Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat Bundesaußenminister Genscher bereits in der vergangenen Woche in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen über das Treffen von Präsident Bush mit Generalsekretär Gorbatschow bei Malta unterrichtet und dabei auch eine Vorschau auf den Europäischen Rat in Straßburg gegeben. Ich komme gern im Namen der Bundesregierung der Bitte nach, das Hohe Haus noch zusätzlich zu informieren.
Die persönliche Information durch Präsident Bush auf dem NATO-Rat zeigt den engen Informations- und Konsultationsprozeß zwischen den USA und ihren europäischen Partnern. Wir können als Europäer mit dem Ergebnis des Treffens bei Malta sehr zufrieden sein. Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow erklärten den Beginn einer neuen Ara und das Ende des Kalten Krieges. Sie haben sich eindeutig dazu bekannt, ihre Zusammenarbeit künftig noch weiter zu intensivieren und Interessengegensätze nur mit politischen Mitteln auszutragen. Zum erstenmal seit 40 Jahren sind die USA bereit, die Sowjetunion wirtschaftlich aktiv zu unterstützen. Sie wollen ihrerseits zum Gelingen des von Gorbatschow eingeleiteten Prozesses der Umgestaltung beitragen.
Weiterhin haben sich die Gipfelteilnehmer geeinigt auf die zweite Junihälfte 1990 als Zeitraum für ein formelles Gipfeltreffen in den USA, das die Außenminister beider Staaten in einer Begegnung im Januar in Moskau vorbereiten sollen. Kooperative Beziehungen zwischen den beiden Mächten schaffen Gestaltungsräume auch für die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Westeuropa und Mittel- und Osteuropa. Die Erörterung der Lage in der Sowjetunion sowie in den Staaten Mittel- und Osteuropas, einschließlich der DDR, sowie die deutsche Frage nahmen naturgemäß einen sehr breiten Rahmen ein.
Gorbatschow betonte bei dem Treffen mehrfach, daß die mittel- und osteuropäischen Staaten ihren eigenen Weg definieren müßten. Die Sowjetunion und die USA haben ihr Interesse an stabilen Rahmenbedingungen für den Reformprozeß in Mittel- und Osteuropa bekräftigt. Die USA streben eine Vertiefung ihrer Beziehungen zu diesen Ländern an, respektieren aber sowjetische Sicherheitsinteressen. Die Sowjetunion ihrerseits stellt sich hinter den Reformprozeß. Beide sehen — wie die Bundesregierung schon seit langem — in der Helsinki-Schlußakte die Kursbestimmung und im KSZE-Prozeß den Rahmen für die künftige Zusammenarbeit zwischen West und Ost.
Die fortdauernde Präsenz der USA und Kanadas in Europa wird auch von der Sowjetunion gewünscht. Hinsichtlich der künftigen Rolle der Bündnisse besteht weitgehende Übereinstimmung, d. h. die Notwendigkeit des Fortbestands der Bündnisse als stabilisierendes Element in einer Phase der Umgestaltung und die zunehmende politische Funktion der Bündnisse wird klar gesehen. -
Rüstungskontrolle war ein wichtiges, wenn auch nicht zentrales Thema. Das Treffen gab dem Rüstungskontrollprozeß durch die Aufstellung eines konkreten Arbeitsprogramms zur Vorbereitung des Gipfeltreffens 1990 durch die Festlegung von Terminen einen kräftigen Anstoß.
Bei START sollen die Außenminister die noch offenen Einzelprobleme, wie z. B. bei luftgestützten Cruise Missiles, nicht-dislozierte Raketen, Verschlüsselung von Telemetrie-Daten, bis zum Gipfel lösungsreif machen. Eine Vertragsunterzeichnung ist bis Ende 1990 beabsichtigt.
In den Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa besteht Einvernehmen, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Unterzeichnung ei-
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Staatsminister Schäfer
nes KSZE-Abkommens auf Gipfelebene noch 1990
nach sowjetischen Vorstellungen anläßlich eines Treffens der Staats- und Regierungschefs der 35 KSZE-Staaten im Herbst nächsten Jahres — zu ermöglichen.
Der sowjetische Vorschlag, nach den jetzt verhandelten Reduktionen der Land- und Luftstreitkräfte
— Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, auch der Luftstreitkräfte — auch die Seestreitkräfte rüstungs-kontrollpolitisch zu erfassen, nämlich das Verbot taktischer seegestützter Nuklearwaffen, wurde von den USA abgelehnt.
An der Eröffnung der sogenannten „Open Skies"-Konferenz, Überwachungsflüge also über die Territorien der jeweils anderen Seite, in Ottawa am 12. Februar 1990 werden die Außenminister teilnehmen, um auch am Rande der Konferenz der VKSE einen zusätzlichen Impuls zu vermitteln.
Gorbatschow hielt Bushs Vorschlag, bis zum JuniGipfel 1990 eine Einigung über eine vorzeitige Bestandsvernichtung der chemischen Waffen bis auf 20 % des gegenwärtigen US-Bestandes anzustreben, für prüfenswert.
Die Aussprache im NATO-Rat unterstrich erneut die Bedeutung der Allianz in diesen für uns so zentralen Fragen.
Der Europäische Rat in Straßburg ergab in wesentlichen Bereichen des Integrationsprozesses Grundsatzbeschlüsse, die neue, wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft geben werden.
Mit Ausnahme Großbritanniens einigten sich alle Delegationen darauf, daß die Regierungskonferenz zur Änderung des EWG-Vertrags im Hinblick auf die Wirtschafts- und Währungsunion im Dezember 1990 zusammentritt.
