Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brück, was Sie zum Zeitpunkt der heutigen Debatte gesagt haben, kann ich gar nicht bestreiten. Das ist richtig. Ich würde auf der anderen Seite aber sagen: Es handelt sich bei der Gesamtproblematik um ein Dauerproblem, und wir stehen auch noch vor der Ratifizierung.
Meine Damen und Herren, die bisherigen AKP-
EWG-Abkommen von Lomé I bis III haben den Dialog sowie die Zusammenarbeit zwischen EG- und AKP-Staaten auf politischem, wirtschaftlichem und soziokulturellem Gebiet erleichtert. Das erreichte Niveau gilt es zu wahren und durch kontinuierlichen Ausbau der Beziehungen weiter anzuheben. Wichtige Voraussetzungen sind die Festigung der Integration der Europäischen Gemeinschaft und enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen den AKP-Staaten.
Angesichts großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten der meisten AKP-Staaten, die durch Verschuldung, durch Bevölkerungswachstum und durch politische Entscheidungen wesentlich bestimmt werden, sind neue Akzente und Wege in der Entwicklungszusammenarbeit der EG mit den Vertragspartnern unumgänglich notwendig.
Der Finanzmittelzufluß für die jeweiligen LoméAbkommen hat eine beträchtliche Ausweitung erfahren, so daß die Möglichkeiten zwischen AKP und EG zunehmend erweitert werden konnten: Lomé I hatte ein Finanzvolumen von 3,4 Milliarden ECU, Lomé II eines von 5,6 Milliarden ECU, Lomé III eines von 8,5 Milliarden ECU, und nun sind für Lomé IV 10,8 Milliarden ECU zuzüglich 1,2 Milliarden ECU für Kredite der Europäischen Investitionsbank und 1,1 Milliarden ECU zur Unterstützung von Strukturanpassungsprogrammen des IWF vorgesehen.
Zur Handelspolitik ist festzustellen, daß auf Fertigwarenimporte aus den AKP-Staaten in die EG keine Zölle erhoben werden. Agrarprodukte können zu 95 % ohne Einfuhrbeschränkungen in die EG geliefert werden. Beschränkungen bestehen bei sogenannten sensiblen Produkten. Das sind solche, die auch im EG-Raum produziert werden und für deren Produzenten bei ungehindertem Import Nachteile befürchtet werden.
Die AKP-Staaten genießen bei diesen Produkten — Sie, Herr Kollege Brück, haben sie eben teilweise erwähnt: Zitrusfrüchte, Fleisch, Getreide — Präferenzregelungen und Handelsvorteile gegenüber dritten Anbietern. Diese Regelung soll die Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft in den AKP-Staaten fördern. Die Staaten können die günstigen handelspolitischen Bedingungen vor allen Dingen bei Industriewaren noch kaum nutzen. Der größte Teil ihrer Exporte besteht aus Rohstoffen. Die Produktion der verarbeitenden Industrie ist noch sehr gering, der Anteil verarbeiteter Produkte an den Ausfuhren praktisch unbedeutend. So ist — das möchte ich feststellen — die zollfreie Einfuhr von Industriewaren in die EG eher eine Chance für die Zukunft als ein Vorteil, den die AKP-Staaten gegenwärtig schon nutzen könnten. Lomé IV sollte großzügige Erleichterungen schaffen, was wir ja auch in unserem Antrag verlangen.
Zur Rohstoffpolitik ist zu sagen, daß das sogenannte STABEX-System das wichtigste Element des Abkommens ist. Dieses System zur Stabilisierung der Ausfuhrerlöse ist sicher zugleich der interessanteste Baustein des gesamten Lomé-Paktes. STABEX sichert Ausgleichszahlungen für Einkommensausfälle zu, die aus gesunkenen Rohstoffpreisen resultieren. Es werden nicht Rohstoffpreise künstlich gestützt; vielmehr werden direkte Haushaltshilfen gezahlt, womit Investitionen gefördert werden können, die die einseitige Abhängigkeit von bloßen Rohstoffexporten lindern können und die Diversifizierung für Halb- oder Fertigprodukte erleichtern sollen.
Die Praxis hat ergeben, daß die Finanzmittel für das STABEX-System bei weitem nicht ausreichen; hier ist eine Aufstockung der Mittel dringend erforderlich. In Lomé III standen nur 925 Millionen ECU für Ausgleichszahlungen zur Verfügung. Für Stabilisierungszahlungen werden keine Zinsen erhoben, aber die Transfers müssen zurückgezahlt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. In der Praxis werden nur selten Rückzahlungen geleistet. Die am wenigsten entwickelten AKP-Staaten sind ganz von Rückzahlungen befreit.
Auch dieses System sollte man für Lomé IV überdenken, und man sollte die Frage prüfen, ob nicht generell auf Rückzahlungen verzichtet werden könnte, ob also die Gesamtleistungen als Zuschüsse auszuweisen wären.
Bei einer solchen Regelung sollten Ausgleichszahlungen aber zweckgebunden werden, und zwar zur Verbesserung in Richtung auf Verarbeitung zur Halb- und Fertigfabrikaten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14381
Höfikes
Kritische Anmerkungen zum STABEX-System gelten vor allem der fehlenden Verwendungskontrolle und den kaum nachprüfbaren Statistiken. Zu bemängeln ist ferner, daß der größte Teil der Ausgleichszahlungen nur wenigen Ländern zugute kommt und auf eine kleine Zahl von Produkten konzentriert ist und daß die EG mit stark subventionierten Exporten ihrer Überschüsse an Nahrungsmitteln das Weltmarktpreisniveau drückt. Wenn dieser Zustand aufhören würde, wäre wahrscheinlich vielen Länder mehr geholfen als durch die bisherige Hilfe.
