Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sieben Jahre nach Ankündigung, drei Jahre nach dem ersten Gesetzentwurf soll heute das Gesetz zum Haus der Geschichte in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Ich will einmal das berühmte Diktum eines BerlinBesuchers aus Moskau abwandeln. Man könnte heute, vier Wochen nach Öffnung der Mauer, sagen: Wer mit einem Museum zu früh kommt, den bestraft die Geschichte selbst.
Die wirkliche Geschichte hat in den letzten Wochen
das Haus der Geschichte eingeholt. Was als markantes Wahrzeichen der eigenen Geschichte der Bundesrepublik geplant ist, wird vielleicht eines Tages — Sie haben es soeben angedeutet — zur wichtigen Gedächtnisstütze für eine abgeschlossene Entwicklung sein.
Zwei Fragen bewegen die Menschen in der Sowjetunion, in Osteuropa, in der DDR am drängendsten. Sie haben diese demokratische Revolution in Gang gesetzt.
Die eine Frage, symbolisiert in der Gruppe „Memorial" in der Sowjetunion, ist die endliche Befreiung der Geschichte, der geschichtlichen Wahrheit vom staatlichen Diktat. Das ist einer der wichtigsten Antriebe für das, was wir in Osteuropa erleben. Gespräche mit den Menschen dort zeigen immer wieder zuerst den Ruf nach der geschichtlichen Wahrheit in Ungarn, in der Tschechoslowakei, übrigens auch in Argentinien. Geschichtliche Wahrheit ist etwas, was die Menschen demokratisch antreibt. Manche haben gesagt: Bevor wir die Ökonomie in Ordnung bringen, wollen wir diese geschichtliche Wahrheit in unsere eigenen Köpfe bringen und sie uns nicht vorschreiben lassen. Das scheint in der Tat ein ungeheuer bewegendes Element für viele Menschen zu sein. Häufig wird gesagt, Geschichte sei unwichtig. Hier können wir ganz lebendig sehen, daß die Geschichte ein zentraler Antrieb für die aufregendste demokratische Revolution dieses Jahrhunderts gewesen ist.
Der zweite Antrieb ist die Offenheit nach vorn, die Offenheit in die Zukunft, Geschichte, Staat, Gesellschaft so zu gestalten, daß kein geschlossenes Modell vorgegeben ist, nach dem gehandelt wird. Das einzige, was klar ist, ist die demokratische Form. Dies ist eine Revolution, in der keine Meisterplaner genau sagen, wie es morgen aussehen soll, sondern eine Revolution, die sagt: Es muß offen sein nach vorne. Viele von uns beschweren sich ein bißchen, daß man so wenig darüber nachgedacht hat, wie es morgen sein soll. Nein, man verlangt die Offenheit.
Das, was 40 Jahre Bundesrepublik ausmacht, ausmachen soll, ist der Streit um diese Offenheit. 40 Jahre offene Republik: Das haben wir gelebt. Das mußten wir manchmal gegen einen Kanzler, der noch fast aus einem anderen Jahrhundert stammte, durchsetzen.
— Na ja. Er war in der Kindheit vom vorigen Jahrhundert geprägt. Aber Kölner Oberbürgermeister war er erst in diesem Jahrhundert, Herr Kollege.
Das heißt, das Wichtige für so ein Museum wird sein, daß diese beiden Erwartungen an die westliche offene Gesellschaft wirklich erfüllt werden. Mit einem Wortspiel versuche ich immer, zu sagen: Aus dem Ostblock ist der Westblick geworden. Dieser Westblick sucht diese beiden Dinge: Wie gehen die Leute mit Geschichte um? Und wie gehen die Leute mit einer offenen Lage, mit einer offenen Gesellschaft um?
Da muß ich sagen: Die Geschichte dieses Hauses der Geschichte, nun schon sieben Jahre alt, ist ein bißchen ein Spiegel dieser beiden Forderungen. Am Anfang hatte man sehr stark den Eindruck, daß der Bundeskanzler sozusagen ein bißchen sein und seines Großvaters Haus da haben wollte. Ja, der Enkel wollte ein bißchen die Adenauer-Republik dokumentieren.
