Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, heute in ver-
bundener Beratung mit dem Einzelplan 15 – Gesundheit
– die erste Lesung von drei Gesetzentwürfen durchzu-
führen. Es handelt sich um den von den Fraktionen SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,
den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Ände-
rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie den
Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion zur Änderung des
Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Das sind die Drucksachen 14/898,
14/886 sowie 14/884. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlos-
sen.
Die Fraktion der SPD hat im Einvernehmen mit der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der
F.D.P. fristgerecht beantragt, die dritte Beratung des
Haushaltsgesetzes 1999 am Donnerstag unmittelbar im
Anschluß an die zweite Beratung durchzuführen.
Außerdem soll die Tagesordnung um die zweite und
dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Peter
Struck, Otto Schily, Gila Altmann, Volker Beck, Hilde-
brecht Braun, Ernst Burgbacher und weiteren Abgeord-
neten eingebrachten Gesetzentwurfs zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts erweitert werden. Dieser
Punkt soll am Freitag als erster Tagesordnungspunkt
mit einer Debattenzeit von drei Stunden aufgerufen wer-
den. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das
Wort gewünscht? – Das Wort hat Kollege Schmidt,
SPD.
Guten Mor-gen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist kein ungewöhnlicherVorgang, daß wir uns im Deutschen Bundestag mit Ge-schäftsordnungsfragen befassen. Nun ist allerdings eineneue Variante von der CDU/CSU erzwungen worden.Wir beraten zum erstenmal seit vielen Jahren über dieFeststellung der Tagesordnung des Deutschen Bundes-tages hier im Hohen Hause und werden auch eine Be-schlußfassung darüber herbeiführen, weil wir uns wederim Ältestenrat noch in der Geschäftsführerrunde auf dieAufsetzung des Tagesordnungspunkts „Staatsangehörig-keitsrecht“ und auf die Behandlung der zweiten unddritten Lesung des Haushalts 1999 verständigen konn-ten. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, aber vonder CDU/CSU ist man ja mittlerweile einiges gewöhnt.
Wir müssen feststellen, daß die CDU/CSU immerwieder in neue Dimensionen der Geschäftsordnung vor-stößt. Was das allerdings mit praktischer, mit sachlicherund mit inhaltlicher Politik zu tun hat, bleibt dem Be-trachter und auch uns verborgen. Wir wollen diesenVorgang so nicht hinnehmen, weil Sie damit von Ihrerpolitischen Schwäche ablenken wollen.
Es geht – der Präsident hat unseren Antrag bereits zi-tiert – der SPD-Fraktion, dem Bündnis 90/Die Grünenund der F.D.P.-Fraktion darum, die Schlußberatung desHaushaltsgesetzes am Donnerstag abend und die zweiteund dritte Lesung des Staatsangehörigkeitsrechts amFreitag auf die Tagesordnung zu setzen. Das hat guteGründe.
Durch die Abschlußberatungen des Haushalts am Don-nerstag abend werden wir die Haushaltsberatungen indritter Lesung in homogener Form abschließen. Wir wer-den im Vergleich zu den vergangenen Jahren dadurchkeine einzige Stunde der Haushaltsberatungszeit kappenund sie um keine einzige Stunde verkürzen. Deshalb mußman feststellen, daß Wind vor der Hoftür der größtenOppositionsfraktion weht. Es ist schon sehr unverständ-lich, warum Sie hier in dieser Weise vorgehen.Ein weiterer Punkt. Über den TagesordnungspunktStaatsangehörigkeit am Freitag abschließend zu beraten
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liegt auf der Hand, und zwar nicht erst seit dieser Wo-che, sondern seit vielen Wochen und Monaten. Die Ma-terie ist Ihnen seit Anfang des Jahres bekannt. Sie habensie zu einem zum Teil widerwärtigen Schauspiel in derÖffentlichkeit ausgenutzt, meine Damen und Herren vonder CDU/CSU.
Sie haben auch im Zuge der Beratung des Gruppenan-trags von Abgeordneten der SPD, der Grünen und derF.D.P. immer wieder erkennen lassen, daß Sie sich beidieser Kampagne zur Sammlung von Unterschriftenüberhaupt nicht zurücknehmen werden. Ich kann Ihnennur sagen: Wer das erkennen läßt, der ist in diesem Hau-se nicht konsensfähig und lehnt es offensichtlich ab, anBeratungen zu diesem Thema konstruktiv teilzunehmen.Dies haben Sie in den vergangenen Wochen und Mona-ten, auch in den Ausschußberatungen, immer wieder ge-zeigt.Wir wollen am Freitag die mit dem Staatsangehörig-keitsrecht verbundenen Vorlagen verabschieden, weilwir der Auffassung sind, daß damit im wohlverstande-nen Interesse aller Beteiligten das Gezerre im politi-schen Raum seinen vorläufigen Abschluß finden sollte.
Dies ist wichtig, weil wir auch während der Beratungenseit dem 16. März, seitdem der Gruppenantrag in diesemHause eingebracht worden ist, immer wieder auf Sie zu-gegangen sind, sowohl in den Ausschußberatungen alsauch in direkten Gesprächen, zum Beispiel unter denFraktionsvorsitzenden von SPD und CDU/CSU, um zuklären, ob es noch Möglichkeiten gibt, an dieser Stellezu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Diese Er-kenntnis hat sich an keiner Stelle ergeben. Im Gegenteil,Sie haben Ausschußberatungen immer wieder mit Ob-struktion begleitet, sind aus ihnen ausgezogen, oder ha-ben an ihnen überhaupt nicht teilgenommen. Daherwollen und müssen wir am Freitag das ganze ProjektStaatsangehörigkeitsrecht verabschieden.Es ist auch Sinn der Sache, in diesen Tagen daraufeinzugehen, weil wir immer wieder hören, daß von Ih-nen eine neue Welle von Desinformation in der Öffent-lichkeit verbreitet worden ist und verbreitet wird. Wieich finde, bringen Sie nicht nur zu Unrecht, sondernwiederum in einer widerwärtigen Form das Staatsange-hörigkeitsrecht in Zusammenhang mit dem Schicksalder Kosovo-Flüchtlinge. Dies geht nicht. Wir werden esnoch weniger als alles andere vorher hinnehmen.
Wenn Abgeordnete und Funktionsträger der CDU/CSU so tun, als wenn der Zuzug von Kosovo-Flüchtlingen und die Verabschiedung des Staatsangehö-rigkeitsrechts in einigen Fällen in Zusammenhang mitder Hinnahme von Doppelstaatsangehörigkeit steht undwenn Sie damit so tun, als wenn viele von den Kosovo-Flüchtlingen demnächst auch die deutsche Staatsangehö-rigkeit bekommen sollen – was nicht im entferntesten indiesem Gesetzentwurf angelegt ist –, dann kann ich nursagen: Wir werden Ihr Vorgehen auch in der Öffentlich-keit immer wieder kritisieren.
Es gibt gute Gründe, die Abschlußberatung am Frei-tag durchzuführen. Namens der Fraktionen von F.D.P.,Bündnis 90/Die Grünen und SPD fordere ich Sie auf,unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der
Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! IhreRede, Herr Kollege Schmidt, hat einmal mehr die Arro-ganz der Macht deutlich werden lassen, in der Sie sichganz offensichtlich befinden.
Anders herum wird ein Schuh daraus. Weshalb habenwir uns zum erstenmal weder in der Runde der parla-mentarischen Geschäftsführer noch in der Runde des Äl-testenrates über eine Tagesordnung einigen können?Doch nicht, weil wir von Bord gewesen wären, sondernweil es den guten alten Brauch gibt, daß das Königsrechtdes Parlaments, die Beratung des Haushalts, ernst ge-nommen wird, daß über die Zahlen des Haushalts gestrit-ten wird und daß dafür eine Woche zur Verfügung steht.Zum erstenmal geht die Koalition ohne Not, wie in ande-ren Fällen übrigens auch, von dieser guten Tradition ab.Sie haben zweierlei gemacht. Auf der einen Seitewollen Sie den Haushalt bereits am Donnerstag abend indritter Lesung verabschieden, zu einer nicht öffentlichenZeit. Dafür habe ich angesichts der Zahlen dieses Haus-halts ein gewisses Verständnis. Aber Sie brechen damiteine jahrzehntelange demokratische Tradition.
Zum anderen gehört es auch zum Königsrecht desParlaments gerade bei den Haushaltsberatungen, daßman in der Haushaltswoche kein anderes großesSchwerpunktthema auf die Tagesordnung setzt. Auchhier brechen Sie eine Tradition, wenn Sie die Beratungdes Staatsangehörigkeitsrechts am Freitag auf die Ta-gesordnung setzen wollen. Deshalb haben wir zu diesemMittel gegriffen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, einmal mehrwollen Sie ein wichtiges politisches Vorhaben, nämlichdie Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, in einemHauruck-Verfahren durch das Parlament jagen.
Wilhelm Schmidt
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Als ob Sie nicht genügend Lehren aus Ihren Murksge-setzen zur Scheinselbständigkeit und zu den 630-Mark-Jobs gezogen hätten, machen Sie weiter wie in den letz-ten Monaten,
und dies, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen von der Koalition, bei einem Thema, von dem derinnere Frieden, die Befindlichkeit und auch die Stabilitätunserer Gesellschaft wie von kaum einem anderen The-ma abhängt. Konsensfähigkeit und nicht Konfliktbereit-schaft wäre in dieser Frage angezeigt.
Gut, Sie haben auf die regelmäßige Hinnahme derdoppelten Staatsangehörigkeit, wie sie im ursprüngli-chen Entwurf vorgesehen war, verzichtet. Vielleichtbrachten Sie unsere Argumente, vielleicht unsere Aktio-nen, die 5 Millionen Unterschriften einbrachten, viel-leicht nicht zuletzt die Reaktion der Bevölkerung vonIhrem Vorhaben ab. Wenn man dann die Meinungsäuße-rungen des Volkes als widerwärtig bezeichnet, wie Siees soeben getan haben, zeugt das von einem miesen de-mokratischen Verständnis.
Jetzt wollen Sie wieder mal mit dem Kopf durch dieWand: Ideologie führt einmal mehr statt SachlichkeitRegie,
obwohl wir und Sie wissen, daß das Optionsmodell nichtpraktikabel ist und daß es verfassungsrechtliche Beden-ken gibt,
und Ihr Modell keinen Integrationsansatz beinhaltet,über den Sie sonst immer so sehr reden.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat Bun-desinnenminister Schily den Vorschlag unterbreitet unddafür plädiert, Deutschland angesichts des unbeschreib-baren Elends im Kosovo für weitere Flüchtlinge zu öff-nen.
Hier ist es nicht mit einer politischen Willensäußerunggetan; dies ist kein Verwaltungsakt, der einfach so voll-zogen wird. Wenn Sie dies wollen, müssen Sie die Be-völkerung und die Gesellschaft aufschließen und Bereit-schaft zur Aufnahme herstellen.
Jetzt, wo wir wissen, wie die Mehrheit der Bevölkerunggerade über dieses schwierige Thema des Staatsangehö-rigkeitsrechts denkt, kümmern Sie sich keinen Deut dar-um. Sie ziehen etwas durch, obgleich die Mehrheit völ-lig anderer Auffassung ist. So fördern Sie keine Integra-tionsbereitschaft, sondern im Zweifel Ablehnung. Auchdeshalb sind Sie hier auf dem Holzweg.
Unser Partei- und Fraktionsvorsitzender WolfgangSchäuble hat in Abstimmung mit dem bayerischen Mi-nisterpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoi-ber – –
– Das tut weh, das verstehe ich.
– Herr Kollege Schlauch, Wolfgang Schäuble hat derKoalition frühzeitig das Angebot unterbreitet, miteinan-der darüber zu reden und einen Konsens in dieserschwierigen gesellschaftlichen Frage zu finden.
Wie waren die Reaktionen darauf? Beide großen Kir-chen haben dieses Angebot begrüßt und sind darauf ein-gegangen. Der Bundestagspräsident hat dieses Angebotaufgegriffen und hat an die Koalitionsfraktionen appel-liert, es ernst zu nehmen. Der Innenminister des LandesSchleswig-Holstein, SPD, hat in der letzten Woche wäh-rend der Debatte über dieses Thema im Bundesrat –Herr Präsident, ich möchte noch ein paar Argumente an-fügen;
dies ist wichtig – unter anderem darauf hingewiesen, daßes erforderlich ist,
die Einsicht und die politischen Mehrheiten dafür zufinden und künftig klüger zu sein, als wir es heute seinkönnen. Heute sind wir klug genug und hätten dieMehrheit, wenn Sie mitmachen würden.
Ein letzter Hinweis. Der Bürgermeister von Bremen,Henning Scherf, SPD,
Hans-Peter Repnik
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2948 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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hat in der letzten Woche zu diesem Thema im Bundesratfolgendes erklärt – ich darf ihn zitieren –:Wir glauben aber, daß das Verfahren noch nicht zuEnde gebracht worden ist, um es zu einer breitenZustimmung zu bringen, die wünschenswert wäre,weil dies, wie mein Kollege Beck soeben gesagthat, eine große Hilfe wäre. Um das gemeinsam ge-wollte Integrationsvorhaben zu bewerkstelligen,brauchen wir Beratungen.Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen Beratungen.Wir stehen dafür zur Verfügung. Deshalb ist es notwendig,daß am Freitag dieses wichtige Gesetz nicht gelesen wird.
Wenn Sie sich einen Gefallen tun und zum sozialenFrieden einen Beitrag leisten wollen, dann setzen Siediesen Tagesordnungspunkt nicht auf. Wir lehnen IhrenAntrag ab.
Das Wort hat Kolle-
gin Kristin Heyne, Bündnis 90/Die Grünen.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Lieber KollegeRepnik, Sie werden mir als ehemaliger Haushälterinsicher zugestehen, daß ich sehr dafür bin, den Haushaltgründlich und in Ruhe zu diskutieren. Genau das werdenwir hier drei volle Tage lang tun. Der Haushalt, den wirvorlegen, ist ein ausgesprochen guter Haushalt, mit demwir uns weiß Gott nicht verstecken müssen.
Angesichts der Tatsache, daß Sie, Herr Kollege Rep-nik, die Mißachtung von Oppositionsrechten hier bekla-gen, ist es ausgesprochen auffällig, daß sich die andereOppositionspartei, die dem neuen Staatsbürgerschafts-recht inhaltlich zustimmt, in ihren Rechten nicht einge-schränkt fühlt. Diese Tatsache läßt Ihr Argument einbißchen schwach erscheinen.Sie wissen selbst: Auch wenn der Abschluß derHaushaltsdebatte am Freitag morgen erfolgt wäre, wärenSie mit der Aufsetzung der abschließenden Debatte zumStaatsbürgerschaftsrecht nicht einverstanden gewesen.Deswegen halte ich diese Geschäftsordnungsdebatte fürfadenscheinig.
Es ist das neue Staatsbürgerschaftsrecht, was Sienicht wollen. Sie möchten zumindest die Einführungnoch ein bißchen hinauszögern, weil Sie die Hoffnunghaben, daß es als Mittel für Stimmungsmache in weite-ren Wahlkämpfen dienen kann.
Jetzt komme ich zu Ihrer Forderung nach Kompro-missen, Herr Repnik. Sie haben eben von einem breitenKonsens gesprochen. Wo waren aber die von HerrnSchäuble angebotenen Kompromisse? Es gab kein ein-ziges konkretes Angebot. Statt dessen gab es den Aus-zug aus dem Rechtsausschuß, also sogar eine Verweige-rung der gemeinsamen Debatte.Es stimmt, daß der Bundestagspräsident darum ge-beten hat, daß man sich noch einmal unter den Vorsit-zenden abspricht. Das ist geschehen. Aber auch hierkam außer dem Herauszögern nichts heraus.Wie haben denn Ihre Angebote zum Kompromiß bis-her ausgesehen? Schauen wir sie uns einmal an. Dieneue Bundesregierung wollte ein reformiertes Staatsbür-gerschaftsrecht beschließen. Damit sollte eine Position,die schon seit Jahren in diesem Haus mehrheitsfähig istund die schon seit Jahren im wesentlichen an der Blok-kade der CSU gescheitert ist,
endlich in neues Recht umgesetzt werden. Darauf hat dieUnion mit einer infamen Unterschriftenkampagne rea-giert. Ich nenne sie infam, weil das Ziel dieser Kampa-gne zweideutig war.
Sie haben pro forma gesagt: Wir lassen die Menschen fürIntegration unterschreiben. – Aber immer wieder konnteman den häßlichen Satz hören: Wo kann man hier gegenAusländer unterschreiben? Das nenne ich infam.
Sie haben eine Neiddebatte entfacht, indem Sie sogetan haben, als ob die Hinnahme der doppelten Staats-bürgerschaft eine Benachteiligung der Menschen miteinfacher Staatsbürgerschaft mit sich brächte. Das habenSie getan, obwohl Sie als CDU jahrelang ohne Ein-schränkung und eigentlich ohne Not die doppelte Staats-bürgerschaft bei Aussiedlern hingenommen haben. Jetztmachen Sie Doppelstaatler zum Sicherheitsrisiko Nr. 1.Das finde ich völlig unakzeptabel.
Sie haben ganz gezielt Unfrieden zwischen den ver-schiedenen Gruppen unserer Bevölkerung gesät. Sie op-ponieren gegen ein Gesetz, das gerade das Ziel hat, denFrieden in diesem Land zu fördern. Vor diesem Hinter-grund fordern Sie die Bereitschaft zum Kompromiß, oh-ne sich selbst auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Estut mir leid: Ich finde, das ist ein starkes Stück. Der Ge-ruch von Parteitaktik dabei ist mit noch so vielen schö-nen Worten nicht zu verbergen.
Hans-Peter Repnik
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 2949
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Sie wissen sicher alle, daß wir als Koalition den hiergeborenen Kindern gerne – und lieber – ein uneinge-schränktes Geburtsrecht eingeräumt hätten, ohne Wennund Aber. Wenn wir jetzt allerdings die Möglichkeit ha-ben, einen ersten Schritt zu tun, damit hier geboreneKinder nicht künstlich zu Ausländern gemacht werden,dann sollten wir diesen Schritt tun. Dieser Gesetzent-wurf ist ausführlich und gründlich beraten worden. Wirwerden ihn verabschieden – noch in dieser Woche.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte für die F.D.P.-Fraktion
ohne Schärfe begründen, warum wir ebenfalls der Auf-
fassung sind, daß das Staatsangehörigkeitsrecht am
Freitag gelesen werden sollte.
Sie alle wissen, daß wir als F.D.P. dieses vernünftige
Modell der Mitte, das Modell einer begrenzten doppel-
ten Staatsangehörigkeit, das den Kindern ermöglicht, in
die deutsche Staatsangehörigkeit hineinzuwachsen, und
das eine generelle doppelte Staatsangehörigkeit verhin-
dert, immer gefordert und in die politische Debatte ein-
gebracht haben. Deshalb sind wir natürlich politisch sehr
daran interessiert, daß es schnellstmöglich umgesetzt
wird.
Der Vorwurf, der hier erhoben wird, daß es keine
ausreichende Debatte im Bundestag gegeben habe, trifft
nicht zu. Wir hatten eine sorgfältige Anhörung, die im
übrigen ergeben hat, daß der Vorwurf, den wir zum Teil
aus den Reihen der Grünen, aber auch aus den Reihen
der CDU gehört haben, nämlich daß der Vorschlag nicht
verfassungsgemäß sei, keine Grundlage hat. Das Modell
ist verfassungsgemäß, und es gibt keine Bedenken dage-
gen. Wir wollen, daß die Kinder, die in diesem Lande
geboren werden, schnellstmöglich eine Chance für eine
Integration erhalten. Deshalb duldet dieses Vorhaben
keinen Aufschub.
Wir wissen aus den Meinungsumfragen, daß eine
deutliche Mehrheit der Bürger für dieses Modell der
Vernunft, das Modell einer begrenzten doppelten Staats-
bürgerschaft, ist. Alle Meinungsumfragen zeigen dies.
Die Bürger erwarten, daß strittige Fragen in der Politik
einer Lösung zugeführt werden. Wir machen das an die-
sem Freitag und bitten dafür um Ihre Unterstützung.
Für die PDS-
Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Roland
Claus.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Die PDS-Fraktion stimmt für den Ge-schäftsordnungsantrag der Koalitionsfraktionen und derF.D.P. Wir sind für die Behandlung des Staatsangehö-rigkeitsrechtes in dieser Woche. Darum – das muß nocheinmal in aller Deutlichkeit gesagt werden – geht es hierin Wirklichkeit und nicht, Kollege Repnik, um die Be-schränkung des parlamentarischen Königsrechtes.Das Reformgesetz soll in dieser Woche zum Ab-schluß gebracht werden. Mit dem Inhalt des Gesetzessind wir nur sehr begrenzt zufrieden; doch darüber wirdan anderer Stelle, nicht in der GO-Debatte zu reden sein.Von der Reform ist soviel nicht übriggeblieben. Klar istjedoch: Sie verträgt keine Nachschwärzung. Auch fan-den wir das Verfahren der Behandlung im Bundestagsowie in der Mainzer Staatskanzlei nicht eben werbend.Dennoch haben wir gute Gründe, gegen den CDU/CSU-Vorschlag zur Vertagung der Sache zu stimmen.Die überfällige Reform des Staatsbürgerschaftsrechtesdarf nicht erneut durch die unselige Unionskampagnezur Ausländerfrage beeinträchtigt werden. Wer nochZweifel hatte, dem wurde durch die Rede des KollegenRepnik leider klar, worum es Ihnen in Wirklichkeit geht.
Die CDU/CSU setzt doch nur auf eine Formel: Was fürHessen gut war, kann auch für Bremen gut werden.Sie wollen auf Kosten der hier lebenden Auslände-rinnen und Ausländer Ihr wahltaktisches Süppchenkochen. Sie wollen die Unsicherheiten und Sorgen derBürgerinnen und Bürger in der Ausländerfrage nutzen,um das überlebte Staatsbürgerschaftsrecht zu erhalten.Sie bauen auf veränderte Verhältnisse im Bundesrat, umhier jegliche Reformen für lange Zeit unmöglich zu ma-chen. Dabei sind Ihre Winkelzüge nicht nur schwach,sondern auch durchsichtig.
Die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo nehmenSie als Argument, sich mit der Koalition in der Kriegs-frage zu verbünden. Die Bürgerrechte von Ausländerin-nen und Ausländern hier in der Bundesrepublik aberwollen Sie weiter auf Sparflamme halten. Man muß Ih-nen entgegenhalten: Das geht nicht zusammen.
Wo liegen Ihre Interessen wirklich? Die Koalitionwill dieses Thema rechtzeitig vor den Europawahlen ge-klärt haben. Die CDU/CSU will es vor den Wahlen aus-drücklich nicht geklärt haben. So einfach ist das.Eines aber will ich beiden großen Fraktionen sagen:Die einen Wahlkämpfer sollten nicht die anderen Wahl-kämpfer als Wahlkämpfer beschimpfen, wenn doch alleim Wahlkampf sind.
Kristin Heyne
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2950 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Bei aller Kritik meiner Fraktion am Inhalt des Ge-setzentwurfes: Da er durch eine Vertagung der Verab-schiedung nicht besser würde, sondern nur schlechterwerden könnte, soll darüber, wie vorgesehen, am Freitagabgestimmt werden. Das ist noch lange kein Anlaß zuMaifeiern. Den 21. Mai im Bundesrat wird dieses Ge-setz aber wohl überstehen.Vielen Dank.
Wir kommen zur
Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Geschäfts-
ordnungsantrag der SPD-Fraktion zuzustimmen wün-
schen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Geschäftsordnungsantrag ist mit
den Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, der F.D.P.-Fraktion und der PDS-Fraktion
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 1999
– Drucksachen 14/300, 14/760 –
Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-
haltsausschusses
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Bericht über den Stand und die voraus-
sichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002
– Drucksachen 14/350, 13/11101, 14/272 Nr. 79,
14/625 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Wir kommen zu den Einzelplänen, und zwar zunächst
zu denen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
1. Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
– Drucksachen 14/601, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth
Ewald Schurer
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuß-
fassung? – Wer stimmt dagegen? –
Stimmenthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 01
mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-
Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen*) und der
PDS-Fraktion bei unklarem Abstimmungsverhalten der
F.D.P. angenommen**).
Ich rufe auf:
2. Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
– Drucksachen 14/602, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Jochen Borchert
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Gibt es dazu eine Wortmeldung? – Der Kollege Rolf
Niese, der Berichterstatter, bittet um das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Als Hauptberichterstatter zum Einzel-plan 02 darf ich im Einvernehmen mit den Mitberichter-stattern aller Fraktionen eine redaktionelle Berichtigungin der Drucksache 14/602 auf Seite 3 vornehmen. BeimTitel 411 03 ist versehentlich eine Beschlußempfehlungdes Haushaltsausschusses nicht wiedergegeben worden.Sie lautet: Hinter Punkt 2.15 ist die aus den verbindli-chen Erläuterungsziffern errechnete Gesamtsumme inHöhe von 203 377 TDM auszuweisen sowie darunterdie erhöhte Minderausgabe von minus 12 377 TDM.Ich bitte auch im Namen meiner Mitberichterstatter,die Drucksache 14/602 in der redaktionell so korrigier-ten Fassung zur Abstimmung zu stellen.Zugleich möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich beimeinen Mitberichterstattern, bei Ihnen, Herr Präsident,und bei der Bundestagsverwaltung für die konstruktiveZusammenarbeit zu bedanken.Zum Schluß möchte ich erwähnen: Der Kollege Jo-chen Borchert kann an unseren Beratungen wegen einerErkrankung nicht teilnehmen. Ich wünsche ihm von die-ser Stelle aus eine gute und baldige Genesung.
–––––––––––– *) Anlage 3**) Anlage 2Roland Claus
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 2951
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(D)
Wir kommen zur
Abstimmung. Wer für den Einzelplan 02 in der Aus-
schußfassung einschließlich der jetzt bekanntgegebenen
redaktionellen Berichtigung stimmt, den bitte ich um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Einzelplan 02 mit den Stimmen der SPD-
Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen*) und der F.D.P.-Fraktion bei
Stimmenthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe auf:
3. Einzelplan 03
Bundesrat
– Drucksachen 14/603, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Hans Jochen Henke
Matthias Berninger
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuß-
fassung? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen?
– Damit ist der Einzelplan 03 bei einer Stimmenthaltung
aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen*) mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe auf:
4. Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
– Drucksachen 14/608, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Hans Urbaniak
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
Peter Jacoby
5. a) Einzelplan 32
Bundesschuld
– Drucksache 14/620 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael von Schmude
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Eingliederung der Schulden von Sonder-
vermögen in die Bundesschuld
– Drucksachen 14/513, 14/683 –
––––––––––––*) Anlage 3
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses
– Drucksache 14/848 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael von Schmude
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
6. Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
– Drucksache 14/621 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Manfred Kolbe
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
7. Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
– Drucksachen 14/617, 14/622 –
Berichterstattung:
Oswald Metzger
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Dr. Werner Hoyer
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 60 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Sieben Monate später alssonst üblich beraten wir den Haushalt des laufenden Jah-res. Das ist zu spät, weil es verfassungsverletzend istund weil dadurch in Deutschland Investitionen und dieSchaffung von Arbeitsplätzen beeinträchtigt werden.
Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Wasimmer eine Regierung tut, die Folgen ihres Handelnsoder Unterlassens schlagen sich im Bundeshaushalt nie-der. Das beweist auch dieser Haushalt, über den wirheute und in den nächsten zwei Tagen diskutieren. Wirkommen zu dem Urteil: Dieser erste rotgrüne Bundes-haushalt hat die schlimmsten Befürchtungen und Er-wartungen bestätigt.
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2952 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Sieben Monate nach dem Regierungswechsel wird erverspätet in Kraft treten. Das sind sieben vertane Monateund sieben Monate ungenutzter Chancen und eingelei-teter Fehlentwicklungen. Sieben Monate Rotgrün be-deutet mehr Konsumausgaben, weniger Investitionen,weniger Wachstum, weniger Beschäftigung, mehr Staat,Schröpfen von Bürgern und mehr Bürokratie.
Dies können Sie jeden Tag greifen. Da braucht mannicht weiter mit Meinungsumfragen nachzuspüren. Diesist eine Politik von sieben Monaten Unvernunft. Diesemuß beendet werden.
Wenn man davon ausgeht, daß die Haushaltssituationes normalerweise erfordert, daß wir uns damit befassen,die Sozialausgaben in den Griff zu bekommen, Zuschüs-se an Versicherungssysteme zu reduzieren, die Neuver-schuldung gegen Null zu fahren, den Konsum und denStaatsverbrauch zu senken, die Investitionen zu steigern,sparsam mit dem Geld der Bürger umzugehen, dannstellen wir fest: Genau das Gegenteil von dem, was die-se Postulate ausmachen, wird seit sieben Monaten ge-macht. Es hat sich nichts geändert, seitdem der dritterotgrüne Finanzminister auf diesem Platz sitzt.
– Ich komme gleich noch dazu, Herr Eichel. Sie brau-chen nicht unruhig zu werden.Dieser rotgrüne Bundeshaushalt läßt offensichtlicheSparpotentiale ungenutzt, ist gegenüber den vorhande-nen strukturellen Problemen ohne Konzept und in denAuswirkungen wachstums- und beschäftigungsfeindlich.Die ersten neuen Investitionen auf der Basis diesesHaushalts können erst im Juli veranlaßt werden.Eine große deutsche Zeitung kommentierte das so:Am Ende der langen Haushaltsberatungen für 1999steht ein mehr als mageres Ergebnis. Die Ausga-benentwicklung bleibt schöngerechnet. Soll wirk-lich gespart werden, müssen Reserven von vorn-herein vermieden werden. Nach wie vor bleibt dieKoalition den Beweis schuldig, daß sie an echterHaushaltskonsolidierung interessiert ist.
Man wird den Eindruck nicht los, daß die Neuver-schuldung künstlich hochgehalten wird, damit die Märvon strukturellen Defiziten, die Sie nicht konkret bele-gen können, gepflegt werden kann und der Sprung beider Neuverschuldung im Jahre 2000 nicht so hoch aus-fällt. Genau das ist der Sachverhalt.Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, daß Rotgrünnicht nur eine chaotische Steuerpolitik betreibt, derennegative Wirkungen sich natürlich auch im Haushaltniederschlagen, sondern auch in der Haushaltspolitikversagt. Ein Volumen von 485,7 Milliarden DM bei denAusgaben, das sind inflationäre 6,3 Prozent mehr.
Wen wundert es, daß bei den Personalausgabenmanch einer auf den Gedanken kommt, er müßte einenSchluck aus der Pulle nehmen und eine 6,5prozentigeLohnerhöhung fordern? Dabei fließen die Mehrausgabenin Höhe von 29 Milliarden DM – bei Mehrausgaben von29 Milliarden DM heißt es, es werde gespart – fast aus-schließlich in den kosumtiven Bereich.Mit globalen Minderausgaben in Höhe von 1,1Milliarden DM wird gezeigt, daß nicht konkret gespartwird, was immer wieder gefordert wird. Man macht ge-nau das, was man unter Finanzminister Waigel verteu-felt hat. Es ergibt sich eine äußerst magere Bilanz beiden Ausgabenkürzungen in Höhe von 2,3 MilliardenDM. Im Laufe dieses Jahres wird sich zeigen, daß dieseglobalen Minderausgaben zu zusätzlichen Kürzungen iminvestiven Bereich führen, also die Investitionen weiterschmälern werden. Wer von den rotgrünen Haushälterndies als Wende in der Finanzpolitik bezeichnet, demmangelt es offensichtlich an Realitätsbewußtsein.Erschwerend kommt hinzu, daß ein wesentlicher Teildieser Kürzungen bei sogenannten Schätztiteln vorge-nommen wird, also mit dem großen Daumen gepeilt ist.Dazu zählen die Rentenversicherung, die Krankenversi-cherung, die Kriegsopferfürsorge, das Erziehungsgeldund anderes mehr. Sie wissen genau, daß man sich dasGeld für den Fall, daß die Schätzung nachher nicht zu-trifft, überplanmäßig wieder hereinholen kann. Im Ver-teidigungsetat übrigens wurde keine einzige Ausgaben-position verändert, es wurden lediglich pauschal 235Millionen DM weggestrichen. Für sieben Monate War-tezeit ist das, wie wir meinen, ein äußerst mageres Er-gebnis. Mit verantwortungsbewußtem Haushalten hatdas nichts zu tun, auch nicht mit Sparbemühungen. DieEuropäische Zentralbank hat zu Recht festgestellt, daßdie europäischen Regierungen – sie hatte wohl insbe-sondere diese hier im Auge – keinen Sparwillen zeigen.Kein Wunder, daß der Euro seit Jahresbeginn etwa einZehntel seines Außenwertes verloren hat.Die schädlichen Wirkungen dieser Haushaltspolitikkönnen Sie überall sehen. Die Wachstumsaussichtenfür 1999 haben sich innerhalb eines halben Jahres rot-grüner Politik nahezu halbiert. Während wir noch imletzten Jahr ein wirtschaftliches Wachstum von 2,8 Pro-zent hatten, redet selbst die Bundesregierung heute da-von, daß 1,5 Prozent wohl kaum überschritten werden.Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Bankenformulierte kürzlich: Das unterdurchschnittliche Wachs-tum in Deutschland ist vor allem auf wirtschaftspoliti-sche Verunsicherung seitens der Finanz-, Steuer- undLohnpolitik, also auch der Haushaltspolitik, zurückzu-führen. Offiziell wird Ihnen überall vom Sachverstandder Wirtschaft bescheinigt: Sie machen eine falschePolitik, deren schädliche Wirkung auch beim wirt-schaftlichen Wachstum festzustellen ist.
Der Bundeskanzler ist im Moment nicht da. Sie, HerrKollege Eichel, haben gesagt, wir könnten nicht richtigrechnen. Sie haben jetzt den dritten Finanzminister: La-fontaine, Müller, Eichel. Sie haben mit Lafontaine denLinksaußen verloren. Er hat ja zur Begründung, warumDietrich Austermann
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er geht, angeführt, daß er das Teamspiel vermißt hat,und hat die angeschlagene Truppe nach fünf Monatenim Abseits – oder, wie man besser sagen sollte, in derwirtschaftspolitischen Isolation – verlassen, von derBundesliga in Richtung Oberliga. Die Buchmacher ver-zeichneten daraufhin Rekordgewinne. Zum Erschreckender zahlenden Zuschauer läuft er sich wieder am Spiel-feldrand warm. Da wünscht man sich einen Manager,der den Transfer ins Ausland besorgt.
Man fragt sich in dieser Situation: „Wie viele Hakendarf einer eigentlich im Laufe seines Lebens schlagen?“,bevor man die grundsätzliche Frage der Glaubwürdig-keit nun endlich einmal stellt. Das gilt übrigens nicht nurfür Oskar Lafontaine; das gilt auch für andere, auch fürgrüne Politiker, in verantwortlicher Position. Wie vieleHaken darf jemand in der Politik eigentlich schlagen,damit man ihn bei dem, was er tut, überhaupt noch ernstnehmen kann?
Der zweite Finanzminister, der parteilose LiberoMüller, hat einmal kurz in der Halbzeit hereingeschaut.Jetzt holen Sie einen anderswo herausgeflogenen Reser-vespieler von der Bank. Als Verstärkung ist das bisher-nicht anzusehen.
– Gut gesagt: „ein Reservespieler von der Ersatzbank“.
Denn die Frage ist doch – wenn man sagt, daß man dorteinen neuen Mann mit neuer Kraft einsetzt –: Mit wel-cher Empfehlung kommt er hierher, in den DeutschenBundestag? Welche Empfehlung hat er in bezug auf dieFinanzpolitik?Herr Eichel, Sie sind hier mit zwei Hypotheken an-getreten.Die erste Hypothek ist: Sie haben im Jahre 1997 imBundesrat als Finanzkoordinator im Auftrage von OskarLafontaine eine Steuerreform verhindert, die wesentlichzum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland beige-tragen hätte.
Sie sind mitverantwortlich dafür, daß es keine Steuerre-form gab. Sie haben dazu beigetragen, daß wir keineSteuersätze von 15 bis 39 Prozent haben, daß wir keineEntlastung der Unternehmen haben.Die zweite Hypothek: Sie haben am 19. März, IhrWort brechend, das Sie am 7. Februar gegeben haben,im Bundesrat praktisch noch einen oben drauf gesetzt,indem Sie eine Fülle von unsinnigen Gesetzen – es sindpraktisch Gesetze auf Probe, wenn man hört, wie dasläuft; es wird alles einmal gemacht; dann guckt man,wie das läuft, wieviel Schaden das anrichtet; dann setztman Kommissionen ein und fängt wieder von neueman –, in bezug auf die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse, dieScheinselbständigkeit und vieles mehr, mit beschlossenhaben, und haben der wirtschaftlichen Entwicklung inunserem Land geschadet.
Jetzt versuchen Sie uns einzureden, es gebe struktu-relle Defizite. Ich bin der Meinung, wir sind es den Bür-gern schuldig, einmal deutlich vorzurechnen, was esdenn tatsächlich mit den strukturellen Defiziten auf sichhat. Heute können wir sehen, daß wir nach der von Fi-nanzminister Waigel im letzten Jahr durch seine Steuer-und Haushaltspolitik wesentlich mit beeinflußten wirt-schaftlichen Entwicklung in diesem Jahr 30 MilliardenDM mehr Steuern einnehmen. Man hört, daß es überallHaushaltslöcher gebe. Ich wiederhole: in diesem Jahr30 Milliarden DM mehr Steuern; ein Teil davon ergibtsich auf Grund der unsinnigen Ökosteuer, aber 20 bis21 Milliarden DM ergeben sich auf anderer Basis. Imnächsten Jahr, im Jahr 2000, dem Jahr, in dem es dannum die Nagelprobe geht, werden Sie etwa 50 MilliardenDM mehr Steuern einnehmen als im letzten Jahr. Und dareden Sie von strukturellen Defiziten, die Sie übernom-men hätten. Dabei habe ich die ganzen Privatisierungs-erlöse in Höhe von 10 Milliarden DM noch nicht einmalmit eingerechnet. 50 Milliarden DM mehr Steuerein-nahmen im Jahre 2000! Und trotzdem soll es nicht mög-lich sein, die Familien im nächsten Jahr zu entlasten,was den Bund – ich rede nur von Steuereinnahmen desBundes – 5 Milliarden DM kosten würde, und eineNettoentlastung bei der Unternehmenssteuer durchzu-setzen? Ich glaube, das macht deutlich, daß nicht nur dieHypothek, die Sie mitgebracht haben, belastet, sondernoffensichtlich ein falscher Denkansatz vorliegt. AnStelle dessen sollten Sie Bürger und Betriebe entlasten.Da müssen Sie eine wesentliche Kurskorrektur vollzie-hen.Statt dessen reden Sie von höheren Mehrwert-steuern und davon, daß ein rigider Sparkurs not tut.Wenn man den Agenturen heute glaubt, dann soll dieUnternehmenssteuerreform, die im Wege einer Umver-teilung finanziert werden soll, nach Ihrem Willen wahr-scheinlich erst im Jahre 2001 in Kraft treten. Ich glaube,das macht deutlich, daß gar kein Wille da ist, die richti-gen Entscheidungen zu treffen.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen, derin den Haushaltsberatungen eine große Rolle gespielt hatund der deutlich macht, wie sehr Anspruch und Wirk-lichkeit Ihrer Politik auseinanderklaffen. Sie sind einmalmit der Aussage angetreten, Sie würden sich um dieNeue Mitte – um Handwerk und Mittelstand – beson-ders kümmern. Schaut man sich den Haushalt an, sostellt man fest, daß genau das Gegenteil der Fall ist:Rotgrüne Steuerpolitik ist eine Geisterfahrt, eine Bela-Dietrich Austermann
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stung für den Standort Deutschland, eine Arbeitsplatz-vernichtungsstrategie.
Eine Politik für mehr Investitionen und mehr Arbeits-plätze findet bei Ihnen nicht statt.Gerade der Mittelstand wird von Ihren Steuerbe-schlüssen hart getroffen: Verschlechterung bei denRückstellungen, Mindestbesteuerung, Teilwertabschrei-bung, Abgrenzung von privaten betrieblichen Schuld-zinsen. Und dann hat der Mittelstand auch noch die Be-lastung aus dem sogenannten Steuerentlastungsgesetzbis zum Jahre 2002 mit zusätzlich 20 Milliarden DM zutragen. Im Haushalt haben Sie das durch Kürzungen ver-stärkt. Wirtschaftsminister Müller hat in diesem Jahrvoraussichtlich weniger Mittel für Technologieförde-rung, für Handwerksförderung, für Existenzgründungen,für die Einsetzung und Anwendung neuer Technologienbei kleinen und mittleren Betrieben zur Verfügung alssein Vorgänger Rexrodt im letzten Jahr. Und da redenSie von einem „Durchbruch“, von mehr Mitteln, mehrMöglichkeiten und mehr Chancen für den Mittelstand!Nein, genau das Gegenteil ist der Fall.Die Steuerreform wird ja zu Recht von Wirtschaftund Wissenschaft kritisiert. Auch bei der ökologischenSteuerreform, so heißt es, geht es offensichtlich nur dar-um, zusätzliches Geld einzunehmen und damit die So-zialkassen zu entlasten. Professor Hax sagt: ein falscherAnsatz, der Investitionen behindert.Das gleiche gilt für die Landwirtschaft. Die Land-wirte werden dafür bestraft, daß sie mehrheitlich dieUnion gewählt haben:
Agenda 2000, Ökosteuer, Kürzung bei der Unfallversi-cherung. Allein letzteres kostet 65 Millionen DM. Erstsollten es 150 Millionen DM sein, dann 115 MillionenDM, jetzt 65 Millionen DM. In diesem Jahr können dasdie Reserven der Berufsgenossenschaften möglicherwei-se noch auffangen. Aber im nächsten Jahr trifft das volljeden einzelnen kleinen und mittleren landwirtschaftli-chen Betrieb.Sie belasten die Investitionen im Tiefbau und imHochbau. Sie kürzen die Mittel für Straßenbau. Sie kür-zen die Mittel für Wohnungsbau. Das alles sind dochHandwerkerarbeiten, die geleistet werden müssen. Siebestrafen diejenigen, die Sie als Neue Mitte bezeichnetund für besonders unterstützungswürdig gehalten haben.Schauen wir uns den Bereich der Steuerentlastungenbei den Minijobs an. Dies trifft den Bundeshaushalt mit2 Milliarden DM, aber hilft der Wirtschaft nicht, weilSie in gleicher Höhe Betriebe über Sozialabgaben bela-sten. Man hat den Eindruck, Sie haben sich eine beson-dere Form von Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt vor-gestellt: Endlich werden die Dummen, die nach Feier-abend oder vor Arbeitsbeginn oder am Wochenende mitzusätzlichem Aufwand ein paar Mark netto mehr – imSportverein als Jugendleiter, als Zeitungsausträger oderals Taxifahrer –
verdienen wollen, zur Ader gelassen. Das ist rotgrüneSolidarität.Rotgrün fördert Schwarzarbeit, fördert Bürokratieund bestraft Fleißige. Das gilt ja selbst für den privatenBereich. Ich sehe Herrn Funke zwar gerade nicht, aber„Schwarzarbeit“ ist in dem Zusammenhang ein gutesStichwort. Ich sehe den Herrn Bundeskanzler nicht, aberes ist vielleicht dennoch treffend, auf die scheinselb-ständige Dolmetscherin im Kanzleramt hinzuweisen.Gleiches gilt für die private Bauförderung des HerrnHombach. Als Beispiele dafür, wie man es richtig ma-chen sollte, taugen Sie nach der Erfahrung aus den letz-ten Monaten allesamt nicht.
Im Hinblick auf die Taktik und die Strategie mußman sich einmal fragen: Was soll das eigentlich? Siewissen, daß die Minijobs Unfug sind. Ihre Ministerprä-sidenten erklären jeden Tag, daß die Unfug sind. JedenTag wird gesagt: Das muß aufhören. Das müssen wirüberprüfen. Das müssen wir ändern. – Dann war amletzten Freitag Sitzung im Bundesrat, und was ist pas-siert? Nichts. „Es kann nicht entschieden werden“, sagtman aus Solidarität mit der derzeitigen Regierung – dieist ohnehin angeschlagen –, man müsse das erst einmalzur Beratung in die Ausschüsse geben. Warum hat mannicht gesagt: Unfug erkannt, Unfug gestoppt? Statt des-sen geht alles weiter wie bisher – mit höheren Kostenfür den Mittelstand.
– Hören Sie sich einmal unter der Bevölkerung um! Esgibt da einen Dreisatz: In Deutschland gibt es keinenMenschen, der die „Bild“-Zeitung liest, es gibt auchkeinen, der bei McDonald's ißt, und es gibt inzwischenauch keinen mehr, der die SPD gewählt hat.
Ich kann jedenfalls keinen finden – das wird nicht nur anden Veranstaltungen und an den Leuten liegen, die zumir kommen –, der sagt: Ich habe die gewählt. Er hättedabei nämlich ein schlechtes Gewissen; deswegen trauter sich das wahrscheinlich nicht.
Ich habe die Kürzungen im Bereich des Mittelstandeserwähnt. Der Wirtschaftsminister hat eine globale Min-derausgabe in Höhe von weit über 300 Millionen DMauferlegt bekommen. Das wird im Vollzug auch wiederHandwerk und Mittelstand treffen.Wir alle erinnern uns an einen historischen Tag indiesem Jahr, an den 11. März. Da war in der Zeitung zulesen:Dietrich Austermann
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Wir brauchen kräftige Signale zur Verbesserungder Stimmung in der Wirtschaft. Dies ist um sowichtiger, weil die Konjunktur gerade einbricht.Gesagt hat das der Kanzler im Kabinett einen Tag zuvor.Er hat das gesagt, bevor sich einer aus dem Team weg-gedrückt hatte. Weiter heißt es:Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaftmachen.Wenn wir uns die Situation ansehen – der Haushalt istein Spiegelbild dieser Situation –, dann stellen wir fest,daß genau eine Politik gegen die Wirtschaft gemachtwird, und dies seit sieben Monaten. Das muß aufhören.
Die schädlichen Wirkungen Ihres Tuns setzen sichfort bei Kürzungen des Meister-BAföG. Sie setzen sichfort bei Kürzungen im Forschungshaushalt, im BereichForschung und Entwicklung für den Mittelstand – eineniederschmetternde Bilanz; das muß man sagen, wennman sich ansieht, was hier getan wird. Statt dessen blä-hen Sie den Sozialhaushalt mehr als nötig auf. Sie blä-hen den zweiten Arbeitsmarkt auf. Sie reden von Sub-ventionsabbau und weiten Subventionen um mehr als1 Milliarde DM aus. Die Aufblähung der arbeitsmarkt-politischen Maßnahmen zugunsten des zweiten Ar-beitsmarktes in Höhe von 6 Milliarden DM dient offen-sichtlich zur Verschleierung der von Rotgrün verur-sachten Arbeitsplatzverluste. Die Arbeitsämter werfendas Geld zur Zeit mit vollen Händen zum Fenster her-aus.
Herr Schmidt, Mitnahmeeffekte werden ausgelöst,wenn ältere Arbeitswillige durch junge ersetzt werden,die Zuschüsse mitbringen. 2 000 DM bekommt ein Ar-beitsloser für ein neues Auto, 3 000 DM – ohne Beleg –für einen neuen Führerschein. Das ist ein einjährigesStrohfeuer. Dadurch werden vielleicht für ein dreiviertelJahr 100 000 junge Leute beschäftigt. Aber Lehrstellenbleiben Mangelware, dauerhafte Beschäftigung bleibtMangelware. Statt dessen werfen Sie das Geld zum Fen-ster heraus.Sehen Sie sich doch einmal an, was mit dem Ju-gendarbeitslosenprogramm in Deutschland konkret,effektiv und auf Dauer erreicht wird. Sehen Sie sich dieWirkung auch in den Betrieben an. Sehen Sie sich dieWirkung für ältere Arbeitnehmer an. Wir sagen: Hiergibt die Bundesanstalt zuviel Geld aus. Hier kann mansparen. Hier wollen wir die Beiträge reduzieren. Dashilft den Arbeitnehmern und der Wirtschaft.
Wenn wir uns die Arbeitsmarktbilanz, wie sie sichEnde dieses Jahres wahrscheinlich ergeben wird, anse-hen, dann stellen wir fest, daß wir – demographisch be-dingt – wahrscheinlich 250 000 Arbeitslose weniger ha-ben werden, aber wahrscheinlich auch – ebenfalls de-mographisch bedingt – 250 000 Beschäftigte weniger.Wenn Sie die Meßlatte vom 27. September 1998 tat-sächlich anlegen und zählen, wieviel Menschen mehroder weniger am Ende Ihrer Regierungszeit – in dreiJahren – Arbeit haben, werden Sie schon heute in einerersten Zwischenbilanz und meinetwegen am 27. Sep-tember 1999 in einer weiteren Zwischenbilanz feststel-len: Es werden weniger Menschen sein, die Beschäfti-gung haben. Möglicherweise ist die Arbeitslosenquoteniedriger. Aber da sich die Zahl der Menschen insge-samt nicht verringert, bedeutet das: Die Zahl derer, diearbeiten, ist geschrumpft; die Zahl derer, die keine Ar-beit haben, die – aus welchen Gründen auch immer –nicht arbeiten, nimmt zu. Damit wird die Belastung fürdie, die Arbeit haben, größer. Das ist also eine negativeBilanz: weniger Menschen mit Arbeit am Ende diesesJahres, die Folge einer falschen Politik, auch einer fal-schen Politik über die Bundesanstalt für Arbeit.Ich habe darauf hingewiesen, daß von Ihnen Kürzun-gen im Bereich der Landwirtschaft, des Verkehrs unddes Baus sowie im Verteidigungsetat ganz entgegen derüblichen Linie, die wegen eines ganz bestimmten The-mas in ist, vorgenommen wurden. Gespart für und inve-stiert in die Zukunft, wie wir es wollten, haben Siegleichwohl nicht.Die Einnahmeseite hätte sich verbessern lassen. Wirhaben Anträge dazu im Haushaltsverfahren gestellt. Siehätten zu Mehrinvestitionen in Höhe von 10 MilliardenDM geführt. Sie haben das nach der Methode abgelehnt,die sich seit sieben Monaten durchgesetzt hat. Ein Kol-lege hat im Haushaltsausschuß zu uns gesagt: Ihr habtzwar die besseren Argumente, aber rotgrün hat dieMehrheit. Das stellen wir an verschiedenen Beispielenfest. Dem Land, den Investitionen und den Arbeitsplät-zen dient das nicht.Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen,daß Sie an vielen Stellen Luft im Haushalt haben. Eineglobale Mindereinnahme in Höhe von 2 Milliarden DM,ein Spartopf, ist verankert worden. Wir haben versucht,diese auszuräumen und die Nettoneuverschuldung aufunter 50 Milliarden DM herunterzufahren, mit dem Ziel,innerhalb der nächsten vier Jahre zu einer Nettoneuver-schuldung von null zu kommen. Sie sind uns dabei nichtgefolgt; wir halten das für falsch.Wir haben vorgeschlagen, in vielen Bereichen zu spa-ren. Nun versteht man natürlich, daß eine Regierung, dieschlechte Arbeit leistet, besonders viel Geld für die Öf-fentlichkeitsarbeit braucht.
– Ja, natürlich. – Wir haben vorgeschlagen, in diesemBereich drastisch zu reduzieren. Sie geben für Öffent-lichkeitsarbeit mehr aus als die Vorgängerregierung. Siegeben mehr aus, weil Sie es nötig haben, schlechte Ar-beit als gute Arbeit darzustellen.
Ich wende mich dem Kollegen Metzger, der sich inZeitungsinterviews und Aufsätzen als Haushaltskonsoli-dierer und Marktwirtschaftler darstellt, in der Realitätaber das Gegenteil beweist, zu. Er sagt immer: Sparen,Dietrich Austermann
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sparen, sparen! Ich sage ihm: Fangt endlich einmal an!Der Bürger möchte diese unnötige Belastung nicht, dievon 1990 bis 1998 in unserem Land aus bestimmtenGründen, die jetzt beseitigt sind, nötig war. Er möchtesie nicht, und wir sind der Meinung, hier muß etwas ge-ändert werden.Lassen Sie mich ein paar Sätze zum Thema Perso-nalpolitik sagen, weil das auch den Bereich des Sparensbetrifft. Im Bundeshaushalt 1999, den wir jetzt diskutie-ren und der in einem Monat in Kraft tritt, sind die Plan-stellen in den Ministerien um 490 neue aufgestockt. Da-von sind 61 Stellen oder 12,5 Prozent ab MinisterialratA 16 und B aufwärts eingestuft. Das sind also nicht dieLeute, die mit der Mütze auf der Straße sitzen. Offen-sichtlich mußten einige Helfer von der Kampa befriedigtwerden. Dieser kräftige Schluck aus der Pulle überraschtum so mehr, als zu Beginn 61 Spitzenbeamte der altenRegierung ausgetauscht wurden, was auf fünf Jahre ge-rechnet etwa 50 Millionen DM mehr kostet.Der Sachverstand wurde davongejagt, das hat mitdem Parteibuch nichts zu tun. Sie haben den Sachver-stand davongejagt und wundern sich jetzt über die Aus-wirkungen.
130 Genossen wurden in Spitzenpositionen unterge-bracht. Gerhard XIV. hat sich allein im Kanzleramt mitzahlreichen neuen Höflingen umgeben. Ich sage GerhardXIV., weil er gesagt hat: Loyalität gegen Loyalität. Erhat vorher gesagt, wer sich im Kanzleramt loyal verhält,der bleibt an seinem Platz. Genau das Gegenteil hat ergemacht.Im Finanzministerium hat der dritte Finanzministerdieser Regierung zwei beamtete Staatssekretäre, die erstwenige Monate im Amt waren, herausgeworfen und siezu Zwangsspaziergängern gemacht. Dies, wie auch derDrückeberger von der Saar, kostet die Steuerzahlereinen Haufen Geld. Bei den beiden errechnet sich das infünf Jahren auf 7 Millionen DM.Im nachgeordneten Bundesbereich wurden 1 577 neueStellen geschaffen, davon 524 nur, um die Ökosteuer er-rechnen und eintreiben zu können. Abenteuerlich!
Jetzt kommt ein Haushaltszickzackkurs mit denÄußerungen über das Haushaltssicherungsgesetz,Mehrwertsteuererhöhung ja oder nein. Offensichtlichsoll über das Haushaltssicherungsgesetz – dabei würdemich interessieren, in welchen Sozialbereichen, etwa beiden Beamten, bei der Arbeitslosenhilfe, beim Erzie-hungsgeld oder wo sonst, gespart werden soll – einDrohpotential aufgebaut werden, um die geplanteMehrwertsteuererhöhung zu begründen. Man sagt, eshat nicht geklappt, es gab zuviel Widerstand im Sozial-bereich, deswegen müssen wir die Mehrwertsteuer um 2bis 4 Prozent erhöhen.Nichts anderes ist offensichtlich mit Ihrem Gerede,Herr Eichel, von der Notwendigkeit des rigiden Sparensund dem Haushaltssicherungsgesetz oder Haushaltsbe-gleitgesetz gemeint.
Einer Ihrer Vorgänger, Hans Apel, hat die Arbeit derBundesregierung bewertet: Die politische Marschge-schwindigkeit verringern, den Sachverstand mobilisie-ren, die ideologischen Scheuklappen ablegen, hart ar-beiten. Diese Regierung, meine Damen und Herren, hatunser Land nicht verdient.
Wir müssen ganz klar erkennen, daß eine Fülle vonEntscheidungen der letzten Jahre – Entschuldigung, derletzten Monate
– eine Fülle von Entscheidungen der letzten Jahre dieWeichen in die richtige Richtung gestellt haben: fürmehr Beschäftigung, für mehr Wachstum, daß aber eineReihe von Entscheidungen, die in den letzten siebenMonaten getroffen worden sind, dies wieder konterka-rieren. Sie haben sieben Monate lang Chancen vertan.Kehren Sie endlich um – nach sieben Monaten Stolpernin die Irre! Folgen Sie unseren Anträgen zur Senkungvon Ausgaben und Beiträgen sowie zur Stärkung vonInvestitionen!Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Austermann,wenn Sie uns Jahre geben, dann haben Sie das richtig ein-geschätzt; denn es wird Jahre dauern, den Haushalt zukonsolidieren und die Finanzen in Ordnung zu bringen.Wir haben diesen Haushalt zügig beraten. Wir habendem Parlament heute einen guten Haushalt vorgelegt,und wir werden einen guten, soliden Haushalt am Don-nerstag verabschieden. Das ist eine ganz große Leistungder Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen.
Im Laufe der Beratungen haben wir 2,3 MilliardenDM eingespart. Das haben die einzelnen Berichterstatterdurch Gespräche in den Ministerien erreicht. Oskar La-fontaine hat dazu im Rahmen der Verwaltungsvorlageund -überprüfung 1 Milliarde DM eingespart. Es sind al-so 2,3 Milliarden DM eingespart worden. Sie solltensich einmal hinter die Ohren schreiben, was es bedeutet,so etwas durchzusetzen – auch in einer Koalition. Wirhaben gespart.
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– Kollege Rexrodt, Sie sind doch mitverantwortlich da-für, daß uns ein Berg von Arbeitslosigkeit und Schul-den hinterlassen wurde.
Sie waren doch Minister, Kollege Rexrodt, und Sie müs-sen sich zu dieser Verantwortung bekennen; darankommen Sie nicht vorbei. Wir haben ein schlimmes Er-be übernommen.
– Wollen Sie denn die Arbeitslosenzahlen leugnen?Wollen Sie tatsächlich den Schuldenberg, den Sie auf-gebaut haben, leugnen? Sie können ihn gar nicht mehrübersehen; so groß ist er durch Sie geworden.
Ich werde mich konkret auf den Einzelplan 08 bezie-hen. Dieser Verwaltungshaushalt spiegelt die Tätigkeitdes Bundesministeriums der Finanzen und seiner nach-geordneten Dienststellen wider. Wir haben zur Erfüllungder Aufgaben in diesem Haushalt zirka 7,6 MilliardenDM zur Verfügung. Wir haben während der Ausschuß-beratungen das Volumen um rund 38 Millionen DM zu-rückgeführt – ein wichtiger Betrag. Von den Ausgabenentfallen allein 44 Prozent auf die Personalkosten; denn54 000 Bedienstete sind in diesem Bereich beschäftigt.Vor allen Dingen die Zollverwaltung mit 37 000Planstellen spielt eine entscheidende Rolle; denn siemüssen Einnahmen herbeibringen, verwalten und auchan die EU abführen. Von der EU bekommen wir rund760 Millionen DM von den an sie abgeführten 7,6 Milli-arden DM zurückerstattet.Der Einzelplan 08 umfaßt 4,4 Milliarden DM Ein-nahmen. Er veranschlagt diese Einnahmen überwiegendaus Mieten, Verkaufserlösen, Privatisierungen, Verkäu-fen von Bundesliegenschaften und was es da nicht allesgibt. Wir können feststellen, daß die Einnahmenerwar-tungen in den kommenden Jahren gewaltig zurückgehenwerden. Denn seit 1990 sind allein 20 Milliarden DMdurch die Veräußerung von Werten eingenommen wor-den – in einer wegen der Marktlage schwierigen Situati-on; das gebe ich zu. Die Verkäufe haben nicht immerdas gebracht, was das Finanzministerium damals vorge-sehen hatte. Denn Angebote über Liegenschaften undImmobilien sind in vielen Bereichen gemacht worden:von der Bahn, den Ländern, den Gemeinden, der Post;auch die freie Wirtschaft hat erheblich angeboten. Da-durch sind die Erlöse relativ niedrig ausgefallen.Im Zusammenhang mit der Ökosteuer gibt es für dieZollverwaltung viele Aufgaben, die erledigt werdenmüssen: Erteilung von Erlaubnissen für die Stromver-sorger, das produzierende Gewerbe und die landwirt-schaftlichen Unternehmen; Erhebung der Stromsteuer;Vergütung der Mineralölsteuer auf Heizöl und Erdgas;Prüfung der Versorger, der Erlaubnisinhaber des produ-zierenden Gewerbes und der Kraftwerke. Es gibt alsoeine ganze Reihe von wichtigen Aufgaben, denn dieÖkosteuer muß gemanagt werden. Dafür sind – das istschon dargelegt worden – 524 Planstellen vorgesehen,so daß wir davon ausgehen, daß wir den Bereich Öko-steuer sachlich und klar bearbeiten können.Der Haushaltsausschuß hat sich den Vorstellungender Bundesregierung ganz schnell angeschlossen, nach-dem wir die tragischen Todesfälle beim Eingreifen derZollbeamten in Ludwigsburg und in Konstanz gehabthaben. Wir haben eine Reihe von Schutzmaßnahmen– ein ganzes Schutzkonzept – verabschiedet, das es er-möglicht, unsere Frauen und Männer besser zu schützen,vor allen Dingen aber die Bekämpfung der illegalen Be-schäftigung durch die Zollfahndung zu verbessern. DieSchutzausrüstungsgegenstände können sozusagen sofortbeschafft bzw. ausgeschrieben werden: Kopfschützer,Kampfwesten, Faust- und Unterarmschutz, Pistolenhol-ster, Schnellzielholster mit Sekundensicherung, Video-kameras, Notrufsysteme für den kleinen Grenzverkehran den dortigen Übergängen und vieles mehr. Daraufwollte ich aufmerksam machen und insbesondere denKolleginnen und Kollegen danken, die den Vorstellun-gen der Bundesregierung im Haushaltsausschuß sofortbeigetreten sind.Nun gibt es in dieser Republik ein Problem, das vielegeradezu aufregt. Es ist das Branntweinmonopol. Manhört Zustimmung aus allen Fraktionen; Sie scheinen da-zu eine Beziehung zu haben.
Dieses Branntweinmonopol ist 1918 geschaffen worden.Wir verwalten dieses Branntweinmonopol durch eineOberbehörde. Dazu wären 285 Millionen DM erforder-lich, wenn wir den Haushaltsansatz der Bundesregierungbeibehalten hätten. Wir haben diesen Posten um5 Millionen DM reduziert und die Bundesregierungdurch einen Antrag aufgefordert, dafür zu sorgen, daßdie zukünftigen Kosten degressiv ausgestaltet werdenund die verbleibende Unterstützung stärker auf mittlereund kleinere Brennereien, also insbesondere auf diebäuerlichen Familienbetriebe, konzentriert wird. Diesesollen geschützt werden, damit die Kreislaufwirtschafterhalten bleibt. Sie, meine Damen und Herren, werdenalso weiterhin von der hohen Qualität unserer Brenne-reien zehren können. Da viele das nicht lassen können:Nehmen Sie deutschen Schnaps!In diesem Zusammenhang möchte ich Sie daraufaufmerksam machen, daß die Bundesvermögensver-waltung beim Verkauf von Wohnungen und Häuserneine ganze Reihe von Problemen hatte. Bei dem Baudieser Gebäude sind nämlich Materialien verarbeitetworden, die den Erwerbern große Schwierigkeiten ge-macht haben. Man hat stark belastete Stoffe verwendet,da man damals nicht um die Wirkung der Kohlenwas-serstoffe, die die Raumluft und den Hausstaub erheblichbelasten, wußte. Hier haben wir nun eine Regelung ge-troffen.Ich danke in diesem Zusammenhang dem Parlamen-tarischen Staatssekretär Karl Diller, der sich besondereMühe gemacht hat, dafür zu sorgen, daß diesen Men-schen geholfen wird. Wir haben maximal 200 DM proHans-Eberhard Urbaniak
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Quadratmeter für die sanierten Böden und eine Höchst-beteiligung zur Beseitigung dieser Schäden von 50 Pro-zent im Haushalt vorgesehen.
Wir hatten eine Zusammenkunft der Vertreter allerFraktionen. Sie haben dem zugestimmt, so daß diese Sa-che nun verwirklicht werden kann.Ich will zum Schluß
auf den Schwerpunktbereich der Behörden und desBundesfinanzministeriums hinweisen. – Herr Koppelin,Sie haben gerade Grund, sich in dieser Weise darzustel-len. Bei Ihrem Gerede im Haushaltsausschuß halten Siedie zügigen Beratungen nur auf.
Die Arbeit der Bundesaufsichtsämter für das Kre-ditwesen, für das Versicherungswesen und für denWertpapierhandel muß gemanagt werden. Die 6. No-velle zum Kreditwesengesetz ist deshalb verschärft wor-den. Damit ist eine Ausweitung der Arbeit verbunden.Ich gehe davon aus, daß diese Behörden ihre Arbeitgründlich machen, damit alles getan wird, um den Wirt-schafts- und Finanzstandort Deutschland den internatio-nalen Anforderungen gerecht werden zu lassen und un-sere Position zu stärken.Ich bin nach einer sehr langen parlamentarischen Ar-beit das erste Mal im Haushaltsausschuß gelandet. Dashat mir Freude gemacht. Ich kann nur sagen: Bei solcheinem Sparhaushalt, den wir durchgesetzt haben, könnenSie sich eine Scheibe abschneiden. Denn die Schulden-macher sitzen auf der rechten Seite des Parlaments.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Lassen Sie mich vorab sagen, daßdie Beratungen im Haushaltsausschuß – ganz unabhän-gig von den Auseinandersetzungen in der Sache – in denletzten Wochen oft sehr unerfreulich waren. Unerfreu-lich waren die Beratungen, weil Sie Auszeiten an Stellennahmen, wo sie nicht hingehört haben, weil Sie Diskus-sionen mit Ihrer Mehrheit abgewürgt haben und weil wirauf diese Weise Zeit verloren haben und in der Sachenicht vorangekommen sind. Technisch war das eineZumutung von Ihnen.
Aber es hat alles nichts genutzt. Gemessen an dem, wasdie Koalition an Reformen, an Veränderungen und anVisionen angekündigt hatte, ist der Haushalt 1999 eineMischung aus Einfallslosigkeit und Langeweile.
Dabei hatte alles so groß angefangen: Kassensturz so-fort! Die Steuereinnahmen seien künstlich hochgerech-net worden. Es wurde auf die Erblasten und auf einStrukturdefizit in der Größenordnung von 30 MilliardenDM hingewiesen. Aber Tatsache war, daß die neue Re-gierung einen fristgerecht eingebrachten, vollständigenund seriös finanzierten Haushaltsentwurf von Union undF.D.P. übernommen hat. Die Staatsquote war von51 Prozent nach der Wiedervereinigung auf 48 Prozentgesenkt worden. Das Bruttoinlandsprodukt war um2,8 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenzahlen waren imJahresdurchschnitt um 400 000 zurückgegangen. Die In-flationsrate lag bei 1 Prozent. Das war die „Erblast“, dieSie übernommen haben.
Nach Ihrem sogenannten Kassensturz ist das Geredeum die neuen Löcher sehr viel ruhiger geworden undschließlich ganz verschwunden. Wie sollte das auch an-gesichts der Tatsache anders sein, daß wir Ihnen quasials Morgengabe potentielle Privatisierungserlöse in derGrößenordnung von 10 Milliarden DM in den Haushalt1999 eingestellt haben und daß die veranlagte Einkom-men- und Körperschaftsteuer geradezu eine Renaissanceerleben. Das sind die Fakten.Niemand will verleugnen – auch der KollegeAustermann hat darauf hingewiesen –, daß die Haus-halte der letzten Jahre zu gewissen Teilen – die Anteilelagen zwischen 10 und 20 Milliarden DM – aus Privati-sierungserlösen gedeckt worden sind. Jeder weiß, daßdas auf Dauer nicht durchgehalten werden kann. Sie ha-ben das dann als Erblast und Strukturdefizit bezeichnet.Nun gut, aber Sie springen mit dieser Bewertung zukurz. Wir hatten nämlich ein klares Konzept, um diesesStrukturdefizit zurückzuführen, nämlich durch eineSteuerreform, mit der eine Steuerentlastung sowohl inden unteren als auch in den mittleren und oberen Tarifenvorgesehen war. Die Umsetzung dieses Konzepts hättefür eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM gesorgt.Alle Welt hat uns vorgemacht – vor allem die Amerika-ner und die Engländer –, daß eine solche Steuerreformnach einem kurzfristigen Rückgang der Steuereinnah-men, bedingt durch die Nettoentlastung, mittel- undlangfristig zu absolut höheren Steuereinnahmen führtund daß man auf diese Weise ein Strukturdefizit beseiti-gen kann. Das war unser Konzept.
Damit sind wir beim eigentlichen Kern des Haushalts1999 und – wenn Sie, Herr Kollege Eichel, in IhrerPolitik nicht umschwenken – auch der Haushalte dernächsten Jahre. Man kann eine Menge auf der Ausga-benseite kritisieren, zum Beispiel kleinkarierte Kürzun-gen da, üppige Ausstattung dort. Aber ich möchte fairHans-Eberhard Urbaniak
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sein: Das ist das übliche Gezerre. Das ist das Spiel umdie finanzielle Ausstattung der Ressorts. Da kann mander einen oder anderen Auffassung über diesen oder je-nen Titel sein. Ich möchte Ihnen gar nicht absprechen,daß Sie einen ernsthaften Willen zum Sparen haben unddaß an einigen Stellen auch wirklich gespart worden ist,Kollege Metzger. Aber Ihr Problem besteht an einerganz anderen Stelle: Ihr Problem ist die Einnahmeseitedes Haushalts oder – anders ausgedrückt – Ihre völligverfehlte Steuerpolitik.
Ihre Steuerpolitik folgt einer falschen Ideologie, ist un-stetig, handwerklich falsch und juristisch angreifbar. Siehaben damit für sich selbst und für unser Land eineMenge verspielt. Es kann kaum noch etwas korrigiertwerden.Eine richtige Steuerpolitik hätte im übrigen auch dieProbleme gelöst, die durch das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts zur Neuordnung der Familienentlastungentstanden sind. Dabei sollten Sie im übrigen nicht so tun,als ob wir Ihnen dieses Ei ins Netz gelegt hätten. Wirwußten um die Probleme, Sie wußten um die Probleme –wir alle miteinander haben die Dimensionen nicht richtiggesehen. Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie einge-stehen, daß auch Sie das nicht getan haben; sonst hättenSie im Wahlkampf ganz anders argumentiert.
– Herr Poß, darüber mag der eine oder andere auch aufunserer Seite gesprochen haben: Diese Dinge sind aufuns zugekommen, und wir hätten sie, wie ich gesagt ha-be, mit einer anständigen Steuerreform,
die Sie verspielt haben, meistern können. Das sind dieFakten.
Ich komme zu Ihrem eigentlichen Problem, der Ein-nahmenseite, zurück. Sie machen eine Steuerreform, dieim unteren Bereich ein Stück entlastet – sie entlastet imübrigen weniger, als es in unserer Steuerreform vorge-sehen war –, und für den mittleren und den oberen Be-reich, also dort, wo Arbeitsplätze gehalten und geschaf-fen werden sollen, wird eine geringfügige Entlastungangekündigt, die erst im Jahre 2002 in Kraft treten soll.Zunächst einmal wird abkassiert.Wenn ich dies sage, dann lasse ich die völlig ideolo-gisierten und steuertechnisch danebenliegenden Vor-schriften zur Mindestbesteuerung und zu den Verlustre-gelungen außen vor. §§ 2 Abs. 2 und 2b Einkommen-steuergesetz sind Ungetüme, über die man eigentlich la-chen müßte, wenn der Inhalt nicht so schwerwiegendwäre und zur Konsequenz hätte, daß in diesem Land ander falschen Stelle Arbeitsplätze vernichtet werden.
Hören Sie in diesem Bereich einmal auf die Betroffe-nen! Selbst die Steuerberater kommen in Erklärungs-zwänge. Ich habe nicht bestellte Gutachten, von ver-schiedenster Seite in Auftrag gegeben, in denen Exper-ten mitteilen, daß sie mit den Regelungen, die Sie imEinkommensteuergesetz vorgesehen haben, nicht mehrklarkommen. Was die Abschreibungsgesellschaften an-geht, ist Ihr Vorhaben gut gemeint. Aber gut gemeint istnoch längst nicht gut gemacht. Ein solcher Fall liegt hiervor.
Nun merken Sie, daß Sie mit Ihrer dürftigen Steuerre-form Verbitterung und Wut bei denjenigen im Mittel-stand und auch in den großen Betrieben erzeugt haben,die Arbeitsplätze erhalten und schaffen sollen. Sie kün-digen eine Unternehmensteuerreform an. Es handeltsich um eine Reform mit einem Steuersatz von 35 Pro-zent, den ich durchaus für attraktiv und diskutabel halte.Aber ich nehme für mich und einige meiner Freundein Anspruch, seit Monaten darauf hingewiesen zu haben,daß die damit einhergehende Spreizung der Steuersät-ze so nicht machbar ist. Man kann allenfalls in beste-henden Systemen mit der Gewerbesteuer bei den Ein-kommensteuersätzen und den Körperschaftsteuersätzenein Stück spreizen, 2 oder 3 Prozentpunkte. Das gehtnoch durch.Unmöglich ist es aber, die Spitzensteuersätze der Un-selbständigen, der Selbständigen, der Bauern, der Ein-künfte aus Vermietung und Verpachtung bei 48,5 Pro-zent anzusetzen und die Unternehmensteuer bei 35 Pro-zent. Das ist eine Spreizung von 13,5 Prozentpunkten.Das ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.
Wer in diesem Haus oder wo auch immer befindet ei-gentlich darüber, was gute Einkünfte sind, was böseEinkünfte sind und wo diese Spreizung Platz greift? Siemachen Pfusch mit dieser Reform. Sie wird so nichtfunktionieren.
Ich habe noch gar nichts zur sogenannten ökologi-schen Steuerreform gesagt. In Wirklichkeit handelt essich um eine Mogelpackung.
Dahinter steht schlicht die Erhöhung der Mineralölsteu-er, der Gassteuer und die Einführung einer Stromsteuer.Das Ganze dient zur Finanzierung eines Teils der Ren-tenbeiträge.
Dies geschieht allerdings mit zwei merkwürdigenBegleiterscheinungen. Abkassiert werden nämlich auchdiejenigen, die gar keine Rentenbeiträge bezahlen, undbei der Industrie, wo ökologisches Potential vorhandenist, gibt es Freistellungsregelungen. Jetzt müssen280 000 Anträge auf Freistellungen bearbeitet werden.Dr. Günter Rexrodt
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Davon sind mindestens 30 000 strittig. Auf Dauer, HerrUrbaniak, haben 524 Beamte in den Hauptzollämternmit nichts anderem als mit dieser vermaledeiten Steuerzu tun. So schafft Rotgrün Arbeitsplätze. Das ist aberder falsche Weg.
Bleiben wir bei der Einnahmenseite des Haushalts. ImWahlkampf und auch noch danach wurde angekündigt,den deutschen Beitrag zur Finanzierung der EU – tech-nisch gesehen handelt es sich wegen der Umsatzsteuer-anteile um eine Einnahmeerhöhung – drastisch zu senken.Mit solchen Sprüchen hat der Bundeskanzler die Partnerin der Europäischen Union verärgert und erst einmal einekräftige Abwehrfront in Europa entstehen lassen.
In Berlin kreißte der Berg und gebar ein Mäuslein. Nunkann man ja sagen, meine Damen und Herren, wir habenuns angesichts der Alternative, uns zwischen demschnöden Mammon und Europa entscheiden zu müssen,für Europa entschieden. Ich persönlich bin ja von dieserPosition gar nicht so weit entfernt. Aber die Bauernfän-gerei, die Großspurigkeit und die Provokationen, die Sieim Vorfeld dieses kläglichen Ergebnisses an den Taggelegt haben, kann man nur als unseriöses Verhalten undunseriöses Vorgehen in der Politik bezeichnen.
Nun kommt der Herr Kollege Eichel mit einemHaushaltssicherungs- bzw. Haushaltsstrukturgesetz.Alles soll und muß auf den Prüfstand gestellt werden,sagt er, schon als Folge der Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts zur Entlastung der Familien. Allesauf den Prüfstand – das hören wir gern. Nur, Herr Ei-chel, Sie wissen wie wir, ein Haushaltsstrukturgesetz,das erst im Jahre 2000 greifen kann, macht man nicht sonebenbei. Ein Haushaltsstrukturgesetz stellt eine Not-bremse dar, ist das letzte Steuerventil, das man einsetzt.Sie werden nicht umhinkommen, im Rahmen eines sol-chen Gesetzes auch Leistungsgesetze auf den Prüfstandzu stellen. Das Heulen und Klappern wird laut werden.Sie werden daran gemessen. Sparen ist weiter möglichund auch notwendig, aber die klassischen Sparpotentialeder Ressorts sind ja weitgehend ausgeschöpft.Bei der Bundeswehr zu sparen ist ganz unabhängigvom Kosovo-Konflikt auf Grund der notwendigen Um-strukturierungen nicht möglich. Die Bundeswehr ist eherunterfinanziert. Die großen Investitionsblöcke beimStraßenbau, bei der Schiene und beim Wasserstra-ßenbau bedürfen auch mit Blick auf ihren Arbeits-markteffekt eher einer Aufstockung. Deshalb stellen wirauch Anträge in diese Richtung.