Der Mineralienfonds stellt bei Erlösausfällen für mineralische Rohstoffe — wie Kupfer, Kobalt, Mangan, Phospht, Bauxit, Zinn und Eisenerz — Mittel — bei Lomé III waren es 280 Millionen ECU — für Projekte im Rohstoffsektor bereit. Das Rohrzuckerprotokoll garantiert Exporteuren die Abnahme von jährlich immerhin 1,4 Millionen t Zucker zu EG-Preisen, die beträchtlich über den Weltmarktpreisen liegen. Einige Exporteure von Rindfleisch, nämlich Botswana, Kenia, Madagaskar und Swasiland, können bestimmte Mengen Rindfleisch in die EG liefern, wobei nur ein geringer Teil der sonst üblichen Abschöpfung erhoben wird.
Trotz vieler Vorzüge weist das Lomé-Abkommen auch fragwürdige Punkte auf. Kritisiert wird die Beschränkung des Geltungsbereichs. Kriterium für Vergünstigungen sollten nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region oder ehemaligen Kolonialmacht, sondern der Grad der Bedürftigkeit und die Notwendigkeit einer weltweiten Friedenspolitik sein. Die Entwicklungsländer Asiens wären zur regionalen Ausweitung wohl geeignet. Diese Frage sollte eine Erörterung wert sein. Ich weise auch auf die Aufnahme Namibias hin.
Welche Akzente wünschen wir?
Erstens. Um einen Beitrag zur Strukturanpassung in AKP-Staaten zu leisten, sollte die EG auch an der Finanzierung gesamtwirtschaftlicher Anpassungsstrategien mitwirken. Sektorbezogene Politik und Förderung einzelner Projekte reichen nicht aus.
Zweitens. Eng mit Globalkonzepten ist die Harmonisierung der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik verbunden. Es sollte eine bessere Geberkoordinierung stattfinden. Außerdem sollten verbindliche Regeln für Koordinierung der Entwicklungspolitik der einzelnen EG-Mitgliedstaaten gefunden werden. Vielleicht bieten sich hierfür Länderausschüsse und eine Bestandsaufnahme der Maßnahmen an.
Drittens. Nächste Forderung: Abbau des Protektionismus. Die „freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen" , zu denen Industrieländer die Entwicklungsländer im Rahmen von Lomé drängen, sind eine Belastung. Solche Vereinbarungen stehen nicht im Einklang mit den Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. Auch nichttarifäre Handelshemmnisse als Schutz vor unerwünschten Einfuhren nehmen immer mehr an Bedeutung zu. Auch die EG muß, meine ich, Anpassungsmaßnahmen durchführen, selbst wenn sie schmerzlich sind. Ich finde, der Protektionismus der EG ist ein Hindernis für Drittweltländer. Die EG-Agrarpolitik sollte hier zu Nachdenklichkeit anregen.
Viertens. Ein weiteres bedeutendes Kapitel ist die Schuldenkrise. Bereits bei Lomé III wurde berücksichtigt, daß hochverschuldete Entwicklungsländer, die nennenswerte Anpassungsmaßnahmen eingeleitet haben, mit Sonderprogrammen gefördert werden. Das Sonderprogramm des Wirtschaftsgipfels mit 100 Millionen ECU war gut gemeint, aber nicht ausreichend und bedarf der Aufstockung. Im Rahmen einer Strategie zur Bekämpfung der Schuldenkrise sollte besondere Aufmerksamkeit den afrikanischen Ländern südlich der Sahara gelten, in denen Verschuldung die Entwicklungsziele unwiderruflich in Frage zu stellen droht.
Fünftens. Eine Zwischen-Evaluierung wäre nach Ablauf der ersten Hälfte der Abkommenszeit sinnvoll, um Fehlentwicklungen schneller korrigieren zu können.
Sechstens. Was Vertragsart und -dauer anlangt, scheint sich unsere Forderung durchzusetzen, wonach ein Grundvertrag über eine längere Laufzeit, möglicherweise ohne Laufzeitbeschränkung, abgeschlossen werden sollte, in dem die bewährten Grundsätze festzuschreiben sind. Ein zweiter Vertrag — mit befristeter Laufzeit — sollte sich auf das Volumen der Hilfe beziehen.
Siebentens. Abschließend nenne ich die von uns geforderten und zu berücksichtigenden Schwerpunkte: a) Verbesserung der gesundheitlichen Rahmenbedingungen, vor allem der Bekämpfung der tödlichen AIDS-Seuche ; b) Stärkung der Rolle der Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit; c) Einbeziehung umweltpolitischer Überlegungen in die Entwicklungspolitik, wobei die Bekämpfung von Wüstenbildung und die Aufforstung im Vordergrund stehen sollten; d) die konsequente Verankerung der Menschenrechte; und auch in punkto Bevölkerungspolitik wird die Gemeinschaft auf konkrete und nachdrückliche Beschlüsse in der paritätischen AKP-EWG-
Versammlung zu drängen haben. Damit komme ich zum Schluß. Ich glaube, Lomé IV ist ein wichtiges Instrument, mit dem wir der Herausforderung begegnen müssen und die unser Bundespräsident wie folgt beschreibt:
Wir alle werden vor der Geschichte schuldig werden, wenn wir nicht unsere Kräfte anstrengen, die eine Welt zu schaffen, in der es keine Erste, Zweite, Dritte und Vierte mehr gibt.
Ich danke Ihnen.