Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt geht es um den Datenschutz im Strafverfahren, eigentlich um den nicht vorhandenen Datenschutz im Strafverfahren. Wie Sie gesehen haben, haben wir dazu eine Menge parlamentarischer Initiativen gemacht, eine Große Anfrage — die wurde dann auch beantwortet —, einen Entschließungsantrag; und heute reden wir darüber. Das ist gut so; denn es ist geradezu auf den Tag vor sechs Jahren gewesen, daß das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts gesprochen wurde. Dieses Urteil ist Anlaß für unsere Überlegungen.
Dieses Urteil hat das Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung als Freiheitsrecht im elektronischen Zeitalter zum Grundrecht erhoben. Das war unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung mit ihrer ins Unendliche gesteigerten Möglichkeit zum Sammeln, Weitergeben und Weiterverwerten jeder Art von Informationen notwendig. Das Urteil war auch notwendig, um die Sammelwut von Behörden und Verwaltungen, die sich für alles und jedes interessieren und jetzt auch die technischen Möglichkeiten haben, das zu tun und durchzusetzen, zu stoppen.
Gleichzeitig — und das ist das Wichtigste — hat das Bundesverfassungsgericht ernst gemacht mit dem Auftrag unseres Grundgesetzes, unseren Grundrechten immer gerade dann wieder Geltung zu verschaffen, wenn sich die äußeren Bedingungen verändern. Die Einführung der Kommunikations- und Informationstechnologien hat in der Tat die Bedingungen dramatisch verändert.
Das hat ein ehemaliger Präsident des Bundeskriminalamts schon vor mehreren Jahren auf den Punkt gebracht, der sagte: Möglichkeiten von Angriffen auf die Menschenwürde finden sich bereits in den Strukturen der Elektronik angelegt. Er sprach davon, daß die Isoliertheit der Ressorts aufgehoben werden könne, daß internationale und nationale Grenzen überwunden würden, daß das Wissen immer größer werde, daß man immer mehr sammeln könne, daß die Grenzenlosigkeit der Informationsverarbeitung es gestatte, das Individuum auf seinem ganzen Lebensweg von der Wiege bis zur Bahre zu begleiten, daß Momentaufnahmen, Ganzbilder, Profile der Persönlichkeit geliefert werden könnten und daß es die Gnade des Vergessens von Daten nicht mehr gebe, sondern daß alles präsent bleibe, daß der „Große Bruder" eben nicht nur eine Gefahr in der Literatur sei.
Das ist eine prägnante Umschreibung und zugleich eine Aufforderung an den Gesetzgeber gewesen, dies alles zu verhindern. Wie er das verhindern soll, dazu hat das Bundesverfassungsgericht in eben jenem Urteil, das jetzt gerade sechs Jahre alt wird, die genauen Merkmale geliefert. Es hat gesagt: Wir brauchen die Feststellung, daß Erhebungen von personenbezogenen Informationen, personenbezogenen Daten, immer Eingriffe sind. Die sind nur dann zulässig, wenn sie im überwiegenden Allgemeininteresse liegen, wenn klare Gesetze da sind, die dem Gebot von Normenklarheit, Verfassungs- und Verhältnismäßigkeit
14342 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1989
Frau Dr. Däubler-Gmelin
entsprechen, wenn Mißbrauch und auch Zweckentfremdung verhindert werden.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, sich das auch in dieser Stunde immer wieder in Erinnerung zu rufen, weil das auch für den Rechtsbereich des Strafrechts und des Strafprozeßrechts gilt; denn die Strafprozeßordnung hat die Aufgabe, im Strafverfahren die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen und damit einen wichtigen Beitrag für den inneren Frieden zu leisten.
Warum ist das so? Weil eine ganze Menge von Beschuldigten, Zeugen, Verletzten und Hinweisgebern beteiligt sind und weil Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte von all denen persönliche Daten und Umstände brauchen. Deshalb brauchen wir auch klare Normen, die sagen, was möglich ist und was nicht.