Sie müssen uns auch einmal klarmachen, wie Sie Ihrgroßspurig proklamiertes Ziel, die Investitionsausgabenim Bildungsbereich in 4 Jahren zu verdoppeln, errei-chen wollen, wenn Sie den Bildungs- und Forschungs-haushalt in diesem Jahr um 71 Millionen DM kürzen.Das müssen Sie mir einmal sagen.
In vier Jahren wollen Sie den Etat verdoppeln und gleichim ersten Jahr kürzen Sie ihn! Was ist das für eine Poli-tik?
Ich sage hier auch ganz klar: Wenn Sie an die Schlüs-selbereiche der Forschung herangehen – dazu gehörenauch die im Rahmen des europäischen Weltraumpro-gramms eingegangenen deutschen Verpflichtungen –und hier kürzen oder streichen wollen, verspielen Sieeinen gut Teil der technologischen Zukunft unseresLandes.
Dann gibt es noch den Agrarbereich. Da mögenSparpotentiale vorhanden sein, aber die europäischeEinbindung verhindert, daß irgendeines der Sparschwei-ne geschlachtet werden kann. Ich bin so fair, zu sagen,daß auch wir das nicht gekonnt und nicht gebracht hät-ten. Wir sind sogar der Meinung, daß wir bei der Ge-meinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutzeher noch Geld drauflegen müssen, damit den Bauerneine Perspektive gegeben werden kann.
Echte Einsparungen gäbe es beim Bergbau. Wir ha-ben Sie aber an der Spitze derer gefunden, die einensinnvollen Kompromiß bei der Kohlefinanzierung ver-hindern wollten. Dieser Kompromiß hätte sozusagen einbißchen mehr Luft für Zukunftsinvestitionen gebracht.Daß die Grünen, Herr Metzger, bei der Kohlesubventionvorneweg gegangen sind, ist ein Stück aus dem Toll-haus. Was Sie vollzogen haben, ist obskur und kafkaesk.
Im Osten Deutschlands wird es noch lange großerfinanzieller und auch ideeller Anstrengungen bedürfen,um den Strukturwandel zu beschleunigen und um dieArbeitslosigkeit zurückzuführen. Wir hatten das Förder-system – im übrigen: zusammen mit Ihnen – umgestellt.Teuer und notwendig bleibt es noch lange Zeit.
Herr Kollege Rex-
rodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ur-
baniak?
Nein, ich möchte indieser Debatte meine Ausführungen im Zusammenhangvortragen.Zur Wirtschaft. Herr Minister Müller sagt – ich weißnicht: listig oder naiv –: Jetzt muß die Wirtschaft einmaleinen Katalog von Subventionskürzungen vorlegen,dann gibt es anständige Steuerentlastungen und wenigerSozialbeiträge. – Es entspricht dem parlamentarischenBrauch, daß man die Politik seines Nachfolgers nichtkritisiert. Ich will mich daran halten.
Dr. Günter Rexrodt
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Aber ich möchte in moderaten Worten meine Einschät-zung vermitteln, daß es auf diese Weise nie Subven-tionskürzungen geben kann. Subventionen kann mannur kürzen, wenn man eigene Vorstellungen hat, dieman nach einem eigenen Fahrplan durchsetzen kann.Anders geht es nicht.
Im Einzelplan 09 finden wir die Förderung desHandwerks, des Mittelstands und der Technologie. Es istvöllig unmöglich, daß in diesem Bereich gekürzt wird,weil dies zu Lasten der Arbeitsplätze ginge. Ich binmehr dafür, daß Herr Müller hinsichtlich des Einzel-plans 09 dafür Sorge trägt, daß die Deutsche Aus-gleichsbank, die eine hervorragende Mittelstandspolitikmacht, ihre Arbeit auch in Zukunft eigenständig und er-folgreich fortsetzen kann.
Einen großen Zauberposten, Herr Kollege Eichel, ha-ben Sie allerdings, nämlich die überdimensionierte Aus-stattung des Postens für den zweiten Arbeitsmarkt imHaushalt von Herrn Riester. Wir wissen, daß am zweitenArbeitsmarkt Brücken gebaut, Weichen gestellt und in-dividuelle Härten abgewendet werden können – insbe-sondere, wenn es um junge Leute geht. Das ist gar keineFrage. Aber alle wissen auch, daß man mit diesen Maß-nahmen die strukturellen Probleme des Arbeitsmarktesnicht lösen kann. Dazu bedarf es einer konzeptionell an-deren Politik.Die im Riester-Titel veranschlagten Mittel in Höhevon 11 Milliarden DM – aus meiner Sicht sind das 6Milliarden DM zuviel – haben einen ganz anderen Hin-tergrund. Sie haben gesagt, daß Sie sich an Ihrem Erfolgbei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen las-sen wollen. Das wird – ich füge hinzu: leider – Ihr Wa-terloo werden. Sie haben eine enorme Entlastung amArbeitsmarkt auf Grund der demographischen Entwick-lung, die Ihnen zugute kommt. Aber die von Ihnen be-triebene unstete und unkalkulierbare Politik hat dazu ge-führt, daß die Betriebe und Unternehmen verunsichertsind und weniger Beschäftigte einstellen. Die Situationdes Arbeitsmarktes wird sich leider – das ist meine Pro-gnose – in den nächsten Jahren eher verschlechtern alsverbessern.
Die Mittelständler stellen nicht ein, weil sie von derSteuerpolitik nicht überzeugt sind. Die Großbetriebe in-vestieren im Ausland, weil es dort bessere steuerlicheRahmenbedingungen gibt. Die ausländischen Investoren,die wir brauchen, machen einen Bogen um Deutschland,weil die Steuer zu hoch ist und – vor allem – weil derArbeitsmarkt zu sehr reguliert ist. Sie kommen nicht,weil sie Flexibilität wollen.Sie schlagen die Existenzgründer und Selbständigen,die wir brauchen, wie die Blume das Licht mit einemvöllig verfehlten Gesetz gegen die Scheinselbständig-keit aufs Haupt.
Hören Sie hin, was die Leute dazu sagen: die neuenEDV-Dienstleister, die unabhängigen Finanzberater, dieEntwickler und Tüftler, der junge Architekt, die Mitar-beiter in den Volkshochschulen, den Bildungseinrich-tungen und den Universitäten,
die Medienfachleute, die Journalisten, die Kleintrans-porteure, die Immobilienmanager und viele anderemehr. Die Leute fassen sich an den Kopf, was ihnen dazugemutet wird. Stoppen Sie dieses Gesetz! Tun Sie esin die Schublade; schaffen Sie es ab!
Dasselbe gilt für das 630-Mark-Gesetz. Es kosteteinen schon fast Überwindung, darüber zu sprechen,
weil man nicht fassen kann, lieber Herr Wagner, wasMenschen da zugemutet wird,
fleißigen Menschen, die mehr arbeiten wollen, weil sieein bißchen mehr verdienen wollen, und zwar in volks-wirtschaftlich durchaus wichtigen Tätigkeiten: alsHauswart, als Platzwart im Sportverein, als Zeitungsträ-ger, in der Gastronomie, als Gärtner oder auch im pri-vaten Haushalt. Das sind Leute, die etwas tun wollen,und Sie schlagen ihnen aufs Haupt!Die Verantwortung dafür liegt nicht mehr bei der, sa-gen wir einmal: linken Politik von Herrn Lafontaine,sondern die Verantwortung dafür tragen der Bundes-kanzler und Herr Eichel. Niemand anders trägt die Ver-antwortung dafür.
Ich komme zu meiner Aussage zurück, daß der Titelfür den zweiten Arbeitsmarkt bei Herrn Riester um etwa6 Milliarden DM überfinanziert ist.
Herr Kollege Rex-
rodt, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschrit-
ten.
Ich komme sofort zumEnde, Herr Präsident.Die von mir angesprochene Überdotierung hat deneigentlichen Hintergrund, daß Sie all den Unsinn, denSie verzapfen, mit Mitteln des zweiten Arbeitsmarktesausgleichen wollen. Das aber können Sie nicht. DieWelt ist anders geworden. Die Organisationskriterien,die die Dinopolitik einiger Gewerkschaften verlangt,gelten in einer Dienstleistungsgesellschaft, einer Gesell-schaft, die mehr Selbständigkeit und mehr Flexibilitätwill, nicht mehr.Dr. Günter Rexrodt
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Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Die Gesetzezu den 630-Mark-Jobs und zur Scheinselbständigkeitsind nicht irgendwelche Gesetze, die irgendwen irgend-wann einmal berühren. Mit diesen Gesetzen greifen Siein die Lebensschicksale von Millionen von Menschenein. Das Leben und die Arbeit von Millionen Menschenmuß anders organisiert und entsprechend anders finan-ziell entgolten werden. Das machen Sie unprofessionell,unlogisch und unkoordiniert. Diese Politik ist eine Zu-mutung für unser Land. Machen Sie Schluß damit. Hö-ren Sie auf die Menschen, die fassungslos sind über das,was ihnen in diesen Monaten zugemutet wird.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Oswald Metzger, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Op-position durchaus Mühe hat, diesen Haushalt unter vol-len Beschuß zu nehmen, läßt sich an einer einfachenZahl festmachen: 95 Prozent der Haushaltsansätze querdurch alle Ressorts sind identisch mit dem, was TheoWaigel als Finanzminister im letzten Jahr als Ihren Re-gierungsentwurf eingebracht hat.
Von daher sollten Sie sich nicht so aufblasen und hierden Eindruck erwecken, daß dieser Haushalt praktischein Tiefflug sei. Er ist ein Tiefflug insofern, als wir ausden 56,4 Milliarden DM Nettoneuverschuldung imEntwurf von Theo Waigel jetzt immerhin 53,5 Milliar-den DM gemacht haben,
obwohl wir zum Beispiel Mehrausgaben etatisierenmußten, die im Zusammenhang mit der Tragik im Ko-sovo stehen, nämlich militärische und zivile Mehrausga-ben allein in dem Bereich von gut einer dreiviertel Mil-liarde DM. Das wissen Sie ganz genau. Deshalb ist derEinspareffekt, den wir im Haushaltsausschuß nicht nurbei Schätztiteln, sondern tatsächlich quer durch alle Res-sorts erzielt haben, durchaus ein beachtlicher Schritt, derdieses Parlament insgesamt darauf einstimmt, daß wirvor härteren Zeiten stehen.Kollege Austermann, wenn ich von Ihnen höre, dasstrukturelle Defizit sei eine Mär, dann geht mir dernicht vorhandene Hut hoch. Warum? Ihnen hat doch derSachverständigenrat der Bundesregierung in den ver-gangenen Jahren ständig ins Stammbuch geschrieben,daß es strukturelle Defizite zwischen 1 und 1,2 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts gibt; das waren damals im-merhin zwischen 37 und 40 Milliarden DM. Und denkenSie bitte an die Privatisierungsorgie in den letzten vierJahren Ihrer Regierungszeit! Sie haben in dieser Zeitmehr Bundesvermögenswerte verkauft, als dies in den20 oder 30 Jahren davor in der Geschichte der Bundes-republik Deutschland der Fall war, weil ansonsten dieVerschuldungsgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzesnicht einzuhalten gewesen wäre.
Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht mit Steinen wer-fen.Ich will aber der Versuchung widerstehen, in den üb-lichen Schlagabtausch bei Haushaltsdebatten einzutre-ten. Wir müssen auf die Grundkonzeption der Fehl-finanzierung der öffentlichen Haushalte dieser Republikzu sprechen kommen. Da sitzen alle Parteien diesesLandes im Boot, auch die F.D.P. Diese redet jetzt vomSubventionsabbau, hat aber doch während ihrer Regie-rungszeit die Subventionen in einem kolossalen Ausmaßerhöht – auch Herr Rexrodt als Wirtschaftsminister.Wenn Sie sich, Herr Wirtschaftsminister a.D., wei-gern, unsere Weichenstellungen im Bereich Bildung,Forschung und Technologie zu sehen, und behaupten,wir hätten diesen Etat um 71 Millionen DM gekürzt,dann sage ich Ihnen: Wir haben diesen Etat gegenüberWaigels Entwurf um netto 920 Millionen DM erhöht.Das ist in einer solchen Zeit ein Akzent.
– Da Sie die Kohle ansprechen: pacta sunt servanda. Ih-re Regierung, Helmut Kohl und Theo Waigel, hat denKohle-Kompromiß ausgehandelt.
Sie haben die Verträge nach den Protesten der Bergar-beiter für 1996 bis 2004 abgeschlossen. Sie aber habensie in den früheren Etatansätzen nicht erfüllt. Wir müs-sen jetzt etatisieren, was die alte Koalition beschlossenhat. Auch hier gilt das Motto: Wer selber im Glashaussitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. Wir müssen aufdem Boden der Realität bleiben.Jetzt zurück zu dem Ausgangspunkt. Wir werdenheute vom neuen Finanzminister hören, wie er konzep-tionell die Konsolidierung der Haushalte einschätzt. Ichhabe jetzt das vielleicht zweifelhafte Vergnügen, alsMitglied der kleinen Regierungsfraktion zu akzentuie-ren, in welche Richtung aus unserer Sicht eine nachhal-tige Finanzpolitik gehen soll, die natürlich wirtschafts-politische und sozialpolitische Zusammenhänge nichtaußen vor läßt.Ich stelle zum wiederholten Male fest: Wenn wir einViertel aller Steuereinnahmen des Bundes dafür auf-wenden müssen, Zinsen für alte Schulden zu bezahlen– diese konnten von der neuen Regierung in den siebenMonaten nicht wesentlich erhöht werden; der Gesamt-schuldenstand beläuft sich auf 1,5 Billionen DM –, dannist das tragisch. Wenn wir 18 Prozent der Ausgaben desStaates im letzten Jahr für Zinsen ausgegeben haben,dann ist dies eine dramatische Entwicklung. DieserAusgabeblock wird in den nächsten Jahren ganz sicher,so sicher wie das Amen in der Kirche, um mindestenszwei bis drei Milliarden DM steigen. So werden es stattDr. Günter Rexrodt
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heute 82 Milliarden DM im nächsten Jahr 85 MilliardenDM sein. Das ist das erste Problem.Das zweite Problem: Wir finanzieren unser umlagefi-nanziertes, beitragsorientiertes gesetzliches Rentenversi-cherungssystem immer stärker durch Steuermittel. Wirliegen inzwischen bei einer Steuerfinanzierungsquotevon rund 33 Prozent. 26 Prozent aller Ausgaben desBundeshaushalts werden für die Altersvorsorge, für denZuschuß an die Rentenversicherung und die Beamten-pensionen, verwandt. Diese beiden Zahlen machen dasgesamte Problem deutlich: Überschuldung des Staates,Leben zu Lasten der nächsten Generation, keine Gene-rationengerechtigkeit bei der Rente, und trotzdem wirdder Eindruck vermittelt, als könnten wir so weiterma-chen wie bisher.
– Stichwort Ökosteuer, Kollege Thiele.
Die Ökosteuer führt im Saldo immerhin zu dem Effekt,den auch Sie im letzten Jahr als alte Regierungskoalitionim Auge hatten. Auch hier sollten Sie sich an das Motto„Wer selber im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Stei-nen werfen“ halten.Am 1. April 1998 gab es eine einprozentige Mehr-wertsteuererhöhung. Die Alternative, vorgeschlagen vonHerrn Schäuble – damals noch als Kronprinz in der altenCDU/CSU-Fraktion – war eine Erhöhung der Mineral-ölsteuer um 15 Pfennig. Hätten Sie doch nur die Mine-ralölsteuererhöhung gewählt! Der Mehrwertsteuer kannsich der Verbraucher nämlich nicht entziehen. Auchderjenige, der nicht von sinkenden oder nicht steigendenRentenversicherungsbeiträgen profitiert, zahlt nämlichdie Mehrwertsteuer. Dieses Argument also, das vonIhrer Seite geäußert worden ist, würde ich lieber imKöcher lassen; denn es fällt auf Sie zurück.
Noch eines zur Ökosteuer: Immerhin – das ist dochbemerkenswert – gibt es seit 1. April in diesem Landniedrigere Lohnnebenkosten.Wir haben den Aufschrei der Wirtschaft im Zusammen-hang mit der Ökosteuer gehört. Sie sollten einmal in dieBetriebe gehen und über die konkreten Auswirkungen die-ses Gesetzes diskutieren. Das habe ich in den letztenWochen ständig getan. Da geht es unter anderem um dieRegelung der 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständig-keit. Ich konzediere, daß dies ein großes Problem ist.
Denn ich will hier nicht im Schützengraben sitzen. An-gesichts dieses großen Problems müssen wir als Regie-rungsfraktion in der genauen Analyse darauf achten, obwir Lösungen gewählt haben, die den Mißbrauch, der javorhanden war, wirklich bekämpfen.
Wenn in Verbrauchermärkten – bei Lidl, Schlecker oderwie auch immer sie heißen – 90 bis 100 Prozent der Be-legschaft geringfügig beschäftigt sind, dann ist das einSkandal. Das muß man auch als Grüner feststellen undnicht nur dann, wenn man sozialdemokratisch denkt.
Wenn jetzt durch die neue Regelung der 630-Mark-Jobs zum Beispiel Saisonarbeitskräfte oder Zeitungs-austräger – dies sind zu 80 Prozent Schüler, für dieVerlage jetzt plötzlich Abgaben in Höhe von 22 Prozentzahlen müssen, während vorher keine Abgaben fälligwaren, weil Schüler steuerfrei waren und nicht einmaleine pauschale Lohnsteuer gezahlt werden mußte – be-nachteiligt werden, dann ist das in der Tat ein Problem.
– Die Debatte darüber werden wir nachher führen. Dasweiß ich, Herr Kollege.
– Kollege Koppelin, ich verliere meinen Faden durch Ih-re Zurufe nicht. Darauf können Sie sich verlassen.Entscheidend ist auf jeden Fall: In den Betrieben wirddie Auswirkung der Ökosteuer – um darauf wieder zu-rückzukommen – von betriebswirtschaftlicher Seitenicht sonderlich negativ beurteilt. Darüber können Siemit Handwerkern diskutieren. Der Mittelstand ist durchdie Ökosteuer netto nicht belastet, sondern entlastet.
Die Angst der Wirtschaft im Zusammenhang mit derÖkosteuer weist in eine ganz andere Richtung. DieseAngst muß man ernst nehmen, wenn man beispielsweiseim Rentenbereich Nachhaltigkeit erzielen will. Wir kön-nen in den nächsten Jahren im Rahmen der zweiten,dritten und vierten Stufe der Ökosteuer nicht jedes Jahrdie Einnahmen des Bundeshaushaltes und gleichzeitigals Durchlaufposten auch die Ausgaben erhöhen, indemwir den Zuschuß an die Rentenversicherung aufstocken,weil wir dann im Hinblick auf den Haushalt Wachs-tumsraten erhalten, die absolut nicht darstellbar sind.
Wir müssen vielmehr – denn es gibt ja eine Bring-schuld der neuen Regierung – das Rentensystem struktu-rell reformieren.
Im Ergebnis müssen die Ausgabensteigerungen aufGrund des Älterwerdens unserer Gesellschaft zumindestaufgefangen werden.
Oswald Metzger
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Da waren wir noch nie anderer Auffassung. Das könnenSie sogar in unseren Wahlprogrammen des letzten Jah-res nachlesen. Diese Debatte wird innerhalb der Koali-tion geführt. Sie wird übrigens auch in Ihren Reihen ge-führt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.Die Antwort auf diese Frage wird extrem schwierig,weil die bisherige Umverteilungsmechanik, bei den hö-heren Renten etwas wegzunehmen und die breite Masseder Renten aufzustocken, mehr Geld kostet. Das ist eineBinsenweisheit. Das ist versicherungsmathematisch undrechnerisch festzustellen. Folglich kann man aus derSicht der Grünen an einem sogenannten Lebensalters-faktor nicht vorbeikommen, weil wir nur damit die Ge-nerationengerechtigkeit und eine langfristige Finanzie-rung der Rente sichern.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Die Steuerpolitik wirdheute noch – wenn ich die folgenden Redner, und zwarvor allem Herrn Merz und Herrn Poß, betrachte – einegroße Rolle spielen. Ich kann es nicht mehr hören, wennSie in der steuerpolitischen Debatte die Petersberger Be-schlüsse vor dem Hintergrund der Kritik an den jetzigenknappen Haushaltsreserven immer wieder ins Spielbringen und sagen: Wir hätten eine Nettoentlastungdurchgeführt, dann hätte die Wirtschaft geboomt, unddadurch wären die Steuerausfälle nach kurzer Zeit durchentsprechende konjunkturelle Selbstfinanzierungseffektekompensiert worden.Wie bitte könnten Sie einen verfassungsgemäßenHaushalt für das Jahr 2000 vorlegen, wenn im Haushalt1999 eine Nettoneuverschuldung von 53,5 MilliardenDM eingeplant ist und nach Art. 115 des Grundgesetzesdie Grenze für die Neuverschuldung durch Investitions-ausgaben bei 58,2 Milliarden DM liegt? Wenn Sie30 Milliarden DM mit der Gießkanne über das Volk unddie Wirtschaft verteilen wollen, ist Ihr Haushalt verfas-sungswidrig. Außerdem werden Ihnen die von Ihnenregierten Länder höllisch widersprechen, und Stoiberwird Schäuble noch viel stärker im Nacken sitzen, wennes um das bayerische Geld geht und wenn der bayeri-sche Landeshaushalt plötzlich Probleme bekommt, weiler die Steuerausfälle einer solchen alten PetersbergerReform nicht verkraften kann.Oder haben Sie im Hintergrund doch nicht die ganzeZeit lautstark – oder eher leise – die Mehrwertsteuer-melodie gepfiffen, nach dem Motto, die Tarife bei dendirekten Steuern senken und dafür die Mehrwertsteuererhöhen zu wollen? Aber dann sollten Sie hier nichtwieder mit dem Finger zeigen und sagen: Ihr kalkulierteine Mehrwertsteuererhöhung ein und wollt ja eigentlichnicht sparen.
Stichwort Steuerreform: Daß Reformen im Steuer-system angezeigt sind, ist keine Frage. Angesichts des-sen, was die Reformkommission letzten Freitag vorge-legt hat, können Sie nicht sagen, das sei fachlich inkom-petent. Die Kommission war ja nun wirklich hochkarätigbesetzt. Lesen Sie es nach. Es ist sehr vernünftig undüberlegenswert, was sie schreiben. FinanzministerEichel hat in allen Interviews eine Prüfung zugesagt. Erhat die Grundtendenz einer solchen Steuerphilosophiebereits seit Wochen bejaht. Die Grundmelodie heißt:Senkung der nominal hohen Tarife in Deutschland undBeseitigung der Schlupflöcher, der Ausnahmetatbestän-de. Das ist eine Philosophie, die in diesem Haus eigent-lich eine ganz breite Mehrheit hat. Man muß sie nurendlich umsetzen.Glauben Sie etwa, daß die Selbstfinanzierung einerUnternehmensteuerreform à la Reagan, USA, 1986, wasich immer wieder höre – Selbstfinanzierung durch Laf-fer-Kurve –, in einem Land, in dem das größere Pro-blem die Abgabenquote ist, also die Höhe der Lohnne-benkosten durch Sozialversicherungsbeiträge, möglichist? Bei einer unterdurchschnittlichen volkswirtschaftli-chen Steuerquote solche wundersamen Selbstfinanzie-rungseffekte zu erwarten ist Humbug.
Bei uns wird eine Steuersatzsenkung nicht in demAusmaß konjunkturpolitisch greifen können wie ineinem Land wie Amerika, wo die Abgabenquote signifi-kant niedriger ist als in Deutschland. Darüber habe ichfrüher bereits mit Ihrem Kollegen Lambsdorff diskutiert.
Meiner Auffassung nach gibt es durch eine konzep-tionell vernünftige Steuerreform natürlich Selbstfinan-zierungseffekte. Diese sind aber viel bescheidener. Des-halb kann das Versprechen einer Nettoentlastung nichtso aussehen, daß man der Wirtschaft zu Zeiten, in denendie Haushaltsmittel knapp sind, ab 1. Januar 2000 plötz-lich 10 oder 15 Milliarden DM zur Verfügung stellt. Ichwäre schon froh, wenn wir eine Konzeption in zwei oderdrei Stufen mit 35 Prozent inklusive Gewerbeertrag-steuer in der Spitze überhaupt umsetzen könnten. Wennwir zumindest die Körperschaftsteuersätze in der er-sten Stufe auf 28 Prozent senken könnten, dann würdendie Wirtschaftsvertreter mit ihrer Kritik plötzlich leiser;denn wenn die Wirtschaft etwas kann, dann ist es prag-matisch rechnen und planen, wenn sie Verläßlichkeithat. Für diese Verläßlichkeit müssen wir in der Tat sor-gen. Das ist eine Bringschuld unserer Regierung.
Diese Verläßlichkeit werden Sie in diesem Jahr auchbekommen.
– Wissen Sie, Jack Lang, der frühere französische Kul-turminister, hat einmal gesagt: Regieren kann man ler-nen. – Rotgrün regiert unser Land – das sage ich jetztohne Ironie – in einer Kriegssituation, was für einedemokratische Gesellschaft politisch eine extreme Bela-Oswald Metzger
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stung bedeutet. Dabei steht sie auch einem Rechtferti-gungsdruck seitens der Bevölkerung in der Frage gegen-über, ob militärische Mittel Zweck der Politik sein kön-nen oder nicht. Ich komme – um nicht mißverstanden zuwerden – zu dem Schluß: Es ist in diesem Fall berech-tigt.Wenn Sie sehen, welche Konzentration und welcheAufmerksamkeit dieser Bereich erfordert, dann solltenSie sich im Moment zurückhalten. Sie mit Ihrer Regie-rung haben 14 Jahre gebraucht, bis Sie überhaupt einEinkommensteuermodell vorgelegt haben, obwohl dieBareis-Kommission bereits 1994 die richtigen Ansätzeveröffentlicht hatte. Theo Waigel persönlich war es, derdie Vorschläge von Bareis im Papierkorb versenkt hat.Erst 1996, auf einen Anstoß Uldalls hin, haben Sie ausder Unionsfraktion damit wieder begonnen. Was alsodie Lernfähigkeit einer Regierung betrifft, so legen wirda ein ganz anderes Tempo vor als Sie.
Wieder zurück zur Steuerpolitik. Die Auffassung, daßeine Unternehmensteuerreform mit der Zielgröße 35Prozent inklusive Gewerbeertragsteuer durchgeführtwerden sollte, teilen wir.Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vonletzter Woche stellt sich jetzt die Frage: Wie geht manmit der Spreizung um? – In diesem Zusammenhang rufeich noch einmal in Erinnerung: Wer selbst im Glashaussitzt, sollte nicht mit dem Finger auf die neue Regierungzeigen. Die Spreizung bei den gewerblichen Einkünf-ten, die der Bundesfinanzhof mit seinem Vorlagebe-schluß für verfassungswidrig erklärt hat, hat nämlich1993 die alte Regierung eingeführt. Also: höllisch auf-passen!
13,5 Prozent Spreizung werden sich in der Endphasenicht verwirklichen lassen.
Darüber brauchen wir nicht zu reden. Wir werden, wennman ein Steuerreformkonzept insgesamt macht, natür-lich eine Debatte über eine Neujustierung des Verhält-nisses zwischen direkten und indirekten Steuern be-kommen.Bei der Senkung der Einkommensteuer geht es übri-gens nicht nur um eine Reduzierung des Spitzensteuer-satzes, sondern auch um eine Verringerung des Ein-gangssteuersatzes. Wer immer von Schwarzarbeit re-det, muß sich darüber im klaren sein, daß ein Eingangs-steuersatz von 19,9 Prozent, den wir im Jahre 2002 ha-ben werden, immer noch zu hoch ist, um einen Anreizfür die Arbeitsaufnahme darzustellen.
Das ist ein Problem unserer Gesellschaft. Auch dasmüssen wir thematisieren. Ich meine, solche Themenmüssen beispielsweise auch im „Bündnis für Arbeit“ imRahmen einer Gesamtkonzeption besprochen werden.
– Natürlich wird das Parlament die Gesetze machen.Aber, Kollege Thiele, wir müssen doch eines klar se-hen: Wir hier im Parlament müssen aus den Schützen-gräben heraus, wenn es um die ökonomischen Grundla-gen unserer Volkswirtschaft geht. Jede Seite sollte aufdie andere hören. Keine Fraktion in diesem Saal hatwirtschaftspolitisch die alleinseligmachende, reine Leh-re. Etwas anderes zu behaupten ist absolut falsch; daserwartet auch niemand in der Bevölkerung.Aber wir müssen dann die Tarifpartner aus ihrenSchützengräben herausholen. Das gilt für die Gewerk-schaften, aber erst recht für die Unternehmer, die teil-weise in den letzten sieben Monaten in einem merkwür-digen Amoklauf die Wirklichkeit wie in einem Zerrspie-gel gesehen haben. Vieles von dem, was Henkel undHundt in den letzten sieben Monaten gesagt haben,
war meines Erachtens stark ideologisch geprägt, weil siees offensichtlich nicht verkraftet haben – als Sie, meineDamen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P.,regiert haben, haben sie immer den Reformstau beklagt –,daß nach 16 Jahren die Wähler am 27. Septembereinen Wechsel wollten. Inzwischen werden sie wiederbehutsamer, Kollege Austermann. Sie werden ruhiger.Warum? – Weil man als Verbandsfunktionär nie etwaserreicht, wenn man sich in eine extreme Ecke manö-vriert. Vielmehr muß man moderat im Ton bleiben.Sonst verliert man in der Sache Einfluß. So einfach istdas.
Das gilt auch für die Gewerkschaften.Was ich in unserem gemeinsamen Interesse anmahne,ist: Wir müssen in der steuerpolitischen Debatte miteiner realistischen Konzeption arbeiten, die langfristigfinanzierbar ist, ökonomisch tauglich ist und die Kon-kurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhöht.Jetzt komme ich zum eigentlich wichtigen Punkt,dem Sparen. Viele erwarten ja vom Finanzminister, daßer heute Sparziele quasi vorgibt oder Parlament und Öf-fentlichkeit auf notwendige strukturelle Maßnahmeneinstimmt. Ich komme zu meinem Ausgangspunkt zu-rück. Allein die Blöcke der Zinsausgaben und der Aus-gaben für die Altersvorsorge weisen eine Wachs-tumsdynamik auf, die für sich allein schon Konsolidie-rungsbedarf entstehen läßt. Die Staatsquote hat eineHöhe erreicht, die übrigens Sie, meine Damen und Her-ren von der F.D.P., immer kritisiert haben. Das ist in Ih-rer Amtszeit passiert. Die Höhe der Staatsquote ist nichtnur wiedervereinigungsbedingt. Das würde ich als Son-derfaktor sehen.
Oswald Metzger
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2966 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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– Sie waren 29 Jahre in der Regierung. Die Staatsquotewar am Beginn Ihrer Bonner Regierungszeit extremniedrig.
– Herr Rexrodt, ich habe ja gerade gesagt: Die F.D.P.war nicht nur 16 Jahre in der Bundesregierung, sondern29 Jahre ununterbrochen.Deshalb sage ich Ihnen: Es geht um eine Philosophie,um die Frage, wie man staatliches Handeln in einer mo-dernen Industriegesellschaft definiert. Der Streit zwi-schen den politischen Gruppen geht doch um folgendes:Hole ich das Geld zunächst über Steuern und Abgabenbei den Bürgerinnen und Bürgern und mache dann überden Umweg des Staates – etatistisch gesprochen –Wohlfahrtspolitik, Sozialpolitik, Infrastrukturpolitik,oder begrenze ich die Ausgaben des Staates, reduzierewenigstens teilweise den Staatsanteil, gebe den Bürge-rinnen und Bürgern und der Wirtschaft durch niedrigereSteuern und Sozialabgaben einen Teil des Spielraumszurück und erhöhe dadurch die Effizienz in der gesam-ten Volkswirtschaft? Darum geht der grundsätzlicheStreit. Diese Frage wird von der politischen Linken an-ders gesehen als von der wertkonservativ-liberalen Mitte– keine Frage. Ich glaube allerdings, daß es, wenn wireine philosophische Debatte über den ökonomisch rich-tigen Ansatz führen, angesichts der Grenzen der etatisti-schen Möglichkeiten keine Alternative dazu gibt, dieStaatsquote zu reduzieren.
Das sagt übrigens der Wirtschaftsminister Müller; dassagt übrigens die gesamte Bundesregierung. Finanz-minister Lafontaine hat im Januar in Brüssel ein Stabi-litätsprogramm vorgelegt, das vorsieht, die Staatsquoteim Jahre 2002 auf 45 Prozent zu senken.
Interessant ist: Im Frühjahrsgutachten – das ist vorwenigen Tagen veröffentlicht worden – sprechen dieGutachter von den Rahmenbedingungen für die kon-junkturelle Entwicklung. Sie schreiben, daß das monetä-re Umfeld extrem günstig ist, daß Erholungstendenzenim südostasiatischen Raum spürbar sind, daß die derzei-tige Dollarstärke strukturell den deutschen Export be-günstigt.
Uns wird bestätigt, daß wir eine konjunkturneutraleFinanzpolitik betreiben – wie auch Ihrem Etat 1998.Von daher, Herr Austermann, gilt auch hier wieder dasMotto: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinenwerfen. Die Frühjahrsgutachter kommen dann zu dergleichen Einschätzung wie wir, und es wird von ihnenbelegt, daß wir im Jahr 2002 das Ziel einer Staatsquotevon 45 Prozent erreichen können. Dieses Gutachten istschon in Kenntnis der ersten sieben Monate der Politikder neuen Regierung verfaßt worden und ist insofern inseiner Beurteilung vielleicht zutreffender als der Kom-plettverriß der Opposition.
Was will ich damit sagen?
Wir werden – das ist gar keine Frage – die Ausgabenreduzieren müssen. Wir werden für den 2000er Haushalteine Begrenzung des Ausgabenwachstums hinbekom-men müssen. Wenn wir dies schaffen wollen, dann heißtdies: Begrenzung für viele Ressorts – bis auf die, wo wirpolitisch Akzente setzen wollen. Die Aussage der neuenRegierung steht, daß als Zukunftsinvestition die Ausga-ben im Bereich Bildung, Forschung und Technologieerhöht werden.
– Der bildungspolitische Sprecher klatscht. – Wenn aberin manchen Bereichen neue Akzente gesetzt werden,dann ist in Zeiten knapper Ressourcen dafür natürlich inanderen Bereichen zu kürzen.
Obwohl wir als Bundesrepublik Deutschland derzeitim Krieg stehen, sage ich: Der Verteidigungsetat ist– darauf wurde heute schon hingewiesen –, gemessen ander derzeitigen Personalstärke, unterfinanziert. Wir ge-hen davon aus, daß auch der Verteidigungsetat – auchim Zuge der Zukunftskommission der Bundeswehr, diegestern eingesetzt wurde – strukturell einen eigenenKonsolidierungsbeitrag leisten muß, indem die Perso-nalstärke längerfristig geändert wird. Nur so kann dieFinanzierung der notwendigen Maßnahmen im investi-ven Sektor aufgabenbezogen gewährleistet werden.Aber wir können nicht so tun, als sei der Kosovo-Kriegeine Rechtfertigung dafür, diesen Haushalt aus der Kon-solidierung herauszunehmen. Das wäre inkonsequent,und das könnte man auch der Bevölkerung, die auf die-sem Gebiet sehr hellhörig ist, nicht vermitteln. Deshalbhat der Haushaltsausschuß mit der Regierungsmehrheitbeschlossen, daß auch der Verteidigungsetat den Spar-beitrag in Höhe von einem halben Prozent erbringenmuß, wie alle anderen Bereiche auch.Wenn man die Ausgaben zurückfahren will, dann hatman verschiedene Möglichkeiten des Vorgehens. DieRasenmähermethode ist normalerweise die am wenig-sten elegante, aber meistens die ergiebigste. Denken Siean den Subventionsabbau oder an die Verpflichtungs-ermächtigungen, die der Haushaltsgesetzgeber fürAusgaben in den nächsten Jahren beschließen muß. DieKoalitionsfraktionen haben in der Bereinigungssitzunginsofern eine gewisse Vorsorge getroffen, als ein Recht-fertigungsdruck auf die Ressorts ausgeübt wird, wennsie mehr ausgeben. Die Verpflichtungsermächtigungenfür das nächste Jahr haben wir um 10 Prozent gekürzt.Das sind immerhin rund 7 Milliarden DM.Man kann Ausgabenbegrenzung auch im Wege desSubventionsabbaus erreichen. Subventionen gibt esnatürlich nicht nur als Finanzhilfen aus dem Bundes-Oswald Metzger
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haushalt, sondern auch über das Steuerrecht. Dann abermüssen, sofern rechtlich möglich, alle Subventionen aufden Prüfstand; dann muß der Degressionspfad beschrit-ten werden. Das ist die einzige Möglichkeit, die Ausga-ben des Staates nachhaltig strukturell zurückzufahren.Schließlich geht es auch um die Überprüfung vonLeistungsgesetzen. Natürlich muß man in einer Zeitknapper Ressourcen Sozialstaat so definieren, daß dieZielgenauigkeit der Ausgaben erhöht wird. Ohne daß esda abgestimmte Positionen gibt, frage ich: Ist es nochsinnvoll, die Mittel, die im Haushalt für sozialen Woh-nungsbau vorgesehen sind, dafür einzusetzen, wenn – jenach Region unterschiedlich; ich weiß das – Zehntau-sende von Wohnungen leer stehen und die Mietpreisetendenziell sinken? Kann man in einer solchen Situationdie Wohnungsbauförderung mit relativ hohen öffentli-chen Mitteln weiterbetreiben? Auch ich weiß, daß dasein Reizthema ist, aber ich will eine Debatte führen, dieuns aus den Schützengräben herauslockt.Oder ein anderes Beispiel: Wir alle wissen, daß dieUmsetzung des Verfassungsgerichtsbeschlusses zur Fa-milienentlastung eine riesige Belastung für den Bundes-haushalt darstellt. Ist es deshalb in dem Zusammenhangvon vornherein ungehörig, auch den Bereich kindbezo-gener Leistungen, beispielsweise das Erziehungsgeld,teilweise zur Gegenfinanzierung heranzuziehen? Manmuß sich immer den gesamten Komplex anschauen.Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, daß diePolitik „business as usual“ betreibt – so tut, als sei nichtsgewesen –, obwohl die Mittel der öffentlichen Kassenknapp sind. Vor diesem Hintergrund werden wir alle ge-zwungen sein, Ansprüche an den Staat zurückzufahren,und zwar unter zwei inhaltlichen Bedingungen: sozialgerecht und ökonomisch verträglich.
– Kollege Hoyer, die Antwort des 99er Haushaltes ist,daß der Zuwachs der Ausgabenquote, bereinigt, von 1,7auf 1,2 Prozent reduziert wurde. Schauen Sie sich diekumulierten Ist-Ergebnisse bei den Ausgaben an. DieBruttowachstumsrate des Bundeshaushalts lag EndeApril bei 2,9 Prozent. Die 6,3 Prozent, die KollegeAustermann als Stand von Ende April angibt, sind alsofalsch. Wir fahren die Ausgaben des Staates durch vor-läufige Haushaltsführung im Moment günstiger als imPlan. Das ist gut so;
denn wir müssen alles tun, um Reserven für die kom-menden schwierigen Jahre zu bilden.Daß die Steuereinnahmen im Augenblick keinenRückgang der konjunkturellen Entwicklung signalisie-ren, ist auch klar. Der Grund dafür liegt in der Zeit, inder der Vorgängerfinanzminister mit der Erosion derSteuerbasis auf Grund von Steuerrechtsregelungen lebenmußte, die vor allem Immobilienförderungen in Ost-deutschland betrafen, und in der vor allem der Export,der auf Grund der Steuerrückerstattung umsatzsteuer-neutral ist, die Konjunktur gestützt hat. Deshalb warendie Steuereingänge vier Jahre lang relativ bescheiden.Sie haben sich jetzt auf einem Niveau eingependelt, wiewir es von früher kennen. Die Steuereingänge des Staa-tes wachsen mit einer höheren Rate als das Bruttoin-landsprodukt.Insofern, Kollege Rexrodt, ist es angesichts der Tat-sache, daß ein progressives Steuersystem Steuermehr-einnahmen in die Staatskasse spült, natürlich eineÜberlegung wert, ob man, wenn man auf der Ausgaben-bremse bleibt, die sogenannten heimlichen Steuererhö-hungen zum Teil in eine Gegenfinanzierungsstrategiefür Tarifsenkungen bei der Unternehmen- und der Ein-kommensteuer einbezieht. Das ist nicht prinzipiellfalsch, sondern hat durchaus eine gewisse ökonomischeLogik.Diese Debatte werden wir in den nächsten zwei Mo-naten führen. Am 30. Juni – dieses Datum ist für dieneue Regierung wichtig – werden der Etat 2000 und diemittelfristige Finanzplanung im Kabinett vorliegen. Bisdahin gibt es eine Herkulesarbeit, strukturelle Maßnah-men im Haushalt, in den sozialen Sicherungssystemenund im Steuerrecht konzeptionell festzuzurren. Denn nurim Dreiklang von Haushalts- und Finanzpolitik, Steuer-politik und Sozialpolitik können wir die Probleme derÜberschuldung öffentlicher Haushalte lösen, können wirmittelfristig auch in Deutschland ausgeglichene Haus-halte haben, können wir aufhören, zu Lasten künftigerGenerationen zu leben.Dafür braucht es einen Kraftakt in dieser Gesell-schaft. Alle Fraktionen, die hier sitzen, haben sich an derAusgabenerhöhung der vergangenen Jahrzehnte betei-ligt. Das Einsammeln von Geldern ist wesentlich müh-samer. Aber es lohnt sich; denn nachhaltige Finanzpoli-tik läßt auch künftigen Generationen noch Spielraum füreigenes politisches Gestalten.Vielen Dank.
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Dr. Uwe-Jens Rössel das Wort.
Frau Präsidentin! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Seit der ersten Lesungdes Bundeshaushaltes 1999 im Februar hat sich dieaußenpolitische Situation dramatisch verändert. Esherrscht Krieg in Europa. Die Haushaltsberatungen wur-den und werden davon überschattet.Den immensen Verletzungen der Menschenrechtedurch Milosevic und seine Gefolgschaft, die die PDSmit aller Entschiedenheit verurteilt, kann nicht durchNATO-Bombenhagel begegnet werden.
– Ich habe das eindeutig gesagt, Herr Merz. – Schonmehr als sechs Wochen Bombenkrieg haben HunderteMenschenleben gekostet und Zehntausende Verletztegebracht, größtenteils aus der Zivilbevölkerung. SogarOswald Metzger
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2968 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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vollbesetzte Busse wurden zerbombt, HunderttausendeArbeitsplätze vernichtet, die Infrastruktur zerstört. Keineeinzige Bombe, die auf Serbien, Montenegro und denKosovo gefallen ist, hat das Leid auch nur eines einzi-gen Kosovo-Albaners gemindert.
Im Gegenteil: Der Flüchtlingsstrom schwillt an. DerKrieg muß sofort gestoppt werden.
Notwendig sind unverzüglich politische Lösungen aufdem Balkan unter Verantwortung der Vereinten Natio-nen.Lieber Kollege Metzger, In diesem Zusammenhangund unter diesen Rahmenbedingungen ständig von einerDiskussion in Schützengräben zu sprechen, halte ich fürwenig taktvoll.Was nun den Haushaltsentwurf 1999 betrifft, so wür-digt die PDS einige neue Akzente. Dazu gehört aus-drücklich die Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik. Dasist eine Position, in der wir F.D.P. und CDU/CSU aus-drücklich widersprechen. Hervorgehoben wird auch dasim Haushalt verankerte Programm gegen die Jugendar-beitslosigkeit, das zu würdigen ist. Aber um der anhal-tend hohen Arbeitslosigkeit noch wirksamer entgegen-zutreten, reicht das nicht aus. Gefragt sind neue, innova-tive Wege wie beispielsweise die Installation eines öf-fentlich geförderten Beschäftigungssektors.Die Einlösung rotgrüner Wahlversprechungen bleibtim Haushalt 1999 Mangelware. Das muß wohl auchsein, wenn 95 Prozent des Haushaltes durch Theo Wai-gel vorbestimmt worden sind. Die vor der Wahl großangekündigte Wohngeldreform bleibt aus. Sie ist aberdringend notwendig; denn seit 1990 ist auf diesem Ge-biet nichts mehr getan worden. Alle Anträge der PDS,hier eine Veränderung durchzusetzen, wurden sowohlvon der alten als auch von der neuen Koalition abge-schmettert.Statt dessen setzen die Neuen in Bonn auf prestige-trächtige Projekte. Wir fordern daher den sofortigenStopp der Finanzierung des Transrapids mit öffentlichenMitteln.
Damit bekäme der Bundesfinanzminister ein wahrhaftesGeschenk, wenn er diesem Vorschlag folgte. Wird dasnicht passieren, entsteht ein Milliardengrab für dieSteuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das muß unbedingtverhindert werden.In den Beratungen zum Haushalt haben SPD undBündnisgrüne im Ausschuß an bestimmten Punkten einewirklich knallharte Rotstiftpolitik durchgesetzt, und dasam Entwurf der eigenen Regierung.
So wird gerade die vom Kollegen Metzger hervorgeho-bene zehnprozentige Sperre bei den Verpflichtungser-mächtigungen erhebliche negative Wirkungen auf Ar-beitsplätze und Wirtschaftsförderung haben. Auch dasist die Wahrheit, und das müssen Sie den Bürgerinnenund Bürgern bei der Haushaltskonsolidierung auchdeutlich sagen.Ebenfalls die vom Bundeskanzler vollmundig ange-kündigte deutliche Erhöhung der Mittel für die Kultur-förderung in Berlin und den neuen Bundesländern istdem Rotstift der Koalition zum Opfer gefallen.
Ebenso wurde in großen Bereichen der landwirtschaft-lichen Sozialpolitik erheblich gekürzt. Bundeslandwirt-schaftsminister Funke, der die Kürzungen der eigenenLeute am Bundeszuschuß für die landwirtschaftlicheUnfallversicherung – ich habe von ihm ein Schreibenerhalten – für politisch unverantwortlich hält, wurde vonder eigenen Koalition schachmatt gesetzt.
Das ist eine Einschätzung, die wir angesichts der sichverschlechternden Einkommenssituation in der Land-wirtschaft – Stichworte: Ökosteuer, Agenda 2000 – aus-drücklich teilen. Die PDS hat daher beantragt, daß dieMittel im bereinigten Regierungsentwurf für die land-wirtschaftliche Sozialpolitik ebenso wie die Mittel fürdie Kulturförderung in Ostdeutschland wieder deutlichaufgestockt werden.Und die in Berlin ansässigen Rundfunkchöre undRundfunkorchester von Weltgeltung brauchen über dasJahr 1999 hinaus verbindliche – ich sage: verbindliche –Haushaltsgarantien für eine im Volumen weitgehendgleichmäßige Bundesförderung. Die PDS hat auch dasbeantragt.
Der eigentliche Hammer und die finanzpolitische Na-gelprobe der neuen Koalition wird der Haushalt 2000sein. Hierin stimmen wir ausdrücklich mit vielen über-ein. Die Lösung dieses Problems kann nicht mehr wiebisher durch rigorose Privatisierung von Tafelsilber desBundes und offensichtlich auch nicht mehr durch groß-zügige Vereinnahmung von bislang sprudelnden Bun-desbankgewinnen erreicht werden. Hier versiegen dieQuellen allmählich.Was sind für uns die wichtigsten Risiken der Durch-führung des Haushaltes 1999 und der Vorbereitung desHaushaltes 2000? Welche Forderungen vertreten wir?Wir möchten erstens deutlich machen – das hat bisherkeine Rolle gespielt, und ich hoffe, der Finanzministerwird noch davon sprechen –, daß sich aus dem Krieg ge-gen Jugoslawien und den damit verbundenen Folgen er-hebliche Risiken für den Haushalt 1999 ergeben. In denEinzelplan 60 – allgemeine Finanzverwaltung – wurden441 Millionen DM für den Militäreinsatz der Bundeswehreingestellt. Ob sie reichen werden, ist mehr als fraglich.Die Aufwendungen für den erforderlichen Wiederaufbauauf dem Balkan sind überhaupt nicht etatisiert.Die PDS beantragt zugleich, daß die im Haus-haltsentwurf eingestellten Mittel für die Flüchtlingshilfe– zur Zeit 300 Millionen DM – weiter deutlich angeho-ben werden. Das Elend der Flüchtlinge muß auch inDeutschland noch stärker Berücksichtigung finden.Dr. Uwe-Jens Rössel
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Ein zweites Haushaltsrisiko ergibt sich aus der künf-tigen Gestaltung der Steuer- und Finanzpolitik der Bun-desregierung selbst. Derzeit ist schwerlich – möglicher-weise hängt das auch mit Personenwechsel zusammen –eine klare Linie erkennbar. Bei der von der Regierungallerdings angekündigten drastischen Senkung derSpitzensteuersätze bei der Einkommensteuer auf ge-werbliche Einkünfte und der Körperschaftsteuer drohen,so sie durchgesetzt wird, erhebliche Milliardenausfällefür den Bundeshaushalt, über die ebenfalls zu sprechenist. Weiterhin drohen erhebliche Ausfälle und Ein-schnitte für die Länderhaushalte und die Haushalte derStädte, Gemeinden und Landkreise. Deren Schicksaldarf uns als Deutschen Bundestag ebenso nicht unbe-rührt lassen.
Eine weitere Verschuldung der öffentlichen Haus-halte für die Finanzierung von Steuergeschenken an dieGroßindustrie, Banken und Versicherungen hinzuneh-men ist für uns nicht akzeptabel. Wir verlangen daherals ersten Schritt die sofortige Abschaffung der Steuer-befreiung für Luftverkehrsbetriebsstoffe, Kerosin. Da-durch könnten sofort – Herr Finanzminister Eichel, Siekönnen mir gern widersprechen – 500 Millionen DM indie Bundeskasse fließen.
Auch die von Wirtschaftsminister Müller jüngst insSpiel gebrachte Mehrwertsteuererhöhung für die Finan-zierung der Unternehmensteuerreform lehnen wir ent-schieden ab. Die Leidtragenden einer solchen Mehrwert-steuererhöhung wären besonders die kleinen Leute unddie kleinen mittelständischen Betriebe sowie Hand-werksbetriebe.Wir fordern statt dessen – und bitten um ein klaresWort der Regierung –, daß die besondere Förderung fürOstdeutschland im bundesdeutschen Finanzausgleichüber das Jahr 2004 hinaus verlängert wird.
Die gestrige Forderung vom BDI-Präsidenten Henkelnach schneller Abschaffung ist unverantwortlich. Wirweisen sie mit allem Nachdruck zurück.Als drittes Risiko wird die nur schwer vorhersehbareEntwicklung des Euro-Kurses zum US-Dollar gesehen.Sie wird immer mehr zum Haushaltsrisiko selbst. SeitJahresbeginn hat der Euro zum US-Dollar immerhin11 Prozent seines Wertes verloren. Wo bleibt die Ver-wirklichung der Versprechungen der alten und der neuenRegierung hinsichtlich eines starken Euro? Selbst ge-genüber abwertungsgefährdeten Währungen wie demchinesischen Renminbi oder dem südafrikanischen Randhat der Euro deutliche Kursverluste hinnehmen müssen.Das hat nicht nur psychologische Wirkungen in derÖffentlichkeit; das hat direkte Budgetbezüge, weil sichalle in Dollar notierten Aufwendungen entsprechendverteuern.Hält die Euro-Schwäche länger an – es spricht einigesdafür, Kollege Rexrodt –, werden überdies Zinserhö-hungen zumindest „am langen Ende“ die Folge sein. Dasist ein ganz schwerwiegendes Problem für die öffentli-chen Haushalte. Zinserhöhungen bei einer Gesamtver-schuldung von Bund, Ländern und Gemeinden in Höhevon 2,3 Billionen DM führten zu erheblichen Verteue-rungen und würden die öffentlichen Haushalte immensbelasten.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Zunächst, Herr Kollege Rössel: Ichwill in diese Debatte keine unnötigen Schärfen hinein-bringen. Aber angesichts der Rolle der PDS bei den Ser-ben-Demonstrationen gleichzeitig die Erhöhung derMittel für die Kosovo-Flüchtlinge zu fordern, das hatmit Redlichkeit nicht viel zu tun. Das muß ich Ihnen hiereinmal deutlich sagen.
Auch bei sonstigen Forderungen sollten wir auf demBoden bleiben. Daß wir Ihre Anregung der Kerosinbe-steuerung nicht einseitig aufgreifen können, dürfte je-dem klar sein. So etwas ist nur europaweit zu machen.Nun zu den Grundsätzen der Steuer- und Finanzpoli-tik. Wer Steuer- und Finanzpolitik solide und berechen-bar gestalten will, der darf nicht bei eindimensionalenBetrachtungen und Bewertungen stehenbleiben. Er mußstatt dessen gleichzeitig den ökonomischen, den verfas-sungsrechtlichen, den sozialen und den finanziellenRahmen seines Handelns berücksichtigen. Seine Aufga-be ist es, die Einnahmen und die Ausgaben der Gebiets-körperschaften in Übereinstimmung zu bringen und dievon den jeweils Verantwortlichen formulierten fach-politischen Entscheidungen in diesen Rahmen zu inte-grieren.Genau diesen Weg einer soliden, berechenbarenPolitik zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben hatBundesfinanzminister Eichel in den letzten Tagen mehr-fach beschrieben. Ich möchte ihm an dieser Stelle aus-drücklich die Unterstützung der SPD-Fraktion im Deut-schen Bundestag zusichern.
Über die dramatische Haushaltslage bei Bund, Län-dern und Gemeinden und über die sich daraus ergeben-den Restriktionen kann es in diesem Hause eigentlichkeine unterschiedlichen Auffassungen geben. Welcheökonomischen Rahmenbedingungen jedoch von der Fi-nanzpolitik gesetzt werden sollen, darüber gibt es seitMonaten einen heftigen Streit, den vor allem die Spit-zenvertreter der Wirtschaftsverbände immer wieder los-getreten haben. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß dieseit Jahren von den Verbandsvertretern gemalten stand-ortpolitischen Schreckensgemälde selbst den von ihnenvertretenen Unternehmen zuviel werden. Sie sind dieprofessionelle Nörgelei ihrer Verbandsoberen mehr undDr. Uwe-Jens Rössel
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2970 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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mehr leid, weil sie sehen, daß dies heute das eigentlicheKonjunktur- und Standortrisiko in Deutschland ist.
Die Kassandrafront von CDU/CSU, F.D.P. und ihrenVerbündeten in den Verbänden muß aufgebrochen wer-den, damit es bei uns in der Bundesrepublik Deutschlandvorwärtsgeht. Hat nicht Norbert Quinkert, Deutschland-chef des amerikanischen Motorola-Konzerns undgleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der AmericanChamber of Commerce, recht, wenn er sich gegen dieKassandrarufe aus den Verbänden wendet und auf derHannover-Messe fragt, „Können Sie sich vorstellen, daßWashington Siemens in den USA Staatshilfen zahlenwürde?“, und dann hinzufügt – trotz Ökosteuer undallem, was Sie so beklagen –: „Da sehen Sie, in wel-chem für Unternehmer attraktiven Land Sie leben.“Es ist jetzt wirklich an der Zeit, die Lage nüchtern zubetrachten, um anschließend die anstehenden Entschei-dungen sachgerecht zu treffen. Nüchtern die Lage be-trachten heißt festzustellen, daß sich die volkswirt-schaftliche Steuerquote – das ist der Anteil der gezahltenSteuern am Sozialprodukt – in Deutschland auf histo-risch niedrigem Niveau bewegt. Nüchtern die Lage be-trachten heißt auch anzuerkennen, daß in Deutschlanddie tatsächliche Steuerbelastung von Kapitalgesell-schaften, die im internationalen Wettbewerb stehen,europaweit am unteren Rand liegt.
Diese Tendenz belegen auch die neuesten, korrigiertenZahlen der OECD.
– Wir haben während der Jahreswirtschaftsdebatte dochdarüber diskutiert; lesen Sie das einmal nach! – DieseZahlen und Fakten sollten wir nicht aus den Augen ver-lieren.Die aufgeregte Diskussion um eine sofortige undweitgehende Steuersatzsenkung für alle Einkunftsarten,so wie Sie, Herr Rexrodt, sie wieder geführt haben, isteinseitig und völlig überzogen.
Einige, die jetzt wilde Steuersenkungsphantasien in dieWelt setzen, haben anscheinend ihr Gedächtnis verloren.Die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Merz undHerr Uldall, wärmen genau wie ihre Kollegen von derF.D.P. Konzepte wieder auf, die noch vor Jahresfrist inden eigenen Reihen zu Recht nicht durchsetzbar waren,weil sie nicht finanzierbar sind. Das ist eine verantwor-tungslose Politik. Herr Metzger hat Ihnen, was die fi-nanzielle Vorsorge angeht, das zu Recht ins Stammbuchgeschrieben.
Es schadet uns allen, die im deutschen Parlament ver-sammelt sind, wenn Sie den Bürgerinnen und BürgernVersprechungen in einem Ausmaß machen, von dem Siegenausogut wie wir wissen, daß keine Bundesregierung– egal, wie sie parteipolitisch zusammengesetzt ist –,kein Parlament sie je einlösen kann.Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,fordern von uns noch mehr Sparsamkeit bei den Ausga-ben.
Die wird es geben.
Daran hat auch Bundesfinanzminister Eichel in seinenAusführungen und Interviews keinen Zweifel gelassen.Aber zuerst einmal müssen wir die Ausgaben kürzen,um das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt von biszu 30 Milliarden DM in den Griff zu bekommen, das Sieuns hinterlassen haben.
Zunächst geht es also um die Finanzierung des Haus-halts und nicht um die Finanzierung weiterer Steuersen-kungen.Meine Damen und Herren, es ist unbestritten: Diedeutsche Unternehmensbesteuerung ist dringend re-formbedürftig. Das zeigen auch die in der vergangenenWoche vorgelegten Ergebnisse der vom Bundesfinanz-ministerium eingesetzten Expertenkommission. Das nurin Deutschland und – so glaube ich – in Italien beste-hende Verfahren der vollen Anrechnung der Körper-schaftsteuer ist nicht europatauglich. Es behandelt In-länder und Ausländer unterschiedlich. Im europäischenBinnenmarkt sind solche Ungleichbehandlungen schäd-lich. Von seiten der EU bestehen erhebliche rechtlicheEinwände dagegen. Eine Änderung ist überfällig. Sie istaber nur möglich bei einer gleichzeitig weitergehendenÜberarbeitung des Unternehmensteuerrechts.Die Koalitionspartner haben daher in der Koalitions-vereinbarung festgelegt, die Unternehmensbesteuerunggrundlegend zu reformieren. „Ziel ist ein Unternehmen-steuerrecht, das alle Unternehmenseinkünfte mit höch-stens 35 Prozent besteuert und möglichst im Jahr 2000in Kraft tritt.“ – so heißt es in der Koalitionsvereinba-rung. Es geht darum, bei der Besteuerung der Unter-nehmenseinkünfte wieder mehr an die Leistungsfähig-keit des Unternehmens anzuknüpfen.Wir müssen nach 16 Jahren der Regierung Kohl end-lich ein Unternehmensteuerrecht schaffen, das in der EUwettbewerbsfähig ist
und das sowohl mit den Steuersätzen als auch mit derBemessungsgrundlage den Vergleich in der EU aushält.Da sehen Sie, meine Damen und Herren, wo die Brem-ser saßen und sitzen und wo die Reformer zu findensind. Sie sind in den letzten Jahren an diese Aufgabe nieherangegangen.
Joachim Poß
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Mit Ihrer Steuerreform wären Sie der Aufgabe, ein mo-dernes Unternehmensteuerrecht zu schaffen, überhauptnicht gerecht geworden.Sie haben behauptet, Herr Rexrodt, mit Ihren Steuer-reformplänen – ich weiß gar nicht, von welchen PlänenSie gesprochen haben: von denen der F.D.P. oder vondenen der Union – wäre der Familienförderung im Sinnedes Verfassungsgerichts entsprochen worden. Das istUnsinn. Diese Aussage von Ihnen beruht entweder aufSachunkenntnis oder Täuschung.Sie sitzen im Bremserhäuschen. Wir wollen ein mo-dernes Unternehmensteuerrecht. Das ist eine anspruchs-volle Aufgabe. Nach realistischer Einschätzung, dieauch die Expertenkommission teilt, wird sie nicht ineinem Schritt zu bewältigen sein. Allein schon dieschwierige Lage der öffentlichen Haushalte macht eineunmittelbare Realisierung in einem Schritt unmöglich.Das heutige System hat zu der ständig wiederholtenKlage geführt, die Unternehmen in Deutschland seienmit zu hohen Steuern belastet. Begründet wird das mitden hohen nominalen Steuersätzen. Die Zahlen über diewirkliche Steuerbelastung zeigen aber: Deutschland istkein Hochsteuerland. Das liegt daran, daß die steuerlicheBemessungsgrundlage in Deutschland sehr schmal ist.Dieser Sachverhalt wird auch durch die neuesten Be-rechnungen der OECD über die effektive Steuerbela-stung der Unternehmen bestätigt.Trotz der bekannten Schwierigkeiten internationalerDatenvergleiche ist die Tendenz der Zahlen eindeutig:Die effektive Steuerbelastung von Kapitalgesellschaf-ten, die im internationalen Wettbewerb stehen, ist inDeutschland wegen der schmalen Bemessungsgrundlageniedriger als in vielen anderen westlichen Industriestaa-ten.Allerdings besteht unbestritten eine Schieflage bei dereffektiven Steuerbelastung zwischen großen Unterneh-men einerseits und dem Mittelstand andererseits. GroßeUnternehmen, die im internationalen Wettbewerb ste-hen, haben die bestehenden Möglichkeiten im Steuer-recht nutzen können. Der Mittelstand hat diese Mög-lichkeiten dagegen nicht nutzen können. Auch dies isteine Erblast der Regierung Kohl, die wir im Interessedes Mittelstandes schrittweise abtragen müssen.
Beim Steuerrecht sperren sich die Unternehmensver-bände weiterhin gegen die notwendige Anpassung aninternationale Bilanzierungsstandards. In ihren Handels-bilanzen dagegen sind deutsche Unternehmen, die an dieausländischen Börsen wollen, längst bereit, diese inter-nationalen Standards zu akzeptieren. Die Verbände for-dern – wie aus den Klagen ihrer Vertreter zu ersehen ist– von der Politik ausschließlich niedrigere Steuersätze.Diese kann es allerdings nur geben, wenn gleichzeitigdie Bemessungsgrundlage verbreitert wird. Beides zu-sammen – niedrige Steuersätze und eine schmale Be-messungsgrundlage – wäre im Vergleich zu den anderenSteuerzahlern ungerecht und ist nicht zu finanzieren.Es ist falsch, zu hohe Erwartungen an die Steuerpoli-tik zu stellen. Deshalb kann man nicht erwarten, daß dieSteuerpolitik alle Probleme des Arbeitsmarkts löst. Sieist kein Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit. Um dieArbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen, ist es wichtig– wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen und wie esübereinstimmend von SPD und Grünen gesehen wird –,für wirtschaftliches Handeln klare Rahmenbedingungenzu schaffen.
Diese Rahmenbedingungen wird die Koalition bis zum30. Juni geschaffen haben. Diese Kraft, Herr Thiele, ha-ben Sie in den letzten Jahren nicht aufgebracht.
– Nein, Sie haben ein Schaulaufen veranstaltet, Steuer-senkungsversprechungen gemacht und nie gehandelt.
Wir dagegen handeln nach der relativ kurzen Zeit, dieseit der Regierungsübernahme vergangen ist, mit einemmodernen Unternehmensteuerrecht, mit der Umsetzungdes Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Fa-milienentlastung. All dies, was wir jetzt schultern müs-sen, hatten Sie doch gar nicht vor der Brust.
Klare Eckpunkte werden wir also setzen.Wir müssen davon ausgehen, daß die Unternehmen-steuerreform nicht alle Hoffnungen und Erwartungen er-füllen wird. Aber ich sehe, daß relativ hohe nominaleSteuersätze eine psychologisch abschreckende Wirkunghaben. Solche Steuersätze werden wir senken. DieseSenkung sollte Signalwirkung für mehr Investitionen inDeutschland haben. Dennoch müssen die Auswirkungenauf die kommenden Haushalte kalkuliert und derenFinanzierung gesichert werden.Die zweite Aufgabe, nämlich die fristgerechte Verab-schiedung eines Familienentlastungsgesetzes, ist nachdem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorrangig.Das oberste deutsche Gericht hat festgestellt, daß dieFamilien in verfassungswidriger Weise zu hoch besteu-ert worden sind, und zwar schon seit Jahren. Nach derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehtdie verfassungswidrige Lage seit 1984.
Die erforderliche Korrektur jetzt vorzunehmen bedeutetalso, auch hier einen Teil der übernommenen Erblast ab-zutragen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts istdeshalb ein negatives Urteil über die Steuerpolitik derabgewählten Regierung Kohl.
Immer wieder hatte die SPD im Bundestag weitere Ent-lastungen für die Familien angemahnt. Die Fraktionenvon CDU/CSU und F.D.P. haben durch ihre Sprecherhehre familienpolitische Absichten verkünden lassen.Joachim Poß
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Aber danach gehandelt haben sie nicht. Wenn sie esdoch getan haben, dann haben sie es nur widerwillig undunter dem Druck der Sozialdemokraten im Bundestagund im Bundesrat getan.
Die rotgrüne Bundesregierung hat mit der Erhöhungdes Kindergeldes und mit den sonstigen familienfreund-lichen Steuersenkungen, die im Steuerentlastungsgesetzverankert worden sind, eine familienfreundlichere Steu-erpolitik durchgesetzt, und zwar wieder gegen den er-klärten Widerstand von CDU/CSU und F.D.P. Sie habennoch im vergangenen Herbst hier versucht, einen Wider-spruch zwischen höherem Kindergeld und der Schaffungvon Arbeitsplätzen zu konstruieren.
Natürlich haben Sie das gemacht. Das können Sie in denProtokollen nachlesen. Ich möchte aus der Begründungeines Antrages der CDU/CSU-geführten Bundesländerim Bundesrat zitieren, der mit Ziel gestellt wurde, demSteuerentlastungsgesetz nicht zuzustimmen. Darin heißtes wörtlich:Entlastet werden insbesondere Arbeitnehmer, Be-zieher niedriger Einkommen und Familien mit Kin-dern.Das ist nicht die Steuerpolitik der CDU/CSU und auchnicht die der F.D.P. Das kann ich nur bestätigen.
Auf Grund der vom Bundesverfassungsgericht ge-setzten engen Fristen muß der Gesetzgeber schnell tätigwerden. Deshalb müssen wir den Gesetzentwurf nachder Sommerpause im Parlament gründlich beraten. DieEinzelheiten des Entwurfs stehen derzeit noch nichtendgültig fest. Die grundlegenden Entscheidungen fürdie beiden steuerpolitischen Vorhaben – Familienentla-stung und Unternehmensteuerreform – können nur in ei-ner finanziellen Gesamtschau zusammen mit dem Haus-haltsentwurf 2000 und der dazugehörenden mittelfristi-gen Finanzplanung im Sommer dieses Jahres getroffenwerden. Aber in dieser Woche geht es zunächst einmalum den Bundeshaushalt 1999. Ich möchte den Haushäl-tern für ihre mühevolle und sehr erfolgreiche Arbeitdanken. – Sie sehen, Herr Metzger, ich bin heute koali-tionsfreundlich.
Die Ausgabenkürzungen bei den einzelnen Ressorts,die wir uns vorgenommen hatten, wurden erbracht.Trotzdem konnten für regenerative Energien zusätzlich200 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Über700 Millionen DM mußten auf Grund der dramatischenEntwicklung im Kosovo in den Etat eingestellt werden.
Auch hierfür mußte finanzieller Spielraum geschaffenwerden. Dennoch ist es gelungen – es wurde hier schonerwähnt –, die Nettokreditaufnahme in den parlamen-tarischen Beratungen um fast 3 Milliarden DM zu sen-ken. Es soll auch nicht bestritten werden – das bestreitetauch niemand –, daß die Verhandlungen schwierig undsehr konfliktträchtig waren, Herr Rexrodt. Um so höherist das Ergebnis einzuschätzen. Daß die Opposition diesalles ganz anders sieht, liegt in der Natur der Sache.Man kennt das, wenn man schon etwas länger dabei ist.Die Opposition hat sich bei den Haushaltsberatungenallerdings wenig konstruktiv verhalten. Dies dokumen-tieren die Pressemitteilungen der CDU/CSU und derF.D.P. zum Abschluß der Haushaltsberatungen. Sie be-klagen auf vielen Seiten, daß viele Bereiche des Haus-halts mit zu geringen Mitteln ausgestattet seien. Wo esdarum ging, einerseits die notwendigen Gelder für denKosovo einzustellen und andererseits die geplante Kre-ditaufnahme abzusenken, kamen von der Opposition nurErhöhungsanträge und Klientelpolitik. Echte Sparvor-schläge sind dagegen ausgeblieben.
– Aber ich bin gut informiert.Bemerkenswert ist aber, daß sowohl F.D.P. als auchCDU/CSU beantragt haben, den Zuschuß an die Bun-desanstalt für Arbeit um mehrere Milliarden DM zukürzen. Das geht an der Realität völlig vorbei.
Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß der etatisierte Zuschußan die Bundesanstalt für Arbeit wirklich gebraucht wird.Die geplanten Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-politik sind notwendig und in der derzeitigen Situationohne Alternative. Wir müssen den Menschen eine Brük-ke bauen, die ohne diese Hilfe nicht in den ersten Ar-beitsmarkt kommen.
Der Bundesfinanzminister hat in den letzten Tagenmehrfach deutlich gemacht, daß die größten haushalts-politischen Probleme noch vor uns liegen und bei derAufstellung des Haushalts 2000 bewältigt werden müs-sen. Weil die Regierung Kohl/Waigel strukturelle Pro-bleme des Bundeshaushalts nicht gelöst, sondern allen-falls verschleiert hat, stehen wir vor der Aufgabe, in je-dem der folgenden Bundeshaushalte über die in dermittelfristigen Finanzplanung bereits vorgesehene jähr-liche Nettokreditaufnahme von 45 bis 55 Milliarden DMhinaus eine strukturelle Finanzierungslücke von bis zu30 Milliarden DM zu decken; denn Art. 115 des Grund-gesetzes, den Sie ja kennen, ist einzuhalten.Abschließend möchte ich festhalten:Erstens. Es ist dringend nötig, die Diskussion über dieSteuerreform zu versachlichen. Ideologische Überzeich-nung und negative Stimmungsmache sind schlicht ver-antwortungslos.Joachim Poß
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Zweitens. Der Haushalt 1999, den wir in dieser Wo-che verabschieden, hat gezeigt, wie stark die einzelnenPositionen noch mit dem Haushaltsentwurf der Kohl-Regierung für dieses Jahr übereinstimmen. Es trifft zu,daß wir viele Positionen übernommen haben. DieseHaushaltsaufstellung war also weitgehend vergangen-heitsgeprägt. Uns war natürlich bewußt, daß im Haus-haltsentwurf für das Haushaltsjahr 1999 keinerlei Vor-sorge für die von der Kohl-Regierung versprocheneSteuerreform getroffen worden war.Der frühere Bundesfinanzminister Waigel hat dies soformuliert, daß seine Steuerreform erst noch in die mit-telfristige Haushaltsplanung eingepaßt werden müsse.Wir haben die finanziellen Wirkungen unserer Steuerre-form 1999 in den diesjährigen Haushalt eingepaßt. Darinliegt der Unterschied hinsichtlich der Qualität Ihrer undunserer Arbeit.
Wir werden bei allen finanzpolitischen Maßnahmen,die wir in diesem Jahr noch treffen müssen, trotz allerdieser Vorbelastungen dafür Sorge tragen, daß die Bür-ger auch in der Finanzpolitik wieder erkennen, warumsie uns gewählt haben.
Wir lassen uns nicht darin beirren, die von CDU/CSUund F.D.P. hinterlassene gesellschaftliche Realität zuverändern.
– Herr Merz, auch wenn Sie den Mund noch so vollnehmen: Ihre Hinterlassenschaft ist ein finanzpolitischerScherbenhaufen, auch wenn Sie versuchen, eloquentdarüber hinwegzugehen.
Wir lassen uns nicht darin beirren, die von CDU/CSUund F.D.P. hinterlassene gesellschaftliche Realität zuverändern und die Fehlentwicklungen der vergangenen16 Jahre schrittweise, aber stetig zu korrigieren.
Das Wort hat der
Kollege Peter Jacoby, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Am heutigen Tag erschien ein In-terview mit dem Kollegen Poß, dem neugewählten stell-vertretenden Fraktionsvorsitzenden, in der „Westdeut-schen Allgemeinen Zeitung“ mit der Überschrift „Poß:Koalition muß besser arbeiten“.
Wer am Vortag einer Haushaltsdebatte ein derartigesInterview gibt und einen Tag später mit Tremolo in derStimme ausschließlich Vorwürfe an CDU/CSU undF.D.P. formuliert, der spielt in der Debatte des heutigenTages keine glaubwürdige Rolle. Das möchte ich Ihnen,Herr Kollege Poß, sagen.
Folgenden Sätzen des Interviews möchte ich, meineDamen und Herren, namens der CDU/CSU-Fraktionausdrücklich zustimmen. Ich bringe nun die Originalzi-tate aus dem Munde des Kollegen Poß:Gesetze müssen sorgfältiger vorbereitet und imKanzleramt koordiniert werden. Eine streitendeKoalition sei nicht attraktiv. Wer sich in die Regie-rungslokomotive setzt, muß mehr bieten als Über-schriften, er muß durchbuchstabierte Konzepte prä-sentieren. Daran fehlt es manchem.Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Benutzung einer so klaren Sprache am gestrigenTage – zugegebenermaßen gegenüber anderen Adressa-ten und in einem anderen Umfeld als heute – straft vie-les von dem Lügen, was Herr Kollege Poß eben fälschli-cherweise in seiner Argumentation verarbeitet hat.
Im „Spiegel“ war gestern folgendes zu lesen:Was wird den Kanzler als nächstes davon abhalten,das zu tun, wofür er gewählt wurde: das Land undseine Wirtschaft, die überbordenden Sozialsystemeund sein leistungsfeindliches Steuersystem grund-legend zu reformieren – kurz: Deutschland zu-kunftsfähig zu machen?Genau das ist der Maßstab, mit dem wir den vorgelegtenHaushaltsplan der neugewählten rotgrünen Bundesregie-rung messen. Sieben Monate nach dem Regierungs-wechsel klafft jedenfalls zwischen dem im vergangenenJahr von Rotgrün vorgetragenen Reform- und Moderni-sierungsanspruch und der realen innenpolitischen Situa-tion des Jahres 1999 in unserem Land eine riesengroßeLücke. Das gilt insbesondere für zentrale Fragen derWirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik.Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlands-produkt steigt 1999, die Staatsquote steigt, die Ver-schuldungsquote steigt, aber die reale Investitionsquotesinkt.
Das ist heute morgen schon von allen Oppositionsred-nern gesagt worden. Deshalb ist es völlig falsch, meineDamen und Herren, den Blick ausschließlich auf dieJahre 2000 ff. zu richten, aber für dieses Jahr siebenMonate nach der Regierungsübernahme von Rotgrünexakt gegenteilige politische Entscheidungen zu treffen.Dieser Widerspruch kann nicht hingenommen werden.
