Wenn das richtig ist — und ich will das nicht in Zweifel ziehen —, besteht ein Gegensatz zu dem, was Sie in Ziffer 2 gesagt haben,
wo Sie ausdrücklich sagen, ein Gegensatz bestehe nicht.
Ich wiederhole: In Wahrheit stoßen doch gerade bei der Kriminalitätsbekämpfung zwei Verfassungswerte von hohem Rang hart und zum Teil unvereinbar aufeinander. Zum einen geht es um das Interesse des Bürgers an der Gewährleistung seines informationel-
14344 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Eylmann
len Selbstbestimmungsrechtes, zum andern geht es aber um das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Recht des Bürgers auf einen effektiven Strafrechtsschutz.
Es muß also eine Abwägung stattfinden.
Wir müssen eine Lösung finden, die beide Verfassungswerte im Rahmen des Möglichen möglichst weitgehend zum Tragen bringt.
Deshalb besteht schon ein Gegensatz. Das sollten wir bitte nicht unter den Teppich kehren.
Ein Kommentator hat geschrieben, diese Aufgabe, vor der wir ständen, sei eine Aufgabe, die so schwierig sei, daß sie fast der Quadratur des Kreises gleichkomme. Und dann sagen Sie, es bestehe kein Gegensatz! Das ist doch nicht richtig.
Wer, wie Sie es getan haben, so tut, als existiere dieses Abwägungsproblem nicht, hat natürlich keine Aussicht, es zu lösen.
In Ihrem Satz steckt noch ein zweiter Fehler, und wir wollen uns da auseinandersetzen. Sie sagen: Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz ist das eine Begriffspaar, und die Kriminalitätsbekämpfung steht auf der anderen Seite.
Dazu sage ich: Die Rechtsstaatlichkeit ist nicht eindeutig, nicht einseitig dem Datenschutz zuzuordnen. Rechtsstaatlich kann und muß auch die Strafverfolgung sein.
Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit erfüllt sich in beidem, nämlich dadurch, daß das Gesetz klar und eindeutig und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festschreibt, wo, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das informationelle Selbstbestimmungsrecht bei der Strafverfolgung zurückzustehen hat. Das ist der entscheidende Punkt.
Um diesem Gebot der Rechtsstaatlichkeit zu genügen, ist im BMJ nach langen Vorarbeiten der Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes erarbeitet worden. Er regelt die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit mit Hilfe bestimmter hergebrachter und neuartiger Ermittlungsmethoden, die Verwendung personenbezogener Informationen, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, sowie die Verarbeitung derartiger Informationen. Was die strafprozessuale
Ermittlungstätigkeit angeht, so werden sehr ausführlich die Voraussetzungen der sogenannten Rasterfahndung näher bestimmt, die sogenannte polizeiliche Beobachtung usw., auch die Zulassung und die Grenzen des Einsatzes von sogenannten verdeckten Ermittlern.
Es ist richtig, Frau Kollegin Däubler-Gmelin: Dieser Referentenentwurf ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Das ist auch nicht verwunderlich. Wenn in einem so sensiblen Bereich wie der Kriminalitätsbekämpfung versucht wird, einen Kompromiß zwischen den von mir eingangs dargestellten beiden Verfassungswerten zu finden, wäre es verwunderlich, wenn es keine Differenzen darüber gäbe, ob die Kompromißlinien richtig gezogen worden sind. Diese Kritik ist grundsätzlich legitim, sie ist nützlich, und sie muß ernstgenommen werden. Ich nehme sie um so ernster, je sachbezogener sie ist und je weniger in dieser Kritik Blindheit gegenüber dem einen oder dem anderen der beiden hier zur Abwägung stehenden Verfassungswerte sichtbar wird.
Der Deutsche Richterbund hat ausdrücklich begrüßt, daß dieses Gesetz vorgelegt worden ist
und daß damit gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Er hat gegen die Zulässigkeit der Rasterfahndung und auch gegen die Zulässigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittler vom Grundsatz her keine Bedenken. Er meldet allerdings in einer Vielzahl von Einzelfragen Bedenken an. Soweit er rügt, daß eine Reihe von Vorschriften zu kompliziert gefaßt seien, bin ich geneigt, ihm zuzustimmen, wenn auch nicht uneingeschränkt.