14276 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
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Die vier Gutachter haben dann ein Gutachten gemacht, in dem manches Interessante und Positive war. Wir haben dann — übrigens leider als einzige Fraktion; die anderen haben es in dieser Form nicht gemacht; die GRÜNEN haben es in Berlin gemacht — eine Anhörung gemacht und sehr viele Fachleute dazu gehört. Das von Professor Gall und anderen gemachte Gutachten ist in vielem verbessert, auch kritisiert worden. Aber es gab auch Stimmen, die gesagt haben: Leute, macht das gar nicht, das bringt nichts; man kann einen so jungen Zeitabschnitt, der so mit den handelnden Personen und den handelnden Politikern verknüpft ist, nicht so gestalten, daß diese Offenheit des Geschichtsblicks auch wirklich erreicht wird, weil sich natürlich die handelnden Personen und die Strömungen irgendwie wiederfinden und Einfluß gewinnen wollen.
Der große, jetzt leider verstorbene Historiker Broszat — ich möchte ihn hier besonders erwähnen — hat in dieser Anhörung eine sehr eindringliche Warnung vor der Wiederkehr des alten Historismus deutscher Prägung in einer sehr eindrucksvollen Weise ausgesprochen und vor dem Museum gewarnt.
Jetzt, nachdem wir so viel diskutiert und uns so oft getroffen haben, ist, denke ich, von der Form und auch vom Gesetz her die Möglichkeit gegeben, dem zu entsprechen, was hier gefordert ist: ein offenes Geschichtsbild, auch ein Streit um Positionen. Der Besucher könnte in einem solchen Museum wirklich sehen: Diese Bundesrepublik Deutschland war nach der Weimarer Republik die erste offene Demokratie.
Nun haben wir in der Praxis ein merkwürdiges Phänomen. Wir haben in den Beratungen zum Gesetzentwurf gesagt: Der Wissenschaftliche Beirat soll eine besondere Bedeutung bekommen. Das ist jetzt im Wortlaut des Gesetzes in dieser von uns damals gemeinten Form nicht mehr wiederzufinden. Nun hat der Wissenschaftliche Beirat unter seinem Vorsitzenden, Herrn Professor Schwarz, eine Rolle angenommen, die ihm eigentlich nicht zusteht und die in der Praxis die Gefahr eines Wiederauflebens des Historismus bietet. Das Interessante ist, daß das Kuratorium, also die Politiker, viel offener ist und viel weniger einwirken will, während der Wissenschaftliche Beirat in guter alter preußisch-historischer Manier sagt: Das ist jetzt sozusagen unser Haus.
Man hat erst einmal ein Unterkomitee für Personalfragen gebildet. Die dort Tätigen tun so, als wären sie die eigentlichen Direktoren. Sie haben dem Direktor jetzt untersagt, weitere Gastausstellungen, das ist das, was Sie eben gelobt haben; — auch ich lobe es — durchzuführen. Jetzt sollen keine Ausstellungen mehr durchgeführt werden.
Ich will nur einmal die Selbsternennung von Professoren ansprechen, von denen man eigentlich diesen offenen Streit erwartet hat. Jetzt haben wir sozusagen Treitschke auf neu. Das meine ich nicht inhaltlich. Falls Herr Schwarz diese Debatte hier verfolgt: Herr Schwarz, ich meine das mit Treitschke nicht inhaltlich. Ich meine die Form, wie Sie mit diesem Institut umgehen.
Herr Schwarz hat sich über eine Ausstellung geärgert, in der die Rolle der Frau in einer besonderen Weise dargestellt wurde. Er hat gesagt: Das sei eine Anpassung an den Zeitgeschmack, das gehe eigentlich nicht.
Wenn er das als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats sagt, hat das natürlich sein Gewicht. Da muß man ein bißchen aufpassen. Wir müssen den Direktor und die Mitarbeiter stärken, daß sie sich das nicht zu eigen machen. Sie sollen Ausstellungen durchführen und sich nicht von einem Historiker sagen lassen, welches nach seiner Meinung die Rolle der Frau in der Geschichte der Bundesrepublik ist. Das ist überhaupt nicht seines Amtes.
Er hat sich fürchterlich aufgeregt, als ich das in der letzten Kuratoriumssitzung moniert habe. Er hat gesagt, mir stehe gar nicht das Recht zu, ihn da zu kritisieren. Ihm steht natürlich das Recht zu, das Haus zu kritisieren, aber es soll keine Wirkung auf die Mitarbeiter haben. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen.