Joachim Poß
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Es bleibt also bei unserer Analyse: Von Konsolidie-rung, von wirklichen Strukturreformen – alles Dinge, dieSie im zurückliegenden Jahr in den Raum gestellt haben–, insbesondere auch von einer Reduzierung der Steuer-,Staats- und Abgabenquote kann beim Blick auf dieHaushaltsentscheidungen für dieses Jahr 1999 keine Re-de sein.Ich will mich auch noch einmal mit dem auseinander-setzen, was Ihnen hinterlassen wurde, und Sie einfachnur auf folgendes hinweisen: Die Steuereinnahmen imersten Quartal 1999, also im ersten Quartal dieses Jah-res, sind nach Aussagen des Bundesfinanzministeriumsum 5,4 Prozent auf rund 180 Milliarden DM angewach-sen. In diesem Jahr 1999 haben wir einen Zuwachs beiden Steuereinnahmen in Höhe von 38 Milliarden DMzu verzeichnen. Das ist ein Ergebnis und eine Hinterlas-senschaft der Entscheidungen, die in der Vergangenheitgetroffen worden sind und zum Beispiel im letzten Jahrdazu geführt haben, daß wir 400 000 Arbeitslose weni-ger hatten. Wenn wir das jetzt noch mit der Tatsache inZusammenhang bringen, daß wir kaum Steigerungen beiden Zinsausgaben zu befürchten haben und daß Geld-wertstabilität besteht, dann kommen wir zu der Aussage,daß es in dieser Situation eigentlich möglich gewesenwäre, die Nettokreditaufnahme auf unter 50 MilliardenDM zu senken. Diese Basis haben Sie vor sieben Mo-naten beim Regierungswechsel angetroffen.
Alle Sprecher der Regierungskoalition, Kollege Poßund Kollege Metzger, reden zwar von Sparsamkeit undNachhaltigkeit und propagieren Konsolidierungskon-zepte in der Öffentlichkeit, aber bei den ganz konkretenEntscheidungen – auch bei den zurückliegenden Ent-scheidungen im Haushaltsausschuß – haben sie sichnicht dementsprechend verhalten.Ich will an folgenden Punkt erinnern: Sie etatisierensogar eine globale Mindereinnahme in der Größenord-nung von 2 Milliarden DM, obwohl Sie, Kollege Metz-ger, vor zwei Monaten gesagt haben, daß Sie darauf ver-zichten könnten, wenn die Entwicklung der Steuerein-nahmen so weitergeht. Sie haben aber nicht darauf ver-zichtet und reden jetzt von Puffern, die Sie brauchen. Sieunterstreichen damit die mangelnde Ernsthaftigkeit IhresSparwillens, die auch dadurch deutlich wird, daß amgleichen Tage der Personalsektor aufgebläht wurde, wasdiametral entgegengesetzt zu den von Ihnen in der Ver-gangenheit aufgestellten Forderungen ist.
Das Ausgabevolumen des Haushalts 1999 wächstum 30 Milliarden DM an. Die Steigerungsrate liegt imGrunde genommen bei über 6 Prozent, denn Ihre Argu-mentation mit den Durchlaufposten ist irreführend:Wenn nämlich all die Positionen herausgerechnet wür-den, die Durchlaufpositionen sind, kämen Sie auf einMinuswachstum hinsichtlich dieses Haushalts. Alleindaran wird schon die Absurdität Ihrer Brutto/Netto-Betrachtung deutlich.
Ihr Verhalten soll nur davon ablenken, daß Sie IhreWahlversprechungen nicht finanzieren können. Mandarf ja nicht übersehen, daß Sie nur durch üppige Priva-tisierungserlöse, die in den Haushalt eingestellt wordensind, über die Runden kommen. Einige Privatisierungs-erlöse sind ja noch übertragen worden. Darüber kannman zwar geteilter Meinung sein. Dennoch will ich Ih-nen, Herr Kollege Metzger, sagen: Wer in der Vergan-genheit im Zusammenhang mit dem Einstellen von Pri-vatisierungserlösen so lautstark wie Sie von „Notopera-tion“, „Einmal-Effekt“ und „Verschiebebahnhof“ ge-sprochen hat – das gilt auch für die SPD und für ihrendamaligen Sprecher Diller –, der muß sich heute in derÖffentlichkeit schämen, daß er an dieser Stelle nicht et-wa eine Kurskorrektur vorgenommen hat – ganz im Ge-genteil –, sondern daß er die von ihm früher kritisiertePolitik jetzt fortsetzt. Das ist ein Widerspruch und hatsicherlich mit Glaubwürdigkeit nichts, aber auch garnichts zu tun.
Wenn der neue Finanzminister Eichel in der Öffent-lichkeit jetzt sagt, er wolle in der rotgrünen Finanzpoli-tik mit harter Hand einen Kurswechsel durchsetzen, al-les müsse auf den Prüfstand, und das gelte insbesonderefür Leistungen – man muß da wirklich genau hinhören –,die mittlerweile nicht mehr dort ankämen, wo sie hinge-hören, dann muß man sich einmal daran erinnern, wiefrüher reagiert wurde, als wir auf fehlgeleitete Sozial-ausgaben hingewiesen haben. Wer jetzt auf diese Weiseargumentiert, Herr Minister Eichel, der bestätigt imGrunde genommen nur den richtigen Politikansatz dervergangenen Legislaturperiode und der macht deutlich,daß damals Ihre Opposition nicht sachlich, sondern inallererster Linie parteipolitisch motiviert gewesen ist.Das muß man feststellen.
Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zudem machen, was der Kollege Poß im Zusammenhangmit der Steuerpolitik gesagt hat. Er hat die Steuerpolitikso dargestellt, als handele die Koalition in völligerÜbereinstimmung und als sei sie im Besitz eines Kon-zeptes. Ich will Sie einfach nur darauf hinweisen, daßnoch vor sechs Wochen der Kollege Metzger in der Öf-fentlichkeit gesagt hat, der verunglückte Start der Steu-erpolitik der Koalition, der eine Asymmetrie der Entla-stung der abhängig Beschäftigten und der Belastung derWirtschaft gebracht habe, müsse jetzt korrigiert werden.Das ist das Eingeständnis, daß der erste Schritt im Zu-sammenhang mit Ihrer Steuerpolitik ein falscher Schrittwar, bei dem jetzt nachgebessert werden muß. Dann sollman bitte nicht daherkommen und als Koalition denEindruck erwecken, als habe man in völliger Kenntnisund Würdigung der Problemlage von vornherein unter-schiedliche Schritte beschlossen. Im Gegenteil: Sie re-den erst seit dem Zeitpunkt von der notwendigen Unter-nehmensbesteuerung, da Sie gemerkt haben, daß die Sa-che nach Ihrem ersten Schritt total aus dem Ruder gelau-fen ist. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daßsie aus dem Ruder gelaufen ist, wären das die Aussagendes Wirtschaftsministers gewesen, der vor ein paar Wo-Peter Jacoby
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chen am Rande der Handwerksmesse in München gesagthat:In der Tat: Die am Freitag im Bundesrat verab-schiedete rotgrüne Steuerreform belastet die Wirt-schaft.Wenige Tage zuvor hat er gesagt: Hätte er die Berech-nungen und die Zahlen der Wirtschaft gekannt, hätte erdieser Steuerreform im Kabinett nicht zugestimmt. Auchdas war nachzulesen.
Von daher kann es nicht sein, daß hier, wie es ebender Kollege Poß getan hat, der Eindruck erweckt wird,als wenn das, was jetzt angepackt worden ist, auf einersachgerechten, sachbezogenen Überlegung und einem insich stimmigen Gesamtkonzept beruhe. Dieses in sichstimmige Gesamtkonzept gibt es bis zur Stunde nicht.Deshalb sage ich: Insbesondere im Zusammenhang mitder Steuerpolitik ist viel Zeit vertan worden, ausgehendvon Ihrer Blockade der Petersberger Beschlüsse. WennSie die steuerliche Entwicklung betrachten und sehen,daß heute jeder sagt, wir seien am Ende der Steuererosi-on angekommen, dann wäre es auch im Rückblick, ge-rade unter dem Gesichtspunkt der Verträglichkeit mitden Haushalten, Laffer-Kurve hin oder her, möglich ge-wesen, ein in Stufen gegossenes Petersberger Modell zuverantworten und zu verabschieden. Genau das war un-sere Konzeption.
Deshalb möchte ich zum Schluß sagen – das war derEindruck, den ich eben bei der Rede des Kollegen Poßhatte –: Wer bei einer notwendigen Steuerreform, aucheiner Reform der Unternehmensbesteuerung, so halb-herzig ist und wer nicht in der Lage ist, den Blick auf dieUnternehmen, die Betriebe, den Mittelstand und dasHandwerk zu richten und das als gesamte Herausforde-rung zu sehen, der kommt auch in seinen Ergebnissen zunur wenig überzeugenden Schlußfolgerungen. Wir ha-ben den Eindruck, daß die Andeutung des neuen Fi-nanzministers, am 1. Januar 2000 sei das natürlich nochnicht unter Dach und Fach, allenfalls ein Jahr später,weniger damit zu tun hat, daß der Bundesfinanzhof indiesen Tagen gesprochen hat, sondern mehr damit, daßSie in der Koalition bis zur Stunde keine breit fundierteÜberzeugung hinsichtlich der Notwendigkeit entwickelthaben, hier das zu tun, was die anderen Staaten um unsherum längst getan haben. Insofern besteht zeitlicherDruck und Druck von der Sache her.Wir möchten Sie aus der Opposition heraus ermun-tern, Ihr Herz über die Hürde zu werfen und diese Dis-kussion nicht in der kleinlichen Weise weiterzuführen,wie es bisher der Fall gewesen ist.Vielen Dank.
Nun hat das Wort
die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Zur Einbringung des Haushalts1999 am 23. Februar erklärte der damalige Finanzmi-nister Oskar Lafontaine: WichtigstesZiel der Bundesregierung ist es, die Arbeitslosig-keit zu bekämpfen und für mehr soziale Gerechtig-keit in Deutschland zu sorgen.Im Ergebnis haben wir einen Haushalt, der, wie Os-wald Metzger unterstrich, zu 95 Prozent den Ansätzendes Waigelschen Entwurfs entspricht, also weitgehendeKontinuität. Herr Wagner von der SPD erklärte, daß mitdiesem Haushalt aber bereits die Wende in der Finanz-politik eingeleitet sei. Mit 5 Prozent eine Wende einzu-leiten ist natürlich schon sehr viel.Die PDS begrüßt das, was im Haushalt 1999 an neuenElementen enthalten ist, zum Beispiel die Verstetigungder Arbeitsmarktpolitik, wobei ich hier dringend an-mahnen möchte, daß die Instrumente der Arbeitsmarkt-politik, wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, endlichfortentwickelt werden zu einem öffentlich gefördertenBeschäftigungssektor, denn ansonsten werden Sie dasZiel auch dieses Haushaltes nicht erreichen.Die Grünen lassen sich in der Presse dafür feiern, daßes ihnen gelungen ist, trotz allen Sparens in diesemHaushalt 200 Millionen DM für ein Förderprogrammfür erneuerbare Energien lockerzumachen. Da kannich allerdings nur sagen: gemach, gemach! Vielleichtsollte Herr Metzger einmal sein Kurzzeitgedächtnis et-was trainieren. Erst vor wenigen Wochen nämlich habenwir hier das Ökosteuergesetz verabschiedet, dessen Be-standteil die Auflage eines Förderprogramms für erneu-erbare Energien war. Auf Nachfrage aber stellte sichheraus, daß die anvisierte Summe von 200 MillionenDM genau dem Betrag entspricht, mit dem die erneuer-baren Energien durch die Ausgestaltung des Ökosteuer-gesetzes belastet werden. Es handelt sich also nicht umein tatsächliches Förderprogramm, sondern um ein Null-summenspiel. Ob es Wirkung zeigt, wird sich heraus-stellen.
Da Sie betonen, daß es Sie Kämpfe gekostet hat, diesdurchzubringen, frage ich mich: Was ist eigentlich einVersprechen Ihres großen Koalitionspartners wert, wel-ches er im Ökosteuergesetz mit der Auflage eines För-derprogrammes für erneuerbare Energien eingegangenist?
Die Zielstellung „für mehr soziale Gerechtigkeit“ ha-ben Sie natürlich mit der Ausgestaltung des Ökosteu-ergesetzes über Bord geworfen; das muß man hier nocheinmal in aller Klarheit betonen. Rentner und Rentne-rinnen, Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänge-rinnen und Studenten warten nämlich noch immer aufAusgleiche für die Mehrbelastungen, die sie bereits indiesem Jahr zu tragen haben.Im Ergebnis 16jähriger CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung haben wir in der Bundesrepublik eine enormeStaatsverschuldung, Massenarbeitslosigkeit, aber alsPeter Jacoby
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Kehrseite dieser Entwicklung auch eine enorme Vermö-genspolarisierung, 5,6 Billionen DM Privatvermögen,konzentriert in der Hand sehr weniger Menschen. Dieswird der Prüfstein für Sie, Herr Finanzminister, sein, obSie bereit sind, außer Ausgabenkürzungen – die Diskus-sion geht bis hin zu Leistungskürzungen im sozialen Be-reich durch ein Haushaltssicherungsgesetz – auch aufder Einnahmenseite außer dem alten Konzept der Priva-tisierungen neue Finanzquellen aufzutun.Es stehen jetzt die Diskussionen zur Familienentla-stung und zur Unternehmensbesteuerung an. Ich frageSie bereits heute: Werden Sie dem Vorschlag zur Ein-führung eines Kindergrundfreibetrages folgen, dervon SPD und Grünen diskutiert wird, aus dem eine ma-ximale Entlastung – in Kindergeld umgerechnet – von340 DM resultiert? Im Klartext bedeutet das für alleKinder und Jugendliche, die von der Sozialhilfe leben,wieder keine Entlastung; denn der Regelsatz bei der So-zialhilfe liegt im bundesweiten Durchschnitt bei 342DM, und staatliche Leistungen werden gegengerechnet.Zudem führte dies zu einer teilweisen Schlechterstellungvon Alleinerziehenden.Wagen Sie endlich den großen Schritt zu einer Indi-vidualbesteuerung, der, an europäischen Maßstäbengemessen, längst überfällig ist, um damit die Finanz-quellen für die Einführung eines tatsächlichen sozio-kulturellen Existenzminimums, eines einheitlichen Kin-dergeldes in einer Größenordnung von 660 bis 800 DM,zu erschließen.
Nun zur Unternehmensbesteuerung. Herr Lafontai-ne hat am 4. März dieses Jahres in seiner letzten Redevor dem 14. Deutschen Bundestag Ihnen, Herr Eichel,eine sehr klar umrissene Aufgabe hinterlassen. Ich zitie-re Herrn Lafontaine:Wir dürfen auch nicht vergessen, daß in den letztenJahren die Unternehmen … in der Summe um50 Milliarden DM entlastet worden sind, mit demVersprechen, daß dadurch die Arbeitslosigkeit ab-gebaut werde.Das gewünschte Ziel wurde nicht erreicht. Nun stelltsich die Frage: Wie werden Sie mit dem Urteil des Bun-desfinanzhofes umgehen?Im Gegensatz zur PDS hat die SPD 1993 in der Dis-kussion um das Standortsicherungsgesetz gegen die Ein-führung einer Spreizung der Höchststeuersätze zwischengewerblichen und anderen Einkunftsarten nicht prote-stiert. So viel also einmal zum Thema Glashaus und zurgegenseitigen Geschichtsklitterung.Die geforderte Rückkehr zum Gleichheitsgrundsatzin der Besteuerung aller Einkunftsarten ist natürlichauf zweierlei Weise möglich. Es besteht die Möglich-keit, alle Einkunftsarten in der Besteuerung durch dieSenkung des Höchststeuersatzes zu entlasten. Das be-deutet aber im Klartext eine weitere Entlastung ertrags-starker Unternehmen und der wirklich Vermögenden indiesem Land. Oder aber Sie sagen: Nein, man muß um-kehren! Es gilt, eine Neugestaltung vorzunehmen undvielleicht eine Angleichung der Höchststeuersätze nachoben. Befreien Sie sich endlich aus der Logik des endlo-sen Steuersenkungswettbewerbes nach unten!
Denken Sie an Ihre
Redezeit, Frau Kollegin?
Ja. – Vielleicht wäre es
sinnvoll, auch da Sie den Vorschlägen der PDS bisher
nicht so sehr aufgeschlossen gegenüberstanden, das zu
diskutieren, was aus Ihren eigenen Reihen kommt. So
mahnt der ehemalige Arbeitsminister der SPD, Herr Eh-
renberg, wie wir die Einführung einer befristet ausge-
stalteten Vermögensabgabe an. Das wäre in einer Situa-
tion wie heute eine gute neue Finanzierungsquelle. Es
wäre notwendig, sich dem mit Mut zu stellen. Unsere
Unterstützung hätten Sie dabei.
Ich danke Ihnen.
– Ich bin keine Kommunistin! Sie sollten sich einmal an
eine Differenzierung zwischen Sozialisten und Kommu-
nisten gewöhnen.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Rolf Schwanitz, Staatsminister beim Bun-
deskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ich möchte auf einen zentralen Punkt im Bundes-haushalt 1999 zu sprechen kommen, nämlich darauf,welche Mittel im Bundeshaushalt für den Aufbau Ostvorgesehen werden. Genauer gesagt möchte ich auf dieAusgabenpositionen eingehen, die im Bundeshaushalt1999 für Ostdeutschland zur Lösung von Gegenwarts-fragen und vor allen Dingen zur Lösung von Zukunfts-fragen veranschlagt worden sind. Um es gleich vorwegauf den Punkt zu bringen: Der Bundeshaushalt 1999setzt einen deutlichen Schwerpunkt zugunsten der ost-deutschen Länder,
und zwar sowohl was den Regierungsentwurf als auchwas den Gesetzentwurf betrifft, nachdem er die parla-mentarische Beratung durchlaufen hat.Ich will die Gelegenheit nutzen, den Haushältern die-ses Hohen Hauses meinen ausdrücklichen Respekt undDank für die Beratungen unter der besonderen Berück-sichtigung der Dinge, die Ostdeutschland betreffen, aus-zusprechen.Verstetigung und Verstärkung, das sind im Bun-deshaushalt 1999 die beiden Botschaften für die neuenLänder: Verstetigung dort, wo es um sinnvolle undwichtige Ausgabepositionen geht, wo auch die frühereBundesregierung – ich glaube, das kann man offen sa-gen – richtige Maßnahmen ergriffen hat, die wir selbst-verständlich fortführen, und Verstärkung dort, wo es umDr. Barbara Höll
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Zukunftsfragen des Ostens geht, zum Beispiel um dieFörderung von Forschung und Technologie sowie umInnovationen.Wie 1998 ist auch in diesem Haushalt ein Viertel derAusgaben, die nach Ostdeutschland fließen, für Investi-tionen vorgesehen. Fast jede zweite DM der Mittel, diefür Verkehrsinvestitionen veranschlagt worden sind,wird in Projekte, die die neuen Länder betreffen, fließen.Auch außerhalb des Bundeshaushaltes – lassen Sie michdas ganz deutlich sagen –, zum Beispiel bei der Kredit-anstalt für Wiederaufbau, werden deutliche und klareSignale zugunsten des Ostens gesetzt, die übrigens überdas hinausgehen, was die frühere Bundesregierung in ih-rem Haushaltsentwurf für 1999 zum Beispiel für dasKfW-Wohnraummodernisierungsprogramm vorgesehenhat.
– Herr Rexrodt, ich bitte Sie: Es wird um 2 MilliardenDM aufgestockt. Auch bei der Infrastruktur kommt es zuganz massiven Erhöhungen über das Niveau hinaus, dasSie vorgesehen hatten. Das begrüße ich ausdrücklich.
Ein besonderer Schwerpunkt im Bundeshaushalt1999 liegt, was Ostdeutschland betrifft, bei Zukunftsfra-gen, bei der Förderung von Forschung und Technologiesowie bei der Förderung von Innovationen. Denn wirwissen selbstverständlich, daß die Innovationskompe-tenz Ostdeutschlands die zentrale Voraussetzung für dieLösung der wirtschaftspolitischen Fragen, für die An-gleichung des Ostens im vereinigten Deutschland ist.
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Ja, bitte sehr.
Herr Staatsminister
Schwanitz, ich möchte wissen, ob die Einführung der
Ökosteuer zum Aufbauprogramm Ost gehört.
Frau Pieper, selbstverständlich profitieren auch die ost-
deutschen Unternehmungen von der Senkung der Lohn-
nebenkosten.
Dies steht im Gegensatz zu dem, was gerade Ihre Partei
in den letzten acht Jahren nach der deutschen Vereini-
gung in diesem Bereich getan hat, nämlich die Lohnne-
benkosten immer nur aufzustocken, Frau Pieper.
Ich will nicht verhehlen – auch darüber kann man of-
fen sprechen –, daß im Zusammenhang mit der Diskus-
sion über das Eingangsmodell der Ökosteuer gerade für
den Osten das eine oder andere Problem aufgetreten ist.
Ich bin sehr froh, daß durch das von uns eingeführte
Vergütungsmodell – ein Modell übrigens, das in ganz
Deutschland eingeführt und auch EU-fest verankert
worden ist – gerade bei den ostdeutschen Unternehmen
eine Entlastung herbeigeführt worden ist und daß es den
ostdeutschen Bedingungen entspricht.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Bitte schön.
Herr Staatsminister, wie
erklären Sie sich dann die Zunahme von Konkursen
mittelständischer Firmen zu Beginn dieses Jahres?
Diese Zunahme belegt Ihre These, daß die Ökosteuer
letztendlich den mittelständischen Betrieben zugute
kommt, überhaupt nicht. Das Gegenteil ist der Fall.
Frau Kollegin Pieper, ich empfehle Ihnen, sich einmaldie Entwicklung der Insolvenzraten in den ostdeutschenBundesländern anzugucken und nicht auf den billigenpolemischen Trick zu verfallen, die Ursache für dieSchwierigkeiten dieses Prozesses einer erst vor zweiMonaten getroffenen Entscheidung zuzuordnen.
Ich habe mich mittlerweile zwar daran gewöhnt, daß Sieauf dieser Seite des Hauses so tun, als hätten Sie 16 Jah-re in der Opposition gesessen. So war es aber nicht, son-dern Sie haben Regierungsverantwortung getragen.Deshalb tragen Sie auch hierfür Verantwortung, übri-gens auch Sie ganz persönlich.
Die Mittel für Forschung und Entwicklung – dasist der Bereich, bei dem es um Zukunftsfragen geht –werden im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozentangehoben, nämlich von 2,2 Milliarden DM auf zirka2,6 Milliarden DM. Das ist ein deutliches Zeichen zu-gunsten des Ostens und – dies will ich ausdrücklich her-vorheben – zugunsten der Lösung von Zukunftsfragen.Natürlich darf an dieser Stelle auch das große Enga-gement zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeitnicht verschwiegen werden. Das „100 000er-Pro-gramm“, das in diesem Bundeshaushalt verankert ist unddessen Mittel in maßgeblichem Umfang nach Ost-deutschland fließen, ist ein Segen für Ostdeutschland.Das können wir nicht oft genug betonen; wir müssen esauch in dieser Debatte noch einmal ausdrücklich erwäh-nen.
Staatsminister Rolf Schwanitz
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Es geht dabei wirklich um viel mehr als um eine so-ziale Frage. Wer sich mit den Menschen unterhalten hat,wer sich mit den Jugendlichen unterhalten hat, der weiß,daß wir davon wegkommen müssen, daß die erste Bot-schaft, die die Jugendlichen nach einer zehnjährigenSchulbildung von der Gesellschaft empfangen, das Si-gnal ist, sie werden in dieser Gesellschaft nicht ge-braucht. Das ist das Grundproblem. Das rührt nach mei-ner Einschätzung übrigens an der Akzeptanz von Gesell-schaft, von Politik und von Demokratie in der jungenGeneration insgesamt. Deswegen ist diese Kraftanstren-gung richtig gewählt. Ich begrüße sie ausdrücklich.
Verstetigt haben wir auch die aktive Arbeitsmarkt-politik. Wir wollten ganz bewußt – das haben wir auchvor der Wahl gesagt – keinen Abbruch der Arbeits-marktpolitik nach dem Regierungswechsel. Wir wolltenvor allem auch keine Unterordnung der Arbeitsmarkt-politik unter ein einseitiges parteipolitisches Interesse,wie wir es im Wahljahr 1998 unter Ihrer Regierungsfüh-rerschaft noch zur Genüge erlebt haben.Was ist das für eine Moral, den Menschen, die nachjahrelangen Kürzungen von Maßnahmen in Not geratensind, nur in einem Wahljahr zu helfen, wenn sie alsowieder an die Wahlurnen können, wenn es parteipoli-tisch oder parteitaktisch ins Kalkül paßt? Damit mußeindeutig Schluß sein! Arbeitsmarktpolitik darf sichnicht am parteipolitischen Interesse orientieren, sondernmuß der Notsituation der Menschen gerecht werden.
Schluß sein muß auch mit der Doppelzüngigkeit. Ichhöre mit großem Interesse, wie einige ostdeutsche Kol-leginnen und Kollegen von der CDU jetzt wieder einigeSignale im Osten aussenden. Ich will daran erinnern,daß die in den ersten Haushaltsentwurf für 1999, derunter Ihrer Regierung eingebracht worden ist, für aktiveArbeitsmarktpolitik eingestellten Mittel von den ost-deutschen Koleginnen und Kollegen der damaligen Re-gierungsfraktionen beklatscht worden sind; sie habenvon Verstetigung gesprochen. Wir haben da einendraufgelegt, weil wir der Auffassung waren, daß dasnicht reicht, um Abbrüche zu verhindern und um zu ver-stetigen. Jetzt höre ich in Ostdeutschland Stimmen vonostdeutschen CDU-Abgeordneten, die sagen, das sei al-les zu wenig. Im Osten vor Ort einen Mangel zu bekla-gen und gleichzeitig hinter verschlossenen Türen imAusschuß für die Angelegenheiten der neuen Ländereinen Antrag zu stellen, die Mittel für die aktive Ar-beitsmarktpolitik im Osten zusammenzustreichen, istwirklich der Gipfel der Unglaubwürdigkeit.
Ich sage Ihnen: Das werden wir in Ostdeutschlandselbstverständlich auch der Öffentlichkeit in aller Deut-lichkeit sagen.In Zeiten knapper Kassen wird neben der Versteti-gung und Verstärkung der Mittel für den Aufbau Ostauch eine dritte Frage stärker in das Bewußtsein vonPolitik gerückt werden. Das ist die Frage einer höherenEffizienz. Das ist die Frage eines größeren regionalenund volkswirtschaftlichen Nutzeffektes der Mittel, diewir für den Aufbau Ostdeutschlands einsetzen. In Zeitenknapper Kassen müssen wir – dafür plädiere ich nach-drücklich – vor allem dort Verstärkungen organisieren,wo für die Zukunft der größte Nutzeffekt für Ost-deutschland entsteht.Das ist nach meinem Eindruck ganz besonders beiden überregional bedeutsamen Verkehrsprojektender Fall, deren Verwirklichung wir in Ostdeutschlandnoch vor uns haben. Meine Damen und Herren, wir ha-ben hier ein schweres Erbe angetreten.
Die Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan sind mit-telfristig nur zum Teil gegenfinanziert. Die alte Bundes-regierung und die sie tragende Koalition waren Spitzen-klasse im Ankündigen, im Spatenstechen, im Bändchen-Durchschneiden, besonders dann, wenn die Leute zu denWahlurnen gingen.
Aber sie waren sehr zurückhaltend und auch unsolide inbezug auf das mittelfristige Gegenfinanzieren. Deswe-gen sage ich: Wir haben die Chance, in gewissen Berei-chen zusätzliche Mittel einzusetzen. Das ist dank derErgebnisse der EU-Ratspräsidentschaft glücklicherweisefür Ostdeutschland bei den Mitteln der Fall, die wir imRahmen der Zielgebiet-1-Förderung bekommen. Wirsollten die Kraft finden, diese zusätzlichen Gelderschwerpunktmäßig dort einzusetzen, wo der größte Nut-zen entsteht, nämlich bei den überregionalen und für Eu-ropa bedeutsamen Infrastrukturprojekten. Dafür werbeich. Ich glaube, wir finden dabei Unterstützung bei denUnternehmen, den Handwerkern und bei großen Teilender ostdeutschen Bevölkerung.
Ich will ausdrücklich noch ansprechen, daß wir neueWege gehen müssen, Wege, die von der alten Bundes-regierung bisher vernachlässigt worden sind, zum Bei-spiel bei der Förderung regionaler Innovationspo-tentiale, bei der Förderung sogenannter weicher Ele-mente, etwa bei der Förderung von ostdeutschen Sport-stätten oder beim Erhalt und der Förderung von Kunstund Kultur in Ostdeutschland. Deshalb setzen wirdeutliche Zeichen, auch solche der Ermutigung, zumBeispiel mit unserem Förderprogramm „Inno-Regio“,mit unserem Goldenen Plan Ost, dessen Mittel geradeim parlamentarischen Beratungsverfahren stabilisiertworden sind – dafür sage ich ausdrücklich meinenDank und meinen Respekt – ,
und mit der Förderung von Kunst und Kultur. Ich richteeine Bitte an die neuen Länder: Gerade in bezug auf diebeiden letztgenannten Programme habe ich die Bitte,daß die Länder nicht der Versuchung erliegen, die För-derung von Sportstätten und von Kunst und Kultur alsStaatsminister Rolf Schwanitz
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Leuchtturmprojekt zu begreifen und immer nur dort, wobereits Schwerpunkte sind, noch eins draufzusetzen.
Vielmehr haben wir die Chance, in diesen wichtigenDingen auch etwas für schwächere, bisher von der Ent-wicklung vernachlässigte Regionen zu tun. Ich hoffe,daß man auch dort den Mut findet, gemeinsam mit demBund etwas für diese schwächeren Regionen zu leisten.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rössel?
Bitte schön.
Herr Kollege Schwa-
nitz, Sie haben über die Kulturförderung für Berlin
und Ostdeutschland gesprochen. Ich möchte Sie fra-
gen: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, daß von der
Koalition bei den Beratungen im Haushaltsausschuß am
ursprünglichen Regierungsentwurf, der 120 Millionen
DM vorsah, Kürzungen hinsichtlich der Kulturförderung
für Berlin und Ostdeutschland in Höhe von 30 Millionen
DM vorgenommen worden sind?
Sehr geehrter Herr Kollege Rössel, das Gesamtpro-
gramm ist nicht angetastet worden. Aber es hat Verände-
rungen gegeben, und es sind Mittel in den investiven
Bereich gegeben worden. Das begrüße ich sehr. Ich ge-
stehe offen: Es ist eine Erfahrung, die ich an der Stelle
machen mußte, daß sich die Abgeordneten des Parla-
ments jenseits der Vorlagen der Regierung ihrer Ver-
antwortung stellen und im parlamentarischen Verfahren
auch Präzisierungen vornehmen.
Jetzt möchte Herr
Rexrodt eine Frage stellen, Herr Kollege. – Herr Rex-
rodt, bitte sehr.
Herr Kollege Schwa-
nitz, Sie sprachen eben davon, daß insbesondere im Be-
reich der Kultur die Schwerpunkte auf Investitionen ge-
legt worden seien. Wie können Sie sich dann erklären,
daß bei einem ganz wichtigen Investitionsprojekt, näm-
lich dem Ausbau der Kulturlandschaft in Berlin, na-
mentlich dem Ausbau der Museumsinsel, eines Glanz-
stücks in der deutschen Kulturlandschaft, ganz bewußt
Mittel in einer beachtlichen Größenordnung gekürzt
wurden, was zur Folge hat, daß die Fertigstellung dieses
Projektes, das ja mehr ist als ein Stück Kulturpolitik, das
vielmehr ein Projekt der Präsentation unseres ganzen
Landes ist, ob der Kürzungen in diesem Haushaltsansatz
um Jahre verzögert wird?
Herr Rexrodt, ich bin erstaunt, daß Sie das sagen. Ich
kenne Sie aus den letzten Jahren als einen Politiker, der
seine regionale Herkunft auch in Regierungsverantwor-
tung – ich drücke das einmal positiv aus – nicht in Ver-
gessenheit geraten ließ. Das Programm zur Förderung
von kulturellen Einrichtungen in Ostdeutschland, über
das wir heute reden, haben wir mit diesem Haushalt eta-
tisiert. Der Bund wird nicht, quasi administrativ, über
den Kopf der Länder hinweg einzelne Projekte in dieses
Programm hineinschreiben. Es dürfte Ihnen bekannt
sein, daß auch über die Auswahl der Projekte selber
noch keine abschließende Entscheidung getroffen wur-
de.
Ich will nicht behaupten, daß wir wieder in eine um-
fassende Förderung einsteigen; denn auch ich weiß, daß
schwierige Jahre vor uns liegen. Aber immerhin setzen
wir – diesen leicht polemischen Nachsatz will ich mir
erlauben – mit der Bereitstellung eines dreistelligen
Millionenbetrages für ostdeutsche kulturelle Einrichtun-
gen ein deutliches Signal. Ich bitte gerade Sie, Herr Rex-
rodt, das zu würdigen. Denn als Sie in Regierungsver-
antwortung waren, hatten Sie dem Ausstieg des Bundes
aus solchen Fördervorhaben nichts entgegenzusetzen.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage, Herr Kollege? – Danach möchte
ich allerdings keine weitere Zwischenfrage zulassen,
weil die Zeit sonst ein bißchen zu sehr ins Rutschen
gerät. – Bitte sehr, Herr Kollege, eine letzte Zwischen-
frage.
Herr Minister Schwanitz, kön-nen Sie bestätigen – das ist meine erste Frage –, daß dieMittel für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die vonHerrn Rexrodt angesprochen wurden, von uns in einemKonzept gebündelt werden, das beinhaltet, daß die ur-sprünglich von der alten Regierung geplante Bauzeit desProjektes von 20 Jahren auf zehn Jahre reduziert wird,weil wir angesichts der Bedeutung der Stiftung Preußi-scher Kulturbesitz und der Museumsinsel eine solchlange Bauzeit nicht hinnehmen können?Können Sie zweitens zustimmen, daß die Mittel inHöhe von 120 Millionen DM, die für die Kulturförde-rung Ostdeutschlands zusätzlich etatisiert waren, nachwie vor zur Verfügung stehen, und zwar für 1999 in Hö-he von 90 Millionen DM und für 2000 in Form vonVerpflichtungsermächtigungen in Höhe von 30 Millio-nen DM, so daß man annuell auf diese 120 MillionenDM kommt und es von daher unangebracht ist, vonKürzung zu reden?
Staatsminister Rolf Schwanitz
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Sehr geehrter Herr Kollege, letzteres ist in der Tat so. In
bezug auf ersteres freue ich mich über die Präzisierung
und darüber, daß so auch Herr Rexrodt in dieser Debatte
ein Stück ermutigt wird – jenseits dessen, was wir für
die Kulturförderung des Ostens tun. Ich glaube, das ist
auch für ihn ein gutes Ergebnis.
Herr Kollege, ich
muß einen Augenblick unterbrechen. – Wenn Herr Rex-
rodt jetzt den dringenden Wunsch nach einer weiteren
Zwischenfrage hat, muß ich diese fairerweise noch zu-
lassen. Aber dann sollten Sie wirklich in Ihrer Rede fort-
fahren. – Herr Rexrodt, bitte sehr.
Ich bin Ihnen sehr
dankbar, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Mark und Herr
Kollege Schwanitz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, daß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klage
darüber führt, daß ihr Programm durch diese Mittelkür-
zung einer nicht zumutbaren Verzögerung unterworfen
wird? Sind insbesondere Sie, Herr Schwanitz, bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, daß das Land Berlin erwägt – Sie
haben ja angesprochen, daß die Finanzierung im Wege
einer Kofinanzierung erfolgt –, bei einer Zusage Ihrerseits
in eine Vorfinanzierung einzutreten, damit dieses wich-
tige Projekt keine Verzögerung erfährt?
Herr Kollege Rexrodt, ich habe die subjektive Wahr-
nehmung der Stiftung hier nicht zu kommentieren. Sie
haben eine Frage zur Förderung von Kunst- und Kultur-
einrichtungen in Ostdeutschland gestellt, weil ich aus-
drücklich angesprochen habe, daß diese Bundesregie-
rung derartige Projekte in dieser Qualität zum erstenmal
wieder auflegt. Angesichts dessen erwarte ich von Ihnen
einfach ein positives Signal.
Wir alle wissen, daß trotz positiver Wachstumsraten
der ostdeutschen Industrie die industrielle Basis noch
längst nicht in einer Breite vorhanden ist, die den Auf-
schwung selbständig tragen kann. Wir alle müssen uns
immer wieder klarmachen, daß die Industriearbeits-
platzdichte im Osten nur den halben Wert im Vergleich
zu der des Westens hat und daß selbst das industriell
schwächste westdeutsche Flächenland beim Industriali-
sierungsgrad noch immer jedem ostdeutschen Land bei
weitem den Rang abläuft. Das ist die Situation. Deshalb
kann ich dem, was BDI-Präsident Henkel gestern in der
„Leipziger Volkszeitung“ gesagt hat, bezogen auf seine
Analyse, durchaus folgen, aber selbstverständlich nicht
bezogen auf das, was er über die besondere Förderung
der ostdeutschen Wirtschaft nach 2004 sagt. Wenn Teile
der westdeutschen Eliten – ich wähle einmal diesen
schwierigen Begriff – trotz besseren Wissens um die
wirtschaftlich schwierige Situation des Ostens und die
Langwierigkeit des Prozesses mit einer solch leichtferti-
gen Formulierung versuchen, sich aus der Verantwor-
tung zu ziehen, besteht die Gefahr, daß der Wille zu So-
lidarität und Unterstützung in Gesamtdeutschland unter-
graben wird und daß neue trennende Mauern – diesmal
allerdings wirtschaftliche und soziale – von Dauer ent-
stehen.
Jenseits des jeweiligen Parteibuches sollten wir sol-
chen Debatten hier im Deutschen Bundestag ganz ent-
schieden entgegentreten, die ein Stück weit von Popu-
lismus und Wegdrücken einer anderen schwierigen De-
batte geprägt sind.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie michzunächst namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgegebenem Anlaß, Herr Staatsminister Schwanitz, fest-stellen, daß wir zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zwei-fel daran zulassen, daß die Bundesrepublik Deutschlandinsgesamt, und zwar mindestens bis zum Jahre 2004, diegesetzlichen Verpflichtungen, die sie im Hinblick aufden Aufbau Ost eingegangen ist, einzuhalten gedenkt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht ohne Wennund Aber zu den noch unter der vorigen Regierung ein-gegangenen Verpflichtungen zum Aufbau Ost. Ichwollte das sagen, Herr Staatsminister, damit das, was Sieeben gesagt haben, nicht unbeantwortet bleibt.Meine Damen und Herren, der neue Bundesfinanz-minister macht es mit seinem ersten Auftritt in neuerFunktion vor dem Deutschen Bundestag außerordentlichspannend. Da ich noch vor Ihnen spreche, Herr Eichel,habe ich die Gelegenheit, Ihnen drei Fragen zu stellen,die Sie in Ihrer Rede vielleicht beantworten können. Dassind nach meiner Auffassung für die weitere Finanz-und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik DeutschlandFragen von zentraler Bedeutung.Erstens. Wir wüßten von Ihnen gerne, wie das mehr-fach auch heute schon zitierte angebliche strukturelleDefizit von 30 Milliarden DM zustande gekommen ist.Ich hatte Sie schon im Finanzausschuß darauf angespro-chen. Vielleicht können Sie diese Frage heute noch et-was klarer beantworten.Zweitens. Herr Eichel, wir hätten von Ihnen gerneeine klare und unmißverständliche Aussage dazu, wasSie im Hinblick auf die Mehrwertsteuer zu tun geden-ken. Es gibt Äußerungen von Ihnen, nach denen eineMehrwertsteuererhöhung im Zuge der europäischenEntwicklung auf die Bundesrepublik Deutschlandzwangsläufig zukommt. Ich will hier zur Klarstellungsagen: Es gibt keinen europäischen Automatismus, deruns sozusagen überrollt, ohne daß wir Einfluß daraufhaben. Wenn es in der Europäischen Gemeinschaft eine
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Anpassung der Mehrwertsteuersätze geben soll, dannmuß das einstimmig beschlossen werden, also auch mitder Stimme der Bundesrepublik Deutschland. Weil Siejetzt gerade als Präsident des Ecofin-Rates eine gewich-tige Stimme haben, wäre es vielleicht an der Zeit, daßSie dazu eine klare Aussage machen.
Schließlich drittens. Herr Finanzminister, wir hättenvon Ihnen gern eine verbindliche Aussage darüber, wieSie die Entwicklung der Staatsquote in der Bundesre-publik Deutschland in den nächsten Jahren beurteilenund welche Zielgröße Sie in Ihrer Amtsperiode – ichmöchte Ihnen persönlich wünschen, daß sie länger dau-ert als die Ihres Vorgängers –
zu erreichen beabsichtigen.Dies alles ist für die wirtschaftliche Entwicklung derBundesrepublik Deutschland von unverzichtbarer Be-deutung.Sie, Herr Eichel, treten Ihr Amt in einer Zeit an, inder wir bedauerlicherweise feststellen müssen, daß wires mit einem geradezu dramatischen Abbruch der wirt-schaftlichen Entwicklung in der BundesrepublikDeutschland zu tun haben.
Wir haben Wirtschaftswachstumserwartungen für dasJahr 1999, die mittlerweile am Ende der Skala allerTeilnehmerstaaten des Euro angekommen sind. Ich willdas noch einmal an Zahlen deutlich machen, damit dieDramatik dessen, was in den letzten Wochen passiert ist,offensichtlich wird: Wir hatten im Jahr 1998 ein wirt-schaftliches Wachstum in der Bundesrepublik Deutsch-land von 2,8 Prozent. Das war exakt doppelt soviel, wiedas Land Italien hatte, das 1998 Schlußlicht war. In die-sem Jahr sind wir nach den Vorhersagen der wirt-schaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute zusam-men mit Italien mit 1,7 Prozent das Schlußlicht derEurostaaten. Das ist die traurige Bilanz der ersten sechsMonate rotgrüne Bundesregierung.
Diese hat ihre Ursachen nicht in den jüngsten krisen-haften Entwicklungen in Lateinamerika und Asien, son-dern ist im wesentlichen auf die hausgemachten Proble-me in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen.
Daß dies nun alles, Herr Poß, nichts mit derSchwarzmalerei von Verbandspräsidenten oder Opposi-tionsvertretern zu tun hat, sondern daß das etwas mit denobjektiven Daten im Vergleich zu anderen Volkswirt-schaften der Europäischen Union zu tun hat, will ich Ih-nen an einem Beispiel deutlich machen. Sie zitieren inIhren Reihen genauso gern, wie wir es tun, als Beispielfür eine gute wirtschaftliche Entwicklung die Niederlan-de, eines unserer Nachbarländer.Ich lege einen der wichtigsten Parameter für erfolg-reiche Wirtschaftspolitik zugrunde, nämlich die soge-nannte Nettoumsatzrendite, die Unternehmen in denunterschiedlichen Ländern erzielen können. Ein Unter-nehmen in den Niederlanden kann eine Nettoumsatzren-dite von 7,4 Prozent erzielen – und das unter einer so-zialdemokratisch geführten Regierung, mit einem Mi-nisterpräsidenten, der lange Jahre Vorsitzender einerholländischen Gewerkschaft war und der schon alleindeshalb außerhalb jeden Vedachts steht, ein Vertreterdes neoliberalen Turbokapitalismus zu sein. In der Bun-desrepublik Deutschland liegt zum selben Zeitpunkt dieNettoumsatzrendite für Industriebetriebe im Durch-schnitt bei 3 Prozent und bei Einbeziehung der mittel-ständischen Wirtschaft bei 2,9 Prozent. Das ist die tat-sächliche Lage beim Vergleich von zwei Industrienatio-nen, der Niederlande und der Bundesrepublik Deutsch-land. Bezugsgröße ist das Jahr 1997. Hier können Sienicht sagen, das sei Schwarzmalerei gegenüber Rotgrün,denn da waren wir noch in der Regierung.Hieran anknüpfend haben wir gesagt: Es muß die Er-tragslage der Unternehmen, es muß die Kapitalrentabi-lität in der Bundesrepublik Deutschland besser werden,damit neue Investitionen getätigt werden und neue Ar-beitsplätze entstehen können. Ich bin gern bereit, zuzu-gestehen, daß dies nicht allein über die Steuerpolitikgeht. Es geht sicherlich nur zusammen über steuerpoliti-sche Entscheidungen und Entscheidungen im Hinblickauf die sozialen Sicherungssysteme.Eines aber werden Sie nicht schaffen: Sie werdennicht über die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Steu-erquote – Stichwort: Ökosteuer – und eine reine Um-finanzierung zugunsten der sozialen Sicherungssystemeeine Lösung für das Problem finden, das wir wegeneiner zu hohen Abgabenbelastung in der BundesrepublikDeutschland haben. Ich sage Ihnen voraus: Sie werdenam Ende dieses Jahres größte Probleme haben, die Bei-träge zu den sozialen Sicherungssystemen auch nurstabil zu halten. Wahrscheinlich stehen Sie am Ende desJahres 1999 vor der Notwendigkeit, die Beiträge für diesozialen Sicherungssysteme erneut zu erhöhen. Damitwird sich nicht nur die Steuerquote, sondern auch dieAbgabenquote in der Bundesrepublik Deutschland erhö-hen. Die Kapitalrentabilität wird zurückgehen, und eswird nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung geben.
Das sind die Aussichten, Herr Eichel, ohne jede per-sönliche Polemik. Das sind die objektiven Aussichten,vor denen Sie drei Wochen nach Ihrem Amtsantritt ste-hen.In diesem Zusammenhang will ich eine Bemerkungzu den unglaublichen Vorgängen im Zusammenhang mitden 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen machen.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Nein, ich möchte dasim Zusammenhang vortragen.Friedrich Merz
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Ich empfinde es mittlerweile als eine Zumutung, daßnicht nur Vertreter der Bundesregierung, sondern auchmaßgebliche Vertreter aus dem Bundesrat diesen Geset-zen erst zustimmen und nur wenige Stunden – nichteinmal Tage – später in Interviews in der ganzen Bun-desrepublik Deutschland ankündigen, es müsse nachge-bessert und korrigiert werden.
Am stärksten empfinde ich diese Zumutung durch dasVerhalten des Ministerpräsidenten des Landes Nord-rhein-Westfalen, der am Freitag der letzten Woche einenAntrag zu diesem Thema im Bundesrat ablehnte. Ersagte zu den Korrekturen, die außerhalb des Bundesratesauch von maßgeblichen Vertretern der Bundesregierunggefordert wurden, im Bundesrat nein, und am Wochen-ende gab er ein Interview im „Focus“, in dem er sagte,es müsse sehr schnell sehr viel geändert werden. DieseStrategie ist nur dann politisch verständlich, wenn essich um einen Teil der Mobbingkampagne handelt, diein dieser Regierung gegen den amtierenden Arbeitsmi-nister ausgelöst worden ist.Die Tatsache, daß derjenige, der ein Drittel des Bun-deshaushaltes verwaltet, heute bei der zweiten Lesungdes Bundeshaushaltes nicht eine Minute auf der Regie-rungsbank gesessen hat – ich meine den Arbeits- undSozialminister Riester – und nicht eine Minute an dieserDiskussion und Debatte teilgenommen hat, zeigt, daß eroffensichtlich bereits dabei ist, sich in den politischenRuhestand zu verabschieden.
Anders ist das nicht zu verstehen.
Nun will ich zur Steuerpolitik zurückkommen. Es istwahr: Die Spielräume der öffentlichen Haushalte sindaußerordentlich gering bemessen, um zu einer Steuerre-form mit Nettoentlastung zu kommen.Ich will aber zunächst einmal die Einschätzung dererwiedergeben, die – anders als wir – nicht im Verdachtstehen, parteipolitisch zu argumentieren, sondern dievon der Bundesregierung den Auftrag bekommen haben,die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu beurteilen undder Bundesregierung Vorschläge zur politischen Hand-lung zu machen. Ich meine die wirtschaftswissenschaft-lichen Forschungsinstitute, die in ihrem Frühjahrsgut-achten, veröffentlicht am 27. April, also vor wenigenTagen, ausdrücklich und wörtlich gesagt haben:Die Institute plädieren erneut für eine Steuerreform,bei der es zu einer deutlichen Entlastung kommtund nicht die vollständige Finanzierung durch hö-here Steuern an anderer Stelle gesucht wird.
Das ist der Auftrag, den Sie, Herr Eichel, von den wirt-schaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten vorge-schlagen, für Ihre Steuer- und Finanzpolitik haben:
eine deutliche Entlastung, ohne die Gegenfinanzierungdurch höhere Steuern an anderer Stelle zu suchen. Ichsage Ihnen, daß dazu auf Grund der Steuereinnahmen,die Sie erzielen, wenn Sie wollen, ein politischer Spiel-raum besteht.
Im Jahr 1999 – ich habe an anderer Stelle schon ein-mal gegenüber Ihrem Amtsvorgänger darauf hingewie-sen, und ich will das wiederholen – werden Sie für alleGebietskörperschaften insgesamt mindestens 40 Milliar-den DM an Steuermehreinnahmen zur Verfügung ha-ben.
Davon entfallen mindestens 30 Milliarden DM auf denBundeshaushalt. Wahrscheinlich wird die Steuerschät-zung, die in wenigen Tagen veröffentlicht wird, nochdeutlich höhere Zuwächse bei den Steuereinnahmen ge-genüber dem Jahr 1998 ausweisen. Sie haben in diesemJahr also mindestens 30 Milliarden DM mehr Steuerein-nahmen als im letzten Jahr. Wenn Sie wollen, wenn derpolitische Wille vorhanden ist, dann können Sie mit die-sem Ihnen zur Verfügung stehenden Spielraum tatsäch-lich eine Steuerreform mit Nettoentlastung machen.
Deshalb bleiben wir dabei, daß es richtig und not-wendig ist, daß vor dem Hintergrund der Entwicklung,die ich aufgezeigt habe, in der BundesrepublikDeutschland eine Steuerreform mit Nettoentlastung er-forderlich ist.
Ich bitte Sie, noch einmal zu prüfen, ob es bei gehöri-ger, gemeinsamer Anstrengung nicht möglich ist, dasZieldatum 1. Januar 2000 zu realisieren. Herr Eichel,wegen der hohen Zahl der Arbeitslosen und wegen derschlechten Lage insbesondere der mittelständischen Be-triebe in der Bundesrepublik Deutschland darf eineSteuerreform nicht aus koalitionsinternen Gründen vonMonat zu Monat weiter verzögert werden. Wie ichRundfunkinterviews von Ihnen heute morgen entnom-men habe, wird in Aussicht genommen, die Reform erstzum 1. Januar 2001 in Kraft treten zu lassen. DiesesLand, diese Volkswirtschaft braucht eine grundlegendeReform seines Steuersystems zum 1. Januar 2000 undnicht erst ein Jahr später. Noch einmal: Wir könnennicht darauf warten, daß Sie in den eigenen Reihen end-lich Ihren Streit darüber beenden.
Nun höre ich mit großem Interesse, daß nicht nurder Bundeswirtschaftsminister, sondern auch Sie einegrundlegende Korrektur bei den Subventionen vor-nehmen wollen. Ich will nur der Vollständigkeit halberdarauf hinweisen, daß die einzige wirklich durchgrei-fende Korrektur bei den Subventionen im Frühjahr desJahres 1997 gelungen ist, als die alte Koalition dieSteinkohlesubventionen auf einen längeren Zeitraumhin um die Hälfte reduziert hat. Dies haben wir damalsFriedrich Merz
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gegen den erbitterten Widerstand der Mehrheit imBundesrat und gegen den erbitterten Widerstand derdamaligen Opposition im Deutschen Bundestag durch-setzen müssen,
die sich nicht einmal zu schade dafür waren, auf die Bar-rikaden zu gehen, das Bannmeilengesetz zu brechen undBergarbeiterdemonstrationen im Regierungsviertel aus-zulösen.
Das war – meine Damen und Herren von der SPD-Bundestagsfraktion, da können Sie so laut schreien, wieSie wollen – der einzige Beitrag zu einem wirklichdurchgreifenden Subventionsabbau der letzten Jahre –dem Sie sich entgegengestellt haben.
Jetzt bin ich sehr gespannt, welche Vorschläge vonIhnen kommen. Ich hätte dem Bundeswirtschaftsmini-ster, wenn er da wäre, gerne gesagt, daß man dies natür-lich nicht in einem Prozeß der Kaffeerunden und derDiskussionskränzchen mit Beteiligten und Betroffenenins Werk setzen kann. Dazu bedarf es einer klaren poli-tischen Vorgabe. Die Bundesregierung ist gefordert,ihrerseits Vorschläge zu machen.
Damit die ganze Schwierigkeit dieses Themas für unsalle deutlich wird und um die teilweise völlig falschenVorstellungen über den Umfang und den Inhalt vonSubventionen und Steuervergünstigungen in der Öffent-lichkeit zurechtzurücken, will ich Ihnen einmal aus demletzten Beteiligungs- und Subventionsbericht derBundesregierung vorlesen, was die maßgeblichen Posi-tionen bei den Steuervergünstigungen und bei den Sub-ventionen sind. Der größte Teil der Steuervergünstigun-gen in der Bundesrepublik Deutschland wird mit einemVolumen von 11,7 Milliarden DM für den privatenWohnungsbau zur Verfügung gestellt. Das umfaßt daseigengenutzte Wohneigentum, das Eigenheimzulagen-gesetz und die Kinderkomponente im Rahmen derWohneigentumsförderung. Das ist der mit Abstandgrößte Teil der Steuervergünstigungen. Es folgen Son-derabschreibungen für betriebliche Investitionen und In-vestitionszulagen für Ausrüstungsinvestitionen im Bei-trittsgebiet und in Westberlin und die Steuerbefreiungder Zuschläge für Sonntags-, Nacht- und Feiertagsarbeit.
– Ja, sie steht – immerhin mit einem Volumen von 2,4Milliarden DM – an der vierten Position innerhalb desBerichtes über Steuervergünstigungen. Dann kommt dieUmsatzsteuerermäßigung für kulturelle und ähnlicheLeistungen nach dem Umsatzsteuergesetz.Diese Positionen – das sind die ersten sieben, dieimmerhin ein Volumen von über 25 Milliarden DM unddamit über 70 Prozent der ganzen Steuervergünstigun-gen ausmachen – will ich nur nennen, um die Schwie-rigkeit dessen aufzuzeigen, was Sie sich vorgenommenhaben. Ich sage Ihnen: Anders als Sie das damals in derOpposition getan haben, wird die CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion, wenn Sie vernünftige, in sich schlüssigeVorschläge zum Subventionsabbau machen, nicht aufdie Straße gehen und dagegen demonstrieren. Vielmehrwerden wir uns konstruktiv daran beteiligen, Subventio-nen in Deutschland wirklich abzubauen.
Bei den Finanzhilfen, wie es so schön umschriebenist, also bei den Subventionen des Bundes, rangiert diePosition „Zuschüsse für den Absatz deutscher Stein-kohle zur Verstromung und an die Stahlindustrie sowiezum Ausgleich von Belastungen infolge von Kapazitäts-anpassungen“ mit 7,75 Milliarden DM nach wie vor anerster Stelle. Wenn Sie da rangehen wollen, dann sagenSie das! Aber damit stellen Sie den gesamten Kohle-kompromiß in Frage, der für die Zeit bis zum Jahr 2005ausgehandelt worden ist. Das ist die größte Position beiden Subventionen.Die zweitgrößte Position bei den Subventionen – dar-auf will ich besonders hinweisen; Herr Metzger nicktund weiß, worum es geht – ist der soziale Wohnungsbaumit 2,9 Milliarden DM. An dritter Stelle folgen die Zu-weisungen an neue Länder für betriebliche Investitionenin der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-nalen Wirtschaftsstruktur“ mit 1,6 Milliarden DM. Dannkommen die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ mit1,3 Milliarden DM, Zinszuschüsse im Rahmen desWohnraummodernisierungsprogramms mit 1,1 Milliar-den DM und schließlich Zinszuschüsse und Erstattungenvon Darlehensausfällen im Rahmen des Eigenkapitalhil-feprogramms mit rund einer Milliarde DM. Das sind aufden ersten sechs Positionen der Finanzhilfen des Bundesimmerhin insgesamt rund 16 Milliarden DM; das macht80 Prozent der 20 größten Finanzhilfen aus. Herr Eichel,das heißt: Wenn Sie wirklich an Subventionen und anSteuervergünstigungen herangehen wollen, dann stehtIhnen eine schwierige Aufgabe bevor. Es hat keinenSinn, darauf zu warten, daß die Betroffenen selbst Vor-schläge machen. Die müssen Sie von der Regierungschon machen.
Ich will zum Schluß und im letzten Teil meiner Redenoch etwas zur Familienpolitik und zu den notwendi-gen Entlastungen der Familien sagen. Das Bundesver-fassungsgericht hat dem Gesetzgeber mit drei Entschei-dungen in der Tat schwierige Aufgaben erteilt.
Man kann über die Detailregelungen, die das Bundes-verfassungsgericht zum Teil getroffen hat, streiten odernicht. Der Gesetzgeber hat aber den Auftrag des Bun-desverfassungsgerichts zu erfüllen, und zwar in einemZeitraum, der relativ eng bemessen ist: Die ersten Maß-Friedrich Merz
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2984 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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nahmen müssen zum 1. Januar 2000 in Kraft treten, dieweiteren zum 1. Januar 2002. Deswegen stehen Sie un-ter einem sehr, sehr harten Zeitdruck, Herr Eichel. Weildieser Zeitdruck besteht, darf aber nicht gleichzeitig derVersuch unternommen werden, aus Haushaltsgründenjetzt nur eine Minimallösung herbeizuführen, mit der Siean anderer Stelle wiederum in verfassungsrechtlicheKonflikte kommen werden.Ich möchte Sie an Hand von zwei Beispielen auf Pro-bleme hinweisen, die Sie sehen sollten, wenn Sie eineverfassungskonforme Lösung im Zuge der notwendigenFamilienentlastungen erzielen wollen. Das erste: Inner-halb der rotgrünen Koalition gibt es offensichtlich eineMehrheit, die dafür plädiert, an die Stelle des bisherigenEhegattensplittings ein sogenanntes Realsplitting tretenzu lassen. Das bedeutet im Klartext, daß das bisherigeEhegattensplitting zugunsten einer Regelung abgeschafftwird, die sich daran orientiert, wie hoch der Unterhalts-aufwand für geschiedene Ehepartner sein muß. DieseGrenze liegt momentan bei 27 000 DM im Jahr. Diemaximale Abzugsfähigkeit soll sich an dieser Größeorientieren.Ich könnte in diesem Zusammenhang eine Polemikbeginnen, will es aber bewußt nicht tun, weil die Betrof-fenen nicht anwesend sind.
Sie sollten aber wissen, daß das sogenannte Realsplittingbei jeder gescheiterten Ehe angewendet werden kann;das heißt, es kann bis zu zwei-, drei- oder viermal statt-finden. Wie gesagt, ich mache es nicht polemisch, weildie Betroffenen nicht anwesend sind.
– Ich entnehme Ihren Reaktionen, daß Sie es doch gernegehört hätten.Zurück zum Ernst der Lage. Sie können den Maßstabfür die steuerliche Behandlung einer Ehe nicht an dersteuerlichen Behandlung der Unterhaltsverpflichtungenvon Geschiedenen orientieren. Das ist nicht der zutref-fende Maßstab.Es ist außerdem mit unserer Verfassungsordnungnicht vereinbar, daß jemand, der zweimal oder dreimalgeschieden ist, steuerlich bessergestellt wird als jemand,der einmal verheiratet ist und bleibt.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Gerne.
Herr Merz, Sie wissen
sicher, daß wir als PDS für die völlige Streichung des
Ehegattensplittings und für den Übergang zur Indivi-
dualbesteuerung mit sozialversicherungsrechtlichem
Ausgleich eintreten. Sie haben betont, daß die Grenze
der steuerlichen Abzugsfähigkeit bei 27 000 DM liegt.
Wie stehen Sie dazu, daß das das Doppelte dessen ist,
was man ansonsten als steuerfreies Existenzminimum
geltend machen kann? Inwieweit halten Sie selbst die
Größenordnung 27 000 DM für gedeckt? Oder wurde
nur eine Zahl gegriffen, mit dem Ergebnis, das wir alle
kennen?
Frau Kollegin Höll,darauf kann ich Ihnen eine ganz einfache Antwort ge-ben. Der Gesetzgeber war bei der Einführung des soge-nannten Realsplittings verfassungsrechtlich frei, eineandere Lösung zu finden oder die bis dahin bestehendeLösung, den sogenannten Sonderausgabenabzug, beizu-behalten. Es war eine politische Entscheidung, dies indieser Größenordnung festzulegen. Das bedeutet aller-dings für das Ehegattensplitting, daß dies nicht der allei-nige Maßstab sein kann, an dem es sich in Zukunft zuorientieren hat. Das ist sozusagen das verfassungsrecht-liche Minimum, das nicht unterschritten werden darf. –Einer der Betroffenen ist mittlerweile eingetroffen.
Ich habe auf die Probleme hingewiesen, die durch diemehrfache Anwendung des Realsplittings entstehen.Deswegen sage ich Ihnen ganz klar und deutlich: DasRealsplitting ist überhaupt keine Bezugsgröße, ist über-haupt kein Maßstab für die verfassungskonforme Be-handlung der Einkommen, die in einer Ehe erzielt wer-den. Deswegen bin ich dankbar für Ihre Frage. Wirsollten diese Diskussion am besten nicht an dieser Stelleführen. Wir sollten vielmehr die Frage stellen: Wie siehtdie einzige verfassungskonforme Behandlung in einerEhe der gemeinsam erzielten Einkommen aus?Ich sage ganz ausdrücklich: Es gibt keinen verfas-sungsrechtlich möglichen Weg einer Einschränkung desEhegattensplittings, wie es heute im Einkommensteuer-gesetz vorgesehen ist.
Diesen Weg gibt es nicht. Die Wahlfreiheit der in eheli-cher Gemeinschaft lebenden Ehepartner über die Erzie-lung des Einkommens würde mit jeder anderen Kon-struktion eingeschränkt. Das verstößt nicht etwa gegenden Sozialstaatsgrundsatz der Bundesrepublik Deutsch-land, sondern klar und eindeutig gegen Artikel 6 desGrundgesetzes, nach dem Ehe und Familie unter dembesonderen Schutz des Staates stehen. Lassen Sie dieFinger von der Bezugsgröße Realsplitting! Dies wird Sieauf Abwege führen.
Ich will zweitens etwas zu den Vorschlägen sagen,die zur steuerlichen Behandlung der Kinder in einer Fa-milie gemacht und diskutiert werden. Ich gebe offen zu:Ich habe zu Beginn der Diskussion gewisse Sympathienfür den Vorschlag gehabt, das Problem der steuerlichangemessenen Berücksichtigung von Kindern über densogenannten Kindergrundfreibetrag zu lösen. Bei nä-herer Betrachtung stößt der Kindergrundfreibetrag – sowie er jetzt in den Reihen der rotgrünen Koalition dis-Friedrich Merz
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kutiert wird – sehr schnell an die verfassungsrechtlichenGrenzen; denn anders als den Grundfreibetrag für Er-wachsene wollen Sie den Kindergrundfreibetrag nicht inden Steuertarif einbauen. Das heißt im Klartext: DieEingangsbesteuerung für Eltern wird um so höher, jegrößer die Zahl der Kinder ist. Damit tritt der Effekt ein,daß insbesondere im mittleren und oberen Bereich ver-dienende Eltern – mit steigender Kinderzahl – immermehr – die steuerliche Entlastung ihrer eigenen Kinderselbst zahlen. Sie haben sozusagen die doppelte Progres-sion, nämlich den ohnehin progressiv verlaufenden Ein-kommensteuertarif und gleichzeitig eine zusätzlicheProgression durch den immer weiter steigenden Ein-gangssteuersatz. Dies ist nun wirklich nicht mit demvereinbar, was das Bundesverfassungsgericht zumStichwort „horizontale Belastungsgerechtigkeit“ ent-schieden hat.
Unabhängig vom Einkommen müssen Sie Paare mit Kin-dern steuerlich besser behandeln als Paare ohne Kinder.
Wenn Sie diesen Grundsatz verletzen, dann bewegen Siesich auf die nächste Verfassungsklage zu.Herr Eichel, Sie werden sich wahrscheinlich – dasmöchte ich Ihnen ohne jede parteipolitische Häme sagen– nach Diskussionen über dieses Thema in Ihrem Hausauf das System zurückbewegen müssen, das bis 1996 inder Bundesrepublik Deutschland gegolten hat, nämlichdaß der große Teil der Entlastung der Paare mit Kindernüber einen Steuerfreibetrag geregelt wird und daßdenjenigen, deren Existenzminimum über einen Steuer-freibetrag auf Grund zu geringer Einkommen nicht frei-gestellt wird, eine zusätzliche Leistung über das Kinder-geld gezahlt werden muß. Eine andere Lösung werdenSie verfassungskonform nicht ermöglichen können.Wir hören jetzt voller Spannung die erste Rede desneuen Bundesfinanzministers. Herr Eichel, Sie habeneine Reihe von Problemen vorgefunden, die Ihnen IhrAmtsvorgänger überlassen hat.
Sie sind in einer schwierigen gesamtwirtschaftlichenund auch in einer schwierigen gesamtpolitischen Lageals neuer Bundesfinanzminister angetreten. Wenn Sieaus dem Schatten Ihres Vorgängers heraustreten wollen,dann werden Sie – beginnend mit dem heutigen Tag –eine grundlegende Kurskorrektur in der Finanz- undWirtschaftspolitik gegen die Bewahrer und Traditionali-sten in Ihren eigenen Reihen – ein maßgeblicher Reprä-sentant dieser Traditionalisten hat eben hier gespro-chen – einleiten müssen. Wenn Sie das nicht tun, stol-pern Sie mit Ihrer rotgrünen Koalition weiterhin in dieArbeitslosigkeit und sorgen für weniger Beschäftigungund höhere Staatsausgaben. Dann werden Sie keineChance haben, die Probleme unseres Landes zu lösen.Vielen Dank.
Nun erteile ich dem
Finanzminister Hans Eichel das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Ich bedanke mich herzlich für das freundliche und imwesentlichen unpolemische Willkommen. Diesen Dankrichte ich auch an den Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,Herrn Kollegen Merz. Aber ich werde heute nicht in alleFallen, die Sie eben ganz freundlich aufgestellt haben,hineintappen. Das dürfen Sie bitte nicht erwarten.
Wenn ich mich in einem Punkt von anderen unterschei-de – jeder Charakter ist anders –, dann in dem, daß ichin solchen Fällen vorsichtig bin: Vorsicht ist die Mutterder Porzellankiste. Gerade der Finanzminister ist gut be-raten, in solchen Fällen vorsichtig zu sein.Ich habe vor drei Wochen das Amt des Finanzmi-nisters übernommen. Ich habe nicht nur sofort interna-tionale Verpflichtungen, die für mich ganz neu waren,wahrgenommen, sondern auch die Zeit genutzt, um mireinen Überblick über die finanzielle Situation des Bun-des zu verschaffen. Ich möchte – auch ohne jede Pole-mik, aber in aller Klarheit – deutlich machen: Die Situa-tion ist dramatisch. Sie hat sich langfristig aufgebaut undzugespitzt. Der von der Vorgängerregierung angehäufteSchuldenberg beraubt uns fast jedes finanzpolitischenHandlungsraums.
– Sie werden sich die Zahlen anhören müssen. Ich sagedas in aller Ruhe; denn die Zahlen werden Sie nicht be-streiten können.1982, bei Amtsantritt der Regierung Helmut Kohl,betrugen die Schulden des Bundes 314 Milliarden DM.1990, im Jahr der Wiedervereinigung, hatten sich dieSchulden auf 600 Milliarden DM verdoppelt. Im ver-gangenen Jahr, also wiederum acht Jahre später, warenes fast 1,5 Billionen DM – eine Steigerung auf dasZweieinhalbfache.
– Verehrter Herr Rexrodt, ich referiere die Zahlen und –ohne alle Polemik – die Konsequenzen, die diese Zahlenheute für unsere Haushalts- und Finanzpolitik habenmüssen. – 1982 300 Milliarden DM Schulden, 1990600 Milliarden DM Schulden und 1998 1,5 BillionenDM Schulden – das ist der Marsch in den Verschul-dungsstaat.
Wenn wir weiterhin auf Kosten der Zukunft leben,dann droht uns bald Handlungsunfähigkeit im Bundes-Friedrich Merz
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haushalt. Deshalb müssen wir diesen verhängnisvollenWeg stoppen. Gestoppt haben wir diesen verhängnis-vollen Weg erst, wenn der Bundeshaushalt für den Aus-gleich keine Nettokreditaufnahme mehr braucht. Dasist ein weiter Weg.Man muß sich einmal klarmachen, was es heißt, wennim Bundeshaushalt 1999 – das wurde übrigens schonvon Herrn Kollegen Metzger angesprochen – ein Viertelder Steuereinnahmen, 82 Milliarden DM, allein fürZinszahlungen gebunden ist. Der Bund muß fürZinszahlungen pro Minute 150 000 DM, in einer Stundeüber 9 Millionen DM und am Tag 225 Millionen DMausgeben. Mit dem Geld von drei Minuten Zinszahlun-gen des Bundes hätte man ein Einfamilienhaus zusam-men.Die Brisanz hinter diesen Zahlen wird zusätzlichdeutlich, wenn man sich das Zinsänderungsrisiko vorAugen hält. Stiegen die Zinsen um nur einen Prozent-punkt, dann müßte der Bund bei einer jährlichen Brutto-kreditaufnahme von 300 Milliarden DM im Folgejahr3 Milliarden DM mehr an Zinsen zahlen. Das entsprächeschon fast der Hälfte des Entwicklungshilfeetats. Dabeigilt es zu bedenken, daß wir zur Zeit ein historisch nied-riges Zinsniveau haben. Wenn der Schuldenstand wei-terhin schneller als die Steuereinnahmen steigt – wasmöglicherweise nicht so bleibt; aber wir wollen es auchnicht hochreden –, dann wird auch die Zinssteuerquote,die 1982 12,4 Prozent betrug und in diesem Jahr bereits22 Prozent erreichen wird, weiter steigen. Diese Zinslaststranguliert den Haushalt.Schon jetzt sind die Zinsausgaben nach den Sozial-ausgaben der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt.Diesen hohen Schuldenstand haben wir aus zwei Grün-den
– ich referiere nur, meine Damen und Herren –: Erstens.Selbst in den 80er Jahren, als die Konjunktur und dieBundesfinanzen von einer guten weltwirtschaftlichenEntwicklung profitierten, ist es der früheren Regierungnicht ein einziges Mal gelungen, einen wirklich ausge-glichenen Haushalt ohne Nettokreditaufnahme vorzule-gen. Jahr für Jahr hat der Bund zusätzliche Schuldengemacht.
– Herr Waigel, wenn wir nicht so viel für die schwachenLänder über den Länderfinanzausgleich zu zahlen hät-ten, dann stünde auch Hessen besser da. Wir haben dasweitgehend finanziert.
Herr Kollege Waigel, ich sage das ganz ohne Vor-wurf. Ich verstehe Ihre Erregung nicht. Ich referiereganz schlicht die Zahlen Ihrer Tätigkeit. Sie können kei-ne der Zahlen, die ich eben genannt habe, bestreiten. Siesind alle im Bundesfinanzministerium erarbeitet worden.Dafür waren bis Oktober vergangenen Jahres andere zu-ständig.
– Ich sage das ohne Vorwurf. Sie haben gemerkt, daßich nur referiere. Deswegen bedarf es dieser Unruhenicht.Ich sage ausdrücklich: In den 80er Jahren hat es vordem Hintergrund einer wesentlich günstigeren weltwirt-schaftlichen Entwicklung nicht einen einzigen Bundes-haushalt ohne Nettokreditaufnahme gegeben. Der Bundhat Jahr für Jahr seine Schuldenlast weiter erhöht.Zweitens. Auf diesem schwachen Fundament mußtedie Einheit finanziert werden. Keine Frage, dafür warund dafür ist in der Tat viel Geld notwendig. Es gibtaber auch hier nichts zu beschönigen. Die Finanzierungder Einheit war nicht solide. Es wurden Schulden ge-macht, Lasten übernommen und die Sozialkassen alsVerschiebebahnhof benutzt.Nach dem zweiten Weltkrieg haben wir die Einglie-derung der vertriebenen ostdeutschen Landsleute durcheinen zeitlich befristeten Zugriff auf große Vermögenfinanziert. 1990 war die Regierung – Sie wissen dasalle – der Meinung, daß der Wiederaufbau der neuenLänder ohne Steuererhöhungen aus den laufenden Ein-nahmen bezahlt werden könne.Die ehemalige Bundesregierung hat in den Folgejah-ren den verfassungsrechtlich zulässigen Kreditrahmenweitgehend ausgeschöpft und den Haushalt Jahr für Jahram oberen Limit gefahren. Herr Kollege Waigel, wir inHessen haben das auch nicht anders gemacht. Deswegenrede ich darüber auch ganz sachlich. Bei mehrerenHaushalten stellte es sich beim Vollzug, auch in Hessenund in den meisten anderen Ländern, heraus, daß dieKredite über den Investitionen lagen.Wir alle haben die Wiedervereinigung gewollt.
Ihre Finanzierung aber war falsch und schränkt dieHandlungsfähigkeit unserer Generation und der unsererKinder dramatisch ein.
– Durch solche Ablenkungsmanöver – ich merke, es istIhnen unangenehm – kommen wir doch von den Zahlennicht weg. Das ist die Grundlage, auf der übrigens jeder,wer auch immer im Augenblick gerade regiert, künftigarbeiten muß, auch Sie, meine Damen und Herren.
Um den Haushalt auf dem Papier besser erscheinenzu lassen – wir haben Ihnen das ja auch schon mitgeteilt –,Bundesminister Hans Eichel
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ist die Wirtschaftsentwicklung von der Vorgängerre-gierung oftmals so gezeichnet worden, wie es opportunwar.
Höhere Wachstumsraten, als sie tatsächlich eingetretensind, sind nicht nur einmal, sondern systematisch unter-stellt worden. Damit muß Schluß sein.
Wir wollen von realistischen Annahmen zur Wirt-schaftslage und ehrlichen Steuerschätzungen ausgehen.Wenn Sie sagen – das ist ja wahr –, in diesem Jahr gebees höhere Steuereinnahmen als im vergangenen Jahr,dann bitte ich Sie, sich doch einmal anzuschauen, wieweit diese hinter Ihren eigenen Schätzungen zurückblei-ben. Darauf ist ja vieles aufgebaut worden. Auch dasmuß man berücksichtigen.
Auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde re-gelmäßig zu positiv bewertet. Resultat davon war, daßnotwendige Ausgaben nach unten gerechnet wurden.Lassen Sie mich einen Punkt noch einmal heraus-heben: Es war wirklich nicht in Ordnung, nur für dieBundestagswahl die Mittel für Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen im Osten heraufzusetzen, sie anschließendabbrechen zu lassen und noch zu sagen, so eine Politikkönne man verantworten. Das konnte nicht funktionie-ren.
Sehenden Auges wurde für erkennbare Haushaltsrisi-ken keine Vorsorge getroffen. Ich habe das übrigensnoch als Sprecher der sozialdemokratisch geführtenLänder im Bundesrat am 25. September 1998 deutlichgemacht: Es wurde zum Beispiel keinerlei Vorsorge fürdas Rußland-Risiko getroffen. Damals lautete die offi-zielle Erklärung der Bundesregierung, das sei gar nichtzu befürchten. Nun müssen wir hierfür mindestens3 Milliarden DM veranschlagen.Es war im Haushalt überhaupt nichts für die Ländermit Haushaltsnotlagen – Bremen und das Saarland –vorgesehen. Auch hierfür hätten 3 Milliarden DM ver-anschlagt werden müssen. So läppert sich das zusam-men, und so kommen wir, Herr Kollege Merz, zu demstrukturellen Defizit, über das Sie Aufklärung erbetenhaben. Nun haben Sie sie erhalten.
Das nächste Problem: Durch die Gesetze der früherenBundesregierung wurden die Familien seit 1984, wiewir alle wissen, verfassungswidrig hoch belastet. Auchdas müssen wir jetzt korrigieren.Die Quittung für diese Politik schlägt sich nun in die-sem Haushalt nieder. In Zahlen ausgedrückt – das ist dietraurige Wahrheit des Kassensturzes –: In jedem einzel-nen der Jahre von 2000 bis 2003 – gehen Sie bitte vonder Tatsache aus, daß wir die erreichte Staatsverschul-dung bedienen müssen – hätte der Bund ohne die jetztnotwendig werdenden Maßnahmen einen Kreditbedarfvon 80 bis 90 Milliarden DM. Das wären mehr als2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes allein für denBund. Es ist klar, daß es dabei nicht bleiben kann. DasResultat dieser langjährigen Fehlentwicklungen läßt sichnicht in einem Jahr, auch nicht in einer Legislatur-periode korrigieren. Wir brauchen dringend eine Trend-wende. Wir müssen die Finanzlage endlich unge-schminkt zur Kenntnis nehmen, die notwendigenSchlußfolgerungen ziehen, ein Gesamtkonzept entwik-keln und dieses Konzept entschlossen umsetzen. Des-wegen, Herr Kollege Merz, werde ich nicht einzelneBausteine sozusagen herausbrechen und dazu Stellungnehmen; das macht keinen Sinn. Sie können nur eineGesamtbetrachtung des Haushalts 2000, der mittelfristi-gen Finanzplanung und der noch zu beschließendenSteuergesetze anstellen.Was mich an der jetzigen Debatte stört – ich kommegleich noch darauf zurück –: Von allen Seiten werden inalle Richtungen Versprechungen gemacht.
