Rede von
Günter
Verheugen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus meiner eigenen Zeit im Auswärtigen Amt, Herr Staatsminister, erinnere ich mich an diese Art von Unterrichtung, die Sie heute gemacht haben. Ich weiß, wie das geht.
Ich weiß auch, daß in diesem speziellen Fall, was Malta angeht, die Bundesregierung wahrscheinlich gar nicht besser unterrichten konnte, als sie unterrichtet hat, weil das, was dort wirklich besprochen worden ist, wahrscheinlich auch der Bundesregierung nicht bekannt ist.
Im Fall Brüssel ist es so, daß sie nicht besser unterrichten wollte, weil das, was dort wirklich vorgefallen ist, nach ihrer Auffassung nicht geeignet ist, hier debattiert zu werden. Unabhängig davon, was Sie berichten oder nicht: Was in Brüssel passiert ist, können wir uns aus frei zugänglichen Quellen sehr gut zusammenreimen. Ich brauche nicht aus dem zu zitieren, was der Außenminister im Auswärtigen Ausschuß gesagt hat.
Was ist passiert? Die Verbündeten haben dem Bundeskanzler seine Grenzen gezeigt, und zwar gleich dreifach: die Grenzen seines Handlungsspielraums, die Grenzen seiner außenpolitischen Kompetenz und — im engen geographisch-historischen Sinn — auch die deutschen Grenzen. In einer Situation, da die Deutschen in beiden Staaten auf Vertrauen und Verständnis angewiesen sind, hat der Bundeskanzler mit dem Alleingang, den Herr Kollege Mischnick, den ich gerade sehe, und Frau Hamm-Brücher kritisiert hatten, Mißtrauen und Unverständnis bei den engsten Verbündeten hervorgerufen.
Das hat Folgen gehabt, die wir alle sehen können. Dazu brauchen wir keinen Bericht. Was ist nach der Verkündung des Deutschlandplans geschehen? Aus Kiew kam ein sowjetisch-französisches Signal, eine sowjetisch-französische Warnung, die Stabilität in Europa dürfe nicht durch deutsche Extratouren aufs Spiel gesetzt werden.
Die Ergebnisse der Rundreise des Bundesaußenministers nach Paris, London und Moskau waren wohl so, daß die Bundesregierung es vorzieht, dem Bundestag darüber nichts zu erzählen. Ich kann das gut verstehen; denn so schroffe Töne aus Moskau hat man lange nicht mehr gehört.
Noch einmal aus meiner Erfahrung aus dem Auswärtigen Amt: Wenn der Außenminister nach einer Konsultation mit einer auswärtigen Regierung vor die Kamera tritt und sagt „Es waren sehr ernste Gespräche " — so war es in Moskau — , dann heißt das auf deutsch: Die Fetzen sind geflogen, es ist auf den Tisch gehauen worden.
Meine Damen und Herren, in dieser Woche trafen sich die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Warum? Um über die Olympiade im Jahre 2004 zu sprechen? Das glauben Sie ja wohl selbst nicht. Diese Begegnung war vielmehr eine Demonstration, daß es Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte gibt, die Deutschland als Ganzes und Berlin betreffen, und daß die Vier Mächte auf ihre Rechte pochen. Der interessante Tatbestand ist der, daß sie es für nötig gehalten haben, das in dieser Woche zu demonstrieren. Nicht der Inhalt war das außenpolitische Signal, sondern das Treffen als solches war es.
Ein Signal war auch das Treffen des amerikanischen Außenministers Baker mit Ministerpräsident Modrow ausgerechnet in Potsdam — Außenpolitik benutzt manchmal auch Symbole, meine Damen und Herren — , wo die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs besiegelt wurden.
— Ich will damit nur sagen, daß es Sache der Bundesregierung ist, diese Botschaften und Signale richtig zu
14334 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Verheugen
entschlüsseln. Um Ihre Frage zu beantworten, Herr Feilcke: Es ist so, daß der Bundeskanzler in den letzten Wochen außenpolitisch gleich zweimal auf Grund gelaufen ist, weil er die Außenpolitik innenpolitischen Opportunitäten unterworfen hat. Der erste Fall war der Polenbesuch, wo das große Ziel verfehlt wurde, weil der Bundeskanzler mit Rücksicht auf den rechten Wählerrand
das erlösende Wort nicht gesprochen hat und die für Polen zentrale Frage der Oder-Neiße-Grenze offengelassen hat. In der Deutschlandinitiative steckt derselbe Fehler.
Es kommt hinzu, daß diese ganze Initiative rein innenpolitisch — oder sagen wir einmal: rein wahltaktisch — bestimmt war.
Wenn Herr Rühe sagt, die Schaffung konföderativer Strukturen geht das Ausland nichts an, dann haben die Nachbarn ihn eines Besseren belehrt, wenn Herr Rühe sich überhaupt noch belehren läßt.
Es gäbe hier wahrlich genug Stoff, über den debattiert werden muß — nicht in Fünfminutenbeiträgen, das schaffen wir nicht — : die künftige politische Rolle der NATO; wie geht es weiter mit der Abrüstung? Die Wiener Verhandlungen hinken hinter dem tatsächlichen politischen Zustand in Europa weit hinterher.
Was stellt sich die Bundesregierung vor, welche Initiativen in Wien jetzt folgen sollen? Wie denken Sie sich das mit den Kurzstreckenraketen, die immer noch nicht aus Ihren Köpfen weg sind. Deshalb wären die Regierungserklärung und auch die Debatte nötig gewesen.