt besser als der Erfolg.
Es gibt keinerlei Grund, diesen Antrag abzulehnen. Es gäbe nur einen Grund, die genannte Fondssumme wesentlich aufzustocken. Aber mit den 2 Milliarden DM anzufangen wäre dringend geboten.
Deshalb lehnen wir die negative Beschlußempfehlung des Umweltausschusses zu diesem Antrag eindeutig ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118534600
Das Wort hat der Abgeordnete Harries.

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1118534700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der GRÜNEN ist nicht nur prüfenswert, er geht inhaltlich absolut in eine richtige Richtung. Nur ist er durch die dramatische Entwicklung der letzten Monate überholt.
Das angebotene Instrumentarium — Umweltswing und Umweltfonds — halten wir nicht für das effektive und geeignete finanzielle Mittel, um das zu tun, was die Umwelt braucht.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Sehr gut!)

In der inhaltlichen Konzeption gehen Sie nicht weit genug. Auch darüber ist die Zeit hinweggegangen.

(Such [GRÜNE]: Das ist doch Unsinn!)

Umweltminister Töpfer — jeder von uns weiß es — hat heute in der DDR verhandelt, und zwar erfolgreich. Er hat die Zahl der Projekte, die er bereits im Sommer dieses Jahres mit der DDR abgesprochen hat — damals waren es sechs — , um elf erweitert. Das ist genau der richtige Schritt in die richtige Richtung und geht über den Bereich, den Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, vorgeschlagen haben, den Energiebereich, weit hinaus; und das halten wir für richtig.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Also, „bei weitem" nicht!)

Wir halten es für richtig und begrüßen es ausgesprochen, daß er auch mit den Vertretern der neuen Opposition in der DDR verhandelt, gesprochen und sich abgestimmt hat.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das hat er bei uns gelernt!)

Die Projekte, die der Umweltminister mit der DDR abgesprochen hat, werden — Sie haben es gesagt, Herr Kollege Knabe — etwa eine Milliarde DM kosten. Das erhöht sich um die Summe, welche die DDR nach den Absprachen, die der Umweltminister getroffen hat, dazu noch gegenhalten muß. Das ist der Einstieg. Das ist der Anfang.
Meine Damen und Herren, wir hatten gestern mit dem Umweltausschuß — Sie waren teilweise beteiligt — eine sehr interessante Diskussion mit Vertretern von Umweltverbänden von drüben, mit Vertretern, die unterschiedlichen politischen Gruppierungen angehört haben,

(Zuruf von der SPD: Ein sehr nützliches Gespräch!)

die aber in der Beurteilung der Umweltsituation und der Umweltsorgen voll einer Meinung waren. Sie haben übereinstimmend darauf hingewiesen, daß es in weiten Gebieten der DDR nicht nur bedrohliche, sondern katastrophale Situationen gibt. Was bei uns nur immer — ich sage das — herbeigeredet und übertrieben diskutiert wird, ist dort eine tagtägliche Sorge der Bevölkerung. Meine Damen und Herren, das war gestern der Eindruck, den wir alle einvernehmlich bekommen haben. Wir waren uns ja auch alle einig, daß das hier geholfen hat.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das Gute und Richtige am Konzept des Umweltministers ist doch, daß eine breite Palette der anstehenden Themen aufgegriffen wird. Es wird über Naturschutz gesprochen. Es wird über Abfallbeseitigung gesprochen. Schönberg ist die große Sorge, das große Thema. Aber wir haben jetzt den Eindruck und können ihn haben, daß ein Ausstieg aus Schönberg — wir
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14387
Harries
benutzen ja Schönberg immer noch viel zuviel — eingeleitet wird.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das haben wir schon lange gefordert!)