– Doch, auch Sie haben sie vorhin gemacht; die sich er-gebenden Kosten kann man zusammenrechnen. – In die-sem Zusammenhang muß ich fragen: Wie vereinbartsich dies mit Art. 115 des Grundgesetzes und mit demeuropäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, den wirgemeinsam beschlossen haben?
Ohne hartes, konsequentes Sparen wird das allesnicht gehen. Sparen ist aber kein Selbstzweck, sondernMittel zum Zweck. Unsere Kinder haben Anspruch dar-auf, daß wir uns vernünftig verhalten. Dazu gehört, daßwir ihnen eine lebenswerte Umwelt erhalten und daß wirunserer Jugend die bestmögliche Ausbildung geben. Da-zu gehört auch, daß wir die Aufgaben der Gegenwartnicht so zu Lasten der Zukunft finanzieren, daß wir da-mit die Gestaltungsmöglichkeiten der nächsten Genera-tion unzumutbar einschränken. Alle drei Punkte sindgleichberechtigt.
Dafür brauchen wir dauerhaft tragfähige Staats-finanzen. Es wird sonst in Zukunft immer schwerer,ökonomische, ökologische oder soziale Prioritäten beiden Staatsausgaben zu setzen, wenn ein zunehmenderTeil der Steuereinnahmen für Zinsausgaben gebundenist.
Die Fortsetzung der Politik der stetigen Neuverschul-dung ist deshalb falsch. Sie zerstört die Zukunft nach-folgender Generationen. Wenn Neuverschuldung erstzur Regel wird, ist mit ihr eine ständig steigende Bela-stung späterer Generationen verbunden. Der Stopp derBundesminister Hans Eichel
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Nettoneuverschuldung ist deshalb auch ein elementaresErfordernis der Generationengerechtigkeit.
Art. 115 des Grundgesetzes – ich habe diesen Punkteben schon kurz angesprochen –, in dem die Neuver-schuldung durch die Höhe der Investitionsausgaben be-grenzt wird, reicht nicht aus – er gibt nur eine Obergren-ze an –, um solide Staatsfinanzen für die Zukunft zu ga-rantieren. Wir müssen das Übel der Staatsverschuldungan der Wurzel packen.Wir haben den europäischen Stabilitäts- und Wachs-tumspakt mitbeschlossen. Er sieht für die wirtschaftlicheNormallage ein nahezu ausgeglichenes Budget oder so-gar Überschüsse vor. Im aktuellen Stabilitätsprogrammhaben wir für das Jahr 2002 – dies hat noch mein Amts-vorgänger dem Kabinett vorgelegt, und so hat es dieBundesregierung beschlossen –
– diese Zwischenrufe machen doch keinen Sinn; etwasmehr Ernsthaftigkeit wäre gut –
eine Begrenzung des Defizits des öffentlichen Gesamt-haushaltes auf 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes unddarüber hinaus eine Staatsquote von 45 Prozent als Zielvorgegeben. Dieses Ziel wollen wir erreichen. Mittelfri-stig setze ich aber auf ein qualitativ neues Ziel derFinanzpolitik: Wir brauchen so bald wie möglich einenwirklich ausgeglichenen Haushalt.
Einnahmen und Ausgaben, Steuer- und Abgabenlastsowie die öffentlichen Ausgaben müssen einander wie-der entsprechen, ohne daß ständig auf die Neuverschul-dung zurückgegriffen werden muß. Schwankungen umdiese Nullinie würde es dann nur noch aus konjunktu-rellen Gründen geben. Ich bekenne mich ausdrücklichdazu und auch zur Intervention des Staates hinsichtlichder automatischen Stabilisatoren. Ich habe schon ausallen Fraktionen dieses Hauses gehört, daß man in einerPhase des wirtschaftlichen Abschwungs nicht nochbremst,
sondern in diesem Fall konjunkturell bedingte größereDefizite hinnimmt und je nach wirtschaftlicher Ent-wicklung gegensteuert. Aber diese Kraft haben wir nichtmehr, weil ein Viertel aller Einnahmen bereits für dieZinszahlungen draufgeht. Woher soll die Kraft zum Ge-gensteuern kommen?Dieser Konsolidierungskurs ist ein klares Vertrau-enssignal für die Wirtschaft. Das halte ich übrigens fürdas Wichtigste.
Auch die Perspektive ist ein klares Vertrauenssignal fürdie Wirtschaft, die Finanzmärkte, die Tarifpartner undvor allem für unsere Kinder. Er ist unser konkreter Bei-trag zu einem konfliktfreien Zusammenwirken vonGeld-, Lohn- und Finanzpolitik.Unmittelbares Ziel der Bundesregierung ist es, imHaushalt 2000 das Defizit weiter zurückzuführen unddie tatsächliche Nettokreditaufnahme deutlich unter denAnforderungen des Art. 115 und im Rahmen der Vorga-ben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakteszu halten. Diesen Konsolidierungskurs müssen wir Jahrfür Jahr mit deutlich steigender Tendenz fortsetzen. Da-zu müssen die Ausgaben zurückgeführt werden. KeineAusgabeposition darf tabuisiert werden; Denkverbotegibt es nicht. Alles kommt auf den Prüfstand: alle Lei-stungen, alle Subventionen, jeder Einzelplan des Bun-deshaushalts.
– Natürlich, Herr Kollege Rexrodt, löst das keine Begei-sterung aus; auch bei Ihnen habe ich übrigens keinenBeifall gesehen, wenn ich das mal eben festhalten darf. –Vieles Wünschenswerte werden wir uns nicht mehr lei-sten können.Das gilt auch – nun wird Ihre Begeisterung vielleichtnoch mehr gedämpft – für die Einnahmeseite.
– Heben Sie sich doch die Zwischenrufe für die Zeit auf,wenn es ernst wird. – Auch dort gibt es Subventionen,ungerechtfertigte Steuervergünstigungen, ja regelrechteund große Steueroasen.
Das ist auch der heutige Befund. Der Bund hat den Bür-gern Jahr für Jahr mehr Leistungen zur Verfügung ge-stellt, als diese über Steuern und Abgaben bezahlt ha-ben. Das ist keine zukunftsfähige Politik.
Sie haben eben versucht, mich mit Ihrem Zwischen-ruf zu locken, Herr Kollege Merz; ich weiß, ich betretejetzt dünnes Eis. Ich erinnere Sie nur daran, daß unsereletzten Gespräche über die Steuerreform im Dezember1997 auch daran gescheitert sind, daß Sie darauf bestan-den haben, zur Gegenfinanzierung die Mehrwertsteuerzu erhöhen.
Ich sage nur: Jeder hat seine Geschichte. Ich weiß, wo-von ich rede. Deswegen rate ich jedem dazu, seine Re-den an diesem Pult immer auch eingedenk der eigenenGeschichte zu halten. Das wäre manchmal sehr nützlich.
Will man Steuern und Abgaben nicht erhöhen, son-dern – wie es eben hier gefordert wurde – zielgerichtetBundesminister Hans Eichel
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weiter senken, ist das nur möglich, wenn die Ansprüchean den Staat, an die öffentlichen Haushalte und das So-zialsystem zurückgenommen werden.
Dabei dürfen wir aber nicht unsere Zukunftsfähigkeitaufs Spiel setzen – da wird es wahrscheinlich entschei-dende Kontroversen geben – und dürfen nicht die Ver-fassungsgebote der Menschenwürde und der sozialenGerechtigkeit verletzen. Wir würden sonst die Zu-stimmung der Mehrheit unseres Volkes zu unseremStaat verlieren. Es darf keine Umverteilung von untennach oben unter dem Deckmantel der Sparpolitik ge-ben.
Das wäre nicht nur moralisch und politisch unvertretbar,das wäre auch ökonomisch falsch.Die Auswirkungen von Budgetentscheidungen desBundes auf die wirtschaftliche Entwicklung müssen be-achtet werden.
Die Haushalte müssen stabilitäts- und konjunkturgerechtsein, das heißt auch in die jeweilige wirtschaftliche Ent-wicklung eingepaßt werden; das habe ich vorhin schondeutlich gemacht. Entscheidend ist: Wir können unsnicht nur aus den Defiziten heraussparen. Zusätzlichmüssen Wachstumspotentiale besser als bisher er-schlossen werden.
– Passen Sie auf: Scheinselbständigkeit und 630-Mark-Jobs. Bei der Scheinselbständigkeit gab es zwischen derbayerischen und der hessischen Staatsregierung schoneinmal eine Übereinstimmung darüber, daß man diese indie Sozialversicherungssysteme einbeziehen müsse, weileine weitere Erosion der Steuersysteme nicht möglichsei. Das war 1996/97. Und wenn ich mich an das Thema630-Mark-Jobs erinnere: Wir waren uns im Dezember1997 in der kleinen Runde, mit Zustimmung von HerrnSolms, einig,
daß wir jedenfalls die 630-Mark-Jobs, die als Nebentä-tigkeit ausgeübt werden, in die Rentenversicherung ein-beziehen sollten. Gescheitert ist dies, wie Sie wissen, ander F.D.P.-Bundestagsfraktion, weil nur zwei dafür ge-stimmt haben, nämlich Herr Solms und Herr Genscher.Das muß man sich klarmachen.
Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eigent-
lich wollte ich keine Zwischenfragen zulassen. Ihre aber
lasse ich zu, weil ich Sie persönlich angesprochen habe.
Sie müssen
mich dazwischen zu Wort kommen lassen, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte
um Entschuldigung, Frau Präsidentin; das wird mir nicht
wieder passieren.
Herr Bundes-
finanzminister, vielen Dank, daß Sie so freundlich sind,
meine Frage zuzulassen.
Da Sie mich erwähnt haben, darf ich Ihrer Erinnerung
vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen.
In dem Gespräch zwischen der damaligen Koalition
und der SPD hat, wenn ich mich recht entsinne, Frau
Matthäus-Maier, die daran teilgenommen hat, gefragt:
Und wie ist es mit den 630-Mark-Verträgen? Darauf hat
Herr Schäuble gesagt: Da müssen Sie Herrn Solms fra-
gen.
– Ich bin ein wahrheitsliebender Mann; dabei kommen
die verschiedenen Nuancen zum Ausdruck.
Daraufhin habe ich gesagt: Mit der F.D.P. wird es eine
Änderung der 630-Mark-Verträge nicht geben.
Wären Sie so freundlich, mir zu bestätigen, daß es
genau so abgelaufen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
HerrSolms, ich bestätige das gerne. Es gab eine kleine Zwi-schennuance, weil dies getestet wurde. Das war das Er-gebnis; Sie haben recht.
Ich erinnere mich übrigens auch sehr lebhaft an das,was Herr Schäuble und Bundeskanzler Kohl damals zumThema 630-Mark-Verträge gesagt haben. Sie alle habennämlich gewußt, daß es so, wie es sich entwickelt hat,nicht mehr weitergehen konnte.
Meine Damen und Herren, neben dem Sparen, nebender Haushaltskonsolidierung, brauchen wir die Umset-zung struktureller Reformen, arbeitsmarktpolitischeBundesminister Hans Eichel
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2990 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Maßnahmen und die anstehende Steuerreform. Wirwollen mehr Wachstumspotentiale ausschöpfen; dennwir wollen uns aus dem Defizit nicht nur heraussparen,wir wollen herauswachsen. Das ist der richtige Weg.
Der Bundeshaushalt 1999 ist schon ein erster Schritt.Nun haben Sie dies, wie es üblich ist, unterschiedlichkommentiert. Man mag über einzelne Maßnahmen, überdie Verschiebung in eine Verpflichtungsermächtigunganderer Meinung sein. Die Tendenz aber stimmt: DerHaushalt ist ein erster Schritt zur Sanierung der Staatsfi-nanzen. Er trägt in Teilen, in den Teilen, die in dieserkurzen Zeit veränderbar waren, unverwechselbar unsereHandschrift.Die Nettoneuverschuldung wird gegenüber demHaushalt 1998, aber auch gegenüber dem Haushaltsent-wurf der vorigen Bundesregierung für 1999 zurückge-führt. Dabei setzt der Haushalt wichtige Impulse – imübrigen werden auch Veranschlagungen aufgenommen,Stichworte: Saarland, Rußland, die nicht enthalten wa-ren – für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Ich nen-ne das Sofortprogramm für Ausbildung und Arbeit für100 000 Jugendliche, das einen Erfolg aufweist: Die Ju-gendarbeitslosigkeit geht deutlich zurück. Das haben wirgewollt.
Ich nenne auch die Aufstockung der Mittel für die For-schung und den Hochschulbau,
das 100 000-Dächer-Programm für die Nutzung der So-larenergie und den Aufbau Ost, der auf hohem Niveaufortgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, schon diese Schwerpunkt-setzungen im Haushalt 1999 verdeutlichen, daß trotzengster Spielräume und der Begrenzung des Ausgaben-zuwachses unterhalb des Wachstums des Bruttosozial-produkts – andere Rechnungen stimmen nicht – eine an-dere Politik möglich ist.Dazu kommt, daß die für die volkswirtschaftlicheNachfrage wichtigen Investitionen trotz der Absenkungder Nettokreditaufnahme um 1,1 Milliarden auf 58,2Milliarden DM angehoben werden. Mit einem bereinig-ten Ausgabenzuwachs von 1,2 Prozent und einer Rück-führung der Nettoneuverschuldung um 2,9 MilliardenDM im Vergleich zu 1998 ist der Haushalt 1999 ein er-ster Schritt in eine konjunkturgerechte und strukturpoli-tisch sinnvolle Politik der nachhaltigen Haushaltskonso-lidierung.
Ich danke dem Haushaltsausschuß – auch wenn esdas eine oder andere Problem gegeben haben mag – fürdie erfolgreiche Arbeit und würde mich freuen, wenndieser Geist verstärkt die Beratungen in den Jahren 2000und folgende bestimmen würde. Denn wir werden großeund schwierige Aufgaben zu lösen haben.Herr Merz, es ist ein bißchen einfach, der Bundesre-gierung die jetzige Situation in die Schuhe schieben zuwollen. Denn dann müßten Sie das auch im Hinblick aufdie neuen Wachstumserwartungen tun. Die For-schungsinstitute hegen in ihrem Frühjahrsgutachten diebegründete Hoffnung – das ist weltweit, zum Beispielauch beim IWF, der Fall – auf baldige Rückkehr zueinem nachhaltigen Wachstumspfad. Ich sage übrigensganz deutlich – und das gilt nicht nur für Deutschland –:Diese Prognose ist noch nicht ganz gesichert.Das Wirtschaftswachstum ist aber gegenwärtig zugering, um die Arbeitslosigkeit deutlich zurückzuführenund die dramatische Lage der Staatsfinanzen zu verbes-sern. Das Wachstum wird 1999 unter den Erwartungenvom Jahresanfang liegen. Das ist richtig. Die Instituterechnen mit real 1,7 Prozent, wir – etwas vorsichtiger –mit gut 1 1/2 Prozent. Allerdings rechnen sie alle miteiner Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklungin der zweiten Jahreshälfte. Sie prognostizieren, wie Siewissen, bereits für das nächste Jahr ein Wachstum von2,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund, Herr Merz, sindder Ausdruck „dramatischer Abbruch“ und die Schuld-zuweisung an die jetzige Bundesregierung unangemes-sen. Denn dann ist – wenn man so argumentieren will –auch die Beschleunigung des Wachstums ein Ergebnisder Arbeit der Bundesregierung.
Mit der Sanierung der Staatsfinanzen und einer stabi-litäts- und konjunkturgerechten Finanzpolitik in dennächsten Jahren wollen wir die positive Konjunkturent-wicklung verstärken, das Wachstum steigern, die Ar-beitslosigkeit senken und so auch die Staatsfinanzenwieder auf eine solide und dauerhaft tragfähige Grund-lage stellen.Haushalt und Steuern sind nicht unabhängig von-einander. Nun greife ich noch einmal auf, was ich vorhinschon kurz angesprochen habe: Es war das große Ver-säumnis der früheren Regierung – so sehe ich es; das istkeine Polemik, sondern eine Wertung, die Sie nicht tei-len müssen –, diesen Zusammenhang auch im Rahmender Steuerreform nicht gesehen zu haben. Insellösungenfür die Haushalts- oder die Steuerseite greifen immer zukurz.
Wir wollen im Sommer ein aufeinander abgestimmtesGesamtpaket schnüren. In zwei Wochen haben wir eineneue Steuerschätzung vorliegen. Die zusätzliche Fort-schreibung der konjunkturellen Entwicklung erlaubt unsim Sommer eine genauere Haushaltsplanung. Zu diesemGesamtpaket gehören der Haushalt 2000 und die mittel-fristige Finanzplanung sowie die Neuregelung der Un-ternehmensbesteuerung, der Familienbesteuerung unddie Fortführung der ökologischen Steuerreform.Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen – denndies wäre wirklich zu früh –, will ich feststellen: Es gibtBundesminister Hans Eichel
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überhaupt kein Problem in der Koalition, zu einer sinn-vollen Unternehmensbesteuerung zu kommen. Es wirdauch keinen Zeitverzug geben. Es gibt das ganz andereProblem, daß die Kommission selber sagen könnte – ichlege größten Wert darauf, daß wir das dann ernst neh-men –, daß die Vorschläge, die sie hinsichtlich der Be-steuerung der Personengesellschaften macht, so kompli-ziert in der Umsetzung sind, daß es – wenn wir nicht se-henden Auges große Fehlerquellen in Kauf nehmenwollen – ausgeschlossen ist, dies zum 1. Januar 2000einzuführen. Ich sage nachdrücklich: Ich möchte, daßdie Solidität der Gesetzgebung vor der Schnelligkeitsteht. Es soll keinen Korrekturbedarf geben.
– Meine Damen und Herren, seien Sie vorsichtig: Wersich beim Thema 630-Mark-Verträge, nachdem die SPDauf diesen Mißstand immer wieder hingewiesen hatte,zehn Jahre lang nicht bewegt hat und das zu einem sogroßen Problem hat werden lassen,
der hat das geringste Recht, zu sagen, daß, wenn mansich eines so großen Problems annimmt, nicht auch ein-zelne Schwierigkeiten auftauchen können.
– Wenn Sie mich noch einmal reizen, sage ich Ihnennoch etwas aus unseren gemeinsamen Verhandlungen.
Wir hätten – damit Sie auch wissen, wie das funktio-niert – die Mehrwertsteuererhöhung um den einen Punktim vergangenen Jahr nicht gebraucht, wenn die Schein-selbständigen und die Beschäftigten mit 630-DM-Verträgen in der Rentenversicherung gewesen wären.Das muß man sich einmal vor Augen führen.
Sie können sich anders entscheiden. Aber was Sie aufder Abgabenseite nicht tun – da haben Sie im vergange-nen Jahr auch nicht eingespart –, das müssen Sie dannauf der Steuerseite tun. Genau das ist es, wobei wir Ih-nen aus der Patsche geholfen haben. Das ist doch dieWirklichkeit.
Die Kommission hat zu den Personengesellschaftendrei Vorschläge gemacht, übrigens eine hochqualifi-zierte Kommission, die von meinem Vorgänger im Amteingesetzt worden ist. Ich finde es beispielhaft, Steuer-gesetzgebung so zu machen, daß wir die Wissenschaft,die anwendende Wirtschaft, die Sozialpartner und dieFinanzverwaltung zur Vorbereitung der Steuergesetzge-bung in einem Boot haben,
damit wir präzise wissen, was dann im einzelnen pas-siert. So stelle ich mir Steuergesetzgebung und ihreVorbereitung vor.
Die Kommission sagt, daß die drei Modelle, die siefür die Personengesellschaften vorgeschlagen hat, sokompliziert sind, daß ihre Mitglieder beim Gesetzge-bungsverfahren als Sachverständige dabeibleiben wollen– das ist das ausdrückliche Angebot, das ich unterstütze –,damit wir dann auch eine solide Gesetzgebung haben. Esgibt keine Chance, jedenfalls diesen Teil der Vorschläge– ich betone: diesen Teil – zum 1. Januar 2000 in Kraftzu setzen. Das ist der ganz einfache Hintergrund. Wirwerden das ohne jeden Zeitverzug, aber mit der gebote-nen Sorgfalt machen.
Bei der Familienbesteuerung gilt: Wir müssen eszum 1. Januar 2000 machen. Anderenfalls greift auto-matisch das, was das Bundesverfassungsgericht in seinUrteil für diesen Fall hineingeschrieben hat. Was immerwir im einzelnen dazu vorschlagen, es gibt da – wie Siewissen – gesellschaftliche Grundpositionen. Es wäremeiner Ansicht nach für diese Koalition schon ein The-ma, daß man die Kinder möglichst unabhängig vomEinkommen der Eltern für den Staat gleichgewichtigsein läßt.
Das ist steuerrechtlich allerdings ein Riesenproblem.Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung wird nichtsvorlegen, was nicht verfassungsfest ist. Man kann immerein Stück darüber streiten. Aber wir werden nichts vor-legen, was nicht verfassungsfest ist. Wir werden nichtsehenden Auges in ein verfassungsrechtliches Problemhineinlaufen.
Wir haben eine sehr schwierige Finanzlage und ange-sichts der großen Probleme einen steinigen Weg vor uns.Dabei sind wir auf die Mitarbeit aller gesellschaftlichenGruppen angewiesen. Ich sage dies übrigens auch mitder ausdrücklichen Bitte an dieses Haus. Ich sage diesnicht in der Absicht, polemisch zu werden. Aber zu derLage, die wir vorfinden, haben viele beigetragen. Es ha-ben viele dazu beigetragen, daß sie so ist, wie sie ist.Deswegen meine ich, daß alle Verantwortung tragen undmithelfen müssen, da herauszukommen.
Es geht jetzt darum, die drängendsten Probleme unse-res Landes zu lösen. Dafür werden alle ZugeständnisseBundesminister Hans Eichel
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2992 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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machen müssen. Nur so werden wir unser vorrangigeswirtschafts- und sozialpolitisches Ziel, den Abbau derArbeitslosigkeit, erreichen.Wir schaffen durch die Sanierung der StaatsfinanzenHandlungsraum für einen gestaltungsfähigen Staat. Wireröffnen der nächsten Generation die Möglichkeit, ihreLebensvorstellungen zu verwirklichen. Dazu müssen wirdie wirkliche Lage zur Kenntnis nehmen und jetzt dasNotwendige für die Haushaltssanierung tun, um in Zu-kunft wieder handlungsfähig zu sein. Dafür bitte ich umIhrer aller Unterstützung.Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich dem Abgeordneten Friedrich
Merz das Wort.
Frau Vizepräsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
finanzminister, Sie bekommen von uns natürlich keinen
Blumenstrauß. Aber ich möchte sagen, daß wir es aus-
drücklich begrüßen, welchen Stil und welche Form Sie
für Ihren ersten Beitrag zu den wichtigen finanzpoliti-
schen Themen gewählt haben.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich noch ein-
mal aufgreifen will, was Sie zum Thema der Mehrwert-
steuererhöhung gesagt haben. Ich fand es aufschluß-
reich, daß Sie den Zusammenhang hergestellt und gesagt
haben, daß die Regelungen in bezug auf die 630-Mark-
Beschäftigungsverhältnisse und die Scheinselbständig-
keit eine Mehrwertsteuererhöhung obsolet gemacht hät-
ten, wenn sie früher gekommen wären. Das heißt im
Klartext: Sie haben diese Regelungen vorgenommen,
um die Staatseinnahmen in einer Größenordnung von
etwa 15 bis 16 Milliarden DM zu erhöhen. Das ist ja
aufschlußreich, was Sie in diesem Zusammenhang ge-
sagt haben.
Damit die Tatsachen hinsichtlich der letzten Mehr-
wertsteuererhöhung, die stattgefunden hat, nicht völlig
aus dem Blickfeld geraten, will ich auf den Zusammen-
hang hinweisen, den es tatsächlich gab, als die Mehr-
wertsteuer am 1. April 1998 um 1 Prozentpunkt erhöht
worden ist. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist
das im Bundesrat auch mit der Stimme Hessens so be-
schlossen worden. Herr Eichel, diese Mehrwertsteuerer-
höhung stand ausdrücklich im Zusammenhang mit der
Rentenreform,
die am 1. Januar 1999 hätte in Kraft treten sollen.
Wenn Sie konsequent geblieben wären – ich sage Ih-
nen voraus, daß das für Sie eines der schwierigsten
Themen werden wird; Sie werden wieder zu dem Punkt
zurückkehren müssen, an dem wir längst waren; der
Bundeskanzler nickt,
in völlig anderem Zusammenhang –, dann hätten Sie mit
der Mehrheit, die Sie seit dem 27. September haben,
nicht nur die Rentenreform zum 1. Januar 1999 ausset-
zen müssen, sondern hätten auch die Mehrwertsteuerer-
höhung rückgängig machen müssen.
Das war der Zusammenhang, den es mit der Mehrwert-
steuererhöhung zum 1.April 1998 gegeben hat. Sie ist
wesentlich früher in Kraft getreten, als das für die Ren-
tenreform vorgesehen war. Weil zwischen diesen beiden
Terminen die Wahlen lagen, haben Sie die Chance be-
kommen, die Rentenreform nicht umzusetzen, so daß es
bei der Mehrwertsteuererhöhung geblieben ist. Deswe-
gen sage ich voraus: Die Probleme, die Sie an dieser
Stelle bekommen werden – Sie haben vielleicht eben
selbst gemerkt, wie begrenzt die Zustimmung in der
SPD-Bundestagsfraktion war,
als Sie zum Thema Subventionsabbau und anderem ge-
sprochen haben –, können Sie nicht noch einmal mit ei-
ner Mehrwertsteuererhöhung lösen. Auf diesem Weg
werden wir Ihnen nicht folgen.
Zur Antwort
der Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
HerrKollege Merz, es hat von Ihrer Seite zu keiner Zeit denHinweis dahin gehend gegeben, daß Sie zum 1. Januar1999 – das hätte es ja sein müssen – die Mehrwertsteu-ererhöhung um einen Punkt zurücknehmen wollten.
Darauf weise ich nur hin. Sie hatten ein Loch in derRentenkasse. Sie wollten einer Erhöhung der Rentenver-sicherungsbeiträge – das haben wir verstanden, weilauch wir eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkostennicht wollten – entgehen.
Sie hätten das in der Koalition durch einseitige Erhö-hung einer Bundessteuer regeln können. Das haben Siein der Koalition nicht hinbekommen. Deswegen wolltenSie die Mehrwertsteuer erhöhen, und dazu brauchten SieBundesminister Hans Eichel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 2993
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– das war Ihre Bitte – die Zustimmung des Bundesrates.Die haben wir gegeben.
Ich schließe
damit die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Ab-
stimmungen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den
Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Wer
stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-
plan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen*)
gegen die Stimmen aller Oppositionsfraktionen ange-
nommen worden.
Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschußfas-
sung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch der
Einzelplan 32 ist angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen*) gegen die Stimmen der Op-
position.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Eingliederung
der Schulden von Sondervermögen in die Bundesschuld,
Drucksachen 14/513, 14/683 und 14/848. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen worden mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P.; die PDS hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung angenommen worden
mit dem eben festgehaltenen Stimmenverhältnis.
Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine
Finanzverwaltung, in der Ausschußfassung. Es liegen
fünf Änderungsanträge vor, über die wir zunächst ab-
stimmen müssen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
der CDU/CSU auf Drucksache 14/887? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
abgelehnt worden mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/892? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses mit Ausnahme der
PDS, die zugestimmt hat.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/893? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt
worden mit den Stimmen des Hauses mit Ausnahme der
PDS, die zugestimmt hat.
––––––––––––
*) Anlage 3
Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P. auf
Drucksache 14/908? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt wor-
den mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P. auf
Drucksache 14/910? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS.
Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschuß-
fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ein-
zelplan 60 ist angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen*) gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrech-
nungshof, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 20
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen
worden.*)
Wir sind mit den Abstimmungen durch. Interfraktio-
nell ist vereinbart, die Sitzung jetzt für etwa eine Stunde
zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird
rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist damit unterbrochen.
Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die unter-brochene Sitzung ist wieder eröffnet.Nach der Abstimmung über den Einzelplan 20 darfich noch mitteilen, daß Frau Sylvia Voß vom Bünd-nis 90/Die Grünen eine Erklärung zu Protokoll gegebenhat.*)Interfraktionell ist nunmehr vereinbart, die heutigeTagesordnung um den Zusatzpunkt 2Beratung des Antrages der Bundesregierungzur deutschen Beteiligung an der humanitärenHilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konfliktzu erweitern. Der Antrag auf Drucksache 14/912 sollohne Aussprache zur federführenden Beratung an denAuswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an denVerteidigungsausschuß, den Rechtsausschuß sowie anden Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie mitder Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? – Dasist der Fall. Sind Sie auch mit der Überweisung einver-standen? – Auch das ist der Fall. Dann ist das so be-schlossen.––––––––––––*) Anlage 3Bundesminister Hans Eichel
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2994 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Ich rufe nun auf: 8. Einzelplan 30Bundesministerium für Bildung und For-schung– Drucksachen 14/619, 14/622 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterSiegrun KlemmerMatthias BerningerDr. Günter RexrodtDr. Christa LuftNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Steffen Kampeter von der Fraktion derCDU/CSU.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweiteund dritte Lesung des Etats der Bundesministerin fürBildung und Forschung, rund ein halbes Jahr nachInamtsetzung dieser Bundesregierung, wird Anlaß ge-ben, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen, was sich imBereich Bildung und Forschung – manifest geworden indem Etat 1999 – getan hat.Wenn ich einmal Revue passieren lasse, was in denletzten Monaten, insbesondere in den Auseinanderset-zungen des Wahlkampfes, gesagt, versprochen, ange-kündigt und vorbereitet worden ist, dann müßte jetztdas neue Millennium für Bildung und Forschung inDeutschland erkennbar sein. Es müßten Jubelchöre derWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Bildungs-politikerinnen und Bildungspolitiker durch Deutschlandhallen. Denn gemessen an den Ankündigungen der Bun-desbildungs- und -forschungsministerin und der sie tra-genden Koalition müßte allein schon dieser Haushalt1999 ein großartiger Erfolg sein.
Ich glaube allerdings, wir müssen ernüchtert feststel-len, daß auch Edelgard Bulmahn in den ersten Monatenihrer Amtszeit Bildung und Forschung nicht neu ent-deckt hat, daß die groß angekündigten neuen Akzenteoftmals Fortsetzung von Bewährtem sind – das kritisie-ren wir keineswegs –, beispielsweise von den Akzenten,die der ehemalige Bundesforschungsminister JürgenRüttgers hier gesetzt hat.
Deswegen ist es auch schwierig, so richtig auf Sie ein-zuprügeln, Frau Bundesministerin. Denn warum sollenwir Sie nicht dafür loben, daß Sie unsere gute Politik inTeilen fortführen?
Sie haben ein Haus übernommen, daß Sie sogar in dieLage versetzte, wesentliche Teile der Abteilungsleiter-ebene zu übernehmen. Sie haben aber von Ihrem RechtGebrauch gemacht, parteipolitische Spezialisten heran-zuziehen. Es scheint jedoch, daß auch die innere Struk-tur des Bundesministeriums für Bildung und Forschungnicht Anlaß für irgendwelche Kritik war. Wir haben dasHaus anständig übergeben. Sie konnten auf gute Vorar-beit zurückgreifen und haben das in Teilen auch getan.Jetzt werden die freundlichen Worte aber schon we-niger; denn ich muß Sie an Ihrer eigenen Meßlatte mes-sen, Frau Bulmahn. Was ist eigentlich mit dem Haushalt1999, dem erkennbaren Aufbruch für Bildung und For-schung? Ist das nur Zukunftsmusik, oder haben Sieschon Fakten setzen können?Ein ganz wesentliches Wahlkampfversprechen vonIhnen war, die Ausgaben für Bildung und Forschung inden nächsten vier Jahren zu verdoppeln. Wenn man ge-nauer hingehört hat, konnte man aber verstehen, daß Siegesagt haben: Es geht nicht um die Ausgaben, die von15 Milliarden DM auf 30 Milliarden DM verdoppeltwerden sollen, sondern um die Investitionen in Bildungund Forschung. Das war die erste Abschwächung diesesWahlkampfversprechens.
Wenn man sich diesen Etat bzw. die Beratungen desHaushaltsausschusses anschaut, dann stellt man fest, daßvon einem Aufwuchs, Zuwachs oder Anstieg der Inve-stitionen zumindest im ersten Jahr überhaupt nichts zumerken ist. Sie haben Federn lassen müssen. Ihr Etat istgenauso gekürzt worden wie alle anderen Etats. Mit demMythos, daß die neue rotgrüne Koalition eine höhereSympathie für Bildung und Forschung als für Verteidi-gung oder Soziales hat, ist aufgeräumt worden. Der Etatist unter die magische Grenze von 15 Milliarden DMabgesackt. Die Verdoppelung der Investitionen in Bil-dung und Forschung ist keineswegs erkennbar.
Selbst wenn wir diese pathetische Verdoppelungsdis-kussion etwas beiseite schieben – die war wohl nur alsWahlkampfgetöse gedacht – –
– Wir haben noch vier Jahre Zeit, Herr Kollege Mölle-mann, sie jedes Jahr daran zu erinnern, mit dem Ta-schenrechner nachzurechnen und zu schauen: Hat FrauBulmahn das Parlament anständig informiert, oder hatsie versucht, es in die Irre zu führen? Das werden wirauch jedes Jahr machen.Jetzt will ich mich mit Ihrer Einbringungsrede aus-einandersetzen, Frau Bulmahn. Darin haben Sie ver-schiedene Schwerpunkte angesprochen. In der erstenLesung haben Sie gesagt: Der Anteil der Projektförde-rungen wird gesteigert. Ich stelle fest: In den Beratun-gen des Haushaltausschusses, der durch Ihre Koalitiongetragen wird, sind die Projektfördermittel ausschließ-Vizepräsident Rudolf Seiters
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 2995
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lich abgesenkt worden. Sie haben in den Haushaltsbe-ratungen also genau das Gegenteil von dem gemacht,was Sie angekündigt haben.
Sie haben angekündigt, daß Sie einen Schwerpunktauf das Bildungswesen legen wollen. Die größte Einzel-reduzierung, die in den Haushaltsberatungen vorge-nommen wurde, ist aber just in diesem Titel, nämlich beider Fortentwicklung des Bildungswesens, in Höhe von15 Millionen DM vorgenommen worden.
In Ihrer Einbringungsrede haben Sie – ich darf zitie-ren – einen überproportionalen Mittelaufwuchs bei derBiotechnologie angekündigt. Die Realität ist: 5 Millio-nen DM weniger bei der Biotechnologie durch die Be-schlüsse von Rotgrün im Haushaltsausschuß.
In den vergangenen Jahren gab es eine heilige Kuh –die haben Sie, das gebe ich zu, in Ihrer Haushaltsein-bringungsrede, glaube ich, nicht angespuckt –: Das war„Arbeit und Technik“. Das heißt heute etwas anders,nämlich Innovations- und Beschäftigungswelt oder soähnlich. Dafür haben Sie jedes Jahr vor dem Forum desDeutschen Bundestags mindestens 20 bis 30 Prozent zu-sätzlich angekündigt. Jetzt, da Sie in der Verantwortungstehen und diesen Titel kräftig erhöhen könnten, hat dieKoalition diesen Bereich um 15 Prozent – sprich: um9 Millionen DM – abgesenkt.
Edelgard Bulmahn hat in ihrer Einbringungsrede an-gekündigt: Wir steigern die Förderung von Projekten derInformationstechnologie. Im Haushaltsausschuß wurdendort 8 Millionen DM gekürzt.Wenn ich die Haushaltsberatungen mit der MeßlatteIhrer Einbringungsrede, Frau Minister, Revue passierenlasse, dann stelle ich fest, daß die von Ihnen genanntenSchwerpunkte offensichtlich die Gebrauchsanleitung fürdie Haushälterinnen und Haushälter der Koalition wa-ren, entsprechende Kürzungen in Ihrem Etat vorzuneh-men. Das spricht nicht sehr für Ihre politische Durchset-zungskraft, wenn ich das – zugegeben: wenig char-mant – einmal sagen darf.Ein weiterer Punkt, auf den ich hinweisen möchte,ist die Grundkonzeption, die Sie in der Öffentlichkeitvertreten: daß sich die Neuausrichtung der Bildungs-und Forschungspolitik an Beschäftigungsfragen orien-tieren muß. An dieser Beschäftigungsausrichtung ist imEinzelfall nichts zu kritisieren. Mit Blick auf die An-kündigung, zukünftig die Fokussierung auf die Pro-jektförderung vorzunehmen, weise ich darauf hin, daßwir uns hier im Hause – das meine ich durchaus ernst-haft und nicht vor parteipolitischem Hintergrund – imklaren darüber sein müssen, daß das von vielen, die imBereich der Grundlagenforschung tätig sind, als An-griff auf Ihre Forschungsbereiche mißverstanden wer-den könnte.Ich fände es gut und richtig, wenn Sie zur Klarstel-lung in den nächsten Jahren und bei der Aufstellung desHaushalts 2000 deutlich machen könnten, daß Ihr Ange-bot nicht dahin geht, die angewandte Forschung gegendie Grundlagenforschung auszuspielen, sondern daß Sieein Miteinander der soliden Grundlagenforschung undder Fokussierung auf angewandte Forschungsbereicheschaffen wollen, wobei sicherlich auch das Beschäfti-gungsziel Berücksichtigung finden kann.
– Herr Kollege Tauss, Sie sollten gelegentlich einmaldie Stille entdecken und schweigsam einer Rede zuhö-ren. Das wird für Sie ein Glücksgefühl sein.
Das wäre sicherlich auch für viele Kolleginnen undKollegen Ihrer Fraktion eine neue existenz- und dimen-sionserweiternde Erfahrung.
Lassen Sie mich auf einen Punkt, der mir besondersam Herzen liegt, nämlich die Förderung der Raumfahrt,noch einige Bemerkungen verwenden. Das Kabinett hatin der vergangenen Woche einen Bericht zur Vorberei-tung auf die Ministerratskonferenz verabschiedet. ZweiBegriffe sind in der Medienberichterstattung besondershervorgehoben worden: Man wolle Exzellenz fördernund wirtschaftlichen Nutzen in den Mittelpunkt stellen.
– Die grünen Männchen auf den Mond zu schießen,Herr Kollege Möllemann, dürfen Sie nicht immer nurden Männern überlassen. Die Frau Ministerin legt wertauf die angemessene Beteiligung von weiblichem wis-senschaftlichen Personal. Darin unterstützt sie sicherlicheine breite Masse dieses Hauses.Den Begriff Exzellenz will ich aufgreifen. Ich denke,daß wir auch in der Vergangenheit in diesem Bereich einhohes Maß an Exzellenz hatten. Die Aufforderung desKabinettsberichts darf nicht so verstanden werden, alshätten wir im Bereich der Raumfahrtforschung wenigerexzellente Dinge gefördert. Darüber muß Konsens be-stehen.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die stärkereBetonung des wirtschaftlichen Nutzens, insbesondere imBereich der Grundlagenforschung, die wir im Raumfahrt-bereich in weiten Teilen haben, konzeptionell nicht ganzstimmig ist. Sie können die Weltraumforschung nicht aufden angewandten Bereich fokussieren. Wenn Sie darunterverstehen, daß es eine wirtschaftlichere Nutzung, alsomehr Raumfahrt für das gleiche Geld geben soll, habenSie unsere volle Unterstützung. Schließlich hat die Idee„design to cost“ Jürgen Rüttgers eingeführt. Wie jetzt amBeispiel Abrixas, dem Satelliten zur Erkundung derschwarzen Löcher, erkennbar ist, haben wir Kostenein-sparpotentiale von 1 : 10 realisieren müssen.Steffen Kampeter
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2996 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Ich will vor dem Hintergrund der Debatte der vergan-genen Sitzungswoche meine tiefe Sorge zum Ausdruckbringen – wir haben einen entsprechenden Antrag zumEinzelplan 30 gestellt –, daß hier die internationalenAktivitäten der Raumfahrtstation unterfinanziert sind.Ihre Ankündigung, hier zusätzlich 10 Millionen DM proJahr zu investieren, hielt ich erst für einen Witz unddachte, Sie hätten eine Null vergessen. Das wäre näm-lich der erforderliche Betrag gewesen, um die Unterfi-nanzierung nach der von Ihnen vorgelegten Planungauszugleichen.Ich war hoffnungsfroh, nachdem BundeskanzlerSchröder bei der Rückkehr des Spacelab nach Bremengesagt hat, nun sei der falscheste Zeitpunkt, um in die-sem Bereich zu kürzen. Vielleicht habe ich Ihre politi-sche Durchsetzungskraft überschätzt respektive habe ichnoch an das Wort „Auf den Kanzler kommt es an“ ge-glaubt. Denn Tatsache ist, daß in den Haushaltsberatun-gen ein Antrag zur Erhöhung auf ein notwendiges Maßvon seiten der Koalition abgelehnt worden ist. Es ist hierkein erkennbares finanzielles und konzeptionelles Pro-gramm für die zukünftigen Aufgaben im internationalenRaumfahrtbereich erkennbar. Das wollen wir durch ei-nen entsprechenden Antrag deutlich machen.Insgesamt, glaube ich, ist dieser Einzelplan ein ent-täuschender Einstieg in Ihre Amtszeit. Sie werden nochviel Mühe haben, Ihre eigenen Versprechungen einzulö-sen. Deswegen können wir nach intensiver Beratung unddem Gang der Dinge diesem Etat nicht zustimmen.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Bereiche Bildung undForschung, lieber Kollege Kampeter, sind eigentlich zuwichtig, um sie zum Teil wie in einer Kabarettnummerzu behandeln,
wobei Sie hier auch noch falsche Zahlen vorgetragenhaben.
Darum möchte ich gerne etliches berichtigen; das halteich für notwendig.Noch im Wahlkampf wurde unsere Schwerpunktset-zung auf Innovation und Gerechtigkeit von Ihnen, derdamaligen Regierungskoalition, mächtig diffamiert. DieAnkündigung in der Regierungserklärung, die Investi-tionen in diesem Bereich in den folgenden fünf Jahrenzu verdoppeln, sollte nach Ihren Plänen dazu dienen, dieneue Regierung sozusagen am eigenen Zahlenwerk zuwiderlegen. Wir merken mit diesem vorgelegten Einzel-plan 30: Das ist nicht gelungen.
Dieser Einzelplan ist nach den Beschlüssen desHaushaltsausschusses mit 14,93 Milliarden DM im Pla-fond um 833 Millionen DM höher als der des Vorjahres,
wenn man ihn seriös um die neue Zuständigkeitsabgren-zung zum Bundesministerium für Wirtschaft bereinigt
und damit die Grundlage für die Vergleichbarkeit derAnsätze schafft. Das bedeutet einen realen Aufwuchsum 5,9 Prozent. Damit spiegelt sich ganz deutlich diePrioritätensetzung der rotgrünen Bundesregierung imVergleich mit dem Gesamtetat und den anderen wichti-gen Einzelplänen in einer deutlich überproportionalenAusgabensteigerung wider.
Dem Kollegen Rexrodt, der leider jetzt nicht hier ist,und auch Ihnen, Kollege Kampeter, möchte ich gernesagen, daß daran auch die Tatsache nichts zu ändernvermag, daß während des Beratungsverfahrens alle Ein-zelpläne zur Deckung des ererbten strukturellen Haus-haltsdefizits pauschal 0,5 Prozent ihrer Plafonds einspa-ren mußten.
Das erklärt, warum der heutige Ansatz um zirka 70 Mil-lionen DM unter dem des Regierungsentwurfs liegt.Man mag und man muß diese Minderausgabe natürlichbedauern. Wer jedoch versucht, aus dem Nebeneinandervon Aufwuchs und Einsparung Unlauterkeit zu kon-struieren, muß sich daran erinnern lassen, über welcheZahlen wir hier reden.Wir wissen auch: Ausgabenzuwächse allein begrün-den keine gute und auch keine erfolgreiche Politik. EinMehr kann sich sogar als kontraproduktiv erweisen,wenn es sich in Tateinheit mit einem blinden und gegendie Anfechtungen der Realität immunen „Weiter so“vollzieht.
Daher ist eine politische Prioritätensetzung unabdingbar,die auf einer Analyse der Gegenwart beruht.
– Ich bin gerade dabei, Herr Kollege. Hören Sie einmalaufmerksam zu!Die Signaturen der Gegenwart ändern sich rasant. Sieals noch jüngerer Mensch werden in Ihrem Leben davonwahrscheinlich stärker betroffen sein als ich. DieMenschheit verfügt über eine exponentiell wachsendeMenge an Wissen, das nicht mehr unmittelbar anmenschliche Träger gebunden ist. Dies ist die Grundlageheutiger Wertschöpfungsprozesse, aus denen diemenschliche Arbeit tendenziell verbannt wird. Es ergibtsich eine zunehmende Entkoppelung von Wertschöp-fung und Beschäftigung. Diese Situation wird begleitetSteffen Kampeter
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 2997
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und noch verstärkt von den Schockwellen der vielzitier-ten Globalisierung in Gestalt eines steigenden Qualifi-kations- und Innovationsdrucks innerhalb konkurrieren-der Volkswirtschaften.Intelligente Politik muß sich daran messen lassen, obund wie es ihr gelingt, gestalterisch im Interesse desmenschlichen Faktors in diese Regelkreise einzugreifen.
Ihre Antwort in der Vergangenheit war eindimensional:
Anpassung an den Abwertungswettlauf bei gleichzeiti-gem Engagement in einem ressourcenverschleißendenHochtechnologiewettbewerb. Unsere Politik unternimmtden Versuch, mehrdimensional zu handeln, und wirdvon einem Bündel von Leitmotiven bestimmt.
Wir wollen Forschung fördern, aber sie verstärkt an ih-rem Nutzen für den Menschen messen und ihre Ergeb-nisse natürlich auch auf Risiken prüfen.
Wachstum ist unter der Annahme steigender Produk-tivität für den Ausbau der Beschäftigung unabdingbar.Wachstum muß jedoch nachhaltig sein.
Es darf sich keinesfalls auf quantitative Zuwächse beipositionellen Gütern konzentrieren. Blockaden desStrukturwandels müssen beseitigt werden. Schließlichund nicht zuletzt wollen wir Chancengleichheit zwi-schen den Geschlechtern schaffen und damit brachlie-gende Begabungsreserven aktivieren.
Ich bin sicher: Ein neuer, mit 7,5 Millionen DM ausge-statteter Titel wird dazu beitragen.
Als Haushälter stehen wir in der besonderen Verant-wortung, Kreativität und Eigenverantwortung durch denAbschied von starrer Kameralistik zu stärken. Dabei istein Anfang gemacht: Neue Flexibilisierungsinstrumenteeröffnen den Zuwendungsempfängern bislang nicht vor-handene Spielräume bei der Mittelbewirtschaftung, etwadurch Einführung der Budgetierung bei der Max-Planck-Gesellschaft. Die Projektförderung wird zu Lasten derinstitutionellen Förderung ausgebaut.Zu Recht erwartet unser Land von den deutschenUniversitäten Spitzenleistungen in Lehre und For-schung. Die Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbauswurde jedoch jahrelang unterfinanziert, und die Univer-sitäten wurden damit in einen massiven Modernisie-rungsrückstand getrieben.
In einem ersten Schritt wird die Aufstockung des Bun-desanteils um 200 Millionen DM auf 2 Milliarden DMdazu führen, daß überfällige Investitionen vor allem beiBau- und Sanierungsmaßnahmen noch in diesem Jahrbegonnen werden können.Zur Konsolidierung der Ausbildungsförderung ha-ben wir eine Anhebung der BAföG-Bedarfsätze um zweivom Hundert und der Freibeträge um sechs vom Hun-dert zum Herbst beschlossen.
Dadurch wird das Absinken der Gefördertenzahlen ge-stoppt, zu einer angemessenen Versorgung der Auszu-bildenden beigetragen und insgesamt sichergestellt, daßdas Bundesausbildungsförderungsgesetz seinem Zieleiner Offenhaltung des Bildungswesens für finanziellschwächere junge Menschen gerecht werden kann.
– Das sagen Sie einmal den BAföG-Beziehern, HerrKampeter.
Gegenüber 1998 werden die Mittel um 9,6 Prozent aufrund 1,62 Milliarden DM steigen.
Mit 205 Millionen DM wird ein neuer Titel ausge-stattet, der strukturelle Innovationen in Forschung undBildung voranbringen soll. Durch die Förderung von in-novativen Projekten sollen neue Impulse gegeben wer-den, um vor dem Hintergrund der internationalen Kon-kurrenz Infrastruktur und Organisation der Forschungs-und Bildungssysteme weiterzuentwickeln. Dabei wirdetwa die Hälfte des Mittelansatzes dazu verwandt, umbei den Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaftund anderen Forschungseinrichtungen im Wettbewerbstrategisch wichtige Forschungsvorhaben zu ermittelnund gezielt zu fördern.
Siegrun Klemmer
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2998 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Ein Sofortprogramm zur Förderung innovativer re-gionaler Netzwerke in den neuen Bundesländern greiftdie dort leider noch immer bestehenden Defizite bei derVernetzung von öffentlichen und privaten Bildungs- undForschungseinrichtungen auf und zielt auf deren Über-windung durch ein Innovationsnetzwerk ab. Durch dieüblichen Maßnahmen der Regionalförderung ist diesesBestreben bislang nicht abgedeckt. Das Programm ist inder Anlaufphase, in der zunächst die Regionen höchsterinnovativer Potentiale in einem Qualifizierungswettbe-werb ermittelt werden, mit 5 Millionen DM dotiert.Der Etat des BMBF für das Jahr 1999 berücksichtigtund verstetigt die eingegangenen Verpflichtungen aufdem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit. Dasgilt entgegen der von Ihnen und etlichen Lobbyistenlosgetretenen Kampagne auch für die Weltraumfor-schung und für die Weltraumtechnik.
Auch wenn wir die in den letzten Jahren erkennbareSchwerpunktsetzung auf die bemannte Raumfahrt fürfalsch halten, werden wir eingegangene Verpflichtungenim Zusammenhang mit dem Bau der internationalenRaumstation ohne Wenn und Aber erfüllen. Dafür ste-hen Beiträge bzw. Leistungen an die Europäische Welt-raumorganisation in Höhe von fast 1 Milliarde DM zurVerfügung. Auch die Mittel für das nationale Welt-raumprogramm sowie das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt werden entgegen anderslautenden Be-hauptungen fortgeschrieben.Richtig ist, daß die Bindung eines hohen Anteils die-ser Gelder für laufende Projekte den Einstieg in neueVorhaben natürlich vorerst nicht ermöglichen wird. Wirhalten jedoch an unserer Auffassung fest, daß die Wirt-schaft eine größere Verantwortung bei der Finanzierungder Programme übernehmen und sich in Zukunft auchan den Risiken stärker beteiligen muß.
Die hochgradige Subvention von Prestigeobjekten mitnur beschränkter Relevanz für irdische Probleme kannnicht das Modell der Zukunft sein.Meine Damen und Herren, unser Land verfolgt mitgroßer Sorge die Entwicklungen im Kosovo. Das bishe-rige Scheitern der diplomatischen Friedensbemühungenund der Griff zu militärischer Gewalt als Ultima ratiomacht deutlich, wie dringlich die Entwicklung einer Al-ternative, nämlich ziviler Konfliktlösungsstrategien und-mechanismen, ist. Wir haben daher in der Bereini-gungssitzung des Haushaltsausschusses vorgeschlagenund beschlossen, für Friedens- und Konfliktforschungzusätzliche 1,2 Millionen DM in den Einzelplan einzu-stellen. Damit haben wir den bisherigen Ansatz mehr alsverdoppelt.
Dieser Haushalt berücksichtigt die zentralen Themenund Forschungsfelder der näheren Zukunft. Er ist ge-gründet auf eine zutreffende Analyse der Aufgaben, vordenen Wirtschaft und Gesellschaft stehen, und zeigt: Dierotgrüne Bundesregierung überwindet mit ihrem erstenEtatentwurf die inhaltliche Stagnation und den finan-ziellen Niedergang dieses Geschäftsbereichs in der Ver-gangenheit.
– Das ist die Realität, die Sie mitzuverantworten und dieSie miterlebt haben, Herr Kollege Kampeter. – Damalswurde das Label „Zukunft“ auf einen lahmen Gaul ge-klebt. Wir hingegen werden die Zukunft auch mit die-sem Einzelplan gestalten. Dieser Einzelplan setzt aus-gewogene und richtige Prioritäten. Daher bitte ich Sie,ihm zuzustimmen.Danke schön.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat die Kollegin Cornelia Pieper.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. ist der Auffas-sung: Der große Wurf ist der Bundesregierung mit demvorliegenden Haushalt 1999 nicht gelungen.
Die Erhöhung des Bildungs- und Forschungshaus-halts ist der so oft zitierte Tropfen auf den heißen Stein.Die erwähnte Steigerung von 5,9 Prozent im Vergleichzum Haushalt 1998 erweist sich beim näheren Hinsehennur als Mogelpackung.
Schon der von der alten Bundesregierung vorgelegteHaushalt hat einen tatsächlichen Zuwachs von 3,3 Pro-zent ausgewiesen.
Ich verkenne natürlich nicht, daß es bestehende Haus-haltszwänge gibt, denen auch Sie in der Regierung un-terliegen. Ich weiß: Der Beschluß des Bundesverfas-sungsgerichts zum Familienlastenausgleich und erhöhteAusgaben im Verteidigungshaushalt im Rahmen unsererBündnisverpflichtungen zeigen Wirkung.Trotzdem möchte ich Sie daran erinnern, was derBundeskanzler in seiner Regierungserklärung nach sei-nem Amtsantritt gesagt hat.
Außerdem möchte ich auch Sie, Frau Bulmahn, daranerinnern, mit welchen vollmundigen Ankündigungen Sieangetreten sind. Von Verdoppelung der Ausgaben fürBildung und Forschung war – wie hier schon gesagtwurde – die Rede.
Siegrun Klemmer
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Bildung und Forschung sollten in Deutschland wiederPriorität haben. Heute, wo Sie die Chance des Gestaltenshaben, versuchen Sie sich mit der Neudefinition Ihresselbst gesteckten Zieles.
Jetzt sind es nur noch Zukunftsinvestitionen, die ver-doppelt werden sollen. Welche das sind, diese Antwortbleiben Sie dem Parlament schuldig.Solange ich mir Ihre Zahlen auch anschaue: Ich stellefest, daß kein einziger Titel verdoppelt worden, daß keineinziges sichtbares Signal in diese Richtung gesetztworden ist. Ich spreche hier von einem Trend, voneinem Prinzip, das Sie angesichts Ihrer Versprechungenin der Wahlkampfzeit hätten verfolgen müssen, undnicht nur von reinen Zahlen.
Sie wollten nicht alles anders machen, aber vielesbesser. Doch wenn wir uns die Steigerungen bei derMax-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsge-sellschaft, der Fraunhofer Gesellschaft und der Blaue-Liste-Institute anschauen: Steigerungen über die bereitsbeschlossenen hinaus bleiben aus. Das aber wären echteZukunftsinvestitionen; hier hätte etwas in die Zukunftinvestiert werden können. Diese Investition ist abernicht erfolgt.Über die Zukunft von Bildung und Forschung läßtsich weder im Bund noch in den Ländern mit dem Rot-stift entscheiden. Investitionen in die Bildung sind Zu-kunftsinvestitionen, insbesondere für die jungen Men-schen in diesem Land.
Ein modernes Bildungssystem verschafft den jungenMenschen nämlich die Eintrittskarte in den Arbeits-markt. Aber ein modernes Bildungssystem ist vor allenDingen auch eine soziale Herausforderung des 21. Jahr-hunderts,
weil nicht die klassischen Industrien, sondern die mo-dernen Technologien, Kreativität und vor allem Grün-dergeist im Informationszeitalter über Wohlstand undsoziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft entscheidenwerden.Vor allem Gründergeist schafft Arbeitsplätze. AberSie, meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, fassen Beschlüsse, die diesen Gründergeist ver-nichten und den Gründern den Atem nehmen.
Seien es Ihre arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen,seien es Ihre bildungspolitischen Entscheidungen: Nir-gendwo wird der Gründergeist in diesem Land moti-viert. Das ist das Fatale an Ihrer Politik.Wir brauchen eine echte Bildungsoffensive und Prio-ritätensetzung bei der Forschungsförderung. Sie, FrauMinisterin, sprachen auf dem Bildungskongreß in Bonnselbst davon, daß diese Ziele nicht zum Nulltarif erreichtwerden können. Nur, zwischen Ihren Reden und Ihremtatsächlichen Handeln beim vorliegenden Haushalt lie-gen Welten.
Bio- und Gentechnologie sind Stiefkinder von Rot-grün. Würden Sie in diese Zukunftstechnologien tat-sächlich investieren und bürokratische Hürden abbauen,könnten wir mit einem enormen Zuwachspotential anArbeitsplätzen in Deutschland rechnen.Nehmen wir das Beispiel Raumfahrtforschung.Trotz dringend benötigter Mittel für die europäischeRaumfahrtforschung, die sich an der Schwelle zurKommerzialisierung befindet und die nachhaltige Wir-kungen auf die deutsche Wirtschaft und den Arbeits-markt erkennen läßt, versucht sich diese Bundesregie-rung aus der Verantwortung zu stehlen.
Kostensenkung statt Verdoppelung von Zukunftsinve-stitionen – das ist das Motto. Aber die Auftragsvergabeder ESA orientiert sich an der finanziellen Beteiligungder Mitgliedsländer. Die angemessene Beteiligung derdeutschen Wirtschaft ist nur durch eine deutliche Mittel-erhöhung erreichbar. Der Antrag der F.D.P.-Bundes-tagsfraktion, die Mittel für die Europäische Welt-raumorganisation auf rund 1 Milliarden DM zu erhöhen,wurde mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition imAusschuß vom Tisch gefegt.
Diese Investitionen hätten nicht nur große Wirkungenauf die gesamte Raumfahrt- und VerteidigungsforschungEuropas. Die Innovationsfähigkeit Deutschlands hängtvon der Förderung von Zukunftstechnologien ab.
Ob in die Forschung moderner Telekommunikations-oder Navigationssysteme investiert wird – beides sindInvestitionen in moderne Arbeitsplätze. Wer von unshätte sich denn vor zwei oder drei Jahren vorstellenkönnen, daß wir uns beim Autofahren mehr oder weni-ger von Navigationssystemen leiten lassen?
Ich glaube, solche praktischen Beispiele können IhreVernunft wecken, wenn es um dieses Thema geht.Frau Ministerin, Sie sind angetreten, um mehr Chan-cengleichheit im Bildungswesen durchzusetzen. Auchdas ist ein liberales Kredo. Ihrem Wahlkampfverspre-Cornelia Pieper
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chen, eine BAföG-Reform für die Studierenden umzu-setzen, sind Sie mit diesem Haushalt nicht gerecht ge-worden.
Sie haben lediglich eine Novellierung vorgelegt. Siebringt den Auszubildenden und Studierenden mit derzweiprozentigen Anhebung der Bedarfssätze und dersechsprozentigen Anhebung der Elternfreibeträge
lediglich einen notwendigen Inflationsausgleich für Ihreweder ökologische noch logische Steuerreform.
Auch hier sehe ich einen Betrug an den Auszubildendenund an ihren Eltern.
So vergrößern Sie die Zahl der Geförderten von heuterund 18,6 Prozent der rund 1,8 Millionen Studentennicht. Das Geld, das Sie den Studenten auf der einenSeite in die Tasche stecken, nehmen Sie ihnen aus deranderen Tasche wieder heraus.
Sie waren ja noch nicht einmal bereit, unserem An-trag auf Angleichung der Wohngeldbeträge zwischenOst und West zu folgen.
Der ostdeutsche Kommilitone muß sich nach IhrerSprachregelung auf eine Härtefallklausel für den Fallbeziehen, der für seinen westdeutschen Kommilitonenselbstverständlich ist. Das nenne ich nicht Chancen-gleichheit, sondern Diskriminierung ostdeutscher Stu-denten.
Zukunftsinvestitionen sind auch Hochschulbauför-derungen. Das hat die F.D.P. im Ausschuß verlangt. Indiesem Bereich hätten Sie eine Verdopplung vornehmenkönnen. Wir haben einen entsprechenden Antrag vorge-legt und vorgeschlagen, ein Bund-Länder-Hochschul-sonderprogramm in Höhe von 10 Milliarden DM für diegesamte Legislaturperiode zu starten. Das wären Ausga-ben in Höhe von 1,25 Milliarden DM pro Jahr gewesen.Das wäre eine Zukunftsinvestition gewesen. Aber auchdieser Antrag wurde von Ihnen abgelehnt.
Frau Kollegin, ich
muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben
schon überzogen.
Sehr verehrter Herr Präsi-
dent, ich komme zum Ende meiner Rede. – Und weil
das so ist, lehnt die F.D.P. den Haushalt für Bildung und
Forschung ab.
Ich gebe das Wortdem Kollegen Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grü-nen.
hätte sich nach dem bisherigen Verlauf dieser Debattesämtliche Prognosen schenken können. Die meisten indieser Runde hätten eine Tasse Kaffee trinken können;
denn es ist nichts furchtbar Überraschendes passiert.Uns von seiten der Koalitionsfraktionen war ziemlichklar, mit welcher Strategie Sie in diese Debatte hinein-gehen. Herr Rexrodt fing heute morgen damit an, die-sem Parlament zu erzählen, im Bildungsbereich seien –im Vergleich zum letzten Haushalt der vorherigen Bun-desregierung – insgesamt 71 Millionen DM gekürztworden. Tatsächlich haben wir annähernd 1 MilliardeDM mehr für Bildung bereitgestellt.
Man kann sich hinstellen und sagen: Das ist nicht ge-nug. Offen gestanden – Herr Eichel ist gerade nichtda; um so besser, dann können wir das unter uns bespre-chen –, es tut uns gar nicht weh, daß Sie von uns for-dern, noch mehr für Bildung zu tun. Die allgemeine fi-nanzpolitische Situation ist allen in diesem Hause be-kannt: Wir stehen in den nächsten Jahren vor einem er-heblichen Konsolidierungsdruck. Es steht außer Frage,daß in vielen Bereichen schmerzhafte Einschnitte nötigsind. In manchen Bereichen – immer dann, wenn Siesich besonders laut gegen irgend etwas wehren; das istIhr Recht als Opposition – sind solche Einschnitte be-reits gemacht worden.Unterm Strich haben wir als Koalition eines erreicht –etwas, was Ihnen nie gelungen ist –: Es ist uns gelungen,den Haushalt zu konsolidieren und neue Akzente zu set-zen.
Diese neuen Akzente wollen wir in den Bereichen Bil-dung, Forschung und Förderung neuer Technologienauch weiterhin setzen. Wir glauben, daß nur das Sinnmacht. Man kann nicht pauschal alles zurechtkürzen. Esist falsch, zu glauben, man könne, indem man pauschalspart, tatsächlich Zukunftsperspektiven schaffen. Wirsind nicht diejenigen, die das Sparen für die kommendenGenerationen mit einem Sparen bei den kommendenGenerationen verwechseln. Deshalb sind wir sehr frohdarüber, daß es uns gelungen ist, im Bildungsbereichdiese neuen Akzente zu setzen.Cornelia Pieper
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Trotzdem ist der Bildungsbereich im Haushaltsaus-schuß von den Konsolidierungsanstrengungen nicht aus-genommen worden.
Das halte ich für fair. Sie als Haushälter wissen sehr ge-nau – der Kollege Zwischenrufer weiß es erst recht –,daß man alle gleichermaßen treffen muß, wenn man imHaushaltsausschuß versucht, Akzente zu setzen, zu kür-zen, Gelder zu sparen und die Neuverschuldung zu sen-ken. Die Ministerin traf es ausgerechnet an ihrem Ge-burtstag.
Zu all den Ansätzen, die Sie angesprochen haben –bei denen wir den Regierungsansatz zurückgenommenhaben –, muß allerdings auch festgestellt werden, daßsie über den Ansätzen der alten Regierung liegen.
Ich bin der Meinung, daß es vor diesem Hintergrund Ihrgutes Recht ist, sich darüber zu beklagen und eher dar-auf zu setzen, weiterhin Schulden zu machen. Ich haltees aber für ausgewogen und vernünftig, im Bildungsbe-reich zehn Schritte voranzugehen und dann im Haus-haltsausschuß, so wie wir es bei allen Ressorts getan ha-ben, einen Schritt zurückzugehen.Wir haben im Haushaltsausschuß ja eine Reihe vonMinisterinnen und Ministern erlebt, und ich muß Ihnensagen: Die Gespräche mit der amtierenden Ministerinverliefen sehr kooperativ, weil sie weiß, daß sie nichtnur unter den Haushältern, sondern auch in den Fraktio-nen Rückhalt dafür hat, auch in Zukunft in ihrem Ver-antwortungsbereich Akzente zu setzen.
Es gibt eine Reihe von haushaltspolitischen Problemen,mit denen wir uns im Bildungsbereich in den nächstenJahren beschäftigen müssen.Ein wichtiger Punkt ist die Situation am Ausbil-dungsmarkt. Wir haben ein Programm aufgelegt, dasder Kollege Austermann als Mißbrauchsprogramm hin-gestellt hat, so nach dem Motto: 2 Milliarden DM wer-den zum Fenster hinausgeschmissen.
Ich bin der Meinung, daß das für die Arbeit der Oppo-sition sehr typisch ist. Man muß genau hinsehen: Nichtalles, was im Rahmen dieses Programmes geschieht,geschieht zu unserer Freude, nicht alles finden wir inOrdnung, aber im großen und ganzen konnten mit die-sen 2 Milliarden DM einer ganzen Reihe von Men-schen, die in den letzten Jahren überhaupt keine Chan-ce mehr hatten, auf dem Arbeitsmarkt eine Ausbildungzu erhalten, Angebote gemacht werden. Es handelt sichdabei um Größenordnungen, die es nicht rechtfertigen,so über das Programm zu reden, wie es heute morgenpassiert ist.
Dennoch – auch das muß hier gesagt werden – han-delt es sich hier um ein Dilemma, das auch Sie nochsehr gut aus der Zeit kennen, in der Sie Regierungsver-antwortung trugen: Ich halte es für keinen gangbarenWeg, daß der Staat in Vorleistung und letzten Endes inErsatzleistung für Ausbildungskosten tritt, die eigentlichdie Unternehmen tragen müßten. So hat es ja auch frü-her bestens funktioniert. Daher werden wir in dieser Le-gislaturperiode noch eine sehr ernste Diskussion darüberführen, wie das Ausbildungssystem in Zukunft finanziertwird. Ich hoffe, daß hier mehr Bewegung zu verzeich-nen sein wird, und appelliere in diesem Sinne an dasBündnis für Arbeit.
Ich glaube nicht, das uns nur deswegen, weil jetztRotgrün regiert, die Lage am Ausbildungsmarkt wenigerSorgen machen sollte. Vor dem Hintergrund ist es ange-bracht, auch in dieser Debatte zu sagen, daß eine wirkli-che Besserung im Ausbildungsbereich nur dann möglichist, wenn sich die Vertreter der Wirtschaft einerseits unddie Vertreter der Gewerkschaften andererseits bewegenund gemeinsam mit uns als Gesetzgeber Reformen inGang setzen, an deren Ende es mehr Ausbildungsplätzefür junge Leute in Betrieben gibt.
Ein zweiter Bereich wird ebenfalls in jeder Bildungs-debatte angesprochen, das ist die BAföG-Reform.
Das wiederholt sich immer; ich komme mir vor wiebeim Anschauen von Programmen eines Privatsenders,bei dem immer wieder die gleichen Filme ablaufen. Esist doch völlig klar, daß wir alle vor der Aufgabe stehen,eine vernünftige BAföG-Reform machen zu müssen.Wir hatten mehrere Debatten dieser Art. Im Haushalt2000 und vor allem im Haushalt 2001 ff. wird sich zei-gen, ob uns diese BAföG-Reform gelingt oder nicht. Mit„uns“ meine ich den Bund mit einem Anteil von 65 Pro-zent und die Länder mit einem von 35 Prozent. Mit„uns“ meine ich Länder wie Bayern, wo die CSU re-giert, und Länder, in denen die F.D.P. mitregiert; mit„uns“ meine ich natürlich auch die rotgrüne Bundesre-gierung. Wir können uns jetzt so lange, bis wir eine Ent-scheidung gefällt haben, gegenseitig erzählen, daß dieeinen es besser oder schlechter können. Das Ziel meinerFraktion ist, eine BAföG-Reform hinzubekommen, diemehr als lediglich eine Erhöhung in der Größenordnungder – so bewerteten – „Reparaturnovelle“ bringt, die sichin diesem Haushalt niederschlägt. Daß jetzt 21 000 jun-ge Leute mehr die Chance haben, BAföG zu bekommen,sollte man nicht völlig kleinreden. Da auch Sie dieserReform zugestimmt haben, wäre es angemessen, zu sa-Matthias Berninger
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gen, daß es durchaus ein Erfolg ist, diese „Reparaturno-velle“ in den ersten hundert Tagen auf den Weg ge-bracht zu haben.
Im Forschungsbereich haben wir neue Akzente setzenkönnen, auch deshalb, weil wir die Konkurrenz zwi-schen Wirtschafts- und Bildungsministerium beseitigthaben.
Es muß einmal gesagt werden, daß sich zwei Ressortsvier Jahre lang beharkt haben. Inzwischen haben die Be-reiche Wirtschaft, Technologie und Bildung die Aufga-ben gemeinsam untereinander aufgeteilt. Das funktio-niert sehr gut. Sie können es an diesem Haushalt able-sen.Wir fördern zum Beispiel die Forschung im Bereichregenerativer Energien und geben für ihre Marktein-führung weit mehr aus, als Sie je zu träumen gewagthätten. Das ist ein großer Erfolg der Umwelt- und Bil-dungspolitiker sowie der Koalitionsfraktionen insge-samt.Mit dem Programm „Inno-Regio“ haben wir einProgramm auf den Weg gebracht – es wird erstmalsdurch diesen Haushalt finanziert –, das in Ostdeutsch-land gemeinsame Forschung in den Hochschulen, in au-ßeruniversitären Forschungseinrichtungen und in Unter-nehmen, die zu diesem Zwecke gegründet werden, för-dert. All das sind Akzente, die Sie in Ihren Darstellun-gen vergessen haben. Ich halte das nicht für richtig, weiles sich um sehr gute und sehr positive Akzente handelt,auf die zumindest wir von seiten der Koalition sehr stolzsind.Bei den großen Forschungseinrichtungen haben wirnoch einen anderen Akzent gesetzt: Wenn Sie sich an-schauen, wie sich heute die Personalhaushalte in die-sen Einrichtungen darstellen, dann kommen Sie zu demSchluß, daß wir weit flexibler geworden sind, als dasfrüher der Fall war.
Ich glaube, daß die gesamte Personalstruktur in den For-schungseinrichtungen, aber auch an den Hochschulennoch weiter flexibilisiert werden muß und daß man dortmutige Reformen einleiten muß, damit in diesen Einrich-tungen eine andere Arbeitsatmosphäre herrscht und mitden entsprechenden Mitteln anders umgegangen wird.Diese Erfolge sind sozusagen in den Haushalt einge-stellt. So kann etwa die Max-Planck-Gesellschaft durch-aus mit anderen Anbietern im Forschungsbereich in derSchweiz um exzellente Wissenschaftler konkurrieren. Indiesem Bereich sind eine Menge Fesseln weggefallen.Diese Maßnahmen machen also viel Sinn. Mich würdefreuen, wenn es uns gelingt, solche Akzente in der Zu-kunft gemeinsam wieder stärker in den Vordergrund zustellen, wie das im Bildungsbereich sonst der Fall ist.Zum Schluß zu den Altlasten, die wir im Bereich derRaumfahrt übernommen haben.
– Herr Kollege Kampeter, darüber haben wir im Aus-schuß und auch schon im Plenum diskutiert. Sie könnenso lange darüber diskutieren, wie Sie wollen, Sie könnenvon der Bundesregierung so viele Taten verlangen, wieSie wollen:
Sie können nicht wegreden, daß durch die von Ihnen imBereich der bemannten Raumfahrt geschlossenen Ver-träge Festlegungen für die nächsten Jahre getroffen wur-den, die in anderen sehr innovativen Bereichen dieSpielräume eingeschränkt haben. Dennoch wollen wir,wie angekündigt, im Bereich der Raumfahrtforschung zuunserem Wort stehen und Akzente setzen. Wir werdendiese Akzente auch setzen.Nur: Die Altlast in diesem Bereich müssen wir – wiedie Altlast im Bereich des Hochschulbaus – überneh-men. In diesem Bereich haben Sie den Ländern überJahre hinweg eine Vorfinanzierung zugemutet, wodurchriesige Lasten angehäuft wurden. Bayern ist das Land,das am stärksten von dieser Maßnahme profitiert hat, dieuns in Zukunft sozusagen stranguliert. Ich bin sehr frohdarüber, daß eine Trendwende eingeleitet wurde, näm-lich daß wir hier und jetzt die Mittel für den Hochschul-bau erhöht haben. Jeder, der an einer Hochschule arbei-tet, weiß, daß das dringend nötig ist. Wir verschiebenalso die Lasten zukünftig nicht, sondern wir wollen neueAkzente für die Zukunft setzen, was mit diesem Haus-halt gelungen ist.Eigentlich müßten Sie zumindest diesem Einzelplanzustimmen, weil in diesem Haus niemand etwas gegendie Akzente, die darin gesetzt wurden, einwenden kann.Vielen Dank.
Für die PDS-
Fraktion spricht nun die Kollegin Maritta Böttcher.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich beteilige mich nicht an Zahlen-spielereien, denn 16 Jahre lassen sich nicht an einemTag korrigieren. Es gibt aber keinen Zweifel: Auchmanche Erhöhungen der Ausgaben für Bildung und For-schung im Einzelplan 30 sind an einigen Punkten derHaushaltskonsolidierung zum Opfer gefallen, aber leidernicht dort, wo wir eher sparen würden, etwa beim Bei-trag zur Europäischen Weltraumorganisation oder beiden unsinnigen Ausgaben für den Transrapid.Dafür gibt es eine nicht unbedeutende Kürzung beimTitel „Strukturelle Innovationen in Bildung und For-schung“. In diesen Bereich fallen beispielsweise Ent-Matthias Berninger
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wicklung und Einsatz neuer Medien im gesamten Bil-dungswesen. Dort würden wir lieber mehr als wenigerGeld einsetzen, insbesondere hinsichtlich der Förderungvon Medienkompetenz in der beruflichen Bildung und inder Weiterbildung.Auch die vom Bildungsministerium vorgeseheneSteigerung der Bundesförderung für angewandte For-schung an Fachhochschulen wurde von den Haushäl-tern rückgängig gemacht. Abgesehen davon, daß seitJahren nur wenige der Anträge für dieses Programm an-genommen werden, werden diese Mittel besonders vonFachhochschulen aus den neuen Bundesländern in An-spruch genommen und eben dort dringend gebraucht. Imübrigen besteht die Bedeutung dieses Programms nichtzuletzt darin, daß hier Kooperationen zwischen Fach-hochschulen und kleinen und mittleren Unternehmenentstehen, also zwischen den Schaltstellen für Techno-logietransfer und Innovation. Warum ausgerechnet dortgespart werden muß, während andererseits die Ent-wicklung von „Kompetenzkernen“ in den neuen Bun-desländern zum politischen Schwerpunkt erklärt wird,ist schlicht nicht nachvollziehbar.
