Rede von
Waltraud
Steinhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wir müssen uns heute mit einem völlig überflüssigen Gesetzentwurf der Bundesregierung beschäftigen,
dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften. Dieser Gesetzentwurf — wir haben das eben schon gehört — regelt in zwei Artikeln Problemfelder, die miteinander überhaupt nichts zu tun haben.
In Art. 1 sollen die Voraussetzungen für das Rechtspflegeministerium geschaffen werden. In Art. 2 wird das BGB geändert, weil das Bundesverfassungsgericht schon 1982 Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt hat, bei denen die Beschäftigungsdauer unterschiedliche Bedeutung für die Berechnung der Kündigungsfristen hat, je nachdem, ob es sich um Arbeiter oder Angestellte handelt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14375
Frau Steinhauer
Warum ist dieser Gesetzentwurf trotzdem überflüssig? Handlungsbedarf besteht seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1982. Aber erst jetzt wird die Regierungskoalition aktiv. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode genau wie in der letzten einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die längst überholten Ungleichbehandlungen von Arbeitern und Angestellten im Kündigungsrecht beseitigt werden sollten.
Unterschiedliche Kündigungsfristen, nämlich für Arbeiter 14 Tage und für Angestellte sechs Wochen zum Quartalsschluß, sind heute nicht mehr zu begründen. Zu einer berufsständisch gegliederten Gesellschaft mögen solche Unterscheidungen passen, zu einer modernen Industriegesellschaft aber keineswegs.
Als unser Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode am 11. Mai 1989 in diesem Hause in der ersten Lesung debattiert wurde, haben Sie keine Zustimmung signalisiert. Wie so oft in der Vergangenheit haben Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, nur darauf hingewiesen, daß umfassende Prüfungen erforderlich seien. Jetzt, nach sieben Jahren, legen Sie uns die Reparatur in einem Randbereich vor, ohne das eigentliche Problem, nämlich die Angleichung der Kündigungsfristen anzugehen.
Ja, schnell sind Sie immer nur dann, wenn es um die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten geht. Dann kann es gar nicht schnell genug gehen. Ich erinnere nur an die Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes vor einigen Wochen, an die Demontage des Betriebsverfassungsgesetzes, an § 116 und andere Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes.
Damit komme ich zu Art. 1 des jetzt zur Debatte stehenden Gesetzentwurfs, der Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes: eine wirklich überflüssige Änderung, denn niemand will sie. Die Länder wollen sie nicht, obwohl ihre Interessen doch angeblich gewahrt werden sollen, indem man ihnen die Möglichkeit der Umressortierung der Arbeitsgerichtsbarkeit einräumt. Die Arbeitsrichter wollen sie nicht, gleichgültig, ob sie in erster, zweiter oder dritter Instanz tätig sind. Die Verbände wollen sie nicht, seien es der DGB, der Deutsche Arbeitsgerichtsverband. Ja, offensichtlich ist nicht einmal der Bundesarbeitsminister davon überzeugt. Denn für das Bundesarbeitsgericht — das haben wir eben gehört — soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Zuständig bleibt auch nach diesem Gesetz der Bundesarbeitsminister.
Die Ablehnung aller, die von der Materie etwas verstehen, ist aber auch nur zu verständlich.
Die bestehende Zuordnung zu den Arbeitsministerien der Länder hat sich bewährt. Sie allein entspricht der Eigenart dieser Gerichtsbarkeit, die sich besonders in der verstärkten Mitwirkung der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter zeigt.
Aus gutem Grund sind bei der Arbeitsgerichtsbarkeit — anders als in anderen Gerichtsbarkeiten — Abstimmungsverfahren mit den betroffenen gesellschaftlichen Organisationen vorgesehen. Deswegen haben die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Anhörungsrechte für die Vorbereitung gesetzlicher Regelungen zur Gerichtsorganisation — das bedeutet, an welchen Orten Arbeitsgerichte errichtet bzw. aufgegeben werden sollen — sowie zu der Abgrenzung der Arbeitsgerichtsbezirke. Das hat sich auf der kommunalen Verwaltungsebene sehr bewährt.
Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände werden angehört, bevor allgemeine Anordnungen erlassen werden, welche die Verwaltung der Arbeitsgerichte und die Führung der Dienstaufsicht über sie betreffen. Ohne ihre Anhörung kann die Bestellung der Vorsitzenden der Kammern der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte durch den Arbeitsminister nicht erfolgen.
Außerdem hat die bestehende Zuständigkeitsregelung dazu geführt, daß bei der Besetzung freier Arbeitsrichterstellen besonderes Augenmerk auf die notwendige arbeitsrechtliche Qualifikation gelegt wird. Da das Arbeitsrecht stärker als andere Rechtsgebiete durch Richterrecht geprägt ist, kann darauf auch in Zukunft nicht verzichtet werden.
Die Regierungskoalition hat sich dennoch schon in der Koalitionsvereinbarung auf etwas anderes verständigt, offensichtlich aus völlig sachfremden Erwägungen. Der Regierungskoalition ist nämlich die stärkere Mitwirkung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sei langem ein Dorn im Auge.
Sie wollen dieses bewährte Laienelement in der Arbeitsgerichtsbarkeit zurückdrängen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie sich das auf die Qualität der Rechtsprechung und besonders auf die Praxisnähe der Rechtsprechung auswirkt.
Man ist geneigt, die Koalition zu fragen: Will sie mit diesem Gesetz eine formaljuristischere, eine praxisfremdere und damit eine weniger soziale Rechtsprechung erreichen?
Außerdem wollen Sie mit der Schaffung von Rechtspflegeministerien die Gerichtsbarkeiten untereinander durchlässiger machen. Gegen eine derartige Durchlässigkeit ist im Prinzip nichts einzuwenden. Doch zeigen die bisherigen Erfahrungen, daß der Wechsel von einer Gerichtsbarkeit zur anderen nicht unbedingt die Qualität der zu treffenden richterlichen Entscheidungen hebt. Es muß im Gegenteil befürchtet werden, daß die stärkere Öffnung der Arbeitsgerichtsbarkeit dazu herhalten soll, den Beförderungsstau
— etwa in der ordentlichen Gerichtsbarkeit — auf Kosten der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung aufzulösen. Daran kann ja wohl niemandem gelegen sein.
— Ich bin auf dem Gebiet nicht frisch. Ich habe im Arbeitsgericht sehr oft vor der „Theke" gestanden. Deshalb nehme ich für mich schon in Anspruch, etwas davon zu verstehen.
14376 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Steinhauer
Lassen Sie mich festhalten: Seit Inkraftreten des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953, also seit mehr als drei Jahrzehnten, und auch schon vorher fällt die Arbeitsgerichtsbarkeit in den Ländern in die Zuständigkeit der obersten Arbeitsbehörden, also der Arbeitsministerien.
Immer wieder gab es Bestrebungen von einzelnen, das zu ändern. Immer wieder ist von prominenten Wissenschaftlern und Richtern darauf hingewiesen worden, daß es dafür keine sachlichen Gründe gibt. Die Präsidenten der Landesarbeitsgerichte haben sich in ihrer 45., in ihrer 49. und zuletzt in ihrer 51. Konferenz in Wiesbaden im Jahre 1989 gegen eine beabsichtigte Umressortierung ausgesprochen. Der Bund der Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit hat sich dagegen ausgesprochen. Der Deutsche Arbeitsgerichtsverband, in dem die Vertreter der Richterschaft, der Sozialpartner, der Arbeitsrechtswissenschaftler und der Anwaltsvereinigungen vertreten sind, haben dasselbe getan. Der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Gewerkschaften sind ebenso wie die DAG gegen diese Vorhaben. Das gleiche gilt für die christlichen Gewerkschaften.
Nehmen Sie also Abschied von diesem insgesamt unsinnigen, überflüssigen Gesetzentwurf und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten zu. Sie haben Gelegenheit dazu; das Gesetz liegt ja schon längst im Ausschuß.