Frau Kollegin, da ich zufällig ein bißchen darüber unterrichtet bin, nehme ich an, daß der Deal darin liegt, daß die Franzosen bereit sind, eine unabhängige Notenbank zu akzeptieren. Sie kriegen für die Ware nicht zweimal etwas geliefert. Ich glaube, das ist eine Fehleinschätzung.
— Nein, nein. Die Verhandlungen sind schon gelaufen. Wenn Sie den Delors-Bericht richtig lesen und wissen, wer ihn unter welchen Bedingungen unterschrieben hat, dann wissen Sie, was gelaufen ist. Ich kann Ihnen gern Privatissima darüber geben.
Jetzt bin ich auch an dem Punkt, einmal klarzumachen, was unsere Bedingungen, die der Sozialdemokraten, sind. Wir sind für eine unabhängige Zentralbank, die die Währungspolitik in eigener Verantwortung gestaltet, die nicht gezwungen werden kann, Haushaltsdefizite durch Geldschöpfung abzudecken, und die auch nicht gezwungen werden kann, mit einer Politik leichten Geldes notwendige Strukturveränderungen zu unterlaufen.
Wir sind allerings auch der Ansicht, daß zu einer solchen Unabhängigkeit besondere Verantwortung für andere wirtschaftspolitische Grundziele gehört neben dem Ziel der Sicherung der Währung, wie es im Bundesbankgesetz heißt. Die Begründung, die unsere Vorgänger 1956 zu § 3 des Bundesbankgesetzes gegeben haben, bietet nicht nur eine vernünftige Interpretation dafür, sondern bietet auch den Franzosen und anderen die Gelegenheit, mit uns an einem Strang zu ziehen.
Auch vertrete ich die Auffassung, daß das europäische Notenbanksystem verpflichtet werden sollte, gegenüber dem Europäischen Parlament Rechenschaft abzulegen, Bericht zu geben. Wenn das für die amerikanische Federal Reserve Bank eine selbstverständliche Sache ist, warum dann nicht für die europäische Zentralbank? Das ist nicht Weisungsabhängigkeit, aber wer hoheitliche Rechte übertragen bekommt, muß im Grundsatz seine Handlungen auch gegenüber der Öffentlichkeit darstellen und rechtfertigen. Darauf möchte ich schon bestehen.
Dann möchte ich noch etwas zur Konstruktion sagen, da wir von der Bundesregierung dazu noch nichts gehört haben. Wir gehen davon aus, es wird ein föderatives System sein — anders kann das gar nicht sein —, und wir stellen uns das so vor, daß der gegenwärtige Zentralbankratsausschuß, in dem Herr Pöhl gestern oder vorgestern den Vorsitz übernommen hat, in einen Gouverneursrat umgebildet wird, der die Grundsätze der Politik bestimmt. Allerdings sage ich auch dazu: Wir stellen uns vor, daß in diesem Gouverneursrat die Stimmrechte quotiert sind,
daß nicht wie etwa bei uns oder im EG-Ministerrat „one country, one vote" gilt, sondern daß wie beim IWF eine Quotierung da ist.
Wenn wir ganz andere Zentralbankwerte einbringen, insbesondere Währungsreserven, und andere dies auch tun, dann ist es notwendig, eine Quotierung zu machen. Das braucht nicht nur auf der Basis der Währungsreserven zu erfolgen, sondern da können Bevölkerungsgröße, GNP und anderes eine Rolle spielen, aber das müßte sicherlich sein. Ebenso sind wir der Ansicht, daß das eigentliche Geschäft von einem Direktorium gemacht werden sollte, das dann allerdings auch die Hauptländer als Mitglieder haben sollte.
Im übrigen meine ich, daß ein solches Quotensystem auch eine erhebliche Sicherung dafür wäre, daß bei uns nicht weiter die Befürchtung besteht, daß die Devisenreserven der Bundesbank sozusagen auf dem Etat der europäischen Einigung geopfert werden. Ich glaube, es ist eine gute Sicherung, und damit könnte
14310 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Dr. Wieczorek
manchem von dem, was da an unverantwortlichem Gerede gemacht wird, der Boden entzogen werden.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß selbst dann, wenn in diesem Zeitraum, den ich genannt habe, 1993/94, damit angefangen wird, ein europäisches Zentralbanksystem zu etablieren, damit nicht alles, was bisher vorhanden ist, verschwindet. Wir halten es gerade für einen wichtigen Punkt im Delors-Prozeß, daß er den Prozeßcharakter betont und daß das ein Hineinwachsen nach dem Grad der realwirtschaftlichen Verflechtung, die nach 1992 ja weitergeht, bedeutet. Nach 1992 bis zu diesem Zeitpunkt liegen dann auch die Erfahrungen vor.
Ich möchte damit zu einem letzten Punkt kommen. Es ist die Frage der sogenannten zwei Geschwindigkeiten. Ich bin nicht der Ansicht, daß, wie Herr Waigel das jetzt formuliert hat, alle Länder dies alles gleichzeitig mitmachen müssen. Wenn sie es können, ist es schön, aber wenn sie es nicht machen können, meine ich, sollten wir nicht auf die, die noch nicht können
— nehmen wir mal Griechenland — , oder auf die, die
— wie Großbritannien — nicht wollen, Rücksicht nehmen. Sonst kommen wir im Einigungsprozeß nicht weiter. Das EWS, wie es heute ist, das eine quasi private Veranstaltung ist, hat doch gezeigt, daß sich dann, wenn man im Wechselkursmechanismus zusammenarbeitet, auch die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen sehr annähern. Die Inflationsunterschiede zwischen Frankreich und der Bundesrepublik sind zur Zeit praktisch nicht mehr existent.
Wenn das so ist, dann ist die Zielsetzung, weiterzugehen und nicht darauf zu warten, wann der Letzte mitkommt.
Deswegen meine ich, wir sollten uns dazu aufraffen, nicht zu sagen: Abwarten, bis alles dabei ist. Wer eine solche Bedingung stellt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er das Ganze nicht will. Das ist genau der Verdacht. — Ich muß zum Schluß kommen; es blinkt schon. —
— Herr Bohl, daß Sie das so sehen, ist mir ja klar. Aber wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie vielleicht festgestellt, daß Ihre Kollegen zu einigen Äußerungen, die ich gemacht habe, etwas anderer Ansicht waren.
— Die eigenen Kollegen kennen das, weil wir gerade ausführlich darüber diskutiert haben, verehrter Herr Kollege.
Lassen Sie mich aber dies zum Ende bringen. Wenn wir solche Bedingungen machen, setzen wir uns dem Verdacht aus, daß wir mit der westeuropäischen Einigung nicht weiter wollen. Der Kanzlerbrief in dieser Frage war nicht sehr gut; auch nicht manches von dem, was jetzt gelaufen ist.
Wenn man so handelt, darf man sich nicht wundern, daß gerade in bezug auf die Fragen „Wie geht es weiter zwischen den Deutschlands? Was ist mit dieser Einigkeit gemeint?" Zweifel an dem Willen, die EG als
die Basis des westeuropäischen Einigungsprozesses fortzuführen, auftauchen.
Ich teile diese Zweifel nicht. Aber ich verstehe, daß sie auftauchen können. Wir sollten alles tun, um zu verhindern, daß das weitergeht. Das ist eine gefährliche Bahn.
Ich hoffe nur, daß sich das, was ich jetzt aus Zwischenrufen von Ihnen gehört habe, in die Politik umsetzt und nicht das, was Herr Waigel etwa gestern im „Handelsblatt" hat verbreiten lassen.
Ich danke.