Welche Art von Forschungsinvestitionen bleibeneigentlich übrig, wenn über größere Zeiträume ange-bahnte Kooperationsbeziehungen abrupt abgebrochenwerden müssen, weil alte Programme nicht weiterge-führt werden und neue noch nicht greifen, wie es dasSchicksal des Programms „Förderung der Forschungs-kooperation in der mittelständischen Wirtschaft“ zeigt?Das ist weder innovations- noch mittelstands- noch for-schungsfördernd.Hier bieten sich auch Parallelen zum planmäßigenAuslaufen des HSP III – angeblich „ohne personelleKonsequenzen“ – an. Das hieße: Die Integration derOst-Wissenschaftler und Ost-Wissenschaftlerinnen wäreerfolgreich abgeschlossen. Ich erinnere an die Diskus-sion um die Schließung der Akademie-Institute und dar-an, daß hier eine beispiellose Zerstörung von Wissen-schaftspotential stattgefunden hat und immer noch Men-schen auf die Einlösung der damals gegebenen Integra-tionszusage warten. Auch wenn das HSP III noch soplanmäßig ausläuft, werden wieder ostdeutsche Be-schäftigte, die schon mit dem WIP nicht integriert wor-den sind, zum wiederholten Male nicht integriert wordensein, weil es an den Hochschulen eben nicht genügendStellen gibt. In den meisten Fällen hat das nicht mit zu-wenig, sondern mit zuviel Qualifikation zu tun. DieseWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sichnicht mehr auf Qualifizierungsstellen bewerben, da sieentsprechende Qualifikationen bereits vor zehn Jahrenerworben haben, was durch mehrfache positive Evalua-tion bestätigt wurde. Die Bundesregierung wäre sichergut beraten, wenn sie über irgendeine Art der Fortfüh-rung des HSP III nachdenken würde, und zwar nicht nuraus sozialen Erwägungen, sondern vor allem wegen derErhaltung von Forschungs- und Wissenschaftspotentialin den neuen Bundesländern.
Wenn ich allerdings in den letzten Ergänzungenzum Haushalt lese, wie die Investitionszuschüsse fürdas Umweltforschungszentrum Leipzig/Halle nachunten korrigiert werden, verliere ich den Glauben andie „Chefsache Ost“ ebenso wie an rote und grüne Ak-zentsetzung in der Haushaltsplanung insgesamt. In denneuen Bundesländern geht es noch immer um diegrundsätzliche Konsolidierung von Forschungsein-richtungen, um eine institutionelle Grundförderung derForschungs-GmbHs, die aus ehemaligen wissenschaft-lich-technischen Zentren und Teilen des ausgeglieder-ten Forschungspersonals von Hochschulen entstandensind.Ein Punkt, bei dem ich Haushaltskürzungen vermisse,ist einer der größten Titel im Einzelplan 30: die ESA-Förderung. Selbst wenn die Mittel durch Verträge ge-bunden sind, an denen die neue Bundesregierung keineSchuld trägt, so muß es doch möglich sein, auch in die-sem Bereich jene zur Kasse zu bitten, die den größtenNutzen aus der Raumfahrtforschung ziehen. Warumsollen nicht die Telekommunikationsindustrie, die Rü-stungsindustrie, die Automobilindustrie und alle ande-ren, die beispielsweise ein gesteigertes Interesse anSatellitennutzung haben, den Bundeshaushalt durch ent-sprechende Beiträge zur Forschung entlasten?
Zum Schluß noch ein Vorschlag zum Sparen. Auchdas sehr verdienstvolle Sofortprogramm zum Abbau derJugendarbeitslosigkeit – das ist zweifellos anzuerken-nen –, mit dem inzwischen zumindest die Zahl der Alt-nachfrager im neuen Ausbildungsjahr reduziert wurde,muß nicht unbedingt aus dem Bundeshaushalt bezahltwerden. Mit Hilfe der Umlagefinanzierung könnte dasdie Wirtschaft allein.Haben Sie also Mut zu Veränderungen und ändernSie an dieser Stelle den Bundeshaushalt. Sonst könnenwir dem Einzelplan 30 nicht zustimmen.
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Dr. Gerhard Friedrich, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauKollegin Klemmer hat an die Punkte erinnert, für diesich die SPD nach ihrem Wahlprogramm in diesen vierJahren einsetzen will: erstens für Gerechtigkeit, zweitensfür Innovation.
– Seien Sie mal nicht so stolz darauf! Was Sie unter Ge-rechtigkeit verstehen, wissen wir inzwischen. BisWeihnachten haben Sie einige alte Besitzstände wieder-hergestellt. Sogar der „Spiegel“ schüttelt in dieser Wo-che darüber den Kopf, weil Ihr Finanzminister sagt, Siemüssen 30 Milliarden DM einsparen. Trotzdem habenSie vor Weihnachten wie ein Weihnachtsmann erst ein-Maritta Böttcher
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mal Geld ausgegeben. Es ist nicht klug, eine Wahlperi-ode mit solchen Ausgabenaktionen zu beginnen,
dann den ersten Finanzminister zu opfern – und derzweite sagt dann: Wir müssen 30 Milliarden DM einspa-ren.Dann haben Sie in Sachen Gerechtigkeit noch einpaar weitere Gesetze beschlossen. Das Blamable daranist, daß Sie selber – oft, bevor die Gesetze verabschiedetsind – nur noch darüber streiten, ob Sie sie nachbessernmüssen. So etwas ist uns wirklich nicht passiert.
Auch wir und unsere Gesetze sind kritisiert worden.Aber wir haben uns doch nicht, wie Sie es beim Steuer-entlastungsgesetz getan haben, schon bei der Verab-schiedung eines Gesetzes entschuldigt und gesagt:Freunde, einen wichtigen Teil reichen wir nach. – So er-bärmlich waren wir nicht.
Ich sage Ihnen noch einmal: Alte Besitzstände wieder-herzustellen ist nicht innovativ, sondern phantasielos.
Jetzt komme ich zum Thema Innovation: Ich habe Ih-re Ankündigung der Innovation immer anders verstan-den, als daß nur 1 Milliarde DM mehr für den jeweiligenForschungs- und Bildungsminister bzw. -ministerin zurVerfügung gestellt wird. 1 Milliarde DM mehr bedeutetdoch nicht die Modernisierung Deutschlands! KönnenSie mir einmal sagen, wo Sie einen Ansatz zeigen,Deutschland zu modernisieren? Es gibt nur einen Be-reich, in dem Sie wenigstens konzeptionell etwas Neuesmachen – ob es richtig ist, ist etwas anderes –, und zwarim Umweltbereich mit der Ökosteuer. Diese aber habenSie zu Recht, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit,durch viele Ermäßigungstatbestände und Erstattungsre-gelungen so durchlöchert, daß ich Ihnen als Umwelt-politiker sagen muß – der Kollege Müller wird dies ins-geheim bestätigen; wir haben lange genug darüber dis-kutiert und haben manchmal auch gemeinsame Über-zeugungen –: Zugunsten der Umwelt ist bei dieser erstenStufe der Ökosteuer überhaupt nichts herausgekommen.
Sie wissen auch nicht, wie es weitergehen soll. Es istschon erstaunlich, daß Sie jetzt erkannt haben, daß Sieauf europäischer Ebene irgendwie zu einem abge-stimmten Verhalten kommen müssen. Wir haben Ihnendies schon vor der Wahl gesagt.
Jetzt komme ich zur Innovation im engeren Sinn, zurForschungs- und Bildungspolitik: Frau Ministerin, ichwill Ihnen nicht wieder den Schrumpfprozeß hinsicht-lich Ihrer Ankündigungen vorwerfen. Dreimal pro De-batte reicht! Und dreimal ist dies schon geschehen; ichhabe mitgezählt. Ich möchte nur sagen: 1 Milliarde DM– das war die letzte Ankündigung – ist nicht herausge-kommen. Die Haushälter haben gekürzt, wie es unserefrüher auch immer getan haben. Die Probleme aber wa-ren schon bekannt, Herr Kollege Berninger.Ich bin wirklich gespannt, was im Juni passiert, wennSie den Haushalt für das Jahr 2000 beschließen. Derneue Bundesfinanzminister sagt doch, es gebe eine Lük-ke von 30 Milliarden DM.
Glauben Sie wirklich, daß er die Ausgaben erst um30 Milliarden DM kürzt und dann noch einmal um1 Milliarde DM, um diese in den Forschungsetat einzu-stellen? Da müßten Sie schon in die konsumtiven Aus-gaben gehen und in die Sozialgesetze einschneiden. Wirhaben schon einmal versucht, die Prioritäten richtig zusetzen. Damals aber sind Sie uns im Bundesrat in denRücken gefallen.
Sie haben die Kampagnen des Sozialabbaus losge-treten. Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Mut haben, wirk-lich umzuschichten, und dadurch diese 1 Milliarde DMfreimachen, werden wir Ihnen nicht in den Rücken fal-len. Wir werden Sie in diesem Fall unterstützen.
– Warten Sie einmal ab!Meine Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten.Ich wollte aufzeigen, in welchen Bereichen es Gemein-samkeiten gibt; das habe ich auch in der Vergangenheitimmer gemacht. Ich verkürze dies und erwähne etwas,was mich sehr überrascht hat. Ich habe in der letztenWoche eine Pressemitteilung gefunden, wonach sich dieBundesregierung für die Gentechnikforschung einset-zen will. Ich erkenne an, daß Sie die Haushaltsansätzedeutlich erhöht haben. Dies hat mich überrascht; da mußich Sie loben.
Was jetzt noch fehlt, ist, daß Sie mit dem fortfahren, waswir gemacht haben, nämlich mit der Deregulierung.
Es hat keinen Sinn, nur Geld reinzustecken, die Geneh-migungsverfahren aber nicht zu beschleunigen. Es hatauch keinen Sinn, Geld reinzustecken, gleichzeitig aberSeminare über die Risiken der Gentechnologie zu veran-stalten.
Dem Kollegen Berninger traue ich wirklich einigesan Verstand zu. Wenn aber die Ministerin sagt, manmüsse einmal rational darüber nachdenken, welcheChancen mit der grünen Gentechnologie verbundensind, dann habe ich zwar Respekt, bin aber schon ge-spannt, wie lange die Grünen dies mitmachen, HerrKollege Berninger. Habt Ihr denn seit der Vereidigunggrüner Minister schon dermaßen einen Kurswechselvollzogen? Lernt ihr so schnell, bloß weil ihr jetzt Mi-Dr. Gerhard Friedrich
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nister stellt? Das wäre schon beachtlich. Ich bin ge-spannt, ob Sie das durchstehen.Frau Ministerin, ich muß Ihnen wirklich sagen: Dashätten wir früher genauso formuliert. Das hat auch IhrVorgänger so formuliert. Dies müssen wir ausdrücklichanerkennen.
Es gibt natürlich einige Bereiche, in denen wir Mei-nungsverschiedenheiten haben. Ich wiederhole diesnicht noch einmal. Wir haben heute früh schon den Be-reich der Weltraumtechnik diskutiert. Ich bin wie dieKollegin der PDS der Meinung,
daß die Kürzung der Mittel für Fachhochschulen völligfalsch ist. Daß die Haushälter kürzen müssen, sehe ich jaein. Es gibt aber große Ansätze, von denen wir wissen,daß die Ministerin das Geld in dem halben Jahr über-haupt nicht ausgeben kann. Die bescheidenen Mittel fürdie Fachhochschulen hätten aber ausgegeben werdenkönnen. Da gibt es Differenzen.Weitere Differenzen gibt es – Frau Klemmer hat dasangedeutet; das will ich ausdrücklich bestätigen – imBereich der Großtechnologie. Für den Fall, daß Sie mitdem Begriff „Großtechnologie“ auch die Kernenergiegemeint haben, füge ich gleich hinzu: Ich als Zeitungsle-ser nehme erstaunt zur Kenntnis, daß der Bundeskanzlermeint, die Stromgewinnung aus der Kernenergie könnenoch 20 oder 30 Jahre so weitergehen wie bisher. Sogroß scheint das Risiko nicht zu sein. Ich weiß nicht, obich noch eine Lebenserwartung von 30 Jahren habe.Wenn die Kernenergie wirklich so ein Drama ist, wieich es in Untersuchungsausschüssen mitbekommen ha-be, und jetzt die Konsequenz des Bundeskanzlers ist,den Ausstieg aus der Kernenergie erst in 20 oder 30 Jah-ren zu realisieren, dann ist das ein erstaunlicher Wandel.Ich bin gespannt, wie lange Kollege Müller, der um-weltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, das mit sei-nem Bundeskanzler noch mitmacht.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Bildungs-politik sagen:
Wenn wir über Geld sprechen, dann geht es meistens umForschungsmittel, dann machen wir den Fehler, daß wirzuviel über Forschungspolitik sprechen. Die Bildungs-politik ist sehr wichtig. Die CDU hat dies auf ihremParteitag ausdrücklich bestätigt und eine grundlegendeBildungsreform gefordert. Wir in Bayern haben sogarschon wieder mit dem nächsten Schritt begonnen. Wirführen im Hauptschul- und im Realschulbereich eineReform durch. Die CDU regiert in den anderen Ländernnoch nicht so lange; sonst wäre sie schon weiter. Diemüssen das noch beschließen. Aber das wird sich än-dern. Da bin ich absolut sicher.
Meine Damen und Herren, es gibt viele Gründe, dieBildungsreform politisch in den Vordergrund zu stellen.Ich erinnere an ein Interview des Präsidenten der Hoch-schulrektorenkonferenz in der letzten Woche, in dem ergesagt hat, die Studenten würden immer schwächer undseien im Rahmen ihres Studiums immer häufiger über-fordert. Gemeint sind die Absolventen unserer Gymna-sien.In bezug auf die Auszubildenden diskutieren wir dar-über, wie wir das Ausbildungsplatzangebot am bestenerhöhen können. Seitens der Industrie- und Handels-kammer in Nürnberg wurde mir mitgeteilt, daß in Mit-telfranken 17 Prozent aller angebotenen Lehrstellennicht besetzt werden konnten.
– Ja, selbst in Bayern. Das muß dann in anderen Län-dern noch schlimmer sein. – 65 Prozent der von der In-dustrie- und Handelskammer befragten Unternehmensagten, sie hätten zwar Bewerber gehabt, aber sie hättendiese nicht für ausbildungsfähig gehalten. Ich könntediese Beispiele noch erweitern.Ich möchte also ausdrücklich unterstreichen, was dieCDU auf ihrem Parteitag beschlossen hat: Eine Bildungs-reform muß in den Vordergrund gestellt werden. – Mirwird jetzt signalisiert, daß ich meine Rede beenden muß.Ich will die Debatte nicht verlängern. Denn wir wollen janicht um 12 Uhr nachts namentlich abstimmen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum Abschluß derDebatte zu diesem Einzelplan gebe ich das Wort derBundesministerin für Bildung und Forschung, FrauEdelgard Bulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute überden letzten Bundeshaushalt,
der vor dem Übergang in das nächste Jahrtausend in Krafttreten soll. Es ist ein Bundeshaushalt, der in der Bildungs-und Forschungspolitik des Bundes einen Wendepunktmarkiert. Es ist ein Bundeshaushalt, der trotz bestehenderenger Finanzspielräume und einer reduzierten Neuver-schuldung Ernst macht mit der längst fälligen Kurskor-rektur, Ernst macht mit einem deutlichen Mittelanstieg fürBildung und Forschung, Ernst macht mit strukturellenVerbesserungen bei der Projektförderung und vor allemErnst macht mit innovativen Schwerpunkten, die eineneue Schubkraft bringen werden.
Dr. Gerhard Friedrich
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3006 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsaus-schuß stehen für das Jahr 1999 für Bildung und For-schung rund 14,93 Milliarden DM im Haushalt zur Ver-fügung. Das sind nach Adam Riese 833 Millionen DMmehr, als ursprünglich veranschlagt.
– Herr Kampeter, der alte Haushaltsansatz für 1998 be-trug – bereinigt – 14,097 Milliarden DM; der neue be-trägt 14,930 Milliarden DM. Das macht nach Adam Rie-se – da wir hier über Bildungspolitik sprechen, sollteman davon ausgehen, daß Parlamentarier rechnen kön-nen – 833 Millionen DM mehr aus.
Ich halte es wirklich nicht mehr für nachvollziehbar,wenn Sie angesichts dessen immer das Wort „Kürzung“in den Mund nehmen. 833 Millionen DM mehr sind eindeutliches Plus. Diese Kurskorrektur war dringendnotwendig; denn – das muß ich leider sagen – die alteBundesregierung hatte die Ausgaben für Bildung undForschung über Jahre hinweg wirklich systematisch her-untergefahren.
Der alte Bundeshaushalt für Bildung und Forschung wardurch die Politik der alten Bundesregierung inzwischenzur Bedeutungslosigkeit verkommen.
Diese Kurskorrektur war dringend notwendig, weilwir mit den Ausgaben für Bildung, Wissenschaft undForschung entscheidende Beiträge für mehr Innovatio-nen,
zur Bewältigung des Strukturwandels und damit auchzur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten. Deshalbwar es richtig und notwendig, daß wir die Prioritätenentsprechend gesetzt haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor gro-ßen Herausforderungen. Wir stehen vor einer noch im-mer zu hohen Arbeitslosigkeit, auch wenn es uns gelun-gen ist – zum Beispiel durch unser Sofortprogramm –,die Jugendarbeitslosigkeit zum erstenmal seit Jahrendeutlich zu senken.
Wir stehen vor einer zunehmenden internationalenVerflechtung und einem sich verschärfenden internatio-nalen Wettbewerb.
Wir stehen vor steigenden Mobilitätsanforderungen. Wirstehen vor wachsenden Umweltproblemen.
Diese Herausforderungen haben Sie nicht aufgegriffen.Sie haben sie nicht angepackt, sondern vor sich herge-schoben. Wir packen sie an, und zwar nicht nur durchunseren Haushalt, sondern auch durch ganz konkreteVorschläge für Strukturveränderungen, auf die ichgleich noch eingehen werde.
Bildung und Forschung müssen endlich wieder stär-ker als Dienstleistungen für Zukunftsgestaltung ver-standen werden. Diese Aufgabe müssen sie erfüllenkönnen.Zuviel ist in den letzten Jahren durch einen Abbauder Haushaltsmittel und durch mangelnde Gestaltungs-kraft in diesen Zukunftsfeldern versäumt worden.
Wir werden das Versäumte jetzt korrigieren. Das tun wirmit diesem Haushalt.
Fakten bleiben Fakten. Daher, liebe Kolleginnen undKollegen, bitte ich Sie, doch einfach einmal einen Blickin den Haushalt zu werfen; er liegt Ihnen allen vor.
Daß Lesen bildet, wissen wir. Ich kann auch nur drin-gend raten, das zu tun.Vorhin ist gesagt worden, wir würden in den Berei-chen Bildungswesen, Leitprojekte, Weiterentwicklungdes Bildungswesens nichts tun. Der Haushaltsansatzbeim Titel „Weiterentwicklung des Bildungswesens“wird um 55,8 Prozent gesteigert.
Eine solche Steigerung hätte ich mir in den letzten zwölfJahren gewünscht. Eine solche hat es leider – die Kolle-gen, die schon länger dabei sind, wissen das – nie gege-ben. Es gab noch nicht einmal eine geringe Steigerung.Wir hingegen steigern den Ansatz um 55,8 Prozent.
Das ist notwendig und richtig; denn ich teile die Auffas-sung derjenigen, die hier gesagt haben, daß eine guteBildung bzw. Ausbildung eine der wichtigsten Voraus-setzungen dafür ist, die Aufgaben, vor denen wir ge-meinsam stehen, auch erfüllen zu können.Aber ich stelle nicht nur mehr Geld zur Verfügung,sondern ich habe auch vorgeschlagen, ein Forum „Bil-Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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dung“ einzurichten, in dem Querschnittsfragen, wie dieQualitätssicherung in Bildung und Forschung, wie dieFragen des Einsatzes der neuen Medien in der Bildung,die eine sehr wichtige Rolle auch bei der Qualitätssiche-rung spielen, diskutiert werden sollten. Die Einrichtungdes Forums ist inzwischen beschlossen worden. Es wirdvor der Sommerpause die Arbeit aufnehmen. Auch dieKolleginnen und Kollegen aus den CDU-regierten Bun-desländern machen mit. Ich meine, das spricht für denVorschlag, den ich unterbreitet habe.Der Titel „Strukturelle Innovationen in Bildungund Forschung“ ist neu eingerichtet worden. Aus ihmkönnen zum Beispiel auch die Fachhochschulen Mittelerhalten. Ich persönlich halte es für besser, wenn wirTitel haben, um die sich alle bewerben können,
Hochschulen, Universitäten, Fachhochschulen und außer-universitäre Einrichtungen. Ich vertrete die Auffassung,daß Fachhochschulen mit ihren Anträgen durchaus mitAnträgen zum Beispiel aus Universitäten konkurrierenkönnen. Ich halte es für falsch, segmentierte Felder zuschaffen. Genau deshalb habe ich diese Umstrukturie-rung vorgenommen. Für die Fachhochschulen steht einTitel mit einem großen Mittelansatz zur Verfügung,
aus dem sie gefördert werden können. Das entscheiden-de Kriterium ist die Qualität der Projektanträge. Ich sageganz klar: Von diesem Kriterium werde und will ichnicht abweichen.
Wir wollen die Rahmenbedingungen in der beruf-lichen Bildung verbessern und die Berufsausbildungmodernisieren, um eine bestmögliche Ausbildung füralle zu ermöglichen. Auch hier haben wir die Haus-haltsmittel aufgestockt, damit wir in diesem wirklichwichtigen Bereich auch die Mittel haben, die wir benöti-gen, um zum Beispiel Modellversuche durchzuführen,um gute Ansätze verbreitern zu können, um das Bund-Länder-Programm 1999 für die Schaffung von Ausbil-dungsplätzen zu finanzieren, um Ausbildungsplatzent-wickler einsetzen zu können und um das Sofortpro-gramm und die guten Erkenntnisse, die wir daraus ge-wonnen haben, weiter verbreiten zu können. Auch hierhaben wir also einen ganz klaren Schwerpunkt gesetzt.Ich glaube, daß niemand in diesem Haus ernsthaft be-streiten wird, daß dies ein ganz wichtiges Politikfeld, einganz wichtiger Zukunftsbereich ist, den wir nicht ver-nachlässigen dürfen.
Die Hochschulen haben eine Schlüsselrolle für For-schung und Entwicklung in unserem Lande. Die chro-nisch überlasteten und teilweise sogar baufälligen Hoch-schulen, die Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-sition, uns hinterlassen haben, konnten diese Aufgabekaum noch erfüllen. Wir haben die Mittel für den Hoch-schulbau um rund 200 Millionen DM auf 2 MilliardenDM aufgestockt und ermöglichen damit endlich wiederdie dringend erforderlichen Investitionen in Gebäude undGeräte. Bröckelnder Putz und antiquierte Ausstattungpassen nicht zum Bild einer modernen, leistungsfähigenHochschule, die zudem international attraktiv sein soll.Deshalb war diese Haushaltsaufstockung wirklich über-fällig. Ich finde es schon merkwürdig, wenn jetzt von derOpposition gefordert wird, hier noch mehr zu tun, nach-dem sie selbst als Regierung jahrelang nichts getan unddiesen Titel eingefroren hat, obwohl alle Sachverständi-gen gesagt haben: Hier müssen wir etwas tun.
Fehlentwicklungen gibt es auch bei der Ausbildungs-förderung zu korrigieren. Dort wurde in den vergange-nen Jahren immer wieder zu Lasten der nachwachsendenGeneration gespart. Das haben wir nicht fortgeführt. Wirhaben den ersten Schritt getan und werden auch denzweiten Schritt tun, so wie wir es angekündigt haben:solide erarbeitet und dann auch funktionsfähig.HSP III: Frau Böttcher, es ist nicht richtig, daß dasHSP III einfach ausläuft. Es finden bereits jetzt Gesprä-che zwischen Bund und Ländern auf Staatssekretärsebe-ne statt, in denen wir zum Beispiel vereinbaren, wie dieFrauenförderung an den Hochschulen fortgeführt wer-den soll, wie die Förderung von Nachwuchswissen-schaftlern an den Hochschulen fortgeführt werden soll;denn dies sind Aufgaben, die Bund und Länder zusam-men erfüllen sollten und werden. Wir reden auch dar-über, wie wir den Ausbau der Fachhochschulen fortset-zen können. Diese Gespräche finden bereits jetzt statt.Einen ersten Schritt zu mehr Chancengleichheit ha-ben wir mit dem 20. BAföG-Änderungsgesetz getan. Ichhabe bereits gesagt, daß wir den zweiten Schritt folgenlassen. Meine Kollegen haben vorhin schon darauf hin-gewiesen, daß wir damit zirka 23 000 Studierende zu-sätzlich in die BAföG-Förderung hineinbekommen. Ichfinde, das ist keine kleine Zahl, die man praktisch ver-nachlässigen könnte. 23 000 Studierende mehr oder we-niger sind schon entscheidend.
Wir brauchen nicht nur mehr Geld – das habe ichschon immer vertreten –, sondern wir brauchen auchstrukturelle Reformen an unseren Hochschulen. MeinZiel ist es, Regelungen und Bürokratie abzubauen undden Hochschulen ein mögliches großes Maß an Auto-nomie einzuräumen. Wir brauchen insgesamt mehrSteuerung über Programme und über Budgetierung alsüber starre Stellenvorgaben. Dafür werden wir auch sor-gen. Wir reden nicht nur darüber, wir machen es.Im Mittelpunkt stehen auch die Reform des Dienst-rechtes sowie ein Wissenschaftstarifvertrag für diewissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anHochschulen und universitären Forschungseinrichtun-gen. Die Arbeiten sind gut vorangekommen, so daß wirEnde Mai die Expertengruppe einsetzen können. Ich bindabei, die Gespräche mit den Ländern zu führen. Ich binBundesministerin Edelgard Bulmahn
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3008 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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guten Mutes, daß es uns gelingt, noch in dieser Legisla-turperiode zu einem guten Beschluß, zu einer guten Re-form zu kommen und viele Menschen davon zu über-zeugen, daß dies der richtige Weg ist. Wir brauchen fle-xiblere und mehr leistungsorientierte Beschäftigungs-und Vergütungsstrukturen. Unsere Eckpunkte dazu sind,wie gesagt, bekannt. Wir werden dann, hoffe ich, inzwei Jahren hier sagen können: Das haben wir geschafft.
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchsesist ein weiteres Thema, das mir ganz besonders am Her-zen liegt. Frau Pieper, Sie haben vorhin darauf hingewie-sen, daß gerade die Förderung des wissenschaftlichenNachwuchses wichtig ist, wenn man den Anspruch, Inno-vationen zu fördern, ernst nimmt. Da stimme ich Ihnenzu. Sie haben aber leider nicht in den Haushaltsansatz ge-schaut. Denn wenn Sie das getan hätten, hätten Sie festge-stellt, daß gerade der Titel für die Förderung des wissen-schaftlichen Nachwuchses um 116 Prozent erhöht wird.
– Der Ansatz für die Postgraduiertenförderung – dasist die Förderung der Nachwuchswissenschaftler – er-höht sich um 116 Prozent. Während Sie Sonntagsredenhalten, handeln wir.
Dies ist einer Regierung angemessen. Wir reden nichtnur, wir haben die entsprechenden Entscheidungen ge-troffen.Nun komme ich zur Projektförderung. Mit insge-samt 3,8 Milliarden DM für die Projektförderung stehtjetzt mehr als ein Viertel meines Haushaltes für die För-derung von innovativen Projekten zur Verfügung. Dassind, Herr Kampeter, im übrigen – auch da bemühe ichwieder Adam Riese – 385 Millionen DM mehr als beimeinem Vorgänger.
– Herr Kampeter, Sie wissen, daß ich schon in der Ver-gangenheit die Haushaltsansätze sehr sorgfältig analy-siert und die Zahlen geprüft habe.
Das habe ich nicht aufgegeben, diese Methode werde ichauch weiterhin beibehalten.
Den dadurch gewonnenen Handlungsspielraum wer-den wir für strukturelle Verbesserungen nutzen. Mit demProgramm „Strukturelle Innovationen in Bildung undForschung“ gibt es neue Schubkraft für notwendigeInnovationen.
– Der Forschungsansatz beträgt 205 Millionen DM. Siewären – um dies einmal ganz klar zu sagen – vor Freudein die Luft gesprungen, wenn es Ihnen vor drei Jahrengelungen wäre, einen solchen Haushaltstitel hinzube-kommen.
Dieser Strategiefonds dient dazu, die internationaleWettbewerbsfähigkeit der Forschungseinrichtungen zuverbessern, die Zusammenarbeit zwischen den For-schungseinrichtungen zu vernetzen und die wirtschaft-liche Verwertung von Forschungsergebnissen deutlichzu erhöhen, zum Beispiel durch Ausgründungen. DieResonanz darauf ist hervorragend; sie übertrifft unsereErwartungen und zeigt gleichzeitig den Ideenreichtumunserer Forschungseinrichtungen – er mußte sozusagennur angereizt werden, um in Erscheinung zu treten –,ihre Bereitschaft und ihren Mut, sich dem Wettbewerbzu stellen. Das halte ich für den genau richtigen Ansatz,und das stimmt mich optimistisch.
Mit der Initiative „Inno-Regio“ – lassen Sie michdas noch nennen – geben wir dem Aufbau Ost neue Im-pulse; das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen.
Mit diesem Programm helfen wir den Regionen, sich mitmarktfähigen Produkten und Dienstleistungen ein zu-kunftsfähiges Profil zu geben. Damit schaffen wir zu-kunftsfähige Arbeitsplätze.Wir werden in der Projektförderung Kompetenzenauf neuen Technologiefeldern aufbauen. Die Informa-tions- und Kommunikationstechnologie wird deutlichgestärkt. Entsprechende Anwendungen im Bildungs-und Forschungsbereich, zum Beispiel durch eine Soft-wareinitiative in der Biotechnologie – Sie haben vorhindarauf hingewiesen –, belegen, daß wir hier einen klarenSchwerpunkt gesetzt haben. Wir haben die Mittel dafürum 10 Prozent erhöht und neue Initiativen wie „Bio-chance“ und „Bioprofile“ entwickelt.Noch einige Worte zur Weltraumpolitik. Für Welt-raumforschung und Weltraumtechnologie geben wir– das habe ich schon in einer vorangegangenen Debattezu diesem Thema gesagt – 1,6 Milliarden DM aus.
– Der Steuerzahler gibt es aus. Das entspricht 30 Prozentder Projektförderung. Diese Mittel werden zum Teil fürGrundlagenforschung eingesetzt, aber können in einemwesentlich stärkeren Maße auch Zwecken der wirt-schaftlichen Verwertung zugeführt werden. Ich sehe esüberhaupt nicht ein, warum man zum Beispiel die Nut-zung der Navigationssatelliten auf Dauer über Steuer-mittel finanzieren soll. Ich halte das für einen falschenBundesministerin Edelgard Bulmahn
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Ansatz. Ich bin sehr dafür, hier den Weg der Kommer-zialisierung zu gehen.
Ich halte das für richtig und werde daran festhalten.Gleiches gilt für die Nutzung der Telekommunikations-satelliten.
Wir werden in der Weltraumforschung das Prinzip „costto design“ durchsetzen und an den Zielen der wirt-schaftlichen Verwertung und wissenschaftlichen Exzel-lenz festhalten. Wir werden unseren Verpflichtungennachkommen. Aber wir brauchen angemessene Korrek-turen in diese Richtung, weil Forschung kein Selbst-zweck ist, sondern den Menschen nutzen und dienensoll. Dafür schafft dieser Haushalt eine gute, solideGrundlage.Vielen Dank.
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung,
in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen?
– Enthaltungen? – Der Einzelplan 30 ist mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Ich rufe auf:
9. Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– Drucksachen 14/616, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Antje Hermenau
Manfred Kolbe
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion der PDS
vor. Der Änderungsantrag der PDS auf Drucksache
14/901 wurde zurückgezogen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Manfred Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter HerrPräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!Großes hatte sich die rotgrüne Regierungskoalition inihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 fürden Politikbereich Familie, Senioren, Frauen und Jugendvorgenommen. Ich habe das heute nachmittag nocheinmal nachgelesen: Deutschland wollen wir wieder zueinem kinder- und familienfreundlichen Land machen.Alle Jugendlichen sollen einen Ausbildungsplatz erhal-ten. Die Förderung der Träger der Jugendhilfe soll kon-tinuierlich fortgesetzt werden. Das soziale, politischeund sportliche Engagement der älteren Generation sollverstärkt gefördert werden. – Frau Ministerin, das Para-dies auf Erden schien zu kommen.Wenn ich diese Ansprüche mit dem vergleiche, wasin den letzten sechs Monaten passiert ist, so muß ich lei-der sagen: Die Ergebnisse sind bescheiden. Sie werdenauch zunehmend Schwierigkeiten bekommen, den Ver-gleich mit den 16 Jahren erfolgreicher Familienpolitikder CDU-geführten Bundesregierung auszuhalten.
Haushalte sind in Zahlen gegossene Politik. Insoweitdokumentiert dieser Einzelplan 17 in aller Deutlichkeitden familienpolitischen Stillstand, teilweise sogar Rück-schritt.Es ist sicherlich kein Zufall, daß Bundesfinanzmi-nister Eichel justament bei Beginn der Beratung IhresEinzelplanes den Saal verlassen hat. Das verdeutlichtoffenbar den Stellenwert, der der Familienpolitik in derKoalition zukommt.
Bereits der Haushaltsentwurf der Regierung ist einRückschritt. Es gibt zwar eine formale Ausgabenstei-gerung von 186 Millionen DM, also 1,6 Prozent; aberdieser Mehraufwand beruht allein auf gesetzlich not-wendigen Ausgabensteigerungen und tatsächlichemMehrbedarf: 140 Millionen DM beim Erziehungsgeld,23 Millionen DM beim Unterhaltsvorschußgesetz,69 Millionen DM wegen der gestiegenen Anzahl derZivildienstleistenden. Sämtliche Ausgabensteigerungensind also nicht Ergebnis von Politik, sondern Ergebnisvon zwangsläufigen Entwicklungen. Von irgendwelchenneuen familienpolitischen Impulsen ist nichts zu spüren.
Im Gegenteil: Während Sie die Ausgaben für Ihr Mi-nisterium im Haushaltsentwurf der Regierung von58 Millionen DM auf 62 Millionen DM erhöht haben,haben Sie die Ausgaben für die Förderprogramme um18 Millionen DM reduziert, von 771 Millionen DM auf753 Millionen DM, und zwar durchgängig bei allenTitelgruppen: Titelgruppe 01 – Jugendpolitik – minus5,7 Millionen DM; Titelgruppe 02 – Hilfen für behin-derte Menschen – minus 2,3 Millionen DM; Titelgruppe03 – Maßnahmen für die ältere Generation – minus1,6 Millionen DM; Titelgruppe 05 – Familienpolitik –minus 0,4 Millionen DM, und das, nachdem Sie in derBundesministerin Edelgard Bulmahn
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3010 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Opposition jahrelang Erhöhungsanträge gestellt haben.Die haben Sie mittlerweile vergessen. Wir haben Sieteilweise daran erinnert; Sie haben sie aber abgelehnt.
Mehr Bürokratie und weniger Programme: Das waroffenbar das Motto des Regierungsentwurfs. Wir hatteneine gewisse Hoffnung, daß die Koalitionshaushälter dasim Haushaltsausschuß korrigieren und vielleicht deneinen oder anderen familien-, frauen- oder jugendpoliti-schen Impuls setzen würden.Weit gefehlt. Die Mittel für die Programme wurdennochmals um 2 Millionen DM reduziert. Die Zuschüssean die Wohlfahrts- und Vertriebenenverbände wurdenum 300 000 DM gekürzt. Die Mittel für die Selbsthilfewurden ebenso wie die für die Altenhilfe um 300 000DM gekürzt. Die Mittel für das Forschungs- und För-derprogramm „Kinder- und familienfreundliche Gesell-schaft“ wurden um 500 000 DM gekürzt. Bei keiner ein-zigen Haushaltsposition, Frau Ministerin, haben Sie einezusätzliche Mark durchsetzen können.
Wir bedauern das als Opposition; denn das ist für dieFamilien, die Jugend und die Alten in unserem Landnicht gut.
Um so üppiger – das kritisieren wir – sprießen diePlanstellen in Ihrem Ministerium.
Schon der Organisationsplan Ihres Hauses besitztSeltenheitswert. Sie haben dort pro Abteilung einenAbteilungsleiter und, ohne daß es Unterabteilungen gibt,zwei Unterabteilungsleiter. Daran schließen sich ganznormale Abteilungen an, die eigentlich eher die Größevon Unterabteilungen – fünf, sechs Referate – haben.Dafür haben Sie einen Kopf von einem Abteilungsleiterund zwei Unterabteilungsleitern.Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Sie sind neu inIhrem Amt, wir haben das deshalb diesmal nicht thema-tisiert. Wir werden das aber bei der nächsten Haushalts-beratung thematisieren. Auch der Organisationsplan Ih-res Hauses muß den allgemein üblichen Strukturen an-gepaßt sein.Keinen Sinn macht es, daß Sie sich sieben neue Plan-stellen im Leitungsbereich haben bewilligen lassen. Daswerden wir demächst aufgreifen. Es kann nicht dabeibleiben, daß wir dazu kommen, daß es mehr Bürokratieund weniger Programme gibt. Das Verhältnis muß wie-der umgekehrt werden.
Sie haben nicht nur finanziell Federn lassen müssen,wir vermissen auch Ihre politische Beteiligung an dengroßen familienpolitischen Themen, zum Beispiel an derzentralen Frage der derzeitigen Familienpolitik: Wiereagieren wir auf das Urteil des Bundesverfassungsge-richts vom 19. Januar 1999, und wie gestalten wir densteuerlichen Familienleistungsausgleich? Wir meinen,daß hier auch die Familienministerin ein Wort mitredensollte, und zwar zugunsten der Familien.
Das sollte man nicht allein dem Finanzminister, der na-türlich teilweise andere Interessen hat – das haben wirauch schon erlebt –, überlassen.Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, dieuns alle treffen – das räume ich freimütig ein; wir haben16 Jahre lang regiert –, verpflichten uns jetzt gemein-sam, Ehepaaren mit einem Kind einen Freibetrag vonrund 10 000 DM, ab dem zweiten Kind 8 000 DM usw.einzuräumen. Dieses Urteil müssen wir effektiv umset-zen.Im Augenblick favorisiert der Bundesfinanzministereinen Kindergrundfreibetrag, der nicht in den Tarif ein-gearbeitet werden soll. Er wird den Vorgaben des Bun-desverfassungsgerichts meines Erachtens nicht gerecht.Das heißt, Frau Ministerin, daß bei einer Familie mit vierKindern der Eingangssteuersatz bei knapp 40 Prozentliegt, weil Sie den Kindergrundfreibetrag nicht in denTarif einarbeiten. Das kann nicht richtig sein.Wir hätten dann folgende paradoxe Situation, daß50 000 DM zu versteuerndes Einkommen eines ledigenJunggesellen proportional besteuert werden, beginnendmit dem wesentlich niedrigeren Eingangssteuersatz, daßaber 50 000 DM zu versteuerndes Einkommen einervierköpfigen Familie mit 40 Prozent steigend bis zumSpitzensteuersatz besteuert werden. Das kann nichtrichtig sein, das kann eigentlich nur verfassungswidrigsein. Wir fordern Sie auf, eine verfassungskonforme Lö-sung vorzulegen, die dem Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts Rechnung trägt.
Neue Impulse in der Familienpolitik kommen im we-sentlichen von der Union.
– Die Frau Ministerin wird noch reden. Ich bin auf ihreRede gespannt. – Ich erwähne nur noch einmal das säch-sische Modell eines Erziehungs- und Familienentgelts,über das es sich zu diskutieren lohnen würde.
Deshalb haben wir heute auch den Antrag gestellt, dieMittel für die Bundesstiftung „Mutter und Kind – Schutzdes ungeborenen Lebens“ zu erhöhen. Diese Stiftung hatsich bewährt, und man sollte sie nicht über den Bundes-haushalt in ihrer Wirkungsmöglichkeit einschränken.Frau Ministerin, besonders anspruchsvoll waren IhreAnkündigungen in der Frauenpolitik. Kapitel VIII derKoalitionsvereinbarung ist überschrieben mit: „NeuerAufbruch für die Frauenpolitik“. Die Bundesregierungwollte – Frau Steen, Sie können es nachlesen – bis An-Manfred Kolbe
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fang 1999 ein Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ vor-legen.
– Wir haben jetzt bereits Mai. Ich weiß nicht, wo für Sieder Jahresanfang endet. – Insbesondere wollten Sie spä-testens im Frühjahr 1999 ein Gesetz zur Gleichstellungvon Frauen und Männern in der Privatwirtschaftvorlegen.Nach Ihren Aussagen in der „Frankfurter Rundschau“vom 26. November 1998 wollten Sie, Frau Ministerin,ein Gesetz vorlegen, das Privatbetriebe ab 80 Arbeit-nehmer verpflichtet, verbindliche Frauenförderplänevorzulegen, um Unterrepräsentanz zu beseitigen. Frau-enfördernde Betriebe sollten bei der Vergabe öffentli-cher Aufträge bevorzugt werden.Jetzt sind wir in der Union sicherlich die letzten, dieetwas gegen Frauen und Beruf haben.
Wir haben auch nichts gegen Frauen in Spitzenpositio-nen; ich komme auf dieses Thema gleich noch zu spre-chen.Aber zu diesem Gesetzesvorhaben haben wir Fragen,Frau Ministerin, um deren Beantwortung wir in IhremRedebeitrag nachher bitten würden. Ich habe den ganzenTag versucht, in Ihrem Hause eine Auskunft darüber zubekommen, was in diesem Bereich geplant ist. Es gabnur eisiges Schweigen. Ich muß das deshalb jetzt zur„Chefsache“ machen und an Sie herantragen. Vielleichtkönnen Sie nachher dem Hohen Hause berichten, wasauf diesem Gebiet geplant ist. Durch die Agenturen gei-sterten nur Meldungen, daß der Bundeskanzler Sie zu-rückgepfiffen habe. Aber vielleicht können Sie uns dazuNäheres erzählen.Ich komme zum Abschluß zu den Frauen in Füh-rungspositionen. Mehr als nur mit Ankündigungen, diedann doch nicht realisiert werden, können wir alle nochin diesem Monat etwas für Frauen in Führungspositio-nen tun; denn wir alle werden uns am 23. Mai in Berlinzur Wahl der neuen Bundespräsidentin oder des neuenBundespräsidenten treffen.
Wir alle können am 23. Mai für Dagmar Schipanskistimmen.
Frau Schipanski verkörpert geradezu ideal die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf: Sie ist Mutter vondrei Kindern, ist Professorin für Festkörperelektronik ander TU Ilmenau, Dekanin der Fakultät für Elektrotech-nik und Vorsitzende des Wissenschaftsrats der Bundes-republik Deutschland. Das ist ein praktisches Beispielfür die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik.Sie hat auch politischen Mut bewiesen: Ihre Karrierein der DDR war gebremst, weil sie nicht bereit war, derSED beizutreten. Das ist die geeignete Bundespräsiden-tin, Frau Ministerin. Gerade Sie sollten sie wählen. Ichhabe die Hoffnung, daß Sie das getreu Ihren Grundsät-zen auch tun werden.
– Frauen und Führungspositionen; hier haben wir eineMöglichkeit. Das ist nicht nur Theorie, sondern auchPraxis.
Ich komme zum Schluß: Diesem Haushalt könnenwir nicht zustimmen; wir müssen ihn ablehnen. Wir bit-ten aber, unserem Antrag auf Erhöhung der Mittel fürdie Stiftung „Mutter und Kind“ zuzustimmen.Danke schön.
Ich gebe das Wort
der Kollegin Antje-Marie Steen von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kolbe, ich erspare esmir, vor allen Dingen auf Ihre Werbekampagne einzu-gehen;
denn ich glaube, daß das nicht in diesen Rahmen gehört.
Weil wir hier eine Haushaltsdebatte haben, will ichaber sagen: Nach der Übernahme der Regierungsver-antwortung fanden wir das vor, was wir in der Oppositi-on bereits befürchtet und auch immer wieder deutlichbenannt hatten: eine außerordentlich schwierigeFinanzlage, die uns eine schwere Erblast auferlegt hat.Somit steht auch der heutige Haushalt unter dem Da-moklesschwert einer strukturellen Deckungslücke vonrund 20 Milliarden DM.
Hinzu kommen noch die Auswirkungen des Bundesver-fassungsgerichtsurteils.Die verfehlte Politik der Vorgängerregierung ist auchfür den Einzelplan 17, der heute zur Beratung und Be-schlußfassung ansteht, eine schwere Hypothek – wurdendoch gerade Familien mit Kindern, Herr Kolbe, jahre-lang systematisch zu hoch belastet und wurde doch jah-relang eine verhängnisvolle Politik auf Kosten kom-mender Generationen gemacht.
Manfred Kolbe
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Gleichzeitig besitzt aber gerade dieser Haushalt einenicht zu vernachlässigende gesellschaftspolitische Be-deutung. Denn wir verstehen die Aufgabe des Ministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seinerpolitischen Zielrichtung als für alle Generationen undnicht nur für bestimmte Interessengruppen und eine be-stimmte Klientel zuständig.Wir wollen die Lebenssituation von Familien, älterenMenschen, Jugendlichen und Frauen solidarisch gestal-ten. Wir sind entschlossen, diesen Generationenvertragzu erneuern und eine kinder- und familienfreundlicheGesellschaft in sozialer Gerechtigkeit gemeinsam mitallen gesellschaftlichen Kräften zu schaffen. Dazu habenwir mit dem vorliegenden Einzelplan eine solideGrundlage bereitet.
Denn Familienpolitik definiert sich nicht durch Lippen-bekenntnisse und Sonntagsreden, sondern durch eine inGesetze gegossene tatsächliche Anerkennung der Fami-lienarbeit, der Leistung für und von jungen und altenMenschen und durch eine zuverlässige Haushaltspolitik.
– Frau Rönsch, stellen Sie eine ordentliche Zwischen-frage, dann kann ich Ihnen das beantworten! – Insge-samt erfährt dieser Haushalt einen Aufwuchs von1,1 Prozent. Das hört sich nach wenig an; wir habenaber auch eine hohe Einsparrendite erbringen müssen.So stehen im Gegensatz zu den vorherigen Haushaltenimmerhin 127 Millionen DM zur Verfügung.Darüber hinaus muß der Staat, auch wenn er unaus-weichlich Einsparungen vorzunehmen hat, um dieHaushalte zu konsolidieren, auf die gerechte Verteilungder Lasten in unserer Gesellschaft achten. Mit seinemUrteil zur ungerechten Besteuerung von Familien un-terstreicht das Bundesverfassungsgericht diese These. InIhrer Regierungszeit, meine Damen und Herren der jet-zigen Opposition auf der rechten Seite des Hauses, ha-ben Sie diesen Hinweis des höchsten Gerichtes gröblichvernachlässigt. Sie haben es zu verantworten, daß dasKinderhaben und das Kindererziehen mehr und mehr zueinem Armutsrisiko geworden sind und daß von denrund 3 Millionen Sozialhilfeempfängern etwa 1 MillionKinder und Jugendliche sind. Sie tragen aber auch dafürVerantwortung, daß sich immer mehr einkommensstär-kere Personengruppen durch ein löchriges Steuersystemaus der Verpflichtung zur Finanzierung der Staatsaufga-ben entziehen konnten.
Trotz der schwierigen Haushaltssituation haben wirdie Weichen gestellt, um den Bedürfnissen unserer Bür-gerinnen und Bürger, der Familien und der Kinder ge-recht zu werden. So verstärken wir im Rahmen desKinder- und Jugendplanes sehr intensiv die Bemü-hungen, endlich etwas gegen die Armut und Perspektiv-losigkeit vieler Jugendlicher in unserem Land zu unter-nehmen.[Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]:Gesetzesvorlagen?)Das wohl wichtigste Instrument zur aktiven Jugendpoli-tik, der Kinder- und Jugendplan, erfährt durch uns einedeutliche Erhöhung um 12 Millionen DM auf insgesamt192 Millionen DM.
Erstmalig werden wir neben dem äußerst erfolgreich an-gelaufenen Sofortprogramm zum Abbau der Jugendar-beitslosigkeit in unserem Einzelplan 17 insgesamt 10Millionen DM bereitstellen, um auch den Jugendlichen,die nicht unmittelbar vom Sofortprogramm erfaßt wer-den, eine Chance auf Ausbildung und Arbeit zu geben.Ein weiterer Schwerpunkt unserer Politik liegt in derBeseitigung der Benachteiligung von Zivildienstlei-stenden gegenüber Wehrdienstleistenden. Auch in die-sem Punkt haben wir Wort gehalten und die ungleicheBesoldung von Zivildienstleistenden und Soldaten auf-gehoben. Nach einer Verwaltungsvorschrift aus demHause Nolte – also von der ehemaligen Bundesregierung– konnten bis vor kurzem lediglich 40 Prozent der Zivil-dienstleistenden nach dem sechsten Dienstmonat die so-genannte Soldgruppe 3 in Anspruch nehmen, währendfast jeder Wehrdienstleistende automatisch in dieseSoldgruppe fiel. Für uns Sozialdemokratinnen und So-zialdemokraten ist der Dienst an Mensch und Umweltnicht weniger wichtig als der Dienst zur Verteidigung.Deshalb haben wir im Haushaltsausschuß eine Anglei-chung der Besoldung beschlossen.
Das stellt eine sehr wichtige Anerkennung für rund160 000 junge Menschen in unserer Gesellschaft dar. Ichdenke, wir sollten an dieser Stelle den Zivildienstlei-stenden einmal ein großes Lob aussprechen. Ohne derenArbeit würde es in vielen Bereichen des Sozial- und Ge-sundheitswesens sehr schlecht aussehen.
Auch im Bereich der Integration von jungen Aus-siedlern und Flüchtlingen setzen wir Prioritäten. Erst-malig schlagen wir beim sogenannten Garantiefondsneue Wege ein. Ein „Weiter so wie bisher“ wird es mituns nicht geben. Deshalb fahren wir bereits in diesemHaushalt in Sachen Integration nicht nur inhaltlich, son-dern auch strukturell einen vollkommen neuen Kurs, in-dem wir den bisherigen Garantiefonds und den Einglie-derungstitel, der zur Verfügung stand, in einen neueneinheitlichen Zwecktitel „Integration junger Spätaus-siedler und junger ausländischer Flüchtlinge“ zusam-menführen.Wir sind der Meinung, daß die sprachliche Integra-tion das A und O einer erfolgreichen Eingliederung in dieGesellschaft ist. Das Beherrschen der Sprache ermög-licht Kommunikation und somit soziale Kontakte. Dassind die besten Mittel gegen Ausgrenzung und gegen dieAntje-Marie Steen
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momentan katastrophale Desorientierung vieler jungerSpätaussiedler und Flüchtlinge in Deutschland. Brückenbauen zwischen Einheimischen und neuen Bundesbür-gern soll nicht nur gepredigt, sondern endlich zur Le-benswirklichkeit in unserer Gesellschaft werden.
Neue Wege gilt es auch in der Seniorenpolitik zu be-schreiten; denn wir müssen uns endlich den Konsequen-zen des demographischen Wandels stellen und die Al-tenpolitik aus ihrem bisherigen Schattendasein heraus-führen. 12 Millionen DM hatte die ehemalige Bundesre-gierung 1998 für den Bundesaltenplan eingeplant. Da-von sind vom Ministerium lediglich 6,3 Millionen DMausgegeben worden. Das ist keine Kritik am Ministeri-um, sondern an der vorherigen politischen Führung.
Es ist die bittere Realität Ihrer Politik, großen Ankündi-gungen keine Taten folgen zu lassen.Ältere Menschen müssen einen festen Platz im Mit-telpunkt und nicht am Rande unserer Gesellschaft ha-ben. Deshalb werden wir den Bundesaltenplan mit10,2 Millionen DM stärken und eine zeitgemäße Alten-politik einläuten. Diese wird sich auf die aktive Teilhabeder Senioren ausrichten und die gesellschaftliche Be-deutung der Lebenserfahrung und Kompetenzen diesesPersonenkreises würdigen.
Außerdem werden wir die dringenden Reformmaß-nahmen anpacken, zu denen zum Beispiel die Neuord-nung der Altenpflegeausbildung durch das Altenpflege-gesetz und die Novellierung des Heimgesetzes, das seit1974 nicht mehr geändert worden ist, gehören.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
– Bitte sehr.
Verehrte Frau Kollegin
Steen, Sie sprachen gerade die Senioren an. Können Sie
uns sagen, wie hoch die Steigerung in diesem Bereich
im gesamten Haushalt ist? Oder ist mein Eindruck rich-
tig, daß es in diesem Jahr eine Absenkung gibt?
Herr Kollege Koppelin,
ich muß Sie korrigieren. Ich habe Ihnen eben die Zahlen
genannt: Es waren in Ihrer Zeit 12 Millionen DM ange-
setzt – von uns sind nun 10,2 Millionen DM angesetzt –,
von denen aber nur ca. 6 Millionen DM abgeflossen
sind.
Das heißt – die Hälfte Ihres Ansatzes war gar nicht
haushaltswirksam und ist nicht in Maßnahmen und Pro-
jekte umgesetzt worden.
Eine Zusatzfrage? –
Herr Kollege, bitte sehr.
Frau Kollegin Steen, ist
Ihnen entgangen, daß wir bei den Berichterstattergesprä-
chen darüber diskutiert haben – wir haben beide danach
gefragt –, ob auf Grund der Bundestagswahl im letzten
Jahr bestimmte Mittel nicht abgeflossen sind?
Herr Koppelin, wir kön-nen das Ergebnis gerne schönreden. Andere Haushaltehaben es geschafft, die Mittel auszugeben und Maßnah-men zu ergreifen, die den entsprechenden Personenkreiserreicht haben. Es bleibt aber Tatsache, daß das bei denSenioren nicht geschafft wurde; hier lag zu wenig vor.Herr Koppelin, Sie müssen sich sagen lassen, daß nichtsvorlag, für das Geld ausgegeben werden konnte.
Auch in der Familienpolitik gilt es neue Akzente zusetzen. Die neuerlichen Urteile des BVG bestätigennämlich das, wofür Sie am 27. September vergangenenJahres auch abgewählt wurden: Ich spreche von den fa-milienpolitischen Ungerechtigkeiten der ExregierungHelmut Kohl. Wie oft haben Sie die Familie als einender wichtigsten Leistungsträger der Gesellschaft be-schrieben? Taten haben Sie diesen Reden allerdings niefolgen lassen.Nach der Waigelschen Steuerarithmetik erreichenEltern mit einem Kind lediglich 64 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens kinderloser Paare. Bei einer Familiemit zwei Kindern sank der Wert gar auf 54 Prozent. Das,meine Damen und Herren, ist die Realität, die Lebens-wirklichkeit von Familien, die die christlich-liberaleOpposition zu verantworten hat und die wir ändern.
Die Ergebnisse und die Probleme, vor denen wir ste-hen, sind tragisch und erschreckend. Die wirtschaftlicheSituation von Familien ist in den letzten Jahren signifi-kant schlechter geworden. Armut gehört zum Alltagvieler Haushalte. Ihre schweren familienpolitischen Ver-säumnisse haben rund ein Drittel aller Familien in dieArmut getrieben. Zudem haben Sie die wichtigen Infor-mationen über die Lebenssituation von Kindern undFamilien gezielt blockiert. Ich möchte exemplarisch den10. Kinder- und Jugendbericht nennen, den wir der Fa-milienministerin a. D. Frau Nolte nur unter heftigstemEinsatz entreißen konnten.Wir Sozialdemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt,diese untragbare Situation endlich zu korrigieren undtrotz Waigelscher Erblast einen gerechten Familienla-stenausgleich zu schaffen. Ich denke, der Finanzministerhat heute morgen die Wege aufgezeigt, auf denen wiruns bewegen wollen.Antje-Marie Steen
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Neben diesen Zielen gilt es auch andere wichtige Be-reiche nicht außer acht zu lassen. So steht für uns bei-spielsweise auch ein neuer Aufbruch in der Frauenpoli-tik – hier zitieren Sie, Herr Kolbe, uns schon richtig –ganz oben auf der Agenda. Hier geht es nicht nur um dieBeseitigung eines Reformstaus. Nein, hier ist wie anvielen anderen Stellen des Einzelplans 17 ein Paradig-menwechsel angesagt. Viel zu lange, über 16 Jahre,mußten wir nämlich zur Kenntnis nehmen, daß Frauen-politik unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl undunter der Regentschaft von Frau Nolte zu einer Alibi-veranstaltung abgerutscht ist.Es ist aber noch immer so: Armut ist nach wie vorweiblich. Frauen sind in allen Lebensbereichen, in Füh-rungspositionen und im Erwerbsleben entsprechendihrem Anteil an der Bevölkerung unterrepräsentiert. Dasdurchschnittliche Erwerbseinkommen von Frauen ist umein Drittel geringer als das der Männer. Noch immerkann ein Großteil der Frauen ein existenzsicherndesEinkommen nicht aus eigener Erwerbsarbeit bestreiten.Hier müssen und hier werden wir die nötige Antwortgeben; denn der Auftrag zur Gleichstellung laut Art. 3des Grundgesetzes ist erst dann verwirklicht, wenn fraunicht tagtäglich um gerechte Verteilung von Erwerbsar-beit, Einkommen sowie politischer und gesellschaftli-cher Macht streiten muß.
Wir setzen aus diesem Grund auch in diesem Haus-halt Akzente anderer Qualität, zum Beispiel mit demAktionsprogramm „Frau und Beruf“, mit dem nationalenAktionsplan „Schutz von Frauen vor Gewalt“ und miteiner wirkungsvollen Gleichstellungspolitik. So bin ichganz besonders stolz darauf, daß trotz angespannterHaushaltssituation endlich wieder die wichtige Vernet-zungsstelle kommunaler Frauenbeauftragter im Rahmendieses Haushaltes finanziell unterstützt werden kann.
Außerdem ist es eine wichtige Entscheidung, Opfernder Zwangsprostitution und des Frauenhandels Mittelaus dem sogenannten REAG-Programm für die Rück-führung in ihr Heimatland zur Verfügung zu stellen. Dasist eine ganz wichtige Maßnahme.Während Ihrer Zeit, meine Damen und Herren derehemaligen Koalition, mutierte das Familienministeriummehr und mehr zu einem inhalts- und strukturleeren An-kündigungsministerium. Wir bauen dieses Haus trotzmilliardenschwerer Erblasten Stück für Stück auf soli-dem Fundament wieder auf. Das erfordert einerseits eineffizienteres und moderneres Leistungsangebot, anderer-seits natürlich auch eine stringente Haushaltspolitik.Sparen ist auch in unserem Haushalt auf Grund der Er-blasten das Gebot der Stunde.Vor diesem Hintergrund bitte ich von dieser Stelleaus gerade auch diejenigen um Verständnis, die in tag-täglicher Arbeit vor Ort wichtige sozial- und gesell-schaftspolitische Aufgaben mit knappen Mitteln desBundes zu erfüllen versuchen. Ich spreche Vereine,Verbände und Einzelpersonen an, die sich ehrenamtli-chen Arbeiten widmen und schwierige Aufgaben über-nehmen, um mit ihrem Engagement ein Stück weit zursozialen Gerechtigkeit in Deutschland beizutragen.Ihnen möchte ich dankend folgendes sagen: Tiefgreifen-de Strukturreformen sind auf Grund der langjährig ver-fehlten Finanz-, Sozial- und Familienpolitik im vorlie-genden Haushalt nur begrenzt möglich. Aber ich sageauch an dieser Stelle: Genauso wie die SPD ihre Wahl-versprechen einlöst, werden wir mit gleicher Zuverläs-sigkeit nach der Konsolidierung der heruntergewirt-schafteten Haushalte strukturelle Kurskorrekturen vor-nehmen.Ich muß Ihnen, Herr Kolbe, an dieser Stelle leider sa-gen: Den Antrag Ihrer Fraktion zur Aufstockung derMittel für die Stiftung „Mutter und Kind“ kann ich alsFrau nicht unterstützen. Ich werde auch nicht meinerFraktion empfehlen, ihn zu unterstützen; denn dies istwirklich ein Titel, den wir Frauen nicht wollen,
weil wir diese Mittel, Frau Rönsch, in einer besserenForm an Frauen in Not und an Frauen, die sich entschei-den, Kinder zu haben, und sich dies nicht leisten kön-nen, verteilen können als im Rahmen dieser von unsimmer wieder kritisierten Stiftung.
Ich werde meiner Fraktion die Ablehnung der Anträgeempfehlen. Wir haben ausreichend im Ausschuß darüberdiskutiert.Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an die Kol-leginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß richten,weil ich die Hauptberichterstatterin bin. Wir haben trotzunterschiedlicher Meinungen ein konstruktives Mitein-ander gehabt. Ich darf mich auch bei den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Siehaben uns sehr geholfen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Zu Beginn will ich feststellen, daß in die-sem Haushaltsplan wenige Haushaltsansätze neu sind,daß das Volumen eingehalten worden ist und daß sichsehr wenig bewegt hat. Frau Steen, ich möchte Sie bit-ten, sich die Protokolle des Ausschusses durchzulesen.Ihr Staatssekretär, Herr Haupt, hat ganz deutlich gesagt,daß bei vielen Haushaltspositionen noch Luft vorhandenist. Wenn Sie hier sagen: „Wir machen Frauenpolitik,aber wir haben kein Geld“, dann stimmt das für den Ein-zelplan 17 überhaupt nicht.
Antje-Marie Steen
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Die F.D.P. wird natürlich auch als Opposition kon-struktiv mitarbeiten. Das ist mir ein ganz besonderesBedürfnis. Wir werden Ihren Aktionsplan „Gewalt ge-gen Frauen“ ganz aktiv unterstützen. Wir werden gernemittragen, daß die Mittel für das Jahr der Senioren imHaushalt bereitgestellt sind. Dasselbe gilt für die Erhö-hungen des Ansatzes für Zivildienst. Dem haben wirauch schon im Ausschuß zugestimmt.Frau Steen, der Prüfstein der Familien- und Frauen-politik Ihrer Koalition wird das Bundesverfassungsge-richtsurteil sein. Ich möchte gerne einmal die Parla-mentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministeri-um zitieren. Im „Handelsblatt“ ist von wenig Entlastungfür Familien die Rede:„Viel Nettoentlastung“ für die Familien werde esnicht geben, betonte die Staatssekretärin.Ich bitte die Frauenministerin Bergmann wirklich, sichin der Öffentlichkeit zu erklären, ob sie mit diesen Aus-sagen der Staatssekretärin Hendricks einverstanden ist.Ich kann mir das bei Ihnen jedenfalls nicht vorstellen.Ich hoffe, daß Sie dagegen etwas tun. Die Öffentlichkeitsollte Bescheid wissen.
Wenn ich daran denke – Frau Hendricks hat das ganzdeutlich gesagt –, daß 20 Prozent der Familien aus die-sem Konzept herausfallen, dann komme ich zu dem Er-gebnis, daß dieses Konzept der rotgrünen Koalition, dasjetzt auf dem Tisch liegt, verfassungswidrig sein wird.Wenn Herr Eichel sagt, er mache nichts, ohne daß esverfassungsfest ist, dann wollen wir einmal sehen, wasfür ein Konzept wir haben.Eines muß ich Ihnen sagen: Daß von Ihnen nur8,1 Milliarden DM für die Umsetzung des Bundesver-fassungsgerichtsurteils ausgegeben werden, läßt tiefblicken. Ich hoffe, daß die entsprechenden Zahlen nochsteigen. Wir jedenfalls werden Vorschläge vorlegen, indenen mehr Entlastung für alle Familien gefordert wird.
– Wir alle haben das Bundesverfassungsgerichtsurteil zutragen. Auch Sie als Opposition haben diese 20 Milliar-den DM nicht gefordert.Ich möchte ganz kurz zu dem Arbeitsplatzprogrammfür 100 000 Jugendliche kommen, weil ein Teil diesesProgramms aus diesem Haushalt bezahlt wird. Uns allenund gerade dieser Regierung fehlt eigentlich das ganz-heitliche Bildungskonzept. Das ganzheitliche Bil-dungskonzept bedeutet nämlich nicht, daß sich FrauBulmahn und andere zu Recht hier hinstellen und sagen,was sie alles für Hochschulen tun; vielmehr fängt esunten, in der Schule an.Wenn die roten und die rotgrünen Landesregierungenan Lehrern sparen, frustrierte Jugendliche entlassen undHerr Riester dann einen Reparaturbetrieb in Gangbringt, dann kann das nichts werden.
Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir nicht einganzheitliches Konzept auf den Weg bringen. Das be-deutet nicht, daß Bundesrat, Bundesländer und Bundes-regierung – egal, ob rotgrün oder andersfarbig – getrenntfahren. Wir müssen wirklich ein ganzheitliches Konzeptverfolgen. Wenn das geschieht, dann haben wir moti-vierte Jugendliche mit guten Abschlüssen, und wir wer-den mehr Lehrstellen als jetzt besetzen können.
Ich möchte zur Chancengleichheit für Frauen auf demArbeitsmarkt kommen. Es regt mich schon auf, daß Siein der familienpolitischen Debatte gar nicht die 630-Mark-Jobs problematisieren. Sie haben auf diesem Ge-biet Arbeitsplätze verschwinden lassen.
Sie haben kein Alternativkonzept vorgelegt. Sie habeneinfach gesagt: Diese Arbeitsplätze sollen sozialversi-cherungspflichtig sein. Jetzt haben Sie dafür die Quit-tung bekommen. All diejenigen Frauen, die jetzt aufhö-ren zu arbeiten, haben doch wirklich keine Lobby.Ich bekomme meine Zeitung nicht mehr um 7 Uhr,sondern erst um 8 Uhr, und dann arbeite ich schon undbin nicht mehr zu Hause.
– Ich sage es ja nur. – Diejenigen Damen und Herren,die die Zeitung vorher ausgetragen haben, haben dasGeld nötig gehabt, und es lohnt sich für sie nicht mehr,von 630 DM brutto, netto nur die Hälfte ausgezahlt zubekommen. Sie haben keine Alternative geschaffen.Eine Alternative für Niedriglohnbereiche hätte wegender zerstörten Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.Ich möchte zu dem Teil der Regierungserklärungkommen, in dem es um das Aktionsprogramm „Frauund Beruf“ ging. Ich lehne ein zwingendes Gleichbe-rechtigungsgesetz für die Wirtschaft ab. Das bringtnichts. Es handelt sich um alte Konzepte, die nicht tra-gen werden. Sie wollen eine Quotierung von Ausbil-dungsplätzen. Wir wollen einmal sehen, wie das in deneinzelnen Branchen überhaupt läuft. Über Ihre Forde-rung schließlich, daß die Kommunen das auch noch be-zahlen, weil Sie die Belohnung durch Bevorzugung beider Vergabe öffentlicher Aufträge über die Kommunenlaufen lassen wollen, werden wir noch viel miteinanderstreiten. Das wird von uns auf gar keinen Fall mitgetra-gen werden.Ich will noch ganz kurz auf das Konzept der F.D.P.zu sprechen kommen. Wir meinen, daß über Gesetzenicht alles geregelt werden kann. Es gibt in der Wirt-schaft gute Ansätze. Wir sollten zum Beispiel das Netz-werk von Ingenieurinnen an der FH Oldenburg unter-stützen. Solche unterstützenden Maßnahmen solltenvom Staat ausgehen. Vermißt habe ich in der Rede vonFrau Bulmahn einen Hinweis auf die Kinderbetreuungan den Hochschulen, die nicht ausreichend ist. Wenn wirhier nichts anderes tun, als nur Investitionsmittel ausdem Haushalt dafür zu nehmen, ist das einfach zuwenig.Wir brauchen flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten.Ina Lenke
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Wenn Sie sich die Gutachten über Kinderbetreuungs-möglichkeiten an Hochschulen anschauen – ich kannIhnen gerne eine Broschüre dazu geben –, dann stellenSie fest, daß es hier immer noch Schwierigkeiten gibt.Wir finden es gut und unterstützen auch die aus derWirtschaft kommende Initiative von „total equality“.Soweit ich weiß, hat Frau Bergmann dieses auch auf derTop 99 in Düsseldorf recht positiv bewertet. Frau Berg-mann, meinen Sie nicht, daß dieser Weg besser ist alsder über Gesetze, Quotierungen und Zwang?
Wir sollten wirklich sehen, daß es mit alten Regelungs-vorstellungen nicht geht.Der Club of Rome – vielleicht wird Sie das etwas be-ruhigen und berühren – war auch auf der Top 99 vertre-ten. Herr Liedtke hat dargelegt, daß durch die niedrigeGeburtenrate und die demographische Entwicklung dieIntegration von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in quali-fizierten Berufen und Positionen zunehmen wird. DasFazit des Zukunftsforschers lautet:Demographische Verschiebungen, Arbeitskräfte-mangel in Dienstleistungsberufen und neue Ar-beitsformen müßten zwangsläufig dazu führen, daßsich die Wirtschaft von ihren patriarchalischenStrukturen und dem Vorbild des männlichen Al-leinverdieners löse. Daraus ergäben sich bessereBerufsperspektiven für Frauen, die somit „Mitge-staltende einer neuen, feminisierten Arbeitsweltwürden“.Ich würde mich freuen, wenn wir alle gemeinsam daranarbeiteten.Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat dieKollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Kolleginnen! Ein neuer Aufbruch in der Frauenpolitik –so lautete das Wahlversprechen der rotgrünen Bundes-regierung. Die Frauen waren es nämlich, die die Regie-rung Kohl abgewählt haben, und sie sind es, die nun zuRecht einen Politikwechsel erwarten. Nun liegt der ersterotgrüne Haushalt vor. Es stellt sich die Frage, ob dasder Testlauf für die frauenpolitische Wende unter Rot-grün ist.
Der erste rotgrüne Haushalt ist nicht der große Wurf,wie wir ihn erwartet haben. Ich verstehe, Herr Kolbe,daß Sie das kritisieren. Aber die Erblast –
– nein, lassen Sie mich diesen Satz zu Ende bringen –der Kohl-Regierung wiegt zu schwer; ihr Ausmaß kannüberhaupt nicht überschätzt werden. Das Steuer inner-halb weniger Monate herumzureißen ist schier unmög-lich. Die neue Regierung muß erst einmal milliarden-schwere Haushaltslöcher stopfen, die Sie, meine Damenund Herren von der Opposition, Rotgrün hinterlassenhaben.
Wir werden auch in den nächsten Jahren noch damit zukämpfen haben.Nicht nur das: Sie waren es auch, die der neuen Re-gierung eine völlig desolate Frauen- und Familienpolitikhinterlassen haben. Sie waren es, die 16 Jahre lang dieUmverteilung in der Gesellschaft von unten nach obenbetrieben haben – auf Kosten der Familien, die finanziellimmer weniger über die Runden kamen, und auf Kostender Frauen, für die Kinder zum Berufs- und Armuts-risiko Nummer eins geworden sind. Bezahlt haben IhrePolitik die Eltern und insbesondere, Frau Rönsch, dieMütter.Sie haben es auch zu verantworten, daß Familien inden letzten Jahren immer wieder den Gang zum Bun-desverfassungsgericht in Karlsruhe antreten mußten, umihre Rechte einzuklagen. Da ist es doch mehr als schein-heilig, wenn Sie jetzt in einem Antrag – Sie haben ihnvorhin begründet – die Erhöhung des Haushaltstitels fürdie Stiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens um20 Millionen DM fordern, den Sie selbst noch 1998 um20 Millionen DM reduziert haben. Ist das vielleicht dievielbeschworene Erneuerung der CDU, daß Sie nun inder Opposition Initiativen ergreifen, bei denen Sie alsRegierung vor einem Jahr selbst die Verschlechterung inGang gesetzt haben? Unter politischer Erneuerung stelleich mir, ehrlich gesagt, etwas anderes vor.
Es war und ist offensichtlich: Gerechtigkeit für Men-schen, die Kinder erziehen, muß das familienpolitischeZiel Nummer eins sein. Dieses Ziel wird die rotgrüneBundesregierung umsetzen. So wurde das Kindergeldzum 1. Januar 1999 für das erste Kind auf 250 DM an-gehoben. Wie gesagt: Dies ist ein erster Schritt zu einemverbesserten Familienleistungsausgleich. In Verbindungmit der Einkommensteuerreform bringt diese Maßnahmefür Ehepaare mit zwei Kindern schon jetzt annähernd1 000 DM pro Jahr. Nach dem „Paukenschlag“ ausKarlsruhe wird es eine weitere Familienentlastung imHaushalt für das Jahr 2000 geben. Wir werden die Vor-gaben des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen. UnserModell wird nicht nur steuerlich, sondern auch sozialgerecht und verfassungsfest sein. Davon können Sieausgehen.Auch beim Erziehungsgeld streben wir schon imnächsten oder im übernächsten Jahr eine Reform an. Einerster Schritt – Sie haben ihn zehn Jahre lang angekün-digt – wird die Erhöhung der Einkommensgrenzen sein,so daß wieder eine deutliche Mehrheit der Familien dasIna Lenke
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Erziehungsgeld bekommt. Vorschläge aus dem Bundes-finanzministerium, das Erziehungsgeld abzuschaffenund zur Finanzierung familienpolitischer Leistungeneinzusetzen, lehnen wir ab.Ich komme zur Frauenpolitik. Gerade hier hat Rot-grün neue Akzente gesetzt: Mit dem Programm „Frauund Beruf“ ist der Reformstau in der Gleichberechti-gungspolitik für Frauen endlich passé. Ein Gleichbe-rechtigungsgesetz für die öffentliche Verwaltung und fürdie Privatwirtschaft, bessere Bedingungen für Existenz-gründerinnen und die Bereitstellung der Hälfte allerAusbildungsplätze für junge Frauen werden den Frauenden gleichen Zugang zur Erwerbsarbeit sichern. Wir ha-ben im Frauenhaushalt ebenfalls erreicht, daß nun auchOpfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution finan-zielle Hilfen erhalten, wenn sie in ihr Heimatland zu-rückkehren wollen. Es ist doch ein Hohn, wenn sich die-se Frauen das Geld selbst zusammenkratzen müssen, umfreiwillig auszureisen.Wir werden außerdem den Haushaltstitel zur Ver-wirklichung der Gleichberechtigung tatsächlich aus-schöpfen. Vorhin ist von der F.D.P. gesagt worden, essei noch Luft in dem Haushalt. Ich finde es unglaublich,daß die letzte Regierung im Einzelplan 17 für dieGleichberechtigung zwar 20 Millionen DM eingestellthat, aber nur 16 Millionen DM davon ausgegeben hat.Das heißt, Sie haben 4 Millionen DM nicht ausgegeben.Der Grund dafür ist, daß zwar Anträge für Projekte ein-gereicht worden sind, aber mißliebige Projekte offen-sichtlich einfach mit der Begründung abgelehnt wurden,es sei kein Geld mehr vorhanden. Dazu gehörte zumBeispiel die Förderung der Bundesgeschäftsstelle für diekommunalen Gleichstellungsbeauftragten oder auch dieFörderung von Projekten für gleichgeschlechtliche Le-bensgemeinschaften. Wir werden diese Projekte umset-zen.
Was unter Rotgrün insbesondere in der Frauenpolitikerreicht wurde, ist, daß Frauenpolitik endlich als Quer-schnittsaufgabe in den Ressorts finanziell stärker veran-kert wird. Ob im Wissenschaftsbereich, bei der Wirt-schaftsförderung oder der wirtschaftlichen Zusammen-arbeit: Überall finden einzelne Haushaltspositionen spe-ziell für Frauen ihren Niederschlag.Einen großen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeitleistet die Bundesregierung in Wissenschaft und Hoch-schule. Zum erstenmal werden 1999 7,5 Millionen DMzur Durchsetzung der Chancengleichheit für Frauen inBildung und Forschung bereitgestellt. Das ab Mai 1999gestartete Existenzgründungsvorhaben für kleine Unter-nehmen wird insbesondere auf die besonderen Bedin-gungen von Frauen eingehen.Auch in der Entwicklungspolitik setzt sich Frauen-politik als Querschnittsaufgabe fort. Die Bundesregie-rung wird 1999 erstmals ein 2-Millionen-DM-Projektfördern, mit dem die Genitalverstümmelung durch Un-terstützung von Initiativen in den Herkunftsländern be-kämpft werden kann. Auch für die Verbesserung derAusbildung von Mädchen in asiatischen Ländern sindAusgaben von mehreren Millionen DM geplant. Sie se-hen: Der Aufbruch in der Frauenpolitik beginnt.