Es gibt gemeinsame Überlegungen zur Verbesserung der Sicherheit bei den Kernkraftwerken drüben. Auch das ist etwas, was wir gemeinsam begrüßen können und was wir im Grunde immer gemeinsam gefordert haben.
Dann werden endlich Meßdaten ausgetauscht, damit wir rechtzeitig Pläne zur Luftreinhaltung bei Smoggefahr aufstellen können. Es gibt darüber hinaus endlich Daten, um die Wasserqualität der Elbe und der Werra — um zwei Beispiele zu nennen — rechtzeitig und genau analysieren zu können. Auch hier gibt es den Austausch und die Finanzierung der Technik.
Es gibt darüber hinaus die Pilotprojekte für die Beseitigung der Emissionen in die Luft, in die Gewässer und in den Boden.
Meine Damen und Herren, ich greife eine Idee auf, die Sie, Herr Knabe, hier vorgetragen haben, die Sie aber, wie ich meine, nicht konsequent zu Ende gedacht haben. Gelder müssen von uns kommen. Es wird auch nicht bei dieser einen Milliarde DM bleiben.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist logisch!)

Das wird in den nächsten Jahren mehr werden. Nur, die DDR muß sich selbst helfen. Die Wirtschaft drüben, die Gewerbebetriebe, die Industrie müssen neue, andere, bessere Rahmenrichtlinien bekommen.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das habe ich doch gesagt!)

— Das habe ich doch gerade gesagt. Ich habe Sie zitiert. — Sie müssen von den Fesseln befreit werden, welche die Wirtschaft 40 Jahre daran gehindert haben, auch Gewinne zu erwirtschaften, um damit die bedrohlichen Altlasten und die neuen Lasten abzubauen. Das müssen wir gar nicht als Bedingung, aber einfach als vernünftige, sachgerechte Voraussetzung nennen.
Ein letztes Wort zu Ihrem Hauptthema, zur Energie. Meine Damen und Herren, auch Energiehilfe muß sein. Darüber muß genau nachgedacht werden. Der erste Schritt scheint mir zu sein, daß wir auch die DDR an den großen europäischen und westdeutschen Stromverbund anschließen müssen, damit wir in Notzeiten — womöglich noch in diesem Winter — ganz schnell helfen können. Wir leisten damit vielleicht einen Beitrag, daß drüben Kernkraftwerke für teures Geld nicht gebraucht werden. Unser Strom muß natürlich abgekauft werden. Die Braunkohlegewinnung kann nicht Grundlage für das endgültige Energiekonzept der DDR sein.
Meine Damen und Herren, wir sind auf dem richtigen Weg durch das, was jetzt verhandelt wird. Aus den dargelegten Gründen werden wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Knabe [GRÜNE]: Sehr schade!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118534800
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1118534900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklungen in der DDR haben diesen Antrag der GRÜNEN eigentlich überholt.

(Bohl [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Gleichwohl bietet er natürlich aktuellen Anlaß, sich mit den hinter diesem Antrag stehenden Problemen und Fragen zu beschäftigen. Ich stimme dem hinter dem Antrag versteckten Ansatz zu, sich bei einer Hilfe für den Umweltschutz in der DDR primär der Frage des effizienten Energieeinsatzes und der damit schon ohne Rückhaltetechniken einzusparenden Emissionen zuzuwenden.

(Lennartz [SPD]: Sehr gut!)

Wir sind, soweit ich das auch aus der Etatrede von Herrn Töpfer und aus den Gesprächen gestern mitbekommen habe, was den Stellenwert dieser Frage betrifft, auch mit der Regierung überein. Die Zahlen sprechen nämlich eine solch beredte Sprache, daß man sie nur nennen muß, um zu überzeugen. Herr Töpfer hat schon in seiner Etatrede von der Ineffizienz der Stromherstellung aus Kohle gesprochen. Die DDR braucht 850 Gramm Kohle für die Herstellung einer Kilowattstunde, wir brauchen dafür 350 Gramm. Dies macht schon deutlich, wie ineffizient das ist. Die DDR braucht etwa ein Drittel mehr Steinkohleeinheiten zur Beheizung der Wohnungen als wir. Während die westlichen Industrieländer den Nutzungsgrad der Energie nach dem Ölpreisschock um etwa 20 % gesteigert haben, sind die Ostblockländer auf dem sowieso schon schlechten Nutzungsgrad geblieben. Der Abstand hat sich deutlich vergrößert. Darüber hinaus liegt der Energiepreis in der DDR nur bei etwa 30 % unseres Preisniveaus.
Ich habe vor kurzem einen Vertreter der DDR bei Verwandten erlebt, der sich über die Kälte in unseren Wohnungen mokierte. Er hat gesagt: Bei euch friert ja der Arbeiter. Dem lag die Tatsache zugrunde, daß er es von zu Hause gewohnt war, daß er in eine bullenheiße Wohnung hineinkam, hier aber erlebte, daß die Heizungen abgesenkt wurden, beispielsweise nachts und wenn man zur Arbeit ging. Deshalb sagte er: Ihr friert ja.
Diese Haltung und die mangelnde Effizienz bei der Energieausbeute machen doch deutlich, was noch gemacht werden muß. Wir müssen neue Kraftwerke mit effizienter Energieausnutzung bauen

