Rede von
Horst
Peter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Es ist nun einmal so, daß in der Frage der Mehrheitsentscheidung das Kooperationsverfahren des Europäischen Parlaments greift, während das in der Frage des Einstimmigkeitserfordernisses leider nicht der Fall ist. Insofern haben Sie sich in eine Widersprüchlichkeit verwickelt. Es tut mir leid, aber das muß in dem Zusammenhang einfach einmal gesagt werden.
Nun zu dem sozialpolitischen Teil des Gipfels. Ich meine, der Gipfel kreißte und gebar eine sozialpolitische Maus. Das ist das Gebilde, das als Sozialcharta nach der ganzen Diskussion übriggeblieben ist. Der Bundeskanzler war dabei der Geburtshelfer. In der Tat ist die Erklärung der Regierungschefs zur Europäischen Sozialcharta ein europapolitischer Skandal. Der Bundeskanzler trägt dafür die politische Mitverantwortung.
Noch am Vorabend des Gipfels mußte der DGB einen dramatischen Appell an die Regierungschefs und an den Bundeskanzler loslassen, um daran zu erinnern,
14304 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Peter
daß Kommissionspräsident Delors und Bundeskanzler Kohl ihr Versprechen abgegeben hatten, sich nachdrücklich für diese grundlegenden sozialen Rechte einzusetzen, die rechtlich verbindlich sein und auf EG-Ebene eingeklagt werden können sollten. Die Bundesregierung stehe im Wort, daß diese Rechte für die europäischen Arbeitnehmer wirklich spürbare Verbesserungen brächten. Herausgekommen ist einen Tag später ein Text, von dem dessen Hauptgegnerin Margaret Thatcher berechtigt am Ende sagen konnte, es habe keinerlei operative Bedeutung.
Damit wird deutlich, wie dünn das Eis ist, auf dem der Bundeskanzler seit dem Gipfel von Hannover 1988 sein sozialpolitisches Denkmal bauen wollte: Gleichzeitigkeit der Binnenmarktentwicklung und der Entwicklung des Sozialraums — Fehlanzeige. Versprechen gegenüber den Arbeitnehmern, auf zwei nationalen Europa-Konferenzen für die deutschen Arbeitnehmer Verbesserungen herauszuholen — Makulatur. Offensives Eintreten für die soziale Dimension im Rahmen des Binnenmarktprozesses — offensichtlich geheime Kommandosache geworden. Wo da der Bundeskanzler offensiv aufgetreten ist, ist rätselhaft und geheim geblieben.
Das Ergebnis europäischer Sozialpolitik ist für die Bundesregierung offensichtlich eine zweitrangige Angelegenheit, wie es die nationale Sozialpolitik ja auch schon seit sieben Jahren ist. Die Deregulierer, Herr Kollege Heinrich, scheinen sich da durchzusetzen.
Der Bundesarbeitsminister hat sich zum Mithelfer dieses sozialpolitischen Offenbarungseides gemacht. Seine Hoffnung, Frau Thatcher mit einem Minimalprogramm, das er jetzt Neun-Punkte-Programm nennt, doch noch auf eine Zustimmungslinie zu drängen, ist zusammengebrochen. Er selbst ist Gefangener seiner Minimallinie geworden, die Zustimmung der Arbeitgeber zur Bedingung für das zu machen, was er auf europäischer Ebene einsetzt. Maximalist beim Sprücheklopfen, Herr Bundesarbeitsminister, aber Minimalist bei realen europapolitischen Taten!
Der Beschluß des Deutschen Bundestages — nicht etwa der SPD, sondern des Deutschen Bundestages — vom 1. Juni, einen Kernbestand einheitlicher, verbindlicher, in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltender sozialer Grundrechte durchzusetzen, ging nach dem Verständnis des Bundestages weiter, als Sie in Ihrem Neun-Punkte-Plan gegangen sind. Das muß hier einmal deutlich gesagt werden.
Der Beschluß ist dem Konsensbestreben geopfert worden. Dieses Neun-Punkte-Programm ist tatsächlich ein Minimalkonsens. Was es für die deutschen Arbeitnehmer bedeutet, ist keine Aussicht auf konkrete soziale Verbesserung. So gewinnt man die deutschen Arbeitnehmer nicht für den Binnenmarkt, sondern so schreckt man sie eher ab. Zurück hinter die eigene Position sind Sie dabei gefallen.
Herr Kollege Fuchtel, der Antrag der SPD-Fraktion ist kein Maximalprogramm der SPD. Wir haben dort das hineingeschrieben, was der Bundesarbeitsminister als Ausgangsposition für seine Verhandlung mit den Arbeitgebern
und den Gewerkschaften zur Grundlage gemacht hat und sich doch offensichtlich als Position auch zu eigen gemacht hat.