Neben der Frauenpolitik betrachten wir aber auch dieJugendpolitik als Querschnittsaufgabe. Deswegen isthier eine besonders starke Vernetzung der einzelnenRessorts notwendig. Natürlich ist das Sofortprogrammfür 100 000 Jugendliche positiv; es ist jedoch ein Not-programm. Schon jetzt müssen wir hinsichtlich der Be-ratungen zum Haushalt 2000 überlegen, wie die Jugendden Sprung in das nächste Jahrtausend schaffen kann.Ein JUMP 2 wird hier nicht ausreichen. Vielmehr müs-sen wir uns stärker strukturell mit dem Problem der Ju-genderwerbslosigkeit beschäftigen. Das wird auch denHaushalt nicht unberührt lassen.Was haben wir – Frau Rönsch mahnte es vorhin an –in diesem Haushalt für die Jugend getan? Zusätzlich zudem Sofortprogramm sind 1999 10 Millionen DM fürdas Programm „Jugend und Arbeit“ bereitgestelltworden, für all die Jugendlichen, die nicht in die Maß-nahmen des Sofortprogramms aufgenommen werdenkonnten. Ein weiterer Erfolg: Wir treten der Ungleich-behandlung der Wehrdienst- und Zivildienstleistendenentgegen, indem wir noch 1999 die Besoldung der Zi-vildienstleistenden an die der Wehrdienstleistenden an-passen.
Ich bin froh, daß nach all den Jahren hier endlich einerster Schritt in Richtung Gerechtigkeit für Zivildienst-leistende erfolgt.Auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft werdendie Freiwilligendienste über die deutschen Grenzenhinweg unterstützt. Hiervon profitieren insbesondere diejungen Frauen, die immer noch den größten Teil derFreiwilligen stellen, vor allem im Rahmen des freiwilli-gen sozialen und ökologischen Jahres.Die Jugend ist kein Problem, das verwaltet werdenmuß, sondern die Jugend braucht Zukunftschancen, unddie werden wir ihr geben.
Doch auch die Politik für die ältere Generation ist unsein zentrales Anliegen. Wir sehen es als unsere politi-sche Aufgabe an, eine Politik für ältere Menschen zu ge-stalten, die ihnen in allen Bereichen eine wirkliche Teil-habe sichert und ihre Rechte stärkt. Ältere Menschenmüssen in die Gesellschaft integriert werden und inte-griert bleiben sowie sich aktiv an der Formulierung undUmsetzung politischer Konzepte beteiligen können, dieihr Wohl betreffen. Die Bundesregierung fördert dazu1999 das Internationale Jahr der Senioren mit fast3 Millionen DM.Die rotgrüne Regierung steht vor einer großen Auf-gabe; das gebe ich wohl zu. Sie wird den Weg ins21. Jahrhundert bereiten, und dieser Weg muß ein de-Irmingard Schewe-Gerigk
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mokratischer und sozial gerechter sein. Damit werdenwir jetzt beginnen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun
die Kollegin Christina Schenk, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Zwei Dinge hat die Koalition fürFamilien bislang auf den Weg gebracht: zum einen dieErhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar um 30 DMund zum anderen die Senkung des Eingangssteuersatzes.
Beide Maßnahmen – das ist unstrittig – verbessern dieSituation von Familien, leider aber nicht derjenigen, diees am allernötigsten haben. SozialhilfebeziehendeHaushalte profitieren weder von der Kindergelderhö-hung noch von der Steuerentlastung. Durch die volleAnrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe habendie wirklich Bedürftigen nicht einen Pfennig mehr in derTasche. Wir alle in diesem Haus wissen um die wach-sende Kinder- und Familienarmut in diesem Land. Mehrals eine Million Kinder müssen von Sozialhilfe leben.Diesen Kindern und Familien muß dringend geholfenwerden.
Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, daß siekurzfristig eine Regelung schafft, die für sozialhilfebe-ziehende Familien eine Entlastung bringt, die der Kin-dergelderhöhung um 30 DM entspricht.Es liegt jetzt ein ernstzunehmender Vorschlag derBundesregierung zur Umsetzung des sogenannten Fa-milienurteils des Bundesverfassungsgerichts vor. DasFinanzministerium schlägt 260 DM Kindergeld mit er-gänzendem Kindergrundfreibetrag vor. Das Ganze sollnicht mehr als 8 Milliarden DM kosten. Da frage ichmich dann doch: Ist das wirklich ein ernstzunehmenderBeitrag zur Familienförderung? Ich finde, das kann esnicht sein. Eine wirklich sozial gerechte Lösung ist nichtzum Nulltarif zu haben.Die PDS präferiert ganz eindeutig eine einfache undklare Regelung in Form eines einheitlichen Kindergel-des für alle. Was die genaue Höhe anbelangt, rechnenwir noch. Wir haben jedoch bereits in der vergangenenLegislaturperiode ein existenzsicherndes Kindergeld von660 DM gefordert und auch entsprechende Finanzie-rungsvorschläge unterbreitet.Was nun die Finanzierung der Umsetzung des Urteilsbetrifft, so hat das Bundesverfassungsgericht höchst-selbst den Weg für die Abschaffung des Ehegattensplit-tings freigemacht. Dazu sage ich, auch wenn es der kon-servativen Seite dieses Hauses ganz bestimmt nicht ge-fällt: Das Ehegattensplitting ist keine Maßnahme derFamilienförderung. Das hat das Bundesverfassungsge-richt festgestellt. Der Übergang zu einer konsequentenIndividualbesteuerung wird von der PDS seit langem ge-fordert. Ich finde, dieser Schritt ist überfällig.
Das Bundesverfassungsgericht fordert jedoch nichtnur eine deutliche finanzielle Entlastung der Familien,sondern zugleich, Eltern die Möglichkeit zu geben, Be-ruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren.Die Defizite in diesem Bereich sind bekannt: Wir brau-chen endlich einen Rechtsanspruch aller Kinder auf öf-fentliche Ganztagsbetreuung. Die Bundesregierungmuß einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.Damit würde sie endlich ein klares Signal gegen die lei-der anhaltenden Versuche setzen, die außerhäuslicheKinderbetreuung zu diskreditieren.
Die Bundesministerin hat angekündigt, noch vor derSommerpause ihr Konzept zur Reform von Erzie-hungsgeld und Erziehungsurlaub vorzulegen. Ichdenke, hier ist der Ort, einmal klar zu sagen, daß die jet-zige Regelung die Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt.Dies ist wahrscheinlich auch der eigentliche Grund fürdieses Gesetz. Nur zirka die Hälfte der Frauen kehrtnach dem Erziehungsurlaub in den Beruf zurück, vielenur in Teilzeit bzw. auf eine geringer qualifizierte undbezahlte Stelle. Die Zahl der Männer, die Erziehungsur-laub nimmt, ist nach wie vor verschwindend gering.Meine Damen und Herren, kein Frauenförderplan,kein Gleichberechtigungsgesetz und keine noch so gut-gemeinte Wiedereingliederungsmaßnahme kann die be-rufliche Benachteiligung von Frauen ausgleichen, diedadurch entsteht, daß ihnen noch immer in extrem ein-seitiger Art die Familienarbeit aufgebürdet wird.Ich begrüße es, daß sich Frau Bergmann klar gegendie Einführung eines Erziehungsgehalts ausgesprochenhat. Läßt man nämlich die blumige Rhetorik seiner Ver-fechter weg, ist das Erziehungsgehalt im Kern ein ziem-lich perfides Instrument zur Verfestigung der traditio-nellen Rollenzuweisungen an Frauen und Männer.Leider sind jedoch die aus dem Hause Bergmannvorgeschlagenen Änderungen des Erziehungsurlaubsund des Erziehungsgelds völlig unzureichend. Es reichtnicht aus, die Einkommensgrenzen für das Erziehungs-geld einfach etwas anzuheben und das dritte Jahr Erzie-hungsurlaub zu flexibilisieren. Frauen gelten aus Sichtder Unternehmen heute bereits nach zwei Jahren als de-qualifiziert, und Männer lassen sich für 600 DM nichtfürs Windelnwechseln begeistern.Eine letzte Bemerkung zur Diskussion um die Besei-tigung der rechtlichen Diskriminierung von Lesbenund Schwulen, die schließlich auch familienpolitischeAspekte aufweist. In der „Berliner Morgenpost“ hat dieMinisterin geäußert, daß es auch künftig eine Begünsti-gung der Ehe geben müsse. Das ist konservative Politikpur. Sie begeben sich damit leider zugleich in Wider-spruch zu Ihrer eigenen Definition von Familie, der diePDS im übrigen ausdrücklich zustimmt: Familie ist da,Irmingard Schewe-Gerigk
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wo Kinder sind. Das Zusammenleben mit Kindern mußgefördert werden, und zwar sehr viel stärker, als dasbislang der Fall ist, und nicht das Zusammenleben vonErwachsenen.
Dabei muß es auch völlig egal sein, in welcher Lebens-form die Kinder aufwachsen.In diesem Zusammenhang erwarte ich von der Bun-desministerin ein klares Wort zu der unsäglichen De-batte, ob es Lesben und Schwulen zustehen soll, Kinderzu adoptieren. Ich finde, Sie können diesen Streit nichteinfach den Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikernüberlassen. Es gibt absolut keinen Grund, das Recht aufgemeinsame Adoption ausschließlich an die Ehe zubinden.Danke schön.
Das Wort hat nun
die Kollegin Hannelore Rönsch.
FrauPräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es gibt sie noch,die Familienministerin. Wir sehen sie heute hier. Zuletztist sie im März 1999 am Kabinettstisch aufgetaucht. Dahat sie die Ausweitung von Erziehungsgeld und Erzie-hungsurlaub eingefordert und wurde vom Bundeskanz-ler, ihrem Bundeskanzler, recht rüde abgebürstet. Damitdas nicht noch einmal vorkommt, wird eine ansonstender Öffentlichkeit nicht zugängliche Kabinettssitzungöffentlich gemacht. Wir alle konnten dies in der Zeitunglesen.
– Das war erschütternd, offensichtlich für die Ministerin.Erschütternd ist dies auch für die Familien.
– Das ist gar nicht so lustig.
Familienpolitik nämlich heißt, daß in diesem Ministeri-um eine Ministerin sitzt, die gestaltet, die Impulse gibt.Dies findet in unserem Lande nicht mehr statt.
Wir haben heute von Frau Steen gehört, daß es dochgesetzliche Initiativen geben soll. Wo sind sie denn? Wirbrauchen sie, damit sie im Plenum beraten werden kön-nen.Frau Steen, Sie haben auch von Ausweitungen desHaushalts gesprochen. Die marginalen Ausweitungenvon 1,6 Prozent beschränken sich lediglich auf die ge-setzlichen Leistungen. Daran kommen Sie gar nichtvorbei. Die müssen Sie zahlen. Also tun Sie bitte nichtso, als seien dies neue kreative Gedanken aus dem Fa-milienministerium.
Vom Kollegen Kolbe konnten wir erfahren, daß mehrPersonal eingestellt wurde. Was tut denn das neue Per-sonal? Das sollte doch wenigstens denken und etwasvorlegen dürfen. Aber dies passiert nicht.Im Bereich der Projekte müssen wir sogar einenRückgang von 18 Millionen DM zur Kenntnis nehmen.Dies ist keine Haushaltsredlichkeit, Frau Steen; das mußich einmal deutlich sagen. Ich würde von Ihnen alsHaushaltpolitikerin erwarten, daß Sie die Ministerin andiesen Stellen unterstützen. Impulse sind im Haushaltder Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugendan keiner Stelle zu erkennen.
Wenn man die Reden der Ministerin hört, hat manmanchmal ein wenig den Verdacht, daß es in der Fami-lienpolitik gar nicht so viele neue Impulse geben soll.Will sie gesellschaftliche Veränderungen? Will sieüberhaupt noch, daß beide Eltern die Kinder großzie-hen? Oder sollen dies Randerscheinungen werden?
– Für uns – das war immer unbestritten – sind auchAlleinerziehende eine Familie.Sie sollten sich mit der gesellschaftlichen Wirklich-keit in der Bundesrepublik Deutschland auseinanderset-zen und auch einmal die Studien lesen, die in jüngsterZeit erstellt worden sind. Danach wollen über 80 Pro-zent der jungen Männer und Frauen zwischen 18 und27 Jahren eine Familie gründen. Sie wollen heiraten,und sie wollen auch Kinder. Das setzt allerdings voraus,daß sie eine gesicherte finanzielle Grundlage haben. DieLebensbedingungen und die -entwürfe sind anders ge-worden. Junge Frauen und Männer wollen Familie undErziehung mit der Berufstätigkeit verbinden. Deshalb istes eine gute Initiative, wenn Sie auf unserem Weg fort-schreiten und die Vereinbarkeit von Familie und Be-ruf weiter fördern.
– Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwasNeues für Sie, meine Damen? Dann haben Sie die Poli-tik der 80er Jahre komplett verdrängt.
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub trugen nicht IhreHandschrift. Sie hatten das in der Schublade, aber wirhaben es verwirklicht.
Christina Schenk
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3020 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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– Danke schön für dieses Stichwort, Brigitte Baumei-ster.
Hat schon ein sozialdemokratisch geführtes Land einLandeserziehungsgeld eingeführt? An keiner Stelle.Ich finde es immer sehr mutig, wie Sie gerade in die-sen Tagen über die Familienpolitik sprechen. Die Mi-nisterin ist abgetaucht. Familienpolitik wird jetzt offen-sichtlich im Finanzministerium gemacht. Da darf sichd
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ein Kindergrundfreibetrag
wird unter die Leute geworfen, und man will sehen, wie
darauf reagiert wird.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth?
Selbstverständlich.
Frau Ganseforth,
bitte schön.
Frau Rönsch, erinnern
Sie sich, daß der Erziehungsurlaub von Sozialdemokra-
ten eingeführt worden ist? Sie haben ihn hinterher nur
verändert und übernommen. Haben Sie das vergessen?
FrauKollegin, ich glaube, wir sind etwa die gleiche Zeit langgemeinsam hier in diesem Hohen Hause. Erziehungs-geld und Erziehungsurlaub sind unter Minister HeinerGeißler eingeführt und dann kontinuierlich ausgebautworden.
Es gab einmal Erziehungsurlaub für berufstätige Frauen.Aber Sie hatten dies immer in der Schublade, bis wir1982 an die Regierung kamen. Wir haben es dann un-mittelbar umgesetzt. Es lohnt sich schon, alte Bundes-tagsdebatten nachzulesen.
Ich empfehle Ihnen ganz besonders die Essener Leitsät-ze; denn von ihnen können gerade die sozialdemokrati-schen Frauen eine ganze Menge lernen.Ich verstehe auch, daß Sie an dieser Stelle eine Zwi-schenfrage gestellt haben. Denn es wird für Sie ausge-sprochen unangenehm: Die Familienministerin hat bis-her bei den Leistungen für Familien an keiner Stelleeinen Vorschlag gemacht. Aus dem Finanzministeriumkam der Vorschlag des Kindergrundfreibetrages. Dieshört sich eigentlich noch ganz bekannt und vielleichtauch ganz gut an. Aber als erstes waren es die Familien-verbände in Deutschland – dort sind meistens die Fami-lien mit mehreren Kindern organisiert –, die aufge-schrien haben: Die haben einmal nachgerechnet undfestgestellt, daß bei Einführung eines Kindergrundfrei-betrages gerade die Familien weniger bekommen, diemehrere Kinder großziehen. Ist das Ihre Familienpolitik?Das kann doch wohl nicht sein.
– Das war, denke ich, ein Schnellschuß aus demFinanzministerium. Aber ich erwarte von der Familien-ministerin, daß sie die Position der Familien verteidigtund sich gegen dieses Finanzministerium und dieseStaatssekretärin stellt.
Es kann nicht wahr sein, daß die Interessen der Familienderart vernachlässigt werden.Wir, Frau Ministerin, haben in der ArbeitsgruppeFamilie, Senioren, Frauen und Jugend in unserer Frakti-on ein Familiengeld in Überlegung. Ich will hier sagen,daß es zwei unterschiedliche Modelle gibt. Kollege Kol-be kommt aus Sachsen. Dort gibt es eigene Ideen, eben-so in der Arbeitnehmergruppe und der CDA.Wir haben in der Fraktion ein Familiengeld in Über-legung, das auf den bewährten Instrumenten Kindergeld,Kinderfreibetrag und Erziehungsgeld aufbauen soll. Ent-sprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtssollen der Kinderbetreuungsbetrag und der Haushalts-freibetrag hineingenommen werden: eine Zusammenfas-sung familienpolitischer Leistungen soll zusammenge-führt werden.
Da wir immer solide arbeiten und Berechnungenvorlegen,
so, als könnten wir übermorgen die Regierung überneh-men – das kann ja täglich passieren –, werden Sie ganzkonkret, auf Mark und Pfennig genau die Verbesserun-gen für Familien nachrechnen können. Wir werden Ih-nen am Ende der Sommerpause unsere Berechnungen indieser Richtung vorlegen.Eines, meine Damen und Herren von der Regierungs-fraktion, werden Sie mit uns nicht erleben: Das Ehegat-tensplitting wird nicht angetastet. Wir wissen uns hier-bei in bester Gesellschaft, obwohl wir in der Minderheitsind und in allen parlamentarischen Gremien momentanvon Ihnen übelst überfahren werden.
Aber wir haben starke Partner an unserer Seite: zumeinen das Grundgesetz, zum anderen das Bundesverfas-sungsgericht. Wenn Sie meinen, den Familien schonwieder etwas entziehen zu können und sie mit der Öko-Hannelore Rönsch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3021
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steuer weiter belasten, sind Sie in der verkehrten Rich-tung. Sie werden uns dann an gar keiner Stelle zur Seitehaben.Ich konnte zur Familienpolitik einige Ausführungenmachen. Obwohl meine Redezeit nahezu beendet ist,will ich noch einige Anmerkungen zur Seniorenpolitikmachen; denn wir sind im Jahr der Senioren.
Es ist schön, daß Frau Kollegin Steen den Seniorenwenigstens verbal einen Blumenkranz windet; denn imHaushalt findet man davon überhaupt nichts.
Es gibt Kürzungen bei den „Zuschüssen Altenhilfe“.„Gesellschaftspolitische Maßnahmen für Ältere“, „For-schungsförderung Senioren“, „Zuwendungen an zentraleEinrichtungen Senioren“, „Zuschüsse an Träger derAltenhilfe“, „Modelleinrichtungen Seniorenpolitik“ –überall wurde gekürzt. Das machen Sie einmal den Se-niorenorganisationen und -verbänden klar.Ich habe Sie im übrigen, Frau Ministerin, in diesemJahr der Senioren bei zentralen Seniorenveranstaltungenvermißt.Ein Weiteres will ich noch zur Jugendpolitik sagen,weil ihr 1-Milliarde-DM-Programm für die 100 000Ausbildungsstellen momentan offensichtlich bei jedemEinzelplan angesprochen wird; bei jedem Einzelplanmeint man, der jeweilige Bereich könne daran partizi-pieren.
Gehen Sie doch einmal in Ihre Wahlkreise und redenSie mit den Unternehmern und den Handwerkern dar-über, wie dieses Programm angenommen wird. Mir wirdimmer nur mitgeteilt, daß Programme umgewidmetwerden, die sowieso schon bestanden haben. Der Gipfelist natürlich, wenn man dann sagt, wir hätten im Einzel-plan des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend weitere 10 Millionen DM, damit ju-gendliche Arbeitslose einen Arbeitsplatz finden. Nein,das ist in dieser Milliarde doch mit drin. Bei jedem Ein-zelplan wird diese 1 Milliarde angesprochen.
Es kann doch nicht jeder sagen, daß er da noch etwasZusätzliches habe. Ich denke, das ist ausgesprochenschwierig. Da müssen Sie in der Zukunft ein bißchenredlicher sein.
Der Einzelplan der Bundesministerin für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend ist keine Offenbarung, son-dern mehr ein Offenbarungseid.Ich möchte den Familien, den älteren Menschen so-wie den Frauen und den jungen Leuten in unserem Landversichern, daß wir von der Opposition, wenn es um dieUnterstützung geht, die wir ihnen gewähren können,immer an ihrer Seite sein werden.
Wir werden auch an der Seite der Ministerin sein, wennsie wieder einmal zu schwach sein sollte, ihre Positionenin diesem Kabinett zu verteidigen.
Ich erteile nun dasWort der Bundesministerin Christine Bergmann.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kommegleich noch auf Ihren furiosen Schluß zurück. Ich willnur vornweg einige Sätze zum Haushalt insgesamt sa-gen. Wir haben eine leichte Erhöhung von 128 Millio-nen DM. Damit finanzieren wir überwiegend gesetzlicheLeistungen, das ist klar. Wir haben uns hier aber wirk-lich Handlungsspielräume erstritten. Ich sage einmalzu Herrn Kolbe, zu Herrn Koppelin und zu Frau Rönsch:Wir haben in diesem Haushalt die Situation vorgefun-den, daß 1997 etwa 100 Millionen DM nicht abgeflossensind. Auch 1998 – das deklarieren Sie als vornehmeWahlkampfzurückhaltung – sind 68 Millionen DM nichtabgeflossen. Wie man Haushältern angesichts einer sol-chen Situation klarmachen will, daß man in diesem Be-reich mehr braucht, müssen Sie mir einmal erklären.
Wir werden unser Geld ausgeben – davon können Sieüberzeugt sein –, für wirklich gute und vernünftige Pro-jekte. Das wissen Sie auch. Ich halte es daher nicht fürsehr redlich, wenn hier wieder mit solchen Zahlen agiertwird, wie Sie sie genannt haben. Wir haben Ihnen mehr-fach erklärt, was der Unterschied zwischen Soll- undIstzahlen ist. Es bestand eben tatsächlich die Situation,daß das Geld nicht ausgegeben wurde, auch 1997 schonnicht.Nun komme ich zum Thema Familienpolitik. Dazuhat Herr Kolbe erklärt, die vorherige Koalition habe16 Jahre lang erfolgreiche Familienpolitik betrieben.Frau Rönsch hat etwas von solider Arbeit und von Soli-darität mit den Familien gesagt.
Nun muß ich wirklich einmal fragen: Was bedeutet dennnun dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil? Ist dasdas Ergebnis von 16 Jahren erfolgreicher Familienpoli-tik? Diese Frage sollten Sie hier einmal beantworten.
Hannelore Rönsch
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3022 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Dieses Urteil ist doch nun wirklich eine Bankrotterklä-rung Ihrer Regierung, nicht unserer Regierung. Wirmüssen jetzt versuchen, das wieder auszubessern, undmüssen sehen, wie wir das wieder ins Lot bringen.
Es gibt noch andere Punkte. Schauen wir uns einmaldie Situation bei der Kinderbetreuung an – sie spieltein der Debatte schon eine Rolle –: Das, was wir da vor-finden, Herr Kolbe, kann ich nicht als moderne Fami-lienpolitik bezeichnen. Auch im Vergleich mit anderenLändern haben wir bei der Kinderbetreuung einen gro-ßen Nachholbedarf.Ich will noch einen Punkt nennen: Das ist die Frage,welche Möglichkeiten Frauen haben, sich an der Er-werbsarbeit zu beteiligen. Der Anteil von Frauen anFührungspositionen, zum Beispiel im Vergleich mitFrankreich und Nordeuropa, spricht eigentlich Bände.Das können Sie hier nicht als erfolgreiche Familien-oder Frauenpolitik verkaufen. Da Sie mich nach demErziehungsgehalt gefragt haben: Das ist Ihre Vorstel-lung von Familien- und Frauenpolitik, meine nicht undunsere auch nicht.
Das ist lediglich eine Methode, um einige andere Pro-bleme zu lösen: Man kann im Kita-Bereich sparen undkann die Frauen wieder ein Stück vom Arbeitsmarkt ent-fernen, mit dem Hinweis darauf: Ihr bekommt jetzt jaein Erziehungsgehalt, also müßt ihr euer Geld nicht un-bedingt über die Erwerbsarbeit beziehen.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich will nur noch
diesen Gedanken zu Ende führen.
Nicht umsonst kommen diese Vorschläge aus dem
von mir ansonsten, wie Sie wissen, sehr geliebten Lande
Sachsen. In diesem Bereich kann ich die Vorschläge
aber nicht unterstützen. Wir haben auch die Vorschläge
der sächsisch-bayerischen Zukunftskommission auf dem
Tisch. Dort wird ganz klar gesagt, daß die Erwerbswün-
sche der Frauen im Osten in keinem realistischen Ver-
hältnis zur Zahl der Arbeitsplätze stehen. Die Arbeits-
plätze im Westen sind für sie erst recht nicht zugänglich.
Wir alle haben die entsprechenden Debatten miteinander
geführt. Vielleicht sollten wir einmal ein bißchen reali-
stischer diskutieren, was wir unter moderner Familien-
und Frauenpolitik verstehen.
Gestatten Sie jetzt
eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja.
Bitte sehr, Frau
Kollegin Eichhorn.
Frau Ministerin, Sie
haben vorhin das Bundesverfassungsgerichtsurteil ange-
führt. Würden Sie zugestehen, daß der Kinderfreibe-
trag während Ihrer vorherigen Regierungszeit völlig ab-
geschafft worden ist und erst nach 1982 von uns wieder
eingeführt wurde? Das heißt also: Sie haben Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts während Ihrer Regie-
rungszeit in keiner Weise berücksichtigt.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Eichhorn, ich
habe mich auf die Aussage von Herrn Kolbe bezogen,
der hier von 16 Jahren – wie hat er es genannt – erfolg-
reicher Familienpolitik gesprochen hat. Da ich darauf
angesprochen wurde, will ich auch sagen: Natürlich
werden wir die Beschlüsse des Bundesverfassungsge-
richts dazu umsetzen. Ich sage auch, wo unsere Schwer-
punkte liegen – auch der Finanzminister hat dies getan –:
Es wird darum gehen, sie sozial gerecht auszugestalten.
Das heißt, uns muß jedes Kind gleich viel wert sein.
Außerdem muß es darum gehen, die Situation der
Alleinerziehenden im Blick zu behalten. Und schließlich
muß es um die Erziehungsleistung gehen. Dies alles
muß vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzsitua-
tion und vor dem Hintergrund der Tatsache, daß wir
dem Bundesverfassungsgericht Genüge tun müssen, be-
achtet werden. Aber Sie können sicher sein, daß wir das
hinbekommen werden.
Familienpolitik hat ja nicht nur etwas mit Finanzen zu
tun; Familienpolitik ist auch eine Frage – –
– Ja, bitte, Herr Kolbe.
Bitte, Herr Kollege.
Frau Bergmann, unter-stützen Sie den Vorschlag, der aus dem Finanzministe-rium kam, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen,
der nicht in den Tarif eingearbeitet ist, so daß nach demFreibetrag der Fortsetzungssteuersatz gilt? Bei einerFamilie mit vier Kindern beispielsweise würde die ersteBundesministerin Dr. Christine Bergmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3023
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steuerbare Mark dann mit knapp 40 Prozent besteuert.Unterstützen Sie diesen Vorschlag aus dem Finanzmi-nisterium?Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kolbe, ich habeunsere Prioritäten klar genannt. Es ist noch überhauptnichts entschieden. Wir sind mitten in den Beratungen.Warten Sie doch einmal ab! Sie werfen uns ja sonst vor,wir gingen mit Vorschlägen zu schnell an die Öffentlich-keit. Warten Sie ab, und anschließend können wir das,was wir, der Finanzminister und die Familienministerin,am Ende gemeinsam vereinbaren, alles diskutieren.
Das Thema Erziehungsurlaub ist schon angespro-chen worden. Ich will Ihnen sagen, Frau Rönsch, waswir unter einer modernen Gestaltung des Erziehungsur-laubes verstehen und was wir in diesem Bereich errei-chen wollen. Wir wollen aus dem Erziehungsurlaubeinen wirklichen Elternurlaub machen, so daß beideElternteile, Väter und Mütter, gleichzeitig Erziehungs-urlaub in Anspruch nehmen können, verbunden mit derMöglichkeit von Teilzeitarbeit. Das ist im übrigen das,was die Mehrzahl der jungen Familien will.
Wir haben gerade entsprechende Untersuchungen aufdem Tisch: Vier Fünftel der jungen Familien präferierenTeilzeitarbeit, verbunden mit Teilzeiterziehungsurlaub.Das eben wollen wir erreichen. Sie können das gerneunterstützen; wir nehmen hier alle mit auf den Weg. Wirdiskutieren zudem über die Flexibilisierung des drittenJahres des Erziehungsurlaubes. Denn wir wollen, daßEltern frei sind in dem Umgang mit dem Elternurlaubund sich Väter mehr an der Erziehungsarbeit beteiligen.Zum Thema „Frau und Beruf“. Sie haben gefragt,wann wir ein entsprechendes Programm auf den Wegbringen: Wir werden es noch vor der Sommerpause imKabinett beraten. Manches dauert eben ein bißchen län-ger. Wenn man einen solch dürren Acker vorfindet unddiesen bestellen soll, braucht man ein bißchen Zeit. Wirhaben in diesem Zusammenhang sehr viele Punkte klä-ren müssen. Dieses Programm wird spezielle Maßnah-men wie die Unterstützung von Existenzgründungen, dieUnterstützung von Betriebsübernahmen durch Frauenusw. enthalten. Aber es sind natürlich auch rechtlicheDinge zu klären, unter anderem eine kräftige Reform desZweiten Gleichberechtigungsgesetzes, das sich als nichteffizient genug erwiesen hat. Wir haben Erfahrungendamit gemacht und wissen, was wir verändern müssen.Natürlich muß es in diesem Zusammenhang auchdarum gehen, wie Gleichstellung in der Privatwirt-schaft umgesetzt werden kann. Sie haben wahrschein-lich verfolgt, daß wir in einem breiten Dialog mit Tarif-partnern und Wirtschaft eingetreten sind. Im Wege von„total e-quality“ wollen wir deutlich machen, welchepositiven Erfahrungen es gibt. Frau Lenke, ich wärefroh, wenn wir über „total e-quality“ das Problem lösenkönnten. Mittlerweile haben sich 42 Betriebe um diesesPrädikat beworben. Es gibt aber fast 3 Millionen Unter-nehmen. Also kann man sich ausrechnen, wie viele Un-ternehmen übrigbleiben: 2 999 958.
Das auf diesem Wege lösen zu wollen ist etwas müh-sam, aber wir sind in Gesprächen miteinander. Es gibteine Arbeitsgruppe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaftund Gewerkschaften, in der es darum geht, wie man dasam besten hinbekommt, und schaut, welche Instrumentesich bewährt haben.
Frau Ministerin, es
besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
– Bitte sehr, Frau Kollegin Lenke.
Frau Bergmann, die Wirtschaftkennt nicht nur das Zertifikat „total e-quality“. Wenn Siesich die 99 größten Firmen angesehen haben – die Luft-hansa und andere –, wissen Sie, wie sehr sich diese umFamilien bemühen. Meinen Sie nicht, daß wir das unter-stützen und ihnen nicht mit dem Gesetzeshammer kom-men sollten? Meine Befürchtung ist nämlich: Das bringtnichts. Das hat auch in der Vergangenheit nichts ge-bracht. Ich hoffe, daß Sie dieses Zwangsgesetz nichtmachen werden.Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir unterstützendie großen und die kleinen Unternehmen natürlich sehr,die mit ganz unterschiedlichen Modellen Frauenförde-rung und eine Politik der Chancengleichheit betreiben;das ist klar. Interessanterweise fragt mich ein Teil dieserUnternehmen: Wann kommt Ihr Gesetz denn?
– Nein, weil sie es als Unterstützung betrachten. Aberdas ist im Moment gar nicht der Punkt. Wir diskutierenschon miteinander und schauen uns an, was sich bewährthat. Es wird darum gehen, zu sagen, welchen Rahmenman bieten muß, damit die Gleichstellung in der Privat-wirtschaft tatsächlich vorangetrieben wird.Wenn wir über das Thema „Frau und Beruf“ reden,müssen wir natürlich auch über das Thema „Mann undFamilie“ reden.
Ein Thema in diesem Zusammenhang ist der Erzie-hungsurlaub; denn in bezug auf Familien- und Erzie-hungsarbeit klafft eine große Lücke zwischen Anspruchund Realität. Wir wissen, bisher nehmen nur 2 Prozentder Väter Erziehungsurlaub. Der Soziologe Ulrich Beckhat diese Kluft, wie ich finde, sehr treffend als „verbaleAufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“bezeichnet.Auch wir haben Untersuchungen auf dem Tisch lie-gen, in denen Väter befragt werden. Danach sind diewerdenden Väter am motiviertesten. Sie möchten fastManfred Kolbe
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3024 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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alle Erziehungsurlaub nehmen. Die Begeisterung dafürlegt sich aber mit zunehmendem Alter.Das heißt, wir brauchen hier entsprechende Regelun-gen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der gemeinsamenInanspruchnahme des Erziehungsurlaubs mit Teilzeit-arbeit, aber natürlich auch vernünftige Arbeitszeitre-gelungen. Das ist das – das hat unsere letzte Studieergeben –, was auch Väter fordern. Sie sagen: Wir brau-chen vernünftige Arbeitszeitregelungen, damit auch wirErziehungsurlaub nehmen können.Zum Thema Frauenpolitik gehört auch, daß wir Frau-en besser vor Gewalt schützen müssen. Wir werden indiesem Jahr – das ist wirklich neu in diesem Land –einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Ge-walt gegen Frauen auf den Weg bringen. Ich denke, esgeht vor allen Dingen darum, deutlich zu machen, daßdiese Gesellschaft nicht mehr gewillt ist, Gewalt gegenFrauen, vor allem die häusliche Gewalt, als Privatsachehinzunehmen, sondern daß diese öffentlich zu verfolgenist.
Da geht es auch um rechtliche Regelungen, zum Bei-spiel die vereinfachte Zuweisung der gemeinsamenWohnung an die geschlagene Frau. Aber es geht nichtnur um häusliche Gewalt, wie wir sie kennen. Es gehtauch um die Bekämpfung von Frauenhandel, vonZwangsprostitution; es geht um die Verbesserung derSituation von Migrantinnen. Ich denke, das ist ein wich-tiger Schritt. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen.Ich will noch etwas zur Seniorenpolitik sagen. Das,was Sie uns hier erzählt haben, Frau Rönsch, ist aben-teuerlich.
Wir machen im Internationalen Jahr der Senioren über70 Veranstaltungen. Vielleicht sind wir nicht immer aufderselben Veranstaltung. Einen Großteil dieser Veran-staltungen besuche ich selbst.Auch Sie wissen, daß wir die demographische Ent-wicklung nicht nur im Auge behalten, sondern uns auchdarauf einstellen und versuchen müssen, in der Gesell-schaft ein Bewußtsein dafür zu schaffen. Die Gesell-schaft muß sich darauf einstellen.
Wir haben sehr viele fitte, aktive Ältere. Für die tunwir eine ganze Menge. Es geht auch darum, den Zu-sammenhalt zwischen den Generationen zu stärken.Auch dazu steht vieles in unserem Programm.Es geht ebenso darum zu fragen: Was machen wir mitälteren Menschen, die pflegebedürftig sind? Da muß ichwirklich sagen: Hier haben wir ein sehr schlecht be-stelltes Feld vorgefunden.
Wir haben wenigstens die Vorlage betreffend bunde-seinheitliche Altenpflegeausbildung im Bundesrat. Esgeht weiter mit der Novelle zum Heimgesetz, mit demGesetz über ambulante Pflegedienste. Daran arbeiten wir– das wissen Sie auch – mit den Ländern schon gemein-sam. Wir bekommen das in dieser Legislaturperiode aufdie Reihe. Das haben Sie in den letzten Jahren nicht ge-schafft.
Sie können ja mithelfen. Wenn Ihnen dieses Thema soam Herzen liegt, können Sie sich gerne daran beteiligen.Zum Schluß möchte ich noch auf einen Punkt zumThema Jugend eingehen. Wir reden immer über denStandort Deutschland. Ich glaube, wir müssen sehr vielmehr über die Zukunft unserer Jugend reden.
Frau Ministerin,
denken Sie an Ihre Redezeit.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, ich denke an
meine Redezeit. Ich bin gleich zu Ende. Ich muß nur
noch einen Punkt nennen.
Ich bin sehr froh, daß sich das Sofortprogramm so gut
umsetzt. Sie wissen wirklich nicht, worüber Sie reden,
wenn Sie dieses Programm einfach abtun.
Die Jugendlichen kamen in meinem Sprengel schon im
Alter von 15 Jahren resigniert zu mir und fragten: Wel-
che Chance haben wir eigentlich? Wir haben mit diesem
Programm eine Bugwelle abgebaut. Wir haben Jugend-
liche erreicht, die kaum noch erreichbar und bei keinem
Arbeits- oder Sozialamt gemeldet waren. Sie kommen
jetzt mit Hoffnung und haben das Gefühl, daß sich unse-
re Generation um sie kümmert. Ich glaube, wir müssen
auf alle Fälle erreichen, daß Jugendliche nicht resignie-
ren.
Frau Ministerin, darf
ich Sie an die Redezeit erinnern?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir wollen mit un-
serem Programm „Jugend und Arbeit“ eine Gruppe, die
uns immer noch durchrutscht, auffangen und einbinden.
Wir wollen sie aus den sozialen Brennpunkten heraus-
holen. Wir wollen ihre Identifikation mit dem Umfeld
fördern. Wir wollen die Jugendhilfe mit einbeziehen.
Das ist eine sehr vernünftige Geschichte. Das haben die
Jugendlichen in den letzten Jahren nicht erlebt.
Frau Ministerin, Siemüssen bitte zum Schluß kommen.Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja. Damit habe ichdas Wichtigste, was noch zu sagen war, gesagt.
Ich möchte mich herzlich bei allen, die uns im Haus-haltsausschuß unterstützt haben, bedanken. Wenn allendie Themen so wichtig sind, dann können wir gemein-sam gut weiterarbeiten.Danke.
Ich schließe die
Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 17, Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, in der Ausschußfassung.
Es liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir
zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag der CDU/CSU auf Drucksache 14/888? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist
abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/899? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/900? – Wer stimmt dagegen? – Stimm-
enthaltungen? – Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/902? – Wer stimmt dagegen? – Stimm-
enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschuß-
fassung? – Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Der Ein-
zelplan 17 ist angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, den heute nachmittag
an die Ausschüsse überwiesenen Antrag der Bundesre-
gierung zur deutschen Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf
Drucksache 14/912 zur Mitberatung auch noch an den
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf:
10. Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
– Drucksachen 14/614, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Matthias Berninger
Manfred Kolbe
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Ände-
rung des Arzneimittelgesetzes
– Drucksache 14/898 –
gang Lohmann , Wolfgang Zöller,
Dr. Wolf Bauer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Fünf-
– Drucksache 14/886 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes zur Stärkung der Solidarität in der ge-
– Drucksache 14/884 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der jetzt vorge-legte Arbeitsentwurf des Gesundheitsreformgesetzes2000 sorgt für Aufregung im Gesundheitswesen. Ausdiesem Grund will ich nur sehr kurz auf den Einzel-plan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit einge-hen, dem wir im Gesundheitsausschuß noch zugestimmthaben. Inzwischen sind aber so viele Kürzungen vor-genommen worden, daß darauf im Detail noch einge-gangen werden muß.Zuerst einmal zum Gesundheitswesen, so wie es sichnach dem Entwurf des Ministeriums für die Zeit nachdem 1. Januar 2000 darstellen wird. Meine Damen undHerren, ältere und kränkere Patienten, neuere und immerbessere Therapie- und Diagnostikmöglichkeiten, neueund mit hohem Forschungsaufwand hergestellte Medi-kamente sowie neue Operationsverfahren machen unserGesundheitssystem immer leistungsfähiger und leiderauch immer teurer. So viele Rationalisierungsreserven,wie viele meinen – da machen wir uns manchmal etwasvor –, stecken in unserem System nicht mehr drin. Wirhaben ein sehr effektives Gesundheitssystem. Das wird
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uns bewußt, wenn wir die Aufwendungen und die Ko-sten mit denen in Gesundheitssystemen anderer westli-cher Länder vergleichen.Die politische Kunst besteht darin, dieses System zureformieren, es zu optimieren und die Patienten davonzu überzeugen, daß Mehrleistungen nicht unbegrenztunter dem Gebot der Beitragssatzstabilität ohne Beteili-gung der Versicherten erbracht werden können.Diesem Anspruch ist Ihr Solidaritätsstärkungsgesetznicht gerecht geworden.
Es wurde alles noch komplizierter, es wurde noch dirigi-stischer, und der Druck auf die Leistungserbringer wur-de noch stärker, ohne die eben angesprochenen be-rühmten Rationalisierungsreserven zu mobilisieren.Jüngstes Beispiel für die Fehlentwicklungen ist dasArzneimittelbudget. Wenn da Ihr Notprogramm nichthilft, Frau Ministerin, ist das Jahresbudget bei12prozentiger Steigerung schon im ersten Quartal diesesJahres bereits im Oktober, spätestens im November auf-gebraucht.Sie, Frau Ministerin, haben das Solidaritätsstär-kungsgesetz unter anderem damit begründet, daß durcheine vorübergehende einjährige Ausgabenbegrenzungfür das Jahr 1999 die Voraussetzungen dafür geschaffenwerden sollten, in Ruhe mit den Beteiligten möglichstkonfliktfrei eine Gesundheitsreform 2000 vorzubereiten.Was die Umsetzung dieser Aussage betrifft, gibt esunter den Beteiligten über die Beteiligung erheblichunterschiedliche Auffassungen. Fest steht, daß sich dieKrankenkassen sehr früh in die Diskussion einschaltenkonnten, während zum Beispiel die Kassenärzte erst imMärz 1999 mit Ihnen Gespräche führen konnten. Über-haupt fühlen sich viele Leistungserbringer von Ihnenschlecht verstanden, und alle haben das ungute Gefühl,daß die Zeit, als die Politik der gleichlangen Spieße imGesundheitswesen für ein gewisses Austarieren derInteressenlagen gesorgt hatte, jetzt vorbei ist.
– Ich meine die Zeit der letzten Jahre, wo das möglichwar.
Konfliktfrei sollten die Überlegungen sein. Dr. FrankMontgomery, der Vorsitzende des Marburger Bundes,bezeichnet den Reformentwurf als „Marsch in denKrankenkassenstaat“. Die Zahnärzte äußern sich ähnlichmit dem Begriff „Weg in eine Staats- und Kassenmedi-zin“. Die Deutsche Krankenkassengesellschaft beklagtdie schlechtere Patientenversorgung durch das Global-budget. Selbst der Vorsitzende des Vorstandes derTechniker-Krankenkasse formuliert als sein Urteil:„Dieses Papier eignet sich nicht einmal als Diskussions-grundlage. Es ist ordnungspolitisch völlig verfehlt undzudem noch handwerklich unzureichend.“
Das sieht auch die nordrhein-westfälische SPD-Gesundheitsministerin Frau Birgit Fischer so, wenn siesagt, daß das Papier in zentralen Punkten absolut unzu-reichend ist.„In Ruhe vorbereitet“: Sie selbst, Frau Fischer, haben,glaube ich, am 25. Februar 1999 doch gesagt, Sie würdenbei der Verabschiedung der Gesundheitsreform 2000ohne Hast vorgehen. Mit Mühe ist der Arbeitsentwurf amletzten Freitag mittag vorgestellt worden. Der Termin zurFertigstellung des Referentenentwurfs wurde schon nachhinten verschoben. Viele raten Ihnen, das für uns allewichtige Gesetz nicht zum 1. Januar 2000 in Kraft tretenzu lassen, sondern wirklich in Ruhe mit allen Beteiligtennach einer Lösung für die Probleme im Gesundheitswesenund zum Wohle der Patienten zu suchen.Starre, fest gedeckelte Budgets sind leistungsfeind-lich und verhindern Dynamik und innovative Bewegun-gen in der Medizin.
Mit diesen starren Budgets läßt sich ein Kostenstopp nursehr kurzfristig erreichen. Für eine langfristige Steue-rung sind starre Budgets vollkommen ungeeignet.Diese Erfahrung hat auch eine CDU/CSU-F.D.P.-Koalition vor Jahren gemacht, aber sie hat in den letztenJahren Luft unter den früher hermetisch verschlossenenDeckel gelassen und über Zuzahlungsregelungen undStärkung der Eigenverantwortung der Patienten,
über Regelleistungsvolumina mit Überschreitungsmög-lichkeiten mit degressiver Abstaffelung und auch überden Mechanismus, daß Mehrerlöse teilweise bei denKrankenhäusern verbleiben konnten, das starre Systemaufgebrochen und an die moderne Entwicklung adap-tiert. Das können Sie nicht bestreiten.
Was macht die rotgrüne Koalition nach der Bundes-tagswahl? Mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz führt siedie alte starre Regelung wieder ein und preßt die Deckelwieder auf die Töpfe – mag es darunter noch so kochenund brodeln. Die Arzneimittelbudgets reichen nicht aus.Ärzte werden zu der Überlegung verführt, welchem Pa-tienten ein Medikament, das früher problemlos ver-schrieben wurde, jetzt möglicherweise unter Hintan-stellung von Bedenken nicht mehr zu Lasten der Kran-kenkassen verschrieben werden soll.Ich wundere mich, daß den Ärzten zugemutet wird,eine medizinische Entscheidung für den Patienten imSinne eines Gesundheitssystems mit begrenzten finan-ziellen Ressourcen – also ökonomisch – zu treffen. Ichdenke, das ist unsere Aufgabe; wir als Gesundheitspoli-tiker müssen entscheiden, wo Rationierung einsetzensoll. Einschränkungen gibt es im deutschen Gesund-heitswesen, neben zugegebenermaßen noch vorhande-nen Rationalisierungsreserven. Der Satz „Wir müssenrationalisieren, damit es nicht zur Rationierung kommt“ist eine schreckliche Vereinfachung der medizinischenWirklichkeit. Wir haben beides nebeneinander.
Dr. Hans Georg Faust
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Die Budgets vieler Krankenhäuser sind ausge-schöpft. Die Mengenvereinbarungen werden überschrit-ten, und am Jahresende überlegen sich Krankenhausdi-rektoren und Chefärzte, wohin Patienten verlegt werdenkönnen, wer noch freie Kapazitäten hat oder wie man esanders hinbekommt, daß Eingriffe nicht ins nächste Jahrverschoben werden müssen. Das ist die bundesdeutscheWirklichkeit in einem Gesundheitssystem, das von sei-nem hohen Niveau aus der Vergangenheit zehrt.Die Explosion der Einzelbudgets wird auch nicht da-durch verhindert, daß im Inneren des großen Topfes eineGlobalbudgetierung stattfindet. Abgesehen davon, daßdas Globalbudget ein Monstrum, ein sperriges und un-handliches Instrument ist,
werden die sektoralen Budgets für die einzelnen Berei-che nicht aufgehoben, sondern – im Gegenteil – wie imArznei- und Heilmittelbereich noch schärfer gefaßt undausgeweitet.Die Gangart im Zusammenhang mit dem Globalbud-get läßt sich exemplarisch an der Integrationsversorgungdarstellen: Während bisher im Rahmen von Modellvor-haben und Strukturverträgen für Verzahnungen des am-bulanten und stationären Bereichs zusätzliche Mittel derKrankenkassen bereitgestellt wurden, kommt es jetztunter dem Begriff der Integrationsversorgung zu einerFinanzierung aus Vergütungsvolumina, die anderen Be-reichen abgezwackt werden. Hieran offenbart sich dielogische Folge des Globalbudgets: Wer mit einzelnenKrankenkassen – auch das sieht der Arbeitsentwurf vor– als Gemeinschaft oder Gruppe von Leistungserbrin-gern Verträge zur Integrationsversorgung abschließt,kann auf Geld aus den Taschen anderer hoffen. Damitwird durch die Hintertür ein Einkaufsmodell für einzel-ne Kassen eingeführt.Es ließe sich noch viel sagen – unter anderem zu derPlanungskompetenz für Krankenhäuser, die den Kran-kenkassen neue Möglichkeiten gibt –, und es wäre nochdarüber zu diskutieren, wie wir den Sicherstellungsauf-trag in der Bundesrepublik definieren. Ich will es aber,was die Bezugnahme auf das Reformgesetz betrifft, da-mit bewenden lassen.Meine Damen und Herren, die Beispiele Globalbud-get und Integrationsversorgung haben gezeigt, welchenWeg die rotgrüne Koalition – oder zumindest das Ge-sundheitsministerium – gehen will: Unter dem Diktateiner unbedingten Beitragssatzstabilität werden Pa-tientenrechte langsam, aber sicher ausgehöhlt, Lei-stungserbringer kämpfen um eine halbwegs angemes-sene Vergütung, und die bisherige strukturelle Planungzur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerungwird durch einen Verdrängungswettbewerb in einemgeschlossenen System bis zur Unkenntlichkeit verän-dert.Wir hoffen, Frau Ministerin, daß der Referentenent-wurf zu diesen wichtigen Eckpunkten andere Grundvor-stellungen entwickeln wird. Dieser Arbeitsentwurf löstdie Probleme im Gesundheitswesen nicht.
Herr Kollege Dr.
Faust, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
Nun erteile ich dem Kollegen Walter Schöler, SPD-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon bemer-kenswert, daß der Kollege Dr. Faust nach 16 JahrenVerantwortung der alten Regierung einen Reformbedarfeinräumt. Wir werden dem Auftrag gerecht werden;denn Sie sind mit Ihrer Gesundheitspolitik in diesen Jah-ren gescheitert, sonst hätten Sie diese Rede so nichthalten können.Bei der Betrachtung des Gesamthaushaltes des Bun-desministeriums für Gesundheit stellt man fest: Er ist miteinem Ausgabevolumen von rund 1,6 Milliarden DM imVerhältnis zum Bundeshaushalt relativ klein. Gleichwohl,liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Volumen, das sichhinter dieser Kompetenz in der Gesetzgebung des Mi-nisteriums verbirgt, ist ungeheuer groß. Allein im Rah-men der gesetzlichen Krankenversicherung werden imJahr über 250 Milliarden DM für die dort versicherten51 Millionen Mitglieder aufgewendet. Es gibt also wenigeRessorts, deren Arbeit für die Bürgerinnen und Bürgerunseres Landes so unmittelbar von Bedeutung ist wie diedes Bundesgesundheitsministeriums.Die neue Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Faust,ist einer sozial gerechten Gesundheitspolitik nicht nurverpflichtet, sie wird ihr gerecht. Diese Politik wird aufdem Solidar- und Sachleistungsprinzip beruhen. Dazugehört für uns eine paritätisch finanzierte Krankenver-sicherung. Wir werden dafür sorgen, daß Gesundheit füralle bezahlbar bleibt; denn der Anspruch auf eine quali-tativ hochstehende medizinische Versorgung darf sicheben nicht nach dem Geldbeutel richten.
– Sie kommen auch noch dran, Herr Thomae.Gesundheitsförderung, Gesundheitsvorsorge und Re-habilitation erhalten bei uns einen hohen Rang. Es be-darf erheblicher Anstrengungen, dieses Krankenver-sicherungssystem finanziell dauerhaft zu stabilisieren.Das ist Ihnen eben nicht gelungen; da können Sie sagen,was Sie wollen.
Im GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz ging es aller-dings zunächst darum, grobe Ungerechtigkeiten des Sy-stems zu beseitigen. Diese von der ehemaligen Regie-rung vererbten einseitigen Belastungen von Versichertenund chronisch Kranken haben wir zum 1. Januar korri-giert. Ich nenne die Reduzierung der Zuzahlung zuMedikamenten, den Wegfall des Krankenhausnotop-fers, die Aufhebung des Ausschlusses Jugendlicher vomZahnersatz und die Wiedereinführung der direktenZahlungen der Krankenkassen an den Arzt. Im übrigenDr. Hans Georg Faust
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gehört auch die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfallzu einem Teil dieser Vorsorge – das darf man hier ein-mal sagen, auch wenn es nicht das Ressort der Ministe-rin betrifft.
Wir nehmen für uns in Anspruch, versprochen und Wortgehalten zu haben. Das werden wir auch in Zukunft sotun.Das war nur der erste Schritt, den wir gegangen sind.Im zweiten Schritt geht es nun darum, durch eine Struk-turreform eine Kehrtwende in der Gesundheitspolitikeinzuleiten. Um was geht es schwerpunktmäßig bei denzwischen den Koalitionsfraktionen und dem Ministe-rium vereinbarten Eckpunkten? Wir wollen die Einfüh-rung einer sinnvollen Begrenzung der Ausgaben derKrankenkassen bei Einführung des Globalbudgets, dieStärkung der hausärztlichen Versorgung unter Beibe-haltung der freien Arztwahl und eine bessere Zusam-menarbeit von Fachärzten und Krankenhäusern, zumBeispiel durch gemeinsame Nutzung teurer Medizin-technik.
Wir werden im Rahmen der Neuordnung des Arznei-mittelmarktes eine Positivliste erstellen.
– Wir werden zwei erstellen, das stimmt. Das aber sindListen, Herr Thomae, die nicht, wie bei Herrn Seehofer,als Opfergang an die Pharmaindustrie im Reißwolf lan-den werden. Das ist der Unterschied bei unserer Politik.Wir werden außerdem ein neues Vergütungssystemfür die ambulante und die stationäre Versorgung schaf-fen. Dabei werden wir nicht nur qualitative Anreize be-rücksichtigen. Die Rechte der Patienten und der Patien-tenschutz werden gestärkt. Dazu gehören nicht zuletztauch Maßnahmen der Qualitätssicherung. Wir sehenbei unserer Politik die Menschen: sowohl diejenigen, diediese Leistungen benötigen, als auch diejenigen, die diesequalitativ hochwertigen Dienstleistungen erbringen.Fazit: Gesundheitspolitik ist bei Rotgrün nicht alleinKostendämpfungspolitik, sondern zunehmend Struktur-politik.
Die Menschen müssen wieder das Gefühl haben, daß siefür ihre Beiträge auch die bestmöglichen Leistungen er-halten. Ich weiß: Wir kämpfen zugleich an mehrerenFronten des Megakonzerns Gesundheit mit seinen unter-schiedlichen Lagern. Man liest es jeden Tag in der Pres-se. Jeder erwartet einen möglichst großen Anteil amGesamtkuchen. Da geht es uns sicherlich nicht andersals der früheren Regierung; auch deren Politik wurdedort nicht bejubelt.Aber, meine Damen und Herren von der Opposition:Sie haben vom Wähler für Ihre Politik die Quittung be-kommen. Das galt auch Ihrer falschen, unsoliden undunsozialen Gesundheitspolitik.
Wir hingegen machen deutlich: Unseren Reformankün-digungen folgen auch die Taten. Unser Ziel ist dieGesundheitsreform zum 1. Januar 2000. Dieses Zielwerden wir mit einer nachhaltigen Sicherung erreichen.Der Arbeitsentwurf des Reformgesetzes liegt seitEnde vergangener Woche vor. Wir begrüßen, daß ernoch vor der Sommerpause im Kabinett verabschiedetwerden soll. Sicherlich bedarf es danach bei allen Betei-ligten einer hohen Konzentration für eine sorgfältige Be-ratung. Es bedarf auch des Willens zum Konsens aller,die an diesem Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind,ebenso auch der Bundesländer und
derer, die für die Sicherstellung der medizinischen Ver-sorgung und für die Verwendung der Beiträge der Ver-sicherten verantwortlich sind. Wissen Sie, Herr Thomae,das ist bei Umbauten eben so: Wenn man Wände ver-setzt und neue einzieht, dann kracht und staubt es schoneinmal. Zum Schluß steht ein neues Gebäude, über dassich alle freuen. Das werden Sie dann auch erleben.
Manch einer von Ihnen hat vielleicht auf den erstenBlick verwundert festgestellt, daß sich die Ausgaben imEinzelplan 15 von 1998 auf 1999 mehr als verdoppelthaben. In der Tat liegen sie heute bei rund1,6 Milliarden DM. Dieser Anstieg um 126 Prozent be-ruht in erster Linie darauf, daß mit der Zuständigkeitfür die Pflegeversicherung auch die Haushaltsmittelvon rund 870 Millionen DM vom Arbeitsministeriumauf das Gesundheitsministerium übergegangen sind.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?
Aber gern, bitte.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr Kollege, Sie sprachen eben von mangelnder Soli-
dität der Politik in der Vergangenheit. Können Sie mir
bestätigen, daß bei Übergabe der Regierungsgeschäfte
an Rotgrün die Krankenkassen 1997 einen Überschuß
von 1,1 Milliarden DM und 1998 von etwas über 1 Mil-
liarde DM aufwiesen und daß von 1992 – in diesem Jahr
ist Bundesgesundheitsminister Seehofer angetreten – bis
1998 in Deutschland Beitragssatzstabilität herrschte,
nämlich 13,4 Prozent bzw. 13,5 Prozent?
Herr Kollege Lohmann, esgeht hier doch um die Entwicklung, die mittel- und lang-fristig geplant werden muß.
Walter Schöler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3029
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Ich kann Ihnen nur sagen: Die Zahlen, die Sie geradegenannt haben, sind nach ihrem Anteil am Gesamtvolu-men zu vernachlässigen. Dieser Anteil liegt unter 1 Pro-zent. Vielmehr geht es darum, eine nachhaltig solideGesundheitspolitik einzuläuten. Wir werden das tun. Siewerden in den nächsten Monaten sicherlich genügendGelegenheit haben, Ihre Vorstellungen einzubringen.
Ich war bei der Pflegeversicherung stehengeblieben.In dieser Versicherung sind inzwischen 79 MillionenMenschen erfaßt. 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürgererhalten derzeit Leistungen der Pflegekassen, davonrund 70 Prozent für die häusliche Pflege. Angesichts derdemographischen Entwicklung ist damit zu rechnen, daßdie Zahl dieser Pflegebedürftigen in den nächsten zehnJahren um 20 Prozent bzw. um 350 000 Menschen an-steigen wird. Wir werden also weiterhin Vorsorge fürdie Nachhaltigkeit dieses noch jungen Pfeilers in dersozialen Sicherung zu treffen haben.Wer vom Einzelplan Gesundheit spricht, der mußauch wissen, daß mit diesem neben dem Finanzbedarfdes Ministeriums selbst auch der Bedarf politisch wich-tiger Institute gedeckt wird. Ich möchte von diesen ins-gesamt sechs Behörden und Instituten aus Zeitgründennur eines nennen, nämlich das Bundesinstitut für Arznei-mittel und Medizinprodukte, das auch für die Zulas-sung und Nachzulassung von Medikamenten zuständigist. Probleme macht hier insbesondere die hohe Zahl derunerledigten Nachzulassungsanträge. Ursprünglich gabes rund 32 000 Anträge. Diese Zahl ist inzwischen aufrund 14 700 noch zu bearbeitende Anträge reduziertworden. Diese Reduzierung erfolgte unter anderemdurch die Rücknahme vieler Anträge oder durch dasAuslaufen des Produktes. Wir werden uns damit sicher-lich noch zu befassen haben.Dies gilt auch für das von der Europäischen Kom-mission im November 1997, also zur Zeit Ihrer Regie-rung, eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren aufGrund der deutschen Zulassungsvorschriften. Hierdrohen unter Umständen finanzielle Folgen durch dieFestsetzung von Zwangsgeldern. Ich möchte diesenkomplizierten Sachverhalt nicht weiter vertiefen. AberRechtssicherheit ist vonnöten. Die Kranken sollten dieGewißheit haben, wenn sie schon Medikamente nehmenmüssen, daß diese geprüft und zugelassen sind.Wir haben inzwischen durch eine Änderung im Stel-lenplan die benötigten Stellen im Bereich der Zulassungund Nachzulassung von Medikamenten planmäßig be-reitgestellt. Als Haushälter erwarten wir sicherlich auch,daß die Kosten dieser Verfahren durch Gebühren voll-ständig gedeckt werden.Im übrigen möchte ich anmerken, daß dieses Institutdemnächst in die Region Bonn umziehen wird. Mit die-sem Wechsel nach Bonn wird auch ein wichtiger arbeits-marktpolitischer Beitrag für diese Region geleistet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, was verbirgt sichhinter den Ansätzen an gesundheitspolitisch relevantenProgramm-Maßnahmen? 180 Millionen DM werdenschwerpunktmäßig für Modellprogramme in der Pflege-versicherung, zur Krebsbekämpfung und für Maßnah-men gegen chronische Erkrankungen sowie gegen Dro-gen- und Suchtmittelmißbrauch eingesetzt. Ferner wer-den Vorhaben der medizinischen Qualitätssicherung ge-fördert, ebenso die Ressortforschung und Maßnahmenzur Aufklärung der Bevölkerung.Die Drogenpolitik ist jetzt erstmalig dem Gesund-heitsministerium zugeordnet worden. Dies unterstreichtunsere Bewertung von Sucht als Krankheit und stellt dieDrogenprävention in den Mittelpunkt der Politik.Gleichzeitig bleibt auch die Strafverfolgung des krimi-nellen Drogenhandels weiterhin eine wichtige Aufgabe.Aus dem Drogen- und Suchtbericht 1998 der Dro-genbeauftragten geht hervor: Die Zahl der polizeilichregistrierten erstauffälligen Konsumenten harter Drogenhat sich im Jahr 1998 um 1,7 Prozent auf rund 21 000Personen erhöht. 1998 verstarben bundesweit 1 674Menschen im Zusammenhang mit dem Mißbrauch vonBetäubungsmitteln. Dies ist ein dramatischer Anstiegvon 11,5 Prozent. Der Anteil von Jugendlichen mit Dro-generfahrung hat weiterhin stark zugenommen.Diese Zahlen sind nicht nur erschreckend; vielmehrwird durch sie verstärktes Handeln gefordert. DieKoalition wird daher die von ihr definierten Grundlagenund Zielsetzungen einer neuen Sucht- und Drogenpolitikzielstrebig umsetzen. Darin einbezogen werden auch dieFolgen des Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenmiß-brauchs.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist es derKoalition gelungen, Bereiche mit gewachsener gesund-heitspolitischer Bedeutung von Kürzungen auszuneh-men. Kürzungen als solche waren vonnöten. Ich werdedarauf noch zu sprechen kommen. Wenn aber Ansätzenach unserer Einschätzung von zentraler Bedeutungsind, dann haben wir sie sogar angehoben. Dies gilt auchfür die Qualitätssicherung in der Medizin und für dieVerbesserung der Selbstversorgung mit Blut und Blut-produkten.Bei der Gestaltung des diesjährigen Haushalts ist eswesentlich gewesen – das haben schon einige Vorrednergesagt –, daß man auch die Ist-Zahlen des abgelaufenenHaushaltsjahres kannte, die wahrhaftig das widerspie-geln, was in der Politik tatsächlich umgesetzt worden ist.Nicht die Ansätze selbst, sondern die Umsetzung dieserAnsätze ist das Entscheidende.Der Regierungsentwurf 1999 basiert in wesentlichenTeilen sicherlich auf dem Entwurf der alten Regierung.Wir haben jedoch eine Reihe von – aus unserer Sichtnotwendigen – Verbesserungen eingebracht. Auf einigedavon möchte ich hinweisen. Der Ansatz für die Ge-sundheitsberichterstattung konnte angehoben werden.Die Verpflichtungsermächtigungen für Maßnahmen derQualitätssicherung wurden erhöht. Erstmals wurdenauch Mittel für die Einführung einer Kosten- und Lei-stungsrechnung im Paul-Ehrlich-Institut veranschlagt.Walter Schöler
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Diese Rechnungen haben Pilotcharakter für den Ge-schäftsbereich, vielleicht auch für andere Ressorts.Im Gesundheitsetat wurde aber nicht nur zugelegt.Einsparpotentiale haben wir ebenso genutzt. Bei den Er-stattungen der Aufwendungen für Krankenkassenlei-stungen an Aussiedler erfolgte eine Anpassung des Ti-tels an die sinkenden Aussiedlerzahlen. Gleiches gilt fürLeistungen des Bundes bei den Aufwendungen nachdem Mutterschutzgesetz. Auch dort sind die Zahlen – obman es beklagen will oder nicht – zurückgegangen.Zur Umsetzung neuer gesundheitspolitischer Ziele imDrogenbereich bleibt es durch Aufstockung des Regie-rungsansatzes bei den Vorjahresansätzen. Dies gilt auchfür die Aids-Aufklärung. Die Gesamtzahl der HIV-Infektionen in Deutschland wird auf 50 000 bis 60 000geschätzt. Trotz intensiver Bemühungen durch dieseAufklärungskampagnen kommen jährlich bedauerli-cherweise 2 000 bis 2 500 Neuinfektionen hinzu. Wirhaben deshalb gemeinsam dafür gesorgt, daß der Haus-haltstitel wieder 18 Millionen DM beträgt. Damit liegt erim übrigen deutlich über dem Ist-Ergebnis des Jahres1998. Die von der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung durchgeführte Aids-Präventionskampagneist von unverändert großer Bedeutung. Sie gilt im inter-nationalen Vergleich als beispielhaft.Wer über die gestalterischen Möglichkeiten einesHaushalts spricht, der muß auch verdeutlichen, wo we-nig oder gar kein Bewegungsspielraum ist. Der mit Ab-stand größte Haushaltstitel kommt mit 795 MillionenDM – das ist fast die Hälfte des Einzelplanes – demAufbau Ost zugute. Es geht hier um die im Pflegeversi-cherungsgesetz verankerten Finanzhilfen zur Förderungvon Investitionen in Pflegeeinrichtungen in den neuenLändern.Wir haben uns erlaubt, diesen Ansatz um 5 Millionen DMzurückzunehmen und die gesetzlich festgelegte Summezu unterschreiten. Dieser Betrag ist natürlich in einemspäteren Haushalt bereitzustellen. Wir nehmen aber soeine Anpassung an die realen Erfordernisse in den neuenLändern vor, denn bislang wurden nur 70 Prozent derbereitgestellten Mittel ausgeschöpft. Die Abforderungs-quote schwankte übrigens zwischen den einzelnen Bun-desländern deutlich: Die Spannbreite der abgefordertenund ausgegebenen Mittel liegt zwischen 44 Prozent derbereitgestellten Mittel im Land Berlin, 65 Prozent inSachsen, 66 Prozent in Thüringen und weit über 80 Pro-zent in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern undBrandenburg. Es sollte also keiner kritisieren, daß wirden Ansatz um 5 Millionen DM zurücknehmen.Schließlich hat die alte Regierung ja vor zwei Jahrendie Förderung für ein ganzes Jahr in Höhe von 800 Mil-lionen DM ausgesetzt. Das sollten wir im Hinterkopfbehalten, denn auch diese Mittel sind nachträglich abdem Jahr 2003 bereitzustellen. Das gilt nicht nur hierfürund für die 5 Millionen DM, sondern auch für die Ver-rechnung einer Vorleistung aus Mitteln der Pflegekassein Höhe von 1,1 Milliarden DM, auf die wir zurückge-griffen haben. Es geht also um rund 2 Milliarden DM,die beim Aufbau Ost in Pflegeeinrichtungen fließenmüssen und die Haushalte der kommenden Jahre zu-sätzlich belasten werden.Keine Gestaltungsspielräume im Haushalt gibt esauch beim WHO-Beitrag, der mit 64 Millionen DMnach den Pflegefinanzhilfen der größte Einzelposten imGesundheitsetat ist. Nimmt man noch die Personalaus-gaben im Ministerium und in den sechs Behörden undInstituten des Ministeriums in Höhe von 270 MillionenDM hinzu, so wird deutlich, daß die disponible Massevergleichsweise klein ist. Aber immerhin fließen rundzwei Drittel des Einzelplanes in den investiven Bereich.Dies ist arbeitsmarktpolitisch ja ein durchaus nennens-werter Beitrag.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Bundes-haushalt ist es, soweit er es zuläßt, nicht nur gelungen,neue fachliche Akzente in der Gesundheitspolitik zu set-zen. Der Einzelplan 15 hatte auch seinen Part im Rah-men der dringend notwendigen Haushaltskonsolidie-rung zu leisten. Dies ist durch Einsparungen und Strek-kung von Investitionen in der Größenordnung von rund1,3 Prozent, gemessen am Regierungsentwurf, gelungen.Schließlich war bei der Veranschlagung von Investi-tionen wie auch bei allen neuen Zuschußmaßnahmen anVerbände, Einrichtungen des Gesundheitswesens, zurFörderung der gesundheitlichen Selbsthilfe und auch imRahmen der Förderung von Pflegeeinrichtungen das so-genannte Kassenwirksamkeitsprinzip zu beachten. Imübrigen – das ist auch schon einmal festgestellt worden– verbleibt uns nach der Wahl für die Umsetzung vielerHaushaltstitel im Jahr 1999 nur ein gutes halbes Jahr.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nagelprobe fürdie Konsolidierung der Staatsfinanzen kommt erst nochmit dem Haushaltsjahr 2000. Dieses Haushaltsjahr istdurch strukturelle Defizite, Risiken und Konsequenzenaus den genannten Urteilen in zweistelliger Milliarden-höhe vorbelastet. Ich gehe davon aus, daß auch der Ein-zelplan 15 hierfür in Zukunft seinen Teil zu erbringenhaben wird, und dies, obgleich Herr Seehofer in derVergangenheit durch ständige Kürzungen die präventiveund soziale Gesundheitssicherung gefährdet hat.Mit 1 Prozent Einsparung wird es dann sicherlich inZukunft nicht getan sein. Die Haushaltsberatungen 1999im Haushaltsausschuß haben ein Stück weit die Arbeit,die uns im Herbst dieses Jahres erwartet und die sichungleich schwerer gestalten wird, vorbereitet. Ich er-wähne das auch deshalb, weil bei Kürzungen immer so-fort von den Zuwendungsempfängern ein Vertrauens-schutz eingeklagt wird. Deshalb richte ich schon heutean diese und ebenso an die Behörden und Institute desMinisteriums den Hinweis: Weiteres Sparen ist ange-sagt, aber dazu auch Ideenreichtum, um die vorhande-nen, wenn auch knapperen Mittel künftig optimal einzu-setzen. Die Kunst ist es eben, mit gleichen oder geringe-ren Ansätzen eine bessere Politik zu machen. Das wol-len wir tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte michabschließend bei den Berichterstatterkolleginnen und-kollegen für die Zusammenarbeit bedanken. Die mei-sten der Positionen, auch wenn Sie heute diesem Haus-Walter Schöler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3031
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halt nicht zustimmen werden, sind ja einvernehmlichgetragen worden. Ebenso möchte ich mich bei der Mi-nisterin und ihrem Haus für die gute Zuarbeit und Vor-arbeit bedanken. Wir werden alles dafür tun, die Ge-sundheitspolitik der rotgrünen Koalition im Interesse derMenschen zu einer Erfolgsstory werden zu lassen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Redezeit wurde
auf die Sekunde genau eingehalten. Dafür herzlichen
Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Dieter Thomae,
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Im Haushalt des Ge-sundheitsministeriums ist ein wichtiger Posten aufge-stockt, nämlich der Posten im Bereich Aids. Das ist einewichtige Entscheidung. Wenn ich aber auf die Verspre-chungen der SPD in den letzten Jahren zurückschaue,das Problem Hepatitis in den neuen Bundesländern un-bedingt zu lösen, dann bin ich etwas enttäuscht. Für dieLösung sehe ich überhaupt keinen Ansatz. Die von Ih-nen gegebenen Versprechen sind nicht realisiert worden.Ich sage sehr deutlich: Wir müssen die Thematik „He-patitis und Hepatitisverhinderung“ insgesamt in die Dis-kussion aufnehmen, denn dies ist ein Krankheitsbild, dasnennenswert zunimmt. Wir dürfen nicht nur Schwer-punkte hinsichtlich der Aids-Thematik, sondern müssensie auch hinsichtlich der Hepatitis-Thematik setzen.Diese Bundesregierung hat das sogenannte Vor-schaltgesetz auf den Weg gebracht. Mit diesem Vor-schaltgesetz haben Sie Veränderungsraten festgelegt, diefür West und Ost unterschiedlich sind. Jetzt zeigt essich, daß auf Grund der Tarifabschlüsse eine große Dis-krepanz besteht. In den neuen Bundesländern stellen wirfest, daß auf Grund der Minusrate sehr große Problemeauftauchen. Es ist unverantwortlich, was Sie mit diesenVeränderungsraten bewirken. Sie können diese Ent-wicklung in den neuen Bundesländern nicht mehr ver-antworten!
Wenn Sie nicht bereit sind, dem Antrag der F.D.P.zuzustimmen, werden wir in den neuen Bundesländernsehr deutlich vorführen, daß Sie sowohl für die Patientenals auch für die Arbeitskräfte und für die Infrastrukturinsgesamt – gerade in den neuen Bundesländern – einefalsche politische Entscheidung getroffen haben.Es gibt auch Probleme in den alten Ländern. Es zeigtsich immer wieder, daß eine pauschale Kürzung einfachnicht machbar ist, weil die Situation der jeweiligenKrankenhäuser sehr unterschiedlich ist. Daher gehen Sieden falschen Weg. Wir wollen deshalb eine entspre-chende Veränderung.Sie reden ebenfalls von Patientenrechten. Gleich-zeitig nehmen Sie durch das Vorschaltgesetz den Pati-enten das Grundrecht auf Wahlmöglichkeit zur Ko-stenerstattung. Dieses Grundrecht wird einfach ge-kippt.
Ich bin daher froh, daß dieser Gesetzentwurf vorliegt.Sie müssen nämlich jetzt den protestierenden Bürgernsagen, daß Sie keine Wahlmöglichkeit zur Kostener-stattung wollen. Sie müssen nun diesen Standpunkt ver-treten und können angesichts der Tatsache, daß Sie einGrundrecht abschaffen, nicht mehr davon reden, daß dieRechte der Patienten permanent gestärkt werden. Inmeinen Augen ist dies ein Treppenwitz.
Ich komme zum Vertrieb der Arzneimittel. Überviele Jahrzehnte, ja noch länger kennen wir den regulä-ren Vertrieb der Arzneimittel über die öffentliche Apo-theke. Ich sehe überhaupt nicht ein, daß wir im Arznei-mittelbereich Veränderungen schaffen und einen Direkt-vertrieb zu den Ärzten realisieren. Wir werden beantra-gen, diese Thematik im Rahmen einer Anhörung aus-führlich zu diskutieren. Dann werden wir politisch ent-scheiden. Ich sage Ihnen aber von vornherein: Es istfalsch, diesen Weg zu gehen.
Ich komme nun zu der phantastischen Gesundheits-reform. Ich weiß eigentlich nicht, wer für diese Reformverantwortlich ist.
Ich weiß nicht, ob die SPD und die Grünen hinter die-sem Arbeitspapier stehen. In diesem Zusammenhanghört man sehr unterschiedliche Aussagen. Ich weiß nur,daß die Ministerin ein Arbeitspapier auf den Tisch ge-legt hat; jetzt müssen wir darüber diskutieren. WelchePosition die SPD einnimmt, kann ich aus diesem Papiernicht erkennen. Ich habe schon sehr häufig Kritik vonvielen Fachleuten aus der SPD-Fraktion, aber auch ausden Ländern gehört, die die von der Ministerin imArbeitspapier festgelegten politischen Entscheidungenvehement ablehnen.Ich frage Sie wirklich ernsthaft: Was ist das für eineKoalition, die sich vorgenommen hat, eine Gesundheits-reform zu realisieren, und die schon im ersten Schritt sounterschiedliche Auffassungen zeigt, daß ich überhauptnicht erkennen kann, wie gemeinsame Wege beschrittenwerden können? Meine Damen und Herren aus der Re-gierungskoalition, der Start war chaotisch und misera-bel. Das sage ich Ihnen sehr deutlich.
Ich will nun auf einige Punkte eingehen, die in demArbeitspapier formuliert worden sind. Ich gehe davonaus, daß sie von der Ministerin formuliert worden sind,weil ich gehört habe, daß dieses Arbeitspapier der SPD-Fraktion zugestellt worden ist. So höre ich es und kannnicht erkennen, daß hier Zusammenarbeit besteht.Walter Schöler
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3032 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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Zum Globalbudget. Viele Wochen und Monate dis-kutierte Deutschland: Was ist ein Globalbudget? DasGlobalbudget wird durch sektorale Budgets gestützt.Wie das Globalbudget und die sektoralen Budgets zu-sammenpassen, werden wir im Gesetzentwurf hoffent-lich genau erkennen können.
Aber wie schizophren die gesamte Thematik ist, will ichIhnen an einem Beispiel zeigen.
Wir kennen das alte Thema Arzneimittelbudget. DasArzneimittelbudget haben Sie formuliert und auch imVorschaltgesetz vehement eingeführt. Jetzt stellen Siefest, daß alles darauf hindeutet, daß dieses Arzneimittel-budget in den neuen Bundesländern ab Ende des Som-mers überschritten ist, in den alten Ländern ab Septem-ber. Da sagt die Ministerin am 1. Mai in Leipzig: Dannmachen wir halt ein Notprogramm. Aber wie diesesNotprogramm aussehen soll, weiß ich nicht. Schon nacheinem halben Jahr geht auf Grund einer politischen Ent-scheidung alles in die Luft, weil die Arzneimittelbudgetsfalsch formuliert worden sind. Wir wollen nicht über diechaotische Auseinandersetzung in der Ausschußsitzungzu dieser Thematik sprechen; ich halte mich da zurück.Aber wenn Sie Arzneimittelbudgets formulieren, dannmüssen Sie das praxisorientiert tun. Sie wissen, daß wirdie Budgets ablehnen, weil wir davon überhaupt nichtshalten.