(Zurufe von den GRÜNEN)

und Rückhaltetechniken installieren. — In der DDR müssen diese gebaut werden. Darüber gibt es — auch gestern in den Gesprächen, die wir gehabt haben — keinen Zweifel, und Sie waren damit einverstanden. Sie waren bei dem Gespräch gestern ja dabei. —

(Bohl [CDU/CSU]: Aha!)

Es muß auch eine effiziente Ausnutzung in den Wohnungen sein. Es muß also in den Wohnungen dort etwas gemacht werden. Das sagen Sie in Ihrem eigenen Antrag ja auch, und da stimmen wir zu.
Es ist hier nicht der Ort, sich konkret mit der Frage zu beschäftigen, Herr Harries, ob Stromlieferung,
14388 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Schütz
auch Atomstrom, aus dem Westen bei gleichzeitiger Einstellung der umweltbelastenden Stromerzeugung aus Braunkohle das geeignete Konzept ist oder ob eine Mischstrategie zwischen massiver Energieeinsparung, wie auch die GRÜNEN das sagen, und einer differenzierten Nutzung der Energieträger Braunkohle, Steinkohle, Gas und Öl der bessere Weg ist. Möglicherweise muß man für eine Übergangszeit auch Stromlieferungen haben und dann in eine Mischstrategie hineingehen. Das erfordert eine umfangreiche Debatte, die wir noch führen müssen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das sehe ich auch!)

