Rede von
Maria Luise
Teubner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Gut, meine Rede ist auch fertig.
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Kollege Funke, Sie werden nachher sagen: Es handle sich hier um ein Mißverständnis, um einen Fehlgebrauch des Petitionsausschusses, er sei nicht zuständig für alle möglichen Sorgen, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes plagen. Oder Sie sagen dann weiter — vielleicht aber auch nicht, ich habe es aber vorweg gelesen —, es sei auch nicht Sache des Petitionsausschusses, hier eine Neubewertung der Gefahrenlage dieses Atomkraftwerks vorzunehmen. Sie wissen genau, Herr Funke, daß es darum auch nicht geht. Es geht nicht um irgendwelche Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um ein Atomkraftwerk, und es geht nicht darum, daß der Petitionsausschuß jetzt neue Begutachtungen vornimmt, sondern es geht darum, daß verschiedene Gutachter verschiedene wissenschaftlich begründete Meinungen zur Standortsicherheit haben. Das Anliegen des Petenten ist es gewesen, daß, wenn es diese verschiedenen wissenschaftlichen Meinungen gibt, man die erneut überprüfen muß. Sonst kann man so ein Kraftwerk nicht genehmigen.
Zur Sache: Am 29. Dezember 1988 hat das Atomkraftwerk Neckar-Westheim II seinen Betrieb aufgenommen. Am 6. Dezember 1988 hatte der Bundesumweltminister den Genehmigungsbehörden des Landes Baden-Württemberg mitgeteilt, daß er der Inbetriebnahme zustimmt. Herr Töpfer hat diese Zustimmung erteilt, eine Woche, bevor der Wirtschaftsausschuß des Stuttgarter Landtags eine Expertenanhörung zur Eignung des Standorts für dieses Atomkraftwerk durchführte.
Es bestehen nämlich — und darauf fußt diese vorliegende Petition — erhebliche Zweifel, daß dieses Kraftwerk auf sicherem Boden errichtet wurde. Diese Bedenken sind nicht neu. Sie wurden bereits in einem ersten Standortgutachten vor zwölf Jahren geäußert. Das paßte damals schon dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister nicht. Das Gutachten wünschte er nachgebessert zu haben. Doch die Sachverständigen blieben bei ihrer Aussage, der Standort sei denkbar ungünstig, woraufhin, man höre und staune, der Druck des Textes gestoppt wurde und die wenigen bereits fertigen Exemplare im Giftschrank eingeschlossen wurden. Schließlich behauptete der dortige Ministerpräsident, es gebe dieses Gutachten gar nicht.
Was ist so brisant daran? Südwürttemberg ist anfällig für Erdbeben. Das letzte schwerere Beben war
1978. Es ließ noch im weit entfernten Rheingraben Bilder von den Wänden fallen und Schränke wackeln. Der Schaden im Zentrum des Bebens: 60 Gebäude abbruchreif, 100 Millionen DM Gesamtschaden. Diese Erdbewegungen verlagern sich allmählich nach Norden Richtung Neckar und Neckar-Westheim. Das Maschinenhaus des Atomkraftwerks mit dem Notstromaggregat und die Hilfs- und Schaltanlagen stehen direkt auf Erdplatten, von denen die Gutachter sagen, man könne nicht wissen, ob sie nicht irgendwann einmal wieder in Bewegung geraten.
Der Sachverständige, der sich mit diesen Zweifeln an die Öffentlichkeit wagte, bekam dafür die Quittung, indem sein vorgesetzter Minister ihm zunächst die Teilnahme an der Anhörung zu dem Atomkraftwerk verbot. Das sind die Methoden unserer Restrisikopolitiker.
Und die Erdbebengefahr ist noch nicht einmal das einzige Untergrundrisiko dieser Anlage. Wir haben in der Begründung zu unserem Änderungsantrag auf weitere Gefahren hingewiesen, Gefahren, die unter Wissenschaftlern — darum geht es in dieser Petition — nicht restlos abgeklärt sind. Dennoch wurde die Betriebsgenehmigung vom Bundesminister für Umwelt und Reaktorunsicherheit erteilt, wie gesagt, noch bevor der zuständige Landtagsausschuß eine Sachverständigenanhörung zu dieser Problematik durchgeführt hat. Das ist keine Energiepolitik, die sich mindestens am Stand wissenschaftlicher Erkenntnis orientiert. Das ist Atompolitik mit der Brechstange.
Kein Auto, bei dem der TÜV Sicherheitsbedenken äußert, wird in den Verkehr entlassen. Aber ein Atomkraftwerk in einem Ballungsraum von 2 Millionen bis 3 Millionen Menschen geht ans Netz, obwohl Wissenschaftler die Sicherheit des Standorts bezweifeln. Die Petition des BUND — von ihm wurde sie eingereicht — ist deshalb mehr als berechtigt. Sie darf nicht als erledigt betrachtet werden. Es muß ein unabhängiges Gutachten internationaler Sachverständiger eingeholt werden. Bevor das nicht geschehen ist, darf der Betrieb in Neckar-Westheim nicht weiterlaufen.