Das Ganze wird Ihnen große Probleme bereiten. Ma-chen Sie nur weiter so! Auch Sie werden noch erkennen,welchen Betrug Sie an den deutschen Patienten began-gen haben. Sie haben gesagt, Sie reduzieren die Zu-zahlung – große Begeisterung bei den Patienten, wasich verstehen kann. Gleichzeitig reduzieren Sie aber dasArzneimittelbudget, so daß der Arzt diese Arzneimittelden Patienten, die sie dringend brauchen, nicht mehrverschreiben kann. Das ist der Betrug, den Sie vorange-trieben haben.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Klaus Kirschner?
Ja, bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Thomae,
können Sie mir sagen, wie Sie medizinisch begründen
wollen, daß wir in den ersten zwei Monaten Arzneimittel-
ausgabensteigerungen von 12,9 Prozent in den alten Län-
dern und 12,7 Prozent in den neuen Ländern hatten?
Antworten Sie mir jetzt nicht, das läge an der Grippe; die
haben wir alle Jahre. Sie müssen schon erklären, wieso
diese Ausgabensteigerung medizinisch notwendig ist.
Sehr geehrter Herr
Kirschner, Sie können für die Formulierung des Arz-
neimittelbudgets, wie Sie es jetzt im Gesetzentwurf
getan haben, nicht den Durchschnitt der KVen als
Grundlage nehmen, denn zwischen den einzelnen Re-
gionen gibt es sehr große Unterschiede im Verhältnis
von stationärer und ambulanter Behandlung, was Sie,
wenn Sie sich die Mühe machen, feststellen können. In
den neuen Bundesländern sind seit der Wiedervereini-
gung massiv Betten abgebaut worden; die Patientenbe-
treuung ist vom stationären in den ambulanten Bereich
verlagert worden. Dies ist ein Punkt, den Sie bei der
Arzneimittelbudgetformulierung überhaupt nicht be-
rücksichtigt haben.
– In den alten Ländern haben wir ähnliche Strukturen.
Sie wissen ganz genau, Herr Kirschner, daß in Nieder-
sachsen die Strukturen, das Verhältnis von stationärer
und ambulanter Versorgung, ganz anders sind als bei-
spielsweise in Hessen. Sie können das Arzneimittelbud-
get nicht pauschal formulieren. Wenn Sie es machen,
begehen Sie einen großen Fehler. Sie werden sehen:
Damit kommen Sie nicht weiter.
Gestatten Sie noch
eine Zwischenfrage? – Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege Tho-
mae, könnten Sie mir bestätigen, daß die Ausgaben-
steigerung bei den Arzneimitteln in den alten Ländern
vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß durch die Re-
duzierung der Zuzahlungen der Unterschied zwischen
den Zuzahlungen für die verschiedenen Packungsgrö-
ßen jetzt nur noch 1 DM beträgt und der Verkauf der
Großpackungen im ersten Quartal in Deutschland um
25 Prozent gestiegen ist? Das muß natürlich zu höheren
Ausgaben führen.
Von den Regierungs-fraktionen wurde immer bestritten, daß Zuzahlungeneine steuernde Wirkung haben. Jetzt ist es viel brutaler,weil die Patienten die Arzneimittel nicht mehr bekom-men, da das Arzneimittelbudget ausgeschöpft ist. Dasheißt, wenn sie dieses Arzneimittel haben wollen, müs-sen sie 100 Prozent zuzahlen. Das ist die Sozialpolitikdieser Bundesregierung. Das ist beschämend.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein weite-res Stichwort nennen, das Stichwort „monistische Fi-nanzierung“. Ich sage es bewußt: Auch die F.D.P.möchte die monistische Finanzierung. Wenn ich aberlese, wie diese Gesundheitsministerin die monistischeFinanzierung auf den Weg bringen will, kann ich nursagen: Bei dieser Konzeption gehen die Bundesländerhoch, da sie von den Phrasen, die dort formuliert sind,überhaupt nichts halten. Und anders als als Phrasen kannich dies nicht bezeichnen; denn es gibt keine Argumen-Dr. Dieter Thomae
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te, keine sachliche Formulierung und keine Vorausset-zung, um dies zu finanzieren.
Die Krankenkassen werden nie in der Lage sein, dasaus ihren Ersparnissen zu finanzieren, wenn die Ländernicht andere Aufgaben übernehmen. Eine realistischePolitik kann dies nicht sein. Es ist beschämend, daß Sieso etwas bisher geduldet haben und nicht verstärkt Pro-test angemeldet haben.Nächster Punkt: Körperschaften. Warum wollen Sieals Gesetzgeber die Körperschaften zwingen, anders zuhandeln, als die Körperschaften intern entscheiden? EineKörperschaft hat das Recht, selber über die Organisati-onsform zu entscheiden. Dafür ist der Gesetzgeber nichtgeeignet.
Ein weiterer Punkt: Positivliste. Sie haben viele Jahrelang über eine Positivliste diskutiert und sich für dieseeingesetzt. Darüber kann man auch viel diskutieren.
Wir sind anderer Meinung.Wenn Sie aber in dieses Arbeitspapier schreiben, daßes zwei Positivlisten geben soll, dann kann ich nur nochschmunzeln. Eine Positivliste zu formulieren wird schonausgesprochen schwer sein. Zwei zu formulieren wirdIhnen aber nie gelingen, da Ihnen die Abgrenzung indiesem System einfach nicht möglich ist. Von daher istdieser Gedankengang wie auch die zuvor genanntenchaotisch.
Jetzt zur Qualitätssicherung. Dies ist für Sie eingroßer Traum, für mich auch. Es stellt sich aber die Fra-ge: Wie gehen wir an die Qualitätssicherung heran? Siewollen diese mit planwirtschaftlichen Maßnahmen an-gehen. Sie wollen den Medizinischen Dienst verstärken.Ich sage Ihnen: Sie können das machen, wie Sie wollen.Sie können Geld investieren. Aber Sie werden keinenErfolg haben. Sie werden nur dann eine vernünftigeQualitätssicherung auf den Weg bekommen, wenn Siedie Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich intensi-vieren. Mit Überwachung werden Sie dies nie schaffen.Letzter Punkt, das Schlagwort der Ministerin: Patien-tenschutz. Jetzt sollen die Verbraucherverbändeplötzlich ganz neue Aufgaben übernehmen. Haben Sieeinmal die Patienten gefragt, ob sie dies überhaupt wol-len? Sie wollen Geld aus dem gesetzlichen System her-ausnehmen und es den Verbraucherverbänden geben,um Beratung zu betreiben. Ich sage Ihnen: Der Patientmöchte ein Vertrauensverhältnis zum Arzt haben, und indiesem Sinne wird er medizinisch betreut. Dazu brauchter keine Verbraucherverbände.
Dies ist ein völlig falscher Weg. Er ist ideologischbesetzt, und mit dieser Ideologie werden Sie scheitern,meine Damen und Herren.Dieses Arbeitspapier ist chaotisch, realitätsfern undüberhaupt nicht praktikabel. Von daher hoffe ich, daßdie SPD so vernünftig ist, diesen Plan nicht zu unterstüt-zen.
Nun erteile ich derKollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grü-nen, das Wort.
Herr Thomae, Sie haben gerade gesagt, wir seien unver-antwortlich, wenn wir dem Antrag der F.D.P. nicht zu-stimmten.
Ich glaube, daß diese Regierung in der Vergangenheitinsofern verantwortlich war – das gilt auch für die Zu-kunft –, als sie diskussionsbereit war. Diese Diskussi-onsbereitschaft haben wir an verschiedenen Stellen unterBeweis gestellt, das werden wir auch hier tun.
Die Schwierigkeiten, die es in Ostdeutschland zweifels-ohne gibt, werden wir zu besprechen haben. Das werdenwir auch tun, und zwar mit den Betroffenen. Dazu ge-hört nicht die F.D.P.-Bundestagsfraktion.
Aus diesem Grund, Herr Thomae, werden wir gründlichdiskutieren und eine sinnvolle Lösungsmöglichkeit vor-schlagen.Wenn wir heute über den Haushalt sprechen, so tunwir das natürlich vor dem Hintergrund der Ziele, die mitneuen Wegen in der Gesundheitspolitik insgesamt ver-bunden sind, mit Wegen, die zu mehr Eigenverantwor-tung und Selbstbestimmung hinführen sollen und die dieÖkonomie bei der Versorgung und die Qualität in derVersorgung sicherstellen. Natürlich hat die Koalitionintensive Debatten geführt. Auch Sie haben das verfolgt.Wir werden das auf der Grundlage des vorgelegten Ar-beitspapieres auch weiterhin tun. Das ist so verabredetworden.Die Tatsache, daß Sie bei der Qualitätssicherung undder Positivliste jahrelang keinen Erfolg gehabt haben,
Dr. Dieter Thomae
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berechtigt Sie nicht, zu sagen, daß wir keinen Erfolg ha-ben werden. Wir in der Koalition werden Sie eines Bes-seren belehren.
Sie werden sehr wohl lernen müssen, daß wir gemein-sam eine echte Reform zustande bringen und daß Wett-bewerb um Qualität sowie das Einbeziehen der Patien-tinnen und Patienten in alles, was zur Gesunderhaltungund zum Gesundwerden gehört, auf neuen Wegen auchaußerhalb der Krankenversicherung umgesetzt werden.Auch das wird in dem vorliegenden Haushalt ersichtlich.
Welche Leistungen erbracht werden dürfen, ist bzw.wird gesetzlich festgelegt. Warum aber entscheiden nachwie vor in der Regel Ärzte und Ärztinnen, welche Lei-stungen der Patient tatsächlich erhält? Warum stoßenPatientinnen und Patienten selbst dann mitunter auf Wi-derstand, wenn sie den Hintergrund von Entscheidungenerfragen? Versicherte und Patienten fühlen sich immermehr dem von Ihnen hinterlassenen undurchsichtigenSystem von Regelungen und Möglichkeiten ausgeliefert.
Ein System, das souveräne Entscheidungen zuläßt, javorsieht und fördert, ein System, das Leistungserbringerund Patienten zu echten, gleichberechtigten Partnernmacht, ein solches System braucht Transparenz, Flexi-bilität und das Zulassen von Wahlmöglichkeiten. Ge-nau das schlagen wir vor. Der vorliegende Arbeitsent-wurf im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform ist einAnfang auf diesem Weg, der aus meiner Sicht dasÜberleben des Systems insgesamt sichert. Wir müssendarüber mittel- und langfristig weiterdiskutieren.Die Fragen, welche Leistungen im solidarischen Sy-stem künftig und langfristig erbracht werden sollen, wiesie erbracht werden, wie Quantität und Qualität abgesi-chert werden, sind nämlich keine Fragen, die allein diePolitik und die Verbandsvertreter miteinander ausma-chen können. Hier steht eine gesellschaftliche Debattean, an der sich alle beteiligen müssen, weil alle davonbetroffen sind.
Nur wer wahrnimmt, daß er wahrgenommen wird unddaß er Einfluß nehmen kann, der wird sich beteiligenkönnen.Die Vorschläge zur Strukturreform enthalten dafürnötige Elemente:Erstes Beispiel: Die stärkere Anbindung an denHausarzt hat natürlich unter anderem zum Ziel, fürmehr Kommunikation zu sorgen, und zwar nicht nurfür Kommunikation zwischen Hausarzt, Facharzt undKrankenhaus, sondern in erster Linie für Kommunikati-on mit Patientinnen und Patienten.Zweites Beispiel: die integrierte Versorgung.
Dort, wo die Verantwortung für Wirtschaftlichkeit undQualität in einem hohen Maße auch dezentral wahrge-nommen wird, haben Patientinnen und Patienten vor Ortmehr Möglichkeiten, darauf Einfluß zu nehmen. GeradePraxisnetze oder Verbundformen, die an die alten DDR-Polikliniken anknüpfen, haben schon heute ein hohesInteresse an der Beteiligung der Kompetenz von Patien-tinnen und Patienten.Drittes Beispiel: Gesundheitsvorsorge, Patienten-schutz und Selbsthilfe erhalten einen neuen Stellen-wert. Unabhängige Beratungsstellen sichern den Versi-cherten vor allem vor einer Erkrankung Information undBeratung. Das tut dem Vertrauensverhältnis zu Ärztin-nen und Ärzten, das wir nicht in Abrede stellen, sondernfördern und zusätzlich flankieren wollen, keinen Ab-bruch.All das sind wichtige Schritte hin zu mündigen Bür-gerinnen und Bürgern, die wissen: Sie stehen im Mittel-punkt des Gesundheitssystems, und sie sind Akteure.
Die im vorliegenden Haushalt vorgesehenen Schwer-punktsetzungen beziehen sich gerade darauf. Damit ma-chen wir Schluß mit dem in den vergangenen Jahren an-haltenden Trend zu einem reinen Verwaltungsetat.Lassen Sie mich also auf die durch den Haushaltflankierten Maßnahmen der offensiven Einbeziehungvon Patientinnen und Patienten zu sprechen kommen.Erstens. Der Etat für die Öffentlichkeitsarbeit wurdeerhöht. Angesichts der angestrebten umfassenden Re-form halten wir es für dringend geboten, die Interpreta-tion der neuen Regelungen nicht Dritten zu überlassen.Patientinnen und Patienten sollen selbst und direkt er-fahren, welche neuen Möglichkeiten sie erhalten.Der langjährige Trend, die Ausgaben für die gesund-heitliche Aufklärung zu reduzieren, ist seit dem Vor-jahr gestoppt. Der unverändert hohe Aufklärungsbedarf,insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, zeigt dieDringlichkeit dieses Etatansatzes. Gerade in Kindergär-ten und Schulen muß viel mehr Wert auf Gesundheitser-ziehung gelegt werden. Die üblichen Appelle für gesun-des Pausenbrot reichen nicht aus.
Aber auch für Erwachsene muß die Bundeszentraleneue und adäquate Angebote machen. Die künftigeNeuorientierung der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung mit den Schwerpunkten Qualitätssicherung,Marktübersicht, Konzeptentwicklung und Kooperationsteht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zielender Gesundheitsstrukturreform im Sinne von Selbstbe-stimmung und Eigenverantwortung.Daß die neue Bundesregierung auch neue Wege inder Drogenpolitik geht, ist bekannt und auch an diesemHaushalt ersichtlich. Die neuen Modellversuche, bei-spielsweise zur heroingestützten Behandlung Opiatab-hängiger, sind hierzu ein wichtiger Schritt. Ich bin froh,daß wir dies im Sinne der betroffenen Menschen auf denWeg bringen. Daß dies in der Vergangenheit fast ohneKatrin Göring-Eckardt
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ideologisierte Streitigkeiten stattfinden konnte, liegtauch an der Arbeit der Drogenbeauftragten, für die ichmich ausdrücklich bedanken möchte.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu demhier auch zu beratenden Gesetz über den Vertriebswegdes zur Zulassung beantragten Arzneimittels Mifegyne,bekannt unter RU 486, sagen. Hier soll die Vorausset-zung dafür geschaffen werden, daß der medikamentöseSchwangerschaftsabbruch in Deutschland möglich ist,sobald ein entsprechendes Arzneimittel zugelassen ist.Sie wissen, daß davon die in § 218 StGB getroffenenBestimmungen nicht berührt sind. Sie wissen auch, daßes sich hierbei um eine Ausnahmeregelung handelt, dieder Sorgfalt geschuldet ist, mit der wir hier vorgehenwollen. Diese Sorgfalt hat nichts mit Mißtrauen gegen-über den Apothekerinnen und Apothekern zu tun,
sondern durch diese Sorgfalt soll sichergestellt werden,daß die Frauen und deren Sicherheit im Vordergrundstehen. Frau Schmidt-Zadel wird noch etwas dazu sagen.Ich denke, das sollte unser gemeinsames Anliegen sein.Auch hier ist jede Polemik völlig unangebracht.Vielen Dank.
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Für den heute zur Debatte stehen-den Einzelplan des Gesundheitsministeriums für dasJahr 1999 muß kritisch festgestellt werden, daß er diegleichen Grundstrukturen aufweist wie die Einzelplänein den vergangenen Jahren.
Wie gewohnt, wird er von Fortschreibungen und Kür-zungen geprägt. Vor diesem Hintergrund und angesichtsdes nahezu völligen Fehlens neuer Ansätze werden wirden vorgelegten Einzelplan 15 ablehnen.
Wichtiger als der Haushalt ist die vorgesehene Re-form des Gesundheitswesens im ganzen.
Ich denke, vor allem daran wird diese Regierung zumessen sein. Nachdem das Anfang März veröffentlichteEckpunktepapier keineswegs Klarheit über den diesbe-züglichen Kurs brachte, hat die Ministerin jetzt einenArbeitsentwurf vorstellen lassen. Allerdings hat diesesPapier die Sorgen um das Schicksal der dringend not-wendigen und wichtigen Reform nicht verringern kön-nen.Natürlich begrüßen wir die Absichten des Ministeri-ums, an den solidarischen Grundlagen des Gesundheits-systems oder an solchen Prinzipien wie der paritätischenFinanzierung oder der Sachleistung festzuhalten. Auchwir meinen, daß es richtig ist, zu mehr Zusammenarbeitim Gesundheitswesen, zu integrierten Versorgungsfor-men, zu rationellerer Arzneimittelversorgung, zu einerstärkeren Rolle der Hausärzte und nicht zuletzt auch zumehr Prävention, Selbsthilfeförderung und besserer Re-habilitation zu kommen.Dennoch muß erneut festgestellt werden, daß das Re-formvorhaben nach wie vor nicht zu Ende gedacht undweit davon entfernt ist, ein überzeugendes Konzept dar-zustellen.
Als eines der wichtigen und übergreifenden Ziele wirdzum Beispiel die Stabilisierung der Krankenhausversi-cherungsbeiträge hervorgehoben. Dies soll mit Hilfeeines Globalbudgets erreicht werden, welches sich ander jährlichen Steigerung der Grundlohnsummen orien-tiert. Abgesehen davon, daß unklar bleibt, wie ein sol-ches Budget praktisch funktionieren kann, wird damitkaum berücksichtigt, daß die gesetzlichen Krankenver-sicherungen keineswegs nur ein Ausgabenproblem, son-dern vor allem und bis auf weiteres ein riesiges Einnah-meproblem haben, und zwar infolge sinkender Lohn-quoten und hoher Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt, daßder Staat in der Vergangenheit über die bekannten Ver-schiebebahnhöfe oder auch wie beim Mutterschaftsgeldeigenen Finanzierungsverpflichtungen auf Kosten derGKV – statt mit Steuermitteln – nachgekommen ist.Mit dem bisherigen Ansatz können die grundlegen-den Finanzierungsprobleme des Gesundheitswesens we-der kurz- noch langfristig gelöst werden. Wer dann abermit solcher Härte budgetiert, wie es die neue Regierungschon für 1999 getan hat und es auch künftig zu tun be-absichtigt, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er dieAufgabe der Gesundheitspolitik vorrangig in einer Sen-kung der Lohnnebenkosten oder vielmehr in der Verbes-serung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölke-rung sieht. Es ist dieser grundlegende Zielkonflikt, inden sich die Regierung ohne zwingende Notwendigkeitbegeben hat. Er hatte schon die Auseinandersetzungüber das kleinere Vorschaltgesetz geprägt. Die jetzt vor-gesehene Reform läuft ebenso Gefahr, an diesem Ziel-konflikt zu scheitern.An dieser Stelle möchte ich deutlich darauf hinwei-sen, daß die bisher mangelnde Wahrnehmung der spezi-ellen Finanzprobleme des Gesundheitswesens in Ost-deutschland und insbesondere auch ihrer politischenBrisanz erschreckend ist. Die Schaffung gleicher Vor-aussetzungen für die medizinische Versorgung in denneuen Bundesländern ist verständlicherweise eine For-derung, die die Menschen stark bewegt, deren Erfüllungsie mit Vorrang erwarten
und die deshalb nicht weggeschoben werden darf, son-dern aktiv vorangetrieben werden muß.Katrin Göring-Eckardt
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Exakt vor diesem Hintergrund, Herr Thomae, geht esbei dem heute von der F.D.P.-Fraktion zur Beratung vor-gelegten Gesetzentwurf darum, daß durch die mit demVorschaltgesetz für das Jahr 1999 festgelegten Budgetie-rungen und durch die höheren Tarifabschlüsse dieses Jah-res vor allem in den ostdeutschen Bundesländern ernsteFinanzierungsschwierigkeiten entstanden sind.
Für die Krankenhäuser wird die Differenz zwar zu Tei-len, aber keinesfalls vollständig durch die Kassen aus-geglichen. Damit ergibt sich de facto ein Rückgang derzur Verfügung stehenden Mittel. Dies bedroht nicht nurdie Qualität der medizinischen Arbeit, sondern gefährdetdurch Einsparungen bei den Personalkosten auch Ar-beitsplätze.
Diese Situation verlangt in der Tat rasche Abhilfe. DieF.D.P. schlägt im Kern vor, Budgetierungskürzungennicht zuzulassen und die prognostizierte Veränderungs-rate der Grundlohnsumme durch die tatsächliche des Jah-res 1999 zu ersetzen, die etwas günstiger ausfallen könn-te. Da die negative Grundlohnsummenentwicklung in denneuen Bundesländern aber nicht nur durch die niedrigenLöhne, sondern vor allem auch durch höhere Arbeitslo-sigkeit bedingt ist, wird dies allein den notwendigen Aus-gleich nicht gewährleisten können.Wir meinen – sie können sich überlegen, ob Sie damitgehen, Herr Thomae –: Wer für eine entsprechendeVergütung der ostdeutschen Krankenhäuser und Ärztesowie für die volle Finanzierung der tarifbedingtenMehrbelastung eintritt und wer darüber hinaus will, daßdas Versorgungsniveau auch dort gehalten und fortent-wickelt werden kann, der muß konsequenterweise denraschen und vollständigen Abbau der in der GKV nochimmer bestehenden Sozialmauer fordern.
In diesem Sinne ist die Bundesregierung auch unsererAuffassung nach tatsächlich in der Pflicht, für eine ver-läßliche Finanzierung der medizinischen Versorgung inOstdeutschland noch in diesem Jahr und auch darüberhinaus Sorge zu tragen.Mit dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion für einZehntes Gesetz zur Änderung des SGB V soll die mitdem Vorschaltgesetz gerade abgeschaffte Möglichkeitwieder eingeführt werden, daß sich Pflichtversichertein der GKV auch künftig für die Kostenerstattung ent-scheiden können. Wir halten das nicht für richtig, da dasSachleistungsprinzip für eine soziale Krankenversiche-rung geradezu konstitutiv ist. Gemeinsam mit der solida-rischen und paritätischen Finanzierung bildet es Grund-lage dafür, daß die Versicherten nach gesundheitlichemBedarf und nicht nach individueller Zahlungsfähigkeitmedizinische Hilfe erhalten. Dies ist eine zivilisatorischeErrungenschaft, an der in keiner Weise gerüttelt werdensollte und gerüttelt werden darf.
Mit dem heute ebenfalls vorliegenden Entwurf einesNeunten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgeset-zes soll für Arzneimittel, die für einen medikamentösenSchwangerschaftsabbruch in einer dazu befugten Ein-richtung bestimmt sind, ein besonderer Vertriebswegeingeführt werden. Es wird festgelegt, daß diese Arz-neimittel nicht über Großhandel und Apotheken, son-dern nur direkt vom pharmazeutischen Hersteller an dieentsprechenden Einrichtungen, das heißt, an bestimmteKrankenhäuser und Arztpraxen abgegeben werden dür-fen. Wir halten es für richtig, daß auch hierzulande denFrauen endlich die Möglichkeit eines medikamentösenSchwangerschaftsabbruchs eingeräumt wird, wenn diesim Einzelfall aus ärztlicher Sicht und individueller Ent-scheidung als schonendste Option erscheint. Ziel desGesetzes ist es, dafür zweckmäßige Voraussetzungenhinsichtlich des Vertriebsweges zu schaffen. Wir haltengenau das für notwendig und werden das unterstützen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Siemir zunächst eine Bemerkung zu dem, was uns KolleginGöring-Eckardt erzählt hat: Wenn Sie der Meinung sind,daß die CDU/CSU mit ihrer Gesundheitspolitik keineErfolge aufzuweisen hat, dann muß ich Sie schon fra-gen: Wo sind denn die Patientinnen und Patienten, wosind denn die Leistungserbringer, die hinter Ihrer Mi-nisterin stehen, die für sie auf die Straße gehen, die fürsie kämpfen? Wenn ich mir anschaue, was am Wochen-ende in Leipzig vor sich gegangen ist, dann muß ichsagen: Im Gegenteil, alle am Gesundheitswesen Betei-ligten sehnen sich schon heute, wenige Monate nachIhrer Regierungsübernahme, nach Horst Seehofer zu-rück.
Lassen Sie mich nun zu einem anderen Thema kom-men: Die Bundesregierung hat eine Änderung des Arz-neimittelgesetzes vorgeschlagen. Es geht um die Festle-gung des Vertriebsweges für das AbtreibungspräparatRU 486. Warum brauchen wir diese Änderung, wo liegtdas Problem, und wie kann eine Lösung aussehen?Zunächst möchte ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ichbin froh, daß die Bundesregierung – zumindest dieszeigt der Gesetzentwurf – nun endlich erkannt hat, daßes hier ein Problem gibt. Noch vor kurzem mußten wirbefürchten, daß die neue Regierung die Abtreibungspillemöglichst schnell auf den Markt bringen will und wirdann, einmal mehr, die handwerklichen Fehler dieserRegierung ausbügeln müssen. Es war doch GerhardSchröder in seinem Profilierungsdrang, der in voreili-gem Gehorsam den französischen Pharmahersteller bei-nahe flehentlich aufgefordert hat, nun endlich eine Zu-Dr. Ruth Fuchs
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lassung für das Präparat zu beantragen – so als ob ganzDeutschland seit Jahren auf diesen Tag gewartet hätte.
– Liebe Frau Schmidt-Zadel, eine derartige politischeEinflußnahme durch einen Regierungschef ist einzig-artig.
Selbst bei Arzneimitteln, die die Gesundheit fördern undlebensschützend oder gar lebensverlängernd wirken, hates dies in der Geschichte dieses Landes noch nicht ge-geben. Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Präpa-rat, sondern von einem, das ausschließlich dazu be-stimmt ist, Leben zu beenden. Dieses Verhalten istschlichtweg skandalös.
Jetzt müssen wir die Konsequenzen ziehen. Die Zu-lassung des Präparates ist beantragt und steht laut Aus-kunft des Ministeriums Mitte des Jahres bevor. In eini-gen Monaten dürfte das Präparat in Deutschland erhält-lich sein. Wir sind damit dem Druck ausgesetzt, jetztschnell entscheiden zu müssen, wenn wir nicht wollen,daß eine Gesetzeslücke entsteht. Dies wäre in der Tatverantwortungslos.Denn eines ist wohl auch den leichtfüßigen Befür-wortern von RU 486 mittlerweile klargeworden: Hierhandelt es sich nicht um irgendein Arzneimittel, gewis-sermaßen um eine Do-it-yourself-Abtreibungspille, diein der Apotheke geholt und mal so eben eingenommenwird. Diese Pille wirkt so sanft und schonend – wir ha-ben das ja eben gerade gehört –, wie eine Fehlgeburt nuneinmal ist. Im Vergleich zur operativen Methode magdas Verfahren einfacher sein, vor allem, weil es viel frü-her erfolgt. Sicherlich verringert die Vermeidung desinstrumentellen Eingriffs auch die Operations-, die Nar-kose- und die Infektionsrisiken.Die Nachteile des medikamentösen Verfahrens sindjedoch in keinem Fall zu unterschätzen. In der Öffent-lichkeit, zumal bei jungen Frauen, darf nicht derEndruck entstehen, daß es sich um eine Kleinigkeit han-delt.
Von einer „Abtreibung light“ kann und darf keine Redesein.Wir diskutieren heute nicht über den § 218, nicht überdie Pflichtberatung und auch nicht über die medizi-nischen und gesellschaftlichen Begleiterscheinungendurch diese Pille.
– Sie haben ja den Gesetzentwurf eingebracht. Sie soll-ten schon wissen, was Sie in das Hohe Haus einbringen.
Wir diskutieren heute über die Frage, wie wir ver-meiden können, daß das Präparat RU 486 in die falschenHände gerät. Der Gesetzentwurf plant analog zu denRegelungen, die in Frankreich und Großbritannien gel-ten, den Vertriebsweg für RU 486 zu ändern. Miß-brauch und unkontrollierte Verwendung sollen ausge-schlossen werden. Die Abtreibungspille soll nur durchÄrzte in Einrichtungen im Sinne des § 13 des Schwan-gerschaftskonfliktgesetzes angewendet werden und nichtüber die Apotheke erhältlich sein.Eine strenge Kontrolle des Vertriebswegs ist einrichtiger Ansatz, um einen möglichen Mißbrauch odergar eine Privatisierung von Abtreibung zu vermeiden.Aber brauchen wir deshalb gleich einen Bruch im Sy-stem? Muß es gleich der Weg sein, der die Apothekensozusagen aus dem Verkehr zieht? Das Problem sinddoch wohl nicht die Apotheken und die dort beschäftig-ten Apothekerinnen und Apotheker.
Die Apothekerinnen und Apotheker haben Fachkennt-nisse. Sie sind dafür ausgebildet, mit der hochsensiblenWare Arzneimittel verantwortungsbewußt umzugehen.Gerade dies begründet die weitreichende Apotheken-pflicht von Arzneimitteln, also den Vertriebsweg überdie Apotheke. Dieses System hat sich bewährt.Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Indem speziellen Fall von RU 486 sind auch wir ausGründen der Sicherheit, der Vorbeugung von Mißbrauchund letztendlich auch des Schutzes der Frau für einestrenge Kontrolle des Vertriebswegs. Auch wir wollennicht, daß die Frauen die Abtreibungspille in der Apo-theke frei erwerben können und sie damit unkontrolliertin die Hand bekommen. Aber müssen wir die Apothekendeshalb ganz außen vor lassen? Warum kann im Fallvon RU 486, vergleichbar etwa mit der erforderlichenNeuregelung des Arzneimittelgesetzes zur Zytostatika-versorgung, die Apotheke dem Arzt das Präparat nichtdirekt liefern? Für die direkte Belieferung der Arztpraxisdurch den Apotheker bräuchten wir nur das Apotheken-wesengesetz und die Apothekenbetriebsordnung anzu-passen.Weitergehende Einschnitte im System, so wie dieBundesregierung sie jetzt andenkt, sind unseres Erach-tens nicht zwingend erforderlich.
Im Gegenteil: In der Apotheke stehen Apothekerinnenund Apotheker, die ihr Fach gelernt haben. Sie sind mitallen Arzneimittelfragen, sei es der Lagerung oder derDokumentation, bestens vertraut. Sie sind also kein Ri-sikofaktor.Muß die Zulassung nicht auch durch Richtlinien derBundesärztekammer, zum Beispiel zum Einsatz des Prä-parates, begleitet werden? Brauchen wir nicht eine be-sondere psychosoziale Betreuung? Der Abbruch mußvon den Frauen selbst vorgenommen werden und ziehtsich über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen hin.Mit der vielgepriesenen Methodenfreiheit wachsen aberauch die Verantwortung für den behandelnden Arzt undmehr noch die psychische Belastung für die Frau. Wirkönnen die Frauen in dieser schwierigen Phase zwischenEinnahme des Präparats und Abort doch nicht mit sichAnnette Widmann-Mauz
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und ihren schweren seelischen Belastungen allein lassen.Das dürfen wir nicht zulassen.
Das alles sind noch offene Fragen, auf die die Bun-desregierung bisher keine Antworten gegeben hat. Hiergibt es also noch sehr viel Diskussions- und Handlungs-bedarf. Auch deshalb plädieren wir dafür, eine entspre-chende Anhörung noch in dieser Woche zu beschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-rungsfraktionen, machen Sie gerade in diesem Bereichnicht wieder – ich will nicht sagen: alles besser – allesanders. Lassen Sie uns im Ausschuß gemeinsam Ant-worten auf die noch offenen Fragen finden! Lassen Sieuns eine Lösung finden, die das bewährte Apotheken-system nicht umkrempelt und die Apotheker nicht in einschlechtes Licht rückt! Nochmals: Die Apothekerinnenund Apotheker sind nicht das Problem. Wir braucheneine Lösung, die Sicherheit gewährleistet und Vertrauenschafft, und zwar auf allen Seiten.
Frau Kollegin Wid-
mann-Mauz, das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere
Ihnen dazu im Namen des ganzen Hauses.
Nun hat das Wort die Kollegin Regina Schmidt-
Zadel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Frau Widmann-Mauz, Siehaben von „schlichtweg skandalös“ gesprochen. Ichkann Ihnen sagen, was in der Vergangenheit schlichtwegskandalös war. Daß Sie den Frauen in dieser Republikjahrelang dieses Präparat vorenthalten haben, warschlichtweg skandalös.
– Das stimmt, und ich werde nachher noch darauf ein-gehen. Wir haben mehrere Anträge in diesem Haus ein-gebracht, die von Ihnen abgelehnt worden sind.
– Herr Zöller, ich zeige es Ihnen. Wir können uns dar-über unterhalten; wir haben ja noch die Anhörung.Sie haben den Bundeskanzler angesprochen. Dazumuß ich sagen: Ich bin dem Bundeskanzler dankbar, daßer sich für die Situation der Frauen in dieser Republikeingesetzt und dazu etwas gesagt hat.
– Ich weiß, wenn ich rede, regen Sie sich auf. Ich habedas aber gerne und kann damit umgehen. Wir werdensehen, wer nachher in dieser Frage die Entscheidungtrifft.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte wird den Antrag des französischen UnternehmersExelgyne auf Zulassung des Präparates Mifegyne, frü-her RU 486, für den deutschen Markt positiv entschei-den. Ich denke, das ist der wichtigste Punkt. Daß dendeutschen Frauen voraussichtlich ab Juli endlich nachlangen Jahren mit heftigen Debatten und Auseinander-setzungen der medikamentöse Schwangerschaftsabbruchzur Verfügung steht, ist genau das, wofür die Frauen derSPD – nicht nur die Frauen in der SPD, sondern vieleFrauen in dieser Republik – über Jahre hinweg gekämpfthaben. Damit haben dann auch deutsche Frauen ebensowie längst die Frauen in Frankreich, England, Schwedenund in den USA die Wahl, sich für die im Vergleich mitweniger gesundheitlichem Risiko verbundene Methodedes Schwangerschaftsabbruches zu entscheiden.Wir, die Frauen in der SPD, haben uns seit vielenJahren für die Zulassung dieses Präparates ausgespro-chen und dazu – ich will noch einmal daran erinnern –eine ganze Reihe von Initiativen im Deutschen Bundes-tag ergriffen. Diese Initiativen wurden – dafür bin ichsehr dankbar – stets auch von vielen Kolleginnen undKollegen aus den anderen Fraktionen unterstützt. Icherinnere an die Debatte über den Antrag, der Bundestagmöge den Hersteller von RU 486, damals noch Hoechst,auffordern, die Zulassung zu beantragen. Das war einAntrag, der fraktionsübergreifend in diesem Haus ge-stellt worden ist. Daran möchte ich Sie erinnern, wennSie sich heute so aufregen. Die Zustimmung, auch wennsie am Ende nicht für eine Mehrheit reichte, ging seiner-zeit – ich will das noch einmal betonen – über alle Frak-tionsgrenzen hinweg.Ich verweise hier ganz bewußt auf dieses fraktions-übergreifende Bündnis der Frauen für Frauen, weil dieVerständigung über die Parteigrenzen hinweg ein wich-tiger Aspekt ist, wenn Entscheidungen im Zusammen-hang mit der Problematik des Schwangerschaftsab-bruchs anstehen.Frau Widmann-Mauz, Ihr Beitrag heute hat gezeigt,daß es Ihnen nicht um das Präparat geht. Ihnen geht esdarum, eine neue Debatte über den § 218 zu entfachen.Das werden wir an dieser Stelle nicht mitmachen.
Das gilt auch für den medikamentösen Schwanger-schaftsabbruch. Ich würde mir wünschen, wenn dieMehrheit, die seinerzeit fraktionsübergreifend dasSchwangerschaftskonfliktgesetz verabschiedet hat, auchin dieser Frage zum Ausdruck käme.Die Zeit der Grundsatzdebatten über das Für und Wi-der des Schwangerschaftsabbruches ist vorbei. Es gehtauch längst nicht mehr um die Frage, ob die Präparate inDeutschland zugelassen werden sollen oder nicht. EsAnnette Widmann-Mauz
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steht fest: In zwei Monaten ist Mifegyne in Deutschlandauf dem Markt. Der Deutsche Bundestag hat es vor Jah-ren abgelehnt, eine Aufforderung zur Zulassung zu ver-abschieden. Jetzt kann er die Zulassung nach geltendemRecht nicht mehr verhindern.Der vorliegende Gesetzentwurf für eine neunteAMG-Novelle führt einen Sondervertriebsweg ein, derfür Präparate – das kritisieren Sie – zum medikamentö-sen Schwangerschaftsabbruch den direkten Weg vomHersteller zum Arzt oder zur Einrichtung zwingend vor-schreibt. Die Präparate werden – anders als andere Ar-zeimittel – nicht über die Apotheken oder den Pharma-Großhandel zu beziehen sein. Das hat nichts damit zutun, daß wir den Apothekerinnen und Apothekern diesnicht zutrauen. Aber die Apotheken legen immer Wertdarauf zu beraten. Die Beratung in diesen Fällen findetwoanders statt, nicht in den Apotheken.
– In diesem Bereich ja. Sie haben es ja durchgesetzt, daßdie Beratungen in Schwangerschaftskonfliktberatungs-stellen durchgeführt werden und nicht in den Apothe-ken. Deswegen ist es besser, wenn der Weg direkt zuden Einrichtungen und nicht über die Apotheken geht.Meine Damen und Herren, um es noch einmal ganzklar zu sagen: Die Zulassung von Mifegyne steht für Julibevor. Wir haben die Chance, die Anwendung des Prä-parates, auf das Frauen und mit ihnen verantwortungs-bewußte Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheits-politiker seit Jahren warten, gesetzlich vernünftig undfür alle akzeptabel zu regeln. Verspielen wir dieseChance nicht – darum bitte ich Sie wirklich herzlich –,indem alte Diskussionen wieder aufgewärmt und alteFronten neu abgesteckt werden! Es geht hier lediglichum eine Variante des gesetzlich längst klar geregeltenSchwangerschaftsabbruchs. Diese Variante ist nicht füralle, aber für eine bestimmte Anzahl von Frauen die-jenige mit den geringsten Risiken.Über die Anwendung entscheiden verantwortungs-bewußt die Frauen und der Arzt. Die Entscheidung ist abJuli möglich. Unsere Entscheidung in diesem Hause –ich will Sie daran noch einmal erinnern – beschränktsich darauf, sachlich und in Ruhe den Vertriebsweg zuregeln. Der vorliegende Entwurf ist ein sinnvoller Weg.Ich hoffe, daß wir die offenen Punkte im Rahmen derAnhörung, die Sie ja durchsetzen werden, noch regelnkönnen. Ich hoffe weiterhin, daß wir in diesem Haus zudieser seit Jahren überfälligen Frage eine vernünftigeAntwort finden.Danke schön.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Holetschek, CDU-Fraktion.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ar-beitsentwurf zur Gesundheitsreform 2000 befindet sichinsgesamt in der Tradition, wie Sie die Gesetzentwürfezu den 630-DM-Jobs und zur Scheinselbständigkeit vor-gelegt haben. Das zeigt, wie Sie handwerklich mit Ge-setzentwürfen umgehen: mit schneller Nadel gestrickt,Frau Ministerin, und zurück in die Abteilung Nachbes-serung und Korrektur. Aber damit haben Sie in der Zwi-schenzeit ja viel Erfahrung.
Ich möchte jetzt nicht zitieren, was die einzelnenVerbände und andere zu diesem Gesetzentwurf sagen.Aber mir ist heute aus dem Ticker ein schöner Satz vomVizepräsidenten der Bundesärztekammer entgegenge-kommen. Er hat gesagt:Diejenigen, die diesen Entwurf zu verantwortenhaben, müssen ein abgrundtiefes Mißtrauen gegenEigenverantwortung und Selbstverwaltung haben,wie man es nur von einem Obrigkeitsstaat kennt.Diesen Satz kann auch ich nur unterschreiben.
– Herr Dr. Thomae, ich würde ihn gerne wiederholen,aber er steht hoffentlich im Protokoll.
– Wer schreit, hat nicht immer recht.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt nichtmit den Aussagen von Verbänden oder anderen lang-weilen. Aber ich sage Ihnen eins: Die Gespräche, die Siemit Verbänden führen, und die Anhörungen, die Sie ma-chen, sind letztlich nur eine Farce. Ob das jetzt zur dop-pelten Staatsangehörigkeit oder zu anderem ist: Es inter-essiert Sie doch gar nicht, was die Verbände einbringen.Sonst würden Sie doch einmal aufnehmen, was von die-ser fachkundigen Seite kommt.
Letztendlich wird doch alles wieder Chefsache; dasist doch klar. Der Kanzler macht es dann. Dann ist dieKompetenz aber ganz vom Tisch, meine Damen undHerren; das wissen wir auch.
Interessant ist auch, was die Bundesregierung inner-halb der Gesundheitsreform mit dem Bereich Kur vor-hat. Zugegebenermaßen haben wir in vielen Kurorteneine Strukturkrise. Viele – gerade bayerische – Kurorte,sind deshalb neue, innovative Wege gegangen. DiesesVerlagern auf gewisse Nischen kann aber nicht heißen,daß die politischen Rahmenbedingungen im Kur- undReha-Bereich nicht modifiziert werden müssen.Bayern hat im Herbst 1998 eine Bundesratsinitiativeeingebracht, die verschiedene Zielsetzungen hatte: zumeinen die Streichung der schematischen Begrenzung vonKur- und Reha-Maßnahmen, also der Drei-Wochen-Fristund die Vier-Jahres-Frist. Zum anderen will Bayern mitRegina Schmidt-Zadel
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dieser Initiative erreichen, daß die Deckelung der Reha-Ausgaben im Bereich der gesetzlichen Rentenversiche-rung in zwei Stufen um eine weitere Milliarde DM an-gehoben wird. Schließlich soll zur Stärkung der ambu-lanten Kur ein Mindestzuschuß von 25 DM festgelegtund den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumtwerden, diesen Zuschuß auf bis zu 50 DM zu erhöhen.Ferner soll die Härtefallregelung harmonisiert werden.Meine Damen und Herren, Sie haben als damaligeOpposition oft gerufen, daß im Kur- und Reha-BereichVerbesserungen notwendig seien. Ich frage mich aber,warum diesem Antrag im Finanzausschuß des Bundes-rats am 12. November 1998 nicht zugestimmt wurde; erwurde abgelehnt. Wenn es Ihnen mit den Kuren wirklichernst wäre und es Ihnen um die Sache ginge, dann hättenSie damals zustimmen müssen.
Statt dessen legen Sie einen Arbeitsentwurf vor, derin diesen Punkten mißverständlich und kontraproduktivist. Die Begrenzung der Dauer von Vorsorgekurenund Rehabilitationsmaßnahmen wird gelockert. – Soweit, so gut. – Das soll dadurch geschehen, daß dieSpitzenverbände der Krankenkassen die Aufgabe er-halten, in Leitlinien einzelnen Indikationen Zeiträumezuzuordnen, die an die Stelle der dreiwöchigen Re-geldauer treten.
– Sie wissen hoffentlich, was da drinsteht. – Ich fragemich, warum wir nicht alleine auf die medizinischen Er-fordernisse abstellen, sondern wieder zusätzlichen büro-kratischen Aufwand schaffen.
Meine Damen und Herren, setzen Sie auf die bayerischeBundesratsinitiative und damit auf eine generelle Flexi-bilisierung dieser Fristen.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmid-
bauer?
Meine Damen undHerren, das ist meine erste Rede. Ich bitte, darauf zuverzichten.
Dafür kann ich Ihnen jetzt den eigentlichen Hammerankündigen. Der Kollege Lewering hat in Bad Aiblingnämlich vor kurzem gesagt, daß der Begriff „Kur“ ent-behrlich sei. Das haben viele bayerische Kurdirektorenauf einer Anhörung der CSU-Landesgruppe, die wir vorkurzem zu diesem Thema durchgeführt haben, bestätigt.Wissen Sie, was daraus folgt? Daraus folgt das Ende deroffenen ambulanten Badekur. Wir sehen, daß diese Kurbei Rotgrün keine Lobby hat.
Es besteht nicht im geringsten die Notwendigkeit,diesen Begriff zu verändern. Die offene ambulante Ba-dekur ist genauso wie die stationäre eine medizinischeKur, deren medizinische Effizienz unbestritten ist. Esgilt, am Image der Kur weiterzuarbeiten. Darin sindwir uns einig. Aber wissen Sie, was man von der Bun-desregierung für Antworten bekommt, wenn manschriftlich anfragt, ob sie sich in der Lage sieht, eineKampagne für die Kur zu starten und etwas aktiv dafürzu tun? Dann antwortet der Herr Staatssekretär Mosdorf:Die Bundesregierung unterstützt Initiativen der Ge-sundheits- und Tourismusverbände, die mit um-fangreichen Marketingmaßnahmen das Gesund-heitsangebot der deutschen Kliniken auf ausländi-schen Märkten wie auch in der deutschen Öffent-lichkeit besser bekanntmachen.Meine Damen und Herren, diese Antwort hat nichts miteiner Kampagne in der Öffentlichkeit zum Thema Kurzu tun, sondern geht an der Frage vorbei. Er sollte mirantworten: „Nein, ich habe kein Interesse daran.“ Dannweiß ich, woran ich bin. Es kann aber nicht angehen, ander Frage vorbei zu antworten.
Im Gegensatz hierzu ist die Initiative der bayerischenStaatsministerin Stamm vorbildlich, die bereits 1996einen runden Tisch zum Thema Kur in Bayern einge-richtet hat.
Dort sitzen die Verantwortlichen an einem Tisch; dortwerden Konzepte zum Erhalt der Kurorte erarbeitet.Und was tun Sie? Nichts!
Lassen Sie mich noch einmal zur offenen ambulan-ten Badekur zurückkommen. Sie ist die kostengünstig-ste Kurform überhaupt. Die Kostenträger übernehmenzirka 25 Prozent der Gesamtkosten, während 75 Prozentder Kosten allein vom Patienten getragen werden. Ichverstehe nicht, warum man gerade in diesem Bereich an-fängt, zu streichen. Nochmals: Der Verzicht auf den Be-griff „Kur“ bedeutet das Ende der offenen ambulantenBadekur. Wenn in Bad Aibling gesagt wird, es dürfedoch noch weiterhin „Kurorchester“ oder weiterhin„Kurarzt“ heißen, dann ist das, was uns vorgelegt wird,geradezu zynisch – und nichts anderes!
Wichtig wäre statt dessen, die kurörtliche Medizin fürdie Zukunft zu stärken. Sie ist eine Therapieform mitZukunft. Die kurörtliche Medizin stützt sich im wesent-lichen auf Prinzipien der klassischen Naturheilkunde, inder der Patient aktiv im Mittelpunkt seiner Behandlungsteht. Das hätten Sie verstärken müssen, meine Damenund Herren, nicht aber den Arbeitsentwurf in dieserForm vorlegen dürfen.Klaus Holetschek
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Lassen Sie mich mit den Worten des Präsidenten desBayerischen Heilbäderverbandes, Franz Gnan, schlie-ßen:Es ist dringend nötig, nochmals Gespräche zu füh-ren… Es ist falsch, an den Kuren zu sparen. Richtigist, daß man durch Kuren erheblich im Gesund-heitswesen sparen kann. Die Kuren gehören nichtgeschmälert, sondern gefördert!
– Das, was wir gemacht haben, ist keine Ausrede. Siehaben im Wahlkampf gesagt, Sie würden alles bessermachen. Wo machen Sie denn etwas besser? An denArbeitslosenzahlen und auch an der Entwicklung imKurbereich müssen Sie sich messen lassen. Ich appellie-re an Sie: Überdenken Sie Ihre Konzeption gerade in be-zug auf die offene ambulante Badekur. Arbeitsplätzeund Existenzen stehen hier auf dem Spiel. Bei diesemwichtigen Thema Arbeitsplätze sollten Sie schon zuhö-ren; das wäre nicht verkehrt.
Kur- und Heilbäder brauchen endlich langfristigePerspektiven, um Planungssicherheit zu haben. WennSie fachlichen Rat benötigen, meine Damen und Herren,dann gebe ich Ihnen gern die Nummer der bayerischenStaatsministerin Stamm, die Ihnen sicherlich noch einigeTips geben kann.
Herr Kollege Holet-
schek, das war Ihre erste Rede. Ich beglückwünsche Sie
dazu im Namen des ganzen Hauses.
Nun hat der Kollege Klaus Kirschner, SPD-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Kollege Holetschek, ich gra-tuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie können es deshalbvielleicht auch nicht wissen: Die Kürzungen im Kurbe-reich hat 1997 die damalige Regierungskoalition mitdem Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung be-schlossen. Ich weiß gar nicht, warum Sie hier so rum-schreien. Sie haben dieses doch selber so gewollt.
Ich wundere mich in einem weiteren Punkt über dieseDebatte. Es gibt zu dieser Haushaltsdebatte nicht nur ei-nen Gesetzentwurf – Frau Kollegin Schmidt-Zadel unddie Frau Kollegin Widmann-Mauz haben dazu gespro-chen –, sondern noch zwei weitere Gesetzentwürfe. Bis-her haben Sie keinen Ton zu Ihren eigenen Gesetzent-würfen gesagt, lieber Kollege Dr. Thomae. Es geht umden von der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zurWiedereinführung der Kostenerstattung. Dazu wurdebisher nichts gesagt.
– Ich nehme an, daß Herr Kollege Lohmann dazu nochetwas sagen wird. – Und es geht um den Gesetzentwurf,den die F.D.P. eingebracht hat, dessen Ziel letztendlichdie Erhöhung der Ausgaben ist.Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der von Ihnenbeabsichtigten Wiedereinführung der totalen Kostener-stattung machen. Die Praxis hat gezeigt, daß dieKostenerstattung mit erheblichen Nachteilen für die Pa-tienten verbunden ist.
Sie brauchen sich nur einmal die Daten anzuschauen.Beim Zahnersatz hat die durchgängige Kostenerstattungdazu geführt, daß die Patienten erheblich mehr zuzahlenmußten – und das zu überhöhten Preisen. Das wäre nurverständlich, wenn die gesetzliche Krankenversicherungden Versicherten medizinisch notwendige Leistungen,wirtschaftliche Versorgungsformen und/oder eine guteQualität vorenthalten würde.
– Ich komme darauf gleich noch, Herr Kollege Thomae.– Das ist jedoch nicht der Fall. Die Kostenerstattung hatbei einem Teil der Zahnärzte zu Verhinderungsstrategi-en geführt, um möglichst viele Leistungen als Privatlei-stungen – und damit teurer – außerhalb der vertrags-zahnärztlichen Leistungen zu berechnen. Die Zahlensind eindeutig: Das Ergebnis ist ein Rückgang von rundeinem Drittel beim Zahnersatz. Das ist das Ergebnis Ih-rer Politik und der Politik des Vorstandes der Kassen-zahnärztlichen Bundesvereinigung.Da mit dem Wegfall der Kostenerstattung vielfach inprivate Versicherungsverhältnisse eingegriffen wurde,wurden damit die seit Jahren gezahlten Altersrückstel-lungen wertlos. Diesen Argumenten wird sich die Ko-alition nicht verschließen. Deshalb findet auch hier eineKorrektur statt.Zum Gesetzentwurf der F.D.P.: So umgesetzt, wieSie es fordern, bedeutet dies letztendlich Beitragssatz-erhöhungen auf breiter Front bei den Kassen in denneuen Ländern und damit Erhöhung der Lohnnebenko-sten in den dortigen Betrieben. Das ist die KonsequenzIhres Gesetzentwurfes. Auch wir verkennen nicht dieLage der im Gesundheitswesen Beschäftigten. Wir wer-den dies deshalb im Rahmen der von der Bundesregie-rung und der Regierungskoalition geplanten Strukturre-form sehr sorgfältig prüfen.
– Sie müssen schon zuhören. – Ich sage deutlich: DenKrankenhäusern steht nach dem Solidaritätsgesetz ein50prozentiger Ausgleich zwischen Grundlohnsummeund BAT-Abschluß zu. Um nichts anderes geht es. –Wir machen es uns nicht so einfach wie Sie von derF.D.P. Im übrigen müssen Sie die Änderungen gegen-über den Beitragszahlern – also den Kassenmitgliedernund den Arbeitgebern – begründen . – Sie gehen weitKlaus Holetschek
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darüber hinaus. Sie nehmen in Kauf, daß sich die Situa-tion der Kassen in den neuen Ländern dramatisch ver-schlechtert. Der heute schon hohe Durchschnittsbei-tragssatz von 13,92 Beitragssatzpunkten gerät nochweiter unter Druck, wenn man das, was Sie in IhremGesetzentwurf vorschlagen, umsetzen würde.Auch zu Ihnen, Herr Kollege Lohmann, möchte icheine Bemerkung machen.
– Nein, aber Sie haben doch vorher dazwischengerufen.Ich habe genau zugehört.Schauen Sie sich doch das Jahresergebnis 1998 an,das Sie zu verantworten haben. In den neuen Ländernweisen die Kassen ein Defizit von rund einer halbenMilliarde DM aus. Das ist die Realität. Das ist Ihre Erb-last. Jetzt beantragen Sie von der F.D.P. noch zusätz-liche Ausgabensteigerungen. Das müssen Sie mal denMillionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowieArbeitslosen deutlich machen, deren Einkommen zu-rückgehen und auf die Sie keine Rücksicht nehmen.SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben bei dem vonuns gemeinsam hier im Bundestag beschlossenen Fi-nanzstärkungsgesetz die zeitliche Befristung aufgehobenund damit langfristig Berechenbarkeit hergestellt.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Tho-
mae?
Selbstverständlich.
Herr Kollege
Kirschner, in der letzten Woche fand in Potsdam eine
Veranstaltung der Deutschen Krankenhausgesellschaft
statt. Dort hat Staatssekretär Jordan vom Gesundheits-
ministerium den versammelten Gästen mitgeteilt, daß er
sehr ernsthaft eine Veränderung der Steigerungsrate er-
wägt. Er hat damit den Eindruck erweckt, die Bundesre-
gierung werde das Vorschaltgesetz ändern. Was stimmt
denn jetzt? Stimmt es, daß die Bundesregierung die
Steigerungsrate positiv verändern will? Oder plädiert
diese Bundesregierung dafür, daß alles, so wie es im
Vorschaltgesetz steht, beibehalten wird? Ich möchte hier
von der Koalitionsfraktion SPD eine klare Aussage zu
der Aussage des Staatssekretärs.
Herr Kollege Dr. Thomae,lenken Sie nicht von Ihrem Gesetzentwurf ab.
– Sie müssen mir schon zuhören. Wenn Sie nicht zuhö-ren, brauche ich Ihnen keine Antwort zu geben.Herr Kollege Dr. Thomae, lenken Sie nicht ab. In Ih-rem Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß die Leistungs-erbringer erheblich höhere Zuwachsraten bekommensollen. Ich weiß nicht, was der Staatssekretär sagte. Aberwenn der Staatssekretär das sagte, was ich eben schonsagte,
nämlich daß den Krankenhäusern – nur darum kann esgehen – der Ausgleichsbetrag zur Hälfte zusteht – –
– Entschuldigen Sie, Herr Kollege Dr. Thomae, da müs-sen Sie den Staatssekretär fragen. Ich war bei der Veran-staltung nicht dabei. Ich weigere mich auch, die Aussa-gen des Staatssekretärs zu interpretieren, die er auf einerVeranstaltung gemacht hat, an der ich nicht teilgenom-men habe. Ich kann nur auf die Rechtslage hinweisen, zuder die Regierungskoalition auch steht.
– Sie, Herr Kollege Heinrich, waren doch genausowenigdabei wie ich. Das möchte ich klarstellen.Ich möchte jetzt noch etwas über den 1,2-Milliarden-DM-Finanztransfer sagen, durch den die ursprünglicheOst-West-Schieflage in der GKV im Rahmen des ge-samtdeutschen Finanzkraftausgleichs 1999 beseitigtwurde. Diesen Transfer bezahlen die Beitragszahler imfrüheren Bundesgebiet mit einer Erhöhung von 0,1 Bei-tragssatzpunkten. Dies ermöglicht einen um 0,4 Bei-tragssatzpunkte niedrigeren Beitragssatz in den neuenLändern, um damit die Konkurrenzfähigkeit zu stärken.Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., setzendies mit Ihrem Gesetzentwurf bewußt aufs Spiel.Die Alternativen liegen doch dort, wo sinnvollerwei-se Einsparpotentiale zu mobilisieren sind, um den Druckvon der Ausgabenseite und damit von der Beitragssatz-seite zu nehmen. Damit das klar ist: Das ist nicht nur einProblem der GKV in den neuen Ländern; vielmehr giltdas für das gesamte Bundesgebiet. Allein die Steigerungbei den Arzneimittelausgaben – darauf möchte ichhinweisen – von 12,9 Prozent im Westen und von12,7 Prozent im Osten sind mit rationeller Arzneimit-teltherapie und wirtschaftlicher Verordnungsweise nichtzu begründen. Ich möchte Sie beispielsweise auf dieDurchschnittsausgaben der KV Südbaden hinweisen.Diese liegen bei 328 DM. In der KV Saarland liegen siedagegen bei 451 DM. Das sind Ausgabenunterschiedevon annähernd 40 Prozent.
– Ich wußte nicht, Herr Kollege Dr. Thomae, daß OskarLafontaine Arzneimittel verordnet. Das ist für michwirklich neu. Sie müssen sich wirklich etwas anderes alssolch einen Quatsch einfallen lassen.Wenn Sie Ost und West miteinander vergleichen,dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß die Arzneimit-telausgaben im Osten um 15 Prozent höher liegen. Esgeht darum, Einsparpotentiale dort zu mobilisieren, woKlaus Kirschner
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es vertretbar ist, weil unnötige Ausgaben vorliegen. Sieweigern sich, dabei mitzumachen.
Herr Kollege, den-
ken Sie an die Redezeit, bitte.
Ich komme zum Schluß.
Wir werden die Fragen, die das Krankenhaus betref-
fen, sehr sorgfältig prüfen. Wir werden uns im Gegen-
satz zu Ihnen von Allgemeinwohlinteressen leiten las-
sen. Einkommenserwartungen einzelner Berufsgruppen,
egal, ob die von Ärzten oder Zahnärzten in den neuen
Ländern, können nicht der Maßstab für gesetzgeberi-
sches Handeln sein, wenn in diesen Regionen gleichzei-
tig große Teile der Bevölkerung seit Jahren Einkom-
mensverluste zu erleiden haben und hohe Lohnnebenko-
sten die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen behindern.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun
der Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man langegenug wartet, dann kann man – ich lasse mich in denMöglichkeiten des Hinzulernens von niemandem über-treffen – viel hinzulernen. Frau Schmidt-Zadel, ich habeheute dazugelernt, daß Sie seinerzeit – das war mir nichtmehr bewußt – im Zusammenhang mit § 218 die Vor-stellung hatten, die Beratungen sollten in Apothekenstattfinden und wir hätten dafür gesorgt, daß sie in Be-ratungsstellen stattfinden.Frau Göring-Eckardt, ich habe heute auch dazuge-lernt – das gilt ebenfalls für die Ministerin –: Sie sorgennun über die Erweiterung der Patientenrechte endlichdafür, daß Patienten zu Akteuren werden. Ich stelle miralso vor: Die Patientin oder der Patient kommt zumArzt. Daraufhin fragt der Doktor: Was haben Sie denn?Der Patient antwortet: Herr Doktor, ich bin jetzt Akteur.
Ich bin gestern bei der Verbraucherstelle gewesen undhabe mich erkundigt, warum mir der Bauch so weh tat.Dann sagt der Arzt: Dann gehen Sie doch zum Facharzt.Dafür nimmt der Arzt dann eine entsprechende Gebühr.Meine Damen und Herren, so geht es doch nicht!Wir haben den Haushalt zu verabschieden. Wir habengemerkt, wie Ihre Gesichtszüge geradezu entgleisten, alswir in der letzten Sitzung des Gesundheitsausschussesden vorgelegten Haushaltsentwurf mit Ihnen verab-schiedet haben, weil es sich nur um marginale Ände-rungen handelte. Im Grunde genommen handelt es sichum einen Seehofer/Waigel-Haushalt. Wir sind eine se-riöse Opposition, die nicht von heute auf morgen ihreMeinung ändert; insofern haben wir zugestimmt.Herr Schöler, zu dem, was Sie in den Ausschußbera-tungen daraus gemacht haben, muß ich Ihnen sagen, daßSie Ihre Ausführungen etwas hätten vertiefen sollen. Siehaben zwar darüber gesprochen, daß Sie die Aufklä-rungsmaßnahmen für Drogen- und Suchtmittelmiß-brauch und auch die Mittel im Bereich Aids erhöht ha-ben. Aber Sie hätten einmal vorlesen sollen, daß Sie dieErstattungen der Aufwendungen für Leistungen derKrankenkassen an Aussiedler um 1,5 Millionen DM ge-kürzt haben, daß Sie die Leistungen des Bundes für denMutterschutz um 0,5 Millionen DM gekürzt haben unddaß Sie die Zuschüsse zu Forschungsvorhaben zur Er-kennung und Bekämpfung neuer Infektionskrankheitenum 0,4 Millionen DM gekürzt haben. Zwar haben Siedie Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten er-wähnt, aber Sie haben dazu keine Zahlen genannt, nichtgesagt, daß Sie hier um 0,4 Millionen DM gekürzt ha-ben.Sie haben die Finanzhilfen des Bundes zur Förderungvon Investitionen in Pflegeeinrichtungen an die neuenLänder, einschließlich Berlin, um 5 Millionen DM ge-kürzt. Das hätten Sie in Ihrem Beitrag laut sagen sollen.Sie haben es aber nicht getan; vielmehr haben Sie nurvon Erhöhungen gesprochen.Zum Thema Kostenerstattung. Es ist interessant,daß vom Vorschaltgesetz klammheimlich eine ganzeReihe von Bürgern betroffen ist, die schon immer Ko-stenerstattung gewählt hatten, entweder als freiwilligVersicherte, als Pflichtmitglieder oder auch als Mitver-sicherte, die später erwerbstätig geworden sind. Esbricht ein Sturm der Entrüstung los. Die Ministerin– auch die Staatssekretärin – weigerte sich auf Anfragenhin zunächst standhaft, überhaupt irgend etwas zu än-dern. Als die Briefstapel immer höher wurden, als er-staunlicherweise auch der VdAK aufgebracht war undan sie geschrieben hat, hieß es: Wir wollen doch eineBestandssicherungsmaßnahme vornehmen.Da Sie inzwischen alle Spitzenkräfte des Nachbesse-rungssystems geworden sind, frage ich Sie, warum Sieeigentlich nicht sagen, daß diese eine Entscheidungfalsch war. Wir haben uns größte Mühe gegeben, dieMenschen, die Patienten davon zu überzeugen, daß sie– es wird immer vom mündigen Bürger gesprochen –zumindest eine Wahlmöglichkeit haben. Warum solldies eigentlich nur für die reichen Leute, die oberhalbder Pflichtversicherungsgrenze liegen, gelten?
Warum nicht für alle? Wir haben daher diesen Antrageingebracht, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, in denAusschußsitzungen für ein besseres Ergebnis zu sorgen.Im übrigen möchte ich als letztes Sie, Frau Ministe-rin, gegen die Angriffe von Frau Schmidt-Zadel inSchutz nehmen. Sie haben sich nämlich im Zusammen-hang mit RU 486 im Gegensatz zu demjenigen, der esinzwischen wieder zur Chefsache gemacht hat, voll-kommen korrekt verhalten.
Sie haben nämlich gesagt, Politik sei nicht dafür da, zubestimmen, wer zu welchem Zeitpunkt die ZulassungKlaus Kirschner
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eines bestimmten Präparates beantragt. Aber die Damenund Herren, die vorhin gesprochen haben, wußten inter-essanterweise schon vor Jahren, als noch überhaupt keinZulassungsantrag vorlag, daß dieses Mittel das richtigesei. Genau die gleichen, Frau Schmidt-Zadel, die jetztüber eine Positivliste den Menschen sagen wollen, daßbestimmte Arzneimittel unwirksam oder umstritten seienund deshalb heraus müßten, wußten schon vor Jahren,daß etwas herein mußte, dessen Zulassung noch garnicht beantragt war. Das versteht kein Mensch. Deswe-gen haben wir darauf hingewiesen.
Nun erteile ich das
Wort der Bundesministerin Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Lohmann, Sie wissen, ich schätze Ihr komödianti-sches Talent beim Reden und diese eigentümliche Spät-abendstimmung im Parlament. Ich möchte aber jetztnoch einmal ganz ernsthaft auf das Thema Mifegyneund die Zulassung eingehen.Herr Lohmann, Sie brauchen gar nicht künstlich eineDifferenz, weder zwischen dem Kanzler und mir nochzwischen den Kolleginnen Abgeordneten und mir, herzu-stellen. Ich als Gesundheitsministerin habe die Aufsichtüber das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte. In dieser Rolle habe ich, wie ich finde, richtig ge-handelt, als ich sagte, ich äußere mich nicht dazu.
Deswegen bleibt es aber Politikern, die nicht die Auf-sicht über dieses Amt haben, unbenommen, ihre politi-sche Ansicht dazu zu äußern. Diesen Unterschied kannman machen.
Ich erkläre hiermit in meiner Funktion als Ministerin,die die Aufsicht über das Bundesinstitut führt, daß dortzur Zeit die Zulassung nach Recht und Gesetz auf derGrundlage des von Frankreich als Referenzmitgliedstaaterstellten Beurteilungsberichts geprüft wird. Diese Zu-lassung erfolgt ausschließlich nach fachlichen Kriterien.Ich nehme darauf keinen Einfluß.
Dieses mußte hier aus gegebenem Anlaß einfach nocheinmal klargestellt werden.
– Wie gesagt, ich finde, Politiker können ihre Meinungdazu äußern. Das wollte ich klarmachen.Ich will auch noch einmal klarstellen, daß eine Ent-scheidung über die Frage des Vertriebsweges keineVoraussetzung für die Zulassung ist, sondern beides un-abhängig voneinander ist.
Nach meiner Erinnerung fanden schon einmal Gesprä-che, nicht zwischen uns persönlich, sondern zwischenIhnen und dem Staatssekretär, über dieses Arzneimittel-änderungsgesetz statt, in denen wir Ihnen vorschlugen –ich sage das jetzt ganz bewußt mit einem großen Wort –,sich aus gemeinsamer staatsbürgerlicher Verantwortungheraus auf einen anderen als den normalerweise übli-chen Vertriebsweg zu einigen. Ich habe auch mitbe-kommen, Frau Widmann-Mauz, daß Sie eben gesagt ha-ben, Sie sähen den Punkt.Jetzt fragen Sie aber: Warum kann denn die Apothekenicht direkt liefern? Sie stellen dadurch erst das Problemher, das Sie uns vorwerfen. In den Gesprächen mit denApothekerverbänden und mit den Politikern aller Frak-tionen sowie in der Begründung zum Gesetzentwurf ha-ben wir ausdrücklich gesagt, daß dieser Gesetzentwurfin keiner Weise Mißtrauen gegenüber den bewährtenVertriebswegen über den Großhandel und die Apothe-ken wecken will.
Indem Sie sich jetzt in einer verqueren Art und Weise,die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, zum Hütereines vermeintlich bedrohten Apothekensystems ma-chen, stellen Sie diesen Zusammenhang überhaupt ersther, den wir ganz bewußt vermeiden wollten. Weil wirwissen, daß die Diskussion brisant ist, und meinten, daßman die Diskussion über die Methode und das Verfah-ren von einer grundsätzlichen Auseinandersetzung umden § 218 trennen sollte, wollten wir hier ganz bewußteinen Weg gehen, der sich sehr stark an den Vorbildernunserer ausländischen Nachbarn orientiert. Wir wolltensicherstellen, daß das Medikament ausschließlich an be-rechtigte Einrichtungen geht.Wir haben übrigens nicht nur im eigenen Haus, son-dern auch in Zusammenarbeit mit den Apothekerver-bänden geprüft, ob man einen anderen Weg gehenkann. Die Angst davor, daß man damit die Tür zuWeiterem öffnet – das steckt ja dahinter –, bestündedoch genauso, wenn die Apotheke das Medikament di-rekt an den Arzt abgeben würde. Auch da würde einEinfallstor geöffnet werden. Das soll heißen: Wir hat-ten uns hier nicht zwischen lauter guten Wegen zu ent-scheiden, sondern zwischen verschiedenen schwierigenWegen. Ich meine, daß wir nach der nötigen Abwä-gung und Diskussion mit den Beteiligten den richtigenWeg gefunden haben.Ich bitte Sie wirklich, sich nicht zu Vertretern einesvermeintlichen Partikularinteresses zu machen. Ich ap-pelliere an Sie, gemeinsam zu handeln, so daß wir indiese Debatte nicht zusätzlich Zündstoff hineinbringen.Ich erkläre von seiten der Bundesregierung ausdrück-lich: Wir planen keine Abkehr von dem bewährten Ver-triebsweg über Großhandel und Apotheken. Wer ver-Wolfgang Lohmann
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sucht, uns in dieser Debatte etwas anderes zu unterstel-len, hat unrecht.
Ich komme jetzt zur Geundheitsreform und insbeson-dere zu den Punkten, die von Ihnen schon viel kritisiertwurden. Sie haben das beliebte Argument „Zeit“ ge-nannt. Sie müssen dieses Argument fallenlassen; dennich glaube, ein Jahr ist eine nicht zu lange, aber auchausreichende, Zeit, um ein solches Gesetz vorzubereiten.Man sollte auch aufhören, über die Form zu debattieren,wenn man den Inhalt meint. Lassen wir also diesen for-malen Aspekt beiseite und reden wir über das, was unsin der Sache trennt!Weil Sie etwas anderes behauptet haben, will ich andrei Ausgangspunkten deutlich machen, warum wir nachmeiner Meinung Veränderungen im Gesundheitswesenbrauchen.Der erste Ausgangspunkt: Der demographische Wan-del führt zu veränderten Krankheitsbildern. Wir ha-ben chronisch Kranke in einem stärkeren Ausmaß, alsdies früher der Fall war. Zur Behandlung dieser Krank-heitsbilder ist der Begriff von der Zusammenarbeit zen-tral: die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, die Zusam-menarbeit zwischen Ärzten und Angehörigen der Heil-berufe und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten undKrankenhäusern. Dieses zentrale Anliegen, wie wir an-gesichts der Veränderungen diese so dringend benötigteZusammenarbeit verbessern können, spiegelt sich anvielen Stellen des Gesetzentwurfes wider.Der zweite Ausgangspunkt: Wir haben medizinischenFortschritt, der Veränderungen bewirkt. Wir wissen, daßeinige Veränderungen ausgesprochen kostspielig sind.Jetzt kommt die von Ihnen so geschmähte Debatte überQualität und Transparenz auf dem Arzneimittel-markt zum Tragen. Ich glaube, daß der medizinischeFortschritt nicht unbedingt dazu führen muß, daß wirimmer nur drauflegen. Unsere Aufgabe ist, erstens zuprüfen, ob alles, was neu ist, auch wirklich besser ist,und zweitens zu prüfen, ob nicht das Neue vielleicht dasAlte ersetzen kann. Dafür wollen wir die Voraussetzun-gen schaffen.
Herr Lohmann, bei aller Wertschätzung für Ihre Per-son und auch für Ihr komödiantisches Talent muß ichsagen, daß ich Ihre Kritik für unangemessen halte. Dermoderne Sozialstaat – das gilt nicht nur für das Gesund-heitswesen – zeichnet sich dadurch aus – damit bin ichbeim dritten Ausgangspunkt –, daß sich die Bürger nichtmehr damit zufriedengeben, in diesem System nur gutversorgt zu sein. Sie wollen mehr Information undwollen gleichberechtigt gehört werden. Sie wollen mehrRechte und Möglichkeiten.
Ich halte es in diesem Zusammenhang für eine wirklichaberwitzige Idee, zu behaupten, daß das Recht auf Ko-stenerstattung ein Grundrecht sei. In diesen Status ist eseben von Herrn Thomae erhoben worden. Das ist eineausgesprochen merkwürdige Sicht der Dinge.
Ich möchte noch etwas zu dem Vorwurf sagen, wirwürden uns dem Diktat der Beitragssatzstabilität un-terwerfen. In Ihrem Lob für meinen Vorgänger habenSie aber – völlig zu Recht – darauf verwiesen, daß dasErreichen der Beitragssatzstabilität eines seiner Verdien-ste war. Sie müssen sich nun entscheiden, ob Sie Bei-tragssatzstabilität wollen oder nicht. Wir reden dochnicht davon, daß die Beitragssätze ins Unermeßlichesteigen dürfen. Es ist noch nicht so lange her, daß ichselbst in der Opposition war. Ich glaube aber nicht, daßich damals leichtfertig gesagt habe, Geld spiele keineRolle. Ich finde auch, daß die Debatte bezüglich desOstens heute leichtfertig geführt wird und daß Sie dieInteressen der Menschen in Ostdeutschland nicht ernstnehmen, wenn Sie sagen: „Gebt den Menschen mehrGeld, egal, woher ihr es nehmt!“, aber nicht erklären,wie dieses Ziel zu erreichen ist.
– Herr Thomae, Leipzig scheint für Sie zu einer fixenIdee zu werden. Sie haben nicht nur Frau Göring-Eckardt vermißt. Jetzt wissen Sie auch nicht mehr, wasich dort gesagt habe.
Ich habe in Leipzig ganz bewußt gesagt, daß wir überdie Schwierigkeiten reden. Ich habe aber nicht verspro-chen, daß die geforderten Milliarden Mark gezahlt wer-den; denn ich weiß, wie schwierig dies zu erreichen ist.In dieser Hinsicht besteht überhaupt keine Differenzzum Kollegen Kirschner, wie Sie es gerade darstellenwollten. Der Kollege Kirschner hat vielmehr darauf hin-gewiesen, daß wir mit der Entfristung des Risikostruk-turausgleichs eine ganz wichtige Maßnahme dafür ge-troffen haben, daß in Ostdeutschland der Finanzaus-gleich weiterhin stattfindet.
Das ist eine Voraussetzung für all das, was man eventu-ell noch machen kann. Ich stimme mit Ihnen überein,daß wir, wenn wir versuchen wollen, dort in dieserschwierigen Lage etwas zu tun, immer die Frage stellenmüssen: Von wem und woher nehmen wir es? Dies isteine ganz schwierige Entscheidung; das wissen Sie ge-nauso gut wie ich. Ich finde, Sie sollten, auch wenn Siejetzt in der Opposition sind, verantwortungsbewußterdamit umgehen.An den Kollegen Holetschek gerichtet, muß ich sa-gen: Da habe ich eben gestaunt. Wir versuchen wirklich,mit begrenzten Mitteln und Möglichkeiten einen Teildessen rückgängig zu machen, womit Sie in den letztenBundesministerin Andrea Fischer
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Jahren die Kurorte zum Teil richtig in den Ruin getrie-ben haben.
Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen: Ihr habt keinInteresse an der Kur, aber wir. – Soviel Chuzpe mußman erst einmal haben!
Ich habe es gerade schon gesagt: Hören Sie auf, inder inhaltlichen Debatte dadurch auszuweichen, daß Sieüber Formfragen sprechen.Mit dem Arbeitsentwurf haben wir
– nein – diesem Prozeß eine Geschäftsgrundlage ver-schafft, auf der wir jetzt diskutieren. Ich weiß überhauptnicht, Herr Kollege Thomae, was das mit Chaos zu tunhaben soll, wenn Sie hier einen Gesetzentwurf haben,bei dem Sie zu jedem Punkt sagen können, ob Sie dasrichtig finden oder nicht.
– Bloß weil Sie sich hier, frech wie Bolle, schlecht be-nehmen, Herr Dr. Thomae, werden Ihre Argumentenicht besser.
Wenn Sie finden, daß ein 250seitiger Gesetzentwurf miteiner Menge Paragraphen und Begründungen keiner ist,dann haben Sie offensichtlich ein Problem mit der Be-ratung von Gesetzen. Ich habe kein Problem damit, undich bin hinsichtlich der Beratung ausgesprochen zuver-sichtlich.
