Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über zwei Anträge. Der eine wurde von der SPD eingebracht und trägt das Datum vom 14. Dezember 1988. Der andere, der von CDU/CSU und FDP, trägt das Datum 30. November 1989. Beide befassen sich mit den Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten.
Im Antrag der SPD heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, daß bei den Verhandlungen für ein neues AKP-Abkommen folgende Grundsätze beachtet werden
Im Antrag der Koalitionsfraktionen, der, wie gesagt, ein Jahr später eingereicht worden ist, heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, daß bei den weiteren Verhandlungen insbesondere folgenden Belangen Rechnung getragen wird
Fast die gleichen Formulierungen!
Auch in den darauffolgenden Forderungen habe ich bei den Koalitionsfraktionen vieles entdeckt, was wir, die Sozialdemokraten, schon ein Jahr zuvor gefordert hatten.
— Ich finde es gut — das ist richtig — , wenn die Koalitionsfraktionen bei uns Sozialdemokraten abschreiben.
Das gilt nicht nur für die Deutschland- und Ostpolitik, das gilt auch für die Europapolitik und natürlich für die Entwicklungspolitik.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14379
Brück
Aber wenn sie schon abschreiben: Warum haben sie das nicht wenigstens früher getan?
Warum haben Sie nicht so rechtzeitig abgeschrieben, daß eine Debatte über diese Anträge noch einen Sinn gehabt hätte? Wir befassen uns heute mit Anträgen, die Forderungen für Verhandlungen stellen, die am 4. Dezember abgeschlossen worden sind, vier Tage nach Eingang des Koalitionsantrags. Morgen wird in Lomé das Abkommen unterzeichnet.
Ursprünglich wollte ich den Präsidenten deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, die Anträge für erledigt zu erklären.
Dann aber kamen wir auf den Gedanken, daß es doch gut sei, sie an die in der Tagesordnung vorgeschlagenen Ausschüsse zu überweisen. Dort können sie dann als Material bei der Beratung des Ratifikationsgesetzes für das 4. Abkommen von Lomé dienen. Dann können wir dort in Ruhe den Inhalt des neuen Abkommens mit unseren Forderungen vergleichen, die, wie gesagt, wir Sozialdemokraten wenige Wochen nach Beginn der Verhandlungen vor einem Jahr gestellt haben, die Koalitionsfraktionen wenige Tage vor deren Abschluß.
Ich will heute noch einmal feststellen, was wir schon in unserem Antrag formuliert haben: daß sich nämlich die in den bisherigen Abkommen enthaltenen Formen der handels- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Grundsatz bewährt haben. Wir haben Forderungen nach Verbesserungen gestellt. Einige sind erfüllt, andere nicht. Ich will heute nicht in die Details gehen, jedoch einige Anmerkungen machen.
Wir Sozialdemokraten halten die vorgesehene Aufstockung des Finanzvolumens im entwicklungspolitischen Teil des Abkommens für nicht ausreichend. Natürlich weiß auch ich um Absorptionsprobleme in den AKP-Staaten. Natürlich bin auch ich der Auffassung, daß Kapital allein noch nicht von vornherein Entwicklung bedeutet. Die Aufstockung um 41 % nominal sieht von vornherein zwar recht beachtlich aus; nimmt man aber die Inflationsrate, die steigende Zahl der Mitgliedstaaten in Afrika, in Asien und in der Karibik und die steigende Einwohnerzahl in diesen Staaten, dann reduziert sich dieser Anstieg real schon sehr. Vergleicht man ihn mit dem Anwachsen des Bruttosozialprodukts in den europäischen Mitgliedstaaten, dann muß man zu der Feststellung kommen, daß die Aufstockung nicht ausreichend ist.
Schlimm ist auch die davon ausgehende negative Signalwirkung. Wir alle wissen, daß in den Entwicklungsländern die Sorge aufgekommen ist, daß wir Europäer sie vergessen werden, weil wir uns jetzt vorwiegend um die mittel- und osteuropäischen Länder kümmern würden. Deshalb frage ich mich heute immer noch, welcher Teufel die Koalitionsfraktionen geritten hat, als sie Mittel für Polen und Ungarn im Einzelplan 23, also im Haushalt des Entwicklungshilfeministers, eingestellt haben und nicht unserem Vorschlag gefolgt sind, diese Mittel im Einzelplan 60 auszuweisen. Das ist ein schlimmes Signal in Richtung Entwicklungsländer.