Jetzt muß die Strafprozeßordnung dem angepaßt werden, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, und zwar nicht in einzelnen Fällen, sondern insgesamt. Das ist umfangreich, das ist schwierig, zumal es wirklich auch um heikle Entscheidungen geht, weil z. B. die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, also auch zwischen Justiz- und Innenbereich, neu geordnet werden muß.
Zeit genug, das zu tun, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen und auch von der Regierung, hätten Sie wahrhaft gehabt, auch wenn es nicht einfach ist, das alles zu tun. Ihre Untätigkeit grenzt mittlerweile an die ausdrückliche Mißachtung unseres höchsten Gerichts.
Aber das ist es nicht allein. Es ist schlimm, aber zutreffend, wenn mehrere Strafgerichte sagen: Der zeitliche Übergangsbonus des Gesetzgebers ist endgültig vorbei. Meine Damen und Herren, das ist deswegen schlimm, weil wir die Folgen sehen müssen. Die sind klar. Die Gefahr wird größer, daß bald einmal ein an sich überführter Straftäter allein deswegen freigesprochen werden muß, weil die Anpassung der Strafprozeßordnung eben nicht erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, wer das nicht will, muß jetzt handeln, vor allem auch deshalb, weil Sie mit jedem Tag des Säumens Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizei zumuten, sich zunehmend auf schwankendem Boden zu bewegen. Das schafft Unsicherheit, und zwar auch in bezug auf den Beitrag, den unsere Strafprozeßordnung leisten muß. Deswegen prangern wir diese Versäumnisse an.
Uns ist klar, warum Sie nichts zuwege gebracht haben. Das liegt an den enormen Unterschieden der Auffassungen in Ihren Reihen. Das können wir aus jeder Stellungnahme herauslesen, wenn z. B. Teile von Ihnen — es sind ja nie alle — Datenschutz als Täterschutz diffamieren oder wenn man einmal das eine, einmal das andere zur Rasterfahndung oder auch zum Problem des verdeckten Ermittlers liest. Freilich ist es so: Je konkreter die Probleme sind, die gelöst werden müssen, desto schwieriger wird es.
Das wissen wir auch. Wir haben deshalb die kritischen
Punkte sehr frühzeitig herausgestellt, eben in unserer
Großen Anfrage. Mit der Beantwortung haben Sie
sich über ein Jahr Zeit gelassen und sich dann noch um klare Antworten herumgedrückt.
Ich finde das bedauerlich. Wir sagen deshalb: Es müssen jetzt vier Punkte klargestellt werden.
Erstens. Die Eingriffsvoraussetzungen der Strafverfolgungsbehörden müssen neu definiert werden.
Zweitens muß jener Bereich genau umrissen und auch geschützt werden, in dem Ermittlungshandlungen überhaupt nicht stattfinden dürfen, auch nicht durch elektronische Lausch- oder sonstige Geräte.
Drittens. Die strafverfahrensrechtlichen und die polizeirechtlichen Befugnisse müssen klar voneinander getrennt werden, auch dann, wenn dies Spannungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft auslöst. Wir sagen: Die Befugnisse der Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren müssen gestärkt werden.
Viertens. Wir müssen mit äußerster Zurückhaltung gesetzlich regeln, wie die Einbeziehung unbeteiligter Dritter z. B. auf Fotos, Tonbändern oder Filmen möglichst gering gehalten werden kann. Außerdem brauchen wir flankierende Schutzvorschriften, Verwertungsverbote , Löschungsvorbehalte, Richtervorbehalte und Befristungen der Datenspeicherung.