Die von den GRÜNEN genannten Finanzierungsinstrumente eines Umwelt-Swings und eines UmweltFonds halte ich nicht für abwegig. Unsere sozialdemokratischen Ökonomen haben selbst eine Steigerung des Überziehungskredits von jetzt 850 Millionen DM auf dann jährlich 5 Milliarden DM in fünf Jahren vorgeschlagen. Dies ist also ein Weg, den wir auch gehen wollen, um daraus Umweltprojekte zu finanzieren.
Wir wissen aber, daß dies alles nicht reicht. Allein die Kosten für eine moderne, ökologische Energieversorgungsstruktur werden von den Kollegen meiner Fraktion aus den Wirtschaftsbereichen auf etwa 200 Milliarden DM geschätzt. Die Palette der von uns zu diskutierenden wirtschaftlichen Instrumente ist deshalb wesentlich breiter, Herr Knabe, als nur Swing und Umwelt-Fonds, und sie ist abschließend noch gar nicht zu überschauen. Wir müssen neben der direkten Projektförderung — das ist der Weg, den Herr Töpfer jetzt geht, Herr Harries; das ist auch ein Weg, den man einschlagen kann — auch für andere Möglichkeiten Rahmenbedingungen schaffen. Das werden die Förderprogramme der Kreditanstalten sein, das werden Förderprogramme der Deutschen Ausgleichsbank sein und andere. Es bieten sich verschiedene Formen an.
Eines aber wurde uns von den Umweltverbänden der DDR gestern deutlich gemacht: Einen Ausverkauf ihrer Wirtschaft und eine Übernahme ihrer Energieversorgung durch unsere Energieversorgungsunternehmen darf es nicht geben. Das ist das, was sie von uns gefordert haben. Und es darf bei uns folgendes nicht geben: Die enormen Umweltdefizite der DDR dürfen bei uns nicht den Vorwand dafür liefern, eigene Defizite nicht mehr zu nennen. Das ist für uns die Formel.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118535000
Frau Dr. Segall ist die nächste Rednerin.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1118535100
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Zum Zeitpunkt der Drucklegung des Antrags, also am 6. Dezember 1988, waren die Vorstellungen der GRÜNEN noch eine nette Nikolausüberraschung. Wer konnte schon ahnen, daß die damaligen Gegebenheiten durch die rasante Entwicklung der Ereignisse in der DDR, insbesondere in den letzten Wochen, heute total überholt sein würden? Die Veränderungen in der DDR bieten nun Chancen, die auch im Umweltschutz ganz neue Dimensionen eröffnen.
Die Idee der GRÜNEN, einen Umwelt-Swing einzurichten — also die Gewährung von zinsfreien Krediten für die DDR —, ist im Grunde ein alter Hut. Neu ist daran nur die Verwendungsgebundenheit für Umweltschutzmaßnahmen. Schon heute stehen finanzielle Mittel bereit. Hier verweise ich auf den bestehenden Swing und auf die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die auch für den Umweltschutzbereich verwendet werden können. Diese Mittel wurden jedoch nie voll ausgeschöpft. Die Planwirtschaft mit ihrer Bürokratie konnte die angebotene Hilfe nicht in sinnvolle Projekte umsetzen.
Außerdem schlagen die GRÜNEN einen UmweltFonds mit einem Finanzvolumen von 2 Milliarden DM vor, im Jahre 1988 eine beachtliche Summe und als Mittel für eine marode Planwirtschaft nicht zu vertreten. Ich weiß, daß noch ganz andere Beträge in Fässer ohne Boden geschüttet wurden, aber man muß ja nicht alle Fehler ständig wiederholen.
Daher bestehen wir heute auf bestimmten Voraussetzungen für Investitionen. Eine dieser Voraussetzungen ist die Veränderung der ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in der DDR. Wenn in der DDR der Privatbesitz von Produktionsmitteln rechtlich verankert wird, wird privates Kapital aus der Bundesrepublik, aber auch aus anderen Ländern in die DDR fließen und dort für Investitionen zur Verfügung stehen,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und diese finanziellen Mittel sind dringend erforderlich, wenn der DDR geholfen werden soll. Die Summen, die benötigt werden, um wirkungsvoll zu helfen, übersteigen bei weitem die im öffentlichen Haushalt gegebenen Möglichkeiten, ganz abgesehen davon, daß wir Liberalen der Meinung sind, daß dies nicht Aufgaben des Staates sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn wir dennoch, wie hier vom Parlamentarischen Staatssekretär Gröbl sicherlich noch vorgetragen wird, zahlreiche Projekte mit Staatsmitteln fördern, so vor allem deshalb, weil dies bis heute im Umweltschutz die einzige Möglichkeit war, der DDR und damit sicherlich auch uns zu helfen.
Diese Projekte können jedoch nur Pilotcharakter haben. Zu einer Sanierung der Wirtschaft bedarf es der entsprechenden Rahmenbedingungen, Rahmenbedingungen, die auch ein umweltfreundliches Wirtschaften ermöglichen.
Im Wege der Erneuerung des Produktionsapparates der DDR können Umweltschutztechniken unmittelbar Anwendung finden. Ein so integrierter Umweltschutz hat den Vorteil — das gilt natürlich auch für unsere Wirtschaft — , kostengünstig, wenn nicht sogar kostensenkend zu sein.
Es gibt allerdings auch noch andere Möglichkeiten, die Umweltschutztechniken in der DDR zu verbessern. Hierbei denke ich vor allem an Kompensationsregelungen, also an ökonomische Anreize für westdeutsche Unternehmen, damit diese in Umweltschutztechniken für die DDR investieren. Die Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zielt u. a. auf eine Beendigung der zu engen räumlichen Begren-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14389
Frau Dr. Segall
zung von Kompensationsmöglichkeiten. Warum sollten wir die Kompensationsregelungen nicht auf die DDR ausweiten? Es wäre doch sinnvoll, im Sinne eines Technologietransfers unsere Filteranlagen in Kraftwerke der DDR einzubauen. Westdeutsche Firmen könnten also das Geld, das sie in Maßnahmen zur Verminderung bereits wesentlich niedrigerer Emissionen stecken würden, in der DDR investieren und dort eine viel höhere Umweltentlastung bewirken.