Wir haben jetzt schon zum zweitenmal in der Praxis dieses Museums den Fall, daß der stellvertretende Direktor dort nur ganz kurze Zeit tätig sein konnte und nun schon wieder herausbefördert wird. Auch hier muß man wach und aufmerksam sein. Man hat das Gefühl: Hier gibt es eine kleine Gruppe von Leuten, die nur ihresgleichen bei sich haben wollen. Ich will nicht im Detail ausführen, was unter „ihresgleichen" zu verstehen ist; das ist schon deutlich.
Das geht nicht. Es muß sich auch bezüglich der personellen Zusammensetzung um ein Museum handeln, bei dem Offenheit klar bleibt. Ich möchte das als ganz starke Mahnung an den hoffentlich anwesenden zuhörenden Direktor aussprechen. Also bitte: Gehen Sie auch mit dem Personal so um, daß das, was Menschen von diesem Museum erwarten, auch wirklich stattfindet! Sonst bekommen Sie Ärger mit dem Kuratorium. Das Kuratorium ist ja extra dafür da, daß wir da so ein bißchen mit aufpassen, allerdings nicht nach Parteipolitik, sondern nach inhaltlichem Interesse. Ich lade also alle Kollegen, die im Kuratorium sind, ein, sich auch wirklich ernsthaft mit der Sache zu befassen. Da gibt es Protokolle. Ich hoffe auch, daß die Protokolle des Wissenschaftlichen Beirats so offen und informativ bleiben, daß man sich wirklich damit auseinandersetzen kann.
Wir müssen aufpassen, daß dies in der Praxis nicht in eine falsche Richtung geht, eine Richtung, die der intensiven und auch der konfliktorientierten Diskussion, die wir viele Jahre über dieses Museum haben, dann nicht mehr entspräche. Das wäre dann ja toll: Wir haben uns hier bemüht, etwas Gutes und Neues zu schaffen, aber das Museum selber verhärtet sich dann. Das ist gar nicht nötig.
Die Grundlagen sind positiv. Es hat sich sehr viel auch im Gutachten geändert. Wir hoffen jetzt, daß das Haus bald zustande kommt und daß es den beiden Grundansprüchen offene Gesellschaft und nicht fe-
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stes, nicht von irgendeiner Stelle vorgegebenes Geschichtsbild entspricht.
— War nie beabsichtigt, richtig. Aber es gab natürlich
— wir wollen jetzt nicht über das Berliner Museum sprechen — manche wichtige Persönlichkeiten dieser Republik, die meinten, man könne sozusagen mit einer Handbewegung vom Staat her ein Museum gründen. Dieses Museum ist jetzt nicht mehr vom Staat gegründet worden. Wir haben dazu kräftig beigetragen.
Ich will jetzt nicht die ganze Bilanz unserer Schritte und Einwürfe unserer Schreiben vorlegen. Ich finde es gut, daß im Gesetz steht, was mein Kollege Ehmke schon in der ersten Sitzung im Kanzleramt klargemacht hat, daß dieses Museum nicht auf einem geschichtslosen Boden anfangen kann, daß davor eine Nazi-Zeit war, daß davor, im 19. und im 20. Jahrhundert, große Diskussionen um eine parlamentarische Demokratie bei den Deutschen stattgefunden haben, daß man dies bei diesem Museum auch merkt und nicht bei Null angefangen wird.
Eines bitte ich wirklich sehr ernst zu nehmen; Herr Professor Broszat hat es bei der Anhörung bei uns vorgeschlagen und vorgetragen: Man sollte im Museum sehr intensiv erkennen, wie denn diese merkwürdige lebendige Zeit von 1945 bis 1949 war. Sie ist dieser brodelnde Neubeginn und die Zeit der Demokratie wollenden Militärregierungen, eine ganz denkwürdige Phase in unserer Geschichte. Da hat sehr viel, auch geistig, stattgefunden, und dies muß mit gezeigt werden.
Wir werden streng und kritisch, offen und demokratisch und mit historisch wachem Bewußtsein die Arbeit dieses Museums weiter verfolgen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.