Rede von
Freiherr
Reinhard
von
Schorlemer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Verheugen, bei Ihrer Rede dachte ich an die Anmerkungen Ihrer Bundesgeschäftsführerin Frau Fuchs, die, befragt, wie sie denn ihre Deutschlandpolitik beurteile, von einer Schlangenlinie sprach. Sie wissen, Fahrzeuge, die in Schlangenlinien fahren, müßten normalerweise aus dem Verkehr gezogen werden. Aber ich will das hier nicht weiter ansprechen. Ich möchte zu den Ergebnissen des Gipfels in Straßburg sprechen.
Ich glaube, daß der Gipfel in Straßburg durch die besondere Situation, die sich zur Zeit in Mittel- und Osteuropa und insbesondere in der DDR abspielt, gekennzeichnet ist. Wir müssen bei dieser Situation doch alle wissen, daß die Bürger in der DDR nicht jenen Freiheitsprozeß hätten beginnen können, wenn nicht durch die Gorbatschowsche Politik und vor allem durch die Menschen in Polen und in Ungarn der Weg dafür gewiesen worden wäre. Daher ist es wichtig und auch richtig, daß bei Hilfsmaßnahmen nicht nur die EG, sondern auch wichtige Länder, wie z. B. Frankreich, Großbritannien und Italien, neben uns Polen und Ungarn direkt unterstützen. Die Spruchbänder von Budapest „Wir sind heimgekehrt nach Europa" müssen alle EG-Länder und auch andere Länder unseres westlichen Kontinents ermuntern, die schwierige Situation gerade in Polen und auch in Ungarn durch Hilfen zu verbessern.
Genau hierzu paßt die Erklärung des EG-Gipfels von Straßburg, in der es heißt:
Der Europäische Rat begrüßt die Beschlüsse des Rates vom 27. November, mit denen Polen und Ungarn vorübergehend besondere Handelserleichterungen gewährt werden, um einen Beitrag zur Lösung ihrer besonderen politischen und wirtschaftlichen Probleme zu leisten.
Er hat die Beschlüsse der Gemeinschaft zur Kenntnis genommen, mit denen die wirtschaftlichen Reformen in Polen und Ungarn unterstützt werden sollen.
— Sie wollten doch informiert werden. Dann hören Sie doch einmal zu, was an Informationen aus diesen Kommuniqués, verehrter Kollege Lippelt, entnommen werden kann!
Dieser Straßburger Gipfel hat in seinem Abschlußbericht auch festgestellt:
Die Veränderungen berechtigen zu der Hoffnung, daß die Teilung Europas überwunden werden kann — gemäß den Zielsetzungen der Schlußakte von Helsinki, die darauf abzielt, im Rahmen eines umfassenden, ausgewogenen Konzepts auf der Grundlage einer ganzen Reihe von Prinzipien, die weiterhin ihre volle Gültigkeit behalten, neue Beziehungen zwischen den europäischen Ländern herbeizuführen, sei es auf dem Gebiet der Sicherheit und der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit oder hinsichtlich der menschlichen Dimension.
Wenn hier schon angeprangert wird, es sei in Straßburg oder auch in Brüssel nichts geschehen, dann muß man doch hinzufügen, daß in der für uns Deutsche besonders wichtigen Passage formuliert worden ist:
Wir streben die Stärkung des Zustands des Friedens in Europa an, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Dieser Prozeß muß sich auf friedliche und demokratische Weise, unter Wahrung der Abkommen und Verträge sowie sämtlicher in der Schlußakte von Helsinki niedergelegten Grund-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14335
Freiherr von Schorlemer
Sätze im Kontext des Dialogs und der Ost-WestZusammenarbeit vollziehen. Er muß auch in die Perspektive der europäischen Integration eingebettet sein.
Wir alle wissen oder sollten wissen: Der Fortschritt der weiteren Einheit in der EG ist notwendig für die Vollendung der Einheit der Deutschen. Da ist für mich der Gipfel in Straßburg unter Präsidentschaft des französischen Staatspräsidenten Mitterrand ein erfolgreicher Gipfel gewesen. Dies war ein Gipfel der europäischen Solidarität als Antwort auf die uns alle bewegende Situation in der DDR, in Mittel- und in Osteuropa.
Ich bedanke mich.