Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ganz wenig Redezeit, wie kleine Fraktionen das immer haben.
— Ich werde jetzt schnell reden, denn ich möchte versuchen, das was Herr Geis eben gesagt hat, wenigstens ein Stück weit klarzustellen. Herr Geis, der Maßnahmenkatalog — ich will nur einige Punkte herausgreifen — ist ja umfangreich. Aber eindeutig ist eine Priorität von Zwangsmaßnahmen darin. Ich will nur ganz wenige Beispiele nennen. Wir haben im Parlament lang und breit darüber diskutiert, u. a. letztes Jahr im April in einer riesengroßen Debatte, in der es auch einen Antrag meiner Fraktion gab, in diesen Bereichen bundeseinheitliche Politik durchgreifen zu lassen.
Zum einen gehört zu diesen Zwangsmaßnahmen, daß Prostituierte und intravenös Drogenabhängige generell und ohne Widerlegungsmöglichkeit unter einen seuchenrechtlichen Ansteckungsverdacht gestellt werden. Zum anderen ist es so, daß sich Ausländer aus dem außereuropäischen Ausland und der Türkei zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis nach diesen Richtlinien einem HIV-Antikörpertest unterziehen müssen. Gegen ansteckungsverdächtige Personen können seuchenrechtliche Zwangsmaßnahmen wie Vorladung, Blutentnahme für HIV-Antikörpertests usw. verhängt werden. HIV-infizierte Personen sind auch zur Offenbarung ihres Krankheitszustandes gegenüber Intimpartnern und Angehörigen des Gesundheits- und Rettungsdienstes verpflichtet.
Darüber, daß AIDS unzweifelhaft eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 1 des Bundesseuchengesetzes ist, hat es in den ganzen Debatten, die wir hier in den letzten zwei Jahren hitzig geführt haben, keinen Streit gegeben. AIDS ist aber nicht meldepflichtig im Sinne des § 2 des Bundesseuchengesetzes. Eine Anwendung der im Bundesseuchengesetz vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gegenüber tatsächlich oder vermeintlich Infizierten ist im präventiven Sinne — und darüber waren sich die Mehrheiten in den Parlamenten einig, daß hier nur die Prävention und alle die Anstrengungen, die in diesem Bereich wirklich Aussicht auf grundlegenden Erfolg haben, gefördert werden sollen — völlig nutzlos und daher unverhältnismäßig. Es geht also auch um die Verhältnismäßigkeit.
In der Stellungnahme zu der Petition hat das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit richtig festgestellt, daß der bayerische Maßnahmenkatalog keine unmittelbaren Auswirkungen entfaltet. Daher ist er auch einer direkten Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen.
Das ist auch sehr weitgehend eine rechtliche Problematik.
Nur gegen einzelne auf dem Maßnahmenkatalog beruhende Maßnahmen steht der Klageweg offen. Das hat aber dann für die HIV-Infizierten und AIDS-Kranken unter Umständen einen ganz langen Klageweg durch mehrere Instanzen zur Folge. Der wird ihnen zugemutet, obwohl sie oft das Ende von diesem langen Instanzenweg gar nicht mehr erleben. Ich frage mich, ob man das diesen Menschen wirklich zumuten kann, wenn man weiß, daß diese nervlichen Belastungen auch den Gesundheitszustand verschlimmern. Daher ist eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Nichtanwendung der Zwangsmaßnahmen des Bundesseuchengesetzes bei AIDS eine Möglichkeit, um Rechtseinheitlichkeit wiederherzustellen. Das ist auch schon öfters diskutiert worden. Ich glaube, es ist auch unbestritten, Frau Ministerin, daß das eine Möglichkeit wäre. Es ist bisher nur noch nicht gemacht worden.
Juristisch lassen sich viele Argumente gegen den Maßnahmenkatalog vortragen. Ich will nur einige herausnehmen.
Der Maßnahmenkatalog sieht die Weitergabe personenbezogener Daten vor. Eine rechtliche Grundlage könnte aber nur durch Anordnung der Meldepflicht geschaffen werden. AIDS ist aber bisher nicht meldepflichtig. Das heißt, hier wird regelmäßig gegen die datenschutzrechtlichen Grundsätze des Volkszählungsurteils verstoßen.
Zweitens. Die Maßnahmen des Maßnahmenkataloges sind nicht verhältnismäßig — auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist immer wichtig — , weil sie allesamt im Sinne einer effektiven AIDS-Prävention nicht erforderlich sind.
Drittens. Die Rechtsprechung ist auch der Ansicht, daß es unzulässig ist, durch Richtlinien alle Behörden in Bayern zu einer Untersuchung ihrer Bewerber zu verpflichten.