Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Rechte von Frauen geht, hat der Bundestag immer wenig Zeit. Deswegen müssen wir heute in 45 Minuten sage und schreibe
14364 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Oesterle-Schwerin
fünf Gesetzesinitiativen beraten. Vier der eingebrachten Gesetzentwürfe fordern mehr Rechte für Frauen. Sie stammen von den GRÜNEN. In einem Gesetzentwurf sollen die Rechte von Frauen eingeschränkt werden. Es ist nicht schwer zu erraten, woher dieser Gesetzentwurf kommt. Er kommt von der Bundesregierung.
Auf diesen Gesetzentwurf möchte ich zuerst eingehen. Es geht um die Erweiterung des Umgangsrechts für unverheiratete Väter mit ihren nichtehelichen Kindern. Das Sorgerecht für das nichteheliche Kind, zu dem auch die Bestimmung über seinen Umgang gehört, ist der einzige Bereich, in dem Frauen mehr Rechte haben als Männer. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dieses Gesetz zu ändern. Denn wenn es dem Wohle des Kindes dient — so steht es in dem bestehenden Gesetz, das Sie ändern wollen —, können Gerichte dem unverheirateten Vater den Umgang mit seinem nichtehelichen Kind schon heute gegen den Willen der Mutter gestatten.
Daß das häufig auch so gemacht wird, beweisen verschiedene Beispiele, von denen ich nur einige zitieren möchte. Das Umgangsrecht wird dem unverheirateten Vater auch gegen den Willen der Mutter gestattet, wenn er sich in den ersten Lebensjahren intensiv um das Kind gekümmert hat — so das Landgericht München, 13. Zivilkammer — oder wenn eine echte Anteilnahme des Vaters am Wohlergehen und der Entwicklung des Kindes und eine echte Zuneigung vorhanden sind — so das Landgericht Nürnberg, 13. Zivilkammer — oder wenn die Eltern in einem eheähnlichen Verhältnis zusammengelebt und das Kind zwei Jahre ab Geburt bei beiden Eltern aufgewachsen ist — so das Amtsgericht München.
Das sind nur wenige Beispiele. Wir halten solche Entscheidungen für richtig.
Was die Regierung auf Druck der Lobby einiger unverheirateter Väter jetzt allerdings vorschlägt — wohlgemerkt, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter ist gegen dieses Gesetz —, ist eine Verschärfung des Rechts zuungunsten der Mütter. Es handelt sich um nichts anderes als um eine Umkehr der Beweislast.
Während im Streitfall der Vater bisher nachweisen mußte, daß der Umgang mit ihm dem Wohl des Kindes diene, wird nach den Vorstellungen der Bundesregierung in Zukunft die Mutter nachweisen müssen, daß der Umgang mit dem Vater dem Wohle des Kindes widerspricht. Das heißt: Im Konfliktfall wird der Gang zu den Gerichten der ökonomisch meist wesentlich schwächeren Mutter aufoktroyiert. Das lehnen wir ab.
Die zitierten Gerichtsentscheidungen beweisen, daß hier überhaupt kein Handlungsbedarf besteht.
Väter, die sich von Anfang an um ihre Kinder kümmern, bekommen das Umgangsrecht, und zwar meist
schon von den Müttern selbst oder per Gerichtsentscheidung. Diejenigen, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, sollen es gegen den Willen der Mütter auch nicht bekommen. Sie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, Frauen unter Druck zu setzen und ihnen etwas zuzumuten, was sie nicht ertragen können.
Das Amtsgericht Bonn stellt in einer Entscheidung zu Recht fest:
Eltern eines Kindes sind vornehmlich diejenigen, die sich der Mühe unterwerfen, es zu einem vollwertigen, gemeinschaftsfähigen Menschen heranzubilden. Die biologische Elternschaft ist dafür weder erforderlich noch genügend. Erst die Übernahme von Elternaufgaben macht Erzeuger zu Eltern.
Das kann ich nur bekräftigen.
Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf im Interesse der Mütter und der Kinder zurückzuziehen.
Ich habe hier auf ein weiteres Problem einzugehen, und zwar auf die Frage, wie das Sorgerecht für das nichteheliche Kind geregelt wird, wenn die sorgeberechtigte Mutter stirbt oder ernsthaft erkrankt. Diese Frage besorgt viele Menschen, die in nichtehelichen Gemeinschaften mit Kindern zusammenleben. Nach geltender Rechtsprechung erhält in einem solchen Fall in der Regel der leibliche Vater das Sorgerecht, wenn er es beantragt. Die Fälle, in denen Mutter und Kind mit anderen Personen als mit dem leiblichen Vater zusammenleben, werden aber immer häufiger.
