Rede von
Gerald
Häfner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe wenige Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat im April letzten Jahres eine Große Anfrage zum Datenschutz im Strafverfahren eingebracht. Die Antwort der Bundesregierung kam übrigens spät, und sie ist mehr als ungenügend. Sie hat es inbesondere vermieden, auf konkrete Fragen — das hat mir an der Anfrage gefallen — auch konkrete Antworten zu geben, und sie hat damit — das sage ich, weil wir gestern über Parlamentsreform sprachen — nach meinem Dafürhalten auch ein weiteres Mal das Recht des Parlaments auf ausreichende Information und Kontrolle mißachtet.
Dies alles ist aber im Moment gar nicht mehr so wichtig, denn inzwischen liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, auf den sie in der Antwort zur Anfrage auch verweist. Dieser Gesetzentwurf ist schlimmer, als wir nach den vielfältigen und deutlichen Protesten der Sachverständigen und der einschlägigen Fachverbände gegen den Referentenentwurf und seine verschiedenen Vorstadien hatten erwarten können. Die Bundesregierung hat nämlich praktisch alle ihre Warnungen in den Wind geschlagen und einen Gesetzentwurf vorgelegt, den ich nicht anders denn als sicherheitsgefährdend und als rechtsstaatswidrig bezeichnen kann.
— Das Ding trägt den Titel „Gesetzentwurf", es ist offensichtlich noch nicht durchs Kabinett gegangen, aber es wird damit als Gesetzentwurf gearbeitet. Das Verfahren könnte die Bundesregierung hier einmal erläutern. Ich wäre da auch gespannt.
Nötig geworden war das Gesetz — darauf wurde schon hingewiesen — durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, denn es hatte sich im Bereich der Ermittlungsmethoden und des Umgangs mit personenbezogenen Daten in Polizei und Justiz seit Jahren eine illegale Grauzone entwickelt, in der vom Mißbrauch persönlicher Daten bis hin zu staatlich geförderten Verbrechen alles möglich war.
Die Aufforderung zu klaren gesetzlichen Regelungen und Grenzziehungen durch das Bundesverfassungsgericht muß die Bundesregierung aber mißverstanden haben. Sie will keine Grenzen ziehen, sondern sie will Grenzen verwischen. Sie will die illegalen Praktiken nicht dadurch beenden, daß sie sie ein für allemal untersagt, sondern dadurch, daß sie sie legalisiert. Sie erklärt einfach Ungesetzlichkeit zum Gesetz, schwarz zu weiß, und hofft, daß die Öffentlichkeit dies mitmacht.
Ich kann nur hoffen, daß es dazu nicht kommt. Die Fachverbände haben in seltener Einmütigkeit, einer Einmütigkeit übrigens, die in letzter Zeit angesichts der Kahlschlagpolitik der Bundesregierung im Bereich von Grund-, Freiheits- und auch Verfahrensrechten immer häufiger entsteht, der Bundesregierung ihren Entwurf um die Ohren geschlagen und ihren entschiedenen Widerstand angekündigt. Ich bin dankbar für diese Stellungnahmen, und ich meine, daß dieser Widerstand zu Recht so angemeldet wird;
14346 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Häfner
denn mit dem Gesetzentwurf wird die Strafprozeßordnung zweckentfremdet. Sie wird unterminiert und — wie der Deutsche Anwaltverein zu Recht feststellt — in ein Spezialgesetz des allgemeinen Polizeirechts umgewidmet.
Der Rahmen für die Rasterfahndung mit der Folge der Erfassung und Speicherung zahlloser an Straftaten völlig unbeteiligter Menschen soll in dem Gesetzentwurf sogar noch ausgeweitet werden. Mit dem Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern wird die Grenze zwischen Recht und Unrecht und zwischen Gesetz und Verbrechen aufgehoben. Eine Polizei, ein Staat, der selbst Verbrechen begeht, in Auftrag gibt oder deckt, der kann nicht erwarten, daß die übrigen Bürger diese Grenzen ernst nehmen und daß sie uneingeschränktes Vertrauen in ihre Behörden und die jederzeitige Geltung der Gesetze haben. Er unterminiert dabei das, was er zu schützen vorgibt.