— Herr Kollege, wir werden doch einen Beschluß von elf Staaten gegen einen, im Dezember nächsten Jahres eine solche Konferenz zu veranstalten, nicht nachträglich in Zweifel ziehen wollen.
Inhaltliche Grundprinzipien unserer deutschen Position — z. B. Unabhängigkeit des Europäischen Zentralbanksystems, dauerhafte Sicherung der Geldwertstabilität, Sicherung der Haushaltsdisziplin — wollen wir eindeutig und wirksam verankern. Der Bundeskanzler hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei der Vertragsänderung den institutionellen Fragen, insbesondere der Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments vor dessen Neuwahl Mitte 1994, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Premierministerin Thatcher hat erklärt, Großbritannien werde bei der Konferenz voll und konstruktiv mitarbeiten.
Daneben konnte die „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer" von elf Mitgliedstaaten gegen Großbritannien verabschiedet werden. Für die Ausgestaltung der sozialen Dimension des Binnenmarkts wird es nun entscheidend auf die verbindlichen Einzelmaßnahmen in dem jüngst von der Kommission vorgeschlagenen Aktionsprogramm ankommen.
Im Binnenmarktbereich erwartet der Europäische Rat baldige weiterführende Beschlüsse. Die vor einem Jahr vom Europäischen Rat in Rhodos eingesetzten Koordinatoren für die Begleitmaßnahmen bei der Aufhebung der Grenzkontrollen sollen ihre Arbeit fortsetzen mit dem Ziel, sie bis spätestens Ende 1990 abzuschließen.
Seine Aussagen zu den EG-Außenbeziehungen konzentriert der Europäische Rat auf die Nachbarn der Gemeinschaft, nämlich die EFTA-Staaten, die mittel- und die osteuropäischen Staaten und die Mittelmeerländer. Neben Grundsatzpositionen und der Bilanz der gegenseitigen Beziehungen stehen dabei weitreichende neue Beschlüsse zu Mittel- und Osteuropa im Vordergrund, z. B. die Lieferung weiterer Agrarerzeugnisse an Polen, die grundsätzliche Unterstützung des Antrags der Sowjetunion auf Beobachterstatus beim GATT, die Errichtung einer „Europäischen Stiftung für die berufliche Bildung " Anfang 1990, die Schaffung einer „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" , und schließlich auch die Gewährung eines Ein-Milliarden-ECU-Darlehens an Ungarn. In diesem Zusammenhang weise ich auch auf die gestrige erfolgreich verlaufene Sitzung der 24 Geberstaaten in Brüssel hin.
Straßburg hat gezeigt: Die Europäische Gemeinschaft ist eine Kraft, die für die ganze Welt ein bedeutendes Wachstumspotential bereithält,
die auch gewillt ist, ihre Verantwortung für Frieden, Freiheit und Durchsetzung der Menschenrechte überall in der Welt wahrzunehmen.
Straßburg hat vor allem gezeigt, daß die Gemeinschaft ein Stabilitätsanker für ganz Europa ist und daß — wie es der amerikanische Außenminister vorgestern in Berlin betont hat — ihre weitere Entwicklung eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des Neuen Europas spielen wird.
Mit dem Signal der Integration hat sie ein Signal der Kooperation gegenüber den reformwilligen Staaten in Mittel- und Osteuropa gesetzt. Sie hat eine kohärente Außenpolitik im Verhältnis zu diesen Staaten formuliert. Die Entscheidungen und Angebote zur Zusammenarbeit im Rahmen der EG-Außenbeziehungen ebenso wie die Erklärung der EPZ zu Mittel- und Osteuropa sind als deutliche Botschaft der Ermutigung und Unterstützung der dortigen Reformprozesse unter Wahrung der Stabilität in Europa angelegt. Für diese Linie haben wir uns in der Vorbereitung des Europäischen Rats nachdrücklich eingesetzt.
In Malta und in Brüssel wie in Straßburg war auch die deutsche Frage — Frau Kollegin Vollmer unterhält
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sich gerade — Gegenstand der Gespräche und Beratungen.
In Malta hat sich Präsident Bush mit großem Verständnis und mit großer Weitsicht zum Thema der deutschen Einheit geäußert. Die Erklärung des Europäischen Rats in Straßburg zu Mittel- und Osteuropa umfaßt — und dies zum ersten Mal — eine Aussage der Gemeinschaft zur deutschen Einheit in untrennbarer Verbindung mit der Zukunft Europas. Die Zwölf haben sich damit grundsätzliche Positionen der Bundesrepublik Deutschland zu eigen gemacht, wie sie schon im Brief zur Deutschen Einheit festgelegt und in der Debatte des Bundestags am 28. November 1989 von einer großen Mehrheit unterstützt wurden. Wir begrüßen ausdrücklich, daß in der Erklärung der Zwölf erneut die feste Einbindung der deutschen Frage in den Entwicklungsprozeß der europäischen Friedensordnung herausgestellt wurde. Alle Teile des Prinzipienkatalogs der Schlußakte von Helsinki gelten auch für uns Deutsche. Der KSZE-Prozeß wird weiter unseren Kurs bestimmen, hin zu einer europäischen Friedensordnung, die die Trennung Europas überwindet und in der das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann.
Ein solcher friedlicher und demokratischer Prozeß kann sich nur entfalten unter stabilen Rahmenbedingungen. Dazu bedarf es — auch das ist in Straßburg erfreulicherweise ausdrücklich bestätigt worden — der Perspektive der europäischen Integration.
Wir begrüßen die Ergebnisse von Malta und Straßburg. Sie bedeuten wichtige Schritte auf unserem gemeinsamen Weg mit unseren Freunden und Partnern.