Deshalb wäre es auch besser gewesen, die Bundesregierung hätte sich nicht gegen eine stärkere Aufstockung der Finanzmittel im AKP-Abkommen gewehrt. Ich weiß es auf der anderen Seite durchaus zu würdigen, daß die Bundesrepublik zu den Staaten in der Europäischen Gemeinschaft zählt, die im Handelsbereich für mehr Liberalität eingetreten sind. Denn was nützt es, wenn wir auf der einen Seite bei Strukturanpassungen helfen, um den Entwicklungsländern zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen, auf der anderen Seite aber immer noch für manche Waren unsere Märkte verschließen?
Gewiß, im industriellen Bereich spielt das bei den AKP-Ländern keine Rolle. Aber was soll das, wenn jetzt gerade 100 Tonnen kleine Wintergurken importiert werden dürfen, umgerechnet auf die Einwohner der EG übrigens 0,3 g pro Kopf, oder in den Wintermonaten, vom 1. November bis zum 28. Februar, 1 500 Tonnen Erdbeeren? Ich weiß, daß das vor allem ein Problem der südeuropäischen Mitgliedstaaten ist. Aber ich denke, wir haben da auch unser Probleme im Norden der EG. Warum produzieren wir mit hohem Energieaufwand immer noch Tomaten unter Glas, die nach allem schmecken, nur nicht nach Tomaten? Übrigens: Deshalb kaufe ich sie auch nicht. Aber ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht wenigstens jetzt für Weihnachten Tomaten, die unter Glas in Holland oder auch in der Bundesrepublik gereift sind, kaufen sollte. Als Christbaumkugeln würden sie sich sicher gut eignen. Denn gut aussehen tun sie ja. Das ist nicht zu bezweifeln. Gut aussehen tun ja diese Tomaten unter Glas, nur — wie gesagt — sie schmecken nicht.
Damit komme ich zu einem anderen Punkt. Ich teile zwar nicht die Befürchtungen der Politiker in den Entwicklungsländern, daß der zu schaffende Binnenmarkt zusätzliche Probleme für sie bringen wird, also Probleme über die hinaus, die sie jetzt schon mit uns haben. Aber das Gerede von der Festung Europa sollte uns doch nachdenklich stimmen. Wir müssen alles tun, damit Europa eben nicht zu einer Handelsfestung wird — vor allem nicht zu einer gegenüber den Entwicklungsländern.
Weil wir über EG-Entwicklungspolitik reden, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal unsere Forderung nach Übertragung der Entwicklungspolitik auf die Gemeinschaft auch in diese Debatte einbringen. Ich denke, daß es sowohl entwicklungspolitisch als auch europapolitisch sinnvoll ist, der Gemeinschaft die Kompetenz für die Entwicklungspolitik insgesamt zu übertragen. Entwicklungspolitisch wäre das deshalb sinnvoll, weil es die Verwaltungen der Entwicklungsländer, die ja sehr oft überfordert sind, dann eben nur noch mit einer Verwaltung in Europa zu tun hätten. Die europapolitische Bedeutung liegt auf der Hand; die muß ich nicht erläutern. Entwicklungspolitisch wäre es auch deshalb sinnvoll, weil dann die Exportförderung, die mit der Entwicklungshilfe in den Mitgliedstaaten betrieben wird, entfallen würde, und dann so schlimme Dinge, wie sie jetzt in der deutschen Entwicklungspolitik — siehe letzte Ausgabe des
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„Spiegel" — zu verzeichnen sind, unterbleiben würden. Entwicklungshilfe darf nicht zum Schmierstoff für den eigenen Export verkümmern.
Welche Probleme man dann auch selbst bekommt, wenn man zuviel von diesem Schmierstoff einsetzt, kann man an der französischen Wirtschaft gut studieren. Ihr ist es nicht gut bekommen, daß ihr mit Entwicklungshilfe der Export in die Entwicklungsländer zu leicht gemacht worden ist. Sie hat Märkte in den Industrieländern verloren. Sie hat Wettbewerbsfähigkeit verloren. Deshalb ist das, was hier geschieht, auch ordnungspolitisch mehr als unvernünftig. Eine Übertragung der Entwicklungshilfe auf die Gemeinschaft würde hier Abhilfe schaffen. Dann könnte man keine engstirnige nationalstaatliche, an den Interessen der eigenen Wirtschaft orientierte Entwicklungspolitik mehr machen. Deshalb sollten wir Deutschen in der Europäischen Gemeinschaft auf eine gemeinschaftliche Entwicklungspolitik drängen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.