Von besonderem Interesse ist für mich immer die Stellungnahme der Anwaltschaft; kein Wunder, denn ich bin selbst Anwalt. Der DAV hat nun allerdings diesen Entwurf nicht einer Detailkritik für würdig befunden. Er hat ihn vielmehr in Bausch und Bogen verworfen, ohne daß deutlich wird, daß für ihn das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung einen hohen Verfassungsrang hat. Es wird völlig einseitig auf die absolute Wahrung des Datenschutzes abgestellt. Ferner wird auch, was die Benutzung von Daten angeht, auf einer strikten Trennung zwischen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr bestanden. Die Polizei soll also Informationen, über die sie auf Grund einer Strafverfolgung verfügt und die sie infolgedessen nicht noch einmal erheben muß, nicht zur Abwehr einer Gefahr nutzen dürfen, nur weil die Informationen aus einem Strafverfahren stammen. Das wird kaum jemandem plausibel gemacht werden können.
Die Vorwürfe des DAV gipfeln in der Feststellung, die Strafprozeßordnung werde nunmehr ein Spezialgesetz des Allgemeinen Polizeirechts. Das, meine ich, ist letztlich eine abwegige Bewertung. Wenn der DAV schließlich den Entwurf in die Nähe eines Polizeistaats rückt, verliert er vollends jedes Maß und entwertet damit selbst sein Votum.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14345
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Es heißt in der Kritik, der Entwurf würde zu einem in einem Polizeistaat üblichen, von Angst und Unsicherheit geprägten Verhalten des Bürgers zum Staat führen. Die Verfasser dieser Stellungnahme scheinen sehr fern vom Bürger zu leben. Ihnen scheint nämlich entgangen zu sein, daß es zwar durchaus Angst und Unsicherheit unter den Bürgern gibt, aber aus ganz anderen Gründen, nämlich weil sich viele Bürger unzureichend vom Staat gegen die Kriminalität geschützt sehen.
Wollen diejenigen, die nun diesen Entwurf so massiv und undifferenziert kritisieren, nicht sehen, daß neben anderen Gründen auch das angeblich zu lasche Vorgehen des Staates gegen die Kriminalität den Republikanern Stimmen zugetrieben hat, auch aus ihrer Klientel? Ich bin weit davon entfernt, Stammtischparolen zu Leitlinien für die Gesetzgebung zu machen, insbesondere für die Strafgesetzgebung, aber ich muß doch wohl diese verbreitete Furcht der Bürger ernstnehmen.
Diese Furcht ist nicht unbegründet. Wir haben erst kürzlich zu unserer großen Bestürzung zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Terrorismus in unserem Lande ungebrochen ist. Ich erinnere darüber hinaus an den Rauschgifthandel, an den Bandendiebstahl, an die Betrugsringe, an den Mädchenhandel, an die mit schlimmem Kindesmißbrauch verbundene Pornographie, alles betrieben heutzutage zum erheblichen Teil von bandenmäßig organisierten und über die Grenzen hinaus international operierenden Gruppen. Es wäre doch wirklich übertrieben, zu sagen, wir hätten die Kriminalität in allen Bereichen im Griff. Ausgerechnet in dieser Situation der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr enge datenschutzrechtliche Fesseln anlegen zu wollen beweist eine bemerkenswerte Verständnislosigkeit gegenüber dem, was die Bürger wirklich bewegt.
Ich betone noch einmal, meine Damen und Herren: Polizeistaatliche Gesetze sind mit unserer Fraktion nicht zu machen. Ich nehme wie meine Fraktion den Datenschutz ernst und will dort, wo er im Interesse der Strafverfolgung zurücktreten muß, eindeutige und praktikable gesetzliche Grenzen setzen. Daß das möglich ist, ist in der letzten Wahlperiode mit der neuen gesetzlichen Regelung der Schleppnetzfahndung in § 163d StPO bewiesen worden. Dort haben Sie ein Beispiel, wie ein solcher Kompromiß zwischen Datenschutz und Strafverfolgung aussehen kann. Ich habe an dieser Regelung mitgearbeitet.
Ich gehörte, wie Sie genau wissen, auch nicht zu denen, die bei jeder Terrortat sofort nach neuen Strafgesetzen rufen, aber eines sage ich hier mit aller Deutlichkeit: Täterschutz durch eine einseitige Betonung des Datenschutzes ist mit uns und ist mit mir nicht zu machen.
Vielen Dank.