(Beifall bei der FDP)

Wenn der deutsch-deutsche Einigungsprozeß weiter fortgeschritten ist, könnte man ferner überlegen, ob eine Zertifikatslösung ökonomisch und ökologisch sinnvoll wäre.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118535200
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Gröbl.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1118535300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verminderung der gravierenden Umweltbelastungen in der DDR liegt auch in unserem eigenen Interesse. Deshalb setzen wir mit guten Fortschritten die 1987 mit der DDR geschlossene Umweltvereinbarung an Hand konkreter Umweltschutzmaßnahmen in die Praxis um. 30 umwelttechnische Fachgespräche haben bisher stattgefunden. Sechs Umweltschutzpilotprojekte sind vereinbart. Am 19. Dezember werden in Bonn die Entscheidungen über die Vergabe an bundesdeutsche Firmen vorbereitet. Die Vergabe selbst soll im Januar beginnen.
Mit diesen Projekten sind wir mit der DDR in eine neue Phase der finanziellen und technischen Zusammenarbeit im Umweltschutz eingetreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Beitrag dazu besteht in der Bereitstellung modernster Umwelttechnologien im Wert von 300 Millionen DM. Die DDR ihrerseits wird rund 470 Millionen DDR-Mark hierfür aufwenden.
Durch diese Projekte wird eine Verringerung der Luftbelastung erreicht, die auch Berlin zugute kommt. Darüber hinaus wird die Schadstoffbelastung von Elbe und Saale deutlich verringert, was nicht zuletzt auch zum Vorteil der Nordsee ist.
Gegenwärtig verhandeln wir mit der DDR über weitere elf Pilotprojekte in der Größenordnung von unsererseits 360 Millionen DM, denen Eigenleistungen der DDR von rund 630 Millionen Mark gegenüberstehen.
Der Senat von Berlin hat drei Demonstrationsvorhaben, u. a. den Bau eines Heizkraftwerks in Ost-Berlin, angeregt, die durch die DDR geprüft werden.
Schließlich haben wir im Rahmen der Elbegespräche die DDR gebeten, weitere Projektvorschläge zur Verminderung der Belastung der Elbe vorzulegen.
Über die sechs vereinbarten Projekte hinaus wird also insgesamt über 17 weitere Projekte verhandelt. Hierfür wären insgesamt ca. 600 Millionen DM zusätzlich erforderlich.
In dieser projektbezogenen Zusammenarbeit bieten wir unseren Landsleuten in der DDR Transfer von Umwelttechnologie und Hilfe zur Selbsthilfe. Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner großen deutschlandpolitischen Rede vom 28. November dem Umweltschutz für unsere Zusammenarbeit mit der DDR besonderes Gewicht beigemessen. Die Gespräche, die Minister Töpfer heute und morgen in der DDR führt, dienen diesem Zweck, nämlich die Zusammenarbeit konsequent fortzusetzen und über neue Dimensionen zu beraten. Die Abstimmung von Emissionsgrenzwerten und die Einrichtung einer gemeinsamen ständigen Umweltkommission gehören mit zu seinen Vorschlägen.
Inwieweit gegebenenfalls im Rahmen der Wirtschaftshilfe für die DDR weitere Mittel auch für Umweltmaßnahmen vorgesehen werden können, wird Gegenstand der weiteren Verhandlungen sein. Dabei gilt es ebenso wie bei der jetzigen Förderung von Projekten, mit Rücksicht auf eine sorgfältige Verwendung von Steuergeldern stets genau zu prüfen, inwieweit auch ein optimaler Umweltschutzeffekt zu unser aller Nutzen gegeben ist.
Die Einrichtung eines projektunabhängigen Umwelt-Fonds bzw. eines Umwelt-Swings halten wir nicht für das geeignete Instrument. Mit einer Förderung nach dem Gießkannenprinzip und ohne Änderung des Wirtschaftssystems werden die ökologischen Probleme der DDR nicht gelöst werden können.
Wir haben mit den vom Parlament festgesetzten finanziellen Möglichkeiten den Weg zur praktischen Umweltpartnerschaft eröffnet. Jetzt kommt es vor allem darauf an, daß in der DDR die rechtlichen Grundlagen für eine weitreichende flexible Umweltschutzzusammenarbeit geschaffen werden, gerade auch im Hinblick auf eine umweltorientierte Unternehmenskooperation. Es ist ebenfalls unabdingbar, daß eine neue Umweltgesetzgebung in der DDR geschaffen wird,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Allerhöchste Zeit!)