Ich will das Problem an Hand eines Beispiels schildern: Frau A lebt seit acht Jahren mit Frau B zusammen. Frau A hat eine neunjährige Tochter, die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebt. Frau A stirbt plötzlich. Frau B nimmt sich der neunjährigen Tochter selbstverständlich an und führt den gemeinsamen Haushalt weiter. Sie war ja acht Jahre lang Bezugsperson für das Kind. Das kann sie jetzt aber nicht mehr lange; denn der leibliche Vater der Tochter beansprucht jetzt sein Sorgerecht. Er bekommt es nach geltendem Recht zugesprochen und gibt das Kind in den Haushalt seiner Mutter, mit dem das Kind bislang kaum Kontakt hatte. Das Kind, das durch den Tod der Mutter ohnehin schon angeschlagen ist, wird aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen und verliert faktisch auch die zweite Bezugsperson. Das ist ein Beispiel. Davon gibt es viele, und zwar in ganz verschiedenen Konstellationen.
Deswegen beantragen die GRÜNEN folgendes: Das Sorgerecht bekommt die Person, die im Testament der Mutter dazu bestimmt ist. Wenn kein Testament vorhanden ist — normalerweise ist keines vorhanden — , bekommt diejenige Person das Sorgerecht, der das Kind am nächsten steht. Ausgangspunkt ist das Kind! Das Vormundschaftsgericht ist gehalten, bei seiner Entscheidung die besonderen Bindungen des Kindes zu berücksichtigen. Der leibliche Vater kann das Sorgerecht bekommen, wenn das Kind ihm am nächsten steht. Er bekommt es aber nicht automatisch. Kinder ab sechs Jahren müssen im Verfahren
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Frau Oesterle-Schwerin
angehört werden. Der Entscheidung von Kindern ab 14 Jahren ist zwingend zu folgen.
Unser Vorschlag ist ein Schritt zur Herstellung von größerer Sicherheit in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die gemeinsam mit Kindern leben. Ich bitte Sie, dem ebenfalls zuzustimmen.
Der dritte Antrag, auf den ich hier eingehen möchte, ist auch ein Antrag der GRÜNEN. Als weiteren Schritt zur Aufhebung der Diskriminierung von Frauen beantragen wir, die gesetzlichen Bestimmungen des Namensrechtes wie folgt zu ändern: Jede Person behält grundsätzlich — auch bei Eheschließung — ihren Namen. Kinder bekommen den Namen der Mutter. Wie Sie wissen, muß bei Eheschließungen eine der beiden Personen, die heiraten wollen, ihren Namen aufgeben und den Namen der anderen Person annehmen. In 98 % der Fälle wird der Name des Mannes übernommen. Wenn Frauen ihren Namen nicht freiwillig aufgeben, wird automatisch der Name des Mannes Familienname. Das steht aber in krassem Widerspruch zu Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Diese Situation ist aber nicht nur verfassungswidrig, sondern sie führt auch zu chaotischen Verhältnissen. Geschiedene Frauen tragen Namen von Männern, mit denen sie gar nichts mehr zu tun haben. Der umgekehrte Fall ist selten. Eine Frau kann mehrere Kinder mit verschiedenen Namen haben. Kinder wiederverheirateter Frauen tragen oft einen anderen Namen als den Namen der Familie, in der sie leben, was für diese Kinder nicht besonders angenehm ist.
Unser Vorschlag trägt hingegen der Tatsache Rechnung, daß die Mutterschaft immer, die Vaterschaft jedoch nicht immer feststellbar ist.
Unser Vorschlag hat außerdem noch weitere Vorteile: Der Name würde dann nur noch Auskunft über die Identität der Person, nicht jedoch — wie z. B. bei Doppelnamen — Auskunft über den Familienstand geben. Auch die Tatsache, ob ein Kind aus bestehender Ehe oder aus einer anderen Verbindung stammt, würde nicht schon über den Namen erkennbar werden. Keine Frau wäre mehr gezwungen, ihren Namen und damit einen Teil ihrer Identität zu ändern. Nichtehelichen Kindern sowie Kindern aus geschiedenen Ehen bliebe die Namensfrage erspart. Die Führung des mütterlichen Namens wäre Normalität.
Ich denke, das Namensrecht der GRÜNEN ist emanzipatorisch, weil es jeder Person ihre Identität beläßt und weil der Stellung der Frau als derjenigen, die die Kinder bekommt und in den meisten Fällen auch aufzieht, mehr Anerkennung zuteil würde.