Wir haben das zur Kenntnis genommen, was Sie an Vorentwürfen in die Öffentlichkeit gebracht haben, Herr Justizminister. Wir haben natürlich auch die negativen, ja vernichtenden Stellungnahmen dazu gelesen und ausgewertet. Deswegen sage ich Ihnen: So können wir nicht weitermachen. Sie sollten bald einen Gesetzentwurf vorlegen, der erstens umfassend und zweitens sehr deutlich ist.
Lassen Sie mich einen einzigen Punkt herausgreifen — mein Kollege de With wird nachher weiteres tun —, den ich für besonders heikel halte, der aber zeigt, daß wir uns vor kritischen Punkten keineswegs drücken. Das ist die Frage des Einsatzes von verdeckten Ermittlern.
Wir wissen: Gerade da spitzen sich die Fragen ungewöhnlich scharf zu, etwa die: Wie weit darf der dem inneren Frieden verpflichtete Rechtsstaat von seinem Grundsatz des öffentlichen Handelns lassen? Wie weit darf er sich ins Verborgene zurückziehen, das Visier herunterlassen, wenn er durch Polizei oder in Strafverfahren tätig wird? Müssen sich nicht die Verteidiger des Rechtsstaats, also die ermittelnden Polizeibeamten, unter allen Umständen zweifelsfrei an die Gesetze halten? Darf der Rechtsstaat, wie Adolf Arndt 1961 schon gefragt hat, betrügen? Das sicher nicht. Aber wie ist es denn? Müssen wir nicht doch verdeckte Ermittler haben, weil wir eben im Bereich des Terrorismus, der Drogenmafia, des Menschenhandels, des Waffenhandels Verbrecherstrukturen haben, die wir anders nicht bekämpfen können?
Uns ist die Antwort auch nicht leicht gefallen, weil wir Adolf Arndts damalige Warnungen für sehr zutreffend halten. Der Rechtsstaat kann hier sehr schnell zugrunde gehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat Adolf Arndt recht gegeben, gerade im Volkszählungsurteil.
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Wir brauchen rechtsstaatliche Mittel. Gegen verdeckte Ermittler haben wir allerdings genau wie gegen V-Leute erhebliche Bedenken, auch aus tatsächlichen Gründen. Ich möchte einmal den Innenminister oder den Behördenleiter sehen, der guten Gewissens verantworten kann, junge Leute in diesen Bereich hineinzuschicken, wenn er ganz genau weiß: Deren Möglichkeiten zu operieren sind ohnehin gering, weil sie sich an die Gesetze halten müssen. Das fällt in diesem hochkriminellen Bereich sehr schnell auf. Eine perfekte Gegenwelt, in der so jemand operieren könnte, können wir gar nicht errichten. Ein Innenminister, ein Behördenleiter weiß auch, daß er diese hochqualifizierten jungen Leute, die maximal zwei Jahre zum Einsatz kommen könnten, nicht schützen kann, wenn sie enttarnt werden. Die dann das ganze Leben lang vor Verfolgung in Obhut zu nehmen, das wird sehr schwierig.
Wir sagen deswegen — gerade auch, weil wir als Gesetzgeber eine Fürsorgepflicht diesen jungen Beamten gegenüber haben — : Wenn verdeckte Ermittler eingeschaltet werden sollen, dann muß eine ganz schmale Gratwanderung vorgenommen werden. Dann muß der Ausnahmefall festgelegt werden. Und dann muß in dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sehr deutlich gemacht werden, was wir alles brauchen — vom Richtervorbehalt bis zu der Klarstellung, daß die Rechts- und Wahrheitsfindung vor Gericht auf keinen Fall behindert werden darf.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, der in der Sache sehr hilfreich sein könnte, Herr Bundesjustizminister. Wir fänden es gut, wenn Sie über Ihren Schatten sprängen, diesen Entschließungsantrag annähmen und dann möglichst umgehend einen umfassenden Gesetzentwurf vorlegen könnten, der diese und andere heikle Fragen dann wirklich zur Zufriedenheit regelt.
Herzlichen Dank.