– Sie wissen, es ist ein Arbeitsentwurf für ein Gesetz.
– Aber weswegen können Sie einen Arbeitsentwurfnicht diskutieren? Er ist doch, wenn er in Gesetzesformist, wesentlich konkreter als ein Eckpunktepapier. Hät-ten wir hier Eckpunkte, würden Sie sagen: Frau Fischer,das ist doch immer noch so unkonkret! Was soll dasalso?
Reden Sie nicht immer über die Form, und halten Siesich nicht an diesem Punkt auf.
– Ich weiß ganz genau, was ich vorgelegt habe. Ichscheue keine Debatte. Ich bin der festen Überzeugung,daß wir, auch im Gespräch mit all denen, von denen Sieangeblich besser wissen, mit wem wir sprechen odernicht, zu einem wirklich guten Gesetzentwurf kommenwerden, den wir im Juni im Kabinett verabschiedenwerden.Wir werden das mit den nötigen Kontroversenausdiskutieren und später werden wir Einigkeit errei-chen.Danke.
Ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Aus-schußfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-plan 15 ist damit angenommen.Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen aufDrucksache 14/898 soll zur federführenden Beratungdem Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung demAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendüberwiesen werden. Der Gesetzentwurf der CDU/CSUauf Drucksache 14/886 und der Gesetzentwurf derF.D.P. auf Drucksache 14/884 sollen dem Ausschuß fürGesundheit überwiesen werden. Sind Sie damit einver-standen? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Ich rufe damit den Einzelplan 10 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Forsten– Drucksachen 14/610, 14/622 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Uwe-Jens RösselIris Hoffmann
Matthias BerningerJosef HollerithDr. Günter RexrodtEs liegen je drei Änderungsanträge der Fraktionender CDU/CSU und der PDS vor. Auch die Fraktion derF.D.P. hat einen Änderungsantrag eingebracht. Ich weisedarauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache übereinen Änderungsantrag namentlich abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJosef Hollerith, CDU/CSU-Fraktion.Bundesministerin Andrea Fischer
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Frau Präsidentin! Mei-ne sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10,der Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Land-wirtschaft und Forsten, ist überwiegend durch gesetz-liche Aufgaben, vor allem in der Sozialpolitik, gekenn-zeichnet. Die Gestaltungsspielräume sind relativ gering.Um so bedeutender ist es daher, daß diese auch genutztwerden.Sehr problematisch ist in diesem Zusammenhang dieKürzung des Ansatzes für die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes“ gegenüber dem Entwurf von Bundesfinanz-minister Theo Waigel um 91 Millionen DM.Der PLANAK hat in seinem Beschluß vom 11. De-zember 1998 den damaligen Regierungsentwurf miteinem Ansatz von 1,8 Milliarden DM zugrunde gelegt.Die Mittelverteilung für 1999 wurde mit 64 Prozent fürdie alten Bundesländer und 36 Prozent für die neuenBundesländer festgelegt.Unter Zugrundelegung des um 91 Millionen DMgesenkten Ansatzes würde das eine Verringerung derMittel für die neuen Bundesländer um rund 51 MillionenDM bedeuten. Dies würde zu der Gefahr führen, daßeine Kofinanzierung von EU-Ziel-1-Strukturförder-mitteln national nicht mehr in vollem Umfang gewähr-leistet sein könnte und in der Folge den neuen Bundes-ländern zustehende europäische Gelder nicht abgerufenwerden könnten. Dies wiederum würde die ohnehinschon unverhältnismäßig große NettozahlerpositionDeutschlands weiter verstärken.Die CDU/CSU-Fraktion beantragt deshalb die Auf-stockung der Ansätze für die Gemeinschaftsaufgabe um91 Millionen DM auf den ursprünglichen Ansatz desTheo-Waigel-Entwurfs.
Das Abkassiermodell, die sogenannte Ökosteuer,trifft auch die Betriebe der Landwirtschaft nachteilig.Auf Druck des Berufsstandes und der Unionsfraktion,auch die Landwirtschaft zu dem produzierenden, steuer-begünstigten Sektor zu zählen, hat sich die Regierungs-koalition bewegt. Auch die landwirtschaftlichen Betrie-be kommen in den Genuß des ermäßigten Steuersatzesvon 20 Prozent.
Allerdings bleibt es bei der Tatsache, daß die Öko-steuer ein bürokratisches Monster ist und gerade diekleinen bäuerlichen Betriebe mit einem Sockelbetragvon je 1 000 DM für Strom, Heizöl/Gas jährlich zusätz-lich belastet werden.
Insgesamt entsteht ein Riesenbrocken zusätzlicher Bela-stung für die Landwirtschaft von etwa 380 MillionenDM jährlich.
Wie ungleich, wie unsozial die rotgrüne Ökosteuerwirkt, zeigt ein Vergleich: Die Firma BASF zahlt beirund 21 Milliarden DM Umsatz netto 3 Millionen DMÖkosteuer im Jahr, die deutsche Landwirtschaft bei rund60 Milliarden DM Umsatz netto rund 330 MillionenDM. Insbesondere die großen industriellen Agrarbetrie-be werden dadurch entlastet. – Ich kritisiere nicht dieChemische Industrie, sondern die Schieflage, die vonder rotgrünen Mehrheit zu verantworten ist und die be-deutet, daß die bäuerliche Landwirtschaft durch dieseÖkosteuer in schwieriger Lage in unverantwortlicherWeise zusätzlich belastet wird.
Das paßt in das Bild, das wir von der Ökosteuer ha-ben: Der Kleine wird belastet – siehe den Rentner, sieheden Arbeitslosen, siehe den Sozialhilfeempfänger, sieheden Studenten. Das ist die Realität, die unsoziale Reali-tät dieser rotgrünen Mehrheit.
Die rotgrüne Mehrheit hat ihren ursprünglichen Be-schluß im Haushaltsausschuß, den Zuschuß für dielandwirtschaftliche Unfallversicherung von 615 Mil-lionen DM auf 500 Millionen DM zu senken, korrigiert.
Sie hat wieder einmal korrigiert – das paßt in das Bilddieser Regierung. Sie bessert ständig nach und korri-giert, weil sie eben erst lernen muß, und das wird sie nieschaffen.Es soll nun eine Absenkung um 65 Millionen DM aufeinen Ansatz von 550 Millionen DM erfolgen. Hinter-grund dieser Aktion ist, daß mit dieser verminderten Ab-senkung die vorläufigen Beitragsbescheide der Land-wirte nicht korrigiert werden müssen, weil die gesenktenBundeszuschüsse aus der Liquidität der Träger der Un-fallversicherung finanziert werden können. Auf dieseWeise meint die Koalition, zusätzlichen Ärger bei denLandwirten vermeiden zu können.
Dies ist ein doppelter Irrtum: zum einen, weil die Li-quidität bei den Trägern nur einmal ausgegeben werdenkann und im nächsten Jahr das Geld in der Kasse fehlt,was zu entsprechenden Beitragsbelastungen führen wird,und zum anderen, weil die Bauern intelligent genugsind, den Trick, der hier versucht wird, zu durchschauen.
Welche Bedeutung der Bundeszuschuß von 615 Mil-lionen DM – bei Gesamtausgaben von rund 1,95 Mil-liarden DM in der Unfallversicherung – für die Land-wirte hat, zeigt ein Blick auf die Senkungsquote, alsoauf die Absenkungswirkung des Bundeszuschusses fürdie jeweilige Berufsgenossenschaft: Die Senkungsquotebeträgt zum Beispiel für die BerufsgenossenschaftHannover 41,87 Prozent, für Westfalen 46,3 Prozent,für Hessen-Nassau 43,3 Prozent, für Rheinland-Pfalz
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46,49 Prozent, für das Saarland 48 Prozent, für Ober-und Mittelfranken 52,47 Prozent, für Niederbayern-Oberpfalz 41,42 Prozent, für Schwaben 36,89 Pro-zent, für Unterfranken 48,07 Prozent, für Oberbayern40,79 Prozent, für Baden 53,58 Prozent und für Würt-temberg 53,46 Prozent. Sinkt also der Bundeszuschuß,dann steigt im gleichen Verhältnis der Beitragssatz ent-sprechend der Senkungsquote an.Zur Kompensation der Belastung aus der Ökosteuerbeantragt deshalb die CDU/CSU-Fraktion die Aufstok-kung des Zuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallver-sicherung um 320 Millionen DM auf 870 Millionen DM,um eine direkte Einkommenswirkung zu erzielen. Wirhaben eine namentliche Abstimmung über diesen Ände-rungsantrag beantragt, weil es um existentielle Fragender Landwirtschaft, um die Kompensation der Ökosteuerund die Stabilisierung der Beitragssätze in der Unfall-versicherung geht.
Die Kernprobleme der landwirtschaftlichen Unfall-versicherung sind die hohe alte Last und der sich nichtzuletzt durch die Beschlüsse der Bundesregierung zurAgenda 2000 verstärkende Strukturwandel. Für eineReform zeichnen sich zwei Lösungslinien ab: Nach demSozialgesetzbuch besteht für die Träger der landwirt-schaftlichen Unfallversicherung die Möglichkeit zumbundesweiten Solidarausgleich, der bisher nicht statt-fand. Ein Ausgleich würde von den starken Gebieten mitgroßen landwirtschaftlichen Betrieben, die im Verhältnisgeringe Unfallzahlen aufweisen, hin zu den schwächerenGebieten mit kleinerer Betriebsstruktur und stärkeremStrukturwandel erfolgen. Wie realistisch dieser Lö-sungsweg ist, zeigt die Tatsache, daß er bisher nicht be-gangen wurde.Die zweite Lösungslinie besteht in einer völligenNeuordnung der landwirtschaftlichen Unfallversi-cherung, die dergestalt aussehen könnte, daß für die alteLast und für die Klein- und Nebenerwerbsbetriebe eineeigene Unfallversicherung mit gesetzlich abgesichertemBundeszuschuß errichtet wird, während für die größerenBetriebe mit Zukunftsfähigkeit eine Beitragskasse ohnestaatlichen Zuschuß entstünde, die aus sich heraus we-gen der Struktur der Mitglieder einen verträglichen Bei-trag ermöglichen könnte.Zu dem akzeptablen Teil der Beschlüsse des BerlinerGipfels zur Agenda 2000 zählt die Einigung auf eineobligatorische Flächenstillegung von 10 Prozent. Hierentstehen Chancen für nachwachsende Rohstoffe. Umdiese optimal nutzen und neue Technologien in Demon-strationsanlagen ausreichend entwickeln und erprobenzu können, beantragt die CDU/CSU-Fraktion für die in-vestive Förderung nachwachsender Rohstoffe die Ver-doppelung des Ansatzes auf 60 Millionen DM.
Die Berliner Beschlüsse zur künftigen Agrarpoli-tik der Europäischen Union sind völlig unbefriedigend.Sie bedeuten im Ergebnis mehr Bürokratie, sinkendeEinkommen und eine weiter steigende Abhängigkeit derLandwirte von Beihilfen und Subventionen. Um die vonden EU-Finanzministern festgelegte Obergrenze von40,5 Milliarden Euro pro Jahr einhalten zu können, wur-den die kostenträchtigen und im übrigen falschen Teileder Agrarreform in der finanziellen Vorausschau einfachgestreckt oder an das Ende verschoben.Das in Berlin beschlossene Agrarpaket bedeutet einensteigenden Preisdruck für die Landwirte und im Milch-und Rindfleischsektor eine völlig widersinninge Aus-weitung der Produktionsmengen mit entsprechendemPreisverfall. Notwendig ist statt dessen eine Agrarpolitikder strikten Mengenbegrenzung und ein Einstieg in dieKofinanzierung.
Mit dem Verzicht auf den Einstieg in die Kofinanzie-rung der Agrarbeihilfen aus den nationalen Haushaltenwurde zudem – gegen die ausdrückliche Forderung derBundesländer und der Mehrheit des Deutschen Bundes-tages in der 13. Wahlperiode – die große Chance verge-ben, die Agrarausgaben zu verringern, ohne Tausendevon Landwirten mit existenzbedrohenden Einkommens-verlusten zu konfrontieren.Die Kofinanzierung hätte darüber hinaus die gemein-same Agrarpolitik auch in der Perspektive einer baldigenEU-Erweiterung finanzierbar gehalten. Das Ergebnisdieser dilettantischen Verhandlungsführung ist eineMehrbelastung der deutschen Landwirte um 2,5 Milliar-den DM jährlich.
Bundesminister Funke spricht davon, die deutscheLandwirtschaft müsse wettbewerbsfähiger werden. Demist grundsätzlich zuzustimmen. Aber die Taten dieserrotgrünen Regierung bewirken exakt das Gegenteil. DieÖkosteuer belastet die deutsche Landwirtschaft einseitigund behindert sie im europäischen Wettbewerb. Das istdie Wirklichkeit rotgrüner Mehrheiten.
Das Wort hat die
Kollegin Iris Hoffmann.
Frau Präsidentin!Sehr geehrte Damen und Herren! Agrarpolitik an derSchwelle zum neuen Jahrtausend zu thematisieren heißtAufbruch zu Veränderung und Weichenstellung für dieZukunft.Die Agenda 2000 ist unter der deutschen EU-Präsidentschaft mit dem Berliner Kompromißpaketrechtzeitig verabschiedet worden. Die deutsche Präsi-dentschaft hat es in einer schwierigen Phase – denkenwir an den Rücktritt der EU-Kommission und an denBeginn des Kosovo-Krieges – vermocht, die großen In-Josef Hollerith
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teressenunterschiede der Partner zum Ausgleich zu brin-gen.
– Ja. – Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung EU-Agrarpolitik für die Zukunft erreicht worden und eineBasis für den Beitritt der stark agrarorientierten mittel-und osteuropäischen Länder geschaffen worden.Heute ist unser Thema die nationale Agrarpolitik.Richten wir unser Augenmerk dabei vornehmlich aufden Bundeshaushalt, muß man klar feststellen, daß diealte Bundesregierung uns einen Agrarhaushalt hinterlas-sen hat, der strukturell ausgepreßt ist und finanziell kei-nerlei Gestaltungsspielraum zuläßt.
Von 1991 bis 1998 stieg das Volumen des Bundes-haushaltes um 13,2 Prozent; der Agrarhaushalt hingegennahm um 16,8 Prozent ab. Im gleichen Zeitraum stiegendie Ausgaben im Agrarsozialbereich um 41 Prozent. Dasheißt, die außerhalb der Agrarsozialpolitik verfügbarenMittel wurden von der alten Koalition immer stärker zu-sammengestrichen, nämlich von 8,2 Milliarden DM in1991 auf 3,7 Milliarden DM in 1998, also um sage undschreibe 4,5 Milliarden DM.
Dies hat sich natürlich vornehmlich im Bereich ein-kommenswirksamer Maßnahmen und im Bereich inve-stiver Maßnahmen niedergeschlagen. Da finde ich esschon peinlich, wenn Sie, meine Damen und Herren vonder CDU/CSU-Opposition, nach der Bereinigungssit-zung des Haushaltsausschusses erklären, Sie hätten vonder rotgrünen Regierung erwartet, daß mehr Mittel fürden investiven Bereich eingesetzt werden würden. Be-zogen auf den Agrarhaushalt kann ich Ihnen da nur er-widern: Wer den Mund spitzt, muß auch Töne herausbe-kommen, und zwar möglichst noch melodische undnicht nur ein Krächzen.
Sie haben es zu verantworten, daß sich der Bundes-haushalt insgesamt in allen Richtungen konsolidierungs-bedürftig zeigt. Daß der Agrarhaushalt davon mit betrof-fen ist, steht außer Frage. Ihnen steht vor diesem Hinter-grund Zurückhaltung gut zu Gesicht.
Der politischen Weichenstellung zur Konsolidierungdes Bundeshaushalts muß auch der Einzelplan 10 Rech-nung tragen. Der Regierungsentwurf sah ein Volumendes Agrarhaushalts von 11,6 Milliarden DM vor. Wirdebattieren heute über 11,55 Milliarden DM. Unter Be-rücksichtigung anderer Einsparungen und Kürzungenkonnte die ursprünglich veranschlagte globale Minder-ausgabe von 89,5 Millionen DM auf 33,1 Millionen DMbegrenzt werden. Sie ist im Rahmen der Bewirtschaf-tung aufzulösen.Der Haushaltsansatz für die Alterssicherung wurde,basierend auf den vorliegenden Hochrechnungen der Al-terskassen, um 40 Millionen DM auf den tatsächlichenMittelbedarf von 4,4 Milliarden DM zurückgeführt. Vordem Hintergrund der eingetretenen Zinssenkungen war esmöglich, die Kassenkredite für EU-Marktordnungsaus-gaben um 14 Millionen DM abzusenken.Die landwirtschaftliche Unfallversicherung hat inden vergangenen Wochen und Monaten heftigste Dis-kussionen ausgelöst. Wir haben die Mittel hierfür – statt,wie von uns ursprünglich vorgesehen, um 115 MillionenDM – um 65 Millionen DM gekürzt.
Dadurch werden sich für 1999 keine unmittelbarenfinanziellen Belastungen für die Landwirte ergeben.
– Nun bewahren Sie doch Ruhe. Ich werde Ihr Gedächt-nis noch erhellen.
Diese Situation darf aber nicht darüber hinwegtäu-schen, daß bei der Aufstellung des Haushalts 2000 auchüber eine strukturelle Reform der landwirtschaftlichenUnfallversicherung nachgedacht werden muß.
Hierzu benötigen wir in den nächsten Wochen eine kon-struktive und offene Diskussion. Änderungen im Lei-stungsangebot und beim versicherten Personenkreis dergesetzlichen Unfallversicherung müssen im Zuge derHaushaltsberatung für den Agrarhaushalt 2000 themati-siert werden.
Die Bezuschussung der landwirtschaftlichen Unfall-versicherung stellt eine freiwillige Aufgabe des Bundesdar und wurde bereits in den letzten Jahren mehrfachdem Grunde und ihrer Höhe nach sehr kritisch beleuch-tet. Der Bundesrechnungshof hat sich bereits mit diesemThema befaßt. So führt er in seinem Bericht vom 28.März 1998 nicht nur aus, daß das System der landwirt-schaftlichen Unfallversicherung stark reformierungsbe-dürftig ist. Er sprach schon damals die Empfehlung aus,diesen Titel für das Jahr 1999 auf 415 Millionen DM zu-rückzuführen. Für das Jahr 2000 schlug er sogar eineReduzierung auf 315 Millionen DM vor.
Wie Sie sehen, meine Damen und Herren von der Oppo-sition, die Sie seinerzeit in der Regierungsverantwortungstanden, ist dies ein Thema, das nicht erst seit dem Re-gierungswechsel, also seit dem 27. September, auf derTagesordnung steht. Nein, wir sind hier vielmehr ge-zwungen, Ihre Hausaufgaben zu erledigen, da Sie selbstnicht in der Lage dazu waren.
Iris Hoffmann
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In diesem Zusammenhang sagt ein altes Sprichwort:Lege nicht der Zeit zu Last, was du selber verschuldethast. Deshalb verstehe ich die Flügelschläge der Kolle-ginnen und Kollegen der Opposition beim Thema land-wirtschaftliche Unfallversicherung gar nicht. Fakt istdoch und wahr bleibt doch, daß der Kollege von Ham-merstein hier am 25. November 1997 ankündigte, sich1998 mit den Berufsgenossenschaften zusammensetzenzu wollen, um zu versuchen, erhebliche Kosteneinspa-rungen zu erzielen. Die Reduzierung der Anzahl der Be-rufsgenossenschaften war damals Ihr Ziel.Ich wünschte mir, heute in dieser Debatte zumindestsagen zu können, die alte Bundesregierung habe in die-ser Hinsicht wenig erreicht.
Tatsache ist aber: Die alte Regierung hat gar nichts be-wirkt.
Wenn Ihre Fraktion dann in der Bereinigungssitzungvon Taschenspielertricks spricht, wenn es um die Ab-senkung der Mittel für die landwirtschaftliche Unfall-versicherung geht, und wenn sie zuvor in den Berichter-stattergesprächen noch deren Anhebung um 320 Millio-nen DM fordert – und das mit ihrem heutigen Antragauch noch bekräftigt –, ist das nicht nur verkehrte Welt.
Nein, Sie zeigen damit, daß es Ihnen an Realitätssinnfehlt.
Sie stehen noch nicht einmal zu dem, was Sie vor die-sem Hohen Hause vor eineinhalb Jahren vollmundigangekündigt haben. Wir werden in der landwirtschaft-lichen Unfallversicherung mit einer längst überfälligenStrukturreform die Weichen für die Zukunft stellen.
Meine Damen und Herren, im Rahmen des Einzel-plans 10 spielt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“eine erhebliche Rolle. Auch diese Mittel sind in denletzten Jahren deutlich von der CDU-geführten Regie-rung beschnitten worden. Mit den jetzt veranschlagtenrund 1,7 Milliarden DM ist es uns trotz aller Konsolidie-rungszwänge gelungen, sie im Bestand zu erhalten.
Dieser Betrag ermöglicht es den Bundesländern auch,das Vorjahresniveau der Förderung beizubehalten. Ichsage dies insbesondere deshalb, weil mir aus nahelie-genden Gründen die Finanzierung von Küstenschutz-maßnahmen besonders am Herzen liegt. Jede Erhöhungder Sicherheit an den Küsten der Nord- und Ostsee so-wie im Tidegebiet gegen Sturmflut dient der Erhaltungdes Lebensraumes hinter den Schutzanlagen. SolltenMaßnahmen des Naturschutzes oder der Landschafts-pflege notwendig sein, so können diese nur dann förder-fähig sein, wenn sie auch einen klaren räumlichen Bezugzur jeweiligen Küstenschutzmaßnahme haben.Das Hauptaugenmerk muß nun darauf gerichtet sein,daß sich Bund und Länder auf ein Konzept für diekünftige Strukturförderung unter Berücksichtigungdes vorhandenen finanziellen Spielraums verständigen.Im Bereich der Fischereipolitik haben wir den Förder-betrag um 2 Millionen DM abgesenkt. Diese Reduzie-rung entspricht dem realistischen Bedarf bei den Kapa-zitätsanpassungsmaßnahmen, den Kutterdarlehen undden Strukturmaßnahmen für die Seefischerei; denn dieIst-Zahlen der vergangenen Jahre haben deutlich ge-macht, daß auch der abgesenkte Betrag für 1999 nochüber dem Bedarf liegt.Die Bundesregierung stellt in diesem Jahr im Rahmeneines Markteinführungsprogrammes für erneuerbareEnergien 200 Millionen DM zur Verfügung.
Diese werden zwar im Einzelplan 09, beim Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Technologie veranschlagt,ein angemessener Anteil hieraus wird aber der Land-wirtschaft zufließen.Eingangs sprach ich vom Aufbruch zu Veränderungund von der Weichenstellung für die Zukunft. Es istmeine tiefe Überzeugung, daß uns mit diesem Haushalt– trotz aller gegensätzlicher Diskussionen in den letztenWochen – der Einstieg hierzu gelungen ist. Wir müssender Landwirtschaft eine Zukunft geben. Dies gelingt nur,wenn wir eine Agrarpolitik gestalten, die es der Land-wirtschaft ermöglicht, sich auch in einer erweiterten EUzu bewähren.Vielen Dank.
Frau Kollegin Hoff-
mann, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich beglückwünsche Sie dazu im Namen des ganzen
Hauses.
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Ulrich Hein-
rich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Die schönen Wortemeiner Vorrednerin, Frau Hoffmann, haben wir wohlgehört. Aber ich sage Ihnen: Dieser Haushalt reflektiertnicht die Notwendigkeit, der Landwirtschaft die Auf-merksamkeit zu schenken, die sie zur jetztigen ZeitIris Hoffmann
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eigentlich bräuchte. Der Haushalt ist, so möchte mansagen, eher ein Sozial- als ein Agrarhaushalt.Er nimmt natürlich soziale Flankierungen vor, aber istnicht dazu geeignet, die Landwirtschaft fit zu machenfür die Herausforderungen, für die auch Sie, Herr Mi-nister, mit verantwortlich sind. Das sind in erster LinieFragen der Agenda 2000, aber das betrifft auch Heraus-forderungen durch die nationale Gesetzgebung: ImRahmen der Steuergesetzgebung nehmen Sie bei derUmsatzsteuer willkürlich einen Prozentpunkt weg. Diesbelastet die Landwirtschaft zusätzlich, genauso wie dieÖkosteuer und die Neuregelung im Bereich der 630-Mark-Jobs.
Das sind die entscheidenden Merkmale Ihrer Politik.Sie reagiert damit auf die Agenda 2000, die – das gebeich gerne zu – ein Einigungswerk von 15 ist. Sie habensich geeinigt, aber auf einem sehr niedrigen Niveau.
Sie haben die Forderungen, die Sie vor sich hergetragenhaben, nicht in Erfolge ummünzen können – weder beider Finanzierung noch in der Umsetzung konkreterPolitik: nicht bei der Milchpolitik, erst recht nicht beider Rindfleischpolitik. In allen Bereichen haben Sie IhreZielsetzungen verfehlt.
Der Stellenwert der Agrarpolitik ist bei dieser Regie-rung annähernd Null.
Denn mit dem, was Sie vorlegen, schneiden Sie unmit-telbar in die Einkommen der landwirtschaftlichen Be-triebe ein – sei es im Wege der Steuerpolitik oder in al-len anderen Bereichen, in denen Sie Sondertatbeständebereinigen wollen. Alle Maßnahmen in der Landwirt-schaft sind einkommenswirksam; in kaum einem ande-ren Politikfeld ist das so ausgeprägt. Deshalb wirkt sichdie schwierige Lage des Agrarhaushaltes so negativ aufdie Einkommen der Landwirtschaft aus: Die Mittel fürdie Gemeinschaftsaufgabe werden abgesenkt statt aufge-stockt. Bei der Unfallversicherung nehmen Sie Ein-schnitte vor, anstatt wenigstens den Versuch zu unter-nehmen, einen gewissen Ausgleich zur ungerechten Be-lastung durch die Ökosteuer zu schaffen.
Die einzelbetrieblichen Belastungen liegen in der Regelbei etwa 1 000 DM. Mit der Agenda 2000 sind Ein-kommenseinbußen zwischen 5 und 10 Prozent verbun-den. Andere nationale Maßnahmen fordern zusätzlicheBelastungen in Höhe von etwa 1 Milliarde DM.
All das zusammen zeigt den geringen Stellenwert derLandwirtschaft bei Ihrer Politik.Herr Minister Funke, Sie sind mit großen Vorschuß-lorbeeren in dieses Haus gekommen.
Man hat gesagt: Das ist ein Mann, der etwas von derLandwirtschaft versteht und der mit den Landwirtenumgehen kann. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier vorle-gen, ist eine Blamage für die Landwirtschaft und erstrecht für diese Regierung.
Ich verstehe überhaupt nicht,
daß wir von dieser Regierung in dem harten Wettbe-werbskampf, der durch die Agenda entstehen wird, ab-solut allein gelassen werden. Was sagen Sie den Milch-bauern zur Agenda, zu der Aussetzung bis 2006? Wassagen Sie den Milchbauern, die sich in der Vergangen-heit mit Milchpreissenkungen auseinandersetzen mußtenund dies erst recht auch in der Zukunft müssen?
– Die melkt den Milchbauern; das ist richtig.Aber was haben Sie davon, Perspektiven auszuwei-chen? Das, was Sie von der Brüsseler Politik zusam-mengefaßt haben, was in Ihrem hochgelobten BerlinerBeschluß auch noch positiv vertreten wird, ist schlicht-weg schlecht organisierte Planwirtschaft.
Sie verfehlen die Ziele, die Sie sich selber gesetzt ha-ben.
Die Politik wird für den Steuerzahler teurer. DieLandwirte bekommen weniger. Die Bürokratie nimmtzu. Die Regeln der WTO werden bei weitem nicht ein-gehalten.Ich sage Ihnen voraus: Die Ende dieses Jahres begin-nende WTO-Runde wird für die europäische Landwirt-schaft zusätzliche Belastungen bringen, voraussichtlichin einem noch stärkeren Maße, als das bei der Agendader Fall war: weil Sie nicht in der Lage waren, die Wei-chen so zu stellen, daß die unsinnigen Exportsubventio-nen zurückgehen, weil Sie nicht in der Lage waren, miteiner Mengensteuerung hin zu einem ausgeglichenenMarkt innerhalb Europas zu kommen, weil Sie nicht inder Lage waren, wenigstens im Bereich von Rindfleischund Milch einen europäischen Binnenmarkt anzustre-ben. Sie haben all die Ziele verfehlt, die erreicht werdenmüssen, um auch in der Zukunft eine unternehmerischeLandwirtschaft haben zu können.Im Gegenteil: Das Unternehmertum wird weniger ge-fragt werden, wenn es um die Höhe der Einkommen inUlrich Heinrich
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der Landwirtschaft geht. Die Politik wird noch stärkeresGewicht haben, wenn es um die Prämienverteilung geht.Sie unterhalten sich schon heute darüber, wie die Rin-derprämien mit der Perspektive der Osterweiterung inZukunft überhaupt gehalten werden können, wie Sie alldas Geld, das Sie der Landwirtschaft heute versprechen,in Zukunft gegenfinanzieren können. Ich sage Ihnen:Dieses Fundament ist so schwach, daß Sie nicht in derLage sein werden, das zu halten, was Sie versprochenhaben. Sie werden die direkten Einkommensübertragun-gen sehr schnell zurückfahren müssen, weil Sie das vonuns allen angestrebte große Ziel einer europäischenOsterweiterung sonst nicht erreichen werden.
Auch dieses Ziel verfehlen Sie mit dieser Agrarpoli-tik.Ich kann Ihnen nur empfehlen, daß Sie sich in Zu-kunft mehr mit den Landwirten unterhalten und nachfra-gen, was die von Ihrer Politik halten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kollege Hein-rich, die Planwirtschaft in der alten DDR war gewißnicht gut. Aber wenn ich die westdeutsche bzw. die ge-samtdeutsche Agrarpolitik der letzten 16 Jahre und län-ger zu verantworten hätte, wäre ich vielleicht doch einpaar Töne leiser.
– Vielleicht lernt er es noch in der Opposition.Mit ihrem ersten Agrarhaushalt hat die rotgrüne Bun-desregierung einerseits der Notwendigkeit von Haus-haltseinsparungen Rechnung getragen und andererseitserste neue Akzente in der Landwirtschaftspolitik gesetzt.Wir sind mit den im Koalitionsvertrag vereinbartenZielen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in denvergangenen Wochen ein gutes Stück vorangekommen.Im Vordergrund standen dabei die Verabschiedungder Agenda 2000 auf dem Berliner EU-Gipfel am26. März, die weitere Angleichung der Rahmenbedin-gungen für die Landwirte in den alten und neuen Bun-desländern und die Eröffnung neuer Marktchancen fürdie einheimischen Landwirte durch die Teilhabe derLandwirtschaft am Programm zur Förderung erneuerba-rer Energien.Die Bundesregierung setzt damit Rahmenbedingun-gen für eine ökonomisch tragfähige und ökologisch ver-trägliche Landwirtschaft. Gleichwohl darf nicht ver-schwiegen werden, daß das Finanzvolumen, das im Ein-zelplan 10 zur Umsetzung dieser politischen Ziele fürdie Landwirtschaft und den ländlichen Raum inDeutschland zur Verfügung steht, ein enges Korsett dar-stellt.Der Agrarhaushalt wurde von der alten Bundesregie-rung in den vergangenen Jahren über Gebühr zusam-mengestrichen und als Steinbruch für andere Aufgabenverwendet. Wenn man sich vor Augen hält, daß der Ein-zelplan 10 seit 1991 Kürzungen in Höhe von 16,8 Pro-zent verkraften mußte, während der gesamte Bundes-haushalt im selben Zeitraum um 13,2 Prozent gewach-sen ist, würde ich das nicht unbedingt als eine Er-folgsstory für die konservativen Agrarpolitiker bezeich-nen.
Die Regierung Kohl hat den Agrarhaushalt nicht füreine aktive Politik zugunsten unserer Landwirte genutzt.Die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe wur-den allein in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittelgekürzt. Dies können Sie auch nicht mit Ihrem letztenWahlkampfhaushalt beheben. Warum haben Sie die GAnicht in den vergangenen Jahren aufgestockt, anstatt siekontinuierlich zurückzufahren und während des Wahl-kampfs lediglich eine kleine Show abzuziehen? Wir ha-ben diese Entwicklung gestoppt. Die Gemeinschaftsauf-gabe bleibt für uns das wichtigste Instrument für einegestaltende Agrarpolitik in Deutschland.
Wir hätten uns im Interesse neuer Arbeitsplätze imländlichen Raum einen größeren finanziellen Spielraumgewünscht. Er ist derzeit nicht vorhanden. Wir werdenaber die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Aufwer-tung der Gemeinschaftsaufgabe schrittweise umsetzen.Eine wirtschaftlich tragfähige und ökologisch verträg-liche Landwirtschaft bildet den Kristallisationskern allergesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten imländlichen Raum. Jede Mark an Fördermitteln löst imländlichen Raum private Investitionen in Höhe von 5 bis6 DM aus und ist damit unmittelbar beschäftigungswirk-sam.Ich komme jetzt zur landwirtschaftlichen Sozial-politik. Die landwirtschaftliche Sozialpolitik gehörtauch zukünftig zu den zentralen Elementen der nationa-len Agrarpolitik. Mehr als zwei Drittel der Haushalts-mittel des Einzelplans 10 fließen in die Kassen derlandwirtschaftlichen Alters-, Krankheits- und Unfallver-sicherung. Wir stehen hier zu unserer Verantwortung fürdie Menschen im ländlichen Raum. Wir werden auch inden kommenden Jahren erhebliche Summen zur Defizit-deckung bei den landwirtschaftlichen Sozialversiche-rungen aufwenden müssen.
Die in der Bereinigungssitzung am 22. April erzielteEinigung einer Kürzung des Bundeszuschusses zurlandwirtschaftlichen Unfallversicherung um 65 Mil-Ulrich Heinrich
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lionen DM stellt jedoch einen tragfähigen Kompromißdar. Dies war nicht der Antrag der Agrarpolitiker – Siewissen das –, wir hätten uns mehr zeitlichen Spielraumgewünscht. Es sind aber im laufenden Jahr mit Aus-nahme der Berufsgenossenschaft Rheinland-Pfalz kei-ne neuen Beitragsbescheide für die Landwirte zu er-warten.Über die Gründe, warum Rheinland-Pfalz hier eineAusnahme bildet, würde ich mich gern intensiver mitdem Deutschen Bauernverband und den Agrarpolitikernder Opposition unterhalten.
Sie wissen ganz genau, daß dem Bauernverband ein we-sentlicher Anteil für eine verfehlte Politik im Bereichder landwirtschaftlichen Unfallversicherung zukommtund dies nicht weiter zu Lasten des Bundes gehen darf.
Die Rechnung, die der Bauernverband heute in seinerPressemitteilung eröffnet, stimmt hinten und vornenicht, weder für das Jahr 1999 noch für das nächste Jahr.Erstens scheint es mit der Prozentrechnung zu hapern,und zweitens setzt das dort beschriebene Szenario vor-aus, daß es keinerlei Veränderungsbedarf und -möglichkeiten bei der landwirtschaftlichen Unfallversi-cherung gibt. Es geht hier nicht um eine Beitragskür-zung. Vielmehr geht es um eine Strukturreform. Wirwerden dabei die landwirtschaftlichen Sozialversiche-rungsträger selbst in die Pflicht nehmen. Auch sie müs-sen durch Schaffung effizienterer Strukturen zur spar-samen Mittelverwendung beitragen.
Frau Kollegin, einen
Augenblick bitte. – Ich stelle fest, daß viele wohl wegen
Übermüdung nicht mehr ganz aufmerksam sind. Ich
finde das der Kollegin gegenüber etwas unfair und bitte
sehr herzlich, daß wir auch die letzten 20 Minuten noch
ordentlich miteinander umgehen. Danke schön.
Das gilt auch für die Fraktionsvorsitzenden, die hier
nicht herumstehen dürfen.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
DerBericht des Bundesrechnungshofes, der ein mittelfristi-ges Sparpotential von 100 Millionen DM darlegt, wirdsorgfältig auszuwerten sein, und die Reformmöglich-keiten seitens der Versicherungsträger zur Reduzierungder Kosten werden vollständig auszuschöpfen sein.Der CDU-Vorschlag, den Bundeszuschuß zur land-wirtschaftlichen Unfallversicherung um 320 MillionenDM zu erhöhen, um damit die durch die Ökosteuer vonder CDU prognostizierten Mehrbelastungen der Land-wirte zu kompensieren, ist ein reiner Schaufensteran-trag.
Sie haben es jahrelang versäumt – Herr Hornung, Sietragen dafür Mitverantwortung –, endlich effizienteStrukturreformen in diesem Bereich einzufordern undsie als Bundesregierung umzusetzen, weil Sie diesesverdammt heiße Eisen schlicht und einfach nicht anfas-sen wollten.Zu weiteren Bereichen im Bundeshaushalt: Wir ha-ben mit dem Konzept der ökologisch-sozialen Steuer-reform ein Instrument geschaffen, das wieder nach vor-ne weist und der Politik neue Gestaltungsspielräume er-öffnet,
statt ausschließlich überkommene Strukturen zu konser-vieren. Wir haben uns für eine Gleichstellung der Land-wirtschaft mit dem übrigen produzierenden Gewerbeeingesetzt, mit dem Erfolg – es war nicht der Antrag derCDU, der dazu geführt hat –, daß dies dann von der Re-gierung auch umgesetzt wurde.
Auf der Gegenseite haben wir zwei große Bereichefür die Verwendung der Ökosteuereinnahmen definiert:zum einen die Absenkung der Arbeitgeberbeiträge zurRentenversicherung – davon profitieren teilweise auchlandwirtschaftliche Arbeitgeber –, zum anderen vor al-lem das breit angelegte Förderprogramm für erneuerbareEnergien mit einem jährlichen Volumen von 300 Mil-lionen DM.
Hiervon wird rund ein Drittel für den Ausbau von Bio-masse und Biogasanlagen in den landwirtschaftlichenBereich fließen. Damit wird erstmals in Deutschland einMarktanreizprogramm für die zukunftsweisende Rolledes Landwirts als Erzeuger umweltfreundlicher Energieaufgelegt.Ich denke, daß selbst die Opposition diesem Bereichzustimmen dürfte, daß er Ihre Unterstützung findenmüßte. Sie sollten deshalb in diesem Bereich aktiv wer-den und in der Landwirtschaft für ein Investitionspro-gramm werben, damit Nachfolgeeffekte im landwirt-schaftlichen Bereich ausgelöst werden können.
Für mich als Agrarpolitikerin aus den neuen Bundes-ländern ist es besonders erwähnenswert, daß die Agrar-politik der Bundesregierung eine weitere Angleichungder Rahmenbedingungen für alle Landwirte in Deutsch-land vollzogen hat. Die bisherigen Investitionen in denAufbau Ost haben sich im ländlichen Raum der neuenSteffi Lemke
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Bundesländer besonders bemerkbar gemacht. DieLandwirtschaft ist einer der wenigen Sektoren, der imzehnten Jahr nach dem gesellschaftlichen Neuanfang alsökonomisch tragfähiger und international konkurrenzfä-higer Wirtschaftszweig dasteht.Die Bundesregierung hat den Weg für eine weiterepositive Entwicklung der Landwirtschaft in den neuenBundesländern frei gemacht. Ich erachte es für einen Er-folg der neuen Bundesregierung, daß die Idee einer ein-fachen Degression bei den betrieblichen Direktzahlun-gen während der Agendaverhandlungen fallengelassenwurde, die fast vollständig zu Lasten der Betriebe in denneuen Bundesländern gegangen wäre.Für den Milchbereich – das wurde seitens der F.D.P.angesprochen – wird die Bundesregierung noch vor derSommerpause einen Umsetzungsvorschlag vorlegen, derden Übergang vom Quotenmodell der alten Bundeslän-der hin zu einem Lieferrechtsmodell mit verschiedenenAbstufungen beinhalten wird. Ich lade insbesondere Sievon der F.D.P. ein, da Sie diesen Bereich so intensiv an-gesprochen haben, sich an der Debatte konstruktiv zubeteiligen und sich nicht in Totalopposition zu üben.
Nun hat die Kollegin
Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Mit dem Agrarhaushalt 1999 voll-zieht die Regierungskoalition zwar eine Politikwende,aber eine in die falsche Richtung. Der Stil ihrer Politikist der gleiche wie der der gescheiterten Vorgängerregie-rung. Denn auch heute werden wie eh und je die Vor-schläge und Einwände der Opposition weitgehend igno-riert. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß wir als linkeOppositionspartei unsere Änderungsanträge aus denHaushaltsberatungen immer wieder auf die Tagesord-nung setzen werden – darauf vertrauend, daß Demokra-tie noch kein leerer Wahn ist.
Dabei knüpfen wir an die Versprechungen derKoalitionsparteien zur Bundestagswahl an. Damalshieß es, die Koalitionsparteien setzen sich für eine„deutliche Ausdehnung des ökologischen Landbaus ein“und wollen „die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirt-schaft einschließlich der vor- und nachgelagerten Berei-che ... stärken“. Die PDS greift diese Versprechen auf.Deshalb fordern wir – ähnlich den Anträgen der anderenOppositionsparteien – erneut:Erstens. Die Kürzung der bereits im PLANAK-Ausschuß festgelegten Höhe der Gemeinschaftsaufgabeist zurückzunehmen, und die Mittel sind wieder auf 1,8Milliarden DM anzuheben.
Zweitens. Die Einsparungen bei der landwirtschaftli-chen Unfallversicherung sind zurückzunehmen.
Wir erwarten natürlich, daß die CDU/CSU unseremAntrag zustimmt, um wenigstens den Planungsansatzwieder zu erreichen. Geht ihr Antrag, dem wir unsereZustimmung nicht verweigern werden, doch weit dar-über hinaus!
Drittens. Wir fordern, daß der Haushalt nicht miteiner globalen Minderausgabe belastet wird.Viertens. Die Mittel aus der Ökosteuer sind demAgrarhaushalt in vollem Umfang zuzuführen, um denökologischen Landbau tatsächlich zu fördern.
Es zeigt sich immer wieder, daß Versprechen undWirklichkeit in der Regierungspolitik auseinanderklaf-fen. Ganz offensichtlich ist der Agrarhaushalt ein Spar-haushalt. Mit dem Verzicht auf eine gestaltende Politikentzieht sich die Bundesregierung mehr und mehr ihrersozialpolitischen und ihrer landeskulturpolitischen Ver-antwortung für eine ganze Bevölkerungsschicht, die unsernährt, obendrein unsere Kulturlandschaft fast kosten-los pflegt und den ländlichen Raum mit ihren Traditio-nen und Lebensstilen bereichert.Mit der Orientierung auf Weltmarktfähigkeit wirdder Verlust von mindestens 200 000 Arbeitsplätzen imErnährungsbereich zu erwarten sein. Auf einer Bauern-versammlung in Sachsen-Anhalt wurde es auf den Punktgebracht: Agenda und Bundesregierung haben Pla-nungssicherheit geschaffen, nämlich Sicherheit darüber,daß die Bäuerinnen und Bauern in einer existenzbedro-henden Situation von der Politik keine Hilfe mehr zuerwarten haben.Die Bauern werden sich also selber helfen müssen.Zwei Beispiele dazu, wie das aussieht: Erstens. Es gibtnoch keine Vereinheitlichung der Milchquotenregelung,da werden im Osten schon die Quoten gehandelt. Zwei-tens. Die vielgepriesene Wettbewerbsfähigkeit erfordertvor allem Marktfähigkeit und Wachstum. Also wird zumBeispiel in meinem Wahlkreis eine große Milchviehan-lage in den Konkurs getrieben und die Quote aufgeteilt.Der Markt wird entlastet, und das Wachstum ist wiedermöglich. Für den Erhalt der Anlage ist kein Geld da,aber für ABM zum Abriß der Anlage und zur endgülti-gen Vernichtung von Arbeitsplätzen stehen jetzt über5 Millionen DM zur Verfügung. Diese Beispiele ließensich fortsetzen.Das Argument, es müsse gespart werden, ist nur fürjene einsichtig, die der Ideologie vom Sachzwang zumOpfer fallen. Es besteht kein Sachzwang, Krieg zu füh-ren. Das ist einfach falsche Politik, die sogar im Agrar-haushalt ihre Spuren hinterläßt. Obwohl die NATO-Bomber ihr Zerstörungswerk noch nicht begonnen hat-ten, war im Agrarhaushalt bereits eine Verdoppelung derNotfallreserve für Krisenzeiten gegenüber dem Ist von1997 vorgesehen. Als Begründung heißt es unter ande-rem:Eine unmittelbare militärische Bedrohung bestehtzwar nicht mehr, Sicherheitsrisiken dagegen sindzahlreicher geworden. Das Geschehen in Südost-Steffi Lemke
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asien ... sowie im Kosovo zeigt, daß die Welt vonparadiesischen Zuständen noch weit entfernt ist.Dann folgt der Hinweis auf die Erhöhung des Vertei-digungsetats der USA.Mit den NATO-Bombardements sollen nun offen-sichtlich „paradiesische“ Zustände – sprich: amerikani-sche Zustände – auf der Welt geschaffen werden. Recht-zeitig stellt die Bundesregierung als treuer Bündnispart-ner die finanziellen Mittel für die NATO-Strategie be-reit.
Die Planung der Notfallreserve im Agrarhaushalt istAusdruck für den Übergang einer militärisch bestimm-ten Außenpolitik, die gegen das Grundgesetz und inter-nationale Verträge verstößt. Nicht nur deshalb wird un-sere Fraktion diesem Agrarhaushalt und der damit ver-bundenen Politik nicht zustimmen.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Wir haben uns heute mit demAgrarhaushalt auseinanderzusetzen, der in den vergan-genen Jahren von der früheren Bundesregierung in ei-nem ganz erheblichen Maße zur Haushaltskonsolidie-rung herangezogen worden ist. Ein Wort an Sie, HerrKollege Heinrich und Herr Kollege Hollerith: Ich denke,diese Tatsache haben Sie ganz bewußt verinnerlicht. Wirbefinden uns heute nämlich in einer Debatte zum Agrar-haushalt und nicht in einer Debatte über die Auswirkun-gen der ökologischen Steuerreform oder zu den Be-schlüssen der Agenda 2000.
Der Haushalt, der uns von der alten Regierung hin-terlassen wurde, zwingt uns, in allen Ressorts Mitteleinzusparen. Der Agrarhaushalt kann deshalb hiervonnicht ausgenommen werden. Auch hier mußten Kürzun-gen vorgenommen werden; das ist uns nicht leichtgefal-len. Während die außerhalb der Agrarsozialpolitik ver-fügbaren Mittel von der alten Koalition immer stärkerzusammengestrichen wurden – nämlich von 8,2 Milliar-den DM in 1991 auf 3,7 Milliarden DM in 1998 –, stie-gen die Ausgaben für die Agrarsozialpolitik von 5,6Milliarden DM in 1991 auf 7,9 Milliarden DM in 1999,also um 41 Prozent. Hierbei handelt es sich im wesentli-chen um gesetzlich gebundene Ausgaben. Dadurch wur-den die Spielräume der Agrarpolitik stark reduziert, wiedies sowohl im Bereich einkommenswirksamer als auchim Bereich investiver Maßnahmen festgestellt werdenkann.In welchem Umfang Haushaltsmittel heruntergefah-ren worden sind, möchte ich am Beispiel der Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und desKüstenschutzes“ demonstrieren. So betrug der Ansatzder Bundesmittel im Jahre 1993 einschließlich des Son-derrahmenplanes noch 3,2 Milliarden DM, im Haushalt1998 standen nur noch 1,7 Milliarden DM zur Verfü-gung. Dies ist ein Rückgang um sage und schreibe47 Prozent. – Wir folgen dieser Tendenz der Mittelkür-zung bei der Gemeinschaftsaufgabe nicht, sondern se-hen für den Ansatz des Bundes für 1999 unverändert1,7 Milliarden DM vor – und dies, obwohl im Agrar-haushalt, wie in anderen Haushalten auch, 0,5 Prozenteingespart werden mußten
und obwohl der Finanzbedarf für die gesetzlich gebun-denen Maßnahmen im Rahmen der Agrarsozialpolitikweiter gewachsen und eine globale Minderausgabe von33 Millionen DM zu erbringen ist.Nun hat im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten die CDU/CSU- und die F.D.P.-Bundes-tagsfraktion eine Aufstockung der Mittel für die Ge-meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ beantragt. Die CDU/CSU for-derte eine Anhebung um 91 Millionen DM und dieF.D.P. sogar um 141 Millionen DM. Sie haben sogarden zweifelhaften „Mut“, diese Forderungen als unsittli-che Änderungsanträge heute hier zur Abstimmung zubringen.Meine Damen und Herren von der Opposition, es istselbstverständlich Ihr gutes Recht, mehr Geld zu for-dern. Besonders einfach ist es natürlich dann, wenn da-für keine Verantwortung zu übernehmen ist. Daß Sie esaber gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe für gebotenhalten, überrascht mich sehr und ist an Scheinheiligkeitüberhaupt nicht mehr zu überbieten.
Gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe haben Sie gegenunseren Widerstand im Haushalt 1998 erheblich gekürzt.Das habe ich bereits dargestellt. Deshalb werden wirdiesen Anträgen nicht zustimmen.Ich kann Ihnen versichern, daß auch wir die Mittelgerne erhöht hätten. Wir werden natürlich sehr bemühtsein, daß dies zukünftig realisiert werden kann, zumalgerade von der Gemeinschaftsaufgabe wichtige Impulsefür Investitionen, für Arbeit und Beschäftigung im länd-lichen Raum ausgehen.Die Agrarpolitik hat daher bei sehr knappen Mittelndie schwierige Aufgabe, die landwirtschaftlichen Be-triebe bei der Weiterentwicklung und Ausrichtung aufdie Märkte zu unterstützen. Die zur Verfügung stehen-den Mittel müssen noch stärker als bisher auf die zen-tralen Förderbereiche konzentriert werden. Die Erfolgs-kontrollen von politischen Maßnahmen sind deshalb zuverstärken.
Die Zielgenauigkeit von Sozialtransfers und Subventio-nen ist daher zu überprüfen. Wir wollen eine integrierteEntwicklung des ländlichen Raumes, um einen BeitragKersten Naumann
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zur nationalen Beschäftigungsinitiative zu leisten. Insge-samt gesehen soll die Förderung stärker an ökologischenKriterien ausgerichtet werden sowie auch beschäfti-gungswirksamer ausgestaltet werden.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Ein Bundeshaushalt ist mit einemDrehbuch zu vergleichen. Unter diesem Gesichtspunktist das Zahlenwerk dieser Bundesregierung im Bereichder Landwirtschaft ein Offenbarungseid. Das, was Sieim laufenden Jahr und in der Zukunft den von derLandwirtschaft lebenden Familien aufbürden, ist in derNachkriegsgeschichte Deutschlands ohne Beispiel. Ineinem Jahr muten Sie den bäuerlichen Familien ohneVorwarnung folgendes zu: 350 Millionen DM Mehrko-sten durch die Ökosteuer, 400 Millionen DM Mehrko-sten durch die Senkung der Vorsteuerpauschale,350 Millionen Mark Mehrkosten durch die Senkung derlandwirtschaftlichen Freibeträge und 500 Millionen DMMehrkosten auf Grund der Auswirkungen der Steuerre-form auf andere Bereiche. Aus all diesen Maßnahmenzusammen errechnet sich eine Gesamtbelastung von1,6 Milliarden DM im Jahr.
Bei 500 000 landwirtschaftlichen Betrieben, die es inDeutschland noch gibt, wird jeder Betrieb im Schnitt mit3 200 DM zusätzlich belastet. Für einen Vollerwerbsbe-trieb ist dieser Betrag sicherlich noch um ein Mehrfa-ches höher.Hinzu kommen die Erhöhungen der Beiträge zu denBerufsgenossenschaften. Mit der Rücknahme des Bun-deszuschusses um 65 Millionen DM haben Sie, HerrMinister Funke, sich selbst ein Armutszeugnis ausge-stellt.Infolge der Strukturentwicklung in der Landwirt-schaft ist die Zahl der Unfallrenten für ehemalige Bau-ern stark gestiegen, während die Zahl der Beitragszahlerstark zurückgegangen ist. Diese – entschuldigen Sie denAusdruck – sogenannte Altlast drückt auf die weiter-wirtschaftenden Betriebe. Es ist geradezu die Pflicht desStaates, hier ausgleichend einzugreifen. Deshalb habenwir, die CDU/CSU-Fraktion, einen Antrag eingebracht,in dem vorgesehen ist, die Mittel für die landwirtschaft-liche Berufsgenossenschaft um 320 Millionen DM auf-zustocken.
Wir sehen in diesem Antrag auch einen Ausgleich da-für, daß in der Landwirtschaft – entgegen der übrigenWirtschaft – keine wesentliche Senkung der Lohnne-benkosten durch Verwendung der Einnahmen aus derÖkosteuer möglich ist. Es hätte Ihnen also gut angestan-den, Herr Minister, zumindest zu versuchen, für dieBauern – ähnlich wie in der übrigen Wirtschaft – einenAusgleich zu schaffen. Ihr Verhalten gegenüber derLandwirtschaft ist ungerecht. Deshalb wollen wir in na-mentlicher Abstimmung feststellen, wer hierfür die Ver-antwortung übernehmen will.Die Landwirtschaft hat bei dieser Bundesregierungkeinen hohen Stellenwert. Jetzt mögen viele von Ihnensagen, die 2 Prozent unserer Bevölkerung, die noch vonder Landwirtschaft leben, seien kein großer Anteil. Die-jenigen, die so denken, irren.
Noch heute sind mehr als 1 Million Menschen in derLandwirtschaft beschäftigt. In den vor- und nachgela-gerten Bereichen arbeiten weitere 3 Millionen Men-schen. Auch diese Gruppe wird von der Verschlechte-rung der nationalen und internationalen Rahmenbedin-gungen arg getroffen werden. Jeder Bauer, der geht,wird zwei Kollegen aus den vor- und nachgelagertenBereichen mitnehmen. Das bedeutet eine Schwächungdes gesamten ländlichen Raumes.
Als ob das nicht genug wäre, haben wir es jetzt nachdem Abschluß der Agenda-2000-Verhandlungen nochzusätzlich mit einer Zeitenwende in der europäischenLandwirtschaft zu tun. Sie, Herr Minister Funke, habenin Brüssel einen Subventionsdschungel gepflanzt, denselbst die Buschmänner der Beratungszunft nicht mehrdurchschauen. Dabei gibt es in der Tat zwei Möglich-keiten, die europäische Agrarpolitik zu gestalten.Sie haben dem Vorschlag von Dr. Fischler blind zu-gestimmt, der Vorleistung, im Vorfeld der WTO-Verhandlungen – sie sind gar nicht gefordert worden –für nötig erachtet hat. Als Teilausgleich soll denBauern ein direkter Einkommenstransfer zugebilligtwerden.Der andere mögliche Weg besteht darin, die europäi-schen Standards in bezug auf Lebensmittelhygiene,Tierschutz, Düngung und Pflanzenschutz, Umweltschutzund Anspruch auf eine intakte Kulturlandschaft durcheinen entsprechenden Außenschutz abzusichern und soWettbewerbsgleichheit zu schaffen. Innerhalb der Euro-päischen Union sollte man den Kräften des MarktesRaum lassen, damit die Kosten der Nahrungsmittelpro-duktion auch vom Markt gedeckt werden können.Der letztere Weg ist der unsere; denn er ermöglichteine umweltverträgliche und den Wünschen der Ver-braucher entsprechende Produktion. Weltmarktpreisebedingen auf der anderen Seite aber auch Produktions-methoden, die auf dem Weltmarkt üblich sind.Ich sage es hier mit aller Deutlichkeit: Ich möchtekein Doping von Tieren in der Milch- oder Fleischpro-duktion.
So etwas ist leider in Amerika üblich. Der Einsatz vonstimulierenden Hormonen wird in Europa Gott sei Dankaus Gründen des vorbeugenden VerbraucherschutzesJella Teuchner
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bisher einhellig abgelehnt. An diesem Beispiel mögenSie erkennen, was auch in anderen Sektoren auf die eu-ropäische Landwirtschaft und auf unsere Verbraucherzukommt, wenn wir eine völlige Liberalisierung derWeltmärkte in diesem Bereich bekommen.
Herr Minister, der vorbeugende Verbraucherschutz,der Umweltschutz und der Tierschutz gehören auf denTisch der im Herbst beginnenden WTO-Verhandlun-gen. Wir werden darauf bestehen, daß das dort vorgetra-gen wird.
Was Sie, Herr Minister, von Brüssel mitgebracht ha-ben und was die Regierungschefs in Berlin teilweisenoch korrigiert haben, ist in der Praxis kaum umsetzbar.Im Jahre 2002 wird ein Doppelzentner Weizen inDeutschland gerade noch 16 DM kosten.
Jeder weiß, daß damit die Produktionskosten nirgendwoauf dem Globus zu decken sind. Mit staatlichen Trans-ferleistungen wird also nicht nur Einkommen ausgegli-chen, sondern auch ein erheblicher Teil der Produkti-onskosten abgedeckt.Schlimmer noch sieht es in der Rindermast aus, woin Zukunft pro Bulle eine maximale staatliche Prämievon 567 DM gezahlt wird – fragen Sie mich bitte nicht,wie sich diese zusammensetzt –, während das Rind-fleisch auf ein Preisniveau von unter 3 DM pro Kilo ab-sinken soll. Als Ausgleich soll jemand, der 500 Bullenim Jahr verkauft, den Betrag von 283 500 DM auf dasKonto überwiesen bekommen. Das ist doch Irrsinn, daskann doch keine Zukunft haben.
Noch fataler ist die Perspektive in der Milchwirt-schaft. Dort haben Sie, Herr Minister Funke, als Agrar-ratspräsident eine Aufstockung der Milchquote um2,4 Prozent hingenommen. Jeder weiß, daß mit dieserMengenausdehnung der Preis sofort auf das Interventi-onsniveau fallen muß. Damit werden auch dieMarktordnungsausgaben im Milchbereich wieder an-steigen.Nicht genug: Des weiteren ist eine Senkung derMilchpreise um 15 Prozent vorgesehen. Das soll dannwieder ausgeglichen werden. Damit Sie wissen, wovonwir hier reden: Es wird ein Preisrückgang um 10 Pfennigzu erwarten sein, 5 Pfennig davon soll der Steuerzahlerausgleichen. Wir schaffen also eine weitere Abhängig-keit eines Sektors der Landwirtschaft vom Staat.Was mich wirklich auf die Palme bringt, ist, daß Sie,Herr Minister, es nicht geschafft haben, eine himmel-schreiende Ungerechtigkeit in der Milchwirtschaft zubeseitigen. Ich rede von der Altpachtenregelung. HerrMinister, wir haben die Möglichkeit versäumt, eineZahllast von der deutschen Landwirtschaft zu nehmen.Beim Auslaufen der jetzigen Milchquotenregelung wärees möglich gewesen, dies durch die Beseitigung der Flä-chenbindung zu erreichen.Ich komme zum Schluß. Herr Minister, Sie haben mitden Verhandlungen in Brüssel in der Landwirtschaft einneues Berufsbild geschaffen, nämlich das des „Prä-mieologen“. Dafür kann allerdings ein anderes Berufs-bild verschwinden: das des Agrarbetriebswirtes.Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Minister, hierabgeliefert haben, und das, was Sie als Agrarratspräsi-dent in der Europäischen Union angerichtet haben, istfatal für die deutschen Bauern. Das läßt mich schon jetztzu dem Schluß kommen, daß man Ihre Amtszeit spätereinmal als agrarpolitisches Funkloch bezeichnen wird.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letztem in dieserAussprache erteile ich dem Bundesminister für Ernäh-rung, Landwirtschaft und Forsten, Herrn Karl-HeinzFunke, das Wort.Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Hier sind ja bemerkenswerte Aus-drücke gefallen wie „Armutszeugnis“, gemünzt auf dieAgrarpolitik der Bundesregierung, immer auch mit denErgebnissen der Agenda vermischt, oder „Blamage fürdie Landwirtschaft“; dieses sagte Herr Heinrich.
– Wissen Sie, angesichts dessen, was in den letzten16 Jahren agrarpolitisch in der BundesrepublikDeutschland passiert ist – –
– Ich habe bei den ganzen Diskussionsbeiträgen jamanchmal wirklich den Eindruck, als hätten schlicht-weg wir in den letzten 16 Jahren die Verantwortunggehabt.
Dem liegt ja ein historisches Mißverständnis exzellente-ster Art zugrunde. Nein, die ganzen Diskussionsbeiträgehören sich so an, als schwebten Sie agrarpolitisch überden Gesängen Israels, während bei uns das agrarpoliti-sche Sodom und Gomorrha anfinge.
Das machen Sie zum Teil – das weiß ich ja ganz genau –auch draußen. Auf Ihre Behauptung, Herr Heinrich, ichredete nicht mit den Landwirten, entgegne ich Ihnen: Ichbin schon von Goelriehenfeld bis Passau unterwegs undrede mit den Bauern. So zu reden wagen Sie und Ihres-gleichen ja nicht, wenn wir dabei sind,
Peter Bleser
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sondern nur dann, wenn Sie einigermaßen sicher seinkönnen, daß die Bauern draußen nicht Ihre Worte ver-nehmen, denn sonst stellen Sie sich auch ganz anders dar.Wie widersprüchlich Ihr Verhalten ist, will ich nureinmal an einigen Beispielen aufzeigen.Nun kann man mit Fug und Recht aus der Sicht derLandwirtschaft über die Ökosteuer diskutieren. Wir wa-ren uns über viele Jahre – ich erinnere mich an viele De-batten darüber – im Grunde einig darin, daß herkömmli-che Energien gerade aus der Sicht der Landwirtschafthöher besteuert werden müssen, um nachwachsendenRohstoffen langfristig eine Chance im Wettbewerb zugeben. Darüber waren wir uns völlig einig.
Wie wollen wir denn Bioenergie, Biogas und ähnliches,wettbewerbsfähig machen, wenn nicht auf diesem We-ge? Da mag man über den Weg hier und da streiten; aberdieselben Leute, die sich hier hinstellen und die Öko-steuer verdammen, verweisen auf Dänemark und fragen,warum dort nachwachsende Rohstoffe, Bioenergie undähnliches, wettbewerbsfähiger als in der BundesrepublikDeutschland seien. Sie müssen da einmal hinfahren undzuschauen, warum das so ist.
Dann will ich gerne – es ist hier wiederholt angespro-chen worden – mich zur Verantwortung in bezug auf dieAgenda 2000 bekennen. Ich habe dabei ein schönes Er-lebnis gehabt: Man kommt in eine Versammlung undsieht dort ein großes Schild hängen – man weiß ja, werdafür gesorgt hat, daß es dorthin kommt –, auf demsteht: „Agenda 2000 – 90 000 Betriebe müssen aufgebenbis 2006“. Sie wird dann als der Tod und das Grab fürdie deutsche Landwirtschaft bezeichnet. Nun ist es aberso, meine Damen und Herren – ich habe das, wie ichglaube, hier schon einmal dargestellt –, daß es in derLandwirtschaft in den letzten 30 Jahren einen Produkti-vitätszuwachs von 3 Prozent gab und im Durchschnitt3 Prozent der Betriebe aufgaben. Bei 500 000 Landwir-ten – wenn man keine Mengenlehre gehabt hat, kannman das noch im Kopf ausrechnen –
sind das pro Jahr 15 000 mal 6, also 90 000 Betriebe.
Es sind also 90 000 Betriebe, die allein auf Grund desProduktivitätsfortschrittes aufgeben müssen. Da hängtdann so ein Schild, das von Ihren Leuten dort hingehan-gen wurde. Das ist eine wunderbare Sache. Entwederkönnen Sie nicht mehr rechnen, oder Sie haben über-haupt keine Ahnung von dem, was sich in der Landwirt-schaft abspielt.
– Zu Ihnen, Herr Heinrich, komme ich noch. Es ist herr-lich, Ihnen zuzuhören. Mir macht es Freude, weil eskaum jemanden gibt, der in einer zehnminütigen Redeso viele Widersprüche auf einen Nenner zu bringen ver-sucht.
Ich kann nur jedem empfehlen, das auch nachzulesen.Ich habe es einmal schnell mitgeschrieben: Herr Hein-rich bringt es fertig zu sagen, daß die Exporterstattung,– er nennt sie Exportsubvention – unsinnig sei. Das istdas eine. Er beklagt aber gleichzeitig, daß es uns nichtgelungen sei – er gibt sich in diesem Zusammenhangsehr marktwirtschaftlich –, den Binnenmarkt für Milchund Rindfleisch anzustreben. Ein Marktwirtschaftlersagt also, daß es uns nicht gelungen sei, einen Binnen-markt für Milch und Rindfleisch anzustreben. Man mußeinmal zu Ende denken, was dies marktwirtschaftlichbedeuten soll.Herr Heinrich spricht gleichzeitig von weniger Ex-portsubventionen. Ich weiß aber nicht, wie wir diesesbei einem Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozentbei Milch, geschaffen von Marktmolkereien, die wir inder Bundesrepublik Deutschland Gott sei Dank habenund die zum Teil mit und zum Teil ohne Exporterstat-tung in die Märkte außerhalb Europas exportieren, aufdem Binnenmarkt unterbringen sollen. Selbst wenn manden Mut hat, so auszusehen wie ich, bekommen Sieeinen Binnenmarkt für Milch und Rindfleisch nicht or-ganisiert – mit Ihrer Figur, Herr Heinrich, schon über-haupt nicht.
Es wird auch in der Zukunft so sein, daß weniger Land-wirte in der Lage sind, auf Grund des Produktivitätsfort-schrittes mehr zu erzeugen.Herr Heinrich hat das Thema Rindfleisch angespro-chen. Wenn Sie davon ausgehen, wir hätten 1992 bei derdamaligen Agrarreform die Verantwortung gehabt, dannmüssen Sie natürlich uns die Schuld zuweisen. Ich geheaber davon aus, daß 1992 eine andere Regierung in derVerantwortung stand. Ich will die Zahlen noch einmalnennen: Bei einem Anteil der Rindfleischproduktion von19 Prozent lag der Prämienanteil bei 9 Prozent. Das istein ganz schlechtes Ergebnis der Verhandlungen von1992. Wir haben dieses Ergebnis korrigiert und einenPrämienanteil von 14 Prozent zugunsten der rindfleisch-produzierenden Landwirte erreicht. Damit haben wir denschlechten Beschluß aus dem Jahre 1992 korrigiert.
– Ich weiß, daß Ihnen dies nicht gefällt.Ein nächster Punkt. Herr Heinrich verlangt zu Recht,daß wir den Milchbauern Planungsklarheit für die Zu-kunft verschaffen sollten. Das ist völlig richtig: DieseRegierung ist seit September im Amt, und schon wird esverlangt.Bundesminister Karl-Heinz Funke
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Die Milchquotenregelung haben wir seit 1983/84.Sie sind seit 1983/84 nicht in der Lage gewesen, dieQuotenkosten für die aktiven Milcherzeuger zu drücken;die Kosten sind ständig gestiegen. Von der Bundesregie-rung erwarten Sie schon jetzt – die Agendabeschlüsseliegen erst wenige Monate zurück –, dies bereits umge-setzt zu haben. Eine solche Forderung ist schon mutig,wenn man selber nicht einen einzigen entsprechendenBeitrag geleistet hat, sondern alles dafür getan hat, umdie Sofamelker zu stärken und nicht die aktiven Milch-erzeuger.
Ich will noch etwas zur WTO sagen. Es ist sehr er-staunlich, was man dazu aus dem Lager von CDU/CSUund F.D.P. hört. Ich bin davon überzeugt, daß die Agen-dabeschlüsse von Brüssel bzw. von Berlin eine guteAusgangsgrundlage für die WTO-Verhandlungen sind.Aber Herr Heinrich sagt, wir hätten noch viel weiter ge-hen müssen, um WTO-fähig zu sein. Man müßte einmalfragen, was die WTO-Partner dazu sagen: weiterer Ab-bau der Preis- und Marktstützung. Das heißt: Wenn IhreDarstellung logisch bleiben soll, dann hätten Sie vor-schlagen müssen, die Preisstützung noch weiter abzu-bauen und die Ausgleichszahlungen zu erhöhen. Abergleichzeitig beklagen Sie, daß die Landwirte immermehr zu Subventionsempfängern werden und Barlei-stungen erhalten. Wie das auf einen Nenner zu bringenist, muß ein liberales Geheimnis sein.
Liberal wäre es, Sie würden ganz konsequent sagen:Herunter mit den Preisstützungen und Behauptung amMarkt!Bei Herrn Bleser wiederum hört sich dies heute abendanders an. Er sagte, wir hätten die Ergebnisse der WTO-Verhandlungen schon förmlich vorweggenommen undwir seien viel zu weit gegangen. Was ist eigentlich rich-tig und was verkehrt? Widerspruch auf Widerspruch.Was mich besonders beeindruckt, ist folgendes: HerrBleser, ich bin überzeugt, Sie würden sich überall alsMarktwirtschaftler verkaufen können. Sie wissen näm-lich heute schon, was ein Doppelzentner Weizen im Jah-re 2002 kostet. Sie haben die exakte Zahl genannt:16 DM.
Bei Ihrer Prophetiebegabung, Herr Kollege Bleser, kannich Ihnen nur raten, aus dem Bundestag auszuscheidenund einen Beratervertrag bei einer Warenterminbörseanzunehmen. Da sind Sie glänzend aufgehoben.
Da sind Sie glänzend aufgehoben.Da kann man sagen, was man will, aber er hat eswörtlich gesagt; es ist im Protokoll nachzulesen. Sieverwechseln das Interventionssystem mit realen Preisenam Markt. Das darf man verwechseln, wenn man keinAgrarexperte ist.
Aber Sie weisen sich doch immer als solcher aus, unddann dürfen Sie das wirklich nicht verwechseln.
– Ich habe es ja wörtlich mitgeschrieben; das ist dasBemerkenswerte.
– Nein, wir lassen Ihnen das nicht durchgehen, daß Siehier so propagandistisch vor die Bauern treten.
Zum einen geht es hier um ganz einfache ökonomi-sche Zusammenhänge, die man kennen muß. Zum ande-ren stellen Sie sich hier hin – mir macht es ja Freude –und sagen, daß wir bei den nächsten WTO-Verhandlungen Standards im Umweltschutz, im Tier-schutz, bei der Lebensmittelhygiene usw. einfordernmüssen. Jawohl. Nur, das haben die SPD-Bundes-tagsfraktion und verschiedene Landesregierungen, zumBeispiel die niedersächsische, schon bei den GATT-Verhandlungen, die 1994 zum Abschluß gekommensind, gefordert. Ich halte es für eine große Nachlässig-keit, daß diese Standards bei den damaligen GATT-Verhandlungen nicht zur Sprache gekommen sind,
die im übrigen einen Teil des Hormonstreits ausmachen,Herr Kollege Bleser. – Sie nicken. Man hätte damalsschon etwas machen müssen. Das war ein klares Ver-säumnis. Ich hoffe sehr, daß wir und die entsprechendeneuropäischen Institutionen das bei den zukünftigenWTO-Verhandlungen korrigieren können.
– Peter Harry, hör auf! Ich habe mich nur auf die Stich-worte bezogen, die mir hier geliefert worden sind. Beider Jagd und der Fischerei sind wir weitestgehend einig,ebenso agrarpolitisch. Du mußt hier andere Zwischenru-fe machen.
Summa summarum kann ich nur sagen, und da ap-pelliere ich an uns gemeinsam, auch an Sie: Wir dürfender Landwirtschaft nicht verschweigen, daß der Wett-bewerbsdruck auf die Landwirtschaft, auch durch dieAgenda und die WTO, zunehmen wird. Da reicht esnicht mehr aus, über Marktordnungen und Preisstützungzu reden – da gebe ich zum Beispiel Herrn Heinrichrecht –,
Bundesminister Karl-Heinz Funke
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3060 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
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sondern wir müssen auch über Märkte und Vermarktungreden, aber widerspruchsfrei und in klaren Worten. DieLandwirte warten darauf. Sie wollen sich am Markt be-haupten, brauchen aber dann auch die Hilfen, um sicham Markt so organisieren zu können, daß sie schlag-kräftig sind.
Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten, weil das Zu-kunft hat. Ich sage Ihnen noch einmal: Da reicht es nichtaus, sich in Bayern, Baden-Württemberg oder wo auchimmer hinzustellen und zu sagen, daß wir mit demKULAP- oder MEKA-Programm die Existenz der Vol-lerwerbsbetriebe werden sichern können. Das reichtnicht; dazu gehört schon etwas mehr.
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carsten-
sen?
Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ja, natürlich.
Bitte sehr.
Herr Minister Funke, Sie haben eben davon gesprochen,
daß die Zeiten für die Bauern härter werden und daß
man sie darauf vorbereiten muß. Paßt es denn in diese
Politik, daß man den Bauern über die Steuerreform, über
die Ökosteuer, über 1 Prozent weniger Vorsteuer ohne
Vorbereitung Belastungen zumutet? Paßt das zusam-
men, Herr Minister Funke? Oder müßte man da nicht
ehrlicher sein, wie auch Sie von allen anderen ehrliche
Aussagen gefordert haben?
Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Carstensen,
genau das ist der Punkt: daß Sie weiter nichts machen
als Rückzugsgefechte. Zur Ökosteuer habe ich schon
einiges gesagt. Ich will Ihnen sagen, worauf es ankom-
men wird – das müßte eigentlich unser gemeinsames
Anliegen sein –: daß deutsche und europäische Bauern
sich auch auf außereuropäischen Märkten behaupten
können. Denn ich glaube fest daran, daß, wenn ein
Landwirt heute 110 Leute ernährt, das in Zukunft noch
mehr sein werden. Wenn das so ist, müssen Sie den Ab-
satz organisieren. Wir können über Stützungsmaßnah-
men reden und diskutieren, aber diese haben letztlich
keine Zukunftsperspektive. Wenn Sie mir nicht glauben,
brauchen Sie doch nur nachzulesen, was in jeder argrar-
wissenschaftlichen Abhandlung heute Gemeinplatz ist.
Sie aber glauben wirklich noch, die Bauern mit die-
sen Themen in Sicherheit wiegen zu können; das merkt
man doch auf jeder Veranstaltung. Die Bauern aber sind
viel weiter.
Vor allen Dingen die jüngeren Landwirte wissen ganz
genau, daß sie die Produktion beherrschen, daß das al-
lein aber nicht ausreicht, um auf den Märkten zukunfts-
fähig zu sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, meine
Damen und Herren.
Ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10,Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft undForsten, in der Ausschußfassung. Es liegen sieben Ände-rungsanträge vor, über die wir zunächst abstimmen.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache14/890. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt nament-liche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.– Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffnedie Abstimmung. –Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Das Ergebnis der Abstimmung werden wir Ihnen späterbekanntgeben.*)Wir setzen die Beratungen fort.Abstimmung über den Änderungsantrag derCDU/CSU auf Drucksache 14/889. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-rungsantrag ist abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag derCDU/CSU auf Drucksache 14/891. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/894. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag istabgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/895. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag istabgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/896. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag istabgelehnt.––––––*) Seite 3061 CBundesminister Karl-Heinz Funke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3061
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Abstimmung über den Änderungsantrag der F.D.P.auf Drucksache 14/909. Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-antrag ist abgelehnt.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung über den Änderungsantrag unterbreche ichdie Sitzung.
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern rasch ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/890 bekannt. AbgegebeneStimmen 596. Mit Ja haben gestimmt 266, mit Nein ha-ben gestimmt 329, Enthaltungen 1. Der Antrag ist damitabgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 59davon:ja: 265nein: 327enthalten: 1JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingPeter BleserDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannIlse FalkDr. Hans Georg FaustIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbDr. Heiner GeißlerGeorg GirischDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppePeter JacobySusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterDr. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagGerhard ScheuDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblMichael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschMatthias WissmannVizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
3062 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999
(C)
Werner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerF.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenGisela FrickPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Klaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünter Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Cornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwellePDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerSabine JüngerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Dr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter Wilhelm DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensJohannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Christian Müller
Andrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes Andreas PflugDr. Eckhart PickKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRenè RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingVizepräsidentin Anke Fuchs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 3063
(C)
(D)
Bernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Ernst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar Lothar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Christa NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
EnthaltenPDSUlla JelpkeEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Wir kommen zur weiteren Beschlußfassung. Werstimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Der Einzel-plan 10 ist damit angenommen.Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesord-nung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages ein auf morgen, Mittwoch, den 5. Mai 1999,um 10.00 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einenangenehmen Abend.