Entgegen den Vorstellungen, die wir haben, ist in der Frage des Kündigungsschutzes für deutsche Arbeitnehmer eine ganze Menge zu machen. Wir haben ja gerade das Beschäftigungsförderungsgesetz mit Ihren Stimmen verlängert. Bei der Arbeitszeitgestaltung wäre für deutsche Arbeitnehmer eine ganze Menge auch durch eine Sozialcharta zu verbessern.
Bei dem Schutz prekärer Arbeitsverhältnisse wäre eine ganze Menge zu verbessern. Informieren Sie sich einmal über den Kündigungsschutz, der beispielsweise in Spanien besteht. Dann werden Sie deutlich sehen, daß die Bundesrepublik nicht überall sozialpolitisch Spitze ist. Das nur zur Erklärung für Sie.
Wir müssen von Ihren eigenen Positionen her fragen, Herr Minister: Warum verzichten Sie auf den Kündigungsschutz und den Schutz prekärer, bisher ungesicherter Arbeitsverhältnisse als eine Position, die dann aus dem Neun-Punkte-Plan einen ZehnPunkte-Plan gemacht hätte? Es ist keine Assoziation zu einem anderen Zehn-Punkte-Plan drin. Warum verzichten Sie auf den Schutz der Teilzeitbeschäftigten, den Sie in die Gespräche eingebracht haben? Warum verzichten Sie auf Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertretung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, bei neuen Techniken, in sozialen Angelegenheiten bei grenzüberschreitenden Konzernen und Unternehmen, was Sie selbst in die Verhandlungen eingebracht haben? Warum verzichten Sie auf die Verankerung grundlegender Gewerkschaftsrechte wie Tarifautonomie und Streikrecht, was Sie selbst in die Verhandlungen eingebracht haben? Alle diese Punkte haben Sie deshalb nicht aufgenommen, weil die Arbeitgeber natürlich dagegen waren. Sie werden damit zum Erfüllungsgehilfen der Position des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände und verzichten auf eine eigenständige sozialpolitische Position.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989 14305
Peter
Das alles sind Punkte, die Sie selbst für notwendig gehalten haben. Wer sich von der Position der Arbeitgeberseite so abhängig macht — trotz Stütze durch den Beschluß des Bundestages, trotz Stützen durch verschiedene Beschlüsse des Europäischen Parlaments, bei denen die Europapolitiker der christlichen Volksparteien mitgestimmt haben —, darf sich nicht wundern, wenn er bei den Arbeitnehmern an Vertrauen verliert.
Wir hoffen, daß Sie wenigstens versuchen, sich bei dem jetzt erhöhte Bedeutung erhaltenden sozialpolitischen Aktionsprogramm der EG für eine Ausweitung der sozialen Rechte auch deutscher Arbeitnehmer einzusetzen. Jetzt geht es darum, Arbeitnehmerrechte in verbindlichen Richtlinien festzuklopfen. Dabei kann man über die Priorität von Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz durchaus reden — das ist eine notwendige und wichtige Sache — , aber es geht auch um einige der Punkte, die eben nicht in Ihrem Neun-Punkte-Plan stehen. Jetzt geht es darum, über Ihr Minimalprogramm hinauszugehen: beim Verbot ungeschützter Arbeitsverhältnisse, bei Arbeitszeitregelungen, beim Kündigungsschutz, bei der Gleichstellung von Mann und Frau — auch hier ist die Bundesregierung keineswegs Spitze gewesen; da gibt es ja Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu der Frage, wie der Gleichstellungsauftrag der EG in der Bundesrepublik gehandhabt wird —, bei Gewerkschaftsrechten, bei dem Recht auf Ausbildung, beim Elternurlaub und bei der Information, Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Unternehmen.
Und dann geht es um einen konkreten Zeitplan, meine Damen und Herren. Denn wir wollen, daß die soziale Dimension 1993 Bestandteil des Binnenmarktes ist und daß dort nicht nachgebessert werden muß. Das ist immer sehr viel schwieriger, als einen Prozeß integrierend in Gang zu bringen; das wissen Sie selber.
Auch hier gibt der Deutsche Bundestag Ihnen heute oder morgen weitere Rückendeckung. Denn die Auslegung des Art. 118 a, die der Arbeits- und Sozialausschuß dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt, geht schon von einer vollen Ausschöpfung der Möglichkeiten dieses Artikels des EWG-Vertrages, der Einheitlichen Europäischen Akte, aus. Dabei ist die Grenze durch den Text des Art. 118a gezogen, aber zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gehört es auch, die Fragen der Arbeitszeit, der Arbeitszeitgestaltung und der Schichtarbeit mit einzubeziehen. Da ist es durchaus möglich, sich in Richtlinienvorschlägen stark zu machen und nach außen ein Zeichen dafür zu setzen, daß es eben mehr ist als nur ganz eng beschriebener Arbeitsschutz.
Die sozialistische Fraktion erwägt — das sollte Ihnen zu denken geben — ein Mißtrauensvotum gegen die Kommission, falls diese die sozialen Prioritäten nicht in ihr Arbeitsprogramm 1990 übernimmt. Wenn die bisherige sozialpolitische Koalition des Europäischen Parlaments weiter steht — und es gibt keine Anzeichen dafür, daß das nicht der Fall ist — , dann
wird das Europäische Parlament auf diese Art und Weise die Tür tatsächlich dafür öffnen — und nicht nur den Fuß zwischen die zuklappende Tür stellen —, daß wir mit mehr Recht von einer europäischen Sozialstaatspolitik sprechen können, als das bisher leider der Fall ist.
Wenn es bei einer Revision der Verträge im Zusammenhang mit der Währungs- und Wirtschaftsunion um die Erweiterung der Verträge geht, müssen wir uns überlegen, ob nicht eben dann auch die Rechtsgrundlagen für weitere Bereiche der Sozialpolitik geschaffen werden, wobei die Dinge, die sich einer Harmonisierung entziehen, Herr Arbeitsminister, selbstverständlich auch nach Ansicht der SPD nicht in diesen Bereich einbezogen werden müssen.
— Das sind die Sozialversicherungssysteme. Was im Bereich der Sozialversicherungssysteme nationalstaatlich gewachsen ist, kann nicht von einem von oben vorgegebenen anderen Ansatz überwölbt und aufgehoben werden. Zwischen diesen Dingen und dem, was Art. 118a EWG-Vertrag ermöglicht, gibt es aber eine ganze Menge von Handlungserfordernissen, die der FDP angesichts der von ihr betriebenen Deregulierungspolitik natürlich nicht gefallen. Sie haben ja kein sozialpolitisches Referat gehalten, Herr Kollege Heinrich, sondern Sie haben hier eine urliberale wirtschaftspolitische Rede gehalten, bei der den Sozialpolitikern der CDU eigentlich hätte grausen müssen.
Wir müssen bei der Revision der Verträge also überlegen, ob sozialstaatliche Erweiterungen möglich sind. Wir meinen, daß europäische Sozialpolitik tatsächlich eine ganz konkrete Aufgabe ist. Es gilt, ein Aktionsprogramm zu erstellen, das es ermöglicht, konkrete Vorhaben innerhalb eines festen Zeitrahmens auch tatsächlich in Angriff zu nehmen. Dafür, nicht aber für den Weg, den Sie bei der Diskussion über die Europäische Sozialcharta eingeschlagen haben, werden Sie unsere Unterstützung haben.
Schönen Dank.