die Administration im Umweltschutz in der DDR effektiver wird und daß auf kommunaler Ebene durch rechtliche, fachliche und finanzielle Zuweisungen in der DDR konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation ermöglicht werden.
Zu all dem bieten wir Rat, Hilfe und tatkräftige Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118535400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Der Änderungsantrag, Herr Präsident!)

14390 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
— Man kann über eine Beschlußempfehlung mit ja oder nein abstimmen, aber nicht einen Antrag inhaltlich ändern.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Ein Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung ist möglich!)

— Sie können dagegen stimmen.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Nach § 82 Abs. 1 können Änderungsanträge bis zuletzt gestellt werden!)

— Solange ich das hier betreibe, komme ich zu dem Schluß: Man kann über eine Beschlußempfehlung mit ja oder nein stimmen. Ich lasse mich gerne korrigieren, wenn jemand das besser weiß.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Änderungsanträge zur Beschlußempfehlung sind möglich!)

— Einen Änderungsantrag kann man zu einem vorliegenden Antrag stellen, aber nicht zu einer Beschlußempfehlung. — Ich möchte gern sichergehen, damit wir keinen Fehler machen. Ich frage nochmals Herrn Dr. Zeh.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Durch die Annahme würde sich ein Änderungsantrag erledigen!)

Herr Dr. Knabe, haben Sie sich zur Geschäftsordnung gemeldet? — Dann erzählen Sie uns, was Sie vorhaben.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118535500
Ich stelle hiermit einen Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Der Bundestag ändert die Beschlußempfehlung wie folgt:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen zwischenstaatlichen Umweltfonds der beiden deutschen Staaten einzurichten.
Ich möchte diesen Antrag begründen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das hätte Ihnen auch im Ausschuß einfallen können!)

Es ist im Umweltausschuß und in der heutigen Plenarsitzung vorgetragen worden, daß die Konditionen im einzelnen nicht abgestimmt werden können, daß der Antrag auf 2 Milliarden DM unter Umständen nicht ausreicht, alle Bedürfnisse, die in der DDR erwachsen,
zu befriedigen. Deshalb haben wir diesen Antrag ohne Nennung einer Finanzsumme gestellt.

(Lennartz [SPD]: Lieber Herr Kollege, ohne eine Summe! Was hat das mit Marktwirtschaft zu tun!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118535600
Wollen Sie zur Geschäftsordnung sprechen? — Bitte schön, Herr Lüder.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1118535700
Herr Präsident! Meine Fraktion hält diesen Antrag für nicht zulässig. Zu einer Empfehlung eines Ausschusses können wir nicht in eine erneute Ausschußberatung durch das Plenum dieses Hauses eintreten. Wir können nur ja oder nein sagen, aber keine Änderung machen. Hilfsweise beantragen wir Ablehnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118535800
Meine Damen und Herren, wir haben uns angehört, welcher Änderungsantrag gestellt wird. Das, was hätte gemacht werden können, wäre, getrennte Abstimmung zu fordern oder Abstimmung nur zu einem Teil. Aber eine inhaltliche Veränderung — ich bestätige hier, was ich vorhin gesagt habe — ist nicht möglich. Wir können nur über die vorliegende Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen, und die besagt, den Antrag, der im Ausschuß behandelt worden ist, abzulehnen. Sonst müssen Sie im Ausschuß nochmals über dasselbe Thema reden. Aber dazu müssen Sie einen neuen Antrag bringen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen — dann ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. Dezember 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.